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Zeitschrift
der
Historischen Gesellschaft
für die
Provinz Posen,
zugleich
Zeitschrift der Historischen Geseilschaft für
den Netzedistrikt zu Bromberg.
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Alle Rechte vorbehalten.
Zeitschrift
der
pistorisehen Gesellschaft
für die
Provinz Posen
zugleich
Zeitschrift der Historisehen Gesellschaft
für den
JSletzedistrikt zu Bromberg.
H«rausg«g«b«n
Dr. Hodgero Prümers.
Aihtzihnttr Jahrgang.
Eigentum der Gesellschaft. — Vertrieb durch Joseph Jolowicz.
Posen 1903.
Alle Rechte vorbehalten.
Inhalts -Verzeichnis.
Seile
i. Das Hanlander-Dorf Goldan bei Posen. Ein Beitrag zur
Wirtschaftsgeschichte Gross-Polens im 18. Jahrhundert.
Von Dr. Clemens Brandenburger zu Posen ... i
a. Beitrage zur Geschichte der Gerichts-Organisation für die
Provinz Posen. Von Oberlandesgerichtsrat Karl
Martell zu Posen 51
3. Enstachius Trepka. Ein Prediger des Evangeliums in
Posen. Von Lic. Dr. Theodor Wotschke, Pfarrer
zu -Santomischel 87
4. Einige Mitteilungen Aber die Pilze unserer Provinz. Eine
Skizze« Von Professor Dr. Fritz Pfuhl zu Posen . . 145
5. Ober Friedrichs des Grossen burleskes Heldengedicht „La
guerre des conf6der6s". Von Gymnasial-Oberlehrer
Dr. Gerson Peiser zu Posen 161
6. Francesco Lismanino. Von Lic. Dr. Theodor Wotschke,
Pfarrer zu Santomischel 913
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GENERAL BOOKBINOINO CO.
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5b
Ol
Das Hauländer-Dorf Goldau bei Posen.
Ein Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte Gross-Polens
im 18. Jahrhundert.
Von
Dr. Clemens Brandenburger.
L Die Gründung.
oldau, im äussersten Nordosten des Kreises
Posen- West gelegen, führt seinen jetzigen Namen
erst seit 1899. Am 19. Oktober 1898 hatte
nämlich der Schulze auf einstimmigen Beschluss der
Gemeindevertretung bei dem zuständigen Landratsamte
den Antrag gestellt, dem Dorfe den Namen „Goldthal44 zu
geben. Daraufhin wurde am 6. April 1899 die ministerielle
Genehmigung zur Führung des Namens „Goldau44 er-
teilt Früher hiess das Dorf Zlotkowo-Hauland1).
Mit dem Beinamen „Hauland* ist die Entstehungsart
des Dorfes gekennzeichnet; denn einerlei, ob man „Häu-
tend" von der erstmaligen Besetzung solcher Kolonien
durch eingewanderte Holländer 2), oder davon ableiten
will, dass die Ansiedler erst den Wald hauen mussten (also
Hauland gleich — »rod* in deutschen Ortsnamen), soviel
steht jedenfalls fest: diese Dörfer bilden eine ganz be-
sondere Gattung unter den Ansiedelungen. Eine durchaus
zutreffende Schilderung von Ansiedelungen, die im 18. Jahr-
hundert auf Waldboden angesetzt wurden, gibt Chlebs in
seiner kleinen, anonym erschienenen Schrift „Über Ur-
*) Poln. zloto- Gold; owo eine Ortsnamenendung.
*) In lateinischen Urkunden heissen die Bewohner ÄHolandi",
im Polnischen „Olqdry" und „Olendry". Diese Ansicht wird gegen-
wärtig* von den meisten vertreten.
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Prov. Posen. Jahrg. XVIII. 1
2 Clemens Brandenburger.
sprung und Verbreitung des Deutschthums im Gross-
berzogthum Posen" (Berlin: Mittler & Sohn 1849) aui
Seite 32 ff.
„Sie erhielten entweder einen bestimmten Wald-
distrikt nach Hufen zugemessen oder es wurde ihnen —
was bei der damaligen Wertlosigkeit der Wälder nicht
verwundern darf — im allgemeinen, ohne nähere Be-
stimmung des Distrikts gestattet, eine bestimmte Anzahl
von Hufen zu roden, wo ihnen solches beliebte. Jeder
einzelne erhielt seinen Besitzstand in einem, oft aber auch,
je nach der Güte des Bodens, in vielen zerstreuten Stücken
hutfrei, häufig mit dem vom Gutsherrn bewilligten Holze
umzäunt, und baute sich in der Mitte seines Besitztums
auf, so dass die Etablissements der Hauländer oft regel-
los in den Wäldern zerstreut liegen. Wenigstens war dies
die Regel, obgleich auch geschlossene Hauländerdörfer
sich vorfinden1).
„Ihre Leistungen, in Geld- und Naturalzins und nur
wenigen Diensten, meist zu bestimmten wirtschaftlichen
Zwecken, als Bauten, Holzfuhren etc. bestehend und erst nach
vielen Freijahren eintretend, waren im ganzen massig; ihr
Besitz in der Regel freies Eigentum, nur hin und wieder
durch den herrschaftlichen Konsens zum Verkauf be-
schränkt. Dabei genossen sie häufig Befreiung von öffent-
lichen Lasten, als Kopfgeld, Einquartierung etc., und in der
Regel sehr ausgedehnte Hütungs-, Streu-, Mast- und Holz-
gerechtsame, auch Hülfe bei Brandschäden und andern
Unglücksfällen. Einkaufsgeld wurde selten gefordert.
„Da sie überdies gleich allen übrigen deutschen An-
siedlern persönlich frei blieben, so konnten sie bald zu
einem gewissen Wohlstande gelangen. Zwar hat der
Übelstand, dass viele dieser Hauländereien auf zu leichtem
sandigen Waldboden und ohne Wiesen angesetzt sind,
ihr Gedeihen häufig gehindert. Auch hatten sie in höherem
Grade, als die älteren Ansiedler, von der Willkür ihrer
Erbherrn zu leiden, die ihnen nicht selten die verheissenen
*) Goldau gehört zu den letzteren.
riü
Das HaulAnder-Dorf Goldau bei Posen. 3
Privilegien ganz vorenthielten, oder die erteilten später
<hnrh Erhöhung ihrer Lasten und Entziehung mancher
•Gerechtsame zu ihreau Nachteile veränderten. Obgleich
meistens in Kommunen mit einer ähnlichen Gemeindever-
fassung wie die älteren, in grösseren Massen zusammen-
gedrängten Kolonnen vereinigt, waren sie doch wegen
ihrer isolierten Lage weniger als diese imstande, mit Er-
folg gegen solche Willkür anzukämpfen, und mussten sich
manche Beeinträchtigung gefallen lassen, für die sie sich
•dann wohl hin und wieder durch Einroden, Ausdehnung
ihrer Waldgerechtsame und andere Eingriffe in das mangel-
haft beaufsichtigte Eigentum ihrer Grundherren zu ent-
schädigen suchten. Daher die vielen, bis in die neueste
Zeit herüber gekommenen Prozesse1), in welche sie mit
ihren Grundherren verwickelt wurden, und die eben nicht
geeignet waren, ihren Wohlstand zu fördern.
„Indessen haben sie sich trotz dieser ungünstigen
Einwirkungen überall in ihrem Besitztum zu erhalten ge-
wusst und bilden noch heute einen sehr zahlreichen und
achtbaren, durch Betriebsamkeit und Tätigkeit ausge-
zeichneten Teil der deutschen Bevölkerung hiesiger Provinz,
-der sich selbst auf dürftigem Boden durch Bau von
Handelsgewächsen, namentlich Hopfen, und durch allerlei
Nebengewerbe, als Schiffahrt, Fuhrwesen, Brettschneiden
etc. gut ernährt
„Wir finden diese Hauländereien besonders in den-
jenigen Kreisen verbreitet, die damals noch weniger kul-
tiviert und waldreicher waren, wie in den Kreisen Birnbaum,
Meseritz, Bomst, Buk, Schrimm, Schroda, Gnesen, Mogilno,
wogegen sie in den damals schon kultivierteren Kreisen
Fraustadt, Kröben, Wirsitz und Bromberg fast gar nicht
vorkommen.*
Allein in den bei der ersten Teilung Polens (1772)
in Besitz genommenen Landesteilen zählte man über 400
solcher Hauländerdörfer, deren Grösse mitunter sehr be-
trächtlich war.
*) Vergl. darüber weiter unten, Abschn. III.
4 Clemens Brandenburger.
Dass auch Zlotkowo auf einer zu rodenden Stelle
angesetzt wurde, ergibt sich aus dem Wortlaute des unten
abgedruckten Vertrages; denn dort wird das Land aus-
drücklich als „zarosami zarosly* (von Dickicht überwuchert)
bezeichnet Doch geht aus der Wahl des Ausdruckes her-
vor, dass Zlotkowo insofern von der Regel abweicht, als
es nicht auf einem beliebigen Platze im Walde angelegt
wurde, sondern an einem Orte, der früher urbar gewesen
und dann aus irgend welchen Gründen ausser Kultur ge-
kommen sein muss. Das ergibt sich auch daraus, dass
der Ort schon „antiquitus" Zlotkowo hiess (siehe den
Vertrag).
Über dieses frühere Zlotkowo habe ich nur eine
einzige Nachricht gefunden, eine Resignation1), 1450 vor dem
Posener Grodgericht verhandelt, in welcher ein Edelmann
Nikolaus Glynyeczky2) sein Gut Zlotkowo, „im Posener
Distrikt belegen", seinem Verwandten Nikolaus Morawsky
auflässt8). Seit jenem September 1450 sind die Geschicke
*) Res. Posn. 1450 BI. 96, im Posener Staatsarchiv. Liber
resignationum ist ein bei dem Grodgericht geführtes Register, das
hauptsächlich für Auflassungen bestimmt ist, aber auch, namentlich
während der wenig geordneten Zustände der älteren Zeit, oft
andere Urkunden enthält.
2) Glinno-Glinienko und Morasko sind unmittelbar an Zlotkowo*
anschliessende Güter, die sich also um 1450 mit Zlotkowo zusammen
in der Hand einer Familie befanden.
3) Nachstehend der Wortlaut der auch wirtschaftsgeschichtlich.
nicht uninteressanten Urkunde:
Actum Poznanie die dominica proxima post festum nativitatls
beate Marie virginis (13. September 1450).
Szlothkowo
Ibidem veniens nobilis Nicolaus filius olim nobilis Stanislai
Glynyeczsky cum patruis suis et awnculo germano non compulsus
etc. totam ipsis villam Slothkowo sie nuneupatam in districtu Poz-
naniensi sitam cum omni jure, dominio et proprietate, prout solus
tenuit, habuit et possedit, cum agris etc., nihil juris, dominii et pro-
prietatis ibidem pro se aut suis legittimis successoribus penitus re-
servando, nobili Nicoiao olim Morawsky, patruo ipsius germano, pro
centum raarcis latorum grossorum monete Prahensis etc. causa vere
et perpetue divisionis dedit et ab eadem hereditate seu villa Slotkowo-
perpetualiter recessit et ratione huiusmodi divisionis reeepit easdem.
Das Hauländer-Dorf Goldau bei Posen. 5
des Gutes durch drei Jahrhunderte in Dunkel gehüllt.
Als es dann, als Ödland, wieder auftaucht, befindet es
sich im Besitze eines Magnaten aus uralter grosspolnischer
Senatorenfamilie, des Andreas Wyssogota Zakrzewski,
Kastellans von Kaiisch und Ritters des Stanislausordens1).
Es ist ihm ein lästiger Besitz, denn es bringt ihm nicht
nur nichts ein, sondern sein Gut Golenczewo2) muss sogar
für die Wüstenei die Kopfsteuer3) entrichten; da, wie aus
centum marcas et propter hoc eandem villam Slothkowo dicto patruo
suo coram nobis rite et rationabiliter juxta terre consuetudinem im-
perpetuum resignavit presentibus ibidem quibus supra.
Bemerkung zu der Angabe des Verkaufspreises „centum marcae
latorum grossorum monetae Prahensis": i Mark Silber ist gleich 48
Groschen, der Prager Groschen = 3,717 gr. fein, also 100 Mark
Silber = 17 841. 6 gr. fein oder ungefähr 1072 Taler (Vgl. Pieko-
sinski, O monecie i stopie menniezej w Polsce w XIV. i XV. wieku.
(Über Münze und Münzfuss in Polen im 14. und 15. Jahrhundert).
Krakati 187a
*) Über die Zakrzewski vom Wappen Wyssogota: Theodor
Zychlinski, Zlota Ksicga Szlachty Polskiej. (Goldenes Buch des
polnischen Adels), 1. Jahrg. S. 347 ff., und Jan Nep. Bobrowicz,
Herbarz Polski Ks. Kaspra Niesieckiego S. J. (Polnisches Wappen-
buch des P. Kaspar Niesiecki S. J.) S. 36.
*) Gründungs- Vertrag § 8 (Beilage 1).
*) Die Kopfsteuer, poglowne, ursprünglich nur in Zeiten all*
gemeiner Gefahr des Vaterlandes, besonders in Türken- und Tartaren-
kriegen ausgeschrieben, wurde seit 1717 eine dauernde Hauptsteuerart.
Das gewährt auch einen gewissen Anhalt für den Zeitpunkt der
Verwüstung Zlotkowos. Da nämlich verlassen daliegende Ländereien
bei der Einführung der Kopfsteuer nicht in Anrechnung gebracht
wurden, so muss Zlotkowo 1717 noch besiedelt gewesen sein. Es
wurde dann entweder zwischen 1717 und 1719 (Waffenstillstand mit
Schweden) oder während des Polnischen Thronfolgekrieges (1733 —
1737) und der darauf folgenden inneren Unruhen verwüstet. Der
Umstand, dass erst „Dickicht" das Land überwucherte und es noch
keine Bäume trug (Vertrag § 1), scheint für die letztgenannte Mög-
lichkeit zu sprechen.
Ähnliches bietet die Klage über die Kopfsteuer im Kontrakte
der Stadt Posen von 1719 mit den „Bambergern0 in Luban. Dort
heisst es in § 8: „Da nun das Kopfgeld, welches laut der Constitution
die Stadt Posen halbjährig zu entrichten hat, sehr drückend ist und
nach dem Taryff die Summe nicht zusammenbringen kann, daher nun
auch die noch lebenden für die schon verstorbenen zahlen müssen,
6 Clemens Brandenburger.
dem Vertrage (§ 8) ersichtlich ist, die Kopfsteuer für Jahr
und Hufe 4 Gulden 20 (Kupfer) Groschen betrug, Zlotkowo
aber 11V2 Hufen zählte, so hatte die Herrschaft Golenczewo
jährlich 53 Gulden 20 Groschen1) für das Ödland aufzu*
bringen. Begreiflich, dass der Kastellan den Verlust in
Gewinn umzuwandeln suchte, und zwar auf jene Art und
Weise, die damals, wie zu allen Zeiten, für die slavischen
Grossen die bequemste und ertragreichste war: durch
die Ansetzung deutscher Bauern.
Der Gründungsvertrag datiert vom Palmsonntag, den
26. März 1752, aber die Ansetzung erfolgte spätestens um
die Mitte des Jahres 1751, wie aus dem ausdrücklichen
Hinweis im Vertrag (§ 2) hervorgeht, dass die Hauländer
fast schon ein Jahr in Zlotkowo sässen. Woher sie ge-
kommen, war urkundlich nicht festzustellen. Im Dorfe
selbst erfuhr ich aus dem Munde der Leute, dass ihre
Vorgänger (nicht „Vorfahren") aus Brandenburg, Pommern
und Schlesien eingewandert sein sollen. Die Familien-
namen widersprechen dem nicht, sind vielmehr zum Teil
ausgesprochen niederdeutsch. Beachtenswert erscheint ein
änderer Umstand : in den Urkunden der Schulzengerichts-
barkeit aus dem 18. Jahrhundert weist das mehrfache
Vorkommen des Ausdruckes „ Sterke" für „junge Kuh%
der sich von Oldenburg bis Livland findet, dem ober-
deutschen Sprachgebiete dagegen fremd ist, auf Branden-
burg, Pommern, Preussen hin, kaum auf Schlesien.
Aus der Mundart von heute kann man in dieser Be-
ziehung ebensowenig Schlüsse ziehen, wie aus der
Tracht; beide bieten keine Besonderheiten mehr, und
selbst wenn das der Fall wäre, würde ich in Hinblick
auf die bei der steten Zuwanderung fehlende Familien-
überlieferung Bedenken tragen, irgend etwas daraus
folgern zu wollen.
wie es auch theils die Stadt thun muss, so geben wir den Lubonscheit
Leuten hiermit auf" etc. (Abgedruckt bei Bar, Die Bamberger bei
Posen. Anlage 1).
*) Der polnische (Silber-)Gulden galt ungefähr 50 Pfennige
(genauer 0,486 M) und zerfiel in 30 (Kupfer-)Groschen.
Das Hauländer-Dorf Goldau bei Posen. 7
Der Grund dafür, dass nicht sofort bei der An-
siedelung ein schriftlicher Vertrag abgeschlossen wurde,
ist wohl darin zu suchen, dass die neuen Ansiedler zuvor
Gelegenheit haben sollten, die Verhältnisse kennen zu
lernen und zugleich ihre Brauchbarkeit zu erweisen, ehe
man zum endgiltigen Vertragsabschluss schritt. Dass aber
von vornherein mündliche Abmachungen getroffen
worden waren, erhellt der § 2 des Vertrages zur Genüge.
Das zur Gemarkung Zlotkowo gehörige Land um-
fasste elf Hufen und 16 Morgen. Gemeint sind polnische
Hufen zu 30 Morgen (zu 300 Geviert-Ruten), auf Grund-
lage der alten kulmischen Hufe (28 Morgen 291 Geviert-
Ruten = 16,81 ha) ausgebildet, aber etwas grösser als
diese, nämlich 17,955 ha. Darnach betrug die Gesamt-
fläche der Gemarkung Zlotkowo 206,105 ha oder 346 poln.
Morgen (zu 59,85 ar), wovon 14V2 Morgen oder 8,68 ha
für die Schule ausgeschieden wurden, sodass nur noch
1V2 Morgen über n Hufen hinaus übrig blieben. Nun
zählt aber das Verzeichnis zu Eingang des Vertrages nicht
11, sondern 12 Ansiedler auf, nämlich:
1. Johann Bachmann, 7. Paul Hirschmann,
2. Johann Möller, 8. Michael Kiembein,
3. Witwe Kurzmann, 9. Christoph Schultz,
4. Gottfried David Krüger, 10. Peter Pachotek,
5. Schmied Bleschke, 11. Friedrich Laube,
6. Johann Christoph Korn, 12. Matthias Binder.
Es waren also von vornherein 10 Ganzhufner und
2 Halbhufner vorgesehen. Der eine Halbhufner wird
sogar im Vertrage angeführt, wenn auch nicht mit Namen.
In § 4 heisst es nämlich, dass eine halbe Hufe „frei" sein
solle (von den in dem vorhergehenden Paragraphen auf-
gezählten Lasten) für denjenigen, der die Schenke über-
nehme. Wer der andere Halbhufner war, ist nicht er-
sichtlich.
Übrigens ist zu bemerken, dass die Hufen in Wirk-
lichkeit nicht genau 30 Morgen gross waren, wenigstens
nicht alle, denn sonst könnte im Vertrage nicht die Rede
davon sein, dass die Hauländer den von jeder Hufe zu
8 Clemens Brandenburger.
entrichtenden Zins nach Anzahl der einem jeden ge-
hörenden Morgen unter sich repartieren sollten (§ 2), und
dass der Kastellan sich verpflichte, die noch unvermessene
Grenzwiese denen zuzuteilen, denen noch etwas zur
Hufe fehle (§ 7). Auch Besitzungen von mehr als
30 Morgen kommen vor. So wird z. B. in dem in Beilage 2
mitgeteilten Einzelprivileg gesagt, dass dem Johann Möller
30 Morgen und 32 Ruten zugewiesen wurden. Es ist ja
natürlich, dass die Bedürfnisse des Wirtschaftslebens
mathematische Genauigkeit nicht zuliessen, und dafür, dass
hierdurch keine ungerechte Bevorzugung einzelner entstand,
ist durch die erwähnte proportionale Verteilung der Ab-
gaben in billiger Weise Sorge getragen.
Hervorzuheben ist, dass den Goldauern das Bauholz
nicht unengeltlich überlassen wurde, wie es sonst bei der
Ansetzung von Hauländern zu geschehen pflegte, dass
vielmehr jeder einen Goldgulden für das vom Erbherrn
zu liefernde Holz zahlen musste (§ 1). Das erklärt sich,
wie auch der Vertrag hervorhebt, daraus, dass es in der
Gemarkung keine Bäume gab. Infolgedessen konnte auch
nicht, wie anderwärts, bei der Instandsetzung der Äcker
das nötige Holz gewonnen werden.
Eine andere Eigentümlichkeit des Vertrages ist die
hohe Zahl der Freijahre, hoch in Anbetracht des Um-
standes, dass es sich doch nur um die Wiederaufnahme
einer während weniger Jahrzehnte unterbrochenen Kultur
handelte. Den 6 Freijahren für Goldau stehen z. B. nur
3 Freijahre für die unter ganz ähnlichen Verhältnissen an-
gesiedelten Bamberger in Luban1) und ein Freijahr für
die Bamberger in Rataj2) gegenüber, während in dem vom
Grafen Leon Raczynski 1755 für Kopaszyn ausgestellten
Privilegs) Freijahre überhaupt nicht erwähnt werden.
Auch die übrigen Bedingungen des Vertrages sind
äusserst liberale, wie die umstehende vergleichsweise
*) Bär, Die „Bamberger" beiPosen. Posen 1882. Beilage i,§3-
2) ebendaselbst Beilage 3, § a.
s) Abgedruckt bei Krasiftski, Bauernverhältnisse in Polen
I. S. 161 ff.
Das Hauländer-Dorf Goldau bei Posen.
Nebeneinanderstellung der Vertragsbedingungen von Gol-
dau, Luban und Kopaszyn dartut
Vergleichende Gegenüberstellung der Bedingungen des
Ansiedlungsvertrags dreier deutscher Dörfer.
Goldau
Luban
Kopaszyn
^55
Freijahrc: Sechs.
Viehhaltung: Gross-
vieh und Ziegen un-
beschrftnktt25Schafe
auf die Hufe.
Hutung: Im Walde
von Golenczewo ;
Nachhutung auf Wie-
sen undFeldern dort-
selbst. DieHerrschaf t
hat dieses Recht
auf Goldauer Ge-
markung aber nicht.
Verfassung: i) Re-
ligionsfreiheit, Schul-
zenwahl.
2) Stellenverkauf ge-
gen Entrichtung von
1 Taler für die
Hufe durch jeden
Kontrahenten.
3)
Abgaben: 1) Der
Kirche laut Spezial-
vertrag.
2) Kopfsteuer mit 4
Gulden 20 Groschen
für Jahr und Hufe.
Drei.
Unbeschränkt. (Die
Stadt Posen hatte
natürlich kein In-
teresse an einer
Beschränkung der
Wollerzeugung.)
Müssen sich die Hutung
des Posener Viehes
gefallen lassen,o h n e
Gegenleistung.
1) Katholisch, Schul-
zenwahl.
2) Stellenverkaufgegen
Abgabe desvierten
Teils des Ver-
mögens.
3) Beschränkungen im
Erbrecht.
1) Maien zu Pfingsten
und Fronleichnam
in die Pfarrkirche.
Weitere kirchliche
Lasten nicht genannt.
2) Kopfsteuer für das
Jahr: der Wirt 4
Gulden, die Frau 4
Gulden, der Knecht
3 Gulden, das Kind
2 Gulden.
Grossvieh und Ziegen
unbeschränkt, auf
der Scholtisei 300
Schafe, sonst keine.
1) Religionsfreiheit,
Erbschulze.
2) Stellenverkauf ge-
gen Entrichtung von
10 M.
3)
1) Wie seit alters an
die Kirche.
2) Nicht angeführt,
musste aber zweifel-
los bezahlt werden,
weil öffentlich-recht-
lich.
IO
Clemens Brandenburger.
Goldau
Luban
Kopaszyn
175«
1719
1755
3) Grandgeld mit 60
3) Grundgeld: der
3) Grundgeld mit 20
Tymfi
en für Jahi
rund
Ganzbauer jahrlich
Tymfen für Jahr und
Hufe.
5oTymfe, der Halb-
bauer 25 Tymfe.
Hufe.
4). •
4) Steuer der „Hyber-
na" zusammen 100
Gulden jährlich.
4)
5). .
5)
5) 1 Gans und 2 Hennen
für Hufe und Jahr.
Dienste: 1) Für Hufe
1) Jede eigene Haus-
1) 4 Tage Spanndienste
und
Jahr 1
Tag
haltung bis zu 6
für Hufe und Jahr,
Hand
- und 1
Tag
Tagen Handdienste,
ausserdem nach
Spanndienst.
ausserdem jeder
Wahl der Herrschaft
Wirt 3 Tage Spann-
noch 1 Tag Hand-
dienste, jeder Ein-
oder Spanndienst.
mieter noch 3 Tage
Handdienste.
2). .
2)
2) 2 Getreidefuhren für
Hufe und Jahr nach
Bromberg oder Po-
sen oder für die
Fuhre 5 Tymfe.
3). •
3) Dürfen andere
Dienste nicht
verweigern.
3) Dürfen andere
Dienste nicht
verweigern.
Die den Hauländern zugestandenen Rechte waren
folgende:
1) Sie erhielten die ihnen zugeteilten Ländereien zu
erblichem und frei verkäuflichem Besitz (§ 15
der Gründungsurkunde).
2) Es wurden ihnen 6 Freijahre bewilligt, ablaufend
mit dem 11. November 1757 (§ 2).
3) Sie erhielten Hutungsrecht im Golenczewer
Walde (§ 10).
Das Haalftnder-Dorf Goldau bei Posen. II
4) Sie durften auf jeder Hufe 25 Schafe halten, aber
mehr nicht1) (§ 11).
5) Sie hatten die Hutung auf den Golenczewer
Stoppelfeldern und Wiesen nach dem Mähen
und nachdem vorher die Herrschaft die Vor-
hutung daselbst geübt hatte (§ 12).
6) Es stand ihnen freie Schulzenwahl zu (§ 9).
7) Sie durften ihre Religion frei ausüben (§ 6).
8) Sie durften einen eigenen Friedhof anlegen (§ 5).
9) Sie durften eine eigene Schule unterhalten, zu
der Dienstland lastenfrei angewiesen war.
10) Sie hatten das Schankrecht für den Ort, eben-
falls mit lastenfreiem Krugland, und durften den
Krugwirt selber bestimmen (§ 4).
Dem standen folgende Verpflichtungen gegenüber:
1. Sie mussten die Bestätigung der Herrschaft nach-
suchen a) für den gewählten Schulzen (§ 9), b) für den
gewählten Krugwirt (§ 4).
2. Sie mussten von Hufenverkäufen die Herrschaft
in Kenntnis setzen (§ 15), wahrscheinlich, damit ge-
gebenenfalls diese Widerspruch gegen den Käufer er-
heben konnte.
3. Sie mussten sich verpflichten, bei Verkauf ihrer
Hufe je einen Taler Gebühr sowohl seitens des Ver-
käufers wie seitens des Käufers an die Herrschaft abzu-
führen (§ 15). (Man vergleiche damit die Gegenüber-
stellung).
4. Sie durften niemals Ziegen im Golenczewer
Walde hüten, desgleichen hatten sie das Vieh von den
Schonungen sorglich fern zu halten (§ 10).
5. Sie mussten sich verpflichten, allen Schaden, der
auf Golenczewer Gemarkung von ihren Herden etwa an-
gerichtet werden sollte, gemäss der Abschätzung durch
den Schulzen zu ersetzen (§ 13).
*) Damit die Bauern nur Wolle für den eigenen Bedarf er-
zeugten und dem Gutsherrn keine Konkurrenz im Wollverkauf, einer
seiner wichtigsten Einnahmequellen, machten. Vergl. Schottmüller,
Handel und Gewerbe in der Provinz Posen. Posen 1901.
12 Clemens Brandenburger.
6. Sie durften Wachs niemals anderswohin ver-
kaufen als an die Herrschaft, die einen Gulden für das*
Pfund zu geben hatte (§ 14).
7. Sie mussten sich verpflichten, den beim Kastellan
mit dem katholischen Pfarrer von Sobota abzuschliessen-
den Vertrag über die jener Kirche zustehenden Abgaben
innezuhalten (§ 6).
8. Die Zlotkower Kopfsteuer, die bisher von Golen-
czewo getragen worden war, hatten sie nach Ablauf der
Freijahre mit halbjährlich 2 Gulden 10 Groschen für die
Hufe selbst zu entrichten (§ 8).
9. An Lasten gegenüber der Gutsherrschaft hatten
sie zu leisten: während der Freijahre zwei Handtage für
Hufe und Jahr in der Erntezeit (§ 3), später für Hufe und
Jahr: je einen Tag Hand- und Spanndienste (§ 3) und
60 Tymfen1) in Geld (§ 2).
Ebenso freiheitlich wie diese Bemessung von Rechten;
und Pflichten war auch die Gemeindeverfassung.
Während man anderwärts zu jener Zeit die Besiede-
lung oft noch in der von alters hergebrachten Weise
vornahm, dass man sich mit einem „locator44 in Ver-
bindung setzte2), dem für sich und seine Rechtsnachfolger
das Schulzenamt verliehen wurde, wofür er dann die
nötigen Ansiedler zusammenzubringen hatte, war in
Goldau der Schulze frei wählbar, nur dass die Herrschaft
sich das Bestätigungsrecht vorbehielt Dem Schulzen
stand die niedere Gerichtsbarkeit zu, d. h. diejenige für
Übertretungen, die also mit Geldstrafe zu sühnen waren;
es ist das aus dem alten jus teutonicum herübergenommen.
Da jedoch bestimmt wurde, dass alle Strafgelder an die
Herrschaft abzuführen seien, während nach dem jus
teutonicum ein Drittel davon dem Schulzen zufiel, so
kam jegliches Interesse an häufigen und hohen Strafen
in Fortfall. Gegen das Urteil des Schulzen stand Appel-
lation an die Herrschaft zu, die seit 1523 höchster Ge-
i) Etwa 36 Mark.
2) So auch in Kopaszyn.
Das Hauländer-Dorf Goldau bei Posen. 13
richtshof für ihre Hintersassen war. Weitere Be-
stimmungen scheinen bei der Gründung nicht getroffen
worden zu sein. Man wollte sich offenbar den Ansiedlern
möglichst entgegenkommend erweisen, indem man ihnen
überliess, sich nach dem Brauche ihrer Heimat einzu-
richten. Ja man ging in diesem Entgegenkommen so
weit, dass man die Abschätzung und Aburteilung von
Flurschäden auf der Gutsgemarkung Golenczewo nicht,
wie doch zu erwarten gewesen wäre, der Herrschaft vor-
behielt, sondern dem Schulzen übertrug, also einem von
-denen, die den Schaden zu bezahlen hatten!
Ich bin geneigt, den Grund für diese auffallende
Erscheinung nicht etwa in einem besonderen Wohlwollen
<ies Kastellans gegenüber den Hauländern, sondern darin
zu suchen, dass er derartige Lockmittel für nötig
hielt, um Ansiedler zu gewinnen. Die Herrschaft war ja
oberstes Gericht für den Bauern, konnte also, wenn sich
-die Vertragsbestimmungen später als lästig erwiesen, die-
selben einfach abändern oder ignorieren, wie es ander-
wärts auch Sitte war. In der Tat ist das binnen
weniger Jahre eingetreten!
Vorläufig aber nahm und gab Herr Andreas
Wyssogota Zakrzewski, Kastellan von Kaiisch und Erb-
herr von Zlotkowo, die Versicherung, dass die Satzung
vom Palmensonntag 1752 für ewige Zeiten bindend und
za Recht bestehen solle. Damit war das Hauländerdorf
Zlotkowo rechtlich begründet
II. Aus polnischer Zeit
Das erste Lebenszeichen der neuen Gemeinde, dem
wir nach Vollziehung des Gründungsaktes begegnen, ist
die Eintragung der Gründungsurkunde in die Bücher des
Posener Grodgerichtes am Karmittwoch, den 29. März
1752. Diese Eintragung war zur rechtlichen Gültigkeit der
Gründungsurkunde nicht erforderlich, wurde jedoch last
immer vorgenommen, weil die Abschrift in den Grodr
büchern vor Gericht dieselbe Beweiskraft hatte, wie das
14 Clemens Brandenburger.
Original, was bei Verlusten oder Fälschungen des Originals
von Bedeutung war. Der Kastellan hatte deshalb im Ver-
trage versprochen, für die Eintragung der Urkunde Sorge
zu tragen. Merkwürdigerweise erfolgte die Eintragung
aber nicht auf seine Veranlassung, sondern auf Antrags
dreier Abgesandter der Hauländer, die in der Einleitung
zu der Grodgerichtsverhandlung namentlich aufgeführt
werden: Johannes Bachmann, Friedrich Laube und
Christoph Schultz. Diese drei handelten etwa nicht als
Beauftragte des Kastellans, sondern, wie es in der Ver-
handlungausdrücklich heisst: „suis et aliorum Holandorum
nominibus." Ob diese Abweichung vom Vertrage auf
einer mündlichen Abmachung mit dem Erbheim beruhte
oder ob die Hauländer es für sicherer hielten, wenn sie
selbst die Eintragung überwachten, muss ich dahingestellt
sein lassen.
2 V* Jahr nach der Gründung erfolgte der erste ,
urkundlich auf uns gekommene Besitzwechsel. Johann
Möller verkauft seine Hufe mit allem Zubehör an einen
gewissen Christoph Hirschfelder, wozu der Kastellan
am i. Juni 1754 seine Bewilligung gab ')• Diese Ein-
willigung ist auf dem Privileg des Johann Möller aus-
gestellt und überträgt ausdrücklich alle Rechte und
Pflichten des bisherigen auf den neuen Privileginhaber.
Es war das bei dem Fehlen von Grundbüchern in der
polnischen Rechtspflege der einfachste Weg, den Neu-
erwerber zu legitimieren und sicherzustellen. Mit Hirsch-
felder kam diejenige Familie nach Goldau, die sich einzig
und allein von allen Familien aus polnischer Zeit im
Mannesstamme bis heute im Dorfe erhalten hat Alle
anderen Namen aus jenen Tagen sind durch Erlöschen
des Mannesstammes oder durch Wegzug verschwunden.
Gewiss ein merkwürdiger Umstand, wenn man bedenkt r
dass in den Bamberger -Dörfern die alten Familien fast
durchweg erhalten blieben. Das Aussterben des Mannes-
stammes ist natürlich nicht erklärlich. Wohl aber lassen
*) Siehe Beilage 2.
Das Hauländer- Dorf Goldau bei Posen. 15
sich Gründe dafür beibringen, dass der Wegzug in Goldau
häufiger war, als er in den Bamberger-Dörfern gewesen
sein kann: In Goldau war nämlich die Abwanderung
fast unbeschränkt frei; denn die Abgabe von einem Taler
ist kaum als eine Beschränkung zu betrachten. In dem
Bamberger-Dorf Luban dagegen war die Abwanderung
fast unbeschränkt unterbunden; denn die Abgabe von
25°/o des ganzen Vermögens musste prohibitiv wirken.
Stärker noch als die leichte Wegzugsmöglichkeit
wirkte aber unzweifelhaft die schnell eintretende Ver-
schlechterung der persönlichen Lage auf den häufigen
Wechsel der Goldauer Wirte hin. Die Bamberger, ob-
wohl von Anfang an viel schlechter gestellt als die
Goldauer, waren im Grunde genommen doch besser daran,
weil ihre Verhältnisse rechtlich viel gesicherter waren.
Sie standen in Diensten der Stadt Posen, also einer
juristischen Person, während die Goldauer auf dem Lande
eines Einzelnen sassen. Die Aufsicht über die Bamberger
war nicht in Händen eines Mannes, sondern des Kollegiums
der Kämmerer, die kein Interesse an einer Ausbeutung
hatten, und gegen die stets die Berufung an den Magistrat
offen stand, während den Goldauern der Gutsherr zugleich
oberster Gerichtsherr war, dessen Anordnungen befolgt
werden mussten, falls er die Macht hatte sie durchzusetzen.
Die Lage der Bamberger konnte also stets die gleiche
bleiben, die der Goldauer musste sich naturnotwendig
verschlechtern, sobald sich der Gutsherr Vorteil davon
versprach.
Dieser Fall trat bereits 1757 ein. Am 6. Februar
jenes Jahres wurde den Hauländern seitens des Gutsherrn *)
ein neues Privileg aufgedrängt, das den Bauern die Ver-
pflichtung auferlegte, jährlich für die Herrschaft sechs
Fuhren nach Thorn zu tun oder für jede Fuhre 32
Groschen poln. zu zahlen und anstatt des im Gründungs-
1) Ob noch Andreas Zakrzewski damals Gutsherr war oder
bereits Karl Nieiychowski, habe ich nicht feststellen können. Viel-
eicht war es bereits der letztgenannte, der 1762 auch eine Dorf-
Ordnung erliess.
l6 Clemens Brandenburger.
Privileg festgesetzten einen Hand- und einen Spanntages
jährlich deren zwölf zu leisten. Natürlich weigerten sich
die Wirte, das neue Privileg anzuerkennen, weil sie „bei
diesen Diensten in ihrer Wirtschaft nicht bestehen
könnten"1) und weil sie nicht zur Feststellung desselben
hinzugezogen worden seien. Aber die Weigerung half
nichts. Wer nicht gutwillig leistete, der wurde mit Stock-
schlägen oder mit Exekution in sein Vermögen mürbe
gemacht In einem Falle wurde der Bauer sogar auf die
Weise gezwungen, dass ihm der Gutsherr die Wahl liess,
ob er leisten oder sein Haus in Flammen sehen wolle.
Eine Berufung gab es nicht. Unterwerfung oder Verkauf
war die Alternative. Von dieser letzteren Möglichkeit
scheint, wie auch aus der Zusammenstellung am Ende
dieses Abschnittes hervorgeht, so häufig Gebrauch gemacht
worden zu sein, dass es der Gutsherr am 18. September 1775
angebracht fand, wiederum ein neues Privileg zu erlassen,
das eine Abgabe von 10 % bei jedem Verkaufe einführte,
an Stelle des „für ewige Zeiten" garantierten Talers von
der Hufe.
Zwischen diese beiden Privilegien aber fällt die
Einführung einer Dorf Ordnung. Am 20. Dezember 1762
erliess Karl NieSychowski, der neue Besitzer von Golen-
czewo, eine „wilkerliche und geburchliche Gerechtigkeit" 2),
damit unter den „gutten ehrlichen Leuthen — gutte Ordenung,
auch Friede und Einigkeit gestiff tet, darnebst der geburchliche
Gehorsam erhalten werde. "
Die Dorfordnung ist ein äusserst bedeutsamer Beleg
für den tiefgehenden Einfluss, den das jus teutonicum in
Polen gewonnen hatte, indem sie sich in vielen Stücken
ganz eng an dasselbe anschliesst, obwohl doch die alten
deutschen Kolonien, mit denen einst das jus teutonicum
ins Land gekommen war, längst polonisiert waren und
eine Überlieferung kaum mehr bestand.
*) Aus dem Tribunals-Erkenntnis der südpreussischen Regierung
vom 11. August 1798.
*) Siehe Beilage 3.
Das Haulander-Dorf Goldau bei Posen. 17
Was zunächst die Dorfobrigkeit angeht, so be-
stimmte die Ordnung, dass die „Nachbarn" (d. h. die
Vollberechtigten, die Wirte, nicht auch die Haussöhne
Einmieter u. s. w.) einen Schulzen und etliche Beisitzer
wählen sollten, die des Dorfes Bestes sollen helfen fort-
setzen, die zwistigen Händel, so vorfallen, mittein und
scheiden, über dieser — Anordnung halten, die verwirkten
Strafen einfordern und jährlich den Nachbarn Rechnung
thun sollen. Offenbar hatten jährlich Neuwahlen statt-
zufinden, denn es sollten diese nachfolgenden Punkte den
Nachbarn zweimal des Jahres vorgelesen werden,
erstlich stracks nach gehaltener Kür, zum andern
auf Michael, damit sich niemand mit Unwissenheit zu
entschuldigen habe1). Die Bestätigung, oder, wie es im
Original heisst, die „ Bekräftigung" der Wahl stand dem
Gutsherrn zu, eine Bestimmung, die sich ja schon in der
Gründungsurkunde findet Sonderbarerweise wird die Zahl
der zu wählenden Beisitzer in der Ordnimg nicht fest-
gesetzt. Doch geht aus den erhaltenen Urkunden hervor,
dass ihre Zahl stets drei betrug, so dass der Gemeinde-
vorstand sich zusammensetzte wie folgt: 1. Der regierende
Schulze, 2. der älteste Gerichtsmann, zuweilen auch Ge-
meindeältester genannt, 3. der Nachbarschulze, auch Bei-
sitzer genannt, 4. der jüngste Gerichtsmann.
A. Stellung der Dorfobrigkeit.
1. Die Befugnisse
lassen sich etwa folgendermassen zusammenfassen:
a) Der Schulze konnte die Wirte zusammenbieten
oder zusammenbieten lassen. Wer ohne triftigen Grund
fern blieb, hatte 5 Groschen Strafe zu zahlen (§ 1). Seinen
Anordnungen war unbedingte Folge zu leisten (§ 2, § 3,
i 17 u. a. mehr), einerlei ob er sie persönlich oder durch
Beauftragte erteilte (§ 4). Doch konnte jeder, der sich
*) Auch in Luban musste die „Verordnung" zweimal jährlich
vorgelesen werden, zu Ostern und Michaelis, damit sie „in gutem
•Gedächtnis bleibe." (Bär a. a. O. Beilage 1 § 23). .
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Prov. Posen. Jahrg. XVIII. 8
18 Clemens Brandenburger.
dadurch oder durch Rechtsentscheidungen beschwert ver-
meinte, an die Herrschaft appellieren. Allerdings wurde
„freventliche und mutwillige" Berufung mit einer „guten
Mark* gestraft (§ 38). Insonderheit wurde festgesetzt,,
dass die Nichtbefolgung von Anordnungen zu des Dorfes
Bestem, als da sind: die Treiben zu bessern, die Grenzen
zu verfertigen, die Wassergänge und Gräben zu krauten
und auszuräumen, mit 2 Mark und nach einer erfolg-
losen Frist von 8 Tagen mit dem doppelten zu bestrafen
sei (§ 17).
b. Der Gemeinde vorstand hatte Funktionen sowohl
der Rechtspflege wie der Verwaltung auszuüben. Er besass
die Rechte einer öffentlichen Urkundsperson, indem
Testamente und Kontrakte unter seiner Mitwirkung aus-
zufertigen waren (§ 36), und war Gerichtsbehörde in allen
Fällen, die nicht unter die Kriminalgerichtsbarkeit fielen.
Letztere war der Herrschaft vorbehalten (§ 37). Die Bei-
sitzer allein hatten keinerlei Befugnisse auszuüben, sondern
stets nur in Gemeinschaft mit dem Schulzen, ausgenommen^,
dass der Gemeindeälteste oder der Nachbarschulze den
Schulzen im Behinderungsfalle zu vertreten hatte.
Die Verwaltungsrechte des Kollegiums erstreckten
sich vor allen auf die Verwahrung und Verwendung der
Strafgelder und Gebühren. Diese Gelder wurden in einer
besonderen Lade beim Schulzen aufbewahrt, zu der die
Schlüssel sich in Händen der Beisitzer befanden. Betreffs
der Verwendung war bestimmt, dass das Geld nicht
„verschlemmt" werden dürfe, sondern zu Ausbesserungen
und Neuanlagen im Interesse des Dorfes verwendet
werden müsse, und zwar immer mit Vorwissen der Wirte
(vgl. Einleitung der Dorfordnung). Durch dieses System
mehrfachen Verschlusses der Lade und öffentlicher
Kontrolle der Verwendung war Veruntreuungen und Unter-
schlagungen nach Möglichkeit vorgebeugt
Von den besonderen Strafen bei Vergehungen gegen
die Mitglieder des Gemeindevorstandes wird weiter unten
die Rede sein, wenn ich den Schutz von Person, Eigentum
und Rechten zu behandeln habe.
V
%
\
Das Hanländer-Dorf Goldan bei Posen. 19*
2. Die Pflichten.
Ein grosser Teil der Befugnisse war ohne weiteres
mit dementsprechenden Pflichten verknüpft, die aus der
obenstehenden Aufzählung leicht ersichtlich sind, sodass.
es einer nochmaligen Hervorhebung nicht bedarf. Es.
braucht also nur auf die in der Dorfordnung ausdrücklich
genannten Verpflichtungen eingegangen zu werden.
a) Der Schulze war gehalten, Kriminal- oder hals-
peinigliche Vergehen sofort der Herrschaft anzuzeigen^
damit dieselbe in die Möglichkeit versetzt wurde, ihre
Gerichtsbarkeit auszuüben (§ 37).
b) Das Gesamt kollegium war verpflichtet, alle
14 Tage am Dienstag Gerichtssitzung abzuhalten, nach
Anhörung von Klage und Verteidigung die Händel zu
schlichten und auch den Fremden zu ihrem Rechte zu
verhelfen, damit nach göttlichen und weltlichen Rechten
einem jedweden, sowohl einem Einheimischen als Aus-
ländischen1), widerfahre, was recht und billig ist und sich
niemand mutwillig zu beschweren habe (§ 34). Doch
durften bei 5 Groschen Strafe Weiber, sofern sie verheiratet
und ihr Mann ortsanwesend war, nicht vor Gericht er-
scheinen (§ 5), und Klagen waren nur anzunehmen, wenn
die klägerische Partei den Verklagten spätestens am Tage
vorher zur Verantwortung geladen hatte (§ 34). Die ver-
hängten Strafen waren unablässig einzufordern (§ 34).
Ganz besonders hatten Schulze wie Ratsleute darüber
zu wachen, dass die Dämme und die Wasserläufe in
Ordnung waren, und zu sorgen, dass vorkommende Schad-
haftigkeiten sofort ausgebessert wurden. Wurden sie hierin
lässig befunden, so sollten sie nach Erkenntnis der ganzen
Gemeinde gestraft werden.
Im Schluss der Dorfordnung wurde das Kollegium
dann noch im allgemeinen streng verpflichtet, über die
Ausführung aller Bestimmungen der Ordnung, Satzung,.
Konstitution mit Ernst zu halten, wofern es nicht selbst
die jeweils festgesetzte Strafe doppelt verwirken wollte.
*) Mit den „Ausländischen" sind die von den Gütern anderer
Herren stammenden Leute gemeint.
20 Clemens Brandenburger.
3. Die Einkünfte und Gefälle.
a) An regelmässigen Bezügen hatte der Schulze 10,
die Ratsleute 15 Groschen von der Hufe zu beanspruchen,
die jährlich bei der Wahlversammlung unter Strafe der
Verdoppelung zu entrichten waren (§ 6).
b) Bei allen Reisen, die sie im Interesse des Dorfes
machen mussten, waren ihnen die Unkosten zu erstatten,
und zwar wurde die Summe durch Umlage nach Land-
besitz aufgebracht (§ 7).
c) Für die Besichtigung eines Grundstückes zwecks
Schadenabschätzung hatte das Gericht 12 Groschen zu
beanspruchen (§ 29), ebensoviel für die Gerichtsver-
handlung von jedem, der Recht begehrte, und da hierbei
dem Schulzen ausdrücklich 4 Groschen zugesprochen wurden
(§ 35)» so ist anzunehmen, dass ihm auch bei der Schaden-
abschätzung 4 Groschen gehörten.
d) Dem Schulzen allein standen zu: die Gebühren
für Klage wegen Grenzverletzung mit 10 Groschen
<§ 18), von Blut- und Blauschlägen 8 Silbergroschen
nebst der gerichtlichen Gebühr (d. h. 4 Groschen) (§ 37)
und von der Viehpfändung der dritte Pfennig (§ 25).
B. Regelung des Zusammenlebens im Dorfe.
1. Kauf und Verkauf.
a) Kaufverträge über Mobilien galten als ab-
geschlossen, wenn „gewiss Bier darüber getrunken worden"
war. Hielt dann der eine Kontrahent den Vertrag nicht,
so war er gehalten, zwei Tonnen Bier zu geben (§ 9).
b) Land verkaufe durften nicht heimlich abge-
schlossen werden, sondern waren bei dem Schulzen an-
zumelden. Die Kaufsumme musste bei ihm hinterlegt
werden, und nach Abschluss des Vertrages hatte die
„ganze Nachbarschaft*, d. h. alle Wirte, Anspruch auf
eine Tonne Bier (§ 39).
Wollte aber jemand sein Land an einen Dorffremden
verkaufen, so hatte der Schulze die Wirte bei einer von
dem Verkäufer zu liefernden Tonne Bier zu versammeln
Das Hauländer-Dorf Goldau bei Posen. 21
und Umfrage zu halten, ob vielleicht einer der Wirte das
Land kaufen möchte. War das der Fall, so stand dem
Betreffenden der Verkauf vor dem Fremden zu. Meldeten
sich mehrere, so hatte der mit Acker und Baustelle an-
grenzende den Vorzug. Allen voran aber gingen die
„Freunde", d. h. die Anverwandten des Verkäufers. Auf
Übertretung dieser Bestimmungen stand eine Strafe von
10 guten Mark an die Herrschaft und von einer Tonne
Bier an die Nachbarschaft (§ 40).
Der Umstand, dass für die häufigen Mobilien- und
die nicht seltenen Immobilienverkäufe gerade die Abgabe
einer Tonne Bier als Grundbedingung festgesetzt wurde,
mag teilweise in der Sitte begründet sein. Anderseits
aber hat sicherlich mitbestimmend gewirkt, dass in Golen-
czewo eine herrschaftliche Brauerei bestand — in Polen
hatte jede Herrschaft ihre eigene Brauerei, wenn nicht
sogar mehrere1) — , die für den Absatz ihres Bieres
natürlich in erster Linie auf die Bauern angewiesen war.
Anderwärts, z. B. in der mehrfach erwähnten Urkunde
von Kppaszyn, wird ausdrücklich bestimmt, dass die
Bauern das Bier nur aus der herrschaftlichen Brauerei
holen, dass im Dorfkrug kein anderes ausgeschenkt
werden dürfe. Daher überall bei der Gründung die Für-
sorge für einen Krug, die Ausstattung desselben mit
Land, die Besserstellung des Krugwirtes in bezug auf
Dienste und Abgaben! Da auch in Goldau der Krug
mit Land ausgestattet war (siehe oben!), so ist füglicher
Weise anzunehmen, dass der Zwang im Bierbezug eben-
falls bestand.
2. Pfändung,
a) Wenn jemand Vieh pfändete, so durfte er es
nicht in seinen eigenen Stall treiben, sondern musste es
beim Schulzen oder den Ratsleuten unterstellen, bei
Strafe einer guten Mark (§ 24). Die Sorge für Tränken
und Füttern lag jedoch dem Pfänder ob, der für jeden
Schaden haftbar blieb (§ 22). Die Bestimmung, dass das .
») Vergl. u. A. Schottmüller a. a. O.
"22 Clemens Brandenburger.
Vieh bei einer Gerichtsperson unterzustellen sei, wurde
vor allem wohl deshalb getroffen, damit der Pfänder nicht
in Versuchung käme, das gepfändete Vieh zu seinem
Vorteil auszunutzen. Die Dorfordnung verbot ausdrücklich
jedem, die gepfändeten Kühe zu melken, die gepfändeten
Pferde zu reiten, ebenfalls bei i Mark Strafe (§ 28).
Auch wurde die Aufsicht der Pfändungen, die Verfolgung
willkürlicher Pfändungen erleichtert, die Hinterziehung
*des dem Schulzen zustehenden dritten Pfennigs ver-
hindert Wurde das Vieh auf fremdem Grunde und
Boden betreten, so durfte sich der Besitzer der Pfändung
nicht widersetzen. Jeder Versuch zum Widerstand kostete
1 Mark Strafe (§ 26). War das Vieh in Gerichtsverwahr
gebracht, so hatte der Schulze es dem Gepfändeten so-
fort anzusagen. Löste der sein Vieh nicht desselbigen
Tages aus, so hatte er 5 Groschen Stallgeld für jedes Tier
zu zahlen. Die zweite Nacht kostete 10, die dritte 20,
die vierte 40 und die fünfte 80 Groschen für das Tier, War
das Vieh auch bis dahin noch nicht eingelöst, so wurde
es, der gnädigen Herrschaft in den Hof getrieben»
also Eigentum des Gutsherrn (§ 23). Die Auslösung
geschah, indem der Pfänder den ihm erwachsenen
Schaden durch das Gericht, dem für die Flurbesichtigung
12 Groschen zustanden, abschätzen Hess und die ab-
geschätzte Summe von dem Gepfändeten als Lösegeld
forderte, dazu die Besichtigungsgebühr. Doch konnte
er sich, und bei geringen Schäden wird er es natürlich
immer getan haben, mit dem gewöhnlichen Pfand-
gelde von 1 Groschen für jedes Tier begnügen (§ 29),
Wollte jemand sein Vieh sofort wieder los haben,
und konnte der Schaden nicht mehr am Pfändungstage
abgeschätzt werden, so musste er Bürgen stellen, die
dem Schulzen genügend erschienen und die sich für das
doppelte Pfandgeld, also für 2 Groschen für das Tier, ver-
bürgten (§ 25), Dann konnte er sein Vieh sofort wieder
mitnehmen und die Auslösung später erledigen, eine
Massregel, die den wirtschaftlichen Bedürfnissen durch-
aus Rechnung trug.
Das Hauländer-Dorf Goldau bei Posen. 23
b) Gänse und Enten dagegen sollten nicht ge-
pfändet werden, wahrscheinlich in Anerkennung des
alten Wahrspruches, dass die Nürnberger keinen hängen,
ehe sie ihn haben, und ausserdem in der Erwägung, dass
man bei dem schwer zu beaufsichtigenden Geflügel aus
Pfändungsstreitigkeiten garnicht herausgekommen wäre.
Hier durfte sich jedermann sein Recht selbst schaffen,
indem er das Federvieh totschlug oder totwarf, doch
musste er die getöteten Tiere dem Eigentümer ins Haus
schicken (§ 30).
3. Brandschäden.
a) Brach ein Brand aus, so hatte sich selbstver-
ständlich jeder an den Lösch- und Rettungsarbeiten zu
beteiligen; Zuwiderhandlungen wurden mit 3 guten Mark
bestraft (§ 11). Wer dabei zu fremden Werkzeugen, als
Äxten, Beilen, Hacken u. s. w. griff, der durfte dieselben
nach Bewältigung des Feuers nicht nach Hause nehmen,
sondern hatte sie bei einer Mark Strafe unverzüglich zum
Schulzen zu bringen, damit sie von Amtswegen dem
Eigentümer wieder zugestellt wurden (§ 12).
b) Dem Abgebrannten sollte mit einer „christlichen
Beisteuer" geholfen werden, und zwar je nach der Grösse
des Schadens mit einem Groschen von der Hufe. Auch
musste ihm Holz, Sand u. s. w. zum Wiederaufbau her-
beigefahren und sonst nach Möglichkeit Beistand geleistet
werden (§ 10).
4. Vom Gesinde.
a) Der Gedanke der Einigkeit, der in der soeben
angeführten Beihilfe bei Feuerschäden zum Ausdruck
kommt und der später noch einmal beim Diebstahl wieder-
kehren wird, findet sich auch im Gesinderecht, indem
niemand einen Gärtner oder Einlieger ohne Vorwissen
und Zustimmung der anderen Wirte annehmen durfte,
bei Strafe einer Tonne Bieres (§ 33). Es sollten keine
Leute ins Dorf kommen, die Anlass zu Misshelligkeiten
geben und das gute Einvernehmen der Einwohner stören
24 Clemens Brandenburger.
konnten. Dem suchte man durch diese Bestimmung vor-
zubeugen.
b) Wer einem anderen die Taglöhner ausmietete,
ehe sie entlohnt und entlassen waren, der sollte eine
Mark Strafe zahlen (§ 20). Wer aber einen Knecht
oder eine Magd dem Dienstgeber abspenstig machte,,
dem wurde die Strafe verdoppelt, und ausserdem musste
er den Dienstboten wieder zu dem alten Herrn zurück-
kehren lassen (§ 21).
5. Schutz von Leib und Leben und Ehre*
a) Verleumdung und Ehrabschneidung, durch
2 untadelhafte Zeugen bewiesen, wurde mit 2 Mark be-
straft. Ausserdem war der Verurteilte zum Widerruf
gezwungen (§ 15). Lief jemand vor eines anderen Tür,,
um ihn mit Scheltworten herauszufordern, so büsste er das
mit 3 guten Mark (§ 13).
b) Da die Vergehen wider Leib und Leben vor
das Gericht des Gutsherrn gehörten, so bleiben sie in
der Dorfordnung unerwähnt, mit Ausnahme des Wege-
lagerns. Wer dieses Vergehens mit 3 unversprochenen
Zeugen überführt wurde, war der Dorflade 4 Mark ver-
fallen, ohne damit der gebührenden Leibesstrafe zu ent-
rinnen (§ 14).
c) Mit besonderem Schutze waren die Gerichtsver-
handlungen und die obrigkeitlichen Personen ausgestattet
Das war durchaus notwendig, denn einerseits war gerade
vor Gericht und den Gerichtspersonen gegenüber die
Versuchung zu Ausschreitungen am häufigsten und grösstenr
anderseits musste nirgend so strenge Ordnung und Achtung
gefordert werden wie gerade hier.
Wer einen andern vor Gericht mit Scheltworten
anfuhr oder der Lüge zieh, der musste es mit 5 Groschen
büssen, wer sich aber gar zu Tätlichkeiten hinreissen
Hess, hatte das Doppelte zu zahlen und durfte ausserdem
das Gerichtslokal nicht eher verlassen, als bis er sich mit
seinem Gegner vertragen hatte (§ 31). Schickte der
Schulze jemanden in des Dorfs Gerichtsgeschäften aus,
Das Hauländer-Dorf Goldau bei Posen. 25
und wurde dieser Beauftragte beschimpft oder geschlagenr
so hatte der Angreifer 2 gute Mark zu zahlen, weitere
Strafe nach Erkenntnis des Gerichtes zu leisten (§ 4).
Kam jemand schimpfend oder mit „scharfem Gewehr" ins
Schulzen- oder Gerichtshaus, weigerte er sich dem Verhör,
so war er ohne weiteres mit 2 Mark zu strafen. Vergriff
er sich aber an den Gerichtspersonen, so war durch
besonderen Gerichtsspruch gegen ihn zu erkennen (§ 2).
Und wenn mit Zwang gegen ihn vorgegangen werden
musste, dann hatte er Schläge und Wunden seinem eigenen
Verschulden zuzuschreiben (§ 3).
6. Schutz des Eigentums.
a) Ich habe schon oben (B 4) vorwegnehmend
bemerkt, dass der Solidaritätsgedanke bei der Bestimmung
über den Diebstahl wiederkehre. Es waren nämlich alle
Wirte verpflichtet, an der Suche und Verfolgung des Diebes
teilzunehmen (§ 19). Diese Verpflichtung findet sich
übrigens unter dem Namen „£lad* auch schon im ältesten
polnischen Recht.
b) Das Befahren eines bestellten fremden Ackers
verpflichtete zu einer Mark Strafe und zu Schadenersatz
<§ 16). Ebenso wurde schadenersatzpflichtig, wer fremdes
Vieh schlug oder warf (mit 3 Mark) (§ 27) und wer durch
Grenzgräben und unberechtigte Abzäunungen den Nach-
bar in der Bestellung seines Landes hinderte und störte
(jedesmal mit 10 Groschen Schulzengebühren) (§ 18).
c) Mass und Gewicht hatten sich nach Posener
Brauch zu richten. Vorsätzliches und betrügerisches
Zuwiderhandeln wurde laut besonderem Gerichtsspruch
bestraft (§ 32).
d) Für die Beschädigung von Äckern und Wiesen
durch fremdes Vieh konnte sich jeder vermittelst der oben
ausführlich behandelten Pfändung schadlos halten (B 2).
7. E r b g a n g.
Hinsichtlich des Erbganges ist aus den uns er-
haltenen Dokumenten der Schulzengerichtsbarkeit1) ersicht-
*) Vgl. Gemeinde-Akten von Goldan, Nr. 25, 33, ai, 36, 34, 38, 35.
20 Clemens Brandenburger.
lieh, dass keine Realteilung vorgenommen wurde, dass-
vielmehr der älteste Sohn, unter Umständen auch die
wiederverheiratete Witwe oder ein Schwiegersohn, die
Wirtschaft übernahm und die übrigen Erbberechtigten mit
Geld, Vieh, Aussteuer abfand, wobei der Übernehmende
stets bevorzugt war. Die Abfindung erfolgte bei minorennen
Erben erst nach erlangter Grossjährigkeit, bei Töchtern
gewöhnlich erst gelegentlich ihrer Verheiratung.
Ich möchte nicht unterlassen, hier einige Beispiele
solcher Auseinandersetzungen anzuführen, da sie die wirt-
schaftliche Lage der Hauländer recht gut beleuchten.
a) Am 2. November 1776 heiratete Johann Redel die
verwitwete Frau Anna Katharina Schweife, wobei Hausr
Hof und Hufe auf ihn überging, wogegen er versprechen
musste, den 3 Stiefsöhnen nach erlangter Grossjährigkeit
je 5 Taler (zu 6 Gulden) auszuzahlen, jedem 2 fünfjährige
Rinder, den beiden ältesten einen halben Wagen und dem
jüngsten nach Wahl auch einen halben Wagen oder aber
einen Pflug zu geben. Die Töchter sollten bei ihrer
Verheiratung 2 Kühe, einen Kessel, ein aufgebettetes Bett
und ein Brautkleid bekommen, auch wurde ihnen die
Hochzeit frei ausgehalten. Ausserdem bekam jedes der
Kinder 3 Schafe und einen Bienenstock. Der Anteil eines
etwa minorenn Verstorbenen fiel den andern zu (Gemeinde-
Akten, Inv. Nr. 21).
b) Am 16. November 1783 verkaufte Johann Gottlob-
Korn seine Hufe Land an seinen Schwager Christian
Willert für 300 Gulden mit der Verpflichtung, der einen
Schwester des Verkäufers die Hochzeit auszurichten und
eine Kuh zu geben, während der Verkäufer selbst die
gleiche Verpflichtung für die andere Schwester einging
(Inv. Nr. 34).
c) Am 24. April 1785 übernahm Johann Kraft die
Wirtschaft seines verstorbenen Vaters mit der Auflage,,
seine drei noch ledigen Schwestern ebenso auszustatten,,
wie der Vater die verheiratete Tochter ausgestattet hatte,
nämlich ihnen zu. geben: 12 Mutterschafe, 7 Jungschäfe
und 6 Lämmer, zusammen 25 Stück, ein einjähriges Schwein,
Das Hauländer-Dorf Goldau bei Posen. 27-
zwei Kühe, zwei Gänse, ein Bett mit vier Kissen und
einer Lade darunter. Ausserdem musste er für ihre Er-»
ziehung sorgen, sie mit Kleidung und bei der Verheiratung
mit Aussteuer versehen und jeder 10 Reichsthaler geben.
Doch hatte jedesmal zwischen den Leistungen mindestens
ein Jahr zu liegen, damit der Bruder mit seiner Wirtschaft
in Ordnung blieb. Zum Vergleich mit der Abfindung im
vorhergehenden Falle möchte ich noch bemerken, dass diese
Wirtschaft 8 Jahre vorher für 800 Gulden an Johann
Kraft senior übergegangen war (Kaufpreis bei Nr. 2 nur
300 Gulden).
d) Am 26. April 1787 musste Michael Brauer ver-
sprechen, seinem Stiefsöhnchen aus der Hinterlassenschaft
des Vaters zu geben: 15 Reichstaler (zu 6 Gulden), ein
Paar Rinder von 4 Jahren, 10 Stück Schafe, ein Pferd
und einen Pflug. Dieser Vertrag erhält besondere Be-
deutung dadurch, dass in ihm Taxen angegeben sind>
nämlich 10 Taler für das Pferd, 5 Taler für das Rind,
1 Taler für das Schaf, während der Pflug 18 Gulden
wert sein sollte (Inv. Nr. 35).
8. Besitzwechsel.
Ich habe, soweit die Unterlagen noch vorhanden
sind, für die Zeit von 1752 bis 1793, von der Gründung
bis zur preussischen Besitzergreifung, 19 Fälle von Besitz-
wechsel durch Verkauf oder durch Wiederverheiratung
einer Witwe mit einem Dorffremden feststellen können.
Da 1793 nur noch Johann Hirschmann aus einer der
ersten Ansiedlerfamilien als Wirt aufgeführt wird, der
wahrscheinlich noch auf der Scholle seiner Väter sass,
so verteilen sich die 19 Fälle auf 11 Wirtschaften, von
denen also mehrere ihren Besitzer öfters gewechselt
haben müssen. Hiervon fallen mindestens 7 Besitzwechsel
(für eine ganze Anzahl Hess sich das Jahr nicht fest«
stellen) auf die Zeit nach 1775. Das schon erwähnte
Privileg vom gleichen Jahre, das der Gutsherrschaft den
zehnten Groschen beim Verkauf zusprach, vermochte
demnach den Wegzug der ersten Ansiedler nicht auf-
28 Clemens Brandenburger.
zuhalten. Der Grund lag in der fortwährenden brutalen
Rechtsverletzung seitens der Herrschaft, die das wirt-
schaftliche Emporkommen erschwerte und nicht geeignet
*war, Leute zum Bleiben zu veranlassen, die, unter
preussischem Szepter geboren, an die Verhältnisse eines
geordneten Rechtsstaates gewohnt waren, die wussten,
dass seit 1772 in Westpreussen und im Netzedistrikt Recht,
Ordnung und Wohlstand unter der Regierung des grossen
Königs ihren Einzug gehalten, dass man dort Bauern
suchte, um das entvölkerte Land zu besiedeln und die
dem Wasser abgerungenen Strecken in Kultur zu nehmen.
9. Kirchliche Ordnung.
Kirchlich gehörte Goldau zur Kreuzkirche in Posen.
Da die Gründung aber in die Zeit des sogenannten
Posener Kircheninterregnums fällt, während dessen die
Kreuzkirche infolge der Herrschaft der Posener Jesuiten
geschlossen war, und die Protestanten nach dem 11 Kilo-
meter entfernten Schwersenz zur Kirche mussten, so finden
wir Namen von Goldauer Bauern erst seit der Wieder-
eröffnung, 1779, in den Kirchenbüchern. Wo die Goldauer
in der Zwischenzeit ihren kirchlichen Bedürfnissen genügten,
wer ihre Kinder taufte, ihre Brautpaare einsegnete, ihre
Toten begrub, habe ich nicht ermitteln können. Die
Schwersenzer Kirchenbücher habe ich vergeblich darauf-
hin durchgesehen. Die Auskunft, die ich im Dorfe selbst
erhielt, war dürftig. Danach sollen die Taufen meist in
•der katholischen Kirche zu Sobota stattgefunden haben;
im übrigen sollen die Leute die Kirche in Revier (Kreis
Wongrowitz, nahe der Posener Bezirksgrenze) besucht
haben. Aus der handschriftlichen Chronik des Lehrers
Dalchau, die sich auf die Berichte einiger inzwischen ver-
storbener, sehr alter Dorfbewohner stützt, ergiebt sich,
dass jeden zweiten Sonntag Gottesdienst in der Schule
stattfand, bestehend aus gemeinsamem Gesang und aus
dem Verlesen einer Predigt durch den Lehrer, der infolge-
dessen „Verleser" hiess. Wahrscheinlich haben auch die
Begräbnisse auf dem Gemeinde-Friedhof nur unter Be-
gleitung des Lehrers stattgefunden.
Das Hauländer-Dorf Goldan bei Posen. 29.
10. Schule.
Von der Erlaubnis, eine Schule zu errichten, machten
die Goldauer schon früh Gebrauch. Das Schulhaus war,
wie alle anderen Häuser, aus Lehm und Fachwerk auf-
geführt und mit Stroh gedeckt. Es enthielt nur eine
Stube, eine Kammer und einen Anbau zur Unterbringung*
der Kuh. Der Unterricht fand in der Wohnstube statt.
Die Kinder sassen um einen Tisch herum; wer keinen
Platz fand, musste dem Unterricht stehend beiwohnen.
Natürlich war der Lehrer nicht das, was wir heute unter
diesem Namen verstehen, sondern irgend ein Handwerker,
der zur Not lesen, schreiben und rechnen konnte. Seine
Bildung kann man leicht ermessen, wenn man die Kauf-
und Ehekontrakte durchliest, die sämtlich von des Lehrers
Hand geschrieben sind. Die Besorgung der Schreib«
arbeit für den Schulzen war überhaupt die wichtigste
Aufgabe des Lehrers, denn unter den Bauern war keiner,,
der auch nur seinen Namen zu schreiben verstand.
C. Rückblick auf die polnische Zeit.
Darüber kann kein Zweifel obwalten: Die zurück-
bleibenden Bauern wären innerhalb eines halben Jahr-
hunderts unfehlbar in den Zustand völliger Hörigkeit
versunken — trotz ihrer „für ewige Zeiten" bestätigten
Freiheiten und Rechte — , wenn die polnische Herrschaft
länger gedauert hätte.
Es ist das die gleiche Erscheinung, wie sie uns drei
Jahrhunderte früher bei den alten Dörfern deutschen
Rechtes begegnet, die auch in sehr kurzer Frist aus dem
Zustande der Erbfreiheit in den der Hörigkeit verfielen.
Fragen wir nach den Ursachen, so lässt sich un-
schwer erkennen, dass auch diese beidemal dieselben sind.
Die Grundlage bildet die unbeschränkte Herrschaft der
Adelsrepublik, die im 18. Jahrhundert noch stärker aus-
gebildet war als zur Zeit der Jägiellonen. Der polnische
Adel hatte weit ausgedehntere Rechte als die Grundherren
der ostdeutschen Territorialstaaten, ja man kann be-
haupten, dass er wirklich, wenn auch nicht rechtlich die-
.30 Clemens Brandenburger.
selbe Stellung einnahm, wie die reichsständischen Feudal-
herren. War er so mit unbeschränkter Gewalt über
Leben und Tod, über Freiheit und Eigentum seiner Guts-
untertanen ausgerüstet, eine Gewalt, gegen die es keine
Berufung, keinen Schutz gab, so bedurfte es nur eines An-
stosses, um ihn zur Durchführung derselben zu veran-
lassen und die dem Recht nach freien Bauern zu Hörigen
herabzudrücken. Diesen Anstoss hatte im 15. Jahrhundert
die durch den neuerschlossenen Zugang zur Ostseeküste
ermöglichte freie Getreideausfuhr gegeben, die den Adel
zur Ausdehnung seiner Anbaufläche reizte. Im 18. Jahr-
hundert finden wir den gleichen Beweggrund. In Polen
hatte ein ausgedehntes System von Berechtigungen zu
Privatzollerhebungen bestanden, das durch die Steuer-
reform des Convocations-Reichstages von 1764 aufgehoben
und durch einen „Generalzoll" ersetzt wurde. Dieser
Generalzoll war jedoch durchaus nicht allgemein, vielmehr
standen dem Adel weitgehende Privilegien1) zu, indem
1. alle land- und forstwirtschaftlichen Erzeugnisse, die auf
adligen Fuhren zum Markt oder für den Eigengebrauch
auf andere Güter gebracht wurden, abgabenfrei waren,
und indem 2. alles Vieh von einem Gute zum anderen
steuerfrei durchgelassen wurde. Damit war der ganze
innere Verkehr, besonders nach den städtischen Märkten,
der bisher unter den Privatzollschranken schwer gelitten
hatte, für den Adel bezw. seine Beauftragten freigegeben,
was natürlich sofort eine stärkere Produktion hervorrufen
musste. Aber auch für den Export wurden dem Adel
bedeutende Erleichterungen zu Teil, indem 1. sein Ge-
treide nur 2 polnische Gulden Ausfuhrzoll für die Last2) zu
zahlen hatte und indem 2. seine „necessaria" zollfrei ins
Land gelassen wurden. Welcher Antrieb zur Erhöhung
der Produktion und der Ausfuhr in der Vereinigung dieser
beiden Privilegien lag, bedarf wohl keiner weiteren Aus-
i) Vgl. Krasinski, Geschichtliche Darstellung der Bauern-
verhältnisse in Polen (Krakau 1898) II. S. 12 ff. — Henryk Schmitt,
Dzieje Polski w 18 i 19 wieku (Krakau 1866— €8) II. S. 65 ff.
2) 1 Last = 30 Scheffel zu 120,6 Liter = 3618 Liter.
Das Hauländer-Dorf Goldau bei Posen. 31
führung. Zu gesteigerter Produktion bedurfte man er-
höhten Arbeitsaufwandes, also einer grösseren Zahl von
Arbeitern. Da diese, wie Stenger1) in seinem Auf satze ganz
richtig bemerkt, als landwirtschaftliche Lohnarbeiter in
jener Zeit nicht zu haben waren, so zwang man die
Bauern zu ungerechtfertigten Dienstleistungen. Damit
hängt es auch zusammen, dass von den Goldauern jährlich
<6 Fuhren nach Thorn verlangt wurden. Nach Thorn
brachte man das Getreide, um es von dort zu Schiff
oder auf Flössen nach Danzig zu bringen.
So verband sich die ungeordnete Rechtslage des
Landes mit den wirtschaftlichen Bedürfnissen des Adels,
um den freien Bauern in die Hörigkeit zu zwingen. Als
aber seit dem Einmarsch der Preussen die Idee des
Rechtsstaates zum Siege gelangte, da waren die wirtschaft-
lichen Bedürfnisse der bisher herrschenden Klasse nicht
mehr mächtig genug, um sich diesem Prinzip gegenüber
durchzusetzen. Die Folge war, dass die Bauern wieder
in ihren alten Stand gesetzt wurden.
III. Bei der Krone Preussen.
Doch auch für Goldau sollte die Stunde der Erlösung
schlagen. Am 23. Januar 1793 schloss Friedrich Wilhelm IL
mit der Kaiserin Katharina IL die Petersburger Convention
-die ihm neben Thorn und Danzig auch das alte Gross-
polen tiberantwortete. Am 24. Januar überschritten die
Truppen des Generals von Moellendorf in der Gegend von
Schwerin a. W. die polnische Grenze. Die Aufnahme
der militärischen Besitzergreifung, die über Erwarten glatt
von statten ging, war in den verschiedenen Landesteilen
und bei den verschiedenen Volksschichten nicht dieselbe.
In einem Bericht des Ministers von Hoym, datiert Breslau,
11. Februar 1793, heisst es hierüber:
„Was die Stimmung der Polen bey den jetzigen
Umständen anbetrifft, so ist der ohneweit der diesseitigen
■Grenze befindliche Adel dabey ziemlich ruhig und in-
*) S. folgenden Abschnitt.
32 Clemens Brandenburger.
different; je entfernter und je tiefer derselbe in Gross-
Pohlen ist, desto unzufriedener ist derselbe und fast bis
auf die Raserey über die ihm bevorstehende Veränderung
gebracht, dahingegen der Bürger und Bauer durch*
gängig den Augenblick segnet, in welchen Ew.
Majestät jene Distrikte in Dero Besitz nehmen lassen r
indem er dadurch von derSclaverey und von dem
Druck befreyet wird, unter welchem er zeither
vergebens geseufzet hat"1).
Nachdem die militärische Besitznahme vollendet war,,
wurde am 25. März das Notifikationspatent *) erlassen, das
erstemal, dass der König öffentlich zu seinen neuen Unter-
tanen sprach. Der König verhiess darin, „das gantze
Land dergestalt zu regieren, dass der vernünftige und
wohldenkende Theil der Einwohner glücklich und zufrieden
seyn kann und keine Ursache haben soll, die Veränderung
in der Landesherrschaft zu bereuen." Zugleich wurden
Anordnungen für die Erbhuldigung getroffen, die am
Dienstag den 7. Mai 3) stattfand.
Zu dieser Huldigungsfeier entsandten die Goldauer
ihren derzeitigen Schulzen Martin Schmidt mit nachstehen-
der Vollmacht:4)
„Wir Endesunterschriebne Einwohner des im Posni-
schen Distrikt gelegnen Dorfes Zlotkowa, ertheilen hiermit
unserm Schultzen Martin Schmidt Vollmacht, in unserm
Nahmen bei der Sr. Königl. Majestät von Preussen auf
d. 7. Mai in Posen zu leistenden Huldigung zugegen zu
seyn und den zu leistenden Huldigungs Eid in unsre
Seele zu schwören, unter der Erklärung, dass wir diese
Eidesleistung also ansehen wollen, als ob sie von uns
allen persönlich geschehen wäre. Zlotkowa d. 6. Mai
1793." (Folgen die Unterschriften).
i) Breslauer Staatsarchiv, M. R. V. 10 Vol. XVI. Ausführlich
ist jene Zeit behandelt in Prümers etc., Das Jahr 1793. Posen 1895.
Sonder- Veröffentlichung der Historischen Gesellschaft.
2) Abgedruckt bei Prümers etc. Das Jahr 1793 S. 42 ff.
s) Prümers etc. a. a. O. Seite 13.
*) Gemeinde- Akten, Inv. Nr. 3.
Das Hauländer-Dorf Goldau bei Posen. 33
Die Einverleibung Grosspolens in den preussischen
Staat hatte fast überall zur Folge, dass die Bauern der
Gutsherrschaft die aufgezwungenen und ungerechten
Dienste verweigerten, sich vielfach sogar mit Gewalt wider-
setzten. So heisst es schon in einem Bericht Moellendorfs
an das Kabinetsministerium vom 12. April 1793 aus Petri-
kau:1) „Dass die Unterthanen hin und wieder anfangen,
ihren Grundherrschaften den bisher geleisteten Dienst zu
versagen. Verschiedene Herrschaften haben daher bey
mir angesucht, die Unterthanen durch militärische Exe-
cution zu ihrer Schuldigkeit zurückzuführen, oder ihnen
zu erlauben, sich durch Aufsitzen selbst ihr Recht zu ver-
schaffen. Beide Mittel scheinen mir bey gegenwärtiger
Lage der Dinge nicht zulässig zu seyn, ersteres würde
den gemeinen Mann wieder uns aufbringen, und letzteres
scheint mir mit Gefahr der Aufopferung der Ruhe ver-
bunden zu seyn. Ich habe daher vernünftige Unteroffizier
nach diejenige Oerter hingeschickt, wo Unruhen obwalten,
und habe den Unterthanen unter Androhung militärischer
Execution ermahnen lassen, ihren Grundherrschaften weder
den Dienst noch Gehorsam zu versagen, sondern solchen
solange unweigerlich zu leisten, bis dass neue Justitzhöfe
errichtet seyn würden, vor welchen sie sodann ihre Be-
schwerden anzubringen und nach Befinden der Umstände
Hülfe zu gewärtigen hätten".
Aber die „Ermahnungen" der „vernünftigen Unter-
offizier" scheinen den gewünschten Erfolg nicht gehabt
zu haben, denn am 12. Juli desselben Jahres 1793 sah sich
die südpreussische Regierung zu Posen veranlasst, ein
„Publicandum an die sämtlichen Gemeinden der Mediat-
städte und Dörfer*42) zu erlassen, das „an allen Kirch-
Thüren, Rat-Häusern und Dorf-Krügen zu affigieren war4*:
Der König habe höchst missfällig vernommen, dass
Dero Landesväterliche Absicht, dass jedermann ohne
*) Geh. Staatsarch. Berlin, R. 7 C Nr. 1 betr. die Besitznehmung,
Vol. II BL 26 ff. Abgedruckt bei Prümers a. a. O. Seite 48 ff.
*) In der Ediktensammlung des Posener Staats-Archives. Die
Verordnung ist deutsch und polnisch gedruckt.
Zeitschrift der Hist. Ges. fttr die Prov. Posen. Jahrg. XVm. 8
34 Clemens Brandenburger.
Unterschied der Person und des Standes Recht verschafft
werden solle, von vielen Gemeinden der Mediat-Städte
und Dörfer dahin unrecht ausgelegt worden, als ob sie
ihren Herrschaften und deren Beamten die schuldige
Achtung und Gehorsam nicht mehr leisten dürften, und
als ob ihnen frey stünde, ihre bisherigen Schuldigkeiten
zu verweigern und sich Hütungen und andere Vorteile
eigenmächtig anzumassen, welche sie bisher nicht zu
geniessen gehabt.
„Ein solches Verfahren streitet gegen alle gute
Ordnung, welche Se. Königliche Majestät bevestigt wissen
wollen, und welche allein der Weg ist, auf welchem einem
jeden zu seinem Rechte geholfen werden kann.
„Seine Königliche Majestät werden besondere Kom-
missiones anordnen, welche alle Schuldigkeiten der Unter-
thanen, imgleichen die Vortheile, so diese von ihren Grund-
herrschaften zu fordern haben, gründlich untersuchen und
reguliren werden. Ein so wichtiges Werk erfordert aber
Zeit und muss ruhig betrieben werden. Es werden daher
alle und jede Einwohner in den Städten und Dörfern
hiermit ernstlich erinnert, bis dahin, dass ihre Gerecht-
same und Schuldigkeiten durch gütlichen Vergleich oder
einen richterlichen Ausspruch festgesetzt sein werden,
nicht nur alle ihre Abgaben und Dienste, so wie sie solches
in dem letzten Jahre vor Sr. Königlichen Majestät von
Preussen Besitznehmung geleistet, fernerhin ohnweiger-
lich zu leisten und sich an Hütungen und andern
Nutzungen ein mehreres nicht anzumaassen, als sie biss
dahin genossen haben.
„Sollte wider Verhoffen eine oder die andere Grund-
herrschaft, deren Pächter oder Beamten von ihren Unter-
thanen mehrere Dienste oder Abgaben fordern, als sie
zur Zeit der Königlichen Besitznehmung geleistet, oder
denselben Vortheile entziehen wollen, so sie bis dahin
genossen haben, so steht den Unterthanen frey, ihre Be-
schwerde darüber bey der Königlichen Regierung anzu-
bringen, und diese wird dieselben bey dem vorigen Besitz
bis nach völliger Regulirung der Sache zu schützen wissen,
Das Haalftader-Dorf Goldau bei Posen. 35
dagegen werden diejenigen, welche sich beygehen lassen,
die ihnen abgeforderten Abgaben und Dienste eigen-
mächtig zu verweigern, oder sich selbst in den Besitz der
ihnen von der Herrschaft untersagten Nutzungen zu setzen,
als Störer der Ruhe angesehen und mit empfindlicher
Strafe belegt werden.
„Da auch dadurch, dass ein jeder Stand in den ihm
von Gott angewiesenen Schranken bleibt, die allgemeine
Giückseeligkeit befördert wird, so wird allen Einwohnern
der Mediat-Städte und Dörfer so gnädig als ernstlich an-
befohlen, ihren Herrschaften und denen die Stelle derselben
vertretenden Pächtern und Beamten die gebührende
Achtung und Gehorsam zu beweisen und sich solcherge-
stalt der allerhöchsten königlichen Gnade und Schutzes
würdig zu machen."
Wenn aber Dr. Meisner (der Verfasser der Abhand-
lung „Gerichtsorganisation und Rechtspflege" in dem
mehrfach erwähnten Prümers'schen Sammelwerke „Das
Jahr 1793") betreffs der zahlreichen Prozesse, in denen
die Hauländer ihre Privilegien geltend machten, behauptet:1)
«„In den deshalb ergangenen Entscheidungen wurde aber,
50 sehr auch der Rechtsweg in Polen erschwert war,
doch nicht angenommen, dass den freien deutschen
Bauern das rechtliche Gehör geradezu versagt gewesen
sei, und es wurde hiernach der Anspruch der Hauländer
etc. auf Ermässigung ihrer Leistungen auf Grund der
za Gunsten der bestehenden Verhältnisse eingewendeten
Verjährung abgewiesen" — so widerspricht dem nicht
nur der Wortlaut des obigen Publicandums, sondern vor
allem das Erkentnnis der südpreussischen Regierung „in
Sachen der Hauländer-Gemeinde zu Ztotkowo, Appellanten
und Beklagten, wider den Grundherrn Dominikus von
Przanowski, Appellaten und Kläger"2), d. d. Posen, den
11. August 1798.
Die Goldauer hatten sich nämlich nicht nur in dem
Jahre 1793, sondern bereits 1791 und 1792, als der Ein-
i) a. a- O. S. 327.
*) Gemeinde-Akten Inv. Nr. 5.
36 Clemens Brandenburger.
marsch der Preussen schon zu erwarten stand, geweigert,,
die ihnen 1757 auferlegten Fuhren nach Thorn zu leisten^
und waren dieserhalb, sowie wegen der Leistung von 12
Spanntagen und dem zehnten Groschen vom Gutsherrn
verklagt, am 12. Dezember 1795 in erster Instanz auch
verurteilt worden. Dieses Urteil aber hob die süd-
preussische Regierung als Appellationsinstanz auf und setzte
die Hauländer wieder in Genuss ihres ursprünglichen
Privilegs von 1752, indem sie in der Begründung aus-
drücklich sagte: „Es ist bekannt, dass zu polnischen
Zeiten den Unterthanen keine zuverlässige Rechts-
pflege gegen ihre Grundherren angediehen ist^
mithin kann nach der Rechts-Regel: contra agere non
val entern non currit praescriptio, von einer Praescription
nicht die Rede seyn*.
Richtig ist allerdings, dass viele Staatsdiener, Richter
sowohl wie Verwaltungsbeamte, sich zu Ungerechtigkeiten
gegen die Bauern hinreissen Hessen, einerseits, um sich
den polnischen Edelleuten gefällig zu erweisen, anderer-
seits aus Ärger über die häufigen und langwierigen
Prozesse, durch die sie aus ihrem gewohnten Schlendrian
herausgerissen wurden. Typisch für diese Art von Leuten
ist der Kronzeuge Meisners, Stenger-Unruhstadt, der in
den „Jahrbüchern der preussischen Monarchie", Jahrgang
1798 II, einen Aufsatz „Von den Hauländern in Süd-
preussen* veröffentlichte. Da dieser Aufsatz neben den
zahlreichen Anerkennungen, die den Hauländern zu jener
Zeit von anderen Beamten zu Teil wurden, voll des un-
freiwilligen Lobes von einer ihnen feindlich gesinnten
Seite ist, so möchte ich ihn hier wenigstens auszugsweise
wiedergeben :
„Die Hauländer machen in Südpreussen einen sehr
wichtigen Teil der Einwohner aus
Wenn man dazu nimmt, dass sie entweder gar kein oder
ein äusserst unbeträchtliches Grundgeld (Kaufpretium)
bezahlten, so ist nicht zu leugnen, dass sie auf vor-
teilhafte Art zu nicht selten sehr beträchtlichen Besitzungen
kamen.
Das Haaländer-Dorf Goldau bei Posen. 37
„Der bessre Teil der deutschen Nation verliess mit
den Vorfahren unsrer jetzigen Hauländer sein Vaterland
gewiss nicht; denn mögen wir auch weiter unten Gründe
auffinden, warum sie schlechter geworden, so lässt sich doch
ihre jetzige Verderbtheit nicht wohl erklären, wenn sie gute
Sitten und Charakter mitbrachten. Fleiss und Industrie
als Kinder der Not waren gewiss ihre einzige Mitgift;
mögten sich diese nur wenigstens ganz erhalten haben!
Der Hauländer ist nicht einfältig, aber auch nichts weniger
als klug. Er ist verschmitzt, wenn er einen Angriff be-
fürchtet, und klebt so an alten Vorurteilen und Gewohn-
heiten, dass er seinen offenbaren Vorteil nicht sieht, den
triftigsten Vorstellungen kein Gehör giebt, weil angeborne
Furcht gegen alles, was neu ist, ihn taub macht. Er ist
äusserst misstrauisch, der Mann traut seinem Weibe nicht,
der Vater nicht dem Kinde, aber alle vereinigen sich, wenn
es auf Misstrauen gegen den Herrn oder Vorgesetzten
überhaupt ankommt. Er ist äusserst halsstarrig, wider-
setzlich . . . und undienstfertig, thut nichts gerne, was er
nicht thun muss; er hat endlich keine Religion. Ich würde
diese harte Beschuldigungen nicht niedergeschrieben
haben, wenn ich einerseits nicht von der Wahrheit der-
selben überzeugt und andrerseits eben so bereit zur Ent-
schuldigung der Leute wäre.
„Vorzüglich nach der preussischen Besitznahme hatte
der Geschäftsmann und ganz insbesondere der Richter in
der Provinz Gelegenheit, diese Hauländer von der ge-
schilderten Seite kennen zu lernen.
„Wir haben bereits der Privilegien und ihres Haupt-
inhalts erwähnt Dieser war ganz der Zeit angemessen,
zu der sie gegeben wurden, aber tempora mutantur etc.
So ging es auch in Polen. Die Gutsbesitzer sahen sich
bald, durch Not gedrungen und durch gute Beispiele aus
der Nachbarschaft aufgemuntert, veranlasst, auf Erweiterung
und Veredlung ihrer Wirtschaften zu denken. Die Unter-
thanendienste wollten nicht mehr hinreichen, Lohnarbeiter
waren entweder nicht zu bekommen oder zu kostspielig.
Man sprach die Hauländer um Hülfe an, sie thaten es anfangs
38 Clemens Brandenburger.
auf Bitte1), und am Ende ward freilich ein Recht daraus.
Den Hauländern blieb nichts übrig, als sich zu gratulieren,
wenn nur nicht zuviel von ihnen verlangt wurde. Es
ward preussisch von den Kanzeln und überall
publiziert, dass ein jeder bei seinen Rechten und Privi-
legien geschützt werden solle. Dies erhitzte die Köpfe
der Hauländer auf einmal zu schnell; in Strömen eilten
sie den Gerichtshöfen zu, ihre Privilegien wohl eingepackt
auf der Brust Das Nachsuchen rechtlicher Hülfe — wer
könnte es tadeln? Aber damit verband nun der Hau-
länder eine so unwiderlegbare Renitenz, dass er nicht
nur in der Meinung, es sei schon genung, sein Privilegium
blos vorgezeigt zu haben, plötzlich zu dienen aufhörte,
sondern auch oft durch alle nur möglichen Vorstellungen
nicht zu der Überzeugung zu bringen war und noch
nicht ist, dass er nicht selbst sein eigener Richter sein,
sich selbst sein Recht nicht nehmen könne. Nein er
lässt lieber zu 14 Tagen bis 3 Wochen militärische Exe-
kution das seine aufzehren, um dann doch noch wenigstens
zu schelten: was ist das für Gerechtigkeit! .... Über-
haupt pflegt der Hauländer sich gerne recht arm und
dürftig zu nennen und zu stellen; er ist im Ganzen nicht
reich, aber auch nichts weniger als arm; jedoch seine Furcht,
sein Misstrauen lassen ihn überall Gefahren ahnden. Dazu
kommt seine grosse Geldliebe, ich sage absichtlich nicht
Geiz; denn geizig möchte ich ihn nicht nennen, wenigstens
da nicht, wo es auf Befriedigung seines Stolzes und seiner
Eigenliebe ankommt.
„Mögt es Gemeinsinn sein, aber ich muss es leider
Gemeindestolz nennen, der diese Leute auszeichnet
Man sehe einmal solche Hauländergemeine unter dem
Präsidio ihres Schulzen und ihrer Gerichtsleute — ich
weiss nicht gleich, womit ich diese Scene am schicklichsten
vergleichen könnte! Gottlob, dass noch Nüchternheit so
ziemlich unter ihnen herrschend ist. Ich meine, dass sie
i) Wahrscheinlich ist das ein Zeichen der Halsstarrigkeit, von
der Stenger spricht!
Das Hanländer-Dorf Goldau bei Posen. 39
dem Trünke nicht ergeben sind, denn übrigens lässt der
Hauländer sich am guten Leben nichts abgehen, und die
vielen Jahrmärkte in den vielen kleinen Städten Süd-
preussens tragen vorzüglich dazu bei, ihn zum Wohlleben
geneigt zu machen und seinen sinnlichen Geschmack zu
verfeinern. Die Kirche besucht er, wenn er nicht zu weit
davon entfernt wohnt, fleissig genug; aber dies ist auch
die einzige Art seines Gottesdienstes, und so segnend
und heilsam sie sonst ist, so ist sie es doch für den
Hauländer nicht, weil er nicht vorbereitet genug das
Gotteshaus besucht" . . . und so fort!
Der Stimmung, die aus dem Aufsatze hervorleuchtet,
entspricht es auch, dass die Goldauer Bauern in der
ersten Instanz kostenpflichtig abgewiesen wurden, denn
die Untergerichte waren ja zum grossen Teil mit über-
nommenen Polen und mit engherzigen Bureaukraten
vom Geiste Stengers besetzt Eine Erneuerung, eine Er-
ziehung zu preussischem Rechtssinne konnte nur nach
und nach, nur durch Leute wie den Herrn von Steudener
erfolgen, unter dessen Vorsitz die südpreussische Re-
gierung ihr freisprechendes Urteil erliess.
Mit diesem Erkenntnis vom 11. August 1798 trat
Goldau in ruhige, rechtlich geordnete Verhältnisse ein,
die einer dauernden Störung nicht mehr unterworfen
wurden. Die Episode des Grossherzogtums Warschau
war zu kurz, der Geist der „Freiheit, Gleichheit, Brüder-
lichkeit11 auch in Polen damals zu mächtig, als dass eine
ernstliche Verschlechterung der Lage erfolgen konnte.
Nach Niederwerfung des Korsen und der Zer-
trümmerung seiner Staatengebilde wurde Goldau, unter
preussische Herrschaft zurückgekehrt, des Segens der
Stein-Hardenbergischen Reformen teilhaftig, womit es
aus der Sonderstellung eines Haulandes heraustritt.
40 Clemens Brandenburger.
Beilage I.
Gründungsvertrag von Goldau (Obersetzung).
Andreas Wyssogota Zakrzewski, Kastellan von Kaiisch, Erb-
herr der Güter Przetoczna, Sorge, Eichl-Vorwerk, Zychtychfier
(Sieh-dich-für), Golenczewo, Ztotkowo u. s. w.
Allen insgesammt und denen insbesondere, die es angeht,
thue ich kund und zu wissen: Da ich eine Landfläche erblich
besitze, vor alters Ztotkowo genannt, von Dickicht überwuchert,
so verkaufe ich dieses ganze Land erblich den Hauländern, die mit
mir die unten genannten Bedingungen eingegangen sind. Die
Bedingungen für sie sind diese: Das Land ist bereits genau ver-
messen mit Ausnahme einiger Morgen auf der zwischen Sobota und
Zlotkowo belegenen Grenzwiese; besagte Morgen werde ich sofort
nach den bevorstehenden Osterf eiertagen *) vermessen lassen und
dann sogleich ihren Hufen zuteilen. Die Zahl dieser Hufen beläuft
sich auf elf, und 16 Morgen.
Die Hauländer, die von mir Satzung nehmen, zähle ich hier
in der Satzung zunächst auf: Jan Bachmann, Jan Meiler, die nach-
gelassene Witwe des Mälzers Kurczmann, Godfryd Dail Krüger (im
Original mit „Karczmarz" ins Polnische übersetzt), der Schmied
Bleszko (— Bleschke), Jan Krzysztof Korn, Pawel (= Paul) Hersz-
mann (= Hirschmann), Michal (= Michael) Klembeim, Krzysztof
Szultz (= Schultz) Piotr (= Peter) Pachoiek, Frydrych Laube, Matys
Binder.
Und es soll ihnen erlaubt sein, einem anderen zu verkaufen,
jedem von ihnen einzeln; darum bekommen sie einzeln für soviel
Morgen, als sie erhalten haben, Privilegien2) von mir ausgestellt.
Für die Schule sind 14 Morgen und 150 Ruten angemessen,
die einzig und allein für die Unterweisung der Kinder sein sollen.
Diese Morgen für die Schule gehen frei, d. h. ohne Lasten, aus-
genommen ein für allemal das Grundgeld.
Dies aber ist der Wortlaut der Kondition oder der Satzung,
die allen zusammen gegeben ist mit der Verpflichtung, sie bis aufs
kleinste zu erfüllen und zu beobachten:
1) Da es dort keine Bäume giebt, und sie sich welche zum
Bauen kaufen müssen, so giebt jeder von ihnen einzeln von jeder
Hufe jetzt gleich einen Goldgulden, worüber ich ihnen mit gegen-
wärtiger Satzung quittire.
2) Ich habe ihnen sechs Freijahre bewilligt, und da sie vor
Annahme dieser Satzung, das ist der geschriebenen Bedingungen,
schon fast ein Jahr dort gesessen haben, so haben sie, angefangen
*) Ostern fiel im Jahre 1753 auf den 2. April.
*) Ein solches Einzelprivileg in Beilage a.
Das Haulander-Dorf Goldau bei Posen. 41
von St Martinitag *) dieses gegenwärtigen Jahres 1752, noch 5 Frei-
jahre, also bis Martini des Jahres 1757, das Gott uns schenken möge.
Nach Ablauf der Freijahre hat jeder einzelne alljährlich von seiner
Hufe 60 Tymfen *) zu bezahlen. Diese 60 Tymfen sollen sie unter
sich nach der Anzahl Morgen, die jeder hat, umlegen und zum
Schulzen bringen; der Schulze aber soll sie, nach dem er sie von
ihnen in Empfang genommen hat, zu meinen Händen abliefern.
3) Bevor die Freijahre abgelaufen sind, soll jeder von ihnen
zwei Tage auf die Hufe nach Golenczewo zum Mähen kommen,
nach Ablauf aber jeder einen Tag im Jahr mit Gespann, einen Tag
zur Handarbeit
4) Eine halbe Hufe ist frei für denjenigen, der den Bier- und
Branntweinausschank übernimmt, von der Gemeinde eingesetzt und
von mir genehmigt.
5) Einen Kirchhof zur Bestattung der Toten sollen sie selbst
auf ihren Hufen, auf ihrem eigenen Grund und Boden, auswählen
und abzäunen.
6) Was die kirchenrechtlichen Verpflichtungen anbelangt, so
wird ein Vertrag mit dem hochwürdigen Herrn Pfarrer von Sobota
hier bei mir abgeschlossen, um dessen Bestätigung durch den hoch-
würdigsten Herrn Bischof von Posen ich mich bemühen werde.
7) Und da einige Morgen auf der Grenzwiese zwischen Sobota
und Zlotkowo noch nicht vermessen sind, so werde ich sie gleich
nach dem Osterfeste vermessen lassen und denjenigen, denen es
noch zu den Hufen fehlt, hinzugeben, und ich will gleich in der
gegenwärtigen Satzung festsetzen, dass jene nach der Ausmessung
und Zuteilung zu den Hufen proportional für die Morgen bezahlen 8)
sollen, die sich herausstellen werden.
8) Weil das Gut Golenczewo für das Wüstland Zlotkowo
bisher die Kopfsteuer bezahlt hat, so sollen künftig die auf jenem Lande
angesetzten Hauländer nach Ablauf der Freijahre die Kopfsteuer
entrichten, jeder von seiner Hufe 2 Gulden 10 Groschen an jedem
der beiden Zahlungstermine, was also jährlich 4 Gulden 20 Groschen
auf die Hufe ausmacht.
9) Den Schulzen dürfen sie sich selber wählen, seine Bestä-
tigung steht mir zu. Die Geldstrafen, die der Schulze verhängen
wird, sollen an die Herrschaft gehen. Wenn aber jemand mit dem
Schulzenurteil nicht zufrieden ist, so steht ihm die Berufung an die
Herrschaft zu.
0 xx. November.
*) Der Tymf entspricht dem spateren (Silber-) Gulden, steht aber im Werte
höher (etwm 60 Pfennig). Beide Monzen kommen in dem Vertrage neben einander vor,
was den tatsächlichen MOnzenTerhaltnissen jener Zeit entspricht.
*) Nämlich das in § a festgesetzte Grandgeld, das ja nur nominell nach Hufen
berechnet wird, in Wirklichkeit aber nach Morgen erhoben werden soll.
42 Clemens Brandenburger.
10) Die Huttmg im Golenczewoer Wald gestatte ich ihnen,
sofern sie bei Strafe es unterlassen, dort Ziegen zu ziehen, des-
gleichen Vieh zu weiden, wo sich Schonungen befinden oder
angelegt werden.
n) Schafe dürfen sie auf jeder Hufe 25 Stück züchten, mehr
nicht, bei Strafe; zugleich ordne ich an, dass sie nur von ausge-
wachsenen Bäumen Aeste abhauen dürfen x)f damit sie mir für ihre
Schafe nicht die jungen Bäumchen verderben. Und weil sie sich
über die Dörfer Kludowo (Chludowo, Kreis Posen Ost) und Drogo-
szewo *) beklagen, dass diese ihre Ziegen im Golenczewoer Wald
hüten, so werde ich genannten Dörfern das Hüten der Ziegen
verbieten.
12) Auf den Golenczewoer Stoppelfeldern, sowohl den Winter-
ais auch den Sommerfeldern, sollen sie dann weiden dürfen, wenn
jenes Gut dort zuvor seinen Viehbestand gehütet hat; das heisst
also, dass sie nicht gleich nach dem Garbenbinden hüten sollen;
und das gleiche versteht sich auch für das Abmähen der auf
Golenczewoer Gemarkung belegenen Wiesen.
13) Wenn aber der Zlotkowoer Schäfer oder Ziegenhirt irgend
welchen Schaden auf Golenczewoer Gemarkung anrichtet, so soll
der Schulze die Tat aburteilen und den Schaden abschätzen, den
die Hauländer bezahlen müssen.
14) Und für den Fall, dass sie Bienen halten werden, darf
keiner, der Bienen züchtet, bei Strafe anderswohin verkaufen als an
die Herrschaft: ich verspreche für jedes Pfund einen Gulden poln.
zu geben. Wer es aber nicht zu der angegebenen Taxe an die
Herrschaft liefert, sondern anderswohin verkauft und verschachert,
soll dem Schulzengericht verfallen sein.
15) Wer aber nach der hiermit gegebenen Satzung seine
Hufe verkaufen will, sei es mit den Baulichkeiten, sei es ohne die-
selben, der soll es mit meinem bezw. meiner Rechtsnachfolger
Vorwissen tun, und sowohl der Verkäufer wie der Käufer soll,
jeder einzeln, einen Taler von der Hufe an mich oder meinen
Rechtsnachfolger zahlen.
Diese Satzung soll nicht nur den Holländern, die sie jetzt von
mir annehmen, sondern auch ihren Rechtsnachfolgern für ewige
Zeiten dienen, und sie mitsamt ihren Rechtsnachfolgern sollen die-
selbe halten und genau erfüllen. Ich aber, und zwar auch mitsamt
meinen Rechtsnachfolgern, versichere sie der Innehaltung, und
zur besseren Wertung und Beglaubigung unterschreibe ich mich
mit meiner eigenen Hand und füge mein Familiensiegel anhängend
s) Wahrscheinlich, um Schafhürden herzustellen.
•) Ein Ort Drogosiewo existiert in jener Gegend nicht. Wahrscheinlich ist
Drogoszyn gemeint, ein polnisches Dorf zwischen Knischin und Golencxewo, das 1868
mit dem Auskauf des letzten Bauern durch den Besitzer von Knischin und Morasko,
einen Herrn von Treskow, verschwand (Mitteilung des Lehrers Dalchau in Goldau).
Das Haulander-Dorf Goldau bei Posen. 4J
hinzu. Zugleich übernehme ich es, für die Eintragung in die Bücher-
dcs Posener Grodgerichtes Sorge zu tragen. Ausgefertigt zu Kiekrz-
am 26. März1) im Jahre 1752. Andreas Wyssogota Zakrzewski,.
Kastellan von Kaiisch m. p.
Das Siegel, in rotem Wachs, befindet sich in einer Metall-
Kapsel. Auf der Rückseite des Pergamentes steht ein Vermerk
über die Eintragung in die Grodakten: „Inductum per oblatam in
acta castren. Posnan. feria tertia post dominicam Ram. Palmarum
quadragesimalem (also am 29. März) a. dni. 1752. Suscepit ChmielewskiA
Die Grodgerichtseintragung hat nachstehende Einleitungs- bezw.
Schlussbemerkung: „Ad officium et acta praesentia castrensia
Posnaniensia personaliter venientes honesti Johannes Bachmann^
Fridericus Laube et Chrystoforus Szulc2), Holandri in fundo
Zlodkowo locati, suis et aliorum Holandorum infra specificatorum
nominibus obtulerunt officio praesenti ad acticandum et actis hisce
inscribendum Privilegium illustris magnifici Andreae Wyssogota
Zakrzewski castellani Calisiensis ratione infra scriptorum sibi offeren-
tibus aliisque Holandis inferius expressis in pargamano datum et
collatum, manu propria ejusdem illustris magnifici castellani Calisiensis
sigilloque ejus gentilitio pensili subscriptum et communitum, cujus-
privüegii tenor sequitur ejusmodi:" — (Vertrag wie oben. Am.
Schluss :)
„Locus sigilli pensilis gentilitii in rubro cero expressi, cujus
quidem privilegy modo praemisso acticati et ingrossati originale
iidem offerentes denuo ad se receperunt et recepto officium et
cancellariam praesentem quietarunt quietantque praesenti.11
Beilage II.
Obersetzung eines für jeden Hauländer besonders
ausgestellten Privilegs.
Privilegium, dem ehrsamen Meier 1752 ausgestellt.
Andreas Wyssogotta Zakrzewski, Kastellan von Kaiisch (u. s. w.)^
Indem ich mich auf die Satzung beziehe, die ich den in
Zlotkowo angesiedelten Hauländern für die ganze Gemeinde im
allgemeinen gegeben habe, und indem ich diese auch in den.
geringsten Punkten und Bedingungen in ihrer Gesamtheit wie Be-
sonderheit in allem bekräftige und festhalte, verleihe ich dem
ehrsamen Jan Meier die Gerechtsame auf eine Hufe und 32.
Ruten, die auf Zlotkowoer Gemarkung für ihn ausgemessen sind.
*) Am Palmsonntag.
*) Ein Beispiel dafür, wie die Schreibweise deutscher Namen polemisiert wird«.
Im Vertrag wird Schnitz „Szultz* geschrieben, hier schon „Szulc."
44 Clemens Brandenburger.
Diese sollen ihm und seinen Rechtsnachfolgern zugleich mit den
von ihm auf gedachtem Grundstück angelegten Gebäuden und Gärten
für ewige Zeit erblich zu Diensten sein, wofür ich mich mitsamt
meinen Rechtsnachfolgern verbürge und verbinde. Er hingegen mit
seinen Rechtsnachfolgern verpflichtet sich, die Leistungen zu erfüllen,
wozu die Zlotkowoer Hauländer im allgemeinen sich heute durch
Vertrag schriftlich verpflichtet haben. Was ich zur besseren Wertung
und Beglaubigung unter Beidrückung meines Familiensiegels mit
eigener Hand bestätige und unterschreibe zu Kiekrz am 26. März
im Jahre des Herrn 1752. Andreas Zakrzewski K. K. m. p.
D. 24. July 1753 bezahlte Jan Meier das ordnungsmässige Grund-
geld mit 13 Tymfen und 1 Sechser, worüber ich ihm quittire.
Andreas Zakrzewski, K. K. m. p.
Weil der ehrsame Jan Meier, ehemals Einwohner zu Ziotkowo,
seine Hufe mit allem Zubehör an den ehrsamen Krysztof Hirsz-
felder, seinen Nachfolger in dieser Stelle, verkauft hat, so approbiere
und ratifiziere ich obige Gerechtsame, die Jan Melier besass, gegen-
wärtigem Krysztof Hirszf eider und seinen Rechtsnachfolgern und
erkläre, dass ich sie ihm in allem halten werde, wie auch jener
Hirszfelder sich verpflichtet, seinen Verpflichtungen, die für alle
Hauländer in Ziotkowo in der Generalsatzung niedergeschrieben
sind, zur Genüge nachzukommen. Was ich, damit es ihm als
Gerechtsame diene, durch eigenhändige Unterschrift bestätige. Datum
Kiekrz d. 1. Juny 1754. Andreas Zakrzewski K. K. m. p.
Beilage III.
Wilkerliche und geburchliche Gerechtigkeit in Slotkawe.
Ich Carol (Niezychowski) thue kund hirmit jeder manniglich,
insonderheit denen zu wissen von Nöhten, nachdem ich mein Dorf
Slotkawe genandt, gutten ehrlichen Leuthen, ihnen und ihren Nach-
komlingen, umb eine gewisse Summa Geldes verhandelt und ver-
kauft und umb einen jahrlichen Zinss aussgethan, damit aber unter
ihnen gutte Ordnung, auch Friede und Einigkeit gestifftet, darnebst
der geburhliche Gehorsam erhalten werde, habe ich vor hochnöhtig
zu sein erachtet, etliche nothwendige Puncta aussfassen zu lassen,
dabei ich bei Vermeidung ernster Straffe und verleibter Busse jeder-
zeit steif und feste wil gehalten haben. Und umb merere Aufsicht
sollen die Nachtbarn (vollberechtigten Wirte) unter ihnen einen
Schultzen, auch etliche Personen zu Beisitzern wählen, dieselbige
auch von mir bekräftiget, welche des Dorffes Bestes sollen helffen
fordtsctzen, die zwistige Händel, so vorfallen, mittelen und scheiden,
über dieser meiner Anordenung halten, die verwürcketen Straffen
Das Hauländer-Dorf Goldau bei Posen. 45
einforderen, und jahrlich den Nachbarren Rechnung thun sollen. Ich
wil auch, das die gedachte Geldtstraffe in eine Lade getan, welche
bei den Schultzen stehen muss, und die Beisitzer die Schlüssel dar-
zu haben sollen, wohl verwahrt und nicht ihres Gefallens nach ver-
schlemmet, sondern zur Reparirung und Besserung des Dorffs
angewendet werden, welches dan jederzeit mit der Nachtbarren Vor-
wissen gesehen soll. Und sollen diese nachfolgende Puncta den
Nachtbaren zweimahl des Jahrs vorgelesen werden, erstlich stracks
nach gehaltener Kühr, zum andern auff Michael, und damit sich
niemandt mit Unwissenheit zu entschuldigen habe.
1) So der Schnitze die Nachtbaren verboth (entbietet) oder
verbohten last, sollen sie zu ihn kommen undt gehorsam sein, so
aber jemandt einheimisch (ortsanwesend) wäre und nicht in eigener
Person käme, soll er auff 5 Groschen gestraft werden.
2) So jemand von den Nachtbahren den Schultzen oder Rath-
leuthen mit unhofflichen oder mit Schimpffwordten oder gar mit
scharf fen Gewehr wiederstrebendt ins Schultzen- oder Gerichthauss
komme und keinen Gehör geben wolte, der sol ohne einige Wieder-
rede auf 2 gutte Marckt gestraffet werden. Da er es aber sonst
gröber macht und mit Schlägen anlauffen wolte, sol er nach Gelegen-
heit seiner Übertretung nach Erkäntnis des Dorffesgerichte höher
gestraffet werden.
3) Da jemandt frefentlich sich wieder den geordneten Schultzen
und seine Beisitzer setzte und begangene Missetaht nicht wolle ge-
horsam sein oder sich gefangen geben, würde er darüber geschlagen
oder verwundet, es wäre bei Tage oder Nacht, sol darüber keine
Bosse noch Recht ergehen.
4) So einer oder mehr von Schultzen in des Dorffs Gerichs-
geschäfften geschickt würde, undt jemand sich mit übrigen Schelt-
wordten oder Schlägen vergriffe, der solt verfallen sein zwei gutte
Marckt und nach Erkäntnis der Ältesten (Dorfobrigkeit) gestraffet
werden.
5) Wen der Schultze mit seinen Ratsleuthen zu Gerichte sitzet,
sol kein Weib, es sei den, dass sie vor ihre eigene Person zu klagen
hätte, undt ihr Man, wo sie einen hate, nicht einheimisch wäre,
für Gerichte kommen bei 5 Groschen Straffe.
6) Ist bewilliget, das den Schultzen sein Lohn, von der Hufe
10 Groschen und bei den Rathsleuthen 15 Groschen, sol gegeben
werden, alle Jahre, wenn die Kühr gehalten wirdt, bei Straffe doppelt
abzulegen.
7) Wenn die Schultzen oder Rathsleutten ausser dem Dorfe
und wegen des Dorffs Bestes verreisen würden, sollen die Unkosten
bezahlet werden nach Hufenzahl.
8) Sol Schultze und Rathsleutte auf das Dorf fleissige Achtung
haben, so etwas an Tamme oder Wassergänge oder sonsten, das
dem Dorf schädlich wäre, sollen sie dahin trachten und anschaffen y
-46 Clemens Brandenburger.
damit das [ . . . J l) gemacht und gebessert werde. Da aber Schultzen
and Rathsleatte hirinnen [zu läsjsig befunden würden, sollen sie
•nach Erkäntnis der gantzen Gemeine gestrafft [werde]n.
9) Wo Kauff oder Verkauffe gesehen, es sei Getreide Viehe
oder Pferde, wie es Nahmen haben mag, und ist gewiss Bir darüber
getrunken worden: wer den andern den Kauff nicht hält, der sol
verfallen sein zwei Tonne Bir.
10) Da Gott behüten vor wolle: durch Gottes Wetter oder
•sonst durch böse Leuthe einen irgendts sein Hauss abbrennen würde,
so sol man ihn mit einen christlichen Beisteuer zu Hilffe kommen,
von der Hufe ein Groschen polnisz, darnach der Schade gross be-
funden wirdt, auch Holtz undt anders führen, hülffliche Handt und
Beistandt zu leisten.
11) Wo ein Feuer, da Gott behüte, auskämme, wer alssdan
einheimmisch wäre und nicht retten und leschen hülffe, der sol ver-
fallen sein 3 gutte Marckt.
12) Wer in Brande fremde Gefässe (Gerätschaften) ergreif ft
«s wäre an Äxten, Beilen, Hacken oder wie es auch Nahmen haben
möge, der sol es zum Schultzen bringen und nicht mit sich nach
Hausse nehmen oder tragen, auf das es wieder abgegeben werde,
wem es gehört, bei Straffe einer gutten Marckt
13) Niemand sol den andern vor seiner Tühr lauffen mit
Aussforderung. Wer das thun wirde, der sol verfallen sein drei
gutte Marckt
14) So einer den andern würde wegelagern in den Dorffe
oder auff den Felde, und er könte solches bezeigen oder beweisen
durch oder mit 3 un[ve]rsprochenen Männern, der so[l] verfallen
sein 4 gutte Marckt und dam[it] der gebürlichen Leibesstraffe nicht
entgehen.
15) Wenn ein gutt Man den andern oder eine gutte Frau die
andere übel aus[hu]delt und an ihren Ehren angreiffet, und konte
solches bezeigen mit 2 untad[el]hafftige Zeigen, der oder dieselbige
«ollen verfallen seyn der Nachbarschaft in] die Lade zwei gutte
Marckt und solche Schimpf f reden einander darth[un] oder einander
ein ehrlich Zeigniss geben nach gerichtlichen Gebrauch und Gebühr.
16) So [einer] den andern über seinen Acker fahret, welcher
besäet ist, der sol verfallen sein [1 gu]tten Marckt und den Schaden
entrichten.
17) So auss Befehl des Schultzen gehöhten würde, die Treiben
:zu bessern, die Gräntzen zu verfärtigen, die Wassergange und
Graben zu krauten und ausszuräumen oder sonst, was dem Dorfe
:zum Besten gereichet: wer solches nicht verrichtet, sol verfallen
sein zwei gutte Marckt und bei 8 Tage alles fertig zu haben bei
doppelter Straffe.
*) Das Original beschädigt.
Das Hauländer-Dorf Goldau bei Posen. 47
18) Sol ein Nachtbar den andern seine Grantze nicht graben
und zäunen nach Gelegenheit des Landes halten; welcher das nicht
thun wirdt und einen hirüber Schaden gesehen wirdt, so sol der-
selbige den Schaden richten und so offte er darüber angeklaget
«wirdt, der sol den Schultzen verfallen 10 Groschen.
19) So jemand ein Pferdt oder sonsten etwas gestohlen würde,
sollen die Nachtbaren nach Hufezahl solchen helffen nachzutrachten
und zu Ende zu förderen.
20) Niemandt soll den andern ohne Consens und Bewilligung
seine angenommene Arbeiter, welche er angenommen und ehe er
sie abgelohnet und nicht mer brauchet, abspenssdig machen und
auf einige Arbeit nehmen bei Straffe 1 glitten Marckt.
21) So sich jemandt unterstehet, seinen Nachtbar seinen Knecht
oder Magd ausszumihten, der solches thut, der sol verfallen sein
3 gutte Marckt, und gleichwohl den Dinstbohten seinen Herrn in
Dienste folgen zu lassen schuldig sein.
22) So jemand seines Nachbaren Viehc pfändet, der sol es
tränken lassen, damit es nicht verschmachte und umbkomme; sonst
sol er ihn den Schaden erstatten.
23) So jemandes Viehe gepfändet würde, und der Schultze
«s denselbigen ansagen lisse, derselbige aber sein Viehe im Gerichte
stehen lisse, so sol er die erste Nacht von Stück 5 Groschen, die
andere 10 Groschen, und also doppelt bis zur 5-ten Nacht erlegen,
und so dass Viehe nicht abgehollet und ausgelösset wird, so sol es
-der gnädigen Herrschafft in den Hof getrieben werden.
24) Niemandt soll sich unterstehen, seines Nachbarn Viehe,
so das es gepfändet wirdt, in seine Pfändung nehmen oder in seinen
Behausung zu verwahren, sondern bei den Schultzen oder beim
Rathsman stracks uberantwordten bei Straffe 1 glitten Marckt.
25) Den Schultzen sol von den gepfändetten Viehe der dritte
Pfennig gegeben werden; wer auch sein Vieh loss haben wil, sol
Bürgen setzen, damit der Schultze zufrieden ist, auf doppelt
Pfandtgeldt.
26) So jemandt, deme sein Viehe zum Schultzen getrieben
würde, sich entgegen setzet und dasselbige mit Gewalt zurücke
halten wolte, der sol 1 gutten Marckt ablegen.
27) Wer eines andern Viehe schlägt oder wirfft, das es
Schaden davon bekomet, der sol den Schaden erstatten und zur
Straffe drei gutte Marck verfallen sein.
28) Niemandt soll gefändete Kühe melcken oder Pferde, so
gepfändet, reitten; wer hir wiederhandelt, der sol ohne alle Wieder-
rede 1 gutte Marckt Straffe erlegen.
29) Wer eines andern Viehe in Getreide pfändet oder auff
den Wiessen, der sol den Schaden durch die Gerichten schätzen
lassen; wo er aber solches nicht thun wil, so sol er sich an ge-
48 Clemens Brandenburger.
wöhnliglichen Pfändtgelde gnügen lassen, als ein Groschen von»
Stück. Von der Besichtigung sol den Gerichten 12 Groschen ge-
geben werden, und wer den Schaden thut, von den sol er es wieder
fordern.
30) Gänse und Endten sollen die Freiheit haben, wen die
einen Nachtbar oder den andern zu Schaden gehen, soll man sie
todtschlagen, und den sie gehören, nach Hausse schicken.
31) Wer einen vor Gerichte mit unhöfflichen Wordten anfahret
oder Lügen straffet, sol solches mit fünf Groschen büssen; trauet
er ihnen aber zu schlagen, so sol er Gehorsam halten und zehn
Groschen ablegen, auch soll er nicht ehre aussgelassen werden, er
habe sich den mit seinen Nachtbar vortragen.
32) Scheffel und Birmass soll redfertig nach der umbliegenden
Stadt Maass gemessen werden, damit niemanden Unrecht geschehe ;
wer vorsetzlich darwider handelt und seinen Nächsten damit be-
trüget, soll nach Erkäntniss des Schultzen und der Rathsleutte ge-
straffet werden.
33) Niemandt soll Macht haben, einen Gärtner oder Haussmarc
bey sich einzunehmen oder auf sein Landt zu setzen, ohne Vor-
bewust und Bewilligung der gantzen Nachtbarschafft, bei Straffe
einer Tonne Birs.
34) Der Schultz und Beisitzer sollen schuldig sein, alle 14 Tage
auf den Dinstag den Nachtbarn Recht sitzen, auf Klage und Antwordt
die parteischen Händel schlichten und vertragen, die verwiirckte
Straffen unablässig abfordern, jedoch, das eine Parth die andern
den Tag zuvor zeitig lade oder bestelle lassen solle. Den Fremden
aber sollen sie jederzeit nach Erlegung der Gebühr verhelffen, damit
nach göttlichen und weldtlichen Rechte einen jedweden, sowohl
einen heimischen alss ausländischen, wiederfahre, was recht und
billig ist, undt sich niemandt mutwillig zu beschweren habe.
35) Vor der Zusammenkunft aber soll ein jeder, der dass
Recht begeret, 12 Groschen ablegen, davor den Schultzen 4 Groschen
gebühret.
36) So mögen sie auch gerichtliche Testamenta Contraeta
aussfertigen.
37) Wil ich mir vorbehalten haben, das der Schultze gutte
Achtung haben sol, damit an criminal oder an halsspeinigliche
Straffen nicht verschweigen sole, sondern mir jederzeit angemeldet
werden soll; was aber andere Sachen anbelanget, lasse ich solches
alles solches den Dorffe zum Besten zu richten, jedoch gehöret dem
Schulzen jederzeit von Blutt- oder Blauschlägen 8 Silbergroschen
und den gerichtlichen Gebühr.
38) Wen einer, so sich von Schultzen und seinen Beisitzern
beschweret vermeinet, seinen Beruff an die gnädige Herrschafft zu
nehmen, soll ihn solches jederzeit vergönnet werden und zugelassen ;
Das Hauländer-Dorf Goldau bei Posen. 49
'wer aber frefentlicher und muthwilliger Weise appeliret, der soll
ablegen i gutten Marckt
39) Dafern ein Nachtbar den andern oder je einen Fremden
sein Landt verkauftet, sol solches erstlich bey den Schultzen ange-
meldet werden, und es nicht heimlicher Weisse verkauften, jederzeit
die Kauffsuma bein Schultzen ablegen, und der ganzen Nachbarschafft
eine Tonne Bir ablegen.
40) Dafern aber einer ausserhalb des Dorffes ein Landt ver-
kauffte, so sol den Schultzen gebührend umb Ratht und Frage halten
unter den Nachtbaren bey der Tonne Bir, ob irgend ein Nachtbar
selbiges Landt an sich kauften wolle, und daferne einer wäre, soll
ihn solches für den Fremden zugelassen werden, so mit seiner
Grantze und Baustelle an nächsten wäre. Jedoch sindt die Freunde
die allernächsten; wer sich dawieder setzet, soll Strafte ablegen an
die gnädige Herrschafft 10 gutte Marck und der Nachtbarschafft
eine Tonne Bir.
Befehle demnach Schultzen und Rathsleutten ernstlich, wofern
sie sich der einverleibten Straffe nicht selbst theilhafftig machen
und dieselbige doppelt ablegen wollen, über dieser meiner Anordnung,
Satzung und Constitution mit Ernst zu halten und darwieder zu
handelen zu thun nicht gestatten. Zur Uhrkundt und mehrere Be-
kräftigung habe ich es eigenhändig unterschrieben, auch mein wohl
angebohrnes adliches Signet wissentlich darauff drücken lassen.
Gegeben in meinen Erbdorfte w Golenczewie Anno Christi 1762
d. ao. Decembris Karol Niezychowski mp.
Zeitschrift der Hisl. Ges. für die Prov. Posen. Jahrg. XVIII.
Beiträge
zur
Beschichte der Berichts-Organisation für die Provinz Posen.
Von
Karl Martell.
I.
1816/17.
o lange die heutige Provinz Posen einen Teil der
polnischen Republik bildete, gab es ein für alle
Klassen der Bevölkerung geltendes, geschriebenes
Recht nicht. Nur für die Rechtsverhältnisse des Adels
und der Geistlichkeit war teilweise durch Konstitutionen
gesorgt. Die Königl. Städte waren auf deutsche Rechts-
quellen: das Kulmische, Sächsische, Magdeburgische Recht
\rerwiesen. Einzelne von ihnen förderten durch ihre
Statuten die sich an diese Quellen anlehnende Rechts-
entwickelung. Von den Mediatstädten hatten nur wenige
eine Anlehnung an die deutschen Rechtsquellen. Vielfach
wurden ihre Einwohner in ihrer Rechtsstellung andern
Untertanen der Grundherrn gleichgestellt. Zwar hatten einige
dieser Mediatstädte vom Grundherrn ausgestellte Vertrags-
instrumente, sogenannte Privilegien. Aber der Grundherr war
schliesslich Gerichtsherr, und gegen ihn konnte ein Rechts-
gang mit Aussicht auf Erfolg kaum eingeschlagen werden.
Von den Landbewohnern hatten zwar die Hauländer in
ihren Dorfgerichten eine rechtsprechende und die freiwillige
Gerichtsbarkeit verwaltende Behörde. Aber auch bei ihnen
entschied der Grundherr in zweiter und letzter Instanz.
52 Karl Martell.
Der grösste Teil der Bevölkerung, der Bauer, entbehrte
aber jedes gesicherten Rechtsschutzes. Er war dem Er-
messen, d. h. dem willkürlichen Gutdünken der Grund-
herrn Preis gegeben. Wie der Adel den Einwohnern
der Mediatstädte und den Bauern gegenüber die Gerichts-
barkeit übte, so hatte die Krone die Gerichtsbarkeit über
die Bauern der Krongüter. Der Adel nahm Recht vor
den Grodgerichten, bezüglich seiner Besitzungen vor den
Landgerichten. Von den Grod- und Landgerichten ging
der Rechtszug an die Tribunale, von den Stadtgerichten
an das Assessorialgericht, von den Dorfgerichten wie
erwähnt an den Grundherrn. Die Mitglieder der Tribunale
und Assessorialgcrichte entbehrten zum grössten Teile
einer wissenschaftlichen Vorbildung für ihren Beruf. Diese
galt für unnötig. Denn nach weit verbreiteter Ansicht
war jeder polnische Edelmann nicht nur geborener Soldat
sondern auch geborener Jurist. Die Republik war so in
Gesetzgebung und Rechtspflege auf dem Standpunkte
stecken geblieben, den die deutschen Staaten und Terri-
torien seit dem Ausgange des Mittelalters überwunden
hatten. Als Folge des unvollständigen, ungewissen, nur
notdürftig durch Herkommen und Gerichtsgebrauch er-
gänzten Rechts und als Folge der wesentlich auf ständischer
Grundlage ruhenden Gerichtsorganisation ergab sich in
Verbindung mit der Besetzung der Gerichte mit mangel-
haft ausgebildeten und wenig gewissenhaften Beamten —
die grösste Unordnung und Unzuverlässigkeit. Überdies
waren Bestechungen an der Tagesordnung, so dass der
damalige Geheimrat Zerboni di Sposetti 1793 berichtete:
Bestechungen sind unerhebliche Ereignisse, über die kaum
gesprochen wird.
Im Netzedistrikt hatte Preussen gleich nach der
Besitznahme Ordnung zu schaffen gesucht. Durch das
Notifikationspatent vom 28. September 1772 und die In-
struktion für die westpreussische Regierung vom 21. Sep-
tember 1773 wurde das ostpreussische Landrecht von
1721 zur Rechtsquelle bestimmt und als Gericht II. Instanz
ein Hofgericht in Bromberg eingesetzt Als dann 1793
Gerichts-Organisation für die Provinz Posen. 53
Südpreussen an den preussischen Staat fiel, war dies
Ereignis die Veranlassung zu umfangreicher Gesetzgebung.
Nunmehr wurde das Allgemeine Landrecht, die Allgemeine
Gerichts-Ordnung, die Hypotheken-Ordnung, die preussische
Kriminal-Ordnung von 1717, später die Kriminal-Ordnung
von 1805 mit Geltung für die ganze Provinz in Kraft
gesetzt. An Gerichtsbehörden wurden, wie in den andern
Provinzen der Monarchie Patrimonialgerichte eingeführt,
neben denen städtische und königliche Untergerichte bestellt
wurden. Zu Gerichten IL Instanz wurden die Regierungen
in Posen, Kaiisch, Warschau bestimmt und diese delegierten
wegen der Unzuverlässigkeit der zur Verwaltung der
Patrimonial- und Untergerichte Berufenen sog. Kreisjustiz-
Kommissare. Sei 1796 wurden neben den Untergerichten
für die Strafgerichtsbarkeit Inquisitoriate unter der un-
mittelbaren Aufsicht der Obergerichte eingerichtet. Diese
Inquisitoriate bewährten sich. Die Einleitung der Kriminal-
Ordnung von 1805 erkennt die Wirksamkeit dieser Be-
hörden aufrichtig an und verheisst, dass nach ihrem
Muster gleiche Einrichtungen in der ganzen Monarchie
eingeführt werden sollen, was denn auch später wenigstens
zum Teile geschehen ist So hat die Ajigliederung der
polnischen Provinzen nicht nur zur Publikation des A. L. R.,
sondern auch zur Schaffung der Inquisitoriate für grosse
Teile der Monarchie den Anstoss gegeben.
Die stramme preussische Zucht, die Hingebung der in
dies Land neu hineingezogenen Beamten an ihr Amt hatte
verstanden, das Vertrauen der Bevölkerung zu erwerben,
und hatte einen leidlichen Zustand der Rechtspflege herbei-
zuführen vermocht. Insbesondere ist dieser Zeit die Für-
sorge für das Hypothekenwesen zu danken, eine Fürsorge,
die zur polnischen Zeit ganz unbekannt bleiben musste.
Es war gelungen, die Hypothekenbücher der Domänen und
adligen Güter bis auf einen Restbestand von 29 Be-
sitzungen zu regulieren, als der Tilsiter Frieden vom
9. Juli 1807 die Provinz von der Monarchie abriss. Nun-
mehr erfolgte ein völliger Umsturz des Rechtswesens.
Als bürgerliche Gesetzbücher wurden 1809 an Stelle des
54 Karl Martell.
A. L. R. der code Napoleon und der code de commerce
eingeführt An Stelle der A. G. O. trat der code de proc6dure
und damit ein mündliches und öffentliches Verfahren in
Civilsachen. Für jeden Kreis wurde ein Friedensgericht,
für jedes Departement ein Civiltribunal erster Instanz, für
zwei Departements ein Kriminalgerichtshof, wie die
Inquisitoriate benannt wurden, eingerichtet Höchste
Spruchbehörde wurde das Tribunal in Warschau. In dem
Organisationstatut wurden die Gerichte für unabhängig
erklärt, der Absetzbarkeit der Richter enge Grenzen ge-
gezogen. Fortbestehen liess das Statut die Geltung des
preussischen Kriminalrechts, während die Kriminalordnung
durch ein öffentliches Verfahren modifiziert wurde. War
dieser Umsturz des erst kürzlich geschaffenen Rechts-
zustandes die Ursache grosser Verwirrung, kam z. B.
die Ordnung des Hypothekenwesens völlig ins Stocken,
so traten andererseits auf dem Gebiete der Provinz Posen
neue Erscheinungen ins Leben, die in den alten Provinzen
der Monarchie erst viel später zur Geltung kamen. In
diese Zeit der Geltung des französischen Rechts fällt zu-
nächst die Aufhebung der Patrimonialgerichte. Das Gross-
herzogtum Warschau wandelte die Friedens- und Land-
gerichte zu staatlichen Organen um. Es beseitigte ferner
den persönlichen eximierten Gerichtsstand der Beamten
und Adligen, die zur preussischen Zeit bei dem Hofgericht
in Bromberg und der Regierung in Posen ihren persön-
lichen Gerichtsstand gehabt hatten. Es verwies also alle
Untertanen vor dieselben Gerichte. Im Grossherzogtum
wurde ferner an Stelle des preussischen schriftlichen Prozess-
verfahrens ein mündliches Verfahren in Geltung gesetzt und
im Strafverfahren konnte das Prinzip der Öffentlichkeit sich
Einfluss verschaffen. Wir können ohne weiteres annehmen,
dass alle diese Reformen, so gross auch ihre Wirksamkeit
bei langer Friedensdauer hätte sein können, trotz aller
Feierlichkeiten, mit denen die Einführung der Konstitution
und der neuen Gesetze begrüsst wurde, inhaltlos geblieben
sind. Schon den preussischen Gesetzen werden grosse
Teile der Bevölkerung verständnislos gegenüber gestanden
Gerichts-Organisation für die Provinz Posen. 55
haben. War doch das A. L. R. erst 1796 und zwar nicht
in das Polnische, sondern in das Lateinische übersetzt. Und
bei dem mangelhaften Personale, mit dem die preussische
Verwaltung bei den Untergerichten grösstenteils zu arbeiten
hatte, wird die Vermutung nicht fehl gehen, dass vielen
richterlichen Beamten das Verständnis der preussischen
Gesetze im Grossen und Ganzen verschlossen geblieben
ist Den französischen Gesetzbüchern werden die Beamten
des Grossherzogtums noch viel verständnisloser gegenüber
gestanden haben. Denn mit rücksichtsloser Energie
waren alle die preussischen Beamten aus ihren Ämtern ent-
fernt, die die frühere preussische Verwaltung aus den alten
Provinzen herangezogen hatte. Damit beraubte sich aber
das Grossherzogtum gerade derjenigen Elemente, die für
die Justizkarriere wissenschaftlich und beruflich vorgebildet
waren. Zu diesem Umsturz der Rechtsquellen und der
Entfernung des tüchtigsten Teils des Beamtenstandes trat
nun aber die Geissei des Krieges. Das Land wurde als
Kriegsdepot behandelt und ausgesogen. Polen war für
Napoleon nur ein untergeordnetes Glied in seinen welt-
umspannenden Plänen, nur ein Kompensationsmittel und
eine Quelle der Bereicherung für seine Generale. So blieben
bei den unruhigen öffentlichen Verhältnissen die Gesetze
französischen Ursprunges, welche in Friedenszeiten einen
ungeheuren Fortschritt hätten herbeiführen können, un-
ausgeführt Sie bestanden tatsächlich nur auf dem Papier
zu Recht, und Preussen fand, als es noch vor Abschluss
der Wiener Kongressverhandlungen wieder in den Besitz
des Netzedistrikts und eines Teils von Südpreussen kam,
die gesamte Rechtspflege in der grössten Unordnung.
Es ist aus der allgemeinen Geschichte bekannt, wie
sehr im Jahre 1815 Preussen unter dem Einflüsse Russlands
stand, wie sehr insbesondere König Friedrich Wilhelm III.
trotz aller Unzuverlässigkeit, die Kaiser Alexander 1806/7
an den Tag gelegt hatte, auf die Stimme des Czaren Wert
legte. Auf den Einfluss des Czaren, der daran ging, in
dem ihm überwiesenen Teile des zur Auflösung bestimmten
Grossherzogtums Warschau sich ein nur lose mit der Czaren-
56 Karl Martell.
kröne verknüpftes Königreich zurechtzuzimmern, ist auch wohl
jener unglückliche Zuruf vom 15. Mai 1815 zurückzuführen,,
in welchem der König leicht misszuverstehende Worte an
die unter sein Szepter zurückkehrenden Bewohner der
Provinz richtete, Worte, die der kommandierende General
von Grolmann 15 Jahre später nicht anstand, für törichte
Stellen in den Traktaten und Besitznahmepatenten zu er-
klären. Schon vor Erlass dieser Patente hatte der König
unter dem 3. Mai 1815 von Wien aus bestimmt: in der
neuen Provinz sind nicht wie in den andern Provinzen Unter-
gerichte vorhanden. Es soll dabei (also bei den staatlichen:
Friedensgerichten) verbleiben. Die vorhandenen Tribunale
sollen zu Landgerichten umgestaltet werden. Die Appellation
soll von einem Landgericht an das andere Landgericht
gehen. Dritte und letzte Instanz soll das Oberappellations-
gericht in Posen sein. Die Direktoren und Vize-Präsidenten
der Landgerichte und des Oberappellationsgerichts müssen
die preussische Justizkarriere gemacht haben. Zu Präsi-
denten der Gerichte sind Einheimische vom Adel zu be-
stellen. In materieller Beziehung sind die preussischen
Gesetze wiedereinzuführen. Im Prozessverfahren soll das
mündliche und öffentliche Verfahren mit Modifikationen
beibehalten werden.
Zugleich ernannte der König den Stadtgerichtsdirektor
Schoenermark zu Berlin zum allgemeinen Organisations-
Kommissar und zum Vizepräsidenten des Königl. Ober-
Appellationsgerichts. Mochten der Staatskanzler Hardenberg
und der Justiz-Minister Kircheisen auch nicht mit allen
Befehlen des Königs einverstanden sein, jedenfalls mussten
sie dem Königlichen Willen nachzuleben bestrebt sein
und sind das zu tun auch in vollstem Masse bestrebt ge-
wesen. Schoenermark trat sein Amt alsbald an. Auf
seinen Vorschlägen, eingereicht am 10. Mai 1816
beruht in der Hauptsache das Patent vom 9. No-
vember 1816 und die Verordnung vom 9. Februar 181 7,
betreffend die Ordnung der Gerichte, die Wiederein-
führung der preussischen Gesetze und die Regelung des
Prozessverfahrens.
Gerichts-Organisation für die Provinz Posen. 57
Aufgehoben wurden durch diese Gesetze das ganze
1809 eingeführte französische Civilrecht und das franzö-
sische Prozessverfahren. Dafür wurden wieder das Allg.
Landrecht, die Hypotheken-Ordnung und die Allg. Gerichts-
Ordnung in Kraft gesetzt, jedoch mit der Abänderung,
dass der persönliche eximierte Gerichtsstand der Adligen
und Beamten beseitigt blieb, und der Grundsatz der
Mündlichkeit, welcher im französischen Prozessverfahren
Geltung hatte, mit Modifikationen aufgenommen wurde.
Für Strafsachen brauchte besondere Fürsorge nicht ge-
troffen werden. Das Grossherzogtum Warschau hatte es
bei dem preussischen Strafrecht des Landrechts be-
lassen. In Geltung geblieben war in der Hauptsache auch
die preussische Kriminal-Ordnung von 1805 und das In-
quisitoriat. Insoweit war also das Rechtswesen der
Provinz mit den Einrichtungen der altländischen Provinze»
in Einklang.
Eingerichtet wurden 7, später nach anderer Sprengel-
einteilung 4 Landgerichte, 34 später 60, dann 70 Friedens-
gerichte und ein Obergericht, das Oberappellationsgericht
in Posen. Dabei blieb hinsichtlich der Friedensgerichte
das Prinzip gewahrt, dass auch die unterste richterliche
Behörde eine staatliche Behörde war, während in den
alten Provinzen der Monarchie noch die Patrimonial-
gerichte der Städte und Grossgrundbesitzer fortbestanden-
Was die Zuständigkeit der Gerichte anlangt, so waren
die Friedensgerichte in der Hauptsache Sühnegerichte,.
Schiedsgerichtsinstanzen. Sie sollten die Parteien zum.
Vergleiche zu bringen suchen, ehe zur Klage geschritten
werden durfte. Zu ihrem Geschäftskreise gehörten alle
Prozesse unter 50 Talern, Injurien-, Holzdefraudations-
und Possessoriensachen. In Vormundschafts- und Nach-
lasssachen hatten sie bei einem vormundschaftlich zu ver-
waltenden Vermögen oder einem Nachlasse bis zu
200 Thalern einzuschreiten. In Kriminalsachen sollten sie
die Verhaftungen und ersten Vernehmungen vornehmen
Berufungs- und Beschwerdegericht war ihren Entschei-
dungen gegenüber das Landgericht
58 Karl Martcll.
Die Landgerichte waren bei grösseren Objekten die
erste Instanz. In Vormundschafts- und Nachlasssachen
erstreckte sich ihre Zuständigkeit auf Objekte bis zu
2500 Talern. Ihnen lag die Führung der Hypotheken-
bücher ob. Jedoch war die Führung der Grundbücher
über die Domänen und die adligen Güter den Land-
gerichten in Posen und Bromberg allein übertragen. In
Kriminalsachen waren die Landgerichte, bei einfacheren
Straftaten die Spruchbehörden. Hinsichtlich des Instanzen-
zuges waren der Königlichen Ordre gemäss die Land-
gerichte wechselseitig Appellations- und Beschwerdegerichte.
So standen Krotoschin und Fraustadt in wechselseitigem
Instanzenzuge. In allen übrigen Sachen, also bei Ver-
mögensobjekten über 2500 Talern trat die Zuständigkeit
des Oberappellationsgerichts als erstinstanzliches Gericht
ein, und dies war auch bei den wichtigeren Kriminalsachen
der Fall. Berufungen und Beschwerden gegen die Ent-
scheidungen des einen Senats gingen zur Nachprüfung
an den andern Senat des Oberappellationsgerichts. Be-
züglich der Gerichtssprache wurde dem Königlichen Zurufe
gemäss bestimmt, dass die polnische Sprache neben der
deutschen bei allen Verhandlungen in gleicher Geltung
stehen sollte.
So trat nun diese Gerichtsverfassung ins Leben, in
der die neuen Rechtsgedanken Aufnahme gefunden hatten,
dass alle Preussen vor dem Gesetze gleich seien, d. h. ohne
Ansehen der Person vor demselben Richter Recht zu
nehmen hatten, dass alle Richter staatliche Beamten seien,
und dass im Prozessverfahren die Mündlichkeit zu-
gelassen war. Erst nach Jahrzehnten haben diese Grund-
sätze in das Rechtsleben der übrigen altländischen
Provinzen Aufnahme gefunden.
Sehr viele Mühe verursachte die Besetzung der
Gerichte. Aus den altländischen Provinzen Hessen sich
juristisch vorgebildete Beamte nur schwer heranziehen.
Das einheimische Personal aber war schwach, sehr
schwach. Das Grossherzogtum Warschau hatte, so klagte
Schoenermark am 31. Oktober 1815 dem Minister Kirch-
Gerichts-Organisation für die Provinz Posen. 59
^isen, nach Entfernung der alten preussischen aus andern
Provinzen herangezogenen Beamten die eingerichteten
Tribunale mit Mitgliedern besetzt, die in der früheren
polnischen Zeit vor 1793 tätig gewesen, also ohne wissen-
schaftliche und ohne zureichende berufliche Qualifikation
waren. Zu den Stellen der Kassierer, Sekretäre, Regi-
straturen habe man Leute berufen, die gar keine
Befähigung für solche Ämter erworben und nachgewiesen
hätten. Für die Annahme solcher Leute sei einzig das
Ermessen der Vorsteher der Gerichtsbehörden massgebend
gewesen. Tröstend antwortete ihm der Justizminister auf
diese Klagen: Bei der gegenwärtigen Organisation kann
man im Sinne der Kabinets-Ordre vom 3. Mai 1815 keine
grossen Anforderungen machen, da die Absicht, die vor-
handenen Beamten in Aktivität zu erhalten, unverkennbar
ist Bei den jungen Polen wird es wünschenswert sein,
dass sie auf deutschen Universitäten studieren, dass sie
ihre Laufbahn in deutschen Provinzen antreten, dort ihr
Examen machen und zu Ämtern in den deutschen Provinzen
geschickt gemacht werden. Wie wenig kannte der Justiz-
minister Kircheisen den Charakter der damaligen polnischen
adligen Jugend, wenn er solche Erwartungen hegte!
Dem Königlichen Befehle gemäss ging die Verwaltung
an die Berufung Einheimischer vom Adel zu den ersten
Präsidenten der Kollegialgerichte. Mit Mühe wurden ge-
eignete Persönlichkeiten ermittelt. Denn es musste doch
wenigstens darauf gesehen werden, dass zu diesen Vor-
steherstellen Männer mit einiger juristischer Vorbildung
berufen wurden. Zum ersten Präsidenten des Königlichen
Oberappellationsgerichts wurde nach langwierigen Verhand-
lungen der frühere Tribunalsrat von GorzeAski ernannt.
Seine feierliche Einführung erfolgte am 1. März 1817.
Gestern fand, so berichtet der frühere Geheimrat, jetzt
zum Oberpräsidenten ernannte Zerboni di Sposetti am
2. März 181 7 dem Staatskanzler, die feierliche Einführung
der neuen Gerichtsverfassung und des Herrn von Gorzehski
zum Amte eines Ersten Präsidenten des Königlichen
Oberappellationsgerichts statt Dem Herrn von Gorzenski
60 Karl Martell.
traten bei der Feierlichkeit die Tränen in die Augen,
Es ist doch merkwürdig, wie es in dieser Provinz weniger
auf die Sache, als auf den Moment und die Form ankommt.
Wir haben hierin ein besonderes Unglück und kommen
nicht selten in den Fall, unsere guten Friedrichsdors für
rote Pfennige wegzugeben.
Verstand der Oberpräsident unter der Bemerkungr
dass es hier in der Provinz weniger auf die Sache als
auf die Form ankomme, dass die Ernennimg der Vorsteher
der Gerichte aus der Zahl der Einheimischen vom Adel
eine reine Formensache, die Berufung zu einem Scheinamt
sei, so traf seine Bemerkung völlig zu. Durch eine um-
ständliche Instruktion grenzte der Vizepräsident Schoener-
mark die Befugnisse der Ersten Präsidenten dahin abr
dass diesen Herren im wesentlichen die Repräsentation
verblieb, das ganze Schwergewicht der Verwaltung aber
den Direktoren der Landgerichte und dem Vizepräsidenten
des Oberappellationsgerichts zufiel. Also dafür, dass die
Inhaber dieser übrigens mit erheblichen Entschädigungs-
geldern ausgestatteten Ehrenstellen keinen materiellen
Schaden anrichten konnten; sorgte die Beamtenbureaukratie.
Aus der Erkenntnis der völligen Überflüssigkeit dieser
Ehrenpräsidenten ist denn auch wohl die Bemerkung zu
verstehen, dass diese Ämter den Wert roter Pfennige
hätten, und es wohl besser gewesen wäre, die guten
Friedrichsdors im Kasten zu behalten.
So trat nun je nach dem Fortschreiten der Einrichtung
der neuen Gerichte und ihrer Besetzung das neue Ver-
fahren in Übung, und eine gewisse Rechtssicherheit begann
in die Provinz einzuziehen. Aber es war für die preussischen
Beamten eine dornenvolle Zeit. Die Bevölkerung, d. h.
der grundbesitzende polnische Adel konnte nicht zufrieden
gestellt werden. Obwohl der Königlichen Verheissung
gemäss bei allen Verhandlungen die polnische Sprache
neben der deutschen volle Geltung hatte, liefen Beschwerden
über diese Ordnung der Gerichtssprache ein. Und doch
führte die Vorschrift, dass Verhandlungen in polnischer
Sprache zu führen seien, zu den grössten Unzuträglich-
Gerichts-Organisation für die Provinz Posen. 6l
keiten, als junge Leute polnischen Stammes sich nicht
«dazu bequemten, die preussische Justizlaufbahn einzu-
schlagen, d. h. sich wissenschaftlich und beruflich zu den
Justizämtern vorzubereiten, und andererseits die neu in
<üe Provinz hineingezogenen Beamten die polnische Sprache
sich nicht aneigneten, auch nicht aneignen konnten. Wo
immer ein Aktenstück in polnischer Sprache geführt wurde,
da war es für die Aufsichtsbehörde mangels der Fähigkeit,
die Verhandlungen nachprüfen zu können, so gut wie nicht
vorhanden. Schwer haben unter solchen Verhältnissen
die Geschäfte gelitten.
Kaum war die neue Verfassung ins Leben getreten,
als schon 1818 beim Staatskanzler eine Beschwerde von
vier polnischen Grundherrn einlief, in welcher über Zurück-
setzung und Beschädigung der Nationalität Klage geführt
wurde. In umfangreicher Breite beriefen sich die Be-
schwerdeführer auf die Traktate und Besitznahmepatente
und Hessen es auch an Selbstlob nicht fehlen.
Trotz der Treulosigkeit, mit der die polnischen Soldaten
und Offiziere 1806/7 die preussischen Fahnen verlassen
hatten, trotzdem Stidpreussen gleich nach der unglücklichen
Doppelschlacht von Jena und Auerstädt seinen Abfall
-erklärt, und der polnische Adel Napoleon in Posen und
Warschau als Befreier begrüsst hatte, wagten die Be-
schwerdeführer von der Treue der polnischen Nation zum
Herrscherhause zu sprechen. Es war wohl eine Konzession
an ihr Gewissen, wenn sie dabei den charakteristischen
Zusatz machten, „sofern nicht höhere Pflichten in Frage
kamen." Unwillig berichtete Schoenermark auf die ihm
zugefertigte Beschwerde, dass der polnischen Sprache
durch die neue Verfassung und in täglicher Gerichtspraxis
das weiteste Entgegenkommen erwiesen würde. Derartige
Klagen seien ihm nicht neu." Er habe in .einem Lande
zu tun, in dem es zur Nationalität gehöre, unzufrieden zu
sein. Dabei wies er darauf hin, dass Beschwerdeführer
die tatsächlichen Nationalitätsverhältnisse der Provinz ganz
ausser Augen Hessen. Denn die Provinz zähle doch Vs
Deutsche, und deren Vorhandensein und deren Recht,
62 Karl Martell.
in der Justizverfassung berücksichtigt zu werden, werde
in der Beschwerde ganz ausser Augen gesetzt Als in
den folgenden Jahren der Staatskanzler von Hardenbergs
geneigt schien, den Klagen der Beschwerdeführer nach-
zugeben, und die Einsetzung einer Justizimmediat-
Kommission in die Wege leitete, trat ihm der Justiz-
minister Kircheisen unter dem 3. Oktober 1821 mit einem
geharnischten Berichte an den König entgegen.
Es komme, so schreibt er, nicht auf die Wünsche der
Mehrheit der Bevölkerung an, sondern auf die Bedürfnisse
des Landes und des Staates. Was nützlich sei, darüber
sei man bei der Veränderlichkeit menschlicher An-
schauungen beständig wechselnder Meinung. Was für das
Land und den Staat zweckmässig und notwendig sei,
darüber habe die Regierung zu entscheiden. Und da
sei es nun staatliches Bedürfnis, dass ein gleichmässiger
Organismus im Staatsleben wirke. Denke man schon
jetzt an eine Änderung, so sei es besser, dass die neue
Provinz sich im Justizwesen an die altländischen Provinzen
anschliesse, als dass die alten Provinzen zur Aufnahme
noch nicht bewährter Neuerungen herangezogen würden.
Bei der kurzen Dauer der erst vor einigen Jahren ein-
geführten Verfassung sei es jedenfalls am besten, der-
selben noch Zeit zur Bewährung zu lassen.
Dem stimmte nun auch der König bei, und damit
blieb es fürs erste bei der von Schoenermark vorge-
schlagenen und zur Einführung gebrachten Verfassung.
Diese erhielt nur insofern einen Bruch, als 1821 dem
Fürsten von Thurn und Taxis eine besondere Gerichts-
barkeit für sein Fürstentum Krotoschin bewilligt wurde.
Diese Fürstentumsgerichte gab der Grundherr aber schon
1833 um so lieber ab, als die Unkosten für die Ehrev
eine selbständige Gerichtsbarkeit zu haben, zu gross
wurden.
Schoenermark brachte die neue Justizverfassung schritt-
weise zur Durchführung, so wie es die Beschaffung von
Beamten und Lokalitäten gestattete. Erst 1824 sah er
seinen Organisationsauftrag als erfüllt an und gab ihn in
Gerichts-Organisation für die Provinz Posen. 63
die Hände des Justizministers zurück, der ihm in warmen
Worten für die mühevolle Arbeit dankte.
Unzweifelhaft litt die durchgeführte Organisation an
mancherlei Gebrechen. Die Abgrenzimg der Zuständigkeiten
nach dem Werte der Angelegenheiten, die mangelhafte
Ordnung des Instanzenzuges, die Bestellung der Friedens-
gerichte zu Sühneinstanzen hatten mancherlei Bedenken
gegen sich. Dazu kam, dass ein polnischer Bauernstand
sich zu entwickeln begann, die gutsherrlich-bäuerlichen
Regulierungen dem bisher landlosen Ackerbauer Eigentum
verschafften, der Handel sich hob und durch die kultur-
befördernden Massregein der neuen Regierung die Be-
dürfnisse der Provinzbewohner sich änderten. Wenn
die Unzufriedenen es übersahen, dass in der Besetzung
der Friedensgerichte mit unzureichendem Personal der
Kernpunkt der Klagen lag, so wird man ihnen dies
kaum verdenken. Ist es doch in der menschlichen Natur
begründet, die Organisationen und nicht die Menschen.
für Unebenheiten der Geschäfte verantwortlich zu machen.
Schon der erste Landtag, welchen der König 1827 der
Provinz bewilligt hatte, brachte Klagen über die Justiz-
verfassimg. Die Landstände beantragten, den Friedens-
gerichten eine grössere Kompetenz bis zu 300 Talern zu
geben und ihre Zuständigkeit in Vormundschafts- und
Nachlasssachen auf Objekte bis zu 4000 Talern zu er-
weitern. Im Prozessverfahren baten sie um Beseitigung
des wechselseitigen Instanzenzuges bei den Landgerichten
und um weitere Ausdehnung des mündlichen Verfahrens.
Ihren Anträgen trat der zum Bericht aufgeforderte Prä-
sident Schoenermark nur zum kleinsten Teile bei. Auch
er befürwortete die Aufhebung des wechselseitigen In-
stanzenzuges, befürwortete jedoch nur die Erweiterung
der Zuständigkeit der Friedensgerichte in Vormundschafts-
und Nachlasssachen bis zu einem Vermögensbestande von
500 Talern. Den weitergehenden Anträgen gegenüber
verhielt er sich ablehnend. Auch nicht einmal sein Vorschlag
erhielt die Königliche Genehmigung. Vielmehr ordnete
der König nur die Beseitigung des wechselseitigen In-
-64 Karl Martell.
-Stanzenzuges an. Vom i. Juli 1829 ab hörte demgemäss
die Berufung und Beschwerde von einem Landgerichte
an das andere auf, und es wurde der IL Senat des Ober-
appellationsgerichts die Berufungs- und Beschwerdeinstanz
für die Entscheidungen der Landgerichte, während der
L Senat des Oberappellationsgerichts in III. Instanz end-
gültig entschied.
Auf erneuten Antrag des Landtags von 1829 erhielt
1830 der Justizminister den Auftrag zu Vorarbeiten für
^ine allgemeine Reform der Justizverwaltung. Zu den
Beratungen im Staatsministerium über Vorschläge des
Ministers wurde auch der Kronprinz zugezogen. Auf des
Kronprinzen Antrag, so meldete der Justizminister von
Kamptz dem seit dem 9. Dezember 1830 in sein neues
Amt berufenen Oberpräsidenten von Flottwell am 14. No-
vember 1831, wurde in der Sitzung des Staatsministeriunis
vom 17. November 1830 zur Beratung gestellt, ob es nicht
ratsam sei, verschiedene Gerichte für die deutschen und pol-
nischen Einwohner der Provinz zu bilden. Diesen Vorschlag
habe der Kronprinz zwar auf das Votum des Justizministers
fallen lassen. Dafür aber habe er wenigstens die Tren-
nung der Obergerichte nach Nationalitäten befürwortet.
Aber auch solcher Trennung habe Schoenermark wider-
sprochen und dabei bemerkt, dass Wünsche nach solcher
Trennung garnicht bekannt geworden seien. Der Vize-
präsident Schoenermark habe sich auch darüber aus-
gelassen, dass die Friedens- und Landgerichte sich bisher
das Vertrauen der Eingesessenen zu erwerben nicht ver-
mocht hätten. Schoenermark habe den Grund für diese
Erscheinung darin gefunden, dass diese Behörden noch
zu viel polnische, nicht beruflich vorgebildete Mitglieder
in ihren Reihen zählten. Mit Rücksicht auf die Sprach-
kenntnis seien noch immer viel zu viel junge Leute an-
genommen, die bei den Landgerichten ihren ersten ju-
ristischen Ausflug machten. Flottwell werde um Äusserung
ersucht
In seinem Antwortschreiben vom 13. November 1831
stimmt Flottwell ganz in Schoenermarks Klagen ein. Das
Gerichts-Organisation für die Provinz Posen. 65
Publikum, so lässt er sich aus, beklagt sich nicht über die
Organisation, sondern über das Verfahren und die Be-
lastung der Gerichte, über die mangelnde Aufsicht und die
mangelnde Direktion. Die Geschäfte seien in Unordnung.
Insbesondere klage das Publikum über die geringen Fort-
schritte in der Regulierung der Grundbücher. Die Forti-
fikation in Posen wolle schon seit Jahren die Ent-
schädigungen für das zu ihren Bauten verwendete Land
zahlen, es sei aber die Legitimation der Eigentümer bei
den Grundakten nicht zu beschaffen. Der Grund für die
Klagen liege also in der schlechten Besetzimg der Gerichte.
Bei denselben sei auch eine Veränderung insoweit ge-
boten, als gar keine Veranlassung vorliege, die Ehren-
Präsidenten bestehen zu lassen. Warum stelle man nicht
statt derselben sachgemäss vorgebildete Beamte mit Ver-
pflichtung zu positiver Arbeit an! Im Geschäftsverkehre
müsse man auch von den Vorschriften der Ordnung vom
9. November 1816 abgehen und auf die polnische Sprache
keine Rücksicht nehmen. Aus dem ganzen Berichte
spricht der neue Geist, der in die Provinz eingezogen war
und einige Jahre darauf auch für die Verfassung der
Gerichte von grösster Fruchtbarkeit werden sollte.
II.
1834.
Der verdiente Organisator des Justizwesens in der
Provinz Posen, der Vizepräsident des Oberappellations-
gerichts von Schoenermark — er war inzwischen geadelt
— war am 21. Juni 1832 in Berlin, wo er Heilung von
einem Lungenleiden gesucht hatte, gestorben. Gleich nach
seinem Tode wandte sich der Oberpräsident Flottwell
an den Justizminister von Muehler mit der Bitte, die eigen-
tümlichen Verhältnisse der Provinz bei Ernennung des
Nachfolgers mitzuberücksichtigen. von Muehler setzte
sich mit dem zweiten Justizminister v. Kamptz in Ver-
bindung, und beider Wahl fiel auf den Vizepräsidenten
des Königl. Appellationsgerichts zu Breslau, v. Frankenberg-
Zeitschrift der Hist. Ges. für die ProT. Posen. Jahi-g. XVIII. 6
66 Karl Martell.
Ludwigsdorf. Zur Vorbereitung für die nachzusuchende
Königliche Bestätigung wandte sich von Muehler an den
Generalleutnant von Lottum, Mitglied des Staatsrats.
„Ich habe", so schrieb er demselben, „die Überzeugung,
dass im ganzen Lande kein zweiter geeigneter Mann
aufzutreiben ist. Er bringt ein grosses Opfer. Die Beru-
fung zum Chefpräsidenten in Breslau könnte ihm seiner
Zeit kaum entgehen. Er wird keine papierene Kontrolle
führen, sondern mit eigenen Augen sehen. Es wird
übrigens viel geschehen müssen, um den gräulichen
Zustand zu beseitigen, der überall herrschen soll." von
Lottum meldete dann später die Ernennung von Franken-
bergs dem Oberpräsidenten Flottwell und drückte die
Hoffnung aus, dass sich zwischen diesem und dem neuen
Präsidenten des Oberappellationsgerichts ein recht voll-
kommenes Einverständnis bilden möge. Diese Hoffnung
ist voll und ganz in Erfüllung gegangen. Nach voll-
zogener Bestätigung gratulierten unter anderen Würden-
trägern auch der Justizminister von Muehler und der seit
dem Eintritte Flottwells in die Provinz nach Berlin ver-
zogene Statthalter des Grossherzogtums, Fürst Anton
Radziwill. Ersterer schrieb u. a.: „Finden Sie, dass das
dortige Verfahren in Civilsachen, also die Verbindung
des schriftlichen und mündlichen Verfahrens verdient in
die alten Provinzen eingeführt zu werden, so werde ich
Ihnen geeignete Leute schicken, die sich darin einarbeiten
sollen." Und weiter: „ein sehr grosser Übelstand in der
Provinz ist, dass die Beamten so viel die Weinhäuser
besuchen. Das werden Sie als etwas Unanständiges ganz
untersagen müssen. Übrigens scheint es mir notwendig,
das Polnische allmählich aus den Gerichten zu verdrängen,
so dass in 20 Jahren nur Deutsch verhandelt werden
braucht. Doch das sind alles Ideen, die Sie zu etwas
Brauchbarem werden verarbeiten müssen."
Aus einer ganz anderen Tonart klang das Glück-
wunschschreiben des vormaligen Statthalters vom 21. Juli
1832. Die Kenntnis der polnischen Sprache, schrieb er,
ist bei der hohen Stellung, welche Sie bekleiden, weniger
Gerichts-Organisation für die Provinz Posen. 67
notwendig. Ich zweifele nicht, dass bei der Unparteilich-
keit, welche Sie auszeichnet, dies ein Grund mehr für
Sie sein wird, darauf zu achten, dass einem jeden Unter-
tan des Königs in dieser Provinz in der Sprache wird
Recht gesprochen werde, die er versteht.
So wurde v. Frankenbergs Eintritt in die Provinz mit
entgegengesetzten Erwartungen begleitet Dem Justiz-
minister lag vor allem an Verbesserung der Rechtspflege,
mochte auch dabei eine sprachliche Zurückdrängung des
Polnischen im Gerichtsgebrauch stattfinden. Der Statt-
halter hatte kein Verständnis für die Notwendigkeit einer
Verbesserung. Ihm kam es auf Erhaltung der Herrschaft
der polnischen Sprache in den Gerichten an.
Aus dem obigen Schreiben von Muehlers können
wir entnehmen, dass er nicht, wie sein Vorgänger von
Kircheisen im Jahre 1821, auf dem Standpunkte stand,
dem mündlichen Verfahren im Prozesse weitere Ver-
breitung zu unterbinden. Er ist vielmehr der Fortbildung
des mündlichen Verfahrens geneigt. Was die Klage des
Ministers über den schlechten Zustand der Rechtspflege
und des ungehörigen Verhaltens der Justizbeamten in der
Provinz angeht, so schildert auch der kommandierende
General von Grolmann in seiner Denkschrift vom
25. März 1832 beides mit schwarzen Farben1).
*) v. Conrady: Leben und Wirken des kommandierenden Gene-
rals v. Grolmann Bd. III S. 289. Dieser Punkt — nämlich das
Justizofficiantentum ist der schadhafteste in der Provinz, wenig-
stens was die Friedens- und Landgerichte betrifft .... Es werden
hier mehr polnische und polemisierte deutsche Officianten angestellt
als in den anderen Zweigen der Verwaltung, und man kann sagen,
dass sich die ganze Gerechtigkeitspflege in polnischen Händen
befindet Die Polen bemühten sich die Beamten herabzuwürdi-
gen und sie durch Luxus, Spiel und Trunk in ihre Netze zu bringen,
und leider ist ihnen dies grösstenteils gelungen. Es ist ganz gewöhn-
lich, dass der Pole, der einen Prozess hat, den Tag vor dem Ter-
mine in die Stadt kommt, seinen Richter zum Gastmahl einladet, wo
der Wein fliesst, und Spiel und andere Vergnügungen zur Ent-
würdigung des Richters angewandt werden; ein solches Bachanal
heisst in der dortigen* Kunstsprache der Vortermin.
6*
68 Karl Martell.
v. Frankenberg trat sein neues Amt im Sommer
1832 an. Die erste Tätigkeit des neuen Präsidenten
bestand darin, dass er, wie der Justizminister richtige
gemutmasst hatte, sich mit eigenen Augen über den
Zustand der Gerichte unterrichtete. Da fand er nun, dass
die 70 Friedens-, die 4 Landgerichte und die 7 Inquisi-
toriate allerdings viel zu wünschen übrig Hessen. Mit
schnellem Blicke erkannte er auch die Wurzel des Übels
im Einzelrichtertum. Gleich sein erster Generalbericht
für das Jahr 1832 regt eine Umformung der Gerichte an.
Mit der Verfassung vom 9 F°b V berichtete er, „kann
ich mich nicht einverstanden erklären." Die Friedens-
gerichte als Vergleichsbehörden, wie sie gedacht waren,
bewähren sich nicht. Es herrscht grosse, nicht abzu-
stellende Unordnnng. Diese ist besonders gross im Hypo-
thekenwesen. Schon sind 54000 unregulierte Hypotheken-
Folien vorhanden und mit der fortschreitenden Regulie-
rung der gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse ist eine
Vermehrung der anzulegenden Folien notwendig ver-
bunden. Zwar ist seit 1829 der wechselnde Instanzen-
zug unter den Landgerichten beseitigt. Doch ist dies
ohne Einfluss auf die Nachteile, die das Einzelrichtertum
mit sich bringt. Unter diesen Umständen liegt es nahe,
die Friedensrichter zu kollegialen Behörden zusammen-
zuziehen und für jeden der 26 Landratskreise (die etwa
40,000 Seelen im Durchschnitte haben) ein Kollegialgericht
zu schaffen, welches man, so schlägt er im Oktober 1833
vor, Kreisgericht benennen mag. Diesen kann dann das
ganze Hypothekenwesen einschliesslich der Buchführung
über die Domänen und adligen Güter übertragen werden.
Die Konzentration der Folien über diese Güter bei den
Landgerichten in Posen und Bromberg ist von Übel.
Diese Güter, 1065 beim Landgericht Posen und 565 beim
Landgerichte Bromberg, haben bis auf 29 regulierte Folien.
Durch die Zusammenfassung der Folien dieser Güter
entsteht eine durch nichts gerechtfertigte Konzentration
des Kreditwesens in beiden Städten. Der grosse Johannis-
Gerichts-Organisation für die Provinz Posen. 69
termin in Posen schlägt für viele Besitzer zum Unsegen
aus. Die Ordnung des Kreditwesens muss dezentralisiert
werden, und es wird mit der Zuteilung der Hypotheken-
blätter an die neuzuschaffenden Kollegialgerichte die
Regelung der Kreditbedürfnisse auf die Kreisstädte ange-
bahnt werden müssen. In demselben Berichte nimmt
v. Frankenberg auch gleich die Besprechung des Kosten-
punktes auf. Er berechnet den Jahresetat eines Kolle-
gialgerichts im Durchschnitt auf etwa 13000 Taler und weist
darauf hin, dass der Verbrauch dieser Summe bei der
Armut der Städte in der Provinz immerhin ins Gewicht
falle. Den gesamten Etat für die Justiz berechnet er
im Falle der Einrichtung derselben nach seinem Projekte
auf 393 °°° Taler und kommt so dahin, dem Minister
vorzustellen, dass der neue Etat sich dem bestehenden
gegenüber noch um 2000 Taler niedriger stellen würde.
Übrigens, so bemerkt er, kann auf den Kostenpunkt
keine Rücksicht genommen werden angesichts der zu
erwartenden Vorteile und der Betrachtung, dass die Justiz-
pflege in dieser Provinz mit geringeren Kosten als in
den älteren Provinzen bestritten wird.
Aber mit diesen Vorschlägen fand der neue Präsident
im Ministerium keinen Anklang. Das ist leicht erklärlich.
War doch damals im übrigen Preussen die Gerichts-
organisation vornehmlich auf Patrimonialrichtern als
Einzelrichtern aufgebaut
Es ist nun ungemein reizvoll, den Kampf zu be-
trachten, den von Frankenberg führen musste, ehe es
gelang, seinen Gedanken zum gesetzgeberischen Ausdrucke
zu bringen. Darin zwar war auch der Justizminister von
Muehler mit von Frankenberg einig, wie aus dem vor-
gedachten Glückwunschschreiben erhellt, dass die von
Schoenermark in den Jahren 1816/17 ins Leben gerufene
Organisation, wie gewaltig auch die Verbesserung den frü-
heren Verhältnissen gegenüber gewesen war, einer Um-
formung bedürfe. Dieser Ansicht schloss sich auch das
Staatsministeriura an, und es ist schon der regen Anteil-
nahme des Kronprinzen an den Beratungen über die
70 Karl Martell.
Reformvorschläge gedacht Aber der Justizminister be-
vorzugte entsprechend der Verwaltung der Rechtspflege
in den altländischen Provinzen das Einzelrichtertum. In
seinem Votum vom 3. Februar 1833 sprach er sich daher
für eine Vermehrung der Friedensgerichte aus und wollte
durch Neuschaffung von zwei oder drei Oberlandesgerichten
eine verstärkte Aufsicht über die Untergerichte herbeiführen.
Namentlich der Kostenpunkt schien ihm bedenklich. Er
hielt von Frankenbergs Etatsansätze für viel zu niedrig,
meinte, dass sein Plan zahlreiche Bauten notwendig machen,
würde, und warf das Bedenken auf, dass viele Beamte
in den Kreisstädten nicht die geeigneten Wohnungen
finden würden.
Damals war infolge der Unruhen, die der Aufstand
der Polen jenseits der Grenze im Jahre 1830 auch für
die Provinz Posen zur Folge gehabt hatte, eine besondere
Immediatkommission aus den Ministern der Finanzen, der
Polizei und Justiz bestellt, welche unter Zuziehung des
kommandierenden Generals von Grolmann und des Ober-
präsidenten Flottwell Vorschläge über die Reform der
allgemeinen Staatsverwaltung in der Provinz aufstellen
sollte. An diese Kommission gingen von Frankenbergs
Vorschläge mit dem Gutachten des Justizministers^
v. Frankenberg suchte den Oberpräsidenten für seinen Plan
zu gewinnen. Am 1. März 1833 schrieb er ihm nach
Berlin. Ich bin mit der Organisation von 1816 nicht ein-
verstanden. Damals hätte es so nahe gelegen, die Ge-
richte zusammenzuziehen. Dazu ist es auch noch nicht
zu spät So wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben. Der
unregulierte Zustand der Hypothekenbücher führt un-
geheure Verluste herbei. Auch das Prozessverfahren wird
viel wirksamer durch Erweiterung des Prinzips der Mündlich-
keit ausgestaltet werden müssen. Übrigens werden aber alle
Verbesserungsvorschläge ohne Erfolg bleiben, wenn es bei
der Bestimmung verbleibt, dass ganze Aktenstücke polnisch
geführt werden. Diese Akten können garnicht kontrolliert
werden. Die Regierung hat alles getan, um polnische
junge Leute zum Studium aufzumuntern und um deutsche
Gerichts-Organisation für die Provinz Posen. 71
junge Leute zum Erlernen der polnischen Sprache zu
drängen. Es ist aber die Erfahrung gemacht, dass der-
jenige Teil der Einwohner, welcher der polnischen Sprache
zugehört, zwar schreiend den Gebrauch der polnischen
Sprache bei den Gerichten verlangt und sich auf die
Wiener Kongressverhandlungen zu berufen pflegt, selbst
aber nichts dafür tut, dass in der Nation die Neigung für
den Staatsdienst wächst Der Adel hält es unter seiner
Würde, sich dem Unbehaglichen der Erlernung des
Dienstes und ernster Anstrengung zu unterwerfen. So
wie bisher geht es mit dem Gebrauch der polnischen
Sprache bei den Gerichten nicht weiter. Ich habe schon
wiederholt vorgestellt, dass der Zuruf des Königs an die
Bewohner der Provinz nur den Gebrauch der polnischen
Sprache neben der deutschen verheisst, die Bestimmungen
der Verordnimg vom 9. Februar 181 7 aber darüber hinaus
zu einer vollständigen Verdrängung der deutschen Sprache
in vielen Angelegenheiten geführt haben.
Trotz dieses Appells an Flottwell und obwohl von
Frankenberg auch versucht hatte, den kommandierenden
General von Grolmann für seinen Plan zu erwärmen,
schloss sich doch die Immediatkommission unter Ablehnung
der von Frankenberg'schen Pläne in der Sitzung vom
16. März 1833 dem Gutachten des Ministers an. Dabei
kam im Schosse der Kommission jetzt auch der Vor-
schlag zu Tage, dem Friedensrichter einen wissenschaftlich
vorgebildeten Aktuar zur Seite zu setzen, so dass dieser
den Friedensrichter jederzeit zu vertreten in der Lage
wäre. Ferner sprach sich die Kommission für Erweiterung
der Zuständigkeit der Friedensgerichte und für ihre Ver-
mehrung aus und befürwortete die Überführung der
Hypothekenblätter der Domänen und adligen Güter an
das Oberlandesgericht.
Als jetzt auch das Plenum des Staatsministeriums
am 30. April 1833 sich für die Vorschläge des Justiz-
ministers aussprach, schien von Frankenberg mit seinem
Vorschlage endgültig unterlegen zu sein. Denn es schien
wenig wahrscheinlich, dass der König gegen die überein-
72 Karl Martell.
stimmenden Gutachten seiner obersten Ra tgeber entscheiden
werde.
v. Frankenberg selbst gab seine Sache noch nicht
verloren. Er wandte sich in drei Briefen vom 25. April
2. Juni und 7. Juli 1833 an seinen alten Freund, den Ge-
heimen Staatsrat Staegemann, in dessen Hand die
wichtigsten Angelegenheiten dieser Provinz behufs Vor-
bereitung der Königlichen Entschliessung zusammen
liefen. „Mein Antrag", schrieb er ihm, „20 — 25 kleine
Kollegiatgerichte zu schaffen, hat leider keinen Anklang
gefunden. Die Theoretiker der heutigen Zeit gehen
davon aus, dass die Gerichtspflege mehr dem Einzelnen
als Kollegien anvertraut werden muss. Aber ich habe
in meiner früheren Stellung und vornehmlich hier aus
der Praxis heraus das Unerträgliche dieser Verfassung
kennen gelernt. Ich habe einen Zustand gänzlicher Er-
schlaffung und grenzenloser Verschleppung vorgefunden,
den ich nur für kurze Zeit habe beseitigen können.
Insbesondere das Hypothekenwesen und das Kriminal-
wesen liegt ganz im Argen. Übrigens sind auch die
Beamten vielfach untauglich. Unter denen, die entfernt
werden müssen, sind zahlreich gerade diejenigen, welche
allein aus Rücksicht auf die Sprache angestellt sind. Ich
muss mich auch ganz entschieden gegen die Idee aus-
sprechen, die sachliche Kompetenz der Friedensgerichte
zu erweitern. Bleibt es bei Friedensgerichten, so muss
deren Zahl erheblich vermehrt, es darf aber ihre Zu-
ständigkeit nicht erweitert werden. Dann muss aber auch
eine lebendige, tätige Aufsicht vorhanden sein und solche
kann, selbst wenn die Oberlandesgerichte vermehrt werden,
durch dieselben nicht geübt werden.
Es ist eine sehr delikate Sache,, wenn man mit
seinem vorgesetzten Minister über Grundsätze nicht ein-
verstanden ist. Er ist immer sehr freundlich gegen mich.
Ich will aber der Pflicht und meiner Überzeugung, selbst
wenn dieselbe reiferem Urteil sich beugen muss, folgen.
Übrigens ist der Oberpräsident ganz mit mir einver-
standen, und auch der vortragende Rat im Ministerium
Gerichts-Organisation für die Provinz Posen. 73
stimmt jetzt ganz mit mir überein und bedauert nur, sich
nicht gleich anfänglich meinen Vorschlägen angeschlossen
zu haben. Leider verzögert man im Ministerium diese
so äusserst wichtige Sache. Jetzt im Juli ist erst das
Protokoll über die Sitzung des Staatsministeriums vom
30. April 1833 ins Bureau gekommen und sind dadurch
zwei kostbare Monate verloren gegangen. In der Ver-
messenheit meiner geheimsten Gedanken scheint es mir
fast, dass unsere regierenden Häupter zwar einen grossen
Respekt vor Geldbewilligungen, aber keine Achtung vor
Zeitverlust haben."
Und dem Justizminister selbst trägt er in wieder-
holten Berichten1) vor: „Gerade die Zusammenziehung
der Einzelrichter zu kleinen kollegialen Behörden stützt
die einzelnen, weckt den Ehrgeiz, gewährleistet eine gute
Aufsicht und eine sachgemässe Verteilung der Geschäfte
nach der Arbeitskraft der einzelnen Richter. Dabei
werden die kleinen in den Kreisstädten zusammen-
gezogenen Gerichte diesen Städten selbst aufhelfen. Sie
werden dazu beitragen, dieselben in Flor zu bringen und
in denselben einen guten Geist zu verbreiten. Wenn
mir entgegengehalten wird, dass die Friedensgerichte
sich bewährt haben, so muss ich demgegenüber auf
meiner entgegengesetzten Meinung verharren. Ich habe
die einsichtsvollsten Mitglieder des mir unterstehenden
Gerichtshofes befragt. Dieselben sind alle meiner Mei-
nung. Das Projekt des Ministers erwartet zu viel von den
Friedensrichtern. Eine Jurisdiktion über 10 bis 15000
Seelen können sie nicht leisten. Und dann hebe ich
immer wieder hervor: Der alleinstehende Friedensrichter
wird der Gefahr der leichteren Zugänglichkeit, die hier
immer gross war, ausgesetzt bleiben. Die mehreren Ober-
gerichte, die als Zwischenglieder zwischen den Frie-
densrichtern und dem Oberappellationsgerichte gedacht
sind, werden eine sachgemässe Aufsicht auf keinen Fall
leisten können."
*) Vom 16. März, 3. April, 3. und 6. Juli 1833.
74 Karl Martell.
So gingen nun das Votum des Justizministers, die
Beschlüsse der Immediatkommission und des Staats-
ministeriums und das entgegengesetzte Gutachten des
Präsidenten v. Frankenberg in das Königliche Kabinet zur
Entscheidung der Vorfrage, ob die Untergerichte aus
Einzelrichtern bestehen sollten oder — die kleineren
Sachen, die Bagatellsachen natürlich ausgenommen —
kollegialen Behörden anzuvertrauen seien.
Es ist ein hohes Verdienst und zeigt von dem
ernsten Willen einer gründlichen eigenen Prüfung, dass
der König nun nicht kurzweg dem Votum seiner höchsten
Ratgeber folgte, dass er vielmehr noch weitere Erörterung
forderte. „Ehe ich mich entscheide", erklärte der König
in seiner Ordre vom 10. August 1833, „möchte ich
wissen, ob mit dem Präsidenten Flottwell in Ver-
bindung getreten ist Dies ist um so notwendiger bei
den eigentümlichen Verhältnissen der Provinz, den po-
litischen Ereignissen der jüngsten Zeit, bei der grossen
Zahl der erforderlichen einzeln stehenden Richter, die
nicht ohne den erheblichsten Einfluss auf die Verwaltimg,
namentlich in politischer Beziehung und insonderheit
dann bleiben wird, wenn die Richter aus den Ein-
geborenen polnischer Abkunft bestellt werden. In dieser
Hinsicht scheint die von dem Präsidenten v. Frankenberg
vorgeschlagene Einrichtimg den Vorzug zu verdienen.*4
Mit dieser Ordre hatte der Präsident v. Frankenberg
den höheren Instanzen gegenüber obgesiegt, und nicht
mit Unrecht giebt der Künstler, welcher das Bildnis des
Präsidenten für das Geschäftszimmer des Oberlandes-
gerichtspräsidenten gemalt hat, dem Dargestellten die
Kabinets-Ordre vom 10. August 1833 in die Hand.
Sobald v. Frankenberg von der Königlichen Ent-
Schliessung in Kenntnis gesetzt war, schrieb er wieder
d d. Carlsbad den 3. September 1833 an den Ober-
präsidenten Flottwell: „Infolge der Königlichen Er-
schliessung werden Sie angefragt werden. Die beiden
vortragenden Räte im Ministerium, die diese Angelegenheit
bearbeiten, freuen sich über die Wendung der Sache.
Gerichts-Organisation für die Provinz Posen. 75
Selbst der Minister ist nicht abgeneigt, auf meinen Vor-
schlag einzugehen. Er hat nur noch Bedenken wegen
des Kostenpunktes und wegen einer ungerechtfertigten
Belastung der Kreiseingesessenen durch die weite Entfernung
derselben vom Gerichtsorte. Aber in ersterer Beziehung
treffen seine Bedenken nicht zu. Und in letzterer wird
man den Eingesessenen durch Gerichtskommissionen und
Gerichtstage entgegen kommen können. Kommt es zur
kollegialen Verfassung, so wird man den neuen Gerichten
auch die Führung der Hypothekenbücher über die Do-
mänen und adligen Güter, also über alle in ihrem Be-
zirke liegenden Besitzungen übertragen können. So
kommt vor allem Einheit in die neue Schöpfung, und es
eröffnet sich die Aussicht, mit diesen Gerichten auch die
Strafsachen später verbinden zu können. Dann ist auch
eine sachgemässe Aufsicht durch die Vorsitzenden der
Kollegien und durch das Oberappellationsgericht gewähr-
leistet Die Richter werden unter ständiger Aufsicht
bleiben und werden in den kleinen Städten ferner nicht
untergehen. Sie werden auch in politischer Hinsicht be-
aufsichtigt werden können. Kurz, ich hoffe, durch eine
Reform nach meinen Vorschlägen wird der Rechtsgang
und wird das materielle Recht gewinnen."
Der der Königlichen Ordre gemäss zum Berichte
aufgeforderte Oberpräsident Flottwell stellte sich mit
grösster Entschiedenheit völlig auf v. Frankenbergs Seite.
Er erklärte Einzelrichter geradezu für gefährlich, weil die
Vermögensangelegenheiten der Untertanen der Willkür,
Trägheit, Sorglosigkeit des Einzelrichters zu sehr preis-
gegeben seien, ein Schaden nicht rechtzeitig abgewehrt
und Ersatz nicht erlangt werden könne. Auch er wies
darauf hin, dass der Beamte und der Richter nach Lage
der Dinge auf eine Gesellschaft angewiesen sei,, die oft der
polnischen Nationalität angehöre, und dass es für den einzeln
stehenden Richter schwer sei, auf die Dauer sich dem
Einflüsse derselben zu entziehen. Auch er erklärte die
Kontrolle des Einzelrichters durch das Oberappellations-
gericht oder durch ein Oberlandesgericht für eine leere
76 Karl Martell.
Form. Dabei trat er scharf für das Prinzip ein, dass alle
Untertanen demselben Richter unterworfen seien. „Der
politische und moralische Einfluss des Prinzips, dass alle
Menschen vor demselben Gerichte ihren Gerichtsstand
haben", schreibt er „ist überall wesentlich kulturfördernd,
namentlich aber hier, wo es, wie in allen slavischen
Landen, nur Herren und Knechte gibt. In einem solchen
Lande kann es nicht genug Einrichtungen zur Förderung
sittlicher und geistiger Bildung und zur Belebung einer
zweckmässigen Tätigkeit der unteren Staatsbehörden
geben.. In dieser Richtung werden kleine Kollegial-
gerichte ganz anders wirken, als Einzelrichter." Im wei-
teren Verlaufe des Berichts spricht er sich, ähnlich wie
der Präsident v. Frankenberg, dagegen aus, dass dem
Oberappellationsgerichte die dritte Instanz genommen
und diese nach Berlin an das Geh. Obertribunal über-
tragen werde, und er motiviert sein Votum ebenso wie
v. Frankenberg damit, dass die Rechtsstreitigkeiten viel-
fach auf polnische Akten und Urkunden zurückgingen
und von diesen Urkunden der polnischen Sprache
kundige Richter selbst Einsicht nehmen müssten. Für
den Fall, dass seinem Votum zuwider es bei Einrichtung
der Friedensgerichte verbleiben sollte, schlägt er die
Errichtung von vier Oberlandesgerichten mit dem Sitze in
Posen, Bromberg, Meseritz und Krotoschin vor. Aus
diesem Berichte atmet das volle, lebendige Interesse,
welches der Oberpräsident allen kulturfördernden Be-
strebungen entgegen bringt, geht hervor, wie sehr ihm vor
allem die Hebung des Bildungs- und des Wohlstandes der
Bevölkerung am Herzen lag und wie er von v. Franken-
bergs Plane eine Förderung dieser Bestrebungen* erhofft.
Seine Ausführungen decken sich mit denen des Prä-
sidenten v. Frankenberg durchweg, übertreffen sie aber
an Schärfe des Ausdrucks. In Anerkennung der hohen
Bedeutung von Frankenbergs, beantragte er damals in
diesem Berichte, demselben als einem Kommissar des
Justizministers den Rang eines Oberpräsidenten zu
verleihen.
Gerichts-Organisation für die Provinz Posen. 77
Den ihm vom Oberpräsidenten in Abschrift mitge-
teilten Bericht benutzt hierauf v. Frankenberg zu einem wei-
teren kräftigen Vorstoss. „Ich bitte" schrieb er dem Minister,
„jetzt meinem Projekte keinen Anstand mehr zu geben.
Ich überzeuge mich immer mehr von den materiellen
und formellen Gebrechen der hiesigen Justizverfassung.
Den neuen Gerichten bitte ich den Namen Kreisgerichte
zu geben und ihrer Zuständigkeit alle Eingesessenen ohne
Rücksicht auf ihre Person zu unterwerfen." Einig mit
Flottwell darin, dass es auf die Hebung des Kulturzustandes
in der Provinz ankomme, weist auch er von neuem
Kollegialgerichten in dieser Hinsicht einen grossen Einfluss
zu und betont mit dem Oberpräsidenten, dass schon aus
diesem Umstände der Staat für die Justiz keine Unkosten
scheuen dürfe. Mit Rücksicht auf die Armut der Provinz
warnt er, die Sporteltaxe gelegentlich der Reorganisation
zu erhöhen und teilt dem Minister die diesem wahrscheinlich
wenig erfreuliche gewesene Tatsache mit, dass zur Zeit ein
Sportelrückstand von 617,000 Talern vorhanden sei, von
welchem höchstens ein Drittel einziehbar sein würde. Auch
er bittet, dem Oberappellationsgerichte die III. Instanz zu
belassen oder die Abtrennung der III. Instanz wenigstens so
lange hinauszuschieben, bis eine Verminderung von in
polnischer Sprache geführten Akten und aufgenommenen
Urkunden ersichtlich sei.
Jetzt beschloss nun auch das Staatsministerium in
seiner Sitzimg vom 5. November 1833, im Grossherzogtum
Posen, wie es noch immer offiziell hiess, 26 Untergerichte
als Kollegialgerichte L Instanz einzuführen. Aber wiederum
wurden in einem sehr wichtigen Punkte Anstände erhoben.
Obwohl* nun schon seit dem Jahre 1809 in der Provinz
derselbe persönliche Gerichtsstand für alle Kreisein-
gesessenen bestand, unterbreitete das Staatsministerium
die Entschliessung darüber, ob für Beamte und Adlige
der eximierte Gerichtsstand einzuführen sei, der König-
lichen Entschliessung. Sobald v. Frankenberg diesen An-
stand erfuhr, wandte er sich wieder an seine Verbindungen.
Am 15. November 1833 bat er den Generaladjutanten
78 Karl Martell.
von Witzleben, sich bei seiner Majestät gegen die Ein-
führung des eximierten Gerichtsstandes auszusprechen.
„Es bedarf," schreibt er ihm, „der Abgrenzung der Zu-
ständigkeiten der Gerichte nach Sachen, nicht nach
Personen." Auf seine Veranlassung sprach sich denn auch
der kommandierende General v. Grolmann in demselben
Sinne aus. Dies zeigte v. Frankenberg wiederum seinem
guten Freunde Staegemann an und diesem gegenüber
äusserte er sich auch vertraulich über die Ministerkonferenz
vom 9. Dezember 1833, indem er ihm schreibt: „Das
Protokoll über diese Sitzimg ist so seicht abgefasst, dass
ich die Gründe, welche der Einführung der Exemption ent-
gegen stehen, vor der allerhöchsten Person nicht unerwähnt
lassen möchte."
v. Frankenbergs Bestrebungen konnten nicht unbe-
kannt bleiben. Namentlich unter den Richtern der Provinz
entwickelte sich ein lebhafter Meinungsaustausch über die
in Vorschlag gebrachte Reform. Auch der Provinziallandtag
zog die in Aussicht stehende Reorganisation in den
Kreis seiner Erörterungen. In seinem Beschlüsse vom
8. Februar 1834 sprach sich der Landtag für kollegiale Unter-
gerichte, gegen die Einführung des eximierten Gerichts-
standes und gegen die Übertragung der III. Instanz von
dem Oberappellationsgericht auf das Geh. Ober-Tribunal
aus. Beweglich tönt dabei die Klage der Ständever-
sammlung: „Die übrigen Provinzen erfreuen sich seit
40 Jahren derselben Justizverfassung. Hier hat in derselben
Zeit fünfmal ein gänzlicher Umsturz derselben stattgefunden.
Hierdurch haben viele aus den alten polnischen Zeiten
herrührende Rechtsangelegenheiten durch den ganzen
Zeitraum hindurch nicht beendet werden können."
Viel zu lange für v. Frankenbergs Feuereifer Hess
die endgültige Entschliessung des Königs auf sich warten.
Schon im März 1834 erklärt er dem Justizminister, dass
mit Unruhe in der Provinz auf die bevorstehende Ver-
änderung gewartet werde. Er selbst fühle sich durch die
Ungewissheit überall gelähmt und könne nur mit provi-
sorischen Massregeln aushelfen. Und obwohl er seine
Gerichts-Organisation für die Provinz Posen. 79
Kollegialverfassung noch nicht unter Dach hatte, unter-
breitet er bereits dem Minister den Gedanken, die In-
quisitoriate aufzuheben und mit den neu zu schaffenden
Kollegialgerichten zu verbinden. Endlich, nachdem in-
zwischen v. Frankenberg noch einmal unterm 20. April
den Minister um baldige Entschliessung gebeten hatte,
erging unter dem 16. Juni 1834 die Verordnung über die
Einrichtung der Justizbehörden im Grossherzogtum Posen.
Dieselbe gliederte die für die Provinz in Frage kommenden
Gerichtsbehörden in 26 Land- und Stadtgerichte je für
einen Landrats-Kreis, belässt es bei den Inquisitoriaten,
verordnet, dass an entfernten Orten der Kreise Gerichts-
tage abgehalten werden, erhebt also in diesen Richtungen
v. Frankenbergs Vorschläge zum Gesetz. Sodann wird
neben dem Oberlandesgericht in Posen ein zweites Ober-
landesgericht in Bromberg bestellt, das Fortbestehen des
Oberappellationsgerichts angeordnet, das Geh. Ober-
Tribunal in Berlin aber als III. Instanz für Revisions- und
Nichtigkeitssachen bestellt. Die letzte Bestimmung zeigt
schon, dass die Provinzialbehörden mit ihrem Vorschlage,
die HI. Instanz bei dem Oberappellationsgericht zu belassen,
nicht völlig durchgedrungen waren. Dies galt auch von dem
weiteren die Hypothekenbücher der adligen Güter und der
Domänen betreffenden Antrage. Während v. Frankenberg
die Führung der Hypothekenbücher über diese Güter den
Land- und Stadtgerichten zugewiesen wissen wollte, über-
trug die Verordnung diese Führung den Oberlandes-
gerichten in Posen und Bromberg. So gingen nun die
Grundbücher über die 1065 adligen Güter des Regierungs-
bezirkes Posen und über die 565 adligen Güter und
Domänen des Regierungsbezirkes Bromberg von den
Landgerichten zu Posen und Bromberg auf die Ober-
landesgerichte über. Daraus ergab sich nun auch, dass
beide Obergerichte den dinglichen Gerichtsstand für diese
Güter bildeten, und ihnen die Instruktion und Entscheidung
in I. Instanz in allen Prozessen zufiel, in welchen der
dingliche Gerichtsstand eintrat. Ihnen fiel denn
auch die Bearbeitung aller Vormundschafts-, Nachlass-,
80 Karl Martell.
Konkurs- und Subhastationssachen zu, wenn ein solch adliges
Gut einen Teil des Nachlasses oder der Versteigerungs-
masse ausmachte. Dem persönlichen Gerichtsstande der
Oberlandesgerichte wurde die Instruktion und Entscheidung
aller Prozesse, die einen Streitgegenstand über 500 Taler
betrafen und die Bearbeitung aller Vormundschafts- und
Nachlasssachen überwiesen, wenn der Nachlass 2500 Taler
oder mehr betrug. Ihnen fiel die Entscheidung in I. Instanz
zu, wenn ein Inquisitoriat die Untersuchung geführt hatte,
und in II. Instanz, wenn das Erkenntnis I. Instanz voa
einem Land- und Stadtgericht ergangen war. Dem Ober-
appellationsgerichte wurde die IL Instanz in Civilsachen und
in denjenigen Strafsachen zugewiesen, welche in I. Instanz
von den Oberlandesgerichten entschieden waren. Dadurch
nun, dass den kollegial eingerichteten Land- und Stadt-
gerichten die gesamte den Oberlandesgerichten nicht
vorbehaltene Gerichtsbarkeit überwiesen wurde, sie also
alle Prozesse bis 500 Taler, sofern nicht der dingliche
Gerichtsstand in Frage kam, zu übernehmen hatten,,
und dadurch, dass sie in Strafsachen die nicht den
Inquisitoriaten vorbehaltenen wichtigeren Untersuchungen
zu führen und in diesen Sachen die Entscheidung zu treffen
hatten, d. h. sie auch in Strafsachen für den weitaus
überwiegenden Teil der Straftaten zuständig waren, kam
die gewünschte Einheit in die gesamte Schöpfimg. Es
war in Wirklichkeit die Abgrenzung der Zuständigkeit
nach dem Werte des Streitgegenstandes oder dem Werte
des zu schützenden Gutes erfolgt, und die im altländischen
Rechte vorhandene Trennung nach Personen im Wesent-
lichen überwunden, somit den andern Provinzen gegen-
über ein gewaltiger Fortschritt auf dem Wege neuzeitlicher
Rechtsentwickelung erzielt. Der volle Durchbruch des
v. Frankenberg vertretenen Gedankens erfolgte dann
erst 15 Jahre später im Sturm der Verfassungskämpfe.
Erst das Gesetz vom 2. Januar 1849 ü^er die Aufhebung
der Patrimonialgerichtsbarkeit und des eximierten Gerichts-
standes, sowie über die anderweite Organisation der Gerichte
brachte v. Frankenbergs Plan völlig zu Ehren. Damals im.
Gerichts-Organisation für die Provinz Posen. 8l
Jahre 1834 brachte der Gesetzgeber den Land- und Stadt-
gerichten noch nicht völliges Vertrauen entgegen. Noch war
die Zeit nicht gekommen, in der für sämtliche Richter der
Nachweis derselben Befähigung, das Bestehen derselben
Prüfung gefordert wurde. Vielmehr beschränkte die Ver-
ordnung das Bestehen der dritten richterlichen Prüfung auf
die Mitglieder der Oberlandesgerichte und des Ober-
appellationsgerichts und begnügte sich für die Mitglieder
der Land- und Stadtgerichte, sowie der Inquisitoriate mit
der Qualification, wie sie für die übrigen Untergerichte der
Monarchie gefordert wurde. Das mündliche Verfahren
in Civilprozesssachen, wie es seit der auf Schoenermarks
Vorschlägen beruhenden Verordnung vom 9. Februar 1817
in Übung war, wurde durch die neue Gerichtsorganisation
in der Hauptsache garnicht berührt Es hatte inzwischen
allgemeinere Anerkennung gefunden, sodass der Gesetz-
geber sich veranlasst gesehen hatte, nach ihrem Vorbilde
in der Verordnung vom 1. Juni 1833 ein summarisches
Verfahren für die andern Teile der Monarchie einzuführen,
in welchem die Allg. Ger. Ordnung Kraft hatte. Nur be-
züglich des Bagatell- und Mandatsprozesses und hinsichtlich
der Injuriensachen wurde das geltende Prozessverfahren jetzt
den Vorschriften der gedachten Verordnung unterworfen.
Aber dem Drängen von Frankenbergs und Flottwells
gemäss enthielt die neue Verordnung eine tiefgreifende Be-
stimmung hinsichtlich des Gebrauches der polnischen
Sprache. Indem sie bestimmte : Wenn eine Verhandlung in
polnischer Sprache aufgenommen oder eine Verfügung in
solcher Sprache erlassen ist, oder eine Vorstellung in
derselben zu den Akten kommen soll, muss derselben
eine deutsche Übersetzung zur Seite stehen, wofür jedoch
keine besonderen Kosten erhoben werden dürfen, gab sie
zu dem sich bald einbürgernden Gebrauche Anlass, die
Verhandelnden zu befragen, ob sie auf Abfassimg eines
polnischen Nebenprotokolls Wert legen oder auf dessen
Anfertigung verzichten wollten.
v. Frankenberg begnügte sich nicht damit, dass das
Gesetz publiziert wurde. In umfangreicher Darstellung
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Prov. Posen. Jahrg. XVIII. 6
82 Karl MartelL
legte er in der Instruktion vom 3. Oktober 1835. die
Hauptgedanken der Organisation dar und bahnte die
Entscheidung einer Reihe von Zweifelsfragen an. Dann
sorgte er für neue Instruktionen für die Sekretariate und
Exekutiv-Inspektionen, für ein neues Reglement betreffend
das Depositalwesen vom 7. März 1835 und endlich durch
umfangreiche, eingehende Verfügungen für den glatten
Übergang der Geschäfte von den sich auflösenden
auf die neu sich bildenden Behörden. Nicht das
kleinste Verdienst war es, dass es v. Frankenberg gelang,
einen ziemlich grossen Baufonds für die Provinz flüssig
zu machen. 100 000 Taler, in dem damals armen Preussen
eine gewaltige Summe, bewilligte der König zur Erbauung
neuer Kreisgerichte und stellte diesen Fonds nicht
dem Minister, sondern dem Präsidenten des Ober-
Appellationsgerichts zur Verfügung. Natürlich musste der
preussischen Staatspraxis entsprechend der Präsident
die Städte, die zum Sitze der neuen Behörden aus-
gesucht wurden, zu Beitragsleistungen für die Bauten zu
bewegen suchen. Dabei Hess er sich aber von der
Leistungsfähigkeit der Städte • mitleiten. „Mich hat",
schreibt er dem Regierungspräsidenten in Bromberg,
„die Rücksicht nicht verlassen, dass es nicht in der Ab-
sicht der Staatsregierung liegen kann, von den Städten
dieser Provinz, welche zum Teil sehr arm sind, un-
verhältnismässige Opfer zu begehren."
Und nun begann eine emsige Bautätigkeit in der
Provinz. Es war für den südlichen Teil der Provinz
etwas Neues, dass der Staat zu derselben Zeit in vielen
Städten als Bauherr auftrat. Mochten auch eine Anzahl
früherer Gebäude für Friedens- und Landgerichte den
neuen Verhältnissen entsprechend eingerichtet werden
können, immerhin mussten 8 Landgerichtsgebäude und
die zu denselben gehörigen Nebenräumlichkeiten und
Gefängnisse völlig neu erbaut werden. Dies Bauen des
Staates regte denn auch die Privatbautätigkeit an, und sie
schuf alsbald für die vielen neu zuziehenden Beamten
die erforderlichen Wohnungen. Je nach Fertigstellung
Gerichts-Organisation für die Provinz Posen. 83
der Bauten traten dann die einzelnen Landgerichte ins
Leben, als eines der ersten das Land- und Stadtgericht
in Posen am 6. Juni 1835. Sehr schnell änderte der
Minister v. Muehler seine bisherige Zurückhaltung gegen-
über den neuen Kollegialgerichten. Schon am 21. Mai 1835
erkannte er ihre Zweckmässigkeit an. Bald drang auch
■der Ruf der neuen Schöpfung in die andern östlichen
Provinzen. Schon im Jahre 1835 baten das Oberlandes-
gericht in Marienwerder, dann das in Breslau, Ratibor,
Glogau, Insterburg um Mitteilung der zu der Verordnung
vom 16. Juni 1834 erlassenen Instruktionen, zum Teil
mit dem ausdrücklichen Bemerken, dass die durch die
Verordnung ins Leben gesetzte Verfassung auch in ihren
Bezirken einzuführen beabsichtigt werde. Auch v. Franken-
berg selbst war mit dem Geschaffenen zufrieden. „Mit
Zaghaftigkeit", schreibt er in seinem Jahresberichte für 1835,
„ging ich daran, eine Verfassung umzugestalten, die seit
15 Jahren 1200 Beamten Beschäftigung, Ausbildung und
Unterhalt gewährt hatte. Jetzt steht das Werk, das zu
den Unmöglichkeiten gezählt wurde, vollendet da und
wird reichliche Früchte tragen, sowohl für den Verkehr,
die Wohlfahrt und Sicherheit, als auch für die Civilisation
einer grossen Bevölkerung, in der sich unter den Be-
schwernissen vieler Wechselfälle und einer rein aristo-
kratischen Verfassung nicht einmal ein Mittelstand ent-
wickeln konnte. Das Werk, welches die jetzige Generation
in Bewunderung für Ew. Excellenz Tatkraft anerkennt",
— so lehnt er seine Vaterschaft der neuen Schöpfung ehr-
erbietig ab — „wird später geschichtlich in seinen Glanz-
punkten hervortreten. Eine günstige Folge der neuen
Organisation ist die Beschleunigung und gründliche Be-
arbeitung der Prozesse und ,die schnell fortschreitende
Anlegung der Hypothekenfolien. Im Laufe von i1/* Jahren
sind 14 000 neue Blätter angelegt, und ist jetzt nur noch
ein Bestand von 40000 unregulierten Folien vorhanden.
Insbesondere für die Strafrechtspflege ist ein neuer Stern
aufgegangen, und man wird zur Aufhebung der Inquisi-
toriate und deren Verbindung mit den Landgerichten
84 Karl Martell.
schreiten können." Dies ist denn auch durch die Kabinets-
Ordre vom 12. Januar 1837 geschehen. Und im Jahre 1836
berichtet er: „Die neue Verfassung hat sich bewährt leb
bin in drei Oberlandesgerichtsbezirken alt geworden, bin
selbst Patrimonialherr und kann mir daher ein Urteil er-
lauben. Ohne Vorliebe darf ich versichern, dass bei einer
Vergleichung der hiesigen Rechtspflege mit der in den
älteren Provinzen des Reichs, wo noch das Patrimonial-
gerichtswesen die Oberhand hat, der hiesigen kaum wird
der Vorzug versagt bleiben können. Die Beamten werde»
besser. Die alten verderblichen Gewohnheiten des Trunkes
sind im Abnehmen. Überall macht sich reger Fleiss be-
merkbar. Die Anlegung der Hypothekenfolien schreitet
schnell vorwärts. Die Strafsachen werden gut und schnell
bearbeitet Bei den Straftaten tritt besonders das Ver-
brechen der Widersetzlichkeit und der Beamtenbeleidigung:
hervor. Das kann aber in einer Gegend nicht Wunder
nehmen, in welcher seit jeher unter den höheren Ständen
die Neigimg zur Gewalttätigkeit vorhanden war. Eine
Verminderung der Verbrechen wird sich übrigens nur
von der Zunahme der Kultur, der notwendigen Ver-
besserung der katholischen Geistlichkeit, der Umgestaltung
des Judentums, der besseren Verteilung des Grundbesitzes
und der Entwöhnung von dem übermässigen Genüsse
erhitzender Getränke erwarten lassen."
Und wiederum ein Jahr später lässt er sich dahin
aus: „Der Sinn, welcher den preussischen Justizbeamtent
auszeichnet, war früher hier fast untergegangen. Das.
Ganze war nicht dazu angetan, vaterländische Sitte und
Liebe zu der Verfassung des Staates zu erhalten und zu
erwecken, dessen erste Grundpfeiler sich in einem ge-
ordneten Rechtszustande finden. Es fehlte den Beamten der
feste Zusammenhalt In ihrer Vereinzelung unterlagen sie
äusseren Eindrücken. Die Revolution im Nachbarreiche
hatte schlechten Einfluss geübt Jetzt, nach kaum drei-
jährigem Bestehen der neuen Organisation, zeigt sich
überall eine Besserung. Ich hoffe, dass diese Provinz,
nicht mehr gegen andere zurücktritt, vielleicht schon:
Gerichts-Organisation für die Provinz Posen. 85
hervortritt Es ist ein anderer Geist in die Verwaltung
gekommen. Es ist eine redliche und unabhängige Rechts-
pflege hergestellt, diese Zierde unserer vaterländischem
Verfassung, welche die Anhänglichkeit an Thron und
Vaterland in den Herzen begründet Die neue Organisation
wird segensreiche Folgen haben, auf Bildung, Gesittung und
Sprache mächtig einwirken durch das acht preussische
Prinzip gewissenhafter, keine Persönlichkeit kennender
Redlichkeit Sie wird Vertrauen, die Anhänglichkeit für
den Thron und die vaterländische Verfassung begründen
und befestigen. In dem Generalberichte vom ÜÜ' 1™*™ XqÜ!I
0 20. Januar 1839
stellt er besonders den segensreichen Einfluss, welchen
die Organisation auf die persönliche Führung der Richter
und Beamten gehabt hat, den früheren Verhältnissen gegen-
über: „Ich fand 1832 unerhörte Geschäftsunordnungen,
grenzenlose Verschleppungen, Unwissenheit, gefährdete
Integrität der Richter und Trunkenheit vieler Beamten
vor. Ein grosser Teil der Richter war mangels genügender
Aufsicht moralisch und wissenschaftlich untergegangen.
Die Rechtsverwaltung hatte in den unteren Instanzen
den Charakter der Willkür angenommen. Jetzt ist ein ganz
anderes Bild da Der Tempel der Themis ist wieder eine
Stätte des Vertrauens geworden. Übrigens haben die in der
Provinz amtierenden Richter eine schwierige Stellung.
Ihre Versuche, in freundschaftliche Beziehungen zu den
i>enachbarten polnischen Gutsbesitzern zu treten, haben
fast überall fehlgeschlagen. Mangels anderer, zum Ver-
kehre geeigneter Personen sind sie fast ganz auf sich
selbst angewiesen.11 „Die katholische Frage, so hebt er
einige Jahre später, als das Verfahren gegen den Erz-
bischof Dunin schwebte, hervor, hat diese Trennung von
Neuem befestigt
Ich kann nur die Vorsehung preisen — führt er
weiterhin aus — für das viele Gute, das sie hier gedeihen
liess. Ein tiefbegründetes Dankgefühl erfüllt mich für die
hiesigen Beamten, welche sich allen drückenden An-
ordnungen willig fügten und Grosses vollbrachten. Den
86 Karl Martell.
Beamten gebührt mehr als gewöhnliche Anerkennung^
Die Gerichte sind wahrhaft bemüht, gewissenhafte und
prompte Justiz zu üben. Das Pflichtbewusstsein und das.
Bewusstsein des Zweckes ihrer Existenz hat bei aller*
Gerichtsbehörden eine feste Begründung erfahren."
Und einige Jahre später, nachdem mit dem Re-
gierungsantritte König Friedrich Wilhelms IV. und der Ab-
berufung des Ober-Präsidenten Flottwell eine neue
Politik für die Provinz inauguriert war, drückt der
Präsident im Berichte für das Jahr 1843 wiederum seine
Freude über den Erfolg der Organisation aus. „Bei einer
Vergleichung mit den Gerichtsbehörden anderer De-
partements, zu welcher ich im vergangenen Jahre Ge-
legenheit hatte, verweile ich gern bei der musterhaften
Ordnung, die sich bei den hiesigen Gerichten befestigt
hat Richter und Beamte tun durchaus ihre Pflicht.
Ihre ausseramtliche Führung ist gut und sittlich, und dies
ist umsomehr anzuerkennen", setzt er im folgenden.
Jahre zu, „als fast alle Beamten mit den Drangsalen des.
Lebens zu kämpfen haben, Wohnungen, Lebensmittel,.
Schulen schlecht und teuer sind."
War von Frankenberg mit seiner Schöpfung zu-
frieden, so noch weit mehr das unmittelbar von derselben
betroffene Beamtentum und vor allem die Einwohnerschaft
der Provinz selbst Durch seine Organisation ist auch
ein im preussischen Sinne denkendes und arbeitendes
Justizbeamtentum herangezogen und dieses hat nicht
zum wenigsten dazu beigetragen, polnisch - nationalem
Sondergeist zu bekämpfen und zurückzudrängen. Reichlich
sind auch die Hoffnungen in Erfüllung gegangen, die mit
der Gerichts-Verfassung für die Rechtssicherheit, den
Wohlstand und die Beförderung von Kultur und Sitte in
der Provinz verknüpft wurden. Die Zeiten der kollegialen
Gerichtsverfassung, der Kreisgerichtsverfassung, stehen bei
vielen Einwohnern der Provinz noch heute in guter Er-
innerung.
Eustachius Trepka.
Ein Prediger des Evangeliums in Posen.
Von
Lic. Dr. Theodor Wotschke.
'ie Nachrichten über diesen protestantischen
Theologen und Schriftsteller und Posener
evangelischen Prediger fliessen in der Literatur
sehr spärlich. Der gründliche Durchforscher der Posener
Archive und Geschichtsschreiber der Posener evan-
gelischen Gemeinde Lukaszewicz vermag in seinen Nach-
richten über die Dissidenten in der Stadt Posen1) über
ihn nur mitzuteilen: „Wengierski zählt ihn unter die
ersten Reformatoren Posens. Aus Posen ging er nach
Lithauen und von dort nach Königsberg". Werners Ge-
schichte der evangelischen Parochien unserer Provinz8)
weiss aus den Beiträgen zur Reformationsgeschichte von
Friese8) dem nur hinzuzufügen, dass Trepka der Verfasser
einer polnischen Postille sei. Besser unterrichtet zeigt
sich Joh. Sembrzycki in seiner Abhandlung: die Reise
des Vergerius nach Polen 1556 — T5574), wie es scheint,
auf Grund des Artikels „Trepka" in der polnischen Ency-
klopädie von Sobieszczanski. Aber die Irrtümer dieses
*) Darmstadt 1843, S. 92.
*) Posen 1898, S. 276.
8) n, 1, S. 69.
*) In der Altpreussischen Monatsschrift Königsberg 1890, S. 513,
über Trepka siehe S. 551—554«
88 Lic. Dr. Theodor Wotschke.
Artikels hat er trotz seiner grossen Kenntnis der pol-
nischen Reformationsgeschichte nicht berichtigen können,
im Anschluss an WiSniewski x) auch Trepka mit dem
Lycker Superintendenten Johann Maletius verwechselt
und ihn, den Freund Seklucyans, zu seinem Gegner
und Kritiker gemacht. Unabhängig von Sembrzycki
werden im Archiv für die Geschichte des deutschen
Buchhandels2) über Trepka einige wenige Nachrichten
aus den Schätzen des Königsberger Archivs gegeben.
Auf Studien in demselben Archive beruht auch die
folgende Skizze.
Eustachius oder Ostaphy, wie er sich kleinrussisch
auch zu schreiben pflegte, Trepka ist der Spross einer
weitverbreiteten, noch heute blühenden polnischen Adels-
familie. Ein Trepka war 1526 der Gesandte des jugendlichen
Königs Ludwig von Ungarn nach Krakau, um freilich
vergebens seines Oheims König Sigismunds Hilfe gegen
den Erbfeind der Christenheit zu erbitten; er starb noch
in demselben Jahre auf Mohacz blutiger Walstatt den
Heldentod3). Und als 1767 der evangelisch - polnische
Adel sich aufraffte, um die auf dem Warschauer Reichs-
tage im verflossenen Jahre gegen die Evangelischen er-
lassenen Gesetze zu stürzen, gehörten die Trepka zu den
ersten Familien, welche zur Thorner Conföderation zu-
sammentraten.
Wahrscheinlich um das Jahr 1510 ist Eustachius ge-
boren. Seine wissenschaftliche Ausbildung erhielt er auf
der Lubranskischen Hochschule in Posen. Von seinen
Lehrern hat der Leipziger Christoph Hegendorff den
grössten Einfluss auf ihn ausgeübt Nicht nur führte er
ihn in die humanistischen Wissenschaften ein, erschloss
er ihm besonders die Kenntnis der griechischen Sprache,
vor allem gewann er sein Herz für die Reformation und
gab dadurch seinem Denken, seiner Arbeit, seinem Leben
die bestimmte Richtung. Auf seine Empfehlung hin nahm
l) Historya literatury polskiej VI, S. 557.
*) Leipzig 1896, S. 58.
8) Vergl. Sarnicias, Annales, über VII c, X.
Eustachius Trepka. 89
Andreas Gorka ihn als Hofmeister seiner Söhne Lukas,
Andreas und Stanislaus in sein Haus. Verschiedene
Reisen mit seinen Schülern führten Trepka auch ins
Ausland. 1542 finden wir ihn in Wittenberg1), wo
er im Juli unter dem Rektorate des sprachenkundigen
Hebraisten Matthäus Aurogallus inskribiert wurde. Nach ^ !f
seiner Rückkehr nahm er sich der verwaisten evan-
gelischen Gemeinde in Posen, die ihren treuen Seklu-
cyan schon 1541 hatte müssen scheiden sehen und nur
im September und Oktober 1543 noch wenige Wochen
von ihm Gottes Wort hatte hören können, auf das
redlichste an. Er vermochte es um so eher, als er
seine Präceptorstelle aufgab und in ein wenig arbeits-
reiches Sekretäramt bei dem General von Gross-
polen aufrückte. Sein Nachfolger in der Hofmeister-
stelle war der Hirschberger Jakob Kuchler8), der später
*) Album Academ. Viteberg. cd. Förstemann S. 199. Etwas
Näheres über sein Wittenberger Studium habe ich leider nicht er-
mitteln können.
*) Er schickt unter anderem wahrscheinlich in den ersten Tagen
des Januar 1549 folgenden Stossseufzer aus seinen schulmeister-
lichen Nöten an den herzoglichen Rat Balthasar Gans, Edlen zu
Putlitz, nach Königsberg: „Was meyne Person belangend, wil ich
euch nicht bergen, das ich noch immerzu bey dem Hern von Posen
sneyn Aufenthaldt hab vnd noch seiner Gnaden Söne vnder meyner
Disciplin hab, weyl aber die jungen Hern nu fast gewachsen sonder-
liche Lust fortmehr zum studiren nicht haben, sich auch nicht
ganz regiren lassen, wil meyner Gelegenheit seynn, mich nicht
ferner allhyr auffzuhalden, den ich merke, das es meinen Studien
nicht zutreglich vnd nützlich mich allhy im Landt zu Polen bey
diesem Hoffleben lenger eynzulassen, darumb wo mir irgent eyn
andere erliche Condition vorhanden stysse, wer ich nicht vbel ge-
sinnt dieselbe anzunehmen. Derhalben ist meyn gantz freuntliche
Bitt, ihr wolt neben anderen ewren gutten Freunden mir hirin
beholffen seyn, ob ich irgend im Landt zu Preussen in eyner fryen
Stadt Dienst bekommen mochte, wil auch davon mit dem Hern
Doctor Sabino mich vnderreden Ich habe stets im Willen
gehabt, das ich mich wiederumb ken Leypzigk oder ken Witten-
bergk begeben wolt, mich hat aber der Vnfride in diesem Vor-
nehmen bisher verhindert" Als Kuchler am aß. Januar 1549 ein
carmen gratulatorium auf Herzog Albrechts Hochzeit nach Königs-
berg schickte, klagt er gleichfalls, „dass er mit den jungen Herren
9° Lic. Dr. Theodor Wotschke.
gleichfalls als Sekretär noch über ein Jahrzehnt im
Gorkaschen Hause blieb und Trepka in seiner reforma-
torischen Arbeit kräftig unterstützte. Lukaszewicz und
die, welche ihm gefolgt sind, lassen Herzog Albrecht
gelegentlich einer Reise von Posen nach Preussen 1545
Trepka auf Gorkas Empfehlung mit nach Königsberg*
nehmen und diesen von dort später nach Lithauen über-
siedeln. Dies ist nicht richtig. Nachdem in den letzten
Tagen des Jahres 1545 Albrecht auf der Heimkehr von
seiner Reise nach Deutschland Posen ohne Trepka verlassen
hatte, sah er die Mauern dieser Stadt nicht wieder^
Vermutlich hat Lukaszewicz nur aus dem Er-
scheinungsort der Trepkaschen Schriften auf einen,
längeren Aufenthalt in Königsberg geschlossen, und
die Widmung der Trepkaschen polnischen Über-
setzung von Ochinos Tragödie von der Messe an den
Fürsten Nikolaus Czarny Radziwill liess ihn an eine
Tätigkeit Trepkas in Lithauen denken.
Nur Posen ist das kirchlich-reformatorische Arbeitsfeld
Trepkas gewesen. Des Tages arbeitete er in der Gorkaschen
Kanzlei, des Abends sammelte er hin und her in den Bürger-
häusern eine Schar heilsdürstender Seelen um sich, und
des Sonntags hielt er im Gorkaschen, gelegentlich auch im
Tomickischen Palaste öffentlichen Gottesdienst. Andreas.
Gorka war ihm in herzlicher Freundschaft verbunden,,
und die evangelische Gemeinde sah zu ihrem begabten
Prediger und treuen Seelsorger mit Verehrung empor..
Über seinen Einfluss bei der Aufnahme der böhmischen
Brüder habe ich nichts Positives ermitteln können, wie
überhaupt für seine zweifellos nicht ungünstige Stellung
zu den Brüdern kein sicheres Zeugnis vorliegt. Im»
Dezember 1549 schickt ihn Gorka mit einem besonderen
Auftrage zum Herzog Albrecht Das Credenzschreiben,
welches Gnesen den 10. Dezember datiert ist, sagt über
gross Müh vnd Arbeit vnd allerley molestias habe". Er bittet
Balthasar Gans sein Gedicht vom Rektor der Universitftt Sabinus
durchsehen zu lassen, alsdann es in seinem Namen dem Herzog
zu aberreichen, dainit dieser ihn in seinen Dienst nehme.
Eustachius Trepka. 91
diese Mission leider nichts Näheres1). Wir sind deshalb-
auf Vermutungen angewiesen. Gedrängt von der Geist-
lichkeit hatte König Sigismund August sich gegen die
Aufnahme der böhmischen Brüder ausgesprochen, als
Albrecht und Gorka zu den Beisetzungsfeierlichkeiten des
alten Königs in den ersten Tagen des August in Krakau
weilten. Die Nichtachtung seines Wortes musste ihn er-
zürnen, und er hatte mit seinem Unwillen nicht zurück-
gehalten. Am 29. Juli 1549 schreibt deshalb Albrecht an
ihn: „Eure Königl. Ma1 schreiben, das ich Rom. Keys,
vnnd Königl. Ma* widerwertige in meinem Land nicht
leiden solle, Nhun weiss ich mich solcher gnädigen
Warnung vnnd was ich darauff geantworteth woll zu er-
innern, binn auch derselben biss dahero nachkommen,
vnnd ist meines Wissens niemant inn meinem fürstentumt*
der hochgenanten Keys, vnd Königl. Ma* widrigk vnnd
feindlich. Dann ob ich woll vonn Rom. Königl. Ma* aus
Bohemen des Glaubens halbenn arme einfeltige vertriebene
Leuth inn meynen Stetlein sich niederzulassenn vergunnt, so-
seint doch dieselbenn jrer Königl. Ma* feintlich nicht ent-
gegen, seint auch von jrer Königl. Ma1 aus Bohemen ver-
trieben, vor welchenn jre Königl. Ma* sich nicht zu be-
sorgen. Ich wolt auch jnen keinesweges etwas wider jre
Königl. Ma1 furzunhemen gestatten". Auch Gorka hatte
wegen Aufnahme der Brüder, vor allem aber wegen seines.
Einspruchs gegen des Königs Vermählung mit Barbara.
Radziwill2), die volle königliche Ungnade erfahren und sich
J) „Dedi mandata huic nobüi Eustachio Trepka, secretario meo,
at nomine meo ad 111*» D«» V«*»» verba faceret. Ad cuius-
sermonem at benignam mentem adferat et ea, quae proferet, a me
profecta credat, plurimam rogo et oro, quod V**» niam D«»
factoram minime dubito. -
2) Mittwoch den ai. November 1548 schreibt der herzogliche
Rat Ahasverns Brandt vom Petrikauer Reichstage: „Im montage
seint die schtende vnd bott alleine ane den Konig bey einander ge-
wesen. Die schtimmen, höre ich, sollen vast alle dahin gangen sein,
das man das verheiraten des Königs nicht lobe, bis auf den von Posen,,
der solle mit seinen hefftichen worten dem vas den boden gar aus-
gestossenn haben, gesagt, es were nicht genüg, das mans nicht lobe
-92 Lic. Dr. Theodor Wotschke.
deshalb gewiss mit Herzog Albrecht verständigen wollen.
Auch mögen in Fortsetzung der Verhandlungen des ver-
gangenen Jahres, da auf die Mahnung des Königs von
Frankreich der deutsche Fürstenbund durch Herzog
Albrecht den polnischen König für eine Koalition gegen
Karl V. zu gewinnen gesucht hatte *), Graf Gorka und
Herzog Albrecht sich über weitere Massnahmen, am
Krakauer Hofe gegen den Kaiser Stimmung zu machen,
geeinigt haben. Albrecht weihte Trepka in die grosse
Politik ein, gab ihm Briefe seines Krakauer Bericht-
erstatters Ludovicus Montius aus Mantua zu lesen und
entliess ihn mit dem Auftrage, den Inhalt dieser Briefe dem
General von Grosspolen mitzuteilen und die Antwort, die
dieser vom Könige erhalten würde, ihm sofort zuzusenden.
Am 15. Dezember verpflichtet sich Trepka in einem
Schreiben von seiner Herberge aus, alle Aufträge auf das
gewissenhafteste zu erfüllen.2)
und herummer ginge wie der hundt vmb den breyen, sunder es
were öffentlichen am tage, das nicht allein sie in irem mittel, die
öffentlichen stehen, das es nicht zu loben, sunder die burger vnd
pauern verschtunden es, das es ein grosser merklicher verterb des
ganzen Königreiches, darumb weren sie alle schuldig darzu zuthun,
den schaden vnd nachteil zu wenden, sollte an im auch kein mangel
geschpürt werden Dan dis seint ire argumenta, der Konigk
habe sich ane wissen vnd willen der eitern auch des gantzen reichs zu
verderb vnd vndergang der Cron vorheiratet, weichs er als publica
persona vermöge irer schtatuta nicht thun könne, so sey es mit
buberey vnd zeberey zugangen Der von Posen solle in
vorgehendem tage auch offendich vorm Konige gesagt haben, wie
er verschtendiget, so hätte sie Kon. Maj4* schände halber nicht
nehmen dürffen, het wol ires gleichen vberkommen, reichtums halber
das nette auch ein mas, schtammes vnd nahmens halber were auch
-res gleichen zu vberkommen gewesen, was zucht, tugend vnd
erbarkeyt anginge, die were da, wie er bericht, sere wenigk.a
*) Vergl. Kiewning: Herzog Albrechts von Preussen Anteil
am Fürstenbunde gegen Karl V. Königsberg 1889, S. 17 ff.
*) Gewiss wird Trepka auch Auftrage an Gorka erhalten
.haben für den Empfang von Herzog Albrechts Braut, der Prinzessin
Anna Maria von Braunschweig und Lauenburg, der frommen, treff-
lichen Herzogin Elisabeth Tochter. In Begleitung ihrer Vettern, der
Jifarkgrafen Johann und Wilhelm von Brandenburg, ihres Stiefvaters,
Eustachius Trepka. 93:
1551 sehen wir Trepka an seines Herrn Kranken-
lager, und sein tröstlicher Zuspruch aus Gottes Wort macht
am 3. Dezember das Sterbebett zu einer Siegesstätte und
zu einem Zeugnis evangelischer Heilsgewissheit Wie dem.
Vater diente Trepka hinfort den Söhnen, seinen ehemaligen»
Schülern. Am 16. Dezember 1552 sendet ihn Graf Luka&
von Samter aus nach Königsberg, um ein Darlehn von
1000 Talern dem Herzoge zurückzuzahlen.
Schon seit Jahren war Herzog Albrecht bemüht, ge-
bildete evangelische Polen nach Preussen zu ziehen, um«
die heilige Schrift, evangelische Lehr- und Erbauungs-
bücher von ihnen ins Polnische übertragen zu lassen. Als
im Juni 1553 der Gorka'sche Kanzler Matthias Poley1) ii*
des Grafen Poppo von Henneberg, und vieler Edelleute traf sie am.
23. Januar 1550 in Zielenzig unfern der polnischen Grenze ein. Am.
folgenden Tage war sie in Meseritz und reiste nach Posen weiter..
Drei Tage dauerten hier die ihr zu Ehren von Gorka veranstalteten
Festlichkeiten. Am 5. Februar war sie an der preussischen Grenze
angelangt und wurde von dem greisen samländischen Bischof.
Georg von Polentz empfangen.
2) Nach Lasicius : Historiae de origine et rebus gestis fratrum.
Bohemicorum liber octavus (1570 geschrieben, 1649 von Arnos
Comenius herausgegeben) S. 241 hat Poley, der aus Schweidnitz
stammte, frühef in Böhmen gelebt, ist dann nach Polen gegangen-
und in die Dienste des Andreas Gorka getreten. Ob er 1540 vom
diesem nach Wittenberg gesandt worden ist, um Luthers Ansicht
über die böhmischen Brüder einzuholen, und 1548 dorthin die. drei
Söhne Gorkas begleitet hat, wie Lasitius berichtet, ist fraglich.
Nach der Matrikel hat er 1538 in Wittenberg studiert, und ist sein-
Sohn Christoph am 10. Mai 1554 zugleich mit dem Grafen Stanislaus
Gorka ins Album der Universität eingetragen. Ich habe ferner ge-
funden, dass er 1554 durch Trepka den Herzog Albrecht gebeten-
hat, ihn unter seine Räte aufzunehmen. Am 28. November ant-
wortet dieser ablehnend. Posen, den 17. März 1561 berichtet Poley
dem Herzog: „Gnedigster Herr, jnn Vnderthenigkeitt gebe jeh
E. F. G. hiermit zu wissen, dass der Botte, welchen E. F. G. ahn?
den Herrn von Rosenbergk abgesand gehabtt, allhier zu Posen
seinen Geist jnn grosser Gedultt aufgegeben vnd jn freiem Felde1
(dar jme des Antichristi Haiungken, dieweill ehr von Kunigsbergk
gewest vnd für einen Lutteiischen Kettzer gehalten, aufs Geweitte
nicht annehmen wolten) begraben worden." Am 25. Mai erhält er
die Antwort: Wir lesen, das vnser Diener vnd Bothe von dem.
*94 Lic- Dr- Theodor Wotschke.
Königsberg weilte und Albrecht von seiner Absicht, die
Reformation in Polen durch gute polnische Schriften
fördern zu wollen, zu ihm sprach, lenkte er des Herzogs
Aufmerksamkeit auf seinen Freund Trepka. Die Vor-
bereitungen zur Reise nach Krakau hinderten Albrecht,
-der Berufung Trepkas näher zu treten. Als er aber einige
Wochen später im August Matthias Poley bei den Hochzeits-
feierlichkeiten in Krakau wieder traf, gab er ihm den
Auftrag, seinen Freund für seine Dienste zu gewinnen.
Um nicht der Posener Gemeinde ihren Seelsorger zu ent-
ziehen, wollte er eventuell mit einem ferneren Wohnen
Trepkas in Posen einverstanden sein. Nach seiner Rückkehr
richtete Poley seinen Auftrag aus, und mit Freuden ging
Trepka auf das Anerbieten ein. Am 17. September
.schreibt er dem Herzog: „Der edle Matthias Poley, der
♦erlauchten Grafen Gorka Kanzler, hat mir bei seiner
Rückkehr aus Krakau E. F. G. Aufträge überbracht und
mitgeteilt, dass es E. F. G. gleichgiltig wäre, ob ich in
Königsberg oder Posen wohnhaft meine Dienste leiste.
Habe ich auch nichts vorzuschreiben oder zu bestimmen,
sondern einzig die Befehle E. F. G. auszuführen, so denke
ich doch das letzte, wenn E. F. G. Güte es erlaubt, vorziehen
zu müssen, nämlich dass ich in Posen lebe und hier
meine Dienste leiste. Für einen hohen Vorzug erachte
ich es, zu E. F. G. Schutzbefohlenen und Beamten zu ge-
hören, und ich möchte kein Bedenken tragen, dieses Glück
jenem vorzuziehen, welches die Königin von Saba von
der Dienerschaft König Salomos rühmt, dass sie um einen
-solchen König sein und seine Weissheit hören könne.
Weiss ich doch, dass E. F. G., die mich zu Ihren Diensten
erwählen, der vortrefflichste, weiseste und frömmste Fürst
der Christenheit ist, dessen Milch und Brust, wie der
lieben Gott auss dieser Vergengkligkeit abgefordert, auch das die
Geistlichen jnen aufs geweyhete zu begraben nicht gestadten wollen.
Vnd weil es denn der almechtige Gott mit vnserm Bothen also ge-
schickt, das er von dieser Welt abgeschieden, können wir dawider
nicht, sonder müssens seiner Almacht bevelen und hinstellen. Hören
aber gerne, das er ein selig Ende genohmen vnd hoffen, dass ime
.zu seliger Auferstehung dis Begräbniss kein hinderung thun solle/
Eostachius Trepka. 95
Prophet sagt,1) einen grossen Teil der zerstreuten, alternden
heimatlos umherirrenden Kirche ernähren. Ferner erachte
ich es für die grösste Güte, dass E. F. G. mir edelmütig
ein Jahrgeld bewilligen, und vermag ich meinen Dank
dafür nicht in Worte zu fassen. Aber ich verspreche
E. F. G. Treue, Eifer, Dienstbeflissenheit in jeder An-
gelegenheit Sollte ich einmal lässig sein und E. F. G.
Erwartung nicht entsprechen, so möge E. F. G. in Betracht
ziehen, dass ich als Mensch tausend Unfällen und Ver-
sehen unterworfen und ein armer schwacher Sohn Adams
bin. Die Aufträge E. F. G. auszuführen bin ich bereit
und erwarte E. F. G. Anordnungen. Da ich aber oft mich der
Hin- und Rückreise nach Königsberg werde unterziehen
müssen, und dies mein Jahrgeld beeinträchtigen würde,
falls mir nicht von E. F. G. weitere Vergünstigungen ge-
währt werden, so bitte ich E. F. G. inständig, mir gnädigst
zu den ioo Gulden noch 20 Gulden zuzulegen. Bei
solchem Einkommen könnte ich ohne Schaden meinerseits
mich der Reisen unterziehen. Ich hege die festeste
Hoffnung, E. F. G. werden in Ihrer ausserordentlichen
Güte und hochberühmten und allbekannten Freigebigkeit
diese Bitte mir nicht versagen. Gott der Herr, der Vater
unseres Heilandes und Erlösers, welcher den Königen
Heil gewährt und der Fürsten Beschlüsse lenkt, möge
auch über E. F. G. seine Hand breiten, sie unversehrt
und in voller Kraft seiner Kirche und dem Staate er-
halten." Schon unter dem 7. Oktober antwortet ihm der
Herzog in einem freundlichen gnädigen Handschreiben.
In der beigelegten Bestallung verpflichtet er ihn, er solle
in Posen lebend alles, was ihm zu dem Zwecke über-
geben würde, in gutes Polnisch übertragen, damit es in
Königsberg gedruckt werden könne. Zur Korrektur der
Schriften soll er in Königsberg selbst gegenwärtig sein.
Ferner soll er alle ehrenwerten Dienste in Rat und Tat leisten,
wie es einem Edelmanne und getreuen Diener gebühre,
Nutzen fördern, Schaden verhüten und, was er Wissens-
wertes erfahren, nicht verbergen. Für diesen Dienst, der
i) Vgl. Jes. 60, 16.
96 Lic. Dr. Theodor Wotschke.
beiderseits auf halbjährliche Kündigung steht, soll er
jährlich zu Michaelis 120 Gulden aus der herzoglichen
Rentkammer in Königsberg gezahlt erhalten. Weiter ver-
sichert ihm der Herzog, dass er gern das Jahrgeld er-
höht habe, damit er ohne Einbusse nach Königsberg*
reisen könne. „Haben wir die Treue, den Eifer, die
Sorgfalt unser Diener erkannt, so halten wir mit unserer
Gnade nicht zurück. Wir möchten, dass Ihr Euch hiervon
überzeugt, wie auch wir uns hinwiederum von Euch alles
Guten versichern."
Dieses Jahrgeld sicherte Trepka eine freiere un-
abhängigere Stellung, wenn er auch aus dem Dienst der
Gorka noch nicht ganz schied, und liess ihn seine Kräfte
fast ganz seiner Gemeinde und seinen evangelischen Lands-
leuten überhaupt widmen. Oft unternahm er Reisen i»
unserer Provinz und suchte die zerstreuten Bekenner zu
stärken und zu sammeln. Diese Tätigkeit führte ihn be-
sonders mit Stanislaus Ostrorog zusammen, der allmählich
seinen Glaubensgenossen den verstorbenen Andreas Gorka
ersetzte und der Schutzherr der Lutheraner wurde, wie
sein Bruder Jakob der Beschützer der böhmischen Brüder.
Das freundliche Einvernehmen zwischen diesen beide»
reformatorischen Kirchen war einer Verstimmung ge-
wichen, und diese verschärfte sich von Jahr zu Jahr. Es.
kam zu offnen Zwistigkeiten und, um eine Verständigung*
anzubahnen, sandte deshalb Stanislaus Ostrorog im Au-
gust 1554 Trepka zu Herzog Albrecht1), in dessen Lande
Lutheraner und Brüder friedlich zusammen wohnten.
Zugleich sollte er in Königsberg auch Rat und Hülfe
gegen den Italiener Francesco Stancaro erbitten, der mit
seiner christologischen Häresie, mit seinen Schmähungen
und Verdächtigungen Melanchthons2), gegen den er von
Scharfenort aus schrieb, die lutherische Kirche aufs tiefste
beunruhigte und indirekt den Übergang vieler polnischer
Magnaten zu den böhmischen Brüdern veranlasste.
*) Der Credenzbrief ist Grätz, den 5. August datiert.
2) Vergleiche Melanchthons Brief an den Pfarrer von Schwiebus
vom 16. April 1554. Corp. Refor. Vm, 6.267.
Eustachius Trepka. 97
Als Trepka im September nach Posen zurückkehrte,
traf er noch rechtzeitig ein, um am 18. September des
Bischofs Izbinski erfolgloses Ketzergericht an Paul Organista,
dem Apotheker Jakob und der Nonne Praxeda mit
anzusehen. Er schreibt hierüber noch an demselben
Tage nach Königsberg: „Als heute einige Posener Bürger
vom Posener Bischöfe schädlicher Ketzerei schuldig
erkannt und dem weltlichen Gerichte überwiesen wurden
und sie schon ihr Vermögen, ihren guten Namen, ihr
Leben zu verlieren glaubten, sind sie von vielen Grafen,
Baronen, Senatoren und Adligen fast mit Gewalt befreit
worden. Viel wurde gegen den Bischof und in sata-
nicissimum carnalium ordinem mit grösstem Freimut ge-
sprochen, und der Rechtsfall dem Reichstag überwiesen,
kurz die Grafen Gorka und Ostrorog, die vier Senatoren
und die grosse Schaar von Baronen und Edlen, die
niemand zählen konnte *), gingen aus dem ganzen Handel
als Sieger hervor. Der Edle Melchior aus Böhmen wird
E. F. G. dies alles ausführlicher erzählen, als ich es aus
Mangel an Zeit vermag*. Bezüglich seiner Mission schreibt
er: „Hier sind alle des Lobes über E. F. G. voll, weil
E. F. G. als ein christlicher und wahrhaft guter Fürst
mit höchstem Eifer für die Ehre Christi wirken und, ohne
Mühen und Kosten zu scheuen, die unglücklicher Weise
auch hier ausgebrochenen, langwierigen und durch Hass
verschärften Religionsstreitigkeiten beilegen und die aus*
fallende Sprache der Prediger zügeln. Alle flehen, es
möchte von Erfolg und Bestand sein. Auch die Unseren,
der Adel und die Bürger, welche ihre Bestrebungen
E. F. G. empfehlen, fördern kräftig die Sache der Re-
ligion/ Leider hören wir nichts Näheres über das
Friedenswerk; eine Einigung ist jedenfalls nicht erfolgt.
Als im Februar 1555 die Lutheraner eine Synode in
Posen abhielten, standen die Brüder und die wenigen
Anhänger Calvins abseits und suchten im März in Go-
1) Leider werden keine Namen genannt Wengierski lasst
nur Lukas Gorka und Stanislaus Ostrorog an dem Rettungswerke
beteiligt sein.
Zeitschrift der Hist Ges. für die Pror. Posen. Jaarf . XVIIL 7
98 Lic. Dr. Theodor Wotschkc.
luchow bei Pleschen mit den Kleinpolen zusammen zu
gehen. Und doch wäre eine Union der Evangelischen
angesichts ihrer fortgesetzten Verfolgungen von Seiten
der römischen Kirche so nötig gewesen. Am 26. De-
zember hatte Herzog Albrecht an Stanislaus Ostrorog
geschrieben und um neue Zeitungen gebeten, besonders
auch um Mitteilung, ob näheres über die Pläne der Hie-
rarchie, über deren Vorhaben in Preussen die ver-
schiedensten Gerüchte in Umlauf wären, bekannt sei.
An seiner Stelle antwortet Trepka1) und zwar erst am
13. Februar. Ich vermute, dass diese Verzögerung ihre
besondere Ursache hatte und Trepka jener Bote der
evangelischen Gemeinden unserer Provinz war, den wir
in der letzten Woche des Januar 1555 bei Melanchthon
sehen, und der dessen Rat für den Kampf gegen Francesco
Stancaro und in anderen Fragen, mit denen sich die Po-
sener Synode im Februar beschäftigen sollte, einzuholen
hatte8). Kurz vor Beginn der Synode erst zurückgekehrt,
antwortete er am 13. Februar in Ostrorogs Namen, und
diese Verschiebung hat wohl zur Folge, dass wir anstatt
der erbetenen Auskunft einen allgemeineren Bericht er-
halten. »Der erlauchte Graf Stanislaus von Ostrorog,
Kastellan von Meseritz8), hat diesen Brief an E. F. G.
i) Ende Oktober 1554 war Trepka in Scharfenort, wenigstens
zeigt ein von dort den 30. Oktober datiertes Ostrorogsches Dank-
schreiben für übersandte Falken an Albrecht seine Handschrift
Ein Brief Trepkas vom 19. Dezember 1554 nach Königsberg hat
für uns kein weiteres Interesse. Schon am 4. Mai hatte Herzog
Albrecht die Grafen Gorka um drei leichte Pferde und einen Wagen
gebeten, wie ihn die Polen bei schnellen Reisen zu gebrauchen
pflegten. Die Besorgung hatte sich verzögert, weil Lukas und
Andreas Gorka nach Lithauen gereist waren. Am 19. Dezember
erfolgte sie endlich durch Trepka im Auftrage der Gorka.
2) Von einem acervus quaestionum spricht Melanchthon in
seinem Briefe vom 28. Januar an Fabricius. Corp. Ref. VIII S. 419.
*) Castellanus Miedzirzecensis heisst es. Bis 1557 ist aber
Nikolaus Myczkowski, der seinem Bruder Stanislaus gefolgt war, Ka-
stellan von Meseritz gewesen. Das Königliche Edikt, welches nach
dem Tode des Nikolaus Myczkowski die Starostei Meseritz Stanislaus
Ostrorog überträgt, ist erst Wilna, Ostern 1557 datiert. Vielleicht
hat Trepka in der Eile Meseritz mit Birnbaum verwechselt.
Eustachius Trcpka. 99
zu schreiben mir übertragen, und ohne Pflichtverletzung
kann ich mich dieser Aufgabe nicht entziehen, teils wegen
seiner herrlichen Charaktereigenschaften, teils wegen der
Wohltaten, mit denen er uns, die wir auf j^de Weise die
reinere christliche Lehre zu fördern suchen, erfreut So-
bald als möglich werde ich den Brief durch einen eigenen
Boten E. F. G. zusenden. Hier ist der erlauchte Herr
Ostrorog voll der grössten Ergebenheit gegen E, F, G.,
in allen Versammlungen des Adels spricht er mit den
grössten Lobeserhebungen von E. F. G. und schätzt
E. F. G. höher denn die anderen Fürsten unseres Zeit-
alters. Im Notfalle ist er bereit für E. F. G. sein
Vermögen einzusetzen und sein Blut zu vergiessen, er
verdient es, dass E. F. G. ihm hinwiederum gnädiges
Wohlwollen zuwenden. Die an uns Briefe vom Hofe
sandten, hoffen, dass Kön. Majestät nach dem Osterfeste
den Reichstag zu Petrikau halten werden.1) Wollte er
uns doch einigen Nutzen bringen, bis jetzt haben wir es
durch kein Flehen erreichen können. Ich denke von
unseren Reichstagen, wie einst der Grieche Gregor von
Nazianz von den Synoden der Bischöfe, noch habe er
von ihnen niemals einen guten und erwünschten Ausgang
gesehen. Je zahlreichere und erbittertere Gegner das reine
Evangelium findet, um so kräftiger erhebt und breitet es
sich durch Gottes Gnade aus, und des Hilarius Wort be-
wahrheitet sich: „Verfolgungen schwächen nicht die Kirche,
sondern stärken sie." In diesen Tagen hat der Sohn einer
berühmten Familie, der angesehene Kanonikus Lutomirski2),
*) Am a8. April begann der Reichstag. Die evangelischen
Magnaten verlangten völlige Religionsfreiheit, im besonderen das
Recht, beliebig Geistliche anstellen zu können, die Aufhebung der
bischöflichen Jurisdiktion und ein Nationalkonzil unter dem Vorsitze
des Königs zur Schlichtung der Religionstreitigkeiten. Nach wochen-
langen Verhandlungen kam man unter dem Proteste der Bischöfe
fiberein, dass der König eine allgemeine Landessynode berufe; die
bischöfliche Jurisdiktion sollte bis dahin suspendiert und die Ein-
tracht gewahrt werden.
*) In Wittenberg, wo er (vergl. Album Akademicum Vite-
bergense S. 168) unter dem Rektorat des Professors der Medizin
7*
IOO Lic. Dr. Theodor Wotschke.
der Kön. Majestät Sekretär, dem Antichrist und seinem
Betrug für immer entsagt, dies Babel und Sodom ver-
wünscht und sich Christo und seiner Lehre von ganzem
Herzen zugewandt Ihn predigt er auch — vergebens
knirschen die Häupter der Hierarchie — freimütig und
bekennt ihn mit Worten und Schriften öffentlich vor
Königen und Magnaten. Schon wurde er auch von
Pharisäern, Sadduzäern und den übrigen Dienern des
Fleisches offen und im geheimen angegriffen, aber der
Herr, welcher seine Kirche in seinem Schifflein leitet und
in seiner Hand hält, stand ihm wunderbar bei und erhielt
ihn zum Staunen der Schwankenden unverletzt In der
Verteidigung der reinen Lehre lässt er es an Festigkeit und
Ausdauer in nichts fehlen, sondern strebt vorwärts mit
Paulus durch gute und böse Gerüchte und erfüllt seinen
Beruf. Obwohl er auf Gott vertraut und nicht auf mensch-
lichen Schutz, so wird er doch auch von diesem nicht
verlassen sein. Der erlauchte Palatin von Wilna Radziwill,
die Herren Ostrorog und sehr viele andere Senatoren
bieten ihm ihren Einfluss und Dienst für alle Fälle an.
Wir halten gegenwärtig eine Synode, um bezüglich der
Übereinstimmung in Lehre und Ceremonien in unseren
Kirchen zu beraten und flehen zu Gott, dessen Sache
es gilt, dass er uns erkennen lasse, was zu seiner
Ehre und der Kirchen Eintracht dient Unser Herr Jesus
Christus, welcher Königen und Fürsten Heil gewährt,,
möge auch E. F. G. unversehrt und im vollsten Glücke
erhalten, und wie er und der Vater eins sind, möge auch
E. F. G. mit allen den Ihrigen eines Sinnes sein.1* Seinem
Briefe legte Trepka ein Huldigungsschreiben seines
Freundes, des bekannten Posener Arztes Stanislaus Niger>
Augustin Schürf, Bruders des bekannten Rechtsgelehrten Hieronymur
Schürf, 1537 als Student inskribiert wurde, erhielt er die ersten re-
formatorischen Anregungen. Mit Trepka war er befreundet und
stand mit ihm in Briefwechsel. Als er sich später den reformierten-
Kleinpolen zuwandte, erkaltete die Freundschaft und erlosch, als
Trepka 1558 in Posen Lutomirskis Schwiegervater Joh. a Lasko ent-
gegentrat.
Eustachius Trepka. UM
bei. der eins der treusten Glieder der evangelischen
Gemeinde war1).
Schon im Jahre 1554 hatte Trepka seiner Bestallung
gemäss mit der Übertragimg evangelischer Schriften be-
gonnen. Unter den deutschen Reformatoren stand der
Schwabe Brenz dem Herzog Albrecht mit am nächsten.
Als er 1548 auf der Flucht vor den spanischen Schergen
Karls V. heimatlos umherirrte, hatte der Herzog ihm
durch den treuen Veit Dietrich in Nürnberg, Luthers
ehemaligen Famulus, eine Zufluchtsstätte in Preussen an-
geboten und ihm Winter 1550/51 sogar das Bistum Sam-
land zugesichert Gern las er in seinen Schriften, beson-
ders schätzte er die grosse Brenzsche Katechismusaus-
legung, die er auch in seine Silberbibliothek d. h. in die
Zahl der zu seinem persönlichen Gebrauch in Silber ge-
bundenen Bücher aufgenommen hatte. Und in der Tat ist
dieses Buch des Württemberger Reformators die gediegenste
Katechismuserläuterung des 16. Jahrhunderts' und noch
heute von Wert8). Ihre Übertragung ins Polnische war
Trepkas erste Aufgabe. Daneben arbeitete er aber auch
an der Herausgabe der polnischen Postille des Pinczower
Rektors Gregor Orsatius, der später leider in die Netze
des Stankarus geriet und mit seinen reichen Gaben der
evangelischen Kirche verloren ging. Im Spätsommer 1555
waren die polnischen Manuskripte fertig gestellt und nach
Königsberg gesandt; aber die Drucklegung verzögerte sich,
l) In welcher Gunst dieser Niger beim Könige stand, zeigen
zwei Eintragungen im Posener Grodbuch vom Jahre 1557, nach
denen der Konig ihn durch ein Mandat vom 15. März 1549 von
allen Abgaben befreit und durch eine Urkunde vom Sonntag Jubilate
1556 ihm ein Haus schenkt Am 21. September 1557 wurde er in
den Rat der Stadt Posen und im folgenden Jahre zum zweiten
Burgermeister gewählt Als am ai. September 1567 die Stadtwahlen
trotz aller Anstrengungen der Gegner mit einem völligen Siege der
Evangelischen endeten, ward er erster Bürgermeister. L. Cwilinski:
Leben und Schriften des Stanislaus Niger Chroscicwski, eines Posener
Humanisten und Arztes des 16. Jahrhunderts, Lemberg 1900, schweigt
von Nigers religiöser Richtung vollständig.
*) Vergleiche Wotschke: Brenz als Katechet, Wittenberg rooo.
102 Lic. Dr. Theodor Wotschke.
weil man nicht ohne den Verfasser an den Satz gehen
wollte. Im Auftrage des Herzogs schrieb deshalb unter
dem 16. Dezember ein unserem Trepka befreundeter her-
zoglicher Rat an ihn und bat ihn, möglichst bald nach
Königsberg zu kommen oder einen geeigneten tüchtigen
Stellvertreter zu senden. Das Interesse der wieder auf-
blühenden Kirche fordere, dass vor allem der Brenzsche
Katechismus möglichst schnell zur Ausgabe gelange»
Noch ehe das Schreiben in Posen eintraf, hatte Trepka
die Stadt verlassen und die Reise nach Königsberg an-
getreten1). Einige Jünglinge, unter ihnen der Sohn des
wohlhabenden evangelischen Posener Bürgers Matthias
Woliniecz2), begleiteten ihn, teils um in Königsberg zu
studieren, teils um bei der Drucklegung in der Daub-
mannschen Offizin behülflich zu sein. Wie gewöhnlich
stieg er bei seinem Freunde Seklucyan ab. Sogleich
Hess er mit dem Druck des Katechismus beginnen,
aber unerwartet sah er sich plötzlich den grössten
Anfeindungen ausgesetzt und seiner Arbeit die
verschiedensten Hindernisse in den Weg ge-
legt Fünf Jahre -spaltete bereits der unselige Osian-
dersche Streit Königsberg in zwei feindliche Heerlager
und erbittert wie in den ersten Tagen standen sich die
feindlichen Parteien gegenüber. Mit kleinlichen Waffen
wurde auf beiden Seiten gekämpft. In seinem von Herzog
Albrecht erbetenen theologischen Gutachten über Oslanders
Rechtfertigungslehre hatte Brenz sich nicht ungünstig
über seines alten Freundes Standpunkt ausgesprochen und
dadurch die erbitterste Feindschaft der Antiosiandristen
sich zugezogen. Sie verdächtigten die Orthodoxie dieses
treusten Schülers Luthers und schmähten besonders
2) Der Empfehlungsbrief des Grafen Lukas Gorka ist Posen
den 9. Dez. 1555 datiert.
*) Woliniecz war Schöffe in Posen und hat als solcher am
2. Juni 1540 neben dem Probst Jakob von Obornik im Auftrage des
Rats das Schreiben unterzeichnet, welches den der Reformation
günstig gesonnenen polnischen Prediger Stanislaus von Przebislaw
an die Pfarrkirche Maria Magdalena rief.
Eustachius Trepka. 103
seinen weit verbreiteten und viel begehrten Katechismus
ohne jede Berechtigung ein schismatisches Buch1). Es zu
unterdrücken galt in den Augen dieser Eiferer als ein
gutes Werk. Schon ehe Trepka nach Königsberg kam,
war er ihnen verhasst, als er endlich eingetroffen war,
Hessen sie ihn und seine Gehülfen bei jeder Gelegenheit
ihre Feindschaft fühlen; letztere, welche mit dem Gesinde
des Burggrafen Christoph von Kreytzen beköstigt werden
sollten, wurden geradezu aus dem Schlosse vertrieben.
Am 13. Februar 1556 sieht sich deshalb Trepka zu
folgendem Schreiben an den Herzog genötigt: „Wie un-
würdig einige von dem Beamten E. F. G. meine Schreiber,
die in der Druckerei E. F. G. dienen und bei dem Burg-
grafen freien Tisch erhalten sollten, behandelt haben, mit
wie heftigen und schmähenden Reden sie mich in meiner
Abwesenheit und obwohl ich ihnen imbekannt war, ver-
folgt haben, möge E. F. G. lieber von dem vortrefflichen
Arzte Andreas Aurifaber *) vernehmen, als dass ich E. F. G.
belästige. Wenn nicht die Ausgabe des Katechismus,
welche ich betreibe, mich gehindert hätte, wäre ich selbst,
um Klage zu führen, zu E. F. G. geeilt. Ich wundere mich,
dass hier einige uns, die wir in E. F. G. Dienst stehen
und gegen E. F. G. voll Ergebenheit und Treue sind, mit
solchem Hasse begegnen. Sobald E. F. G. befehlen, werde
ich an die Ausgabe der Postille herantreten, und wenn
es E. F. G. gefällt, mich an die Bibelübersetzung machen.
Wenn ich nur einen deutschen Gelehrten zum Mitarbeiter
hätte, könnte sie über Erwarten schnell erscheinen."
Seinem Briefe, der wohl einen Tag liegen geblieben
ist, legt er ein Probeexemplar der Postille bei und
gibt ihm den Nachtrag: „Das Format der Postille
und ihre ersten Exemplare sah bereits der vortreffliche
*) VergL Wotschke, Brenz als Katechet S. 61 ff.
2) Andreas Aurifaber, Herzog Albrechts einflussreicher Leib-
arzt und Professor der Medizin, war der entschiedenste Anhänger
Oslanders, dessen Tochter Agnes er in zweiter Ehe zur Frau hatte.
Dezember 1559 sollte er in politischer Mission zum Könige Sigismund
August nach Wilna reisen, als er plötzlich starb.
I<H Lic. Dr. Theodor Wotschke.
Doktor Aurifaber. Ihren Druck werde ich fortsetzen,
wenn es E. F. G. befehlen. Ich wohne und habe die
Beköstigung bei Seklucyan und lebe sehr einfach, um
nicht E. F. G. grosse Kosten zu verursachen. Deshalb ist
es mir sehr unangenehm, dass meine Gehülfen auf dem
Schlosse schlecht behandelt und vertrieben jetzt am Tische
Seklucyans speisen, welcher bereits ohne Mittel ist und
um Ersatz für den täglichen Aufwand bittet"
Schon am 16. Februar antwortet der Herzog mit
dem Ausdruck des Bedauerns über die Anfeindungen,
den Burggrafen habe er bereits angewiesen, 20 oder 30
Mark an Seklucyan zu zahlen. In Bezug auf die Postille
schreibt er: „Das gesandte Probeexemplar hat uns ge-
fallen, wenigstens was den Druck (caracteres) betrifft, das
Papier scheint uns aber zu schmal gewählt zu sein.
Beim Zusammenbinden und Beschneiden der Blätter zur
Quartform seitens des Buchbinders ist kaum ein finger-
breiter Rand geblieben. Entweder muss das Papier etwas
länger und breiter gewählt werden, oder falls solches in
grösserem Format nicht zu haben ist, müssen einige
Zeilen entfernt werden. Aber über dieses und anderes
nächstens mündlich das weitere."
Das Interesse des Herzogs für die Postille, wohl auch
die Machenschaften der Antiosiandristen bewirkten, dass
der erst bis zur Hälfte gediehene Druck des Brenzschen
Katechismus unterbrochen wurde l) und die Postille an
erster Stelle zur Ausgabe gelangte. Leider scheint sie
heut bis auf das letzte Exemplar verschollen zu sein;
meine Anfragen bei den verschiedensten Bibliotheken
waren erfolglos, und die Bibliographien geben auch keine
sicheren Nachrichten. Nach der Vorrede des bekannten
Thorner Pfarrers und gründlichen Kenners der evangelisch-
*) Am 25. April schreibt Seklucyan in dem Brief, den er
anlässlich der Zurückstellung seiner Postille an den Herzog ge-
richtet hat: 111»« v» Cels.d° nollam trahens rationem neque laborum
meorum neque sumptuum neque senectutis et meritis meis iussit
obici alium nescio qualem librum concionum et prelo exprimendum
priori Hbro catechismi Brentii nondum ad mediam partem absoluta,
Eustachius Trepka. 105
polnischen Literatur Oloff zur Dombrowskischen Postille
(Leipzig 1728) muss sie auf dem Titelblatt oder in der
Vorrede neben Ostaphus Trepka seinen jüngeren Mit-
arbeiter und Posener Freund Sebastian Woliniecz als
Herausgeber genannt haben.
Sogleich nach der Postille erfolgte der weitere Druck
des polnischen Brenzschen Katechismus; bereits am 3. Juni
kann der Herzog Albrecht seine Fertigstellung nach
Württemberg melden *). Er ist in Quartformat erschienen
und trägt den Titel: (Btoedpfimw | Äfo xtft pipelna nrmha |
«jrjesriaiteha prjes JANA BREN | CIVSZA | ptsma JOro-
xochxtqo ApoM | fktego {nieftona^ htonj mojeff bobqc mala
Cublia | nafmaf* Äboroxim io mffgsiho m fobte bofia \ izqpm
jaunera, co xtfi aoxqoxvtwx w | panshtm fbrute qlowitkowx \
nrfebjwc potx\eba%
DrwJtoroano xo firoleruru JOrughim | prje * Sana Daabmana»
Äohu | JOanshtrgo MDLVI. Die Ostaphi Trepka unterzeich-
nete Vorrede ist Königsberg, Himmelfahrt 1556 datiert; ge-
widmet ist die Übersetzung dem Herzog Albrecht. Die
Vorrede und der vorgedruckte kleine Brenzsche Kate-
chismus sind unpaginiert, der grosse zählt CCCXCV Blätter.
So lange Trepka in Königsberg weilte, vermittelte er
auch die Korrespondenz und alle Verhandlungen zwischen
Albrecht und Stanislaus Ostrorog. Aus Grätz schreibt
letzterer am 31. März 1556: „Das Weitere übermittle ich
meinem treuen Freunde Herrn Eustach Trepka, welcher
in meinem Namen mit E. F. G. hierüber konferieren wird",
*) J. Voigt: Briefwechsel der berühmtesten Gelehrten des Zeit-
alters der Reformation mit Herzog Albrecht Königsberg 1841 S. 56.
*) „Catechismus d. i. vollständige christliche Lehre durch Joh.
Brenz aus den prophetischen und apostolischen Schriften zusammen
getragen, welche man kleine Bibel nennen kann. Denn sie enthält
alles, was einem im Worte Gottes lebenden Menschen zu wissen
nötig ist.44 Die Übersetzungen dieses ursprünglich lateinisch ge-
schriebenen Katechismus ins Mittel- und Niederdeutsche, ins Nieder-
landische, Italienische und Französische habe ich in meiner Licentiaten-
schrift »»Brenz als Katechet" Wittenberg 1899 S. 22 ff. namhaft ge-
macht Die polnische Übersetzung war mir damals entgangen.
IOÖ Lic. Dr. Theodor Wotschke.
und in seiner Antwort vom 14. April verweist auch
Albrecht auf die Trepka mündlich gegebene Erklärung.
Endlich konnte Trepka heimkehren; drei oder vier
grosse Frachtwagen seiner Bücher brachte er zum Verkauf
nach Posen mit sich und hier, wo man sie längst erwartet
hatte, wo man ihre Gediegenheit durch ihren Heraus-
geber gewährleistet wusste, fanden sie reissenden Absatz;
bald waren sie vergriffen, ohne dass auch nur im
entferntesten die Nachfrage gedeckt war, und Trepka
musste um eine weitere und grössere Sendung die
Daubmannsche Druckerei ersuchen. Das Domkapitel
glaubte dieser Verbreitung evangelischer Schriften nicht
ruhig zusehen zu dürfen; in der Sitzung am 8. Juni be-
schäftigte es sich mit Trepka1), wagte aber nicht, irgend
welche Massregeln wider ihn zu ergreifen.
In den ersten Tagen des Juli hatte Trepka die
Freude, den kampfesfrohen Gegner der römischen Kirche,
den ehemaligen päpstlichen Legaten und Bischof von
Capo dlstria, Paulus Petrus Vergerius, der auf seiner
Reise nach Königsberg und Wilna zum Fürsten Nikolaus
Radziwill den Weg durch unsere Provinz nahm2), in
Posen begrüssen zu können. So gut es bei der Kürze
der Zeit möglich war, weihte er ihn in die polnischen
Verhältnisse ein, Hess sich von ihm auch zu gemeinsamer
Arbeit in Königsberg gewinnen, im besonderen zur
Übersetzung der Streitschriften, mit denen Verger von
dort aus der polnisch-katholischen Kirche entgegenzutreten
!) Acta Xu fol. a8. „De Trepka, cive Posnaniensi, qui novos
libros pestiferos cerebri sui vendere praesumit Posnaniae etc., super
quo mandata regia sunt.44 Wie mir Herr Domkapitular Dr. Jedzink
mitzuteilen die Gate hatte, findet sich in den Akten des Domkapitels
kein weiteres Protokoll über jene Sitzung.
2) Auch 1559 gelegentlich seiner zweiten Reise nach Königsberg
und Wilna hatte Verger den Weg über Posen geplant. In Gross-
Polen auf den Edelsitzen der Ostrorog, Gorka und des Raphael
Leszczynski gedachte er einen Teil des Winters zuzubringen. Da
er aber zuvor noch den Herzog von Mecklenburg besuchte, änderte
er seinen Plan und reiste über Stettin (25. Nov.), Danzig, Marien-
burg (10. Dez.) nach Königsberg.
Eustachius Trepka. 107
gedachte. Am liebsten hätte Trepka seinen neuen Freund
sogleich nach Preussen begleitet, allein die Krankheit,
dann der Tod seines Schwiegervaters hielten ihn zurück.
Während Verger schon am 11. Juli, am 34. Tage nach
seinem Aufbruch von Stuttgart, in Königsberg eintraf,
finden wir Trepka noch am 28. Juli in Posen. Durch einen
gewissen Broniowski, der in Preussen Kriegsdienste
zu nehmen gedachte, schickte er das Manuskript des
zweiten Teils der Postille, der die Predigten für die
Heiligentage enthielt, dem Herzoge. In seinem Begleit-
schreiben drückt er unter anderem seine Verwunderung
aus, dass ihm die Katechismen, welche so sehnsüchtig
erwartet und fort und fort begehrt würden, noch nicht
gesandt seien. Die Verzögerung seines Kommens bitte
er mit Rücksicht auf den Trauerfall zu entschuldigen;
bald hoffe er erledigt zu haben, was ihn noch fest halte,
und die Reise antreten zu können. Sehnsüchtig erwartete
ihn Verger in Königsberg. Durch Sabinus, der als bran-
denburgischer Gesandter auf der Rückreise von Wilna
nach Berlin einige Tage in Königsberg weilte und von dort
am 25. Juli nach Posen aufbrach1), liess Verger Trepka
bitten, seine Reise nach Preussen möglichst zu be-
schleunigen. Um den 15. August, wo wir Sabinus in
Posen begegnen, wird er seinen Auftrag ausgerichtet
haben. Näher traten sich beide Männer indessen nicht.
Sabinus der Humanist, der ohne die Gunst der Grossen
und ihre Ehrengeschenke nicht leben konnte, weilte mehr
im bischöflichen Palaste, als in Trepkas Hause. Die tiefe
Verstimmung, die sich des Posener Predigers hierüber
bemächtigte, sollte im März nächsten Jahres zu Frank-
furt a. d. Oder zum Ausbruch kommen.
In Königsberg wartete seiner ein herber Schmerz;
sein jüngerer Freund aus Posen Sebastian Woliniecz,
!) Sabinus kürzte seinen Königsberger Aufenthalt ab, um
einige Tage den Bischof Hosius in Heilsberg besuchen zu können.
Derselbe gab ihm einen Brief an seinen Posener Berichterstatter
Stephan Mikanus mit. Vergleiche Hosii Epistolae II, 1657. Sabini
Poemata. 1563 S. 189 f.
Io8 Lic. Dr. Theodor Wotschkc.
uns als Mitarbeiter bei der Herausgabe der Postille des
Orsatius bekannt, wurde mit einem anderen Polen
in einem Streite erstochen. Den näheren Hergang kennen
wir nicht; es scheinen aber die beiden nicht ganz schuld-
los an ihrem Tode gewesen zu sein. Denn obwohl
Trepka alles versuchte, um eine strenge Bestrafung der
Täter zu erwirken, auf seinen Anlass am 22. September
und sonst des öfteren Lukas Gorka in dieser Sache an
Albrecht schrieb, desgleichen am 23. September der Rat
der Stadt Posen, endlich am 24. Dezember sogar der
König1), wurden die Täter freigesprochen. Trepka Hess
aber nichts unversucht, um eine Wiederaufnahme des
Prozesses zu erreichen, und schliesslich erklärten sich
die Mörder bereit, „Vergelt" an den Vater des getöteten
Sebastian zu zahlen.
Wie wenig indessen die Trauer um den Freund
Trepkas Tätigkeit hat beeinträchtigen können, zeigt ein
Blick auf seine literarischen Arbeiten in jenen Monaten.
Im September hatte Verger seine Streitschrift: „De Gregorio
papa eius nominis primo, quem cognomento Magnum
appellant et inter praeeipuos recclesiae Romanae doctores
annumerant," fertig gestellt, und sofort übertrug sie Trepka
ins Polnische. Ich vermag allerdings kein polnisches
Exemplar dieses Buches nachzuweisen, aber in der la-
teinischen, Oktober 1556 bei Daubmann erschienenen
Ausgabe heisst es in der Ansprache an den Leser, das
Buch sei zugänglich gemacht „tarn Italis quam Germanis,.
Gallis etiam atque adeo Polonis ac Sclavis ipsis. Eam
Italice F. Niger, Germanice Jacobus Andreas Fabri, Gallice
l) Der gebeugte Vater Matthias Woliniecz reiste von Posen
nach Warschau, um durch den König eine Verurteilung der Mörder
seines Sohnes zu erreichen. In seinem Bittgesuch vom ia. Dezem-
ber 1556 giebt er eine kurze Schilderung des Vorgangs : Sebastianus
Woliniecz, filius meus, Illmo D. Principi Prussiae in libris corri-
gendis, qui Regiomonti iussu Suae 1111»** Cel«»s exeudebantur,
profitebatur ac dum ibi commoratur diutius et hospitium in civitate
habet, quattuor Germani, genus nominl nostro infestissimum, eum.
in hospitio proprio aggrediuntur et crudelem in modum confossum
trueidant una cum nobili quodam Pilieczki, qui ibidem habitavit.
Eustachius Trepka. 109
F. Hotomanus, Polonice Dominus Eustachius Trepka,
Sclavice1) vero Primus Truberus vertit, singulari pietate
atque eruditione viria.
In wie weit Trepka an des Vergerius anderer Schrift
Duae Epistolae bezw. an den den Briefen folgenden
Epigrammen und Gedichten als Mitarbeiter beteiligt ist,
lässt sich nicht genau feststellen, da überhaupt der Anteil
der verschiedenen Freunde Vergers an diesem Büchlein
im einzelnen ungewiss ist Zweifellos ist aber von Trepka
das Begleitwort an den redlichen christlichen Leser am
Schluss der beiden Briefe, welches unter dem Pseudonym
Eustathius Theophilus geschrieben ist. In der dann fol-
genden Elegie „de sacrosancti Evangelii in ditionis regis
Poloniae post revelatum Antichristum origine, progressu
et incremento" hat sein Freund Andreas Tricesius, der Ende
September mit einem Briefe Nikolaus Radziwills an Herzog
Albrecht von Wilna nach Königsberg gekommen war,
ihm ein Denkmal gesetzt in den Versen:
„Hunc sequitur merito Constantis2) nomine dictus
TREPCA meus, nitido nobilis eloquio.
Promovet hie patrio scriptis sermone libellis
Egregiae fidei dogmata pura sacrae".
In Königsberg hatte Verger ferner die schöne christ-
liche Kinderlehre des evangelischen Spaniers Juan de
Valdes ins Lateinische übersetzt und unter dem Titel
„Lac spiritualea herausgegeben; es zeugt von Trepkas
Bemühung um eine christliche Unterweisung seines Volkes,
dass er dieses wertvolle Büchlein sofort ins Polnische
übertrug3). „Upomimk, ktonj Wergerms Safnemn pemu |
*) D. i. slovenisch. Primus Trüber, der Reformator Krains,
ist bekannt als Begründer der slovenischen Literatur. Seine Bibel-
übersetzungen, Katechismen, Lehr- und Gesangbücher sind die ersten
slovenischen Druckschriften. Wie die evangelisch-polnischen Er-
bauungsbücher des 16. Jahrhunderts sind sie fast sämtlich der Ver-
folgungswut der Jesuiten zum Opfer gefallen. Kaum dass hier wie dort
einige Unica von der ehemals blühenden Literatur heut noch zeugen.
*) Nur hier wird Trepka der Vorname Constans beigelegt.
*) Einen Neudruck dieser polnischen Übersetzung Trepkas
bieten Böhmer: Instruccion *Tisttana para los mnos por Jean de Valdes.
HO Lic. Dr. Theodor Wotschke.
Äiholcuonri QsrüMontQo JOana: Mxkolnia Äabjhmla, ftrtqj^cta
m ®ltcr 9 «Pmußroicjn Woitmobtf WxizmhxtQo tc. Stpxotüx
ptertDlfemn poflal II ©hra> HL (Andenken, welches Ver-
gerius dem hohen Herrn Nikolaus, dem ersten Sohne des
durchlauchtigen Herrn Nikolaus Radziwill, Fürsten von
Olika und Nieswiei, Wojewoden von Wilna etc. gesandt
hat) Auf der Rückseite folgt dann der eigentliche Titel :
Atlieko Dtutjonm*. 01a hannunta 9 ttJ^djoroama Clpiesaan-
fbtfdf Dftateh | Im dpaale fioahUi (Geistliche Milch. Zur
Ernährung und Erziehung christlicher Kindlein zum Lobe
Gottes). Das Büchlein umfasst nur 24 unpaginierte Blätter
in klein Octav, hinten Ätyrifmol | Älesanier 3Utgq&e&g | ro
firokrcen flrnshgm, Koku pmwhtego 1556« Auf dem dritt-
und vorletzten Blatte befindet sich ein Nachwort Trepkas:
Do tego hio btt\xt qtbL ©(loplfti ©repha* In demselben heisst
es1): „So reiche und kostbare göttliche Speisen besorgt dir
Vergerius, der Mann Gottes und Diener Christi, (um dessen
willen er Vermögen und Würden verlassen hat und lieber
mit Moses arm und niedrig in der Kirche des Herrn sein
wollte, denn in gottlosen Palästen wohnen und an allen
Sachen Überfluss haben) mit grossem Bemühen und Fleiss.
Daher gebührt und ziemt es dir, ihm alle Dankbarkeit
zu erweisen und alle seine gottesfürchtigen und christlichen
Unternehmungen Gott mit innigen Bitten zu empfehlen".
Als Verger in der zweiten Hälfte des Monats Oktober
zur zweiten Reise nach Wilna zum Fürsten Radziwill
sich anschickte, verliess auch Trepka Königsberg, um
zu seiner Gemeinde zurückzukehren. Das Letzte, was
wir aus Preussen von ihm hören, ist, dass er am
14. Oktober Herzog Albrecht bestimmt, wie dem
Zborowski in Adelnau, dem Tomicki in Rogasen, dem
Joh. Krotowski in Inowrazlaw und den Brüdern Ostrorog
auch den drei Grafen Gorka Jagdfalken zu senden. In
Posen arbeitete er den Winter über fleissig an der pol-
nischen Übersetzung der Postille des Reformators von
En ocho lengnas. Bonn und London 1881 und J. Kariowicz in den
Prace filologiczne I, S. 403—33, Warschau 1886.
*) Ich citiere nach Sembrzycki S. 553.
Eustachius Trepka. III
Calenberg-Göttingen Antonius Corvinus, welche zu den
begehrtesten Erbauungsbüchern des 16. Jahrhunderts ge-
hörte und Trepka von Herzog Albrecht besonders warm
anempfohlen war. Am 17. Januar 1557 erhält er die
Aufforderung, zur Drucklegung der Obersetzung nach
Königsberg zu kommen. Allein unmöglich konnte er jetzt
Posen verlassen, wo täglich des Vergerius Ankunft zu
erwarten stand. Kursierte doch schon am 12. Dezember
in der Stadt das Gerücht, Verger werde am folgenden
Tage in Posen eintreffen1). Sein Kommen verzögerte sich;
wohl brach er bald nach dem 15. Januar von Soldau8),
wo er während des Warschauer Reichstages geweilt
hatte, auf, aber anstatt direkt nach Posen sich zu wenden,
reiste er über Warschau und Krakau. Hier, im Hause des
Kastellans von Biecz Johann Bonar, aber auch in dem drei
Meilen entfernten Jwanowice traf er mit Joh. a Lasco und
Lismanino zusammen, disputierte mit jenem, versicherte
diesen des Wohlwollens und der Unterstützung Herzog
Albrechts, setzte dann, wohl an demselben Tage, an dem Laski
und Utenhoven nach Wilna aufbrachen, also am 23. Februar
seine Reise fort und traf endlich, nachdem er noch einige
Tage in Goluchow bei Pleschen bei Raphael Leszczynski 8)
geweilt hatte, in Posen ein. Im Palaste der Gorka, also
an der gottesdienstlichen Stätte der evangelischen Ge-
l) Der Arzt Stephan Micanus schreibt aus Posen an Hosius
am 12. Dez.: „Vergerium cras habebimus hie, de quo si venerit
statim R*m D°*m V«» faciam certiorem. Ep. Hosii II p. 77.
*) Die Stadt Jaldow, welche Gindely : Geschichte d. böhm.
Brüder I, 401 als den Aufenthaltsort Vergers nennt, ist mit Soldau
identisch. Wie mir der Gelehrte der Brüdergemeinde Herr Pastor
Joseph Müller mitteilte, wird im polnischen Totenbuch der
böhmischen Brüder der Ort Dzialdow genannt.
*) Raphael Leszczynski, der reichste evangelische Magnat
unserer Provinz, zu dessen Schuldnern selbst Herzog Albrecht ge-
hörte, scheint Verger. damals in seine Dienste zu ziehen versucht
und ihm Goluchow als Wohnort angeboten zu haben. 1560 schreibt
dieser nämlich an die Brüder, als er sie um Aufnahme in ihre
Unität ersuchte: „Magnificus D. Raphael Lenczewsky obtulit mihi
ante paueos annos satis luculentam conditionem". Fontes Rerum
Austriacarum 2. Abt. XIX, 255.
112 Lic. Dr. Theodor Wotschke.
meinde, dann aber auch einer Einladung Stanislaus
Ostrorogs folgend in Grätz1) versammelten sich evan-
gelische Magnaten unserer Provinz, einige Geistliche und
die vornehmsten Gemeindeglieder, unter ihnen der Arzt
Stanislaus Niger, um mit dem gewandten, weitschauenden
Italiener über den Ausbau der Kirche und einer Union
mit den böhmischen Brüdern zu beraten. Aufs wärmste
empfahl Vergerius eine Verbindung mit diesen, die er im
vergangenen Dezember und Januar in Soldau kennen
und schätzen gelernt hatte und deren Glaubensbekenntnis
er auch in Tübingen neu herauszugeben gedachte, ohne
indessen bei den Lutheranern grossen Anklang zu finden.
Aber ebenso entschieden sprach er sich auch gegen die
dogmatische Richtung der Kleinpolen, im besonderen gegen
die ihres gegenwärtigen geistigen Führers Joh. a Lasko
aus2). Da er wusste, dass nichts so sehr eint als tätige
*) In Grätz arbeitete Trepka mit Lutomirski, der in den fol-
genden Wochen in unserer Provinz für eine zu gründende evan-
gelische Schule und für den geächteten Lismanino kollektierte,
einige Religionsartikel aus. Stephan Mikanus schreibt Posen den
23. Mai an Hosius: „Articulos novatorum in hac praeterita quadra-
gesima consutos in oppido magnifici Stanislai Ostrorog nomine
Grodzysko Rev01*« D«" Vr*e mitto videndos. Interfuit his consuendis
et Lutomyrski et Trepka, sicut didici. Hoc tempore habitat Trepka
Regiomonte nescio quid in S. Paulum ruminans non contentus
prioribus, quorum plaustra huc allata fuerunt". Hosii Epist. II,
Nro. 1765.
*) In seiner warm geschriebenen Biographie des Joh. a Lasko
spricht Dalton S. 522 ff. von einer unterminierenden gefährlichen
Tätigkeit des Verger in Polen. Die objektive Geschichtsschreibung,
die Licht und Schatten bei dem Polen Laski wie bei dem Italiener
Verger wahrnimmt, muss anders urteilen. Wer unterminiert? Dert
welcher wie Laski ernten will, wo er nicht gesäet hat, eine dreissig-
jährige reformatorische Entwicklung seinen eigenen theologischen
Anschauungen zu lieb in andere Bahnen zu zwängen versucht und
den Führer der Gegner Stanislaus Ostrorog von seinen Freunden
mit Bekehrungsbriefen überschüttet werden lässt, oder der, welcher
wie Verger die bisherige gedeihliche Entwicklung der Reformation
in Polen in ihrer alten Richtlinie weiter zu fördern unternimmt?
Eins hat Lasko erreicht; die anfänglich durch Vermittlung der
Krakauer deutschen Bürger von den Strassburger Theologen Hedio
und Bucer beeinflussten Kleinpolen haben sich nicht den Witten-
Eustachius Trepka. 113
Liebe, und gegenseitiges Dienen die Gegensätze mildert
und endlich aufhebt, interessierte er die lutherischen
Magnaten für den Märtyrer der Brüdergemeinde, ihren
Senior Augusta, der nun schon neun Jahre in schwerer
Kerkerhaft schmachtete, und bewog die Gorka und
Stanislaus Ostrorog zugleich mit einigen Herren vom
polnischen Brüderadel, einen Gesandten an seinen
Herzog Christoph von Württemberg abzuordern, damit er
sich für den armen Augusta bei dem böhmischen Könige
verwende. Noch für einen anderen Plan gewann er die
Grossen -in -Posen. Wie schon dem Fürsten Nikolaus
Radziwill in Wilna stellte er ihnen vor, welchen Vorteil
es für die Reformation in Polen bedeuten, und welche
Aussicht auf Gewinnung des Königs sich eröffnen würde,
falls eine offizielle Gesandtschaft der deutschen evangelischen
Fürsten bei Sigismund August für das Evangelium ein-
treten würde. Er scheint hierbei die Nebenabsicht gehabt
zu haben, die polnisch-evangelische Kirche fest mit der
deutschen lutherischen zu verbinden, auch an sich als
künftigen Gesandten mag er im stillen gedacht haben.
Denn der unermüdliche Mann, den ein rastloser Taten-
drang erfüllte, kannte nichts Schöneres, als von einem
Unternehmen zum andern zu eilen. Auch diesem Vor-
schlage stimmten die Magnaten bei und beschlossen durch
Vergerius Herzog Christoph und Pfalzgraf Ottheinrich zu
bitten, die Initiative zu ergreifen1). Um eine Kirchen-
bergern, sondern in den Jahren 1556 und 1557 endgültig den
Schweizern zugewandt. Ob dies aber von Segen für die refor-
matorische Kirche in Polen gewesen ist?
*) Leider fehlt folgendes wichtiges Akten-Faszikel, welches
zweifellos auch über die Posener Verhandlung Auf schluss geben würde,
schon seit vielen Jahren im Stuttgarter Königl. Staatsarchiv: „Schriften,
betreffend die ev. Lehre in Polen; wie mehrere polnische Herren,
insonderheit Fürst Radziwill auf Anleitung des Vergerius an Pfalz-
graf Ottheinrich und Herzog Christoph geschrieben und gebeten,
eine Legation an den König von Polen abzufertigen, damit er die
Augsb. Confession in seinem Reiche gestatten möchte, welches nach
gehabten Deliberationen beide Fürsten bewilligt und neben andern
auch den Vergerius dahin zu schicken vorgeschlagen, womit sichs
jedoch wegen allerhand Hindernisse verzogen, bis inmittelst ein
Zeitschrift der Hist. Ges. for die Prov. Posen. Jahrg. XVIII. 8
114 Lic- Dr- Theodor Wotschke.
Ordnung zu entwerfen, konnte der Polemiker Vergerius
sich selbst nicht für geeignet halten; nach langen Ver-
handlungen kam man endlich überein, Melanchthon nach
Polen einzuladen und Um zu bitten, wenigstens für kurze
Zeit nach Posen zu kommen und seine Kraft der polnisch-
evangelischen Kirche zu widmen. Trepka ward die
Aufgabe, die Einladung seinem verehrten alten Lehrer
zu überbringen. Mit Vergerius reiste er ab *), in Meseritz
begrüssten sie die evangelischen Seelsorger der Stadt
Martin Fechner und den schon halb blinden Gurge (Georg
Träger), dann ging es über Frankfurt, wo sie Melanchthons
Schwiegersohn Sabinus wiedertrafen und aus Unwillen
über seinen fortgesetzten Verkehr mit den Gegnern der
Reformation seine Differenz mit dem Senate der Königs-
berger Universität zur Sprache gebracht zu haben scheinen ^
nach Wittenberg. Trepka übermittelte Melanchthon die
Wünsche und Bitten der Posener Lutheraner. Wie hatten
Calvinist Laski eingedrungen und endlich die Sache auf einen
Reichstag verschoben worden 1556/59 Nro. 1—78". Aber durch
andere Nachrichten wissen wir, dass im April 1557, als noch der
Brüderbote Rokyta in Stuttgart weilte, die Sendung einer Gesandt-
schaft tatsachlich beschlossen und Vergerius, der auf seiner Rück-
reise nach Württemberg verschiedene Fürstenhöfe besucht und für
die Gesandtschaft Stimmung gemacht hatte, für sie in Aussicht
genommen wurde. Am 28. Dez. 1557 schreibt er von Tübingen
nach Posen an Rokyta: Bellum Livonicum impedivit, quominus venerim
cum legatione, cui te praesente destinabar. Principes adhuc sunt in
eadem sententia et credo eos missuros. AHein im folgenden Jahre
zerschlug sich der Plan infolge der Bedenken Maximilians von
Böhmen. Vergl. Schott und Kausler : Briefwechsel zwischen Christoph
von Württemberg und Vergerius. Tübingen 1875, 160 ff.
*) Wahrscheinlich am 12. März; wenigstens ist ein dem Herzog
Christoph am 19. April eingehändigtes Schreiben des Grafen Lukas
Gorka Posen, den 12. März datiert, und es ist fast selbstverständlich,
Vergerius als den Überbringer des Briefes anzusehen. Der Posener
Brüdergeistliche Rokyta, welcher das Bittgesuch der polnischen
Magnaten für den Senior Augusta Herzog Christoph überbrachte,
reiste über Prerau in Mähren, da er noch Aufträge des Seniors
Johann Cerny (Nigranus) einzuholen hatte.
*) Vergl. Toppen: die Gründung der Universität zu Königs-
berg 1844 S. 288.
Eustachius Trepka. 115
sich die Verhältnisse in den letzten 20 Jahren geändert,.
seitdem Krzycki, wie Cochläus schreibt, „durch grosse
Versprechungen, Geschenke und Briefe voll Schmeichel-
worten* Melanchthon nach Plozk und Gnesen zu locker*
versucht hatte! Als evangelischer Theologe erhielt er von
evangelischen Edelleuten die ehrenvolle Einladung, dorthia
zur Organisation der evangelischen Kirche zu kommen,
wohin ihn als Verleugner seiner Überzeugung einst der
römische Bischof zu führen gedacht hatte. Wir können
es verstehen, dass der alternde durch Streitigkeitea
ermüdete Reformator, auf dessen Schultern ohnehin eine
übergrosse Arbeits- und Sorgenlast ruhte, den Ruf nach
Posen ablehnte1). In längeren Gesprächen entwickelte er
aber seinem früheren Schüler seine Ansichten über eine
Kirchenordnung für die polnischen Gemeinden, übergab
ihm verschiedene Bücher, die sie als Norm gebrauchen
sollten, vor allem wohl das Augsburger Bekenntnis, die
sächsische Kirchenordnung und das Examen Ordinandorum~
In einem Palmsonntag, den 20. März datierten Briefe an
die drei Grafen Gorka2), den er Trepka einhändigte, gab
er gleichfalls kurz die Richtlinien für eine reformatorische
Kirchenordnung an und verwies auf die Trepka über-
gebenen Schriften und die mündlich ihm erteilte Belehrung.
Am folgenden Tage, dem Montage in der Charwocher
trennte sich Trepka von Verger8), der die folgenden Tage
l) Noch einmal richtete in den folgenden Monaten ein evan-
gelischer Magnat unserer Provinz, der allerdings mehr zu den
böhmischen Brüdern sich hielt, Raphael Leszczynski, der Schüler
Hegendorfs, an Melanchthon die Bitte, nach Polen zu kommen.
Vergl. Lukaszewicz : Geschichte der Kirchen helv. Bekenntnisses in»
Kleinpolen, Posen 1853 S. 176. Auch auf der Brüdersynode zu Leipnik
in Mahren (27. Okt. 1558) machten die kleinpolnischen Abgeordneten:
den Vorschlag, Melanchthon zn berufen.
*) Der Brief steht ohne Adresse und unter falschem Datum
im Corpus Reformatorum Bd. IX S. 781. Richtig ediert hat ihn
Kefrzynski in der Altpreussischen Monatsschrift VI S. 273. Auch
haben ihn die Herausgeber der Briefe des Hosius, Hipler und
Zakrzewski im Anhange zum zweiten Bande abgedruckt
*) Da Ch. H. Sixt in seiner Biographie des Vergerius über
seine Rückreise aus Königsberg nichts zu berichten weiss, ihn
8«
\
Il6 Lic. Dr. Theodor Wotschke.
noch benutzte, um freilich vergebens eine Verständi-
gung zwischen Melanchthon und Flacius herbeizuführen,
und reiste nach Posen zurück. Nachdem er an die
Grafen Gorka Melanchtons Aufträge ausgerichtet hatte,
eilte er nach Scharfenort zu Stanislaus Ostrorog und
von dort nach Königsberg, um endlich dem Rufe Herzog
Albrechts Folge zu leisten1). In der zweiten Hälfte des
Monats April und im Mai erfolgte der Druck des zweiten
Bandes der Postille des Orsatius sowie der von Trepka
selbst verfassten Streitschrift gegen die römische Kirche,
-fiftqsht o tgm |"h|b | ro;t(ü> poqqttk sloroo boje | a ktora | teft
nego powaptosc j tt$ o tgm iaho o | paptejadj o ©ijcodj
«roteitjdj | tj o con | ctliurij öfterjtc mamtj | rjecftj | ttjdj qafonu
barfopotr | jebnr | ftlpjfij ieß prjtjban | poqetlj©okbrorofir>friola
a | jborn bojtgo | oh pocjqthu | striata | aöjbo ttjdj | qasoni
(Bücher, woher das Wort Gottes seinen Anfang nahm
und welches sein Wert ist, auch was wir von den Päpsten,
heiligen Vätern und Conzilien halten sollen, Dinge, die dieser
Zeit not tun. Auch ist eine Aufzählung von Doktoren der
Kirche und Gemeinde Gottes von Anfang der Welt bis heute
hinzugefügt.) Gedruckt in Quart, alphabetische Paginierung
bis Xiiij; hinten Ba rofhajamm a | nahlabem 3ego. Wieset
üitqt | da flntfjktego ©Jlaplfg ®repha prjelojtl | A San
Daubmanmctsnal wfirolewaiiprufktm toua ?&]. ÄatpxMDLVII.
{Auf Befehl und Kosten Sr. Gnaden des preussischen
Fürsten herausgegeben von Ostaphus Trepka, gedruckt
bei Daubmann in Königsberg am 22. Mai 1557). Das
Buch ist „dem edlen und hochmächtigen Herrn Lukas
von Gorka" gewidmet. Ende Juni kehrte Trepka nach
Posen zurück. Seine Schrift, von der er viele hundert
Exemplare verkaufte, eins dem Bischof Hosius über-
Seite 419 auch schon Mitte Januar in Stuttgart eintreffen lässt, auch
Schott und Kausler: „Briefwechsel Herzog Christophs mit Verger"
das Datum seiner Rückkehr nicht kennen, bemerke ich, dass Verger
am 18. oder 19. April in Stuttgart eingetroffen sein muss; am letzteren
Tage überreichte er nämlich dem Herzofe Christoph die Briefe des
Grafen Lukas Gorka und Stanislaus Ostrorog.
!) Der Empfehlungsbrief des Stanislaus Ostrorog für Trepka
anöden Herzog ist Ostrorog (Scharfenort), den 12. April 1557 datiert
Eustachins Trepka. II 7
sandte, machte ungeheures Aufsehen in der Stadt wie in
der ganzen Provinz. Wie der ermländische Bischof am
21. Juni dem Königl. Sekretär Stanislaus Karnkowski
schreibt1), ist es die Tendenz des Buches nachzuweisen,
dass bis zur Reformation die Polen überhaupt keine
Christen gewesen seien, und seit 600 Jahren die polnische
Kirche nur eine Summe äusserlicher leerer Formen ge-
wesen sei. In der Beweisführung zeigt sich Trepka als
scharfer Denker von einem reichen dogmengeschichtlichen
Wissen und als Polemiker deckt er rückhaltlos die Schäden
auf, an denen das römische Kirchenwesen krankte.
Nur kurze Zeit währte diesmal sein Posener Auf-
enthalt; die Ausgabe der polnischen Postille des Corvinus
erheischte seine Gegenwart in Königsberg2). Dort schreibt
er am 14. August, an dem Tage, da Chrysostomus aus
seinem Bistum Constantinopel vertrieben ward und starb,
die Vorrede zu dem Buche, das er seinem Gönner „dem
hochedlen Herrn Stanislaus Ostrorog, Castellan von
Meseritz," widmete. JHrrofja qestf JCtofKll* | Co tefl fiajama
na Gptftoü) | SSToittzQo JOarola j Äntomego ©oruhta m\xtta [
hto I ra ma btjc ipt}Vbana bo VOioxty qzm prjefcttm j
Ärfarhif|o | was ^(KUe nuftmoneif 9 ipt}tio\ontxj | (Erster
Teil der Postille, nämlich Predigten über die Episteln des
heiligen Paulus von Antonius Corvinus, welcher dem
anderen Teil, der vorher aus der Postille des Orsacius ge-
fertigt und ausgelegt ist, hinzugefügt werden soll). Dra>
komtmo td firokrocu flrttfhtm prfts | 3aaa JDcmbmcma Koka
Pmwktcgo | 1557. Fol. CCXI Blätter.
Im Herbste 1557 wollte Laski, um die Lutheraner
zu sich herüberzuziehen, in unserer Provinz ein Colloquium
halten. Schon auf der Versammlung zu Wlodzislaw am
l) Stanislai Hosii epistolae Xu Nro. 1785.
*) Der gelehrte Bachdrucker Bernhard Wojewodka schreibt am
25. März 1547 an Herzog Albrecht, dass er die Übersetzung der
Postille des Corvinus abgeschlossen habe. Hat nun Trepka eine
neue Übersetzung geliefert oder die des Wojewodka herausgegeben?
Leider nennt Wojewodka in seinem Briefe nicht den Vornamen des.
Corvinus. Sollte er vielleicht ein Buch des Krakauer Predigers.
W. Corvin Neoforensis übersetzt haben?
Il8 Lic. Dr. Theodor Wotschke.
17. Juni ward es geplant, auf der Synode zu Pinczow
am 16. August weiter erwogen und Goluchow bei Pleschen
als Ort der Zusammenkunft in Aussicht genommen; noch
Tron dieser Synode aus schrieb Laski an Stanislaus Ostrorog,
um ihn zu dem Colloquium einzuladen. Herzog Albrecht
befürchtete eine Schädigung der lutherischen Kirche und
.•suchte die polnischen Magnaten in ihrem Luthertum zu
stärken und an dem Augsburger Bekenntnis fest zu halten.
Trepka ward die Aufgabe, die Mission auszurichten. Am
30. November schreibt er seinem herzoglichen Herrn:
„Mit welcher Sorgfalt ich die Aufträge E. F. G. ausgeführt
und der mir übertragenen Mission nachgekommen bin,
brauche ich nicht zu erwähnen, da ich hierüber bereits
E. F. G. Leibarzt Andrea Aurifaber berichtet habe, welcher
zweifellos E. F. G. hiervon in Kenntnis gesetzt haben
wird. Die erlauchten und edlen Magnaten, welche der
Augsburger Confession zugetan sind, haben mit der ge-
ziemenden Ehrerbietung E. F. G. Ermahnung gehört und
ihr zu gehorchen zugesagt. Auch zur Verbreitung und
zum Verkauf der Bücher versprechen sie E. F. G. ihre
Dienste. Dass Daubmann die Bücher solange in seiner
Druckerei behält und um ihre Verbreitung sich nicht
müht, wundert mich sehr. Hier verlangen viele sehn-
süchtig nach ihnen ; Reussen und das Krakauer Land be-
gehren Postillen und Katechismen, welche bis jetzt dort-
hin noch nicht gelangt sind.
Dass ich bis dahin nach Königsberg noch nicht
zurückgekehrt bin, bitte ich nicht als Nachlässigkeit zu
erklären, sondern meinem kränklichen Befinden zuzuschrei-
ben. So sehr hat mich dieses geschwächt und fühle ich
mich angegriffen, dass ich das Haus nicht verlasse und
beständig mit Ärzten zu tun habe und Arzneien gebrauche.
Möge E. F. G. mir aus diesem Grunde Ihr Wohlwollen
nicht entziehen, sondern Ihre Gnade mir auch fernerhin
bewahren und mich zu Ihren treuesten und ergebensten
Dienern zählen. Niemals werde ich die Erwartung E. F. G.
täuschen, wenn auch vielleicht von Missgünstigen Übles
über mich berichtet wird; nie werde ich meinen Neidern
!
Eustachius Trepka. 119
in Treue und Aufrichtigkeit gegen E. F. G. nachstehen.
Sobald ich durch Gottes Gnade wiederhergestellt sein
werde, werde ich nicht versäumen, zu E. F. G. zu eilen
und mich der Übersetzung widmen, welche E. F. G be-
stimmen werden. Eine Übersetzung der heiligen Schrift
würde E. F. G. den höchsten Ruhm und nicht geringen
Vorteil bringen; wider Erwarten schnell könnte sie fertig
gestellt und gedruckt werden, falls ich nur einen gelehrten
Mitarbeiter hätte. Aber ich dränge meine Ansicht nicht
auf, sondern unterwerfe mich dem Urteil und dem Auf-
trage E. F. G. und der Königsberger Universität. Caprinus1)
I *) Über diesen Posener Magister der freien Künste und Freund
1 Trepkas habe ich in der Literatur nirgends eine Nachricht gefunden,
es liegt mir aber sein allerdings fast inhaltsloser Briefwechsel mit
Herzog Albrecht vor. Gewiss ist er wie Gregorius Paulus Lehrer
an der Pfarrschule von Maria Magdalena oder an dem Lubranski'schen
Gymnasium gewesen, das erst seit 1562 eine Statte der Gegen-
reformation wurde. Als Trepka Ende März 1558 nach Königsberg
ging, empfahl Caprinus sich und seine Studien dem Herzog Albrecht
und bat um eine Unterstützung. Durch Trepka erhielt er (das
1 herzogliche Schreiben ist Königsberg, den aa. April datiert) 10 Gulden
überwiesen. Am 8. April des folgenden Jahres sendet er von Posen
i dem Herzog sein polnisch geschriebenes Buch Prognosis, meldet
ihm seinen Entschluss, seiner Studien wegen nach Italien reisen zu
wollen, und bittet um Empfehlungen an fromme und gelehrte
Manner. Als am 5. Mai Georg Sabinus im Auftrage des Kurfürsten
von Brandenburg über Posen nach Königsberg reiste, benutzte Caprinus
die Gelegenheit, eine erneute Bitte an den Herzog zu richten. Am
27. Mai antwortet ihm dieser, er habe ihm als Reisestipendium
50 Taler bewilligt, welche er von dem Thorner Kaufmann Bernhard
Bolmann sich könne auszahlen lassen; Gelehrte der freien Künste
in Italien aber, denen er ihn empfehlen könne, seien ihm nicht
bekannt Er möge ihm die nennen, an welche er Empfehlungsbriefe
haben möchte. Anfang des Jahres 1560 muss Caprinus geklagt
haben, dass ihm das bewilligte Geld noch nicht ausgezahlt sei; denn
am 28. Februar drückt ihm Albrecht deshalb sein Bedauern aus, er
habe an Bolmann eine neue Anweisung geschickt und sende ihm
zur Reise nach Italien, zur Fortsetzung und Vollendung seiner
Studien seine Glückwünsche.
Nachtrag: Nach der Frankfurter Universitätsmatrikel (Publi-
kationen aus den Staatsarchiven Bd. 32) S. 113 stammte Caprinus
aus Buk. Er studierte in Krakau, erwarb dort die Magisterwürde
und wandte sich dann nach Frankfurt a. d. Oder, wo er im Sommer-
.
120 Lic. Dr. Theodor Wotschke.
hatte an £. F. G. seine Prognostika gesandt, an ihrer
Übergabe zweifelt er nicht und bittet, dass ihm einige
schon gedruckte Exemplare derselben geschickt werden
und E. F. G. seine Arbeit gnädig beachten. Der edle
Herr Stanislaus Ostrorog entbietet E. F. G. seinen freu-
digsten Gehorsam und verspricht jeden Dienst bei jed-
weder Gelegenheit und bittet, seiner mit Wohlwollen und
Güte zu gedenken. In der Förderung der Religion ist
er eifrig und voll Ausdauer. Die Ermahnungen E. F. G.
schätzt er hoch und lässt sich nicht von jedem Winde
der Lehre treiben. Aus der Rentkammer E. F. G. erhalte
ich noch die Hälfte meiner Besoldung, nämlich ioo Mark.
Ich bitte inständig, sie meinem Diener, den ich sende,
aushändigen zu lassen; durch Arzneikosten und sonstige
Ausgaben von allem entblösst, werde ich es als eine grosse
Wohltat betrachten. Gott, den ewigen Vater unseres
Herrn und Erlösers Jesu Christi, bitte ich von ganzem
Herzen, dass dies neue Jahr für E. F. G. glücklich und
segensreich anbreche und daraus für die Kirchen, die
Schulen und die grosse Zahl der Armen und Landes-
vertriebenen, die durch E. F. G. Güte unterhalten werden,
Segen fliesse. Posen, am Tage des heil. Andreas 1557.*
Tatsächlich ist auch die geplante Synode in Goluchow
nicht zustande gekommen. Trotz seiner Krankheit hätte
der unermüdliche und für seine kirchlichen Pläne zu
jedem Opfer bereite Laski sie wohl abgehalten, wenn
sie bei der ablehnenden Haltung der Lutheraner —
Stanislaus Ostrorog unternahm, um allem zu entgehen,
eine Badereise — nicht von vornherein aussichtslos er-
schienen wäre. Laski aber erkannte die Bedeutung des
Herzogs Albrecht für das grosspolnische Luthertum, dass
er ohne ihn dieses zu sich herüberzuziehen nicht hoffen
dürfte, und suchte nun ihn für sich und seine reformierten
Anschauungen zu gewinnen. Seinen Plan teilte er den
semester 1550 immatrikuliert wurde. Estreicher führt in seiner Biblio-
graphie XIV, 53 von ihm das Buch an: Iudicium astrologicum,
Cracoviae 1542. Laut der Krakau den 27. September 1542 datierten.
Vorrede ist es dem Bischof Samuel Maciejowski gewidmet.
Eustachius Trepka. 121
ihm befreundeten Grosspolen mit; mit Raphael Leszczynski
hatte er in Goluchow am 18. März 1558 und in den
folgenden Tagen eine persönliche Besprechung und über-
gab ihm die Bekenntnisschrift der kleinpolnischen Ge-
meinden, damit er sie in Grosspolen umlaufen Hesse und
besonders den Lutheranern zur Annahme empfehle. Am
23. März berichtet er von Konin1) aus, wo er bei seinem
Freunde, dem Pfarrer Stanislaus Lutomirski, seinem
späteren Schwiegersohne, weilte, Melanchthon von seinem
Vorhaben und bittet ihn zugleich aufs dringendste, seine
Arbeit zu unterstützen, besonders an den Meseritzer
Castellan Stanislaus Ostrorog zu schreiben; denn viel ver-
möge sein Wort bei ihm, und alle Lutheraner9) Polens
würden jenem Magnaten folgen8). Natürlich war Laskis
Unternehmen nicht verborgen geblieben, vielleicht auch, dass
direkt Einladungen zum Königsberger Colloquium ergangen
waren, kurz, in denselben Tagen, da Laski von Goluchow
aufbrach, reiste Trepka in Ostrorogs Auftrag nach
Preussen4). Über seine Beteiligung am Colloquium der
Königsberger Theologen mit Laski am 14. April und
seiner Mitarbeit an der Responsio Ministrorum in Ecclesiis
Prutenicis ad scriptum de coena Domini exhibitum ipsis
i) VergL: Dalton Lasciana, Berlin 1898 S. 361.
*) Sie standen auch nnter dem Einfluss der in den Sommer-
monaten 1557 in unserer Provinz allenthalben verbreiteten Schrift
des Hamburger Eiferers für die genuine lutherische Abendmähls-
lehre Joachim Westphal : Justa def ensio adversus insignia mendacia
Ioaunis a Lasco, quae in epistola ad Serenissimum Poloniae Regem
contra Sazonicas ecclesias spersit, cuius exemplar, ut aequus lector rei
veritatem facilius quam ex antithesi colligere possit, Westphali scripta
sub finem adiecimus. Argentorati 1557.
*) Ob Melanchthon der Bitte nachgekommen sein mag, weiss
ich nicht Für die Geschichte unserer evangelischen Provinzial-
fcirche ist es tief zu bedauern, dass von dem Briefwechsel Me-
lanchthons mit Stanislaus Ostrorog noch nichts aufgefunden bezw.
veröffentlicht worden ist Wie wir aus gleichzeitigen Nachrichten
entnehmen, behandelt er wichtige Fragen der Kirchenordnung und
unterrichtet über die weite Verbreitung des Angsburgischen Be-
kenntnisses in Polen.
4) Sein Credenzbrief ist Gratz, den 21. März datiert
122 Lic. Dr. Theodor Wotschkc.
a Reverendo et Maghifico viro D. I. a Lasco die XV
Aprilis 1558 l) habe ich nichts ermitteln können. Jeden-
falls war Trepka, als er sieben Tage nach Laski Königsberg
verliess, im Besitze dieser responsio. Ausserdem führte
er mit sich die Antwort, welche der Herzog auf die
Laskische Denkschrift über die Förderung der Re-
formation in Polen erteilt hatte. Das überreichte pol*
nische Bekenntnis, das zur weiteren Prüfung erst an
deutsche Theologen gesandt werden müsse, würde viele
neue Streitigkeiten erregen, könne auch zu dem bevor-
stehenden Reichstage noch nicht aus Deutschland zurück
sein« Das beste und allein richtige sei die Annahme der
Augsburger Confession, die von den Päpstlern oft be-
stritten, aber noch nie widerlegt sei. Er müsse dies zur
Vorbedingung weiterer Unterstützungen machen, werde
auch nur in diesem Falle seine Theologen nach Posen
zum Colloquium senden, da sonst ihre Beteiligung ganz
nutzlos wäre. Um des lieben Friedens willen und infolge
der Hochachtung und Wertschätzung, deren sich trotz
der Verschiedenheit der religiösen Anschauungen Laski
beim Herzoge erfreute, wollte dieser anfänglich seine
zurückweisende Antwort nicht in weitere Kreise dringen
lassen und befahl seinen Räten, sie geheim zu halten.
Da kam die Kunde nach Königsberg, Laski habe in
Danzig das Gerücht verbreitet, er habe mit dem Herzoge
eine Einigung erzielt und ihn für seine Sakramentslehre
gewonnen, auch Briefe dieses Inhalts an den Fürsten
Nikolaus Radziwill und den Krakauer Burggrafen Bonar
gesandt Zur Berichtigung dieses irreführenden Gerüchts
liess der Herzog jetzt Trepka ein Exemplar seiner
Antwort einhändigen, jedoch mit dem Auftrage, sie
keinem grösseren Kreise zugänglich zu machen.
*) Die angünstige Meinung, die Dalton von allen Gegnern
Laskis hegt, lftsst ihn vermuten, dass dessen Lehrschreiben über
das heilige Abendmahl von den preussischen Theologen unerwidert
und unwiderlegt geblieben sei. Die Antwort findet sich im Königs-
berger und Herrnhuter Archiv.
Enstachius Trepka. 123
Trotz des Königsberger Misserfolges gab Laski es
nicht auf, die grosspolnischen Lutheraner zur Annahme
seines Bekenntnisses zu bewegen. Vielleicht hoffte er„
durch die Überlegenheit seines Geistes die Posener Pre-
diger leichter zu seiner Ansicht zu bekehren als die
preussischen Professoren, vielleicht auch dass sein Bekennt-
nis, welches seit Ende März in unserer Provinz kursierte,.
manche Zustimmung gefunden hatte. An welchem Tage
des Mai das Colloquium in Posen gehalten wurde, verraten
die Quellen nicht; jedenfalls sah Trepka, durch Laskis
Dialektik in die Enge getrieben sich veranlasst, auf die
Responsio der preussischen Theologen und Herzog
Albrechts Antwort auf die Denkschrift zurückzugreifen,.
seinen Gegner als von den Königsberger Professoren
widerlegt und von dem Herzoge zurückgewiesen hinzu-
stellen. In mehreren Exemplaren Hess er die beiden
Schriften unter den polnisch-evangelischen Magnaten umlau-
fen. Laski sah sein Unternehmen gescheitert1) und zog
sich enttäuscht, dazu von seinem alten Leiden gequält^
nach Lenschitz zurück. Von hier schrieb er am 1. Juni
an den Herzog und beklagte sich bitter über Trepka
und sein Vorgehen. In Insterburg erreichte der Brief
den Fürsten, der darauf am 26. Juni folgendes unwillige
Schreiben an Trepka sandte: „Der hochwürdige Herr
Joh. a Lasko hat in diesen Tagen an uns geschrieben und
uns mitgeteilt, dass über 20 Exemplare unserer Antwort
auf die Denkschrift, welche er uns neulich in Königs-
berg überreicht hat, in Posen verbreitet seien. Da wir
niemandem dieses Ortes unsere Antwort übergeben haben
als dir, so vermuten wir, dass sie von dir ausgegangen sind.
Dass du in dieser Angelegenheit nicht klüger und vor-
sichtiger gehandelt hast, wundert uns sehr, zumal wir
nur unter dieser Bedingung dir ein Exemplar unserer
l) Vergcr berichtet am 5. August von Tübingen aus dem
Herzog Christoph: Ex Polonia habeo literas nempe ab ipsomet
d. Stanislao Ostrorogo, qui scribit dominum a Lascho fuisse in
maiori Polonia et fere nihil obtinuisse, tantum seruisse discordiam-
Schott und Kausler: Briefwechsel S. 181.
124 Uc- Dr. Theodor Wotschke.
Antwort eingehändigt haben, dass sie nicht weit und
breit unter die Leute komme. Du wirst dafür sorgen,
dass unsere Antwort wie die Schrift unserer Theologen
nicht noch anderen in die Hände gelangen." Dieser
herzogliche Brief kreuzte sich mit folgendem Berichte
des Posener Theologen vom 29. Juni: „E. F. G. fromme,
kluge und massvolle Antwort, welche Laski bei seinem
Fortgang aus Königsberg erhielt, haben hier alle die
Unsrigen gut geheissen, auch mit grosser Freude gelesen
und ihre Entschlüsse nach derselben gerichtet Ausserdem
billigen sie die Schrift der Theologen E. F. G., durch
welche die Argumente Laskis in der Abendmahlslehre
glücklich und einfach zurückgewiesen werden. Nichts-
destoweniger fordert Laski den Zwinglianismus und hat
in unserer Sprache ein Bekenntnis herausgegeben, das
ganz den Züricher und Genfer Geist atmet Infolgedessen
ist grössere Feindschaft, Streit und Zwietracht und Meinungs-
verschiedenheit unter unseren Pastoren und Theologen aus-
gebrochen, der Fortschritt des Evangeliumus wird gehindert,
grösseren Hass gegen das Evangelium bekunden die
Gegner, freuen sich und verachten uns* *). Und als Trepka
den herzoglichen Brief erhalten hatte, antwortete er am
6. August: »Herr von Laski wagt zu behaupten, dass
hier mehr als 20 Exemplare der Antwort verbreitet und
unter die Leute gekommen seien, während doch nur die
Bekenner der Augsburger Konfession, nämlich die Gorka,
Stanislaus Ostrorog, Kaczkowski2) und einige Diener
1) Weiterhin berichtet er im Briefe von dem Wirken des
kurbrandenburgischen Gesandten Georg Sabinus und des preussischen
geheimen Agenten Horatius Curio im Interesse der Mitbelehnung
Joachims II. mit Preussen. Vergl. hierzu Paul Karge: , Kurbrandenburg
und Polen. Die polnische Nachfolge and preassische Mitbelehnung
154S— 63*, in den Forschungen zur Brandenburgischen und Preussichen
Geschichte. XI. 8. 103 ff.
2) Es ist Kaspar Kaczkowski, Andreas Gorkas Feldhauptmann,
der treue Anhänger der Reformation, der in den Sommermonaten
1546 in unserer Provinz Hilfstruppen sammelte, um sie den deutschen
protestantischen Fürsten in ihrem Kampfe wider Karl V. zuzufahren.
Nach Andreas Gorkas Tode 1551 ward er Vormund der drei jungen
Enstachins Trepka. 125
E. F. G. sie gesehen, gelesen und mit grosser Freude
begrüsst und die Widerlegung der Sakramentslehre Laskis
gebilligt haben. Aber veröffentlicht ist sie nicht worden,
denn ich beachte aufs strengste E. F. G. Aufträge. Ent-
weder hat Herr von Laski in Hyperbeln gesprochen, oder
ich habe gegen meinen Auftrag gehandelt; in diesem Falle
entziehe ich mich keiner Strafe, im anderen bitte ich E. F. G.
füssfällig, mich nicht ohne Verhör der Unvorsichtigkeit
und des Vertrauensbruchs schuldig zu erachten. Falls
meinem Briefe nicht wie dem Laskis Glauben beigemessen
wird, will ich mich in Königsberg rechtfertigen, wenn
El F. G. es befehlen. Wohl wäre es von dem höchsten
Werte gewesen, E F. G. Antwort wie auch die Schrift
der Theologen über das heil. Abendmahl zu veröffentlichen,,
zumal hier bei uns, da einige von den Anhängern Laskis
viele zu überreden suchen, sie hätten E. F. G. als An-
hänger und Förderer ihrer Ansicht u. s. w."
Der Streit mit Laski hat Trepkas literarischer
Tätigkeit keinen Eintrag tun können. Schon im Winter
1557/58 sehen wir einige polemische Schriften des ehe-
maligen Kapuziner-Generals Bernardino Ochino in seinen
Händen, und im Sommer ist er mit ihrer Obersetzung und
Drucklegung beschäftigt Wir sind überrascht, in den
Händen des Posener Theologen die Bücher eines so
fernwohnenden Mannes zu finden. Die italienischen Ein-
flüsse beschränkten sich doch auf Kleinpolen und waren in
Posen wenig zu spüren. Ich vermutete anfänglich, dass
Trepka auch diese Schriften von den preussischen Theo-
logen empfangen habe, zumal der Königsberger Hofprediger
Funk die Obersetzung einer Predigt Ochinos der Herzogin
Grafen und Hess als solcher am 7. Juli 1553 einen Schuldbrief des
Kurfürsten von Brandenburg Joachim II. über 45000 Taler in das
Posener Stadtbuch eintragen. Ihm und seinen beiden Brüdern hat
Andreas Trzycieski in dem Ruhmeskranze, den er in seiner Elegie
den evangelischen Geschlechtern Polens geflochten, ein ehrenvolles-
Blatt gewidmet:
Atque adeo iuvenum GORCANA est quisquis in aula,
Quae semper magnis splendet adaueta bonis,
Sic et KACKOVÜ Martis tria fulmina fratres.
196 Lic. Dr. Theodor Wotschke.
Anna Maria gewidmet hat. Allein eine andere Erklärung
liegt viel näher. Seit Anfang August 1557 weilte der
ehemalige Minoritenprovinziai von Polen und Beicht-
vater der Königin Bona Francesco Lismanino in unserer
Provinz, wo er in Tomice (unfern Buk, Kreis Posen-West)
bei Johann Toraicki eine Zufluchtsstätte gefunden hatte.
Stanislaus Ostrorog bot dem um des Evangeliums willen
Geächteten auf seinen Gütern eine Wohnung an, doch
«r zog es vor, in Tomice zu bleiben1). Natürlich ist er
aber trotzdem des öfteren mit Stanislaus Ostrorog und
Trepka zusammengekommen, ja als Trepka Ende März
nach Preussen zog, nahm er einen Brief Lismaninos nach
Königsberg mit, und Ostrorog empfahl ihn der Gunst des
Herzogs. Lismanino aber stand in enger Verbindung mit
Ochino. Als er Sommer 1555 in Zürich weilte, hatte er
ihn näher kennen gelernt, Ochinos „Prediche* sollen ihn
nach einer Nachricht sogar zum endgültigen Bruche mit
.Rom geführt haben8). Nach seiner Rückkehr nach Polen
blieb er im Briefwechsel mit dem hochberühmten Italiener,
und unter dem 28. November 1555 widmete dieser ihm
sogar seinen „Dialogo dei Purgatorio." Gewiss wird Trepka
-durch Lismanino die verschiedensten Schriften Ochinos
«erhalten haben; welche unter ihnen konnte aber grösseren
Eindruck auf ihn machen als die Tragödie oder der Dialog
von der angemassten Herrschaft des Bischofs zu Rom?
„Sie ist*1, sagt der Biograph Ochinos, „eine polemische
Schrift gegen das Papsttum, so wuchtig und so in sich
geschlossen, dabei so meisterhaft in der Anlage und so
vorzüglich in der Ausführung, dass sie den hervor-
1) Vcrgl. den Brief Joh. Tomickis an Cerwenka, Tomice, den
11. September 1557 datiert, bei Gindely: Geschichte der böhmischen
Brüder I, S. 590.
2) Lismanino, der am ag. Dezember 1556 Georg Israel in Iwa-
nowice seine Bekehrungsgeschichte erzählte, erwähnt freilich Ochino
nicht. Die heimliche Lektüre der Schriften Luthers hätte ihm die
Irrlehren Roms gezeigt, noch klarer habe er sie aus Calvins In-
stitutionen erkannt, aber erst das Bekenntnis der böhmischen Brüder
habe ihn aus dem Kloster getrieben.
Eustachius Trepka. 127
ragendsten Erzeugnissen der deutschen Reformations-
literatur ebenbürtig zur Seite tritt Der Eingang des
ersten Gespräches ist dramatisch grossartig und erinnert
an Hiob und Faust Lucifer hat seine lieben treuen
Brüder in der Holle versammelt Obwohl ich weiss, redet
er sie an, dass eure Arbeit in der Welt schwierig und
wichtig ist, so habe ich euch doch hierher berufen, um
euch eine bedeutungsvolle Mitteilung zu machen. Ihr
wisst, wie Gott, unser Feind, es uns unmöglich zu machen
sucht, die Menschen zu beherrschen; ihr wisst, dass er
sogar seinen Sohn in die Welt gesandt, um unser Reich
zu zerstören. So will ich denn auch meinen Sohn in die
Welt senden, auf dass die Menschen mit List bezwungen
werden. Er soll ein neues Reich errichten, ein Reich des
Aberglaubens und des Götzendienstes, des Irrtums und
der Falschheit, kurz ein Reich, in welchem alle Schlechtig-
keiten geschehen, — und doch sollen die Christen glauben,
dass es ein geistliches Reich sei, heilig und gut" 1).
Der Druck dieser scharf polemischen Schrift brauchte
nicht mehr in Königsberg zu erfolgen. Der Böhme Au-
gezdecki, der Seklucyans spätere polnische Schriften zu
drucken pflegte und auch, wie wir sahen, Trepkas Über-
setzung der Christlichen Kinderlehre Juan de Valdes her-
ausgegeben hatte, muss Ende 1556 oder Anfang 1557
mit seiner vorzüglichen Druckerei Königsberg verlassen
haben und nach Mähren zurückgezogen sein. Sommer
1558 druckte er in Prossnitz die Erklärung der Brüder
gegen Adalbert von Pernstein. Da er aber in den Län-
dern Kaiser Ferdinands sich nicht sicher fühlte, begab
er sich noch in demselben Sommer nach Posen, wo ihn
Lucas Gorka freundlich aufnahm, ihn in seine Dienste
zog8) und in seinem Schlosse zu Samter seine Druckerei
*) K. Benrath: Bemardino Ochino von Siena. Leipzig 1875.
S. 217 ff.
*) »Typographus meus, quem in arce alui et alo hodie adhuc"
schreibt von ihm Lucas Gorka in einem Samter, Pfingsten 1561 da-
tierten Briefe an den Senior der hämischen Brüder Joh. Cerny, und
laß Lic. Dr. Theodor Wötschkc.
aufstellen lies«. Als Graf Andreas Gorka seine Hochzeit
feierte, druckte Augezdeclri am 20. Oktober hier das
Hochzeitsgedicht Die durch ihn veröffentlichte polnische
Obersetzung Trepkas hat den Titel: fimwrbhm ©kina
* £esti rntia barbp urptugo i farogo- © fttirrfdjnoirf pa-
»tfshfef trab toff^itbint toiatem kr^firimtskhm trageWa
knotodrtoibta sumM krjfsdcmshW barfcp potrfebttft papfefkie
fallt okafttfqcei t bnrjqcei petita. * Sjamütarfai^ 1558 in 801).
Gewidmet hat Trepka diese Arbeit dem Hort des Evan-
geliums In Lithauen, dem edlen Nikolaus RadziwilL
Noch eine andere Schrift Ochinos hat Trepka im
Spätsommer 1558 übersetzt, die gleichfalls Nikolaus
Radziwill gewidmet ist, die aber erst zwei Jahre nach seinem
Tode 1560 in Pinczow erschien, unter dem Titel Vroiefopr
0 Jtofttr (Tragödie von der Messe). Ich kenne das Buch
nicht, finde auch unter den Werken Ochinos keine Schrift
dieses Titels. Vermutlich hat Trepka den zweiten Teil
der Dispute di M. Bernardino Ochino da Siena intorno
alla presenza del Corpo di Giesu Christo nel Sacramento
della Cena, der sechs Abhandlungen gegen die Messe
enthält, polnisch herausgegeben. Den Sätzen, welche
Benrath S. 279 als Probe mitteilt9), entspricht ganz der
Angezdecki nennt in einer dem böhmischen Kanzional vom Jahre
1561 beigedruckten Zuschrift den Grafen seinen gnädigen Herrn
und Wohltäter, der ihn mit seinen Geholfen und seinem Gesinde
treulich versorgt habe. Wahrscheinlich 1564 nach dem Tode Kaiser
Ferdinands hat Angezdecki Samter verlassen and ist nach seiner ahen
Heimat Leitomischl zurückgekehrt
*) Bernhard Ochin von Siena, der hochgelehrte und würdige
Mann: Von der päpstlichen Herrschaft über die ganze christliche
Welt. Eine interessante Tragödie der christlichen Lehre sehr not-
wendig, um die päpstliche Lüge darzutun und zu zerstören.
Samter 1558. Ich kenne leider nur den Titel dieses Buches, das als
Unicum in der Krasinskischen Bibliothek zu Warschau sich befindet,
und vermag deshalb nicht zu sagen, ob und inwieweit Trepka die
Tragödie, die auf englische Verhältnisse im 7., 8. und 9. Gespräche
Bezug nimmt, modifiziert haben mag.
*) „Kaum ist die Messe aus satanischem Samen und aus dem
Schosse der römischen Kirche geboren, so stellt ein Astrolog ihr
Eustachius Trcpka. 129
Titel „&ratt)tya 0 JUjnj". Wahrscheinlich hat Lelio So-
zini, der Sommer 1558 von Zürich nach Polen reiste,
das Manuskript oder Buch der Abhandlung Ochinos
Lismanino und Trepka überbracht1).
Das Auftreten Laslris in Grosspolen und die Zu-
stimmung, die sein Glaubensbekenntnis selbst bei einem
Teile der Lutheraner gefunden hatte, zeigte die Notwendig-
keit eines engeren Zusammenschlusses der einzelnen
Gemeinden und einer festen Organisierung der lutherischen
Kirche; vor allem musste endlich auch bezüglich der
Ceremonien und der Formen des Gottesdienste? eine
Ordnung getroffen werden. Man erkannte die Notwendig-
keit, der Mahnung zu folgen, die Melanchthon im ver-
gangenen Jahre in seinem Briefe an die Grafen Gorka
ausgesprochen hatte: „Ich wünschte, dass fromme und
einsichtsvolle Männer bezüglich der Ceremonien sich be-
rieten und nicht anstössige oder lächerliche auswählten,
in einer und derselben Gegend keine grosse Verschieden-
heit der Riten herrschen Hessen und über ihre Bedeutung
das Volk belehrten, damit nicht die Meinung von der
Heilsnotwendigkeit der Ceremonien fortbestehe." Am 12.
und 13. September traten in Posen unter dem Vorsitz des
Stanislaus Ostrorog viele lutherische Magnaten und (20
die Nativität. Sie wird mehr einnehmen an Geld und Kostbarkeiten,
als alle Fürsten der Erde zusammengenommen, und wenn sie nicht
zahllose Faulenzer zu ernähren hätte, so würde sie bald alle Schätze
der Erde ansammeln. Sie wird den Ruhm aller andern mensch-
lichen Einrichtungen verdunkeln, ja selbst den Ruhm des Evan-
geliums und des Reiches Christi. Aber ihr Ende wird ein jämmer-
liches sein, und ihr Tod wird mit dem Untergange des ganzen
Papsttums zusammenfallen. •
x) Ich habe mich hier J. Lukaszewicz angeschlossen, der in
seiner Geschichte der reformierten Kirchen in Lithauen S. 9 Anm. 9
die Tragödie von der Messe von Trepka übersetzt und von ihm dem
Fürsten Radziwill gewidmet sein lässt Nachträglich finde ich bei
Jocher: Obraz my N 9759 den vollständigen Titel des Buches und
einen Teil der Vorrede abgedruckt Demnach ist die Übersetzung
von Lismanino herausgegeben und von diesem dem Fürsten
Radziwill gewidmet.
Zeitschrift der Hisl. Ges. für die Pror. Posen. Jahrg. XVIII. 9
130 Lic. Dr. Theodor Wotschke.
polnisch sprechende?) Pastoren zu einer Synode zusammen.
Zuerst ward über ein Glaubensbekenntnis verhandelt. Einige
Geistliche, vor allem wohl der Meseritzer Petrus Lanzki1)
und der Kurniker Martin Czechowicz, neigten sich Calvin
und Laski zu, aber den Beweisgründen der Königsberger
Theologen gegen die reformierte Abendmahlslehre, mit
weichen Trepka gegen sie argumentierte, konnten sie sich
nicht entziehen, und schliesslich ward einstimmig und
feierlich die Augsburger Konfession als Glaubensbekenntnis
angenommen. Dann schritt man zur Beratung über eine
Kirchenordnung. Man erkannte die Notwendigkeit einer
einheitlichen Form des Gottesdienstes und einer Gleich-
heit der Ceremonien in den verschiedenen Gemeinden,
und dass die neue Kirchen-Ordnung zugleich in deutscher
und polnischer Sprache herausgegeben werden müsste,
aber zu einer wirklichen Verständigung über einzelne
Fragen kam es nicht. Da lenkte Trepka das Augenmerk
der Synode auf die Kirchen-Ordnung, an welcher man
damals in Preussen arbeitete, und deren Entwurf von den
Theologen zu Wittenberg, Tübingen und Strassburg
bereits für christlich, der heiligen Schrift und der Augs-
burgischen Konfession gemäss erklärt war. Auch von
dem Segen einer engen Verbindung der grosspolnischen
Kirche mit der preussischen sprach er. Seine Aus-
führungen fanden Anklang; man beschloss, die Einführung
der preussischen Kirchen-Ordnung in Aussicht zu nehmen
und den Herzog Albrecht um Übersendung besonders
polnischer Exemplare derselben zu bitten. Nach Be-
*) Trotz seines Studiums an der lutherischen Universität
Frankfurt a. d. Oder im Jahre 1542 war Lanzki in Kleinpolcn ein
entschiedener Anhänger Calvins geworden. In Meseritz setzte ihn
noch der Starost Nicolaus Myskowski neben den beiden lutherisch
gerichteten Predigern Fcchner und Träger zum Stadtpfarrer ein.
Sein reformiertes Bekenntnis brachte ihn bald in Gegensatz zu
seiner lutherischen Gemeinde und er sah sich Anfang des Jahres
1560 veranlasst, sein Amt aufzugeben und durch Stanisiaus Ostrorogs
Vermittlung Johann Caper als seinen Nachfolger einzusetzen. Ver-
dienste hat sich Lanzki in Meseritz um die Schule erworben.
Eustachins Trepka. 131
endigung der Synode am 14. September schrieb ihr Vor-
sitzender, am folgenden Tage auch Trepka an den
Herzog 1).
Am 6. Oktober schickte er im Auftrage Ostrorogs
Herzog Albrecht einen Brief des Vergerius aus Tübingen
und berichtete über eine der Reformation freundliche
Äusserung des Krakauer Bischofs. Es sollte sein letzter
Brief sein. Schon im Herbst des vergangenen Jahres war er
fort und fort kränklich gewesen. Die vielen Reisen scheinen
seine Kräfte aufgerieben zu haben. Nachdem er einige
Tage über Schmerzen in der Seite geklagt hatte, machte
am 17. Oktober ein Schlaganfall seinem tätigen, arbeits-
reichen Leben ein Ende. Trauernd standen die Witwe
und fünf unerzogene Kinder an dem Totenbette ihres Er-
nährers, die evangelischen Bürger Posens an der Bahre
ihres treuen Pastors. In die Vorbereitungen zur Hoch-
zeitsfeier des Grafen Andreas Gorka fiel mit der Trauer-
kunde ein düsterer Schatten. Tief war der Eindruck, den
sie in der ganzen Stadt machte und den der Brief des
Niger deutlich wiederspiegelt; auf der einen Seite die
dumpfe Trauer der evangelischen Gemeinde, die sich
ihres selbstlosen, hochbegabten Predigers beraubt sah, auf
der anderen die triumphierende Freude der Gegner, die
in dem plötzlichen Tode ein Gottesurteil erblickten und
das Ende der Reformation in Posen herbeigekommen
wähnten. Am 19. Oktober erhielt Stanislaus Ostrorog in
Birnbaum die Todesnachricht. Noch an demselben Tage
schreibt er nach Königsberg und bittet den Herzog um
x) Hier sei noch mitgeteilt, dass der Protest der preussischen
Stände gegen die osiandrisch gescholtene Kirchen-Ordnung vom
Jahre 1558 und die kirchlichen Wirren inPreussen die Übertragung
der Kirchen-Ordnung ins Polnische und ihre Drucklegung verzögerten.
Erst am 14. August 1560 konnte Herzog Albrecht Stanislaus Ostrorogs
Bitte erfüllen. Das Buch, das er ihm sandte, trug den Titel: Uftawa
olbo porptf fiosttelmj, ioko fc w Xtejhvf* Vruöktm 0 noucjantetn n cere-
vumiamf, 9 0 tmtemi rjeqaml ktore ku pomnof\txda tj farijowanta nrjejm
^Laftwb^itqMeqo, n porjabhu fcobregü sotqetme jadjoroana fnotou pqeijqatnj
9 na tarofc* nny&amj. ttoku nur. flan, M. D. LX. Hinten JOrahonxmo tu
foolnoca ytauhtm u Sana JDanbmana lt. P- 1560.
9*
132 Lic. Dr. Theodor Wotschke.
Aufträge, falls er aus dem Nachlass Trepkas etwaige
Geheimpapiere zurück haben wolle1), dann eilt er zum
Begräbnis nach Posen. Gern hätten die Grafen Gorka
ihren heimgegangenen Lehrer und Seelsorger in ihrer
Familiengruft im Dom beisetzen lassen; da es nicht
möglich war, erbat sich Stanislaus Ostrorog den Leichnam,
und in der Grätzer Pfarrkirche ward er zur letzten Ruhe
bestattet
Ob Trepka eine offizielle Stellung an der Spitze
unserer Kirche gehabt, etwa das Amt eines Seniors der
grosspolnischen lutherischen Kirche bekleidet hat wie der
Meseritzer Johann Caper im sechsten Jahrzehnt des Re-
formationsjahrhunderts, vermag ich nicht zu sagen, jeden-
falls ist er aber seiner Zeit der einflussreichste und be-
deutendste, der gelehrteste und kenntnisreichste evan-
gelische Pastor unserer Provinz gewesen, dem nicht ein-
mal ein Georg Israel von der böhmischen Brüdergemeinde
als ebenbürtig zur Seite gestellt werden kann. Nur die
Gleichgültigkeit unserer Provinzialkirche gegen ihre
eigene Geschichte hat ihn so ganz der Vergessenheit
anheimfallen lassen, während er es verdient, als einer
ihrer Väter gewürdigt zu werden. In ihrem Mangel an
jeglichem historischen Sinn hat sie die Zeit fast jede
Spur ihrer ältesten Geschichte verwischen lassen und es
dadurch verschuldet, dass die vorliegende Biographie von
allem, was der Verbindung Trepkas mit Königsberg fern
steht, fast nichts zu berichten weiss. Sein seelsorgerisches
Wirken in Posen, seine Bemühung um den Aufbau seiner
Gemeinde, sein Bestreben, durch Synoden die einzelnen
lutherischen Gemeinden Grosspolens zu sammeln, sein
Briefwechsel und Gedankenaustausch mit evangelischen
l) Non sine magno animi dolore 111™»« V*"* Cefrem certiorem
facio, pium et ernditum virum Eustachium Trepkam diem sunm obiisse
idque repentino. Ut autem eius mors omnibus piis magnum dolorem,
ita hostibuß Evangelii summam laetitiam et voluptatem attulit.
Hoc 111«»»« V»*e Celni pro meo officio significandum duxi, ut si vel
literarum et aliarum rcrum 111«*« V»* Cel«"« penes ipsum fuisset^
repeti curaret etc.
Eustachis Trepka. I33
Theologen Deutschlands und Polens wird wohl nie mehr
-näher erschlossen werden können.
In treuer Fürsorge nahm sich Herzog Albrecht der
armen Witwe und ihrer Kinder an. Gelegendich hören
wir, dass er für sie am 14. Juni 1559 an Stanislaus
Ostrorog 100 Taler sendet, eine nicht unbeträchtliche
Summe für jene Zeit Februar 1560 reist die Witwe in
Begleitung des Gorkaschen Kanzlers Mathias Poley nach
Königsberg, um ihren ältesten Sohn Andreas dem Herzog,
der für seine Erziehung zu sorgen versprochen hatte, zu
übergeben.
Am 25. Juni 1566 bittet Lukas Gorka, Andreas
Trepka, den Sohn des frommen Eustachius Trepka, seines
geliebten Herrn und Vaters seligen wohlgeachten Dieners,
den der Herzog zur Ehre Gottes, zur Tugend und allen
Sitten bis auf den heutigen Tag habe erziehen lassen,
nun, nachdem er das Fundament ziemlich begriffen, den
Edelknaben des Erbherzoges Albrecht Friedrich ein-
zuordnen, damit er seine Studien fortsetzen könne.
Schliesslich haben wir noch eines Rechtsstreites zu
gedenken. Im Auftrage des Herzogs hatte Trepka die
oben genannten Bücher ins Polnische übertragen und
hierfür sein Jahrgehalt bezogen. Mit dem Verleger seiner
Übersetzungen Daubmann war er dann in Geschäfts*
Verbindung getreten, hatte von ihm seine eigenen Schriften
in mehreren tausend Exemplaren bezogen, an Buchhändler
in Posen und Polen überhaupt weitergegeben, viele auch
selbst verkauft und verschenkt. Da Trepka mit der Be-
gleichung seines Schuldkontos zögerte — er hatte im
ganzen nur 100 Mark von seinem Jahrgehalt dem Drucker
aus der herzoglichen Rentkammer zahlen lassen — wandte
sich dieser an den Herzog, der seit dem Juni 1558 in
verschiedenen Briefen Trepka mahnt, Daubmann zu be-
friedigen. Das Geld, welches er noch schulde, schreibt
dieser darauf am 17. September, würden die Buchhändler,
die von ihm Schriften bezogen hätten, zahlen. Über dem
Streit ist er dann gestorben. Sobald Daubmann von
Königsberg sich losreissen konnte, Ende November, reiste
134 Lic Dr. Theodor Wotschke.
er nach Posen, Krakau, Tarnow u. s. w., teils um selbst
Bücher zu verkaufen, teils um von den dortigen Buch-
händlern das Geld für die Schriften, die sie durch Trepka
bezogen hatten, einzukassieren. Letzteres glückte ihm trotz
der Empfehlungsbriefe, die er vom Herzog an Lukas Gorka,
den Kastellan von Krakau Johann Tarnowski und Polens
Grosskanzler empfangen hatte, nicht an allen Orten. Er ver-
langte deshalb von der Witwe die Begleichung der Schuld.
In ihrer Ratlosigkeit wandte diese sich an den Herzog.
Dieser setzte, als sie Februar 1560 nach Königsberg ge-
kommen war, eine Kommission ein, der die Räte Wenzel
Schack und Balthasar Gans präsidierten, in der ein Eustachius
Libas und der Königsberger Stadtsekretär Barthel Richau
das Interesse Daubmanns, der polnische Prediger Johann
Seklucyan und ein nicht näher genannter Verwandter
Trepkas das Interesse der Frau Anna vertraten. %Ihre
Arbeit war aber vergebens, da die Witwe es bezweifelte,
dass ihr Mann wirklich soviel Bücher bezogen habe und
einen sicheren Beweis für die Schuld, die Daubmann auf
273 Mark berechnete, verlangte. Es war nicht leicht, diesen
Beweis zu erbringen, da der Diener des Druckers, dem
der Transport der Bücher nach Posen anvertraut war,
Königsberg verlassen und nach dem fernen Hof im heu-
tigen Bayern übergesiedelt war. Der unermüdlich tätige'
Daubmann liess aber durch den Rat dieser Stadt seinen
früheren Gehilfen eidlich vernehmen und überreichte die
eidliche beglaubigte Aussage dem Posener Magistrate.
Albrecht selbst verwandte sich am 20. Oktober 1562 in
einer Fürsprache für seinen Drucker bei Lukas Gorka
und dem Posener Rate; letzterem schrieb er, dass sein
Untertan bereit wäre, die etwa noch nicht verkauften
Bücher, „wo sie zu ihren vorigen Würden und wieder zu
verhandeln tüchtig sein würden1*, zurückzunehmen. Da
starb auch Frau Anna. Die letzte Nachricht über den
Streit ist ein Brief des Herzogs vom 7. Januar 1564 an
den Posener Rat, die Erben Trepkas endlich zur Zahlung
der erwiesenen Schuld an Daubmann veranlassen zu
wollen.
Eustachius Trepka. 135
Beilagen:
1. Eustachius Trepka — Alberto seniori duci Prussiae.
Illnstrißsiroe princeps et domine domine longe cle-
mentissime. Deditissimum obsequium V1"* 111."1*" Cd.*1
defero. Petunt nostrae ecclesiae a Vrft 111111* Celne libellos
polonicos reformationis et caeremoniarum, quibus utuntur
ecclesiae dicionis V™e Hl"1** Celnis. Volunt enim omnia
sua ad eorum exempla et praescriptum attemperare.
Quare rogo, ne haec ipsis denegentur, sed per hunc vere-
darium, quem illustrissimus dominus Ostrorog isthuc
mittit, suppeditentur. — Erant hie aliquot ministri, qui in
sententiam Calvini et Lascanam in causa sacramentaria
propendebant, sed gratia deo scripto theologorum V™e
111"1*" Cd™, quo Lascana argumenta refelluntur, revocati
et confirmati sunt — Debentur mihi ex thesauro V™
111"** Cel01» reliquiae stipendii, hoc est, quinquaginta floreni
pro festo divo Michaeli sacro. Rogo itaque, ut mihi extra-
dantur et hinc cursori seu alicui, qui certo ad me per-
feret, committantur, quod V™1 IUmÄm Celnem confido serio
esse demandaturam et meae tenuitatis oeconomiaeque
benignam rationem esse habituram. Daubmanus hactenus
mihi debitum non solvit neque de eo mecum composuit
Dominus Deus Vram IllmWB Celnem salvam et florentem
diutissime servet Dat. Posnaniae die 15. Septembris
anno 1558. Deditissimus servus et beneficiarius Eustachius
Trepka.
2. Eustachius Trepka — Alberto seniori prineipi Prussiae.
Illustrissime princeps, domine domine clementissime.
Nolo Vram Hl01*111 Celnem longa scriptione obstrepere, tan-
tum idem ago et flagito, quod per litteras, quas dedi ma-
gnifici domini Ostrorog veredario, egi, rogoque diligenter
et obsecro, ut dimidium stipendii mei, quod mihi pro feriis
Michaeli sacris debetur, huic Ioanni Czarlinski, illustris
d. Lucae a Gorca palatini Lencicnensis servitori, detur,
qui bona fide curabit ad me perferendum. Sanctissimus
seu sathanicissimus papa, angelus abyssi et rex locu-
136 Lic. Dr. Theodor Wotschke.
starum, mittit ad comicia nostra carnalem cardinalem de
Pisis, qui prorsus more Davi perturbabit omnia et motus
aliquos excitabit atque evangelium eiusque professores
cum toto raso et vecto satellicio (quod in verba papae
iuravit) opprimere conabitur, sed qui habitat in ooelis irri-
debit eos et Ahitophelonum consilia dissipabit. Dolendum
est nostros tantopere dissidere et contra tarn infestos
hostes dei, imperii et omnium regnorum coniunctis viri-
bus et consentientibus animis et sententiis seriores non
agere. Profecto vereor, ne in tanta animorum exacerba-
tione et dogmatum varietate succumbamus. Dominus
Deus Vrftm Hl«»» Celnem ecclesiae salvam et florentem diu
servet Dat. Posnaniae iy.Septembris 1558. Deditissimus
servus Eustachius Trepka.
Nachtrag I. Illustrissimus dominus Lucas comes
a Gorca, palatinus Lencicnensis, nunc equis indiget. Quare
magno beneficio eum affecerit et multum rebus eius
prospexerit, si eum equo uno aut altero iuverit, quod dili-
gentissime promerebitur.
Nachtrag IL Quod responsionem, quam d. a Lasco
a Vrt 11101* Celne retulit, et scriptum, quo opiniones eius
de sacramento refelluntur, non divulgavi, sed tantum ea
legenda quibusdam nostris, praesertim vero illustribus
d. Gorkanis et Ostrorogis et nonnullis ministris commu-
nicavi, satis prolixe videor mihi antea ostendisse, si Por-
phirius litteras reddidit Et Daubmani impudenciam et
malevolentiam velim retundi, qui cum mihi centum marcas
debeat, me nescio cuius debiti reum agit. Habet hie
libros aeeipietque, quando libuerit, peeuniam etiam, quam
illi debent bibliopolae pro libris, quae non excedit summam
40 florenorum, me adiutore extorquebit neque unius oboli
iniuria afficietur, quod ideo herum atque iterum scribo,
ne me Vra Illmft Celdo talem existimet, qualem me invidi
et malevoli apud Vram Mmam Celncm pingunt.
3. Trepkas Witwe an Herzog Albrecht.
Durchlauchtigster hochgeborener Fürst, gnedigster
Herr. Ewern F. G. seind mein elendes betrübtes vnd armes
Eostachins Trepka. 137
Gebett gegen den Almechtigen vmb E. F. G. langwieriges
Leben vnd gutte Gesundheitt jn tifster Demut zuvor.
Gnedigster Fürst vnd Her# jch betrübtes Weib füge
E. F. G. jn hechstem Elende zu wissen, das E. F. G.
vnderthänigster Diner vnd mein geliebster Eheman
Eustacbius Trepka den Montag für 2 Ure, welcher gewest
der 17. Tag des Monats Octobris, nach dem ehr ettliche
Tage die lingken Seitten geklagt*, doch nicht lagerhaft
worden, vmb 23 Uhr gantz vnuorgesehens seine Sehle
Gott aufgegeben vnd durch den leiblichen Tod von dieser
Weld abgesondertt worden, mich mit fünf kleinen Kindern
]nn grossem Betrübtnis hinder sich vorlassen. Des Leib
wir aus Vorsehung seiner G. des Hern Stentzlawen von
Ostrorogk vnd auch jrer G. der Grafen von Gorka Be-
willigung, nachdem die Feinde Christi jme alhier zu
Posen keine Stelle vergönnen wollen, zu Grätz zur
Erden bestatten lassen. Da aber nicht mir betrübten
alleine, sonder viell hoen Personen der Cron woll wissend
mein geliebster Eheman seliger, für den auch E. F. G
Gnad vnd Gunst gehabtt, der jch samptt meinen armen
Kinderlin mit genossen, so gelangtt ahn E. F. G. nach-
mals meine demuttigste Bitte, E. F. G. geruhen mich be-
trübtes Weib vnd meine arme Kinderlin jnn fürstlichen
Gnaden zu ehrhalten vnd vnsser gnedigster Fürst vnd
Herr zu sein vnd zuuorbleiben, dafür werden E. F. G.
Belonung von Gott empfahen, jch aber sampt meinen
Kinderlin wollen die Zeitt vnseres Lebens vmb E. F. G.
langwirige Gesundheitt vnd glügkliches Regiment den
Almechtigen zu bitten nicht vnderlassen, jn welcher
E. E. G. Gnad vnd Gunst jch mich vnd sie ehrgebe
Dat. Posen, den 21. tag des Monats Octobris Anno 1558.
Ewer F. G. vnderthenigste Dinerin Anna, Eustachii Trepka
arme vorlassene Widfraw.
4. Der Arzt Stanislaus Niger an Herzog Albrecht.
Post subiectissimam servitiorum commendationem
incolumitatem et foelicia omnia.
138 Lic. Dr. Theodor Wotschkc.
Illustrissime ac prudentissime prineeps. Trepcius
ille pius ac optimus ecclesiae minister puriorisque eius
doctrinae interpres ex hac misera et fragili vita ad im-
mortalem illam et aeternam hora vigesima tertia die deeima
septima mensis huius concessit, cuius mors praematura et
inopina adeo hie pios omnes percelluit, ut prae stupore
vix tandem ad se multi redierint et sese recollegerint
admirati scilicet in tarn hominem temperatum, sobrium,
pacatum et modestum tarn atrox genus morbi citra ullam
procathorticam causam reeidisse. Non sine igitur singulare
divino iudicio hoc ipsum evenisse autumant, sed utrimque
tandem sal, ego arcanum hac in re dei iudicium non
scrutabor, naturales autem mortis huius causas et si
pressius ex animo circumspicio, nondum tarnen mihi
opinanti satisfacio, praeeipue cum praesens utpote tum
illustris domini ab Ostrorog negotiis agendis Posnania
evocatus non adfuerim. Sentio tarnen primum ab
imkr]\f)ta prostratum, tandem änofdtj^la necatum esse, qui
morbi, cum raro modestis aeeidant hominibus, sentire et opi-
nari cum multis cogor fatis Trepcium fidissimum servitorem
nobis ereptum esse. Luget igitur tota ecclesia, quod
tarn diligenti et docto ministro orbata sit, non quod desperet
defuturos sibi operarios, sed tarnen cum videat, hie tepere
multos in promovenda doctrina Christi, dolet ereptum sibi
virum, qui in sola Christi causa ferendus erat, cum in
aliis friguisse videretur. Dolent illustres comites a Gorca,
scribam ademptum sibi, qui expediendarum litterarum ad
cuiusvis statum et condicionem hominum admirandus
artifex habebatur. Quanto cum dolore coneutiatur dominus
meus ab Ostrorog ex litteris, quas meis adiunetas Tuae
III™*" Cel111 mitto, facile cognoscet. Sed cum haec rerum
humanarum sit conditio, ut nihil stabile ac firmum hie
nobis polliceri possimus, ferendum alioqui, quod divinitus
nobis aeeidit. Quia tarnen ego non ignoraverim, apud
Tuam 111*111 Celnem Trepcium magni factum fuisse, non
dubito hanc officiosam animi mei erga te voluntatem
Tuam Ulftm Celnem boni consulturam esse, qua Uli mortem
illius viri praematuram et subitam (intra enim unius horae
Eustachius Trcpka. 139
spatium interiit) aperio, cuius Celsitudini me dedo et
subicio. Dat Posnaniae, 21. Octobris anno a nato
Christo 1558. Vr»e ül"1** Celni deditissimus S. N. doctor
medicus.
Das Siegel des Briefes zeigt im Wappenschild einen
Schwan, darüber die Buchstaben S. N.
Beilage: In tanto animi mei maerore vel potius stupore
debitus eram uxoris Trepcii meminisse, quae, cum
luctuosissima mulier sit, inops omnino omnium est Precatur
itaque, ne Vn Illm* Cel*0 se deserat, sed omnino in tutelam
et patrocinium suscipere dignaretur suum. Reliquit ille
iberos parvulos quinque, opes vero nullas. Quia autem credit
V«m iumam Celem non mutaturam suam erga olim fida
servitia Trepcii benevolentiam, ideo sese et liberos suos
Uli humillime et devotissime sub tutelam commendat
5. Albertus - Stanislao Nigro, Doctori Posnaniensi.
Salutem ac benevolentiam nostram. Eximie ac praeclare
nobis dilecte. Accepimus litteras vestras, quibus obitus
nobilis et pii viri Eustachii Trepca fideliter nobis dilecti
immaturus commemoratur. Etsi autem casus iste impro-
visus eius viri, qui ecclesiae Christi, rei publicae, si vita
suppeditasset, utiliter servire potuisset, non mediocrem
nobis dolorem attulit, tarnen litterae vestrae ideo nobis
gratae fuerunt, quod totius quasi actus plenam et diligentem
explicationem etquomorbigenereTuti existimatis, interemptus
sit, continebant Feramus igitur, quod deo et fatis visum
est quodque mutari non potest, toleranter Deumque ro-
gemus, ut eius loco alios operarios in vineum suum ex-
tendat et non modo huius pii viri manibus sit propicius
molemque faxit quietem, sed nobis etiam exinde omnibus
suo cuique tempori foelicem vitae exitum in viva et con-
stanti fide ad dominum servatorem et mediatorem nostrum
Jesum Christum clementissime concedat Quod ad relictam
Trepka viduam pupillosque attinet, habebitur eorum, quoad
recte fieri poterit, ratio; propter enim mariti ex parvulis
140 Lic. Dr. Theodor Wotschkc.
pietatem ac servitia erunt nobis commendati. Bene feli-
citerque valeatis. Dat. Regiomonti VI. Novembris.
6. An des Trepken nachgelassene Witwe.
Wir haben euer Schreiben bekommen vnd daraus
eures lieben Ehegaten tödlichen Abgang, der sich vnver-
sehens ganz plözlich zugetragen, mitleidlich verstanden.
Tragen mit euch dieses geschwinden Falles vnd vorzeitigen
Todts auch gemeiner Christenheit halben ein gnedigs
Mitleiden. Dann einmahl euer lieber Eheman von dem
lieben Gott dermassen begnadet gewesen, dass er gemeiner
Christenheit, wenn ime lenger zu leben vergont, nützlich
vnd fruchtbarlich hat dienen mögen. Dieweil wir aber auch
wissen, das aller Menschen Leben vnd Wesen in des
allmechtigen Gottes Handt stehet vnd das ein jeder, wenn
inn Gott aus disem vergenglichen Leben vnd Jammerthal
Tuffet, vnvorzüglich fort muss, so zweifeln wir gar nicht,
das also sein Stündlein kommen sey, darin Gott ihn ab-
gefordert, der auch seiner Sehlen vnd unser aller, wenn
wir zu seiner Zeit gefordert werden, gnedig vnd barm-
herzig zusein geruhe. Souii euer Bitt anlanget, wollen
wir euch sampt euren Kindern in gnedigem Beuelich zu
halten nicht nachlassen. Dat. 7. Novembris 1558.
7. Trepkas Witwe — an Herzog Albrecht
Gnedigster Fürst vnd Herr. Demnach E.F.G.nuhemer
für lengst meines lieben Ehemans Eustachii Trepka todtlichs
Abgangs berichtet, welcher mich mit funff kleinen Kindern
hinder sich elend vorlassen, so habe ich in Ehrwegung
der hoen Gnade, welche gedachter mein Ehemann bei
E. F. G. zu ider Zeitt miltiglich empfunden, diese Hoffnung
geschepfet, es werden E. F. G. nach gegen mir vnd seinen
vorlassenen kleinen vnehrtzogenen Kindern der zu üben
nicht vnderlassen. Und geiangtt ahn E. F. G. mein
demuttigste Biette, dieselbe geruhe mein vnd meiner
armen Kinderlein gnedigster Fürst vnndHerr zu sein vnd
aus fürstlichen Gnaden mir armen verlassenen gnedigste
Eustachius Trepka. 141
Hülfe ires Gefallens betzeigen, damit ich sie zur Ehre
Gottes, Ehrbarheit vnd Thugend desto mehr vnd volkom-
licher zuehrtzien haben mochte. Der liebe Gott, ein.
milder Vergelder aller Guttathen, wird E. F. G. dasjenige,
so dieselbe bei mir armen vnd meinen Kinderlein thun werden,
hier vnd dort reichlich vorgelden, meine Kinderlein aber
sampt mir wollen für E. F. G. langes Leben vnd allerseits
glüglkhen Zustand den Allmechtigen hertzlich vnd trew~
lieh zu bitten die Zeitt vnsers Lebens nicht vorgessen.
In tiefster Demutt bittend mein vnd meiner armen Kinder-
lein gnedigster Herr zuuorbleiben. Dat. Posenn, den
29. Aprilis Anno 1559. E. F. G. arme Dienerin Anna
Eustachii Trepka vorlassene Wittfraw.
8. An Frau Anna Eustachii Trepka seligen verlassenett
Witwe zu Posen, den 7. Juni 1559.
Wir haben euer Schreiben Posen, den 29. Aprilis
datirt bekommen, Inhalts lesende eingenohmen vnd da-
raus verstanden, wess ir eures gotseligen Mannes todt-
liehen Abganges, derhalben irer 5 kleinen vnerzogenei*
Kinderiein halben, so er hinter ime verlassen, schreiben
vnd bitten thut Nun ist vnss solch Abgang eures-
Mannes, wie wir auch deshiebeuor, alsbaldt wir desselben
abgang erfahren, durch vnser Schreiben berichtet, ganz:
mitleidich, vnd ist nicht ohne, wir eurem Manne mit allen
Gnaden zugethan gewesen. Damit ir nun gleichwof
spuren vnd befunden muget, das wir solche vnsere gnä-
dige Gewogenheit auch an euren Kindern scheinen zu
lassen nicht vergessen, seint wir in Gnaden gewilligt,
euren ehesten Sohn, so fern ir vnss denselben zuschicken
woltet, an vnseren Hof zunehmen vnd inen mit aller
Notturf ft zu unterhalten, auch zur Ehre Gottes erziehen
zulassen, vff das er künftig euch vnd den euren trostlich
und nutzlich sein möge. Wess wir aber itzo euch zu
Gnaden thun, werdet ir von dem Herrn Ostrorogk, der
vnss eurethalben auch fleissig angelanget, vernehmen *)►
s) Stanislaus Ostrorog hatte Herzog Albrecht im Juni in.
Königsberg besucht, dei Herzog aber bei Ostrorogs plötzlicher Ab-
142 Lic. Dr. Theodor Wotschke.
9. Witwe Anna — Herzog Albrecht
Illustrissime princeps et domine domine clemen-
tissime. Ill0***8 V™ Cel"1* pedes manusque summa cum
reverentia exosculor.
Quod 111** Wn Celdo tantum clementiae in filium
meum exserit, gratias dignas agere nunquam possum.
Sed aeternum patrem domini nostri Jesu Christi arden-
tibus votis precor, et quoad vixero, precabor, ut III1»0
Vrac Celnis filio vicissim eiusmodi tutores et patronos lar-
giatur, cuiusmodi MmMa Vrtm Celncm meo orphano filio
dare dignatus est. Nam ego misera orphana et omnibus
contumeliis et iniuriis exposita vidua tantum abest, ut
meis filiis et filiabus consiüere possim, ut vix misereque
me ipsam parce et duriter victum quaerendo sustentare
queam. Hoc tantum ab IUma Vra Celne demisse et suppli-
citer contendo, ut 111™* V™ Ceido candidam, praeclaram et
vere paternam illam suam clementiam ergo filium meum
conservare dignetur. Ego Deum perpetuis precibus fati-
gabo, ut Hlm*m V™* Celncm una cum filio eiusdem diu
salvam et superstitem conservet et tueatur. Dat Posna-
niae Calendis Februarii 1562. Ulmac Vrae Celni8 manci-
pium Anna vidua, olim uxor Trepcae.
Das Siegel an den Briefen Trepkas und seiner
Gattin zeigt eine Streitaxt im Wappenschilde und da-
rüber die Buchstaben E T.
10. Albertus — Lucae comiti a Gorka. 20. Oktober 1562.
Ioannes Daubman typographus noster exhibito
supplici libello nunc et antea quoque aliquoties subiec-
tissime nobis exposuit, Eustachii Trepka, civis Posna-
niensis, relictam viduam pro libris in Polonica et aliis
etiam unguis scriptis, quos dictus Trepka eo accepti,
marcas prutenicas 273 debere. Cumque de solutione post
mariti obitu saepenumero a creditore admonita fuit, pri-
reisc vergessen, ihm Geld für Trepkas Witwe nach Posen mitzu-
geben. Am 14. Juni sendet er deshalb einen Eilboten mit 100 Talern
dem Grafen nach.
Eustachius Trepka. 143
mum debiti convinci, cum id negaret, voluit. Cum
antem servitor typographi, per quem libri Uli Posnaniam
deportati sunt, in civitate Hoff interea temporis conse-
disset, petiit nos humillime, ut ea de re ad senatum eius
civitatem, qui testimonium gestae rei ab eo requireret,
scriberemus, quod nos, cum aequum nobis petere vide-
retur, denegare ei non potuimus. Habet igitur eius rei
praefatae senatus evidens testimonium, ut eo debito nisi
solutione facta nulla fallacia se liberare vidua possit
Unicum hoc hac in re restare videtur, ut ad solutionem
faciendam serio adigatur, quod cum quam primum fieri
actori multis de causis praesertim vero propter rem fami-
liärem valde sit necesse, isque literis nostris intercessoriis
se apud Mag.*™ Vnm iuvari obnixe rogaverit Mag^V™1
amanter petimus, ut eum, cum quod iustam causam foveat
tum etiam quod nos pro eo intercedamus, quo tanto fa-
cilius id, quod iure sibi debetur, consequeretur, benigne
sibi commodatum habere et negotium eius apud senatum
Posnaniensem promovere velit.
11. Albertus — senatui Posnaniensi VII. Januarii 1564.
Certiores redditi sumus a praesentium exhibitore ty-
pographo nostro Ioanne Daubmanno, quid vos anno su-
periore ad negotium ipsius, quod habet cum relicta et
nunc defuncta vidua Eustachii Trepka, responderitis. Cum
autem responsum id tale fuerit, ut ipse debitum suum
consequi non potuerit, ideoque qua ratione hoc negotium
inter dictam viduam et typographum nostrum actum sit,
perscribendum vobis esse existimamus. Constituti primum
fuerunt utrimque arbitri, qui causam hanc amicabili tracta-
tione componerent, consiliarii nostri Wencezlaus Schack
et Gans secretarii nostri una cum aliis ad illam trans-
actionem deputatis, nempe cum Bartholomaeo Richaw,
secretario civitatis nostrae Regiomontanae, et Eustachio
Libas a parte typographi nostri, Ioannes Seclutianus vero
concionatur polonicus et N., affinis viduae civis Posna-
niensis, a parte altera. Frustra autem ista tractatio tentata
144 Lic. Dr. Theodor Wotschkc.
fuit; ipsa enim vidua dubitans maritum suum tot libros
aeeepisse postulavit ab ipso typographo nostro, ut a ser-
vitore suo, qui istos libros marito suo tradidisset, eius rei
testimonium aliquod sufficiens afferat, reeipitque, quidquid
is suo iuramento enuntiasset se marito Trepka tradidisse,
id se bona fide soluturam esse. Cum itaque istud ser-
vitoris sui testimonium non levibus sane impensis (quod
is multis ab hinc miliaribus consederit) typographo nostro
fuerit petendum, solutio tarnen non sine magno ipsius
detrimento longius differtur, ideirco clementer gratioseque
petimus, velitis haeredibus de iure serio iniungere, ut
typographo nostro citra longiorem proerastinationem ex:
sententia testimonii satisfaciant Facturi rem iustitiae
convenientem et a nobis gratia clementiaque nostra com-
pensandam.
Einige Mitteilungen
über die Pilze unserer Provinz.
Eine Skizze.
Von
Fritz Pfuhl in Posen.
^it ihren geheimnisvollen Fäden umspinnt die
Sage im Waldesdunkel des Farnkrautes rätsel-
haftes Wesen. Wie unendlich ist die Zahl
seiner winzigen Samen, aber keine Blüte, der sie doch
sonst ihre Entstehung verdanken, verrät sich dem Auge
des Sterblichen. Doch der Mund des Volkes erzählt dem,
der es glauben will, dass zur Zeit der Sonnenwende, in
der Johannisnacht, wenn die Natur strotzt in der Voll-
kraft ihres Schaffens, dem von Glück begünstigten Men-
schenkinde die Blüte sich zeigt, und wer des Augenblicks
Gunst und Gelegenheit zu ergreifen versteht, erlangt mit
ihr einen Talisman von nie versiegender Kraft.
Wohl weiss das elegante Blattgefieder des Farns die
Sage auf sich zu lenken — das ungeschickte Pflanzen-
wesen dicht daneben versteht es nicht, obgleich es viel
mehr dazu berechtigt wäre, denn in welcher Menge
kommt diese absonderliche Pflanze hier im Walde vor —
wie reichlich muss sie sich vermehren, und sie zeigt nicht
einmal den braunen Staub, der die Farnwedel unterseits
bedeckt. Es ist das ein Pilz: auf dickem Stiele ein kreis-
runder Hut Die Zierlichkeit der Form, die Pracht der
Blüten, womit sonst liebreich sorgend Flora ihre Wesen
schmückt, suchen wir vergeblich. Die schlechte Behandlung,
welche diesem Geschlechte der Pflanzen ihre Schutzgöttin
Zeitschrift der Hist. Ges. fOr die Prov. Posen. Jahrg. XVIII.
10
146 Fritz Pfuhl.
angedeihen lässt,beeinflusst denn natürlich auch die Priester,
welche das Heiligtum dieser Göttin zu pflegen und zu ver-
sehen haben, — auch die Botaniker wollen meist nichts
mit diesen absonderlichen Gesellen zu tun haben.
So ganz vernachlässigt sind die Pilze denn aber doch
nicht, sehen wir sie uns nur mal genauer an. Wie aben-
teuerlich schon sind diese Pflanzenwesen manchmalgestaltet:
Proteus selbst scheint an der Wiege dieses Geschlechts
Gevatter gestanden zu haben. Da sieht die eine Art wie
eine Keule aus, genau wie ein Hasenohr eine andere,
wonach sie dann auch benannt ist, der Erdstern liegt mit
10, mit 20 Strahlen dem Erdboden an, ein Hirschgeweih
im Kleinen täuscht uns eine andere Form vor, bei jener
endlich glauben wir ein Gänseei auf dem Waldboden
liegen zu sehen: wieder ist es ein Pilz!
Auch eine Art von Blütenflor können die Pilze
hervorzaubern. Mit leuchtendem Gelb bedeckt der
schlaffe Trichterling in Scharen den Boden des feuchten
Waldgrundes im Cybinatale bei Malta, dicht daneben
stehen einzelne in zartes Rosa gekleidete Pilze* — eine
Art des Helmlings, — und die vielen hellgrünen Pilze
geben sich die grösste Mühe, auch den Duft der Blüten
vorzuzaubern. In Anerkennung dieser freundlichen Absicht
nennt der Botaniker sie denn auch Clitocybe odora, d. h.
den duftenden Trichterling; doch schiessen sie dabei nun
wieder über das Ziel hinaus, denn der Geruch ist zu
kräftig, etwa an Anis erinnernd, Blütenduft ist so stark
nicht, weshalb denn ein anderer namengebender Botaniker
die Art Clitocybe anisata genannt hat Übrigens ist ge-
rade diese Sorte von Parfüm bei den Pilzen sehr beliebt;
an den alten Weidenbäumen vor dem Eichwaldtor z. B.
wachsen wieder andere Anispilze, weisslich gefärbt, von
klumpiger Gestalt Noch kräftiger jedoch kann das
duftende Prinzip zum Ausdruck gebracht werden: unter
dem Namen Musseron wird ein kleiner Pilz mit horn-
artigem, dunkelbraunem Stiel und schmutzig-weissem
Hute auf den Wochenmarkt gebracht und in Mengen
gekauft, denn die Hausfrauen wenden ihn mit Vorliebe
Einige Mitteilungen über die Pilze unserer Provinz. 147
an, um manchen Fleischspeisen und Saucen einen
kräftigen Geschmack zu verleihen. Der erinnert sehr
an denjenigen, welchen die Arten der Blütenpflanze
„Lauch* wozu Schnittlauch, Knoblauch, die Zwiebel und
andere kulinarischen Gewächse von erschütterndem
Dufte gehören, aufweist, und deshalb nennt man den
Musseron auch Lauchpilz. Doch wissen die Pilze hin-
sichtlich des Duftes sich auch in sehr dezenten Grenzen
zu halten. Ein Spaziergang durch das Schillingsglacis
lässt im Oktober, November robuste Pilze mit grossem,
kräftigem Hute von schwach rötlich-grauer Farbe be-
merken. Zu dem selbstbewussten, markigen Auftreten
stimmt denn auch so recht der Gattungsname „Ritterling11.
Dieser Pilz, der übrigens auch auf dem Markte erscheint,
besitzt einen sehr angenehmen, zarten Duft nach Orangen-
blüten; andere wieder wollen Veilchen herausriechen und
haben die Pflanze danach den Veilchen-Ritterling benannt
Doch die Pilze täuschen nicht nur die Blüten der be-
vorzugten Kinder der Flora in Duft und Farbe vor. Mehr!
Wie den Blüten, so dienen auch sie der Vermehrung, sor-
gen auch sie dafür, dass das bittere Gesetz der Ver-
gänglichkeit, welches alles Lebende beherrscht, — wenn
auch nicht aufgehoben — so doch gemildert wird. Sie
entwickeln Fortpflanzungskörper, und in welcher
ungeheuren Menge! Bringe man von einem Spazier-
gange irgend einen Pilz mit nach Hause, lege ihn mit
der Unterseite seines Hutes auf ein Stück blaues
Papier, z. B. auf einen Aktendeckel. Nach einigen
Stunden macht sich nun auf dem blauen Untergrunde
ein Fleck bemerkbar: weiss oder braun oder rosa, viel-
leicht auch schwarz oder violett, je nach der Art des
Pilzes — ein Fleck, der aus einem ausserordentlich feinen
Pulver besteht. Und wenn nun die Unvollkommenheit
des menschlichen Auges durch das Mikroskop ausge-
glichen wird, so wird durch eine 200- oder 300-fache
Vergrösserung dieser Staub in ganz winzige Körperchen
aufgelöst, von kugeliger oder länglicher Gestalt, nur we-
nige p lang und breit /* ist nämlich das Normalmass
148 Fritz Pfuhl.
für mikroskopische Messungen. Was dem Geographen
das km ist, dem Astronomen sein Lichtjahr, d. h. eine
Strecke von 365 X 24 X 60 X 6° X 3°° °°° km, nämlich
der Weg eines Lichtstrahles während eines Jahres, — das
ist dem Mikroskopiker das f*} d. h. eines Millimeters.
Sieht man sich nun den Sporenfleck auf dem blauen
Papier genauer an, so bemerkt man eine eigentümliche
Figur: grade Linien, welche von der Mitte strahlenförmig
ausgehen — das Spiegelbild der unteren Fläche des Hutes,
an der sich speichenartig gestellte Blätter befinden. Am
Rande derselben müssen sich also jene Körperchen ab-
gesondert haben, an ganz feinen Stielchen sassen sie.
Sporen nennt man diese Fortpflanzungs-Gebilde, nicht
Samen, weil sie sich nämlich ohne Zutun von Blüten ent-
wickelt haben, wie ja auch der Farn und der Schachtel-
halm Sporen entwickeln. Doch wir ahnen nicht, was für
Kopfzerbrechen dem Botaniker diese Sporenbildung der
Pilze bereitet hat und noch immer bereitet Überall sonst
nämlich, wo eine Pflanze Fortpflanzungskörper hervorbringt
— einige wenige Ausnahmen kommen dabei nicht in Be-
tracht — da sind es immer zweierlei Gebilde, welche dies
bewirken, also z. B. der Blütenstaub einerseits, andrer-
seits die Samenanlagen. Bei den Pilzen nun, welche
unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, ist derartiges noch
nicht beobachtet worden, trotz all' der Mühe, welche man
sich gegeben hat, auch diese Sonderlinge in das allgemein
gültige Schema hineinzuzwängen : sie sind eben
„Kryptogamen" in des Wortes eigentlichster Bedeutung.
Nach der Farbe der Sporen, welche von den Blättern
abgesondert werden, stellt der Botaniker Gruppen,
Gattungen her, ein sehr „künstliches" Merkmal, ein Not-
behelf zunächst, aber die Wissenschaft hat es auf diesem
Gebiete eben noch nicht weiter gebracht, für verwandt-
schaftliche Beziehungen triftigere Gründe aufzufinden.
Jedenfalls jedoch bietet die Sporenfarbe ein ganz prak-
tisches Hilfsmittel, sich in der Fülle der Formen
zurechtzufinden. So sondert ein weisses Sporenpulver ab
Einige Mitteilungen über die Pilze unserer Provinz. 149
der Ritterling, von dem schon die Rede war, ein solches
von rosa Farbe der Pflaumenpilz, ein guter Speisepilz, der
bei uns zwar nicht auf den Markt zu kommen scheint,
von bräunlich-gelber Farbe ist es bei dem in der Provinz
so hoch geschätzten Reizker, von violetter beim Cham-
pignon und von brauner beim Krämpelpilz, der in den
Wäldern der Provinz in grosser Menge vorkommt, haufen-
weise auf dem Markte erscheint und trotz seines matschigen,
schmutzig braunen Aussehens gern gekauft wird; schwarz
endlich sind die Sporen des Tintenpilzes. Warum gerade
das Blau von den Pilzsporen vermieden wird, hat die
Wissenschaft noch nicht ergründet, sie weist uns da nur
auf entsprechende Fälle in anderen Verwandtschaftskreisen
hin. Auch unter den so vielen Pflanzen unserer Provinz,
welche zu den Doldengewächsen und zu den Kreuzblütlern
gehören, gibt es wohl Arten, welche mit weisser, mit
gelber, mit rosa und roter Farbe blühen, aber nicht eine
einzige zeigt eine blaue Blüte. Warum gibt es unter
den recht zahlreichen einheimischen Veilchenarten solche
mit weisser, mit gelber, mit blauer und violetter Blüte,
während das Rot vermieden wird? Und wer gar mal eine
blaue Lilie finden sollte, den beglückt die Sage mit dem
höchsten Gute, — Zufriedenheit soll ihm schon auf Erden
zu teil werden.
Aber wie konnte nur bei der Aufzählung der Bei-
spiele für die Sporenfarbe der wohlschmeckenden wohl-
schmeckendster, der Edelpilz an sich, der Herren-
pilz, der Steinpilz vergessen werden? Doch sehen wir
uns den Hut auf seiner unteren Seite an und wir merken,
er gehört einer andern Verwandtschaftsreihe an, er zeigt
dort statt der Blätter ganz andere Gebilde, an denen sich
die bräunlichen Sporen absondern: zarte, dicht gedrängte
Röhren. Und der Habichtsschwamm, der im Hochsommer
niemals auf dem Pilzmarkte fehlt, zeigt an jener Stelle
stumpfe Stacheln, und der Pfefferling, auch Hähnchen,
auch Eierschwamm genannt, besitzt Falten, an denen sich
die weissen Sporen absondern. Andere Pilze, welche
auch geschätzte Vertreter auf den Posener Markt senden,
150 Fritz Pfuhl.
verzichten auf den Hut, der gegen Regen und heisse
Sonnenstrahlen für die Nachkommenschaft ein vorzügliches
Schutzmittel abgibt.1 So sondert an zweigartigen Veräste-
lungen die Sporen der Ziegenbart ab, welcher in sehr
verschiedenen Formen in der Provinz heimisch ist. Gar
seltsam aber macht es ein Pilz, welcher z. B. im Walde
von Krummfliess und auf dem Annaberge häufig ist Die
Hülle eines weissen länglichen Sackes — der sieht genau
so aus wie ein Gänseei, und Hexenei wird er genannt —
reisst auf, und daraus erhebt sich eine etwa 20 cm hohe
Säule mit einem ganz eigenartigen Kapital, welches un-
gefähr an orientalische Motive erinnert. Es bedeckt sich
mit zähem Schleim, in welchem die Sporen eingebettet
sind. Der grässliche Aasgeruch lockt allerhand Fliegen-
geschmeiss heran, welches nun die Sporen verbreitet,
während sonst meist der Wind dieses Geschäft den
Pilzen leisten muss. Die Boviste, welche auch wie weisse
Eier auf dem Boden der Kieferwälder z. B. liegen, sondern
die Sporen in ihrem Innern ab; durch Bersten des
kugeligen Gebildes treten sie ins Freie. In welch unend-
licher Menge das der Fall sein muss, lässt der Riesen-
Bovist ahnen, der die Grösse eines Kürbisses erreicht,
und dessen Inneres gefüllt ist mit diesen winzigen, nur
4V2 /* grossen Sporen. Drei Pfund fast wog ein noch
nicht völlig entwickeltes Exemplar, welches im Kreise
Schrimm das Licht der Welt erblickt hatte. Wolken von
Sporen verbreitet es durch die Luft; jedes einzelne
Stäubchen kann wieder einen Riesen-Bovist hervorbringen,
tut es aber glücklicher Weise nicht, denn sonst würde
binnen weniger Jahre die ganze Erdoberfläche aus nichts
anderem als aus Riesen-Bovisten bestehen.
Es ist ein das gesamte Reich des Lebens beherrschen-
des Gesetz: ist die Existenz einer Art irgend wie be-
droht — einer Art, denn das Einzelwesen spielt im
Ratschluss der Natur eine gar geringe Rolle, — so ist die
Vermehrung eine überaus bedeutende. Die Taube, welche
hoch oben im schützenden Gipfel des Baumes ihr Nest
anlegt, sichert das Fortbestehen ihrer Art schon durch
Einige Mitteilungen über die Pilze unserer Provinz. 151
ein Gelege von zwei Eiern; das Rebhuhn aber, dessen
Nest in der Furche des Feldes so vielen Gefahren aus-
gesetzt ist, fühlt sich durch jenes Naturgesetz zu einem
Gelege von einer ganzen Mandel Eier veranlasst. Welche
Unmenge von Eiern befindet sich im Rogen des Herings,
des Hechts oder des Karpfens; der Stichling jedoch kommt
mit viel weniger aus, denn der baut ein Nest zwischen
Wasserpflanzen und schützt heldenhaft seine Nachkommen-
schaft selbst gegen den grimmigen Zahn des Hechts.
Bei den Pilzen nun muss wegen der ungeheueren
Anzahl von Sporen, welche das Einzelwesen hervorbringt,
irgendwo ein locus minoris resistentiae gegen das eherne
Gesetz der Vergänglichkeit vorhanden sein. Wo aber
befindet sich diese schwache Stelle? Vielleicht schützen
sie nicht hinreichend ihre Nachkommenschaft, wie der
Stichling das in so aufopfernder Weise tut? Doch nein
— da kann der Mangel nicht gesucht werden. Auf der
Unterseite des Hutes sind die Sporen gegen alle möglichen
schädlichen Einflüsse der Witterung sicher geborgen.
Sind die Sporen noch jung, also besonders empfindlich,
so ist der Hut wie ein Regenschirm nach unten geklappt,
und manche Pilze, wie z. B. der Champignon, der schon
aus kulinarischen Gründen seine Art reichlich fortzu-
pfanzen hat, verbinden in der Jugend den Rand des Hutes
noch durch eine Haut, den Schleier, mit dem Stiele.
Beim Ausbreiten des Hutes reisst dann der Schleier und
bleibt als „Ring" am Stiele sitzen. Die Trüffel, die in
der Provinz jedoch nicht heimisch ist, birgt sogar unter
der Erde ihre Nachkommenschaft, und ebenso machen
es manche andere Pilze, welche trotz ihres widerlichen
Geruches auf die Märkte der Provinz gebracht werden.
Für den Schutz der Nachkommenschaft ist bei den
Pilzen also in umsichtiger Weise gesorgt, hier kann der
locus minoris resistentiae sich nicht befinden, wo aber
befindet er sich dann ? Nun, Fragen, welche man an die
Natur richtet, beantwortet man durch Beobachtungen,
oder wenn die Natur uns die Antwort in widerspenstiger
Weise vorenthalten will, dann stellt man einen Versuch
152 Fritz Pfuhl.
an — hier also mit dem Vermehrungskörper einer Pflanze,
welche sich hinsichtlich der Menge der Nachkommen-
schaft in viel engeren Grenzen hält.
Lassen wir auf feuchter Erde ein Weizenkorn keimen :
aus dem einen Ende entwickelt sich das junge Pflänzchen
mit seinen Würzelchen und einem grünen Laubblatte.
Aber der grösste Teil des Weizenkorns wurde dabei (wie
es scheint) gar nicht in Anspruch genommen. Je weiter
nun aber die Entwickelung der jungen Pflanze fort-
schreitet, umso mehr lässt sich jener andere, scheinbar
überflüssige Teil zusammendrücken — er hat also dem
jungen Wesen für die ersten, schlimmen Tage des Lebens
Nahrung geliefert, bis die neue Pflanze selbständig für
ihr Weiterkommen sorgen kann. Solch einen Nahrungs-
vorrat, man nennt ihn ,,Eiweiss" nach dem Nahrungsstoff
für das werdende Vögelchen, einen solchen Vorrat enthält
ein jeder Same: Roggen, Hafer, Hanf, Erbse, Bohne, Linse.
Und die Pilzspore? Nun, bei dieser winzigen Kleinheit
von vielleicht nur 2/1000 eines Millimeters, wodurch die
Verbreitung allerdings sehr begünstigt wird, kann ein
Eiweiss nicht mit auf den Lebensweg gegeben werden.
Vom ersten Augenblick an muss das Piizpflänzchen also
für sich selbst sorgen, und wieviel junge Existenzen
werden da wohl untergehen.
Aus diesem Grunde schon ist eine reichliche Ver-
mehrung erforderlich, erforderlich noch wegen einer
anderen Absonderlichkeit der Pilze:
Wenn der Winter im gleichem Tanze der Hören
wieder dem Frühling weicht, dann kleidet sich Baum und
Strauch und Kraut in liebliches Grün. Dieses herrliche,
langersehnte Kleid, mit dem das Zauberwort des Lenzes
die Erde schmückt, hat aber nicht nur den ästhetischen
Zweck, des Menschen Herz zu erfreuen, es hat eine gar
reale Aufgabe zu erfüllen: es muss Rohstoffe für die
Nahrung der Pflanze aufnehmen und sie bereiten. In
einem einzigen Laubblatte des Veilchens, der Tulpe, des
Maiglöckchens befinden sich Millionen kleiner, sehr kleiner
Körnchen von grüner Farbe; der Physiologe nennt sie
Einige Mitteilungen über die Pilze unserer Provinz. 153
„Chlorophyllkörner". Die nehmen aus der Luft die Kohlen-
säure auf, und in geheimnissvoller Weise — das „Wie"
hat die Wissenschaft noch immer nicht ergründet — be-
reiten sie daraus den Pflanzen notwendige Nahrung. Die
Kraft und das Vermögen dazu gibt ihnen das Licht, das
Licht der alierhaltenden Sonne.
Und die Pilze? Nun, wie es auch unter den Menschen
Sonderlinge gibt, denen der Frühling vergeblich winkt,
vergeblich die hohe Offenbarung der Wiedergeburt
predigt — so auch die Pilze. Sie hassen das herrliche
Grün, mit dem die Natur sich jetzt schmückt, und wenn
sie ja mal versehentlich grüne Töne annehmen, so sind
diese doch ganz unähnlich denen des Blattgrüns, „freudig
grün" sind sie nie. Darum auch sind sie verflucht. Der
Fluch der Natur lastet auf ihnen : niemals dürfen sie sich
selbständigen Daseins erfreuen, wie die anderen Pflanzen,
welche aus Wasser, Luft und Erde sich rechtschaffen die
Nahrung bilden, in Ewigkeit sind sie dazu bestimmt, Kost-
gänger zu sein bei anderen Lebewesen. Und so ergibt
sich denn für den Botaniker die Definition für die Pilze : Es
sind Pflanzen, welche sich 1) ohne Entwickelung von
Blüten durch Sporen vermehren, 2) kein Blattgrün be-
sitzen, demnach sich von unorganischer Nahrung nicht
ernähren können, sondern auf lebende oder vermodernde
Pflanzen oder Tiere angewiesen sind.
Wie viele Millionen von Sporen trägt der Wind,
gleichgültig um das Schicksal seiner Schutzbefohlenen,
auf einen Boden, wo sich keine organischen Stoffe be-
finden: dort müssen sie zu Grunde gehen. Das Fort-
bestehen der Art, worauf es der Natur nur anzukommen
scheint, gegen das Einzelwesen ist sie herzlos, kann also
nur gesichert werden, wenn die Sporen in unendlicher
Zahl gebildet werden.
Wegen dieser Ernährung durch Kostgängerei brauchen
die Pilze aber auch das Licht nicht, weiches den Pflanzen
mit grünen Teilen die Kraft verleiht, den unorganischen
Stoff zu bemeistern. Ja sie hassen es und fliehen es:
unter der Erdoberfläche kriechen die zarten, feinen Fäden
154 Fritz Pfuhl.
der Pilzpflanze — Mycel nennt sie die Botanik — umher,
vermodernde Stoffe aufzunehmen und in lebende Substanz
wieder umzusetzen. Sind diese verbraucht, dann ist es
mit ihrem Dasein hier an dieser Stelle vorbei, sie müssen
weiterziehen, um neue Nahrung zu finden — fahrendes
Volk, das wird nicht sehr geachtet Die Fruchtkörper,
die Sporenträger, d. h. den Teil, den der Mund des
Volkes „Pilz" nennt, treibt die Pflanze in periodischen
Zwischenräumen nach oben. Tritt keine Störung ein,
durch Steine z. B., welche sich in der Erde befinden,
oder durch Wurzeln, so rückt das Mycel unterirdisch
in immer weiterem Kreise vor, in Kreisen bringt es
die Fruchtkörper hervor, welche bald wieder nach Aus-
streuen der Sporen zu Grunde gehen, den Boden
düngen und einen üppigen Graswuchs in immer weiteren
Kreisen veranlassen. Eine sehr auffallende Erscheinung,
welche seit alters die sagenbildende Volksseele be-
schäftigt hat: dort führen die Elfen den nächüichen Reihn —
und Elfentanzplatz, Feenringe, Hexenringe nennt man
diese Pilzkreise. Schon manchmal ist darauf hingewiesen,
wie viel Naturbeobachtung sich in Shakespeares Dramen
zeigt. Die eben erwähnte aus der Physiologie der Pilze
hervorgehende Tatsache ist ihm schon bekannt, wie aus fol-
gender Stelle (Sturm V) hervorgeht
Ihr Elfen . . . halbe Zwerge, die ihr
Bei Mondschein grüne, saure Ringlein macht,
Wovon das Schaf nicht frisst, die ihr zur Kurzweil
Die nächt'gen Pilze macht . . .
In unserer Provinz scheinen die Hexenringe selten
zu sein. In den Waldungen zwischen Marienberg und
dem Gurkasee wächst solch ein Pilz, der zu diesen
magischen Spielen Neigung zeigt. Ein Trichterling ist es,
Clitocybe vibecina sagt die Botanik, bei uns ist er häufig,
im benachbarten Schlesien scheint er zu fehlen.
Weil nun bei den Pilzen die eigentliche Pflanze, d. h.
das Wesen, welches die Ernährung besorgt, sich unter
der Erde befindet, so können die Sporenträger auch in
so kurzer Zeit hervorspriessen, wie ja auch beim Kirsch-
Einige Mitteilungen über die Pilze unserer Provinz. 155
bäum sich die Blüten, die schon längst vorher angelegt
sind, so schnell entfalten können. „Wie die Pilze aus der
Erde wachsen", ist ja zum geflügelten Wort geworden.
Staunend erzählte mir mal ein bekannter Herr sein
Erlebnis, welches ihm in irgend einer kleinen Stadt der
Provinz auf einer Revisionsreise passiert war. Im Gast*
hause, wo er abgestiegen, war gerade grosses Scheuerfest
gewesen, und die Dielen noch etwas feucht. Am andern
Morgen, er traute seinen Augen kaum, war der Fussboden
bedeckt mit in geraden Reihen aufmarschierten Pilzenr
von der Höhe eines Fingers. Sie waren alle über Nacht
aus den Ritzen der Dielen hervorgewachsen. Hätten
übrigens meinem Bekannten seine dienstlichen Pflichten
nur noch einige Zeit zu weiterer Beobachtung gegönnt, dann
hätte er auch wahrnehmen können, von welch' vergänglicher
Art diese Pilzherrlichkeit ist: wie bald schwindet Schön-
heit und Gestalt Diese eben noch so stramm dastehenden
Hüte wären in wenigen Stunden zu schwarzer Tinte zer-
flossen; die Sporen sind nämlich schwarz. Deshalb
spielte der Pilz früher als Kulturträger eine Rolle, da man
ihn zur Herstellung einer Schreibtinte benutzte. Den
„Haus-Tintenpilz" nennt man diesen Pilz, der sich in
den Wohnräumen der Menschen solche überraschenden
Scherze erlaubt
Aber nicht nur aus dem Vermodernden nimmt das
Pilzmycel seine Nahrung, auch das Lebende greift der
Pilz an, besonders dann, wenn es sich Blossen giebt
Wie oft schon sind uns beim Besuchen eines Waldes
an den Baumstämmen in grösserer oder geringerer Höhe
konsolartige Auswüchse aufgefallen. Es sind dies die
Sporenträger von Pilzen — Verwandten des Steinpilzes,,
unterseits wie dieser mit zarten Röhren bekleidet — r
welche die Mycelfäden tief in den Holzkörper hineinschicken.
Zu Nutz und Frommen des Waldbaumes dient das natürlich
nicht, und so mancher kraftstrotzende Stamm, ein Stolz
des Forstmannes, ist diesem Feinde schon erlegen. Die
besonders grossen Auswüchse, die im Eichwalde z. B. be-
obachtet werden können, werden durch den unechten
156 Fritz Pfuhl.
Feuerschwamm gebildet. Doch auch der echte Feuer-
schwamm, den Linn6 1755 Ochroporus fomentarius ge-
nannt hat, findet sich ab und zu, z. B. in auffallender
Menge in den ausgedehnten Waldungen nördlich von
Radojewo. Der Pilz war früher mal ein Kulturträger
ersten Ranges. Machte er doch Prometheus die Palme
streitig; zwar gab er das Feuer den Menschen
nicht, aber er ermöglichte es ihnen doch, den Funken in
einer für die damalige Zeit bequemen Weise aufzufangen.
Das Innere dieses hartrindigen Pilzes besteht aus einem
weichen, porösen Stoffe, der durch Klopfen erheblich noch
an Weichheit gewinnt Als Feuerschwamm, Zündschwamm
oder Zunder wurde er früher in grosser Menge, heute
nur noch sehr spärlich, in den Handel gebracht — die
Botanik wird verdrängt durch die Chemie — , er hat dem
Schwefel und Phosphor weichen müssen. Übrigens heisst
fomentum nicht nur Zunder, sondern auch Umschlag für
Wunden, und noch heute wird der Feuerschwamm zum
:Stillen des Blutes benutzt.
Es erfordert jedoch nicht erst einen weiten Ausflug
in einen hochstämmigen Wald, um den Kampf zwischen
lebender Pflanze und Pilz beobachten zu können. In
Scharen sitzen da an manchen Bäumen unserer Plätze
und Promenaden honiggelbe Pilze, welche an ihren Blättern
weisse Sporen absondern. Besonders im Winter machen
sie sich bemerkbar: der tut ihnen nichts; wie sie sich
denn überhaupt des üppigsten Daseins erfreuen, wohl
infolge der von ihnen befolgten Lebensregel : Fuss warm,
Kopf kühl. Denn nur den unteren Teil ihres Stieles um-
hüllen sie mit einem dunkelbraunen Filz, woraufhin ihnen
denn auch der Botaniker den Namen velutipes „Fuss mit
Hülle versehen" gegeben hat. Zu deutsch heisst der Pilz
„Rübling". Mit Recht, denn eine unter günstigen Ver-
hältnissen sehr bedeutende rübenartige Verlängerung des
Stieles lässt sich manchmal bis tief in das Innere des
morschen Baumes verfolgen.
Ferner: Die gelben und braunen und schwarzen
Flecken auf Blättern, an Stengeln, an Blüten oder Früchten
Einige Mitteilungen über die Pilze unserer Provinz. 157
bei den verschiedensten Pflanzen werden meist durch
Pilze veranlasst, die sich aus dem lebenden Wesen die
Nahrung holen, welche sie nicht der Luft entnehmen können.
Und somit sind es denn auch trotz ihrer vom Champignon,,
vom Feuerschwamm, vom Steinpilz so sehr abweichenden
Gestalt Pilze; denn sie fügen sich der Definition, sie ver-
mehren sich durch Sporen, und sind Kostgänger bei
anderen Lebewesen. Der Flugbrand und der Rost des Ge-
treides, gefürchtete Krankheiten der Kartoffelpflanze und
des Weinstocks werden durch Pilzmycel hervorgebracht
Aber auch den Herrn der Schöpfung, den Menschen,
verschonen die Pilze nicht Wie gar manchmal schon ist
die Unsitte yerhängnisvoll geworden, die Ähren von
Gräsern, von der Gerste z. B., in den Mund zu nehmen..
Die scharfen Grannen verletzen die Schleimhaut der
Lippen, und die Sporen des Strahlenpilzes, „Actinomyces"
sagt der Botaniker und der Mediziner, können nun in
den Körper eindringen, wo sie — zuweilen erst nach
langen Monaten — fürchterliche Verheerungen durch das
weithin sich verzweigende Mycel anrichten. Und nun der
Cholera-, der Typhus-, der Schwindsuchtspilz und das
andere pathogene Pilzgesindel ! Sind denn das aber auch
Pilze? Gewiss! Denn auch sie sind der Definition unter-
worfen : erstens, von Mineralstoffen allein können sie sich
nicht ernähren und zweitens, vermehren sie sich nicht
durch Blüten — , wenn nur zugegeben wird, dass es sich
dabei um Pflanzen handelt Da ist wieder solche
Achillesferse der Wissenschaft: sie ist nicht im Stande,
zwischen Tier und Pflanze zu unterscheiden und wird in
manchen Fällen auch nie im Stande sein, eine scharfe
Grenze zwischen Tierpflanzen und Pflanzentieren zu ziehen.
So hat Linnes Ausspruch: Natura non facit saltus, die Natur
macht keinen Sprung, auch heute noch Gültigkeit, ja mit noch
weit mehr Recht als zu der Zeit, wo das Wort entstand.
Doch nicht nur diese winzigen Pilze, welche im
Blute der Menschen und Tiere ihr Unwesen treiben, ent-
wickeln lebengefährdende Gifte, auch die grossen Pilz-
körper, welche der Volksmund Schwämme nennt, leisten
158 Fritz Pfuhl.
<iarin ganz hervorragendes. Nun ja, so hört man oft,
•das sieht man ihnen doch auch gleich an, die gütige,
fürsorgliche Natur hat ihnen doch das Kainszeichen
<ier Nichtswürdigkeit aufgeprägt: ein Pilz, der so
grünspanig aussieht, der mit solchem missfarbigen
Schleim bedeckt ist, das ist gewiss einer der schlimmsten.
Doch nein, dieser Pilz, welcher im Eichwalde, im Cybina-
grunde z. B. in Menge vorkommt, ist ein ganz harmloses
Wesen, ein sehr naher Verwandter des Champignons.
Aber nicht weit entfernt, unter den Kiefern, macht sich
ein anderer Pilz sehr auffallend bemerkbar. Er liebt es,
sich in weiss zu kleiden, weiss der Stiel, weiss der Hut,
zuweilen auch etwas gelblich oder grünlich, weiss meist
auch der Ring am Stiel; und wenn man den Hut um-
dreht, dann lächelt uns auch dort die Farbe der Un-
schuld mit der grössten Harmlosigkeit entgegen. Und
<loch ! es ist das der giftigste Pilz, den unsere Provinz birgt,
es ist wahrscheinlich der Pilz, der in jedem Jahre seine
Opfer fordert, und der oft schon das Glück einer Familie
jäh zerstört hat Gift-Wulstling nennt man ihn; sein
Stiel bildet nämlich dicht am Erdboden oder innerhalb
der Erde eine meist sehr auffallende knollige An-
schwellung. Er ist wohl vielfach mit dem Champignon
verwechselt worden ; dieser zeigt aber bereits in dem
jungen Zustande, in welchem der Hut mit dem Stiel
durch den Schleier verbunden ist, schwach rötliche
Blätter (ganz kleine Exemplare kommen für die Küche
nicht in Betracht) später werden sie braunviolet Es
wurde eben bemerkt, dass der Gift-Wulstling „wahr-
scheinlich" die meisten Opfer in unserer Provinz fordert
Es ist nämlich ganz überraschend, wie wenig sicher man
unterrichtet ist über die Art der Pilze, welche den Ver-
giftungsfall hervorgerufen hat, z. B. schon deshalb, weil
Pilze kennen nicht Jedermanns Sache ist. Daher kommt
es denn auch, dass die Pilzbücher bei nicht wenigen
Arten den so unsichern Zusatz „verdächtig" machen.
Die Hausfrau aber beherzige: nicht ein
silberner Löffel und auch nicht eine Zwiebel,
Einige Mitteilungen Über die Pilze unserer Provinz. 159
welche zusammen mit den Pilzen gekocht werden,
können das Vorhandensein von Gift verraten.
Einzig und allein die Kenntnis der Pilze schützt
vor der Vergiftungsgefahr, und nur die Pilze darf
die Hausfrau in den Kochtopf bringen lassen, die
sie kennt
In der Zeitschrift der naturwissenschaftlichen Abteilung
der Deutschen Gesellschaft wurde mal eine kurze Auf-
zählung der Merkmale für die giftigsten Pilze, welche in
unserer Provinz Leben und Gesundheit bedrohen, veröffent-
licht Diese mag an dieser Stelle wiedergegeben werden.
Man hüte sich vor Pilzen, welche
A. keinen Hut haben, sondern
i.1) knollenförmig sind; sie sind schädlich oder übel-
schmeckend, —
B. einen Hut haben und
2. auf der Unterseite des Hutes Röhren mit roter
Mündung besitzen; sie sind giftig, —
C auf der Unterseite des Hutes speichenartig gestellte
Blätter zeigen und
3. beim Zerbrechen oder Zerschneiden des Hutes einen
Milchsaft austreten lassen, der anders als gelbrot
gefärbt ist, denn unter diesen befinden sich mehrere
giftige Sorten, —
4. Blätter haben, die in der Mehrzahl vom Rande
bis vollständig zum Stiel gehen, von denen also
mehrere immittelbar benachbarte gleich lang
sind; das sind die Täublinge oder Reizker, von denen
mehrere Arten stark giftig sind, —
5.*) am weissen (zuweilen im oberen Teile schwach
gelblichen) Stiel eine ringförmige Haut, den Ring,
*) Der so beliebte Champignon (und einige andere Pilze)
besitzt im Jugendzustande eine knollenartige Gestalt, da der Hut
dann noch nicht ausgebreitet, sondern dem Stiel eng angedrückt ist
Beim Durchbrechen machen sich jedoch die Blatter auf der Unter-
seite des Hutes schon bemerkbar, und äusserlich ist die Grenze
zwischen dem Stiel und dem angedrückten Hute zu erkennen.
*) Einige harmlose Pilzsorten, welche häufig auf den Markt
gebracht werden, besitzen ebenfalls einen mit einem Ringe ver-
160 Fritz Pfuhl.
tragen und am Hute weisse (zuweilen schwach
gelbliche) Blätter besitzen, denn diese Pilze sind
überaus giftig.
So scheint denn wirklich das Geschlecht der Pilze
von der Natur mit einem Fluche belastet zu sein, bestimmt
dazu, das Leben zu bedrohen und zu bekämpfen. Aber
so scheint es nur; der Fluch verwandelt sich in Segen
für den, der da sehen kann. Unendlich ist der Segen,
den die Pilze allem, was da existiert, bringen; wäre doch
das Leben auf der Erde nicht möglich ohne sie, es
müsste erlöschen, erstickt würde es unter Haufen von
Leichen. Das tote und abgestorbene wird durch die
Pilze wieder hineingezogen in den lebendigen ^ Wirbel
der Metamorphosen, sie bewirken, dass, was irgendwo
auf der Erde verwest, wieder auferstehen muss. Wo
der Eskimo mit Schnee sein Renntier tränkt, wo die
Sonnenstrahlen senkrecht scheinen und das Wasser der
Cisterne aufzusaugen streben, schaffen die Pilze, die
grossen und die kleinen, für den Kreislauf in der Natur.
Verkannt und unterschätzt, verachtet sogar und verab-
scheut, ein Opfer der äussern Erscheinimg, fühlen sie sich
getragen durch die Bedeutung ihres Wesens und ihres
Wertes. Im Besitze uralter Weltweisheit — reicht doch
ihr Stammbaum viel, viel weiter zurück in der Ahnen-
reihe der Formen als der der prangenden Rose oder der
prunkenden Lilie — , haben sie sich zu der philosophischen
Erkenntnis durchgekämpft:
Die Tat ist alles, nichts der Ruhm.
sehenen Stiel: der Schirmling, der Hallimasch und der
Champignon. Der Stiel des Schirmlings ist jedoch mit gran-
braunen Schuppen bedeckt (oder doch bräunlich gefärbt), ist also
nicht weiss, und ebensowenig ist der des Hallimasch weiss gefärbt,
sondern er zeigt mehr oder weniger eine bräunliche Färbung, wie
auch seine Blätter nicht rein weiss gefärbt sind. Auch der Champignon
unterscheidet sich mindestens durch seine Blätter, welche in der
Jugend schwach rötlich, später mehr oder weniger tief violettbraun
gefärbt sind, leicht von den unter 5) charakterisierten Giftpilzen.
Von Arbeiten, welche in früheren Jahrgängen der Zeitschrift der
Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen veröffentlicht wurden,
sind folgende auch im Sonder-Abdruck erschienen und durch den Vor-
stand der Gesellschaft oder die Buchhandlungen zu nachstehenden
Preisen zu beziehen :
R. Jonas: Ein Deutsches Handwerkerspiel, nach einer hand- M
schriftlichen Überlieferung aus dem Kgl. Staats-Archiv zu
Posen herausgegeben. 53 Seiten, 1885 1,00
A. Warschauer: Die Chronik der Stadtschreiber von Posen.
XLV und r7i Seiten. 1888 5,00
R. Roepell: J. J. Rousseaus Betrachtungen über die polnische
Verfassung. 24 Seiten. 1888 0,80
E. Hoff mann: Hundertjährige Arbeit auf Gebieten des Ver-
kehrswesens i. d. deutschen Ostmark. Mit 1 Karte. 26 S. 1890. 1,20
Fr. Schwanz: Die Provinz Posen als Schauplatz des sieben-
jährigen Krieges. 52 Seiten. 1890 1,20
M. Bebe im -Seh warzbach : Das V. Armeekorps im histo-
rischen Volksliede des Krieges 1870 71. 24 Seiten. 1891. 0,50
R. Roepell: Das Interregnum, Wahl und Krönung von
Stanislaw August Poniatowski. 173 Seiten. 1892 1,50
Ph Bloch: Die General-Privilegien der polnischen Juden-
schaft. 120 Seiten. 1892 2,5p
M. Kirmis: Handbuch der poln. Münzkunde. XI u. 268 S. 1892. 6,o<>
J. Landsberger: Beiträge zur Statistik Posens. 30 S. 1803. 0,60
Will iam BarMow v. Guenther. Ein Lebensbild. 18 S. 1804. j,oo
A. Warschauer: I >ie Poseuer Gold>chmiedfamilic Kamyn. 26
Seiten. Mit 6 Tafeln Abbildungen. 1894 t.so
G. Adler: Das gros^poln. Fleischergewerbe vor 300 Jahren. rBgi. 2,80,
11. Kiewning: Seidenbau und Seidenindustrie im Xetzedistrikt
von 1773 bis 1805. 1896 r»5°t.
H. Klein Wächter : Die Inschrift einer Po<ener Messing-
schüssel. 16 Seiten. Mit einer Tafel Abbildungen. 1897. 1, —
G. K 11 oll: Der Feldzug gegen den polnischen Aufstand im
Jahre 1794. 126 Seiten. 1898 3, —
F. Guradze: Der Bauer in Posen. I. Theil { 1772— 1815). 100
Seiten. 1808 1,50
J. Kohte: Da< Bauernhaus in der Provinz Posen Mit 2 Tafeln
und 5 Abbildungen. 16 S. 1809 *,—
J. KvaCala, D. F. Jablotisky und G rosspolen 154 S. iqoi. 1,50
R. Prümers, Tagebuch Adam Samuel Hanmanns, Pfarrers zu
I.i-sa i. P. über seine Kollektenreise durch Deutschland,
die Niederlande, Kimland und Frankreich in den Jahren
1057—165,9. 279 S. JQOl 3,—
G. Minde-Pouet, Kunstpflege in Posen. 80 S iqoj . . j,20
G. Beider: Über Friedrichs des Großen burle-ke^ Helden-
gedicht „La guerre dc> eonfedereX 52 S. 1903. . . L.20 '<
Ausserdem erschienen im Verlage d. Historischen Gesellschaf::
A. Warschauer: Stadtbuch von Posen. I. Band: Die mittel-
alterliche Magi-trat-liste. Die fdtesten Protokollbücher und
Rechnungen. Posen 1802. Roy. 8". 108 u. 527 S. (I. Bd.
dei" Sonderveröl lentliehunirent . . 12, —
O. Knoop: Sauen u. Erzählungen a. d. Prov. Po-en. Posen 1803
Roy. 8°. 303 S. (II. Bd. der Sonderveroffentlichungen). 7,00
gebunden 8,00
Das Jahr 170.5. Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte
de»* < h'gani^ation Südpreussens. Mit 4 Portraits Guter
(\vv Redaktion von Dr. R. Prümer.-. Posen 1895. Roy 8".
X u. 840 S. (III. Bd. der Sonderveröffentlichungen». . . . 12, —
H.ahuchdruekinei W. [»rekrr \- Co., I'«
Zeitschrift
der
Historischen Gesellschaft
für die
Provinz Posen,
zugleich
Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für
den Netzedistrikt zu Bromberg.
Herausgegeben
von
Dr. Rodgero Prümers.
«:
Achtzehnter Jahrgang. * er * © Zweiter Halbband.
JL(llOL
\
Alle Rechte vorbehalten.
Ober Friedrichs des Grossen burleskes Heldengedicht
„La guerre des confederes".
Von
Q. Peiser.
'on jenen Adelsverbindungen, welche durch das
wundersame Staatsrecht der polnischen Republik
geradezu legalisiert waren, hat keine so tiefe
Spuren in der Geschichte Polens und Europas überhaupt
hinterlassen, wie die Konföderation von Bar. Am
24. Februar 1768 hatte ein ausserordentlicher Reichstag,
russischer Gewalt nachgebend, die Gleichstellung der
polnischen Dissidenten, das heisst der Protestanten, Re-
formierten und nicht linierten Griechen, mit den römischen
Katholiken ausgesprochen. Die Männer, die sich fünf
Tage darauf in dem kleinen podolischen Orte Bar kon-
föderierten, entfesselten den religiösen Fanatismus zur
Wiederherstellung der Vorrechte der katholischen Kirche.
Ihr Endziel aber war die Beseitigung des Königs Stanislaus
August, der seit 1764 als russischer Vasall in Warschau
residierte, und die Abschüttelung des russischen Joches
überhaupt1). In dem jahrelangen Kampfe, der sich nun
entspann und das unglückliche Land allen Greueln eines
Guerillakrieges überlieferte, war die öffentliche Meinimg
Europas, soweit sie im Banne der Aufklärung stand, auf
*) vgl. u. A. Beer: Die erste Teilung Polens. Wien 1873. I
S. 226 ff.
Prowe : Polen in den Jahren 1766— 1768. Berlin 1870. S. 56 ff.
Ruiniere: Historie de l'anarchie de Pologne II S. 504. ff.
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Prov. Posen. Jahrg. XYIÜ. 11
162 G. Peiser.
Seite der Russen. Der Wortführer der Partei, Voltaire,
gab auch hier den Ton an, indem er die Kaiserin
Katharina als die Vorfechterin religiöser Toleranz feierte
und die Konföderierten als Narren verhöhnte oder als
Verbrecher brandmarkte1). Niemand aber hat ein härteres
Verdammungsürteil über die Konföderierten von Bar aus-
gesprochen als Friedrich der Grosse, der sie in seinem
komischen Epos : „La guerre des confed6r6s" dem Spotte
und der Verachtung preisgab.
Nur einige Vertraute Friedrichs haben zu seinen
Lebzeiten das Werk kennen gelernt Am 18. November
1771 schickte er Voltaire als „Probe" die beiden ersten
Gesänge. In dem Begleitbriefe2) spricht er sich zugleich
über die Umstände, unter denen das Werk entstanden
ist, des Näheren aus. Er habe einen sehr heftigen Gicht-
anfall gehabt; Hände und Füsse seien ihm wie geknebelt
gewesen. „Kaum aber hatte ich die Bewegungsfähigkeit
meiner rechten Hand wiedererlangt, als mir der Gedanke
kam, Papier zu bekritzeln, nicht um das Publikum und
Europa, welches seine Augen sehr offen hält, aufzuklären
und zu unterrichten, sondern um mich zu amüsieren.
Nicht die Siege Katharinas habe ich besungen3), sondern
die Torheiten der Konföderierten; der Scherz passt besser
für einen Rekonvalescenten als die Herbheit des
majestätischen Stils. Die Unterwerfung der Moldau,
Walachei und Tartarei müssen in einem andern Tone
besungen werden als die Dummheiten eines Potocki,
Krasinski, Oginski und jener ganzen imbecilen Menge,
deren Name auf ki endigt" Das Werk sei bereits
*) Voltaire an Friedrich vom 18. Oktober und 6. Dezember 177 1.
und 15. Februar 1775. (Oeuvres XXIII 229, 233 und 354.)
Vgl. Janssen: Zur Genesis der ersten Teilung Polens. Frei-
burg 1865, S. 98.
Arnold: Geschichte der deutschen Polenliteratur. Halle 1900
I S. 59.
2) Oeuvres de Fr. !e Gr. XXIII S. 232.
3) Voltaire hatte die russischen Siege im Türkenkriege in
mehreren Oden gefeiert.
/- /*
Friedrichs d. Gr. „La guerre des confedeYeV4. 163
völlig fertig; die fünfwöchentliche Krankheit habe ihm
Zeit gelassen, ganz gemächlich zu reimen und zu
verbessern l).
Ähnlich äussert er sich in dem Schreiben, mit welchem
er d'Alembert am 30. November 1771 die beiden ersten
Gesänge übersandte2). Er rühmt die natürliche Heiterkeit
<Jer Franzosen, die mit einem Liedchen, einem Bonmot sich
allen Missmut hinwegzuscherzen wüssten. Er mache es bei
seinem Gichtleiden ebenso. Kaum sei er seine grossen
Schmerzen los geworden, so habe er sich über die pol-
nischen Konföderierten lustig gemacht Es habe ihn amü-
siert, sie nach dem Leben zu zeichnen. Beim Lesen bittet
er d'Alembert zu bedenken, dass es Verse eines Kranken,
eines Sechzigjährigen seien, und dass sie als Heilmittel
gegen seine Schmerzen hätten dienen sollen.
War somit die Absicht des königlichen Autors ur-
sprünglich nur darauf gerichtet, sich in seinen Schmerzen
zu zerstreuen, so ist ihm doch später der Gedanke ge-
kommen, sein Werk auch politisch zu verwerten.
Im Jahre 1773 übersandte er es dem Grafen Solms,
seinem Gesandten in Petersburg, mit dem Auftrage, es
die Kaiserin, den Minister Panin, den Fürsten Repnin und
andere hervorragende Persönlichkeiten des Petersburger
Hofes lesen zu lassen. Man kann nicht daran zweifeln,
dass er damals überhaupt den Gedanken gehabt hat, die
Schrift dem Publikum zu übergeben. Es waren, wie be-
stimmt versichert wird, lediglich die Vorstellungen des
Grafen Solms, welche den König zu dem Entschlüsse ge-
*) Friedrichs Dichtung hat Voltaire zur Abfassung seines
Dramas „Les lois de Minos" angeregt, (s. Voltaires Brief an
Friedrich vom 8. Dezember 1772. Oeuvres XXIII S. 260.) König
Teucer ist kein Anderer als Poniatowski ; auch die Grossen in Kreta
haben das Recht des liberum veto. Als Teucer dem Hohepriester
eine Kriegsgefangene entreisst, die dieser Jupiter opfern will, kommt
es zum Konflikt Im Kampfe siegreich, zerstört der König das
Heiligtum zu Gortyna, wo die Menschenopfer dargebracht werden,
und erlangt die höchste Gewalt im Lande.
2) Oeuvres XXIV S. 611.
164 G. Peiscr.
bracht haben, von einer Veröffentlichung Abstand zu
nehmen. Friedrich billigte, wie es heisst, die Gründe
seines Gesandten, lobte dessen Eifer und liess sich das
Manuskript zurückschicken. Welcher Art diese Vor-
stellungen gewesen sind, erhellt aus einem Briefe Friedrichs
vom 2. März 1775 *). Er lehnt hier die Aufforderung
Voltaires, das Werk im Drucke erscheinen zu lassen, mit
der Begründung ab: „Es ist darin von vielen Personea
die Rede, die noch leben, und ich darf und will niemanden
verletzen.11
An diesem Entschlüsse hat er denn auch für die
Folgezeit festgehalten. Als eine Abschrift — man sagt:
durch eine Indiskretion Voltaires — Beaumarchais in die
Hände fiel, der sie einem Hamburger Buchhändler ver-
kaufte, hat Friedrich den Druck inhibieren lassen, übrigens
nicht, ohne dem Buchhändler seine Kosten zu erstatten a).
So ist denn das Werk erst nach dem Tode Friedrichs,
als Supplement zu seinen Oeuvres posthumes, veröffent-
licht worden8).
Die Dichtung hat bisher eine eingehende Würdigung
nicht erfahren. Das vernichtende Urteil, das Friedrich
von Raumer im Jahre 1832 über das Epos gefällt hat4),
— er nennt es weniger komisch als frivol und eines so
grossen Geistes, wie Friedrich war, unwürdig — hat
Johannes Janssen nur eben wiederholt 5). Auch Arnold 6)
hat in seinem vortrefflichen Werke „ Geschichte der
deutschen Polenliteratur" der Schrift nur eine kurze Be-
sprechung widmen können. So mag denn der Versuch
i) Oeuvres XXIII S. 360.
2) Denina: La Prusse littdraire sous Frddäric IL Berlin 179a
t. IL S. 80 und
Denina: Essai sur la vie et le regne de Fr6d6ric II. Berlin 1788.
SS. 341 u. 420.
3) Auf dieser Edition beruht — da das Manuskript nicht mehr vor-
handen ist — auch die Ausgabe von 1850: Oeuvres XIV S. 213 — 273.
4) Raumer. Polens Untergang. Historisches Jahrbuch Bd. m.
S. 466.
5) Zur Genesis der ersten Teilung Polens. S. 98 fg.
«) I S. 62.
Friedrichs d. Gr. „La guerre des confedeYeV'. 165
nicht ungerechtfertigt erscheinen, einmal den Gedanken-
gang des Gedichtes ausführlicher darzulegen, seine
historischen Angaben auf ihren Wert zu prüfen und wo-
möglich seine Bedeutung in das rechte Licht zu setzen.
Wie in seiner schriftstellerischen Tätigkeit über-
haupt, so folgt Friedrich auch in seinem „Konföderations-
kriege" den Spuren Voltaires, der seiner Zeit als der
Meister des komischen Epos galt Schon einmal hatte er
dies Gebiet betreten. In seinem burlesken Heldengedichte
das „Palladium* hatte er die Pucelle nachgeahmt. Das
Werk, das ebenfalls nicht für die Öffentlichkeit bestimmt
war, behandelte ein Abenteuer seines Vorlesers Darget,
der im Jahre 1745 an Stelle seines damaligen Herrn, des
französischen Gesandten Valori, von den Österreichern
gefangen genommen worden war. Bei seinem zweiten
Versuche schwebte Friedrich offenbar der Gedanke vor,
ein Werk im Stile von Voltaires „Guerre civile de
Genöve" *) zu verfassen. Mit funkensprühendem Witze
hat hier der Schlossherr von Ferney die Parteikämpfe
seiner Nachbarn, die Intoleranz der Genfer Prädikanten,
die Herrschsucht des städtischen Patriziats und eine da-
durch hervorgerufene Erhebung der unteren Stände ge-
schildert Daneben hat er die Schwächen seines alten
Gegners Jean Jacques Rousseau, insbesondere seinen
Wankelmut in religiösen Dingen, zur Zielscheibe seines
rücksichtslosen Spottes gemacht. Friedrichs Werk be-
gegnet sich mit dem seines Lehrmeisters hauptsächlich
in der allgemeinen Tendenz, die Unduldsamkeit der
Priester zu geissein. Doch finden sich auch hie und da
direkte Anlehnungen, auf die wir an den betreffenden
Stellen hinweisen werden. Die Leichtigkeit und Anmut,
mit der Voltaire Vers und Reim behandelt — es sind die
üblichen sfüssigen Jamben, bei denen die Reime künst-
lich verschlungen sind — vermag der Nachahmer natür-
lich nicht zu erreichen. Wie hätte das auch bei einem
*) Oeuvres completes de Voltaire (Garnier freres) 1877. t IX
s- 515—552.
166 G. Peiser.
Werke möglich sein können, das unter solchen Umständen
verfasst ist! Es gleicht einem leicht gezimmerten Ge-
bäude, das überall die Spuren der Eile zeigt, in der der
Baumeister es aufgeführt hat Die Ungleichheit des Stils
erklärt Friedrich einmal — natürlich mit einer gewissen
Übertreibung — damit, dass er keinen festen Plan haber
sondern seiner Feder freien Lauf lasse und niederschreiber
was ihm gerade einfalle 1).
Schon die Widmungsepistel, die dem Werke voran-
geht, — sie ist in vierfüssigen Jamben abgefasst — kenn-
zeichnet den Geist, der in der Dichtung überhaupt herrscht.
Voltaire hatte einst seinen Mahomet dem Papste
Benedikt XIV. übersandt, „dem Oberhaupte der wahren
Religion eine Schrift gegen den Stifter einer falschen und
barbarischen* und vom Papste, „le bonhomme Lambertini,*
wie er ihn zum Danke nennt, ein heiteres Antwortschreiben
erhalten.
Auch Friedrich widmet sein Werk dem regierenden
Papste. Es war Clemens XIV. aus dem Hause Ganganelli,
derselbe, der im Jahre 1772 den Jesuitenorden aufge-
hoben hat Aber im Gegensatze zu Voltaires Widmung,
die demütig und devot abgefasst ist, war die Friedrichs
durchaus nicht geeignet, in die Hände des Adressaten zu
gelangen: „Da ich ja doch als Ketzer ein für alle Mal
exkommuniziert bin," schreibt er an Voltaire, „habe ich
den Blitzen des Vatikans Trotz geboten41 a). Die Epistel
ist die höhnischste Satire, die man sich überhaupt
denken kann.
„O Stellvertreter Gottes" (vice Dieu) — redet er
den Papst an — „heiliger Lotse des Schiffleins, das einst
Petrus, der glaubenseifrige Apostat, führte, aber noch
ohne ein Chorhemd zu tragen, ich bringe Dir ein heiliges
Werk, worin Deine Kirche gut geschildert ist. Mit frommem
Stifte zeichne ich Deine Hierarchie vom Prälaten mit
Krummstab und Bischofsmütze bis herab zum niedrigsten
Priester, ihre Politik, ihre Grundsätze, ihre Scheinheiligkeit,,
*)p. »44.
2) 18. November 1771. Oeuvres XXffl S. 232.
Friedrichs d. Gr. „La guerre des confederes". 167
ihren erhabenen Eifer für den Irrtum, für seine Heiligen,
für Dich/ Das Werk, bei dem er keinen andern Ruhm
als den eines glaubenseifrigen Christen gesucht habe, sei
so verdienstlich, dass er hoffe, dafür in seiner letzten
Stunde den gleichen Ablass zu erhalten, wie er beim
Jubiläum des Papstes gespendet werde *). „Gib ihn mir,
ich habe ihn nötig; denn Sanssouci ist weit entfernt von
Rom.11 Die Beichte des Dichters sei in dem Gedichte
selbst enthalten ; wenn der Papst es lese, werde er daraus
ohne Mühe Friedrichs Sünden kennen lernen. Demütig
nenne er sie alle; denn er wisse, dass dem Teufel ver-
fallen sei, wer nicht dem Charon2) sein Glaubensbe-
kenntnis überreiche. Der Papst werde sich vielleicht
darüber lustig machen, dass der Dichter hier Charon
nenne, also Mythologie und Theologie durcheinanderwerfe.
Aber das könne ihm leicht begegnen; denn sein Gehirn
sei halb heidnisch, und die Fabel eines Ovid gelte ihm
ebensoviel wie die eines Apostels.
An den Stufen des päpstlichen Thrones hingestreckt8)
wiederhole er seine Bitte um Absolution. Wenn er sie
erlange, werde er demnächst dem Papste — „in Babylon"
schiebt er spöttisch ein — den heiligen Sporn küssen.
„Und nun, meine Verse, marschiert los und zeigt eure
Karrikatur. Der heilige Vater, der verständig ist, segnet
eure Schelle und schützt euch vor Verbrennung."
Mit homerischer Feierlichkeit eröffnet Friedrich nun-
mehr den ersten Gesang seines Werkes: „Ich will die
Taten der Krieger besingen, welche Polen bewundert.
Aber — fährt er fort — diese grossen Helden haben
oft Disteln statt Lorbeeren gepflückt. Kein Hektor, kein
Achilles war unter diesen Bastarden der bürgerlichen
*) Das vorhergehende Jahr war ein solches Jubeljahr gewesen.
2) s. Guerre civile de Geneve S. 533, wo Rousseau mit Charon,
Beine Freundin mit Megära verglichen wird.
*) Je me prosterne aux pieds du tröne, oü siege le divin magot
S. 215. Vgl. Guerre civile de Geneve S. 533, wo Rousseau eben-
falls als Magot (Ölgötze) verspottet wird.
168 G. Peiser.
Zwietracht. Hochmütig bei ihren Debatten, waren sie
nicht schwer zu besiegen.*
Von Stolz trunken, von Fanatismus verblendet, hätten
die Palatine den Bürgerkrieg heraufbeschworen, der den
Untergang Polens angekündigt habe. „Möge jedes auf-
geklärte Volk*, mahnt er, „daraus lernen, die polnischen
Possen und die Zwietracht zu verachten!*
Wie Homer die Muse, so ruft Friedrich nun die
Göttin der Torheit an, ihn zum Gesänge zu begeistern.
„Du stiftest Narren und Toren zu Dummheiten an, ver-
schönerst die Geschichte und lieferst uns dadurch Stoff
zu Bonmots. Lass die Schellen deiner Narrenkappe er-
klingen und erzähle mir, wie du die Köpfe der polnischen
Magnaten verwirren konntest! Man sagt freilich, ich
glaube aus Bosheit, dass die Arbeit schon vorher getan
war, und dass du dabei nicht soviel Mühe hattest Der
Boden war für deine Saat so geeignet, dass alles, was
du damals sätest, herrlich aufging. Höret nun, wie die
Verwirrung begann!"
Nach dieser Einleitung beginnt die eigentliche Dar-
stellung. Sie nimmt ihren Ausgangspunkt vom Tode
König Augusts III. von Polen am 5. Oktober 1763. Welchen
Stoff für Friedrichs Satire bot dieser König, seine geistlose
Schönheit, seine Unzertrennlichkeit von seiner Frau, die man
als die hässlichste Fürstin ihres Jahrhunderts bezeichnete1) !
Der Dichter führt sogar Augusts III. Tod auf diese blinde
Ergebenheit zurück. „Dieser vortreffliche König", sagt
er, „der niemals einen Gedanken gehabt hat, ging in die
dunkle Nacht, um dort seine Gemahlin wiederzufinden, die
ihm im Tode vorangegangen war". Tisiphone nennt Friedrich
sie mit dem Namen einer der Furien, ihr reizendes Gesicht
sei der Meduse getreu nachgebildet gewesen.
Die Verwirrung, die in Polen während des Inter-
regnums eintrat, wo es von Thronkandidaten wimmelte9),
i) Ruiniere I S. 176.
2) Roepell : Das Interregnum, Wahl und Krönung von Stanislaus
August Poniatowski. Jahrgang VI dieser Zeitschrift. S. 255—342
und VII S. 1— 115.
Friedrichs d. Gr. „La guerre des conf6d6r6s". 169
wird nun ganz ergötzlich geschildert Offenbar hat
Friedrich dabei jene Scene aus der Guerre civile de
Genfeve vorgeschwebt, wo die Genfer Aufrührer sich bei
der Göttin Inconstance Rat holen. „Um Augusts III.
Stelle würdig auszufüllen*, — erzählt der Dichter —
„brauchen die Polen einen neuen König. Immer eigennützig
wollen sie in ihrer Habsucht einen Verschwender wählen ;
nicht bloss einen durchlöcherten Korb (wie die Franzosen
einen solchen nennen), sondern ein wahres Danaidenfass1).
Eines Morgens erfährt man durch den niederrheinischen
Courier, den Hornbläser, der der Fama als Stallmeister
folgt8), dass die Göttin Sottise sich auf die Reise begeben
habe. Es lässt ihr keine Ruhe, dass sie schon so lange
nicht mehr die Länder besucht hat, welche der Gross-
türke knechtet, und die, welche der Pole, ihr Lieblingskind,
bewohnt Mit Vergnügen sieht sie, dass Polen noch in
demselben Zustande ist wie bei der Schöpfimg: roh,
stupid und ohne Unterricht — Starosten, Juden, Leibeigene,
betrunkene Palatine, — alles Lebende ohne Scham. Ich
erkenne mein Volk, ruft sie entzückt und segnet es; dann
schüttelt sie ihr Kleid, und alsbald senkt sich ein dichter
l) Die gleiche Auffassung findet sich in einem Briefe Friedrichs
an d'AJembert vom 26. Januar 177a (Oeuvres XXTV S. 617). Ihr
Hass gegen diesen Fürsten (Stanislaus Poniatowski) rührt einzig davon
her, dass er nicht reich genug ist, um ihnen soviel Jahrgelder zu-
zuwenden, als ihre Habsucht wünschte; darum würden sie lieber
einen fremden Prinzen auf dem Throne sehen, der von seinem Privat-
eigentum ihre Habsucht unterstützen könnte.
*) S. 219.
Tout juste alors on apprit un matin
Par le corneur qui suit la Renommee
Son ecuyer le Courrier du Bas-Rhin.
Vgl Guerre civile de Geneve. S. 540.
Comme il parlait, passa la R6nomm6e
Son ecuyer, 1' astrologue de Liege,
De son chapitre obtint le privilege,
D'accompagner l'errante d6ite\
17° G. Peiser.
Nebel auf das Land herab. Eine Verwirrung entsteht,
wie beim Turmbau zu Babel. So erscheinen die Polen
auf dem Reichstage, wo ihr Geschrei einen neuen König
wählte'".
Hören wir nun, wie der Dichter die Wahl Stanislaus
Poniatowskis erzählt!
„Jeder Deputierte nennt einen andern Namen. Die
Verwirrung würde schliesslich ganz Polen im Unordnung
gestürzt und seine Vernichtung herbeigeführt haben, wenn
nicht Katharina, Polens erhabene nordische Nachbarin,
in ihrer Güte seinen Untergang verhindert hätte. Die
Weichsel sieht an ihren Ufern eine erlauchte Gesandt-
schaft russischer Helden ankommen; man feiert sie mit
Bällen und Serenaden. In ihrem Namen empfiehlt Repnin
der Versammlung, einen Einheimischen zu wählen. „Warum
wollt ihr euch einen König aus der Fremde holen? Warum
soll nicht ein Starost, ein Pole das Scepter tragen und euch als
König beweisen können, dass ihr mit Recht ihn gewählt
habt?" Aber er predigt tauben Ohren. Da bedient er sich,
um seine Rede der verblendeten Menge besser zu
erklären, des Advokaten der Könige, des groben Ge-
schützes1). Kaum schiesst es, so rufen alle Palatine ein-
stimmig Poniatowski aus ; es ist der König, den Katharina
ihnen mit vollem Rechte durch eine Kanone bezeichnet hat".
Wir müssen bei dieser Stelle, die ich fast wörtlich
herüber genommen habe, einen Augenblick verweilen,
weil sie für die in dem Gedichte herrschende Auffassung
überaus charakteristisch ist
Der Fürst Repnin, der uns in dieser burlesken Scene
entgegentritt, war von Katharina im Dezember 1763 a)
als ausserordentlicher Gesandter nach Warschau geschickt
worden, um die Wahl ihres Günstlings durchzusetzen.
Er und Poniatowski kannten sich von den lustigen Peters-
*) Wohl eine Anspielung auf die bekannte Inschrift der Kanonen
Ludwigs XIV.: Ultima ratio regum. Auch Friedrich II. hat übrigens
1742 auf seinen Kanonen die Worte anbringen lassen: Ultima ratio
regis. Vgl. Oeuvres XI S. 134 und Anm.
*) Roepell S. 284.
Friedrichs d. Gr. „La guerre des confedereV. 171
burger Tagen her. Auf die freundliche Aufnahme, die er
bei dessen Parteigenossen fand *), beziehen sich wohl die
Worte bal et s6r6nade. Auf dem sogenannten Konvo-
kations-Reichstage vom 7. Mai 1764 wurde, mehr durch
Einschüchterung als durch Gewalt, unter dem Drucke der
russischen Truppen, die sich in und bei Warschau befanden,
jeder Widerstand gebrochen. Die einmütige Wahl Ponia-
towskis erfolgte am 7. September auf dem Wahlreichstage.
Friedrich hat beide Reichstage in einen zusammengezogen
und auch den Gewaltakt Repnins auf den Wahlreichstag
verlegt Dass Repnin Kanonen gegen den Sitzungssaal
habe richten oder wohl gar habe feuern lassen, ist sonst
nicht überliefert; dagegen hat er bei der Gründung der
Konföderation von Radom sich tatsächlich dieses brutalen
Mittels bedient2).
Friedrich hat die Wahl Poniatowskis noch in einem
andern Werke dargestellt und zwar in seinen Anfang 1775
verfassten „M6moires depuis la paix de Hubertusbourg
jusqu' ä la fin du partage de Pologne"3). Auch hier sind
die Vorgänge ungenau erzählt. Er hält zwar richtig die
<irei Reichstage auseinander, welche zur Einsetzung eines
neuen Königs erforderlich waren, — ausser den beiden
schon genannten fand noch ein Krönungsreichstag statt — ,
bezeichnet aber irrtümlich schon den ersten als Wahl-
reichstag. Die Bedrohung der polnischen Deputierten
durch Repnins Kanonen erzählt er an einer anderen Stelle,
wo sie aber ebensowenig beglaubigt ist : bei der Tagung
«des Reichstages von 17674). — Vor allem aber tritt in
den Memoiren eine ganz andere Auffassung zu Tage.
Während in dem Gedichte alles das Werk Repnins, seiner
Helden und der Kaiserin ist, wird in den Memoiren ganz
richtig auf die sehr starke Einwirkung auch des preussischen
!) Rulhiere H S. 148.
*) Rulhiere II S. 396 fg.
*) Oeuvres VI S. 14. Vgl. Preuss: Die erste Teilung Polens
und die Memoiren Friedrichs des Grossen. Kap. II § IL
*) Memoiren S. 20.
172 G. Pciscr.
Gesandten zu Gunsten Poniatowskis hingewiesen1). „Der
erlauchte Gesandte" wird in den Memoiren als brutaler,
hitziger und anmassender Mensch geschildert2). Katharina
selbst erscheint unbeugsam entschlossen, ihren Willen* auch
wo Friedrich zur Mässigung rät, in Polen durchzusetzen;
in dem Gedichte dagegen ist sie die gütige Fürstin, der
nur das Wohl des Nachbarreiches am Herzen liegt. Es.
ist dies die Auffassung, in der sie zu erscheinen liebte;
pflegte sie doch in ihren öffentlichen Äusserungen gern zu
betonen, dass Gerechtigkeit und Menschenfreundlichkeit
allein die Triebfedern ihrer Handlungen seien8).
Kurz: die Darstellung in dem Gedichte zeigt er-
sichtlich das Bestreben, das Auftreten der Russen bei
der Wahl Poniatowskis in möglichst günstiges Licht zu
setzen.
Fahren wir nun in der Analyse des Fridericianischen
Epos fort!
Der Dichter wendet sich zur Schilderung der Oppo-
sition des katholischen Klerus gegen den neuen König.
Wieder setzt er den epischen Apparat in Bewegung,
und diesmal ist es der Teufel, der auf der Bildfläche
erscheint. „Polen hätte in der Wahl Stanislaus Augusts
geeinigt, glücklich und ohne Parteikampf der Segnungen
eines ewigen Friedens sich erfreuen können, wenn nicht der
Teufel diesen Augenblick für geeignet gehalten hätte, eine
grosse Rolle in der Welt zu spielen. Ihr kennt seine
Schliche; er ist immer tätig und voll verderblicher Pläne"..
Um seine Ziele zu erreichen, bediene er sich der Mönche
und Priester, die, wie Friedrich im Stile Voltaires sagt,
seine zahlreiche Familie bilden. Auf der Kanzel sprächen
sie den Namen Beelzebubs nur mit Schaudern aus, ins-
geheim aber bedecke sich ihre Seele mit schwarzer
*) S. 14: les f ortes recommandations et l'appui des ambassa-
deurs russes et prussiens.
2) Memoiren S. 20.
») Ruiniere II S. 151.
Friedrichs d. Gr. „La gaerre des confede*r£s". 173
Sünde. Ihr Mund fliesse von Liebe über, doch sie ver-
stünden meisterhaft, Komplotte und Intriguen anzustiften.
Schon auf dem Wahlreichstage beginnt der Teufel
sein Spiel1). Er hüllt sich in das Gewand eines Jesuiten
und nimmt die demütige, unterwürfige Miene eines heiligen
Antonius oder eines Anachoreten an. „Die Arme hat er
auf der Brust gekreuzt; mit seinem schiefen Kopf, mit
seinem wohlberechneten Mienenspiel musste man ihn für
-den heiligsten aller Jesuiten halten." So tritt er vor den
Bischof von Kiew, der als ein konfuser Kopf, als eitel, fana-
lisch und geckenhaft bezeichnet wird. Er hält den Besucher
für seinen ehemaligen Beichtvater und umarmt ihn herz-
lich. Aber der falsche Jesuit bricht sofort in bittere
Klagen aus: „ Welcher Schmerz für einen Polen, für
•einen glaubenseifrigen Bürger, dass die schismatischen
Russen uns mit despotischer Hand einen König geben"!
Das Wort „Schisma" verfehlt seine Wirkung auf den
Bischof nicht Er gerät in grosse Aufregung und ver-
wünscht den Senat, die Russen und die „erhabene"
Wahlversammlung. „Poniatowski", ruft er, „ist nicht mehr
mein König. Gib mir meine Schwüre und meinen
«Glauben wieder4'. — „Schreien genügt nicht", meint der
Teufel „Um Throne zu stürzen, braucht man ein zahl-
reiches Gefolge". — „Bin ich nicht", entgegnet ihm
der Bischof, „der Herr der Domherren, Mönche und
Priester? Diese heiligen Werkzeuge wollen wir benutzen,
um das Volk aufzureizen". Der Teufel durchwandert nun
die Parochien und Klöster und führt in kurzem eine
grosse geistliche Versammlung in den Salon des Bischofs.
„Meine lieben Kinder, wahre Stützen der Kirche" —
so beginnt der Bischof seine Ansprache — „die Zeit ist ge-
kommen, wo der ganze Klerus einen Schimpf rächen
muss, über den Gott sich entrüstet. Ein Schismatiker,
ein elender Russe macht zu unserm König einen Habe-
nichts von Starosten, der im Herzen selbst ein halber
Grieche ist und uns mit seinem ruchlosen Glauben be-
*) Or, 6coutez commcnt notre ennerai adroitement gut troubler
cette dtete. (8. 222).
174 G. Peiser.
flecken wird." Er erinnert sie an das Beispiel der Leviten,
welche 'sich nicht gescheut hätten, ihre eignen Brüder
umzubringen; sie sollten wie diese handeln und bedenken,
dass sie Gott bei seiner Rache dienten, wenn sie hier
unten sein Haus reinigten. „Schaudert, wenn man euch das
Wort Schisma nennt! Denn Ketzerei ist gleichbedeutend
mit Atheismus". Christus habe sie an seine Stelle gesetzt,
indem er ihnen die Gabe verliehen, das gemeine Volk
nach ihrem Gefallen zu leiten. Ihre Hand teile Strafen»
oder Gnaden aus durch die Absolution. „Die Herzen der
Menge sind in eurer Gewalt; euch kommt es also zu,
ihre Pflicht zu regeln. Möge unverzüglich eure Stimme
sie aufreizen gegen die Russen und gegen diesen Schma-
rotzerkönig, den wider unsern Willen unsere Nachbarn
uns aufzwingen"1)!
Der Klerus setzt sich nun im Beichstuhl fest und
träufelt unvermerkt den Gläubigen der Weisung des
Bischofs gemäss das höllische Gift der Unzufriedenheit
ein. Durch diesen Kanal verbreitet es sich im ganzen
Lande und reizt die friedliche Bevölkerung zur Empörung.
Keine der Plagen des alten Orients, sagt der Dichter,
habe jemals in so kurzer Zeit solch reissende Fortschritte
gemacht, wie diese Predigt, welche den Untergang des
Staates vorbereitete. Lachend kehrt jetzt der Teufel in
die Unterwelt zurück. „Der Hof aber hält sich für voll-
kommen sicher, amüsiert sich bei Tische und berauscht
sich in Freude*.
Der Bischof von Kiew, der in dieser Scene geschildert
wird, ist Joseph Andreas Zahiski, der zusammen mit
Softyk, dem Bischof von Krakau, auf dem Reichstage von
1767 in vorderster Reihe gegen die Gleichberechtigung
der Dissidenten gekämpft hat Es mag also nicht unge-
rechtfertigt erscheinen, wenn Friedrich ihn als den Führer
der geistlichen Opposition bezeichnet, der freilich wieder
von den Jesuiten vorwärts geschoben wird Aber Friedrich
1) Ein Gegenstück zu dieser Ansprache ist, wenn ich nicht
irre, die Rede, die Voltaire dem Hohepriester Phares in seinem
Drama „Les lois de Minos" (Akt I Scene II) in den Mund legt
Friedrichs d. Gr. „La guerre des confedereV*. 175
lässt nur die eine Seite seines Wesens hervortreten,
seinen starren Glaubenseifer. Seiner umfassenden ge-
lehrten Bildung, seiner unermüdlich eifrigen Förderung
aller wissenschaftlichen Bestrebungen in Polen gedenkt
er nicht Ich möchte, um ein richtiges Bild von Zahiski
zu geben, das unparteiische Urteil eines anderen deutschen
Zeitgenossen anführen. Er bezeichnet ihn als einen Mann
von „vortrefflichen Eigenschaften, grosser Gelehrsamkeit,
wiewohl vielleicht allzugrossem Eifer. Er ist gottesfürchtig-
katholisch, ein grosser Freund der Wissenschaften, ein
steifer Anhänger der allgemeinen Uneinigkeit, welche, wie
die Polen sagen, die einzige Quelle aller besonderen
Einigkeit sei, eine starke Stütze und Pfeiler aller polnischen
Gesetze 1).a
Drei Vorwürfe sind es, welche der Dichter den
Bischof gegen den König erheben lässt: dass er ein un-
bedeutender Starost sei, ein russischer Vasall und dass
er im Herzen dem Schisma zuneige. Auf das Dritte, das
religiöse Motiv wird das Schwergewicht gelegt. Der Dissi-
denten wird dabei nicht ausdrücklich Erwähnung getan,
obwohl nur sie gemeint sein können, wenn von den er-
mordeten Brüdern der Leviten die Rede ist.
Erst am Anfang des folgenden Gesanges wird die
Dissidentenfrage berührt, aber in einer Weise, welche
wiederum für die in dem Gedichte vorwaltende Tendenz
sehr bezeichnend ist.
„Ist es schicklich", — mit dieser Frage eröffnet
Friedrich den zweiten Gesang — „einen stupiden Menschen
zu täuschen, mit dem ein Betrüger machen kann, was er
will? Welche Ehre kann es also für einen Parteiführer
sein, ein Volk zu verführen, das in tiefer Dummheit ver-
sunken ist und sich nie im Leben die Mühe gegeben hat
nachzudenken? Ich würde mich schämen, wenn ich der
*) Geschichte des gegenwärtigen Krieges zwischen Russland,
Polen und der ottomanischen Pforte. Sechster Teil. Frankfurt und
Leipzig 1771 S. 39.
Vgl. auch Janocki: Lexikon derer itzlebenden Gelehrten in
Polen. II S. 33 fg.
176 G. Peiser.
Lüge meine Fortschritte zu verdanken hätte. Aber so
zart empfindlich sind weder Priester noch Teufel"
Die Gemüter, heisst es weiter, sind durch die Prälaten
und Beichtväter so gut vorbereitet, dass die Unruhe die
Revolution ankündigt „Aber Katharina denkt in ihrem
Palaste nur an Frieden; ihr edles Herz ist von Wohl-
wollen erfüllt Sie predigt den Polen Toleranz. „Seid
einig," sagt sie ihnen, „und duldet eure dissidentischen
Brüder!" Diese Worte versetzen die Priester in Wut
Ihre Entrüstung macht sich in wildem Geschrei, in
Seufzern und Klagen Luft Sie jammern: „Es ist um
das Vaterland geschehen." Die Magnaten, Starosten und
das niedere Volk, von diesem Gaukelspiel aufgeregt und
plötzlich von heiligem Fanatismus erfüllt, rufen wie sie:
„Lasst uns das Schisma ausrotten!" Jeder Pole müsse
sich konföderieren, wenn er nicht sein Seelenheil verlieren
wolle."
Wenn man diese Darstellung liest, so muss man
glauben, dass Katharina für die Dissidenten lediglich die
religiöse Toleranz gefordert habe, und zwar in der Absicht,
dadurch die Einigkeit unter den Polen wiederherzustellen ;
ihre Einmischung habe jedoch den religiösen Fanatismus
nur noch mehr erregt, der sich dann in der Erhebimg von
1768 gewaltsam entlud. Von anderen als religiösen Motiven
ist hier überhaupt nicht die Rede *).
*) Ähnlich äussert sich Friedrich über die Beweggründe der
Konföderation von Bar in dem Schreiben an d'Alembert vom
26. Januar 177a (Oeuvres XXIV S. 617), welches die Sendung des
dritten und vierten Gesanges begleitete. d'Alembert hatte erwähnt,
dass einige Philosophen 'die Konföderierten bemitleideten, in der
gutmütigen Voraussetzung, dass diese nur für die Freiheit ihres
Vaterlandes stritten.
»Ich sehe aus Ihrer Antwort,* erwidert Friedrich, „dass es
viele Dinge gibt, die durch die Ferne gewinnen, dazu dürfte auch
wohl die polnische Konföderation gehören. Wir als Nachbarn dieser
rohen Nation kennen die Individuen sowohl wie die Häupter der
Partei und halten sie höchstens des Auspfeifens wert. Diese Kon-
föderation dankt ihren Ursprung dem Fanatismus.41
Friedrichs d. Gr. „La guerre des confederes". 177
Will man aber den wahren Sachverhalt kennen
lernen, so braucht man wiederum nur zu Friedrichs
Memoiren zu greifen.
Hier wird das ganze Auftreten der Russen in Polen
seit 1764 beleuchtet und offen als Despotismus gezeichnet.
(S. 17). „Soviel Akte der Souveränität, welche eine
fremde Macht in Polen ausübte," — heisst es ein ander-
mal — (S. 20) „reizten schliesslich alle Gemüter zum
Aufstand. Der Stolz, die Härte und der Hochmut des
"Fürsten Repnin waren nicht geeignet, sie wieder zu
besänftigen.11
Auch die Dissidentenfrage erscheint hier in ganz
anderem Lichte. Als den „Keim aller Wirren und Kriege,
•die daraus folgten*, bezeichnet Friedrich den Antrag der
Russen, den Dissidenten nicht nur religiöse Duldung,
sondern auch Zulassung zu allen Ämtern zu gewähren
*(S. 16). Mit unverhohlener Missbilligung schildert er die
brutalen Gewaltakte, durch welche die Russen auf dem
Reichstage von 1767 ihren Willen durchsetzten (S. 20).
In seiner Dichtung dagegen gleitet er, wie wir sahen,
mit wenigen Worten über die Dissidentenfrage hinweg,
und was er sagt, gestaltet sich zu einer Huldigung für
die edle wohlwollende und tolerante Fürstin — wiederum
iganz im Stile ihrer eigenen Auslassungen. Hatte sie doch
ihr Eintreten für die Dissidenten damit begründet, dass
sie sich aus Liebe zu Freiheit und Gleichheit der Unter-
drückten annehmen müsse1).
Die Gründung der Konföderation von Bar, die Ver-
handlungen ihrer Häupter und die Wahl der Anführer
werden nun vom Dichter in kleinen Abschnitten erzählt
Er verfährt dabei mit solcher Freiheit, hält sich so wenig
.an die chronologische Ordnung, dass es schwer ist, in
seiner Darstellung die wirklichen Begebenheiten zu er-
kennen.
*) Beer L S. ap5.
Zeitschrift der Hirt. Ges. für die Prov. Posen. Jahrg. XVIII. IS
178 G. Peiscr.
Zuerst wird eine grosse Anzahl Herren des hohen l>
und niederen Adels zusammengeführt Unter den Führern
werden namentlich erwähnt Michael Krasinski, der General-
marschall der Konföderation, ein Potocki und ein
Malachowski, die, wie Friedrich boshaft hinzufügt, obgleich
Helden, noch niemals in ihrem Leben ein Lager oder
einen Kampf gesehen hätten. Krasinski fordert die An-
wesenden auf, ihre Husaren zu sammeln. Jeder Pole, der
die Taufe empfangen habe, müsse sich morgen auf dem
Schlachtfelde einfinden. Potocki fragt, woher man Geld
und Nahrung für eine solche Menge nehmen wolle
Krasinski errinnert ihn an die schon von Jan Sobieski
befolgte Methode, zu plündern oder richtiger gesagt: „auf
Kredit zu leben", und jubelnd stimmen ihm alle bei.
Dass diese Zusammenkunft fingiert ist, geht schon.
daraus hervor, dass Friedrich auch den Bischof von Kiew
an ihr teilnehmen lässt Er spendet den Anwesenden für
alle Sünden, die sie in diesem Gott wohlgefälligen Kampfe
begehen würden, im voraus völlige Absolution.
Bischof Zahiski war jedoch, als die Konförderation
sich bildete, bereits seit mehreren Monaten Gefangener
der Russen. Nachdem er am 12. Oktober 1767 auf dem;
Reichstage in einer heftigen Rede gegen die Dissidenten
aufgetreten, war er in der Nacht darauf von Repnin ver-
haftet und mit Soltyk, dem Bischof von Krakau, und zwei
weltlichen Grossen nach Kaluga gebracht worden9).
Ebensowenig begründet wie diese Rede in Bar ist,,
was Friedrich zur Charakterisierung des Bischofs hinzu-
fügt: Er habe keine Bibliothek besessen, aber dafür ein_
Gemälde der Bartholomäusnacht
*) Friedrich bezeichnet den Hochadel hier als Towargis:
(Towarzisz) (Genossen). Diesen Namen führte ein adliges Korps
der schweren polnischen Kavallerie, in dem jeder den Rang eines
Offiziers hatte. Sonst finden sich in dem Gedichte nur noch zwei,
polnische Worte: pachotek (Diener) und pancernys (Panzerreiter)..
2) Herrmann: Geschichte des rassischen Staates V S. 443.
In seinen Memoiren gibt Friedrich irrig an, die Gefangenen;
seien über Moskau nach Sibirien gebracht worden.
Friedrichs d. Gr. „La guerre des confedeYeV1. 179'
Niemand hat diesen Vorwurf weniger verdient als
Zahiski, der unter Aufopferung seines Vermögens eine
grosse öffentliche Bibliothek in Warschau errichtet hat1).
Er war geradezu ein Büchernarr und ging in seiner
Sammelwut so weit, dass man ihn in den Warschauer
Salons als Zahiski la bibliothgque verspottete. Auch
d'Alembert hat übrigens an dieser Stelle Anstoss ge-
nommen und bei Friedrich angefragt, ob sie auf Tatsachen
beruhe oder eine blosse poetische Fiktion sei3). Friedrichs
Antwort ist für die Beurteilung des Gedichtes von hohem
Wert Ein Gedicht sei doch keine geometrische De-
monstration — erwidert er etwas spöttisch — ; er habe
geglaubt, hier seiner Phantasie freien Spielraum lassen
zu dürfen8).
Die Palatine — heisst es mm in dem Gedichte
weiter — begeben sich aus Furcht vor Vergewaltigung^
sämtlich fort, um unter sich zu beraten und Anführer zu
wählen*). Aber von all diesen Magnaten will sich keiner
selbst der Gefahr aussetzen. Ihrer Anschauung gibt
Radziwill unumwunden Ausdruck: „Ein Palatin regiert^
aber der Krieg geht uns nichts an. Ahmen wir Gott
nach; wenn er einen Staat strafen will, schickt er einen
untergeordneten Engel, der mit einer Handbewegung ein
Volk in den Staub wirft Hüten wir uns also, das Un-
gemach des Krieges auf uns selbst zu nehmen! Schicken
wir unsere Diener und Vasallen aus und stellen wir einen
verwegenen Haudegen an ihre Spitze.0
Dieser knappen Darstellung liegt wohl die Tatsache
zu Grunde, dass die Häupter der Konföderation seit Ende
1768 ihrer Sicherheit halber ihre Beratungen auf der
i) Janocki, Band II 8. 33. ^
*) Oeuvres XXIV S. 614 fg.
•) 26. Januar 1772. Oeuvres XXIV 8. 617.
*) Choisir des chefs pour mener leur poulleux,
Faits pour guider la masse ptebelenne,
Dont ils voulaient opprimer la prussienne.
So die Ausgabe der Akademie von 1850. Aber statt prussienne
ist wohl russienne zu lesen, was allein hier einen Sinn gibt —
Friedrich übersetzt „rassisch" abwechselnd mit russe und russien.
12*
180 G. Peiser.
«österreichischen Grenze abhielten. Im August 1769 erschien
in Teschen auch Fürst Karl Radziwill, der vielberufene
panie kochanku (er hatte die Konföderationsakte im Früh-
jahr unterzeichnet x>) und erklärte in einer Anwandlung
von Enthusiasmus, er wolle nach Polen zurückkehren und
dort in den Reihen der Konföderierten mitkämpfen. Die
übrigen Magnaten stellten ihm jedoch vor, dass dies seiner
nicht würdig sei, und dass man von ihm andere Leistungen
erwarte als die eines gemeinen Soldaten. So liess er
sich denn bald von seinem Vorhaben abbringen *).
Während nun die meisten Palatine (fährt der Dichter
fort) auf Reisen gehen, versammeln sich die Häupter
der Partei in Eperies an der ungarischen Grenze und
bilden dort mit „grossem Pomp"8) den Generalrat der
Konföderation, um von ferne die Bewegung zu leiten,
die Russen zu verjagen und den guten König zu entthronen.
Pulawski und Zaremba werden unter Trompetenschall
zu Anführern ausgerufen. Wiederum tritt der Bischof von
Kiew in Aktion; er heftet seinen Weihwedel an eine
Kreuzesstange — wohl eine Anspielung auf die Haupt-
standarte der Konföderierten, die mit einem Kruzifix ge-
schmückt war4).
Friedrich nennt den Vornamen Pulawskis nicht, und
es könnte daher auf den ersten Blick fraglich erscheinen,
von welchem der Pulawski hier die Rede ist, ob von
Joseph, dem Mitbegründer der Konföderation und dem
i) Ruiniere m S. 1»
*) Herrmann: Geschichte des russischen Staats V S. 467.
*) Dass Friedrich nicht mit Unrecht das Gebahren der Mit-
glieder des Generalrats als pomphaft bezeichnet, geht aus dem Be-
richte des Obersten Dumouriez hervor, der im Juli 1770 im Auf-
trage der französischen Regierung nach Eperies kam. Anstatt
patriotischer Staatsmänner und Krieger fand er — wie er meldet
— eine Gesellschaft grosser Herren mit asiatischen Manieren vor,
die obgleich auf fremden Boden, gleichsam im Exil lebend, sich
keine ihrer gewöhnlichen Vergnügungen versagten : prachtige Feste,
stundenlange Mahlzeiten, Tanz und Pharaospiel schienen sie einzig
-zu beschäftigen. (S. Raumer hist. Jahrbuch m S. 441.)
*) Beer I S. aa6.
Friedrichs d. Gr. „La guerre des confederes". 181
Verfasser ihrer ersten Manifeste, oder von seinem Sohne
Kasimir, der später als der bedeutendste Führer der Kon-
föderierten hervortrat Da aber Joseph Pulawski schon
Ende 1768 oder Anfang 1769 im Kerker zu Konstantinopel
starb, — sein eigener Genosse Joachim Potocki hatte ihn
den türkischen Verbündeten verdächtig gemacht — *), und
Friedrich überhaupt nur einen Pulawski erwähnt, so
kann nicht zweifelhaft sein, dass auch hier schon
Kasimir gemeint ist.
Pulawski kommt bei Friedrich noch weit schlechter
fort als.Zaluski. Hören wir, wie bereits sein erstes Auf-
treten geschildert ist!9)
Er und Zaremba durchstreifen jedes Gehölz, halten
jeden, der ihnen begegnet, an und fragen ihn, wo die
Feinde sind. Plaudernd kommen sie an offenes Gelände
und stossen dort auf die russischen Truppen, die von
Drewitz befehligt werden. Wenn ein grosser Heiliger,
sagt Friedrich, den Teufel sieht, besprengt er sich
schnell mit etwas Weihwasser und flieht rasch, sein
Pater noster hersagend. So geht es auch unsern beiden
Helden. Bleichen Antlitzes sagt Zaremba: „Siehe unsere
Soldaten an! Die meisten haben nur mit Eisen be-
schlagene Stöcke; nur wenige besitzen Flinten und alte
Säbel. Wie sollen wir da dem Feinde trotzen?11 —
„Auch ich fürchte, dass es uns schlecht gehen wird",
antwortet Pulawski. „Es ist, denke ich, der Wille des
Schicksals, dass heute kein Blut vergossen werde, sondern
dass unser hitziger Mut für ein anderes Mal aufgespart
werde.a Das grobe Geschütz der Russen entlädt sich.
Fluchend und schreiend suchen die Konföderierten das
Weite und denken in ihrem Schrecken, dass ihnen die
russischen Kanonen wieder einen neuen König verkünden.
Nun werfen sich die Kosaken auf die Polen; aber sie
machen nicht so schnell Gefangene, wie sie denken;
„denn ein Pole, dem man auf den Fersen ist, kann
l) Ruttiiere III 8. 121. Beer I S. 242.
*) S. 230: il faut voir comme il (Pulawski) va debuter.
182 G. Peiser.
ebenso schnell reiten, wie er trinkt u Sie jagen davon
wie einst die Parther vor Krassus, nur mit dem Unter-
schiede, spottet Friedrich, dass die Flucht der Polen
keine verstellte ist; sie fliehen wirklich — freilich nicht
aus Furcht oder Feigheit, sondern einzig aus Liebe zu
ihrem anarchischen Vaterlande, für das sie das nächste
Mal glücklicher zu kämpfen hoffen.
Die Schilderung des Kampfes ist, wie man sieht, so
allgemein gehalten, dass schwer zu entscheiden ist,
welches von den zahllosen Gefechten, in die sich der
Konföderationskrieg auflöste, hier erzählt ist. In der Aus-
gabe der Akademie ist an einen Sieg des Obersten Drewitz
am i. August 1770 gedacht. Aber wenn es auch Friedrich,
wie wir nun schon wissen, mit der Chronologie durchaus
nicht genau nimmt, so würde er doch wohl kaum so weit
gegangen sein, dies Treffen als das erste Auftreten
Pulawskis zu bezeichnen. Vielleicht ist hier das Gefecht
bei Radom im April 1769 gemeint, wo Drewitz den Kon-
föderierten eine schwere Niederlage bereitet hat Der Sieg
der Russen erscheint in gleichzeitigen Berichten als eine
Schlächterei *), wie denn überhaupt Drewitz seinen Namen
durch Handlungen wilder Grausamkeit gebrandmarkt hat *).
Einem Lauffeuer gleich — wird erzählt — habe sich die
Kunde von dieser Schlacht durch ganz Polen verbreitet
und überall Entsetzen erregt Doch möchte ich es auch
nicht für unmöglich halten, dass Friedrich hier überhaupt
nicht an ein bestimmtes Ereignis gedacht hat, sondern
nur das unzweifelhafte Übergewicht der russischen Waffen
im ersten Abschnitt des Konföderationskrieges hat dar-
stellen wollen. Kein Name aber war geeigneter, diese
Überlegenheit darzutun, als der des Drewitz, der sich den
Polen von Beginn des Krieges an furchtbar machte.
Den Russen erschien er als eine Art von Heros, und
es entspricht der Auffassung, die wir schon früher in
dem Gedichte hervortreten sahen, dass auch Friedrich
*) Bei Herrmann V S. 463.
2) Rulhiere H S. 145 fg.
Friedrichs d. Gr. „La guerrc des confedäreV1, 183
Ihn in dieser Beleuchtung zeigt, während er für die
Führer der Konföderation nur Worte der Missachtung
übrig hat
Zaremba mag diese Geringschätzung verdient haben,
— er hat sich später selbst durch feige Unterwerfung
entehrt *) — nicht aber Kasimir Pulawski. Kühn und ver-
wegen im Kampfe, listig und verschlagen, wenn es galt,
der feindlichen Übermacht auszuweichen, von seinen Leuten
enthusiastisch verehrt, aber unfähig, sich einem andern
unterzuordnen, war er der echte Typus eines Freischaren-
führers8).
Auch bei Friedrich fehlt ihm übrigens der Schimmer
der Romantik nicht ganz; in den Armen der Liebe lässt
-er ihn jedes Missgeschick vergessen. Wie er seine Geliebte
raubt, schildert Friedrich in einer Scene, von der ich nicht
weiss, ob ihr irgend etwas Tatsächliches zu Grunde hegt.
Nachdem die Konföderierten Drewitz entronnen sind»
kommen sie an eine grosse Burg und machen sich als-
bald daran, sie auszuplündern. Der Schlossherr beschwört
sie, ihn, der ein eifriger Katholik sei, doch nicht wie
einen Dissidenten zu behandeln. Seine Gattin und seine
Kinder suchen durch Tränen die Konföderierten zu
rühren; aber vergebens. „Pulawski würde in seiner Wut
über seine Niederlage sogar seinen eigenen Vater und
seine Grossmutter ausgeraubt haben, wenn er ihnen
unterwegs begegnet wäre." Er erklärt, auch die junge,
schöne Schlossherrin mitnehmen zu wollen, damit sie ihn
über seine Niederlage tröste. Der verzweifelte Gatte
leistet Widerstand; aber seine Bauern werden von den
Konföderierten geschlagen, und Pulawski schleppt seine
Beute in die Berge, wo er vor plötzlichen Überfällen
sicher ist
Nachdem Friedrich an diesem Beispiel den Jammer
des Konföderationskrieges geschildert hat, in dem es für
niemanden mehr Sicherheit der Person oder des Eigen-
i) Rulhfere IV S. 247.
») Rulhtere IV S. 106.
184 G. P eiser.
tums gab, apostrophiert er den König. Die Freunde der
Aufklärung hatten sonst nur Augen für die liebenswür-
digen Seiten des schwachen Fürsten, den sie zu ihren.
Parteigängern zählten. Hier jedoch blitzt der Widerwille
des grossen Königs gegen den Mann auf, der allezeit ein
Spielball in den Händen ränkesüchtiger Geliebten war1):
„Aber Du, mein König, um dessentwillen sich alle herum-
schlagen, was tust du, mein gütiger Stanislaus? Betest
du an deinem Hofe, fern von jeder Schlacht, irgend-
welche jugendlichen Reize an? Auf Bällen und beim
Spiel verbringst du deine Tage und lassest dem Schicksal
ruhig seinen Lauf, wie es Drewitz und dem lieben Gott
gefällt!" — So schliesst der zweite Gesang, in welchem
die erste Phase des Konföderationskrieges, die Erhebung
und ihr anfänglicher Misserfolg geschildert ist
Schon im Herbste 1768 schien die Konföderation
ihrem Erlöschen nahe; nicht nur in Podolien, von wo sie
ausgegangen war, auch in den westlichen Teilen Polens
waren die Russen ihrer beinahe Herr geworden. Da trat
ein Ereignis ein, welches den Mut der Konföderierten
von neuem belebte. Am 4. Oktober 1768 erklärten die
Türken den Russen den Krieg.
Dem Ausbruch dieses Krieges ist der dritte Gesang
unseres Epos gewidmet Wir hören jedoch nichts von
den politischen Erwägungen der Pforte, welche nicht
gleichgültig zusehen konnte, wie das Nachbarreich in
einen russischen Vasallenstaat verwandelt wurde, nichts
von dem unmittelbaren Anlass zur Kriegserklärung: der
Verfolgung geschlagener Konföderierter auf türkisches
Gebiet Alles ist scharfe und rücksichtslose Satire gegen
die katholische Kirche, die sich mit dem Halbmond
verbindet
Schon die allgemeinen Betrachtungen, mit denen der
dritte Gesang eröffnet wird, gipfeln in einer Spitze gegert
den Papst
*) Vgl. über den Hof Stanislaus Augusts : Ruiniere m S. 301-
Friedrichs d. Gr. „La guerre des confed^reV. 185
Die Schulweisheit sage, die Menschen seien ver-
nünftige Wesen1). Aber sie lüge; die Welt sei ein Haufe
von Narren. In manchem grossen Staate würde ein
Aretino den reichsten Stoff für seine Satire finden. Er
— Friedrich — hüte sich freilich sorgfältig vor solchen
Schilderungen, weil er den Zorn der Mächtigen fürchte.
Wenn es sich aber um Staaten handle, die ein Abtrünniger
des Hippokrates leite, — Papst Clemens XIV. war der
Sohn eines Arztes — wer könne da seinen Ernst be-
wahren? Wenn der Dichter lange genug den Menschen
anatomisch studiert habe, sage er oft: „Seitdem Peking
in Rom ist, ist der gesunde Menschenverstand nicht mehr
so gesund, wie viele Leute sich den Anschein geben, zu
glauben". Die Schilderung des Verhaltens der römischen
Curie im Konföderationskriege werde den Beweis für
diese Behauptung erbringen.
Der Fortschritt der Erzählung wird von dem Dichter
wieder an den Namen des Drewitz geknüpft
„Die Fama", heisst es, „welche das, was sie weiss,
und das, was sie nicht weiss, austrompetet, verkündet
überall das burleske Abenteuer Pulawskis, der durch eine
einzige Kanone in die Flucht geschlagen worden ist Das
Gerücht wächst, jeder fügt beim Wiedererzählen etwas
hinzu, und bald spricht man in der ganzen Welt in Prosa
und in Versen von der glänzenden und denkwürdigen
Waffentat des Drewitz, die alle Erwartungen übertroffen
habe. Die Kunde davon dringt schliesslich auch zu den
Ohren der Sottise. Der Palast, den sie bewohnt, ist die
katholische Kirche".
Man kann sich nach einem solchen Leitsatze schon
denken, was uns in der breiten Schilderung des Hof-
staates der Sottise, die nun folgt, erwartet! Auch hier
hat Friedrich, wenn ich nicht irre, eine Voltairesche Stelle
*) S. 235: Qu' on est heureux, quand on est raisonable!
L'£cole dit que nous le sommes tous.
Vgl. Guerre civile de Geneve S. 525, wo der philosophische Apotheker
seine Ansprache an die Aufrührer mit den Worten beginnt:
Messieurs .... vous etes ne"s tous sages.
186 G. Peiser.
vorgeschwebt1); aber er hat sie zu einem ganz masslosen
Angriff auf Papst und Kirche umgewandelt
Die Gestalten der Inkonsequenz und der Unvernunft
werden uns vorgeführt. Neben ihnen steht der tolle Aber-
glaube, dem die Augen verbunden sind, die Leichtgläubig-
keit, die sich von Lügen und Fabeln nährt, und der
Schrecken, der den Teufel erfunden hat. In ihrer Mitte ist
der Thron der Sottise errichtet. Ihr Auge ist stair, ihr
Mund weit geöffnet; entzückt betrachtet sie ihr edler
Hofstaat, der sich unaufhörlich hin und her wiegt2). „Sie
ist es" fährt Friedrich fort, „die einst die Macht und den
Ruhm der Päpste gegründet hat. Ihr habt ihr zu danken,
Bonifaz, stolzer Gregor, dass die Könige eure Befehle,
eure dreisten Bullen entgegennahmen".
Als die Göttin hört, dass die Konföderierten, „ihre
lieben Kinder", ohne Hoffnung, ohne Hilfe und ohne Asyl
sind, erbleicht sie und bricht in zornige Klagen aus:
„Hund von einem Russen, willst du meine geliebten Polen
vernichten?* Aber sie fasst sich bald wieder; die Russen
sollten nicht zu früh triumphieren: sie werde ihren Kindern
am Nil, am Pontus, an den Ufern des Euphrat einen Ver-
teidiger suchen.
Unverzüglich macht sie sich auf die Reise nach Ungarn
und steigt im Schlosse Eperies nieder, wo, wie wir wissen,,
der Generalrat der Konföderation seinen Sitz aufgeschlagen
hat Sie findet die Palatine in wilder Verzweiflung; sie
beklagen das Unglück ihres Vaterlandes und ihrer Re-
ligion. „Was soll aus der Kirche werden?" jammern sie,
„die Hölle ist losgelassen und will ihr durch einen schis-
matischen Arm ihre einzige Stütze, die Verfolgung, nehmen
*) Vgl. Guerre civilc de Geneve, S. 528 den kleinen Excurs
über die Macht der Inconstance.
2) S. 237. Et dandinant sans cesse sur la plante
De ses deux pieds sa noble cour l'enchante.
Vgl. Guerre civile de Geneve S. 528, wo die Genfer Aufrührer der
Göttin Inkonstanze für ihre Ratschlage danken: On s'agenouille, or
tourne ä son autel, La d£ite\ tournant comme eux sans cesse . . .
Friedrichs d. Gr. „La guerre des confedtfreV. 187*
Russische Heilige wird künftig das Volk verehren, und
unsere Prälaten werden nichts mehr zu essen haben".
Tief gerührt tritt die Sottise unter sie. Sie schlägt ihnen
vor, sich an die Türken .zu wenden, damit sie die Kirche
verteidigen. „Muhamed", sagt sie, „liebte das Christentum^.
wie jeder weiss, der den Koran kennt, und Mustapha,
dieser edelmütige Sultan, schaudert vor dem Schisma und
verflucht die Russen". Die Palatine rufen Beifall, und
die Prälaten danken ihr knieend für ihren klugen Rat..
Die Sottise aber entzieht sich allen Dankesbeteuerungen
und verschwindet in einem dichten Nebel. Sie eilt dem
Gesandten der Konföderation nach Konstantinopel voraus,
wo man sie seit langer Zeit kennt ; denn Mustapha richtet
sich in allen Stücken nach ihr.
Der Dichter lässt Michael Krasinski — er und
Joachim Potocki waren die Unterhändler der Konföderierten,
bei der Pforte — sein Hilfegesuch unmittelbar im Namen
des Papstes vorbringen.
Der christliche Mufti habe geruht, ihn an die Pforte
zu senden, um ihren mächtigen Beistand zu erflehen.
Wären die Russen erst mit den Polen fertig, so würde
die Reihe bald an die Türken kommen. Jetzt wollten die
Russen die heilige Jungfrau von ihren Altären verdrängen
und russische Heilige an ihre Stelle setzen; bald würden
sie auch Muhamed aus Mekka zu verjagen suchen. „Unter-
stützt also, noch ist es Zeit, den heiligen Vater! Wenn
die päpstlichen Schlüssel und der Halbmond sich vereinigen,
werden sie überall Schrecken erregen, und mit eurer
Hilfe wird die Kirche triumphieren".
Der ganze Di van stimmt diesen Gründen gewichtig
bei, und unverzüglich wird der heilige Krieg beschlossen.
Die gewaltigen Rüstungen der Türken für den Feld-
zug des nächsten Jahres — denn erst am 26. März 1769 wurde
in Konstantinopel die Fahne des Propheten entrollt1) —
werden anschaulich geschildert Von Ägypten, aus dem
Herzen Asiens, von den Ufern des Pontus und aus Arabien
*) Herrmann V S. 609.
188 G. Pciscr.
strömen die Völker zusammen. Mit ihnen vereinigen sich
<lie schwarzen Bogenschützen Libyens, die Bostandschi,
Janitscharen imd Spahis. Das gewaltige Heer — seine
Zahl wurde auf 300000 angegeben — wälzt sich unter
Führung des Grossveziers, ohne Widerstand zu finden,
bis an die Ufer des Dnjestr.
Die Nachricht, dass der Halbmond sich im Felde
zeige, übt auf die Konföderierten eine gewaltige Wirkung
aus. Mut und Zuversicht kehren ihnen zurück. Pulawski
fühlt sich bereits als Sieger und sagt die Vernichtung des
Drewitz voraus. König Stanislaus aber gerät dadurch in
grösste Bedrängnis (auch ihm hatten die Türken auf
Betreiben Krasinskis und Potockis im Frühjahr den Krieg
erklärt1).,^ ist in Warschau eingeschlossen" — die Haupt-
stadtwurde unaufhörlich von Konföderierten umschwärmt — a)
„und weiss nicht, ob er noch König ist, und wie er den
gordischen Knoten, den der Verrat geschürzt hat, ent-
wirren soll. In seiner Not nimmt er zu Katharina seine
Zuflucht, und die tapferen Russen kommen ihm alsbald
zu Hilfe."
Jetzt erst, meint der Dichter, hätten die eigentlichen
Kämpfe begonnen. Es habe sich nicht mehr um die tollen
Prahlereien, um den Mummenschanz eines Pulawski, sondern
um Helden, denen wirkliche Soldaten folgten, gehandelt
Aus dem kleinen Funken, den der falsche Glaubenseifer
entzündet, sei allmählich ein grosser Brand entstanden.
Die Konföderierten vereinigen sich mit ihren tür-
kischen Verbündeten nicht Sie überlassen ihnen die
Aufgabe, die polnischen Streitigkeiten zum Austrag zu
bringen, und operieren selbständig. Jeder Trupp wählt
eine andere Strasse, und Mord und Verwüstung bezeichnen
den Weg, den sie nehmen. Die Sottise aber sieht aus
Himmelshöhen freundlich auf ihr Treiben herab und
spendet ihnen ihren Segen.
Am Schlüsse des Gesanges tritt der Dichter selbst
vor sein Auditorium. Er ist des trockenen Tones, den er
i) Herrmann V S. 611.
*) Beer I S. 242.
Friedrichs d. Gr. „La guerre des coni6d€r6s". 189
zuletzt angeschlagen, satt: „Ich Schwätzer, dem die Gicht
alle zehn Finger knebelt, muss ich nicht über die Aus-
geburten meiner dichterischen Phantasie erröten ? Meine
Schmerzen sind die Strafe dafür, dass ich euch im Stile
der Zeitungen ebenso törichtes Zeug wie diese erzähle.
Morgen aber werde ich zu eurer Unterhaltung etwas
bringen, woran ihr Freude haben werdet". So werden
wir auf den Inhalt des nächsten Gesanges vorbereitet, in
dem Friedrichs Satire ihren Höhepunkt erreicht
Die Launenhaftigkeit des Schicksals ist das Thema,
welches in der Einleitung zum 4. Gesänge behandelt
wird. Wer wüsste nicht schon, wie bunt das Bild des
Lebens sei durch den raschen Wechsel des Glückes?
Welche Lehre könne man also daraus ziehen, wenn
Fortunas Gunst auch einmal einem Dummkopf lächle?
Nur eben die, dass es auf die Dauer langweilig sei, immer
wieder zu hören, dass rohe und niedriggesinnte Kriegs-
knechte, denen tausend andere Narren folgten, auch im
Kampfe feige seien und von Misserfolg zu Misserfolg
taumelten. Es habe daher nicht viel zu bedeuten, wenn
ein sarmatischer Räuber sich für einen Augenblick eines
Vorteils rühmen könne.
Damit kehrt die Erzählung zu Kasimir Pulawski
zurück. Er ist von seinen letzten Erfolgen berauscht;
stolz streicht er seinen schmutzigen Schnurrbart, wenn
er an den Sieg über die Bauern und an die reizende
Frau denkt, die er dem Schlossherrn entführt hat Aber
weit und breit ist das Land verwüstet und alles Vieh
fortgetrieben. Allmählich beginnen die Konföderierten
selbst Not zu leiden. Da schlägt Zaremba, müde die Ebene
zu durchstreichen, vor, sich in dem Kloster Czenstochau
festzusetzen. „Wir brauchen*, sagt er, „einen befestigten
Ort, wo wir unserer Haut sicher sind, und wohin wir
aus weiter Nachbarschaft unsere Beute zusammenbringen
können. In Czenstochau wird die heilige Jungfrau sich
und uns schützen und die Angriffe der Kosaken zu
Schanden machen." Der Vorschlag wird gebilligt und
alsbald der Marsch angetreten.
^9° G. Peiser.
Dicke Mönche kommen ihnen zur Begrüssung ent-
gegen; man sitzt im Refektorium nieder und trinkt den
Klosterwein. Aber als der Rausch ihre Sinne verwirrt
hat, bricht um die Geliebte Pulawskis Streit aus; jeder
will sie in seine Arme ziehen. Wütend reisst Pulawski
-seinen Säbel aus der Scheide und haut auf die Mönche
ein. Da stürzt bleich und verstört ein Knecht herein und
ruft sie zu den Waffen: die Russen sind im Anmarsch;
sie werden von Drewitz geführt, der immer auf der
Lauer und von allem, was vorgeht, unterrichtet ist. Er
iennt seine Leute und weiss genau, dass man im Refek-
torium trinkt und in den Gassen sich schlägt In einem
Augenblick ist die Festung umzingelt und eng einge-
schlossen. Die Streitenden lassen Pulawskis Geliebte
fahren und stieben auseinander; in einem Winkel der
Festung hocken sie nieder und wagen nicht, auch nur
die Nasenspitze über die Mauer zu stecken, aus Furcht,
dass man sie ihnen abschneide.
Fast ohne Übergang werden wir hier aus dem Früh-
jahr 1769 in den Winter 1770 geführt. Der burlesken
Klosterscene, die Friedrich schildert, liegt villeicht der
Widerstand zu Grunde, den die Mönche bei der Besetzung
ihres Klosters geleistet haben. Czenstochau war stark
befestigt und durch eine Garnison geschützt; so hofften
die Mönche, gleichsam neutral bleiben und sich sowohl
der Russen wie der Konföderierten erwehren zu können.
Nur durch einen Handstreich gelang es Pulawski,
Czenstochaus sich zu bemächtigen1).
Bei der Beschreibung des nächtlichen Sturmes, die
nun folgt, hat Friedrich vielleicht an einen Bericht Benoits,
seines Gesandten in Warschau, vom 16. Januar 177 1 *)
gedacht „Nach dem Rapport des Obersten Drewitz —
meldet Benoit — hat dieser, nachdem er seine Bomben
verbraucht, in der Nacht vom 8. auf den 9. einen Sturm
versucht; dabei zeigten sich jedoch die Leitern um einige
i) Ruiniere IV S. 102 fg.
a) Geh. St. A. Berlin Rep. 9. Nr. 27.
Friedrichs d. Gr. „La guerre des confedeYeV. 191
Toisen zu kurz, so dass alle Anstrengungen, den Platz
zu ersteigen, fruchtlos waren."
Was hat nun aber Friedrichs Satire, die auch in
religiösen Dingen vor nichts zurückschreckt, aus diesen
wenigen Worten gemacht!
„Wird die heilige Jungfrau," fragt der Dichter
emphatisch, „dulden, dass ruchlose Schismatiker ihr
Heiligtum erstürmen, sie beschimpfen und daraus ver-
treiben?" Maria, die Königin des Himmels, weiss genau,
was Drewitz beabsichtigt; entschlossen, sein Vorhaben zu
vereiteln, bittet sie Christus um seinen Beistand. Mit den
Werkzeugen, die einst Joseph gebraucht habe, möge er
seiner Mutter helfen, die Russen abzuwehren. Christus
nimmt Hobel und Säge, und beide schweben hernieder.
Es ist dunkle Nacht, und Drewitz nähert sich mit seinen
Soldaten, welche Sturmleitern tragen, der Festung. Aber
Christus sägt die Leitern durch, und als sie angelegt
werden, reichen sie kaum bis zu halber Höhe. Zu gleicher
Zeit kommt ein so lebhaftes Feuer von den Schanzen,
dass Drewitz sich zurückziehen muss. Pulawski glaubt
in seiner Einfalt, dass die Rettung Czenstochaus sein Werk
sei; aber die Mönche erfahren bald durch Inspiration
den wahren Sachverhalt, und in kurzem erzählen sich
alle Frommen im Lande, dass die Jungfrau für ihr Heilig-
tum ein Wunder getan habe. Auch die Konföderierten
halten jetzt für ratsam zu verkündigen, dass Gott selbst
für sie streite, und Pulawskis Geliebte zündet der Jung-
frau eine Kerze an, weil sie sie vor den Russen bewahrt
habe.
Noch sind die Konföderierten voll Freude über ihren
wunderbaren Erfolg, da kommt vom türkischen Kriegs-
schauplatz eine Nachricht, die sie aus allen Himmeln
stürzt. Der Grossvezier und sein gewaltiges Heer sind
von Galizin geschlagen worden; die Russen haben einen
vollständigen Sieg davongetragen. Mit einem Schlag ist
die Situation gänzlich verändert.
Es ist der Sieg des Fürsten Alexander Michailowitsch
Galizin bei Chocim am 18. September 1769, der hier
192 G. Pciser.
berührt wird. Bei dem Versuche des Grossveziers^
Moldawandschi Ali Pascha, sein Heer über den Dnjestr
nach Podolien zu führen, riss der hochgehende Strom
die leichtgebaute Brücke fort 10 — 12000 Türken, welche
den Fluss bereits überschritten hatten, waren dadurch von
den übrigen abgeschnitten und wurden von den Russen
mit leichter Mühe niedergemetzelt. Der osmanischen
Hauptarmee aber, die den Untergang ihrer Brüder nicht
hatte verhindern können, bemächtigte sich ein so panischer
Schrecken, dass sie in wilder Flucht der Donau zueilte
und auch jenseits derselben nur zum kleinsten Teil wieder
gesammelt werden konnte *).
Natürlich weiss Friedrich ganz genau, dass die
Nachricht von dieser Niederlage längst nach Polen ge-
drungen war, ehe Pulawski sich in Czenstochau festsetzte.
Wenn er Galizins Sieg trotzdem erst jetzt erzählt, so
mag die Rücksicht auf eine — ich möchte sagen: drama-
tische Wirkung ihn dazu veranlasst haben. Er will uns
die Konföderation, die durch den Ausbruch des Türken-
krieges in eine neue, glücklichere Phase trat, erst in ihrem
höchsten Triumphe zeigen, ehe er den Rückschlag
schildert, der mit der Schlacht bei Chocim begann.
Friedrich verweilt bei der Beschreibung des russischen
Sieges nicht. Die Versuchung dazu weist er mit ähnlichen
Worten zurück, wie in jenem Briefe an Voltaire vom
18. November 1771, der die Sendung der beiden ersten
Gesänge begleitete. „Verstünde ich, die Trompete zu hand-
haben (d. h. im Stile des ernsten Epos zu schreiben), so
würde ich diesen Galizin feiern, den Sieger über die
Türken. Aber ich bin nicht so dreist, mit meiner scharfen
Pfeife das schöne Solo einer so herrlichen Waffentat vor-
tragen zu wollen. Nur das Lächerliche gehört zu meiner
Kompetenz/
Er wendet sich also sofort der Schilderung des ge-
waltigen Eindrucks zu, den der russische Sieg in ganz
Europa hervorgerufen habe. Alle, welche den Russen
i) Vgl. Herrmann V S. 612.
Friedrichs d. Gr. „La guerre des confedlrts". 193
günstig gewesen seien, hätten sich gefreut, dass die
Feinde der Künste und Wissenschaften bei Chocim
ihren Lohn empfangen hätten. Die Gegner der Russen
aber seien ganz bestürzt gewesen. Sie hätten das Gleich-
gewicht, welches erforderte, dass Mustapha unabhängig
und frei sei, für bedroht gehalten und ihn im Geiste
schon aus seinem Serail vertrieben gesehen, — offenbar
eine spöttische Anspielung auf den Fürsten Kaunitz, zu
dessen politischen Axiomen es gehörte, dass das Gleich-
gewicht der Mächte im Osten um keinen Preis gestört
werden dürfe.
Nun vergleiche man aber damit wiederum Friedrichs
Memoiren!
Wie weit ist doch der. Ton, den er hier (S. 26) an-
schlägt, von der Bewunderung entfernt, die er in dem
Gedichte zur Schau trägt! „Die Generäle Katharinas",
spottet er, „verstanden kaum die Grundbegriffe der Lager-
kunde und Taktik, aber die Generäle des Sultans waren
noch unwissender und unter Blinden ist der Einäugige
König."
Den grossen Eindruck der Schlacht leugnet er natür-
lich auch in den Memoiren nicht, gibt aber unumwunden
zu, dass die raschen Erfolge der Russen Preussen nicht
weniger beunruhigt hätten als Österreich und die übrigen
europäischen Mächte: Preussen hätte fürchten müssen, dass
sein Verbündeter zu mächtig werden und ihm mit der
Zeit ebenso Gesetze vorschreiben würde wie den Polen.
Der in der Dichtung herrschenden Tendenz entspricht
es, dass in ihr solche Besorgnisse weit zurücktreten, und
nur die reine, ungemischte Freude über den russischen
Sieg zum Ausdruck kommt.
Vor allem schwelgt der Dichter in der Schilderung
der Bestürzung, welche die türkische Niederlage bei dem
Papste und bei den Konföderierten hervorruft Der ganze
Rest des Gesanges ist ihr gewidmet.
In den Mauern Roms — erzählt Friedrich — herrscht
Klage und Verzweiflung: der Papst ist so entsetzt, als wenn
der Blitz den Vatikan in Flammen gesetzt hätte. Er sieht in
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Prov. Posen. Jahrg. XVIII. 18
194 G- Peiscr.
der Niederlage der Türken die Hand des Teufels und
lässt gleich am folgenden Tage Prozessionen veranstalten
und an allen Altären für die Sache seiner Verbündeten
beten. Selbst der plötzliche Tod Clemens' XÜL wird von
dem Spötter auf den Schreck über die Unglücksbotschaft
zurückgeführt, obwohl der Papst schon einige Monate früher
— am 2. Februar 1769 — gestorben ist
Nicht minder drastisch ist die Trauer der Polen ge-
schildert „Wieviel Tränen vergossen die armen Kon-
föderierten! Ihren Händen droht die Waffe zu entsinken.
Einst, klagen sie, waren die Türken unsern Ahnen
furchtbar; aber als sie unsere Bundesgenossen wurden,
haben die Russen sie zerstreut, wie der Wind den Sand
verweht Die Palatine in Eperies sind ganz ratlos. Der
Erfolg Pulawskis ist aus ihrem Gedächtnis wie weg-
gewischt; kummervoll fragt einer den andern: „Was können
wir nun noch tun? Was bleibt uns übrig?* Doch keiner
weiss Antwort zu geben."
König Stanislaus dagegen, zu dem die Erzählung nun
zurückkehrt, ist über die plötzliche Wendung der Dinge
hoch erfreut Er ist ruhig in Warschau geblieben und
sagt jetzt vergnügt: „Man schlägt sich vortrefflich für
mich an den Ufern des Dnjestr und in der Moldau; diese
guten Russen lassen für mich ihr Leben. So bin ich König
und werde es bleiben!"
Als Friedrich diese Zeilen schrieb, war die Liebe
Katharinas zu Poniatowski längst einem Gefühle der
Missachtung gewichen. Sie hatte ihn aufgefordert, sich
zu der Armee zu begeben, die gegen die Türken
auszog; aber wie hätte der genusssüchtige Mann sich
plötzlich in einen Kriegshelden verwandeln können? In
cynischer Selbstverspottung fragte er den russischen Ge-
sandten mit einem Citat aus Boileau: „Ist dir ein Gott
bekannt, der solch ein Wunder tut1)?
Der Hinweis auf dieses jämmerliche Scheinkönigtum
bildet den — freilich etwas sprunghaften — Übergang zu
*) „Connais — tu un dieu, qui fasse tel prodigc?" Rulhi&re HI
S. 128.
Friedrichs d. Gr. „La guerrc des confederes". 195
den Betrachtungen, welche den folgenden Gesang einleiten.
Es sind melancholische Reflexionen über das vermeintliche
Glück der Fürsten, wie sie Friedrich in den Jahren zu-
nehmender Vereinsamung nicht selten aussprach1).
„Wenn von einem Fürsten die Rede ist, wünscht ein
jeder: „Wäre ich doch an seiner Steile !a Armer Tor!
Wenn du es wärest, würdest du bald erkennen, wie sehr
der Glanz dich getäuscht hat % . Was wäre denn dein
Vorteil, wenn man eines Tages dein Haupt mit einer
Krone beschwerte? Würdest du darum fetter oder besser
genährt sein, ein tüchtigerer Zecher oder ein rüstigerer Ehe-
mann? Würdest du darum gesünder sein? Freund, glaube
mir, die Menschen sind gleich! In jedem Stande erfährt
man in richtiger Mischimg den Wechsel des Guten und
Bösen. Was liegt also an der Maske, die du trägst,
wenn das Schicksal treulos seine Woltaten in Heim-
suchungen verwandelt? Freude und Tränen sind immer
die gleichen".
Glücklich preist der Dichter den, dem ein bescheidenes
Los zuteil geworden. Wer kenne ihn, wer wisse, dass
er atme; das Dunkel seines Standes schütze ihn vor bös-
willigem Neid. Niemand zerfleische ihn in spöttischen
Versen. Aber die Regenten eines grossen Staates
seien gute und schmackhafte Bissen; wie Raben
stürzten sich auf sie die tintenklecksenden Satiriker.
„Ein König ärgert sich darüber, und verwünscht diese
*) Vgl. z. B. die poetische Epistel an d'Alembert vom 22. Ok-
iober 1776. Oeuvres XTV S. 113, welche den gleichen Gedanken
folgendermassen variiert: „Als ich König wurde, wollte ich meinen
Namen unsterblich machen, ohne zu bedenken, dass die Menge, die
im Schmutze verdummt ist, Lob und Tadel nach Willkür spendet.
Arbeit und Sorgen füllten mein Leben aus. Die Kunst des Regierens
wurde mein vornehmstes Studium. Ich glaubte, dass ein Genie, wenn
es seine Anstrengungen verdoppelte, wenn es alle Möglichkeiten
kombinierte, das Schicksal meistern könnte. Aber dieser Rang,
diese Macht hindern sie, dass wir Menschen bleiben, Sklaven des
Schicksals? Ob wir in Purpur gehüllt sind oder in grobes Tuch,
das Unglück verschont uns nicht. Der eine weint auf dem Throne,
der andere in seiner Hütte".
18*
196 G. Peiser.
Hallunken. Du in deiner Hütte lachst bei Tische
darüber; du kennst deine wahren Freunde. Verwandte
und Nachbarn lieben dich ohne Hintergedanken. Aber
ein König ist von unterwürfigen Höflingen umgeben, deren
falscher Eifer ihn belästigt; sie lieben ihn nicht, sie beten
nur sein Glück an Höre also nicht auf die
Sirenenstimme, die dich nur gegen das allen Menschen
gemeinsame Schicksal erbittern will, wenn sie dir den
Prunk der Welt verführerisch schildert! Mache es wie
Odysseus, setze ruhig deinen Weg fort!"
Jetzt erst kehrt Friedrich zu dem Ausgangspunkte
seiner Betrachtungen zurück, aber nur, um neuen Spott
über das Haupt des armen Stanislaus zu ergiessen.
„Wenn Dir" — redet er den Leser an — „meine Aus-
führungen übertrieben erscheinen, so richte die prüfenden
Blicke auf Stanislaus, den traurigen König von Polen
Wie leidet er unter Verdriesslichkeiten, wie wird er von
Arbeit erdrückt! Kann man ihn in Wahrheit glücklich
nennen?"
So hatte Friedrich geschrieben, als ihm am 13. November
eine Depesche Benoits überreicht wurde, welche, in
frühester Morgenstunde des 4. November abgefasst, ein
Ereignis meldete, das den König in die grösste Erregung
versetzen musste. Als Stanislaus August am Abend des
dritten November von einem Besuche seines Oheims nach
seinem Palais zurückkehrte, war sein Wagen von iz
bis 15 Verschworenen überfallen, ein Haiduk nieder-
gestreckt, der König selbst aus dem Wagen gerissen und
in wilder Eile aus Warschau herausgebracht worden. Man ge-
dachte, ihn nach Czenstochau zu führen, wo er ein willen-
loses Werkzeug in den Händen der Konföderierten
gewesen wäre. — Wie sehr wäre die Lage der Dinge in
Polen verändert worden, wenn dieser Anschlag
gelungen wäre!
Aber schon um acht Uhr morgens konnte der Ge-
sandte seiner Depesche die Nachschrift hinzufügen, dass
der König sich wunderbarerweise wieder in seinem
Schlosse eingefunden habe. Durch eine Verkettung merk-
Friedrichs d. Gr. „La guerre des confcderes". I97
würdiger Umstände war er schliesslich in einem Walde
unweit Warschau mit einem der Verschworenen, Namens
Kosinski1), allein zurückgeblieben. An diesem erprobte
er seine hinreissende Beredsamkeit, und es gelang ihm,
Kosinski zu bewegen, ihn nach Warschau zurückzubringen9).
Friedrichs Werk war soeben vollendet; aber un-
möglich konnte er an einem Ereignis, das in ganz Europa
das grösste Aufsehen erregte, stillschweigend vorbei-
gehen8). Er schob daher an dieser Stelle einige Worte
ein: „Von seinem Herde entführt ihn in der Nacht ein
barbarischer Mörder, und mit seltenem Glück entzieht er
sich dem Arm des Rasenden.11
Dann aber verfällt er sofort wieder in seinen alten
Ton. n Ach guter König, ich muss mich selbst anklagen«
dass ich dich manchmal zu hart behandelt habe. Ich
bin ganz zerknirscht; meine unverschämte Muse hat dich
mit ihrem beissenden Stile zerfleischt Ich will mich
sofort auf den Weg nach Czenstochau machen, um dort
Kirchenbusse zu tun.*
Der Dichter nimmt nun den Faden seiner Erzählung
wieder auf. „Dieser gute König auf seinem wenig festen
Throne ist noch nicht am Ende seiner Leiden angelangt;
denn die Palatine in Eperies denken nur an den Ruin
ihres Vaterlandes.* Augenblicklich sind sie freilich in
arger Not; denn die Niederlage der Türken in der Moldau,
ihre Flucht und die lange Untätigkeit, die darauf folgt,
hat sie ihrer festesten Stütze beraubt Da erhebt sich
unter ihnen der Bischof von Krakau, als wenn er plötzlich
aus dem Schlafe aufführe, und schlägt vor, wiederum die
Hilfe der Sottise anzurufen.
Wir erwähnten schon, dass Kajetan Sottyk, der
Bischof von Krakau, seit Oktober 1767 zusammen mit
Zaluski in russischer Haft war. Er kann also nicht in
*) 8chiller hat diesem Manne in seinen „RAubern* ein Denkmal
gesetzt
*) s. Herrmann V S. 503.
*) Friedrich an Voltaire vom ia. Januar 177a. (Oeuvres XXÜI
S. 234.
198 G. Peiscr.
Eperies gewesen sein. Es mag auffallend erscheinen, dass
der Dichter aus dem gesamten polnischen Episkopat nur
eben die beiden Männer heraushebt, welche an der
Konföderation teilzunehmen faktisch verhindert waren.
Aber wenn es ihm, wie wir sahen, bei einem Werke "dieser
Art auf historische Treue im einzelnen überhaupt nicht
ankam, Welche geeigneteren Repräsentanten der religiösen
Intoleranz, die er geissein wollte, konnte er finden als
diese beiden, deren heftige Opposition gegen die Dissiden-
ten ein so hartes Schicksal über sie heraufbeschworen
hätte? Sohyk wird übrigens in dem Gedichte etwas
besser behandelt als Zahiski, wie er denn auch von den
Russen eine Zeit lang milder beurteilt wurde als dieser1).
Friedrich tadelt zwar auch seinen religiösen Fanatismus,
nennt ihn aber sonst einen Biedermann«
Es^folgt nun eine köstliche Scene: die Verhandlungen
der Konföderierten mit der Sottise. Wem wehte, wenn
er sie liest, daraus nicht der Geist entgegen, aus dem
Lessing die Gestalt seines Riccaut de. la Marliniöre schuf!
Eine starke nationale Empfindung kommt darin zu
glücklichstem Ausdruck.
Durch das inbrünstige Gebet der Palatine herbei-
gerufen, erscheint die Göttin und nimmt unter ihnen
Platz. Sie tröstet die Verzweifelten: „Ich will, dass das
Schicksal euch endlich begünstige. Ich werde an eure
Spitze einen tapferen Krieger stellen, der. diese hoch-
mütigen Russen ausrotten wird. Noch besitze ich fromme
Anhänger. Ich habe den vortrefflichen Soubise und hundert
andere Helden, die von den Franzosen verehrt werden,
Rossbach und Krefeld verkünden ihren Ruhm; Velling:-
hausen *) und Minden und hundert andere Orte sind die
Zeugen, die ihren Ruf begründen, dessen «Widerhall sich
bis. zum Himmel erhebt."
Aber der Vorschlag der Sottise findet zunächst den
lebhaftesten Widerspruch. „Das ist ein Schimpf, eine
*) s. Beer II S. ai6.
") Hier wurde Brogtie Am 15. Juli 1761 von Ferdinand voa
Braunschweig geschlagen.
Friedrichs d. Gr. „La guerre des confederes". 199
Beleidigung", braust Pulawski auf. Zaremba brummt
zwischen den Zähnen: „Ich will keinen Franzosen zum
Kommandanten.0 — „Heiliger Rochus, koste es, was es
wolle, ich werde nicht dulden, dass diese Franzosen allein
über die bettelhaften Dissidenten und den König trium-
phieren", ruft zornig Oginski. Er hat, sagt der Dichter,
aus der Ferne alles gehört — eine Andeutung davon^
dass der Grossfeldherr von Lithauen sich damals noch
nicht öffentlich für die Sache der Konföderierten erklärt
hatte. — Doch die Sottise weist alle Einwendungen der
Polen kategorisch zurück, indem sie ihnen mit einem
Citat aus einem Werke des Jesuiten Dominique Bouhours
die Inferiorität aller Völker gegenüber den Franzosen zu
Gemüte führt.
„Polen", sagt sie, „katholisches Volk, solltet ihr noch
niemals den guten Pater Bouhours gelesen haben? Dieser
Bouhours war ein grosses Orakel, und er sagt ganz
richtig: es sei ein .wahres Wunder, aber in der Tat noch
niemals da gewesen, dass ein armer Sterblicher ausser-
halb Frankreichs Esprit besessen habe. Paris ist die un-
geheure Vorratskammer davon. Suchen wir also dort Esprit
und Helden, an denen es uns fehlt, um unser Schicksal
zu verbessern!" *) Solchen Gründen vermögen die Kon-
föderierten nicht zu widerstehen, und es wird beschlossen,
Wielochorski nach Paris zu entsenden, damit er von dort
„den Phönix der Krieger* hole.
Die Verhandlungen des bevollmächtigten Gesandten
der konföderierten Republik mit dem Herzog von Choiseul
*) Vgl. damit die hübsche Stelle in dem Schreiben an
d'Alembert, wo Friedrich den seiner Zeit von den Franzosen ge-
feierten Kritiker und Biographen — Dominique Bouhours lebte von
1626—1702 — folgendermassen abfertigt: „Wir Deutsche haben
nach dem treffenden Urteil des guten Pater Bouhours kaum eine
Anlage. zur Poesie, am wenigsten zum Heldengedicht Wir besitzen
nur den groben Instinkt des gesunden Menschenverstandes, und
unser Pegasus hat keine Flügel. Ich könnte Ihnen sagen, was van
Haren Voltaire antwortete, als dieser dessen Leonidas lobte: „Meine
Verse sind gut, denn ich habe gar keine Phantasie.41 (Oeuvres XXIV
S. 624.)
aoo G. Peiser.
geben Friedrich Gelegenheit, ein Charakterbild des
mächtigen Mannes zu zeichnen. Es stimmt mit dem in
den Memoiren (S. 21) entworfenen durchaus übereilt.
„Er geizt nach Lorbeern, wie er sie in Avignon und
Korsika gepflückt hat* — die päpstliche Stadt und die
von den Genuesen abgetretene Insel waren kurz zuvor
dem französischen Reiche einverleibt worden. „Er ist
der Urheber aller Intriguen, ein Narr, aber voll Esprit;
ganz den Vergnügungen hingegeben, lenkt er doch alles
in Frankreich nach seinem Willen.*
Choiseul klagt dem polnischen Gesandten sein Leid
Ober das Missgeschick der Türken. „Welche Unverschämt-
heit*, sagt er, „dass ein Galizin, ohne mit mir vorher
davon zu sprechen, ohne von mir dazu Erlaubnis zu
haben, unsere Verbündeten, den Grossvezier und sein
Heer, vorn und hinten schlägt!* Er habe sich daher ent-
schlossen, den Baron Viomenil nach Polen zu senden; der
werde den prahlerischen Hochmut der Russen nieder-
schlagen. Wielochorski bittet noch recht viel gute
Louisd'or hinzuzufügen; denn die polnischen Helden seien
arm. Auch darein willigt ChoiseuL Er ist voll Hoffnung
auf einen guten Erfolg: „Möge die Welt zerrüttet werden",
ruft er aus, „desto heller wird der Ruhm Choiseuls und der
Franzosen erstrahlen!" „Viomenil — heisst es in dem
Gedichte weiter — reist ab, und Bataillone von Gaffern
folgen ihm, Toren, die, ohne zu wissen warum, bei Lands-
kron für ihren König kämpfen wollen.*
Diese Worte enthalten eine tatsächliche Unrichtigkeit
Der Baron Viomenil ist erst im Herbste 1771 nach Polen
gekommen, also mehrere Monate nach dem am 24. De-
zember 1770 erfolgten Sturze des Herzogs von ChoiseuL
Nicht er, sondern der Oberst Dumouriez — es ist der*
selbe, der später in den Koalitionskriegen so bedeutend
hervortrat ■*— hätte hier genannt werden müssen. Er
war es, der die Schlacht bei Landskron am 22. Juni 1771
verloren hat Aber wie der Dichter die Bischöfe von
Kiew und Krakau, auch nachdem sie von dem Schauplatze
ihrer Tätigkeit gewaltsam entfernt sind, noch eine so
Friedrichs d. Gr. „La guerre des conf€der6s". 201
hervorragende Rolle spielen lässt, so scheut er sich nicht,
den Baron Viomenil, dessen Wirksamkeit in Polen zur
Zeit der Abfassung des Gedichtes eben erst begann, dadurch
lächerlich zu machen, dass er ihn schon in die unglück-
liche Affäre von Landskron mitverwickelt
Die Situation selbst ist richtig gezeichnet Bei der
ohnmächtigen Schwäche Frankreichs ausser stände, den
Russen direkt den Krieg zu erklären, zettelte Choiseul
überall in Europa Intriguen gegen sie an und unterstützte
die Konföderierten durch Subsidien und Entsendung
französischer Offiziere und Artilleristen.
Ehe Friedrich jedoch das Auftreten der Franzosen
in Polen schildert, erzählt er zwei selbständige Aktionen
der Konföderierten. Auf die chronologische Ordnimg
wird dabei wiederum keinerlei Rücksicht genommen;
Ereignisse, die neun Monate auseinanderliegen, werden als
gleichzeitige behandelt
Friedrich beginnt mit der Schilderhebung des Grafen
Oginski.
Wir haben den Grossfeldherrn von Lithauen schon
bei den letzten Beratungen in Eperies kennen gelernt
Die Worte, die ihm dabei in den Mund gelegt werden,
verrieten die eifersüchtige Besorgnis, dass die Franzosen
allein mit den Russen fertig werden könnten. Dieses ganz
unhistorische Motiv schiebt ihm denn auch Friedrich bei
seiner Erhebung gegen die Russen im September 1771 unter
Graf Oginski gehörte zu den Männern, die sich nach
dem Tode König Augusts IQ. Hoffnung auf die polnische
Krone gemacht hatten. Er besass angenehme Talente
wie Poniatowski, malte, dichtete und komponierte, hatte
aber doch auch wirkliche Verdienste aufzuweisen, nament-
lich um seine lithauische Heimat, in der er fast wie ein
Souverän auftrat So hatte er unter anderem den Bau
eines Kanals unternommen, der die Ostsee mit dem
schwarzen Meere verbinden sollte1). Zum Kriegshelden
war freilich auch er nicht geschaffen. Von sanftem, fast
*) Rulhiere II S. 120.
202 G. Peiser.
schüchternem Charakter, wurde er einzig und allein durch
das Drängen seiner Freunde bewogen, sich schliesslich
den Konföderierten anzuschliessen. Nur diese Seite seines
Wesens tritt in unserm Epos hervor und gibt Friedrich
Veranlassung, ihn mit Spott und Hohn zu überschütten.
Oginski — erzählt er — versammelt '„die Blüte der pol-
nischen Bettlerschaft" und feuert sie in prahlerischer Rede
an: seine Wünsche seien erhört; auf ihn seien alle Blicke
gerichtet; seine Taten würden den Ruhm der alten Helden
verdunkeln und zu nichte machen.
Dann aber bricht der Dichter ab, um zunächst den
Anschlag der Konföderierten auf Krakau im Januar 177 1
zu erzählen.
Auch Pulawski und „der tapfere Zaremba, der
niemals für einen Wassertrinker galt", — berichtet er —
operieren ganz auf eigene Faust, ohne die Ankunft der
Franzosen abzuwarten. Wie Don Quixote, der irrende
Ritter, ziehen sie auf grosse Abenteuer aus. Pulawski
sucht Krakau zu überrumpeln, wird aber durch das Feuer
der Russen zurückgetrieben. Fliehend deklamiert er:
„Der Pole ist tapfer, wenn man nicht auf ihn schiesst.
Das unharmonische Pfeifen der Kugeln hat mir brutaler-
weise mein Spiel verdorben". Um sein Missgeschick voll
zu machen, verliert er dabei auch seine Standarte, welche
als Trophäe nach Petersburg gebracht wird. Mars, die
Russen und die Liebe verwünschend, verbirgt er seine
Schande in irgend einem Walde1).
Der Dichter kehrt nun wieder zu Oginski zurück.
Am 6. September 1771 überfiel dieser, der bis dahin den
Schein der Neutralität gewahrt hatte, unerwartet bei
*) Vgl. den Bericht Benoits an den König vom 23. Ja-
nuar 1771. (B. A.):
Nach dem unglücklichen Anschlage des Obersten Drewitz auf
Czenstochau hätten die Konföderierten sich in den Kopf gesetzt, sie
könnten sich Krakaus bemächtigen. Sie hätten infolgedessen die
Stadt angegriffen, aber der Oberst Ebschelwitz, der die dortige
Garnison befehligte, habe sie bald wieder nach Hause geschickt
nachdem er ihnen einige 100 Mann getötet.
Friedrichs d. Gr. „La guerre des confedeY6s". 203
Redcycza ein Bataillon des Obersten Albutschew und
nahm es grösstenteils gefangen1).
Friedrich verschweigt den Vorfall nicht, hat aber
selbst für die geschlagenen Russen ein lobendes Beiwort,
während er das Verdienst Oginskis so viel wie möglich
verkleinert.
Nicht weit von dem Orte, wo seine Truppe lagert,
(erzählt er) zieht eine starke Abteilung tapferer Russen
vorüber, ohne zu ahnen, dass Oginski in der Nähe ist
Sie werden überfallen und zerstreut. Obwohl Oginski
also seinen Erfolg nur einem glücklichen Zufall verdankt,
vergleicht sich in seinem Siegesrausch „das Tier mit dem
ersten der Cäsaren".
Man kann sich nach diesen Worten denken, mit
welchem Behagen der gänzliche Zusammenbruch des
Unternehmens geschildert wird, der schon wenige Tage
darauf erfolgte.
Suworow (erzählt der Dichter) hört in Grodno von
dem Unglück seiner Waffenbrüder und beschliesst, sie
sofort zu rächen. Oginski selbst gibt ihm Gelegenheit
dazu. Er führt seine Truppen in ein Dorf, wo sie plündern
und sich betrinken. Man denkt nicht daran, Posten auf-
zustellen; als die Nacht kommt, liegen alle in süsser
Ruh, sorglos, ohne jede Bewachung. Da erscheint Su-
worow; im Dunkel der Nacht hat er sich den Eingang
in das Dorf gebahnt Die Konföderierten, noch vom vorigen
Tage betrunken, werden mit Knutenhieben aus dem
Schlafe geweckt In einem Augenblick sind alle ge-
fangen; nur einer entkommt, „der erste der Cäsaren."
Es ist der meisterhaft ausgeführte Überfall von
Stolowice in der Nacht vom 22723. September, der hier,
von schmückendem Beiwerk abgesehen, im wesentlichen
richtig geschildert wird. In einem Briefe Oginskis, der
uns erhalten ist2), wird allerdings auch über Verräterei
*) Herrmann V S. 499.
*) Lcttres particulieres du Baron de Viomenil S. 168. Vgl.
Friedrich von Smitt: Suworow und Polens Untergang. Leipzig und
Heidelberg 1853. S. 85 fg.
204 G. Peiser.
geklagt. Aber die Hauptschuld misst auch er seinen
eigenen Truppenftihrern bei, welche nicht einmal Patrouillen
auszuschicken für nötig gehalten hätten.
„Auf solche Weise also,* lässtder Dichter denfliehenden
Oginski wehklagen, „bin ich diesen französischen Hunden
zuvorgekommen, die bald da sein werden. Man hätte
mich wie ein Huhn gepackt, wenn ich nicht so vor-
treffliche Sporen hätte. In Schutt und Trümmer sinkt
die Republik."
„Und inzwischen" — heisst es weiter (die Ereignisse
lagen freilich schon ein Jahr zurück) — „lassen die Russen
auch die Türken zweimal ihre schwere Hand fühlen, so
dass sie über die Donau zurückweichen." Dem Plane
des Werkes gemäss, werden auch diese neuen Erfolge
der Russen auf dem türkischen Kriegsschauplatze nur
eben berührt Gemeint sind die Schlachten vom 18. Juli 1770,
wo der Tartarenchan, und vom 1. August desselben
Jahres, wo der Grossvezier selbst so empfindlich ge-
schlagen wurde, dass er über die Donau flüchten musste1).
„Tröste dich also über dein Missgeschick, tapferer
Oginski," schliesst der fünfte Gesang, „denn ein Unglück
kommt selten allein."
Mit grellen Farben wird in der Einleitung zum
sechsten Gesänge nochmals die unglückliche Lage der
Konföderierten geschildert: Oginski flüchtig, die Türken
geschlagen, Zaremba und Pulawski mutlos. Nur die Liebe
vermag den letzteren noch einigermassen über seine
Niederlagen zu trösten, wie ja die grössten Helden —
sagt Friedrich; er erinnert an den Prinzen Eugen und
den Grafen von Sachsen — allezeit nach Frauenliebe
nicht weniger als nach Lorbeern gestrebt hätten.
In Sack und Asche betet der Dichter für die Sache
der Konföderation, damit „das in Tränen gebadete Polen
nicht den nordischen Barbaren unterliege." Nur ein
Hoffnungsschimmer bleibt den Konföderierten noch: die
Hilfe der Franzosen.
*) Herrmann V S. 625 ffg.
Friedrichs d. Gr. „La guerre des confed£rös". 205
In einer ergötzlichen Scene wird geschildert, wie sie
daherkommen: in grossem Zuge, mit viel Lärm und
Geschrei. Sie rühmen sich laut der Heldentaten, die sie
schon vollbracht haben. Aber während ihre Erzählungen
sonst grossen Eindruck auf jeden machen, der sie ihnen
glaubt, merken sie hier bald, dass das nicht möglich ist;
denn die Polen verstehen ihre Sprache nicht Sie hätten
nun eigentlich mit ihrem Geschwätz aufhören müssen;
„aber Franzosen* — meint der Dichter — „ist das sehr
unangenehm; ihre Zunge ging weiter wie eine klappernde
Windmühle." So verstreichen einige Tage; die Fransosen
schwatzen, die Polen schütteln die Köpfe oder antworten
in „ihrer harten Sprache, die niemand versteht."
Erst finden die Franzosen die Sache höchst spass-
haft; dann aber reisst ihnen die Geduld. Einer macht
den Vorschlag, nach Hause zurückzukehren; für solche
Kerle brauche man sich nicht Gefahren auszusetzen. „In
diesem verwünschten Lande," ruft ein anderer, „gibt es
weder Mädchen noch Kredit Mögen sich diese Bettler
hier allein herumschlagen!" Er rät, zu den Türken zu
gehen; sie würden nicht mit Ehren geizen, und jeder
werde seinen eigenen Harem haben. Alle stimmen ihm
bei und wollen sich schon, „nur leicht beschwert von
ihrem Bettelsack," auf den Weg machen, da eilt zum
Glück Viomenil herbei, und seinen Vorstellungen gelingt
es, die aufgeregten Gemüter zu beruhigen.
Während ihr Mentor noch auf sie einredet — heisst
es weiter — hört man draussen, vor den Toren von
Landskron, das Getöse einer Schlacht Dort ist Branicki
der Führer der königlichen Truppen, mit den Russen
unter Düring, Bibikow und Drewitz zusammengeraten.
Die Polen werden geschlagen und fliehen so schnell, dass
sie den Verfolgern bald aus den Augen kommen. Die
Franzosen eilen ihnen zu Hilfe. Sie werfen sich auf
ihre Pferde und stürzen den Russen entgegen. Wider-
willig folgt ihnen die Hauptmacht der Polen. Als Drewitz
sie sieht, ruft er: „Das sind Hasen, mit denen ich mein
Spiel treibe" und lässt einige Kanonen lösen. Schrecken
2o6 G. Pciser.
ergreift die Polen. „Der Donnerton der Kanonen ist ihnen
um so unsympathischer, da das Echo der Berge ihn
wiederholt" Vergebens sucht Viomenil sie zu beruhigen.
Sie rufen: „Vorwärts auf die Russen!1* konzentrieren sich
aber immer weiter rückwärts. Die Kosaken greifen nun
ihre gelichteten Reihen an und jagen sie in wilde Flucht.
Wer von den Franzosen den Polen nicht folgen will, fällt
den Russen in die Hände. „Ihr Los," sagt Friedrich,
„wird das der Gefangenen sein; sie werden Sibirien
bevölkern, wo es bis dahin weder Esprit noch Galanterie
gab. Dort werden sie Zobeltiere jagen, um euch, Bojaren
der Kaiserin, mit Pelzen zu versehen!1* Viomenil selbst
entkommt nur mit grösster Mühe und flüchtet sich in die
Karpathen, wo er Russen und Polen verwünscht Pulawski
und Zaremba nehmen ihr Unglück weniger tragisch; sie
gleichen (meint der Dichter) Sternen, die einen kurzen
Augenblick verdunkelt sind. „Sie ertränken ihren Schmerz
im Wein und morgen werden sie die Niederlage vergessen
haben."
Man kann die dichterische Freiheit nicht weiter
treiben, als in diesem Schlachtbericht geschieht Dass
nicht Viomenil, sondern Dumouriez am 22. Juni 1771 vor
Landskron befehligt hat, wissen wir schon; die polnischen
Krontruppen haben an dem Kampfe überhaupt nicht teil-
genommen. Ihr Befehlshaber, der General Franz Branicki,
stand überdies auf Seite der Russen. Vielleicht ist Friedrich
hier eine Verwechselung mit dem greisen Krongross-
feldherrn Johann Branicki untergelaufen, der die Sache
der Konföderierten unterstützte. Auch Pulawski und
Zaremba haben bei Landskron nicht mitgekämpft Der
erstere hatte Dumouriez, der ihn dorthin beorderte, die
trotzige Antwort gesandt: er brauche den Befehlen eines
Fremden nicht zu gehorchen, Dumouriez könne ja, wenn
er wolle, sich ihm anschliessend
Auf russischer Seite ist Drewitz richtig genannt^
irrig Bibikow und Düring. Dagegen fehlt der Name
des Mannes, dessen überlegene Taktik den Sieg entschied,,
der Name Suworows. Was den Verlauf der Schlacht
Friedrichs d. Gr. „La gucrrc des confedereV*. 207
selbst betrifft, — wir haben darüber einen Brief Dumouriez'
und den Bericht Suworows *) — so ist richtig, dass die
vorschnelle Flucht der Polen auch die Franzosen mit-
fortriss; in kaum einer halben Stunde war der Sieg ent-
schieden. In den Einzelheiten aber hat Friedrich seiner
Phantasie vollständig die Zügel schiessen lassen.
Ganz frei erfunden ist das possenhafte Nachspiel
der Schlacht; es soll lediglich die Don Quixoterie Oginskis
noch einmal in helles Licht setzen.
Von Stolowice war dieser über die Grenze geflohen
und hatte sich zuerst in Danzig und dann in Königsberg in
Sicherheit gebracht1). Der Dichter aber lässt ihn, nach-
dem Lithauen von Suworow unterworfen ist, nach Lands-
kron gehen. Still und traurig kommt er dort an; sein
prahlerisches Wesen scheint ganz von ihm gewichen.
Als er aber hört, dass die Franzosen auch nicht
glücklicher gekämpft haben wie er, kehrt sein Selbst-
vertrauen zurück. Er führt die Konföderierten, die ihm
nur seufzend folgen, nochmals den Russen entgegen« Von
ferne sieht man eine gewaltige Staubwolke heranziehen — ,
offenbar Truppen, die in guter Ordnung langsam vor-
rücken. Mit wildem Ungestüm stürzt sich Oginski auf
sie. Aber der vermeintliche Feind erweist sich als eine
Hammelheerde, die von einem Händler zu Markte ge-
trieben wird. Beim 'Heransprengen der Polen stiebt sie
auseinander; die besten Stücke aber werden erbeutet,
und froh, wenigstens an diesem Tage gesiegt zu haben,
kehren die Konföderierten nach Landskron zurück.
Wie nach der Schlacht von Chocim, folgt nun
auch jetzt eine Darstellung des Eindrucks, welchen die
Unglücksbotschaften vom Kriegsschauplatze in Rom
hervorrufen.
„Ist es nicht genug", hört man die Kirche klagen,
„dass die Encyklopädisten, die ungläubigen oder deistischen
Philosophen unsere Mauern untergraben, von. denen einst
Luther schon ein grosses Stück zum Einsturz gebracht
*) Lettres de Viomenil S. 18 und 153. v. Smitt S. 75.
») Rulhiere IV S. aa&
208 G. Peiser.
hat? Die Russen suchen sie noch zu überbieten, und
die Vernunft wird zum Schrecken der Papisten ihren
Einzug in Rom halten, und die Köpfe unserer Nepoten
aufklären."
„Dem Papste", fährt Friedrich fort, (die Verhandlungen
über die Aufhebung des Jesuitenordens waren bereits in
vollem Gange) „war damals noch nicht bekannt, dass der
Teufel die Gestalt des heiligen Ignatius entlehnt hatte, um
die Verwirrung anzurichten. Hätte der heilige Vater das
gleich erfahren, so wäre es sofort mit den Jesuiten ganz und
gar aus gewesen. Aber der heilige Xaver, der dieses
Schicksal befürchtete, verhinderte listig, dass Seine Heilig-
keit damals davon unterrichtet wurde. Mein Leser freilich
kennt den ganzen Ursprung dieser wunderbaren Begeben-
heiten besser und weiss, dass der böse Geist, die Jungfrau
und die Sottise die Urheber dieses Wirrwarrs sind."
Noch einmal schildert Friedrich nun das Kriegs-
elend in Polen, wo überall Bauern, Herren und Geistliche
ausgeplündert würden, um sich dann mit einem überaus
schmeichelhaften Appell an dieKaiserinKatharina zuwenden.
„Es wäre um diesen grossen Staat geschehen ge-
wesen, wenn Mord und Kampf noch länger angedauert
hätten. Aber Vernunft und Philosophie haben noch er-
habene Parteigänger. Ihre Stimme wird bei den Scythen,
im Innern Russlands, von der angebeteten und gesegneten
Fürstin auf der Höhe ihres Thrones vernommen.. Ihre
grosse Seele ist gerührt von den Leiden, welche die Welt
erduldet." Sie ruft den Frieden vom Himmel herab, und
um Katharinas Willen verlässt er sogleich die Götter.
Zuerst versöhnt er Katharina und Mustapha. Dann kommt
er zu „dem Herrn Sarmaten, der zwar immer geschlagen,
aber doch noch voll eitler Hoffnungen ist," und redet die
Palatine also an: „öffnet eure Augen, der Teufel treibt
mit euch sein Spiel. Denn ihr habt euren mächtigen
Nachbarn, ohne euch etwas dabei zu denken, lange Zeit
den Tisch gedeckt. Jetzt werdet ihr geruhen, es ganz in
Ordnung zu finden, wenn diese Nachbarn sich den
Kuchen teilen. Das sind die Früchte eurer Narrheit und
Friedrichs d. Gr. „La guerre des confedereV*. 209
eurer Komplotte, ihr Toren! Tröstet euch über diesen
Frieden, wie er Besiegten diktiert wird, in den Armen
des Bacchus !€l
Sich dann zu den einzelnen Häuptern der Kon-
föderation wendend, gewährt der Friedensgott Pulawski
freien Abzug1). Nur soll ihm seine Geliebte genommen
und ihrem Gemahl zurückgegeben werden. Über den
Bischof von Kiew verhängt er die Strafe, die er nun schon
seit vier Jahren erduldete; er soll in Smolensk über die
Grenzen von Staat und Kirche nachdenken, d. h. noch
weiter in russischer Haft bleiben. Zaremba wird wie ein
gemeiner Verbrecher behandelt: er soll auf die Galeere
gebracht werden. Oginski erhält den Rat, sich künftig
auf seine musikalischen Neigungen zu beschränken: „Lege
die Feldbinde ab, die sich nur für Söhne des Mars eignet;
ahme nicht mehr den ersten der Cäsaren nach, sondern
spiele mir wie David auf der Harfe \u
Es ist ein Zukunftsbild, welches Friedrich am Schlüsse
seines Werkes, den Ereignissen vorauseilend, entrollt Im
Geiste sieht er die beiden Ziele, denen seine Politik damals
zustrebte, schon erreicht „Als Prophet", schreibt er an
d'Alembert, „verkündige ich Ihnen den Frieden, obwohl
er noch nicht abgeschlossen ist*9). Auf die Herbeiführung
dieses Friedens war seit der türkischen Kriegserklärung
Friedrichs Diplomatie unablässig gerichtet gewesen.
Was ihm die Beilegung des russisch-türkischen Krieges
so wünschenswert machte, war nicht allein der Umstand,
«lass er — dem Allianzvertrage von 1764 gemäss — jähr-
lich 480000 Taler Subsidien an Russland zahlen musste,
l) „Pulawski, vous allez" In der Tat hat er,
als die militärischen Cooperationen der drei benachbarten Reiche
die Fortsetzung des Kampfes unmöglich machten, sich im April 1772
ans Czenstochau entfernt und ist ins Ausland gegangen. Für die
Freiheit Nordamerikas kämpfend, ist er später bei Savannah ge-
fallen. (Herrmann V S. 521.)
*) Oeuvres XXIV S. 642. In Wahrheit hat sich der russisch-
türkische Krieg, durch Waffenstillstand und Friedensunterhandlungen
freilich lange unterbrochen, bis in das Jahr 1774 fortgeschleppt.
Zeitschrift der Hist. Oes. für die Prov. Posen. Jahrg. XVIII. 14
210 G. Pciscr.
sondern vor allem die Befürchtung, dass ^Österreich für
die Pforte mit den Waffen eintreten, und Preussen dadurch
genötigt sein würde, Russland auch militärische Bundes*
hilfe zu leisten1). Wie atmete er daher auf, als am
5. September 1771 Maria Theresia in einem unbewachten
Augenblick dem preussischen Gesandten unzweideutig
zu erkennen gab, dass von ihrer Seite kein Krieg zu
befürchten sei2)! Eine wesentliche Vorbedingung für den
Friedensschluss schien ihm erfüllt, wenn die Pforte sich
ihrer Isolierung deutlich bewusst wurde.
Aber was noch mehr geeignet war, Friedrich mit
freudiger Zuversicht zu erfüllen: Die Politik hatte einen
Weg gefunden, die widerstrebenden Interessen Öster-
reichs und Russlands zu vereinigen und zugleich Preussen
einen entsprechenden Machtzuwachs zu gewähren.
Die Teilung Polens wird, — neun Monate vor der
Unterzeichnung des Petersburger Traktats — in der Rede
des Friedensgottes bereits offen angekündigt8); sie wird
hier als die natürliche Folge der Torheit der Polen,,
welche geradezu das Ausland dazu herausgefordert hätten,
aber auch als notwendige Voraussetzung für die Pacifika-
tion des Landes bezeichnet
Seit der Rückkehr des Prinzen Heinrich von seiner
denkwürdigen russischen Reise, also seit dem Februar 1771,
waren die Verhandlungen Über die Teilung in vollem
Fluss, zunächst zwischen Berlin und Petersburg4). Wie
Friedrich aber gerade in jenen Tagen, da er die Ab-
fassung seines Werkes begann, die politische Lage über-
haupt auffasste, geht aus seiner Antwort auf ein Schreiben
des Ministers Finkenstein vom 8. Oktober 1771 mit
*) Der Inhalt des Vertrages bei Reinhold Koser: König
Friedrich der Grosse S. 437; vgl. S. 455.
2) Beer II S. 107.
3) Natürlich ist der Gesang, der diese Stelle enthält, Voltaire
und d'Alembert erst geraume Zeit spater übersandt worden^
ersterem am 16., letzterem am 17. September 1772.
<) Koser S. 466.
Friedrichs d. Gr. „La gucrrc des confed6r6s". 21 X
voller Klarheit hervor. Man möchte die Worte als Vor-
rede zu Friedrichs Epos bezeichnen. „Die Briefe aus
Petersburg sind so günstig als möglich; die aus Wien zeigen
mehr schlechte Laune, als den vorbedachten Entschluss
zu schaden; ich glaube, dass die Kaiserin-Königin sich
schliesslich so weit besänftigen lassen wird, dass sie aus
Liebe zum Frieden, und um das Gleichgewicht der Mächte
zu erhalten, ein Stück Polen anzunehmen geruhen wird.
Diese Teilung wird wahrscheinlich das Ende aller dieser
Wirren sein*1)-
Diese Situation muss man sich gegenwärtig halten,
wenn man Friedrichs Dichtung richtig verstehen will.
Nicht für seine Auffassung von der polnischen Nation ist
sie von wesentlicher Bedeutung (wer kennt nicht die Miss-
achtung, die er für die Polen überhaupt empfand!) —
auch nicht als Quelle für den Konföderationskrieg — wir
haben im einzelnen nachgewiesen, mit welcher Freiheit
die Ereignisse behandelt, wie einseitig und nicht selten
ungerecht die polnischen Führer beurteilt werden. Der
Wert der Schrift liegt, von dem hohen literarischen Interesse,
das sie gewährt, abgesehen, darin, dass sie die Stellung
Friedrichs des Grossen zu Russland im Herbste 1771 vor-
trefflich illustriert Sie ist ein heftiger Angriff auf die
katholische Welt, die den Männern von Bar die lebhaftesten
Sympathien entgegenbrachte, aber zugleich ein Dokument
der engen Verbindimg zwischen den beiden Kabinetten,
welche damals gemeinsam eine so grosse politische Aktion
vorbereiteten. Mag es sich um die Kaiserin selbst oder
die russischen Führer, um die Wahl Poniatowskis oder
um die Dissidentenfrage, um die Schlachten mit den
*) Bei Beer II S. 146. Les lettres deP6tersbourg sont aussi favora-
bles que possibles, celle de Vienne montrent plus de mauvaise humeur
que de Dessein prlmlditl de nuire, et je crois qu' allafin l'imperatrisse
reine se laissera radoucir au point de Vouloir bien pour l'amour de
la paix et de la Bailance des Pouvoirs aeeepter un morceau de la.
Pollogne, ce partage sera Probablement la fin de tout ces troubles.
An Finkenstein auf der Rückseite eines Schreibens desselben von*
8. Oktober 1771. (B. A.).
212 G. Peiser.
Türken oder die Gefechte mit den Polen handeln, überall
wird die Darstellung von dieser Hinneigung zu Russland
auf das stärkste beeinflusst
Man begreift es, dass der König später auf den Ge-
danken gekommen ist, sein Epos der Kaiserin und den
leitenden Männern am Petersburger Hofe zur Lektüre zu
übersenden, versteht aber andererseits auch, dass er einige
Jahre darauf, in seinen Memoiren, eine ganz andere, ob-
jektivere Auffassung zum Ausdruck gebracht hat
Francesco Lismanino.
Von
Theodor Wotschke.
) elegentlich meiner Forschungen auf dem Gebiete
der Reformationsgeschichte der Provinz Posen
ist mir reiches handschriftliches Material über
diesen ehemaligen Minoritenprovinzial und Beichtvater der
Königin Bona Sforza und späteren kleinpolnischen pro-
testantischen Theologen in die Hände gefallen. Es schien
mir um so zweckmässiger, dieses zu einer Biographie zu-
sammenzustellen, als die Literatur eine solche bisher
noch nicht bietet, und man bezüglich Lismaninos noch
immer auf Lubieniecki1) und die wenigen Daten bei Sand2)
angewiesen ist Der gelehrte Königsberger Konsistorialrat
und Oberbibliothekar Samuel Bock8) wollte in seinem Werke
über die Antitrinitanier ausführlicher über LismaninosLeben
und Schriften berichten, aber wie sein gross angelegtes
Werk unvollendet geblieben ist, so hat er auch diesen
Vorsatz nicht ausgeführt. Dies ist um so mehr zu bedauern,
als Bock über ein grosses jetzt verloren gegangenes hand-
^LubienieciusiHistoria reformationis Polonicae. Freistadii 1685.
Da Lubieniecki eine Reformationsgeschichte des Sekretärs Laskis und
Lismaninos Stanislaus Budzinski im Mannskript vorlag, gibt er
allenthalben sichere Nachrichten und ist seine Arbeit eine vorzügliche
reformationsgeschichtliche Quelle.
2) Sandius: Bibliotheca Anti-Trinitariorum. Freistadii 1884. S. 34 f.
8) Fr. Samuel Bock: Bibliotheca Antitrinitariorum maxime
Socmianorum. Königsberg und Leipzig 1774. Bd. I S. 436 „vitam
Lismanini in hist Socin. Polon. et Pruss. fuse exposituri sumus".
Im vierten Bande seines Werkes wollte er dies unter Benutzung
seiner schon 1754 erschienenen historia Socinianismi Prussici tun, aber
Aber den zweiten Band ist das Werk überhaupt nicht hinausgekommen.
214 Theodor Wotschkc.
schriftliches Material, vor allem über die Synodalakten der
Socinianer verfügte und sichere Auskunft hätte geben
können, ob Lismanino mit Recht den Antitrinitariern zu-
zurechnen ist. Salig1) sagt: „Man setzt Lismaninum nebst
Ochino in die Klasse der Socinianer; von dem Letzteren
bin ich gewiss versichert, dass er kein Socinianer gewesen*.
Ich hoffe den Nachweis führen zu können, dass auch
Lismanino zu unrecht den Antitrinitariern zugezählt wird.
Francesco ist 1504 von griechischen Eltern auf Korcyra
geboren. Seine frühste Kindheit verlebte er in Italien, und
wie viele Bürger dieses Landes in jener Zeit in Polen eine
neue Heimat suchten, so zogen auch seine Eltern gewiss
noch vor 1515 mit ihm nach Krakau2). Welche Beweg-
gründe ihn hier Mitte der zwanziger Jahre bestimmten, in
ein Franziskanerkloster einzutreten, wissen wir nicht; der
Schritt ist schwer verständlich, da Lismanino damals schon,
wie er am 29. Dezember 1556 Georg Israel erzählte, in-
folge der heimlichen Lektüre der Schriften Luthers an
den Lehren der römischen Kirche irre geworden sein will.
Schnell stieg er zu Ehren und Würden empor. Er wurde
Beichtvater der Königin Bona, die als Tochter des Herzogs
Sforza von Mailand die Italiener sehr begünstigte, und
durch ihrenEinfluss 1540 Provinzial aller polnischen Franzis-
kaner- und Klarissenklöster; auch erhielt er die reichen Ein-
künfte der Pfründe Czechow im Krakauer Palatinat über-
wiesen. Seine einflussreiche Stellung führte ihn mit allen
kirchlichen und weltlichen Würdenträgern Polens zu-
sammen; mit verschiedenen war er eng befreundet, mit
*) Salig: Historie der Augsburgischen Konfession. Halle 1733.
II 572.
*) In der Widmung des Buches Traiedya o Mszey an Fürst
Nikolaus Radziwill 1560 berichtet Lismanino, dass er obwohl ein Sohn
<ies fernen Phaakenlandes seit seiner Jugend in Polen gelebt habe
und deshalb die polnische Sprache beherrsche. Bischof Zebrzy-
dowski schreibt in einem Krakau, den 93. Januar 1552, datierten
Briefe über Lismanino: „singulariter eum semper complexus fui eiusque
dignitatem et fortunas habui carissimas, iam inde cum paene
a pueris nos inter nos familiarissime amaremus, iisdem studiis
operam daremus*.
Francesco Lismanino. 215
den meisten stand er im Briefwechsel. Einige Schreiben des
Leslauer und späteren Krakauer Bischofs Andreas Zebrzy-
dowski an ihn hat Wislocki in der Briefsammlung dieses
Bischofs veröffentlicht1). Sie sind wenig inhaltsreich und
bieten für ein Lebensbild Lismaninos nur untergeordnete
Züge. Wir entnehmen ihnen, dass Lismanino Ende 1547 von
Krakau nach Grosspolen gereist war und bei der Rück*
kehr Anfang März 1548 seinen Freund Zebrzydowski in
Wolborz, einem Städtchen unweit Petrikau, auf einige
Stunden besucht hat, um die kurz zuvor brieflich aus-
gesprochene Bitte um Gewährung eines Darlehns mündlich
zu erneuern2). Am 1. April starb König Sigismund,
und als zu den Begräbnisfeierlichkeiten am 26. Juli auch
Herzog Albrecht von Preussen in Krakaus Mauern weilte,
hatte er wie sein Hofprediger Johann Funk mit Lismanino
verschiedene Unterredungen. Neben politischen Fragen
betrafen sie auch religiöse, denn trotz seines hohen kirch-
lichen Amtes war Lismanino mit der Kirche innerlich
zerfallen. Der Zweifel, der seit den zwanziger Jahren
sein Herz zerriss, war zur Ueberzeugung ausgereift, dass
der Kirche eine Reformation an Haupt und Gliedern
dringend not tue, und dass der Wittenberger Mönch mit
seinem Zurückgehen auf die heilige Schrift die wahren
Richtlinien für sie gegeben habe. Ein Kreis humanistisch
gebildeter Männer in Krakau, die der Reformation teils
freundlich gesonnen, teils ihr von ganzem Herzen schon
ergeben waren, hatte ihn in seiner Ueberzeugung bestärkt
und allmählich zu tieferer evangelischer Erkenntnis geführt.
Der gelehrte Johann Trzycieski und sein Sohn Andreas,
der Drucker Bernhard Wojewodka, der Grodschreiber
Jakob Przyluski, der Edelmann Iwan Karminski auf Alexan-
drowice unfern Krakaus und der bekannte Andreas Fricius
Modrzewski waren seine nächsten Freunde und Vertrauten,
mit denen er Glaubensfragen besprach. Die literarischen
humanistischen Studien, die sie zusammen trieben, waren
*) Epistolarum libri Andreae Zebrzydowski. Acta hist. res
gcstas Poloniae illustrantia I. Cracoviae 1878.
*) a. a. O. N. 354 und 356.
2i6 Theodor Wotschke.
der Deckmantel für religiöse Diskussionen, für ihr Studium
der Bibel und der deutsch-protestantischen Schriften, Be-
sonders BernhardWoje wodka, in den humanistischen Wissen-
schaften ein Schüler des Erasmus, in Glaubensfragen Luther
unbedingt ergeben, den Herzog Albrecht gern nach Königs-
berg gezogen hätte, und der fleissig an der Uebersetzung
evangelischer Schriften ins Polnische arbeitete1), und Andreas
Trzycieski, der schon 1528 als ein überzeugter Anhänger
Luthers galt2) und im August i544demDrangeseinesHerzens
gefolgt war und in Wittenberg zu den Füssen Luthers
und Melanchthons weiterstudiert hatte8), wurden Lis-
manino Wegführer zur evangelischen Erkenntnis. In Be-
zug auf die spätere theologische Richtung Lismaninos ist
zu bemerken, dass die reformatorisch Gesinnten in Krakau
bei aller Wertschätzung Luthers keine Lutheraner waren.
Um 1450 waren viele deutsche Familien, ich nenne die
Boner, Bethmann, Schilling, Vetter, Hos, aus dem Elsass
nach Krakau eingewandert und hatten hier die zurück-
gehende deutsche Bürgerschaft gestärkt; mit der Heimat
unterhielten sie, vor allen der Verwalter der königlichen
Münze Jobst Ludwig Dietz, enge Verbindung, und sehr
zahlreich waren deshalb neben den Büchern der Witten-
berger die Schriften der Strassburger Theologen in Krakau
verbreitet Hierzu kommen die Bücher Zwingiis, Bullingers,
Calvins und anderer Schweizer, die besonders flüchtige
um ihres Glaubenswillen verfolgte Italiener nach Klein-
polen brachten. Unter den reformatorisch gesinnten Geist-
lichen Krakaus waren Lismaninos Freunde die Kanoniker
Jakob Uchanski und Adam Drzewicki, die Franziskaner-
mönche Stanislaus Opoczno, Albert Kozalowski, Johann
*) Nach seinem vorzeitigen Tode, er ertrank Juli 1554 beim
Baden, Hess seine Witwe durch den Krakauer Stanislaus Wysnowski
die polnischen Manuskripte der Pinczower Synode am 26. April 1556
überreichen. Dalton: Lasciana. Berlin 1898 S. 415.
2) Vergleiche den Brief des Vizekanzlers Tomicki an Johann
Zambocki. Tomiciana Bd. X.
*) Album Academicum Viteberg. ed. Förstemann. Einen Brief
von ihm an Melanchthon Krakau, den 12. August 1546, bietet die
Zeitschrift für Kirchengeschichte Xu, 194.
Francesco Lismanino. 217
Szoldra, vor allen aber der Prediger der italienischen
Fremdengemeinde Hieronymus. Natürlich konnte die
reformatorische Gesinnung des Minoritenprovinzials nicht
ganz verborgen bleiben, ein Verwandter Iwan Karminskis,
der Kanoniker Georg Podlodowski, schöpfte Verdacht und
teilte seine Vermutungen dem Krakauer Bischof Samuel
Maciejowski mit, der einst durch Lismaninos Fürsprache
bei der Königin Bona zur Krakauer Bischofswürde empor-
gestiegen war, jetzt aber dem Ankläger seines ehemaligen
Fürsprechers ein geneigtes Ohr lieh. Unter dem Scheine
xier Freundschaft näherte er sich Lismanino, besuchte ihn
häufig, um in seiner Wohnung nach verbotenen ketzerischen
Schriften auszuschauen. Aber von seinen Freunden Jakob
Przyluski und dem Marschall des Bischofs Stanislaus
Bojanowski gewarnt, war Lismanino auf der Hut, und die
heimlich forschenden Augen des Bischofs fanden nur die
Werke der mittelalterlichen Scholastiker. Einmal hätte
<ler Bischof bei einem unerwarteten Besuche fast seinen
Zweck erreicht, evangelische Bücher lagen aufgeschlagen auf
-dem Tische, und kaum hatte Lismaninos Sekretär Budzinski
Zeit, sie in dem Ofen zu verstecken. Maciejowski, der Ver-
flacht geschöpft hatte, durchsuchte alle Winkel der Wohnung,
aber an dem Ofen ging er arglos vorüber1).
Ende 1549 reiste Lismanino in Angelegenheiten seines
Ordens nach Venedig, und hier traf ihn im folgenden
Frühjahr der Auftrag der Königin Bona, nach Rom zu
gehen, um in ihrem Namen Giovanni Maria del Monte,
-der aus dem Conklave am 7. Februar als Julius III. hervor-
gegangen war, zu seinem Pontifikate zu beglückwünschen.
Maciejowski schrieb an den Papst, unterrichtete ihn von
dem Verdachte, der auf dem Minoritenprovinzial ruhte,
und bat, ihn vor die Inquisition zu stellen und in einem
italienischen Kerker zu verschliessen, jedenfalls ihn aber
Aach Polen nicht zurückziehen zu lassen. Wir wissen
*) VergL hierzu und zu dem Folgenden Lubieniecki S. 24 und
'WengierakL Am ia. Mai 1548 schreibt Stanislaus Bojanowski „de
Teügione, quid sit sperandum, nescio, sunt bona et mala signa. Epi-
scopum Cracoviensem metuo, nos feeimus quae possumus".
218 Theodor Wotschke.
nicht, wodurch des Bischofs fein gesponnener Plan zu-
nichte wurde. Als Lismanino im Winter ungehindert
zurückkehrte und unterwegs in Villach Stanislaus Czarn-
kowski, dem späteren Posener Bischof, begegnete, be-
richtete ihm dieser von Maciejowskis Uriasbriefe und
seinem am 26. Oktober erfolgten Tode. Lismanino eilte
nach Warschau, wo die Königin-Mutter ihren Hof hielt
und erstattete über seine Reise nach Rom Bericht. Könige
Sigismund August war über seiner Ehe mit Barbara Rad-
ziwill mit seiner Mutter zerfallen, jetzt suchte er durch
ihres Beichtvaters Vermittelung eine Aussöhnung. Gern
ging Lismanino auf seine Wünsche ein, und dreimal führte
ihn das Friedenswerk im Januar, Februar und März nach
Krakau zu persönlicher Verhandlung mit dem Könige1),
Als Bona Sforza am 8. Mai ihre Augen schloss, verlor er
eine hohe Gönnerin, aber auch der junge König hatte ihn in
jenen Verhandlungen schätzen gelernt und seine volle Gunst
ihm zugewandt, sogar durch den Kanzler Johann Ocieski ihm
das erste frei werdende Bistum in Aussicht gestellt
Die italienische Reise hatte das Gerücht von seiner
Hinneigung zum Protestantismus nicht verstummen lassen,,
vielmehr gewann es neue Nahrung, da er in Venedig mit
verschiedenen der Ketzerei Verdächtigen in Verkehr ge-
standen hatte2). Man erzählte sich, er wolle nach Venedig
l) Auch die Königin-Mutter muss sich um eine Aussöhnung
bemüht haben, denn am 10. April 1550 schreibt Stanislaus Bojanowski
aus Krakau: „Huc nuper magna omnium admiratione mater nuntiun»
tnisit, per quem nostrae Barbarae honorem reginalem defert,
dignitatem hanc gratulatur, omnia fausta et felicia precatur seque
in gratiam dominae et filiae carissimae commendat Legatus fuit
griseus monachus, natione graecus, franciscanorum, ut vocant, minister»
qui latius loqutus est inter cetera: Testatur Sua Maiestas reginalis
deum, se hoc ex animo et sincero corde facere, et ego sum in hoc
testis conscientiae Suae Maiestatis, quia confessor est".
*) Leider ist Lismaninos Verbindung mit den evangelisch Ge-
sinnten Italiens im einzelnen noch nicht klar gestellt Comba „I nostri
Protestantin 1897 und Cantu „Eretici d'Italia II, 501 widmen ihm nur
wenige Zeilen, Benrath erwähnt in der Realencyklopädie Bd. IX, 534
nur seine Beziehungen zu dem Guardian des Franziskanerklosters
in Belluno Giulio Maresio. .
Francesco Lismanino. 219»
übersiedeln, dort die Kutte abwerfen und in den Ehestand
treten, in Polen suche er nur noch Klostergut an sich zu:
bringen,, um für die Zukunft sorgenfrei leben zu können1)*
Da über Oberitalien damals die Tage der Reaktion und
Ketzerverfolgung hereingebrochen waren, trägt dieses
Gerücht unverkennbar den Stempel der Verleumdung.
Es fand aber Glauben und einen gewissen Anhalt an
einem ärgerlichen Streite, in den Lismanino mit den
Klarissinnen des Klosters St Andrea zu Krakau ver-
wickelt wurde. Nach einer Eintragung in den Akten des.
Krakauer Kapitels unter dem 12. und 13. Februar 1551
hatte er mit den Nonnen über vermögensrechtliche Fragen
sich entzweit und über die seinen Anordnungen Wider-
strebenden die kirchliche Zensur verhängt Da die
Klarissinnen aber bei dem Könige sich beschwerten, auch
mit einer Appellation an den päpstlichen Stuhl drohten,,
hielt Lismanino auf Rat seiner Freunde es für das Bester
den. Streit gütlich beizulegen und den Nonnen, die durch
des Bischofs Andreas Zebrzydowski Vermitdung um Ver-
zeihung baten, ihren Ungehorsam nachzusehen2).
Hatten Lismaninos Neider und kirchliche Gegner ge-
hofft, der Streit mit dem Klarissenkloster würde den
König dem Provinzial entfremden, so hatten sie sich ge-
irrt; Sigismund August zog ihn in seine unmittelbare
Nähe und machte ihn zu seinem vertrauten Berater. Als.
er ihm in den Verhandlimgen, die seiner Verehelichung
mit Katharina, König Ferdinands von Österreich Tochter,
seiner dritten Gemahlin, vorangingen, wertvolle Dienste
geleistet hatte, erfuhr sein Einfluss eine weitere Festigung
und Steigerung. Offen sprach der König, der seit Jahren
im Grunde seines Herzens der Reformation nicht un-
freundlich gegenüberstand, mit ihm über die religiösen
Wirren und zweimal in der Woche, des Dienstags und
Freitags, Hess er sich nach der Tafel von ihm sogar
aus Calvins' Institutionen vorlesen. Die Hochzeit des-
*) Acta historica res gestas Poloniae illustrantia I, 488.
2) Vergl. Zebrzydowskis Briefe an Lismanino vom 2. März:
und 6. August 1551 Nr. 592 u. 675 bei WislockL
SSO Theodor Wottchke.
Königs im Juli 1553 und eine schwere Erkrankung
Lismaninos zwangen die religiösen Besprechungen für
einige Monate auszusetzen; als sie auf Wunsch des
Königs wieder anhoben, griff Sigismund August einen
von Lismanino gelegentlich hingeworfenen Gedanken auf.
Er beschloss eine grössere Bibliothek einzurichten und
<lie Bücher durch Lismanino im Auslande kaufen zu lassen.
Die Gelehrten in Italien, der Schweiz, Frankreich und
Deutschland sollte er aufsuchen, über die religiösen
Fragen und kirchlichen Verhältnisse in den einzelnen
Ländern sich genau unterrichten, ihre Einrichtungen
studieren und dem Könige über alles eingehenden Bericht
erstatten. Lismanino lenkte seine Schritte zuerst nach Prerau
in Mahren, das nach den Verfolgungen des Jahres 1548
der Sitz des Brüderseniors geworden war, um jene Märtyrer-
kirche kennen zu lernen, die in den letzten Jahren auf
den grosspolnischen Adel solche Anziehungskraft ausgeübt
hatte. Mehrere Wochen weilte er inmitten der Brüder
und schloss sich einigen von ihnen wie dem Matthias
Braunski und dem alten Bruder Daniel naher an. Ihre
kirchlichen Einrichtungen, ihre strenge Zucht, ihre Pflege
<Ies praktischen Christentums nötigten ihm solche An-
erkennung ab, dass, wie er spater äusserte, nur die Un-
kenntnis der böhmischen Sprache ihn abgehalten habe,
in Mahren sich dauernd niederzulassen1). Von Prerau
ging er nach Venedig und nach einem halbjahrigen Aufent-
halte nach Padua und Mailand. Hier brachten ihn
einige reformationsfreundliche Äusserungen in Verdacht,
Mönche zeigten ihn beim Stadtprafekten an, er wurde
verhaftet, sein Gepäck durchsucht, und nur die Geleit-
briefe des polnischen Königs retteten ihn vor Inquisition
und Kerkerstrafe. Von Italiens gefahrlichem Boden
wandte er ach nach der Schweiz; Zürich, Bern, Basel
und andere Städte suchte er auf und ging dann für
einige Wochen nach Paris und Lyon. Nach seiner
Rückkehr nahm er seinen Wohnsitz in Zürich, wo
l) Vergi im Archiv *u Herrenhut Folianf X BL 24.
Francesco Lismanino. 221
er den Geistlichen der Stadt und Professoren der Universität
näher trat, mit Rudolf Gualter (Walter), Theodor Bibliander,
Konrad Pellikan, besonders aber mit Bullinger und Johann
Wolph ein herzliches Freundschaftsbündnis schloss. Die
Beobachtung, dass er in Ausführung des Königlichen Auf-
trages sich säumig zeigte, bestimmte diese beiden letzten,
ihn nachdrücklich an seine Pflicht zu erinnern. Da von
den Schweizer Theologen vor allen Calvin beim polnischen
Könige in Gunst stand, auch persönlicheBeziehungen zu ihm
hatte — 1549 hatte er ihm seine Erklärung des Hebräer-
briefes gewidmet — drangen sie in Lismanino, nach Genf zu
reisen und den grossen Theologen um einen Brief an
Sigismund August zu bitten. Mit Empfehlungen1) an
Calvin entliessen sie ihn November 1554- Gern kam der
Reformator der Aufforderung Lismaninos nach, am 5. De-
zember schrieb er dem Könige jenen Brief2), in dem er
ihm ans Herz legt, der erkannten Wahrheit zu folgen und
das Werk der Reformation in seinen Landen zu fördern.
Im persönlichen Verkehre zeigte er grosses Interesse für
Lismanino, den er als ein Werkzeug Gottes zur Aus-
breitung des Evangeliums in Polen ansah, auf seine An-
regung ward er von der Universität zum Doktor der
Theologie promoviert, auch bestimmte er ihn, durch eine
Heirat seine Trennimg von Rom öffentlich zu besiegeln.
Vergebens ward Lismanino von seinem Amanuensis Stanis-
laus Budzinski, der die Ungnade des Königs fürchtete, ge-
warnt, gegen Weihnachten schloss er mit Claudia, der
Tochter einer vornehmen französischen Familie, den Ehe-
bund. Seinen anfänglichen Plan, längere Zeit in Genf
zu bleiben, gab er angeblich aus Gesundheitsrücksichten auf.
Wahrscheinlich aber fühlte er wie die meisten Italiener
von Calvins strengem Geiste sich mehr zurückgestossen, als
angezogen. Die Bücher, die er für die königliche Biblio-
thek angekauft hatte, sandte er mit seinem Sekretär
nach Polen, zugleich übergab er ihm ein Schreiben
*) Vergl. Calvins Antwort vom 26. Dezember. Opera CalvinL
XV, N. 2069 und 2070.
2) Opera Calvini XV, N. 2057.
-2212 Theodor Wotschke.
an den Superintendenten der kleinpolnischen Kirche
Felix Cruciger, in dem er seinen Uebertritt zur Reformation
anzeigte, ferner Briefe verschiedener Theologen für den
König Sigismund August, darunter einen aus der Feder Cal-
vins vom 9. Februar 1555 *). Unter demselben Tage empfahl
<der Reformator Lismanino an Bullinger8) und überreichte
ihm eine Abschrift seines letzten Briefes an den polnischen
König für die Züricher zur Kenntnisnahme. Am 13. Fe-
bruar konnte er ihm noch einige Schreiben an Nikolaus
Radziwill8), den Palatin von Sendomir Nikolaus Jordan
Spytko und andere polnische Magnaten zur Beförderung
-einhändigen, dann muss Lismanino mit seiner Gattin Genf
verlassen haben. Am 24. Februar fügt Calvin seinem
Briefe an Bullinger in einer Nachschrift einen kurzen
Gruss an den Freund aus Polen bei, und am 3. März
konnte dieser dessen Ankunft in Zürich nach Genf melden;
das ihm eingehändigte Schreiben habe er von ihm er-
halten4).
Die schönsten Monate seines Lebens hoben jetzt für
Lismanino an, im fleissigen Studium an der Universität
und im freundschaftlichen Verkehr mit Professoren und
Pastoren, auch mit Lelio Sozini6), der seit 1554 in Zürich
weilte, erwuchs ihm Tag für Tag neue Anregung und
neuer Gewinn. Noch sollte derselbe sich steigern, als am
12. Mai die armen italienischen Flüchtlinge aus Locarno
in Zürich eintrafen, um hier in der evangelischen Stadt
eine Zufluchtsstätte zu suchen, und als der Rat zum Prediger
der italienischen Fremdengemeinde Bernardino Ochino
*) Lubicniecius S. 47 „Litteras ad regem Calvinus V. idus
Februarii 1555 dedit, quas iam dudum editas omittimus." Ich habe
-den Brief nirgends gefunden, auch die Herausgeber der Werke
Calvins konnten ihn nicht ermitteln.
*) O. C. XV, N. 21 10.
8) O. C. XV, N. 2113.
*) O. C. XV, N. 2132.
6) Bereits im Jahre 155t auf einer Reise von Wittenberg nach
Polen hatte Sozini in Krakau Lismanino kennen gelernt, nach Lubie-
niecki S. 40 wäre er auch damals schon ihm freundschaftlich nahe
getreten.
Francesco Lismanino. 223
aus Basel berief, und derselbe am 23. Juni sein Amt über-
nahm. Schon lange hatte Lismanino gewünscht, den ehe-
maligen Generalvikar der Kapuziner persönlich kennen zu
lernen, dessen hinreissende Beredsamkeit einst ganz Italien
bewundert, und dessen „Predige* auf ihn einen tiefen Ein-
druck gemacht hatten, nun konnte er täglich mit dem
geistesmächtigen Manne, der gleich ihm Würden und
Ehren um des Glaubens willen geopfert hatte, verkehren.
Durch ihn trat er auch in Verbindung mit den Häuptern
der aus Locarno flüchtigen Evangelischen, mit dem Arzte
Taddeo Duno, dem Uebersetzer vieler Schriften Ochinos
ins Lateinische, und dem Kaufmann und Presbyter
Guarnerio Castiglione. Doch nicht nur seiner eigenen
Weiterbildimg lebte er, auch als Lehrer war er tätig, indem
er die Studien junger Polen, die in seinem Hause wohnten,
— von ihnen sind uns die Brüder Nikolaus und Albert
Dluski, Neffen des Meseritzer Starosten Nikolaus Mysz-
kowski, mit Namen bekannt, — leitete und förderte.
Unterdessen hatte in der Heimat nach der einleitenden
Besprechung zu Chrencice im Hause Philipowskis zwischen
Cruciger und Israel am 18. März und nach dem Kolloquium
zu Goluchow bei Pleschen am 25. — 27. März die Synode
der Kleinpolen und böhmischen Brüder zu Koschminek
vom 24. August und den folgenden Tagen eine Union
beider reformatorischer Richtungen beschlossen, indem die
Kleinpolen das Bekenntnis der böhmischen Brüder an-
nahmen sowie zur Einführung ihrer Liturgie sich verstanden.
Auf der Septembersynode zu Pinczow, welche sich mit
verschiedenen dogmatischen Lehrstreitigkeiten befasste,
ward der Brief Lismaninos an Cruciger verlesen und, obwohl
der ehrgeizige Stanislaus Sarnicki es zu hindern suchte,
der Beschluss gefasst, den ehemaligen Minoritenprovinzial
nach Polen zurückzurufen und ihn für die neben Crucigers
erster Superintendentur neuzuschaffende zweite Super-
intendentur in Aussicht zu nehmen. Im Auftrage der
versammelten Geistlichen und Edelleute schrieb Cruciger
an ihn: „Dem würdigen Vater, durch Glauben und Wandel
trefflichen Francesco Lismanino, der heiligen Theologie
224 Theodor Wotschke.
Doktor, unserm in Christo geliebten Bruder Gnade und
Friede durch Christum Jesum. Da wir deine hervorragende
Tüchtigkeit und genaue Kenntnis jedes Faches der Künste
und Wissenschaften von vielen Seiten preisen hörten und
dich als einen sehr einflussreichen und hochangesehenen
Mann kannten, hat es uns ausserordentlich gefreut, als
wir aus deinem Briefe ersahen, dass du das Reich des
Antichristen samt den hohen Ehren, die du in ihm
genössest, verlassen und dem armen verachteten Jesus
Christus und seiner fast auf dem ganzen Erdkreise ge-
schmähten Kirche zu folgen vorgezogen hast Durch diesen
frommen und heiligen Entschluss hast du dir die höchste
Achtimg erworben. Was könnte uns und der ganzen
Kirche Christi erwünschter, in einem solchen Wirrsal aller
Verhältnisse segensreicher sein, als dass solche Männer
sich lossagen von den Geschworenen des römischen
Pontifex, jenes Antichristen, welche sie als Führer und
Vorkämpfer haben möchten, um den Wiederaufbau des
heiligen Tempels und der verwüsteten Stadt Jerusalem zu
hindern. Was mögen jenen jetzt für Gedanken kommen,
wo sie wider alle Erwartung und Vermutung diese auf
unserer Seite sehen und durch feierliches Bekenntnis uns
so verbunden, dass sie hinfort die Waffen ergreifen und
wider sie kämpfen möchten. Mag der Satan knirschen,
mögen alle seine betörten Helfershelfer in Zorn und Un-
willen sich ergehen, glücklich vorwärts schreiten wird des
Tempels und der Stadt Erbauung, Jesus Christus wird
seine nach dem Bilde der ersten apostolischen Gemeinde
erneuerte Kirche über den ganzen Erdkreis ausbreiten
und erleuchten. Nicht werden ihr auch fehlen Männer
wie einst Cyrus und Darius, die mit ihrer Gnade und
Unterstützung auch in dieser letzten Zeit dieses heilige
Werk fördern nach des Jesaja Wort: „Könige sollen deine
Pfleger und Fürstinnen deine Säugammen sein"1). Wie
wir diese Gnade des gütigen Gottes dankbar preisen,,
und uns ihrer freuen, so wünschen wir dir Glück, dass
*) Jcs. 49, 23.
Francesco Lismanino. 225
du von jener Gemeinschaft verlorener Menschen dich
befreit und ganz Christo Jesu und dem Dienste seiner
Kirche geweiht hast, lieber im Hause Gottes arm als in
den Palästen der Gottlosen an Macht und Schätzen
reich sein willst Zugleich mahnen und bitten wir dich,
da du dich unserem Vaterlande, in dem du aufgewachsen
und erzogen bist, in dem du durch die Gunst aller die
höchste Auszeichnung gefunden hast, aufs höchste für ver-
pflichtet hältst, mit deinen hohen Gaben und deiner tiefen
Kenntnis der himmlischen Lehre nicht Fremde, sondern uns,
deine Landsgenossen und Freunde, zu lehren und zu
unterstützen in unserem christlichen Kampfe. Wimderbar
ist, wie du nach deiner Rückkehr erkennen wirst, jene Liebe
und Verehrung, welche alle Frommen immer für dich
gehabt haben, jetzt nach deiner Lossage vom Papsttume
noch gestiegen, dass du nichts missen wirst. Als unseren
lieben Vater und Lehrer wollen wir dich schätzen und
verehren, ja damit du unsere Zuneigung deutlicher erkennst,
haben wir einen der Geistlichen unserer Kirche an dich
abzuordnen beschlossen, damit er dich in feierlicher Ein-
adung zu uns zurückrufe und dein Führer sei auf der
weiten Reise. Inzwischen lass uns und unsere Kirchen
dir empfohlen sein, die gelehrten und frommen Männer,
mit denen du jetzt verkehrst, rege an, dass sie bei
gegebener Gelegenheit uns mit Rat und Tat unterstützen
und Gott, unseren Vater durch Jesum Christum, bitten, das
Werk, das er bei uns angefangen, nach seiner wunder-
baren Gnade und Barmherzigkeit durch seinen heiligen
Geist zu kräftigen und zu fördern zum Preise seines
Namens und zum gemeinen Segen der Kirche. Lebe
wohl. Vom Pinczower Convent im Jahre des Heils 1555.
Felix Cruciger aus Szczebrzeszin, Superintendent der in
Polen wiedergeborenen Kirche Gottes im Namen aller
Geistlichen und der gläubigen Herren."
Ausser Cruciger sandten noch der Graf Johann von
Tarnow, Jordan Spytkow, Iwan Karminski, die verwitwete
Edelfrau Agnes Dluski Briefe an Lismanino und Calvin,
und unter dem 15. September der Pinczower Pastor
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Prov. Posen. Jahrg. XVIII. 15
226 Theodor Wotschke.
Alexander Vitrellinus1). Dieser erstattete über die kirch-
liche Lage Bericht und gedachte der dogmatischen Kämpfe,
die wie der Osiandrische Streit von Deutschland bis nach
Polen ihre Wellen schlugen oder wie die antitrinitarischen
Bestrebungen hier primär entstanden waren. Lismaninos
Amanuensis Stanislaus Budzinski, welcher des Königs
Antwort den Schweizer Theologen überbringen sollte und
wahrscheinlich an der Pinczower Synode teilgenommen
hatte, empfing die zahlreichen Briefe, dazu in Krakau noch
ein Schreiben des Universitätsprofessors Hieronymus
Mazza, eines Italieners, des Franziskanermönches Johann
Szoldra und des neuen Minoritenprovinzials Stanislaus
Petrejus an Lismanino. Unmittelbar vor dem 2. November
muss der Bote in Zürich eingetroffen sein, denn in einer Nach-
schrift seines Briefes von diesem Tage an Calvin8) setzt
Bullinger diesen von den angekommenen polnischen
Schreiben, über die er aber noch nichts Näheres mitteilen
könne, in Kenntnis. Lismanino war hoch erfreut über die
Nachrichten, die ungnädige Antwort des Königs liess er
sich wenig anfechten, da sie, wie er meinte, der wahren
Gesinnung des Königs nicht entspräche und nur mit
Rücksicht auf die Bischöfe so abweisend ausgefallen sei.
Dem Rufe der kleinpolnischen Kirche beschloss er, wenn
auch mit schwerem Herzen, da 'seine Frau Claudia ihrer
ersten Niederkunft entgegen sah, sofort zu folgen und
berichtete hierüber am 11. November der Pinczower
Synode. „Ich habe euren Brief, geliebte Brüder in Christo,
als Zeichen eurer Liebe zu mir und eurer Freude über
meine Bekehrung empfangen. Ich freue mich, solche
Freunde in Christo gefunden zu haben, noch mehr aber,
dass, was ich für Polen mit allem Flehen erbeten habe,
jetzt eingetreten ist, dass der reinen Lehre und heiligen
Kirche feste Fundamente jetzt gelegt werden, auf denen
hoffentlich binnen kurzem der prächtigste Bau zu errichten
ist Dass ihr mich gleichsam als Meister diesem hohen
*) O. C. XV, N. 2350. Die Herausgeber der Briefe Calvins
lesen fälschlich Vitzellinus.
2) O. C. XV, N. 2340.
Francesco Lismanino. 227
Werke vorstellen wollt und mich, euer Vater und Lehrer
zu sein, für würdig erachtet, darin gewährt ihr mir mehr,
als ich beanspruchen kann, und legt mir eine Last auf,
der ich, wie ich fürchte, nicht gewachsen bin. Sehe ich
doch, welche Anstrengungen, welche Bemühungen die
Papisten machen, um euer frommes Vorhaben zu hindern.
Sie werden mit offener Gewalttat das Haus Gottes zu
erschüttern und mit verdeckten Minen die Mauern seiner
heiligen Stadt zu unterwühlen suchen. Sie werden wider
euch die Fürsten aufregen, das Volk aufhetzen, Aufstände
und Kriege hervorrufen. Wollen sie nicht alles lieber als
eine Abstellung der Irrlehren und Missbräuche? Sie
werden die Schar der Sophisten zusammenrufen, welche
dem Balaam gleich um Goldes willen dem Volke Gottes
fluchen. Einige werden missdeutete Stellen der heiligen
Schrift wider euch vorbringen, andere mit Zeugnissen der
Väter kämpfen, die dritten mit jener sophistischen und
scholastischen Theologie die Wahrheit zu verdunkeln
suchen. Ich weise den Kampf wider sie nicht zurück,
aber halte mich nicht für stark genug, in der ersten
Schlachtreihe zu kämpfen und ihre Pfeile zurückzuweisen.
Darum mahne ich euch, Umschau zu halten und nicht
einen, sondern mehrere in der heiligen Schrift bewanderte,
fromme, erfahrene, theologisch gebildete Männer als
Führer zu erwählen, welche an der Spitze der Kirchen
stehen und den Angriff der Papisten tatkräftig zurück-
weisen können; mir ist es genug, ein einfacher Kämpfer
im Heere Christi zu sein. Damit es jedoch nicht scheine,
als ob ich die Mühe für euch fliehe, habe ich beschlossen,
die von mir bereits aufgesuchten Kirchen zu Bern, Lausanne
und Genf wieder anzugehen, über die Form der Lehre
der Verfassung und Zeremonien sowie über die Verwaltung
der Sakramente im einzelnen mich zu unterrichten. Mit
den Dienern Christi in jenen Kirchen will ich mich be-
sprechen, mich von ihnen beraten lassen, um so kenntnis-
reicher zu euch zu kommen. Mein ganzes ferneres Leben
bin ich bereit der Kirche Christi bei euch zu weihen, und
ihr sollt in mir nicht Glaubensfestigkeit, noch Eifer für
15 #
228 Theodor Wotschke.
eure Kirche, noch Liebe zu euch allen vermissen. Das
Amt, das ihr mir anbietet, weise ich zurück nicht meinet-
sondern euretwegen, damit ihr durch eine geeignetere
Besetzung dieses Amtes euer und der Kirche Interesse
besser wahrnehmt Gott der Vater unseres Herrn Jesu
Christi möge die Gaben seines Geistes unter euch mehrea
und das heilige Werk zum Preise seines Namens bei euch
vollenden. Amen. Zürich, den n. November 1555. Francesco
Lismanino, der wiedergeborenen Kirche Gottes in Polen.
Diener mit eigener Hand*.
Da Stanislaus Budzinski, um den Brief1) König Sigis-
mund Augusts Calvin zu überreichen, nach Genf geeilt war,
erhielt ein anderer Bote dies Schreiben zur Beförderung-
nach Polen, und Bullinger sowie der Arzt Konrad Gessner,
der dem Könige seine Dienste für den Ankauf von Büchern,
anbot, übergaben ihm ihre vom 12. November datierten
Briefe an Sigismund August2). Auch sonst mag der Bote
noch verschiedene Schreiben nach Polen mitgenommen,
haben ; von einem Briefe Lismaninos an den ref ormations-
freundlichen Chelmer Bischof und den Provinzial Stanislaus
Petrejusin Krakau hören wir gelegentlich in diesen Tagen8).
Vier Wochen mussten genügen, die Fäden zu lösen,
die Lismanino an Zürich banden, und die Vorkehrungen,
zur weiten Reise zu treffen. Seine Frau stellte er unter
den Schutz seiner Freunde, für ihren Unterhalt hinterlegte
er 500 Goldgulden bei dem Wechsler Pellizarius, einem
Italiener. Die Studenten Dluski empfahl er seinen Be-
kannten, sonderlich Bullinger und Wolph4). Schwer wurde
ihm der Abschied von Ochino, auch dieser sah weh-
mütig seinen Freund scheiden. Ihm zur Ehre wich er von
seiner Gewohnheit, seine Schriften ohne Widmung aus-
gehen zu lassen, ab und eignete ihm unter dem 28. No-
x) Der Brief ist verloren gegangen, von ihm spricht Utcnhowcn
in seinem Schreiben an Bullinger vom 9. März 1556. O. C XVI
N. azo?.
/ 2) Lubieniecius S. 47 und Wengierski S. 127.
s) O. C. XVI, N. 2350.
*) O. C. XVI, N. 2731.
/
Francesco Lismanino. 229
vember sein Gespräch vom Fegefeuer1) zu. Sie beide
hätten in einem römischen Mönchsorden fast dieselbe
hohe Stellung eingenommen, hätten sie aufgegeben, um
Christi Jünger zu werden, nun möge er hinziehen und in
<iem neuen Wirkungskreise die Kirche des Herrn bauen.
Die gewünschten Gutachten über das Bekenntnis der
höhmischen Brüder und über die mit ihnen eingegangene
Union und die erbetene Auskunft über einzelne dogma-
tische Fragen holte Lismanino, wie er Cruciger geschrieben
hatte, persönlich ein. Am 3. Dezember schrieb ihm Wolph,
am 4. Bullinger und Ochino einen warmen Empfehlungs-
brief an den Genfer Theologen. Über Milden, wo er bei
Franziskus Pontanus2) vorsprach, Bern, wo er Joh Haller
und Wolf gang Muskulus8) besuchte, ihnen von Polen und
seinen Hoffnungen erzählte und bezüglich des Bekennt-
nisses der böhmischen Brüder um ihr Urteil bat, und über
Biel, wo wir ihn bei Ambrosius Blarer4) sehen, erfolgte
seine Reise. Am 24. Dezember schrieb Calvin in Be-
antwortung des ihm schon von Budzinski überreichten
königlichen Schreibens an Sigismund August; über Lis-
manino sagt er zum Schluss seines Briefes: „Da der treff-
liche Mann und treue Diener Christi mich um Rat bat,
mahnte ich ihn unbedenklich, sich sofort nach Polen zu
begeben, falls seine Tätigkeit dort nötig wäre, wenigstens
stimmte ich seinem frommen Vorsatze gern zu. Ich fürchte
nicht, dass Euer Majestät als unzeitig die Rückkehr des
missfallen könnte, dessen Gegenwart irf vielen Beziehungen
Segen bringen wird. Falls es nicht rätlich erscheinen
sollte, für ihn sofort nach seiner Ankunft öffentlich einzu-
treten, so muss ich doch um des heiligen Namens Christi
willen Euer Majestät bitten und beschwören, ihm, .der den
rechten Weg geht, wenigstens auf andere Weise freie
*) Ich kenne nur die von Taddeo Duno aus dem Italienischen
ins Lateinische besorgte Übersetzung: Bernardini Ochini Senensis
viri doctissfani de Purgatorio dialogus. Tiguri apud Gesneros.
2) Sein Gutachten vom 13. Dezember im Herrenhuter Archiv.
*) Ihre Briefe vom 14. und 15. Dezember O. C. XV, N. 3358
und 2359.
*) Sein Brief vom 24. Dezember an Gualter O. C. XV, N. 1361.
230 Theodor Wotschke.
Bahn zu schaffen/ In einer Zuschrift an den Genfer
Reformator hatte Lismanino gebeten, ausser an den König
noch an den Fürsten Nikolaus Radziwill, an den Palatin
von Sendomir Jordan Spytko, an den Krakauer Kastellan
Grafen Johann von Tarnow, an den Krakauer Palatin
Grafen Stanislaus von Tenczin, an die Edelfrau Agnes
Dluska und ihren Bruder den Meseritzer Starosten und
Kastellan von Woinicz Nikolaus Myszkowski, an den
Kastellan von Biecz Johann Bonar und Iwan Karminski zu
schreiben, ferner auch an den Superintendenten Felix Cru-
ciger, den Pinczower Pfarrer Alexander Vitrellinus, den
Bischof Jakob Uchanski, den Gelehrten Andreas Trzy-
cieski und an die Edelleute Stanislaus Lasocki, Hiero-
nymus Philipowski, Hieronymus Ossolinski und an Martin
Zborowski, den Palatin von Kaiisch und Starosten von
Adelnau1). Ob Calvin in allem dem Wunsche Lismaninos
entsprochen haben mag, ist zweifelhaft; mehr Briefe hat
er jedenfalls am 29. Dezember an die Häupter der Re-
formation in Polen geschrieben, als wir in seinen Werken
verzeichnet finden2), da einige, deren Namen uns unter
den Adressaten nicht begegnen, im folgenden Jahre Antwort-
schreibennach Genf sandten. Für diepolnischeKircheempfing
Lismanino ein leider verloren gegangenes Gutachten über
die Union mit den böhmischen Brüdern und am Tage
seiner Abreise noch folgendes kurzes Billet zugeschickt:8)
„Was ich neulich mit dir besprach, hielt ich für gut, in
diesem Schreiben kurz zusammenzufassen. Solltest du
auf deiner Reise Pietro Martire Vermigli und Johann Laski
besuchen, so grüsse sie in meinem Namen. In ihrer freund-
lichen Weise werden sie dich aufnehmen, als wenn du
Briefe von mir brächtest Einer besonderen Empfehlung
bedarf es nicht. Hätte ich hoffen dürfen, du würdest deine
Schritte nach Wittenberg lenken, so hätte ich an Philipp
Melanchthon geschrieben. Da bei der ungünstigen Jahres-
zeit dir der Umweg beschwerlich sein würde, will ich
i) O. C. XV, N. 2350.
8) O. C. XV, N. 2365-2373.
«) O. C. XV, N. 2373b.
Francesco Lismanino. 231
dich nicht unnötig mit Briefen belästigen. Sollte wider
Erwarten eine günstige Gelegenheit, ihn zu besuchen,
sich dir bieten, so wird er den Stand unserer Verhältnisse
und den Zweck deiner Reise aus deiner Erzählung am
besten erfahren. Sobald du Polen, wohin dich der Herr
bald unversehrt führen möge, betreten hast, entbiete allen,
welche dem reinen Gottesdienst sich zuneigen, meine
herzlichen Wünsche für ihr Glück und Wohlergehen, in
erster Linie aber jenen Edelleuten, von deren tugend-
haftem Wandel und heiligen Bestrebungen du besonders
zu mir gesprochen hast Bezüglich des Sendschreibens
liess mich nicht nur der Zeitmangel, sondern auch der
Umstand, dass ich in der Wahl des Stoffes haften blieb, nach
deinem Weggange meine Absicht hinausschieben, bis ich
besser über den Stand der Kirche unterrichtet sein werde,
was durch dich leicht geschehen kann, sobald du nach
Polen gekommen bist Unsere Brüder, welche das Evan-
gelium predigen, gehen gewiss den anderen mit gebüh-
rendem Eifer voran; ich unterlasse es deshalb, jetzt ein
Mahnwort an sie zu richten. Meinen sie meiner Arbeit
zu bedürfen, so setze sie von meiner Bereitwilligkeit in
Kenntnis; meiner Schwachheit eingedenk, wage ich nicht,
meinen Rat frei heraus anzubieten11.
Am letzten Dezember war Lismanino bereits in
Lausanne, wo er das Gutachten der dortigen Geistlichen,
des Peter Viret, Johann Ribittus, Theodor Beza, Eustachius
Quercetanus, Maturinus Corderius u. s. w. empfing1), am
1. Januar sandte ihm Beza, von dem er sich nicht hatte
personlich verabschieden können, schriftlich die herzlichsten
Glückwünsche nach, von demselben Tage ist das Gut-
achten Wilhelm Farels in Neuenburg datiert. Nach
Zürich zurückgekehrt, scheint Lismanino noch 14 Tage
bei seiner Frau geweilt zu haben, dann brach er mit dem
Gutachten der Züricher und einem besonderen Schreiben
*) Die folgenden Gutachten and Briefe sind z. T. noch an
gedruckt, handschriftlich finden sie sich im 10. Foliant der Lissaer
Handschriften im Brüderarchiv zu Herrenhut.
232 Theodor Wotschke.
Bullingers an Alex. Vitrellinus nach Polen auf l). Anfang
Februar sehen wir ihn in Basel, wo er Simon Sulzer,
Celio Secundo Curione, den gelehrten Sonderling Borr-
haus (Cellarius) aufsuchte, zufällig auch Pietro Paolo
Vergerio traf, dem er versprechen musste, nicht an Stutt-
gart vorüberzuziehen. Mit einer Empfehlung an Marbach
entliess ihn Sulzer am 4. Februar2), am 8. traf er bei
jenem in Strassburg ein 8), besuchte nach Calvins Mahnung
Pietro Martire Vermigli, aber auch den Rektor der be-
rühmten, von polnischen Studenten besonders gern be-
suchten Schule, Johann Sturm, und Girolamo Zanchi
aus Bergamo, der nach mancherlei Wechselfällen seit
zwei Jahren in Strassburg die Professur der Theologie
inne hatte. Nachdem Lismanino ihnen die Briefe aus
Polen vorgelegt, auch mündlich ausführlich Bericht er-
stattet hatte, erhielt er am ^4. von Vermigli 4), am 15. von
Sturm, am 18. von Zanchi5) ein Schreiben an die klein-
polnischen Gemeinden, an diesem letzten Tage auch das
gemeinsame Gutachten der Strassburger. Vier Tage
*) Exemplum litterarum ecclesiae Tigurinae ad ecclesias
Poloniacas. Apud Danielem Lancicium Pinczoviac 1559 in 8. Auch
Fueslin: Epistolae reformatorum ecclesiae helVeticae S. 359.
2) O. C. XVI, N. 2384.
8) In Marbachs Tagebuch lesen wir unter dem 8. Februar 1557 :
„Ist hierher kommen D. Franc. Lysmaninus Corcyranus profecturus
in Poloniam.Ä
4) Petri Martyris Florentini Prof. Theol. in Argentinensi schola
epistola ad sanctam Dei ecclesiam Polonicam 1556. Argentinae 14.
Februarii. Vergl. Exemplum litterarum ecclesiae Tigurinae. Pinczoviae
1559, wo der Brief an fünfter und letzter Stelle steht, ausserdem
findet er sich Martyr: Loci communes S. 1109. Vermigli beantwortet
die ihm im Auftrage der Kleinpolen von Lismanino vorgelegten
Fragen, ob Christus auch nach seiner göttlichen Natur gelitten habe,
ob er Mittler sei nach seiner göttlichen Natur oder nach seiner
menschlichen, in wie fern er zugleich Sohn Gottes und des Menschen
Sohn zu nennen sei, wie es sich mit Osianders Ansicht von der
wesentlichen Gerechtigkeit verhalte, und ob Servet mit Recht hin-
gerichtet worden sei. Zum Schluss mahnt er zur schnelleren Durch-
führung der Reformation.
5) Zanchius: Epistolarum libri duo. Hanoviae 1609 S. 19.
Francesco Lismanino. 233
später1) sehen wir ihn seinem Versprechen gemäss in
Stuttgart bei Vergerio, der ihn Brenz zuführte und diesem
ein Exemplar der Brüderkonfession überreichte2). Der
strenge Schüler Luthers zeigte sich durch ihre Fassung
der Abendmahlslehre befriedigt und liess sich gern von
Lismanino über die kirchlichen Verhältnisse in Kleinpolen
unterrichten, zum Schluss mahnte er ihn, auf Annahme
des lutherischen Lehrtypus hinzuwirken. Am folgenden
Tage sandte er ihm noch folgende Zeilen zu. „Gestern
habe ich gehört, dass du geradenwegs nach Polen gehen
und dort an der Erneuerung der Kirche arbeiten willst
Angenehm wäre es mir gewesen, mit dir noch ausführ-
lich über viele Fragen zu sprechen, aber da ich heute
abreisen muss, will ich wenigstens diesen Brief als Zeichen
meines Flehens senden, das ich für die polnische Kirche
zu Gott emporschicke. Polen hat eine treffliche Regierung
und viele andere grosse Gnadengaben Gottes aufzuweisen,
l) Zu derselben Zeit richtete der päpstliche Legat Lipomani,
Bischof von Verona, aus Lowicz am ai. Februar sein bekanntes
Schreiben an den Fürsten Nikolaus Radziwill, in dem er dem in
Polen verbreiteten Gerüchte Ausdruck giebt, Radziwill habe einen
Boten nach Genf und Basel geschickt, um neben Calvin und Laski
auch Lismanino nach Polen zu rufen. Radziwill antwortete: quod
rev. dorn, tua Calvinum, Laskyum Lismaniumque arcessendos
misisse me pro comperto habeat, fallitur quidem in eo, sed tarnen
hoc illi certum esse volo, sie me nunc istorum doctissimorum
virorum videndorum desiderio teneri, ut si scirem me eos posse in
mea postulata aliquo modo pertrahere, in eo vel praeeipue non
servitoris tantum mittendi laborem conferendum, sed etiam omnes
opes facultatesque meas esse mihi ezpendendas putarem. Vergl.
Duae Epistolae. Regiomonti 1556, auch bei Gerdes: Scrinium
antiquarium HI, 330.
*) Brenz an Vergerio: Inspezi confessionem Valdensium
praesertim capita de coena domini et de caelibatu. Optarim quidem,
ut non essent tarn duri ezactores caelibatus semel promissi. Sed in
coena domini nihil habeo, quod reprehendam. Reliqua capita mihi
hoc tempore variis negotiis obruto et ad profectionem accineto non
lieuit percurrere. Cum dominus Franciscus ad Poloniam venerit et
ad te de statu ecclesiarum scripserit, licebit de his rebus copiose
conferre. Bene et feliciter vale. Lissaer Handschriften Foliant X
BL74-
234 Theodor Wotschke.
aber das ist die grösste Gottesgnade, dass in ihm Gottes
Sohn den Thron seines himmlischen Reiches neu auf-
richtet Jener Ort, da der Patriarch Jakob eine Leiter
von der Erde zum Himmel reichen sah, wurde einst
Gottes Haus und eine Pforte des Himmels genannt Auch
Polen kommen diese Namen zu, da dort Gottes Sohn
sein Haus hat, in dem er wohnt, und aufgetan ist die
Tür, durch welche man zum Himmel eingehen kann. Zu
sorgen gilts, dass wir diese Gottesgnade dankbar an-
erkennen und daran arbeiten, dass das neue Licht nicht
durch die Finsternis falscher Lehren verdunkelt wird.
Wenn nicht auf andere Weise so werde ich doch durch
mein Gebet euch, so weit ich es vermag, unterstützen.
Lebe wohl, würdiger Vater." Stuttgart, den 23. Februar 1556 l).
Bei Herzog Christoph von Württemberg erhielt Lis-
manino eine Audienz. Mit hohem Interesse nahm der
Fürst den Bericht über die Fortschritte der Reformation
in Polen entgegen, über die Begeisterung der Edelleute
für sie, über ihr Verlangen nach dem lauteren Wort und
nach Freiheit von der hierarchischen Bevormundung. Er
versprach die evangelische Bewegung in Polen zu fördern,
falls sich ihm eine Gelegenheit dazu bieten würde, und *
entliess Lismanino mit dem Ausdruck seines gnädigen
Wohlwollens2). Ueber acht Tage weilte dieser dann noch
als Gastfreund bei Vergerio, den er durch seine Berichte
so für Polen interessierte, dass dieser Italiener dort gleich-
falls für die Reformation zu wirken beschloss und im
folgenden Sommer tatsächlich nach Preussen und Lithauen
aufbrach.
Gern hätte Lismanino Melanchthon aufgesucht, aber
der Umweg über Wittenberg war zu weit, die Reise zur
Winterszeit zu beschwerlich, dazu erhielt er eine neue
Einladung nach Polen, welche am 24. Januar die Synode
zu Secymin erlassen hatte und die ihn seine Reise be-
schleunigen Hess. Durch Bayern, Böhmen, Mähren zog
*) Lissacr Handschriften im Herrenhuter Brüderarchiv
Foliant X Bl. 74 b.
2) Fontes rcrum Austriacarum 2. Abt. XEX. S. 221 und 334.
Francesco Lismanino. 235
er direkt nach Kleinpolen, noch in den letzten Tagen des
März scheint er die Grenze seines zweiten Vaterlandes
überschritten zu haben. Bei der Ungewissheit, wie der
König sich zu seiner Rückkehr stellen würde, wagte er
nicht, tiefer nach Polen hineinzuziehen und den von der
Secyminer Synode ihm zugewiesenen Wohnsitz1) in Baiisch
bei Johann Bonar aufzusuchen. Er begab sich zu seinem
alten Freunde Iwan Karminski in Alexandrowice, dem er
den Brief Calvins für ihn überreichte2). Seine alten
Verbindungen mit Krakau, das nur 7 km entfernt war,
seine Bekanntschaft mit den Franziskanermönchen gaben
ihm reiche Gelegenheit, im evangelischen Sinn auf Alt-
gläubige einzuwirken. Im besonderen sehen wir ihn be-
müht, einige Minoriten der Reformation zuzuführen. Am
15. April schreibt er davon Calvin8) und bittet diesen,
ihm Petrus Statorius aus Diedenhofen, den er in Genf
zur Mitarbeit gewonnen hatte, zu senden. Auch nach
Zürich, wo seine Frau und Bullinger sehnsüchtig auf
Nachrichten von ihm warteten, schickte er Briefe. Der
Synode, welche 8 Tage später in Pinczow stattfand und die
Union mit den böhmischen Brüdern weiter führen sollte,
blieb er mit schwerem Herzen fern. So sehr es ihn hin-
zog zu den Männern, die ihn heimgerufen und für ein so
ehrenvolles Amt gewählt hatten, so gern er den Brüdern
mündlich von der Anteilnahme, den Wünschen und Ge-
beten der Schweizer berichtet hätte, er meinte bei der
Ungewissheit über des Königs Stellung zu seiner Rück-
l) Dal ton: Lasciana S. 404.
*) Vor dem 5. April hat er bereits die von Vergerio für Herzog
Albrecht empfangenen Briefe zur Beförderung weitergegeben. Denn
unter diesem Datum schreibt aus Wola bei Krakau Jost Ludwig
Dietz, der Sohn des bekannten Krakauer Ratsherrn und Verwalters
der königlichen Münze gleichen Namens, an den Herzog von
Preussen. „Herr Petrus Paulus Vergerius, so etwan im Babstumb
ein bischoff gewesen, jetzt aber ein warer nachuolger Jesu Christi
vnd seines heiligen worts ist, hatt an mich disen Beutel mit Briefen
gesandt in begeren, diese an £. F. D. zu senden. Damit dann
seinem begeren genug geschehe, send ich E. F. D. diese hierbey."
*) O. C. XVI, N. 2431.
23^ Theodor Wotschke.
kehr dies Opfer bringen zu müssen, um das Geschick
der evangelischen Gemeinden nicht mit dem seinen zu
verflechten und den Zorn des Königs auf sie herab-
zuziehen. Seinem Gastfreunde Karninski übergab er die
Briefe der Schweizer, um sie der Synode vorzulegen, und
zwei junge Franziskanermönche, Valentinus und Alexius,
die er für die neue Lehre gewonnen hatte, empfahl er der
Fürsorge der Versammlung. Ueber seine Reise unter-
richtete er in einem längeren Briefe, erzählte von den
mündlichen Zusagen der Theologen, und um zu verhüten,,
dass die Kleinpolen sich nicht den Böhmen ganz in die
Hand gaben, schloss er mit der Aufforderung, Calvin zur
Reformierung der Kirchen zu berufen und kein Bekenntnis
ohne Urteil der Schweizer und seine und Vermiglis vor-
angegangene Prüfung annehmen1). Nach vielen und langen
Verhandlungen entschied man im Sinne seines Schreibens,
man beschloss die Berufung Calvins, überwies die
böhmische Konfession Lismanino zur Durchsicht und
ordnete ihm zur Hilfe den Baccaiar und Pelsnizaer
Pfarrer Gregorius Pauli bei. Am i. Mai schloss die
Synode und am folgenden Tage schrieben die Geistlichen
wie die Edelleute an Calvin und baten ihn, auf einige
Monate zum Ausbau der Kirche nach Polen zu kommen8).
Lismanino erhielt den Auftrag, ihm ausführlicher über die
polnischen Verhältnisse zu berichten. Wie so viele Briefe,,
ist leider auch dies Schreiben Lismaninos verloren ge-
l) Lukaszewicz : „Geschichte der böhmischen Brüder" übersetzt
von Fischer. Grätz 1877. S. 34. Ich weiss nicht, wie an anderer
Stelle, in seiner Geschichte der reformierten Kirche in Lithauen
Leipzig 1848, II S. 70 Lukaszewicz Lismanino an der Synode kann
teilnehmen lassen. Er soll auf ihr den Antrag gestellt haben, den
Antitrinitarier Gonesius aus der Kirchengemeinschaft auszuschliessen
und dem Krakauer Bischof anzuzeigen, dass dieser Ketzer niemals
einer der ihrigen gewesen sei. Das Protokoll der Synode weiss
von einem solchen Antrage, überhaupt von der Teilnahme Lisma-
ninos an den Verhandlungen nichts. Vergl. Lasciana S. 409 ff.
*) O. C. XVI, N. 2445. Calvin beantwortet die Einladung am
8. März 1557 (N. 2602). Er hatte sie erst auf seiner Rückreise von
der Frankfurter Herbstmesse in Zürich vorgefunden und dann die
Antwort so lange hinausgeschoben, weil ihm ein Bote 'fehlte.
Francesco Lismanino. 237
gangen, aber wenige Wochen später muss es bereits in
Calvins Händen gewesen sein, denn da weiss er Johann
Laski zu schreiben, Lismanino hätte ihn von seiner Berufung
nach Polen in Kenntnis gesetzt1).
Kaum hatten die Bischöfe die Rückkehr des ver-
hassten abtrünnigen Minoritenprovinzials erfahren, als sie
in den König drangen, ihn aus Polen zu verbannen.
Seinen Unwillen gegen seinen ehemaligen Vertrauten, der
ihn selbst durch seinen Übertritt blossgestellt hatte, wussten
sie geschickt zu steigern, und so erliess der haltlose
Sigismund August in der Tat im Mai eine Achtserklärung
wider Lismanino. Die Evangelischen, welche dieselbe
bei der früheren Gunst des Königs sich nicht erklären
konnten, glaubten in derselben einen betrügerischen Akt
der Bischöfe, im besonderen des Erzbischofs, der des
Königs Siegel führte, zu sehen. Der Missbrauch desselben
bei der Sochaczewer Tragödie durch den Bischof und
Vicekanzler Johann Przerembski im Dienste der
Hierarchie gab ihrem falschen Verdachte eine
gewisse Berechtigung. Vergebens suchten die evan-
gelischen Magnaten die Aufhebung der Acht zu
erwirken oder wenigstens ihre Publizierung zu hinter-
treiben. Im Krakauer Distrikte veröffentlichte sie trotz aller
Vorstellungen und Bitten der Kanzler Johann Ocieski 2). Bei
seinem Freunde Karminski fühlte sich Lismanino nicht
mehr sicher, und nachdem er an die evangelischen Magnaten
geschrieben und ihnen sein trauriges Los, geächtet und
heimatlos zu sein, in beweglichen Worten geschildert
hatte, verliess er Alexandrowice und eilte zu Johann
Bonar. Einige Wochen weilte er bei diesem, dann scheint
er auf den Schlössern anderer Magnaten bald kürzere,
bald längere Zeit gelebt zu haben. Im September sehen
wir ihn in Secymin bei dem Superintendenten Felix Cru-
ciger. Die freie Zeit benutzt er zur Aufstellung eines
i) O. C. XVI, N. 2465.
2) Vcrgl. seinen Brief an Hosias vom 9. Juni 1556. Hosii
Epistolae. Krakau 1886. II, S. 1615.
238 Theodor Wotschke.
Glaubensbekenntnisses1). Von den verschiedenen Briefen,
die er in den Sommermonaten nach der Schweiz sandte,
ist uns nur folgendes kurzes Billet an Wolfgang Muskulus
überkommen2). „Wie willkommen dein glaubensvoller und
feinsinniger Brief war, wirst du aus der Antwort der
Kirchen ersehen. Der erlauchte Palatin von Wilna Niko-
laus Radziwill hat noch nicht zurückgeschrieben, aber von
Tag zu Tag erwarte ich von ihm einen Brief für dich.
Ich halte seit meiner Aechtung in der Stille (in heremo)
mich verborgen, bis ich ein Ende sehe etwa Ende Sep-
tember. Ich sende dir einen Brief des Ruthenen Stanis-
laus Orzechowski, in welchem er Berge von Schmähungen
auf Zwingli und Calvin häuft8). Die Tragödie, welche
soeben der päpstliche Legat mit den Geschorenen und
Geweihten dieses Reiches aufführt, erhellt aus diesem
Briefe4). Deine Frömmigkeit, mein Vater Muskulus, wird
dich diesem Sophisten antworten lassen^ die ganze Kirche
bittet dich darum. Grüsse von mir Haller und die übrigen
Diener der Kirche, gleichsam deine Familie. Gott möge
dich recht lange erhalten. Aus Zürich wird man dir ein
Exemplar des Briefes des päpstlichen Legaten an den
Palatin von Wilna und die Antwort desselben zugehen
lassen5). Johann Laski ist von der Kirche zurückgerufen
und wird gegen Ende Oktober kommen. Aus der Ver-
borgenheit (ex heremo), den 17. August 1556.*
*) Alle Versuche, dieses Bekenntnisses habhaft zu werden,
waren vergebens; gedruckt ist es nie worden.
*) O. C. XVI, N. 2509.
8) Korzeniowski: Orichoviana, Cracoviae 1891, bietet den Brief
nicht
*) Der Legat und die Bischöfe suchten einen Wunderbeweis
für die römische Lehre von der Wandlung des Abendmahlssakra-
ments. Juden in Sochaczow (Masovien) wurden beschuldigt eine
Hostie gekauft, mit Nadeln durchstochen und das angeblich heraus-
geflossene Blut aufgefangen und zu ihren Riten gebraucht zu haben.
Die Juden wurden zu Tode gemartert.
6) Vergl. Duae Epistolae altera Lipomani, altera vero Dlmi D.
Radivili. Regiomonti 1556. Da der Druck der beiden Briefe erst
vom 1. Oktober datiert ist, müssen sie schon vorher handschriftlich
verbreitet gewesen sein.
Francesco Lismanino. 239
Von den verschiedensten Edeileuten erhielt Lismanino
Beileidsschreiben. Lubieniecki1) hatte noch vor sich liegen
den Brief des Czechower Kastellans Nikolaus Lutomirski
vom 11. Juli, des Kastellans von Zawichost und Palatins
von Sendomir Stanislaus von Tarnow vom 10., des Spytko
Jordan vom 12. September und des Nikolaus Mysz-
kowski vom 25. September. Aus Grosspolen hatten am
9. August Stanislaus und Jakob Ostrorog geschrieben.
Einen Brief des Grafen Johann von Tarnow, des ersten
weltlichen Würdenträgers Polens, aus dem Juli teilt Lubie-
niecki mit, und ich gebe ihn hier deutsch wieder. „Schon
drei Briefe, wie Deine Hochwürden schreiben, habe ich
seit Ihrer Rückkehr empfangen. Den ersten habe ich
sogleich nach dem Empfang durch den Überbringer, Deiner
Hochwürden Diener, beantwortet. Den zweiten habe ich
aus keinem anderen Grunde unbeantwortet gelassen, als
weil ich hoffte, mit Deiner Hochwürden auf dem Reichs-
tage oder wo sich sonst eine Gelegenheit bieten würde,
zusammenzutreffen und so besser und bequemer als durch
Briefe jegliche Frage besprechen und erörtern zu können.
Dass es dazu nicht kam, bedaure ich sehr. Auf das letzte
Schreiben, welches mir Herr Lasocki in Deiner Hoch-
würden Namen übergab, in dem Deine Hochwürden mir
den augenblicklichen Stand Ihrer Verhältnisse dartun und
zugleich mitteilen, dass Sie wider Ihr und mein Erwarten
durch ein königliches Dekret aus dem Lande gewiesen
sind, antworte ich also. Tief wie die eines Freundes,
schmerzt mich Deiner Hochwürden Heimsuchung; aber da
viele Edikte jetzt vorschnell und ohne Befragen der Sena-
toren erlassen werden, wundere ich mich nicht, dass durch
die Treibereien gewisser Menschen auch dies geschehen
ist. Ist es doch bekannt, dass durch die Intriguen derer,
die sich geistlich nennen, die bei Königl. Maj. gross An-
sehen und viel Einfluss besitzen und Feder wie Siegel
des Königs in Händen haben, dieses geschehen und solch
Unwille wider D. H. erregt ist, nicht aber auf meinen oder
*) Lubicniecius S. 66 ff.
240 Theodor Wotschkc.
eines anderen Senatoren Sprach hin. Auch in der Acht-
erklärung, welche mir Deine Hochwürden in Abschrift
gesandt haben, ist verschiedenes merklich schroffer und ge-
hässiger gefasst, als es dem Herzen des Königs entspricht.
Aber haben Deine H. solche Heimsuchung auch nicht er-
wartet noch verdient, so werden Sie als einer, der schon
viel erfahren, doch gewiss erkannt haben, dass alle diese
Leiden und Heimsuchungen, und was sonst ob der För-
derung der Ehre Gottes zustösst, tapfer und standhaft zu
ertragen sind, und sich dies auch zum Vorsatz gemacht haben.
Gern will ich Deiner Hochwürden helfen, soweit ich helfen
kann, und Ihr «nein Wohlwollen, das ich schon viele
Jahre zu Ihr hege, bezeugen, wie es Deine Hochwürden
ausführlicher aus dem Bericht des Herrn Lasocki ersehen
werden. Ich habe ihm einiges anvertraut, das er in
meinem Namen D. H. mitteilen soll Sie lebe wohl".
An den König wandten sich die Magnaten und
suchten halb bittend, halb trotzend, ihn zur Aufhebung
der Acht oder wenigstens zu ihrer Suspension zu be-
stimmen, damit Lismanino auf dem Reichstage vor den
versammelten Ständen sich rechtfertigen könnte. Wahr-
scheinlich suchten sie in Verbindung damit ein grösseres
Religionsgespräch zu erreichen, zu dem auch Vergerio
von Königsberg oder Wilna herbeigezogen werden sollte.
So schrieb Myszkowski: „Gnädigster Fürst und Herr! Ich
habe von dem frommen und gelehrten Doktor Lismanino
einen Brief und sein Glaubensbekenntnis empfangen, zu-
gleich auch eine Abschrift des Mandats, durch welches
er auf Geheiss E. K. M. aus unserem Reiche verbannt ist
In einem Schreiben führt er zuerst Beschwerde über die
verleumderische Denunziation bei E. K. M., seinem
gnädigsten Herrn, und über das Unrecht, dass ihm in
diesem Reiche wider alles Recht angetan sei. Dann fleht
er, ich möchte zugleich mit anderen Senatoren des Reichs
E. K. M. bitten, diese Acht, welche nicht rechtmässig,
sondern im geheimen von seinen Widersachern erzwungen
sei, zurückzunehmen. Ich wundere mich sehr und be-
daure es, dass E. K. M. auf Grund falscher Information
Francesco Lismanino. 24 1
diesen Mann, den Sie als Mönch so hoch schätzten und
als einen kenntnisreichen, erfahrenen Mann auszeichneten,
jetzt als Landstreicher und Sakramentierer aus dem Reiche
hat weisen lassen. Dass E. K. M. dies verfügt haben
sollten, weil er einem neuen Leben sich zugewandt hat,
kann ich nicht glauben, denn gerade durch diese seine
Tat hat er uns allen seine hohe Tugend zu erkennen
gegeben. Mit dem Scheine erheuchelten Glaubens wollte
er E. K. M. und andere nicht täuschen, sondern uns allen
ein lebendiges Beispiel wahrer Sittlichkeit sein, auch
wenn es bei den Kindern dieser Welt, welche viel An-
nehmlichkeiten den Massstab eines guten Glaubens sein
lassen, weniger Nutzen und Ruhm brächte. Aber ich
meine, dass nicht dies ihm bei E. K. M. geschadet hat,
sondern die verleumderischen Anzeigen seiner Gegner.
Es ist allen bekannt, dass dieser Lismanino kein Land-
streicher ist, sondern mit vielen Fürsten, vor allem mit
E. K. M. in den besten Formen verkehrt hat, auch nicht
ungebeten wie ein Landstreicher ist er zu uns gekommen,
sondern ersehnt, ja rechtmässig von vielen gerufen, auch
geschickt von jenen bedeutenden Männern auf Grund
der Bitte unserer Landsleute, die in zweifelhaften Fragen
seinen Rat hören möchten. Durch eine wahrhaft göttliche
Fügung ist es geschehen, dass die Unsern sich einen
solchen Lehrer erwählten, welcher E. K. M. aufs tiefste
ergeben ist Was aber die Anklage auf Sakramentiererei
betrifft, so zeigt sein Bekenntnis, in dem er hinreichend
deutlich seinen Glauben über das Mahl des Herrn dar-
legt, dass es sich hier um eine Verleumdung seiner
Gegner handelt Mit diesem Bekenntnis steht das Mandat
-der Achtserklärung in völligem Widerspruch. Da also
E. K. M. aus seinem Glaubensbekenntnis und aus dem
Zeugnis Ihrer Räte hinreichend und deutlich die Unschuld
dieses frommen Mannes erkennen, bitte ich, falls man für
einen Unschuldigen bitten darf, dass E. K. M., nun besser
Von Ihren Räten über den Glauben, das Leben und die
Unschuld dieses Mannes unterrichtet, die Ächtung zurück-
.ziehen. Nicht ihm allein, sondern allen jenen hervorragen-
ZeiUchrift der Hist Ges. für die Pror. Posen. Jahrg. XVHI. 16
242 Theodor Wotschke.
den Männern, die ihn hierher gesandt, und zu denen die
Unsern oft der Studien wegen, oder um Land und Leute
kennen zu lernen reisen, ist eine Unbill zugefügt. Daher
müssen wir sorgen, uns durch Ungerechtigkeit bei jenen
fremden Völkern nicht in Verruf zu bringen, was offen-
bar leicht durch diesen Mann geschehen kann. Wie die
Briefe jener Gelehrten zeigen, steht er bei ihnen in hoher
Achtimg und Gunst. Ich bin gewiss, dass E. K. M. gern
das tun werden, was Sie zur Ehre unseres Staates für nützlich
erachten, dass wir von Fremden nicht der Ungerechtigkeit
geziehen werden. Gott der Herr möge E. K. M. durch
seinen Sohn segnen und Sie uns recht lange und glücklich
erhalten. Ihrer Gnade empfehle ich mich auf das Ehrer-
bietigste. Euer K. M. ergebenster Diener Nikolaus
Myszkowski von Mirow, Kastellan von Woinicz, Auschitz,
Zator und Starost von Meseritz"1). Vom folgenden Tage
ist das Bittschreiben Bonars datiert.
„E. K. M. zu verehren und Ihren Gesetzen und
Edikten ehrerbietig mit allem Fleisse zu gehorchen,
habe ich mich von Jugend auf bemüht und um so lieber
tue ich es jetzt, wo das reifere Alter Einsicht und Urteil
bringt Deshalb übernehme ich die Aufgabe der Für-
sprache bei E. K. M. für den hochgelehrten und ehren-
werten Doktor Lismanino um so freimütiger, damit ich
meiner Pflicht gegen E. K. M. genüge und einem un-
schuldigen Freund auf ehrenhafte Weise helfe, da E. K. M.
Unschuldigen niemals Gnade versagen können. E. K. M..
mögen also verzeihen, wenn ich mit ergebener Bitte
und aufrichtigem Herzen flehe, die Aechtung durch ein
neues Edikt zu widerrufen und aufzuheben, zumal da
diese meine flehentliche Bitte E. M. früherem Edikte in
keiner Weise widersteht. Ich hoffe, dass diese Für-
sprache mir in keiner Weise als ein Vergehen angerechnet
werden wird, und ich vertraue auf E. K. M. Gnade, zvt
rll.-l . \<u(<^
...J^jpies^m Myszkowski, dem Grafen Lucas : Gorka und
Stariislaus* Ostrorog ~ widmete der Frankfurter Professor Andrea»
Muskulus als den Häuptern der Evangelischen Grosspolens unter
dem 16. April 1556 seine catechesis sanetorum patrura.
Francesco Lismanino. 243:
der ich bittend meine Zuflucht nehme, indem ich zugleich
mit wenigen Worten die Gründe meines Unterfangens
klarlege. Seit vielen Jahren bin ich mit Doktor Lismanino
aufs engste befreundet, dem auch E. K. M. und alle Edlen
unseres Reiches stets, wie ich bezeugen kann, unge-
wöhnliche Ehren erwiesen. Nach seiner Rückkehr nach
Polen nahm ich ihn in Bezeugung der alten Freundschaft
bei mir auf. Mit diesem Liebesdienst meinte ich nichts
Unrechtes getan zu haben. Da, als er als Freund in
meinem Hause weilte, kam das Gerücht, E. K. M. hätten
ihn durch ein Edikt des Landes verwiesen. Von den
meisten wurde es angezweifelt, aber alle Ungewissheit
nahm E. K. M. Ueberschrift Obwohl es mir schwer
war, von einem teuren Freunde auf diese Weise mich
zu trennen, und es christlicher Frömmigkeit und Sitt-
lichkeit widerspricht, besiegte diesen Schmerz der Be-
fehl E. K. M., den ich vorbehaltlich meiner Pficht gegen
Gott niemals übertreten will, auch wenn es das
Leben kosten sollte. Der Grund aber, weshalb ich jetzt
an E. K. M. schreibe, ist der: Mir ist ein Brief jenes
Mannes überbracht, indem er bitter klagt, ohne Verhör
verurteilt zu sein und, da das Gerücht hiervon schon zu
anderen Völkern gedrungen sei, mich ersucht, E. K. M. zu
bitten, ihn nach Ihrer königlichen Gnade und Ge-
rechtigkeit von dieser Aechtung zu befreien, da er bereit
ist, auf dem Reichstage und in Gegenwart E. K. M. den
Erweis seiner Unschuld und seines Glaubens, dessen Be-
kenntnis er bereits veröffentlicht hat, zu liefern und die
Verleumdungen Missgünstiger zu entkräften. Inständig*
bitte ich, E. K. M. möchten diesen Mann nicht ungehört ver-
urteilen, wie es die Ehre E. K. M. und das Interesse des
unschuldigen Mannes erfordert In freundschaftlichem
Mitgefühl würde auch ich an dieser Gnade teilhaben.
Überdies beschwöre ich E. K. M., nicht um meiner Bitten,
sondern um Ihrer grossen Gerechtigkeit, Güte, angeborenen
Frömmigkeit und Gnade willen, diesen frommen und
gläubigen Mann von der Acht zu befreien; wie ich es
erhoffe, so erflehe ich es auch von dem Höchsten. Der-
^44 Theodor Wotschkc.
selbe möge E. K. M. gesund und glücklich und bei langer
Regierung erhalten. Balicz, den 16. Sept 1556. E. K. M.
-ergebenster Diener Johann Bonar von Balicz, Kastellan
^von Biecz."
Am 15. September schrieb auch der Superintendent
<ler kleinpolnischen evangelischen Kirche Felix Cruciger
an den König und bat für Lismanino. Ich übergehe
diesen Brief, indem ich auf Lubieniecki verweise, und
teile ein Schreiben Crucigers mit, das er am folgenden
Tage an Herzog Albrecht von Preussen richtete und das
noch nicht veröffentlicht ist „Da der Herr über seine
Kirche immer mit wunderbarer Weisheit und Güte wachtf
müssen auch alle Frommen darauf achten, dass sie jenen
Schutz, den der himmlische Vater zur Verbreitimg seiner
Kirche darbietet, nicht verschmähen oder durch Lässigkeit
^übersehen. Wenn je ein Volk Gottes Gegenwart bei der
♦Gründimg seiner Kirche mitten unter Feinden und in
ihrem Ausbau wahrgenommen hat, so können wir es von
uns sagen. Je heftiger der Satan mit seinen Künsten
♦die Kirche angreift, je tapferere Vorkämpfer seines Namens
und seiner Ehre, deren Dienste wir in der Bedrängnis
gebrauchen können, erweckt uns der Herr. Und solchen
Segen und Gnade göttlichen Erbarmens sehen wir nicht
jiur in der Heimat uns zuteil werden, sondern auch in
fremden Ländern, deren Fürsten er uns geneigt macht
und durch das feste Band frommer Liebe uns verbindet*
"Vor allen hat, um von den anderen zu schweigen, Deine
Erlauchteste Hoheit fromme Unterstützung und freund-
liche Hülfe uns angeboten, als ich in Koschminek eine
Synode mit den böhmischen Brüdern abhielt; wir er-
kannten, unsere Kirche müsse Gott angenehm sein, dass
■er ihr einen solchen Beschützer gesandt hat Bei unserer
Ergebenheit und Verehrung bitten wir Deine Erlauchteste
Hoheit, Ihren Schutz unserer Kirche jetzt gewähren zu
wollen. Gewiss hat Deine Hoheit schon längst ver
nommen, dass der hochwürdige Francesco Lismanino, in
Christo unser werter Bruder, in unserm Lande geächtet
ist, weil er der treuste Pfleger des Glaubens und sein Ver-
Francesco Lismanino. 245
teidiger ist Da er durch die Missgunst und den Hass*
der Pharisäer verurteilt ist, sorgen wir, er möchte uns
verlassen, obwohl seine Arbeit unserer Kirche höchst
notwendig ist, hoffen aber noch, wenn der Trug der
Verleumder, durch den unser Bruder geächtet, aufgedeckt
ist, werde Sr. K. M. Herz sich wandeln und die Acht zu-
rücknehmen. Bis dahin waren wir guter Zuversicht, aber
da es noch jetzt zweifelhaft ist, bitten wir Deine Hoheit
bei K. M. in unserem und unseres teuren Bruders Namen
sich zu verwenden, dass bei uns bleiben dürfe der Mann,,
der durch Frömmigkeit und Gelehrsamkeit ausgezeichnet
ist und der, wie wir vertrauen, unserer Kirche von:
grösstem Segen sein wird. Erlauchtester Fürst, thue
kund den Reichtum Deiner Frömmigkeit zum Segen und
Heil der Herde Christi, da kaum ein Sterblicher das Herz
Sr. M. hierzu geneigt machen kann, falls nicht Deiner
Hoheit Fürsprache ihn unterstützt. Durch diese Gunst-
bezeugung wird Deine Hoheit uns so verpflichten, dass
ein jeder von uns, soweit es nicht dem Glauben und dem
Dienste gegen unseren König zuwider ist, Ihr in Treu
und Gehorsam verbunden ist. Der Herr möge Deine
Erlauchteste Hoheit mit seiner mächtigen Hand schützen
mit aller Weisheit ausrüsten und mit den Gaben seines-
heiligen Geistes zur Ehre seines Namens segnen.
Secymin, den 16. September 1556. u
Cruciger übergab seinen Brief zur Beförderung-
nach Königsberg Johann Luzinski, der am 26. April
seine Dienste der Kirche zur Verfügung gestellt hatte
und von der Pinczower Synode dem Superintendenten
überwiesen war. Lismanino selbst händigte ihm noch
folgendes Schreiben ein. „Ich erinnere mich, wie Deine
Erlauchteste Hoheit einst beim Begräbnis des Königs
Sigismund mich freundlich zu begrüssen und wiederum
nach drei Jahren zu besuchen geruht haben. Damals
sprach Sie mit mir über religiöse und andere wichtige
Fragen und gab mir viele Zeichen Ihres Wohlwollens.
Ich war verwundert, was einen so hohen Fürsten zur
Unterredung mit einem unbekannten Manne veran-
246 Theodor Wotschkc.
lasst haben mochte, aber da ich D. E. H. Frömmigkeit
wahrnahm, wandte sich mein Erstaunen einer anderen
Richtimg zu; habe ich doch erkannt, dass es die Weise
dieser heiligen Tugend ist, ihre Schützlinge durch Freund-
lichkeit und Milde auszuzeichnen. Ihres Lismanino hatte
trotz der langen Zwischenzeit Sie nicht vergessen, als Sie
im vergangenen Jahre zu Warschau im Gespräch mit dem
grossmächtigen Palatin von Krakau und dem Kastellan
von Biecz meiner in ehrenvoller Weise Erwähnung tat.
Deutlich konnte ich ersehen, wie wert mich D. H. achtet
nicht wegen meiner Verdienste und Würdigkeit, sondern
wegen Ihrer ausserordentlichen Güte gegen alle Frommen.
Und wenn schon das Bisherige in mir den sichersten
Glauben von D. H. Gnade gegen mich erweckte, so hat
-der Brief des Pietro Paolo Vergerio mich gleichsam auf
den Gipfel der Hoffnung gehoben, so dass ein Zweifel
an ihr jetzt Sünde wäre. Um angesichts solcher Zeichen
gnädigster Huld nicht undankbar zu scheinen, grüsse ich
mit diesem Briefe D. H. und biete Ihr meine aufrichtigsten
Dienste an, dass, falls Sie sich ihrer einmal bedienen
wolle, Sie sich von meinem freudigen Gehorsam überzeuge.
Ferner sage ich D. H. Dank für die Liebe, mit der Sie
•die in Polen neugeborene Kirche umfasst; von ihr gerufen
bin ich hierher gekommen und will ihr jetzt dienen und
sie fördern, soweit Gott seinen Segen giebt. Um Deine
Hoheit nicht zu belästigen, breche ich hier ab; alles
weitere, was ich D. H. unterbreiten möchte, habe ich dem
Boten unserer Kirche, dem edlen Joh. Luczinski anvertraut,
welcher D. H. sorgfältig Bericht erstatten wird. Alles
Glück und Wohlergehen wünsche ich D. H. von Herzen
und flehe zu Gott, dass Sie sich wohl und gesund be-
finden möge. Aus der Verborgenheit (ex heremo), den
16. Sept. 1556 l).
Wenige Tage, nachdem Luczinski mit den Briefen
nach Königsberg abgeordnet war, brach Cruciger von
Secymin zu dem für den 25. September angesetzten
Predigerkonvent in Iwanowice auf. In Krakau besuchte
l) Aus dem KönigL Staatsarchiv in Königsberg.
Francesco Lismanino. 247
er Joh. Bonar und bestimmte ihn, am 22. Sept gleichfalls
ein Bittschreiben für Lismanino an Herzog Albrecht zu
senden1)- Nach dem Konvente, auf dem Lismanino ein
Jahrgeld bewilligt, ihm und seiner Familie — seine Frau
und sein Söhnchen sollten aus Zürich nach Polen ihm
folgen — ein Zufluchtsort zugewiesen wurde, sandte Lis-
manino seinen Amanuensis Stanislaus Budzinski mit neuen
Nachrichten, seinem Glaubensbekenntnisse und seiner Apo-
logie zu demselben sowie mit dem Briefe Bonars nach
Königsberg. Gewiss übergab er ihm auch ein Schreiben an
Vergerio, der seit dem 26. Juli in Königsberg bezw. in
Wilna weilte und von dort ihm schon Nachrichten hatte
zukommen lassen. Nach der herzlichen Begegnung beider
Männer in Basel und Stuttgart verstehen wir es, dass
Vergerio auf seiner Rückreise von Wilna kaum die
Nachricht von der Anwesenheit St Budzinskis in Königs-
berg erhalten hatte, als er auch schon am 16. November
von Taplack aus den Herzog bittet2), den Boten bis zu
seiner am nächsten Tage erfolgenden Ankunft zurück-
zuhalten. Die Briefe, die er ihm nach Secymin mit-
gegeben hat und unter denen sich auch ein Schreiben des
Fürsten Nikolaus Radziwill befunden haben muss, an den
Lismanino wie an die anderen Magnaten sich gewandt
hatte, und zu dem in den Sommermonaten sein alter
Freund Andreas Trzycieski geeilt war8), konnte ich nicht
ermitteln. Herzog Albrecht hatte schon am 13. November
Briefe an Lismanino, den König, den Superintendenten
Cruciger und den Palatin Bonar schreiben lassen. Indem ich
bezüglich der beiden letzten auf den Anhang verweise*),
gebe ich die ersten hier deutsch wieder. „Würdiger, Be-
*) Siehe Anhang Nr. 1.
*) Sixt: Petrus Paulus Vergerius. Braunschweig 1855. S. 534
Beilage II druckt den Brief ab.
•) So konnte von Wilna der reformatorisch gesinnte königliche
Sekretär Trojan Provano unter dem 22. August einen Brief Lis-
maninos nach Königsberg senden.
4) Anhang Nr. 2 und 3.
248 Theodor Wotschkc.
sonderer, hoch Geliebter! Angenehm und erfreulich war uns
Euer Hoch würden Schreiben, weil es unseres vertrauten Zwie-
gesprächs in Krakau gedachte und wir aus ihm E. H. Ge-
sundheit entnahmen und Ihre durch Gottes wunderbare
Vorsehung zum Bau der Kirche Christi erfolgte Berufung
nach Polen. Was den ersten Teil des Briefes betrifft,
in dem Euer Hochwürden rühmen, dass wir in Krakau Sie
zu besuchen, mit unserer Huld zu umfassen und über
verschiedene Fragen mit Ihr zu sprechen geruht haben,
und was Sie ausserdem in langer Lobrede von unseres
Namens Ruhm und Ehre und unserer hohen Gunst gegen
alle Frommen urteilt, dieses alles ist wohl ein Ausfluss
E. H. Liebe zu uns. Wenn Zeichen des Wohlwollens
gegen E. H. von uns kund geworden sind, wenn wir durch
unsere Huld gegen fromme Diener Christi und durch ihre
Beschützimg, so weit es uns möglich ist, unserem Namen
einen guten Klang gegeben haben, so schreiben wir dies
nicht unseren Kräften zu, sondern bekennen, dass es auf
Antrieb des heiligen Geistes geschehen ist und noch ge-
schieht. Deshalb hätten E. H. uns weniger zu danken
brauchen, weil wir^uns nicht erinnern, etwas so dankens-
wertes E. H. erwiesen und immer nur unserer Pflicht
genügt haben. In dieser Haltung bewahre uns der Herr
bis zu unseres Lebens letzter Stunde. Aus dem zweiten
Teil des Briefes ersehen wir, dass E. H. nach Polen
gerufen sind, um die auflebende Kirche zu erbauen.
Wir wünschen E. H. einen glücklichen und gesegneten
Anfang und gedeihlichen Fortschritt Ihrer Arbeit und bitten
den Vater unseres Herrn Jesu Christi, er möge E. H.
Arbeit segnen und Sie mit seinem Geiste leiten, dass Sie
viel Frucht schaffen und den Ruhm des göttlichen Namens
mehren, die Lehre des lauteren Evangeliums ausbreiten der
Krone Polen und der ihr angegliederten Provinzen zum
Heil, E. H. zur Ehre. Den ersten Teil der Apologie E. H^
die uns nicht durch den ehrbaren Joh. Luzinski, sondern
durch einen Diener E. H. zugleich mit dem Glaubens-
bekenntnis überreicht worden ist, haben wir gelesen und
können ihn nur billigen, obwohl wir nicht das Recht, ein
Francesco Lismanino. 249
Urteil zu fällen, uns anmassen; wir bekennen nämlich
dass wir in der heiligen Schrift nicht so bewandert sind.
Dasselbe gilt von E. H. Glaubensbekenntnis, aber wegen
<ier Missverständnisse, welche durch Briefe zu entstehen
pflegen, möchten wir lieber mündlich als schriftlich mit
E. H. hierüber verhandeln. Es hat dieses Bekenntnis E. H.
Ariele Belegstellen aus der heiligen Schrift und Zeugnisse,
der gelehrtesten Männer, aber uns, die wir noch an der
Schwelle der Erkenntnis der heiligen Schrift stehen, will
-es scheinen, dass das Göttliche nicht sowohl durch die
"Schärfe des Verstandes erforscht und bis ins Innerste er-
kannt, sondern in jener einfachen, von unserem Meister
Christus selbst uns gezeigten Weise angeeignet werden
muss. Der geistliche Vorwitz pflegt dem armen, un-
wissenden niederen Volke die dichteste Finsternis zu
bringen. Wir möchten dies nicht so verstanden wissen,
als ob wir überhaupt ein Durchforschen der Schrift ab-
lehnen, da unser Heiland Christus selbst uns das gebietet;
unsere Ansicht ist, dass bei Erbauung der Kirche der ein-
fachsten Glaubensregel gefolgt werden muss, nur dass dieses
Einfache alles umschliesst, was zum Heil der Seelen
nötig ist Dass E. H. auch den zweiten Teil der Apologie
fertig stellen und uns zuschicken, ist unser gnädiges Begehren,
denn alle Arbeiten E. H., die uns überreicht werden, sind
uns angenehm. Der würdige Vergerio hat bei uns E. H.
ehrenvoll gedacht und uns über E. H. derzeitige Lage, die
wir bedauern, Vortrag gehalten. Da uns E. H. Unschuld
bekannt ist, wollten wir für Sie eintreten, und Vergerio
-spornte unseren Eifer noch an. Wir schrieben also an
Königliche Majestät, unseren gnädigsten Herrn und teuren
Bruder und an einige Senatoren des Reiches für E. H.
Empfehlungsbriefe, von denen wir Abschriften einge-
schlossen mitschicken. Gott gebe, dass unsere Bitten
nicht vergeblich sind, sondern das fromme Herz Sr. Maj.
rühren, dass S. Majestät unter Gottes Beistande Christum,
der vor der Tür des Reiches Polen steht und seine Gnade
-väterlich anbietet, mit offenen Armen, wie man zu sagen
pflegt, aufnimmt und das Wüten und Toben des Satan
250 Theodor Wotschke.
verachtet Dies zu erzielen, wollen wir keinen Eifer,
nichts, was wir vermögen, missen lassen".
Das Schreiben an den König hatte folgenden Wortlaut:
„Durchlauchtigster König, gnädigster Herr und
teuerster Bruder! Von vielen angesehenen Männern Gross-
und Kleinpolens ist mir mitgeteilt worden, dass einer der
ersten Führer der Kirche Christi, Francesco Lismanino,
durch ein Dekret E. M. aus Polen verwiesen sei besonders
aus dem Grunde, weil er einer der eifrigsten Verehrer
und Verteidiger des wahren Glaubens ist Diese Ächtung
schrieben sie nicht sowohl einem Unwillen der Kön~
Majestät wider diesen Mann zu, als jenen, welche die in
Polen auflebende Kirche mit ihrem Hass verfolgen. Ja
sie sind überzeugt, dass Kön. Maj. ein frommer Anhänger
der rechtgläubigen Lehre von Christo sei und fromme
Lehrer nicht verurteilt sehen möchte. Deshalb meinen
sie, dass jenes Edikt E. K. M. von denen, die jenem
Manne nicht wohl wollen, abgezwungen sei, was ich um
so lieber hörte, als ich an E. K. M. Glauben nicht zweifele.
In Mitleid über das Los jenes Lismanino und in christ-
licher Liebe schreibe ich für jenen diesen Brief und bitte
E. K. M. untertänigst und inständig, diesen angesehenen
Mann von der Acht zu befreien und in die königliche
Gunst wieder aufzunehmen. Zu beklagen wäre es schon,
wenn einer ohne das gesetzliche Verhör, noch mehr wenn?
er, ohne überführt zu sein, verurteilt würde. Gewiss sind
E. K. M. durch die Machenschaften derer, denen die
Wahrheit des Evangeliums verhasst ist, bestimmt worden,
da E. K. M. es sich angelegentlichst zur Gewohnheit ge-
macht haben, dem Beispiel jenes Königs Alexander des
Grossen zu folgen und das eine Ohr dem Kläger, das
andere dem Beklagten zu leihen. Daher bin ich über-
zeugt, dass diese Gnade auch dem Lismanino nicht ver-
schlossen sein wird. Wenn nämlich dies recht und billig-
ist in Fragen des Privats- und des Staatsrechts, wie viel
jnehr dort, wo es sich um die Ehre Christi und das Heil
der Seelen handelt. Endlich wissen E. K. M. aus Zeug-
nissen der Schrift, dass mächtige Könige und Fürsten von:
Francesco Lismanino. 251.
Gott an die Spitze grosser Staaten gestellt sind und durch
göttliche Vorsehung in diesen letzten Zeiten der Welt
bewahrt werden, dass sie der Kirche Christi, die hier und
da einer harten Knechtschaft unterworfen ist, Wohn-
sitze bieten, sie selbst aber, Konige und Königinnen,
hre Nährväter und Nährmütter seien. Deshalb hoffe
ich umso zuversichtlicher, E. K. M. werden nicht ge-
statten, Glieder Christi zu schädigen, wie die es tun, welche
nicht allein den nahenden und anklopfenden Christus nicht
aufnehmen, den Segen bringenden nicht umfassen, sondern
wider ihn wüten, für die Kirchen nicht sorgen, das Ein-
jtreten für sie als ihrer unwürdig ansehen und höher als.
<las Ewige das Vergängliche achten. Dass E. K. M. dies.
fern liegt, freut mich, und ich bitte Gott, den Ewigen,
in heissem Flehen, E. K. M. in dieser Gesinnung zu er-
halten. Einen klaren Erweis hierfür werden Sie geben, wenn
Sie die, welche Gott zur Erbauung, zur Verbreitung und
zur Förderung seiner Kirche erweckt, beschützen, sie nicht
auf Grund einer versteckten Einflüsterung ungehört und
unüberführt ächten und verurteilen lassen würden. Ich
habe hier die beste Hoffnung, so dass ich diese meine
Bitte für den berühmten Diener Christi Francesco Lisma-
nino für nicht vergeblich ansehe und E. K. Majestät nicht
für unwillig halte, dass ich im Eifer christlicher Liebe die
Unschuld dieses guten Mannes verteidige. Auf Grund
des Gebotes Christi meine ich hierzu verpflichtet zu sein;
auch E. K. M. werden ihm, wie ich glaube, gnädiger ge-
sinnt sein, wenn Sie der gehorsamen und eifrigen Dienste,,
welche jener Lismanino mit aller seiner Kraft E. K. M.
erlauchtesten Mutter treu erwiesen hat, sich erinnern. Auch
bei E. K. M. scheint er in nicht geringer Gunst gestanden
zu haben. Deshalb bitte ich E. K. M. wieder und immer
wieder, die Acht aufzuheben, oder wenn dies nicht tunlich
ist, sie für die Zeit wenigstens zu, suspendieren, damit
jener treffliche Mann seine Unschuld beweisen und sicher
in E. K. M. Lande leben kann. E. K. M. werden dafür bei
ihren Untertanen Beifall, bei den auswärtigen Völkern,
welche den Namen Christi bekennen, Ruhm und Ehre
~2$2 Theodor Wotschkc.
ernten. In der zukünftigen Welt werden Sie mit den frommen
Vätern, und allen, welche um die Erbauung der Kirche
sich gemüht und furchtlos Christum vor der Welt bekannt
haben, grossen Lohn empfangen. Ich aber werde durch
ständigen Eifer und Dienstbeflissenheit jeder Art gegen
E. K. Majestät dies zu verdienen suchen. Königsberg,
<len 13. Nov. 1556" x).
In den beiden letzten Monaten des Jahres 1556 lebte
Lismanino verborgen in Iwanowice drei Meilen von
Krakau im Hause der frommen Agnes Dluska, deren
Söhne in Zürich unter seiner Leitung studiert hatten.
Sein und seiner Freunde Hoffnung auf eine baldige Auf-
hebung der Acht sollte nicht in Erfüllung gehen, aber es
scheint, dass das allgemeine Eintreten der evangelischen
Herren für ihn eine Vollstreckung der Acht nicht mehr
befürchten liess und so seine Lage gleichwohl eine ge-
sichertere wurde. Nur so können wir es verstehen, dass
auf dem Colloquium zu Chrencice im Hause Philipowskis
für den 28. Dezember ein Konvent in Lismaninos Wohn-
ort Iwanowice in Aussicht genommen wurde, zu dem man
auch, freilich vergebens, Johann Laski2), der seit einigen
Tagen auf Schloss Rabstein bei Johann Bonar weilte,
erwartete. Es war das erste Mal, dass Lismanino sich in
der Mitte der kleinpolnischen Geistlichen sah, einige lernte
x) Aus dem Königlichen Staatsarchiv in Königsberg.
*) Laski an die Züricher Geistlichen, Breslau, den 28. November
1556. „Lismaninus recte valet causamque eius publice coram rege
adversus episcopos actam esse iam puto. Tot enim patronos habet,
ut non dubitem Uli fuisse liberum publice et libere causam suam
agere. Sed rei successum nondum audire potuL" O. C. XVI N., 2555.
Vergleiche auch aus einem Schreiben des Adelnauer Starosten Martin
Zborowski Warschau, den 12. Dezember an Herzog Albrecht.
„Allatae nunc erant literae m»*e Cls«"« Vr« ex quibus intellexi
Franciscum Lismaninum ad religionis verae christianae fidei venturum
seu declinatum, ut illi ad S. R. M*«» quodam iuvamine essem. Non
praetermittam, quin illi nostro iuvamine interessem, attamen cum ad
religionis disputandi principium venerit, aliquoties de illo S. R. M* signi-
ficaveram ac literas intercessorias scripseram, non tantum S. R. M*
verum etiam magnifico castellano Cracoviensi a Tarnow, qui etiam
pollicitus est illi coram R. Mtc iuvamine esse".
Francesco Lismanino. 25$
er jetzt erst kennen, vor allem machte er die Bekannt-
schaft des Brüdergeistlichen Georg Israel. Nach den
kurzen Verhandlungen, die am Abend des 28. Dezember
durch die Nachricht von der Erkrankung Laskis, zu dem
die Kleinpolen alsbald eilten, einen jähen Abbruch fanden,
besuchte Israel Lismanino, und in angeregter Unterhaltung
besprachen sie verschiedene Fragen. Lismanino erzählte
von seinem theologischen Entwicklungsgang und von den
Eindrücken, die er vor drei Jahren in Prerau er-
halten. Da Israel den Massstab der geförderten Brüder-
gemeinden an die Kleinpolen anlegte und deshalb von
den kleinpolnischen Verhältnissen wenig befriedigt war,
entschuldigte Lismanino die Geistlichen. Sie hätten den red-
lichsten Willen, aber ihre geistliche Erkenntnis sei nicht sehr
tief, ihr Verständnis der Schrift noch unzureichend und ihre
praktische Vorbildung für das Amt mangelhaft Auch des
Superintendenten Cruciger theologische Bildung sei lücken-
haft, dazu fehle ihm die so notwendige Gabe der Leitung.
Er nicht minder wie die Geistlichen brauchten einen tüch-
tigen Lehrer, daran knüpfte er die Mahnung, Israel möchte
in Iwanowice bleiben und den kleinpolnischen Geistlichen
der ersehnte Lehrer werden1). Gewiss wird Israel, dem
wir den Bericht über dies Gespräch verdanken, zu viel
aus den Worten Lismaninos herausgehört haben, denn
sollte dieser so ganz von sich und Laski haben absehen
können, dass er Israel den Kleinpolen zum Lehrer
wünschte? Sein Brief an die Pinczower Aprilsynode des
Jahres 1556 wie seine ganze fernere Stellung zeigt, dass
er keineswegs für die Brüder so eingenommen war, viel-
mehr den Schweizer Lehrtypus in Kleinpolen zur Geltung
bringen wollte.
Nur in den Abendstunden des 28. Dezember weilten
Lismanino und Israel im Hause der Edelfrau Dluska zu-
sammen, da dieser die Einladung zu fernerem Bleiben
ablehnen und im Auftrage der Senioren zu den Brüder-
gemeinden nach Preussen reisen musste. Über Secymin
*) Herrenhuter Brüderarchiv. Lissaer Handschriften Foliant X„
Blatt 24.
t254 Theodor Wotschke.
ging er nach Petrikau. Hier schloss er sich am i. Januar
Krakauer Fuhrleuten an und traf mit diesen am 6. Januar
in Thorn ein. Dort blieb er vier Tage und konferierte
mit den Brüdern Philipenski und Studenski, mit Marchek
und Rokyta, dann folgte er den Bitten Mucheks nach
Soldau, wo seit den Dezembertagen Vergerio weilte l), um
dem Warschauer Reichstage nahe zu sein. Wir können
uns denken, welch Interesse dieser an dem hervorragen-
den Brüdergeistlichen fand, wie er am 13. und 14. Januar
nicht nur von den Brüdern, von ihrer Geschichte und
Verfassung sich erzählen Hess, sondern ihn auch über
Lismanino ausfragte. Hoffte er doch schon in der nächsten
Woche ihn wiederzusehen, auch hatte er bereits nach
Königsberg um Briefe für Lismanino an die evangelischen
Magnaten geschrieben. Am 16. des Monats sandte sie Herzog
Albrecht ab, damit sie Vergerio mit nach Krakau und Gross-
polen nehmen könnte; sie waren an den Krakauer Palatin
Grafen Stanislaus von Tenczin, den Grafen von Tarnow, an
die Brüder Jakob und Stanislaus Ostrorog, an den Rogasener
Starosten und Erbherren von Tomice Johann Tomicki, an
den Kalischer Palatin und Adelnauer Starosten Martin Zbo-
rowski und an die beiden Kanzlerjohann Oczieski und
Przerembski gerichtet und hatten den gleichen Wortlaut:
„Grossmächtiger und Hochgeborener, lieber Freund !
Es ist uns berichtet, dass der durch Frömmigkeit und
Bildung ausgezeichnete Francesco Lismanino wegen seines
Bekenntnisses zur evangelischen Wahrheit durch den
Hass und die Missgunst einiger, die ihn bei der Königl.
Majestät verdächtigt haben, in Polen geächtet sei. Da
christliche Frömmigkeit, Angefochtenen zu helfen, gebietet
müssen wir diesen unschuldigen trefflichen Mann zu
schützen suchen. Wir haben deshalb an Kön. Maj. ge-
schrieben und sie gebeten, den Mann, der nicht gehört,
viel weniger überführt ist, der Acht gnädig zu entheben
oder sie wenigstens für gewisse Zeit zu suspendieren,
dass er seine Unschuld zeigen könne. Um S. K. M. Herz
zu erweichen, glauben wir die Unterstützung und das
Ansehen Euer Grossmächtigkeit und einiger Räte des
Francesco Lismanino. 255
Reichs mit unseren Bitten vereinigen zu müssen. Wenn
daher E. Grossm. irgendwie uns gewogen ist, oder die
-.Kirche Christi zu bauen sich schon bemüht haben, so
bitten wir Sie dringend zum Segen und Dank der Herde
Christi für diesen Lismanino, Ihren Bruder, bei S. K. M.
Fürsprache einzulegen und zu helfen, dass Christus, der an
Polens Tür geklopft, mit offenen Armen aufgenommen
werde, den Trug und das Toben des Satan, jenen zu ver-
drängen, aber unschädlich zu machen, ohne Scheu vor den
Verfolgungen und Anfeindungen, welche meistens das
Loos der Verteidiger der Ehre Gottes sind. Euer Gross-
mächtigkeit ist nicht verborgen, was die Christo schuldig
sind, welche seinen Namen bekennen. Wenn in bürger-
lichen und weltlichen Dingen wir keine Arbeit scheuen
und uns Sorgen und Mühen machen, wie viel mehr sind
wir es Christo und dem Glauben schuldig; und da-
raus fliesst kein ungewisser und vergänglicher Vorteil,
sondern ewige Belohnung in der künftigen Welt Aus-
führlicher würden wir noch schreiben, wäre uns E. Grossm.
Frömmigkeit nicht bekannt. Daher haben wir das Ver-
trauen, Euer Grossm. werden auf Grund des Gebotes
Christi und unserer Bitten bei der Königl. Maj. alles ver-
suchen, dass genannter Lismanino seine Freiheit wieder
erhalte, in Polen sicher und unangefochten leben und mit
seinen Gaben den heilsdürstenden Seelen dienen oder
wenigstens seine Unschuld dartun könne. Eure Grossm.
wird dies Werk der Barmherzigkeit, das Gott genehm
ist und Ihr und Ihren Nachkommen bei der ganzen
Christenheit unsterblichen Ruhm erwirbt, ausführen; wir
aber werden durch besondere Zuneigung und Liebe E.
Grossm. es entgelten. Königsberg, den 16. Januar i557al).
*) Am 20. November hatte Albrecht an Nikolaus Radziwill ge-
schrieben: „Intelleximus tarn ex d. Vergerio, quam litteris quoque
Ultis V***, quo consilio addueta cupiat a nobis eundem Vcrgerium
in castellanum quoddam ditionis nostrae ducatui Mazoviae finitimum
mitti, quod nos pro honore divino et ecclesiae Christi salute non
gravatim facturi sumus. Constituimus itaque eum Soldavium mittere
atque ipsi volente deo nos eo conferre. Is autem locus a Varsovia
innere tridui saltem distat".
256 Theodor Wotschkc.
An Lismanino scheint der Herzog keinen Brief mit-
gegeben zu haben, aber mündlich konnte Vergerio ihm
berichten, welchen Anteil Albrecht an seiner Lage nähme,,
und wie gern er ihm in seinem Lande eine Zufluchts-
stätte gewähren würde. In Krakau im Hause Johann
Bonars2), vielleicht auch im nahen Iwanowice sahen
sich Anfang Februar die beiden wieder; eine wehmütige
Begegnimg nach den erwartungsfrohen Tagen von Basel
und Stuttgart Dem hoffnungsvollen Ausblick, mit dem
sie damals in die Zukunft schauten, war Enttäuschung
auf Enttäuschimg gefolgt, statt des erträumten grossen
Wirkungskreises hatte Lismanino Acht und Verfolgung^
gefunden. Es wäre Undank gewesen, hätte er seinen
Landsmann, der in Königsberg und Wilna nach Kräften
für ihn gewirkt hatte, nicht von ganzem Herzen will-
kommen geheissen und ihn vor den kleinpolnischen
Herren gerühmt als treuen Freund und tapferen Streiter
Christi. Laski freilich und sein Famulus Utenhove sahen
mit Ärger und Verdruss auf ihre herzlichen Beziehungen
und wollten sich Lismaninos Freundschaft zu dem
Lutheraner Vergerio nur daraus erklären, dass dieser
ihm gegenüber mit seiner wahren Ansicht über das
heilige Abendmahl zurückgehalten habe8).
Nach einiger Zeit verliess vielleicht auf Grund eines
Beschlusses der Predigerversammlung zu Chrencice am
9. März 1557, die ihre Verpflichtung, für den Geächteten
*) Aus dem Königlichen Staatsarchiv in Königsberg.
*) Am 19. Februar schreibt das Krakauer Kapitel seinem
Bischof: „confluxerunt nunc huc ad nos omnes passim novatores et
haeretici habentes secum quosdam Vergerios, Joannem Laski et alios
eius farinae homines, qui in domo D*1 Biecensis conciliabula sua
peragunt". Hosius berichtet dem Legaten Lipomani (II, 1724) ,venit
manipulus haereticorum Cracoviam, duo Vergerii fratres, Joannes
a L&sko, Carolus Utenhovius tum et Lismaninus".
8) In seinem Briefe an Calvin (Krakau, den 19. Februar 1557)
erwähnt Utcnhovcn Lismanino und Vergerio mit keinem Worte. In.
der Nachschrift zum Briefe seines Famulus mag Laski bei den „falsL
fratres" in augenblicklicher Verstimmung auch an Lismanino gedacht
haben. Wie unwillig Utenhovcn über Lismaninos Freundschaft mit
Vergerio war, zeigt sein Brief an Bullinger, von dem dieser ihm
Francesco Lismanino. 257
zu sorgen, anerkannte1), Lismanino Iwanowice und begab
sich zu Herrn Lasocki nach Pelznica; hier suchte ihn
Petrus Statorius auf, der mit Briefen und Büchern aus der
Schweiz gekommen war2), aber sein Lehramt wegen
Kränklichkeit nicht antreten konnte, hier in Pelznica nahm
Lismanino an dem Konvente teil, welcher am 10. Mai im Hause
seines Gastfreundes stattfand und der ihm die Kosten
der Berufung des Statorius in Höhe von 32 Gulden zu
erstatten versprach. Hier erhielt er am Abend des 15.
Juni auch den Besuch der Brüderboten Wenzel Cech
und Johann Lorenz, welche am 8. Juni von den Senioren
in Prerau zur Synode nach Wlodzislaw abgeordert waren
und zwei Tage nach ihrem Beginn auf ihr eintrafen
Lismaninos Aufenthalt in Prerau bot einen willkommenen
Anknüpfungspunkt für das Gespräch, zuletzt erzählte er den
Brüdern von seiner Ächtung und den mit ihr verbundenen
Leiden und überreichte ihnen schliesslich sein Glaubens-
bekenntnis zur Beurteilung. „Sie möchten Irriges und
Ueberflüssiges ausstreichen, was fehlt beifügen, Schlechtes
verbessern und das Verbesserte ihm wieder zustellen.
Auch ihren Namen und ihren calculum möchten sie dar-
zugeben und unterschreiben, wie auch die übrigen getan;
er würde das gern und dankbar annehmen418). Am
folgenden Tage liess er sie allein nach dem nahen Wlo-
dzislaw ziehen und nahm an der Synode, die am 18. ge-
schlossen wurde, nicht teil, aber unmittelbar darauf sehen
am 24. Juni 1558 durch Lelio Sozini eine Abschrift nach Krakau
zurücksandte, als Vergerio zu seiner Rechtfertigung gegen die wieder
ihn erhobenen Verdächtigungen jenes bekannte ausführliche Schreiben
vom j. Januar 1558 an Stanislaus Ostrorog gerichtet hatte. Vergl.
Ecclesiae Londino-Batavae Archivum II Cantabrigiae 1889. S. 91.
*) Dalton: Lasciana. S. 430.
*) Nachdem Lismanino in seinem Schreiben an Calvin vom
15. April 1556 diesen gebeten hatte, Statorius nach Polen zu senden,
war dieser nach einigem Zögern auf Calvins Drängen nach Polen auf-
gebrochen. Aber da in Zürich Lismaninos Gattin Claudia und der Geld-
wechsler Pellizarius nur auf eine schriftliche Anweisung Lismaninos
hin ihm Geld zur Reise geben wollten, unterbrach er dieselbe Anfang
Juli 1556. Vergl. seinen Brief an Calvin vom 10. Juli, O. C. XVI, N. 2436.
*) Herrenhuter Brüderarchiv. Lissaer Folianten X, Bl. 97 b.
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Prov. Posen. Jahrg. XVIII. 17
258 Theodor Wotschke.
wir ihn mit Laski, Cruciger und anderen kleinpoinischen
Geistlichen zusammen kommen und seine Lage beraten
Da sie nicht mehr hofften, dass der König in nächster
Zeit in Gegensatz zu den Bischöfen treten und die Acht
aufheben würde, hielten sie es für das Beste, wenn Lis-
manino für einige Zeit Polen verliesse. Der König selbst
scheint in einem vertraulichen Briefe an Lismanino dies
empfohlen zu haben. Den Gedanken nach Königsberg
zu gehen, gab er in Uebereinstimmung mit seinen Freunden
auf, schickte aber dem Herzog Albrecht zum Erweis seiner
Dankbarkeit einige Predigten und folgendes Schreiben:
„Da Deine Hoheit mir soviel Beweise von Huld
und Güte gegeben haben, wie der Brief zeigt, den
Deine Hoheit an mich zu richten geruht haben, und die
Worte des bekannten Pietro Paolo Vergerio, so würde
ich undankbar sein, nicht bloss schwach und unhöflich,
wollte ich bei meinem Weggange aus Polen nach der
Schweiz solche Gnade, Güte und Huld D. H. gegen mich
mit Schweigen übergehen. Nichts, was meine Pflicht und
Schuldigkeit ist und von mir erwartet werden darf, will
ich versäumen. Kann ich auch mit allem meinen Dank
D. H. Gnade nicht gut machen, so brennt doch in mir
die Glut der Dankbarkeit; je weniger ich sie durch Worte
zum Ausdruck bringen kann, um so mehr brennt das
innere Feuer, das D. H. gewiss nicht weniger angenehm
ist, als wenn es in einem grossen Wortschwall sich er-
giessen würde. Dass D. H. in Sachen meiner Acht aus
freien Stücken so gütig und freundlich bei der Königl.
Majestät und den ersten Magnaten Polens sich zu ver-
wenden geruht haben, erkenne ich dankbar an und
wünsche, dass der Himmel mir Gelegenheit gebe, diese
dankbare Gesinnung durch einen Dienst zu bezeugen.
Nicht wirkungslos sind Deiner Erlauchten Hoheit Briefe
gewesen und nicht ohne Frucht; ist diese bis jetzt auch
noch nicht an den Tag getreten, so hoffe ich doch zu-
versichtlich, dass sie zur Ehre Gottes bald zur Erschei-
nung kommen wird. So pflegt der allweise Schöpfer und
Regierer alles zu seiner Zeit wider alles menschliche Er-
Francesco Lismanino. 259
warten zu seiner Ehre und zum Heile der Seinen zu
lenken. Da ich, um S. Königl. Maj. zu gehorchen, zum
Wanderstab greifen muss und Paolo Vergerio im Namen
Deiner Hoheit an Deiner Hoheit Hofe gastliche Aufnahme
und sichere Zuflucht mir mehr als einmal angeboten hat,
dachte ich, die Gnade und Güte eines so freundlichen
Fürsten anzunehmen; schätze, verehre, bewundere ich
doch seine herrlichen Geistesgaben so, dass mir nichts
erwünschter sein kann, als bei ihm den Rest meiner Tage
zuzubringen. Aber dem Drucke der Not musste auch der
Widerstrebende gehorchen, wiewohl sein Herz Deiner
Hoheit Huld zu geniessen ersehnte. Sollten jedoch D. H.
meine Arbeit in irgend einer Beziehung brauchen, so mögen
Sie es mir schriftlich anzeigen, mit Zurücksetzung von allem,
das mich fernhalten könnte, werde ich sobald wie möglich
D. H. gnädigem Willen gehorchen. Neulich fielen mir
einige Predigten eines, wie ich urteile, hochgelehrten und
mit den Gaben des heiligen Geistes gesegneten Mannes
in die Hände. Da sie nach Inhalt und Form einem Fürsten
wohl gefallen können, schicke ich sie D. E.H. um so lieber, als
ich weiss, dass solche Schriften Ihr von allen, welche
Frömmigkeit und wahren Glauben atmen, am liebsten
sind. Sollte dieses Schriftchen, das ich mit aufrichtigem
Herzen sende, D. E. H. gefallen, so werde ich mich be-
mühen, dass Sie von derselben Feder bald noch mehr
Homilien erhalte. Aus der Verborgenheit, den 20. Juni 1557.*
Für die Schweizer Theologen erhielt Lismanino nicht
nur verschiedene Schreiben eingehändigt, so einen Brief
Crucigers1) und Utenhovens2), sondern auch den münd-
1) Er war an Calvin gerichtet und ist verloren gegangen. Cal-
vins Antwort findet sich O. C. XVI, N. 2745.
2) Er ist datiert Wlodzislaw, den 23. Juni 1557. „Reliqua ex
Lismanino facile cognoscetis, cuius fata sie ferunt, ut aliquamdiu
adhuc peregrinari ab hoc regno cogatur nulla sane culpa sua, sed
Satanac et adversariorum Christi nimia rabie, quam xrcx omni ex
parte sustinere nequit. Ipse interim summam erga D. Lismaninum,
quem interea ad vestram ecclesiam prae omnibus totius Germaniae
ecclesiis cupit divertcre, semper dcclaravit ac etiam nunc declarat
benevolentiam.« O. C. XVI, N. 2652.
17*
260 Theodor Wotschke.
«liehen Auftrag, über die Union mit den böhmischen Brü-
dern, der Laski widerstrebte, von neuem zu konferieren.
Ende Juni brach er von Pelznica auf; da der Sommer ein
bequemes Reisen ermöglichte, ihn auch nichts zu beson-
derer Eile trieb, beschloss er den weiten Umweg über
Wittenberg nicht zu scheuen, um Philipp Melanchthon
kennen zu lernen. Er wählte nicht den Weg über Breslau,,
den Laski vor acht Monaten gekommen war, sondern,
durch Grosspolen, um hier die Edelleute aufzusuchen,
welche Herzog Albrecht durch seinen Brief vom 16. Januar
und durch Vergerio im März für ihn erwärmt, bei denen
auch Lutomirski in den vergangenen Monaten für ihn
[ Geld zur Reise nach der Schweiz gesammelt hatte1). Im
Juli durchreiste er die Provinz Posen, als ihm plötzlich
die Nachricht wurde, dass der König die Acht suspen-
diert habe. Mit dem Königlichen Mandate hierüber wurden
ihm neue Briefe für die Schweizer von Utenhoven u. s. w.
überreicht2). Unfern Buk in Tomice auf dem Erbgute des
Rogasener Starosten Johann Tomicki rastete er einige Tage ;
hier fand ihn der Schlossherr, als er am 5. August von einer
Reise heimkehrte. Gerne gewährte er dem Glaubensbruder
Gastfreundschaft. Lismanino nahm sie dankbar an und
blieb in Tomice, auch als Stanislaus Ostrorog aus Grätz
herüber kam und ihm auf seinen Gütern in Neustadt,
1) Im Brüderbericht Ober die Synode zu Wlodzislaw heisst
es : „Mit Felix wurde besonders über Lutomirski gesprochen, warum
und ob mit ihrem Willen er von den Herren in Grosspolen Geld
gebettelt hätte. Er antwortete, mit ihrem Willen habe er zu keinem
anderen Bedürfnis gesammelt, als zur Reiseunterstützung des Doktor
Lismanino, der nach Zürich reisen soll, da er von dem Könige aus-
gewiesen ist Hier wurde ihm gesagt, dass sie da eine grosse und
für sie und für die Herren gefährliche Sache auf sich genommen
hätten. Sie hätten das ohne Wissen der Brüder nicht tun sollen.
Er bekannte sich schuldig und versprach es nicht wieder zu tun.*
Herrenhuter Archiv. Foliant X, Bl. 100.
2) Deshalb widersprachen sich in Bezug auf Lismaninos Ge-
schick die Briefe, welche am 14. Oktober in Genf überreicht wurden
Die Differenz, auf welche die Herausgeber der Briefe (O. C. XVI, N. 2745.
Anm. 3) hingewiesen haben, löst sich, sobald das verschiedene Datum
der Schreiben beachtet wird.
Francesco Lismanino. 261
Birnbaum, Meseritz oder Grätz einen Wohnort anbot. Nicht
nur Dankbarkeit gegen Tomicki, der ihm zuerst Gastfreund-
schaft erwiesen hatte, Hess ihn die Einladung ablehnen. Graf
Stanislaus Ostrorog war überzeugter Lutheraner und durch
sein charaktervolles edles Wesen, seine Dienstwilligkeit und
Opferfreudigkeit für die Kirche, nicht minder durch sein
politisches Geschick und seine Familienverbindungen in
den letzten Jahren der Führer seiner Glaubensbrüder in
Gross-Polen geworden, Lismanino aber hing dem Schweizer^ «yL
Lehrjtypns an und hatte in WlodzSlaw und Pelznica Auf-
träge erhalten, die kleinpolnische Kirche noch fester mit
der schweizer zu verknüpfen, ihre Union mit der Brüder-
unität aber, deren Bekenntnis Luther gut geheissen hatte,
möglichst zu lösen. Am 8. August gab er die empfangenen
Briefe zur Beförderung nach der Schweiz weiter, an
seine Frau schrieb er nach Zürich und Hess durch sie
den dortigen Theologen einige Exemplare der Brüder-
konfession, in denen er die dunklen ihm verdächtigen
Stellen angemerkt hatte, überreichen1). Vier Wochen
später schickte er seinen Famulus Stanislaus Budzinski
nach Zürich, dass er seine Frau und sein Söhnchen zu
ihm nach Polen brächte und gab für BuUinger folgende
Zeilen mit:
„Die Apologie der Waldenser, welche ich Dir jetzt
schicke, bedarf der Verbesserung und Prüfung eurer Kirchen
Deshalb bitte ich Dich und aUe Deine Glaubensbrüder im
Namen aUer Frommen hierselbst, dass Ihr ernstlich uns
eure Unterstützung leiht, damit das Hindernis, welches
der Satan dem Ausbau der Kirche in den Weg legt, be-
seitigt werden kann. Ich habe die Stellen, welche der
Prüfung bedürfen, der Sicherheit wegen niedergeschrieben
und dem Stanislaus2) übergeben. Die Anhänger der Augs-
burger Konfession verwerfen die Lehre der Waldenser
auch gegen die Lehre Laskis verhalten sie sich ablehnend.
*) Auskunft hierüber gibt der Brief Tomickis an Ccrwcnka vom
14. Sept. 1556. Hcrrenhuter Archiv. Lissaer Folianten X, Bl. 177.
*) Die Herausgeber der Briefe Calvins denken fälschlich an
Stanislaus Ostrorog, es ist natürlich der Bote Stanislaus Budzinski.
262 Theodor Wotschkc.
Laski wiederum pflichtet den Waldensern nicht in allenr
bei, stimmt auch nicht mit den Anhängern der Augsburger
Konfession überein, wie aus dem Buche „Purgatio mini-
strorum in ecclesiis1) erhellt Die Waldenser aber werden
von ihrem Bekenntnis und ihrer Apologie nicht abgehen,
falls nicht das Urteil der ersten Theologen der Kirche
Gottes, gefällt auf Grund des göttlichen Wortes, ihnen vor-
gelegt wird. Zu ihnen halten sich die ersten Magnaten
und viele vom Adel, sie denken und leben so nach ihrer
Regel, dass sie lieber in die Verbannung gehen würden,
als dass sie sich des Dienstes fremder Geistlichen bedienten
Mir scheint es sehr dienlich zu sein, wenn sobald als
möglich das Urteil eurer Kirchen ihnen vorgelegt werden
könnte. Deshalb schicke ich mehrere Exemplare der
Apologie und zwei, in denen auch die Konfession steht
Tomice, den 8. Sept 1557*.
Von den Verhandlungen der Pinczower Synode vom
10. — 17. August und von der Absicht der Kleinpolen, mit
den Brüdern und Lutheranern in Grosspolen eine gemeinsame
Synode in Goluchow zu halten, ward Lismanino in Tomice
wohl nicht nur durch den Brief Laskis an Stanislaus
Ostrorog unterrichtet, durch seine Hand mögen in jenen
Tagen all die Fäden gegangen sein, die von Kleinpolen
aus gesponnen wurden, um die Lutheraner in der heutigen
Provinz Posen zur reformierten Kirche hinüberzuziehen.
Peter Lanski, der nach Meseritz zog, um dort sein Pfarr-
amt anzutreten, scheint ihm mündliche Aufträge gebracht
zu haben. Aus Prerau in Mähren schrieb ihm Lasocki
von der Geneigtheit der Böhmen, zum 15. Oktober Ab-
geordnete nach Grosspolen zu senden2). Die geplante
Synode kam nicht zustande, als aber die Brüdergesandten
Georg Israel, Paul Drzewicki, Joh. Laurentius und Joh.
Rokyta Ende Oktober und im November die Gemeinden
in Grosspolen visitierten, kamen sie auch nach Tomice und
*) Purgatio ministrorum in ecclesiis peregrinorum FrancofortL
Basileae 1556, die Rechtfertigungsschrift Laskis über die Frankfurter
Kämpfe.
2) Vergl. den Brief Tomickis an Czerwenka vom 14. Sept. 1557.
Francesco Lismanino. 263
stritten hier in Gegenwart des Schlosshern mit Lismanino
in längerer Debatte über ihre Apologie. Lismanino sagte
ihnen frei heraus, das er ihre Schriften zur Prüfimg nach
der Schweiz gesandt hätte, und versprach, die Antwort
der Theologen ihnen zugehen zu lassen. Und als die
Brüder in ihn drangen, ihre eben gegebenen Darlegungen
und Erklärungen der dunklen Stellen in ihrem Glaubens-
bekenntnis gleichfalls nach der Schweiz zu senden, er-
klärte sich Lismanino dazu bereit, falls ihm die' Brüder
dieselben noch schriftlich zusenden würden1).
Unterdessen war Anfang Oktober Stanislaus Bu-
dzinski in Zürich eingetroffen, hatte die Briefe an
Bullinger und Joh. Wolph abgegeben und war von diesen
am 6. Oktober mit dem Studenten Albert Dluski nach
Genf abgeordert worden2). Am 14. traf er daselbst ein
und am 24. antwortete Calvin im Verein mit neun anderen
Genfer Pastoren, am 25. Bullinger, am 26. Pierre Viret in
Lausanne und am 28. Wolfgang Muskulus auf die Briefe Lis-
maninos3). Sie weisen sämtlich das Brüderbekenntnis
zurück, Bullinger und besonders Calvin setzen sich dabei
eingehender mit der Lehre der Brüder vom heiligen Abend-
mahl auseinander. Sie tadeln die undeutliche Fassung
des Lehrstückes, das bald eine Realpräsenz des Leibes
und Blutes Christi im Sakrament anzunehmen scheine,
bald die Einsetzungsworte symbolisch deute.
An Stanislaus Budzinski, der die Gutachten nach
Polen trug und unter vielen Briefen auch ein Schreiben
Bullingers an Utenhoven vom 6. November4) erhielt,
schloss sich in Zürich Lismaninos Gattin Claudia mit
ihrem Söhnchen Paul an. Die Winterzeit verzögerte die
Reise, so dass sie erst um Neujahr nach Stuttgart ge-
kommen zu sein scheinen, wo Vergerio gewiss ihnen
seine Briefe, an Georg Israel und Johann Rokyta vom 28.,
1) Einen Bericht über das Gespräch zu Tomicc gibt ein altes
Manuskript in der Raczynskischen Bibliothek zu Posen.
2) O. C. XVI, N. 2730 und 2731.
2) O. C. XVI, N. 2744—2747.
4) Ecclesiae Londino-Batavae Archivum. Cantabrigiae 1889. H, 73.
Kl
264 Theodor Wotschke.
an die Brüdergemeinde in Soldau vom 31. Dezember
und an den Grafen Stanislaus Ostrorog vom 1. Januar
zur Beförderung mitgegeben hat. In Tomice trafen sie,
von Lismanino sehnsüchtig erwartet, erst Mitte März ein.
Von den Büchern, die sie aus Zürich mitgebracht hatten,
übergab Lismanino einige Schriften seines Freundes
Bernhardino Ochino an den Posener Prediger Eustachius
Trepka mit der Bitte, sie ins Polnische zu übertragen *).
Von seinem Verkehre mit diesem und anderen evan-
gelischen Pfarrern der Provinz Posen wissen wir leider
nichts Näheres, vermuten können wir nur aus ver-
schiedenen Anzeichen, dass er recht rege gewesen sein
wird. Auch den Italienern, die in Posen lebten, mag
Lismanino näher getreten sein, vor allem wohl dem
genialen Baumeister Giovanni Battista di Quadro und dem
Secretär des Grafen Lucas Gorka Paolo Guthzon.
Als im März Laski nach Grosspolen kam und von
hier behufs eines theologischen Colloquiums zu Herzog
Albrecht weiterreiste, als auch Eustachius Trepka im
Auftrage Stanislaus Ostrorogs als Vertreter der gross-
polnischen lutherischen Gemeinden nach Preussen eilte,
hatte Lismanino anfangs die Absicht, sich ihnen anzu-
schliessen. Schon hatte Stanislaus Ostrorog in dem
nahen Grätz für ihn am 21. März einen Empfehlungsbrief
geschrieben, als ihn noch in letzter Stunde eine Ver-
schlimmerung in dem Befinden seiner Frau den Plan
aufgeben Hess. Folgenden Brief sandte er aber durch
Trepka an den Herzog.
„Der achte Monat ist es jetzt, wenn ich nicht irre,
dass ich nach Deutschlands linksrheinischen Gegenden
zurückwandern zu müssen meinte, und damals gedachte
ich Deiner Erlauchtesten Hoheit, welche in einem
l) In meiner Arbeit über Eustachius Trepka (s. o. S. 126)
habe ich es nur als eine Vermutung ausgesprochen, dass Trepka
die Schrift Ochinos von der päpstlichen Obrigkeit von Lismanino
erhalten habe, es ist aber keine blosse Vermutung, denn
Lismanino bezeugte es selbst in der Vorrede zur Traiedya
o Mszey.
Francesco Lismanino. 265
gnädigen Schreiben mir Ihr Wohlwollen bezeugt, mich
auch gütig an Ihren Hof zu kommen eingeladen hatte.
Diesem Rufe zu folgen hat Vergerio in einem Briefe und in
einer freundschaftlichen Unterredung mir warm empfohlen
und auch sonst des öfteren mich ernstlich gemahnt, D,
E. H. aufzusuchen. Aber da ich D. E. H. Briefe zu 'ge-
horchen und des Vergerio Rat zu befolgen beschlossen
hatte, verhinderte plötzlich der Kriegssturm mein Vor-
haben, da unter dem Lärm der Waffen mir bei D. E. H.
keine Zufluchtsstätte zu sein schien. Um damals nicht
durch Fortgang ohne Abschied den Vorwurf der Undank-
barkeit mir zuzuziehen, richtete ich einen Brief an D. E.
Hoheit und schickte einige Homilien eines frommen und
gelehrten Mannes zum Buche Daniel als Zeichen meiner
Ergebenheit gegen D. E. H. in dem Gedanken, mich
endlich geraden Weges zu den Meinigen zu begeben.
Aber wider mein und aller Erwarten ist meine Abreise
durch wirklich göttliche Vorsehung verhindert worden.
Nicht nur ward die Kriegsfackel gelöscht, auch die
Königliche Majestät wurde nach ihrer angeborenen Huld
milder gesinnt und gewährte mir freien Aufenthalt in
ihrem Reiche. Wenn ich einst geächtet und durch weite
Länderstrecken getrennt D. E. H. aufzusuchen beschlossen
habe, so sehe ich jetzt, frei geworden und durch keine
so grosse Entfernung mehr getrennt, keinen Hinderungs-
grund für meinen Plan, zumal ich aus D. E. H. Briefe an
Vergerio, in dem Sie zu schreiben geruht, „dem Francesco
Lismanino öffnen wir unser Herzogtum und, wenn er
kommt, soll er mit den Seinigen nicht hungern und
dürsten," ferner auch aus dem, was der Edelmann
Klaudius von Gran val Gallus1) erzählt hat, von D. E.
H. gnädigem Herzen gegen mich und meine Familie aufs
Beste unterrichtet bin. Und in der Tat hatte ich vor
wenigen Tagen die Absicht, mit dem Rate D. E. H., dem
ehrenwerten Trepka, und dem ausgezeichneten Herrn
Joh. Laski zu reisen, aber die Krankheit meiner Gattin,
!) Näheres konnte ich über diesen ! Edelmann und seine Be-
gegnung mit Lismanino leider nicht ermitteln.
f,
266 Theodor Wotschke.
welche schon im zweiten Jahre an einer procidentia
matricis leidet, zwang mich die Reise so lange aufzu-
schieben, bis meine Frau durch die Bemühung einer er-
fahrenen Frau wieder hergestellt ist. Die Behandlung
eines Arztes weisen Frauen bei Leiden dieser Art zurück.
Lebe wohl, erlauchtester Fürst. Der Herr Jesus über-
schütte D. E. H. mit Segen aller Art. Tomice, den
21. März 1558* *).
Was zwischen dem Herzog Albrecht, Trepka und
Laski über Lismanino verhandelt wurde, entzieht sich
unserer Kenntnis. Als Trepka am 22. April von Königs-
berg aufbrach, erhielt er für Lismanino folgendes inhalts-
leeres Schreiben:
„Würdiger, aufrichtig Geliebter! Euren den 21. März
geschriebenen Brief haben wir empfangen und beantworten
ihn, da wir uns zur Reise anschicken, in Kürze. Wir be-
dauern Euer Hochwürden, dass Sie durch Widerwärtig-
keiten und Unannehmlichkeiten behindert waren, zu uns zu
kommen und wünschen, dass Gott der Herr Euer Hoch-
würden von diesen Hindernissen befreie. Von uns mögen
E. H. die Überzeugung haben, dass wir gegen Sie dieselbe
Gesinnung hegen, wie ehedem, was wir auch durch die
That, soweit es unsere Verhältnisse erlauben, bezeugen
werden. Wir stellen es ganz E. H. Belieben anheim, uns
zu besuchen112).
Die Sommermonate blieb Lismanino noch in Tomice,
nur zeitweise scheint er nach Grätz zu Stanislaus Ostrorog
übergesiedelt zu sein8). Wie Laski, Utenhoven, sehen wir
auch ihn aufs eifrigste bemüht, den edlen Magnaten für
die reformierte Prägung der evangelischen Erkenntnis zu
gewinnen. Als Laskis Famulus Sebastian Pech mit vier
polnischen Jünglingen aus edlen Familien im August durch
Grosspolen zog, um sie der weltberühmten Sturmschen
*) Königliches Staatsarchiv in Königsberg.
?) Königliches Staatsarchiv in Königsberg.
3) Als Johann Tomicki von Tomice aus am 3. Nov. 1557 ein
Dankschreiben für übersandte Falken an Herzog Albrecht richtet,
erwähnt er seinen Gastfreund mit keinem Wort.
Francesco Lismanino. 267
Schule in Strassburg zuzuführen, gab Lismanino ihm nicht
nur in Ostrorogs Namen einen Empfehlungsbrief für den
jungen Studenten Christoph Bradzki an Girolamo Zanchi
mit, sondern bat diesen auch, durch einen Brief im re-
formierten Sinne auf Ostrorog einzuwirken; eine ähnliche
Aufforderung richtete er durch Johann Luzinski, der am
7. September von der Wlodzislawer Synode für die Söhne der
Edelfrau Dluska nach Genf abgeordert war, auch an Calvin.
Allein die Posener Septembersynode — ob sich Lismanino
an ihr beteiligt hat, ist ungewiss — , auf der unter Ostro-
rogs und Trepkas Leitung die Vorstösse der Reformierten
zurückgewiesen und die Augsburger Konfession feierlich
bekannt wurde, musste ihm das Vergebliche aller Be-
mühungen in dieser Richtung zeigen und ihm das Posener
Land verleiden. Dazu kam die Nachricht, dass sein Freund
Lelio Sozini in Kleinpolen eingetroffen sei. Im Herbst
verliess er deshalb nach ^jährigem Aufenthalte unsere
Provinz. Als am 28. Oktober und 28. November Bullinger
an Utenhoven schreibt, vermutet er ihn bereits in dessen
und Laskis Nähe; seinen Schreiben fügt er Grüsse an
Lismanino und Sozini bei1). Gern wüssten wir etwas
Näheres über den Gedankenaustausch der beiden Italiener,
von denen der letztere durch die seinem Neffen einge-
flösste Geistesrichtung einer Theologenschule, ja einer Kirche
den Namen hat leihen müssen, aber ich kenne hier keine
andere Nachricht, als das Bruchstück jenes italienischen
Briefes, den Lismanino von Pelznica aus am 10. März 1559
an Wolph in Zürich richtete. „Über den Stand der Re-
ligion wird unser Lelio, der in Wahrheit ein zweites Füll-
l) Schon am 1. Dezember 1567 schrieb für Sozini Melanchthon In
Worms Empfehlungsbriefe an den König von Polen, an König Maxi-
milian und seinen evangelischen Hofprediger Pfauser. Am 22. Mai
1558 empfiehlt ihn Calvin an Nikolaus Radziwill, am 25. Juni Bnl.
linger an Laski; in der zweiten Hälfte des Juli ist Sozini bereits in
Tübingen, wo er mit Verger und Paul Scalich zusammentrifft.
Dieser gibt ihm am 27. Juli einen Empfehlungsbrief an König Maxi-
milian, den er in Graz überreicht; er wird vom Könige dort am
21. September an Nikolaus Radziwill weiterempfohlen. Den noch
ungedruckten Empfehlungsbrief bewahrt die Raczynskische Bibliothek
2Ö8 Theodor Wotschke.
horn (?) ist, berichten nicht nur, was man thut, sondern
vermöge seines Scharfsinnes auch (Du kennst den Mann),,
was man denkt. Er ist bei allen Verhandlungen zugegen
gewesen und hat mit vielen Grossen so freundschaftlich
verkehrt, dass er über alles unterrichtet ist"
Auch den Arzt Georg Blandrata, der Frühjahr 1558
Genf verlassen hatte, nach Kleinpolen gekommen und von
Laski ehrenvoll aufgenommen war, traf Lismanino bei
seiner Rückkehr in derMitte seiner kleinpolnischen Freunde.
Zweifellos kannten sich beide Männer seit den vierziger
Jahren, da Blandrata Leibarzt der Königin Bona gewesen
war, jetzt wusste dieser durch sein gewinnendes, liebens-
würdiges, fesselndes Wesen wie schon Laski sich Lismanino
um so mehr zum Freunde zu machen, da er ihn hoffen
liess, ihn von seinem epileptischen Leiden, das ihn seit
seiner Kindheit quälte, in den beiden letzten Jahren be-
sonders schwer heimgesucht, und nur im letzten Sommer
ganz vorübergehend eine Besserung gezeigt hatte, zu be-
freien1). Wohl erhielt er Januar 1559 durch Johann Luzinski
ein Schreiben Calvins vom 19. November des vergangenen
Jahres eingehändigt, in dem der Genfer Reformator ihn
vor dem Monstrum Blandrata, das mit Schlangenklugheit
unter dem Schein der Aufrichtigkeit blasphemisch anti-
trinitarische Lehre verfechte, warnte, aber seine vorgefasste
günstige Meinung über seinen italienischen Landsmann liess
er sich nicht mehr nehmen. Er bat i *m um näheren Bericht
über seine Verhandlungen mitCalviü und seine theologischen
Anschauungen und konnte nichts Häretisches in ihnen
finden, meinte vielmehr, nur die kirchliche Formulierung
des trinitarischen Dogmas, nicht der Lehrsatz selbst wecke
in ihm Bedenken. Die Worte der Verehrung und An-
erkennung, in denen Blandrata von Calvin sprach, gaben
!) VergLCalvin-Lismanino 19. Nov. 1558(0.0. XVII, N. 3981). „Mor-
bus tuus nos sollicitos tenuit, quo nunc hilarius sanitatem tibi redditam
gratulor" und was Sebastian Pech Vcrmigli erzählte und dieser am
10. April 1559 nach Genf berichtete: „Significavit medicum Blandratam
sese in amicitiam N. N. insinuasse praetextu medicinam faciendi eius
inveterato morbo . . . Literas ad N. N. dedi, quibus hominem suis
coloribus pinxi, eius ingenium et errorcs prodidi*. O. C. XVII, N. 304a.
Francesco Lismanino. 269
ihm die Ueberzeugung, dass der Reformator vorschnell
über seinen Landsmann abgeurteilt habe, und dass es nur
eines Einlenkens von ihm bedürfe, um den Zwiespalt auf-
zuheben und das Fortwuchern anticalvinischer Tendenzen
zu verhindern. In seinem Auftrage schrieb deshalb am
1. Februar Petrus Statorius aus Pinczow an Calvin, wahr-
scheinlich auch er selbst durch Sebastian Pech nach Genf
und bat den Reformator um einige freundliche verbindliche
Zeilen an Blandrata. Als im Sommer Vermigli, der durch
Pech von der ehrenvollen Aufnahme Blandratas in Klein-
polen gehört hatte, einen neuen Warnungsruf an Lisma-
nino richtete, war seine Freundschaft und Zuneigung schon
so tief gegründet, dass sie durch die Bedenken der alten
Freunde nicht mehr entwurzelt werden konnte.
Am 13. März wohnte Lismanino der Synode in
Pinczow bei und wurde hier nebst Laski, Cruciger, Gregorius
Paulus, Lutomirski und Sarnicki zur Kommission gewählt,
welche die confessio fidei catholicae des Bischofs Hosius
durchsehen und widerlegen sollte. Als Tag der ge-
meinsamen Prüfung wurde der 29. März, als Ort der Zu-
sammenkunft Dembiany unfern Pinczow bestimmt1). Da im
folgenden Sommer der König die Acht ganz aufhob, konnte
Lismanino endlich eine feste Beschäftigung und einen
ständigen Wohnsitz erhalten. Als Superintendent war
er vor zwei Jahren berufen, und man dachte damals
daran, ihn neben Cruciger zu stellen und ihm die Auf-
sicht über sämtliche kleinpolnische Geistlichen zu über-
tragen. Die wachsende nationale Empfindlichkeit gegen
die Fremden, besonders gegen die Italiener Hess dies jetzt
nicht zur Ausführung kommen, doch wurde ihm die In-
spektion über die Kirchen des Pinczower Distriktes über-
wiesen, und die Pinczower Schule ihm unterstellt. Als
Wohnung erhielt er dasErdgeschoss des Pinczower Klosters,
in dem Johann Laski das erste Stockwerk inne hatte.
Die Schule, welche bis dahin in diesen nicht sehr grossen
Räumen untergebracht war, ward nach der Kirche verlegt
1) Sand: Bibliotheca S. 193. Dalton: Lasciana.
270 Theodor Wotschke.
Anstelle der Besoldung gewährte der Grundherr Nikolaus
Olesnicki Lismanino die Nutzniessung eines Teiles des
früheren Klosterackers1).
Nur kurz sollten die Wochen ruhiger, ungestörter
Arbeit in der Gemeinde und Schule zu Pinczow sein,
kaum hatte sie begonnen, so wurde Lismanino in einen
Streit hineingerissen, der sein ganzes ferneres Leben ver-
bittern, ihm Mühe und Verdruss, Verleumdungen und An-
feindungen sonder Zahl bringen sollte. Wohl noch im Mai
1559 war Francesco Stancaro2) aus Siebenbürgen nach
Polen zurückgekehrt und hatte den Pinczower Drucker
Daniel aus Lenschitz veranlasst, seine Schrift wider Me-
lanchthon zu drucken. Die Wlodzislawer Generalsynode
hatte am 29. Juni Daniel deshalb zur Rechenschaft ge-
zogen, Grund genug für den zornwütigen Stancaro, um
mit wüsten Schimpfereien über die Synode und ihre Wort-
führer Laski und Lismanino herzufallen8). Sein gross-
l) Ecclesiae Londino-Batavac Archivuni II, S. 118.
*) Leider besitzen wir noch keine Biographie dieses händel-
süchtigen Italieners; so unsympathisch er ist, wäre eine gründliche
Erforschung seines Lebens und Wirkens im Interesse der polnischen
Reformationsgeschichte dringend zu wünschen. Ich will hier auf
eine Schrift Stancaros und auf eine aus der Feder eines seiner
Anhänger aufmerksam machen, deren Stancaro einmal gelegentlich
gedenkt. „Quod cum animadvertissem, coepi ministrorum primates
partim ore partim epistolis admonere, ut ab incoepto nefario de-
sisterent, ut in historia de autoribus controversiae in causa religionis
in Polonia ortae descripsi. Utinam et quidam generosus nobilis, cui
haec omnia perspecta sunt, librum suum in lingua Polonica scriptum
in lucem ederet Ille enim totam causam diligentissime et fidelissime
descripsit et causam meam iustificat. Fraudes praeterea, imposturas,
maliciam, nequitiam et calumnias, quibus haereses in Polonia planta
verunt, succincte complexus est; nam omnes illorum technas novit"
3) Petrus Statorius: „Brevis Apologia ad diluendas Stancari
cuiusdam calumnias, quibus ipsum privatim Statorium, publice autem
universam Christi ecclesiam obruere conatus est" nach Sand 1560
erschienen: „Quid de Stancaro dicam! cum arrogantissime et impu-
dentissime synodum Vladislaviensem te (sit honor auribus) percacare
professus es? cum ecclesiarum nostrarum superintendentem canem
vocares, cum clarissimos viros d. Ioannem a Lasco et Franciscum
Lismaninum principes sacerdotum nominares dignosque esse diceres,
qui anserum gregibus praeficiantur".
Francesco Lismanino. 271
sprecherisches Wesen, sein sicheres Auftreten, die Plero-
phorie seiner Sprache gewannen ihm in den Kreisen des
Adels und der Geistlichen verschiedene Anhänger. Es
war nicht sowohl die positive Seite seiner Lehre, dass
Christus nur nach seiner Menschheit unser Mittler sei,
welche Beifall fand, als seine Kritik des entgegenstehenden
recipierten Dogmas, das er arianisch, eutychianisch, apol-
linaristisch und manichäisch schmähte. Schon waren die
kleinpolnischen Gemeinden von Unitariern beunruhigt, die
Pinczower Synode am 25. April 1559 hatte sich gezwungen
gesehen, zum Schutz gegen die um sich greifende anti-
trinitarische Häresie für die Geistlichen ein Glaubens-
examen anzuordnen1), und nun dieser neue Zwist! Vor
allem galt es zwischen Stancaro und der Kirche die Grenz-
linien zu ziehen und deshalb ein Glaubensbekenntnis über
die Mittlerschaft Christi aufzustellen. Laski und Lismanino
arbeiteten es aus, und der Synode zu Pinczow sollte es
-zur Annahme vorgelegt werden. Am 7. August trat sie
zusammen, am folgenden Tage stellte sich Stancaro ein
und forderte zur öffentlichen Disputation heraus. In die
Kirche, wo die Synode tagte, liess er einen Tisch stellen,
legte auf ihn die mitgebrachten Bücher der Kirchenväter,
stellte sich hinter dieselben und reizte mit Wort und
Mienen die Anwesenden zum Wortgefechte. Mit Rück-
sicht auf das Staatsgesetz, das eine öffentliche Disputation
von der Erlaubnis des Königs abhängig machte, in Er-
wägung, dass die Lehre Stancaros bereits von Melanchthon
verurteilt sei und dass eine Disputation ohne sichere
schriftliche, vorher bekannt gegebene Grundlage ergebnis-
los sein würde, ward sie abgelehnt Die Kleinpolen ver-
lasen ihr Glaubensbekenntnis und forderten Stancaro auf,
gleichfalls eine Konfession aufzustellen. Er weigerte sich
dessen, überreichte aber schliesslich der Synode seine
Streitschriften wider Melanchthon. Mit Berücksichtigung
derselben wurde durch Laski und Lismanino das vorher
ausgearbeitete Bekenntnis entweder noch einmal durchs
') Dalton: Lasciana S. 473 und Sand: Bibliotheca 184.
272 Theodor Wotschke.
gesehen, an verschiedenen Stellen gekürzt oder ein ganr
neues kürzeres Bekenntnis aufgestellt, das am 19. August
unter Beigabe der Briefe und Gutachten Pietro Martires
sowie der Lausanner und Züricher Kirche, welche Lisma-
nino im April 1556 überbracht hatte, veröffentlicht wurde l).
Durch sein herausforderndes grosssprecherisches Wesen
wusste aber Stancaro am folgenden Tage die Synode wider
ihre Absicht zu einer Disputation zu zwingen; neben
anderen scheint auch Lismanino gegen ihn das Wort er-
griffen, aber gegen den zornwütigen sich heiser schreienden
Mann nicht glücklich gestritten zu haben. Natürlich führte
das Wortgefecht zu keinem Ergebnis. Lismanino erhielt
den Auftrag, im Namen der Kleinpolen an Melanchthon
und Georg Major nach Wittenberg, sowie an die Schweizer
Bullinger, Martire Vermigli, Calvin und Beza2) zu schreiben,
ihnen von Stancaros Auftreten zu berichten und ihr Urteil
über seine Lehre und ihren Rat betreffs des Kampfes wider
ihn einzuholen. Der bewährte Bote Sebastian Pech, der
erst vor wenigen Wochen aus der Schweiz zurückgekehrt
war, sollte die Briefe überbringen. Leider haben sie sich,
die eine wertvolle Quelle für die Verhandlungen in Pin-
czow und gewiss auch für den theologischen Standpunkt
Lismaninos sein würden, nicht erhalten. Stancaro gelange
es durch seine Anhänger eine Abschrift des Briefes an
Melanchthon in die Hand zu bekommen, und da er sich
darin den alten Schurken aus Mantua, seine Lehre eine
greuliche Missgeburt genannt fand8), verfolgte er Lisma-
i) O. C. XVII, N. 3098. Petrus Statorius am 20. August an Calvin :
„Heri infrequenti coetu confessionem fidei nostrae de mediatore scripta
edidimus confirmatam verbo dei primum, deinde vctustissimorum
patrum sententiis, postremo conciliis et Tigurinae Lausannensisque
ecclesiae ac d. Petri Martyris litcris, quas ante triennium Lismaninus
attulerat."
2) Wengierski: Systema ecclesiarum Slavonicarum S. 84.
3) „Franciscus Lysmaninus superintendens tunc in Pinczov con»
stitutus ad Melanchthonem de actis Pinczoviae celebratis scribens sie
ait inter caetera: Is igitur nuntius cum fideliter tum sedulo referet
omnia (eius litterae sunt apud me), quae cum tuo illo veteri mastige
Mantuano (de me Stancaro intelligit!) hie egimus, cum in nostras
Francesco Lismanino. 273
nino fortan mit dem unversöhnlichsten Hass, den nicht
einmal dessen trauriges Lebensende mildern konnte.
Die zweite Synode gegen Stancaro am 20. September
zu Pinczow beschloss eine Neubearbeitung der Konfession1)'
über den Mittler und übertrug sie Laski und Lismanino.
Da jener Pinczow verlassen und nach dem nahen Dembiany
gezogen war, sollte auch dieser sich dorthin begeben.
Gern hätten sie die Antwort der Schweizer bei ihrer
Arbeit zur Hand gehabt; da sie sich aber verzögerte, —
am 7. Dezember war Sebastian Pech auf der Rückreise
noch in Frankfurt a. M. — stellten sie das Bekenntnis fertig,
ohne der Schweizer Gutachten abzuwarten. Da Laski
fort und fort kränkelte, fiel der grössere Teil der Arbeit
Lismanino zu, durch ihn mag auch jener Einfluss Blandratas,
der in dem Bekenntnis sich bemerkbar macht, vermittelt
sein2). Dass Christus nach seiner göttlichen Natur Mittler
sei, wird durch die Erwägung zu erweisen gesucht, dass
er von Ewigkeit her Mittler sei, schon vor seiner Mensch-
ecclesias illud suum de Carneo Mediatore portentum invehere ma-
nibus pedibusque niteretur." Vergl. Stancarus: Libri duo, quorum
primus est apologia S. h. Im Corpus Reformatorum fehlt der Brief.
*) Leider ist uns keine der Konfessionen erhalten; nach Sar-
nicki (O. C. XDC, Nr. 3877) wäre das Bekenntnis, welches 1561 zuPinczow
gedruckt wurde, aus der Hand Laskis. Vorausgesetzt dass es wirklich
nur dessen Werk war, welche Gestalt der oft geänderten Konfession
stellte es dar? Vergl. Stancarus : De Trinitate et Mediatore. Cracoviae
in officina Scharffenbergiana 1562. S. Eiiij : „Bullingerus et Martyr, cum
approbent Pinczovianorum confessionem de trinitate et incamatione
et de mediatore Christo domino, notam haereticorum nunquam fugere
potuerunt, sive enim illam longam confessionem, quam 8. August*
in synodo illa ter maledicta Pinczoviani ad 8 horas legerunt sive illam
parvam (multas confessiones scripserunt et impresserunt Pinczoviani,
ut in historia scribo), quam tribus baccalaureis dederunt, ad Helvetios,
id est Tigurinos, miserunt.
2) Allerdings hat Blandrata im Herbst 1559 nicht inmitten seiner
kleinpolnischen Freunde geweilt, sondern am Kranken- und Sterbe-
bette der Königin Isabella von Ungarn. In der Blandrata -Literatur
nirgends verzeichnet finde ich zwei mir vorliegende Briefe Blandratas
über die Krankheit der Königin und ein Prognostikon aus seiner
Hand; in letzterem trägt ein Kapitel die Überschrift „Aliquot
serenissimae reginae Ungariae mortis portenta".
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Prov. Posen. Jahrg. XVIII. 18
274 Theodor Wotschkc.
werdung die Erhörung der Gebete vermittelt habe, eine
Argumentation, deren Gentile, Blandrata und andere
Antitrinitarier schon vor zwei Jahren in Genf sich be-
dient hatten, um die Minorität des Sohnes darzutun, da
im Wesen des Mittlers liege, dass er weniger als der
Vater sei, und die im folgenden Sommer Calvin deshalb
aus dem kleinpolnischen Bekenntnis entfernt wissen
wollte1). In Verbindung mit Laski veranlasste Lismanino
noch im Herbst den Druck zweier antistancarischer
Schriften, der des Philipp Melanchthon und des Klausen-
burger Predigers Kaspar HeltaL Am 8. Januar 1561 starb
Laski. Sein Tod gab Lismanino die fahrende Stellung in
der kleinpolnischen evangelischen Kirche, seinen Namen
bringen die Synodalprotokolle an erster Stelle, auf der
Januarsynode zu Pinczow wird ihm, dem theologisch am
besten geschulten, die Konfession des Parteigängers des
l) Calvin an Lusinski in Krakau unter dem 9. Juni 1560 (O. C.
XVII, Nr. 3208). „Porro nostra responsio vos commonefaciet nobis non
probari, quod de aeterno Christi sacerdotio scribitis, ac si prineipio
careret, quando sacerdos non minus quam reconciliator creatus est.
Quare si nostro consilio obtemperatis, aliquid in ea parte mutandum
erit, ne ansam calumniandi in de hostis arripiat*. Lismanino ist dem
Wunsche Calvins nur z. T. nachgekommen; vergl. Stancarus: De
trinitate S. Q. „Pinczoviani in confessione parva, quam dederunt
tribus baccalaureis, aperte profitentur haec de mediatore: „Quod
quemadmodum sacerdotium Christi neque prineipium neque finem
habet ullum ac proinde sacrificium quoque eins, quod ad vim effi-
catiamque illius salutarem attinet. Estque aeternum prorsus sine
prineipio et fine et officium eiusdem ipsius mediatoris nostri44. In
confessione vero illa magna et longa, quam hoc anno 1561 Pinczoviae
aediderunt, sie scribunt pagina prima: „Quemadmodum autem
officio hoc ab ipso mox mundi initio funetus est filius Dei, ita et
nunc et saeculi usque consumationem in eo ipso mediatoris officio
perstat44. Hie dieunt filium Dei mediatorem fuisse tantum ab initio
mundi et futurum quoque usque ad finem saeculi, non autem ex
aeterno, hoc est, sine prineipio et sine fine44. Die Züricher haben
dagegen der ersten kleinpolnischen Konfession voll zugestimmt:
„facile intelligitis nobis displicere non posse confessionem iiiam
vestram missam ad nos de mediatore scriptam. Pergite sie docere
ecclesias vestrae fidei creditas ac Stancarum cum seetariis similibus
avertere ab eis".
Francesco Lismanino. 275
Stancaro Gregor Orsatius übergeben, er vertritt diesem
und dem Peripatetiker Christoph Przechadzka aus Lem-
berg gegenüber die kirchliche Lehre, in seine Hände wird
die Geldsammlung für Laskis Witwe gelegt Zu der
Grabrede, welche Petrus Statorius zur Beisetzungsfeier
Laskis am 29. Januar hielt, und die bald darauf durch
den Drucker Daniel veröffentlicht wurde, schrieb er das
Vorwort, auch besorgte er die Drucklegung des kürzeren
Bekenntnisses vom Mittler1). Ferner veröffentlichte er eine
polnische Übersetzimg der italienischen Streitschrift seines
Freundes Ochino wider die römische Messe. Sie führt den
Titel2) Bernardyna Ochina z Seny: Traiedy a o Mszey, z kthorey
kazdy snadnie wyrozumiec mo£e, pocz^tek y wszelaka,
iey sprawQ: y co o prawdziwey wieczerzey Panskiey
wtasnie kaidy wiedzied ma. Drukowano w Pinczowie
w Drukarni Danielowey. Roku 15608). Wie das Pinczow,
den 6. Februar 1560 datierte Vorwort zeigt, hat Lismanino
die Übersetzung seinem hohen Gönner Nikolaus Radziwill
zum Dank für die ihm erwiesene Huld gewidmet. Die
Unterschrift seines vierjährigen Söhnchens Paul tragen
18 lateinische Verse, welche sich an den polnischen
Leser wenden.
Im Februar, als Lismanino an die Ausgabe dieser
polnischen Übersetzimg die letzte Feile anlegte, traf
Sebastian Pech mit den Briefen der Schweizer in Pinczow
ein. Sie waren sehr kurz gehalten, da Bullinger wie die
anderen Theologen den reizbaren Stancaro kannten und
in der Hoffnung auf eine noch mögliche friedliche Schlich-
tung des Streites den Riss nicht grösser machen wollten.
*) Bock I, 913. In clarissimi viri dn. Joannis a Lasco Poloniae
baronis obitum funebris oratio conscripta et habita a Petro Statorio.
Impressa Pinczoviae in officina Dan. Lancicü. A. 1560. Pracfixa est
brevis dcdicatio scripta a Franc. Lismanino.
*) Ich kenne das Buch nur aus Jocher: „Obraz", Wilna 1840
HI Nr. 9759, der auch einen Teil der Widmung abdruckt.
8) Bernardino Ochino von Siena: Tragödie von der Messe,
aus welcher jeder ihre Entstehung und ihren Inhalt lernen kann,
und was vom heiligen Abendmahl jeder wissen muss. Im Bache
<üe genauere Angabe. Gedruckt in Pinczow, den 11. April 1560.
18*
276 Theodor Wotschke.
Als Lismanino sie in Kleinpolen unter den Geistlichen
und Herren verbreiten Hess, verdächtigte ihn Stancaro-
als Fälscher1), da die Schweizer anders geantwortet, vor
allem über diese, hochwichtige Frage sich ausführlicher
ausgelassen haben würden. Lismanino und Cruciger sahen
sich veranlasst, sofort eine neue Gesandtschaft — Silnicki *)
und einige andere polnische Edelleute, die sich freiwillig
der Kirche zur Verfügung stellten — nach der Schweiz
zu senden; sie sollte die kleinpolnische Konfession über-
reichen, um ihre Beurteilung und um ausführlichere Be-
weise wider Stancaro bitten. Statorius gab heimlich
den Boten einen leider nicht mehr erhaltenen Brief an
Calvin mit, in dem er sein für Blandrata eintretendes
Schreiben vom 1. Februar vorigen Jahres entschuldigte,
Lismanino für dasselbe verantwortlich machte und dadurch
die Verstimmung, die den Genfer Reformator seit dem
Berichte des Sebastian Pech, April 1559, wider diesen
beherrschte, steigerte. Am 27. Mai8) antwortet im Namen
der Züricher Martire, auf den sich Stancaro besonders
*) Lusinski, Krakau, den 14. März 1560 an Calvin : „hie vestra
opera erit opus, ut nos contra hunc virulentum hominem iuvetis, sed
amplioribus scriptis, quam nunc per Sebastianum fecistis, qui non
credit a vobis illa scripta exivisse et mirabiliter cälumniatur, quasi
nos vestro nomine illa edidissemus. Quid, inquit, illi boni viri tarn
breviter scriberent?"
2) Da sein Name in der polnischen Reformationsgeschichte
ganz unbekannt ist, erwähne ich, dass er als Stanislaus Nicolai
Szylnyeszki dioc. Cracov. am 21. Oktober 1544 an der Krakauer
Universität immatrikuliert worden ist. Sein Bruder führte die Re-
formation in Potok in Kleinpolen ein.
3) So Jocher II Nr. 3337 bei Beschreibung des Buches : Epistolae
duae ad ecclesias polonicas Jesu Christi evangelium amplexas scriptae
a Tigurinae ecclesiae ministris de negotio Stancariano etc. Tigurini
apud Ch. Froschover 1561. Nach Haller wären die Boten aber erst
am 1. Juni, am Sonnabend vor Pfingsten, nach Zürich gekommen.
O.C.XVTI Nr. 321 1 Anm. „Calendis Junii, quae erat vigilia Pentecostes,
venerum huc quidam Poloni nobiles afferentes nobis a domino Fran-
cisco Lysmanino et aliis ex Polonia literas et scripta quaedam contra
Franc. Stancarum Mantuanum ecclesias Polonias novo dogmate tur-
bulantem. Petebant illi nostrum calculum".
Francesco Lismanino. 277
berufen hatte, durch einen Brief an Felix Cruciger, am
9. Juni die Genfer, letztere nicht nur durch Briefe, sondern
auch durch eine längere dogmatische Abhandlung. Unbe-
kannte Gründe verzögerten die Abreise Silnickis um
einige Wochen, sodass er Ende Juni in Genf noch mit
dem Brüderboten Herbert, der Calvin um Änderung seiner
von Laski und Lismanino vor drei Jahren erbetenen und
erhaltenen ungünstigen Beurteilung der Brüderkonfession
bitten sollte, zusammentraf.
Unterdessen war auf dem Seniorenkonvent zu Wlod-
zislaw am 28. Mai von den Kleinpolen eine Generalsynode
zu Xions in Kleinpolen für den 15. September beschlossen
und am 13. Juni die Einladung dazu an die Brüder in
Böhmen, an die Lutheraner in Grosspolen, an die kujawische,
lithauische und russische evangelische Kirche abgegangen.
Die beiden Gesandten der böhmischen Brüder Johann
Lorenz und Johann Rokyta reichten Lismanino sein
Glaubensbekenntnis, welches er am 15. Juni 1557 zu
Pelznica Wenzel Cech und eben diesem Lorenz für die
Senioren zur Durchsicht gegeben hatte, zurück. Cerwenka
hatte ein kurzes zustimmendes Urteil darunter gesetzt
und die Konfession mit seinem Namen unterzeichnet.
Wie schon die Abgeordneten für die nicht zustande ge-
kommene Synode zu Goluchow Oktober 1557 die Wei-
sung erhalten hatten, so baten auch jetzt die Brüder
Lismanino, die Verzögerung der Prüfung und der Zustel-
lung entschuldigen zu wollen1). Die Synode gab Lisma-
ninos Stellung an der Spitze der Kirche eine offizielle
Geltung, indem sie ihn am 15. September neben Bland-
rata zum Senior wählte, während Felix Cruciger die
Bischofs- oder Superintendentenwürde vorbehalten blieb.
Auch seine pekuniär drückende Lage suchte man ab-
zustellen. Von den vier Jahren, da er in Polen unter
den Evangelischen lebte, hatte er nur in den letzten Mo-
naten die bescheidenen Einkünfte eines Teils des Pin-
*) Vergl. hierzu und zu dem Folgenden Lissaer Foliant X
Bl. 151 ff.
278 Theodor Wotschke.
czower Klosterackers gehabt, sonst von freien Spende»
und dem, was befreundete Edelleute ihm liehen, leben
müssen. Da er zudem von der Zeit seiner hohen und
ertragreichen hierarchischen Stellung ein behagliches
Leben gewöhnt war, war er tief in Schulden geraten y
man schätzte sie auf 1000 Gulden. Schon die Pinczower
Synode hatte am 6. Mai 1560 mit der pekuniären Lage
Lismaninos sich beschäftigt und Georg Blandrata nach
Wilna abgeordert, um für ihn die Unterstützung Radziwills
zu erbitten. Derselbe erklärte sich auch durch Briefe
und mündliche Zusage, die Blandrata Montag, den 16.
September übermittelte, bereit, ihm ein Jahrgeld von 100
Gulden zu zahlen. Da die Kleinpolen ihn aber zugleich
um Unterstützung ihres Pinczower Gymnasiums angegan-
gen hatten, knüpfte er an das Jahrgeld die Bedingung,
dass Lismanino das theologische Lehramt an der Schule
übernehme. Als Zeichen seines Dankes für die Widmung
der Tragödie der Messe sandte er 60 Gulden. Natürlich
genügte dies bei den zerrütteten Vermögensverhältnissen
in keiner Weise. Am folgenden Tage Hess Lismanino
deshalb der Synode eine Bittschrift zugehen, die sein
alter Freund Andreas Trzycieski der Versammlung vorlas.
In ihr führte er aus, er sei auf allgemeinen Beschluss aus der
Schweiz für die polnische Kirche berufen, lebe schon über
vier Jahre in Polen und habe weder eine ordentliche Woh-
nung noch ein ausreichendes Einkommen erhalten, trotz aller
Versprechungen sei bisher wenig für ihn getan. Seine
Schuldenlast sei deshalb nicht klein, und er wisse nicht,,
wovon er leben solle; für die Zukunft bitte er um or-
dentliche Versorgung, für den Augenblick um Vorschuss.
Aus den langen Reden, die im Anschluss an diese Bitt-
schrift von den anwesenden Herren gehalten wurden,,
konnte Lismanino die alte Wahrheit ersehen, dass
auch die Freundeshand sich nur widerwillig dem Hilfe-
suchenden öffnet. Man fragte, wer im Namen der ganzen
Kirche ihn gerufen habe, und die Geistlichen, vor allem
Cruciger, schwiegen und wagten nicht, für den Bruder
einzutreten. „Wenn ihr ihn gerufen habt, so helft ihr
Francesco Lisraanino. 279
ihm mit eurem Gelde", herrschten die Edelleute die
Geistlichen an, sammelten aber schliesslich unter sich.
Des Stancaro Freund H. Ossolinski hatte am unwilligsten
gesprochen, als er nun 20 Gulden reichte, bemerkte einer
der Edelleute: „Das gibt er nicht gerne". Da sprang der
reizbare herrische Schlachzize auf und griff unter einem
Fluch nach dem Schwert, und nur mit Mühe konnten
seine Freunde ihn beschwichtigen. Die Sammlung, zu
der die Geistlichen und die beiden Brüderboten auch
beisteuerten, ergab 161 Taler.
Noch vor der Synode war Silnicki mit den Briefen
der Schweizer und der dogmatischen Abhandlung Calvins
wider Stancaro in Kleinpolen eingetroffen. Lismanino
hatte für ihre Verbreitung gesorgt, und auf der Synode
Hess Cruciger sie verlesen, auch berichtete Silnicki der
Versammlung von seiner Reise; einem eventuellen Rufe
der Edelleute nach Polen zur Bekämpfung Stancaros
würden Martire, Viret und Beza Folge leisten. Die Herren
scheuten indessen die Kosten und sprachen sich über
Silnickis Versuch, Schweizer Theologen nach Kleinpolen
zu ziehen, wenig erfreut aus. Da Stancaro wieder die
freche Lüge aussprengte, Briefe und Schriften seien
von Petrus Statorius und Blandrata gefälscht1), den Genfer
Theologen von neuem für sich in Anspruch nahm und
aus seinen Schriften Beweisstellen für seine Lehre zusam-
mentrug, da auch seine Patrone ihn nicht fallen lassen
wollten, sondern in Verbindung mit ihm seinen Schüler
Christoph Przechadzkamit dem Beinamen „der Peripatetiker"
aus Lemberg nach Genf abzuordern beschlossen, wandten
x) Stancarus: DeTrinitate S. Lij: „Sero intellexi, Calvine, doctri-
nam meam a te in priori tuo ad Polonos scripto damnatam esse.
Fatcor quidem me illud scriptum anno superiore a Pinczovianis
aeditum legisse atqne hoc, quod nunc scribis, vidisse, sed tarnen a te
profectum non credidisse. Imo constanter quibusdam doctis affir-
mabam illud scriptum non esse tuum sed Petri Galli et Blandratae.
Diccbam enim Calvinum virum doctum tot blasphemias, tot errores,
tot contradictiones, tot consequentias falsas et demum Arianam et
Eutychianam haereses scribere non potuisse, sed hoc a praedictis
Pinczovianis sub nomine Calvini fictum esse et aeditum esse".
a8o Theodor Wotschke.
sich auch die kleinpolnischen Theologen von neuem an die
Schweizer und baten um ihre Hülfe. Vom i. October
ist der Brief des Gregorius Pauli datiert1), um dieselbe
Zeit schrieb ' auch Lismanino 2). Merkurius Gallus, der
die Briefe in Krakau erhielt, reiste durch Grosspolen,
Anfang Dezember sehen wir ihn in Posen, am 4.
Dezember in Scharfenort (Ostrorog), wo ihm Johann
Laurentius ein Schreiben mitgab8). Am 3. Januar
traf Gallus in Zürich ein, wo Bullinger augenblicklich
viel beschäftigt die Briefe nicht lesen konnte und in
Übereinstimmung mit Martire sie sofort nach Genf tragen
Hess4). Am 1. Februar schrieb Calvin seinem Züricher
Freunde voll Verdruss über die neuen Anfragen und
über die anerkennenden Worte, die Lismanino in seinem
Schreiben für Blandrata gehabt hatte6). Da die Antwort,
die er mündlich dem Przechadzka gab, am 26. Februar
schriftlich an Stadnicki sandte 6), in Verbindung mit seiner
vorjährigen Schrift ihm für diesen unfruchtbaren scho-
lastischen Streit ausreichend schien, schickten nur die
Züricher, die durch Christoph Thretius neue Briefe aus
Polen erhalten hatten, ein Sendschreiben wider Stancaro.
In ihrem Auftrage verfasste es im März Martire und
noch in demselben Monat liess er es mit seinem Briefe
von 27. Mai 1560 auch im Druck ausgehen7).
*) O. C. XVIII Nr. 3255. Über des Gregorius Pauli Aufenthalt
in Posen und seine Lehrtätigkeit an der Pfarrschule von Maria
Magdalena 1549/50 vergleiche meinen Aufsatz im Dezemberhefte der
Historischen Monatsblätter für die Provinz Posen. Posen 1903 S. 177 ff.
2) Der Brief ist verloren gegangen.
3) O. C. XVIH Nr. 3260.
*) O. C. XVHI Nr. 3309.
6) O. C. XVIII Nr. 3332.
*) O. C. XVT1I Nr. 3347. Ende Februar muss auch der Brief an
Stancaro geschrieben sein, den die Herausgeber der Briefe Calvins
an das Ende des Jahres 1561 (O. C. XIX Nr. 3684) gesetzt haben.
7) Epistolae duae ad ecclesias polonicas Jesu Christi evan-
gelium amplexas de negotio Stancariano et mediatore Dei et homi-
num Jesu Christo, an hie seeundum humanam naturam dumtaxat an
seeundum utramque mediator sit. Tigurini apud Froschover 1561.
Francesco Lismanino. 281
Die Synode von Xions hatten die Geistlichen am
19. September mit Erbitterung gegen Lismanino verlassen.
Er, der Fremde, war durch den Einfluss der Herren Senior
geworden, mit seinem Unterstützungsgesuch war er der
Anlass gewesen, dass sie öffentlich von den Edelleuten ge-
tadelt worden waren. Auf der Pinczower Synode September
1555 hatte sich der ehrgeizige St, Sarnicki gegen seine
Berufung ausgesprochen, damals war er allein geblieben,
jetzt hörte man viele Worte des Unmuts und des Ver-
drusses über die Italiener, vor allem auch über Lismanino.
Am 24. Januar 1561, am Vorabend der Synode zu Pinczow,
als die Geistlichen unter Crucigers Vorsitz sich versam-
melten, kam die Missstimmung zum Ausbruch. Durch
Cruciger, der auf das Verdienst, welches sich gerade die
Fremden um die Reformation in Kleinpolen erworben, hin-
wies, wurden die Gegensätze noch einmal ausgeglichen,
und ein Antrag angenommen, in dem man Gott dankte,
dass er fromme und erleuchtete Männer nach Polen ge-
sandt habe, aber dagegen Verwahrung einlegte, dass sie
vor den Einheimischen einen Vorrang hätten; auch sollten
sie nicht, dies scheint gegen den zweiten Senior, gegen
Blandrata, gerichtet zu sein, früher in die Kirchengemein-
schaft aufgenommen werden, bevor sie nicht ein Glaubens-
bekenntnis abgelegt hätten1). Immerhin war Lismanino
schwer gekränkt; bei allen Opfern, die er in Polen hatte
bringen müssen, sollte er noch Missgunst ernten! Er be-
schloss deshalb, die Vertrauensfrage zu stellen und zugleich
auch eine endgültige Regelung seiner Gehaltsverhältnisse
herbeizuführen. An die Synode wandte ersieh mit folgenden
Worten: „Edle Herren und liebe Brüder. Oftmals habe ich
euer Wohlwollen gegen mich erfahren, besonders, als ich durch
euren Brief zur Leitung der Kirche, welche der Herr unter
euch aufgerichtet hat, aus der Schweiz gerufen wurde.
Wiewohl ich nicht meinte, viel Hilfe bringen zu können,
bin ich doch, um meinen Glaubenseifer zu bezeugen und
eurer Liebe gegen mich zu entsprechen, gekommen, wohl
l) Lasciana S. 528.
282 Theodor Wotschkc.
mit banger Hoffnung, doch mit der Freudigkeit, die das
Reich Gottes fordert. Welche Hindernisse nach meiner
Rückkehr meine Krankheit und meine Ächtung, die mich
zwang, wie ein Begrabener verborgen zu leben, mir
brachten, wisst ihr. Nicht um meinetwillen sind 'mir die
Heimsuchungen schmerzlich gewesen, sondern weil sie
von dem Amte, zu dem ich berufen war, mich fernhielten-
In meiner Ächtung haben in Gross- und Kleinpolen ver-
schiedene Edelleute sich meiner väterlich angenommen
und mich durch ihre Güte für immer zu Dank verpflichtet.
Auf den Synoden ist jetzt öfters und besonders gelegent-
lich des Leichenbegängnisses des Herrn Laski von einem
Jahrgeld für mich gesprochen worden, und ich habe auf
einen festen Beschluss hierin gewartet. Auf zwiefache
Weise könnte mir geholfen werden, durch die freundliche
Opferwilligkeit eines Einzelnen oder durch eine allgemeine
Sammlung. Aber es scheint mir nicht richtig, dass wer
seine Mühe und Arbeit der Gesamtheit widmet, von einem
Einzelnen unterhalten werde. Auch den zweiten Weg,
mir zu helfen, halte ich für bedenklich und bei dem
Widerspruch vieler für nachteilig. Gleichwohl hätte ich
auf eine Art mir helfen lassen, aber ich glaubte, dass
meine Arbeit der Kirche nicht so segenbringend sein wirdT
wie zu wünschen wäre. Meine unsichere Lage habe ich
so lange ertragen, als ich noch Hoffnung auf eine Ver-
sorgung oder eine Anstellung hatte, die der Kirche und mir
nicht zum Nachteil sein würde. Da aber alle Aussicht
geschwunden ist, bitte ich unter dem Drucke der Not mir
zu erlauben, für mich zu sorgen, zumal da mein Alter
einen längeren Verzug nicht zu gestatten scheint Ich
ersuche euch, edle Herren, herzlich, meine Bitte um Ent-
lassung brüderlich anzunehmen und überzeugt zu sein, dass
ich stets wieder zur Verfügung stehen werde, dieser Kirche
mit meiner ganzen Kraft zu dienen." Aber gerade jetzt^
wo es galt, die gegen Blandrata erhobenen Beschuldigungen
zu prüfen und zu entscheiden, ob er noch ein Glied der
Kirche sei oder zu den Antitrinitariern gehöre, wo der
Streit mit Stancaro noch nicht beendet war, wo es galt-
Francesco Lismanino. 283.
die Briefe der Schweizer herauszugeben, die eigene Kon-
fession noch einmal zu übersehen, wo auch die Errichtung
einer Schule von Bonar in Xions geplant wurde, konnte
man seiner nicht entbehren. Er erhielt daher die Antwort,
die Kirche erkenne den Segen, mit dem er arbeite, art
und bitte ihn, wenigstens bis zur Synode nach Ostern zu
bleiben. Inzwischen würden die Senioren in allen Diö-
zesen für den Gotteskasten sammeln lassen, damit er aus
ihm versorgt werden könnte. Mit dieser neuen Vertröstung
war Lismanino wenig zufrieden, aber den erneuten Bitten
der Synodalen konnte er nicht widerstehen, zumal man
ihm einige Wochen Urlaub zur Ordnung seiner Verhält-
nisse gewährte.
Allein diesen Urlaub anzutreten, fehlte ihm jetzt die
freie Zeit. Auf den 16. Februar war die Zusammenkunft
in Xions angesetzt, welche über die Errichtung eines
evangelischen Gymnasiums zu beraten hatte. Ferner musste
das Bekenntnis, welches auf Radziwills Veranlassung Bland-
rata überreicht hatte, durchgesehen und geprüft werden.
Auf der Synode zu Pinczow hatten nebst Lismanino
noch Cruciger, Lutomirski, Sarnicki, Gregorius Pauli,
Krowicki mit dem italienischen Arzte verhandelt, sie werden
auch jetzt neben Lismanino an der Prüfung seines Bekennt-
nisses beteiligt gewesen sein. Von ihm wie von den
Versicherungen, die Blandrata noch mündlich gab, fanden
sie sich alle voll befriedigt, und Cruciger schrieb davon
am 13. März dem Fürsten Radziwill, am 15. Mai berich-
tete auch Lismanino gemäss dem Beschlüsse der Pin-
czower Synode vom 25. Januar dies nach der Schweiz..
Er halte Blandrata für rechtgläubig und für einen höchst
bedeutenden Mann, er bitte Calvin, ihm, der nur mit
Worten der Hochachtung von ihm spreche, ihm selbst
auch ein werter Freund geworden sei, seine Zunei-
gung wieder zuzuwenden. Da ein besonderer Bote ihm
nicht zur Verfügung stand, schickte er den Brief
durch Kaufleute über Nürnberg; auch ein Schreiben
für seinen Freund Wolph in Zürich übergab er ihnen.
zur Bestellung.
284 Theodor Wotschkc.
Die folgenden Monate zwangen Lismanino, wieder
seine ganze Kraft dem Streite mit Stancaro zu widmen.
Anfang Mai kam Christoph Przechadzka von seiner
Reise nach Genf zurück und übergab Stadnicki den Brief
Calvins wie auch das längere dogmatische Schreiben
Martires wider Stancaro. Seine alte Taktik, die Pin-
czower der Fälschung zu verdächtigen, konnte der italie-
nische Zänker nicht fortsetzen, er suchte darum die Schriften
der Schweizer zu widerlegen und schrieb im Mai und
Juni: „Castigationes quorundam locorum prioris epistolae
ministrorum Tigurinae ecclesiae ad ecclesias Polonicas,
scriptae Tiguri 1560 27. Maii, impressae autem 1561 mense
Martio", ferner „Castigationes quorundam locorum poste-
rioris epistolae ministrorum Tigurinae ecclesiae ad ecclesias
Polonicas scriptae et impressae Tiguri anno 1561* und
schliesslich „de trinitate et incarnatione atque mediatore
adversus I. Calvinum* mit einem Anhange „Admonitio ad
lectorem de libris Calvini" x). In diesen Schriften klagte
er die Schweizer der arianischen, eutychianischen, apol-
linaristischen, timotheischen 2), akephalischen3), theo-
dosianischen und gajanitischen 4) Häresie an, weil sie
Christum auch nach seiner göttlichen Natur Mittler sein
liessen und dadurch eine persönliche Tätigkeit in der
Trinität statuierten. Seine Controversschriften, die er
in vielen Abschriften verbreiten Hess, parallelisierten die
Wirkung der Briefe der Schweizer Theologen und ihrer
dogmatischen Gutachten vollständig, und die Pinczower
mussten nach neuen Beweisgründen wider Stancaro sich
umsehen. Vor allem fühlte sich dazu Lismanino verpflichtet
Er hatte nie nach einer führenden Stellung in der klein-
polnischen Kirche begehrt, aber bei der allgemeinen dog-
1) Sämtliche Schriften erschienen vereinigt mit dem Buche
de Trinitate 1562 in Krakau.
2) Timotheus Älurus war Führer und Patriarch der Mono-
physiten in Ägypten.
3) Akephaler nannten sich die strengen Monophysiten in Ägypten.
4) Theodosius und Gajanas waren Führer zweier monophysi-
tischer Richtungen der Severianer und Julianisten.
Francesco Lismanino. 285
malischen Verwirrung, die die Schriften des Mantuaners.
erregten, bei der Ratlosigkeit, die sich der führenden kirch-
lichen Kreise bemächtigte, hielt er es für seine Pflicht, als
der theologisch und dogmatisch noch am besten geschulte
den Kampf wider Stancaro mit aller Kraft aufzunehmen
und durchzukämpfen. Von den Schreiben der Schweizer
fand er sich wenig befriedigt. Calvins und Martires
Anschauungen, dass das Wesen des Mittlers eine
gewisse Inferiorität nicht in sich schliesse x), ver-
mochte er nicht, sich zu eigen zu machen. Sodann hatten
sie die göttliche Natur an sich vom Mittleramte ausge-
schlossen, sie nur insoweit beteiligt sein lassen, um die
Vollkommenheit des von der menschlichen Natur gelei-
steten Gehorsams zu sichern. Sie wiesen es also zurück,
dass Christus vor seiner Menschwerdung als zweite Person
der Trinität Mittler gewesen sei, selbst Martire, der dem
kleinpolnischen Bekenntnis anfänglich zugestimmt hatte,
behauptete jetzt unter dem Einfluss Calvins nur eine
ideelle Mittlerschaft Christi vor seiner Fleischwerdung in
dem Gedanken Gottes, sofern er von Ewigkeit dazu
bestimmt war, Mensch zu werden und die Erlösung zu
vollbringen 2). Denn da der Logos mit dem Vater gleichen
Wesens, gleicher Macht und Würde sei, habe er als solcher
nicht vermitteln können. Stancaro, der diesem Argumente
natürlich beipflichtete, antwortete: „O ihr gelehrten Dok-
toren! Wenn die göttliche Natur nicht vor der Incarnation
Mittlerin sein kann, dann auch nach der Incarnation nicht.
Gebt ihr doch zu, dass sie unveränderlich ist und immer
r) Es war eine der Hauptthesen Stancaros: „semper ille,
qui rogat, quatenus rogat, minor est eo, qui rogatur". Eine gewisse
Inferiorität wollte Lismanino zugestehen, aber wohl gemerkt, nur
eine inferioritas quoad causam, nicht quoad naturam, wie sie Erasmus
in seinem Briefe an Jakob Sturm ausgesprochen. Vergl. Lubie-
niecki S. 122.
2) Martire : „Dicimus Christo non convenire ante incarnationem
mediatorem fuisse, quatenus est eiusdem essentiae parisque potestatis
ac dignitatis cum patre. At si eum spectemus, quatenus olim apatre
mittendus erat, ut homo fieret, etiam tum hoc respectu adhibito~
mediator fuit".
286 Theodor Wotschke.
und ständig ihre Eigenheit bewahrt". Im Gegensatze zu
♦den Schweizern meinte Lismanino einige Nebengedanken
Stancaros als berechtigt anerkennen, um so schärfer aber
seine Grundanschauung, die strenge Fassung der Trinitäts-
lehre, die zum Sabellianismus hinneigte, bekämpfen zu
müssen. Fasste jener den Augustinischen Kanon „opera
ad extra sunt indivisa" so scharf, dass er die Proprietäten
der drei Personen aufhob, und nicht Raum blieb für eine
^Mittlerschaft des Logos, so suchte er die realen Unterschiede
der Personen in der Gottheit zu betonen und unter Fest-
haltung der kirchlichen Trinitätslehre noch eine gewisse
Präeminenz des Vaters darzutun. Den Boden des Nicänums
wollte er nicht verlassen, er ist von ihm in der Tat auch
nicht abgewichen, wenn er dem Vater als dem airtov eine
Verschiedenheit vor dem Sohne als dem alxiawv zuerkennt
Den Vorwurf arianischer Häresie von Seiten Stancaros
fürchtete er nicht, waren doch auch Philipp Melanchthon x)
und die Schweizer dem nicht entgangen; dass bei der
schon herrschenden Besorgnis, vor dem Arianismus ihn
auch andere darob der Hinneigung zu den Antitrini-
tariern anklagen könnten, übersah er nicht, hoffte aber
•durch gleichzeitiges Betonen aller athanasianischen und
nicänischen Formeln alle auftauchenden Bedenken ent-
kräften zu können. Anfänglich fand er bei den kleinpol-
nischen Geistlichen den grössten Beifall, aber schon auf der
Synode zu Xions am i. und 2. September 1561 widersprach
ihm sein alter Gegner Sarnicki und machte sich den Vor-
wurf des gemeinsamen Feindes Stancaro zu eigen, ver-
dächtigte ihn auch am 1. September in seinem Schreiben
an Calvin2). Da Rede und Gegenrede zu Xions zu
*) Eine Schrift Stancaros trägt den Titel : collatio doctrinae Arii
etPh.Melanchthonis. Eine Aufzählung angeblicher Ketzereien Melanch-
thons schliesst er mit den Worten: „haec et plures aliae Arianae et
Trideitarum blasphemiae sunt in his et aliis epistolis ad consiliarios
principis marchionis Ioachimi secundi et in libris Melanchthonis, ut
in meo ad versus eos libro aedito demonstro".
2) Auch Lismanino schrieb am 1. September einen leider ver-
loren gegangenen Brief an Calvin. Dies Schreiben nahm Martin
Francesco Lismanino. 287
keinem Ergebnis führten, ward eine neue Synode für den
16. September zu Krakau l) und als diese fruchtlos verlief,
eine zweite auf den 22. September in Wlodzislaw anberaumt
Um jeder Missdeutung seiner Lehre vorzubeugen und
der dogmatischen Auseinandersetzung eine sichere Grund-
lage zu geben, schrieb Lismanino am 10. September seinen
bekannten Lehrbrief an seinen alten Freund Iwan Kar-
minski2). Wie schon die mündlich vorgetragene dogma-
tische Ausführung ward er von der Mehrzahl der
Pastoren, die nun den alten Zänker aus Mantua für wider-
legt erachteten, freudig begrüsst. Am anerkennendsten
sprach sich wohl der Pfarrer von Chrencice Jakob SylvTus
über ihn aus, der ihn auch mit Begeisterung unterschrieb8).
Aber Sarnicki gab seinen Widerspruch nicht auf, er be-
stimmte den Grundherrn von Pinczow in der zweiten
Sitzung der Wlodzislawer Synode am 23. September
in einer herrischen an Ausfällen reichen Rede den
Antrag zu stellen, Lismanino ob dieses Briefes und
der darin ausgesprochenen Lehrsätze einen Verweis zu
erteilen. Johann Bonar trat aber für seinen alten Freund
Czechowicz, der im Auftrag Radziwills nach der Schweiz reiste,
um zwischen Calvin und Blandrata eine Versöhnung herbeizuführen,
nach Genf mit.
*) Vergl. Sand S. 185.
*) Lubieniecki bringt den Brief S. 119 — 126 seiner Reforma-
tionsgeschichte, lässt ihn aber irrtümlich vom 10. Dezember 1561
datiert sein. Mit Bock I S. 437 und Dalton, Lasciana S. 550 von zwei
Briefen Lismaninos an Karminski zu sprechen, ist unrichtig.
3) Lismaninus: Brevis Explicatio de Trinitate S. e2 „Jacobus
Silvias epistolam sie approbavit, ut sua manu peculiariter in haec
verba subscripserit. Sicut Psaltes cum exsultatione dicebat : Laetor,
com mihi dieunt, eamus ad domum Domini, ita et ego plurimum lae-
tatus sum, postquam haec aliquoties relegi et flexis genibus gratias
■cgi pastori et curatori ecclesiae nostrae Jesu Christi, qui non sinit
nos erroribus conquassari, sed liberalius ad nos transvibrat radios
suae lucis. Hac via iam video penitus miserum coneidisse Stan-
carum, in quo ego conspicio tres ingentes errores: primum Sabellii,
quia in aretum personas essentiae divinae contrahit, seeundum
Nestorii, quia duos Christos facit in mediatione, terlium quod careat
societate ecclesiae Christi".
288 Theodor Wotschke.
und Schützling ein und verteidigte ihn wider den Vorwurf
der Häresie; Lismanino selbst beteuerte, dass er dem Worte
Gottes gemäss lehre und in allem mit der rechtgläubigen
schweizerischen Kirche übereinstimme. In einer längeren
Ausführung ging er dann weiter auf die dogmatischen
Formeln ein und zeigte, wie sie alle dunkel und schwer-
verständlich seien und wie selbst anerkannten Kirchen-
lehrern wie dem magister sententiarum der Vorwurf
falscher Lehre nicht erspart geblieben sei; auch auf einige
freie Aeusserungen Luthers scheint er hingewiesen zu
haben. Er sprach so gut, dass der Vorstoss seiner Gegner
missglückte. Die meisten waren von den erhaltenen Er-
klärungen befriedigt, doch erbat sich die Synode eine Ab-
schrift des Briefes, um ihn noch einmal durchzusehen,
ihn zur Prüfung auch den befreundeten Kirchen in der
Schweiz, Böhmen und Lithauen zu senden. Im weiteren
Verlauf der Sitzung brachte Lismanino wiederum seine
gedrückte materielle Lage zur Sprache und bat um Ent-
lassung, damit er für seinen Lebensabend sich eine sichere
Versorgung suchen könne. Die Synode drückte ihm
darauf ihre Teilnahme und brüderliche Liebe aus und er-
klärte trotz der Einwendungen Sarnickis1), seine Dienste
nicht missen zu können. Aus dem Gotteskasten sollte er
fortan ein Gehalt von 200 Gulden gezahlt erhalten, auch
versprachen die Herren, seine Schulden bei der Edelfrau
Dluska in Höhe von 87 Goldstücken auf sich zu nehmen *).
Die Niederlage, die Sarnicki gegen Lismanino in
Wlodzislaw erlitten hatte, dämpfte seinen Kampfeseifer
keineswegs. Unter den Geistlichen suchte er im geheimen
gegen seinen Gegner Stimmung zu machen und es gelang
ihm auch, verschiedene auf seine Seite zu ziehen, indem
er geschickt die nationale Empfindlichkeit gegen den
Fremden auszunützen verstand. Vor allen wusste er Jakob
Sylvius, der noch vor wenigen Wochen zu den grössten
Lobrednern Lismaninos gehört hatte, zu gewinnen. Beide
und zwei andere mir mit Namen nicht bekannte kleinpol-
l) Dalton: Lasciana S. 553.
Francesco Lismanino. 289
nische Geistliche Hessen in den folgenden Monaten vier
Streitschriften wider Lismanino ausgehen und übersandten
sie den geistlichen und weltlichen Senioren *). Auch
von der Schweiz her zog sich ein Gewölk wider Lisma-
nino zusammen. Sein Brief vom 15. Mai an Calvin mit
dem günstigen Urteil über Blandrata war in Zürich bei
Wolph verschiedene Wochen liegen geblieben. Am 28. Sep-
tember wollte ihn dieser nach Genf weiter befördern, als
Martin Czechowicz mit dem Schreiben Radziwills vom
14. Juli und den Briefen der Kleinpolen vom Anfang Septem-
ber bei ihm eintraf und nach dreitägiger Rast nach Genf
weiterzog. Anfang Oktober erhielt Calvin also die ver-
schiedenen Briefe aus Polen eingehändigt Schon lange
war er, wie wir wissen, mit Lismanino nicht zufrieden.
Dass auf der Synode zu Xions im September 1560 der
Streit mit Stancaro nicht auf Grund seines durch Silnicki
*) Interim quatuor diversorum autorum libelli parvo temporis
intervailo in publicum exiere, quorum sane duo erant anonymi, alii
antem duo a duobus (utinam fratribus) ad ecclesiarum Minoris Polo-
niae seniores missi, adscripta quidem habebant autorum nomma, sed
nos ab iis referendis abstinuimus, at hac nostra civili christianaqac
modestia victi denique resipiscant ac meliorem ad mentem redeant.
Verum enimvero satis constat epistolae nostrae sententiam synodi
seniorum utriusque ordinis ministrorum pariter ac nobilium iudicio
foisse comprobatam, id quod ex actis synodi Pinczoviae quarto nonas
Aprilis anno MDLXII celebratae pro comperto haben omnino potest
Nam haec ibi ad verbum leguntur: Oblatus est libellus a quodam
fratrc editus et ipsius manu scriptus, qui fit commentarius contra
epistolam privatam D. Lismanini ad G. D. Charninski Iwan absente
autore, at hbello lecto responderetur persona relicta. Ex quibus vide-
licet epistola atquc huius modi libello a D. Alexandrino Vitrelino
pastore Goslicensi in Corona omnium seniorum, ministrorum ac no-
biHnm alta voce pronnnciatis cognovemnt fratres magnis iniuriis et
fttfriinniis D. Lismaninum affectum esse. Ule enim omnia, quae sibi
ipsi obiciebatur, tum epistola ipsa tum voce reputabat nee errores sibi
hnpactos cognoscebat. Altenas autem libelli ad synodum Xiaznensem
missi criminationes cum in ipsa synodo libelli eius autore vel saltem
assertore praesente coeptae essent legi, confestim js publice confessus
est, se antea Lysmaninum non intellexisse ob idque ei talem iniu-
riam intulisse. Quo factum est, ut ab ipsius libelli lectione statim
cessatum nee ulterius progredi permissum sit.
Zeitschrift der Hi«t. Ges. für die Pro*. Posen. Jahrf. XVni. 10
390 Theodor Wotschkc.
erteilten Gutachtens durch endgültige Verwerfung des
Mantuaners erledigt, dass der von ihm zurückgewiesene
Blandrata zum Senior gewählt war, mass er ihm als Schuld
bei und als er nun gar in seinen Briefen vom 15. Mai und
1. September die nach seinem Empfinden gebieterisch aus-
gesprochene Mahnung fand, sich mit Blandrata auszusöhnen,
da loderte in dem reizbaren Franzosen der Zorn auf. Auch
in seinen Briefen an den Fürsten Radziwiil, an Cruciger
-und die Wilnaer Geistlichen weist er jede Aussöhnung
mit dem „portentum Blandrata" zurück, aber schroff ant-
wortet er am 9, Oktober doch nur seinem ehemaligen
Freunde. „Ich weiss nicht, weshalb du so ängstlich um
eine Aussöhnung mit Blandrata dich bemühst Dir scheint
er ein bedeutender Mann zu sein. Behalte dein Urteil,
aber lass mir auch das meine. Du nennst ihn aufrichtig
ich kenne keinen verschlageneren und unredlicheren Mann.
Du willst keinen Vorwurf der Häresie wider ihn erheben,
aber bei uns ist er mehr als hinreichend der Ketzerei
überführt worden. Wollte ich dir folgen, ich würde mich
dem Gespött der Kinder aussetzen. Wie kommst du zu
der Zuversicht, ich könnte dir zu Liebe nicht nur leicht-
sinnig und trügerisch handeln, sondern durch schimpfliche
Lüge auch dem Satan Tür und Tor öffnen? Unsere
Freundschaft möchte ich ungetrübt erhalten, aber nicht
unter dieser Bedingung. Beharrst du in deiner Ansicht,
so suche dir andere Freunde, die dir zu Gefallen Wahrheit
und Kirche verraten. Sobald du dich selbst wiedergefunden
hast, wird deine Frömmigkeit und Einsicht dich die Irr-
lehren bekämpfen lassen. Durch mich soll unser Freund-
schaftsbund nicht verletzt werden, wenn du mich nur nicht
in meiner Pflicht irre machen wolltest"1).
Noch rechtzeitig zur Krakauer Synode, welche auf
den 10. Dezember angesetzt war, traf Czechowicz mit
diesem und anderen Briefen Calvins in Kleinpolen ein.
Sarnicki und wahrscheinlich Sylvius*) erschienen nicht
i) O. C. XVIII Nr. 356a
*) Deshalb brechen bei dieser Synode die von Jakob Sylvius
niedergeschriebenen Synodalprotokolle ab; vergL Lasciana S. 554.
Francesco Lismanino. 291
zum Convente; jener war unter dem Vorwand einer Reise
nach Reussen über Böhmen nach Italien gegangen, wo er
irr Padua mit Christoph Tretius aus Krakau zusammentraf
und ihn für sich gewann, doch hatte er der Synode seine
Streitschrift wider Lismanino übersandt Dies wie die
Briefe Calvins bewirkten, dass die Verhandlungen sich
ausschliesslich um Blandrata und Lismanino drehten. Es
ist richtig, dass dieser in seiner Ansprache, die er nach
Verlesung der Sarnickischen Schrift an die Synodalen
richtete, wie Lubieniecki bezeugt, die Worte „trinitas, hy*
postasis, communicatio idiomatum" scholastisch und lom-
bardisch, der heiligen Schrift unbekannt nannte, nur darf
ihm hierbei keine arianische und antitrinitarische Tendenz
untergeschoben werden. Unter dem fruchtlosen, dogma-
tischen Streite, der in ein Gebiet hineinführte, in dem jede
klare Vorstellung aufhörte und in dem die Formel herrschte,
regte sich natürlich die Sehnsucht nach den ersten Zeiten
-der Kirche, da man von den dogmatischen Spitzfindig-
keiten noch nichts wusste. Auf Stanislaus Lasockis Antrag
ward die Orthodoxie Lismaninos anerkannt und seinen
■Gegnern ein Verweis erteilt. Am 13. Dezember schrieben
•die Synodalen an Calvin und Bullinger und bekannten sich
einschliesslich Blandratas zu dem athanasianischen opoov*
•ato*, in dem Briefe an den Genfer Reformator vergassen sie
nicht, auch dem Bedauern Ausdruck zu geben, dass er
sich von dem hinter dem Rücken der kleinpolnischen Geist-
lichkeit von Sarnicki am ersten September geschriebenen
Briefe habe einnehmen lassen und4seinen Verdächtigungen
Gehör schenken können. Am 14. Dezember antwortete
ihm Lismanino auch noch in einem besonderen Schreiben,
-dem letzten, das zwischen ihnen gewechselt wurde. „Was
ich schon so oft geschrieben habe, wiederhole ich, bei Gott
schwöre ich es, dass ich nie dir feind sein und der Kirche
■Gottes einen Schaden zufügen wollte. Dein Ansehen und
•der Kirchen Friede gelten mir mehr als hundert Blandrata.
Auf alle Weise habe ich diesen in seiner Pflicht zurück-
gehalten. Nicht kindische Liebe zu ihm hat mich geblendet,
wie du schreibst, sondern der reife und geklärte Eifer,
\9*
292 Theodor Wotschke.
mit dem ich dir und der Kirche Gottes diene, hat mich
bestimmt, mit Blandrata nicht anders zu verfahren. Könnte
ich alles dem Papier anvertrauen und offen zu dir sprechen,,
du würdest ein Wörtchen Lismaninos höher stellen als
lange Schreiben jenes Mannes, der unter dem erlogenen
Titel eines Krakauer Pastors1) durch Martin Czechowicz dir
und Bullinger geschrieben hat Du meinst, durch meine
Fürsprache sei Blandrata von den Kirchen aufgenommen
worden, während er schon vor meiner Rückkehr aus Gross-
polen von Laski, der ihn auch dem Wilnaer Palatin
empfahl, zu kirchlichen Beratungen hinzugezogen wurde *)..
Zum Senior ist Blandrata gewählt worden. Aber dadurch
sind ihm Fesseln, nicht Ehren, Banden, nicht Würden, Lasten,,
nicht Auszeichnungen geworden. Unsere fromme List
nenne keinen Schimpf für dich, den wir lieben und ver-
ehren. Blandrata hatte einen Ruf von dem Könige von
Siebenbürgen erhalten, desgleichen einen von dem Wil-
naer Palatin. Ein grosses Jahrgeld und hohe Gunst boten
ihm beide. Was hätte Blandrata dort nicht tun, lehren,
schreiben können? Alles hätte ihm freigestanden und an
Wortkünsteleien hätte es ihm nicht gefehlt Hier hatLis-
manino in Sorge und nicht in kindischer Furcht, da er
vieles sah, was er nicht dem Papier anvertrauen kann,
dahin gewirkt, dass Blandrata mit unsichtbaren Stricken
festgehalten wurde. Ich habe ihn dazu vermocht, öffent-
lich auf der Generalsynode die servetianische Ruch-
losigkeit, den arianischen Wahnsinn, die sabellianische Tor-
heit, des Stancaro Raserei zu verdammen, ferner das
apostolische Symbol, auch das nicänische und die übrigenr
die mit ihm verbunden sind, anzuerkennen, schliesslich, um
*) Stanislaus Sarnicki.
*) Am 7. November 1558 hat Laski Blandratas Bekenntnis ge-
billigt und ihn in die Kirchengemeinschaft aufgenommen. In Gemein-
schaft mit Lelio Sozini wird Blandrata darauf Radziwill aufgesucht
haben« Krakau, den 4. Januar 1559 schreibt der lithauische Magnat
in Beantwortung des ihm von Sozini überreichten Empfehlungsbriefes
an König Maximilian. Vergl. J. Szujski: Jagiellonki Polskie w XVI wieku«
V. Krakau 1878 S. 144.
Francesco Lismanino. 293
ja keinen Verdächtigungen Raum zu lassen, das athana-
sianische als Glaubensform gelten zu lassen und sich
allem zu unterwerfen, was unsere kleinpolnische Kirche als
<iem Worte Gottes gemäss vorschreibt. Doch um zu dem
zu kommen, was mir in deinem Schreiben am wenigsten
gefällt. Es tut mir wehe, lieber Calvin, dass du meinen
Brief nur so obenhin gelesen hast Wo habe ich gesagt,'
dass Blandrata bei euch recht gehandelt habe? Denkst
du, ich bin so töricht und leichtfertig, dass ich über Blan-
dratas Auftreten in Genf befinden will? Hier bei uns ist
kein Trug, keine Täuschung, keine Häresie an ihm offen-
bar geworden. Bei uns, wohl gemerkt, sage ich. Ist er
einst anders gewesen, konnte er sich nicht ändern? Dem
umgewandelten Blandrata habe ich dich gebeten die
Hand zu reichen! Heisst das dich dem Gespött der Kinder
aussetzen, dich für schmeichlerischen und kriechenden
Geistes halten, so dass du mir zuliebe leichtfertig und unwahr
handeln sollst, ja heisst das Wege angeben, um Wahr-
heit und Kirche zu verraten" u. s. w.? Da er von den
Verdächtigungen Sarnickis bei Calvin zu wenig wusste,
war eine freundschaftliche Stellung zu Blandrata für
ihn so ausschliesslich der Grund ihrer Entzweiung, dass
er nur in einem kurzen Nachtrag nebenbei der Kämpfe
der letzten Monate gedenkt; er legt eine Abschrift seines
Briefes an Iwan Karminski bei und bittet den Genfer
Reformator um sein Urteil und Gutachten über ihn.
In den folgenden Monaten sah sich Lismanino von
seinem alten epileptischen Leiden, das schon während
der Krakauer Synode neu hervorgebrochen war l)9 schwer
heimgesucht. Gleichwohl beteiligte er sich an den Vor-
arbeiten zur Synode in Xions, welche für den 10. März
anberaumt war. Schon am 4. Februar hatte Cruciger
Einladungsschreiben ergehen lassen, unter anderen auch
an Georg Israel2), und am 23. desselben Monats schrieb
i) An Calvin musste Lismanino am 14. Dezember schreiben :
„in mediis cruciatibus ezcitatis a vetere meo carnifice calcnlo consti-
tatns haec scripsi".
*) Den Brief besitzt die Raczynskische Bibliothek in Posen.
294 Theodor Wotschke.
wegen dieser Synode auch Lismanino an Czechowicz,
dem er zugleich eine Abschrift sämtlicher Briefe schickte,,
die im Dezember des vorigen Jahres nach der Schweiz
gesandt waren1).
In Xions erreichte es zwar Sarnickis Freund und
Parteigenosse Jakob Sylvius, dass ein Teil seiner Schrift
wider Lismanino verlesen wurde, aber seine Aus-
führungen fanden keinen Anklang. Als Lismanino seine
Ansicht verteidigte und wider ihn sprach, bekannte
Sylvius, die angefochtene Lehre nicht recht erfasst zu
haben und liess sich, freilich nur vorübergehend, zum-
Widerruf bewegen2).
Da die grosse Synode zu Pinczow vom 2. April
1562 auf Lismaninos Antrag bestimmte, dass die Prediger
von allen philosophischen und scholastischen Termini wie
Trinität und Wesen absehen sollten und dies als Hin-
neigung zum Arianismus gedeutet werden könnte, ver-
weise ich auf die folgende Generalsynode zu Pinczow
vom 18. August und das von Lismanino entworfene und
von der Versammlung am 20. August approbierte und
unterschriebene Bekenntnis. Es steht durchaus auf dem
Boden der kirchlichen Lehre und erkennt die drei öku-
menischen Symbole als Normen des Glaubens an, daa
nicänische hat es vollständig in sich aufgenommen. Lis-
manino hatte von den Schweizern auf seine Briefe vom
Dezember des vergangenen Jahres noch keine Antwort
erhalten, er bestimmte deshalb die Synode, das Bekennt-
nis diesmal an die Strassburger Professoren zur Prüfung-
zu senden8). Am 21. September kamen sie der Auffor-
*) Vergleiche Lubieniecki, S. 129.
*) Lismanino am 23. November 1563 an Wolph: „Sylvius ixt
synodo publice fassus est, se non intellezisse me, et agnovit suum
errorem. Tandem reversus ad vomitum sparsit libellum famosum
similem et turpiorem priori libello a se subscripto et alten libello
a Sarnicio relicto senioribus (qui libelli sunt apud me), cum proficisce»
retur in Italiam".
*) Er sagt in seiner explicatio de trinitate S. fa „Confessio»
de sancta Trinitate in synodo Pinczoviensi edita et typis ezcussa et ad
Francesco Lismanino. 295
derung nach und Lismanino hatte die Freude, dass der
hervorragende Theologe Girolamo Zanchi, der infolge
der augenblicklichen Überhäufung der Strassburger Ge-
lehrten mit anderen Arbeiten allein antwortete, nicht nur
dem Bekenntnis ungeteilten Beifall zollte, sondern auch
für seine im Streite wider Stancaro geprägte, von Calvin
abgelehnte These eintrat, dass Christus schon vor seiner
Menschwerdung Mitder gewesen sei.
Die Genugtuung, fast sämtliche kleinpolnische
Geistliche für sich zu haben und seine Lehrweise von
einem der schärfsten reformierten Denker gebilligt zu
sehen, wurde Lismanino getrübt durch eine stete Ver-
schlimmerung seines epileptischen Leidens, das ihn Herbst
und Winter 1562/63 an das Bett fesselte, und durch seine
traurige pekuniäre Lage, da trotz aller Versprechungen
der Synoden wohl aus Mangel an Mitteln ihm kein Jahr-
geld gezahlt wurde. Er hätte wohl geradezu Not leiden
müssen, wenn sich nicht einige Herren, besonders Hier.
Filipowski, seiner angenommen hätten, auch Blandrata
gewährte ihm von seinen hohen Einkünften, die er als
gesuchter Arzt hatte, eine Unterstützimg. Verschiedendich
dachte er daran, den Einladungen des Fürsten der Wa-
lachei Heraklid Basilikus, der in Polen für das refor-
mierte Bekenntnis gewonnen war und in enger Verbin-
dung mit den evangelischen Herren Kleinpolens stand,
zu folgen1), allein er glaubte, nicht ohne Einwilligung des
Königs Polen verlassen zu dürfen. Zu der bedrängten
äusseren Lage kam noch ein innerer Schmerz. Musste
er doch sehen, wie einige seiner Anhänger und Schüler,
vor allen Gregorius Pauli und Georg Schomann, seinen
Lehrsatz von der Präeminenz des Vaters arianisch weiter
bildeten, die von ihm ängsdich festgehaltenen nicänischen
Formeln aufgaben und den Boden der Kirchenlehre ver-
liessen. Noch auf der Pinczower Synode hatten sie am
omnes ecclesias reformatas transmissa est", doch scheint das Bekenntnis
allgemein nur an die polnischen Gemeinden gesandt zu sein.
*) Vergl. die Briefe Sarnickis an Tretius vom 6. Oktober
1962 und 34. April 1563. O. C. XIX, Nr. 3845 und 3938.
296 Theodor Wotschkc.
20. August sein Glaubensbekenntnis unterschrieben, dann
aber nicht nur in ihren Predigten gemäss der Synode
vom 2. April die dogmatischen Termini, die das Geheimnis
der Trinität und das Verhältnis der drei Personen der
Gottheit zu einander umschlossen, vermieden, sondern sie
auch als unbiblisch und unwahr verworfen. Sollte seine
im Kampf wider Stancaro geprägte Lehrweise wider sein
Wollen dem Antitrinitarismus die Wege bahnen, und ein
Sarnicki recht haben, der ihn selbst der Häresie an-
klagte? Trotz der gewissenhaftesten Selbstprüfung war
Lismanino sich keiner Heterodoxie bewusst und auch auf
seine theologische Tätigkeit wollte er keinen Vorwurf fallen
lassen. Nach Kräften trat er dem um sich greifenden
Arianismus entgegen, mit seinen italienischen Landsleuten
Alciati und Gentile, die in den Wintermonaten nach Pin-
czow gekommen und hier ihre verderbliche Tätigkeit
fortzusetzen suchten, hatte er aufgeregte heftige Aus-
einandersetzungen1), desgleichen mit Gregorius Pauli in
Krakau, dem er nicht minder scharf begegnete als Sar-
nicki9). Zur Festigung der Kirchenlehre im Kreise der
Pinczovvianer und zu seiner eigenen Rechtfertigung gegen-
über allen Angriffen, die Sarnicki, Sylvius und Genossen
noch jetzt wider ihn richteten und in denen sie ihn den
Vater der Häresie in Polen nannten, schrieb er von
seinem Krankenlager aus die Schrift: „Brevis explicatio
doctrinae de sanctissima Trinitate". Es ist keine selbst-
l) Lismanino spricht des öfteren von seinen Kämpfen mit
Alciati und Gentile, besonders scharf wird der Streit auf der Synode
zu Pinczow am 4. November 1562 gewesen sein, als Gentile seinen
Satz verfocht : . „Deum creavisse in latitudine aeternitatis spiritum
quendam excellentissimum, qui postea in plenitudine temporis in-
carnatus est'4.
*) „Inter Lismaninum et Gregorium gliscere inimicitias, ita
quod inter eos volant acerbiores litterae. Lismaninum Gregorius
accusat levitatis, Gregorius vicissim ab eodem accusatur temeritatis.
Hie ideo, quod ante tempus progressus est in eo dogmate tarn longe,
ille vero quod quum per manus ab eo hoc dogma aeeeperit, ab eo-
dem se veluti deseri conqueritur" schreibt der Gegner Sarnicki
am 24. April 1563, O. C. XIX Nr. 3938.
Francesco Lismanino. 297
ständige schöpferische Arbeit, sondern eine Wiedergabe,
meist wörtliche Übersetzung einiger dogmatischer Briefe
des Kirchenvaters Basilius und seiner Predigt über
Joh. 1,1, ferner ein Abdruck dessen, was der Aquinate nach
Hilarius und Ambrosius über die Trinität im ersten Teile
seiner Summa qu. 31 in der Antwort zum zweiten Ar-
tikel bietet, des neunten Kapitels aus Augustins Buche de
fide et symbolo und schliesslich der Erklärung, die Hi-
larius in seinem vierten Buche über die Trinität zu Dt.
32 giebt Auch die Bekenntnisse der Krakauer und Pin-
czower Synode vom 13. Dezember 1561 bezw. 20. August
1562 hat er seiner kompilatorischen Arbeit einverleibt.
Am 1. März 1563 war sie fertig gestellt, wenigstens ist
von diesem Tage in dem Manuskript die Widmung an
den König datiert1), während freilich das Vorwort an den
Leser den Vermerk „Pinczoviae Calendis Januarii 1563"
trägt. Nach der Sitte jener Zeit hat Francesco Negri
aus Bassano dem Buche ein Carmen von 40 Versen bei-
gegeben.
Virentibus ex pratis trium praedivitum
Dominorum odoros flosculos
Collegit Lysmaninus docta praeditus
Pietate, lector candide u. s. w.
Wie einst sein Glaubensbekenntnis vom Jahre 1556
sandte Lismanino seine Schrift2) an den König und an
seine Bekannten und bat um ihr Urteil und ihre Unter-
schrift8), vor allem schickte er sie am 15. März mit fol-
gendem Briefe an Herzog Albrecht nach Königsberg.
*) Die gedruckte Ausgabe hat dagegen als Datum der Wid-
mung, wie Sand S. 35 richtig angibt, Cracoviae Calendis Junii
MDLXIII.
*) Sie ist jener Cento, von dem Lubieniecki S. 168 spricht.
Nur da er die Schrift nicht kannte, konnte er ihr eine halbarianische
Tendenz zuschreiben.
*) So antwortet ihm der königliche Sekretär Andreas Fricius
Modrzewski in einem Petrikau, den 26. März 1563 datierten Schrei-
ben. „Librum, quem misisti de Trinitate divina, legi cursim, ut scilicet
potui in meis occupationibus. Quantum animadvertere potui, nihil
in eo vidi, quod non ad hunc diem audiverim dici et praedicari in
298 Theodor Wotschke.
„Unter den reformierten Kirchen Kleinpolens herrschte
solange wahrer Friede und Eintracht, als Francesco Stan-
caro aus Mantua, dieser Sklave des Ehrgeizes und Sohn
der Zwietracht, fern von ihnen weilte. Aber als dieser
sich bei ihnen einfand und die Gemeinden mit seinen
falschen und gottlosen Lehren zu verwirren begann, haben
Verdächtigungen, Streitigkeiten und mehr als Vatini-
anischer1) Hass unter ihnen angehoben. Da ich sehnlichst
wünschte, in meinem Alter den Rest meines Lebens ruhig
und still zu verleben, wollte ich, um solchen Zwistigkeiten
zu entgehen, mit den Meinigen zu E. F. G. eilen. Habe
ich doch die feste Überzeugung, in Königsberg Ruhe zu
finden, da E. F. G. in einem Briefe an Vergerio, und in
zwei Schreiben an mich gnädigst mich einluden mit den
Worten: ,Dem Francesco Lismanino bieten wir eine
Zuflucht in unserem Herzogtum an; falls er kommt, soll
er mit den Seinigen nicht hungern und dürsten", um
ganz zu schweigen von jenem Briefe E F. G., in dem
Sie nach Kenntnis meiner Aechtung und nach Lesen
meines Glaubensbekenntnisses mich zur Sündhaftigkeit
mahnten, oder von jenem anderen, in dem Sie mich nicht
nur Sr. KönigL Majestät empfahlen, sondern auch mein Inter-
esse aufs beste vertraten, oder schliesslich jenem dritten,
der an die meisten Senatoren Polens gerichtet war und
mir ihre Gunst zuwandte. Aber da ich schon reisen
wollte, hielten mich zwei Generalsynoden fest Denn
durch einen ehrenvollen Beschluss ward mir ein Jahrgeld
zur Bestreitung der Lebensbedürfnisse bewilligt, und
meine Schulden, durch die ich bedrückt wurde und noch
bedrückt werde, sollten bezahlt werden. Aber als ich
dies erwartete, geschah es infolge des wütenden Geschreis
Stancaros und der Missgunst einiger aus unserer Kirche,
dass das Zugesicherte mir nicht gegeben wurde noch
ecclesia. Ego vero non vidi, in quo aristarchum, ut tu vis, me agere
oporteret in hoc libro tuo, quem ex veterum scriptis collegisti".
l) Vatinius, ein Anhänger Cäsars, den Cicero seiner Verbrechen
wegen so fürchtete und hasste, dass odium Vatinianum und crirainfc
Vatiniana sprichwörtlich gebraucht wurden.
Francesco Lismanino. 299
gegeben wird. Weil ich kein Ende der Zwistigkeit hier
sehe, noch das Versprochene mir gehalten wird, hatte ich
wieder den Entschluss gefasst, mit den Meinigen zu
E. F. G. zu kommen. Aber da ich mich zum zweiten
Male zur Reise rüstete, überfiel mich eine Krankheit
plötzlich so heftig, dass ich ein ganzes Jahr an das Bett
gefesselt wurde. Meine Reise musste ich aufgeben und
sah mich in solche Not gestürzt, dass ich sogar, um
meinem und der Meinen Mangel abzuhelfen, die mir so
notwendigen Pferde verkaufen musste. Selbst zur Ver-
steigerung meiner Bibliothek wäre ich geschritten, wenn
ein Leben ohne Bücher mir nicht zu trostlos und öde
gewesen wäre. Da ich auch jetzt noch nicht reisen kann und
-die Not nicht länger zu ertragen vermag, sende ich diesen
Brief E. F. G., um meine Lage anzuzeigen und flehentlich
zu bitten, dass E. F. G. das schon begonnene Hilfewerk
für mich jetzt zu Ende führen, nämlich bei der Kgl. Majestät
mir die Anweisung eines Jahrgeldes, das für mich und
meine Familie ausreicht, erwirken mögen. Bei Sr. Majestä
Wohltätigkeit gegen alle und ihrem Wohlwollen gegen
mich hoffe ich leicht dieses zu erhalten, falls ich hierin nur
E. F. G. bei Sr. Majestät, die E. F. G. nichts abzuschlagen
pflegen, zum Fürsprecher habe. Ich verdiene wohl keinen
Vorwurf, dass ich in dieser wichtigen und für meine
Familie so notwendigen Frage mich an E. F. G. wende,
da es, wie jener Denker sagt, „von Liebe zeugt, dem
alles verdanken zu wollen, dem man schon viel verdankt.*
Damit mir des Stancaros Verleumdung nicht schaden
kann, sende ich E. F. G. meine Ansicht über die heiligste
Dreieinigkeit, die ich nicht meinem Gehirn entnommen
habe, sondern erstlich dem Worte Gottes, dann dem
apostolischen, dem nicäno-konstantinopolitanischen und
dem sogenannten athanasianischen Symbol, endlich den
rechtgläubigen Vätern, einem Justin, Irenäus, Hilarius,
Athanasius, Basilius, Gregor von Nazianz, Ambrosius,
Augustin, Cyrill und anderen von ihnen. Da auf der
einen Seite Stancaro, auf der anderen einige Einfältige
aus unserer Kirche über diese Lehre von der Dreieinigkeit
3PO Theodor Wotschkc.
die Papisten wider uns zu erregen und aufzureizen suchen,
habe ich mir erlaubt E. F. G. zu schreiben1), wie Thomas
von Aquino, der erste der Scholastiker, diese Lehre dar-
legt Und um nicht ohne Leitung in den Kampf zu
treten, folge ich bei der Entwicklung dieses Glaubens-
artikels besonders Basilius dem Grossen. Dieses Basilius
Lehre habe ich auch übersetzt und schicke sie, dass
E. F. G., bevor Sie an Se. Kgl. Majestät meinetwegen
schreiben, erkennen, ob Lismanino es mit Arius hält, wie
Stancaro verleumderisch behauptet oder nicht, oder ob
er es mit Sabellius hält, welchem dieser Stancaro tat-
sächlich, mag auch in Worten ein Unterschied sein, so
folgt, dass er in der Lehre vom Mittler gegen alle refor-
matorischen Kirchen albernes Geschwätz vorbringt. Da
er nämlich bei den rechtgläubigen Vätern liest, Vater,
Sohn und heiliger Geist sei ein Gott, so versteht er dies
nicht, wie das athanasianische Symbol es erklärt, von der
einen Essenz, damit die Substanz der drei göttlichen
Personen nicht geschieden werde, sondern er wähnt,
ein Gott bezeichne einen einzigen Gott, einen einzelnen
Gott oder alleinigen Gott, (unicum deum vel singularem
deum vel solitarium deum), wie auch Sabellius mit
der philosophischen Lehre von dem einen Gott es hielt.
Doch dies ist E. F. G. von den gelehrten Professoren der
Theologie an Ihrer Universität, meine ich, ganz bekannt
Trotzdem möchte es, bevor ich den Stancaro lasse, nicht
überflüssig sein zu zeigen, durch welchen Trugschluss
jener seine Irrlehre vom Mittler verteidigt „Wie kann*,
fragt er, „ Christus als Gott Mittler sein, da nur ein Gott
ist Würden doch dann auch Gott der Vater und der
heilige Geist in gleicher Weise Mittler sein?" Wie
töricht sprichst du, Stancaro! Merkst Du nicht, dass
du bei dem Worte „ein" gedankenlos verfährst, da du
es fassest und deutest in der Weise des Sabellius? Auch
wir bekennen, dass Vater, Sohn und heiliger Geist ein
1) In dem Schreiben vom 19. März heisst es: „habe ich mir
erlaubt meiner Konfession einzureihen".
Francesco Lismanino. 301
Gott ist, d. h. von einer göttlicheil Natur, einer Gottheit,
einer Macht, einer Majestät, einer Ehre, aber nicht von
einer Person. Ist doch, wie Hilarius und Ambrosius
sprechen, allerdings ein Gott, nur nicht der Person, sondern
der ununterschiedenen Natur nach. Doch will ich lieber,
dass E. F. G. Basilius den Grossen, Augustin und Thomas
von Aquino hierüber hören, als weniges stückweise von
mir. Des Basilius, Augustin und Aquinaten hier nieder-
gelegte Lehre habe ich auch nach Petrikau dem Könige
und den meisten Mitgliedern des Reichstages geschickt
um allen zu zeigen, dass ich über die heilige Dreieinigkeit
recht und ökumenisch denke, Stancaro aber sozusagen
sabellianisiert. E. F. G. würden mir und allen gläubigen
Pfarrern und Herren, welche in diesem Artikel mit mir
eins sind, ein angenehmes Werk tun, wenn Sie, was hier
aus Basilius, Augustin und dem Aquinaten zusammengetragen
ist, den Doktoren der Universität zur Prüfung vorlegen
und mich ihr Urteil wissen Hessen. Gott, der Lenker
aller menschlichen Dinge, möge E. F. G. lange unversehrt
und glücklich erhalten.
Pinczow, den 15. März 1563.
Vier Tage nach Abgang dieses Briefes fand Lisma-
nino in einem gewissen Lucas Mundius Martinides einen
sicheren Boten, der in eigenen Geschäften nach Königs-
berg reisen wollte. Er gab ihm, abgesehen von münd-
lichen Aufträgen noch ein Schreiben mit, das mit dem
eben mitgeteilten vom 15. März wörtlich übereinstimmte,
nur zum Schluss noch die Bitte enthielt, das Bekenntnis
in Königsberg drucken zu lassen. Am 4. Mai antwortete
der Herzog: „Zwei Schreiben desselben Inhalts und Wort-
lautes, aber zu verschiedenen Zeiten geschrieben, haben
wir von euch erhalten. Zu unserem Schmerze lesen wir,
dass Stancaro in den reformatorischen Kirchen Polens
Zwistigkeiten erregt hat. Da angesichts der Verbreitung
des göttlichen Ruhms und des Bekenntnisses der reinen
evangelischen Lehre der Satan seiner Werkzeuge sich
bedient, um das Zunehmen der Ehre Christi und der Er-
kenntnis des ewigen Heils zu hindern, so ist es uns kei-
Theodor Wotschke.
neswegs befremdend, wenn auch in euren Kirchen jener
Tausendkünstler den Samen des göttlichen Wortes durch
eingesätes Unkraut zu vernichten sucht. Unsere Hoffnung^
steht bei dem Herrn, welcher seinen Ruhm nicht wird
erlöschen lassen, und deshalb bitten wir ihn, das Licht
seines Evangeliums durch solche vom Ehrgeiz eingegebenen
Irrlehren und törichten Meinungen nicht verdunkeln zu.
lassen, vielmehr seine dem Schifflein Petri gleich von den
Wellen Drang leidende Kirche in dieser letzten Zeit vor
solchen satanischen Stürmen zu bewahren und zu schützen.
Weil wir euch huldreich und gnädig gesinnt sind, schicken
wir euch zum Erweis unserer Gnade durch den Überbringer
dieses Briefes Lucas Mundius ioo polnische Gulden zum
Geschenk und bitten in Gnaden, diese geringe Gabe
freundlich anzunehmen und euch von uns zu jeder Zeit
aller fürstlichen Huld, soweit es unsere Verhältnisse ge-
statten, zu versehen. Einen Empfehlungsbrief an S. K. M.
haben wir für euch schreiben lassen; er wird durch einen
eigenen Boten Sr. K. M. überbracht werden und soll Sr.K. ML
Antwort euch zugesandt werden. Die Schrift über die
Trinität haben wir unseren Theologen zur Prüfung vor-
gelegt, sie berichteten uns, dass ihr richtig und ökumenisch
in jenem Lehrpunkte dächtet, doch rieten sie dringend ab,
die Schrift in unserem Herzogtume drucken zu lassen; ein-
mal, dass auf des Satans Antrieb nicht streitsüchtige
Geister aus jener Schrift sich Stoff zum Streite nähmen
und die Flammen des Stancarischen Irrtums emporzüngeln
Hessen, sodann ist in jener Schrift nicht der ganze Text
des nieänischen Symbols zitiert, und sie wüssten nicht,
weshalb es unterblieben sei1). Sollte die Schrift durch
den Druck veröffentlicht werden, so müsste der Text voll-
ständig hineingeschrieben werden. Aber für besser er-
achten sie es, wenn die Ausgabe der Schrift durch euch
zu Basel, Wittenberg oder anderswo erfolge. So, meinen
sie, würde sie mit grösserer Beachtung und Geltung in
*) Lismanino hatte das nieänische Symbol in die Konfession
aufgenommen, nicht das nic&no-konstantinopolitanische; vergl. Bei-
lage IX.
Francesco Lisraanino. 303
die Oeffentlichkeit treten, als wenn sie in unserer typo-
graphischen Offizin gedruckt würde. Den Lucas Mundius
haben wir wegen eurer Fürsprache uns empfohlen sein
lassen und unterstützen mit Wärme durch unseren Brief
sein Geschäft bei S. K. M. Gott gebe, dass unsere Für-
sprache euch und diesem guten Manne viel nütze*.
Noch vor Empfang dieses Briefes hatte Lismanino
durch Francesco Negri wieder einmal an den Schweizer
Theologen geschrieben, der ihm trotz aller Verdächti-
gungen Sarnickis die alte Freundschaft bewahrt hatte, an
Johann Wolph in Zürich, ihm einige kleine Fortschritte
der evangelischen Erkenntnis in Polen gemeldet und zu-
gleich über Calvins und Bullingers Kälte ihm gegenüber
geklagt1). Als Mundius aus Königsberg in Pinczow ein-
traf, reiste Lismanino alsbald nach Krakau, wohl um die
Fürsprache des Herzogs beim Könige noch durch münd-
liche Bitten zu unterstützen2). Von der Landeshauptstadt
fuhr er nach Mordy in Podiasien. Obwohl durch Alter
und Krankheit geschwächt, legte er die 40 Meilen in
wenigen Tagen zurück und nahm am 9. Juni an der
Synode teil, zu der Fürst Radziwill nach der erfolglosen
Märzsynode zu Pinczow eingeladen hatte. Die Versamm-
lung stellte ihm folgendes Zeugnis über seine Rechtgläu-
bigkeit aus. „Gnade und Friede von Gott dem Vater und
unserm Herrn Jesus Christus. Hochmögende Herren und
andere Glieder, Geliebte in dem Sohne Gottes! Weil
sich hier der Doktor Francesco Lismanino bei uns ein-
*) Vergl. Wolphs Antwort vom 23. August 1563 O. C. XX
Nr. 4011.
*) Krakau, den 1. Juni 1563 ist in der gedruckten Ausgabe der
Explicatio doctrinae de Trinitate die Widmung an den König datiert.
Diese Angabe, die Sand S. 35 gibt, ist richtig ; irrtümlich behauptet
er aber, die explicatio sei von Gregorius Pauli und dreissig Geist-
lichen einschliesslich des Superintendenten Cniciger unterschrieben
worden. Die Unterschriften beziehen sich auf das von Lismanino
mitgeteilte Bekenntnis der Pinczower Augustsynode 1562; vergl. Bei-
lage IX. Die explicatio Lismaninos hätte Gregorius Pauli bei seiner
hn Herbst 156a anhebenden Hinneigung zum Arianismus nicht mehr
unterschrieben.
304 Theodor Wotschke.
gefunden, so haben wir ihn gern bei unseren Unter-
redungen gesehen und haben gern seine Meinung über
diese Glaubensstreitpunkte gehört. Dabei hatte er uns
auch seine Leiden geklagt und sich über einige Leute
beschwert, die ihn bei Ew. Liebden in den Verdacht ge-
bracht, als wäre er ein Arianer, weshalb ihm auch die
versprochene Versorgung vorenthalten sei. Nachdem wir
sein mündliches und schriftliches Glaubensbekenntnis sorg-
fältig geprüft, haben wir uns überzeugt und bekunden es
sämtlich durch dieses Schreiben, dass er niemals und in
keiner Beziehung ein Arianer war. Wir bitten daher
Eure Grossmächtigkeit, Ihr wollet wieder dieselbe gute
Meinung von ihm haben wie ehedem und ihn in die alte
Gnade aufnehmen, die er einst von E. Grossm. erfahren,
auch ihm die Versorgung geben, die ihm von Euer Grossm.
zugesagt worden. Damit werden E. Grossm. ein Gott
wohlgefälliges, uns Ihren Brüdern aber erfreuliches Werk
tun. Wir vertrauen darauf und empfehlen uns gehorsamst
dem Wohlwollen E. Grossm. und Ihrer brüderlichen Liebe.
Gegeben auf der Synode in Mordy, am 9. Juni 1563 *).
Von Mordy reiste Lismanino trotz der heissen Som-
mertage weiter nach Wilna zum Fürsten Radziwill. Ehren-
voll wurde er von diesem aufgenommen und die acht
Tage, die er bei ihm weilte und in denen er sich von den
x) Nach Lubieniecki S. 167 wäre diese Synode freilich selbst
nicht mehr rechtgläubig gewesen. Doch möchte ich bezweifeln, dass
er hierin recht unterrichtet war. Nach ihm hätte man auf der Synode
43 Teilnehmer gezählt, das Empfehlungsschreiben für Lismanino haben
aber nur 16 unterzeichnet; nämlich: Martinus Crovitius in dieta
synodo Mordensi electus superintendens ecclesiarum Podlassensium.
Simon Zacius minister. Przeczlaus Gnoienski praesidens synodi Mor-
densis. Caspar Irzikovic ordinis equestris. Stanislaus Chlevicki or-
dinis equestris. Nicolaus Vedrogovius minister ecclesiae Vilnensis.
Jacobus Calnovius minister. Adamus Petri minister Sydloviensis.
Nicolaus Jacobi minister Sobianensis. Thomas Falconius illustrissimi
prineipis palatini Vilnensis concionator. Ioannes minister Kieyda-
nensis. Andreas Czarnovius minister. Ioannes Falconius minister
ecclesiae Mordensis, praesentis synodi scriba. Valentin us Prosso vius
minister. Hieronymus Piekarius Albensis ecclesiae minister. Ioannes
Kazanovius in diocesi Lublinensi minister.
Francesco Lismanino. 305
Anstrengungen der Reise und einem heftigen epilepti-
schen Anfall erholte, benutzte er, um einen längeren Brief
an Bullinger zu schreiben. Er berichtete ihm die Ereig-
nisse der letzten Wochen und bat, ihn nicht ungehört zu
verurteilen. Er habe stets die kirchliche Lehre von der
Dreieinigkeit bekannt, sei dem Gentile entgegengetreten
und stets bemüht gewesen, die Irrenden zurechtzulegen.
Auch den König durfte er in Wilna begrüssen, zweimal
ward ihm eine Audienz gewährt, und wie in alter Zeit
unterhielt er sich mit dem Herrscher über Glaubensfragen.
Auf seine Bitte, nach der Walachei zum Fürsten Heraklid l)
reisen zu dürfen, erhielt er eine huldvolle Antwort. Mit
dem königlichen Hofe wahrscheinlich zog Lismanino darauf
nach Kauen (Kowno), wohin Herzog Albrecht geeilt war,
um mit dem König zusammenzutreffen und mit ihm über
Bekämpfung der Moskowiter zu beraten. Vom 4. Juli
an sehen wir Lismanino in der Umgebung des Herzogs,
der ihn in jeder Weise auszeichnete, für ihn zum Könige
sprach, am 6. Juli ihm einen Empfehlungsbrief an den
Fürsten der Walachei, am 11. an den König und am 12. Juli
an mehrere polnische Magnaten schrieb, an die drei Grafen
Gorka, die beiden Brüder Ostrorog, an den Rogasener
Starosten Johann Tomicki, den Schlossherrn von Golu-
chow bei Pleschen Raphaei Leszczynski und Nikolaus
Olesnicki. Nach diesen Briefen zu urteilen, muss Lis-
lüanino durch Posen nach Pinczow und Krakau zurück-
gereist sein. Hier traf er die Vorbereitungen zur Über-
siedlung nach der Walachei, als Anfang September ihm
die Nachricht von der Gefangennahme des Fürsten Hera-
klid durch die Türken gebracht wurde. Er beschloss nun,
nach Königsberg sich zu wenden. Wieder reiste er über
l) Aus der Walachei vertrieben war Heraklid durch klein--
polnische evangelische Ede Heute, vor allem durch Albrecht Laski,
denSohn des Hieronymus und Neffen des Reformators Johannes Laski,
-durch Stanislaus Lasocki und Hieronymus Philipowski, der die1
Witwe des Meseritzer Starosten Nikolaus Myszkowski Sophie, die
Wohltäterin des Meseritzer Predigers Georg Träger, geheiratet hatte,1
^wieder in sein Fürstentum eingesetzt worden.
Zeitschrift der Hist. Ges. fttr die Prov. Posen. Jahrg. XVIII. 20
306 Theodor Wotschke.
Wilna und von dort mit einem Empfehlungsbrief des Für-
sten Radziwill nach Preussen. Noch vor dem 13. Oktober
traf er in Königsberg ein, am 23. November sehen wir ihn
von hier einen längeren Bericht über sein Ergehen an
Johann Wolph in Zürich senden 1). Herzog Albrecht
nahm ihn in die Zahl seiner Räte auf, der König und
Fürst Radziwill hatten ihm ein Jahrgeld bewilligt, so dass
er frei von Sorgen leben und den grössten Teil seiner
Schulden in Polen bezahlen konnte. Es ist wohl erklärlich,
dass er sich in Königsberg eng an die Günstlinge des
Herzogs, an seinen Hofprediger Funk2) und den Aben-
teurer Paul Skalich anschloss; ausserdem trat er dem pol-
nischen Prediger Johann Seklucyan näher und dem jungen
herzoglichen Rat Friedrich Kanitz. Seine explicatio liess er
1565 in Wittenberg drucken und verteilte 500 Abzüge an
seine Freunde und Bekannten. Das Exemplar, welches er-
dem Erbherzoge Albrecht Friedrich zueignete, besitzt mit
Widmung von seiner Hand die Kurniker Bibliothek; sein
Vorhaben dagegen, die kleinpolnischen Synodalprotokolle
zu veröffendichen, hat er leider nicht ausgeführt8). Ver-
schiedene Reisen in Sorge um sein Jahrgeld und im Auf-
trage des Herzogs führten ihn 1564 und 1565 zurück nach
Lithauen zum Könige4), zum Fürsten Radziwill und dem
*) O. C. XX Nr. 4045.
a) In Funks Hause, das der Herzog für ihn gekauft hatte,
wohnte Lismanino. Wie Skalich unterschrieb auch Funk seine
explicatio: „Ego, Johannes Funccius, perlegi has superiores paginas
a doctissimo d. d. Francisco Lysmanino e patribus orthodoxis pie
collcctas, probo doctrinam in eis comprehensam et d. d. Lysmanini
conatus atque in eius rei testimonium manu propria haec subscripsi.
In nova domo Boruss. 13 die Jul. 1565*.
*) In dem Vorwort zu seiner explicatio spricht er von seinem
Vorhaben: „synodalia acta in lucem brevi per nos edenda modo
ecclesiarum Poloniae Minoris auetoritas comprobaverit".
«) Die ihm vom Herzog an den König aufgetragene Mission
scheint er nicht erledigt zu haben. Am 9. September 1565 schreibt
der Herzog an Joh. Maczinski : „Misimus non ita pridem venerabilem
Fr. Lismaninum, consiliarium nostrum, ad So*** R>«n M*«b in qui-
busdam negoiriis nostris, quae praefatus Lismaninus propter certas
causas et rationes expedire et ad suum debitum finem perducere
Francesco Lismanino. 3°7
Marschall Gregor Chodkiewicz *), nach Kleinpolen ist er
aber nicht mehr gekommen. Die Erinnerung an seine
letzten Lebensjahre in Königsberg konnte hier so völlig
erlöschen, dass Sand und Lubieniecki seinen Tod in das
Jahr 1563 fallen lassen. In den trinitarischen Streit, der
nach seinem Abgange erst recht entbrannte, suchte er
mit der Formel „pater, filius et Spiritus sunt unus deus",
die zwischen den sabellianisierenden Gedanken eines
Stancaro und den im Jahre 1563 sich immer deutlicher
dem Arianismus zuwendenden Ansichten eines Gregorius
Pauli die kirchliche Mitte halten will, von Königs-
berg aus einzugreifen. Von ihm bestimmt schrieb am
6. Juli 1564 Radziwill an Calvin, trug ihm diese Formel vor
und bat um sein Urteil; allein der Brief traf den Genfer
Reformator nicht mehr unter den Lebenden. Eine Aus-
söhnung zwischen diesem und Lismanino hat nicht statt-
gefunden. Zwei Jahre später, Frühjahr 1566, fand
Lismaninos bewegtes Leben seinen traurigen Abschluss.
Bereits im Herbst 1564, als wieder einmal die Pest in Königs-
berg wütete, fühlte sich Lismanino so schwach und ange-
griffen, dass er seine Sterbestunde nahe wähnte; am
29. Oktober schrieb er damals sein Testament. Den Be-
mühungen des Königsberger Arztes Severinus gelang es
ihn wiederherzustellen, im folgenden Jahre konnte Lismanino,
sogar noch der beschwerlichen, anstrengenden Reise nach
Lithauen sich unterziehen. Freilich sein altes epileptisches
Leiden konnte auch in Königsberg nicht gehoben werden»
cessavit, quemadmodum G*s V™ ex ipso latius intelliget. Cum itaquc
saepe commemoratus Lismaninus huius negotii instructionem a nobis
Uli debitam apud se ad hoc usque tempus retineat, statuimus, ut hoc
genas officiumque legationis ad exitum suum debitum perducendum
G*»ti V*»* imponeremus. Contendimus enim a G**1« V», quae prae-
fatam instructionem a Fr. Lismanino ad se recipere et secundum
tenorem eiusdem omnia apud S«™» R**» M**» tractare velit". Auf
die Lismanino erteilte Mission beziehen sich zwei längere Schreiben
Jon. Maczinskis vom ai. Oktober und 99. November 1565.
*) Dun schreibt Herzog Albrecht wohl in Antwort auf einen
durch Lismaninos Hand erhaltenen Brief am 19. Oktober 1565: quod
Mag**« V™ consiliarium nostrum Lismaninum carum habet, gaudemus"»
308 Theodor Wotschke.
vielmehr kehrte es in immer häufigeren und schwereren
Anfällen wieder. Dies Gebrechen war in den schönen
drei letzten Jahren, die er am Hofe des gütigen Hohen-
zollernfürsten verleben durfte, neben der Sorge um die
kleinpolnische Kirche das einzige, das seinen Lebensabend
trübte, es hat ihm auch ein jähes schreckliches Ende ge-
bracht Während eines Anfalls Ende April oder Anfang
Mai 1566 l) stürzte er in einen Brunnen und kam darin um2).
Das Schriftstück aus Lismaninos Hand, welches am
unmittelbarsten zu uns spricht und einen tiefen Einblick
in Herz und Gemüt gewährt, sein Testament, zeigt ihn,
und seine Briefe verstärken diesen Eindruck, als einen
edlen, lauteren, gewissenhaften Menschen mit frommem
und treuem, dankbarem und liebewarmem Herzen. Seine
häufigen Anträge auf Unterstützung und Tilgung seiner
Schulden können sein Bild nicht trüben. Infolge der
Ächtung und der späteren allzugeringen Einkünfte, die
der ihm überwiesene Teil des Pinczower Klosterackers
abwarf, war er in die drückendste Not gekommen, und
gerade seine rechtliche Natur, die keinem Gläubiger
etwas schuldig bleiben wollte, zwang ihn, die Kirche fort
und fort an die durch seine Berufung übernommenen
Pflichten zu erinnern. Wenn wir bedenken, in welchem
Überfluss er einst als Minoritenprovinzial gelebt, wie
er mit klarem Blick über alle Folgen seines
Übertritts zur Reformation von der alten Kirche sich
losgesagt hat, und wie die Not später sein tag-
1) Der Brief, den Stanislaus Latkowski Nürnberg, den 5. Mai 1566
in italienischer Sprache an Lismanino richtete, traf ihn nicht mehr
am Leben. Bereits am 7. Mai konnte der Gnesener Erzbischof
Uchanski an Hosius schreiben: „Lismanini tristem exitum varie
haeretici interpretantur". Vergl. Wierzbowski: Uchansciana III
Warschau 1890 S. 128.
2) Nach Sand wäre der Unfall eine Folge seines Schmerzes
über eheliche Untreue seiner Gattin gewesen. Ich habe diese Nach-
richt nicht bestätigt gefanden. Mit Behagen verweilt Stancaro bei
dem traurigen Ende seines Gegners, aber schweigt, was er gewiss
sich nicht hätte entgehen lassen, von der angeblichen Ursache des
epileptischen Anfalls.
Francesco Lismanino. 309
licher Gast ward, so kann kein Vorwurf des Eigen-
nutzes oder der Geldliebe wider ihn laut werden.
Ein bedeutender Theologe ist Lismanino nicht ge-
wesen. Seine Gaben waren nicht gross, sein Wissen nicht
tief, sein Denken nicht selbständig, vor allem seine Ge-
wandtheit im Disputieren nur beschränkt, und er hat selbst
die Schranken seines Könnens stets anerkannt und sich
nicht für geeignet gehalten, das erste Amt in der Kirche
zu bekleiden. Es war sein Unglück, nach Laskis Tode trotz
der Superintendentur Crucigers durch die Verhältnisse tat-
sächlich an die Spitze der kleinpolnischen Gemeinden ge-
stellt zu werden, sein Unglück, in dem leidenschaftlichen
Stancaro einen Gegner zu haben, der sich wohl widerlegen,
aber nicht zum Schweigen bringen Hess, der durch seinen
erdrückenden Wortschwall und durch sein sicheres Auf-
treten viele Edelleute zu gewinnen verstand. Im Kampfe
wider ihn hat Lismanino im Sommer 1561 seine Lehre von
der Präeminenz des Vaters gebildet, vielleicht ist er hier
wie bei der in dem kürzeren Bekenntnis gegen Stankaro nie-
dergelegten Auffassung von der Ewigkeit des Mittleramtes
Christi von Blandrata beeinflusst worden, und gewiss
hat diese These dem Eindringen arianischer Lehren in
den Kreis der Pinczowianer das Tor geöffnet. Der Vor-
wurf wird ihm auch nicht erspart bleiben können, dass
er nicht immer vorsichtig in der Formulierung seiner
Gedanken gewesen ist *), aber wir haben keinen Grund an
der inneren Wahrhaftigkeit seines verschiedentlich aus-
gesprochenen orthodoxen Bekenntnisses zu zweifeln.
Die Königsberger Professoren haben ihn als recht-
gläubig anerkannt, — einem Arianer hätte Herzog Al-
brecht nimmer eine Zufluchtsstätte gewährt, — und ein
Blick in seine explicatio de trinitate, ein Hinweis auf
die von ihm ausgeschriebenen Kirchenväter zwingt auch
uns heute dazu. Die von ihm zum Zwecke der Abweisung
des stancarischen Sabellianismus, zur Festhaltung der
l) VergL in Beilage XV : Unus deus de patre, filio et spiritu
sancto dictus non tollat eminentiam patris illius ingeniti, qui solus
est unus ille verns deus pater.
310 Theodor Wotschke.
realen Unterschiede in dem einem göttlichen Wesen be-
tonte Präeminenz des Vaters ist nur die auch von Atha-
nasius und derKirchenlehre zugegebene Verschiedenheit der
mqxi) von dem yervrj^a und möglich bei qualitativer und
gradueller Gleichheit des Sohnes mit dem Vater.
Be ilage n.
I.
Johann Bonar — Herzog Albrecht.
Neminem, Illme Princeps, dubitare arbitror, quanta sit
in Christi causa conservanda pietas, virtus, constantia et
fides Illmae Celsnis Tuae. Nemo non fatetur, Ulmam Celsncm
Tuam suscipere eos in fidem patrocinarique, qui pietatis
Christianae propagandae sunt Studiosi, ita ut genus hoc
bonitati s magnanimitatisque in IllmaCelsne Tua minime deside-
ratur, quae si in aliis principibus elucet, in Ulm* Celsne tarnen
Tualongesplendetillustrior. Quumigitur praestantissimus vir
doctor Lismaninus Corcyraeus, sacrae theologiae prof essor, qui
illucescentis evangelii profectum et ut ii, qui religionis aliquo
studio tanguntur, ab eo informarentur, esset a multis rena-
scentis ecclesiae Christi ministris huc vocatus, ob repu-
diatam abominationem papisticam sit eius farinae homini-
bus adeo exosus, ut usque eo invaluit illorum furor, quo
nullus i 11 i sit magis in regno hoc locus et, cum neminem
habeat, qui talibus furiis pro eo patrocinium suum apponat,
ad Illmae Celsm* Tuae fidem supplex profugit obnixe
rogans, ut illum in clientelam suam suscipiat, non dubitans,
se ex Illma Celsne Tua non^tantum iustum sed etiam stre-
nuum defensorem habiturum. Cum autem me quoque
unum esse non nego, qui cognoscendi verbi Dei verita-
tisque evangelicae cupiditate maxima tangor, continere non
potui, quin pro tanto viro partes meas ad Ulmam Celsnem
Tuam interponerem cum ob zelum, quo erga purum evan-
gelii verbum et erga sincerum dei cultum aestuor, tum
ob singularem amorem, quo erga illum rapior. Commendo
itaque hunc ipsum ornatissimum virum Illmae Cels^i Tuae
et tanto magis, quanto ille sibi maiora de eadem pollicetur,
qua spe frustrari illum quominus patiatur summopere peto.
Francesco Lismanino 31 1
Est equidem iustura et maxime consentaneum Iiimae Celsni
Tuae, nee aures nee animum a tarn iusto patrocinio aver-
tere, praesertim ubi de tanta re agitur, nempe quo modo
dei gloriae constet incolumitas, quomodo suam dignitateuu
veritas retineat, quo modo regnum Christi sartum tectumque
inter nos maneat. Unde habitura est Ulma Celsd° tua
a deo opt max. locupletissimam remunerationem, a me
vero una cum nominato viro indefessam reserviendi cupi-
ditatem; cum his dominus noster Jesus Christus protegat
ac tueatur Illmam Celsnem Tuam eamque regat ac gubernet
suo saneto spiritu. Cracoviae XXII. Septembr. anno sa-
lutis humanae 1556. Illmae Cels*« Tuae deditissimus ser-
vitor Joannes Bonar de Balicze, castellanus Biecensis,
manu propria.
II.
Herzog Albrecht — Johann Bonar.
Magnifice et generöse singulariter nobis dilecte. Lit-
teras Magtiae Vrae XXII Septembris Cracoviae datas acce-
pimus, quarum exordio, quod tanta nostri deprecatione
utitur, illud omnino ex singulari Magtiac in nos Vrae amore,
quo a multis nos annis prosecuta est, proficisci arbitramur,
vellemus quidem nos per omnia, quae Christo eiusque
ecclesiae debemus, praestare posse. Quia vero humanam
imbecillitatem cum aliis libenter agnoseimus, eam nobis
laudem non arrogamus neque virium est nostrarum, si quid
in Propaganda veritate evangelica impendimus, sed spiritui
id saneto reverenter adscribimus ac deum aeternum pre-
camur, ut cognitionem sui in nobis adaugeat et ad extrema
vitae nostrae tempora conservet. Clarissimum virum Fran-
ciscum Lismaninum a regno Poloniae proscriptum esse
dolemus ac facile credimus, quorum id instinetu factum
esse. Fuit autem eadem omnium temporum renascentis
ecclesiae conditio, semper enim illam satanae furores impu-
gnaverunt. Sed cum delere eam nequiverint, non dubitan-
dum est, quin deus et hanc in Polonia eluscentem veri-
tatem sit propugnaturus. In quo promovendo si quid cari-
tatis christianae impendi a nobis potest, nihil sane, quoad
possumus, desiderari in nobis patiemur. Itaque eo promp-
312 Theodor Wotschkc.
tiores fuimus ad interponendas apud S. R. Mt«n et plerosque
regni senatores pro eodem Lismanino preces nostras. Faxit
deus, ut quod oramus, exorasse nos gaudere possimusr
siquidem in amplificando Christi regno debitores esse nos
agnoseimus. In quo ut ipse Christus suo spiritu saneto
conatus nostros gubernet, votis ardentibus precamur exop-
tamusque, ut Magtiam Vram in ea mente, quam aperta
ei lux evangelica excitavit, perseverare et incrementa sumere
faciat. Petimus amice, ut crebrius ad nos scribat statumque
ecclesiae istic locorum nobis communicet. Regiomonte
13. Novembris 1556.
111.
Albertus dux Prussiae — Felici Crucigero superinten*
denti renascentis ecclesiae Christi in Minori Polonia.
Ea quae Rma Dtio Vra de statu renascentis in Polo*
niae regno ecclesiae deque veritatis hostibus in oppugnanda
ea ac proscripto clarissimo viro Francisco Lismanino ad
nos scripsit, illa ex litteris, quas omnium ministrorum et
nobilium veram religionem in Minori Polonia amplecten-
tium nomine ad nos dedit, probe intelleximus. Ac im*
primis gratulamur inclito Poloniae regno, quod deus opL
max. veram sui invocationem illi patefecit veritatisque lucem
accendit. Is ea omnia ad ecclesiae suae propagationem
diuturna esse velit, ut cum mu Itarum animarum salute et
honore eius regni perpetuo coniuneta sint atque in largam
latamque messem aecrescant. Quo autem maiore nos höc
nuncium gaudio affecit, eo tristius nobis aeeidit, quod cla-
rissimum virum Franciscum Lismaninum proscriptum esse
intelleximus. Non possumus itaque non vehementer piis
omnibus et toti communitati vestrae hoc nomine condo-
lere, quia vero ex omnibus temporibus surgentis ecclesiae
facies est, ut suis illam satan machinationibus infestare et
aggredi non cessaverit, moderatius dolori indulgendunx
esse existimamus. Namque et ipse Christus, doctor nosterr
persecutionibus subiectum iri ecclesiam suam praedixit, id-
circo eo minus frangi nos animo convenit Quo enim vehe-
mentius hostes evangelii veritatem supprimere conantur^
Francesco Lismanino. 313
eo fortius illam exsurgere Rmae Dni Vrac obscurum non est.
Ac facile quidem credimus, S. R. Mtcm in proscribendo
Lismanino ab eius farinae hominibus, quibus invisa est lux
evangelica, pertractam fuisse. Quia vero nobis oranino per-
suademus S. R. Mtcm orthodoxam de Christo doctrinam
pie amplecti, eo promptiores sumus ad interponendas apud
illam et plerosque regni consiliarios preces nostras pro
eodem Lismanino. Tanta autem ad nos Rmae Dnis Vrae
obtestatione eiusdem intercessionis nostrae opus non fuisset,
cum quod ex pietate hoc officium afflictis ecclesiae Christi
ministris debemus, tum quod eundem Lismaninum iam
pridem benevolentia et favore nostro complexum carinii
habemus. Itaque et laboranti ad subveniendum eo pro-
cliniores sumus, peroptamus autem, utintercessioillumnostra
plurimum commendet et pristinae ipsum libertati restituat . .
Regiomonte XIII Novembris 1556.
IV.
Joh. Ocieski cancellarius — Alberto duci Prussiae.
Ulme et excolendissime princeps. Si cui unquam
cuperem ex animo obsequi et studiose gratificari, certe id
comprimis Iilmae Celni Vrae praestare fuerit mihi iucun-
dissimum, quandoquidem ea me semper gratia et benigni-
tate prosequatur, quam ego hactenus me demeruisse non
existimo multumque Uli me debere fateor, neque est
quicquam eiusmodi, quod non pro voluntate Iilmae Celni Vrae
libenter efficerem, si modo in mea id esset potestate.
Caeterum quod proximis literis suis Franc. Lismanini negotio
ut curarem, mihi iniunxit, etsi is professione sua reiecta
in regnum hoc liberum a nullo magistratu vocatus venire
ausus fuerit et ad res novandas praesentemque rei publicae
statum perturbandum spectare dicebatur, facilius tarnen
veniam illi et clementiam S. R. Mtis in gratiam Iilmae.
Celnis Vrac impetrassem, si re integra mihi id commisisset.
Sed cum iam instantibus iis, quibus curae est, ne quid in
veteri ritu religionis innovetur, edictis et diplomatibus
S. R. Mtis publice proscriptus sit, non videre se dicit Mtas,
qua ratione possit integra dignitate sua ea, quae semel de
314 Theodor Wotschke.
illo statuit, revocare. Quam ob rem si minus hoc in
negotio Dlmae Celni Vrae satisfacere potui, non id negli-
gentiae meae ascribat, sed rem omnem pro ratione tem-
porum aequi bonique consulere dignetur. Quibuscunque
autem aliis in rebus promptam et addietam volimtatem
meam illi declarare potuero, nihil est, quod fecero üben*
tius Varssoviae 13. Dezember 1556 *).
Johannes Tomicki — Matthiae Czerwenka fratri in
Christo carissimo et multis modis honorandissimo inPrzerow.
Quinta die Augusti, cum domum redii, reperi, docto-
rem Lismaninum, qui accedente voluntate regia apud me
manere constituit oetavaque die eiusdem mensis pro uxore
in Tigurim misit misitque ad illas ecclesias exemplaria
confessionis nostrae aliquot. Etsi d. Stanislaus ab Ostrorog
obtulerat illi apud se mansionem, verum ille non alibi ani-
mum quam apud me manendi declaravit Acquievi volun-
tati illius, sed tarnen scire volens, utrum aliquid aliud in
animo haberet causa religionis, quam nos ut sentimus vel
profitemur, dixi me nolle, ut quis mihi conscientiam verbo
dei iam lustratam denuo turbet. Ille apud me manens, ne
cum aliquibus tractet vel Ulis consulat contra unitatem
fratrum, me talia non posse boni consulere respondit, se
J) Indessen hat gerade der Kanzler Ocieski die Aufhebung
der Acht zu hindern und die Reformation in Polen zu unterdrücken
gesucht. Vergl. hierzu den Bericht des preussischen Gesandten
vom Warschauer Reichstage, den 2. Januar 1557. „In der Religion
sachen, do hauen die gestlichen durch die beden Cantzler grobe hunde-
har ein (d. h. betrogen, da durch einen Einschlag von Hundehaaren
minderwertige wollene Stoffe hergestellt wurden), der eine wirtt
mit geistlichen guttern, der andere mit gelde vberwunden. Man
gibt itzundt für, das nimant als die vom adel für ire person freyhait
haben sollen vnd im geheim zu glauben, wie es zuuorantworten,
sunst ire vnderthanen vnd alle Kirchen sollen im vorigen bebst-
liehen schtande bleyben. Do widder fechten die landsbotten vnd
seint doch gleichwol auch tzweytrechtig gemacht. Den hern von
Tarnow haben die Cantzler auch auft einen weg bracht, das er
weder fisch noch flaisch wurde*.
Francesco Lismanino. 315
talem nunquam ex natura neque ex aliqua re alia habere,
ut banc provinciam in se sumat, ut sit iudex harum
rerum. Ceterum dixit se non esse aliquem ministrum
ut tuam conscientiam ego regam. Imo aliud non curo, nisi
ut omnes unanimes sint cum fratribus, verum si quid in
conf essione fratrum contra verbum purum dei ostensum esse
potent, scio illos ita modestos esse, ut bono animo suscipiant
et meliora videntes Ulis acquiescant, quae omnia conferre
vult cum fratre Georgio1) et Rokytha, legitque diligenter con-
fessionem et annotat loca sibi dubia. Haecque mihi de-
monstravit primum in confessione de poenitentia, ubi scri-
ptum est de confessione, quod consilio ad ministros adeant
coetus. Non ita, inquit, intelligere debent nisi de peccatis,
dubiis aut articulis, sed, inquit, de his, quae sciret esse
iam certa vel vera peccata et occulta sunt, non esse opus,
omnino illa coram ministro enumerare. Ille in apologia
folio 37>eprehendit sententiam hanc, quae ita incipit: „sub
haec dicimus, cum in his, quae salutis sunt, adhortamur
etc". Volunt, inquit, fratres non nisi illos pro christianis,
qui sunt in unitate illorum, habere et curam illorum illis*
esse, de exteris autem nulla illorum cura ut sit, citantque
verba Pauli, quae ita interpretari non possunt Nam Paulus,,
inquit, exteros non christianos appellat, sed ethnicos et
paganos. Sed cum vult ea conferre cum nostris, parum me
haec movent, scio enim Uli adiutore domino fieri satis a
nostris. Nunc autem quid in synodo Pinczoviensi2) consti-
tutum sit et a domino Lasocky procul dubio sit et ex hoc
exemplari a domino Lasky domino Stanislao ab Ostrorog
misso intelliget Nomina horum seniorum hie descripta
habet: d. Ossolynsky, d. Lasocki, d. PhUipowsky, d. Lu-
kowsky, d. Rabsky, d. Zarski. Scripsit litteras ex Przerow
Lismanino d. Lasocky, pridie Galli velle aliquos ad nos
in Maiorem Poloniam venire veüeque nobiscum aliquae de
religione traetare una cum d. Lasky, sed neque de tem-
pore neque de loco nihil praesertim ab Ulis seimus, quod
*) Georg Israel.
*) Synode in Pinczow vom 10 -17. August 1557.
316 Theodor Wotschke.
magis non omnes adesse posse intelligo, si tarnen ex deo
illorum cura erit, facile res suas agent. Rogo, Dtio Vra me
una cum familia mea in orationibus non praetermittat, cui
nos commendamus valereque quam diutissime ex animo
cupimus. Datum in Thomice 14. die Septembr. 1557.
Vester ex animo frater et amicus Johannes de Thomice,
castellanus Rogocensis, manu propria scriptum.
VI.
Stanislaus ab Ostrorog — Alberto duci Prussiae.
Dedi in mandatis nobili Eustachio Trepka, ut quae-
dam meo nomine ad Illmam Celsnem Vram referret, quem
ut benigne audiat, fidem habeat ac tantum sibi de me,
quantum ex eo intelliget, persuadeat, plurimum rogo. Cae-
terum cum intelligerem, Franciscum Lismaninum singularis
cum eruditionis tum prudentiae hominem ad Illmam Celsnem
Vram proficisci in animo habere ac a me, ut per meas
litteras ad Illmam Celsnem Vram faciliorem aditum haberet,
eontendere, ei hac in parte deesse nolui, tametsi omnibus
aliquo vel eruditionis vel virtutis encomio commendatis
aulam Illmae Celnis Vrae semper patere minime ignorarem.
Itaque ab Illma Celsne Vra peto, ut virum Optimum et propter
religionem vagum proiectumque sua gratia et humanitate,
ubi advenerit, complectatur. Quod Illmam Celsdinem Vramf
quo studio erga puriorem religionem eiusque assertores
ducitur, facturam omnino confido Ex Grodzizko
21. Martii 1558.
VII.
Albertus dux Prussiae — Stanislao ab Ostrorog.
Magnifice et generöse, amice nobis singulariter dilecte.
Nobilis Eustachius Trepka servitor noster litteris Magtiae
Vrae nobis exhibitis quaedam illius nomine retulit, ad eaf
quid a nobis responsum sit, ex ipso Magtia Vra intellectura
est, cui ut fidem referenti habeat, amice contendimus. Quod
.ad Lismanini commendationem attinet, latere Magtiam Vram
nolumus, fuisse apud nos reverendum ac generosum Ioan-
nem a Lasco, qui inter cetera et ipsius quoque Lismanini
Francesco Lismanino. 317'
nomine nobiscum egit; ei quid responsum dedimus, partim
ex eiusdem Eustachii Trepka relatione, partim ex response^
nostro, quod scriptum ei dedimus, cognoscet Cupimus
autem, ut Magtia Vra per omnia de nobis sibi amici prin-
cipis benevolentiam polliceatur, ut quidem nihil eorum, quae
recte a nobis praestari potenmt et quantum rationes nostrae
ferent, passuri simus in nobis desiderari, sie sane ut.
Magtia Vra se et magni a nobis fieri et postulata quoque
illius plurimum valere apud nos experiatur, sicut latius haec
ab ipso Eustachio Magtia Vra intellectura est. Quam feliciter
valere exoptamus. Dat. Regiomonte 22. Aprilis 1558.
VIII.
Epistola synodi seniorum utriusque ordinis MDLXI
XIÜ Decembr. Cracoviae celebratae ad clarissimum virum
d. Heinricum Bullingerum ecclesiae Tigurinae pastorem.
Quod eam curam nostri habes, clarissime et inte-
gerrime vir, non possumus tibi summas non agere gratias,
non aliunde enim hanc nasci credimus, quam ex illo amore,
quem summum semper testati estis in vestris ad nos.
scriptis. Optamus autem, ut quem admodum hueusque de
nobis optima sperabatis et nos quoque de vobis credidi-
mus, ita in posterum eandem fidem illaesam permanere,
ne scilicet quorumlibet hominum privatorum litteris vel
delationibus de nobis credatis. Sunt enim plerique, ut
nunc sunt tempora, qui nihil aliud quam traducendi et
condemnandi occasionem quaerunt, laudem ex aliorum
infamia venantur et quasi vigilantiae speciem prae se ferunt,
cum ad quaslibet suspiciones vel rumusculos omnes ex-
citent et classicum canant.
Loquimur autem hie de nostris quibusdam, qui eccle-
sias nostras turbare annituntur et quaerunt occasiones
traducendi. De nobis vero, ne quid dubitetis, sie breviter
babete. Credere nos et adorare sanetam trinitatem, hoc
est patrem, filium et spiritum sanetum agnoseimus. Patrem
verum deum esse, Christum quoque filium dei esse verum
deum, spiritum quoque sanetum esse verum deum, plura-
3X8 Theodor Wotschke.
litatem deorum detestamur, unum esse deum, non persona
sed indifferent! natura credimus.
Contra Arium credimus opoovounr filium patri, contra
Servetum credimus aeternum ex aeterno patre genitum
filium, omnipotentem ex omnipotenti perfectum ex perfecto
»etc. Verbum quoque suo tempore factum hominem non
mutata natura verbi in carnem, sed carne in unam hypo-
stasim unita. Propter puritatem et simplicitatem apostolico
symbolo contenti sumus. Sed ne calumnientur nos hostes,
etiam Nicaenum cum Athanasü symbolo contra haereticos
•emergentes reeipimus. Caeterum ut via falsis rumoribus
de nostris ecclesiis praecludi possit, in posterum rogamus,
ne cuiusque delationibus vel etiam scriptis credatis, nisi
literis publicis ab istis senioribus vel illorum plerisque
subscriptis. Itaque obtestamur te tuosque symmistas, ne
•quid de nobis mali suspicemini, sed nos agnoscatis pro
fratribus vestris amantissimis, qui ut a vobis in doctrinae
evangelicae puritate non medioeriter adiuti sumus, ita
vobiscum eam retenturos esse et defensuros contra omnes
omnium errores certo vobis persuadeatis. Bene vale, vir
clarissime. Dominus te servet ecclesiae suae fidelem
ministrum. Cracoviae ex synodo seniorum XIII. Decembr.
anno MDLXI1).
IX.
Confessio de saneta trinitate contra eos, qui ecclesias
Minoris Poloniae Arianismi et pluralitatis deorum aecusant,
edita Pinczoviae in synodo seniorum et ministrorum XX
(bei Zanchi fälschlich XXII) Augusti anno domini MDLXII.
Da das Bekenntnis bei Zanchi (VIII, 80) sich abge-
druckt findet, übergehe ich es hier und drucke nur das
ihm von Lismanino später mit Rücksicht auf Herzog
i) Bullingcr war natürlich durch diesen Brief and das Glaubens-
bekenntnis völlig befriedigt Am 28. Februar 156a schreibt er seinem
Genfer Freunde „mitto litteras, quas aeeepi ex Polonia, mittunt ad
me confessionem, quam si faciunt animo sincero, congratulor eis.
Ac nisi existimavissem similem ad te quoque missam, meam iilam
communieavissem tecum".
Francesco Lismanino. 319
Albrechts Erinnerung vom 9. Mai 1563 beigegebene
Scholion ab.
Qui existimant non recitari totum symbolum Nicae-
num, sciant verba illa: „Dominumque vivificantem etc."
addita fuisse in synodo Constantinopolitana adversus Mace-
donium, qui negabat divinitatem Spiritus saneti. In Nicaeno
autem symbolo huiusmodi non haberi, quae tarnen nos
etiam ut necessaria suseipimus et approbamus.
Da bei Zanchi nur zwei Unterschriften sich finden,
teile ich sämtliche mit:
Felix Cruciger, superintendens ecclesiarum in Minori
Polonia.
Franciscus Lysmaninus.
Stanislaus Lutomirski, Pinczoviensis tractus senior.
Gregorius Paulus, senior in diocesi Cracoviensi. '
Paulus Gilovius, senior districtus Zatoriensis et Oswie-
ciniensis ducatus.
Jacobus, ecclesiarum submontanarum senior.
Stanislaus Paclesius, ecclesiarum sortis suae in terra
Lublinensi superintendens.
Martinus Crovitius, ecclesiarum Lublinensium sibi
commissarum superintendens.
Alexander Vitrelinus, Bitomiensis minister evangelü.
Stanislaus Wisniovius, minister coetus Vieliciensis.
Melchior Polipovius, minister in Lukow.
Joannes Checiny, minister in Rogow.
Joannes a Pokrziwnica, minister in Krzczeczicze.
Jacobus Sigismundus, minister Pinczoviensis.
Joannes Siekierzinski, verbi dei minister in Pelsnicza.
Christophorus Milvius in Gory, verbi dei minister.
Michael, minister Ruski Krosney.
Tiburtius Borisovius in Sieklika minister.
Stanislaus Moicius, minister in Naglovice.
Bartolomaeus Luczicki.
Matias Lovicius, minister in Jastrzebia.
Matias Albinus, minister in Iwanowice.
Stanislaus Cristinius Wiedimensis, verbi dei minister.
Stanislaus Bodzecinius, minister in Bobova.
320 Theodor Wotschkc.
Martinus Laskowius, minister in Sobolow.
Matias Niegoslawski, minister in Tarnowa.
Tomas ex parva Kazimierza.
Albertus Episcopius, minister verbi dei.
Adam, minister ecclesiae dei in Gieraltowice.
Georgius Schommanus scriba.
X.
Nachtrag zur explicatio doctrinae de trinitate: Si
quisquam est, qui meliora adferat aut nostra pie corrigat,
is et scribat et corrigat, et dominus illi pro nobis retribuet.
Nulla namque dueimur invidentia, quoniam neque per
contentionen neque per inanis gloriae Studium ad colligenda
ista accessimus, sed fratribus prodessemus nosque in hoc
praeeipuo religionis christianae articulo recte sentire testa-
remur. Franciscus Lysmaninus.
XI.
Albertus dux Prussiae — prineipi Moldaviae.
Illustris et magnifice prineeps, amice nobis singu-
lariter dilecte. Dum hie Caunae, in oppido Lithuaniae,
quo ad S. R. Mtem Poloniae profecti sumus, aliquot dies
commoramur, aliquoties nos invisit Franciscus Lysmaninus
Corcyraeus, cum quo inter tumultuosa haec negotia, quae
Caunae nobis efficienda fuerunt, multis de rebus fami-
liariter sermones contulimus. Inter cetera vero intellexi-
mus, Illtatem Vram aliquoties per litteras eum ad se invitasse,
quod autem IUtatis Vrae voluntati non citius et ante hoc
tempus satisfecerit, id nullam aliam ob causam, nisi quod
S. R. Mtem de impetranda eam provectionem venia nullibi
quam tunc Caunae commodius maioreque cum oportuni-
täte convenire potuerit, factum esse Dltas Vra sibi persua-
deat. Quandoquidem autem nunc permissu S. R. Mtis iter
ingressurus et ad Illtatem Vram profecturus sit, noluimus
committere, ut amicus hie noster ab annis plurimis, cum
monasticam adhuc agens vitam cucullo indutus esset,
nobis et notus et familiaris absque literis ad Illtatem Vram
nostris perveniret Illtatem itaque Vram maiorem in modum
Francesco Lismanino. 321
pro mutua nostra amicitia rogamus, ut dictum hunc Lis-
maninum, cui alias Ultatem- Vram optime cupere non est
dubium, etiam nostri causa, quo ad priorem istam ac
veterem benevolentiam propter commendationem hanc
nostram, qua tarnen minime opus esse arbitramur, novi aliquid
accessisse intelligit, favore complecti eique benignam se
praebere dignetur. Hoc modo Illtas Vra beneficia sua
praeclare positura est, et nos, quicquid benevolentiae ami-
citiaeque ab Illtate Vra in eum collatum fuerit, non secus,
ac si nobis id factum esset, accipiemus et paribus id
studiis vicissim Illtati Vrae rependere conabimur. Quam
diu feliciterque valere exoptamus et ut per occasionem
literis suis nos invisat petimus. Dat. Caunae VI. Julii 15631).
XII.
Albertus dux Prussiae — Regi Poloniae.
Serenissime rex. Dubium mihi plane nullum est,
S. R. Mtem eorum, quae de doctore Francisco Lismanino
Corcyraeo cum S. R. V. Mte hie Caunae collocutus sum,
datique ad intercessionem pro ipso meam responsi (quod
prolixius hie repeti operae pretium non esse dueo) nee
non annexae regiae benignaeque pollicitationis suae, quod
S. R. V. Mtas in notis illius negotiis clementer cum eo actura
esset, adhuc esse memorem. Inductus igitur hoc clemen-
tissimo S. R. V. Mtis responso ipse Franciscus in istis negotiis
suis ad S. R. V. Mtem proficiscitur. Cum autem interea
temporis, dum hie Caunae commoror, ex conversatione
cum ipso et habitis mutuo colloquiis tantum mihi depre-
hendisse videar, secus eum S. R. V. M*i , quam decebat,
depictum est, non possum facere, quin ei ad S. R. M*«n
Vram iter ingredienti litteras hasce commendatitias com-
municem. Scram itaque R. V. Mtem etiam atque etiam enixe
humiliter peto, ut se pro clementi sua pollicitatione beni-
l) Bei dieser Gelegenheit bemerke ich, dass schon am 18. März
1563 Herzog Albrecht dem nach der Moldau und Walachei reisenden
Wittcnberger Professor Justus Jonas, einem Sohne des bekannten
Freundes Luthers, einen Empfehlungsbrief an den Fürsten Heraklid
Basilikus mitgab.
Zeitschrift der Hist. Ges. fQr die Prov. Posen. Jahrg. XVIII. ar
322 Theodor Wotschke.
gnissimum clementissimumque ipsi dominum ac regem
etiam mea causa praebere clementer dignetur. Confes-
siones quidem a norma ac regula verbi divini non dissi-
dentes ex aequo se recepturum et approbaturum, omnes
a sacris vero literis discrepantes repudiaturum esse con-
stanter asserit, subscribere autem ulli ideo veretur et
recusat, quod in confessione sua propria et quidem a
multis aliis subscriptione approbata non levem postea
in gravissimo de trinitate titulo errorem deprehenderit1).
Quare S. R. V. Mtem iterum submisse peto, ut ratione
horum clementer habita commendatum eum sibi esse sinat
ac gratia porro sua atque benevolentia complectatur. Fac-
tura S. R. V. Mtas rem mihi gratissimam, quam ego debitis
meis officiis subdite promereri enitar. Ipse vero Franciscus
non prius pro hoc S. R. V. Mtis beneficio gratus esse quam
vivere desinet Deinde et haec S. R. V. Mtem subdite celare
non possum rumorem de obitu illius viri, de quo cum
S. R. Mte Vra in conclavi meo hie Caunae sermones con-
tuli, subinde augeri et pro certo haberi, duas vero ot>
causas id occiütari. Atque S. R. V. Mtem in serös annos
Christo omnipotenti salvam, felicem atque florentem con-
servari ac hostibus suis omnibus modis superiorem esse
ardentibus votis exopto. Caunae XL Jiüii 1563.
XIII.
Albertus dux Prussiae — Lucae, Andreae et Stanislao
Gorka, Jacobo et Stanislao ab Ostrorog, Johanni Tomitzki,.
Raphaeli Lieskinski et Nicoiao Olyesnienski.
1) Leider vermag ich nicht zu sagen, worauf sich diese Worte-
beziehen mögen, einem Zweifel an der dogmatisch korrekten Theologie
Lismaninos können sie jedenfalls nicht Vorschub leisten. Vergl. auch
folgendes Urteil aus römischem Munde. Am 17. August schreibt
der königliche Sekretär Andreas Patricius an den Kardinal Hosius
von Grodno aus: „Misit ad me Fr. Lismaninus libellum confessionis
suae de trinitate, quam mitto Ili«*« D»" V»*, ut videat, an inter
haereticos in hoc quidem articulo sit habendus. Ipse enim Trideistae
appellationem modis omnibus repudiat. Conatus sum hominem in.
hoc genere ad confessionem concilii Tridentini revocare14.
Francesco Lismanino. 323
Magnifici ac generosi, singulariter nobis dilecti. Cum
ex praesentiarum exhibitore Francisco Lysmanino, amico
nostro perveteri, qui Caunae nobiscum erat, intelligamus,
eum Magtiac Vrae et notum et familiärem esse ac eandem
nunc invisere constituisse, noluimus committere, quin ad
contestandam benevolentiam ac favorem nostrum, quo
eum ab annis hinc multis complectimur, commendatione
eum nostra ad Magtiam Vram prosequamur. Quamobrem
Magtiam Vram amanter rogamus, ut hunc communem
amicum nostrum iam ante Magtiae Vrac satis commenda-
tum propter nos eo commendatiorem sibi habere velit,
ita ut benevolentiam Magtiae Vrae erga ipsum non parum
incrementi et virium ab hisce literis nostris accepisse ex-
periatur. Caunae XII. Julii 1563.
XIV.
Lismaninus — Friderico a Canicze.
Magnifice domine. Cum solet dici, melius est prae-
venire quam praeveniri, et in dubiis tutior via est adhi-
benda, videns me non posse liberari a tussi et catarro
febrili, qui morbi me molestant in quattuor septimanis,
scripsi testamentum meum, quod bis inclusum mitto et
per iilum amorem filialem, quo me nihil tale meritum hac-
tenus Magtia Tua prosecuta est, obtestor, ut, ubi audiverit,
me ex hac valle misera emigrasse ad illam beatam vitam,
coram illmo duci, domino clementissimo, aperiat et legat
omniaque curaret exsequenda iuxta meam voluntatem.
Dat ex aedibus illustrissimi principis XXX. Octobris 1564.
Franc. Lismaninus languens.
XV.
Lismaninos letzter Wille.
Anno 1564 die 29. Octobris Regiomonti in aedibus
illustrissimi principis a venerabili magistro Functio emptis.
Decumbens ex tussi et catarro febrili ego Fr. Lis-
maninus Corcyraeus sexagenarius sanus mente manu mea
propria haec annotavi habitura vim et valorem mei ultimi
testamenti, cuius executores constituo illustrem d. Paulum
21*
324 Theodor Wotschkc.
Scalichium et generosos dominos Fridericum a Canicze et
Joannen) Maczinski1), qui hactenus me filiali amore sunt
prosecuti. Haeredem meum nomino Paulum Lismaninum
puerum novennem, quem mihi peperit nobilis femina
Claudia Galla, mea uxor legitima in primaria Helvetiorum
urbe Tiguro.
Inprimis confiteor me hactenus sensisse et per de
gratiam usque ad extremum huius vitae corporalis mo-
mentum sensurum de vera religione non ex hominum
commentis sed ex sacrosaneta scriptum canonica veteris
et novi testamenti, quam agnosco et reverenter amplector
pro ipsissimo verbo dei, cuius particulares methodos sem-
per iudicavi: decalogum, symbolum fideit quod apostolicum
nominatur, cuius veluti explicationes adversus haereticos
sunt reliqua omnia symbola, et oratio dominica. Has
tres methodos adeo necessarias esse pronuncio universae
dei ecclesiae, ut sine harum cognitione constanter con-
firmem neminem tamquam membrum ecclesiae dei con-
numerandum. Has vero amplecti et eis firmiter credere non
est virium humanarum sed merum dei donum, qui salvat
misericorditer et punit iuste, quoscumque salvat et punit.
Scio me proposuisse duo scripta ad declarandam
meam sententiam de religione, uni subscripserunt multi
pastores ecclesiarum Minoris Poloniae et reverendus
Matthias Cervonka2), fratrum Boemorum senior, nee non
clarissimus ille vir dei Joannes a Lasco. Alten de con-
troversiis super doctrina Trinitatis subscripserunt theologi
1 ) Joh. Maczynski war Sekretär des Nikolaus Radziwill in Wilna
und ist bekannt als Herausgeber eines lateinisch-polnischen Wörter-
buches, das nach den ersten lateinisch - deutschen Wörterbüchern
jener Zeit, dem des Strassburger Dasypodius und des Züricher Frisius,
gearbeitet war. Ich vermute, dass das Lexikon nicht ohne Mithülfe
Lismanlnos entstanden ist. Li tterarhis torisch beachtenswert ist, dass
Maczinski durch sein Wörterbuch den Druck eines noch grösseren
lateinisch -deutsch -polnischen Lexikons, das der Lycker Pfarrer
Hieronimus Maletius und Johann Radomski ausgearbeitet hatten,
verhindert hat.
*) So schreiben auch die kleinpolnischen Synodalprotokolle
den Namen des Seniors der Brüderunität.
Francesco Lismanino. 325
Regiomontani et ministri ecclesiarum Podlasensium. Eidem
sententiae contentae in utroque scripto et nunc constanter
adhaereo. Semper tarnen hac adbibita cautione: „errare
possum, haereticus esse non possum". Rogo omnes pios,
ut cum iudicio perlegant collectanea illa de trinitate et
praesertim illum locum d. Hilarii, quo manifeste ex d.
Paulo probat illam propositionem, quoties nomen dei ab-
solute ponitur in scriptura, de patre intelligitur, non potest
universaliter verificari, si Moses in Dt. 32 et Esaias
aliquoties nomen dei absolute positum de filio dei intel-
ligunt, quod ex d. Paulo d. Hilarius manifeste ostendit
imo demonstrat.
Hortor etiam pics fratres, ut considerent, quod diffe-
rant inter se haec phrases. Pater filius et spiritus sanctus
est unus, quae est Sabelliana. Pater filius et spiritus
sanctus sunt unus deus, quae est catholica et in usu apud
veteres patres et apud d. Bernardinum Ochinum, qua
nulla quaternitas declaratur nee unum individuum con-
flatum ex tribus, sed patrem, filium et spiritum esse unius
deitatis, quod et vos fatemini.
Discedite ab illa regula obliqua, si non sunt unus
simpliciter neque cum adiuneto (?), et omnia erunt dilueida.
Quod vero unus deus de patre, filio et spiritu saneto
dictus non tollat eminentiam patris illius ingeniti, qui solus
est unus ille verus deus pater, in dictis collectaneis de-
claravimus, quae si data fuissent in lucem (parcat deus
illis, qui impediverunt), sedassent proeul dubio tantam
rabiem.
Secundo. Quemadmodum coram tota ecclesia agnosco
me peccatorem super omnes homines partim actu partim
affectu, ita firmiter credo misericordiae dei patris exhi-
bitae mihi per mortem sui filii, quem credo mihi natum,
mortuum, resuscitatum et omnia munera a patre iniuneta
mihi peregisse, omnia peccata mea deleta, obliterata et
remissa nullis meis meritis sed pura et mera gratia sua
permagna. Discedo itaque ex hac valle misera laetissi-
mus vehens mecum omnia merita Christi filii dei, veri
dei et hominis, quem magis mihi proprium esse credo
3^6 Theodor Wotschkc.
•quam meam animam, cum ipse sit meae animae anima
«t vita.
Corpus meum ubicunque et quocunque depositum et
sepultum credo in tremendo illo die refricari et ita suscita-
tum et rursum animae meae unitum perpetuo fruiturum
bona illa, quae oculus non vidit nee auris audivit.
Tertio. Exbonis mihigratiadei concessis tarn li bris quam
alia supellectili et peeunia volo, ut satisfiat meis creditoribus:
Domino Laurentio Normando Genevae debeo coro-
natos solis 88.
Domino Sebastiano Ungaro bibliopolae, fuit servitor
d. Ioan. a Lasco, satisfiat iuxta meum chyrographum,
quod Uli dedi.
Domino Bartholomaeo Italo spathario et inauratori
Cracoviae habitanti restituenda omnia, quae mihi
proficiscenti in Valachiam dederat, si hactenus
non sunt ei reddita a domino Francisco Dino Flo-
rentino, cive et mercatore Vilnensi, apud quem
reliqui discedens Vilna in deposito, ut aut ven-
derentur iuxta commissionem praedicti d. Bartho-
lomaei aut remitterentur in suas manus Cracoviam.
Erant autem 32 globuli ferrei deaurati pro una
colephka pretii 16 aureorum ungaricalium, item
phalerae unius equi olosericae nigrae cum globulis
sericis deauratis pretii 10 talerorum. Apud me
vero est ensis cum papulo deaurato pretii 10
aureorum, item unä clava ferrea deaurata pretii
2 talerorum et pro altera simili donata a me
doctori Boruski dentur Uli taleri duo.
Domino Symoni Rotemberg, civi et pharmacopolae
Cracoviensi, satisfiat iuxta registrum pharmacorum
mihi datorum iuxta eius conscientiam.
Domino Sebastiano Lupi (?) pro generosis dominis
Soderinis satisfiat iuxta iUorum libros; extatin meo
scriniolo summa illius debiti.
fDomino Georgio Pipna, civi et pharmacopolae Cra-
coviensi meo veteri amico, satisfiat pro oleo et paucis
aliis reculis.
Francesco Lismanino. 327
Generoso domino Hieronymo Philipowski, meo sin-
gulari amico et benefactori, reddantur floreni 40, quos
mutuo dedi in necessitates uxoris meae discedentis Pin-
czovia in Prussiam. Item dentur dominationi suae floreni
30, quos mihi in extrema inopia constituto miserat Pels-
niciis, quos ego aeger in Piotrokovicze restitueram Uli, sed
optimus vir habens rationem meae inopiae rursum miserat
Pinczoviam, simulque eidem habeo gratias pro omnibus
officiis et beneficiis, quibus me affecit, quae sunt innu-
raera. Item si excellentissimus d. Blandrata non revocavit
donationem mihi factam 100 florenorum annuorum, genero-
sus dominus prospere satisfaciat, ut promisit 100 vero
floreni, quos scripsit se exposuisse in necessitates meas et
meae uxoris, computentur loco 100 florenorum, quos mihi
tenet, de quibus etiam nunc coram deo affirmo me iuste
repetiisse ab eo et in suo chirographo manu sua fecisse
prope cuique certum (?). Quod si noluerit acquiescere huic
meo testimonio, committatur dictum debitum 100 flore-
norum eius conscientiae, ut pro officiis erga me praestitis
tarn ipsi quam generoso eius fratri d. Troiano pervarie
ago et habeo gratias, si alia debita essent, quorum non
memini, persolvenda.
Dominis vero doctoribus medicis Jacobo persolvantur
pharmaca,quae faciunt summam florenorum 26, exceptis, quae
accepi in hac aegritudine ultima, Severino vero dentur taleri
duo cum medio, item grossi 42, item grossi 38 ratione prioris
debiti contracti in thermis; caeterum in Signum grati animi,
quod me Caunae semel, hie vero ter a gravissimis morbis
curaverit, volo, ut donetur illi anulus pretii 10 talerorum,
quo erit mnemosimon meae christianae amicitiae.
Itaque domino Joanni Daubmanno ffipographo dabuntur
taleri 10 circa finem Novembris anni 1565. Ipse vero
ostendet se doeuisse artem typographicam Matthiae et
Georgio, Polonis^ meis servitoribuSj iuxta contractum,
cuius unffllTex mahu~meäTiä5et ipse, alterum ex manu
sua est in meo scriniolo. Debet enim eos docere com-
ponere et aliud, quod nunc non suecurrit fundere nostris
litteris, et iustificare ad instrumentum ; si itaque stetit pro-
328 Theodor Wotschke.
missis, dentur Uli taleri 10 et ipse det illis litteras, ut
possint exercere artem, ubi voluerint, et quod iuxta
contractum debebant mihi restituere taleros 20 dicto
Matthias et Georgius, totum hoc illis dono nee volo,
ut possint retineri a d. Daubmanno ratione dictorum 20 ta-
leroriun.
Item volo, ut dicto Matthiae, meo servitori, dentur
taleri 10, ut possit se conferre in patriam.
Item Georgio dentur taleri 4. Item Joachimo, Pome-
rano meo servitori, dentur taleri 10, cui etiam dono Cale-
pinum Latinum ; Latino - Germanicum vero, quem com-
modatum habet a me, restituat Paulo meo filio. Volo
etiam, ut habeat lodicem ex lana alba, qua se tegit noctu.
Quattuor. Ubi satis factum fuerit omnibus meis
creditoribus et servitoribus, inter quos numero et Barba-
ram virginem Pinczoviensem, quae venit huc cum mea
coniuge, cui dono florenos polonicos 10 et 2 vestes ex
panno bono, cum nupserit; item Jacobum Lithuanum, cui
volo, ut ex integro numerentur illi marcae 10 in feriis
divi Johannis baptistae proxime venturis anni 1565 non
computando, quae aeeepit ad calceos, imo si uxorem
duxerit, volo ut donetur illi marcae quoque ultra Stipen-
dium annuum, ubi, inquam, istis omnibus satisfactum fuerit,
legatur contractus matrimonialis inter me et nobilem foemi-
nam Claudiam meam coniugem et iuxta tenorem dicti
contractus tractetur a dominis meis executoribus. Debetur
illi fruetus tertiae partis omnium bonorum, modo caveatur
haeredi de conservanda tertia parte. Ceterum tarn ipsam
quam filium commendo pietati et clementiae serenissimi
regis, domini mei clementissimi ac illustrissimorum prin-
cipum d. d. ducis Prussiae et palatini Vilnensis, ducis
Olicensis et Niczviensensis, quorum beneficientia hactenus
et ego et ipsi viximus. Supplicent mei executores, ut
beneficia mihi collata extendantur ad vitam uxoris et filiu
Item mille illi floreni a serenissimo rege mihi promissir
quae res nota est illustrissimo palatino Vilnensi et gene-
roso domino Joanni Maczinski, relevarent hanc desolataro
familiolam. Ex his posset meae coniugi dari viaticum
Francesco Lisraanino. 329
sufficiens, si vdlet redire in Galliam. Si beneficia mihi ad
vitam concessa extenderentur ad vitam uxoris et filii aut
tan tum filii, volo ut meae uxori praeter fructum partis
tertiae, quae illi debetur ad vitam, et totae alius summae
concedatur illi petenti secundas nuptias pars tertia ad
vitam. Si vero in prima viduitate perseveraverit, habebit
medietatem, ut honeste et liberabiter se sustentet. Filius
vero Paulus fruetur beneficio illustrissimi principis, qui
dignatus est illum non visum suscipere pro se et suis
haeredibus et successoribus in curam paternam, ut patet
ex meo bestallung, quod est in meo scriniolo.
Libri mei omnes, qui sunt Pinczoviae apud Optimum
virum d. Savinum Saracini Italum, et reliqua supellex ven-
dantur. Meae uxori dentur lecti, stragula necessaria et ex
reliqua supellectili linea, quantum opus fuerit Vestes
omnes, quas habet, volo non computentur, sed libere Ulis
utatur et fruatur.
Quinto. In fine Novembris proxime venturi deben-
tur mihi ex aerario illustrissimi principis floreni 150, ex
quibus cancellaria debet habere thaleros 10 propter meum
bestallung, si nondum accepit; illustrissimo vero principi
debeo restituere florenos polonicos 15, quos dedit pro
accersendo Martino Mzresta Bresta, is vero abiit Argen-
tinum, nee data est illa peeunia principis.
Pensio mea taleri videlicet 150 minus florenos
10 est in manibus illustrissimi principis palatini Vilnensis,
quam benigne promisit se missurum, ubi pestis cessaverit
Restabit etiain pensio unius trimestris. Calendis enim Au-
gusti ineipit tempus pensionis. In feriis etiam nativitatis
Christi exegit generosus d. Maczinski ex vectigalium Bre-
stensium praefectis pensionem regiam florenos videlicet 100,
et quoniam dicti praefecti retinuerunt literas ad se magni-
fici thesaurarii Lithuaniae Ruthensis, d. Maczinsky pro-
raittit se impetraturum a magnifico d. thesaurario alteras
similes, modo mittantur illi originales literae regiae, quibus
concessa est mihi dieta pensio. Praedictae autem literae
originales regiae sunt in meo scriniolo, quae debebunt mitti,
sed per certum nuntium.
33° Theodor Wotschkc.
Ex dicta summa accipiet generosus d. Caniczius, ut
satisfiat typographo Wittebergensi pro collectaneorum
exemplaribus 500, quae domini executores distribuant piis
fratribus, ut in his controversiis videant veritatem. Domino
Ioanni Secluciano *), amico sincero ac de ecclesia Christi
polonica optime merito et erga me officiosissimo, dono
lagoenam stanneam deauratam novam, quam per eius coniu-
gem optimam foeminam Tn nuncfinis praeteritis emi uno
auro ungarico.
Si quid omisi, supplebunt domini exsecutores, quos
oro atque obsecro, ut in hoc opere pio exsequendo et in
adimplenda hac mea ultima voluntate ostendant, se animo,
non tantum verbo, se voluisse dici meos filios; essent illis
iniuriis, si aliis haec committerem. Iterum atque iterum
*) Ich benutze die Gelegenheit, um zwei Empfehlungsbriefe
Herzog Albrechts für Seklucyan an den König von Polen mitzu-
teilen. Am 17. April 1561 schrieb er: „Ioan. Seclucianus retulit mihi, S.
R. V. M*«» ad intercessionem meam fratri illius in proximis Petri-
coviensibus comitiis Privilegium unius mansi clementer promisisse.
Cum autem eius privilegii literas adhuc non consecutus sit, petivit
commendatione denuo mea se iuvari" — und am 30. Dezember 1566
„Cum Ioan. Seclutianus in quibusdam negotiis suis her ad S. R. V. M*«n
institueret, oro S. R. V. Mtem perquam enixe, velit se huic Seclu-
ciano, propterea quod S. R. V. Mti, antequam in ditionem
meam se conferret, per septennium ut ipse refert, servierit, de-
mentem praebere". Herrn Rektor Koch in Eydtkuhnen verdanke ich
die Kenntnis eines Briefes Merlins an den Truchsess von Lithauen
Nicolaus Dorohostajski vom 30. Juli 1569, in dem einer Zusammen-
kunft polnischer Edelleute im Hause Seklucyans gedacht wird: „Audi vi
V™ Magn^ae ministrum, qui ea, quae superiori anno aeeiderunt in
aedibus d. Seclutiani, mihi denuo ad animum revoeavit. Acmemini
hac de re actionem apud me eo tempore institutam praesentibus qui-
busdam Poloniae nobilibus et totum negotium per transactionem ita
compositum esse, ut sperarem in posterum nullam iuste controver-
siam orturam esse. Nunc etsi praeter spem aliquod incommodi
aeeidit, tarnen rem omnem ad eum deduximus finem, ut citra utrius-
que iniuriam et iacturam nominis et existimationis suae negotium
totum denuo sit transactum, sicut ex literis d. Seclutiani Mag*** yn plane
intelliget". Leider vermag ich nicht anzugeben, auf welche Verhand-
lungen dieser Brief Bezug nimmt. Jedenfalls zeigt er uns die enge
Verbindung, in der Seklucyan bis in sein Greisenalter hinein mit der
polnischen Kirche gestanden hat.
Francesco Lismanino. 331
vobis, domini executores, et per vos illustrissimis princi-
pibus, inprimis S. Mti Riae meam coniugem peregrinam
et filium parvulum unicum ex familia vetustissima com-
mendo. Ipse vero ad divinum illum beatorum virorum
coetum proficiscor patriarcharum, prophetarum et aposto
lorum, quorum doctrinam secutus contemptis Pharaonicis
honoribus et opibus discessi ex Aegypto, ut in terra pro-
missionis illis conviverem unaque fruerer beata illa triade,
hoc est, unico illo vero deo patre ingenito et unico illo uni-
geniti dei filio, deo vero et vero homine, et unico illo spi-
ritu paracleto illustratore et vivificatore nostrarum mentium.
Franciscus Lismaninus manu propria.
XVI.
Albertus — Lismanino consiliario nostro.
Literas vestras, quibus R. Mtem negotia vestra
clementer expedisse significatis, intelleximus. Optamus
proinde, ut omni cura, diligentia, sedulitate, qua negotium
praefatum ad optatum finem perducatur, urgeatis et efficiatis.
Intercessiones petitas hie vobis simul mittimus. Joannes
Maczinski quoque Stipendialis vester iam est, ut eas
per commoditatem et post collationem inter nos habitam
atque conclusionem ei tradatis. Equum, quem vobis trans-
mitti petiistis, en habetis. Ad archiepiscopum, amicum
nostrum singularem, quia vocamini, non refragamur vos
proficisci. In dies tarnen adventum vestrum postulamus..
11. Aprilis 1565.
XVII.
Albertus dux Prussiae — Joanni Maczinski S. R. Mtis
Poloniae aulico.
Non dubitamus audivisse Gtatem Vram de obitu Franc.
Lismanini. Quia vero post mortem ipsius testamentum
manu eius propria scriptum nobis exhibitum est, cogno-
vimus Gtatem Vram cum d. Scalichio et Friderico a Kanitz
pro exsecutoribus eiusdem testamenti scriptum et nomi-
natum esse. Quam ob rem aliter faciendum esse non
putavimus, quam ut verum eius testamenti exemplum
332 Theodor Wotschke.
Gtati Vrac mitteremus. Cum autem executio testamentaria
praesentiam omnium exsecutorum requirat, scire a Gtate
Vra cupimus, quonam tempore integrum Gtati Vrac sit,
munus hoc exsecutorium cum collegis suis hie obire, ut
de certo Gtis Vrae adventu eo temporius d. Scalichium
et Fridericum Canitium certiores facere possimus; vel si
Gtas Vra vacare executioni hie non possit, an totum hoc
negotium collegis suis executoribus dandum censeat.
Cuperemus autem eam executionem primo quoque tem-
pore confieri, propterea quod Lismanini viduam de migra-
tione in patriam cogitare intelligimus. Idcirco clementer
cupimus, ut G^as Vra suam nobis sententiam perscribat
simulque de pensione regia ac mille florenis, quorum in
testamento fit mentio, et si quid apud alios ex cre-
dito istic Lismanino competat aut competere posse
videatur, perquirat, ut eo facilior testamenti exsecutio
fieri possit. Postulamus quoque, ut Gtas Vra locum nobis
certum assignet, quo literae nostrae porro ad Gtatem Vranr
scribendae a nobis mitti debeant. Dat. XIX. Julii 1566.
I
\
Von Arbeiten, welche in früheren Jahrgängen der Zeitschrift der
Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen veröffentlicht wurden,
sind folgende auch im Sonder-Abdruck erschienen und durch den Vor-
stand der Gesellschaft oder die Buchhandlungen zu nachstehenden
Preisen zu beziehen:
R. Jonas: Ein Deutsches Handwerkerspiel, nach einer hand- *.#
'schriftlichen Überlieferung aus dem Kgl. Staats-Archiv zu
Posen herausgegeben. 53 Seiten. 1885 1,00
A. Warschauer: Die Chronik der Stadtschreiber von Posen.
XLV und 171 Seiten. 1888 5,00
R. Roepell: J. J. Rousseaus Betrachtungen über die polnische
Verfassung. 24 Seiten. 1888 0,80
E. Hoff mann: Hundertjährige Arbeit auf Gebieten des Ver-
kehrswesens i. d. deutschen Ostmark. Mit 1 Karte. 26 S. 1890. 1,20
Fr. Schwartz: Die Provinz Posen als Schauplatz des sieben-
jährigen Krieges. 52 Seiten. 1890 1,20
M. Beheim-Schwarzbach: Das V. Armeekorps im histo-
rischen Volksliede des Krieges 1870 71. 24 Seiten. 180 1. 0,50
R. Roepell: Das Interregnum, Wahl und Krönung von
Stani>law August Poniatowski. J73 Seiten. 1892 1.50
Ph. Bloch: Die General-Privilegien der polnischen Juden-
schaft. 120 Seiten. 1892 2,50
M. Kirmis: Handbuch der polnischen Münzkunde. XI u. 268
Seiten. 1892 6,00
J. Landsberger: Beiträge zur Statistik Posens. 30 S. 1893. 0,60
William Barstow v. Guenther. Ein Lebensbild. 18 S. 189.^. 1,00
A. W a r s c h a u e r : Die Posener Goldsehmiedfamilie'Kamyn. 26
Seiten. Mit 6 Taieln Abbildungen. 1894 1,50
G. Adler: Das grosspolnische Fleischergewerbe vor
300 Jahren. 1894. 2>8o
H. K i e w n i n g : Seidenbau und Seidenindustrie im Netzedistrikt
von 1773 bis 1805. 1896 1,50
H. Kleinwächter: Die Inschrift einer Posener Messing-
schü^sel. 16 Seiten. Mit einer Tafel Abbildungen 1897. 1, —
G. Knoll: Der Feldzug gegen den polnischen Aufstand im
Jahre 1794. 126 Seiten. 1898 3, —
F. Guradze: Der Bauer in Posen. I. Theil (J772— 1815). too
Seiten. 1898 1,50
J. Kohte: Das Bauernhaus in der Provinz Posen Mit 2 Tafeln
und 5 Abbildungen. 16 S. 1899 1,—
J. Kvacala, D. E. Jablonsky und Grosspolen [54 S. 1901. 1,50
R. Prümers, Tagebuch Adam Samuel Hartmanns, Pfarrers zu
Li>sa i. P. über seine Kollektenreise durch Deutschland,
die Niederlande, England und Frankreich in den Jahren
1657—1659. 279 S. T901 3,—
G. Minde-Pouet, Kunstpflege in Posen. 80 S. 1902 . . . 1,20
Ausserdem erschienen im Verlage d. Historischen Gesellschaft :
A. Warschauer: Stadtbuch von Posen. 1. Band: Die mittel-
alterliche Magi^tratsliste. Die ältesten Protokollbücher und
Rechnungen. Posen 1892. Roy. S{\ 198 u. 527 S. (I. Bd.
der Sonderveröffentlichungen) 12, —
O. Knoop : Sagen u. Erzählungen a. d. Prov. Po>en. Posen 1893
Roy. 8°. 363 S. (II. Bd. der Sonderveröffentlichungen). 7,00
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Das Jahr 1793. Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte
der Organisation Südpreussens. Mit 4 Portraits. Unter
der Redaktion von Dr. R. Prümers. Posen T895. R°y 8°.
X u 840 S. (III. Bd. der Sonderveröffentlichungen). . . . 12, —
Hofbuchdruck.erei W. Decker & Co., Posen.
Zeitschrift
( (j\ der
Historischen Gesellschaft
für die
Provinz Posen,
zugleich
Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für
den Netzedistrikt zu Bromberg.
Heraus^ ('neben
liC/UUj
Alle Rechte vorbehalten.
Zeitsehrift
der
j"listorisehen Gesellschaft
für die
Provinz. Posen,
zugleich
Zeitsehrift der Historisehen Gesellschaft
für den
fietzedistrikt zu Bromberg.
Herausgegeben
Dr. Hodgero prümers.
Neunzehnter Jahrgang.
Eigentum der Gesellschaft. — Vertrieb durch Joseph Jolowicz.
Posen 1904.
Inhalts-Verzeichnis.
»♦♦ • —
Seite
1. Die Epochen der Posener Landesgeschichte. Von Archivrat
Prof. Dr. Adolf Warschauer zu Posen 1
2. Zur Geschichte des Buchdrucks und Buchhandels in Lissa.
Von Pastor Wilhelm Bickerich zu Lissa 29
3. Zehn Posener Leichenpredigten der Marienkirchenbibliothek
zu Frankfurt a. 0. Von Amtsgerichtsrat Arno Bötticher
zu Prankfurt a. 0 61
4. Der Streit der Schuhmacherge werke zuMeseritz und Schwerin
im siebzehnten Jährhundert. Von t Referendar Karl
Andersch zu Schwerin a. W 7fr
6. Des Landgrafen Friedrich von Hessen Todesritt von Posen
nach Kosten. Von Bibliothekar der Raczynski'schen
Bibliothek, Prof. Dr. Oswald Collmann zu Posen ... 91
6. Der grosse Brand von Posen am 16. April 1803. Von Ar-
chivdirektor, Geh. Archivrat Prof. Dr. Rodgero Prü-
mers zu Posen 119
7. Das preussische Friedensprojekt von 1712 und König Sta-
nislaus Leszczynski. Von Archivassistent Dr. Kurt
Schottmtiller zu Posen 177
8. Geschichte Fraustadts im Mittelalter. Von Gymnasial-Ober-
lehrer Dr. Hugo Moritz zu Posen 195
9. Aus bewegter Zeit. Tagebuchblätter und Briefe aus der
Zeit der polnischen Unruhen 1793 und 1794. Zu-
sammengestellt und bearbeitet von Oberleutnant Ernst
von Schönfeldt zu Stade 246
10. Bin Wahlkonflikt im Kreise Kröben 1826. Von Dr. Man-
fred Laubert zu Frankfurt a. 0 299
Oie Epochen der Posener Landesgeschichte.
Antrittsvorlesung, gehalten am 7. November 1903 an der Kgl. Akademie
zu Posen.
Von
Adolf Warschauer.
'n keinem Teile des deutschen Vaterlandes dürfte es
klarer und einleuchtender sein, welche Wichtigkeit
die Geschichte des Landes für das Leben der
Gegenwart hat als in der Provinz Posen. Gespenstergleich
ragen die Mächte der Vergangenheit in unser heutiges
Dasein hinein und wirken bestimmend auf das Denken
und Handeln der Menschen und Nationalitäten. Aus dem
historischen Rechte werden Ansprüche hergeleitet und
bekämpft, und die Leidenschaften entzünden sich an der
Auffassung von Tatsachen, über die schon Jahrhunderte
hinweggegangen sind. Erniedrigt zu einer Dienerin der
Politik hat die strenge Muse der Geschichte sich hier
unendlich häufig misshandeln lassen müssen. Kaum
irgendwo ist das schöne Wort Renans mehr zur Geltung
gekommen als hier: dass die Wahrheit nicht für den
leidenschaftlichen Menschen geschaffen, sondern denjenigen
Geistern vorbehalten sei, welche ohne vorgefasste Meinung
mit einer absoluten Freiheit und ohne Hintergedanken auf
ihre Erforschung zu wirken suchen.
Glücklicherweise hat es unter den beiden Nationalitäten,
die unsere Provinz bewohnen, an solchen objektiven Geistern
nicht gefehlt Besonders seit der Gründung der Historischen
Gesellschaft für die Provinz Posen im Jahre 1885 datiert
ein Aufschwung heimischer Geschichtsforschung, die in
mühsamer Arbeit die einzelnen Tatsachen der Landes-
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Prov. Posen. Jahrg. XIX. 1
2 Adolf Warschauer.
geschichte aus den ursprünglichen Quellen herausarbeitet
und uns bereits jetzt in den Stand setzt, den grossen Gang
der historischen Entwicklung des Landes als eine ge-
schlossene Folge von Ursachen und Wirkungen wissen-
schaftlich zu erkennen, und uns den Versuch wagen lässt,
in grossen Zügen die Ideen an uns vorüberziehen zu lassen,
die die Geschichte unserer Heimat epochemachend be-
herrscht haben.
Wenn wir zunächst einen Blick auf die Natur und
Weltlage der Provinz werfen, die wir bewohnen, so wissen
wir, dass das Land, vom Meere durch fremde Landstriche
getrennt, und ohne nennenswerte Metall- und Kohlen-
schätze des Bodens in wirtschaftlicher Beziehung auf
Ackerbau, Viehzucht und Waldwirtschaft hingewiesen ist.
Nur eine einzige Industrie, die Tuchmacherei, brachte es,
belebt durch die mit grossem Eifer betriebene Schafzucht,
zeitweise zu einer wirklichen Blüte. Das wirtschaftliche
Übergewicht der Bodenkultur hat dann auch in der
politischen Geschichte des Landes seine tiefe und teilweise
verderbliche Wirkung ausgeübt. Die geographische Lage
zeigt uns die Provinz wie einen Keil zwischen die Ost-
marken des deutschen Reiches eingeschoben. Nach dem
Westen weist auch ihr Flussgebiet, welches nur in seinem
nordöstlichsten Teile noch an dem Stromgebiet des
eigentlichen polnischen Flusses, der Weichsel, teil nimmt.
So ist das Land gleichsam schon von der Natur zum
Grenzgebiet zwischen deutschem und polnischem Volkstum
bestimmt, lag zu allen Zeiten geistigen und wirtschaftlichen
Anregungen von Deutschland offen und nahm immer
wieder deutsche Elemente in seine Bevölkerung auf. In
einer entlegenen Zeit, in dem i. und 2. Jahrhundert unserer
Zeitrechnung, war es noch vollständig von germanischen
Stämmen bewohnt Der ältere Plinius nennt die Weichsel
einen Fluss Germaniens, und Ptolemäus erwähnt unter
den Städten auf der Ostgrenze Germaniens eine Stadt
namens Kalisia, und zu dem gleichen volkswissenschaft-
lichen Ergebnisse führen die Funde, die wir der Erde
entnehmen. Aber noch in den ersten Jahrhunderten
iifvti-fi»
Die Epochen der Posener Landesgeschichte. 3
unserer Zeitrechnung wurden die germanischen Stämme
durch die von Osten heranrückenden Slaven nach Westen
weiter geschoben, und die in späteren Jahrhunderten zu-
rückflutende deutsche Volkswelle hat nicht so wie Bran-
denburg, Schlesien, Pommern und Preussen auch die
Provinz Posen dem Deutschtum wieder vollständig zurück-
gewinnen können.
Die schriftlichen Nachrichten über unsere Provinz
beginnen etwa um das Jahr 950 n. Chr. Wir sehen
also jetzt ungefähr auf ein volles Jahrtausend gesicherter
geschichtlicher Überlieferung zurück. Überblicken wir
die Fülle historischer Ereignisse, die in ihrer Gesamtheit
diese tausendjährige Geschichte darstellen, so dürfen wir
sie in sechs Perioden gliedern, die, zeitlich von ver-
schiedener Ausdehnung, regelmässig durch Tatsachen
von epochemachender, einschneidender, die Entwicklung
in irgend einem Hauptmoment umbiegender Wirkung
von einander geschieden sind.
Die älteste dieser sechs Perioden, die bis zum Jahre
1138 währt, können wir als diejenige bezeichnen, in der
unsere Provinz den geistlichen und weltlichen
Mittelpunkt des entstehenden polnischen
Reiches bildete. Zwei grosse Ideen beherrschten
die Zeit: die Einführung und erste Organisation des
Christentums und der ursprüngliche Ausbau des staatlichen
Organismus nach Innen und Aussen, und beide fanden
ihre Brennpunkte in der heutigen Provinz Posen, dem
alten Grosspolen. Der erste Fürst des Landes, von dem
die Geschichte erzählt, Mieczyslaus I. (t 992) vom Stamme
der Piasten war noch Heide. Er wird Freund und Ge-
treuer des deutschen Kaisers genannt, erschien als Vasall
auf den deutschen Reichstagen und zahlte dem Kaiser
Tribut. Durch diese politische Verbindung wurde sein
Reich zweifellos auch den kulturellen Einflüssen Deutsch-
lands und somit auch den Einwirkungen des Christentums
erschlossen. Deutsche Glaubensboten mögen vielfach das
Land durchzogen und den Samen des Christentums aus-
gestreut haben, wir wissen, dass der Fürst zu den Wohl-
ig
4 Adolf Warschauer.
tätern des Klosters Fulda gehört hat 965 heiratete er
eine christliche Prinzessin und trat selbst zum Christen-
tum über. Kurz darauf wurde auch ein Bistum im Lande
errichtet Sein Sitz war Posen, und es umfasste das ganze
Gebiet des Fürsten. Es kam unter den Verband des Erz-
bistums Magdeburg. Der kriegsgewaltige Sohn des
Mieczyslaus, Boleslaus Chrobry, der sein Reich durch die
Unterwerfung des westlichen Russlands, des heutigen
Galiziens, Pommerns, Böhmens und der Landschaften
zwischen Oder und Elbe erweiterte, und dessen energie-
volle Bedeutung uns ebenso durch die übelwollende Be-
urteilung der deutschen Chronisten als die schwärmerische
Verehrung der Seinigen bewiesen wird, wusste dem
christlichen Gedanken in seinem Lande neue Schwung-
kraft zu verleihen. Zu seiner Zeit erlitt der h. Adalbert
bei seinem Bekehrungswerke unter den heidnischen
Preussen den Märtyrertod. In richtiger Schätzung des
grossen idealen Wertes, den die Reliquien dieses die
damalige Welt mit seinem asketischen Ruhme füllenden
Heiligen, des Freundes des deutschen Kaisers, haben
musste, erwarb Boleslaus den Körper von den Preussen,
indem er ihn mit Gold aufwog, und barg ihn in seinem
Lande, in seiner Hauptstadt Gnesen. Bald erstrahlte sein
Grab im Glänze von tausend Wundern, mit dem heiligen
Staube besass das Land eine der grössten Kostbarkeiten,
f die die damalige Welt kannte, zog er doch sogar den
1 deutschen Kaiser Otto III. in die damals noch weltentlegene
# Öde. Der Gegensatz zwischen dem staatsklugen Polen-
herzog und seinem schwärmerischen hohen Gaste kommt
l" klar zum Ausdruck, wenn man erfährt, dass der Kaiser
als das wertvollste Geschenk aus Gnesen einen Arm-
knochen des Heiligen mitnahm, der Herzog aber dem
Kaiser die Lockerung seines Lehnverhältnisses zum
deutschen Reich, vor allem aber eine neue, völlig selb-
/t ständige Organisation der Kirche seines Landes verdankte.
Die polnische Kirche wurde von dem Erzbistum Magdeburg
gelöst und für sie ein eigenes Erzbistum in Gnesen ein-
gesetzt, dessen erster Erzbischof der Bruder des h. Adalbert»
Die Epochen der Posener Landesgeschichte. 5
Gaudentius, war. Das ganze Land wurde dann in 4 Bis-
tümer geteilt, die dem Erzbistum Gnesen unterstellt
wurden. Auch die ältesten Klöster des Landes, Mogilno,
Tremessen, Lubin sind in dieser Periode entstanden.
Freilich hatten die vier Jahrzehnte von der Einführung des
Christentums bis zum Tode des Boleslaus Chrobry im
Jahre 1025 noch immer nicht genügt, den Christenglauben
fest in die Seele des Volkes zu pflanzen. Unter den
schwachen Nachfolgern des Boleslaus Chrobry brach eine
furchtbare Reaktion des Heidentums los, welche die ganze
junge Pflanzung vernichtete. Die Kirchen und Klöster wurden
zerstört, die Geistlichen vertrieben, das Erzbistum und die
Bistümer gingen ein. Erst den letzten Fürsten dieser
Epoche, Wladislaus Hermann und seinem Sohn Boleslaus
Schiefmund, dem Besieger der Pommern, gelang es wieder,
dieser rückläufigen Bewegung Herr zu werden und nun-
mehr endgültig die Herrschaft des christlichen Glaubens
im Lande wieder aufzurichten.
Dem Boleslaus Chrobry schreibt die Überlieferung
auch die zweite grosse historische Tat dieser Periode,
den Ausbau der staatlichen Organisation zu, obwohl
gewiss schon Geschlechter vor ihm daran gearbeitet
haben. In merkwürdiger Weise ähnelt die Staatsverfassung
der des merovingisch-fränkischen Reiches. Man will sogar
aus dem Namen des Fürstengeschlechtes Piast, der etwa
dasselbe bedeutet wie Major domus, auf eine ähnliche in
der vorhistorischen Zeit geschehene Verdrängung eines
alten Herrscherhauses durch ein junges emporstrebendes
Geschlecht, ganz wie im Merovingischen Reiche, schliessen.
Die fürstliche Gewalt war vollkommen unumschränkt, ihr
waren gleichmässig alle Stände: Sklaven, Hörige, freie
Leute, die Geistlichkeit und der Adel unterworfen. Der
Idee nach war der Fürst der einzige Grundeigentümer,
der einzige Richter und Gesetzgeber. Die polnische Ver-
fassung also, die, wie man ja weiss, in der Folge die
zügelloseste wurde, die es je gegeben hat, ging von
einer vollständigen Alleinherrschaft aus. Die Beamten des
Königs hiessen Grafen, später Kastellane, und verwalteten
6 Adolf Warschauer.
von ihren aus Holz gebauten Burgen aus je ein kleines
Gebiet, ganz wie die Grafen im fränkischen Reiche. Auch
das System der Lasten und Abgaben, das auf den Unter-
tanen für den Staat und den Fürsten lag, entsprach ganz
dem im fränkischen Reiche. Im übrigen war das Land
noch dünn bevölkert, ungeheure Strecken waren mit
Sumpf bedeckt und mit Wald bestanden. Die haupt-
sächlichste Beschäftigung war die Viehzucht, der Acker-
bau aber doch schon eingeführt Handwerk und Industrie
standen auf der niedrigsten Stufe. Als Städte werden von
den ältesten Quellen in dem Gebiete der heutigen Provinz
Posen nur vier Orte bezeichnet : Posen, Gnesen, Krusch-
witz und Inowrazlaw; aber auch diese entbehrten jeder Spur
eines kommunalen Lebens.
Mit dem Tode des Boleslaus Schiefmund im Jahre
1138 schliesst diese erste Periode unserer Landesgeschichte.
Dieser Fürst teilte nämlich sein Reich unter seine Söhne,
und obwohl er dem ältesten eine Art von Oberhoheit
über die andern anvertraute, so war doch der fast un-
mittelbare Erfolg die Spaltung des Reiches in mehrere
unabhängige Länder. Unsere Provinz hörte damit auf,
der Mittelpunkt eines grösseren Reiches zu sein und trat
in eine zweite anderthalb Jahrhunderte dauernde Periode,
diejenige ihrer politischen Selbständigkeit
als besonderes Herzogtum. Keine Periode war
für die geschichtliche Entwicklung des Landes von
grösserer Bedeutung als diese, denn in ihr erfuhr 1. die
gesellschaftliche und staatliche Ordnung die grösste Um-
gestaltung und wurden 2. unter dem Einfluss der
deutschen Einwanderung die meisten Klöster und noch
heute bestehenden Städte und Dörfer gegründet Höchstens
kann noch das 19. Jahrhundert sich an Fruchtbarkeit der
kulturellen Aussaat und Schnelligkeit ihres Emporblühens
mit dem 13. vergleichen.
Es sind im ganzen sechs Fürsten, welche in dieser
Periode teils neben teils nach einander unser Land
beherrscht haben: interessante, durch die Überlieferung
in ihrer Persönlichkeit, ja sogar in ihrem Äussern scharf
Die Epochen der Posener Landesgeschichte. 7
umrissene Gestalten, deren Charakterisierung im einzelnen
hier jedoch zu weit führen würde. In langdauernden
Kämpfen mit den schlesischen, brandenburgischen und
pommerschen Grenznachbarn mussten die Grenzen des
Landes geschützt werden, dazu kamen innere Kämpfe
zwischen den einzelnen Teilfürsten, deren kleine Gebiete
durch Erbteilungen sich immer mehr zersplitterten. Die
Folge war, dass die früher unumschränkte fürstliche
Macht nicht mehr aufrecht erhalten werden konnte. Die
beiden ältesten der erwähnten sechs Fürsten Mieszko der
Alte und sein Sohn Wladislaus Laskonogi hielten noch
an ihren alten Rechten fest, ihre Nachfolger aber gaben sie
preis. Zuerst trat in Grosspolen die Kirche mit ihren
Ansprüchen hervor. Die Schatten Sauls und Samuels,
Heinrichs IV. und Gregors VII. steigen vor uns empor,
wenn wir die Geschichte des Kampfes zwischen dem
grosspolnischen Fürsten Wladislaus Laskonogi und dem
Gnesener Erzbischof Heinrich Ketlitz verfolgen. Die
Kirche bestritt dem Herzog das Recht, die Bistümer und
kirchlichen Pfründen zu besetzen, sie verlangte die Be-
freiung der Geistlichkeit von dem landesherrlichen Gericht,
sie verwehrte dem Fürsten jeden Eingriff in ihre freie
Verfügung über das kirchliche Vermögen und endlich —
und dies war das Schärfste — sie verlangte für die
Hörigen auf ihrem grossen Landbesitz Freiheit von staat-
lichen Steuern und Frohnden und die Gewalt, über
sie zu Gericht zu sitzen. Der Kampf wurde mit un-
erhörter Heftigkeit geführt. Es kam so weit, das der
Erzbischof seinen Landesherrn in den Bann tat, hierauf
aber 1206 von ihm aus dem Lande getrieben wurde. Er
ging nach Rom, und der Papst Innocenz III. hat es an
seiner Hülfe nicht fehlen lassen. An zwölf Tagen, vom
4. bis 16. Januar 1207, schleuderte er gegen Wladislaus
Laskonogi nicht weniger als etwa 20 Bullen, in denen er
alle seine Übergriffe und die Ansprüche der Kirche auf-
zählte. Obwohl in den späteren Stadien des Kampfes
der Erzbischof wieder zurückkehren durfte, so verharrte
doch Wladislaus Laskonogi bis zu seinem Tode auf seinem
8 Adolf Warschauer.
Standpunkt Er fuhr fort, seine fürstlichen Rechte auf das
Kirchenvermögen geltend zu machen, ohne sich vor dem
Rufe als Kirchenräuber zu fürchten; obwohl er sonst als
freigebig und gütig galt, hat er keiner Kirche ein Freiheits-
privilegium verliehen, er blieb „der Verfolger und Be-
kämpf er der kirchlichen Freiheit", der hartnäckige Ver-
treter einer Zeit, die nicht nur mit ihm, sondern bereits
zu seinen Lebzeiten ihr Ende erreicht hatte. Denn sein
Nachfolger und Neffe Wladislaus Odonicz, der seinen
Oheim fortgesetzt bekämpft und sich hierbei auf die
Hülfe der Kirche gestützt hatte, gab die Rechte des
Staates mit vollen Händen hin. Zwar vermied auch er
es, wie seine Mitfürsten, durch ganz allgemeine Gesetze
die Kirche von der staatlichen Gerichts- und Verwaltungs-
hoheit zu entheben, aber er genehmigte den einzelnen
Kirchen, Klöstern und Bistümern ihre dahin gehenden
Wünsche. Das Ergebnis war, dass schon gegen die
Mitte des 13. Jahrhunderts nicht nur die Geistlichkeit
selbst, sondern auch ihre Hintersassen von den Abgaben
an den Staat und der Gerichtsbarkeit des Fürsten befreit
waren. Freilich hatten hiervon die Hörigen der Kirche
keinen Vorteil, denn sie hatten ihre Frohnden und Steuern
wie bisher zu leisten und zu zahlen, aber nicht an den
Fürsten, sondern an die Kirche. — Diesem ersten Ein-
bruch in die fürstliche Vollgewalt von Seiten der Kirche
folgte bald ein zweiter von Seiten des Adels, denn es
war ja naturgemäss, dass durch die Befreiung der Kirche
von den staatlichen Verpflichtungen die Hörigen der
andern Grundherrn die Lasten mit übernehmen mussten,
und dass unter dieser stärkeren Heranziehung zu Abgaben
und Frohnden besonders die Untertanen des Adels und
somit mittelbar der Adel selbst schwer zu leiden hatten.
In ihren Kämpfen auf die Stimmung der kriegerischen
Mitglieder dieses Standes angewiesen, gaben die Fürsten
auch hier nach, und so gelangte der Adel nach und nach zu
denselben Freiheiten wie die Kirche. In ihrem weiteren
Fortgang führten diese Befreiungen zur Ausbildung der
sog. Patrimonialherrschaft der geistlichen und weltlichen
Die Epochen der Posener Landesgeschichte. 9
Grundherrn über ihre Hintersassen, eine Entwicklung,
wie sie in ähnlicher Weise fast in allen Ländern Europas
zu beobachten ist.
Was aber diese Periode so besonders wichtig macht,
ist die deutsche Einwanderung. Es ergossen sich im 13. Jahr-
hundert so grosse deutsche Auswanderermassen in unser
Land, ebenso wie in andere östliche Landschaften, dass
man von einer zweiten deutschen Völkerwanderung
gesprochen hat. Die trüben staatlichen und wirtschaft-
lichen Verhältnisse während der letzten Hohenstaufen und
des Interregnums in Deutschland trieben die Menschen
zu vielen Tausenden in den damals noch dünn bevöl-
kerten Osten. Es waren nicht etwa Abenteurer, die aus-
zogen, um sich irgendwo und irgendwie mühelos Reich-
tümer zu sammeln und mit ihnen in die Heimat zurück-
zukehren, nein sie zogen von dannen, gewöhnlich in
grösseren Trupps unter selbstgewählten Führern, willens,
in der Fremde sich eine neue Heimat zu suchen und mit
dem Bewusstsein, dass sie sich diese nur durch ange-
strengte Arbeit würden erwerben können. In der Fremde
gaben sie auch weder ihre Nationalität noch ihre Sprache,
noch ihr Recht auf. Als Träger einer höheren Kultur
waren sie in der Lage, wohin sie auch kamen, die Bedin-
gungen anzugeben, unter denen sie bleiben wollten, und
sie Hessen sich regelmässig eine völlige Befreiung von
den Vorschriften, Lasten und Frohnden des polnischen
Rechts und die Erlaubnis, nach deutschem Recht leben
zu dürfen, versprechen. Für uns moderne Menschen
ist es interessant zu beobachten, wie wenig der nationale
Gegensatz in jener Zeit Geltung hatte, oder wie er doch
gegen die wirtschaftlichen Motive vollkommen in den
Hintergrund trat. Die Deutschen wurden überall mit Be-
geisterung aufgenommen, willig erkannte man ihre Über-
legenheit an und lernte von ihnen, und sie selbst nahmen
freie Polen, wenn sie sich mit ihnen zusammen ansiedeln
wollten, gern in ihre Reihen auf. Ein polnischer Chronist,
der von der Zeit dieser ersten deutschen Einwanderung
berichtet, unterbricht einmal den Lauf seiner trockenen
IO Adolf Warschauer.
Erzählung mit dem pathetischen Ausruf: „Wer sieht nicht,
wie wackere Männer die Deutschen sind?4 Für die sla-
vischen Grundherrn lag der Hauptreiz zu ihrer Auf-
nahme darin, dass man in bisher unergiebigen Land-
strichen durch die Kolonisten schnell neue Werte schaffen
konnte und in ihnen eine geldkräftigere Bevölkerungs-
klasse hatte, als es die sla vischen Hörigen waren. Wenn die
deutsche Hufe zu 30, die polnische zu 15 Morgen gerechnet
wurde, so hat man daraus wohl mit Recht geschlossen,
dass in jener Zeit der ersten Berührung der deutschen
und slavischen Landwirtschaft die erstere mit Hülfe ihrer
besseren Geräte und grösseren Erfahrung das doppelte
in gleicher Zeit leisten konnte. Auch gehörten zum Roden
der Wälder und zum Austrocknen der Sümpfe technische
Kenntnisse, die die deutschen Ansiedler mitbrachten.
Wir können drei zeitlich auf einander folgende
Schichten der deutschen Einwanderung unterscheiden: die
Geisdichen, besonders die CistercTerisermönche, die Er-
bauer der Klöster, die Bauern und zuletzt die Bürger,
die Städtegründer. Die Einwanderung der Geistlichen
begann schon vor der eigentlichen grossen Wanderung,
ja sie geht schon bis in die Zeit der Einführung
des Christentums im Lande zurück. In unserer Periode
aber gewann sie eine besondere Bedeutung für die wirt-
schaftliche Landeskultur. Besonders galt dies von dem
Mönchsorden der Cistercienser, den der älteste Fürst
dieser Periode Mieszko der Alte zuerst in das Land zog,
indem er das Kloster Altenberge bei Köln bewog, in
seinem Lande zwei Töchterklöster Lqd und Lekno an-
zulegen, und sich verpflichtete, dass auch in Zukunft nur
Kölner Bürgersöhne dort Aufnahme finden sollten. Grade
in seiner Tätigkeit für die Landeskultur unterschied sich
der Orden der Cistercienser von dem älteren Orden der
Benediktiner, dem die bereits bestehenden älteren Klöster
des Landes angehörten. Sie gaben nicht, wie diese, in
beschaulicher Ruhe sich geistlichen Übungen, der Seel-
sorge und gelehrten Studien hin, sondern sie schlugen
ihren Sitz in unwirtlichen Einöden und dichten Wäldern
Die Epochen der Posener Landesgeschichte. II
auf und kultivierten sie durch deutsche von ihnen ange-
siedelte Bauern unter ihrer sachverständigen Leitung. Auf
den jährlich stattfindenden Generalkapiteln des Ordens
in Citeaux in Frankreich tauschten die Brüder ihre
wechselseitigen Erfahrungen aus, und wie sie die Samen
und Reiser der Nutzpflanzen von Land zu Land
trugen, wurden sie für die Völker, unter denen sie sich
ansiedelten, selbstlose Lehrer der Bodenbestellung und,
wenn es sich so fügte, durch ihre gefüllten Scheuern
Retter bei Misswachs und Hungersnot. An ihnen hatten
die deutschen Bauern, die etwa seit 1210 in das Land
strömten, den besten Rückhalt. Jede Cisterciensergründung
jener Zeit — und es entstanden ausser den schon genannten
Klöstern noch die Klöster Priment, Biesen, Paradies,
Owinsk, Korono wo, war ein Kolonisationsunternehmen
grossen Stils. Bei der Gründung eines jeden Klosters
setzte der Stifter als selbstverständlich voraus, das es
„neue Menschen herbeirufen werde". Die andern Orden,
so wie die Weltgeistlichkeit und endlich auch der Adel
folgten für ihre Besitzungen dem von den Cisterciensern
gegebenem Beispiel, ja die Fürsten schenkten sogar aus-
wärtigen deutschen Klöstern weite Landstrecken in Gross-
polen, um sie zu kolonisieren. So gab Wladislaus Odonicz
dem Cistercienserkloster Leubus in Schlesien bei Nakel
ein ungeheures Gelände, in „welchem seit Menschen-
gedenken keine Kultur gewesen", um dort deutsche Ein-
wohner anzusiedeln. — Seit dem Jahre 1240 etwa begann
dann auch die Einwanderung des deutschen Bürgerstandes.
Diesen Teil des Kolonisationswerks nahmen die Fürsten
selbst in die Hand. Hatte sich eine genügende Menge
Deutscher angesammelt, um eine Stadt zu gründen, so
verhandelten sie durch einen Bevollmächtigten mit dem
Fürsten um Hergabe des Grund und Bodens und über die
Bedingungen der Ansiedlung. Ihr Bevollmächtigter hiess
der Stadtgründer (locator), der Vertrag, den er in ihrem
Namen mit dem Fürsten abschloss, die Gründungsurkunde,
und eine Anzahl von Städten in unserer Provinz ist in
der glücklichen Lage, diese Gründungsurkunde noch heute
12 Adolf Warschauer.
zu besitzen. Der wichtigste Inhalt dieser Verträge ist
immer die Enthebung vom polnischen und die Verleihung
des deutschen (Magdeburgischen) Rechts, ausserdem die
Festsetzung des zu zahlenden Grundzinses, die Verleihung
von Zollfreiheit, eines Jahrmarktes u. s. w. Die neue
Stadt wurde dann nach einem durchaus feststehenden
Plane gebaut. Die Mitte bildete ein viereckiger Marktplatz,
auf dem das Rathaus errichtet wurde. Vom Markte aus
gingen die Strassen. Das Ganze wurde mit Wall und Graben
umschlossen. Stand schon eine polnische Ansiedlung da,
so kümmerte man sich um diese grundsätzlich nicht,
sondern baute die deutsche Stadt daneben; selbst
bei Posen und Gnesen geschah dies. Die älteste so ent-
standene Stadt in unserer Provinz scheint Gnesen gewesen
zu sein (vor 1243), man scheint eben gewillt gewesen zu sein,
der alten Landeshauptstadt durch Ansiedlung deutscher
Bürger wieder zur Blüte zu verhelfen. Die Kolonialstadt
Posen wurde 1253 gegründet. Im ganzen verdanken
etwa 60 Städte dieser Periode ihre Entstehung. In der
zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts unternahmen es auch
schon Klöster und etwas später auch adlige Grossgrund-
besitzer, Städte mit deutschen Kolonisten anzulegen.
Was das Land dieser ganzen Kolonisationsarbeit
verdankt, kann kaum hoch genug angeschlagen werden.
Mit Zauberschnelle lichteten sich die Wälder und wurden
die Sümpfe ausgetrocknet, erhoben sich Klöster, Dörfer
und Städte; Handel und Handwerk blühten empor:
Bürgerfleiss und Bürgerfreiheit, früher im Lande ganz un-
bekannt, hatten ihren Einzug gehalten.
Mit den Deutschen scheinen auch die Juden in
grosser Menge eingewandert zu sein und sich mit ihnen
in den neu erbauten Städten niedergelassen zu haben.
Den Fürsten waren sie willkommen, weil sie Geld in das
Land brachten und für den Schatz beliebig besteuert
werden konnten. Einer der Fürsten dieser Periode f
Boleslaus der Fromme, gab ihnen 1264 ein Privilegium,
das ihre gesellschaftlichen und rechtlichen Verhältnisse
Die Epochen der Posener Landesgeschichte. 13
regelte. Noch 5 Jahrhunderte später konnte man an
ihrem Idiom ihre deutsche Abstammung erkennen.
E i n Stand aber ist nicht mit den Deutschen in unser
Land eingewandert, nämlich der deutsche Adel, die Ritter.
Während in den Nachbarländern Pommern, Preussen und
Schlesien ganze Länderstrecken an zugewanderte deutsche
Rittergeschlechter zu Lehen vergeben wurden, vermieden
dies die polnischen Herzöge durchaus, vielleicht weil das
Lehnswesen dem polnischen Staatsrecht vollkommen
fremd war. So blieb der vornehmste weltliche Stand fast
ganz polnisch, und grade hier stehen wir vor einer der
wichtigsten Ursachen, weshalb unsere Provinz nicht
wie die Nachbarländer durch die mittelalterliche deutsche
Einwanderung vollständig germanisiert worden ist
Diese zweite Periode unserer Landesgeschichte
endigt mit dem Tode des letzten selbständigen Fürsten
von Grosspolen Przemislaus IL, der im Jahre 1296 durch
Meuchelmord fiel, ohne männliche Nachkommen zu hinter-
lassen. Das nächstverwandte Mitglied der kleinpolnischen
Linie Wladislaus Lokietek vereinigte Grosspolen mit
seinem Stammlande und war so wieder im Stande, ein
grosses polnisches Reich zu errichten. So wurde unsere
Provinz wieder ein Teil eines grösseren politischen
Ganzen, wie sie es in der ersten Periode gewesen war.
Aber sie war nicht mehr, wie damals, der Mittelpunkt des
Staates, vielmehr verschob sich der Schwerpunkt der
politischen Bedeutung auf die kleinpolnische Hälfte, und
Krakau wurde nunmehr die Hauptstadt des Reiches und
blieb dies auch, als mit dem Sohne des Wladislaus Lokietek,
Kasimir dem Grossen, das piastische Herrscherhaus aus-
starb und nach einer langen von inneren Kämpfen er-
füllten Zwischenzeit im Jahre 1386 das litthauische Ge-
schlecht der Jagiellonen zur Herrschaft kam, unter dem
Polen zu seiner höchsten politischen Bedeutung empor-
stieg. Für unsere Provinz bildet diese Zeit der letzten
Piasten und ersten Jagiellonen eine einheitliche, die dritte
Periode ihrer Geschichte, die man als diejenige der
Ausbildung ihrer provinzialen Stellung
14 Adolf Warschauer.
im polnischen Reiche bezeichnen kann, und die
das 14. und 15. Jahrhundert, also die letzten beiden Jahr-
hunderte des Mittelalters, umfasst.
Auch der Hauptinhalt dieser Periode erschöpft sich
in zwei Ketten von Tatsachen: die eine ist die mit der
geänderten politischen Stellung des Landes in Verbindung
stehende Umbildung seiner Verfassung, die andere ist der
in Folge der Kriege mit dem Deutschen Orden zum Ent-
stehen gelangende nationale Gegensatz zwischen Deutschen
und Polen, der die gesellschaftliche und kulturelle Ent-
wickelung des Landes in dieser Periode wesentlich be-
einflusste.
Grosspolen war, wie wir bereits erwähnt haben,
wieder ein Teil des polnischen Reiches geworden, aber
seine politische Selbständigkeit gab es darum doch nicht
auf, seine Vereinigung mit Kleinpolen war kaum
mehr als eine Personalunion und ist dies im gewissem
Sinne bis zum Untergang des polnischen Reichs geblieben.
In diesem Verhältnis liegt die tiefste Wurzel für das Ver-
ständnis der späteren polnischen Verfassung, die man
so ziemlich als das widersinnigste Rechtsgebilde anzusehen
gewohnt ist, die aber der Ausdruck einer ganz folge-
richtigen politischen Entwicklung ist.
Grosspolen behielt sein eigenes Recht und bekam
unter Kasimir dem Grossen ein eigenes Gesetzbuch. Die
Landesämter durften nur mit Eingesessenen besetzt
werden. Als mit dem Aussterben der Piasten das Reich
zu einem Wahlkönigtum wurde, und Adel und Geistlich-
keit als Preis für die zu vergebende Krone sich einen
wesentlichen Anteil an der Gesetzgebung und Recht-
sprechung ausbedingten, wählte jeder Landesteil seinen
König besonders, und nur durch Vereinbarung fiel die
Wahl auf dieselbe Persönlichkeit. In demselben Geiste
bildeten sich die verfassungsmässigen Formen aus, in
denen jeder Landesteil besonders seinen politischen Willen
kundgab, Grosspolen hielt seine besonderen Landtage
gewöhnlich in Schroda ab und gab sich hier seine Sonder-
gesetze, Sollten Gesetze für das ganze Reich zu Stande
^
Die Epochen der Posener Landesgeschichte. 15
kommen, so konnte dies nur durch Verhandlungen der
verschiedenen Landtage unter sich geschehen. Erst gegen
Ende des 15. Jahrhunderts wurden die Landtage der
beiden Reichshälften in eine höhere Einheit, den polnischen
Reichstag, zusammengefasst, zu dem jeder Landtag von
ihm gewählte Abgeordnete schickte. Freilich gab durch
diese Vereinigung Grosspolen ebensowenig wie Kleinpolen
das Recht seiner Selbstbestimmung auf, denn die Land-
tage versahen ihre Abgeordneten mit Instruktionen, und
von ihnen durfte keiner abweichen. So gab es im pol-
nischen Reichstag keine Abstimmung, sondern nur eine
Einigung, und giltige Beschlüsse konnten nur zu Stande
kommen, wenn eine solche erzielt wurde. Dieser durch
die geschichtliche Entwickelung erklärbare Konföderations-
charakter des Staates wurde niemals überwunden und hat
zu seinem späteren Untergang wesentlich beigetragen.
Vorläufig aber lagen diese unheilvollen Wirkungen
noch in weiter Ferne. Nachdem das Land durch die
Einfälle des Deutschen Ordens, der durch die Besetzung
von Pommerellen mit Polen in Konflikt geraten war, unter
Wladislaus Lokietek furchtbar gelitten hatte, gelang es
ihm, unter Wladislaus Jagiello dieses gefährlichen Feindes
Herr zu werden. In der Schlacht "bei Tannenberg (1410)
haben die Polen und Litthauer die Blüte der deutschen
Ritterschaft niedergeschlagen und nach langem Kampfe im
Jahre 1466 die Abtretung von Pommerellen erzwungen
Grosspolen hatte hierdurch den lang ersehnten Ausgang
nach der Meeresküste erhalten und war vor weiteren An-
feindungen eines Grenznachbarn, der anderthalb Jahr-
hunderte mit Schrecken und Zerstörung gedroht hatte,
gesichert. Aber es hat teuer dafür bezahlt. Von den
blutgetränkten preussischen Schlachtfeldern hatten die
Polen den Deutschenhass mit heimgebracht, und die
Furie der nationalen Zwietracht erhob in unserem Lande
zum ersten Male ihr wutblickendes Haupt. Der letzte
Piast, Kasimir der Grosse, hat die deutsche Einwanderung
noch begünstigt und gefördert, und zahlreiche Städte und
Dörfer verdanken seiner friedlichen Regierung ihre Ent-
)fvU
l6 Adolf Warschauer.
stehung. Unter Wladislaus Jagiello hörte die deutsche
Einwanderung nicht nur vollständig auf, sondern die
Polen fingen an, die unter ihnen lebenden Deutschen mit
feindlichen Augen zu betrachten. Es fehlte nicht an
allerlei Verdächtigungen, die sie der Verbindung mit dem
Landesfeinde beschuldigten. So wurde der ganze Rat
der Stadt Posen 1453 abgesetzt, weil gegen ihn die
wahnsinnige Anklage erhoben wurde, an vier aufeinander
folgenden Nächten durch Geld von den Feinden be-
stochen die Stadt ihnen geöffnet zu haben. So wuchs
Hass und Misstrauen zwischen dem polnischen Adel und
dem deutschen Bürgertum empor und verdichtete sich
alsbald zu gesetzgeberischen Massregeln. Es war dies
um so folgenschwerer, als es ja gerade die Zeit war, in
der die Grundlagen der polnischen Verfassung sich auf-
bauten. Die Städter wurden von allen höheren militärischen
und staatlichen Ämtern ausgeschlossen. Der Ankauf von
Landgütern wurde ihnen untersagt und — was das wich-
tigste war — sie wurden von der Teilnahme an den
Landtagen, in denen die gesetzgeberische Gewalt lag,
ferngehalten, so dass sie allmälig die Fühlung mit dem
politischen Leben der Nation verloren und Gesetzen
unterworfen wurden, an deren Zustandekommen sie selbst
keinen Teil hatten. Der im Jahre 1496 von dem Reichstage
gefasste Beschluss, der dem Adel völlige Zollfreiheit für
alle von und nach seinen Wohnsitzen geführten Erzeug-
nisse und Waren zubilligte, war der erste Schritt auf dem
später immer abschüssiger werdenden Pfade der rück-
sichtslosen Interessenpolitik, durch welche der Adel den
wirtschaftlichen Wohlstand der Städte vernichtete.
Diesem nationalen Ansturm hat nur das deutsche Bürger-
tum in den Städten an der schlesischen und branden-
burgischen Grenze Stand gehalten, sonst begannen sich
die grosspolnischen deutschen Bürger im 15. Jahrhundert
zu polonisieren, sie übersetzten vielfach ihre deutschen
Namen in's polnische, in den Protokollbüchern der städti-
schen Behörden begann die deutsche Sprache zu ver-
schwinden, und auf den Hauptkanzeln der Pfarrkirchen
Die Epochen der Posener Landesgeschichte. 17
machten die deutschen Prediger den polnischen Platz.
Bestehen blieb jedoch die deutsche Rechtsverfassung der
Städte, und es ist merkwürdig zu beobachten, wie manche
Formen hier noch lange treu bewahrt wurden, die in
Deutschland schon ^lange zerbröckelt waren. Noch
weniger widerstandsfähig zeigte sich der deutsche Bauer.
Die freiheitlichen Einrichtungen des deutschen Rechts,
die noch unter Kasimir dem Grossen in* voller Blüte
standen, verschwanden im 15. Jahrhundert unter der Land-
bevölkerung nach und nach. Am Ende des Mittelalters
war der polnische und der Nachkomme des eingewanderten
deutschen Bauern schon eine gleichmässige Masse ge-
worden, der das Recht der Freizügigkeit genommen und
die in ihren Leistungen und Frohnden dem Grundherrn
vollkommen Preis gegeben war.
Ebenso wie für fast alle Kulturländer Europas beginnt
mit dem 16. Jahrhundert auch für unsere Heimat eine
neue Epoche: die der Reformation, nicht unvorbereitet
allerdings auch bei uns: hat doch schon im 15. Jahrhundert
ein Sohn unserer Provinz, der Meseritzer Kastellan Johann
Ostrorög, eine Schrift, Monumentum, ausgehen lassen, die an
Kühnheit und Unabhängigkeit der Gedanken unter den
sog. vorreformatorischen Schriften ihres Gleichen sucht.
Der von Luther ausgestreute Same ging in Grosspolen
schnell und kräftig auf. Mit einer sonst nicht wieder be-
obachteten Schnelligkeit änderten sich die Auffassungen
und Ideen der Menschen. Fast plötzlich sehen wir die
wirtschaftlichen und nationalen Interessen, die das
15. Jahrhundert beherrscht hatten, in den Hintergrund
treten und Fragen religiöser, idealer und übersinnlicher
Natur ihre Stelle einnehmen. Nicht nur die höheren
Stände, sondern auch die Handwerker und Bauern er-
örterten die religiösen Probleme mit Leidenschaft und
Verständnis. Unter diesem Einflüsse überbrückte sich die
Kluft, die sich unter der Nachwirkung der Preussenkriege
in unserer Provinz aufgetan hatte, wieder. Willig nahm
das Land wieder die von Deutschland aus einströmenden
Anregungen auf. Nicht nur die deutsch gebliebenen
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Pror. Posen. Jahrg. XIX. 2
18 Adolf Warschauer.
Städte im Westen unserer Provinz und die Reste der
deutschen Einwanderung in der bürgerlichen Bevölkerung
überhaupt, sondern auch der polnische Adel und Bürger
Hessen sich von den reformatorischen Ideen beeinflussen.
1540 gab es in Posen schon eine polnische und eine
deutsche lutherische Gemeinde. Der Erbe der Ordens-
macht, der Herzog Albrecht von Preussen, wurde für den
grosspolnischen Adel Freund und Berater in geistlichen
Dingen. In Wittenberg studierten in manchen Semestern
50—60 grosspolnische adlige Studenten, und 1554 war
einer dieser jungen Edelleute, der spätere Posener Woiwode
Stanislaus Görka, Rektor dieser Universität. Danzig und
Regensburg trieben schon in den zwanziger Jahren einen
regen Handel mit den Schriften Luthers und anderer
Reformatoren in unser Land, für die nur polnisch
sprechende Bevölkerung wurden sie übersetzt und in ganzen
Wagenladungen verkauft. Allerdings gewann seit dem
Ende der vierziger Jahre neben dieser von Deutschland
ausgehenden religiösen Bewegung die aus dem böhmischen
Slaventum entsprossene Sekte der Böhmischen Brüder,
deren Glaubensbekenntnis dem Calvinismus nahe stand,
in Grosspolen besonders unter dem Adel Anhänger, aber
beide Bekenntnisse wirkten doch einträchtig zusammen
und vereinigten sich sogar 1570 in dem Vergleich von
Sendomir zu einem freundlichen Bunde. Es ist auch
deutlich erkennbar, dass diejenigen Einflüsse, welche sich
im 15. Jahrhundert zu Ungunsten des Verhältnisses der
verschiedenen Stände entwickelt hatten, zwar noch fort-
dauerten und in ihrer unheilvollen Kraft für die Zukunft
nicht ertötet waren, aber durch die eigenartigen Ver-
hältnisse gerade dieser Periode in ihrer Wirksamkeit viel-
fach aufgehoben wurden. Die gleiche Überzeugung in
religiösen Dingen und die gleiche Gefahr erzeugte zeit-
weise eine Solidarität zwischen Adel und Bürgertum, die
vorher nicht vorhanden war. Um einen Posener Schuh-
macher aus der Gewalt des Bischofs von Posen zu be-
freien, bewaffnete sich 1554 ein Teil des grosspolnischen
Adels. Der Segen dieses Friedens von innen, der mit
Die Epochen der Posener Landesgeschichte. 19
einer langen Friedenszeit nach aussen hin zusammenfiel,
dazu die weise Wirtschaftspolitik der beiden letzten
Jagiellonen, Sigismunds I. und Sigismund Augusts wirkten
zusammen, um das 16. Jahrhundert zu einer Blütezeit [|
sowohl der Landwirtschaft als der bürgerlichen Gewerbe,
ja sogar des Kunsthandwerks und der Kunst, wo deutscher
und italienischer Einfluss zusammenwirkten, zu gestalten
Nun erfolgte ja gegen Ende des 16. Jahrhunderts,'
wie in den andern Kulturländern, so auch hier, die Re-
aktion des durch das Tridentiner Konzil und die
Schöpfung des Jesuitenordens innerlich gekräftigten
Katholizismus gegen die religiösen Neuerungen, und sie
hatte hier zu Lande völlig gewonnenes Spiel, als nach
dem Aussterben der Jagiellonen den polnischen Thron
der Tesuitenzögling Sigismund III. aus dem Geschlechte
der Wasa bestieg. lÖbeFTn ganz eigentümlicher Weise
hat gerade diese allgemeine Reaktion, die ja über Deutsch-
land die Schrecken des 30jährigen Krieges gebracht hat, *
in unsere Provinz wieder unzählige deutsche Einwanderer-
massen geworfen, deren Mächtigkeit derjenigen des
13. Jahrhunderts nicht allzusehr nachstand. Besonders
dicht war die Einwanderung aus Schlesien, wo 20 Jahre
hindurch die kaiserlichen und schwedischen Heere ein-
ander in der Aussaugung des Landes ablösten und die
katholische Reaktion so heftig wütete, dass man Dragoner
zu Zwangsbekehrungen abkommandierte. Während dieser
Zeit nun genoss unsere Provinz noch den tiefsten Frieden.
Dazu kam, dass der Sohn Sigismunds III., Wladislaus IV.,
dem Vater ganz ungleich einer der tolerantesten Fürsten
seiner Zeit war, ein edler Schwärmer, der einmal sogar
den Versuch gemacht hat, die katholische und evangelische
Religion in ein Bekenntnis zu vereinigen. Man konnte
deshalb in Grosspolen die Flüchtlinge ohne Schwierigkeit
aufnehmen und tat es nicht nur aus Gründen der
Menschlichkeit und Duldung, vielmehr sahen die Grund-
herrn in dem Zuzug der betriebsamen Neuankömmlinge
ebenso ein Mittel, sich Einnahmequellen zu verschaffen,
wie es ihre Vorfahren vor vier Jahrhunderten getan
20 Adolf Warschauer.
hatten. Sie warteten denn auch nicht, bis die Einwanderer
kamen, sondern verbreiteten gedruckte Aufrufe, in denen
sie zur Einwanderung in ihre Güter aufforderten und den
Protestanten freie Religionsübung zusicherten, und zwar
taten dies nicht nur Protestanten, sondern auch eifrige
Katholiken. Durch diesen Zuzug gewann das deutsche
Bürgertum in den Städten wieder neue Kraft, vielfach
wurden neben die alten Städte neue Stadtteile gebaut, und
eine grosse Anzahl neuer Städte konnte wieder gegründet
werden, so im Jahre 1638 allein fünf Städte: Rawitsch,
Obersitzko, Kahme, Schwersenz und Bojanowo. Es ist
merkwürdig, wie man bei diesen Städtegründungen ohne
weiteres an das mittelalterliche Beispiel anknüpfte, dessen
Andenken noch keineswegs verschollen war. In dem
Gründungsprivilegium von Rawitsch heisst es ausdrück-
lich, dass die Fremden in derselben Weise die Stadt er-
bauen sollten, wie die Deutschen früher die Städte Posen,
Krakau und Lemberg erbaut hatten. Besonders zahlreich
waren die eingewanderten Tuchmacher, die diese Industrie
in Grosspolen wieder zu neuer Blüte brachten. Damals
wurden Rawitsch, Lissa, Schönlanke, Meseritz zu Mittel-
punkten der Tuchindustrie für den ganzen polnischen und
russischen Handel und versorgten sogar einen Teil von
Asien mit ihren Produkten.
Wie im Mittelalter ging auch in dieser Periode
Hand in Hand mit der bürgerlichen eine bäuerliche Ein-
wanderung aus den benachbarten deutschen Provinzen,
und wie damals schuf sie auch nunmehr wieder eine
Schicht freier Bauern unter der zur vollkommenen
Hörigkeit und ungemessener Frohndienstpflicht herab-
gesunkenen Landbevölkerung. Schon Ende des 16. Jahr-
hunderts begann wieder die Ansiedlung deutscher Bauern
auf bestimmte Kontrakte und mit gemessenen Verpflich-
tungen, und zwar in der Nähe von Bromberg und Schulitz.
Man nannte die Ansiedlungen Holländereien im An-
schluss an Kolonien ähnlicher Art im Westen von
Deutschland und in der Nähe von Danzig, wirklich be-
teiligt aber haben sich Holländer nur in der ältesten Zeit,
Die Epochen der Posener Landesgeschichte.
21
und zwar gerade im Netzedistrikt, wo es sich vielfach
um Austrocknung von Sümpfen handelte.
Diese ganze deutsche Einwanderung in der ersten
Hälfte des 17. Jahrhunderts hat die Lücken wieder aus-
gefüllt, die das 15. Jahrhundert durch die Entnationali-
sierung unter der deutschen Bevölkerung des Landes ge-
rissen hatte. Die Schicksale dieser Einwanderer aber unter-
schieden sich wesentlich von derjenigen des Mittelalters.
Die unruhigen von inneren und äusseren Kriegen erfüllten
Zeiten und die vielfachen religiösen Unbilden, denen sie
später ausgesetzt waren, haben ihnen manche Prüfungen
gebracht. Sie blieben Fremde in der neuen Heimat und
zeigten keine Neigung sich zu polonisieren. Dem Charakter
jener Zeit entsprechend, in der der religiöse Gedanke
den politischen überwog, zeigten sie gelegentlich
Sympathien für die glaubensverwandten schwedischen und
brandenburgischen Herrscher, und sie spielten eine nicht
unwesentliche Rolle in der von dieser Zeit an beginnenden
Geschichte der Auflösung des polnischen Staatswesens.
Diese an fruchtbaren Keimen und Ansätzen so reiche
vierte Periode unserer Landesgeschichte bricht jäh 1655 in
dem Jahre, in dem die Schweden zum ersten Male in
Grosspolen einfielen, ab. Die 120 Jahre, die nun bis zur
Teilung des Reiches folgten, bilden den traurigsten Ab-
schnitt unserer heimatlichen Geschichte. Unendlich war
das Leid, welches äussere Feinde, schlimmer aber noch
dasjenige, welches die inneren Zustände des polnischen
Staates dem Lande antaten. Zwei grosse Kriege, der
schwedische von 1655 — 57 und der nordische von 169&
bis 170g brachten alle Schrecken der Verheerung über
unsere Heimat. Dem letzten Kriege folgte in den Jahren
1709/10 die Pest auf dem letzten grossen Zuge, den
sie durch Europa antrat Sie hat in unserer Provinz
vielleicht ein viertel aller Menschen hinweggerafft. In die
Zeit zwischen den beiden grossen Kriegen fielen die bür-
gerlichen Unruhen und Kämpfe, die durch den Plan des
Königs Johann Kasimir, den Thronfolger bei seinen Leb-
zeiten zu ernennen, verursacht und meist auf dem Bo'den
I c „
1 •
22 Adolf Warschauer.
Grosspolens ausgekämpft wurden. In den Tagen jener
Wirren hat der erwähnte König das prophetische Wort
gesprochen: er sehe voraus, dass der Staat geteilt werden
würde, Russland würde sich Reussens und Litthauens,
Brandenburg Preussens und Grosspolens, Österreich
Kleinpolens bemächtigen, wenn die Gefahr der Königs-
wahlen nicht würde beseitigt werden können. Tatsächlich
hat jede Königswahl in Polen nicht nur zu inneren Un-
ruhen geführt, sondern auch die Gefahr eines europäischen
Krieges heraufbeschworen. Selbst die Regierungszeit
Johann Sobieskis, die durch die Siege über die Türken
einen gewissen Glanz erhielt, konnte dem ärgsten Feinde
seiner Nation, ihrer Verfassung, nicht im geringsten Ab-
bruch tun. Der schon früher erwähnte konföderative
Charakter des Staates hatte sich so verschärft, dass jeder
einzelne Landbote durch sein Veto den Reichstag zer-
reissen konnte, und da ein Teil des Adels fortgesetzt im
Solde auswärtiger Staaten stand, so wurde die Zerreissung
der Reichstage die Regel. In ganz Europa erregten die
Verhältnisse Polens Staunen und Abscheu. In der Zeit
von 1718 — 64 kamen überhaupt nur 3 Reichstage zu
Stande. Von der Rechtspflege urteilte der Reichstag von
1726 selbst, dass auf dem Tribunale nicht die Gerechtig-
keit, sondern das Verbrechen herrsche. Wenn, wie es
1747 vorkam, die Konstituierung des Reichstribunals im
Parteigezänk verhindert wurde, so ruhte mit der Ver-
waltung auch die Rechtspflege und jede staatliche Auto-
rität hörte überhaupt auf. Kamen Gesetze zu stände, so
hatten sie gewöhnlich nur den Zweck, dem Adel auf
Kosten der andern Stände bessere Lebensbedingungen
zu schaffen. Die zügellose Agrarpolitik des polnischen
Reichstages hatte auch nicht das geringste Verständnis
für den unlösbaren Zusammenhang aller Erwerbszweige
zur Erhaltung des nationalen Wohlstands. So wollte der
Reichstag den einheimischen Kaufleuten verbieten, Waren
über die Grenze zu führen, um die Preise im Inlande
zu verbilligen. Als um die Mitte des 17. Jahrhunderts die
Entdeckung der Peruanischen Silberminen die Preise aller
Die Epochen der Posener Landesgeschichte. 23
Waren in ganz Europa in die Höhe trieb, glaubte der
Adel in Polen sich durch das törichte Gesetz helfen zu
können, das dem einheimischen Kaufmann 7%, dem
Fremden 5%, dem Juden 3% als Höchstgewinn für seine
Waren vorschrieb. Bessere Industrieerzeugnisse wurden
überhaupt nicht mehr im Lande hergestellt. Man be-
rechnete, dass Polen für seine Rohprodukte, wenn sie
verarbeitet in's Land zurückkehrten, den dreifachen Preis
zahlte, als es dafür erhalten hatte. Um gegen den unter-
tänigen Bauern völlig freie Hand zu haben, schaffte der
Adel einfach jedes Recht für ihn ab, so dass es für den
Bauern überhaupt keine Möglichkeit gab, gegen seinen
Herrn irgendwie aufzutreten. Ein polnischer Dichter jener
Zeit aus unserer Provinz nennt die Unfreiheit der Bauern
schwerer als die der heidnischen Sklaven. Man wollte
bemerken, dass die Bauern, um ihr Elend nicht fort-
zupflanzen, sich weigerten, Kinder zu zeugen. Mit Ver-
wunderung erzählt ein vornehmer Pole, der nach Berlin-
reiste, wie er jenseits der Grenze Dörfer mit schmucken
Häusern, je einer Kirche und Schule angetroffen, und dass
der verstorbene König in seinem Testamente das Wohl
der Bauern seinem Sohne besonders ans Herz gelegt habe.
Nun hatte freilich Grosspolen in der ersten Hälfte
des 17. Jahrhunderts durch die grosse deutsche Einwan-
derung neue Kräfte in sich aufgenommen, die durch die
traurigen öffentlichen Verhältnisse nicht so leicht zu
ertöten waren. Denkenden Köpfen entging es nicht, dass
fast alles, was an bürgerlicher und bäuerlicher Betrieb-
samkeit Lebenskraft im Lande hatte, nicht der alten
eingesessenen polnischen, sondern der protestantisch
deutschen Bevölkerung angehörte. Der Posener Woiwode
Stephan Garczynski hat im Jahre 1751 eine sehr interes-
sante Schrift über die Anatomie des polnischen Staates
geschrieben und sich hierüber ganz unverblümt aus-
gesprochen: die dissidentischen Städte wachsen, die katho-
lischen aber fallen. Welcher Unterschied, fragt er, sei
wohl zwischen Kosten, das doch das Haupt eines Kreises
und Sitz eines Grodgerichts sei, und den benachbarten pro-
24 Adolf Warschauer.
testantischen Städten Lissa, Schmiegel, Bojanowo und
Rawitsch ; zwischen Dolzig, einer bischöflichen Stadt, und
Punitz. Das protestantische Moschin liege ungünstig und
das katholische Bromberg ausgezeichnet, und doch stehe
Bromberg schlechter da als Moschin. Bei den Dissidenten
wachse eben auch Kleines durch gute Ordnung, bei den
Katholiken aber gehe durch Unordnung auch das Grösste zu
Grunde. Einen ähnlichen Unterschied findet er zwischen
der Lage der protestantischen Bauern und der polnischen
Kmethen. Er berechnet den kontraktmässigen Zins der
ersteren auf jährlich 10 — 12 Taler, den Wert der Frohn-
dienste der Kmethen aber auf etwa 81 Taler. „Was nützt
es," meint er, „unter solchen Umständen in den Kirchen
vor den heiligen Altären um Erhöhung der katholischen
Kirche zu bitten?4
Aber zwischen diesem wirtschaftlich kräftigsten Teil
der Bevölkerung unserer Provinz und den eingesessenen
katholischen Polen hatte sich durch die Parteinahme für
und gegen die protestantischen Schweden in den beiden
grossen Kriegen eine weite und unüberbrückbare Kluft
aufgetan. Der Gegensatz war freilich kein nationaler,
sondern durchaus nur ein religiöser, die gegenseitige Er-
bitterung aber doch nicht weniger gross. Im Jahre 171 7
wurde die Zerstörung aller seit 1674 besonders unter dem
Schutze der Schweden errichteten Gotteshäuser be-
schlossen. Kurze Zeit darauf erfolgte die Ausstossung
des letzten protestantischen Landboten aus dem Reichstag
und 1733 der Ausschluss der Evangelischen von der
Teilnahme an allen gesetzgeberischen Körperschaften
Gerichten und Ämtern. Das sog. Thorner Blutbad von
1724 zeigte, dass der Fanatismus auch bis zum Blutver-
giessen gehen konnte.
Schwer, wie die Schuld, die das polnische Staatswesen
auf sich geladen hatte, war dann auch die Sühne. Schon
im siebenjährigen Kriege zeigte es sich, dass Polen auf-
gehört hatte, eine politische Macht zu sein. Friedrich der
Grosse und Katharina von Russland führten ihren Krieg,
wo es ihnen nötig schien, auf dem Boden unserer Provinz
Die Epochen der Posener Landesgeschichte. 25
und verproviantierten sich hier, vielfach ohne für die Lie-
ferungen zu bezahlen. Als der Fürst Sulkowski Friedrich
dem Grossen verdächtig schien, Hess er ihn in Reisen ^fX****
ohne Weiteres mit seinem ganzen Hofstaate aufheben und
nach Glogau bringen. Die Kaiserin Katharina aber nahm,
als sie ihren früheren Liebhaber Stanislaus August Po-
niatowski 1764 zum König von Polen gemacht hatte, eine
Art von Oberhoheitsrecht über Polen in Anspruch, und
als ein Teil der Nation sich dagegen empörte, da traten
jene chaotischen vier Jahre lang dauernden Wirren und
Bürgerkämpfe der Konföderation von Radom und Bar ein,
die den Boden unserer Heimat mit Blut durchtränkten .
und in denen Polen zu Grunde gegangen ist. j
In den Jahren 1772 — 75 nahm Friedrich der Grosse
den Netzedistrikt in Besitz und 1793 sein Nachfolger den
Rest der heutigen Provinz Posen. In der Zwischenzeit hat
der unglückliche polnische Staat zwar versucht, durch einige
organisatorische Massregeln die alten Zustände zu bessern,
aber das Schicksal hat eine andere Hand, als diejenige,
welche dem Lande die Wunden geschlagen hatte, bestellt,
sie wieder zu heilen.
Mit der preussischen Besitznahme, die die sechste noch
bis in unsere Tage dauernde Periode unserer Landes-
geschichte einleitet, beginnt wieder die positive Arbeit
für das Wohl und das Gedeihen des Landes. Zum vierten
Male in seiner Geschichte wurde das Land deutschen
Einflüssen rückhaltslos geöffnet. Was zunächst Friedrich
der Grosse für den Netzedistrikt geleistet hat, ist aller
Welt bekannt Ist es doch, als ob er das Land, dass ihm
keinen Tropfen Blut gekostet hat, sich hätte nachträglich
durch seine Arbeit moralisch erobern wollen. Denn der
Netzedistrikt war das Lieblingskind seines Alters; wie
der Faust der Goetheschen Dichtung hat er sein reiches
Leben damit geschlossen, eine Einöde in fruchtbares
Gefilde zu verwandeln. Und wenn auch freilich in seinen
beiden Nachfolgern sein Geist und seine Tatkraft nicht
fortlebte, so haben doch auch sie in ehrlicher Arbeit ihm
nachgetrachtet. Die Napoleonischen Wirren haben diese
26 Adolf Warschauer.
Bestrebungen nur für einige Jahre unterbrechen können.
Die preussischen Beamten haben ruhig 1815 da wieder
angefangen, wo sie 1806 aufgehört haben. Vor allem zog
mit der preussischen Herrschaft Recht, Ordnung und
Sicherheit in das Land ein, das die Segnungen einer
geordneten Staatsleitung schon mehr als ein Jahrhundert
hindurch entbehrt hatte. Der Bauer wurde durch die
geniale Stein-Hardenbergsche Gesetzgebung zum freien
Grundbesitzer, von den Städten kann man wohl das
Wort des Tacitus anwenden, dass Preussen sie als
hölzerne übernommen und sie zu steinernen gemacht hat,
denn bei der Besitznahme waren Ziegelhäuser in den
Städten noch eine Seltenheit. Handel, Gewerbe und
Industrie wurden von Grund aus neu eingerichtet, wenn
es auch freilich trotz aller Anstrengungen nicht gelang,
die Tuchindustrie im Lande zu halten. Die Tendenzen
des 13. Jahrhunderts, aus Deutschland neue Arbeitskräfte
in das Land zu bringen, sind wieder aufgelebt, und wie
im 16. Jahrhundert überflutet jetzt wieder ein starker
Strom deutschen geistigen Lebens befruchtend das Land.
Wenn wir das Verhältnis unserer polnischen Mit-
bürger zu dieser deutschen Kulturarbeit betrachten, so
müssen wir diesen ganzen Zeitraum in zwei Perioden
sondern, deren Grenze das Jahr 1830, der Ausbruch der
Revolution in Russisch-Polen bildet. Vor dem genannten
Jahre haben die Polen gern, willig und dankbar die dem
Lande von der preussischen Regierung entgegen ge-
brachten Wohltaten angenommen und beantworteten sie
mit einem gewissen preussischen Patriotismus. Als aber
in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in ganz
Europa die grosse Nationalitätsidee zum Durchbruch kam
als eine Reaktion gegen die völkeruntereinander wirbelnde
Willkür Napoleons I., da sind auch, wenngleich spät, die
Polen von ihr ergriffen worden. Seitdem hat sich in
unserer Provinz der nationale Gegensatz verschärft und
zu dein politischen Kampfe geführt, in dem wir noch heute
stehen, und dessen einzelne Phasen zu beobachten hier
nicht unsere Aufgabe sein kann.
Die Epochen der Posener Landesgeschichte.
27
Man hat vielfach die Geschichte die Lehrmeisterin
der Menschheit genannt Man kann ihr diese Aufgabe in
falschem so wie auch im richtigen Sinne zuweisen. Wer
den Gang der Zukunft Zug um Zug aus den Tatsachen
der Vergangenheit ablesen will, der wird leicht in die Irre
gehen und in die Irre führen. Nur der Vorwitz eines un-
besonnenen Schülers wagt es, mit unheiligen Händen den
Schleier der Zukunft zu heben. Richtig aber ist es, dass
auch die Geschichte der Menschheit gewissen Gesetzen
folgt und dass der Geschichtsfreund, der es versucht hat,
sich mit ihnen vertraut zu machen, mit klareren Augen
in die Erscheinungen seiner Zeit wird sehen können, als
derjenige, der nur diese kennt und dem das Heutige der
alleinige Massstab für das Gestrige und das Morgige
bildet. Und so werden auch wir, nachdem wir die Haupt-
ideen, welche die ^tausendjährige Geschichte unserer
Heimat in den verschiedenen Perioden beherrscht haben,
kurz haben an uns vorübergehen lassen, vielleicht durch
zwei Erwägungen zu einer gewissen Zuversicht für die
Beurteilung der jetzigen schwierigen Verhältnisse in
unserer Provinz gelangen. Zunächst werden wir nicht
annehmen dürfen, dass die scharfe, feindliche Scheidung
der Nationalitäten in unserer Provinz eine immerdauernde
sein werde. Wie wir gesehen haben, hat die Provinz
eine ähnliche Zeit des Nationalitäten-Gegensatzes im
15. Jahrhundert bereits durchgemacht; damals ist er durch
das Emporsteigen der religiösen Idee der Reformation
verdrängt worden. Alle leitenden historischen Ideen ge-
hören eben nur gewissen Zeiten an, sie verschwinden
und machen andern Platz, sie folgen hierin dem ehernen
Gesetze der Vergänglichkeit, von dem alles Menschliche
gelenkt wird. Und auch wir können wohl jetzt schon
sagen, dass auch für uns moderne Menschen im Dämmer
der Zukunft neue Ideen heraufziehen, von denen es
scheinen will, als ob sie die jetzt noch feindlich einander
gegenüber stehenden Nationen zur friedlichen gemein-
samen Arbeit einigen werden. Und wenn dies geschieht,
dann können wir auf Grund der Lehren unserer Ge-
tlT;
I t
I
j
28 Adolf Warschauer.
schichte ein Zweites erwarten: dann werden unsere
polnischen Mitbürger, wie zu allen Zeiten, in denen der
nationale Gegensatz durch andere Ideen zurückgedrängt
wurde, willig deutsche wirtschaftliche und geistige Über-
legenheit anerkennen und die Interessen ihrer mit uns
gemeinsamen Heimat ihren unerfüllbaren nationalen
Tendenzen voranstellen. Den Deutschen aber können
die Lehren der Geschichte in dem Bewustsein stärken,
dass er dazu berufen scheint, immer wieder neue Kultur-
elemente in dieses Land zu tragen und dass gerade in
seiner positiven Arbeit das Heil des Landes ruht Und
wir können mit Befriedigung sagen, dass gerade die letzte
Zeit sich mehr und mehr mit diesem fruchtbaren Gedanken
erfüllt hat, und dass die deutsche Arbeit unbeirrt von dem
nationalen Gegensatz heute auf den Wegen wandelt, die
die alte Überlieferung der Geschichte des Landes ihr
vorgezeichnet hat, und so wird gewiss auch die Hoffnung
nicht trügen, dass, wenn auch nicht unsere Generation,
so doch unsere Söhne und Enkel den Samen, den diese
Arbeit in das Land geworfen, in Frieden werden auf-
gehen sehen.
Zur Geschichte des Buchdrucks
und Buchhandels in Lissa.
Von
Wilhelm Bickerich.
p jener Blütezeit, die durch den starken Zustrom
von Flüchtlingen aus Böhmen (1628) und Schlesien
1629 — 30) im dreissigjährigen Kriege herbeigeführt wurde
und bis zur Zerstörung der Stadt im schwedisch -pol-
nischen Kriege reichte, hat Lissa zwei Buchdruckereien
in seinen Mauern beherbergt. Die eine, jedenfalls die
älteste Buchdruckerei Lissas, hatte bereits eine ehr-
würdige Geschichte hinter sich, als sie nach Lissa kam.
In seiner Historia Revelationum1) erwähnt Comenius bei
einer Schilderung der späteren Geschicke der Seherin
Christina Poniatowska, dass deren Gatten, dem neu-
ordinierten Daniel Vetter, die Fürsorge für die aus
Mähren nach Lissa überführte kirchliche Buch-
druckerei übertragen worden sei. Die Buchdruckerei
der Unität im SchJoss von Kralic bei Willimowitz in
Mähren hatte ihr Johann der ältere von Zerotin mit
grossem Kostenaufwand angelegt2). In ihr ist u. a. die
berühmte Kralitzer Bibelübersetzung, eine Übersetzung
aus dem Grundtext mit fortlaufendem Kommentar, in
1) S. 133. Vgl. Monatshefte der Comeniusgeseilschaft 1893.
S. 40 ff.: Vettero jam conjugato nobiscumque habitaturo cessit typo-
graphei ecclesiastici (e Moravia huc translati) cura ad libros bonos,
pro tempore hoc necessarios, in lucem promovendum. Qua in re
industriosum ille se praestitit.
2) Nach Ball, Schulwesen der Böhm. Brüder, S. 79 hatte Z.
eine altere Buchdruckerei von Namiest nach Kralic verlegt.
30 Wilhelm Bickerich.
sechs starken Bänden 1579 — 1593 erschienen, jenes
klassische Meisterwerk der böhmischen Sprache, das
recht eigentlich die böhmische Schriftsprache geschaffen
und somit für Böhmen die gleiche Bedeutung gehabt hat
wie für Deutschland die Übersetzung Luthers. „So lange
die böhmische Sprache noch gesprochen wird," sagt
Gindely1), „so lange kann das Andenken an diese gross-
artige Arbeit nicht erlöschen". Verfasst ist diese Über-
setzung durch eine von der Unitätsleitung bestellte
Kommission, der acht Gelehrte der Unität angehörten,
darunter um seiner hebräischen Kenntnisse willen Lucas
Helic, der Sohn eines getauften Juden aus Posen. Die
Kralitzer Druckerei war Eigentum der Unität, diese be-
stellte stets einen ihrer Priester zum Leiter. Zur Zeit
jener Bibelübersetzung, die in schöner Lateinschrift und
auf festem Papier gedruckt ist, stand die Druckerei in
Kralic unter der Leitung des Bruders Zacharias Solinus
(Priester seit 1581, f 8. März 1596 in Kralic)2); durch
seine Geschicklichkeit hatten ihre Leistungen eine früher
nie erreichte Höhe erstiegen. Aus dieser Zeit stammen
auch die prunkvoll ausgestatteten mit schönen Rand-
arabesken versehenen, teilweise auf Pergament gedruckten
böhmischen Gesangbücher der Unität Auf einer Ver-
sammlung der Priester und Diakonen aus Böhmen und
Mähren in Leipnik am 16. Juli 1592 wurde erwogen,
dass die Kralitzer Druckerei für den Fall des Ablebens
des Bruders Solinus ohne geeignete Leitung sei, es solle
daher auf die Heranbildimg eines tüchtigen Nachfolgers
früh genug bedacht genommen werden; drei aus den
Brüderpriestern, nämlich Polacek, Elam und Valenta
wurden in Vorschlag gebracht8). Die Wahl scheint auf
den Konsenior Wenzel Elam gefallen zu sein, den Re-
*) Geschichte der Böhmischen Brüder S. 309. — Näheres über
die Kralitzer Bibel bietet Czerwenka, Geschichte der evangelischen
Kirche in Böhmen S. 500 ff.
2) Totenbuch der Geistlichkeit der Böhmischen Brüder ed.
Fiedler 8. 290.
3) Czerwenka a. a. O. S. 499.
Zur Geschichte des Buchdrucks und Buchhandels in Lissa. 31
genvolscius1) als typographiae administrator bezeichnet,
und der 1622 in Namiest gestorben ist, also ihr Ende im
mährischen Vaterlande erlebt hat Über die Überführung
der Druckerei nach Lissa haben wir keine näheren
Nachrichten, vielleicht hat Karl von Zerotin sie bei seiner
Übersiedlung nach Breslau bis dahin mitgenommen und
von dort aus gelegentlich weiter nach Lissa gesendet.
Inwieweit sie bei dem Transport gelitten hat, wissen wir
auch nicht, doch zeigen ihre späteren zahlreichen und
teilweise sehr ansehnlichen Veröffentlichungen, insbe-
sondere das deutsche Gesangbuch, dass sie jedenfalls
wieder in einen würdigen, wenn auch, wie wir sehen
werden, den Ansprüchen der in der Unität geleisteten
Geistesarbeit nicht zureichenden Zustand versetzt worden
ist. Vielleicht sind mit ihr dabei die Reste derjenigen
Druckerei vereinigt worden, welche die polnische Unität
einst in Samter besessen hat. Dort ist im Jahre 1561
das polnische Gesangbuch der Brüder, Kancyonal braci
czeskich, gedruckt worden, zu dem der berühmte böhmische
Senior Blahoslaw 55 Lieder geliefert, auch das Register
angefertigt hat2), ausserdem Wawrzynca Krzyszkow-
skiego rozmowa czterech bratöw Waldenskich o pe-
wnoSci zbawienia (Gespräch von 4 Waldensischen Brü-
dern über die Gewissheit der Erlösung)8). Der Aus-
druck des Regenvolscius4) lässt es freilich nicht sicher
erscheinen, ob wirklich auch diese Druckerei nach Lissa
überführt worden ist. Wenn dies geschehen ist, dann
spätestens 1620, da in diesem Jahre der Gottesdienst der
*) Systeraa historico-chronologicum ecclesiarum Slavonicarum
S. 339-
*) Gindely a. a. O. II 472. — Werncr-Steffani (siehe unten)
gibt als Jahreszahl 1569 an.
*) Werner-Steffani, Geschichte der evang. Parochien in der
Provinz Posen S. 327 nach Raczynski „Wspomnienia Wielk.a
4) a. a. O. S. 118. Typographia Unit. Fratr. Maj. Pol. in usus
ecclesiarum et scholarum ad recudendos pios libellos erecta fuit
olim Szamotuly, tandem Lesnae.
32 Wilhelm Bickerich.
Brüder in Samter ganz aufgehoben worden ist, nachdem
ihnen die Pfarrkirche schon 1594 genommen war1).
Die frühesten Lissaer Drucke, welche uns bekannt
sind, wohl die ersten, die aus der neuerrichteten Unitäts-
druckerei hervorgegangen sind, datieren aus den Jahren
1630 — 32 und stammen meist aus der Feder des Comenius2) .
Es sind dies folgende:
1. Praxis pietatis To jest O Cwiceni se w Poboz-
nosti praw6. Böhmische Übersetzung eines englischen
Erbauungsbuches des Lewis Bayly, bishop of Bangor, an-
gefertigt durch Comenius. Der erste Teil erschien Lissa 1630,
der zweite 1631 (spätere Ausgabe 1640).
2. J. A. Comenii Janua linguarum reserata. Lissa
im Anfang des J. 1631.
3. Historie o umuceni srmti päna nasseho Jezise
Krista w Lesne 1631, eine Harmonie der Leidens- und
der Auferstehungsgeschichte, angefertigt von Comenius.
4. Ratio disciplinae ordinisque ecclesiastici in Uni-
täte fratrum Bohemorum, die Kirchenordnung der Unität,
wie sie bereits auf der Synode in Zeravic in Mähren 1616
festgestellt worden war und in Lissa 1632 gedruckt worden
ist Auf der Synode zu Lissa 1632 lag das Buch schon
halbgedruckt vor und ist noch in demselben Jahre fertig-
gestellt worden. Comenius hat eine kleine Schrift über
den Unterschied der kath. und evang. Konfession bei-
gefügt.
Leiter der Druckerei in dieser Zeit seit der Über-
führung nach Lissa, vermutlich wohl schon seit dem Tode
Elams bis zum Jahre 1632 und damit der erste Drucker
Lissas ist der Unitätspriester Mathäus Krokocinsky ge-
wesen, über den uns nichts weiter bekannt ist, als dass
er wohl im Jahre 1632 gestorben ist. Unter den Dekrety
der Synode der böhmischen Exulanten vom 6. Oktober 1632
i) Kohte, Kunstdenkmäler III S. 48.
a) Vergl. zum Folgenden die Bibliographie von Kvacala, Leben
des Comenius Anhang II und Jos. Müller in den Monatsheften der
Comcniusgesellschaft 1892 S. 19 ff.
Zur Geschichte des Buchdrucks und Buchhandels in Lissa. 33
zu Lissa findet sich nämlich folgender Beschluss1), der
zugleich zeigt, welchen Wert die Unität noch im Exil auf
ihre Druckerei legte: „Da Gott der Herr in den ver-
gangenen Tagen Br. Mathäus Krokocinsky, den Buch-
drucker, aus der Welt genommen, so wurde zum Im-
pressor derselben Druckerei Br. Daniel Vetter erwählt, so
dass er von diesem Augenblick an die Fürsorge für die-
selbe übernehmen, alles unter Rechnimg und Register
bringen und, wie es notwendig ist, um diesen Schatz der
Unität sorgen solle, was er auch auf sich nahm. In-
zwischen wurden ihm zur Vollendung der Unitätsordnung
(d. i. der obengenannten Ratio disciplinae) und dessen, was
mehr nötig sei, die Söhne Krokocinskys als Hilfsarbeiter
belassen. Welche Aufgabe ihnen eigentlich zufalle, das
zu bestimmen und zu unterscheiden, vertraute man dem
Br. Mathäus Prokop in Lissa mit seinen Hilfsgenossen."
Hiernach hatte der Senior Mathäus Prokop, „ein
Mann von geradem aufrichtigem Herzen und ausge-
zeichnetem Urteil", wie ihn Regen volscius2) nennt, die
Oberaufsicht über die Druckerei zu führen ganz im Ein-
klang mit der Kirchenordnung3) der Unität, die unter den
Pflichten der Senioren nennt: „Die Fürsorge für die
Druckerei der Unität liegt allen (d. i. Senioren) gleich-
massig ob, die Aufsicht (inspectio) aber einem, der ganz
in der Nähe wohnt." Nach dem Tode4) des Prokop
hat wohl Comenius als der einzige am Ort wohnende
Senior der böhmischen (nicht polnischen) Unität, zumal er
zugleich deren Notarius war, die Aufsicht geführt.
J) Cindely, Dekrety Jednoty Bratrskö, Prag 1865 S. 282. Die
obige deutsche Übersetzung verdanke ich der Güte des Herrn
Privatdozenten Dr. Jaroslav Bidlo zu Prag, auf dessen für die Kirchen-
geschichte unserer Provinz bedeutsames Werk, das hoffentlich bald
in deutscher Übersetzung erscheinen wird, ich bei diesem Anlass
hinweisen möchte: Jednota Bratrskä v prvnim vyhnanstvi, die
Brüder-Unität im Exil, Teil II Prag 1903 (von 1561— 1572).
*) a. a. (X S. 322.
8) ed. Buddeus S. 17.
*) 16. Febr. 1636 zu Lissa.
Zeilschrift der Hist. Ges. fttr die Ptoy. Posen. Jahrg. XIX. 3
34 Wilhelm Bickerich.
Der neue Drucker, Daniel Vetter, entstammte einem
alten Unitätsgeschlecht, das eigentlich den Namen Strejc
(Stregiciüs) führte1). Drei ältere Brüder hatten bereits im
Dienst der Unität gestanden und waren früh gestorben.
Sogar ihr Vater schon — bei der Hochschätzung, welche
das Coeiibat in der alten Unität genoss, war dies ein
damals noch seltener Fall von Fortpflanzung des geist-
lichen Amtes in einer Familie — Georg Strejc war ein
um die Unität sehr verdienter Consenior gewesen2). Zwar
hat er ihr auch einmal Ärgernis bereitet und auf der
Versamnüung'in Leipnik8) 1591 eine Rüge erhalten, einmal
weil er sich eigenmächtig ohne Erlaubnis der Senioren ver-
heiratet, sodann weil er in Streitigkeiten mit den Lutheranern
den damals noch gefürchteten Schein des Kalvinismus auf die
Unität gebracht hatte. Doch war er auf der andern Seite einer
ihrergelehrtesten, tüchtigsten und eifrigsten Arbeiter. So hatte
er die Maximilian II. überreichte Konfession mitverfasst, hatte
Lieder gedichtet4) und die Psalmen in böhmischer Sprache
nach französischen Melodien sangbar gemacht, auch Cal-
vins Hauptwerk ins böhmische übertragen, vor allem aber
war er einer der hauptsächlichsten Mitarbeiter an der
Kralitzer Bibelübersetzung. Vielleicht ist der letztere Um-
stand mitbestimmend gewesen für die spätere (1632) Be-
stimmung seines Sohnes Daniel zum Leiter der Druckerei
in Lissa. Dieser hatte, als er nach Lissa kam, bereits
ein bewegtes Leben hinter sich. In der kurzen Zeit des
Winterkönigtums war er Hofmeister des böhmischen
Kronprinzen gewesen und hatte sich dann nach Holland
begeben, von wo aus er grosse Reisen gemacht haben
muss. Wenigstens hat er in Gemeinschaft mit dem
Mähren Joh. Salmon eine Beschreibung der Insel Island
und zwar auf Grund eigener Kenntnis und Durch-
1) Vgl. Regenvolscius a. a. O. S. 327 ff.
2) t 1599 in Zidlohovice.
») Gindely, Geschichte der böhmischen Brüder II S. 325.
*) Wackernagel, das deutsche Kirchenlied IV S. 459 ff. bringt
7 Lieder von Georg Strejc zum Abdruck.
Zur Geschichte des Buchdrucks und Buchhandels in Lissa. 35
Wanderung herausgegeben1). In Lissa gelang ihm, worum
sich etliche vor ihm vergebens gemüht hatten, die Hand
Christina Poniatowskas, der Pflegetochter des Comenius,
zum ehelichen Bunde zu gewinnen. Bezüglich der inter-
essanten Geschicke dieser berühmten Seherin, die Co-
menius durch eine merkwürdige Verkettung von Umständen
i. J. 1627 im Schioss zu Branna bei Hohenelbe in Nord-
böhmen kennen gelernt hatte, wie auch ihres Vaters,
eines den Leszczynski verwandten polnischen Edelmannes,
können wir hier nur auf die einschlägigen Schilderungen
Kvacalas2) verweisen. Gerade zu der Zeit, da unter dem
Eindruck der Siegeszüge Gustav Adolphs ihr prophe-
tisches Ansehen unter den Exulanten seinen Höhepunkt
erreicht hatte, und auf derselben Synode in Lissa, auf der
ihr Erwählter die pastorale Ordination empfangen hatte,
wurde sie ihm feierlich vor versammelter Synode tamquam
pupilla ecclesiae8) angetraut, sodass das übliche Abschieds-
mahl der Synodalen sich zugleich zum Hochzeitsmahl ge-
staltete. Nach Comenius ist sie eine wackere Hausfrau
geworden, die ihrem Gatten in i2Jähriger glücklicher Ehe
treu verbunden war.4) Dan. Vetter wurde wohl auch in be-
sonderer Rücksicht auf seine Heirat und sein Verhältnis zu
Comenius, mit dem er in einem Hause gewohnt zu haben
scheint5), nicht zu einer auswärtigen Gemeinde entsandt,
sondern zum Leiter der Druckerei bestellt, in welchem
Amt er grossen Eifer bewies. Allerdings hatte er mit
Schwierigkeiten im Zustand der Druckerei, insonderheit
einem Mangel an Lettern zu kämpfen. So schreibt Co-
menius an den Pastor Niclassius in Danzig in einem
Briefe, darin er die Ausgabe verschiedener seiner Schriften
*) Regenvolscius a. a. O. S. 337.
2) Leben des Comenius und „des Comenius Aufenthalt in Lissa",
Zeitschrift der Hist Gesellschaft Posen, Jhrg. VIIL Über Ponia-
towski vgl. Regenvolscius a. a. O. S. 335.
*) Doch wohl einfach in Bezug auf ihre Verwaisung mit
„Mündel* zu übersetzen, nicht, wie Kvacala meint, „Augenstern".
*) f Juni 1644 anscheinend an Schwindsucht.
5) nobiscumque habitaturo . . Comenius, Historia revel. S. 133.
36 Wilhelm Bickerich.
ankündigt1): „Es war der Wunsch des edlen Schutzherrn,
dass jenes alles hier in Lissa gedruckt werde. Indessen weil
wir an einen Mangel an Typen leiden, und mein Sinn dahin
steht, das dem Hünefeldt (einem Drucker in Danzig, der 1633
für Polen Privilegium auf die Janua linguarum erhielt) ge-
gebene Wort zu halten, werde ich ihm jene wichtigeren
Werke zum Abdruck übersenden, während etliche kleinere,
insbesondere meine deutschen Schriften für das niedere
Volk, unserer Druckerei vorbehalten bleiben." Bei den
letzten Worten hat Comenius gewiss an das „Informa-
torium der Mutterschule" gedacht, das 1633 zuerst in
Lissa erschienen ist Ausser mit Andres Hünefeldt2) hat
Comenius von auswärtigen Druckern und Verlegern be-
sonders mit Gottfried Gross in Leipzig und Wolfgang,
später Michael Endter in Nürnberg in Verbindung ge-
standen, bis er nach der Übersiedlung nach Amsterdam
dortige Buchhändler bevorzugte. Doch scheint es Vetter
gelungen zu sein, Abhilfe für die Lissaer Druckerei zu
schaffen. So erschien bei ihm i. J. 1639 die sechste Aus-
gabe des deutschen Gesangbuchs der Unität (mit 360
Liedern böhmischer und 155 deutscher Verfasser) in Quart
unter dem Titel: „Kirchengesänge, darinnen die Haupt-
artikel des christlichen Glaubens kurz verfasset und aus-
gelegt sind, jetzt aber von newem durchsehen und ge-
mehret Anno MDCXXXIX"8), während hinten steht:
„Gedruckt zur Lissaw in Gross Pohlen durch Danielem
Vetterum*. Bereits 1634 waren die seit 1639 stets dem
Gesangbuch beigefügten Lobwasserschen Psalmen von
Vetter gedruckt worden. Ebenso sind später auch grössere
und wichtigere Werke des Comenius von wissenschaft-
lichem Charakter zuerst in Lissa bei Vetter erschienen,
so 1649 Linguarum methodus novissima samt neuer Be-
arbeitung des Vestibulum und der Janua. Ein Empfehlungs-
*) Korrespondence Komenskeho ed. Patera S. 19.
2) Einen interessanten Briefwechsel mit ihm enthält die Kor-
respondence Komenskeho ed. Kvalala II S. 169 ff.
8) Ein Exempl. in der Bibl. der Johanneskirche in Lissa.
Zur Geschichte des Buchdrucks und Buchhandels in Lissa. 37.
schreiben des Petrus Colborius1) in Leipzig sagt von
diesen Büchern, dass sie „in 8vo zur Polnischen Lissa bey
H. Daniel Vettero gedrucket und hier (in Leipzig) bei den
Grossischen Erben zu finden seyen", und fordert zum
Schluss auf, „wer Erinnerungen an diesen Büchern zu
machen habe, der wolle sie entweder durch einen öffent-
lichen Druck oder durch geheime Schrift ins Werk setzen
und die Schrift nach der Polnischen Lissa an den Buch-
drucker, H. Daniel Vettern, durch welchen sie weiter an
H. Comenium bestellet werden wird, unbeschwert über-
senden". Im gleichen Jahre 1648 erschien auch in Lissa
der von Comenius herausgegebene Auszug aus Johannis
Lasitii Historia. Von anderen Schriften des Comenius
sind noch folgende zuerst in Lissa und zwar — ausge-
nommen zwei mit entgegenstehender Angabe — jedenr
falls in der Kirchenoffizin oder bei Vetter gedruckt worden :
i- 1633 Centrum securitatis, eine böhmische Erbau-
ungsschrift.
2. 1634 „zur Pestzeit" o Syrobe (Von der Ver-
waisung), desgl.
3. 1635 Na spis proti . . . und
4. 1637 Cesta pokoje, böhmische Streitschriften
gegen Samuel Martinius in Pirna.
5. 1637 De sermonis latini studio.
6. 1638 Die Frage ob Christus sich selbst aufer-
wecket: Gegen den Socinianer Scheffer.
7. 1638 Conatuum pansophicorum dilucidatio . . .
zunächst nur zur Mitteilung an Freunde gedruckt.
8. 1649 O Wymitani .... Däbelstvi (Von der
Austreibung eines stummen und jedes anderen
Teufels) Predigt in Lissa 1649 über das Evan-
gelium am Sonntag Oculi.
9. 1650 Kssafft Umirajici Matky (Testament der ster-
benden Mutter).
10. 1655 Boj s Bohem Modlitbämi . . . (Gebetskampf
mit Gott) Predigt in Kriegsgefahr über Ps. 31 1—6,
am 24. Sept 1655.
*) Korrespondence Komensk£ho ed. Kvadala S. 140 u. 143.
38 Wilhelm Bickerich.
ii. 1655 Hystorya o tezkych protivenstvlch Cyrkve
Ceske, die böhmische Ausgabe der Historia
persecutionum.
12. 1656 Januar. Evigila Polonia.
13. 1656 Enoch. Predigt am 9. Januar 1656.
14. Matuzal6m, Predigt beim Begräbnisdes Conseniors
Wenzel Lochar am 25. Januar 1656.
Hingegen trägt die Leichenpredigt des Comenius auf
den Grafen Raphael Leszczynski „Spiegel gutter Obrig-
keit 1636" die Aufschrift: „Gedruckt zur Polnischen Lissa
durch Wigandum Funck," über dessen Druckerei unten
näher berichtet werden wird. Ebenso hat er 1649 typis
Funccianis eine Metaphysik auf nur 5 Blättern heraus-
gegeben, die schon 1678 so selten geworden war, dass
sich auch unter den Verwandten des Comenius kein
Exemplar mehr fand1). Vermutlich haben zu den be-
treffenden Zeiten die Kräfte der ihm am nächsten
stehenden Kirchendruckerei nicht ausgereicht, so dass er
die des lutherischen Funck in Anspruch nahm.
Natürlich war aber auch abgesehen von den offiziellen
Aufgaben für die Kirche (Gesangbuch, Kirchenordnung)
Comenius nicht der einzige Autor, der die Druckerei
benutzte. Neben ihm ragen unter den damaligen Schrift-
stellern der Unität besonders 3 hervor: Johann Jonston,
Johann Bythner und Georg Vechner. Johann Jonston, der
berühmte Arzt und Polyhistor, liess seine Werke, auch die
für den Gebrauch des Lissaer Gymnasiums bestimmte
Historia civilis et ecclesiastica, meist nicht in Lissa erscheinen
sondern in Leyden (dort 1633 die erste und 1638 die zweite
Ausgabe der genannten Historia), Jena, Brieg, Breslau,
Frankfurt a. M. Von Lissaer Ausgaben seiner zahlreichen
und die verschiedensten Gegenstände behandelnden
Schriften sind mir nur folgende und diese auch nur aus
einer Handschrift der Breslauer Stadtbibliothek8) bekannt
geworden:
1) Korrespondence Komenskeho ed. Kva&ria II S. 158.
*) Der Titel lautet: „Jonstoniana derer Jonston auss Schottland."
Zur Geschiebte des Buchdrucks und Buchhandels in Lissa. 39
Joh. Jonstoni, Poloni, Philosophi et Medici Lesnensis
Horae Subcisivae seu rerum toto orbe ab universi exortu
gestamm idea. Lesnae 1639. Dedic. IUustrissimo Comitum
Leszcziniorum utriusque ordinis pari Andreae Abbati
Premetensi, nominato episcopo Wendensi, et Johanni
Palatinidae Brestensi Cujaviensi.
Ejusdem Horarum subeisivarum pars seeunda
„Historiae Monarchiarum orientalium seu rerum ab excidio
regni Judaici ad finem monarchiae Macedonicae gestamm
ideam libris III exhibens. Lesnae 1639. Dedic. 111. Heroi
Boguslao Comiti in Leszno, Palatinidae Belzensi." Der
Drucker ist nicht aufgeführt, wahrscheinlich war es Vetter,
Johann Bythner1) (1602 — 1675), Sohn des ref. Seniors von
Kleinpolen Bartholomäus B., Pfarrer in Mielencin, Dembnica,
Karmin und Schokken, Senior der Unität in Grosspolen,
bekannt als Vertreter der ref. Partei auf dem Thorner
Religionsgespräch, hat i. J. 1655 seine selten gewordene
„Postylle . . . w Lesznie u Daniela Vetterusa" drucken
lassen. — Georg Vechner2) (1590 — 1647), Doktor der
Theologie, aus Freystadt in Schlesien, war einer der
bedeutendsten Professoren an dem berühmten Beuthener
Gymnasium, nach dessen Aufhebung er 1628 nach Lissa
kam und dort i. J. 1639 die Ordination zum Predigtdienst
der Unität empfing. Ohne ein bestimmtes Amt an einer
Gemeinde zu bekleiden, vielmehr immer noch auf Wieder-
herstellung der Beuthener Anstalt hoffend, hat er als
Privatmann in Lissa gelebt, offenbar häufig, besonders
zur Festzeit, der deutschen Gemeinde der Unität gepredigt,
vor allem aber ist er ebenso wie sein Bruder David als
Mitarbeiter des Comenius bei Durchsicht der Schriften
desselben tätig gewesen8), bis er im Jahre 1646 die
Berufimg zum Pastor, Superintendenten und Direktor des
Gymnasiums in Brieg annahm, welche Stellung er nur ein
Jahr hat bekleiden dürfen. Eine Reihe von theologischen
*) Regenvolscias a. a. O. S. 392.
3) EbendortS.117 0.380, vgLKlopsch, Geschichte des berühmten
Sehönaichschen Gymnasiums zu Beuthen S. 113 ff.
*) Ball, das Schulwesen der böhmischen Brüder S. 212.
40 Wilhelm Bickerich.
Untersuchungen in lateinischer Sprache und deutschen Pre-
digten1) zeugen von gründlicher Gelehrsamkeit, scharfer
Denkart und warmer, milder Frömmigkeit So stammen aus
seiner Lissaer Zeit und sind meist entweder ausdrücklich
oder doch wahrscheinlich bei Dan. Vetter gedruckt (2 bei
Funck) folgende Schriften:
1636 Regia animi Professio, eine Erklärung des 101 sten
Psalmes. Typis Funccian. 8.
1639 Sinus Abrahae ad Luc. 16. 22. 8. 2te Aufl. 1646
exofficinaTypographicaDanielisVetteri,Gymnasii
Typographi. 3te Aufl. ohne Druckort 1678.
1639 Der Anfang des Evangelii Johannis von dem
Worte, das da Gott war und Fleisch worden ist
Lissa 8 (später: Holmiae et Upsaliae).
1640 Austeritas Christi erga matrem . . . Joh. 2,4 in 8.
(Neue Ausgabe Kopenhagen 1737).
1640 Der hochnachdenkliche und sehr bewegliche
Warnungs-Spruch Jesu Christi von der Sünde
der Lästerung wider den heiligen Geist
Pfingstpredigt, den Senioren der Unität (darunter
Comenius) gewidmet.
1640 Dreyfache Straffung oder Überweisung der Welt
Joh. 16,5 — 15. Predigt an Cantate . . bei Funck.
1643 Synodalische Erinnerungspredigt bei Zusammen-
kunft der vereinigten evangelischen Brüderschaft
zu Lissa in Grosspolen, über Joh. 16, 7 in 4.
1644 2*6koip seu Palus Pauli (Pfahl im Fleisch) . . .
ad II Cor. 12,7; 8 (bei Vetter).
Auch 2 Leichenreden, die er in Lissa 1641 und 1644
dem Büchsen- und Pulvermacher Martin Zugehör und
(1641) dessen Ehegattin gehalten hat, sind gedruckt
worden, die 2te (bei Funck) unter dem Titel: „Ob das
Pulver- und Büchsenmachen bei einem Christen auch ver-
antwortlich sei2)?
l) Ein Sammelband befindet sich in der Bibliothek der Kreuz-
kirche zu Lissa, die übrigen nach Klopsch a. a. O. S. 321 ff.
*) Die erste ist erhalten in der Bibliothek der Johanniskirche
in Lissa — beigefügt ist eine Reihe von Gedichten verschiedener
Zur Geschichte des Buchdrucks und Buchhandels in Lissa. 41
Überhaupt sind nach der Sitte der Zeit bereits damals,
wie später noch mehr, auch in der Unität eine Fülle von
Gelegenheitsreden im Druck veröffentlicht worden. Ein
Verzeichnis von „Predigten der Brüder aus der Unität"
im Archiv der Lissaer Johanniskirche1) hat uns auch aus
der Zeit 1633 — 1656 eine Reihe von Titeln aufbewahrt, so
eine polnische Leichenrede auf Nikolaus Latalski vom Senior
Daniel Mikolajewski (1633) desgl. auf Andreas Firley, auf
den Woiwoden von Sendomir Pandlowski (1650), auf den
Senior Thomas Wengierski (1653). Ferner „Klage Jesu über
Jerusalem und Deutschland durch Martinum Gertichium,
Seelsorger der deutschen Gemeinde der B. C. in der alten
Kirche in Lissa" (1637, Boguslaw Leszczynski, Johann
Schlichting und dem Senat in Lissa gewidmet), Reden
bei der Eheschliessung des Nikolaus Latalski mit einer
Broniewska durch Jan Bythner und Michael Hesperus
(Pastor in Schokken) 1641, Nagrobek (Grabmal) Balthasara
van Metteren Grafa van Luick przez Daniela Kalaiego
past Szczepanowskiego (1654) — letztere beiden nach
ausdrücklicher Angabe bei Dan. Vetter in Lissa gedruckt
Besondere Hervorhebung verdient die Sammlung latei-
nischer Klagelieder von den Professores et Praeceptores
des aufgehobenen Beuthener Gymnasiums anlässlich der
Beisetzung des unglücklichen Freiherrn Johannes von
Schoenaich2) in der alten d. i. ref. Kirche in Lissa 1642. 4
(bei Dan. Vetter), die letzte öffentliche Kundgebung der
berühmten Lehranstalt.
Dem letzten Jahrzehnt der Vetterschen Druckerei
entstammt noch eine kleine aber bedeutsame Schrift
amtlichen Gepräges, nämlich: „General- und Special-
Bekäntnüss . . . von den Evangelischen Reformierten Kirchen
im Königreich Pohlen . . . durch Ihre Delegaten auff dem
Colloquio zu Thorn im Jahre Christi 1645 verfasset und
tibergeben .... Dem gemeinen Mann zum besten auss
Verfasser, darunter von Joh. und Samuel Heermann, Joh. Jonston.
der Dichterin Anna Memorata.
l) A I 17.
*) Der vollständige Titel bei Klopsch a. a. O. S. 193 ff.
42 Wilhelm Bickerich.
dem Lateinischen . . . übersetzt . . . Gedruckt zu Lissa bey
Daniel Vettern 1650". Die Veröffentlichung dieser Über-
setzung des Thorner Bekenntnisses in der Unitätsdruckerei
zu Lissa ist wohl mit ein Beweis für die anderwärts näher
zu begründende These, dass die Verschmelzung der Unität
in Grosspolen mit der reformierten Kirche wesentlich aus
dem Thorner Religionsgespräch herstammt
Ob die Druckerei im Laufe der Zeit in Vetters Eigen-
tum übergegangen ist, mag dahingestellt bleiben. Die
spätere Ausdrucksweise: ex officina Danielis Vetteri Gym-
nasii Typographi scheint darauf hinzudeuten. Jedenfalls
hat sie i. J. 1656 in der Zerstörung Lissas ihr Ende er-
reicht „Dieses Vetteri Officin ist im ersten Brande zer-
schmolzen, und sind viel nützliche Schriften und Dokumente
zugleich mit in die Luft geflogen und verbrannt**, heisst
es in einem etwa aus dem Jahre 1750 stammenden Blatt:
„Von der Lissnischen Buchdruckerey"1), das sonst wenig
Kenntnis von dem Umfang und Ursprung der Vetterschen
Druckerei verrät Comenius erwähnt in dem Brief an
den Buchhändler Montanus, dass sein kostbares Lexikon
der böhmischen Sprache, das nach 30jähriger Arbeit
endlich im Jahre 1656 zum Druck befördert wurde,
mitsamt der Druckerei und der ganzen Stadt Lissa in dem
unverhofften Brande untergangen sei. Doch findet sich
merkwürdigerweise noch in den späteren Protokollen des
reformierten Presbyteriums die Erwähnung einer im
Eigentum der Kirche befindlichen Buchdruckerei, woraus
wohl zu schliessen ist, dass Reste der Vetterschen Offizin
gerettet und lange Zeit verwahrt worden sind. Es heisst
da unter dem 8. Dec. 1682: „1. Wurde deliberieret wegen
des Cancionals, wie, wo und wann es zu drucken. Man
kunnte aber auff keinen Schluss kommen. Und hat man
es auff künftige Session aufgeschoben. (Das Gesangbuch
ist im Jahre 1694 in 8ter Ausgabe erschienen.) 2. Die
Buchdruckerey soll dem Buchdrucker, so er das Gesangbuch
l) Im Besitz der Raczynskischen Bibliothek zu Posen, sowie
des Herrn Buchdruckereibesitzer Schmädicke in Lissa, der es im
„Lissaer Anzeiger" 1900 veröffentlicht hat
Zur Geschichte des Buchdrucks und Buchhandels in Lissa. 43
drucken wird, für 80 Rtth. gelassen werden." Vielleicht
hat der unten zu nennende Michael Bück die Reste der
Kirchendruckerei hernach noch käuflich erworben.
Vetter selbst hat sich nach Schlesien gerettet und
hat, in Brieg wohnend, das Hirtenamt an den in Schlesien
zerstreuten Böhmen übernommen und trotz vielfacher
Kränklichkeit mindestens bis zum Jahre 1669 versehen,
wie ein Brief des greisen Comenius an Bythner vom
6. Febr. 1669 beweist1). Im Jahre 1662 wurde er noch von
Comenius zum Consenior vorgeschlagen, während derselbe
früher gegen seine Wahl zu diesem Amte eine gewisse
puerilitas, die ihm anhaftete, geltend gemacht hatte. Aus
der Ehe mit Christina Poniatowska sind 3 Töchter und
2 Söhne hervorgegangen; von den letzteren ist der jüngere
Georg2) im Jahre 1667 Pfarrer der Unitätsgemeinde
in Nassenhuben bei Danzig als Nachfolger und auf
Vorschlag des Petrus Figulus, des Schwiegersohnes des
Comenius, geworden.
Gleichzeitig mit Vetter oder der Unitätsdruckerei
bestand die Offizin von Wigand Funck, den das schon
erwähnte Blatt vom Jahre 1750 irrtümlich für den ersten
Buchdrucker Lissas hält, und von dem es berichtet: „Zu
gleicher Zeit war in Glogau Joachim Funcke — der Name
lautet richtig Funck — Buchdrucker, welcher mutmasslich
ein Bruder oder Anverwandter unsers Lissaischen Funckes
mag gewesen seyn." In der von ihm selbst verfassten
Vorrede zu dem bei ihm erschienenen Lobgesang Joh.Heer-
manns auf die Buchdruckerkunst anlässlich ihres 200 jäh-
rigen Jubiläums 1640 spricht Wigand Funck von seiner
„geringen, defekten und durchplünderten Druck erey" und
dem „bitteren exilium", darein er den Ehrenruhm der
Buchdruckerkunst für seine Person mitnehmen wolle.
Hieraus ist zu schliessen, dass er zu den aus Schlesien
vertriebenen Glaubensflüchtigen gehört hat, wie denn
seine Druckerei für die lutherische Kirche in Lissa und
1) Korrespondence K. ed. Patera S. 193, 276 und 254.
*) Schnaase, die böhmischen Brüder in Danzig S. 155.
V
44 Wilhelm Bickerich.
Umgebung eine ähnliche Bedeutung gehabt zu haben
scheint als die sog. Vettersche Offizin für die Unität, nur
mit dem Unterschied, dass die letztere direktes Eigentum
des kirchlichen Verbandes war. Jene Vorrede zeigt
zugleich eine sehr würdige und edle Auffassung seiner
Kunst. Er widmet das Büchlein „Georgio Bawmann1),
Gregorio Rietschen und Henningio Köhlern, vornehmen
Bürgern und Buchdruckern in Bresslaw und Leipzig", in
Erwiderung einer Jubiläumsschrift von Gregor Rietsch,2)
preist „die edle Kunst, welche warlich in diesen letzten
Zeiten, da so viel Rotten und Secten im Schwange gehen,
die getreweste Dienerin aller Menschen ist, welche uns
die H. Schrift und nebenst derselben viel schöner geist-
reicher Bücher als hellescheinende Liechter vorleget*4, weiter-
hin die Vorsehung Gottes, der, ehe er das „hochheilige
Werk der recht-christlichen Reformation vorgenommen,
zuvor Ihm eine solche Werckstadt erfunden, durch welche
sein heiliges und auss der Finsternis hervorgesuchtes
seeligmachendes Wort mit kräfftiger Gewalt möchte er-
hallen und erschallen", und kann die Betrachtung nicht
zurückhalten, wie es geworden wäre, wenn solche Kunst schon
zu Davids oder Salomos Zeiten gewesen wäre, und wieviel
„herrlicher Predigten unsres Erlösers und seiner Apostel
wir entraten müssen", darum, weil jene Kunst damals noch
gefehlt hat. Betrübt darüber, dass „dieses hochherrliche
Werck .... von vielen nur zu des Teuffels Wegen und
zu allerhand Lügen und Schandpossen gebraucht wird,4*
schliesst er mit dem Vorsatz: „Doch wer böse ist, der
sey immerhin böse. Wir wollen uns mühen, dass wir der
göttlichen Warheit und dieser Kunst Würdigkeit nach-
jagen, hiegegen mögen alle Hudler und Sudler an jenem
Tage vnn diesem ihrem bösen Vornehmen Rechenschafft
geben". Als ein Mann von Bildung zeigt sich Funck auch,
!> G. Baumann war Inhaber der hochangesehenen, 1538 von
Andreas Winkler gegründeten Stadtbuchdruckerei in Breslau. Bei
ihm sind viele Werke Joh. Heermanns erschienen. Vgl. Lorck,
Handbuch der Geschichte der Buchdruckerkunst, I S. 145.
q Bedeutender Verleger in Leipzig 1624— 1643 vgl. Lorck S. 147
Zur Geschichte des Buchdrucks und Buchhandels in Lissa. 45
wenn er bei dem Tode des ältesten Sohnes des Statt-
halters Schlichting 1639 zu einer bei ihm gedruckten
Sammlung von Trostgedichten (darunter Beiträge von
J. Heermann, Martin Opitz und Comenius) auch selbst
ein deutsches Gedicht beisteuert1).
In welchem Masse die Funcksche Druckerei zu
kirchlich-erbaulichen Zwecken der neugegründeten luthe-
rischen Gemeinde in Lissa benutzt wurde, ergibt sich
aus mehreren Sammelbänden von Gelegenheitsreden,
die sich in der Bibliothek teils der dortigen Kreuzkirche
teils der Stadtbibliothek in Breslau befinden und die
Jahre 1635 — 1655 umfassen. Es sind daraus folgende
besonders hervorzuheben:
1. „Initiatio Templi Novo-Lesnensis Einweyhung der
New Lissawschen Kirchen" von Michael Maronius, dem
ersten Geistlichen der Gemeinde, ein Jahr nach der am
I. Advent 1635 erfolgten Einweihung herausgegeben.
2. Heptas sacrarum, eine Erbauungsschrift von dem-
selben Maronius.
3. Die bei des Maronius Tod (1642) von seinem
Diakonus Albinus gehaltene Leichenrede.
4. Die Antrittspredigt des neuen Geistlichen Joh.
Holfeld (1642).
5. Bonus pastor gregis Christi, Leichenrede auf Joh.
Heermann gehalten von Joh. Holfeld (1647).
Ausserdem sind in den genannten Bänden noch
eine lange Reihe von Reden anlässlich von Todesfällen
teils in den angesehenen lutherischen Bürgerfamilien wie
z. B. Stange, Wäber, Knappe, Polluge, Liehren, Henniges,
Biberstein, Rehner, Jander, Heintze, Jacob von Augspurg
(Apotheker, aus Olmütz gekommen), Heyssig, Curtius,
teils in Familien des schlesischen Adels z. B. von Nie-
belschütz, von Dyherrn (letztere Rede ist allerdings bei
Daniel Vetter gedruckt). Auch eine Reihe Fraustädter,
mehrere in der schlesischen Nachbarschaft z. B. vom
Pfarrer Arnhold in Gr. Tschirne gehaltene Reden, ja
1) Monatshefte der Comenius-Gesellschaft 1903 S. 36.
46 Wilhelm Bickerich.
sogar solche aus Brieg (bei der Beerdigung des Landes-
hauptmanns Melchior von Senitz 1644) unc* Crossen
(Pastor Kolckwitz) sind bei Funck in Lissa gedruckt
Besondere Erwähnung gebührt noch der „Christlichen
Valet und Letz-Predigt", welche Joh. Mende nach Auf-
hebung des evangelischen Gottesdienstes in Guhrau zu
Alten-Guhrau am 25. November 1637 unter freiem Himmel
gehalten und noch im gleichen Jahr in Lissa zum Druck
befördert hat1).
Von bedeutenderen Autoren scheint ausser der ge-
legentlichen Benutzung durch Comenius und Vechner
nur Johannes Heermann sich der Funckschen Druckerei
bedient zu haben. Dieser berühmte Liederdichter hatte
wegen anhaltender Kränklichkeit sein Pfarramt in Koben
(bei Rauten in Schlesien) aufgeben müssen und war seit
Oktober 1638 nach Lissa übergesiedelt, wo ihm Graf
Boguslaw Leszczynski eine Baustelle geschenkt hatte.
Die Mehrzahl seiner Liedersammlungen und Trostschriften,
auch soweit sie in der Lissaer Zeit verfasst sind, hat
freilich auch Joh. Heermann auswärts, namentlich in
Breslau (sein Nachlass ward hingegen in Nürnberg ver-
öffentlicht), erscheinen lassen, sei es, weil dies für den
Absatz günstiger war, sei es, weil die Kräfte der Funckschen
Druckerei nicht zureichten. In letzterer sind gedruckt
und verlegt ausser dem schon erwähnten „Ehrenruhm
der edlen Buchdruckerkunst" (1640) noch folgende Schriften
Heermanns:2)
1. In Not bet allzeit. 1641. 4.
2. Sechserley Sonntags-Andachten. 1641.
3. Bawgedanken oder Fünfferley Häuser. 1642. 4.
4. Parma, contra mortis arma (der dritte Teil seiner
Leichenpredigten). 1644.
1) Ehrhardt, Kirchen- und Predigergeschichte des Fürstentums
Gros-Glogau 1783 S. 264 und S. 293, desgleichen des Fürstentums
Crossen S. 676.
2) Mit Ausnahme von Nr. 3 — 4 im Besitz der Stadtbibliothek
zu Breslau.
Zur Geschichte des Buchdrucks und Buchhandels in Lissa. 47
5. Dormitoria (der vierte Teil seiner Leichen-
predigten). 1644.
6. Anagrammata, Literatis quibus patria est Coebe-
nium scripta et inscripta... Ohne Jahreszahl. 4. (Von
Wackernagel nicht aufgeführt).
Miterwähnt sei hier eine von dem Notarius in Herrn-
stadt Caspar Hofman verfasste und bei Funck in Lissa
erschienene kleine Lobschrift in Anagrammen „Triga
theologica" auf das theologische Dreigespann Joh. Heer-
mann, Vincenz Stephani, den ersten evang. Pastor in Ra-
witsch, und Christophorus Albinus, Diakonus in Lissa,
ohne Jahreszahl.
Über die späteren Geschicke Funcks und seiner
Druckerei fehlen uns sichere Nachrichten. Nach jenem
schon erwähnten alten Blatt „Von der Lissnischen Buch-
druckerey" wäre anzunehmen, dass er seine Offizin an
einen gewissen Johann Kuntze um 1652 verkauft hätte,
denn es heisst dort: „Herr Johann Kuntze, von 1652
bis 1662, muss die Druckerey notwendig eigentümlich
besessen haben, denn er ist mit derselben hernach von
Lissa nach Steinau gezogen, allwo er seine Offizin
eröffnet, muss sie aber nicht lange behauptet haben, denn
es hat bald ein anderer Buchdrucker Nahmens Rösner
ihm in Steinau succedirt." Vermutlich bei ihm ist die
Leichenrede Albrecht Güntzels „der wohlthätige Jojadaa
auf den Bürgermeister Philipp Held sen. 1655 erschienen1).
Sollte die Zerstörung Lissas am 29. April 1656
nicht auch der Funck-Kuntzeschen Druckerei den Unter-
gang gebracht haben, so war sie jedenfalls die Ursache
ihrer Verlegung. Die Stadt hat damals sowohl in ihrem
materiellen Wohlstand wie in ihrem geistigen Leben
einen Schlag erhalten, von dem sie sich erst unter
preussischer Herrschaft langsam und vielleicht bis heute
nicht ganz erholt hat Der Brand Lissas, dieser Zierde
Grosspolens, durch die Polen selbst herbeigeführt, war
wie ein Signal zu den kommenden Stürmen und be-
2) Werncr-Steffani a. a. O. S. 197.
48 Wilhelm Bickcrich.
leuchtete grell die ganze Unsicherheit, in der evangelischer
Glaube und deutscher Bürgersinn im polnischen Reiche
sich befanden. Kein Wunder, dass nicht wenige der
geflüchteten Bewohner den Mut zur Rückkehr verloren
und in der Fremde ansässig wurden. Immerhin erlebte
die Stadt durch den Fleiss und die Tatkraft derer, die
langsam sich wieder in ihren Trümmern gesammelt
hatten, eine wachsende Nachblüte, die freilich auch kaum
ein halbes Jahrhundert währen sollte. Zunächst musste
die Stadt einer Druckerei entbehren, und man benutzte
in dieser Zeit benachbarte schlesische Offizinen. So ist
die Leichenrede, welche Joachim Gülich, reform. Prediger in
Lissa, dort dem am 14. Juli 1664 verstorbenen schlesischen
Kartographen und Notarius Jonas Scultetus1) gehalten
hat, unter dem Titel Mors justorum bei Johann Kuntze
in Steinau gedruckt. Um 1670 erhielt Lissa auch
wieder eine Druckerei durch Michael Bück, über dessen
Herkunft wir nichts wissen. Dieser, „ein sehr fleissiger,
akkurater und berühmter Mann, schaffte seine Druckerei
aus Holland an", wie jenes alte Blatt sagt Gegen Ende
des 17 ten Jahrhunderts hatte die Verbreitung holländischer
Ausgaben in Deutschland den Sinn für schöne Drucke
geweckt, und man fing an, sich Matrizen aus Holland
kommen zu lassen2). So scheint Bucks Druckerei auf
der Höhe der Zeit gestanden zu haben. Anfänglich hatte
er Gottfried Güntzel zum Kompagnon, der aber bald die
Offizin in Oels von seinem dortigen Eidam Johann Seyfert
annahm, um auch diese 1686 an Bockshammer zu ver-
kaufen und dann in die Baumannsche Druckerei in Breslau
einzutreten. Auch Bück drohte einmal Konkurrenz, doch
wurde sie durch die Obrigkeit abgewehrt, denn die
Stadt konnte nicht mehr wie in ihrer Blütezeit zwei Druk-
kereien beschäftigen. Jenes Blatt sagt darüber: „Nach-
*) Über ihn Klopsen a. a. O. S. 287 ff. Danach sind des Scul-
tetus Landkarten unter dem Titel „Mappa Silesiaca" ohne Jahres-
zahl in Amsterdam bei Petrus Schenk und Gerhard Valk erschienen.
2) Lorck, Handbuch der Geschichte der Buchdruckerkunst I,
S. 161.
Zur Geschichte des Buchdrucks und Buchhandels in Lissa. 49
gehends bekam Johann Christoph Wilde, ein guter Freund
Herrn Michael Bucks, da er sähe, dass Bück viel Arbeit
hatte, Appetit, sich auch in Lissa mit seiner Buchdruckerei
zu setzen, allein weil sich beide dadurch ruiniert hätten,
haben es Se. Excell. Graf Boguslaus und Raphael
Leszczynski durchaus nicht erlaubt, daher wandte sich
Wilde in die Königliche Stadt Fraustadt und eröffnete
darin seine Offizin; er musste sich aber wegen einer
Streitigkeit, woran er gar keinen Anteil hatte, nach
Schlichtingsheim begeben, ward auch von dem Herrn
Baron von Schlichting, als einem sonderbaren Gönner der
Buchdruckerkunst, mit vieler Freude aufgenommen und
mit herrlicher Freiheit begnadet. Unser Bück, welcher in
grossen Gnaden bei seiner Gnädigsten Erb-Herrschaft
stand und von deroselben auf alle ersinnliche Art und
Weise in seiner Kunst gefördert und oft deswegen auch
sogar durch mündliche Nachfrage begnadigt wurde, bekam
von Sr. Excell. Graf Boguslaw und Raphael Leszczynski
ein herrliches Privilegium, kraft dessen sich auf den ganzen
Provinzen Sr. Excellenz kein Buchdrucker setzen durfte,
mit zugleich beigesetzter Konfirmation, ferner einen Buch-
laden zu führen, welches Privilegium man schriftlich nebst
eigenhändiger Unterschrift und Siegel in Händen hat."
Hiernach hat Bück „einen Buchladen" d. h. eine Sorti-
mentsbuchhandlung in Lissa geführt, wie sie damals mehr
und mehr aufkamen. Die Trennung von Buchdruck, Buch-
verlag und Buchhandel, wie sie sich schon seit dem Ende
des 15. Jahrhundert angebahnt hat, ist an kleineren Plätzen
erst spät durchgedrungen, in Lissa erst im 19. Jahr-
hundert. Bucks eigener Verlag ist freilich kaum umfang-
reich gewesen, bot vielmehr meist erbauliche Gelegenheits-
schriften, wie Leichen- und Hochzeitspredigten und ent-
sprechende Gedichte auf Ereignisse in den angesehenen
Bürgerfamilien von Lissa, auch von Fraustadt, bezüglich,
ganz ähnlich wie früher zu den Zeiten von Daniel Vetter
und Funck, nur dass die Reden noch länger, schwülstiger
sind, und der Druck meist in Folio, nicht in Quart erfolgt
ist. Aus den in den Kirchenbibliotheken zu Lissa und
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Prov. Posen. Jahrg. XIX. 4
50 Wilhelm Bickerich.
im Posener Staatsarchiv (Depositum der Johanniskirche)
aufbewahrten Schriften dieser Art verdienen vielleicht die
Leichenreden auf den (luth.) Pastor Samuel Hentschel
(t 5. Febr. 1690), sowie auf den Kaufherrn und Bürger-
meister Gottfr. Held jun. (t 24. Sept 1692) und den Se-
kretär und Notar der Stadt Christ Hölcher (t 19. Febr. 1693)
eine Hervorhebung, während Adam Sam. Hartmanns
Predigten1) anlässlich des Todes des Seniors J. Bythner
und des Konrektors Daniel Gleinig beide 1689 bei Joh.
Christoph Wild in Fraustadt erschienen sind. An Schriften
von allgemeinerer Abzweckung und Bedeutung sind
aus Bucks Verlag vor allem die Lieder von Abraham
von Kiesel (geb. 1635 in Fraustadt, f 1702 in Jauer,
Pfarrer in Ulbersdorf, Zedlitz, Driebitz und Jauer) zu
nennen, die unter dem Titel „Vergiss mein nicht oder
Jesus-süsse Andachten" zuerst im Jahre 1675 bei Bück
erschienen sind, sowie desselben Schrift2): „Zwei Diskurse
vom Alter des Glases und der Mohren ihrer Schwärze**
aus dem gleichen Jahre, ferner die achte Ausgabe des deut-
schen Gesangbuches der Unität 1694 8), sowie „Biblisches
Spruch-Büchlein, der lieben, evangelisch-lutherischer Schule
zugetanen Jugend in Lissa zu Nutz, nach denen Buchstaben
im A B C von Johann Benjamin Kretschmer, alldort ver-
ordneten Lehrer, in etliche Ordnungen eingeteilet", während
Sam. Hentschel, Prediger der Kreuzkirche in Lissa, seine
„Kleine Hauspostille für kranke und betrübte Personen,
absonderlich diejenigen, die am Gehör Mangel haben",
i. J. 1690 in Wittenberg und Frankfurt bei Schuhmacher
veröffentlicht hat. Ein politisch-satirisches Flugblatt4) an-
lässlich der Wahl August des Starken zum König von
Polen mit dem Titel „die unglückliche Witwe, aber nun
glücklich-vermählte Krön Pohlen" trägt ohne Angabe des
*) Erwähnt in Werner-Steffani, Geschichte der evang. Paro-
chieen S. 188.
«) S. J. Ehrhardt a. a. O. S. 253.
3) Nach der Vorrede zur zehnten Ausgabe, Lissa 1760.
4) in der Bibliothek der Johanniskirche zu Lissa.
Zur Geschichte des Buchdrucks und Buchhandels in Lissa. 51
Druckers die Aufschrift: „Gedruckt zur polnischen Lissa
im Jahre 1697."
Bück starb im Jahre 1701 im Alter von 85 Jahren
und erhielt einen würdigen Nachfolger in Benjamin
Friedrich Held. Die Familie Held, zu den Guhrauer Exu-
lanten gehörig, war in Lissa schnell zu grossem Ansehen
gelangt und hatte in der Blütezeit der Stadt ihr in Philipp
Held dem älteren einen sehr verdienten Bürgermeister
gestellt B. F. Held war ein Enkel dieses Bürgermeisters
und Sohn eines luth. Konrektors, „ein Mann von alter
deutscher Treue und Redlichkeit", wie ihm sein Nachfolger
Presser in dem erwähnten Blatt bezeugt. Nachdem er bei
Bück in Lissa die Kunst erlernt, hat er im Jahre 1696 am
26. August in der Baumannschen Druckerei „sein Postulat ver-
schenkt", d. h. unter den üblichen, mit einem guten Schmaus
endenden Feierlichkeiten1) die Lossprechung zum Gesellen
erlangt, und zwar zugleich mit Heinrich Adolphi, späterem
Buchdrucker in Greifswald, dann in Freystadt, und mit
Johann Christoph Wätzold, späterem Drucker in Liegnitz.
Unter seiner Leitung behielt die Druckerei denselben Cha-
rakter wie unter seinem Vorgänger. In die Reihe der
Gelegenheitsschriften — darunter Reden und Gedichte
anlässlich des Todes des reform. Pastors Joachim Gülich
(t 1703 Okt. 27, einstiger Gegner von Dan. Ernst Jablonski)
und des Grafen Raphael Leszczynski (f 1703) — fügen
sich jetzt auch kleine Festprogramme und Einladungen
des Gymnasiums (z. B. zur Rektoratsrede Samuel Arnolds,
zum 150 jährigen Jubiläum der Anstalt, zu Aufführungen
der Schüler u. dergl.) ein, wie Held auch besonders die
Schulbücher für die Lissaer Anstalt gedruckt und verlegt
hat Bei ihm erschien ferner 1706 ein Gebetbuch Samuel
Arnolds unter dem Titel „Heilige Übungen eines bätenden
Christen", eine Übersetzung und Zusammenstellung polni-
scher und englischer Gebete, die heute noch in Lissa mehrfach
gebraucht wird. Doch nahm sein Besitz ein schnelles
l) Eine Beschreibung dieser auch Deposition genannten
Handlung z. B. bei Lorck a. a. O. S. 165.
52 Wilhelm Bickcrich.
Ende. Am 29. Juli 1707 wurde Lissa zum zweitenmal,
diesmal durch ein russisches Streifkorps, eingeäschert. Es
gelang Held, wenigstens einen Teil seiner Typen nach
Tschirnau zu retten, während die Presse und die ganze
übrige Offizin in Lissa verbrannte; er selbst begab sich nach
Breslau, wo er „in der berühmten Baumannschen, itzo Herrn
Grasses Buchdruckerey seine Kunst als ein Mitglied dortiger
Gesellschaft fortsetzte, auch allda des Lissaischen Stadtkochs
und Konditors hinterlassene Tochter, die sich in Breslau
ebenfalls aufhielt, heyrathete". Witwer geworden und an
Taubheit leidend ist er dann i. J. 1741 wieder nach Lissa
zurückgekehrt, um sich zur Ruhe zu setzen. Dort ist er
auch am 14. Febr. i744amSchlagfluss, 71 Jahie alt, gestorben.
Von 1707 — 17 16 hat die zum zweitenmal so schwer
betroffene Stadt eine Druckerei entbehrt In dieser Zeit
nahm man im Bedarfsfalle seine Zuflucht zu der Offizin
in Schlichtingsheim, deren Begründung durch Johann
Christoph Wild oben erzählt ist. Als deren Inhaber er-
scheint 17 18 Johann Gottfried Haase und später (1739)
Gottfried Börner; sie hat noch 1745 bestanden, wie die
in ihr gedruckte kleine Festschrift: „Hundertjährige Jubel-
Freude der Evangelischen Kirchen in der Stadt Schlichtings-
heim1)" beweist. Diese Druckerei hatte grossen Ruf und
diente den Evangelischen bis tief nach Schlesien hinein,
wo sie damals unter hartem Druck standen, z. B. auch
denen in der Stadt Glogau, wie vielfach Titel von Schriften
zeigen, die Ehrhardt in seiner Presbyterologie des evan-
gelischen Schlesiens anführt Kein Wunder, dass sie auch
von Lissa aus noch nach 1716 benutzt wurde. Für unsere
Provinzialgeschichte kommen aus dem Verlag in Schlichtings-
heim, abgesehen von einer Reihe von Gelegenheitsschriften,
Leichenreden und dergL folgende Werke in Betracht:
1693 „Singularia quaedam Polonica", eine kleine Ge-
schichte des polnischen Reiches, verfasst von Nicolaus
de Chwalkowo Chwalkowski.
*) Ueberfeld, Nachrichten über die evgl. Kirche in Schlichtings-
heim S. 74.
Zur Geschichte des Buchdrucks und Buchhandels in Lissa. 53
1739 „Frommer Christen seufzende Seele und sin-
gender Mund", Gebetslieder zu den Evangelien und
Episteln (nach der Vorrede früher schon unter dem Titel
„Gebet und Singelust" erschienen), von Zacharias Herr-
mann1), luth. Pastor in Lissa und Senior der Augsburger Kon-
fession in Grosspolen (1643 — I7I6)» der neben Herberger,
Heermann und Kiesel zu den namhaften evangelischen
Kirchenliederdichtern unserer Provinz zählt Auch das
„Enchiridion", ein Katechismus und Gebetbüchlein für die
reform. Gemeinde in Lissa, 1713, ist vermuüich in Schlichtings-
heim gedruckt
Im Jahre 1716 kam Michael Lorenz Presser auf schrift-
liches Ersuchen des Magistrats nach Lissa und beschaute die in
Tschirnau verwahrten Lettern aus der Held sehen Druckerei,
die aber „in grösster Konfusion alle unter einander in
Fässer geworfen waren, so dass man wenig oder nichts
betrachten konnte". Dennoch kaufte er die Typen und
brachte nach eigener Versicherung über 8 Wochen zu,
ehe er eine kleine Ordnung treffen konnte. „Wie abge-
nutzt und schlecht diese Lettern ausgesehen, kann die erste
Arbeit auf die Tit Eydner und Rudolphische und auf
die Tit Kosiorowski und Trajanische Hochzeit be-
zeugen. Er hat sich alsobald angelegen sein lassen, die
Druckerei zu bessern, sodass von den ehemaligen Typen
sehr wenige noch vorhanden sind". Aus Thüringen
stammend, 1675 in Leubingen als Sohn des Leinwebers
Johann Pr. geboren, hatte er in Eisenach bei Johann
Caspar Bachmann die Kunst erlernt, am 30. März 1701 in
Bremen bei Hermann Brauer „postuliert", dann in „Bremen,
Rudolstadt, Oldenburg, Hamburg, Kiel, Rostock, Greifs-
wald, Stettin, Stralsund, Weissenfeis, Zittau, Dresden und
Läuban konditioniert", somit anscheinend reiche Erfahrungen
gesammelt. In der Tat zeigen die Drucke der Offizin,
unter seiner und seiner Söhne Leitung bei Einführung
kleinerer Schriftgattung Klarheit und Regelmässigkeit, auch
x) Ober ihn und seine Lieder vgl. Evangelisches Jahrbuch für
die Provinz Posen 1862, S. 113 ff.
54 Wilhelm Bickerich.
wendet er mannigfache Verzierungen zu Anfang und
Schluss der Bücher und ihrer einzelnen Teile an; in seinen
Gesangbüchern ist der Anfangsbuchstabe bei jedem Liede
in grossem verziertem Druck ausgeführt. Unter dem
26. März 1744 bestätigt ihm der Reichsgraf Alexander
Joseph von Sulkowski das einst Bück gewährte Privileg.
Vorher hat er zeitweilig eine Konkurrenz an dem Ver-
leger Joh. Gottfr. Cundisius gehabt, bei dem 1739 unter
dem Titel „Andächtiges Seelen -Vergnügen" ein Gesang-
und Gebetbuch der luth. Kirche mit Vorrede des General-
seniors Thomas herausgekommen ist. Bald nach 1750 ist
M. L. Presser gestorben und die Druckerei in die Hände
seiner Söhne Samuel Gottlieb (geb. 1720) und Michael
Lorenz (geb. 1726) übergegangen, von denen der erste
1740 in Lauban bei Nicolaus Schill postuliert und dann
schon zu Lebzeiten des Vaters die Leitung der Lissaer
Druckerei übernommen hatte, während der jüngere 1750
in Glogau bei Wolfgang Michael Schweickhardt postuliert
und dann in der Hofbuchdruckerei von Gäbert in Berlin
konditioniert hatte. Aus der Presserschen Offizin sind
folgende Schriften allgemeiner Bedeutung hervorgegangen:
1729 eine neue Auflage des Enchiridion oder des
Katechismus für die reform. Gemeinde. Nach dem im Archiv
der Gemeinde vorhandenen Vertrag vom 3. Mai 1729 hat das
Presbyterium den Katechismus in eigenen Verlag genommen
und den Drucker verpflichtet, „keine Exemplaria zum
Nachtheil der Kirche vor sich zu drucken, viel weniger
dergleichen zu verkauffen". Das zu einer Auflage von
2000 Stück in Querduodezformat erforderliche Papier von
6 Ballen hat die Gemeinde auf eigene Kosten angeschafft
und zwar zum Preise von 7 rtt pro Ballen, wovon jedoch
6 rtt. nach beendetem Druck von dem Druckerlohn
decourtiret werden sollten. Dieser Druckerlohn betrug
für das erste Hundert Exemplare 1 rtt. pro Bogen, für das
zweite und dritte Hundert ebenso Va rtt- und für die
übrigen Hunderte bis zur verabredeten Vollzahl Vs rtt
pro Bogen.
1748 das Gebetbuch Sam. Arnolds in neuer Auflage.
Zur Geschichte des Buchdrucks und Buchhandels in Lissa. 55
1750 Honor cum gloria seu Panegyris, eine dem
Grafen A. J. Sulkowski und dem Palatin Petrus Sapieha
anlässlich der Vermählung des letzteren mit der Komtesse
Johanna Sulkowska gewidmete Lobrede auf die beider-
seitigen Geschlechter, verfasst von Valentin S. K. Wenda,
Professor der Philosophie „in Aula Rydzynensi" d. h. in
der Piaristenschule zu Reisen.
1750 Primitiae phisico-medicae ab iis, qui in Polonia
et extra eam medicinam faciunt, collatae, Vol. I. Die späteren
Bände dieser physikalisch-medizinischen Zeitschrift sind
1750 und 1753 in Züllichau erschienen. Als Herausgeber
nennt sich Gottlob Ephraim Herrmann, Arzt in Bojanowo
(t 1780), doch war die eigentliche Seele dieses Unter-
nehmens Ernst Jeremias Neifeld1) (geb. 18. Januar 1721 in
Zduny), seit 1745 Arzt und Provinzialphysikus für die
Sulkowskischen Güter in Lissa.
1751 Joh. Gottfr. Axts Analecta Freystadiensia
(Chronik von Freystadt), herausgegeben von seinem Eidam
G. Foerster.
1756 Foerster, G., Einige gesammelte Nachrichten
von der Erbauung und den . . . Schicksalen der
Stadt Lissa in Grosspolen.
1760 die zehnte und letzte Ausgabe des deutschen
Gesangbuchs der böhmischen Brüder und zwar unter dem
Titel: „Gesangbuch zum Gebrauch der ref. Gemeinde
in Lissa und der übrigen deutschen Gemeinden der Unität.
Neue vermehrte Auflage".
1767 „Vermehrte Sammlung geistlicher Lieder zum
Gebrauch der evang. luth. Gemeinde zu Lissa, herausge-
geben von Joh. Caspar Langner" dazu im Anhang ein
Gebetbuch — anscheinend im Selbstverlag der luth. Ge-
meinde, aber mit dem Vermerk „gedruckt mit Presserischen
Schriften".
1769 Neue Ausgabe des Enchiridion (s. oben).
*) Ober ihn berichtet näheres sein Schwiegersohn Konsistorialrat
D. Georg Christian Arnold zu Warschau in der Schrift: „Physiker
in Lissa nach Jonstons Tode (1675 — 1775)- Warschau 1821".
56 Wilhelm Bickerich.
1771 „Paedia grammaticae oder Kurzer Unterricht
der Gründe zur Lateinischen Sprache. Nach der Lehrart
Joh. Rhenii zum Gebrauche des Lissnischen Gymnasii,
zuerst verfertigt von J. S. Ch. Jetzt aber verbessert und
mit verschiedenen Zusätzen vermehrt, von neuem aufge-
legt". Nach der Vorrede konnte das Buch auf einen langen
Gebrauch im Lissaer Gymnasium zurücksehen. Verfasser
ist jedenfalls Johann Serenius Chodowiecki, 1691 — 1702
Conrektor und Rektor am Lissaer Gymnasium.
1777 Powinosci przystQpuj^cych do stolu bozego
(Pflichten betr. heilige Kommunionsfeier).
Es ist bezeichnend für den tiefen Stand des geistigen
Lebens Lissas im 18. Jahrhundert, dass kein Mann von
Ansehen und Ruf in ihm die Feder geführt hat, und kein
Werk in dieser Zeit aus seinen Mauern gegangen ist, das
eine mehr als lokale Bedeutung gehabt und über die
Grenzen der Stadt oder höchstens der nächsten mit ihr
zusammenhängenden kirchlichen Verbände hinaus gewirkt
hätte. Der einzige Schriftsteller, der hierfür in Betracht
käme, der oben genannte Arzt Neifeld, liess seine zahl-
reichen Abhandlungen „von der Absonderung der Säfte",
„von Altwasser Sauerbrunnen", „von der goldenen Ader1',
„Ratio medendi morbis circuli sanguinei" meist in Züllichau,
Glogau und Breslau erscheinen. Um so mehr blühte die
Gelegenheitsschrift zu persönlichen und familiären Zwecken
mit ihrer oft recht überschwänglichen und fragwürdigen
Lobrednerei. Unter den Drucken dieser Art, wie sie in
grosser Fülle (ein starker Sammelband befindet sich in
der Bibliothek der Johanniskirche) aus der Presserschen
Zeit vorhanden sind, tritt die kirchliche Rede seit etwa
1720 mehr zurück, um kürzeren oder längeren Glück-
wunsch- oder Trauergedichten, sei es in deutscher, sei
es in lateinischer oder polnischer Sprache Platz zu machen.
Doch sind unter den noch gedruckten kirchlichen Reden
zu nennen die mit grossem Holzschnitt (P. Busch sculpsit
Berolini 1741) geschmückte Leichenrede auf den Kauf-
herrn Joh. Jacobsen in Lissa (1741) und die bei dem
Begräbnis des Fürstordinaten August Sulkowski vom
Zur Geschichte des Buchdrucks und Buchhandels in Lissa. 57
Rektor der Piaristenschule zu Reisen am 28. Januar 1786
gehaltene Gedenkrede unter dem Titel: Mowa miana
na pogrzebie .... Augusta Sulkowskiego .... przez
Atanazego Jozefa Pomorzkantta (im Besitz des Lissaer
Gymnasiums).
Streitigkeiten, welche in der Unität i. J. 1778 über
die Verwendung der Collektengelder ausbrachen, ihren
tieferen Grund in einem Zwiespalt zwischen dem polnischen
Adel und der deutschen Bürgerschaft hatten, aber durch
persönliche Eifersüchteleien und Ränke noch stark ver-
bittert wurden, führten zu folgenden Druckschriften,
die beide ohne Angabe des Druckortes, vermutlich aber
in Lissa erschienen sind:
„Rechtfertigimg des Königl. Pohln. und der durchl.
Republique Armee bestellten General- Stabs -Medici A. E.
Wolff wegen der durch ihn seit etwa zwey Jahre ver-
walteten Collektengelder für die Evangelisch-Reformirten
Kirchen in Gross-Pohlen. Im Juli 1778" und
„Abgenötigte Antwort des Königl. Pohl. Hofraths
und des Evangelisch-Reformirten Presbyterii zu Lissa in
Gross-Pohlen Mitgliedes Herrn Samuel Gottfried Leissners
auf die wider ihn von .... Abraham Emanuel Wolff ....
ausgestreuten Anschuldigungen. Im August 1778."
Erwähnenswert aus der Presserschen Zeit dürfte noch
sein, dass in dem kleinen Schwetzkau, dicht bei Lissa,
um 1784 eine Druckerei bestanden haben muss. Wenigstens
trägt eine Schrift „Erläuterung zu dem 18. Teil des Magazins
für die Historie und Geographie von Büsching", welche
die Bemühungen des Generalleutnants v. d. Goltz für die
Dissidenten in Polen vom luth. Standpunkt aus verteidigt,
den Vermerk, „Gedruckt zu Schwetzko in Gross-Polen 1784".
Nach dem Tode Samuel Gottlieb Pressers, der seit
1770 als alleiniger Inhaber der Druckerei erscheint, hat
seine Witwe dieselbe fortgeführt und sie dann vor ihrem
wohl 1795 erfolgten Tode der luth. Kreuzkirche vermacht,
auch ein Zeichen, wie damals die Kirche noch ganz im
Mittelpunkt des geistigen Lebens der Stadt stand. Doch
ist anzunehmen, dass die Druckerei bei dem vierten grossen
58 Wilhelm Bickcrich.
Brande Lissas am 2. Juni 1790 auch wesentlich gelitten
hat, zumal nur 9 Bürgerhäuser damals stehen geblieben
sind. Immerhin hat die Kreuzkirche die Druckerei über-
nommen und an den Buchdrucker Karl Wilhelm Mehwald
verpachtet, wie ein vom Magistrat zu Lissa ausgefertigtes
Kautionsinstrument vom 5. Januar 1796 bezeugt, in dem der
Goldschmied Joh. Gottlob Cundisius sich mit seinem Grund-
stückfür Mehwald verbürgt. Bei diesem ist i798des Comenius
Januae latinitatis vestibulum in einer editio novissima,
revisa et aucta mit der Vorrede vom 4. Jan. 1633 erschienen,
wohl für den Gebrauch am Lissaer Gymnasium, an dem an-
scheinend das Vestibulum an zwei Jahrhunderte als Schul-
buch benutzt worden ist. Weitere Werke aus Mehwalds
Verlag sind mir nicht bekannt geworden, ebensowenig, wie
lange die Druckerei noch im Besitz der Kreuzkirche be-
standen hat. Offenbar hat sie nur einen bescheidenen
Wirkungskreis gehabt, wie dies bei den traurigen Zuständen
in der schwergeprüften Stadt nicht anders möglich war.
Nachdem sich Lissa unter dem Schutz und der Für-
sorge der preussischen Herrschaft wieder etwas erholt hatte,
kam auch das geistige Leben der Stadt von neuem in Fluss.
Ein Zeichen hierfür war die im Januar 1826 erfolgte
Gründung der Güntherschen Buchhandlung in Lissa, wohl
der ältesten unter den bestehenden deutschen Buch-
handlungen unserer Provinz. Die Firma wurde zunächst
als eine Filiale der 1790 eröffneten neuen Güntherschen
Buchhandlung in Glogau gegründet, aber bereits am
1. Januar 1832 durch eine Auseinandersetzung der Brüder
Günther selbständig gemacht, wobei die Lissaer Firma
ihrem bisherigen Leiter Ernst Wilhelm Günther verblieb,
während die Glogauer Handlung seinem Bruder Fritz ge-
fiel und später an C. Flemming überging. Der Gründer
des Geschäfts, ein umsichtiger weitblickender Mann, fügte
bald der Sortimentsbuchhandlung einen ziemlich umfang-
reichen Verlag und eine eigene Buchdruckerei hinzu, in
der auch Steindruck ausgeführt wurde. Letztere besteht
noch heute als die Buchdruckerei des Lissaer Tageblatts,
der Firma O. Eisermann gehörig. Von 1840 — 1849 besass
Zur Geschichte des Bachdrucks und Buchhandels in Lissa. 59
Günther eine Filiale in Gnesen. Seit den dreissiger Jahren
gab er die erste Zeitung Lissas unter dem Titel „Gemein-
nütziges Wochenblatt für das Grossherzogtum Posen"
heraus. Die bei ihm 1842 und 1844 zuerst erschienenen,
noch jetzt in Gebrauch befindlichen kath. Gebet- und Ge-
sangbücher für die Erzdiözese Posen und Gnesen, das
polnische vom Erzbischof von Dunin unter dem Titel
Ksi^ika do Naboienstwa 1842, das deutsche von Stanislaus
Chr. Vinc. Sydow, stellten bei ihrer Einführung derartige
Anforderungen an die Druckerei, dass deren Personal
vermehrt wurde, und dass auch die Buchbinder in Lissa
damals zahlreiche Gehilfen neu einstellen mussten. Günthers
Verlag war besonders reich an polnischen Publikationen,
darunter zwei Zeitschriften, Przyjaciel ludu 1834 — 1850 und
Szköika niedzielna (Sonntagsschule, für Landleute) 1837 — 53,
ferner Dlugosz, Dzieje Polskie przet. p. Bornemann Gustawa
2 tomy. 1841, Mala Encyklopedya Polska, przez S. P.
Tom I 1841, Tom II 1847 (kleine poln. Encyklopädie) und
eine lange Reihe von Schriften zu praktischem Gebrauch
in Kirche oder Schule oder einschlägige Tagesfragen be-
handelnd. Wesentlich denselben Charakter trug sein Verlag
auch nach der deutschen Seite, darunter war der erste
Versuch einer historischen Zeitschrift für die Provinz unter
dem Titel: „Provinzialblätter für das Grossherzogtum Po-
sen", die leider nur einen Jahrgang (1846) erlebt haben,
ferner Katechismen von Pflug (1827) und Soyaux (1828),
von denen der letztere mit stark rationalistischem Gepräge
unter dem Namen „Rawitscher Katechismus1* bekannt und
im Süden der Provinz verbreitet war, des Direktors J. Chr.
von Stöphasius „Beiträge zur praktischen Pädagogik und
Homiletik" (1827), sowie „Neun Kanzelvorträge, zum Besten
der Elementarschulen in Lissa herausgegeben" (1829), Pre-
digten von Soyaux (1828) u. a. In Lissa, aber nicht bei
Günther, sondern „in Kommission bei E. Löwenthal" er-
schien 1834 „Glaubensbekenntnis eines protestantischen
Laien an seine katholischen Kinder und Freunde", lehr-
reich für die damals in Laienkreisen gegenüber dem
Wiedererwachen des konfessionellen Bewustseins herr-
6o Wilhelm Bickerich.
sehenden Stimmungen. Besondere Erwähnung verdienen
auch die zahlreichen Schriften desBataill. Arztes a.D.Dr.Joh.
Metzig in Lissa, der als Polenfreund und Kandidat für das Ab-
geordnetenhaus unermüdlich für Stiftung einer polnischen
Universität und Gleichberechtigung beider Sprachen in den
betreffenden Provinzen agitierte. Von den 15 mir bekanntge-
wordenen Schriften Dr. Metzigs sind die ersten aus den Jahren
1848 — 1849 bei Günther in Lissa erschienen, die späteren
hingegen in Hamburg, Berlin und Posen.
Bei dem am 28. März 1860 erfolgtem Tode Ernst
Günthers konnte der Verlagskatalog 10 Oktav-Seiten
deutsche und 14 Oktav-Seiten polnische Schriften ver-
zeichnen. Der Verlag wurde später (1866) von dem
Schwiegersohn Günthers, C. Alberts, zuerst nach Breslau,
dann am 1. Januar 1871 nach Leipzig überführt. Die
Sortimentsbuchhandlung dehnte sich unter der Leitung des
anderen Schwiegersohnes, Friedrich Ebbecke, in Zweig-
geschäften nach Bromberg und Posen aus. Das Stamm-
geschäft in Lissa ist seit 1894 im Besitz des Herrn Oskar
Eulitz, der in rastloser Mühewaltung wieder einen ansehn-
lichen Verlag besonders für pädagogische Schriften und für
Landkarten geschaffen hat und ihn zu einer Posener Lehr-
mittel-Anstalt in grossem Stil auszubauen sucht. Neben
dieser Buchhandlung besitzt Lissa zur Zeit noch 2 Sortiments-
geschäfte, ferner 4 Druckereien, in denen ausser dem amt-
lichen Kreisblatt zwei Tageszeitungen, der „Lissaer Anzeiger"
(seit 1880) und das „Lissaer Tageblatt" (seit 1884), erscheinen.
Wie in der Geschichte grosser Länder, so zeigt es sich
auch in dem Entwicklungsgang einer Stadt wie Lissa, dass
Buchdruck und Buchhandel die Gradmesser des geistigen
Lebens sind, das mit ihnen steigt und fällt. Darum behält
zumal für die Bürger Lissas die Mahnung ihr Recht, mit der
einst ihr edler Mitbürger Johannes Heermann seinen,, Ehren-
Ruhm der edlen Buchdrucker-Kunst" geschlossen hat:
Und Du, wer Du auch seist, halt alle die in Ehren,
Die Gottes Ehr* und Ruhm durch diese Kunst vermehren,
Das werte Drucker- Volk. Wer sie nicht lieben will,
Der ist nit liebenswert und hält von Gott nicht viel
Zehn Posener Leichenpredigten
der
Marienkirchen-Bibliothek zu Frankfurt a. d. O.
Von
Arno Bottichen
^eichenpredigten befinden sich — bis vor kurzem
fast versteckt und wenig beachtet — in Privat-
und Bibliothekbesitz. Sie an das Tageslicht ge-
zogen und grösserer Beachtung und Verwertung em-
pfohlen zu haben, ist das Verdienst der Genealogie, der
Familienforschung, weil die Leichenpredigten einen Ab-
schnitt mit Angaben über den Lebensgang des Verstor-
benen und über die Vorfahren desselben enthalten. Wohl
die bekannteste und grösste Sammlung von Leichen-
predigten haben die fürstlich und gräflich Stolbergschen
Bibliotheken und Archive in Stolberg und Wernigerode;
sie ist aber schwer zu benutzen, da zu ihr nur ein hand-
schriftliches Verzeichnis an Ort und Stelle vorhanden ist.
Im Interesse allgemeiner Nutzbarmachung haben erst 1898
Dr. Edmund Lange ein alphabetisch geordnetes Ver-
zeichnis der in der Greifswalder Universitätsbibliothek
befindlichen, unter dem Namen Vitae Pomeranorum zu
einer Sammlung von 190 Bänden vereinigten Leichen-
predigten in den „Baltischen Studien" und 1902 Gymnasial-
professor Nohl ein ebenso geordnetes Verzeichnis der etwa
2500 Leichenpredigten in der Bibliothek des grauen Klosters
in Berlin in der Vierteyahrsschrift des Berliner Vereins
„Herold" veröffentlicht. Und der Verfasser dieses Aufsatzes
hat ein gleiches Verzeichnis zu den etwa 1000 Leichenpre-
digten der alten Marienkirchenbibliothek zu Frankfurt a. O.
angefertigt, das ebenfalls in der genannten Vierteljahrsschrift
02 Arno Bötticher.
erscheinen wird; er hat dadurch lediglich sein durch län-
gere als zwanzigjährige Beschäftigung mit der eigenen
Familiengeschichte gewonnenes und behaltenes allgemeines
Interesse für Familienforschung betätigen wollen und
hatte bereits vorher versucht, dieses Interesse durch einen
in der Berliner Zeitschrift „Die Woche" (1902 Nr. 31)
unter der fragenden Überschrift „Woher stamme ich?4*
veröffentlichten Aufsatz in weitere Kreise zu tragen.
Von der Familiengeschichte lässt sich die Orts-
geschichte nicht trennen. Leichenpredigten sind daher
auch eine Quelle der Ortsgeschichte, oft auch der all-
gemeinen Geschichte und nicht weniger des allgemeinen
und theologischen Geschmacks. Von diesen Gesichts-
punkten aus ist es vielleicht nicht unangebracht, an dieser
Stelle von den Leichenpredigten zu erzählen und Aus-
züge aus ihnen zu bringen, die von Personen handeln,
die in der Provinz Posen geboren oder gestorben sind,
oder dort gewohnt oder sich aufgehalten haben. Dass
in Frankfurt sich solche Leichenpredigten befinden, erklärt
sich dadurch, dass es üblich war, sie nicht nur drucken
zu lassen, sondern auch unter Verwandten und Bekannten
und Pastoren auszutauschen, und dass grade letztere es wohl
waren, die die Leichenpredigten nach und nach selbst
sammelten und den öffentlichen Büchersammlungen,
Bibliotheken zuführten, und dass grade die Marienbiblio-
thek in Frankfurt, die sich noch jetzt „Haupt- und Han-
delsstadt" nennt und damals noch durch Universität und
Messe viele und weitreichende Beziehungen besass, Leichen-
predigten aus den Gegenden von Strassburg und Kolmar
i. E. bis Königsberg i. Pr., von Stralsund bis Nürnberg
und von Hamburg bis Brieg besitzt.
Zum besseren Verständnis der nachfolgenden Aus-
züge noch einige Worte über Bedeutung und allgemeinen
Inhalt der Leichenpredigten.
Die Leichenpredigten bilden eine eigenartige Lite-
ratur aus der Zeit der beiden Jahrhunderte nach der
Reformation; sie sind auch eine Errungenschaft der Re-
formation selbst, die in den Mittelpunkt jeder bis dahin
Zehn Posener Leichenpredigten. 63
fast ausschliesslich liturgisch gestalteten, kirchlichen oder
gottesdienstlichen oder religiösen Feier die erklärende
und belehrende priesterliche Rede1) setzte. Damit soll aber
nicht gesagt sein, dass es nicht auch katholische Leichen-
predigten gibt; sie gehören aber meist einer späteren
Zeit an; z. B. hat die Bibliothek des historischen Vereins
in Marienwerder Leichen predigten eines um 1720 leben-
den Jesuiten Heintze. Die Leichenpredigten bestehen in
der Regel aus Anfangs- oder Schlussgebeten oder aus
einem von beiden und aus vier verschieden geordneten
Teilen: der eigentlichen (Kanzel-) Predigt, den Per-
sonalien des Verstorbenen (Personalia, Lebenslauf, Cur-
riculum vitae, Ehrengedächtnis, Ehrensäule, Memoria pie
defuhcti; Danck- und Grab-Mahl Prosopographie), der
Abdankunksrede (Stand-, Trauer- oder Trostrede, Pa-
rentatio) und den Nachrufen (Epicedien), die den Ver-
storbenen die Berufsgenossen (bei Professoren und Stu-
denten auch die Tischgenossen), Bekannte, Freunde,
Gönner und (meistens an letzter Stelle) die Verwandten
in neuen und alten Sprachen und in den verschiedensten
dichterischen Formen gewidmet haben. Ihre Eigenart
hängt auch mit jener Zeit des Humanismus zusammen,
als deutsche Gelehrte aus Italien, wo durch glänzende
Höfe und reiche Städte Kunst und Wissenschaft gefördert
wurden, Liebe und Begeisterung für das künstlerische
und wissenschaftliche Altertum nach Deutschland gebracht
hatten, und zeigt sich insbesondere in der Überladung
mit Zitaten aus alten Schriftstellern und mit altsprachlichen
Ausdrücken und in der Latinisierung und Gräzisierung
der Eigennamen durch Anhängung von Endungen oder
durch vollständige Übersetzung (z. B. Textor- Weber,
Faber-Schmied, Gynaecopolis-Fraustadt).
Die nun folgenden Auszüge der Leichenpredigten sind
der Zeitfolge der Sterbejahre nach geordnet und beginnen
jedes Mal mit einer verkürzten, sonst wörtlichen Wieder-
gabe des so charakteristischen Titels. Auch andere Stellen
x) praedicare, öffentlich ausrufen, verkünden, erklären.
64 Arno Bottichen
sind wörtlich wiedergegeben nicht nur zur Darstellung
damaligen Stils und damaliger Orthographie, sondern
auch, weil das in ihnen Erzählte erst durch wörtliche
Wiedergabe die rechte Bedeutung und Würdigung erhält
1.
Christliche Leichvermanung bey dem Adelichen Begräbniss
der Edlen .... Frauen Hedwig geborene Gladissen aus dem
Hause Gladisgorb von Reusen, des Edlen .... Junckern Johannsen
von C zweck, Erbgesessenen vor der Sc hieve . . . Ehegemals, Ge-
halten Auff der seeligen Frauen selbst eigene anordnung und ihres
hochgeliebten Junckern bitt aus dem Edlen Trostsprfichlin Joh. am
19. cap. . . . Durch Valerium Herbergern liebhabern und Diener
Jesu Christi in Frauenstad. Gedruckt zur Liegnitz durch Nicol.
Schneider A. C. 1602.
2.
Hertz-schmachten und Hertz-Trost Assaphs und aller Kinder
Gottes auss dem LXXm Psalm v. 25. 26 Bey Volckreicher Leich-
bestattung der weiland Wol Erbaren Viel Ehr, Sitt- und Tugend-
reichen Frauen Dorothea Elisabetha geborene Rot hin des Wol
Ehrenvesten, Vor Achtbaren und Hochgelahrten Herrn M. Gothofredi
Textoris p. t. wolverordneten Rectoris der Schulen zu Fr au Stadt
Hertzgeliebten Ehegattin: Welche im Jahr Christi 1653 den 21. Novembr.
umb XI Uhr zu Mittage sanfft und Seelig eingeschlaffen und den
28. ejusd. in Ihr Ruhkämmerlein ansehlich vergleitet worden.
Einfältig betrachtet und auff Begehr zu Papier gebracht durch
Johannem Heynium Prediger bey dem Kripplein Christi daselbst
Gedruckt zur Pol Lissa durch Wigandum Funck.
Die Verstorbene war geboren am 22. Dezember 1628 und die
Tochter des „Vornehmen Bürgers und Handelsmanns Stephan Rothe,
dessen . . . Leben so wol zur Freystadt alss zu Posen, wo Er 3.
Jahr, und alhier zu Fraustadt, wo Er 10. Jahr alss Exul, Innwohner
und Bürger gelebt, zur Genüge bekannt ist* Die Mutter war die
Tochter des Syndikus Kasper John in Freistadt In Freistadt war
auch der Grossvater Samuel Rothe Prokonsul und Notarius. Die
Eltern liessen sich Erziehung und Ausbildung der Tochter sehr an-
gelegen sein, „wolwissende, das an gutter Aufferziehung auch bey
dem Weiblichen Geschlecht nach des Chrysostomus Meynung so
viel gelegen, dass, wenn sie recht unterwiesen sind, sie nicht allein
erhalten werden, sondern auch die Männer, welche Sie heyraten
sollen, und nicht die Männer allein, sondern auch die Kinder und
Kindeskinder. u Sie heiratete 1649 ihren [unterlassenen Ehemann
Textor, starb aber schon nach vierjähriger Ehe und hat Kinder nicht
hinterlassen. Sie war eine „Taberna morborum, zugleich aber auch
ein Exemplum patientiae." Gegen ihre Leiden half auch nichts das
„warme Bad in Hirschberg" und die Wissenschaft und Kunst des
Zehn Posener Leichenpredigten. 65
Fraustädter Physic. Ord. Procons. und Scholarcha Adam Henning und
des Fürstlich Liegnitz'schen Leibarztes Wolf gang Gast. Die Stand-
rede hält Andreas Gryphius. Nachrufe sind der Leichenpredigt
nicht beigegeben. Die Verstorbene hatte einen Bruder Samuel,
der damals Student war.
Der Name Textor war ein sehr verbreiteter; nach anderen
Leichenpredigten stirbt 1643 in Gross-Kauer in Schlesien der
Prediger Gottfried Textor, der 1594 als Sohn des Predigers
Zacharias Textor in Bertzdorf geboren war und vier Söhne:
Zacharias, Pfarrer zu Mose, Gottfried, Kand. d. Theol., Konstantin
und Benjamin hinterliess, und stirbt 1684 die Ehefrau des Kaiser-
lichen Regierungsrats Gottfried Textor auf M e r s i n e im Fürstentum
Wohlau; letzterer ist wohl derselbe, der 1668 einen Stations-Sermon
auf die Freifrau Esther von Canitz geb. Freiin von Schönaich auf
Urskau hält.
3.
Christliche und Schriftmässige Seelen-Sorge Hess den Worten
Davids Psalm 31 v. 6 und Christi unseres Heylandes Luc. 23 v. 46 . . .
Bey Christlicher und Volckreicher Sepultur des weiland Ehrenvesten
und Wolbenahmbten Hei ren Sigismund L ü b i s c h , gewesenen fürneh-
men Bürgers und Handelsmannes in der Gräfflichen Stadt Lissa,
Welcher in dem HERREN Selig verschieden den ig. Januarii und
hernach den 29. Januarii in Jahr Christi 1655 in sein Ruhebettlein
auff dem Pfarr-Kirchhoff daselbsten ist eingesencket worden . . .
dargestellet . . . von M. Alberte Günzelio bey «der Evangelischen
Gemeine der Augsp. Confession dieser zeit Pastore in Lissa. Ge-
druckt zur Pol. Lissa durch Wigandum Funck.
Der Verstorbene war geboren 1584 am 15. Mai und der Sohn
des aus Ol mutz stammenden Wenzel Lübisch, damals Hofeschreiber
zu Bansen im Fürstentum Glogau, dann in G 1 o g a u selbst, und der
Dorothea Härtel. Er besuchte die Schule zunächst in Glogau und
dann in Fr ei Stadt, wo er beim StadtphysicusKaspar Fierling unter-
gebracht war, und war darauf in Glogau beim Rechtsgelehrten
Johann Franke und beim Stadtschreiber Peter Ladislaus
Schreiber und beim Hans Balthasar von Pusch auf Gross-
schwein und Gräditz Schreiber und Amtmann. 161 1 heiratete er
die Witwe Rosine Neutzling, geb. Goltz in Räuden Fürstenthum
Wohlau. „Als Er nun zum Räuden biss ins dritte Jahr sesshafft
gewesen, hat Er sich von dar nach Stein au begeben, in Meinung
seine Nahrung und Handel desto besser fortzustellen, allwo er auch
6 Jahr in guttem Wohlstande, hernacher aber bey schwerer Krieges-
Einquartierung, Contribution und Plünderung in die 18 Jahr ge-
wohnet. Ob auch gleich An. 1632 die Stadt Steina durch die
Soldaten in Brand gestecket und zu gründe verterbet, hat er sich
doch nicht ohne seinen grossen Schaden noch zwey Jahr alldar auff-
gehalten; Worauf f Er endlich genothdränget worden, sich in die Cron
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Prov. Posen. Jahrg. XIX. 5
66 Arno Böttichcr.
Pohlen zu begeben, da er Anfänglich zum Reisen in die 6 Jahr ge-
wohnet, hernacher aber An. 1640 alihier in Lissa sich gesetzet, weil
Ihm vornehmlich dieser Ort wegen gutter Kirchen und Regiments-
Ordnung wolgef allen, welches Er unterschiedlicher gegen Fremden
und Einheymischen ohne Heucheley hochgerühmt. * Von seinen
zwei Söhnen und fünf Töchtern überlebten ihn nur drei Töchter
Elisabeth, Sabine und Rosine, die mit dem Ratsverwandten und
Handelsmann Christoph Schröer in Steinau und den Bürgern und
Handelsmännern Johann Thlanen und Abraham Urban in Lissa
verheiratet waren. Auch seine Frau war schon vor ihm gestorben.
Eine Standrede unter dem Titel „ Ehren-Säule a hält ihm Kaspar
Heuschel Theolog. Cultor.
4-
Der wolthätige Jojade Auss den Worten der wunderschönen
Grabschrifft so der Heilige Geist demselben gleichsam selbst ge-
stellet hat, 2 Chron. 24 v. 15 16 ... . Bey christlicher, Adell- und
Volckreicher Sepultur des weiland .... Herrn Philippi Hei des
gewesenen Wolverordneten auch Hochverdienten Bürgermeisters in
der Gräfflichen Stadt Lissa, Welcher .... den 9. Martij ver-
schieden und den ... 18. Martij im Jahr des HERREN 1655 da-
selbsten in der Kirche Augsp. Confession in sein darzu bereitetes
Schlaff- und Ruhe-Kämmerlein Christlich ist beygesetzet worden, . . .
dargestellet und allen Frommen Regenten zum Exempel gewiesen . . .
von M. Alberto Günzelio bey der Evangelischen Gemeine der
Augsp. Confession dieser zeit Pastore in Lissa. Gedruckt zur Pol.
Lissa durch Wigandum Funck.
Der Verstorbene war geboren 1589 in Guhrau, wo sein
Vater Senior der Fleischhauer und sein Grossvater Stadt-
vogt gewesen war; seine Mutter war die Tochter des dortigen
Bürgermeisters Jähner. „Schon sobald er nur hat reden können,
wurde er in die damals zum Guraw sehr wolbestellte Schule gethan,
darinnen Er zwar nur biss zum 13. Jahr seines Alters verblieben,
aber in solcher zeit dermassen proficiret, dass Er nicht allein seine
Fundamenta Pietatis sondern auch einen ziemlichen Anfang Latinitatis
geleget und sonderlich eine perfection Arithmetices et Musices
davon getragen, welches letztere Ihme denn sonderlich so lieb und
angenehm gewesen, dass Er nicht alleine seine besondere Lust an
der Music gehabet und alle seine liebe Söhne für alle andern selbige
erlernen lassen, Sondern hat auch Selbsten wie zum Guraw also
auch hier in Lissa dem Choro Musico persönlichen beygewohnet
und denselbigen mit seiner von Gott verliehenen schönen, hellen
und klaren Alt-Stimme freiwillig zieren helffen.« Den Eltern gehorsam
verliess er die Studien um ein Handwerk zu lernen und wählte das
„löbliche Tuchmacher-Handwerk", das er bei den Meistern Georg
Schade und Kaspar Goldammer in Guhrau erlernte und in dem er
sich zwei Jahre von 1606 an auf der Wanderschaft in Thorn und
Zehn Posener Leichenpredigten. 67
In Preussen vervollkomnete. Schon in Guhrau hatte er „unter-
schiedene Ehrenämpter mit Ruhn und Lobe verwaltet. Ob Ihnen
nun zwar zur zeit dero Anno 1628 ergangene Bäpstischen Reformation
mehr Dignitäten angetragen worden, hat Er doch viel lieber alle
seine unfahrenden Gütter und stattliche Nahrung in Stiche gelassen,
als dem vielfaltigen Begehr nach zu einer andern Religion sich
accomodiren wollen. In erwegung dessen hat Er sich noch selbiges
Jahr von dannen weg und anhero nach Lissa gewendet, doch solcher
gestalt, dass man Ihn (wie noch etlichen wenigen beschehen) mit guttem
schriftlichen Testimonio dimittiret und weg ziehen lassen. u Nach-
■dem er das Bürgerrecht in Lissa erbeten und erhalten hatte, folgten
ihm bald nicht nur sein (nach Namen und Stand nicht besonders
bezeichneter) Bruder, sondern auch andere Freunde und Bürger
von Guhrau. Er machte sich auch sesshaft und kauffte sein „itziges
{doch damahls nicht so gebawtes) Hauss." „Anno 1631 hat Ihn der
Hoch- und Wolgeborene Fürst und Herr Herr Raphael Graff zu der
Lissa, Woiwoda zu Belss, des Fürstenthumbs Czattoriscko in Reussen,
und der Herrschafften Romanowa, Wlodowa, Boronowa etc. Erb-
Herr, zum Regierenden Bürger-Meister constituiret und durch den
Wolgeborenen Herrn Herrn Johann George Schlichting von
Bauchwitz, der Königlichen Maytt in Polen und Schweden Obersten
Land-Richter Frawstädtischen Kreysses, dero Maytt. und dero König-
reich Zollgefälle General- Administratorem, Unter-Hauptmann zu
Kaiisch, vollmächtigen Stadthalter der Graffschafft Lissa, wie auch
in Reissen, Saborowa und Demmitsch, auff Schlichtingsheim, Gurschen,
Ottendorff, Wirtzenssky, unsern Gnädigsten Herrn, confirmiren und
installiren lassen." Zu diesem Amte ist er dann wiederholt, zu-
nächst nach drei Jahren durch „unsern Gnädigsten Erb-Herrn den Hoch-
Wolgeborenen Graffen und Herrn Herrn Boguslav Leszinski, dero
Königlichen Maytt. in Pohlen und Schweden Obersten Reichs-
Schatz-Meister, Generain in Gross-Pohlen, Hauptmann auff Sembor,
Meseritz, Ostera, Osieck etc., auff Lissa, Radczimin, Przigodzitz,
Reissen, .Saborowa und Demmitsch Erbherrn-, erwählet worden,
welches „hohe Ampt Er doch vielmehr mit thränenden Augen als
vermeinter Frewde" versehen.
Die letzten Jahre seines Lebens war er sehr leidend. Er
hatte drei Mal geheiratet: 1609 Hedwig Nieschelck, Wittwe des
Handelsmanns Hempel in Guhrau, 1696 Dorothea Köler, Wittwe
des Handelsmanns Wäber in Guhrau, 1644 Anna Reinhold, Wittwe
des Oberpfarrers Melchior Maronius in Lissa. Die letzte Ehe war
kinderlos; aus den beiden anderen Ehen hatte er fünf und drei
Kinder, von denen sieben ihn überlebten, vier Söhne: Philipp,
Abraham, Friedrich, Gottfried, die Bürger und Tuchmacher in Lissa
waren, und drei Töchter: Katharina, Regina und Dorothea, die in
Lissa an den Bäckermeister Friedrich Teichmann, Tuchmacher
Kaspar Hänning und Ratsverwandten, Kirchenältesten und Han-
delsmann David Hänning verheiratet waren.
68 Arno Bottichen
5-
Imvap novroßQoiofa Periclitantium ac Percuntium in Aquis Idcar
Regula, Solatium. Der ins Meer gesunkene Jonas alss ein Ebenbild,
Regul und Trost derer im Wasser-Gefahr-Ausstehenden und Unter-
gehenden, Nach den Geistreichen Worten seines Gebethes C II
v. 3—9 .... bey angestallten Leich-Begängnüs des Wailand ....
Hr. Jacobi Rudolphi. Ihrer Königl. Mayt in Schweden hochver-
ordneten Secretarii, Welcher den 3. December 1660 auff den Schwe-
dischen See-Küsten nebst andern Schiff-bruch erlitten und erbärmlich
jedoch Selig untergegangen. In der Kirchen Augsburgischer Con-
fession in Lissa am Sonntag Judica 1661 betrachtet. . . von Jeremia
Gerlachio Pastore in Schlichtingsheim. Zur Ols druckts Jo-
hann Seyffert.
Der Verstorbene war geboren am 23. Juli 1624 in Thorn;
die Eltern waren der Kantor Jacob Rudolph und Anne Gesner,
Tochter eines dortigen Predigers. Den Vater verlor er noch im Ge-
burtsjahr durch die Pest Er besuchte das „berühmbte Gymnasium"
in Thorn und dann die Universität Königsberg. „Weil Er aber
als ein Studiosus Juris den Statum Curiae Poloniae zu begreifen sehr
begierig war, als hat Er sich auf Rath gutter Freunde nach Posen
in Gross Pohlen begeben und allda nicht allein bey der Cantzelley
seine nützlichen Verrichtungen, sondern auch bey Ihrer Gross-
mächtigen Gnaden des Seeligen Herrn Wojewoden Posnanski Hoch-
adlichen Kindern die Information auf sich genommen und mit grossem
Ruhm verrichtet." 1645 machte er im Gefolge des „Herren
Kostka, Starosta Lippinsky" die Gesandschaft mit, als der König
„die annoch regierende Königin aus Franckreich abgeholet.a Dann
hat er sich vier Jahre lang bey Ihrer Gnaden dem Hochwohlgebo-
renen Herrn, Herrn Johann Georg von Schlichting aus Buko-
wiec, Königlich Fraustädtischen Landrichter und Administratoren der
Graffschaft Lissa, vor einem Secretarium gebrauchen lassen . . . und
sich so wol verhalten, dass Er hierrauff zu einem Bedienten in
der Land - Kantzelley und Königlichen Einnehmer der Zollgefälle zur
Fraustadt constituirt worden. 1652 heiratete er Susanne Dlugosch,
die Tochter eines Ratsverwandten und Handelsmannes in Lissa.
Er legte seine Ämter nieder und pachtete die Güter Reisen und
Dommitsch. „Nach dem unverhofften Feindlichen Schwedischen
Einfall in diese liebe Cron" liess er sich verleiten, Secretarius und
Translator bei dem General Wittenberg und dann beim Könige von
Schweden selbst zu werden. „Welchen Dienst Er hernach gar gerne
wieder quittirt hätte, wenn nur die offt begehrte Dimission wäre
zu erlangen gewesen.'1 Von diesem Dienst wurde er erst durch
einen frühen Tod befreit. Bettlägerig krank ging er auf der Rück-
reise von Schweden im Gefolge des Grafen von Schlippenbach
„destinirten Schwedischen Legati nach Pohlen" mit dem Schiff bei
heftigem Sturmwetter unter. Der Unfall ist sehr eingehend, lebhaft
Zehn Posener Leichenpredigten. 69
und anschaulich beschrieben. Er hinterliess einen Sohn und eine
Tochter.
6.
Speculum Aeternitatis Ein Spiegel der Ewigkeit, darinnen die
Triumphirende Kirche gezeiget wird, Aus der Offenbarung Joh. cap.VII.
Bey volckreichen Begräbnisse des Weiland Herrn Samuelis Kal-
denbachii Med. D. dieser Stadt und des Schwibusischen Krayses
wolbestalten PhysiciOrdinarii und berühmten Practici, welcher im Jahre
Christi 1664 den 23. October N. S. zu Meseritz in Pohlen
verschieden und den 26. October auff unsern Gottes-Acker . . bey-
gesetzet worden. Dargestellet . . . von M. Johanne Rollio Pfarren der
Augsb. Confess. zugethanen Gemeine daselbst. Frankfurt Gedruckt
bei Johann Ernsten Acad. Typogr.
Der Verstorbene war geboren am 20. Oktober 1634 in Me-
seritz, wo sein Vater Johann Kaldenbach Bürger und Schuhmacher
war; auch seine Mutter Anna Gärtner scheint eine Einheimische ge-
wesen zu sein. Er besuchte die Stadtschule und die Schulen in
Stettin, wo er aber „in Ermangelung eines bequemen Hospitii" nur
kurze Zeit blieb, in Pyritz und Frankfurt und von 1652 ab auch
die Universität in Frankfurt, wo er als Schüler Hospitium beim
Apotheker und Consul Adam Seile und als Student „Tisch und
Stube" beim Professor Ursinus hatte. Das theologische Studium
vertauschte er bald mit dem medicinischen, weil er „darzu unge-
schickt wegen der geschwinden Sprache befunden." 1660 wurde ihm,
nachdem er de peste solemniter disputiret, der Gradus Doctoris con-
feriret; noch in demselben Jahre heiratete er, nachdem er sich als
Arzt in Landsberg a. d. Warthe niedergelassen hatte, Anna Eli-
sabeth Polisius, die Tochter des Frankfurter Universitätsprofessors.
Ex amore patriae ac suorum siedelte er aber bald nach Meseritz
über, wo er gleich Physicus Ordinarius und 1663 auch „Medicus
Ordinarius der Herren Stände des Schwibusischen Kreyses" wurde.
Er erlag schon früh einem Leiden, das ihn bereits in Pyritz be-
fallen und gegen das er vergeblich die Hilfe des Dr. Gail in Star-
gard angerufen hatte. Die Standrede hält der aus Fraustadt stam-
mende Diakon Christian Besold in Meseritz. Einen Nachruf in la-
teinischen Hexametern widmet ihm der Rektor der Frankfurter
Schule M. Johannes Moller. Er hinterlies einen Sohn Melchior
Benjamin. Die Leichenpredigt ist auch gewidmet einem Mathäus
Hoffmann Jurisconsulto, Ihrer Königl. Maj. in Pohlen Secretario,
Fürnehmen Freysassen, wie auch Raths -Herrn in Meseritz.
Seine Frau folgte ihm schon nach zwei Jahren nach ; sie starb
in Frankfurt; die Leichenpredigt hielt der dortige Prediger Johann
Christian Lud ecke.
7-
Jesus der von Edom und Bezra mit röthlichen Kleidern kom-
mende Kelter-Tretter Auss dem LXIII Cap. Esaiae dargestellet in
70 Arno Bötticher.
einer Christi. Leich- und Ehren-Predigt der .... Frauen Christinen
Lindner in geborenen £ der in Tit Herrn M. Abraham Lindners
Treu-verdienten Rectoris der Stadt-Schulen bezw. Kripplein Christi
in der Königlichen Fraustadt gewesenen Hertz- und Ehe-Liebsten. . . .
von Georg Schramm P. daselbst. Gedruckt zu Lissa durch Mi-
chael Bücken 1673.
Die Verstorbene war geboren am 24. Juli 1639. Ihr Vater war
der M. Michael Eder, Prediger und Scholaren in Fraustadt; die Mutter
war Barbara Juliane Vechner, Tochter des Bürgers und Handels-
mannes Georg Vechner in Fraustadt, dessen Onkel Johannes Vechner
Diakon in Fraustadt gewesen war. 1655 verheiratete sie sich. Ihr
Leben verlief äusserlich ruhig. Sie litt an Ohnmächten, von denen
auch der „Hochgelehrte Herr Gotdieb Georg Schramm Medicinae D.
und vornehmer berühmter Practicus allhier, Ihr geehrtester H. Ge-
vatter* sie nicht befreien konnte. Sie starb am 12. März 1672 und
hinterliess sechs Kinder, darunter die Söhne Christian und Johann
Ernst Eine Trauerrede mit dem Titel „Gottliebender Christen
Bluttrünstiges Streit-Gemählde" hält M. Johannes Lehmann, Diakon
in Fraustadt Beigegeben ist ein einstimmiger Cantus, Nachrufe von
dem aus Fraustadt stammenden Johannes Rohrmann, Konrektor
in Fraustadt, ihrem Sohne Johann Ernst und von einem Johannes
Grätz und einige Gedichte zur Feier der zweiten Heirat des
Wittwers mit Katharine Ludwig, Tochter „Domini Friderici Ludo-
vici Deputati Regii in Urbe Regia Gynaecopoli," unter ihnen eins
von Pastor David Gottfried Arnhold in Neu-Bojanowo.
8.
Das Königliche Priesterthum Nach der Würde und dem
Ruhm Auss der Würde und dem Ruhm Auss der Offenbahrung
S. Johannis Cap. I vers. 5. 6. Bey Christlich - Priesterlicher Be-
Erdigung des weiland .... Herrn M. David Grotkens Treu-
verdienten Seelen-Hirtens Alt-D r i b i t z e r Heerden. In einer Leichen-
predigt den 25. Junii des 1674 Jahres erkläret .... von David
Kiesel, Pfarren in Schlichtingsheim. In der Hoch-Greffl. Stadt
Lissa gedruckt durch Michael Bücken 1675.
Der Verstorbene war geboren am 12. Dezember 1624 in
Frau Stadt, wo sein Vater Bürger, Kaufmann und Ältester des
Schuhmacher- Hand werks war; seine Mutter war Dorothea geb.
Kuntzendorff. Bis zum 19. Jahre besuchte er Schola Patriae,,
dann das „damahls florirende Gymnasium" in Thorn, wo er „vom
Diakon und Professor Logices Michael Brikner an den Tisch und
Information genommen" wurde. Nach „abgelegter gebräuchlicher
Valediction* ging er auf die Universität Königsberg. Dort blieb er
bis nach Beendigung des dreissigj ährigen Krieges. 1649 ging er nach
Leipzig und dann nach Wittenberg, wo er am 22. April 165a
in Magistrum Philosophiae promoviret 1652 erhielt er die schon
längst durch Tod des Pastors Kaspar Baum an n erledigte Pfarre
Zehn Posener Leichenpredigten. 71
in Alt-Dribitz, nachdem er in Liegnitz nach gehaltenem Examine
vom Konsistorium ordinirt worden war. Dieser Gemeinde hat er
dann treu bis an seinen Tod gedient; für sie schrieb er auch eine
„deutliche und dem gemeinen Mann leichte Erklärung0 des
lutherischen Katechismus nach Art des später eingeführten Frank-
furter Katechismus. Ausserdem war er der Verfasser einer Schrift
über die „Ordnung der Christlichen Glaubens- Artikel", eines Gebet-
buches und vieler bei seinem Tode noch ungedruckter Kirchen-
lieder. 1652 hatte er sich in Rawitsch mit Anne Albinus,
Tochter des verstorbenen Diakonen Christoph Albinus in Lissa
verlobt, mit der er noch in demselben Jahre in Fraustadt getraut
wurde. 1670 starb seine Frau, und 1672 heiratete er Eva Marie
Fuchs in Schli cht ings heim, Tochter des verstorbenen Pastors
in Salzbrunn. Er hinterliess aus erster Ehe drei 16, 14 und
12 Jahre alte Kinder Gottlob, Elisabeth und Dorothea und aus
zweiter Ehe ein einjährigss Kind David; Gottlob befand sich damals
bei einem Vatersbruder in Fraustadt Nachrufe widmen ihm
Pastor Abraham Kiesel, Prediger Gottfried Bleyel in Albersdorf
und Samuel Reiche „Schlicht. Seh. R."
9.
Coelestis Fidelium Ecclessiae Doctorum Gloria Treuer Kirchen-
Lehrer Himmlische Ehre und Herrlichkeit Auss dem Propheten
Daniel am X1I1. Cap. v. 2. 3 Bey dem . . . Leich-Begängnis
des .... Herrn M. Johannes Rollii, Gewesenen Wohlverordneten,
Treufleissigen Pastoris der Evangelischen Gemeine zu Meseritz in
Gross-Pohlen und Con-Senioris der vereinigten Kirchen unveränderter
Augspurgischen Confession, Welcher am Tage Lucae des Evangelisten
d. 18. October N. St. Anno 1678 . . . diese arge Welt gesegnet . . .
erklähret von M. Jacobo Saurio Sverino-Pol. itzo P. im Ampt-Lago.
In Guben gedruckt bey Christoph Grubern.
Der Verstorbene war geboren 1628 inGross-Glogau, wo
sein Vater Jacob Konrektor und sein Grossvater Hans Bürger
und Riemer war; die Mutter hiess Ursula Buchner, deren Vater
Buchhändler zuerst in Glogau, dann in Fraustadt war. „Weil aber
bald die Reformation erfolget, haben seine liebe Eltern mit Ihm
dass Exilium im halben Jahr seines Alters bauen müssen. Als nun
sein seeliger Hr. Vater gnädige Demission von dem (Tit.) Hr. Hr.
Graff von Dohnau zu Gr. Glogau erhalten, hat er sich in solchem
Exilio nach Steinau an der Oder begeben.*1 Dort wurde der
Vater zuerst Kantor und „hernach wegen seines fleisses und
Dexterität im Dociren anno 1631 zum Ludimoderatore erhoben und
befestiget" und, da er die Stadtschule immer mehr zu Ansehen und
Ehren brachte, deren Director und Inspector. Der Vater hatte auch
den Sohn so gut unterrichtet, dass dieser schon 1645 auf die
Universität Frankfurt gehen konnte. 1647 ging er nicht nach
Wittenberg, wo die „vornehmen Theologi als Doct. Martini, Röber
72 Arno Bottichen
und Lyferus allbcrcit schwach waren und hernachen im Herrn ent-
schließen, sondern nach Leipzig, wo er zwei Jahre blieb. Dann
war er ein Jahr lang Informator oder Ephorus der Söhne des Amts-
Kastners in Cottbus und ein weiteres Jahr „bei seiner Mutter in
Fraustadta (der Vater war schon 1645 gestorben), wo er Privat-
studien trieb und sich im Predigen übte. 1651 ging er noch einmal
nach Frankfurt und promovirte dort Er war kurze Zeit Rektor
inWrietzen an der Oder und wurde dann vom Bürgermeister
Gebier „wegen der treuen und gutten Meriten des Vaters" nach
Meseritz gerufen, wo er zunächst Substitut und, nachdem er in
Cüstrin ordinirt war, Nachfolger des Predigers Daniel Haltsius
wurde. 1653 heiratete er Barbara Chrysander, Tochter des
Bürgermeisters Kaspar Chrysander in Meseritz. 1666 war nicht nur
für die Stadt, die durch einen grossen Brand innerhalb der Ring-
mauer bis auf wenige Häuser zerstört wurde, ein Unglücksjahr;
Rollius verlor in diesem Jahre zwei Kinder durch den Tod, darunter
einen sechs Wochen alten Knaben, den in der Wiege liegend die
Eltern aus Stadt und Brand getragen und gerettet hatten. Schon
vorher hatte die Familie nicht nur wegen des Schwedischen Krieges
und wegen der Pest, sondern auch weil man Rollius selbst nach
dem Leben trachtete, nach Crossen in das Exilium gehen müssen.
Von längerer Krankheit, in der ihn der Stadtphysicus Jacob
Theisner in Meseritz und der Stadtphysicus Johann Joachim
Cöler aus Zu 11 ic hau behandelten, wurde er durch einen Schlag-
anfall erlöst. Er hinterliess drei Söhne Theodor, Johannes und
Samuel, von denen die beiden älteren Theologie und Medizin
studierten, und eine Tochter, Anna Barbara, welche mit dem
Prediger Elias Feige inBretz verheiratet war; er hatte auch einen
Bruder Theodor, der „Medic. D. und Pract. Pro-Consul der Stadt
Hayn* war. Ausserdem sind noch genannt, jedoch ohne Angabe
der Beziehung zum Verstorbenen: Jacob Kunze 1, Königl. Poln.
Sekretair und Ratsverwandter in Meseritz, und Martin Winter, Rats-
verwandter und Handelsmann in Fraustadt Die Abdankungsrede
hält David Rosenberg, Prediger der Gemeinde Bauchwitz und
Lagowitz. Der Rede sind zahlreiche Nachrufe beigegeben; von
den Verfassern sind zu nennen: Pastor und " Rektor Ägidius
Strauch; Johannes Herde, Archidiakon in Breslau; Simon Weisse,
Prediger in Thorn; Samuel Schelgvigivs, in Athenaeo Gedan.
S. S. Theol. P. P. extraord. et Philos. primae ac Pract ord. itemque
Bibliothecarius; Rektor Andreas Kleemann in Guben; Pastor
Daniel Greve in Kalzig; Pastor Andreas Wenzel in
Schwe inert; Georgius Chilek Teschin: Pastor olim in Einsiedel
Hungarus, p. n. ab Exilio Rector Birnbaum; Pastor und Inspektor
Lüdeke in Frankfurt; Adam Seile, Pastor in Züllichau;
Kaspar Genge, Diakon in Crossen; Kaspar Magirus, Pastor in
Kuniu; Johannes Redwitz, Notar in Fraustadt; Michael
Zehn Posencr Leichenpredigten. 73
Liefmann, jetzo nach seinem Ungarischen Exilio Ober-Pfarr in
Birnbaum und der vereinigten Augspurgischen Kirchen in Gross-
Pohlen Con-Senior; Melchior Benjamin Kaldenbach Philiater und
Zacharias Hansel, Nachfolger des verstorbenen Rollius.
10.
Das Herrliche Erb- und Lehn-Gut treuer Kämpffer Jesu Christi.
Unter dem Bilde des von Gott belehnten und Himmlisch gekrönten
Samuels. Nach Anleitung der schönen Abschieds-Worte des H. Apo-
stels Paulus 2. Tim. 4 V. 6 — 8. . . bey . . . Leichbestattung des weyland . . .
Herrn Samuel Lehmanns, Hoch-verdienten Bürgermeisters und
Rathsverwandten bey der Königl. Stad Meseritz... wie auch Aren-
datoris der beyden Starostay Dorf f schaff ten R o g s e n und B e y t e 1 . . .
betrachtet... am 25. maji Anno 1679 von M. Zacharia Hensel,
Wratislav. Sil. Evangelischer Kirchen zu Meseritz in Gross Pohlen
Ober-Pfarrern und Inspector. Guben gedruckt bey Christoph
Grubern.
Der Verstorbene war geboren zu Meseritz am 16. Februar
1626. Vater und Grossvater waren die Bürger und Kürschner Georg
und Matthäus Lehmann in Meseritz; der Vater war zugleich Arenda-
tor zu S c h a r t z i g. Die Mutter war die Bürgerstochter Anna Krieger
aus Reppen. Bei seiner Taufe wurde er „mit dem schönem
Nahmen Samuel in das Stammbuch des Lebens eingezeichnet,
alssbald wurde er in den elenden und schmertzensvollen Weysen-
stand gesetzet." Seine Vormünder Bürgermeister Valentin Böttchen
und Bürger und Stadtaltester Christian Kintzel „hielten Ihn in
guter Disciplin und Chrisdichen Tugenden." 12 Jahre alt kam er
auf die Schule in Posen; er hat „sich fleissig in der Polnischen
Sprache geübet, dass er dieselbe im reden und schreiben recht-
fertig gebrauchen könne." Er neigte aber mehr zum Handwerk als
zum Studium und ergriff das Handwerk seiner Vätter, das er beim
Kürschner und Rauchhändler Heinrich Hancke in Posen vier Jahre
lang erlernte. Dieser hätte ihn gern auch noch länger behalten;
aber „ein edles Gemüthe, sagt Seneca, hat nicht genung in seiner
Vater-Stad zu bleiben, er sucht auch anders wo sein Glück und wil
wo möglich der gantzen Welt sich zu treuen Diensten darstellen.
Zu dem Ende hat der seelige Herr Bürgermeister nach Warschau
sich erhoben und zu Hofe bei Ihre Königl. Maj. Vladislav IV einen
Winter über sich aufgehalten. Nach dem Ihnen aber das wüste
Hof-Leben kein Vergnügen geben können, hat Ihn das Verlangen
frembde örter und Sitten zu sehen in andere Länder geführet. u
Er ging nach Thorn und Danzig und von da zur See nach
Lübeck und Hamburg. „Und wie er ferner seine Reise in
Holland fortzusetzen willens gewesen, ist Ihm, wie gar offters
geschehn, das Unglück dermassen nahe getreten, dass er gar
wenige Hoffnung seines Lebens übrig behalten. Nicht allein
hatte den Seligen der grausame Seesturm befallen, dass er dem
74 Arno Bottichen
Tode schon gleichsam im Rachen gestecket, sondern ward auch
von denen aus der Vestung Stade kommenden Schweden feind-
lich angefallen and gefänglich mit seinen anderen Reisegefehrten
eingebracht, darauf Er nicht allein von dem Commendanten Kriege-
dienste anzunehmen gezwungen, sondern auch mit ziemlichen Un-
gemach ein gantzes Jahr darinnen behalten worden. u Er setzte
seine Reise nach GlQckstadt, Friesland und Amsterdam fort
und ging dann über Schweden nach Reval und Riga. In „Wilde
in Littauen" machte er den Einzug König Wladislaus IV. und
dessen Gemahlin mit und ging dann im Gefolge der verwitweten
Königin nach Warschau, wo er beim Königl. Sekretär und „der
Preussischen Staute wolbestallten Agenten41 Elias Hoff mann blieb.
1649 ging er zur Krönung des Königs Johann Kasimir als Be-
diensteter des Grosskanzlers Ossolinsky nach Kr a kau, von wo er
in Gesellschaft des Notars Christian Jacob i aus Fraustadt nach
Haus zurückkehrte. Auf Rat und Zureden der Verwandten und
Freunde unterliess er die Rückkehr nach Krakau in den
Ossolinskyschen Dienst; er nahm vielmehr „die väterlichen Güter
in Besitzung." Am 16. November 1649 wurde er mit Elisabeth
Jacobi, Witwe des Stadtschreibers Adam Schwartzrock in
Meseritz getraut. Als ihm diese 1677 starb, heiratete er, „weil seine
weitdäufftige Wirthschafft bey diesen dranckseligen Zeiten länger
unfern zu bleiben, Ihm nicht zugeben wollen" Hedwig Gebhardt,
die Wittwe des Ratsverwandten, Kirch- und Handelsmanns Georg
Walter aus Rawitsch. „Seine öffentlichen Ehren-Ämpter be-
treffend ist Er wegen seiner Geschicklichkeit von E. E. W. Rath
allhier Anno 1651 zum Ackerältesten gesetzet, folgendes Anno 1653
in den Gerichts-Stuhl befordert, wie denn auch Anno 1657 von
Ihro Hochgräfliche Gnaden Herrn Lelsczynski damahligen Cron-
Schatzmeister als unseren gnädigen Herrn Starosten in den Raths-
Stand erhoben und zugleich wegen seiner Activität zum Bürger-
meister dieser Stadt verordnet worden. Und wiewohl Er dieses
beschwerliche Ampt insonderheit wegen der damaligen Schwedischen
Unruhe von sich abzulehnen zu dero Hoch-Gräflichen Gnaden biss
nach Br esslau gereiset, mit demütigst abgelegter Supplication Ihn
hiermit zu verschönen, hat sich es doch nicht anders wollen thun
lassen, als dass Er solch mühsames Ämpt seinen Schultern müsste
gehorsamst aufbürden lassen; welchem Er auch auffs rühmlichste
vorgestanden und desswegen nachgehends zum öfftern mit selbigen
beleget worden." Er starb anscheinend an der Gelbsucht und hinter-
Hess Söhne und Töchter, die aber nicht namentlich genannt sind.
Der Streit
der Schuhmachergewerke zu Meseritz und Schwerin
im siebzehnten Jahrhundert.
Von
Karl Andersch.
;n Zacherts Chronik der Stadt Meseritz1) wird unter
den „innerlichen Stadt-Prozessen und Streitigkeiten"
auch eines Prozesses gedacht, welchen das Meseritzer
Schuhmachergewerk mit dem Schweriner Gewerk führte,
und darüber folgendermassen berichtet: Anno 1673 ent-
stand ein Streit zwischen dem Gewerk der Schuhmacher
und einem E. Rath. Es hatte dieses Gewerke bereits zu-
vor einen Prozess mit den Schuhmachern in Schwerin ge-
führet, dass es ihnen nicht freystehen solte, weder am
Jahrmarkte noch Wochenmarkte ihre Schuhe in Meseritz
zu verkaufen. Das Schwerinsche Gewerk aber hat sich
allezeit in diesem Stücke dem Meseritzischen stark wider-
setzet, so dass, da die Sache bey einem E. Magistrat
beyder Städte nicht konnte abgetan werden, sie endlich
vor den Hof gelangte. Hierzu gab zufälliger Weise Ge-
legenheit Mich. Kaldenbach, Mitmeister dieses Gewerkes.
Er stund im eignen Prozess zu Hofe mit einem E. Rath
*) Zacherts Chronik der Stadt Meseritz. Nach der Original-
handschrift herausgegeben von Adolf Warschauer, Posen I883, S. 82,
83. Ober die Person des Verfassers vgl. daselbst Einleitung, S. 2, 3,
und Dr. Danysz, die katholische Pfarrkirche und der Magistrat in
Meseritz von der Reformation bis 1744, nach dem Archiv der
katholischen Pfarrkirche dargestellt. (Wissenschaftliche Beigabe zu
dem Jahresbericht des Königlichen Gymnasiums zu Meseritz
für 1885 (86), S. 4, 5-
76 Karl Andcrsch.
und reisete oft nach Warschau. Sie committirten ihm des
Gewerkes Klagen, dass ein E. Rath demselben nicht nach
Schuldigkeit assistirte, sondern ihre Privilegien zu kränken
und zu rächen suchte. Der Rath ward deshalb citirt und
erschien zugleich mit denen Schweriner Schuhmachern.
Jene bewiesen ihre Unschuld, diese wandten vor, Meseritz
und Schwerin wäre eine Starostey, und weil sie denen
Meseritzern nicht wehreten, auf ihre Jahrmärkte zu kommen,
so würde ihnen auch zugesprochen werden, deren Me-
seritzer Jahrmärkte zu besuchen. Mittlerweile gingen aller-
hand Insolentien unter beyden Gewerken vor. Als die
Schweriner auf den Meseritzer Jahrmarkt kamen und ihre
Schuhe auslegten, platzten die Meseritzer zu und nahmen
ihnen die Schuhe und trugen sie auf die Probstey, welches
aber ohne Schläge nicht abging.
Desselben Prozesses wird auch von Wuttke1) ge-
legentlich seiner geschichtlichen Nachrichten über Schwerin,
unter Hinweisung auf Zachert2) Erwähnung getan. Diese
Schilderung ist ungenau. Lediglich eine wortgetreue Ab-
schrift derselben bringt Wilhelm Schulz in einem Aufsatze
„Schwerin a. W. in Wort und Bild"8) — allerdings ohne
Quellenangabe.
Eine ausführlichere Darstellung dieser, verschiedene
Jahrzehnte hindurch währenden Streitigkeiten beider Ge-
werke befindet sich in einem Protokollbuche4) der
J) Städtebuch des Landes Posen, von Heinrich Wuttke. Leipzig
1864, S. 450.
2) Welcher jedoch fälschlich „Zappert" citirt wird.
3) In Nr. 10 vom 8. März 1896 der „Familienblätter, Sonntags-
beilage der Posener Zeitung".
4) Dasselbe enthält, in 4 to, 128 Blätter; 42 Seiten sind un-
beschrieben, eine ganze Anzahl nur teilweise beschrieben. Es ist
dem Gewerk vom Meister Georg Schwarzschuster 1651 geschenkt,
in diesem Jahre auch die erste Eintragung bewirkt worden. Es ent-
hält, ohne dass bei den Eintragungen die chronologische Reihenfolge
innegehalten wird, von verschiedener Hand ein Meisterverzeichnis
aus dem Jahre 1652, ein Verzeichnis der verstorbenen Meister von
1653 bis 1710 vollständig, ein Verzeichnis der Handwerksmeister
und sonstigen Innungsbeamten von 1620 bis 1824, verschiedene die
Der Streit der Schuhmachergewerke zu Meseritz u. Schwerin. 77
Schweriner Schuhmacherinnung; sie rührt von einem
Schweriner Gewerksmitgliede her, welches wiederholt zur
Beilegung des Streits mitgewirkt hat, und dürfte, indem
sie Kunde gibt einerseits von einem hartnäckig, und zwar
nicht immer mit lauteren Mitteln geführten gewerblichen
Konkurrenzkampfe damaliger Zeit, andrerseits von der
zähen Ausdauer beim Geltendmachen und bei der Ver-
folgung wohl erworbener Rechte, auch sonst nach anderen
Richtungen hin des Interessanten manches enthält, wohl
der Mitteilung wert sein.
Verfasser ist, wie die Einleitung ergibt, der Meister
Simon Gaull, „Rathssverwandter wie auch des Löblichen
Gewerks der Schuster geschworener Handtwerks Meister441);
da er als solcher von 1678 bis 1682 fungirte, ist in diese
Zeit die Niederschrift der Darstellung zu verlegen, welche
nebst Einleitung folgendermassen lautet2):
Weil es den ein löblicher Gebrauch und ein altes
Recht ist, auff das man, was denckwürdig ist, in Schriefften
verfasset (wird)8), auff das die Nachkommenden auch
Wissendtschafft davon haben mögen, alss hat ess H. Simon
Gaull, Rathssverwandter, wie auch des löblichen Gewerks
Innung angehende innere Angelegenheiten, insbesondere Kaufver-
träge, versehen mit den Unterschriften der Kontrahenten, Innungs-
beamten und der als Beisitzer deputirten Magistratspersonen, Ver-
zeichnisse über Einnahme und Ausgabe, beginnend 1775, endlich die
unten wiedergegebene Darstellung. Dieselbe nimmt dort etwas über
13 Seiten ein. Die Handschrift ist durchaus leserlich.
*) Die Handwerksmeister (Vorsteher der Gewerke oder In-
nungen) wurden vom Magistrate eingesetzt und hatten ihm einen
Eid zu leisten. — Simon Gaull ist in dem bereits genannten „Ver-
ceichniss, welche Meister in diesem 1652. Jahr seindt vorhanden ge-
wesen", enthalten; ausserdem bringt das Protokollbuch folgende No-
tizen über seine Person: „Anno 1678 ist H. Simon Gaull Rathsver-
wandter tzum Handtwerksmeister verordnet worden undt vier Jahr
lang verwaltet", und „Anno 1683 ist H. Simon Gaull in dem Herrn
selig eingeschlaffen".
2) Die Orthographie des Verfassers ist durchweg beibehalten,
die Interpunction jedoch de9 besseren Verständnisses halber viel-
fach ergänzt.
3) Steht im Text.
78 Karl Andersch.
der Schuster geschworener Handtwerks Meister, (es)1) vor
gut angesehen, das es möchte in Schriefften verfasset
werden, wie es sich mit dem Process, welches das Ge-
werck der Schuster von Schwerin mit den Gewerck der
Schuster in Meeseritz (geführt hat)2), verlauf fen hat; weil
er auch gute Wissendschafft darvon hat und er auch stetz
hat reysen müssen; welcher Rechts-Process über elff-
hundert Floren gekostet hat, und solches aufgeschrieben hat
Anf englich weil Meseritz undt Schwerin eine Sta-
rostey ist undt die beyde Stete vor Zeiten undt vor langen
Jahren zusammen auff die Jahrmarkte gezogen sindt; weil
aber Anno 1590 Schwerin von zwey böse Buben ist in
die Asche geleget worden8), — darvor sie auch ihr Lohn
empfangen haben — , haben sie solche Zeit in Acht ge-
nommen, weil ihnen damahlss unser Gewerck hat nicht
kund Wiederstand thun, hat das Gewerck zu Meseritz
ihre Privilegie bei dem Könige Sigismundo4) Anno 1592
confirmiren lassen und haben damals diesen Punct per
Appendix hinanschreiben lassen, das das Gewerck der
Schuster nicht solten ihre Wahren von Schwerin in Mee-
*) Steht im Text.
«) Fehlt im Text.
*) Nach einer vorliegenden handschriftlichen Chronik der
Stadt Schwerin, welche von den verstorbenen ehemaligen Schweriner
Bürgern Karl Becker und Erasmus Lassen auf Grund von Akten -
material, privatschriftlichen Aufzeichnungen und eigenen Erlebnissen
in den vierziger Jahren zusammengestellt ist, 4 to, 409 Seiten, brannte
am 31. März 1590 die ganze Stadt Schwerin ab. Ein Zollbeamter
(Zöllner) Sebastian Trzebinski war mit einem Tischler David Fitzer
in Streit geraten und gab letzterem eine Ohrfeige. Hiertiber er-
bittert ging Fitzer nach Hause und beredete seinen Gesellen Gregor
Kautzen, ihm bei der geplanten Brandstiftung behilflich zu sein. Sie
steckten einen dürren Reisighaufen beim Zöllner in Brand, das
Feuer nahm überhand, und es brannte die ganze Stadt ab. — Nach
dem Brande fiel der Verdacht gleich auf den Tischler, er wurde
festgenommen, verhört und da er die Tat leugnete, auf die Folter
gebracht, wo er auch bald bekannte, das Feuer aus Rache angelegt
zu haben. — Über den vorliegenden Schuhmacherstreit enthält die
Chronik nichts.
4) Sigismund III. regierte 1586 — 1632.
Der Streit der Schuhmachergewerke zu Meseritz u. Schwerin. 79
seritz mehr feil haben und verkauf fen; und solches haben
sie durch ein Schreiben unter des Raths Insiegel dem
Gewerck zu Schwerin absagen und verbieten lassen, mit
ihren Wahren nicht mehr hin zu kommen bey Verlust der
Wahren; welches Schreiben auch noch an itzo in der Ge-
werksslade vorhanden ist1).
Ob schon nachmalss unterschiedliche Mittel und
Wege sindt vorgeschlagen worden, solches wiederumb zu
erlangen, hat es nicht fruchten oder geschehen können;
biss hernach Ihr grossmächtigen Gnaden Fürste Bogoslaus
Lesszinsky, der Cronschatzmeister, vnser Staroste ist
worden2): Alda hat ein Gewerck in Schwerin den wohl-
gelahrten und in Rechten wolgeübten H. Johann Herrhoff8),
J) Jetzt nicht mehr vorhanden.
2) Im Jahre 1633. Zachert, a. a. O. S. 21—23, berichtet von
ihm gelegentlich der Aufzählung der „Namen derjenigen Starosten,
so hier gewesen*4: „Anno 1633 Boguslaus de Leszno Leszczynski,
Graf von Lissa, der Kron-Schatzmeister und General von Grosspolen.
Er kaufte dem Czarnikowski (Boguslaus o Czarnikow Czarnikowski,
Woiwoda Kaliski und General von Grosspolen, welcher die Starostei
seit 1623 besass, dieselbe für 15000 Fl. ab, war reformirt, fiel aber
wegen seiner ersten Gemahlin ab, Anna von Dönhoff. Nach dieser
heyrathete er Catharinam Joh. von Radzivil, verwittbete Weiherin,
Herrn Weihern von Schlochau Wittwe. Dieser Herr hielt einen
sehr propern Einzug: des ersten Tages 4 Fahnen Fussvolk und 1
Compagnie Cavallerie, des andern Tages die ganze Bürgerschaft.
Von der Stadt ward er mit einem Präsente von 1500 Fl. beschenket"
3) Auch Herhoff, Heroff und Heraff geschrieben. In der
letzten Schreibweise findet sich sein Name in zwei der von Sza-
stecki veröffentlichten Schweriner Urkunden; dem Vergleich der
Stadt mit den Schweriner Juden vom Jahre 1641, (ego Johannes
Heraff notarius Skwirsynensis), und der Urkunde vom 1. Mai 1643,
in welcher Bestimmungen über die Wahl der Magistratsmitglieder
getroffen werden, (Joannes Heraff n. p. et Sverinensis civis). Vgl.
Urkundliches zur Geschichte der Stadt Schwerin an der Warthe
von J. Szastecki, im Programm der höheren städtischen Knaben-
schule, Schwerin a. W. 1883, S. 17, 13. Von einer Episode aus dem
Leben Herrhoffs weiss Zachert, S. 108, 109, folgendes zu berichten :
„Anno 1657 wurde Schmidt und der Notarius Joh. Herrhoff zu
Schwerin auf den Landtag nach Schroda geschickt (Schroda war
seit 1631 Sitz der regelmässigen Staatsversammlungen von Gross-
polen am Montag nach dem Matthäustage — 21. September. Vgl.
80 Karl Andersch.
Stadtschreiber in Schwerin wie auch Notarius pubL Ce-
sariae, zu ihren Advocaten angenommen, welcher zu Ihr
Exelent H. N. Schlichting1) gereyset vnd ihn hierüber
Rahtss gepfleget, welcher geantwortet hat, das Anno 1635
bey Krönimg des Königs Vladislai2) von der gantzen Adel-
schafft wehre gewilliget und statuiret worden, das ein
jeder mit seiner Wahren, nicht allein Chrysten sondern
auch Juden, sol es frey stehen, auf öffentlichen Jahrmarckt
ihre Wahren feil haben undt zu verkauffen, bey 1000 Marck
Wuttke, Städtebuch S. 447). Als sie zurück reisten und bei Mlodaw
nah bei Posen kamen, überfiel sie auf dem Felde ein Edelmann
Severin Kqszicki nebst zweien seiner Unterthanen aus diesem Dorfe
auf eine mörderische Weise. Schmidt und sein Kutscher wurden
gleich niedergehauen, Herhoff aber entkam, obgleich verwundet, und
versteckte sich im Felde. Den Wagen, die Pferde und das Geld
behielten die Räuber. Nachdem aber der Notarius Herhoff nach
Hause gekommen und diese Begebenheit erzählet hatte, liess der
Herr Staroste Leszczinski diesen Kqszicki aufs Tribunal citiren. Er
erschien aber nicht. Anno 1658 wolte er sich mit den Erben des
Erschlagenen güttlich vertragen, schob die Schuld auf zweyen seiner
Unterthanen, die er extradiren wollte. Der Stadt versprach er vor
seine Person 2000 Fl. zur Strafe zu erlegen, und dass er zugleich
12 Wochen in dem Thurm in Posen sitzen wolle. Dieser selbst an-
gebotene Vertrag aber ward von Kqszicki nicht gehalten, darauf er-
folgte 1663 die Bannition. Hierauf verlor er sich von seinem Dorfe,
ohne dass man weiss, wo er geblieben ist. (Dieser Vorfall ist auch
von Wuttke, S.220, erwähnt).
*) Zachert erwähnt ihn unter den S. 21 — 23 verzeichneten Gu-
bernatoren des Schlosses nicht; augenscheinlich ist daselbst S. 22
eine Lücke vorhanden. Es ist jedenfalls der dort S. 47 genannte
Fraustädtische Landesälteste Hr. George Schlichting, der, wie Zachert
sich ausdrückt, „ein Mignon von dem Herrn Starosten Leszczynski
war", und angeblich die beiden 1652 für die Meseritzer evangelische
Kirche angeschafften Glocken, welche auf Betreiben des Probstes
Nochowicz wieder abgenommen werden mussten, nach seinem Gute
Schlichtingsheim geschafft hat. Das „N" im Text bedeutet wohl no-
bilis. Über die Familie derer von Schlichting, welche damals an
der Westgrenze Grosspolens verschiedene Güter, u. a. auch Prittisch,
besassen — ihr Stammgut war Bauchwitz (Bukowiec) — , und ener-
gische Verfechter der Reformation waren, Agl. Danysz, a. a. 0.
S. 16. A.
2) Wladislaus IV. 1632— 1648.
Der Streit der Schuhmachergewerke zu Meseritz u. Schwerin. 8l
Straffe; welcher Punkt zu finden ist in des Reichss Con-
stitution Anno 1635 am 41 ß'at-
Alss aber ein Gewerck von Schwerin mit einem
Recommendation Schreiben Von einem E. E. W. W. Raht
an ein E. E. W. W. Raht in Meeseritz sind gezogen,
bithenlich angehalten, dass sie möchten wie vor Alters
die Jahrmarkte frey haben, ihre Wahre zu verkaufen,
welches auch ein Gewerck von Schwerin gethan und bey
Hofe angesucht; aber es ist limitiret worden und nach
Posen gewiesen worden.
Da wier sie den in Posen im adlichen Recht an-
geklaget haben, da haben wier das Lucrum und Con-
tumation über sie erhalten, undt wardt uns von unsern
Advocaten gerahten, das wier solten unsere Wahren
feil haben.
Weil wir aber unser Herberge bey Meister Sigmundt
Schmieden hatten und unser Schustützen aussetzen, wie
gebräuchlich, nahmen die Schuster unser Stützen und
schmiessen sie auf die öffentliche Strasse, und wanten
vor, das wier die Oberstelle haben wolten. Da hat H.
Mathias Kintzel1) die Protestation, so in Schriefften ver-
fasset war, auff den Markte publice verlesen. Nachmahlss
nahmen wier unser Stützen vndt hatten vor H. Christoff
Bösen unser Wahre feil.
Da wier den guten Marckt hatten, da kahmen aber-
mahl die Schuster undt nahmen unser wahre allesampt
und trugen sie in unsere Herberge in die Stube herein,
da unss den viel Volck in die Stube nach folgeten und
kaufften uns in der Stube ab.
Unter dessen aber erhalten die Schuster ein Decret
zu Hofe, das wier nicht sollten mehr zu Meeseritz feihl
haben, sondern mit der Wurtzel alda ausgerottet sein.
x) Nach dem Protokollbuche ist „Anno 1645 H. Mathias
Kintzel Gerichtassessor tzum Handtwerksmeister verordnet worden
vndt dasselbige verwaltet drei vndt dreissig Jahr." Er starb 1682.
Der hier in Rede stehende Vorfall fallt also wahrscheinlich in das
Jahr 1645 °der später, andrerseits vor den 9. Oktober 1654, vgl.
weiter unten.
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Prov. Posen. Jahrg. XIX. 6
82 Karl Andcrsch.
Vnd solches Decret spareten sie, bis wier nach Meeseritz
zu Markte kamen: kamen die Schuster allesampt mit
ihren Advocaten, der Nahmens Fritze hiess, und legten
uns alda diesen Decret vor unsern Advocaten auf den Tisch.
Alss aber vnser Advocat diesen Decret durchlesen
hatte, sprach er: „Ich gebe meinem Gnädigsten Könige
und Herrn seinen Schriefften ihren gebührlichen Respect",
und küsste ihn und legte den Decret auf sein Haupt und
sprach weiter: „Weil ihr diesen Decret habet sine citatinis
erhalten und uns darzu nicht geladen, als protestire ich
solennissime dawider*, und zu uns sprach er alssbaldt:
„Ihr Schuster von Schwerin, leget ewer Wahren aus vnd
verkauftet sie, und so euch jemandt wierd wollen Gewalt
daran thun, zahlet sie nur; ihr werdet sie so theuer nicht
verkauften, alss sie euch bezahlen solten."
Da wolten die Meeseritzer Schuster gar aus der Haut
fahren, das wir auf dieses Decret nicht parieren wolten. —
In dieser Zeit aber führeten wir unser Recht zu
Posen stetz fort und erhielten die Bandition über der
Stadt Raht und Schuster. Als aber ein E. E. W. W.
Raht zu Meseritz sahen, das wier hatten die Bandition
über sie erhalten, schlugen sie sich ins Mittel vndt
schrieben ein Schreiben an den Raht bey uns und bähten,
das wier möchten dahin kommen, ob die Sache kunte
gütlich gehoben werden: Da den Titul. H. George
Kintzel, als unser H. Bürgermeister und H. Johan
Herhoff, unser Advocat, item H. Mathias Kintzel, Gerichts-
assessor und Handwercks Meister, und Meister Georg
Schwartzschuster und Simon Gaull, des Gewerckss
Schreiber (hinüberreisten1). Auf der Meeseritzer Seiten
aber wahren der H. Bürgermeister Baltzer Gabler, H.
Mathias Hoffmann, H. Erasmus Günter und H. Crisander2),
J) Fehlt im Text.
2) Dieselben werden von Zachert wiederholt erwähnt. Von
Hoffmann insbesondere, welcher S. R. M. Secretarius war, berichtet
Zachert, dass er das sogenannte Stadtgut der Stadt als Legat hinter-
liess, ebenso seine „Bibliotheque, so aus juridicis, philosoph. et
historicis libris bestund." S. 29.
Der Streit der Schuhmacherge werke zu Meseritz u. Schwerin. 83
und Meister Samuel Netisch und Heinrich Teubner, beide des
Gewerckss der Schuster Handtwerckss Meister; da uns den
im Anfang die Schuster 400 fl. bahres Geldes boten zu geben,
wen wir den Jahrmarkt in Meeseritz wolten fahren lassen.
Aber wier wolten nicht, sondern drungen fest darauf, das wir
wolten den Jahrmarkt erhalten.
Endlich gelanget es dahin, das wier mit Consens
unsers H. Bürgermeisters ihnen 200 fl. versprachen zu
geben innerhalb vier Wochen, welches auch geschah;
da uns dan ein E. E. W. W. Raht 50 fl. darzu verehret
hat. Die Hern von Meeseritz sagten uns auch 50 fl. zu,
aber es hat sich so lange verzogen, biss wir endlich
nichtss bekommen; welcher Contract unter uns geschah
anno 1654 den 9. Octobris mitten in der Nacht, da den
die Obrigkeit von beyden Städten frölich darüber wahren,
das auch H. Erasmus Günter, Bürgermeister1), mit diesen
Worten herausbrach: „Haec est dies, quem fecit dominus,
exultemus et laetemur in ea!" —
Nachwahlen ward von beyden Gewercken einer nach
Posen geschicken, alda diesen Contract in das Posenische
Landbuch einzucorporiren, da den von uns gewesen ist
Meister Michael Säur, Amptss Geschworner inSchwerin,
und von Meseritz ward geschickt Meister Martin Hintze.
Alss aber anno 1655 der schwedische Krieg in Pohlen
anging, das alles nicht zum rechten Stande gelangen
konte, biss hernach anno 1657, da wolten die Schuster
zu Meeseritz von keinen Vertrag nicht wissen, auch von
keinem Gelde nicht wissen, biss sie endlich durch Schriff-
ten und Zeigen überwiesen worden; da musten sie es
endlich gestehen, Samuel Matisch ward gefraget im Raht-
*) Nach der der Stadt Meseritz von König Sigismund III. 1595
erteilten Urkunde, welche bei Zachert, S. 36 ff. und Wuttke, S. 371,
K. 28, abgedruckt ist, sollte es dem Starosten freistehen, jährlich
zwei von den acht lebenslänglichen Magistratspersonen zu Bürger-
meistern (magistri civium oder proconsules) zu wählen, welche ab-
wechselnd halbjährlich regieren sollten.
Im Verzeichniss von 1652 (vgl. oben) werden zwei Meister
dieses Namens aufgeführt; der ältere starb 1663, der andere 1687.
84 Karl Andersch.
hause, wo er der Schwerinischen Schuster ihr Geldt ge-
lassen hatte; antwortet er: „ich habe mich in der Ein-
quartirung1) darmit gerettet"; undt nachmahlss, als er
seine Stelle vom Hause hat verkauf f et, hat er das Geldt
dem newen Handwerckssmeister überantwortet, nemlich
Christoff Sawade. Da fraget der H. Bürgermeister: „Sa-
wade, wo habet ihr der Schweriner Schuster ihre Geld
gelassen?" — Da hat er geantwortet: „Wier haben es
unsern Advocaten Quassnowsky gegeben.
Auf dieses hat sie der H. Bürgermeister mit Worten
hart gestraffet und gesaget: „Seidt ihr solche Leute, das
ihr Geldt von den Schwerinern nehmet und hernach
wolt ihr es leugnen? — Es haben auch beyde Altmeister
vor den Meseritzer Stadtbuch gestanden nebest uns,
nemlich Samuel Netisch und Lorentz Fritzsche, auf unser
Seite H. Johann Heroff, H. Mathias Kintzel, H. Simon
Gaull, und gebeten, das der Contract möchte incorporiret
werden, undt nach etlicher Zeit haben sie es geleugnet,
auch vor den Meseritzer Stadtgericht darüber geschworen. —
Nachmals aber, alss solches vor E. E. W. W. Raht
ist kommen, haben die H. des Rahtss zu uns herüber
geschrieben. Weil aber H. Herhoff und H. Mathias Kintzel
unpässlich waren, ist H. Simon Gaull und Michael Säur,
Tomas Kintzel2) hinübergereiset und im Recht dagestan-
den, da er8) es den ihnen unter Augen gesaget, das sie
von beyde Parten, hat er solchen Vertrag in das Stadt-
buch einzuschreiben4).
*) In den Jahren 1656 — 1662, ferner 1665, 1669, 1670 und 1672
hatte Meseritz wiederholt und schwer unter den Durchmärschen
und Einquartierungen schwedischer, polnischer und kaiserlicher
Truppen zu leiden, das Nähere bei Zachert, S. 89 — 93.
2) Im Meisterverzeichniss von 1652 ist er nicht erwähnt; er
starb 1675 „den Sonntag nach Judica*.
8) Nämlich der weiter unten erwähnte Meseritzer Stadtschreiber
Jacob Kintzel.
4) Der Verfasser ist hier aus der Construction gefallen. Der
Sinn ist wohl der: er, der Stadtschreiber, habe auf Bitten beider
Parteien, nämlich der Meseritzer und Schweriner Gewerksvertreter,
den Vertrag in das Stadtbuch eingeschrieben.
Der Streit der Schuhmachergewerke zu Meseritz u. Schwerin. 85
Auch hat ein E. E. W. W. Raht mit ihrem Buche
solches bewiesen. Alss solches geschehen, hat sie Titul.
H. Jacobus Kintzel1), alss damaliger Stadtschreiber, der
solches geschrieben hatte, diese beyde Männer vor gott-
lose, gottesvergessene Leite, ja vor leichtfertige, meineidige
Leite angeklaget, welche nicht würdig in der Stadt zu
leiden weren.
Nachmahlss aber, alss sie unterrichtet worden, wen
und wie es geschehen were, besonnen sie sich, es were
wahr; es sindt aber diese beyde Männer in diesem Jahre
beyde in vier Wochen gestorben.
Nachmahl wider sindt die Schuster auffs new wider
uns rebellisch gewest, und hat sich einer hierzu brauchen
lassen, nemlich Michel Kalbach2), der ist mit den pol-
nischen Cantor ungestümer Weise in unser Herberge
eingefallen und unser Wahren hinweggenommen und in
die catolische Kirche8) getragen und hernach aus die
grosse Kirche in die Hospitahl Kirche4) geschleppt.
Weil aber der H. Decanus von Bendschen5) die
Commende über die Spital Kirche6) hatte, ist H. Simon
Gaull zu im geschicket, aber nichtss ausgerichtet
*) Derselbe ist identisch mit dem von Zachert mehrfach
(S. 25, 52, 63, 82) erwähnten Jacob Kintzel, Secretarius S. R. M.
and Notarius publicus; im Jahre 1674 judex. Vgl. auch Danysz, a. a.
O. S. 13. A.
2) Jedenfalls der von Zachert erwähnte Michael Kaldenbach;
vgl. oben im Anfange.
3) Nämlich die jetzt noch existierende Pfarr- oder Schloss-
kirche. Vgl. über diese Zachert, S. 24; Landrichter Kade, Gründung
und Namen von Stadt und Schloss Meseritz, 1894, S. 15.
4) „Die andere Kirche — sagt Zachert S. 24, 25 — ist in der
Vorstadt, die Hospital- oder St Nikolai-Kirche genannt. Der Restau-
rator ist Nicolaus Nochowicz, Praeposit. Medericens. Anno 1609."
Vgl. auch Danysz, a. a. O. S. 7; Kade, a. a. O. S. 15, 16. Sie ist
heute nicht mehr vorhanden. v
ö) Meseritz gehört auch jetzt zum Decanat Bentschen.
•) Nach Danysz, a. a. O., wurde 1641 mit Zustimmung Wla-
dislaus IV. die Kirche in Kainscht sammt der Filiale in Nipter mit
der Nikolaikirche (Hospitalkirche) vereinigt, diese aber zu einer
Pfarrkirche erhoben. Danysz lässt es dahingestellt, ob an der Ni-
86 Karl Andersch.
Aber nachmahlss haben wier ihnen eine Citation
vor dem H. Official zu erscheinen gegeben nach Posen,
da den uns H. Bürgermeister Jacobus Arendt gedienet
hat, der1) den befohlen, die Schuhe alsbaldt heraus-
zugeben; da den J. G. der Schlossherr seine Calasse
anspannen lassen, auch selbst in Perschon mitgegangen
undt die Schuhe auf der Calasse auf Schloss führen
lassen und sie uns daselbst wiederumb zugestelt. Die
Schuster aber haben vor diese Gewalt einen E. E. W. W.
Raht in Meseritz ioo fl. müssen Strafe geben. —
Zu der Zeit wardt zu Meseritz eine Commission
zwischen dem Raht und der Gemeine2) gehalten; da uns
kolaikirche schon im 17. Jahrhundert Pfarrer angestellt wurden;
nach Zachert, S. 39, hatte anno 1693 »<he St. Nikolaus-Kirche ihren
besonderen Probst".
i) Der Offizial.
2) Es ist hier wahrscheinlich die katholische Gemeinde ge-
meint. Damals dauerten noch die Streitigkeiten zwischen dem
Probst und dem wohl ausschliesslich evangelischen Rat an. Danysz,
S. 21, berichtet darüber: 1671 wird (katholischer) Pfarrer in Meseritz
Casimir Lewicki. Wie seine Vorgänger beginnt auch Lewicki seine
Tätigkeit mit Processen. . . . Auf seinen Antrag ergeht auch schon
1671 ein Mandat an den Magistrat wegen Reparatur der Kirche,
gleichzeitig wird auch eine Commission zur Führung des Prozesses
ernannt. Der Prozess, Über dessen Verlauf wir nicht unterrichtet
sind, scheint mehrere Jahre gedauert zu haben. . . . Andrerseits
erwähnt Zachert, S. 81, eine Commission, welche 1674 zur Schlichtung
eines Streits zwischen dem Meseritzer Bürger David Hellmann und
dem Rate eingesetzt war, . und welcher unter anderen auch die
beiden im Texte genannten Äbte angehörten, nämlich „Joh. Cas.
Opalinski, abbas Bledzensis", und „ Malabo wski, Abt im Kloster
Ober*. Diese tagte vier Wochen, und es wurden die Herren
Commissarien alle Tage auf das Beste tractiret, sodass, wie Zachert
mit einer gewissen Wehmuth bemerkt, „diese Commission sehr viele
Bürger ruinieret" hat — Es ist sehr wohl möglich, dass diese letzt-
genannte Commission anfänglich zur Schlichtung des Streits zwischen
dem Rat und der katholischen Gemeide bezw. dem Probst berufen
war und — in Unterbrechungen — bereits seit 167 1 tagte, und dass
sie nebenbei noch andere gerade vorhandene Sachen, wie die An-
gelegenheit Hellmanns gegen den Rat, erledigte, eine Vermutung,
welche durch die Darstellung im Texte an Wahrscheinlichkeit ge-
winnt. — Unser Schuh macherprozess, dessen Schlussjahr weder
Der Streit der Schuhmachergc werke zu Meseritz u. Schwerin. 87
den J. G. der H. Apt von Bleese1) hies, unser Recht
auch zu Meseritz an suchen; aber der H. President als
J. G. der H. Apt aus dem Ober Kloster verabschiedete
uns nach Königliche Hoffgerichte.
Nach diesen haben sie uns eine Citation nach Hoffe
geleget; weil aber damahl polnische Einquartirung bey
uns war, haben wir durch J. G. den H. Wojewoden
seinen Kosaken an unsern Advocaten, des Nahmens H.
Johannes Szadkowsky geschrieben, welcher anstadt unser
alda geantwortet hat.
Nachmal als wir wiederumb zu Markte kamen,
kamen die Meseritzer Schuster alle semptlich unter unser
Schue, als wier albereit ausgehangen hatten, undt kamen
vor H. Simon Gaullen Stand und sprachen, aus was vor
Macht wier da feil hatten, und warumb wir nicht zu
Warschaw gestanden wehren.
H. Simon Gaull aber beantwortete ihnen also: „Auff
Befehl Ihr Grossmächtige Gnaden des H. Wojewoden
haben wir feil, und das wir nicht perschönlich gestanden
haben, ist die Ursach wegen der wirklichen Einqvartirung;
aber unser Advocat hat schon anstatt unser geantwortet.
Auff dieses haben sie mit Ungestüm unser Wahren
herunder gerissen, aber unsere Meister haben sich tapfer
gewehret und sie bey die Haare und Koppe genommen
bei Zachert noch im Text angegeben ist, ist, wenn man die Zeit-
angabe Zacherts mit der Textdarstellung vergleicht, jedenfalls im
Jahre 1674 beendet worden.
*) Biesen, 12 km SW. von Schwerin, im jetzigen Kreise
Schwerin, und Obra, in der Wollsteiner Gegend, waren beide
Cisterciensenkloster. Nach Warminski, Urkundliche Geschichte des
ehemaligen Cistercienser-Klosters zu Paradies, Meseritz, 1886 S. 16,
war letzteres im Jahre 1237 vom Mutterkloster Wongrowitz, Kloster
Biesen im Jahre 1282 vom Mutterkloster Dobrilugk (in Branden-
burg) gestiftet worden; nach Wuttke, a. a. O. S. 270, letzteres
bereits 1260. — Beide Klöster sind in Folge des Edicts König
Friedrich Wilhelms III. vom 30. October 1810 eingezogen, die ehe-
maligen Biesener Klostergüter zur Kgl. Domäne Althöfchen (ehe-
malige Residenz des Abtes) und der Kgl. Oberförsterei Schwerin
umgewandelt worden.
88 Karl Andersch.
und sie wacker abgeschlagen; doch sind ihnen die Schuhe
gefolget (worden)1), da sie sie den zu ihrem Handtwerck
getragen.
Aber H. Simon Gaull und Davidt Säur2) sind alss-
bald zum H. Burgermeister gegangen und wider solche
Gewaldt protestiret undt geklaget, und seindt beyde alss-
bald dageblieben bis auf den 3ten Tag.
Da haben die Schuster müssen auf Befehl eines
E. E. W. W. Rahts die Schuhe ins Rahthauss bringen
und unser Unkosten zahlen; auch sind unsere Schuhe mit
Ruhm überantwortet worden. Dem Raht aber haben sie
müssen im puncto ioo polnische Marckt vor diese Gewalt
Straffe geben.
Aber vier Wochen nach diesem haben sie uns aber-
mahl eine Citation durch den Wozner8) geleget, innerhalb vier
Wochen zu Warschau vor dem Rechte zu stehen bey
tausend Ducaten Straffe und bei Verlust aller unser
Güter; da der H. Simon Gaull ist von einem löblichen
Gewerck abgefertiget worden und in Gottes Nähme nach
Warschaw gereyset, alda durch göttlicher Hülfe und
Gnade das Recht erhalten, wie solches im Decret zu er-
sehen ist
Zu dieser Reyse hat uns Ihr Grossmächtige Gnaden
der H. General alss Grosscantzler, wie auch Ihre gross-
mächtigen Gnaden der H. Wojewode Peter Obpalynsky 4)
Recommandation-Schreiben an den H. Untercantzler H.
J) Steht im Text.
2) Im Meisterverzeichniss von 1652 enthalten; starb 1676.
8) Wozner, polnisch-deutsche Form für Wozny, der Ge-
richtsbote.
4) Petrus de Bnin Opalinski, General von Grosspolen, war seit
1668 Meseritzer Starost, als Nachfolger Leszczynskis. Er war der
Bruder des damaligen Abts von Biesen, Johann Casimir Opalinski.
In dem erwähnten Rechtsstreite zwischen Hellmann und dem
Meseritzer Rathe stand er, obwohl nicht direkt beteiligt, auf Seite
des letzteren, wahrend der Abt für Hellmann Partei nahm, sodass,
wie Zachert bemerkt, „deswegen unter denen beyden Brüdern
Opalinski grosse Jalusie entstund. u Zachert, S. 14, 82, 144.
Der Streit der Schuhmachergewerke zu Meseritz u. Schwerin. 89
Andraeae Oltschoffsky (gegeben)1), welche Schrifften uns
sehr zu Nutze gekommen sein.
Hiermit schliesst die Darstellung des Verfassers.
Das Decret des Kgl. Hofgerichts zu Warschau, auf
welches er sich am Schlüsse beruft, ist nicht mehr vor-
handen, doch finden sich bei Zachert a) nähere Nach-
richten über den Ausgang des Prozesses. Er berichtet:
Da nun der Hof decretirte, so verspielten die Meseritzer
Schuhmacher das Recht sowohl mit einem E. Rat als
mit den Schwerinern. Dem Rate musste ein jeder
Schuhmacher 10 Thr. Strafe erlegen, darneben mussten
sie den Schwerinern vor die ihnen weggenommenen
und unter des Probstes Leute ausgeteilte Schuhe
gutkommen und sie bey ihren Jahrmarktbesuchungen
ungekränkt lassen.
Mit dem erwähnten königlichen Decret ist der Streit,
welcher so lange angedauert, als beendet anzusehen.
Zwar wollten, wie Zachert berichtet, „etliche Meister,
sonderlich die alten, mit den Schwerinern aufs Neue an-
setzen4', indem sie vorwandten, ihr von Sigismund III. er-
teiltes Privilegium würde sie schützen; doch wollten die
jungen Meister nicht darin willigen, sondern begaben sich
dieses Rechtes und reisten auf den Schweriner Jahrmarkt,
während die Schweriner nach Meseritz kamen. „Die
alten Meseritzer Meister aber, sagt Zachert, wollten durch-
aus nicht nach Schwerin."
Im Laufe von wenigen Jahren müssen die gegen-
seitigen Beziehungen sich jedoch erheblich gebessert
haben, wie aus folgendem im Protokollbuche nieder-
geschriebenen Beschlüsse erhellt: Anno 1681 den 4. Majy
hat ein löblich Gewerck der Schuhmacher von Meeseritz
bey den Gewerck der Schuhmacher in Schwerin an-
gehalten und gebehten, weil der Jahrmarckt in der Fasten
alle Zeit den Sonnabend vor Judica gefellig ist, das man
!) Fehlt im Text.
*)S. 83.
90 Karl Andcrsch.
ihnen möchte zugeben, das sie mit ihren Wahren möchten
den Sontag Judica feil haben. Solches hat ihnen ein
Gewerck in Schwerin aus nachtbahrlicher Freund-
schaft zugeben; aber die andre Jahrmarckte sollen sie
alle Zeit halten auf den Tag, wen der Jahrmarckt fellig
ist Zu mehren Krafft dessen ist solcher Schein ihnen
übergeben und mit des Gewerckss Insiegel corroborieret
worden und mit der beyde Handtwerckssmeister Unter-
schrifft bestetiget
Des Landgrafen Friedrich von Hessen
Todesritt von Posen nach Kosten.
Von
Oswald Collmann.
4e ersten Jahre von Johann Kasimirs Regierung
waren bekanntlich mit blutigen und verlust-
reichen Kriegen ausgefüllt. Zwar wurde das
damalige „Grosspolen", und somit auch unsere Provinz
Posen, von den Kämpfen mit den Kosacken und dem sich
aus ihnen entwickelnden Kriege mit den Moskowitern
weniger als die südöstlichen Teile des ausgedehnten Rei-
ches berührt, — hatte aber dafür in dem 1655 ausge-
brochenen schwedischen Kriege nicht nur den ersten
feindlichen Ansturm, sondern auch alle Leiden einer län-
geren Okkupation zu erdulden.
Am 21. Juli 1655 überschritt der erste Teil des
schwedischen Heeres unter dem Feldmarschall Wittenberg
bei Heinrichsdorf die polnische Grenze. Dort hatte das
grosspolnische Aufgebot unter den Woiwoden von Posen
und Kaiisch Stellung genommen, aber statt dem Feind
mannhaft entgegen zu treten, schlössen sie am 25. Juli
die Kapitulation von Usch ab, kraft deren sie den Träger
der schwedischen Krone Karl Gustav als ihren König
und Herrn anerkannten und ganz Grosspolen mit allen
festen Plätzen den Schweden übergaben, allerdings
unter der Bedingung, dass die Privilegien des Adels und
der Geistlichkeit respektiert, die Steuern nicht erhöht
und nicht anders als in der bisherigen Weise eingetrieben,
und dass die Schweden sich überhaupt gegen die Be-
wohner des Landes menschlich und redlich benehmen
würden.
92 Oswald Collmann.
Die Schweden drangen nun ungehindert vor, und
während Karl Gustav mit seiner Hauptmacht auf War-
schau losrückte, besetzten seine Unterfeldberren den
grössten Teil Grosspolens, insbesondere auch die Haupt-
stadt Posen.
Aber die Schweden hielten nicht die in dem Vertrag
von Usch gegebenen Versprechungen, sondern bedrückten
und misshandelten die Bewohner des Landes so sehr,
dass diese schliesslich zu den Waffen griffen. Die An-
fänge dieses grosspolnischen Aufstandes und seine ersten
Erfolge werden nun gewöhnlich, und zwar besonders
ausführlich von Jarochowski1), folgendermassen dargestellt:
„Der erste Platz, an dem die Aufständischen ihre
Kräfte versuchten, war die befestigte Stadt Kosten. In
dem dortigen Schlosse, dessen Platzkommandant der
Schwager Karl Gustavs, der hessische Landgraf Friedrich,
war, befand sich eine Besatzung von 400 Schweden. Die
Bauern der umliegenden Dörfer mussten ihnen Lebens-
mittel, Futter und Holz liefern. Die Abwesenheit des
Landgrafen, der sich in der Umgegend mit Jagen ver-
gnügte, benützend, rückte eine Abteilung des polnischen
Adels unter der Führung des Starosten von Bomst,
Christoph Zegocki, heran und schickte einen Bauer mit
einer für die schwedische Besatzung bestimmten Fuhre
Reisholz in die Burg. Das Schlosstor wurde dem Bauer
unbedenklich geöffnet, aber mitten auf der Zugbrücke ging,
wie durch Zufall, von dem Holzwagen ein Rad los, so
dass weder die Brücke aufgezogen, noch das Tor ge-
schlossen werden konnte. Jetzt brach die polnische
Schlachta aus ihrem Hinterhalt hervor, drang in das Innere
der Burg ein und überwältigte nach kurzem Widerstände
die Besatzung2). Als nun der Landgraf — ohne Ahnung
x) K. Jarochowski, Wielkopolska w czasie pierwszej wojny
szwedzkiej . . . Poznan, 1884. (Wydanie drugic).
2) Diese Geschichte hat eine merkwürdige Ähnlichkeit mit
Walter Scotts Erzählung von der Eroberung der schottischen Burg
Linlithgow (oder Lithgow) durch die Anhänger des Königs Robert
Bruce. Vgl. W. Scott, A Child's History of Scotland.
Des Landgrafen Friedrich von Hessen Todesritt. 93
von dem Vorgefallenen — mit einigen Begleitern zu
Pferd von der Jagd zurückkam, vertrat ihm der Adel
auf der Brücke den Weg und forderte ihn auf sich
zu ergeben. Aber der Landgraf, statt sich der Über-
macht zu fügen, wollte sich widersetzen und griff zur
Waffe. Es fielen einige Schüsse, und der Landgraf sank
tot vom Pferde41.
Obwohl die Einnahme von Kosten durch 2egocki
auf den weiteren Verlauf des Krieges einen nennenswerten
Einfluss nicht ausgeübt hat, so muss doch der mora-
lische Eindruck dieser schwedischen Niederlage, erhöht
durch die Kunde von dem Tode eines dem König Karl
Gustav so nahestehenden hohen Offiziers, ein sehr starker
gewesen sein. Dies lässt sich u. a. auch aus einer Schrift
erkennen, die unter dem Titel „Der im schwedischen
Krieg von Chr. 2egocki durch die Verteidigung der Re-
ligion, des Königs und der Freiheit gepflückte Lorbeer-
kranz"1) im Jahre 1661 in Posen gedruckt worden ist
Es ist eine in den üblichen schwülstigen Ausdrücken
verfasste Lobschrift auf die Tugenden und Verdienste
des oben erwähnten Starosten von Bomst Unter diesen
Verdiensten steht die „Besiegung" des Landgrafen von
Hessen in erster Reihe, sie ist in den Augen des Ver-
fassers, Albert Kasimir Pilecki, offenbar der höchste
Ruhmestitel des von ihm Gefeierten. So sagt er z. B.
mit Anspielung auf den Habicht (accipiter) in dem Wap-
pen der Zegockis: „Gewiss, tapferster Held, auch wenn
du die Kunst, die Köpfe der Barbaren unter die Füsse
zu treten, nicht schon von den sehr kriegerischen Trä-
gern des Habichtwappens (ab accipitrinis) ererbt hättest,
so würdest du sie doch deinen Nachkommen in dem
zu Boden getretenen Haupt des Landgrafen von Hessen
überliefert haben"2).
1) Laurea Zegociana in hello suecico per... Christophorum
Zegocki a religione, rege, libertate defensis decerpta.
2) „Profecto, fortissime heroum, calcandi artem barbarorum
capita, si a pugnacissimis olim non accepisses Accipitrinis, tarnen
posteris in Landsgraf fij Hassiae capite calcato tradidisses"...
94 Oswald Collmann.
In dem Lobe, welches der Menschlichkeit 2egockis
gespendet wird, liegt sogar eine wenn auch vielleicht
unwillkürliche Anerkennung der tapferen Haltung seines
Gegners. Zur Erklärung der Randbemerkung „Er (d. h.
Zegocki) hat den Landgrafen gefragt ob er ihm das Le-
ben schenken solle" enthält nämlich der Text die Worte:
„Du wolltest dem Landgrafen (nur) sein Gift, nicht
das Leben rauben. Du hättest ihm weiter zu leben gern
gestattet, wenn er durch seinen Widerstand (obluctans)
nicht abgelehnt hätte, sich in deines Sieges Hand zu
geben". — Und noch deutlicher weiter unten: „Er wäre
am Leben geblieben, wenn er sein Leben deiner Milde
und nicht seinem Schwert anheim gestellt hätte"1).
Dies Lob, wenn es ein solches sein soll, wird dann
freilich durch schwere Beschuldigungen wieder aufgewo-
gen: „Wisset, ihr Katholiken, dass die rächende Strafe
<ler Räuber nicht ausbleibt, und dass die Götter nicht
säumig sind im Belohnen der Tugenden. Für das eine
möge der besiegte Landgraf, für das andere der sieg-
reiche Zegocki als Beweis dienen"...2) „Wer wäre wohl
würdiger, von der Burg der Königin (d. h. Czenstochau8)
die Gold und Silber verprassenden Schweden abzuwehren
als der Mann, der sie auch von der Burg des Königs (d. h.
Kosten) vertrieb, nachdem er ihre Gier nach polnischem
Blut in dem Landgrafen von Hessen ausgelöscht hatte" *).
*) Virus Landsgraffio, non ivitam adimere animus tibi erat.
Non invitus ei vivere concederes, dummodo iile in victoriae tuae
manus obluctans ire non negaret. . . . Vixisset, si clementiae tuae,
et non gladio, vitam suam coramendasset.
2) Discite, Catholici, non claudam (esse) poenam ultricem
praedonum, nee segnes virtutum praemiatores divos — utriusque
documentum victus Landsgraf fius Hassiae, victor Christophorus
.Zegocki.
8) Zegocki war von Johann Kasimir zum Kommandanten der
dortigen Schlosswache ernannt und dadurch mit der ehrenvollen
Aufgabe betraut worden, die in Czenstochau weilende Königin Marie
Louise zu beschützen.
4) Nam quis eo dignior ut a Castro reginae helluones argem i
-aurique Suecos abigeret, quam qui et a Castro regis, exstineta in
Landsgraffio Hassiae cruoris Polonici cupidine, abegit?
Des Landgrafen Friedrich von Hessen Todesritt. 95
Die zuletzt angeführten beiden Stellen der Schrift
des A. K. Pilecki enthalten, wie wir sehen, neben dem
Lob des Siegers schwere Vorwürfe für den „Besiegten*,
und es drängt sich daher die Frage auf: War denn der
Landgraf Friedrich von Hessen wirklich ein solcher Wü-
terich, dass man seinen Tod als die gerechte Bestrafung
eines Räubers bezeichnen durfte?
Nun — ein Heiliger war der Landgraf sicherlich
nicht Dass er, als jüngstes von den 13 Kindern Moritz
des Gelehrten, Landgrafen von Hessen-Kassel, keine be-
sonders sorgfältige Erziehung erhalten hat, wie sie gerade
bei seinem Temperament sehr nötig gewesen wäre, das
bezeugt u. a. der Geschichtschreiber Hessens, Chr. von
Rommel, indem er von ihm sagt: „In den letzten Jahren
seines Vaters vernachlässigt, erhielt er in Eschwege (sei-
nem Wohnort) den Beinamen „Der tolle Fritz" und be-
hielt, wie sein (eigener) Bruder Ernst in seiner hand-
schriftlichen Lebensbeschreibung erzählt, zeitlebens ein
tolles Wesen" *).
Andrerseits müssen damals die Schweden in Gross-
polen überhaupt und insbesondere in Kosten übel ge-
haust haben. Dafür sei hier nur ein Zeugnis angeführt:
In einem Aufsatz über das Wappen der Stadt Kosten2)
macht der verstorbene Posener Sanitätsrat Dr. Klemens
Köhler u. a. folgende Mitteilungen: „In den Akten des
städtischen Amts von Kosten findet sich nirgends eine
Erwähnung des Wappens (der Stadt) oder eines Ab-
drucks desselben in einem Siegel. Der erste schwedische
Krieg, der über die Stadt Kosten grosses Unglück und
Verwüstung brachte, verursachte auch die fast vollständige
Vernichtung der älteren Akten: Die Schweden ver-
nichteten oder konfiscierten alles, was nur irgend einen
Wert darstellte. Sogar die Haspen und Angeln rissen
sie von den Türen ab, (die Siegel von den Akten) —
*) v. Rommel, Neuere Geschichte von Hessen. 1837. Bd. II, S. 345.
*) Köhler, Herb miasta Kosciana na piecz^ciach wyobrazony.
(„Wiadomosci numizmatyczno-archeologiczne", tom III.)
96 Oswald Collmann.
nicht etwa, um die polnische Siegelkunde kennen zu
lernen, sondern um auch dieser geringen Menge des zu
den Siegeln verwendeten Wachses sich zu bemächtigen.
Zur Stütze dieser Behauptung führen wir eine Stelle aus
dem Revisionsbericht1) des Kostener Starosten vom
Jahre 1661 an: „Die Einwohner wiesen einige den Bürgern
der Stadt verliehene Privilegien vor, aber die Schweden
hatten sie zerkratzt und die Siegel von ihnen abgerissen *.
Wenn also der Landgraf Friedrich wirklich damals
Platzkommandant von Kosten gewesen ist, so wird es
nicht möglich sein, ihn von der Verantwortung für diese
Ausschreitungen frei zu sprechen.
Aber ist es denn, wird man fragen, irgendwie
zweifelhaft, dass er damals in Kosten als Platzkommandant
gewaltet hat? Für die meisten, welche in neuerer Zeit
über diese Dinge geschrieben haben, für Moraczewski
nicht weniger als für Jarochowski und Köhler, ist es im
Gegenteil eine ganz feststehende Tatsache. Sie stützen
sich dabei auf keine geringere Autorität als die des
Vespasian von Kochowski2), dem sie denn auch seine
Schilderung jener Vorgänge mehr oder weniger wörtlich
nacherzählt haben. Und daraus kann man ihnen kaum
einen Vorwurf machen, denn Kochowski hat damals selbst
an den Kämpfen gegen die Schweden als Soldat teil-
genommen. Er ist sogar (1656) in einem Gefecht in der
Nähe von Gnesen verwundet worden und zwar, wie er
im zweiten Buch seiner „Liryki" selbst erzählt, für den
von ihm in der Gnesener Kirche bewiesenen Skeptizis-
mus (za okazane w koSciele gnie&iiefiskim niedowiarstwo).
Von einem solchen Manne darf man aber doch wohl er-
warten, dass er diese Neigung zur Kritik auch bei der
Schilderung der Ereignisse seiner eigenen Zeit betätigt
haben wird. Geben wir daher zunächst Kochowski
das Wort!
l) Nach einer im Besitz des Verf. (Dr. Köhler) befindlichen
Handschrift.
*) Kochowski, Vesp., Annalium Poloniae ab obitu Vladislai IV.
dimacter II. Cracoviae. 1683.
Des Landgrafen Friedrich von Hessen Todesritt. 97
In dem zweiten Teile oder „Climacter", wie er es
nennt, seines Geschichtswerkes drückt er sich über jene
Vorgänge folgendermassen aus: „Nachdem auf solche
Weise zu Tyszowce die Konföderation der Stände ab-
geschlossen war, brach der Hass gegen den schädlichen
„Schutz" (der Schweden) bald in offenen Feindseligkeiten
aus . . . und zwar zuerst in Grosspolen, wo die
schwedischen Präfekten in den Burgen und Städten
gewalttätig oder allzuherrisch gegen den Adel verfuhren.
Die Hauptstadt Posen hielt Claudius Rholambus besetzt,
Kosten der Landgraf von Hessen . . . , es gab ebenso
viele Herren wie Burgen, und je mehr Herren, desto un-
ersättlichere". . .
Nach Aufzählung der dem Lande durch die Schweden
auferlegten Lasten und von ihm geforderten Leistungen
fährt Kochowski folgendermassen fort: „Zu diesen Lasten
musste der Adel der Umgegend beitragen, wie es den
Präfekten beliebte, und die Steuern, die früher, wenn
auch nur einer dagegen war, von den Landtagen nicht
beschlossen werden durften *), die wurden jetzt, wo alle
dagegen waren, unter (dem Vorwand) des „Schutzes"
erpresst Die, welche sich des alten Zustandes erinnerten,
empfanden solche Dinge bitter, und zuerst bekannte sich
Peter Opalifiski, der Woiwode (palatinus) von Podlachien,
offen als Feind der Schweden, nachdem er durch sein
Wort und Beispiel den Adel Grosspolens zu den Waffen
gerufen hatte. Nach ihm machte sich Christoph 2egocki,
der Starost (praefectus) von Bomst, mit mehr Kühnheit
als Kräften (majore ausu quam viribus) an ein denk-
würdiges Unternehmen. Die Stadt Kosten ist 7 Meilen
von Posen entfernt; sie war mit einer Besatzimg von
400 Schweden belegt, und hier hatte Friedrich, der Land-
graf von Hessen, seinen Wohnsitz genommen, (domicilium
fixerat). Friedrich war durch die Ehe der Schwestern
mit dem König Karl (Gustav) verschwägert und bekleidete
*) Das sogen, liberum veto!
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Pro*. Posen. Jahr*. XIX.
98 Oswald Co 11 mann.
in der Verwaltung der Provinzen Grosspolens fast die
Stellung eines Vizekönigs. Diesen, welcher, wie man er-
fahren hatte, sich in Sicherheit wiegte, häufig in der Um-
gegend mit einem Jagdgefolge umherschweifte und sich
eines Anschlags nicht versah (incuriosum doli), greift
2egocki mit (Hilfe) folgender Kriegslist an . . . ."
Hierauf folgt nun die Erzählung von der Eroberung
Kostens und der Erschliessung des Landgrafen ungefähr
in denselben Ausdrücken, wie ich sie oben nach
Jarochowskis polnischer Bearbeitung wiedergegeben habe.
Dieser Darstellung haben sich dann noch zwei andere
neuere Schriftsteller angeschlossen, Moraczewski l) und
der bereits genannte Dr. Klemens Koehler2). In einem
Punkte jedoch, nämlich hinsichtlich des Datums, stimmen
sie unter einander nicht überein, denn während Jarochowski
sagt: „Der Anfang des Frühjahrs 1656, genauer der
Zeitraum zwischen Ostern und dem Feste des heiligen
Stanislaus 8), ist der Augenblick des Aufstandes Gross-
polens", möchte Dr. Köhler den Ausbruch schon in die
Mitte des Dezember 1655 verlegen. Wegen der Wichtig-
keit der Zeitbestimmung müssen wir auf diesen Punkt
näher eingehen. Was Jarochowski zu seiner Auffassung
veranlasste, war erstens der Umstand, dass zur allgemeinen
bewaffneten Erhebung des grosspolnischen Adels eigentlich
doch erst die am 29. Dezember 1655 abgeschlossene
Konföderation von Tyszowce den Anstoss gegeben hat,
und zweitens wohl auch die Wahrnehmung, dass Kochowski
die Eroberung Kostens unter den Ereignissen des Jahres
1656 anführt Jarochowski übersah, dass dies wahr-
scheinlich ein blosser Zufall und aus der Anlage von
Kochowskis Geschichtswerk zu erklären ist. Nachdem er
nämlich im I. Buche des zweiten „Climacter* seines
Werkes die Ereignisse des Jahres 1655 berichtet hat,
geht er im II. Buche dazu über, die wichtigsten Vorgänge
von 1656 zu erzählen. Zu diesen gehört auch der Auf-
*) Moraczewski, Dzieje rzeczypospolitej polskiej.
2) Koehler, Krzysztof icgocki. Poznan 1897,
**) d. h. dem achten Mai.
Des Landgrafen Friedrich von Hessen Todesritt. 99
stand in Grosspolen, der deshalb erst hier im Zusammen-
hange erzählt wird, obwohl seine Anfänge weiter zurück-
reichen.
Wenn nun andrerseits Dr. Koehler sich für die
Mitte Dezember des Jahres 1655 entscheidet1), so stützt
er sich dabei zwar auf einen neueren Historiker, Mora-
czewski, aber er setzt sich damit doch in Widerspruch
zu einem Zeitgenossen des Landgrafen, dem berühmten
Pufendorf *), der in ganz bestimmter Weise den 24. Sep-
tember 1655 als den Todestag des unglücklichen Fürsten
nennt
Seine Ablehnung des von Pufendorf gegebenen
Datums begründet Dr. Koehler in folgender Weise: „Das
Jahr 1655 . . . trug sich mit blutigen Schriftzügen in unsre
Geschichte ein . . . Der Schwede rückte in die (ihm durch
den Vertrag von Usch) geöffneten Städte und begann
furchtbare Verheerungen. Im Rauben und Morden wett-
eiferten die Andersgläubigen8) mit den Schweden. Wer
konnte, entwich nach Schlesien, . . . um das Leben zu
retten. Über diesen Zufluss von Fremden in seinen
Ländern besorgt, erliess der (Deutsche) Kaiser am
18. September ein Reskript, durch das er (von den be-
treffenden Ortsbehörden) ein genaues Verzeichnis der
Personen, ihres Standes und sonstigen Verhältnisse ver-
langte. Es liefen denn auch aus den einzelnen Ortschaften
Berichte4) ein, und ihnen verdanken wir die Kunde,
dass unser Christoph 2egocki am 29. September in
Grünberg war.Ä
„Da nun* — folgert Dr. Koehler — „der oben ange-
führte amtliche Bericht vom 29. dieses Monats die An-
wesenheit 2egockis in Grünberg vermerkt, so konnte
*) Koehler, Krzysztof £egocki. Poznan 1897 (Odbitka z
Kurycra Poznanskiego).
a) Pufendorf, De rebus a Carolo Gustavo, Sueciae rege, gestis
commentariorum libri VII . . . Norimbergae, 1696.
8) D. h. die Evangelischen.
4) Mosbach, Wiadomosci do dziejöw polskich z archiwum
prowincyi älqskiej. Wroclaw, 1860.
7*
IOO Oswald Collmann.
er nicht, wie Pufendorf es behauptet, am 24. September
in Kosten sein."
Diese Angaben sind freilich scheinbar mit einander
nicht zu vereinigen. Glücklicherweise aber bietet sich
uns ein ziemlich einfacher Ausweg aus diesem Labyrinth
von widersprechenden Behauptungen.
Es ist kein andrer als der uns bereits bekannte Alb.
Cas. Pilecki, der uns den Ariadnefaden liefert Dass wir
uns hier seiner Führung anvertrauen dürfen, ergibt sich
aus dem Umstand, dass er bei Chr. 2egocki Hauslehrer
war, domesticus moderator filii ejusdem, wie er sich auf
dem Titelblatt seines oben erwähnten Panegyricus selbst
nennt Daraus folgt doch, dass er durchaus in der Lage
war, sich über jene Vorgänge genau zu unterrichten, und
dass, in Anbetracht der Bedeutung, die er der „Besiegung"
des Landgrafen beilegte, daher auch seine Zeitangaben
volles Vertrauen verdienen. Nun drückt er sich darüber
(Absch. VIII des Panegyricus) folgendermassen aus:
„Legebamus nos in primo tuo ad aeternitatem
vestibulo, Christophorum 2egocki . . . fulminis et non
Caesaris in morem quarto nonas Octobres Costenum
venisse, vidisse, Hassiae principem vicisse."
Und daneben am Rand steht noch überdies: „Anno
dni 1655. 4. Octobr."
Zu der von Mosbach mitgeteilten Tatsache, dass
2egocki noch am 29. September in Grünberg war, steht
dieses Datum nicht im Widerspruch; denn wenn er
Grünberg etwa am 30. September verlassen hat, so kann
er gar wohl 3 bis 4 Tage später vor Kosten erschienen sein.
Aber wie reimt sich der 4. Oktober mit dem von
Pufendorf gegebenen Datum des 24. September? Auf die
einfachste Weise von der Welt, eine so einfache, dass man
eigentlich nicht begreift, wie Dr. Koehler, der die Angabe
des Pilecki doch auch kannte, nicht selbst auf diese
Lösung gekommen ist.
Pufendorf datiert noch nach dem alten Kalender.
Bekanntlich fand der von Gregor XIII. 1582 eingeführte
und nach ihm benannte verbesserte Kalender in den
Des Landgrafen Friedrich von Hessen Todesritt. IOI
katholischen Ländern sehr bald, in Polen schon 1586,
Eingang, während dagegen die evangelischen deutschen
Reichsstände sich erst im Jahre 1700 zur Annahme dieser
Reform bequemten. Dass insbesondere Pufendorf noch
an dem alten Stile festhält, ergibt eine Vergleichung
irgend eines seiner Daten mit der heute dafür üblichen
Zeitbestimmimg. Der Unterschied zwischen dem alten
und dem neuen Stil betrug damals 10 Tage, und so
finden wir denn z. B. die Schlacht bei Warschau, die
nach unserer jetzigen Zeitrechnung am 28., 29. u. 30. Juli
1656 geschlagen wurde, bei Pufendorf auf den 18., 19. u. 20.
verlegt
Wenn also Pufendorf als Todestag des Landgrafen
den 24. September 1655 nennt, so ist das durchaus gleich-
bedeutend mit dem 4. Oktober des Hauslehrers Pilecki.
An diesem Tage also hat der Landgraf vor Kosten
seinen letzten Atemzug getan. Wann ist er denn nun
nach Kosten gekommen, wie lange hat er dort seiner
„Gier nach polnischem Blute* (Pilecki) fröhnen können?
Darüber geben uns die polnischen Quellen keinen
Aufschluss. Dass er vorher einige Zeit in der Stadt
Posen verweilt hat, bezeugt die Chronik1) der hiesigen
Benediktinerinnen, nach der Jarochowski folgendes mitteilt:
„Vor Ostern eben dieses Jahres (1656) Hessen die
Schweden . . . alle Priester und Ordensleute, deren es in
Posen noch 60 gab, zusammenrufen Und vertrieben sie
alsbald sämtlich aus der Stadt . . . Schon vorher war
auf Anstiften von Posener Lutheranern und Deutschen in
dem Kloster der Benediktinerinnen, die der heimlichen
Aufbewahrung von Waffen beschuldigt waren, eine strenge
Revision vorgenommen worden. Etwas später erfolgte
durch eine Lutheranerin eine ähnliche Denunziation gegen
die Nonnen, dass sie Bewaffnete (bei sich) versteckt
hielten. Diesmal nahm der Königliche Schwager, der
hessische Landgraf Friedrich selbst, mit dem Platz-
l) Die Zeitangaben dieser Chronik bedürfen einer genaueren
Prüfung, die ich mir für später vorbehalten muss. Vergl. auch die
Anmerkung %u Seite 105.
102 Oswald Collmann.
kommandanten Duderstädt und dem Kommissar Weismann
die Haussuchung vor, wenn auch allerdings in ange-
messener Weise (w przyzwoity sposöb) u. s. w."
„Vor Ostern 1656/ — „Schon vorher." — „Etwas
später" — mit solchen Zeitangaben ist nichts anzufangen.
Wir müssen uns deshalb, wenn wir über des Landgrafen
Aufenthalt in diesem Lande etwas Genaueres erfahren wollen,
nach einer anderen Quelle umsehen. Eine solche gefunden
zu haben, verdanke ich der gütigen Unterstützung der
Beamten des Königlichen Staatsarchivs zu Marburg.
Dort befindet sich ein mit IX B 2521 signiertes ge-
drucktes Heft, betitelt „Personalia*, das eine kurze Lebens-
beschreibimg des Landgrafen enthält Ein Teil dieses
Heftes ist auch noch in einer gleichzeitigen Abschrift vor-
handen, aus deren Begleitsbrief hervorgeht, dass diese
Personalien als Unterlage gedient haben für den Geist-
lichen, der in Eschwege bei der endgültigen Beisetzung
der sterblichen Reste des unglücklichen Fürsten am
24. September 1657 die Leichenrede gehalten hat.
Die Zeitangaben in diesem Heft sind durchweg nach
dem alten Kalender gemacht.
Danach war der Landgraf am 9. Mai 161 7 zu
Eschwege geboren. Von 1631 — 1636 hatte er als
hessischer Offizier mehrere Feldzüge mitgemacht. 1640
in den schwedischen Dienst getreten, hatte er sich unter
Torstensohn in dem Treffen vor Wolfenbüttel ausgezeichnet
und 1642 an der Hauptschlacht bei Leipzig teilgenommen.
Im Januar 1646 war er nach Schweden gereist und hatte
sich im September desselben Jahres zu Stockholm mit
Eleonore Katharine, Tochter des Johann Kasimir, Pfalz-
grafen bei Rhein, und Schwester des späteren Schweden-
königs Karl Gustav, vermählt Von der Königin Christine
zum Generalmajor ernannt, stand er mit 10 Kompagnien
zu Pferd, 2 Regimentern zu Fuss und 1500 Musketieren
in Westfalen, als der Friede von Münster und Osnabrück
seinen kriegerischen Taten vorläufig ein Ende machte.
Soweit geht auch das handschriftliche Exemplar der
„Personalia". Die weiteren Ereignisse seines Lebens
Des Landgrafen Friedrich von Hessen Todesritt. 103
werden dann in dem gedruckten Bericht in folgender
Weise erzählt: . . . „Nachdem die jetzige König]. Majestät
zu Schweden, Ihrer Fürstl. Gnaden Herr Schwager König
Carolus Gustavus, anno 1655 mit deren Arm6e nach
Pohlen gangen, haben Ihre Fürstl Gnaden den Vorsatz
gehabt, sich zu Ihrer Majestät in fernere Kriegsdienste zu
begeben, deswegen Sie sich mit notwendigen Leuten ver-
sehen, sich kostbar mundirt und den 3. Septembris
allhier zu Eschwege, als Sie von allen fürstlichen An-
gewandten Abschied genommen, auf den Weg begeben,
da denn Ihrer Fürstl. Gnaden . . . Frau Gemahlin ihren herz-
geliebten Herrn bis nacher Weimar und Dessau begleitet,
allda Ihre Fürstl. Gnaden völligen Abschied genommen
und so forters' nach Pommern und Pohlen ihren Weg
fortgesetzt".
„Als Ihre Fürstl. Gnaden nun nach Posen kommen
haben Sie daselbst vernommen, dass Ihre KönigL Majestät
zu Schweden mit dero Armee schon weit gegen Warschau
verrücket und wegen grosser Unsicherheit dieselbe zu
erreichen nicht vermocht, Ihr auch sich weiter fort-
zubegeben missrathen worden, deswegen Sie Sonntags
den 23. ejusdem zu Posen, nachdem Sie dem öffentlichen
evangelischen Gottesdienst daselbst selbigen Morgens erst
andächtig beigewohnt, sich uff gemacht in Meinung1) sich
wieder in Pommern zu begeben. Als Sie selbigen Tags
3 Meil Wegs gereist, haben Sie die Nacht bei einem Edel-
mann logirt, sich des Morgens frühe nemblich den 24. ge-
dachten Monats Septembris uffgemacht, zuvorderst
im Feld öffentliche Betstunde halten lassen und damit
auf Costian, unterwegs mit Singung etlicher Psalmen an-
haltend, fortgereist und jezuweilen Ihre Sterbensgedanken
auf dieser ganzen Reise verspüren lassen. Und als Sie
nahe bei Costian kommen, haben Sie Ihren Secretarium
und Sattelknecht vorangeschickt, um dem schwedischen
Commandanten in Costian Ihrer Fürstl. Gnaden Beikunft
anzukündigen, welche aber nicht wieder zurückkommen
*) D. h. in der Absicht.
104 Oswald Collmann.
[seind], dieweil sich eben in selbiger Stadt dieses Unglück
begeben, dass die Pohlen auf die schwedische Garnison
daselbst einen Anschlag gemacht und in der vorher-
gegangenen Nacht denselben auch zu Werk gerichtet,
die schwedische Garnison darin niedergehauen und die
Stadt verschlossen. Dahero weil die Vorangeschickten
von den Pohlen mit List ein- und nicht wieder heraus-
gelassen worden, [hat] niemand erfahren können, was
es in der Stadt vor eine Beschaffenheit habe*.
„Als nun Ihre Fürstl. Gnaden mittags zwischen 10
und ii Uhren vor die innerste Pforte der Stadt kommen,
seind Sie abgestiegen, vermeinend, bei guten Freunden
zu sein und die schwedische Garnison noch darin zu
finden, da dann unvermuthet zwei Schüsse aus der Stadt
geschehen und dadurch leider Ihre Fürstl. Gnaden einzig
und allein also getroffen, dass Sie davon gefallen und
todt blieben, und ob sich wohl die beiwesenden Officierer
und Bediente [haben] betaühen wollen, Ihre Fürstl Gnaden
zu salvieren und davon zu bringen, so seind aber zugleich
die Pohlen so stark ausgefallen, und [haben] die Bediente
samt der Convoy mit Schiessen und grosser Gewalt ab-
getrieben, und ob sie sich zwar im Feld wider gesetzt
und zu scharmutziren angefangen, [haben sie] doch nichts
ausrichten können, sondern sich wiederumb nacher Posen
begeben müssen . . . und haben danach Ihre Fürstl. Gnaden
in dieser mühseligen Welt gelebt 38 Jahre 4 Monate und
15 Tage «)
Mit dieser Darstellung stimmt auch der von Pufen-
dorf — natürlich in viel kürzerer Form — gegebene Bericht
inhaltlich vollkommen überein.
Wir haben sonach für das Datum des 24. September
bezw. 4. Oktober 1655 drei gewichtige Zeugnisse:
1. Die Textstelle nebst Randbemerkung des Haus-
lehrers Pilecki,
2. Die Aussage Pufendorfs,
*) Gerechnet vom 9. Mai 1617 — 24. September 1655, wobei
der Geburts- und der Sterbetag nur als 1 Tag gerechnet wurden.
Des Landgrafen Friedrich von Hessen Todesritt. 105
3. Die Angabe der „Personalia", welche, unter den
obwaltenden Umständen, fast den Wert einer, wie wir
heute sagen würden, standesamtlichen Beurkundung hat
Wir sind nun an dem Punkte angelangt, wo wir aus
den gemachten Feststellungen die erforderlichen Schlüsse
ziehen können.
1. Der Handstreich des 2egocki hat schon drei
Monate vor dem Abschluss der Konföderation von Ty-
szowce stattgefunden. Dass dadurch das Verdienst, wel-
ches sich Chr. 2egocki damals um die Sache seines Va-
terlandes erworben hat, nicht geschmälert, sondern, im
Gegenteil, noch erhöht wird, hat wohl auch Pilecki her-
ausgefühlt und deshalb das Datum, welches er sonst bei
der Erwähnung der Taten Zegockis nicht angegeben hat,
gerade hier so nachdrücklich hervorgehoben.
2. Aber wie hoch man auch den moralischen
Erfolg anschlagen mag, vom militärischen Standpunkt be-
trachtet war es gleichwohl ein vorzeitiges Unternehmen.
Als solches wird es eigentlich schon durch Kochowskis
Bemerkimg „majore ausu quam viribus" und weiter
durch den Umstand charakterisiert, dass 2egocki sich in
Kosten nicht halten konnte, sondern diese Stadt der
Rache der Schweden so bald preisgeben musste.
3. Der Landgraf ist bis zum 23. September
(= 3. Oktober) in Posen gewesen. Da er am 3. September
(= 13. September) aus Eschwege abgereist war und bis
Dessau von seiner Gemahlin begleitet wurde, — was
nicht gerade dazu beigetragen haben wird, seine Reise
zu beschleunigen — , so kann er kaum vor dem 13. Sep-
tember (= 23. September) nach Posen gekommen sein1).
x) Auf S. 140 und 141 der Chronik der Posener Benediktinerinnen
wird berichtet:
„Nach der Abreise der Frau Äbtissin und einiger Schwestern
rückten an eben diesem Tage der heil. Anna (= 26. Juli) gleich
nach dem Mittagessen die Schweden (in Posen) ein. . . Am andern
Tage zogen der Kommandant, der Kommissarius und ein anderer
älterer (Mann) ein*. . . Einige Tage später (Po tym w kielka dni) kamen
der königl. Schwager und auch der königl. Sekretär und der
ioö Oswald Collmann.
Er hat sich also nur 9 bis 10 Tage in der Hauptstadt
Grosspolens aufgehalten. Wie er sich während dieser Zeit
in Posen aufgeführt hat, darüber ist ja nichts Genaueres
bekannt. Aber das Urteil Jarochowskis, dass „diesmal"
die Haussuchung bei den Nonnen „in angemessener
Weise" vorgenommen wurde, und die Tatsache, dass der
Landgraf sie gegen die Ausschreitungen der schwedischen
Soldateska zu schützen versprochen hat, gestattet doch
den Schluss, dass er im ganzen ein Mann von humaner
Gesinnung war.
3. Am 23. September (= 3. Oktober) von Posen
abgereist, hat der Landgraf die Nacht zum 24. September
(= 4. Oktober) auf einem Edelhof, vielleicht in Bendlewo,
zugebracht. Am andern Morgen ist er vor dem ver-
schlossenen Tor von Kosten erschossen worden. Er hat
also das Innere dieser Stadt nie betreten und trägt daher
auch keine Schuld an dem, was dort etwa von den
Schweden verübt worden ist.
Insbesondere kann der nach Pufendorf (II, § 36) am
30. September (— 10. Oktober) unternommene Rachezug
der Schweden g&gen Kosten nicht auf sein Konto gesetzt
werden. Bei dieser Gelegenheit werden die Schweden
dann auch die städtischen Archive1) zerstört haben, eine
Handlungsweise, die nur dann verständlich wird, wenn
man als ihren Beweggrund nicht die Habgier der
Schweden, das Verlangen nach dem zu den Siegeln ver-
wendeten Wachs annimmt, sondern ihre Rachsucht,
Kanzler und Radziejowski an und konfiszierten (odebrali) die ganze
Artillerie der Stadt . . .*
Nun hat Karl Gustav am 15. August neuen Stils die polnische
Grenze überschritten und ist erst am 21. August in Gnesen ein-
gerückt. Wenn also der Landgraf wirklich schon „einige Tage"
nach dem 26. Juli nach Posen gekommen wäre, dann hätte er doch
den Anschluss an das schwedische Hauptheer noch sehr leicht er-
reichen können!
!) Die Angabe ist jedenfalls zum mindesten übertrieben, denn
das Königl. Staats- Archiv zu Posen enthält eine ganze Anzahl städti-
scher Vogt- und Schöffenbücher, auch Originalurkunden des 16.
und 17. Jahrhunderts.
Des Landgrafen Friedrich von Hessen Todesritt. 107
d. h. den Wunsch, die Einwohner für die dem Chr.
Zegocki gewährte Unterstützung1) zu bestrafen.
4. Der Landgraf hat sich auch vor Kosten als ein
tapferer Soldat benommen. Dies bezeugt nicht nur Pi-
lecki durch die (bereits oben angeführten) Stellen des
§ II seiner Lobschrift, es ergibt sich auch aus der kurzen
Bemerkung Kochowskis: „auch jener (d. h. der Land-
graf) greift zum Schwert und versucht, den plötzlichen
Angriff abzuwehren"2).
Diese Anerkennung aus dem Munde der Gegner
ist aber um so wertvoller, weil späterhin das Charakter-
bild des Landgrafen auch in dieser Beziehung der schmach-
vollsten Entstellung ausgesetzt gewesen ist8).
Dem aufmerksamen Leser werden sich, wenn auch
hoffentlich keine Zweifel an der Richtigkeit meiner Schluss-
folgerungen, so doch vielleicht noch einige Fragen auf-
*) Wenn Jarochowski in seiner mehrfach erwähnten Schrift
(S. 61) sagt: „Als die Aufständischen einige Tage nach diesem
Treffen nach Kaiisch abrückten, marschierten Schweden von der
Posener Besatzung nach Kosten und metzelten die an dem Vorfall
gänzlich unschuldigen Einwohner des Städtchens nieder („wy-
rzneji niewinnych calkiem w tym wypadku mieszkancöw miasteczka),
so setzt er sich damit in Widerspruch zu Kochowski, der jene Un-
terstützung unumwunden zugiebt: Factum dehinc ut... Poloni...
sine sanguine (d. h. ohne eigene Verluste) ac tumultu oppido poti-
rentur, juvantibus oppidanis, qui praesidiarios intra hospitia com-
pulsos ac dedititios in potestate ac custodia retinuerant. Climacteris
II üb. 2, pg. 103.
Danach hatten die Kostener Bürger die schwedischen Sol-
daten in ihren Quartieren überfallen und gefangen genommen.
2) „Corripit et ille ensem, subitamque vim reprimere tentat".
*) Vgl. Wanda Dobrzepolska, Krzysztof Zegocki czyli oswo-
bodzenie Kosciana. Poznan, 1877. — In dieser „historischen** (!) Er-
zählung von der Befreiung Kostens wird der Landgraf nicht nur als
ein Mensch gekennzeichnet, der „ohne Gefühl, ohne Mitleid, ohne
jede edlere Empfindung, ohne Ehre und Glauben, nur nach Sättigung
seiner schmutzigen Begierden und Leidenschaften strebte, der durch
seine Grausamkeit und Habgier selbst die schlimmsten unter den
schwedischen Anführern überbot", sondern er wird auch — sowohl
mit Worten wie durch die ihm zugeschriebene Handlungsweise —
als ein elender Feigling charakterisiert!
108 Oswald Collmann.
drängen, und zwar zunächst wohl diese: Wer war denn
nun eigentlich der Besiegte von Kosten? denn von einem
Siege über den Landgrafen kann doch im Ernst nicht
die Rede sein.
Darüber gibt Pufendorf (II, § 36) folgende Auskunft:
„Diese Stadt (Kosten) hielten 200 Mann schwedisches
Fussvolk unter dem Oberstwachtmeister (praef ectus vigilum)
Forbes besetzt Diese wurden von einigen Abteilungen
polnischer Adliger unversehens überfallen und bis auf
den letzten Mann niedergemacht1)". — Der Oberst-
wachtmeister Forbes war also der von 2egocki Besiegte.
Die zweite Frage dürfte wohl so lauten: Wie verhält
es sich eigentlich mit den von Kochowski berichteten
und ihm von anderen Schriftstellern nacherzählten Jagd-
ausflügen des Landgrafen?
Von diesen Jagdausflügen erwähnt Pufendorf nichts,
und die Schilderung, welche die „Personalia" von dem
Todesritt des Landgrafen geben, widerstreitet direkt dieser
Behauptung.
Gleichwohl möchte ich die Erzählung von der Jagd des
Landgraf ennichtfür eine blosse „ Jagdgeschichte " halten. Der
junge Fürst war, wie wir jetzt sagen würden, ein grosser
Sportsmann, und so ist es denn wohl denkbar, dass das Ge-
folge, mit dem er von Posen her angeritten kam, mehr einem
Jagdzuge glich als einer militärischen Eskorte. Daraus mag
sich dann diese Überlieferung gebildet haben.
Diese Auffassung stützt sich auf eine Mitteilung
Rommels, des Geschichtschreibers von Hessen, der in
Bd. I seines Werkes sagt: „ Seiner in Eschwege zurück-
gebliebenen Gemahlin und seinen drei noch unversorgten
Töchtern hinterliess er zwei Lehngüter im Herzogtum
Bremen und Verden, die ihm von der Königin Christine
geschenkt worden waren, aber unter dem Nachfolger Karl
*) Aus dieser Bemerkung Pufendorfs ziehe ich den Schluss,
dass in dem oben angeführten Satze Kochowskis: „factum dehinc
ut Poloni . . . sine sanguine ac tumultu oppido potirentur", der Aus-
druck „sine sanguine" in dem Sinne von „ohne eigene Verluste-
verstanden werden muss.
Des Landgrafen Friedrich von Hessen Todesritt 109
Gustavs durch eine schwedische Reduktionskommission
ohne alle Entschädigung wieder eingezogen wurden;
ferner (hinterliess er) ein mit Diamanten besetztes Porträt
seines königlichen Schwagers, einen von englischen
Pferdeliebhabern sehr gerühmten Marstall und eine treff-
liche Anzahl wohl abgerichteter Falken/1
Doch wir beschäftigen uns hier schon mit dem
Nachlass des Landgrafen und haben ihm ja noch nicht
einmal ein ordentliches Begräbnis zu Teil werden lassen!
In dieser Beziehung ist es ihm leider noch recht
schlecht ergangen. „Nach jenem Unglück bei Kosten
waren seine Begleiter, unter denen sich auch ein Graf
von Nassau befand, nach Posen zurückgeflohen. Die von
Karl Gustav zur Abholung des Leichnams des Prinzen
abgesandten Boten wurden (von den Polen) gefangen.
Man fand endlich — nach dem blutigen Rachezug der
Schweden gegen Kosten — seinen in einer Leimgrube
verborgenen Körper, welcher eine Zeit lang zu Lissa in
einer evangelischen Kirche beigesetzt, erst nach zwei
Jahren zur väterlichen Heimat zurückgebracht und in der
Hauptkirche zu Eschwege beerdigt wurde."
Dieser Bericht Rommels ist noch in einigen Punkten
zu ergänzen.
Ende April 1656 erschienen die Polen vor Lissa, um
die evangelischen Einwohner dieser Stadt dafür zu züchtigen,
dass sie es mit den Schweden gehalten hatten. Nachdem
sie die schwache schwedische Besatzung zersprengt hatten,
drangen die Polen am 28. April in die Stadt ein *). „Diese
wurde nicht geschont, die Wohnungen und Läden wurden
geplündert; ausserdem schändete man (zbezczeszczono)
auch die in der tschechischen Kirche (d. h. in der Kirche
der böhmischen Brüder) befindliche Leiche des hessischen
Landgrafen Friedrich, eines schwedischen Heerführers,
der vor anderthalb Jahren (przed pöltora rokiem)8) bei
Kosten gefallen war."
l) Karwowski, Kronika miasta Leszna. Poznan, 1877 pg. 28.
*) Wenn diese Angabe richtig wäre, müsste der schwedisch-
polnische Krieg schon im Herbst 1654 begonnen haben.
HO Oswald Collmann.
Die Zerstörung von Lissa, welche unter den ob-
waltenden Umständen als ein Ausbruch des religiösen
Fanatismus erschien, erregte in der protestantischen Welt
Aufsehen und Entrüstung. Allgemein bedauerte man den
Untergang dieses Sitzes gelehrter Bildung. Für die land-
gräfliche Familie von Hessen verband sich mit diesem
Bedauern aber noch eine rein persönliche Sorge, da sich
ihren Gliedern die Frage aufdrängen musste: „Was mag
aus der Leiche unseres unglücklichen Verwandten ge-
worden sein?"
Um hierüber Gewissheit zu erlangen und, wenn
möglich, ihre Überführung nach Hessen in die Wege zu
leiten, hat sich einer von Friedrichs Brüdern, der Land-
graf Hermann zu Rothenburg, schon bald nach der Zer-
störung Lissas an eine in der Nähe des Kriegsschau-
platzes lebende Verwandte seines Hauses, die Gemahlin
des Herzogs Christian von Wohlau1), gewendet Ihre
Antwort — datiert Ohlau, den 16. Juni 1656 — befindet
sich bei den auf den Landgrafen Friedrich bezüglichen
Akten des Marburger Archivs und lautet in der Haupt-
sache wie folgt:
„ . . . Belangend nun unsre liebe Leiche, deren Zu-
stand Ew. Fürstl. Gnaden von mir ... zu wissen begehren,
ist selbe ja Gott Lob noch vorhanden und durch etzliche
fromme Leute von unseres Hofpredigers Herrn Ursini
Befreundeten errettet worden . . . Nachdem diese ehrliche
Leute nichts als ihr kümmerliches Leben zur Beute be-
halten, (haben) sie sich deshalb desperat gewaget, durch
ihre so grausam wütende Überwinder durchzustehlen und
in die in vollem Brand stehende Kirche zu dringen, den
lieben und so erbärmlich zugerichteten, halb zerfallenen
Körper mit grosser Mühe und Beschwer in einen neuen
*) Christian war der vorletzte Fürst aus dem Piastischen Hause
Liegnitz-Brieg- Wohlau. Da seine beiden Brüder, Ludwig IV. von
Liegnitz und Georg III. von Brieg, ohne männliche Erben vor ihm
starben, so vereinigte er (1664) a^e drei Fürstentümer, um sie 1672
seinem einzigen Sohn Georg Wilhelm zu hinterlassen. Mit diesem
letzteren (f 1675) erlosch der Stamm der Piasten.
Des Landgrafen Friedrich von Hessen Todesritt. III
Sarg zu bringen, worauf sie ihn an einem heimlichen
Ort, den niemand als 4 Personen wissen, verwahret, als
so ganz . . . verarmte Leute der Hoffnung lebend, dermal
einst einer dankbaren Belohnung zu gemessen, welche
ihre Treue und Gutwilligkeit auch allzuwohl verdienet,
und ist nun schon der gewesene Lissnische Stadtvogt1),
als der autor dieses guten Werkes, bereits von uns hier
vorangeschicket, dem übermorgen, . . , meines Gnädigen
Herrn (Gemahls) Leibdragoner auf ein 20 Pferd folgen
werden, die liebe Leiche von da in eins unsrer Städt-
chens, Herrnstadt genannt, so nur 5 Meilen von der Lissa
lieget, bei der Nacht zu bringen, allwo sie hernach . . .
ohne einige weitere Gefahr bis zu der Abholung sein
kann . . ."
Dieser Bericht wird noch durch ein anderes Schrei-
ben ergänzt, welches, aus Crossen vom 26. Juni 1656
datiert, von einem gewissen „Ruland, Pfaff" an den Land-
grafen Hermann gerichtet ist:
. . . Ew. Fürstl. Gnaden berichte (ich) hiermit unter-
thänig, dass ich am verwichenen Montag nachmittag umb
2 Uhr allhier ankommen (bin) und Ew. Fürstl. Gnaden
Schreiben sobald Ihrer Churfürstl. Durchlaucht2) (habe)
überreichen lassen. Folgenden Dienstag umb 9 Uhren
haben Ihre Churfürstl. Durchlaucht mich fordern lassen,
and (ich) habe (nun), was Ew. Fürstl. Gnaden mir an-
befohlen, vollends mündlich vorgebracht, worauf Ihre
Churfürstl. Durchlaucht mir noch folgendermassen be-
richtet, dass der Landrichter, Herr Schlichting, nach seiner
Ausflucht aus Polnisch Lissa allhier gewesen, umständlich
und ausführlich berichtet, dass er nach dem Brande er-
fahren, dass die Polen das fürstliche Körper aus dem
Sark geworfen, selbiges ganz ausgezogen, den Sammet,
womit der Sark bekleidet (gewesen), ganz herausgerissen,
1) Johannes von Schlichting, Statthalter („administrator", s.
Comenius, Lesnae excidium) des Boguslaus Leszczynski, des Grund-
herrn der Stadt Lissa und des sie umgebenden Landgebiets. —
2) Elisabeth Charlotte, Tochter Friedrichs IV. von der Pfalz,
Witwe des Kurfürsten Georg Wilhelm von Brandenburg.
112 Oswald Collmann.
und das Körper also liegen lassen, worauf er, Herr Schlich-
tung, etliche Tage hernach zwei Mann hineingeschickt,
das Körper wieder in den blossen Sark legen lassen und
in ein Gewölbe, welches er vor seine Kinder hat machen
lassen, zwei Ehl tief vergraben und beisetzen lassen.
Dieweil nun kein Mensch anitzo in Lissa, auch in Frau-
stadt über 4 (?) Mann nicht seind, auch uff 6 Meilen keine
schwedische Garnison, (dieweil) dass auch die Polen
stetig da herumstreifen, also dass sich niemand darumb
darf sehen oder blicken lassen, wird die Ablangung1)
Anstand haben müssen, bis etwa die schwedischen Völ-
ker da herumb kommen. Und weil vermutlich Herr
Schlichting noch zu Cüstrin sein soll, habe ich mich re-
solviret, heute von hier und nach ihm zu8) zu reisen, um
fernerer Nachricht bei selbigem mich zu erholen"
Zur Erklärung dieses Briefes dürfte folgendes zu
bemerken sein. Nicht allein aus Gründen des Gefühls,
sondern auch wegen der grossen Kosten, die mit dem
Transport einer fürstlichen Leiche auf so weite Entfernung
notwendigerweise verbunden waren, musste den Ange-
hörigen vor allen Dingen daran liegen, Gewissheit da-
rüber zu erlangen, ob die in Lissa befindliche Leiche
auch wirklich die des Landgrafen Friedrich war. Deshalb
war, wie es scheint, der Schreiber des obigen Briefes von
dem Landgrafen Hermann abgeschickt worden, um bei
einem Augenzeugen jener Vorgänge, wenn irgend
möglich bei einem der Männer, die bei der Bergung der
Leiche mitgewirkt hatten, die nötigen Erkundigungen
einzuziehen. Wie wir aus einem der folgenden Briefe
ersehen werden, ist es dem Pfarrer Ruland damals nicht
gelungen, alle Zweifel an der Echtheit der Lissaer Leiche
zu zerstreuen.
Inzwischen waren von Ohlau aus die Massregeln
zur Abführung der Leiche nach Herrnstadt ins Werk gesetzt
worden. Der nächste Brief der Fürstin Luise, (datiert
*) d. h. die Abholung.
2) d. h. ihm entgegen.
Des Landgrafen Friedrich von Hessen Todesritt. 113
Ohlau, den 28./18. Juli 1656) hat den Zweck, dem Land-
grafen Hermann die Namen der bei der Rettung der
Leiche beteiligten Lissaer und ihre Ansprüche auf Ent-
schädigung mitzuteilen. Zu dem Brief gehören als Einlage
zwei Blätter von schriftkundiger Hand, denen folgendes
zu entnehmen ist: „Bei Zerstörung und Einäscherung der
Stadt ist genannte fürstliche Leiche aus dem Sarge zwar
ausgeworfen worden von den Polen, aber nachfolgends
wieder von gewissen Personen eingesarget, wiederum in
die Kirche versenket worden, welches . . . mit grosser
Gefahr und Dransetzung Leibes und Lebens geschehen
durch nachfolgende Personen: Die ersten waren Martin
Woyde, ein Zimmermann, und dessen zwei Brüder, die
andern David Stock und David Leisnitzer, alle beide Lissler,
endlich Melchior Just, ein Schuster, wie wohl etliche mehr
dabei gewesen, welche dem ersten, Martin Woyde, bewusst
(sind). Diese haben auch die . . . Leiche wieder aus der
Erde ausgegraben, als sie nacher Herrnstadt ist bei-
gesetzet und von daraus (d. h. von Lissa aus) abgeführet
worden".
An diese Aufzählung schliessen sich einige Bitten
„. . . Weil die Geistlichkeit das ihre in allerwege gethan,
. . . dass ja derselben nicht vergessen werde, und dass
auch einmal die itzo zwar eingeäscherte reformierte Kirche
bedacht werde. Dass sonderlich oben genannte Personen,
so ihnen die Beförderung der landgräflichen Leiche
(haben) angelegen sein lassen, mit einigem Gratial möchten
begnadet werden . . . Sollte es aber Gott also dirigieren,
dass auch der ganzen reformirten Cemeine von Ihrer Kgl.
Majestät in Schweden einige Gnade wiederfahren möchte,
also wollen sie auch hiermit um gnädige Intercession
angehalten haben, sich unterdessen aller Gnaden und
Vorschubs getröstende . . ."
Bezugnehmend auf dieses Schriftstück sagt nun die
Fürstin Luise in ihrem Briefe vom 28./18. Juli 1656: . . .
Ew. Fürstl. Gnaden werden aus Inliegendem, welches
auch eine Lissnische Hand aufgesetzet, zu ersehen haben,
was es vor eine eigentliche Meinung und Beschaffenheit
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Pror. Posen. Jahrg. XIX. 8
114 Oswald Collraann.
mit bewussten Leuten hat Weil demnach zu ihrem
Recompens ein nicht geringes erfordert werden würde,
wollen Ew. Fürstliche Gnaden mich gnädigst vor
entschuldigt halten, dass vermöge *) dero gnädigem Befehl
ich anitzo nicht solches zu avanciren vermag, weil auf
letztvergangene Johannis, zur Befriedigung meiner
Creditores, ich mich ziemlich desboursiret, unterdessen
aber, was etwa an Unkosten den guten Leuten drauf
gangen, und was vor Verehrung2) wegen der Abfuhr nach
der Herrnstadt (hat) geschehen müssen, habe ich schon
gut gemacht, und ist solches nur um ein Dutzend Dukaten
zu thun gewesen8), welche ich aber nicht wieder
begehre . . ."
Post scriptum. Den 13. dieses Stili novi seind Ihre
Majestät, meine gnädigste Königin*), Gottlob, wieder zu
Besteigung dero Throns glücklich nach WarSaw angelanget.
Der General Wittenberg nebst anderen vornehmen
schwedischen Cavallieres sind noch alleweil dar6) im Arrest,
dürften auch wohl bis zu endlichem Auschlag des Krieges
dar verharren. Die Weichsel hat sich sehr ergossen
und also die grosse Brücken fortgeführet, verhindert dero-
wegen, dass keine Partie zur andern kommt, würde sonst
verhoffentlich ehestens das ander von diesem tragödischen
Lied zu hören sein6)."
Die Herzogin ahnte sonach nicht, dass, während sie
dieses schrieb, die dreitägige Hauptschlacht bei Warschau
bereits begonnen hatte.
x) d. h. gemäss.
2) d. h. Trinkgelder.
3) d. h. es hat sich nicht billiger machen lassen.
4) Marie Louise, die Gemahlin des Johann Kasimir.
5) d. h. dort, in Warschau.
6j Nicht sowohl infolge dieser Überschwemmung, als „propter
moras Brandenburgici tractatus" (Pufendorf) kam das schwedisch-
brandenburgische Heer nicht zeitig genug, um das von den Polen
unter Johann Kasimir belagerte Warschau zu entsetzen: am 21. Juni
(=1. Juli st n.) 1656 musste sich Wittenberg mit der schwedischen
Besatzung den Polen ergeben. Er wurde mit den anderen hohen
Offizieren und Beamten nach Zamosc* gebracht und soll dort noch
vor dem Ende des Krieges gestorben sein.
Des Landgrafen Friedrich von Hessen Todesritt. 115
Die Angelegenheit der Abführung der Leiche scheint
dann wieder Monate lang geruht zu haben. Erst unter
dem 22./12. Februar 1657 macht Herzog Christian von
Ohlau dem Landgrafen Hermann bezüglich der dortigen
politischen Lage im allgemeinen und des bei dem Transport
der Leiche zu beobachtenden Verhaltens im besonderen
folgende Mitteilungen:
„Belangende nun die Affaires in Preussen und Polen,
so ist nicht ohne1), dass selbige sich wieder durch den
Marsch des Ragotzi in2) Polen ziemlich verändert (haben),
auch man deswegen in hiesigen Ohrten8) von Ihrer
Kaiserl. Majestät auf alles4) genau Acht zu haben Ordre
bekommen, wie dann etliche Regimenter allbereit, da5) es
not thun sollte, alle Stunden in Bereitschaft stehen, um
die Grenzen gegen Polen damit zu besetzen. Weilen aber
neulicher Zeit eine Botschaft6) an Ihre Kaiserl. Majestät
nach Wien kommen (ist), und Ihre Kaiserliche Majestät
vor gewisss versichert (hat), dass sein Herr nicht das
Geringste wieder sie zu tentiren im Sinne hätten7), sondern
bloss die polnische Krone, so Ihnen schon längst von den
Ständen angeboten worden, suchten, als halte ich davor,
weil auch itzo alles stille, es werde dieser Krieg gestillet
sein. Sonsten lieget zu Grossglogau nur ein Commendant
namens Oberst du Mers . . . Zur Liegnitz würde sich
nur bei Sr. Liebden meinem Bruder Herzog Ludwigen
anzugeben8) sein, welcher doch über selbigen Commen-
danten zu gebieten hat (und) schon in einem und andern
Ew. Liebden abgeschickten Leuten beizuraten wissen
würde. Zur Herrnstadt, wo die fürstliche Leiche stehet,
ist niemand von Soldaten mehr, also würde es da gar in
nichts difficultet geben, verlange nur nochmals schleunigen
A) d. h. so ist etwas Wahres daran.
2) = nach.
3) d. h. hierorts.
4) d. h. auf alle Vorgänge jenseits der Grenze.
5) = wofern.
•) = ein Gesandter.
*) Plur. majestatis: Ihre Fürstl. Gnaden Georg IL R&köczy.
8) = zu melden.
8»
Il6 Oswald Collmann.
Bericht, wenn und zu welcher Zeit eigentlich das Werk soll
vor die Hand genommen werden, damit zu ein und
anderm ich zeitliche Anstalt machen könne . . ."
Endlich, im Mai 1657, erschien, unter Führung eines
Herrn von Boyneburg, eine hessische Abordnung in Ohlau,
um die weitere Beförderung der Leiche zu übernehmen.
Aus diesem Anlass hat dann die Herzogin Luise noch
folgendes an den Landgrafen Hermann geschrieben: Ohlau,
den 15./5. Mai 1657. . . . „Ew. Liebden thue ich hiermit
unterthänigste Reverentz und bin über die Ankunft dero
Abgeordneten nicht wenig erfreut worden. Danke es dem
lieben Gott von Herzen, dass vermöge Ew. Gnaden treuer
Sorgfalt es doch nun endlich so weit gediehen, dass die
liebe Leiche zu ihrem rechten Ruhekämmerlein gelangen
und der hohen fürstlichen Interessenten Gemüther gleich-
falls auch ihre Beruhigung darob überkommen werden . . .
Bitte darbei Ew. Gnaden demütigst, Ihnen um Gotteswillen
keine weiteren Scrupel machen zu lassen, als wenn es
etwa nicht die rechte Leich sein sollte, habe dessentwegen
(dem) Mr. Boyneburg alle möglichen Assecurationes gethan,
welcher sie Ew. Gnaden hinwiederumb thuen wird; habe
sonsten (d. h. übrigens) die 150 Rthlr. von ihm wohl
empfangen1) . . . Was sonsten etwa hier unsere Nouvelles
seind, wird Mr. Boyenburg alles berichten können; kann mir
einbilden,2) wie abgeschmackt, schlecht und butt8) ihm
alles hier vorkommen muss. Wenn uns aber der liebe
Gott nur den Frieden erhalten wollte, hätten wir ihm
doch vor seiner uns erzeigte Wohlthat herzlich zu danken,
scheint ja aber, dass die Leute unseres Hofes blind seind
oder werden wollen, so augenscheinlich zu ihrem Unter-
gang zu rennen; hoffe noch immer das Beste, und dass
die Rechte des Herrn alles wenden kann, anders würden
wir armen Schlesier in Kurzem scaco matto werden. . ."
Die Versicherungen der Herzogin hinsichtlich der
Identität der Leiche scheinen ihre beruhigende Wirkung
x) Nämlich als „gratial* für die Lissaer Bürger.
2) d. h. vorstellen.
8) d. h. dumm.
Des Landgrafen Friedrich von Hessen Todesritt. 117
nicht verfehlt zu haben. Jedenfalls wurden die durch
Herrn von Boyneburg aus Herrnstadt abgeholten sterb-
lichen Reste am 24. September 1657, also genau zwei
Jahre nach dem Tode des Landgrafen Friedrich, in dem
Erbbegräbnis der Familie zu Eschwege feierlich beigesetzt.
Was endlich die in dem obigen Schreiben ange-
deutete Befürchtung anbetrifft, dass die Parteinahme des
Kaisers Leopold I. für Johann Kasimir die Leiden eines
Krieges über Schlesien bringen würde, so bewahrheitete
sie sich glücklicherweise nicht. Denn nachdem Georg II.
Räköczy durch die in Polen eingedrungenen kaiserlichen
Truppen zurückgetrieben und gezwungen worden war,
dem Bündnis mit Schweden zu entsagen, wandte Karl
Gustav seine Waffen nicht gegen die österreichischen
Erblande, sondern er verliess im Juli 1657 Polen, um sich
zunächst auf Dänemark zu stürzen, das der Kaiser zum
Krieg gegen Schweden bewogen -hatte.
Der grosse Brand von Posen
am 15. April 1803.
Von
Rodgero Prümers.
^alb Posen liegt in Asche. Der grösste Teil der
Judenstadt und Breiten Strasse, die ganze Grosse
und Kleine Gerberstrasse und der Graben sind
niedergebrannt. Die Flamme wütet noch. Der Schaden
ist nicht zu berechnen.
Mit solch lapidarer Kürze meldet die Südpreussische
Zeitung vom 16. April des J. 1803 das entsetzliche Un-*
glück, welches die Stadt Posen durch den am Tage
vorher ausgebrochenen Brand betroffen hatte.
Am Nachmittage gegen 4 Uhr kam in einem kleinen
nahe an der Stadtmauer belegenen und mit Schindeln
gedeckten Judenhause x) Feuer aus, das bald so um sich
griff, dass alle Anstalten zum Löschen vergeblich wurden.
Da, wo das Unglück seinen Anfang nahm, standen
eine Menge hölzerner Wohnungen dicht in einander ge-
baut, mit Ecken und Winkeln, die den Feuerspritzen den
Zugang schwierig machten. Die Arbeiter mussten die
Spritzen verlassen, wegen des Menschengedränges konnte
man nicht einmal einige Häuser niederreissen, und so ver-
zehrten die wütenden Flammen bis zum 16. April in der
Frühe 276 Häuser.
*) Wir folgen hier einem Berichte der Posener Kriegs- und
Domänenkammer vom 16. April 1803 an das General-Direktorium zu
Berlin. Geh. Staats-Archiv zu Berlin; Gen. Dir., Südpreussen, Ort-
schaften Nr. 1645 Vo1- I.
120 Rodgero Prümers.
Das ganze Judenviertel mit Ausschluss der linken
Seite der Judenstrasse, die Dominikanerkirche mit ihren
Türmen, die Schustergasse, die Grosse und Kleine Ger-
berstrasse, der grösste Teil der Breitenstrasse und der
Graben mit dem dort befindlichen Hebammeninstitut lagen
in Asche. Der Königliche Holzhof war ausgebrannt, die
evangelische Kirche auf dem Graben jedoch gerettet
Wenigstens 2,000,000 Taler an Häusern, Waren und
Effekten hatte das Feuer verzehrt. Auch das Jesuiten-
Colleg war bis 2 Uhr Nachts bei dem heftigen Winde
in steter Gefahr, ein Raub der Flammen zu werden; der
Kammer-Präsident von Haerlem fing schon selbst an zu
räumen, liess seine Sachen wegschaffen und gab Befehl
zur Bergung der Kassen, als der Wind sich legte und
dadurch eine günstige Wendung eintrat1). Durch das
Wegreissen einiger Häuser2) gelang es dann, das Jesuiten-
Colleg zu erhalten, wunderbarerweise auch die Wallischei-
brücke.
Die Kriegs- und Domänenkammer traf sofort energi-
sche Massregeln für die Sicherheit und Ordnung in der
unglücklichen Stadt. Da das noch immer andauernde
Feuer bei dem beständigen Winde die strengste Aufsicht
forderte, zumal der grösste Teil der Kanäle unter der
Erde brannte, so überliess man die Sorge für das Löschen,
wie auch die Räumung der Strassen und Herstellung
eines ungehinderten Verkehrs dem Magistrate.
Die innere Glut der Brandstellen wurde aber erst
zum Erlöschen gebracht, als seit dem 20. April kaltes von
Regen begleitetes Wetter eintrat.
Die in der Nähe wohnenden Domänen-Beamten, wie
die Domänen wurden aufgefordert, schleunigst Leute mit
Eimern und sonstigen Feuerlöschgeräten sowie Pferde
und Wagen zu stellen. Die Kammer selbst liess sich die
Unterbringung und Verpflegung der Verunglückten ange-
*) Bericht des Kr. u. D. Rats Nöldechen vom 16. April 1803
ebend. an v. Voss.
2) Bericht von Haerlems vom 16. April 1803 im Geh. St.-A. zu
Berlin, Gen. Dir., Südpreussen, Ortschaften Nr. 1645 Vol. I.
Der grosse Brand von Posen am 15. April 1803. 121
legen sein und ernannte hinzu eine Kommission, regte
auch allenthalben in der Nachbarschaft die Lieferung der
nötigsten Lebensbedürfnisse an. Das Proviantamt wurde
veranlasst, für die grosse Zahl der Abgebrannten Brod
zu backen, das Militär, welches nicht in der Stadt bleiben
konnte, auf Verlangen des General-Majors v. Zastrow in
den nächsten Dörfern untergebracht
Dass sich die niedrigen Leidenschaften der Men-
schen bei dem allgemeinen Unglück auch zeigen würden,
war zu erwarten. Vieles wurde bei dem Rettungswerke
gestohlen, und selbst in die Warthe versenkte Kisten und
Chatouillen fanden die Eigentümer erbrochen am Ufer
wieder, ihres wertvollen Inhaltes beraubt. Die Polizei tat
aber ihre Pflicht Nach acht Tagen hatte sie bereits 59
dieser schmählichen Menschen hinter Schloss und Riegel
gesetzt. Ein Schifferknecht, der gestohlene Sachen auf
seinem Kahne verheimlichte, erhielt auf öffentlichem Markte
20 Kantschuhiebe. Zwei Kähne mit Diebesbeute wurden
einige Meilen unterhalb Posens angehalten, die Schiffer
nach der Stadt zurückgebracht, mit 50 Kantschuhieben
bewillkommt und an den Untersuchungsrichter abgeliefert,
wie die Südpreussische Zeitung ihren Lesern zu berichten
wusste. Aus ihr aber war diese Nachricht in die Spener-
sche Zeitung vom 26. April übergegangen, und da hatte
es der Minister v. Voss gelesen. Dies war ihm denn doch
zu arg. „Dass — ergriffene Schiffer und Schifferknechte —
schon vorläufig und bevor sie noch an das Inquisitoriat zur
Untersuchung und Strafe abgeliefert worden, mit 20 — 50
Kantschuhieben bewillkommnet worden, scheint mir we-
nigstens mit der preussischen Justizpflege ganz unver-
ständlich", schreibt er erregt an den Justizminister von
Goldbeck, und dieser muss gleicher Ansicht gewesen sein,
denn er forderte unverzüglich den Regierungs-Präsidenten *)
von Götze zur Erklärung auf, die bereits am 6. Mai er-
folgte und sich dahin ausliess, dass die Kantschuhiebe
und zwar 10 Rutenhiebe an ein Dienstmädchen und 20
x) d. h. den Chef der Justizverwaltung in Südpreussen.
122 Rodgero Prümers.
Kantschuhiebe an einen Schiffer, auf Grand einer summa-
rischen Untersuchung und eines vom Stadtgerichte abge-
fassten Erkenntnisses gegeben seien. Die Posener Kammer
hatte sich sogar für Spiessrutenlaufen erklärt1).
Aus einer Bekanntmachung der oben erwähnten
Kommission erfahren wir ferner, dass einige Personen,
wahrscheinlich in wucherischer Absicht, ganze Häuser
mieteten, andere Hauseigentümer den Abgebrannten eine
ganz unbillige Miete abforderten. Daher wurde für sämt-
liche verfügbare Zimmer ein nach der bisherigen Miete
angemessener Preis festgesetzt2).
Leider waren Reibereien zwischen der Kommission
und der Stadtverwaltung nicht ganz zu vermeiden. Der
Stadtdirektor Bredow beschwerte sich, dass die Kom-
mission nicht mit dem Magistrate Hand in Hand gehe.
Sie ziehe freiwillige Gaben ein und verteile sie, 624 Rtl.
16 Gr. unter 474 Familien. Das betrage auf eine Familie
etwa 8 Ggr. Unmöglich könne auch der kleinsten wesentlich
damit geholfen sein, da an Lebensmitteln vieler Orten
zur Zeit Überfluss sei und jede Familie damit unentgelt-
lich reichlich versehen werde. Die kleine Barschaft werde
seines Erachtens für den Abgebrannten, der sich über
sein Schicksal noch nicht gehörig gefasst habe, eine
neue Quelle des Verderbens. Er vertrinke sie in soge-
nannter Desperation und sei morgen noch übler dran
als heute8).
Seitens des Königs erging an den Minister v. Voss
der Befehl, „sofort für die ersten dringenden Bedürfnisse
der Abgebrannten Sorge zu tragen, zunächst aber über
die Unterstützung derselben zum zweckmässigen Re-
tablissement gutachtlich zu berichten"4).
1) Geh. St-A. zu Berlin, Gen. Dir., Südpreussen, Ortschaften
Nr. 1645 Vol. I.
2) Südpreussische Zeitung Nr. 32 und 33.
8) Bericht vom 23. April 1803.
*) Kab.-Ordre vom 21. April 1803 im Geh. St. A. zu Berlin,
Gen. Dir., Südpreussen, Ortschaften, Nr. 1645 Vol. I (Original).
Der grosse Brand von Posen am 15. April 1803. 123
In Folge eines zweiten königlichen Schreibens vom
28. April begab sich der Minister zwei Tage darauf nach
Posen. Wie er sagte, sollte dort sein erstes Augenmerk
sein, „vorzüglich die durch den Brand ruinierten Hand-
werker zur Wiederaufnahme ihrer darniederliegenden
Gewerbe möglichst in den Stand zu setzen und für die
Stadt zu conservieren". Auch versprach er, zur Abhelfung
der augenblicklichen Bedürfnisse die von dem Könige be-
willigten 10,000 Rtl.1) nach den Umständen, jedoch mit
aller Sparsamkeit zu verwenden. Weiter wusste er be-
sonders die Tätigkeit des Bischofs Ignaz Raczynski zu
rühmen, der nicht nur auf dem Dom überhaupt, wie auch
in seinem Palais allen entbehrlichen Raum zur einst-
weiligen Wohnung hergegeben, sondern auch die Geist-
lichkeit durch einen Aufruf aufgefordert hatte, die Hülfs-
bedürftigen in die Klöster aufzunehmen und Sammlungen
zu veranstalten2).
Aus dem Berichte der Posener Kammer entnehmen
wir, dass die Kommission zunächst mittelst eines Vor-
schusses von einigen hundert Talern, später aber allein
aus den eingegangenen milden Gaben 592 der ärmsten
notleidenden Familien mit 484 Talern 81/* Gr. unter-
stützte. Die völlig erwerbslosen Abgebrannten wurden
-beim Abbrechen der Giebel und Schornsteine und dem
Wegräumen des Schuttes gegen Tagelohn angestellt
Dank des schon erwähnten Entgegenkommens der Geist-
lichkeit waren in zwei Tagen nahezu 100 Familien unter
Obdach und derart untergebracht, dass sie einen ihrer
*) v. Voss war sehr sparsam mit diesen Geldern umgegangen.
Bis zum 4. Juli 1803 waren nur 3550 Rtl. ausgegeben. Eine
Kabinets-Ordre von diesem Tage genehmigte die Verteilung des
Restes an die abgebrannten Subalternbeamten. Der Präsident der
Regierung von Goetze könne auf eventuellen Antrag des Justiz-
ministers eine Gratifikation aus Justizfonds erhalten. Die Räte und
Justiz-Kommissarien seien zu einer extraordinären Unterstatzung
nicht qualifiziert Geh. St. A. zu Berlin, Gen. Dir., Südpreussen,
Ortschaften, Nr. 1645 Vol. 3.
2) Geh. St A. zu Berlin: Akta des Kabinets König Friedrich
Wilhelms III. Rep. 89 Nr. m Bl. 13.
124 Rodgero Prümers.
Zahl und ihrem Gewerbe entsprechenden Raum hatten.
Die von den Bürger-Repräsentanten rekognoszierten Hand-
werker erhielten Unterstützungen unter dem Namen von
Vorschüssen zum Wiederanfang ihrer Gewerbe. Auf
solche Art waren 94 Handwerker und gewerbetreibende
Familien bis zum 3. Mai mit einem Aufwände von
3028 Talern wieder in Tätigkeit gesetzt Ausserdem
erhielten die vielen in der Schustergasse abgebrannten
Schuster Vorschüsse an Leder im Werte von 5 — 10 Talern,
auch wurde Handwerkszeug, das in Posen nicht zu be-
schaffen war, auf Rechnimg der Kommission verschrieben.
Sie gab am 3. Mai ihren Auftrag in die Hände der
Kammer zurück. Ihre Einnahmen hatten bis dahin
5390 Taler 19 Gr. 10 Pf., ihre Ausgaben 3512 Taler
8 Gr. 6 Pf. betragen. Dazu kam aber noch der in natura
von den Erben des ehemaligen Domherrn Rogalinski
überlieferte, zum Teil aus Pretiosen bestehende Nachlass
desselben, der um Johanni d. J. versteigert werden und
an die ärmsten Abgebrannten verteilt werden sollte.
Sein Wert wurde auf 1200 Taler geschätzt.
Das waren natürlich nur geringfügige Summen
gegenüber dem ungeheuren Feuerschaden. Eine sum-
marische Nach Weisung1) beziffert die Zahl der ab-
gebrannten Personen in der Breitenstrasse und Neben-
strassen auf 1542, auf dem Graben und der Gerberstrasse
auf 1069, in der Judenstadt auf 2569, das sind im ganzen
5180 Personen mit einem materiellen Schaden in Höhe
von 1528 in Taler 21 Gr. Und wenn auch wirklich der
angegebene Schaden den wahren Verlust um ein Drittel
überstiege, wie v. Voss2) meint, so war er doch immer-
hin sehr beträchtlich und ohne staatliche Beihülfe nicht
zu ersetzen. In dieser Ansicht musste ihn auch der Not-
*) Geh. St. A. zu Berlin, Gen. Dir., Südpreussen Ortschaften
Nr. 1645 Vol. I.
2) Geh. St. A. zu Berlin, Bericht des Ministers v. Voss vom
12. Mai 1803 in den Akten des Kabinets Friedrich Wilhelms III.
(Rep. 89 Nr. in Bl. 15).
Der grosse Brand von Posen am 15. April 1803. 125
schrei bestärken, den die Repräsentanten der Bürgerschaft
an ihn richteten1). Sie baten zum Wiederaufbau der
Häuser und Werkstätten um 50 % Bauhülfsgelder. Femer
möchte jedem erlaubt sein, den nötigen Bedarf an Dach-
und Mauersteinen sich selbst anzuschaffen, wie und wo
er es nur immer am wohlfeilsten finde, ohne verbunden
zu sein, in diesem ausserordentlichen Falle seinen Bedarf
von den Ziegeleien der Stadtkämmerei für einen höheren
Preis zu decken. Ferner möchte Feldbrand gestattet
werden, wozu die Kämmerei den notwendigen Lehm un-
entgeltlich hergeben solle. Die Ausfuhr des Bauholzes,
welches in der Provinz zu mangeln anfange, müsse auf
einige Zeit verboten werden. Die Brücke über den
Graben nach St Roch, die früher bestanden, sei wieder-
herzustellen. Endlich führen sie aus: „Dass die hiesige
Stadt und Bürgerschaft durch die Juden schon viele
ähnliche und zur Zeit noch weit grössere Zerstörungen
erlitten hat, beweisen die Stadtakten zur hinlänglichen
Überzeugung. Aus dieser gehet hervor, wie im Jahre
1447 die Gärberstrasse, im Jahre 1464 das Dominikaner-
kloster, im Jahre 1539 der grösste Theil der Stadt mit dem
Rathause und der St. Martin-Vorstadt, im Jahre 1590
ebenfalls ein Theil der Stadt durch das in die Judenstadt
ausgekommene Feuer in Asche gelegt worden ist Ausser-
dem ist noch im Jahre 1633 ein Theil und zuletzt im
Jahre 1764 die ganze Judenstadt allein mit der grössten
Gefahr der Bürgerhäuser in Flammen aufgegangen, als
welche Verwüstungen lediglich durch die unordentliche
Lebensart der Juden und ihren mit finsterem Aberglauben
verknüpften Gewohnheiten verursacht worden sind. Da
nun der grösste Theil der hiesigen Juden kein bestirntes
Gewerbe treibet, sondern die meisten als Faktores von
zufälligen Gewinn aus Aufträgen von andern, Schacherey
und Facienden leben, wozu sie eigentlich nach Cap. I
§ 13 des neuen Juden-Reglements gar nicht zugelassen,
*) Geh. St A. Berlin: Gen. Dir., Südpreussen, Ortschaften.
Nr. 1645 Vol. 1. Original vom 4. Mai 1803.
I2Ö Rodgero Prümers.
ja in solchem Falle gar nicht geduldet werden sollen, so
wäre es die grösste Wohlthat für die hiesige Stadt, wenn
darin die Vorschrift des Juden-Reglements in Erfüllung
gebracht und dabei auf Verminderung der starken Zahl
hiesiger Juden Rücksicht genommen werden möchte, als
wozu die ehemaligen geistlichen Städte die beste Gelegen-
heit darbiethen, wenn selbige in diese Städte vertheilet
werden möchten."
Aus der Antwort des Ministers entnehmen wir, dass
die Bürgerschaft allerdings hoffen dürfe, „den nieder-
gebrannten Teil der Stadt auf eine solide, geräumigere
und der allgemeinen Sicherheit entsprechende Weise
baldigst" wieder hergestellt und das gestörte Gewerbe
der Stadt von Neuem belebt zu sehen. Hierzu würde
alles mögliche Entgegenkommen gewährt werden. Die
vorgeschlagene harte Massregel gegen die Juden könne
aber nicht genehmigt werden. „Die Juden sind einmal
Einwohner und Unterthanen, denen der Staat Schutz wie
den übrigen angedeihen lässt, und es liegt ganz ausser
den Grundsätzen der Staats- Verfassung, sie zu Verstössen
und von Orten, wo ihr Aufenthalt mit den Gesetzen nicht
in Widerspruche stehet und sie durch vorhandene Ver-
bindungen sich am besten erhalten können, nach andern,
wo sie diese Vorteile erst mühsam wieder erwerben
müssten, zu relegieren." Wenn sie wegen ihrer unordent-
lichen Lebensart in Bezug auf Feuersgefahr besonders
zu fürchten seien, so würde es doch hart sein, sie
anderen Orten aufzudrängen. Der Grund für die
häusliche Unordnung und Unreinlichkeit der Juden liege
aber ohne Zweifel in dem beschränkten Räume, in
welchem sie zusammengedrängt gewesen, und sie würden
gewiss jene Fehler ablegen, wenn sie nicht in den
Grenzen der bisherigen Judenstadt so übereng zusammen-
gehalten würden, sondern man die gehegte Absicht aus-
führe, ihnen beim Retablissement Gelegenheit zu geben,
dass sie mit ihren Wohnungen sich in einem ihrer Zahl
angemessenen Teile der Stadt ausbreiten könnten und
Ordnung und Reinlichkeit lieben und üben lernten,
Der grosse Brand von Posen am 15. April 1803. 127
welches in ihrer bisherigen Lokalität unmöglich
gewesen sei1).
Dementsprechend waren dann auch die Vorschläge,
welche v. Voss dem Könige unterbreitete: Aufhebung der
zwecklosen Judenstadt und Anweisung von Bauplätzen
für einen Teil der Bewohner in dem neuen Stadtteile,
überhaupt Weiterauseinanderbauen, also Vergrösserung
der Grundstücke und Verbreiterung der Strassen, soweit
dies angängig war, ohne den Grundstücken die nötige
Tiefe zu nehmen, Aufgaben der Grabenvorstadt für den
Bau von Wohnhäusern — damit falle auch die Notwen-
digkeit der Wiederherstellung der Warthebrücke nach
St Roch — und Bewilligung von 40 % Bauhülfsgeldern
mit 536000 Talern, oder, wie die Abgebrannten
es wünschten, von 50 % m^ 670000 Talern. Der
König bewilligte 50 %• Ausserdem verlangte v. Voss
zur Vergütung des Wertes für den Grund und Boden,
der zu den 162 zu verlegenden Bürgerstellen nötig war,
zur Bezahlung einiger wegen der Strassen-Verbreiterung
in der Altstadt wegzubrechender Gebäude, zur Planierung
der neuen Strassen und Pflasterung, zur Anlage öffent-
licher Brunnen, zur Erbauung einer massiven Brücke
zwischen Altstadt und Graben, zur Bauaufsicht und zur
Anschaffimg einer Prahmspritze und sonstiger Lösch-
geräte 100 000 Tlr. Auch diese Forderung wurde vom
Könige genehmigt2). Mit der Ausarbeitung der Pläne
wurde der Kriegs- und Domänenrat Heermann betraut.
Vom 15. Juni 1803 datiert das „Reglement für den
Retablissements-Bau des am 15. April d. J. eingeäscherten
Theils der Stadt Posen und deren gleichzeitige Erweite-
rung." Sie ist gedruckt zu Posen bei Decker & Comp.
Hauptgrundsätze desselben waren Massivbau, Aufg^en
der Grabenvorstadt, Auflösung des Judenviertels, Er-
weiterung der Stadtgrenzen.
^^jeh. Staats-Archiv Berlin, Gen. Dir., Südpreussen, Ort-
schaften. Nr. 1645 Vol. 1.
2) Geh. St. A. zu Berlin, Gen. Dir., Südpreussen, Ortschaften.
Nr. 1645 Vol. 3 Bl. 1.
128 Rodgero Prümers.
Zur Wiederherstellung der abgebrannten 276 Wohn-
häuser wurden 50 % Bauhtilfsgelder bewilligt, aber nur
dann, wenn die Häuser massiv nach zweckmässigen und
genehmigten Anschlägen errichtet wurden. Ausgeschlossen
von der Bauhülfe waren Hinter-, Neben- und Wirtschafts-
gebäude, auch selbst nach der Strasse belegene Be-
wehrungen. Für Umwandlung der Schindeldächer in
Ziegeldächer wurden 25 % Hülfsgelder bewilligt
Ausserdem kamen die Repräsentanten der Bürger-
schaft noch mit der Bitte, da kein Bürger auf seiner Stelle
bleibe, alo auch keiner die alten Fundamente benutzen
könne, weshalb nur wenige wegen der hohen Kosten
bauen könnten, noch 30 % aus dem Schulfonds oder
ähnlichem zinsfrei oder gegen geringe Prozente auf
mehrere Jahre zu leihen1). Das wurde nun freilich
abgelehnt, doch muss sich später das Ministerium von der
Notwendigkeit weiterer Unterstützung überzeugt haben,
da besondere Beihilfen für schwierige Bauten, Fundamente
und dergl. zugesagt wurden9). Ja, es wurden endlich sogar
50 % Beihilfe für die Fundamente, welche unter .10' gingen,
gewährt tt).
Um den Betrieb einzelner Handwerke von der Strassen-
front nach den Höfen zu verlegen, wurden z. B. den Bäckern
und Schneidern besondere Beihilfen in Aussicht gestellt,
wenn sie ihre Werkstatt im Hinter- oder Seitengebäude
einrichteten. So erhielten die Schmiede Leitgeber und Kunkel
50 % der Kosten für Seitengebäude ersetzt4).
Die Aufwendungen6) der einzelnen blieben immer
noch sehr hoch, da der Kalk sehr teuer war, und „öfters
*) Eingabe vom 8. Juni 1804. Ebendas. Nr. 1645, Vol. 5.
*) Ebendas. Vol. 10. Verfügung vom 18. Januar 1805.
8) Kabinets-Ordre vom 14. März 1805 Ebendaselbst. Vol. 10.
*) Ebendas. Vol. 11.
ß) Die Retablissements-Baukommission berechnete ein massives
Gebäude von 40' Tiefe und 50' Tiefe Länge, a Etagen hoch, mit
gewölbtem Souterrain, die Plinthe aVa' über der Erde, die I. Etage io',
die IL 11' im Lichten, mit ordinärem Dache und doppeltstehendem
Stuhle stelle sich auf 6314 RtL, 13 Gr., 3 Pf., bei 60' Länge auf
7576 RtL, 11 Gr., 6 Pf., bei 70' Länge auf 8807 RtL, 14 Gr., 9 Pf.
Der grosse Brand von Posen am 15. April 1803. 129
der dritte Theil vom Werthe der Materialien zu einem
Gebäude für den Kalk angewendet werden muss." Auch
-war der Mangel an Ziegeln schuld, dass die Ausführung
der Bauten sich unliebsam verzögerte1).
Die Strassen sollten eine Breite von 5, die kleineren
von 4 Ruten haben. Die Plätze für die Wohnhäuser in
der Altstadt erhielten durchweg eine Front von 50' Länge,
eine Tiefe von 40 — 45'. Die Häuser selbst aber wurden
in der früheren Ausdehnung erbaut, während die Hoftiefe
sich nach dem verfügbaren Räume richtete. Nur für zwer
Etagen wurden Hilfsgelder bezahlt. Die Giebel durften
nicht der Strasse zugewandt sein.
Unter solchen Verhältnissen reichte der verfügbare
Kaum in der Altstadt nur für 114 Häuser aus; für die
Errichtung der übrigen 162 Häuser musste anderweitig
Platz geschaffen werden, und der fand sich in vorzüglicher
Weise in der bereits seit 1793 im Entstehen begriffenen
Neustadt Hier sollten die Strassen jedoch 6 oder 5 Ruten
breit sein, im übrigen aber die Bestimmungen für die
Altstadt auch hier Anwendung finden. Enteignung der
erforderlichen Grundstücke musste jeder sich gefallen lassen.
Da der Bauplan auf vier Jahre angenommen wurde,
— i. J. 1803 sollten 50 Häuser fertig gestellt werden —
schien es angebracht, unter den Interessenten eine Reihen-
folge festzusetzen und hierin zunächst Kaufleute, Brauer,
Bäcker und alle diejenigen, die zu ihrem Gewerbe vor-
züglich Raum und feuersichere Werkstätten nötig hatten,
zm berücksichtigen. Bei gleichen Ansprüchen entschied
das Los. Allerdings konnte jemand auch früher mit dem
Bau beginnen, durfte aber auf Zahlung der Baugelder
«erst rechnen, wenn die Reihenfolge an ihn kam. Ausgezahlt
wurden die Hilfsgelder zu je einem Drittel bei Beginn
des Baues, wenn das Haus unter Dach war und nach
Beendigung und Abnahme des Baues.
Eine besondere Kommission zur Ausführung und
Beaufsichtigung dessen Vorschriften wurde eingesetzt
l) Ebendas. Vol. 12.
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Prov. Posen. Jahrg. XIX.
13° Rodgero Prümers.
Sie bestand aus dem Kriegs- und Steuerrat v. Timroth,
dem Stadt- und Polizeidirektor Flesche, einer noch zu
bestimmenden Justiz-Person, dem Polizei-Inspektor Tatzler
und einem noch zu ernennenden Bau-Beamten. Letztere
Stellung wurde dem Bauinspektor Triest mit dem Titel
eines Oberbaudirektors und 3 Rthl. Diäten neben seinen
bisherigen Bezügen übertragen1). Zu den Aufgaben der
Kommission gehörte es, die Reinigung der Baustellen von
Schutt und Steinen zu besorgen, die zu erweiternden und
neu anzulegenden Strassen, Plätze und Baustellen abzu-
steken und anzuweisen, für Herbeischaffung des Materials
Sorge zu tragen, es zu revidieren und jährlich den Plan
für den Retablissementsbau vorzulegen. Auch stand ihr
die Untersuchung und Entscheidung aller vorfallenden
Streitigkeiten zu. Die Appellation von ihrem Ausspruche
ging an die Kammer und in weiterer Instanz an das
Provinzial-Finanz-Departement Betrafen die Streitigkeiten
aber blos jura privatorum, „so sollen selbige an das ordent-
liche Gericht verwiesen werden, wobey jedoch der Kom-
mission und nicht dem Kläger die Wahl des Fori frei stehen
soll. Ueber alle in diesem Reglement vestgesetzten Gegen-
stände soll aber gar kein Prozess gestattet werden".
Es war eine überaus schwere Aufgabe, die zu lösen
war; denn die Interessen befanden sich in schärfstem
Widerstreite. Jeder wollte eine Baustelle in der Altstadt
haben, keiner hatte Zutrauen, dass er in der Neustadt auch
seine Nahrung finden würde. Sie müssten ja armselige
Bettler werden. Das drückt sich auch in der Taxe aus a)r
die durch die Posener Kammer zwei Jahre später vor-
geschlagen und vom Minister genehmigt wurde.
Nach ihr galten die Grundstücke auf der Altstadt
für die I. Klasse, ingleichen für die Breite-, Gerber-,.
Grosse Juden-, Schlosser- und Schuhmacherstrasse
12 Rthl. für die QR, in der übrigen Gegend 10 Rthl.,
auf der Neustadt in der Wilhelm- und Friedrichstrasse,.
*) Ebendas. Vol. 3. Bestallung vom 9. Juli 1903.
*) Geh. St. A. Berlin, Gen. Dir., Südpreussen, Ortschaften.
1645. Vol. 10. BL 28. Taxe vom 2. März 1805.
I
Der grosse Brand von Posen am 15. April 1803. 131
am Neuen Markte1), Berliner Strasse, Magazinstrasse und
in dem von der Berliner Strasse nach dem Markte
führenden Zuge 5 Rthl., von Kuhndorf2) nach der Berliner
Strasse und in den Strassen von der Berlinerstrasse
nach St Martin 4 Rthl., von St. Martin nach den
neuen Gärten8) 3 Rthl, in den neuen Gärten bis zu den
Benediktiner-Nonnengärten 2 Rthl., von da ab bis zum
Ende der Stadt 1 Rthl. Die Gegend, welche zur Fischerei
gehörte und nun zur Gerberstrasse gezogen werden
sollte, wurde dagegen auf 10 Rthl. für die [JR geschätzt
Selbst die Verlosung der Bauplätze erwies sich als
nicht so einfach, wie sie wohl gedacht war. Der
Minister hatte entschieden, dass die Ouvriers, Handel
und Gastwirtschaft treibenden Personen in allen Gegenden
der Alt- und Neustadt möglichst auf die passendsten
Stellen verteilt, und den Bauenden die Vorteile, welche
mit ihren ehemaligen Grundstücken verbunden gewesen,
soweit es die Umstände zuliessen, wieder zugewandt
würden. Die Kommission aber war der Meinung, nur
die Lage des abgebrannten Grundstückes könne für die
Verlosimg in der Neustadt massgebend sein. Das Gewerbe
oder sonstige Eigenschaft des Eigentümers sei gar nicht
zu berücksichtigen, da derjenige, der von den Einkünften
eines Hauses in der Breiten Strasse gelebt habe, ohne
einen anderen Erwerbszweig gehabt zu haben, die
gerechtesten Ansprüche habe, um ein Grundstück in
bester Lage der Neustadt losen zu dürfen. Hiervon aus-
gehend hatte sie die oben erwähnte Klassifizierung vor-
genommen, und das Generaldirektorium konnte sich
diesen Gründen nicht verschliessen4).
Einen Vorschlag aber lehnte es zunächst doch ab,
und das war die sofortige Einbeziehung des jüdischen
Begräbnisplatzes in den Bauplan, obgleich in der Gegend
*) Der jetzige Königsplatz.
2) Die jetzige Königstrasse.
*) d. h. untere St Martinstrasse und Petriplatz.
*) Geh. St. A. Berlin, Gen. Dir., Südprcnssen, Ortschaften.
Nr. 1645. Vol. 8.
132 Rodgero Prömers.
der verlängerten Friedrichstrasse bis zum Königsplatz
schon lange keine Beerdigung mehr stattgefunden. Im
Prinzip freilich war die Enteignung des ganzen Terrains
schon vorher angenommen. Durch Kabinets-Ordre vom
10. März 1804 war festgesetzt, dass der jüdische Friedhof,
welcher etwa den Raum zwischen der Theaterstrasse, Frie-
drichstrasse und Wilhelmsplatz bis unterhalb der Linden-
Strasse einnahm, für öffentliche Zwecke nutzbar gemacht
würde1), trotz aller Einwendungen der jüdischen Gemeinde,
welche zunächst religiöse Bedenken geltend machte und,
als hierauf keine Rücksicht genommen wurde, wenigstens
das Eigentum des Platzes für sich retten und ihn selbst
bebauen wollte. Ein neuer jüdischer Begräbnisplatz
wurde zwischen dem Wege nach Buk und Stenschewo
von den Bauer Cinskischen Erben, vier Morgen gross,
zum Preise von 120 RthL für jeden Morgen erworben.
Eines eigentümlichen Vorschlages müssen wir hier
noch gedenken, der von dem Maurermeister Schil-
dener ausging. Er meinte nämlich, „Vorurtheile und
Bigotterie dürfte die hiesige jüdische Nation bey der
bereits geschehenen Aufhebung des Begräbnissplatzes
derselben in die Verlegenheit setzen, einen zweckmässigen
Gebrauch von den auf diesen Gräbern befindlichen
Leichensteinen machen zu können, indem diese nicht der
Gemeinde, sondern denenjenigen zugehören, die solche
haben setzen lassen. Diese also oder deren Erben würden die
Steine nach sich nehmen wollen — daraus Zank und Streit
entstehen und eine grosse Anzahl Steine von mehreren
Jahrhunderten übrig bleiben, wozu sich keine recht-
mässigen Competenten vorfinden dürften." Schildener will
nun auf dem alten Begräbnisplatz einen Tempel für die
jüdische Gemeinde in althebräischer Bauart, abweichend
von allen bekannten älteren Konstruktionen, erbauen.
Hierzu sollen die Leichensteine benutzt werden und zwar
in der Art, dass diejenigen, welche „mit einer hebräischen
*) Geh. Staats-Archiv zu Berlin, Gen. Dir., Südpreussen, Ort-
schaften. Nr. 977.
Der grosse Brand von Posen am 15. April 1803. *33
Inschrift versehen, sorgfältig nach ihrer Anciennität ge-
ordnet und selbige bei dem Aufbau des Tempels der-
gestalt verwandt würden, dass die Inschriften die äusseren
Wände des Tempels decoriren müssten, und dem
Vorübergehenden von der Erde an bis in die Höhe die
Leichensteine sichtbar würden und überhaupt ein schönes
Ganze bildeten." Die originelle Idee konnte schon des-
halb nicht verwirklicht werden, weil nach der Erklärung
der jüdischen Repräsentanten der Priesterstamm über
keine Leichengruft gehen dürfe, mithin, da der Tempel
auf dem Begräbnisplatze errichtet werden solle, die
Hauptpersonen nie in den Tempel kommen könnten.
Übrigens gehörten die Leichensteine nicht einzelnen
Personen, sondern der Synagoge, welche dieselben als
unveräusserliche Reliquien betrachten und konservieren
müsse.
Eine Kabinets- Ordre1) vom 1. Februar 1806 ge-
nehmigte die Planierung des alten Beerdigungsplatzes
und die Erhöhung des Wilhelm- und Königsplatzes,
sowie das Planieren und die Verlängerung vier neuer in
der Nähe liegenden Strassen mit der gewonnenen Erde.
Manchen Beschränkungen und Bevormundungen
seitens der Behörde waren die Bauenden unterworfen.
Die Posener Kammer hielt es bei der Verschiedenheit
der Schlosser- und Tischlerarbeiten für erforderlich, zur
Vermeidung weitläufiger Untersuchungen und etwaiger
Abänderungen Muster für die zu jedem Bürgerhause
nötigen einzelnen Baustücke unter Aufsicht des Oberbau-
direktors Triest anfertigen und auf dem Rathause zur
öffentlichen Besichtigung mit dem Bemerken ausstellen
zu lassen, dass jeder, der sich nicht nach diesen Modellen
richte, keine Bauvergütigung oder wenigstens nicht das
letzte- Drittel zu erwarten habe2).
Gesuche um Vorschüsse lehnte das südpreussische
Departement grundsätzlich ab.
*) Ebendort. (Original).
2) Geh. St. A. Berlin, Gen. Dir., Südpreussen, Ortschaften
Nr. 1645 Vol. 8.
134 Rodgero Prümers.
Gegen die zu niedrige Taxe der abzutretenden Grund-
stücke wurde vielfach Einspruch erhoben, doch fast immer
ohne Erfolg. So beklagte sich der Rendant Riemann bitter,
dass ihm für die ^R nur 3 Rthl. zugebilligt seien, während
der Hypotheken-Registrator Urban sein auf St. Martin
gelegenes Grundstück, den Mäuseberg1), der viel weiter
von der Stadt entfernt, für 6708 Rthl. verkauft habe.
Ich bringe hier noch einige Einzelheiten, da ich auf
alles unmöglich eingehen kann.
Die Scharfrichterei war in der Mauergasse zwischen
der Gerberstrasse und Büttelgasse in einer mitabgebrannten
Bastion gewesen. Nunmehr sollte der Scharfrichter Gun-
dermann einen Platz von 3958/4 GR am Ende der St
Martinstrasse in Erbpacht erhalten. Da hier aber die
Kreuzung zweier Hauptstrassen vorgesehen war, so ent-
schied man sich für einen Platz vor der Wilda- Vorstadt,
nicht weit vom Hochgericht und der Kämmerei-Ziegelei.
Gundermann wollte nun zwar nicht unter dem Gericht —
es war noch 240 Schritte entfernt — wohnen und lehnte
ab, erhielt aber durch das General-Direktorium den Befehl
zur Annahme2).
Im nächsten Jahre wurde ein massiver Kanal von
der Büttelgasse bis zur Warthe angelegt8). Bei den Über-
schwemmungen des Jahres 1888 noch machte er sich
dadurch unliebsam bemerkbar, dass durch ihn das Warthe-
wasser bis auf den Alten Markt sich ergoss.
Bekanntlich war das Hebammeninstitut auf dem
Graben niedergebrannt. Um seine segensreiche Tätig-
keit möglichst wenig zu unterbrechen, kaufte die Regie-
rung das von dem Brauer Tschusch ke neu erbaute Nach-
barhaus. Dieser selbst erhielt einen Bauplatz am Sa-
piehaplatze, wozu sicherlich seine Eingabe an die Kammer
nicht wenig beigetragen hat, in der er schreibt4):
*) In der Gegend des jetzigen Stadttheaters.
2) Verfügung vom 7. Oktober 1803.
8) Geh. St. A. Berlin, Gen. Dir., Südpreussen, Ortschaften. Nr.
1645 Vo1- 7-
4) Schreiben vom 6. Juni 1804 ebendas. Vol. 5.
Der grosse Brand von Posen am 15. April 1803. 135
„Ueberdem hat diese Anlage von Brauerey auch
noch den Zweck, dass sowohl Berliner Weiss Bier, als
auch mehrere verfeinerte Biere darinnen fabricirt werden
können, woran Posen noch bis jetzt Mangel hat und jähr-
lich wenigstens an 30,000 Rthl. ins Ausland für Englische
und Porter Biere blos aus hiesigem Orte gesendet werden,
die dem Staat verloren gehen. Wenn das hiesige Publi-
kum nur hier bessere und schmackhaftere Biere erhalten
kann, so wird es sich auch von den kostspieligen theuren
ausländischen Bieren entwöhnen, mit hiesigen weit wohl-
feileren sich begnügen und nach und nach die Einfuhr
fremder ausländischer Biere, wenngleich nicht ganz ver-
schwinden, doch ansehnlich vermindert werden".
1805 wurde ein Teil des Allerheiligen Kirchhofes
zur Anlegung einer Gasse von der Fischerei nach der
Grabenstrasse durch die Kommission erworben, im selben
Jahre das Spritzenhaus auf dem Neuen Markte erbaut,
auf dessen Stelle jetzt das Gebäude der Provinzial-
Feuersozietät steht
Der Brand war auch die Veranlassung zur endgültigen
Aufhebung eines Klosters. Das Dominikaner-Nonnenkloster^)
war mit abgebrannt Von den vier noch vorhandenen
Nonnen starb eine im Jahre 1804, die übrigen drei wurden
auf das Posener Katharinenkloster2), das Posener Bene-
diktinerinnenkloster8) und das Kloster zu Owinsk verteilt.
Die Competenz von 705 Rthl. 23 Gr. 4 Pf., welche ihnen
jährlich zustand, wurde ihnen bis zu ihrem Tode zuge-
sichert, der Grund und Boden aber zum Retablissement
eingezogen.
Dass die Dominikaner, deren Kirche grösstenteils
abgebrannt war, den Wunsch hegten, auf ihrer alten
Stelle zu verbleiben, ist leicht begreiflich.
*) Das Kloster der Dominikanerinnen der dritten Regel, ge-
genüber dem Dominikaner-Kloster.
*) Das Kloster der Katharinerinnen oder Dominikanerinnen auf
<ler Wronkerstrasse.
*) Das frühere Gorkasche Palais, Eckhaus der Wasser- und
Klosterstrasse.
136 Rodgero Prümers.
Schon am 2. Mai suchten sie um die Erlaubnis
nach, ihre Hauptkirche und deren Nebenkapelle wieder
aufzubauen, da sie jetzt ausser Stande seien, ihre strengen
Ordensgesetze und den erforderlichen Ritus nach der
Andacht auszuüben, zugleich auch die christliche Lehre,
wie es ihre Gesetze durchaus erforderten, fortzupflanzen.
Eine Beihülfe beanspruchten sie nicht, da sie ausser dem
baren Gelde, welches der Konvent dazu hergeben könne,
einige Wohltäter gefunden hätten1) und noch einige glaubten
ausfindig machen zu können.
Aus der am 8. Mai stattgefundenen Verhandlung er*
gibt sich, dass es in der Absicht des Ministers v. Voss
gelegen hatte, sämtliche Konventualen in benachbarte
Klöster unterzubringen und das Klostergebäude selbst zu
anderen Zwecken zu bestimmen, weil die Erweiterung
und Geradeziehung der Strassen und die Wegräumung
aller feuergefährlichen Gebäude die nächste Sorge sein
müssten.
Der allgemeine gute Ruf, in welchem der Prior
Clemens Frazunkiewicz und sämtliche Klostergeistliche
ständen, und das vorzüglich gute Beispiel, welches
dieselben durch ihre ausübende Moralität dem Publiko
gäben, hätten aber den Minister bestimmt, den sehnlichen
Wunsch der Herren Dominikaner, das Kloster beizu-
behalten, zu gewähren. Doch müsste die zum grössten
Teile eingestürzte grosse Klosterkirche nebst der darin
angebrachten S. Hyacinth-Kapelle ganz heruntergerissen
und nicht wieder aufgebaut werden. Dies ginge um so
eher, als beim Kloster noch eine Kirche unter dem
Namen St. Maria-Kapelle, mit allem kirchlichen Schmuck
versehen, vorhanden sei, die gegen 1430 Quadratfuss
inneren Raum enthalte, auch in den sehr geräumigen
Kreuzgängen des Klosters, sowie dieses schon geschehen,
Altäre errichtet und Andachten abgehalten werden
2) Der Magistrat hatte sich erboten, das Kloster wieder aufzu-
bauen. Bericht der Posener Kammer vom 10. Mai 1803 im Geh.
St. A. zu Berlin, Gen. Dir., Südpreussen, Ortschaften, Nr. 1645. Vol. 2.
Der grosse Brand von Posen am 15. April 1803. 137
könnten. Ferner müssten Nebengebäude, Mauern und
Garten im Bedarfsfalle für das Retablissement hergegeben
werden.
Der Prior wollte nicht einwilligen, dass die grosse
Kirche, als ein Gott geweihter Ort, von ihrer Stelle ge-
rückt würde, noch weniger, dass sie ganz eingehen solle.
Er bat, „diese Erklärung nicht als eine Widerspänstigkeit
gegen die höchsten Befehle oder als bösen Willen, zur
Verbesserung der Stadt nicht beytragen zu wollen, zu
deuten, sondern zu glauben, dass er in alles, was mit
seinen Pflichten nach canonischen Gesetzen ihm zu thun
und einzuwilligen erlaubt sei, einwillige11.
Nachdem sich sodann noch der Bischof Raczynski
für die Erhaltung der Kirche ausgesprochen, wurde dies
durch eine Verfügung des General- Direktoriums vom
22. Juli 1803 genehmigt, von dem Kirchhofe und Garten
des Klosters aber musste ein Teil zu Baustellen ab-
getreten werden, wozu es sich übrigens selbst erboten
hatte. Auch wurde das Kloster später noch verpflichtet,
eine passende, geschmackvolle Fa?ade nach den Plänen
des Ober-Baudirektors Triest zu erbauen. Die von
diesem entworfenen Skizzen aber fanden nicht den Bei-
fall des Dominikaner-Priors, welcher durch den Hofbau-
kondukteur Friedrich andere Zeichnungen einsandte, die,
wie Triest berichtet, „unter aller Critik schlecht aus-
gefallen sind und das Gepräge gänzlicher Unbekanntheit
mit der Architektur verrathen". Deshalb sieht er sich
ausser Stande, mit dem Prior in weitere Unterhandlungen
treten zu können, „weil ihm von einer besseren, einfacheren
Architektur einen Begrif beizubringen oder ihn von der
schlechten gewählten Architektur, die unter keine Ordnung
gestellt werden kann, zu überzeugen, wohl nichts meiner
Seits helfen möchte".
Die Verhandlungen zogen sich noch bis in das
nächste Jahr hinein und endigten schliesslich darin, dass
im wesentlichen nach den Plänen Triest auf Kosten des
Klosters gebaut wurde, ob gerade zum Vorteil der Sache,
muss dahin gestellt bleiben. Dehn es ist mindestens sehr
138 Rodgero Prümers.
fraglich, ob man mit der Wahl Triests zum Oberbauleiter
einen glücklichen Griff getan hatte. Etwas nüchterneres,
als die aus dem Retablissementsbau von 1803 — 1806 her-
rührenden jetzt mehr und mehr verschwindenden zwei-
stöckigen Häuser mit ihrem Ochsenauge in der Breiten-
und Gerberstrasse kann man sich kaum vorstellen1), und
wie die Oberbaudeputation des General-Direktoriums über
die Befähigung des Triest dachte, bringt ihr Gutachten
über den vom ihm eingereichten Vorschlag, nach welchem
die Materialien, Maurer- und Zimmerarbeiten zu behandeln
wären, zum unzweideutigen Ausdruck. Das Reglement
enthielte nur Bruchstücke der Baukunde, die grösstenteils
aus dem Handbuche der Baukunst des Geheimen Ober-
baurats Gilly wörtlich abgeschrieben und zum Nachteile
des vollständigen Unterrichts abgekürzt seien. Überdem
aber seien diese Bruchstücke derart, dass sie den Posen-
schen Werkmeistern schon hinlänglich bekannt sein
müssten, und im Fall sie so unwissend sein sollten,
würde es weit ratsamer sein, ihnen das Gillysche Hand-
buch und besonders die von dem Geheimen Ober-Baurat
Berson herausgegebene Instruktion für Bau- und Werk-
meister über die Einrichtimg und Anlage der bürgerlichen
Wohnhäuser zukommen zu lassen, worin sie nicht um
die im Triest'schen Entwürfe enthaltenen Bruchstücke
weit vollständiger, sondern noch viel lehrreicher über die
Teile der Baukunde abgehandelt finden würden2).
Auch zwischen dem Kriegs- und Domänen-Rat
Heermann und Triest herrschte nicht immer das beste
Einvernehmen. Heermann beklagte sich *) über Triest,
der sich als Oberbaudirektor seine Revisionen nicht ge-
fallen lassen wolle, sondern am liebsten sähe, wenn diese
nur durch das Oberbaudepartement geschähen. Das sei
aber eine Zurücksetzung für ihn, der mit Eifer für das
Retablissement und die Verschönerung der Stadt gearbeitet
*) Geh. St. A. Berlin, Gen. Dir., Südpreussen, Ortschaften.
Nr. 1645. v°l- IO- ßl- 79- Bericht vom 6. März 1805.
*) Am 30. Nov. 1803. Ebendas. Vol. 4.
Der grosse Brand von Posen am 15. April 1803. 139
habe. Auch müsse Triest wenigstens die ersten Jahre
ständig in Posen sein, damit er mündlich mit ihm ver-
handeln könne. Das letztere Verlangen wurde erst im
Jahre 1805 erfüllt, als dem Triest die Assistenz des Bau-
direktors in der Posener Kammer mit dem Wohnsitze in
Posen für die Zeit des Retablissement übertragen wurde x).
Zugleich aber wurde bestimmt, dass eine Revision der
von Triest gefertigten Bauanschläge fernerhin nicht durch
Heermann erfolgen solle, da Triest selbst technisches Mit-
glied der Kommission sei. Vielmehr habe die Fertigung der
Anschläge durch den Bauinspektor Friedrich zu erfolgen,
und sie seien durch Triest zu revidieren2).
Die Pflasterungs-Kosten allein der Altstadt waren
auf 44393 Rthl. 15 Gr. 2 Pf. veranschlagt, ohne die Bür-
gersteige in Rechnung zu ziehen. Sie waren deshalb
so hoch, weil die Strassen des neuen Nivellements wegen
abgetragen werden mussten.
Es ist nicht genug hervorzuheben, mit welchem
Eifer sich die zuständigen Behörden des Wiederaufbaues
der Stadt annahmen. Bis zum 22. Oktober 1805 waren
seitens des Staats zum Posener Retablissements-Bau
bereits 274439 Rthl. 18 Gr. 2 Pf. gegeben.
Für das Jahr 1806 beantragte die Posener Kammer
<lie ungeheure Summe von 107350 Rthl. 22 Gr. 5 Pf.,
ungeheuer, wenn man die damaligen politischen Verhält-
nisse des preussischen Staates in Rechnung zieht. Darum
darf es auch nicht Wunder nehmen, dass v. Voss am
11. Juni 1806 schreibt8), es sei noch ungewiss, ob und
wie viel werde bewilligt werden. Vorläufig wies er
120000 Rthl. zur Ausführung der bereits genehmigten
notwendigsten Arbeiten, Strassenpflasterung, Planierung
des jüdischen Begräbnisplatzes und genehmigte Bauten
aus den bereitesten Geldern der Kriegs- und Domänen-
kasse vorschussweise an4). Auf eine weitere Forderung
*) Am 20. Februar 1805. Ebcndas. Vol. 10.
2) Verfügung vom 28. April 1805. Ebendas. Vol. 10.
3) Das Etatsjahr begann damals am 1. Juni.
4) Ebendas. Vol. 15.
140 Rodgero Prümers.
von 20000 Rthl. erfolgte aber die Antwort1), dass „bei
den gegenwärtigen Conjuncturen nicht gewillfahrt werden
kann*'. Am 8. September wurde dann durch aller-
.höchstes Reskript das Posensche Retablissement einst-
weilen sistiert2) und bestimmt, dass „alle ferneren
vorschussweisen Zahlungen für Rechnung des Re-
tablissements-Baufonds unterbleiben müssen", an dem-
selben Tage, an welchem die Feldequipage des Königs
bereits nach Halle abging, weil der Krieg mit Frankreich
unvermeidlich schien. Sein unglücklicher Verlauf liess es
nicht zu einer Wiederaufnahme der Arbeiten und ihrer
Vollendung kommen. Überblicken wir aber das, was
bereits geleistet worden war, dann dürfen wir gewiss
aussprechen, dass die preussische Regierung mit der
Schöpfung der Posener Neustadt sich einen gerechten An-
spruch auf die Dankbarkeit der Posener Bürger er-
worben hat
*) Ebendas.
2) Ebendas. Vol. 11 und Vol. 15
Der grosse Brand von Posen am 15. April 1803. I4I
Anlagen.
1.
Bericht des Kriegs- und Domänenrats Noeldechen an Minister v. Voss.
Posen, den 16. April 1803 um 5 Uhr Nachmittags.
Ans denen Berichten der Königl. Kammer vom heutigen Tage
werden Ew. Hochfreiherrlichen Excellenz von dem grossen Unglük
unterrichtet sein, welches Posen am gestrigen Tage betroffen hat.
Noch in diesem Augenblik ist der Brand heftig, indessen ist es doch
abzusehen, dass jetzt das Feuer nicht weiter um sich greiffen kann,
«s fehlt jetzt nicht an Spritzen, an Wasser und Menschen, um der
Flamme an allen Orten Grenzen zu setzen. Alles eilet aus der Nach-
barschaft herbei, und es ist um so weniger möglich, dass das Feuer
weiter um sich greiffen kann, da der heftige Wind, der eigentlich
<ias Unglük so gross gemacht hat, sich völlig gelegt und eine für
<ien verschonten Theil der Stadt glükliche Wendung genommen
hat Das Jesuiter Collegium war bis heute früh um 2 Uhr in steter
Gefahr, ein Raub der Flammen zu werden, der Herr Präsident von
Haerlem selbst fing schon an zu räumen und liess seine Effekten
zu mir schaffen; die Casse sollte soeben geräumt werden, als der
Wind sich legte, und alles eine günstigere Wendung nahm. — Wie
•die Brükke am Wallascheier Thore hat erhalten werden können,
ist unbegreiflich, so wie es nicht zu erklären ist, wie die Flammen
<ias Holzverwalter Haus, so der Assessor Puppke bewohnt, ferner
das Haus des Regiments Quartier Meister Bötticher hat verschonen
können, da der Holzhof ganz abgebrandt und der ganze Graben
niedergebrandt ist Die Wilhelmsstrasse ist der Zufluchtsort der Un-
glüklichen, ich habe 4 Familien aufgenommen, und noch mehrere
haben ihre Sachen bei mir deponirt. Nichts würde ich mit der Noth
und dem Jammer vergleichen können, wenn nicht der Ruppiner
Brand noch lebhaft meinen Augen vorschwebte. Alles lässt sich
für die Unglüklichen von Ew. Hochfreiherrlichen Excellenz Gnade
erwarten. Hochdieselben allein können jetzt aus Posen das machen,
was es nun werden kann; jetzt oder niemals kann die Stadt er-
weitert, regelmässiger gebaut, und der höchst elenden Bauart der
Judenstadt abgeholfen werden.
Traurig ist die Bemerkung, dass selbst dies Unglük schlechte
Menschen nicht abhalten konnte, sich durch Diebstahl zu bereichern,
142 Rodgero Prümers.
und vielen ist das Wenige, so sie gerettet, gestohlen worden. Glük-
licherweise haben indessen mehrere Abgebrandte ihre Waaren
und Effekten gerettet, und diese werden sich mit einiger Unter-
stützung bald wieder retabliren. Es würde einen Vorwurf verdienen,,
wenn ich für die unglükliche Stadt bitten wollte. Ew. Hochfrei-
herrlichen Excellenz Gnade für uns Posener Einwohner bürgt für
die bessere Zukunft, und wir alle werden tausendfache neue Ver-
anlassung erhalten, Ew. Hochfreiherrlichen Excellenz zu segnen!
Original im Geh. Staats-Archiv zu Berlin, Gen. Dir., Süd-
preussen, Ortschaften Nr. 1645 Vol. 1.
11.
Vorschlag des Maurermeisters Schildener, auf dem alten jüdischen
Begräbnissplatze eine Synagoge zu erbauen und deren Aussenwände
mit den alten Leichensteinen zu bekleiden. Posen, den 94- April 1804-
Vorurteile und Bigotterie dürfte die hiesige jüdische Nation
bey der bereits geschehenen Aufhebung des Begräbnissplatzes der-
selben in die Verlegenheit setzen, einen zweckmässigen Gebrauch
von den auf diesen Gräbern befindlichen Leichensteinen machen zu
können, indem diese Steine nicht der Gemeinde, sondern denen-
jenigen zugehören, die solche haben setzen lassen.
Diese also oder derer Erben würden diese Steine nach sich
nehmen wollen — daraus Zank und Streit entstehen — und eine
grosse Anzahl Steine von mehrern Jahrhunderten übrig bleiben,
wozu sich keine rechtmässigen Competenten vorfinden dürften.
Diese Leichensteine auf den neuen Begräbnissplatz zu ver-
setzen, würde eines Teils bey deren grössten Anzahl viele Kosten
verursachen, andern Teils aber doch durch die Translokazion der-
selben der Zweck verfehlt, dass sie zum Andenken der Verstorbe-
nen gesetzt wurden, da letztere von erstem getrennt werden.
Unter diesen Umständen lassen sich also mehrere Collisionen
voraussehen, wenn überdies angenommen wird, dass die Juden-
schaft diese Leichensteine keinen andern Religionsverwandten zum
Verbauen käuflich überlassen werden, noch weniger aber selbige
als geschätzte Reliquien sich gutwillig entreissen lassen dürften.
Um nun allen diesen Hindernissen vorzubeugen, alle Krän-
kungen der jüdischen Religion zu vermeiden, die Nation aber noch
mehr in der Meinung zu bestärken, dass bey dem Plan, deren Kirch-
hof zu verlegen, auch die Absicht zum Grunde liegt, einen zweck-
mässigen Gebrauch von den vorhandenen Leichensteinen machen
zu lassen und der jüdischen Gemeinde einen abermaligen Beweis
der gnädigen landesväterlichen Duldung zugleich zu geben, mache
ich den allerunterthänigsten Vorschlag, sämtliche Steine in der Art
Der grosse Brand von Posen am 15. April 1803. 14 J
zu verbrauchen, dass davon ein Tempel oder Synagoge für die
hiesige Gemeinde errichtet wird.
Bekanntlich ist Sinnlichkeit der allgemeine Hang der jüdischen
Nation, dieser würde nemlich bey dieser Gelegenheit geschmeichelt,
wenn nemlich sämtliche Leichensteine, die mit einer hebräischen
Inschrift versehen, sorgfältig nach ihrer Anciennitaet geordnet und
selbige bei dem durch sie zu bewürkenden Aufbau des Tempels
dergestalt verwandt würden, dass die Inschriften die äussern Wände
des Tempels dekoriren müssten und dem Vorübergehenden von
der Erde an bis in die Höhe die Leichensteine sichtbar würden
und überhaupt ein schönes Ganze bildeten.
Bey dieser Idee würde zugleich eine andere auszuführen
seyn, nemlich der Tempel würde unter eine Bauart zu errichten
seyn, welche eine Ausnahme von den bisherigen machen müsste,
so dass das Aeussere derselben die althebräische Bauart unter Ab*
weichung von allen bekannten altern Construktionen darstellen würde.
Wie und auf welche Art ich dieses aufzuführen unternehmen
will, werde ich, sobald Ew. Hochfreyherrliche Excellenz es gnädigst
befehlen, mittelst Einreichung der diesfälligen Zeichnung und des
Anschlags näher nachweisen. Noch nie hat sich eine Gelegenheit
ereigenet, ein zum gottesdienstlichen Gebrauch bestimmtes Gebäude
mit einem dergleichen Memento mori einzig in seiner Art zu
decoriren, dass daraus Erinnerungen hervorgehen und die Allegorie
verbinden, dass Unbestand und Vergänglichkeit aller zu einem oder
andern Behufe bestimmten Gegenstände das allgemeine Loos ist —
und einen Anblick verschaft, welcher unter zweckmässiger Metamor-
phose einen Rückblick in die Vergangenheit auf Jahrhunderte darstellte.
Durch Ausführung dieser Idee würde also der Zweck zu er-
reichen seyn, dass 1. für die Verstorbenen, denen die Leichensteine
gesetzt wurden, das schönste Denkmal errichtet würde, 2. die Stadt
durch dieses in hebräischer Art aufzustellende Gebäude eine auf
mehrere Jahrhunderte dauernde Zierde erhält, 3. Wenn zum Wieder-
aufbau der abgebrannten drey Synagogen eine Beihülfe aus Königl.
Casse erfolgen sollte, eine beträchtliche Ersparniss entstehen dürfte,
da die vorhandene Menge der Steine zu diesem Behuf hinlänglich
seyn dürften.
Schliesslich submittire ich die Bestimmung des zu Erbauung
dieses Tempels nötigen Locals, indem ich meine unvorgreifliche
Aeusserung wage, dass wol der Ort des alten Begräbnisses hierzu
am passendsten seyn dürfte, da sowol die Transportkosten für die
Steine erspart, als auch das Gebäude auf dem hohen Berge sich
vortrefflich präsentiren und mittelst Terrassirung des Berges und
Anbringung steinernen Treppen von 4 Seiten und Umfassung des
Berges mit einer Mauer von den vorhandenen Steinen überhaupt
ein vortrefliches Ganze bilden müsste. Sollte diese meine Idee
nicht Ew. Hochfreyherrliche Excellenz höchstgnädigen Beifall er-
144
Rodgero Prümers.
halten, so bitte ich nur noch, diesen ganz unterthänigsten Vortrag
als nicht geschehen gnädigst zu betrachten.
Original im Geh. Staats-Archiv zu Berlin, Gen. Dir., Süd-
preussen, Ortschaften Nr. 977 Vol. 6.
III.
Summarische Nachweisung
von den abgebrandten Einwohnern zu Posen und deren angegebenen
Verlust.
Personen
Zahl.
Verlust
Rthlr. Gr.|Pfe.
1. Von der Breiten Strasse und Neben
Strassen
1542
1069
2569
40S35Ö
597,095
S2^.o6a
9
12
2. Vom Graben und der Gerber Strasse .
3. Von der Judenstadt
—
Summa
Davon ein Drittel abgezogen
5180
1528,111! 21
509,370, 15
—
1018,741
6
—
Original im Geh. Staats-Archiv zu Berlin, Gen. Dir., Süd-
preussen, Ortschaften Nr. 1645 Vol. 1.
IV.
Weiterer Bericht der Posener Kriegs- und Domänenkammer an das
General-Direktorium über den Brand und ihre Massnahmen zur Lin-
derung der Not Posen, den 4. Mal 1803.
Wenn mit uns das hiesige Publicum bey dem am 15^ prt.
die hiesige Stadt betroffenen unglücklichen Brande vertrauungsvoll
auf Ewr. Königlichen Majestät Huld und Gnade, welche die hiesige
Stadt seit Allerhöchst Dero glorreichen Besitznahme derselben be-
glückt und schon, bis der unglückliche Brand solchen zerrüttete, zu
dem sich vor allem Südpreussischen Städten auszeichnenden
blühenden Wohlstand erhoben hat, seine gerechten Hoffnungen
richtete, so finden wir uns zu den frohesten Aussichten für die
Zukunft berechtigt, nachdem Allerhöchst dieselben geruhet haben, in
der Person Allerhöchst Dero hohen Departements-Chef Selbst Sich
zur Stelle von dem Umfange des die hiesige Stadt durch gedachten
Brandt erlittenen Unglücks zu übe rzeugen und die Mittel und Wege
zur Abhelfung desselben und zur Wiederherstellung der Wohlfarth
so vieler verunglückten Familien und desjenigen Theils der Stadt
welcher durch den Brand fast ganz gänzüch vernichtet ist, ausfindig
zu machen. Indem wir diese Ewr. Königlichen Majestät landes-
Der grosse Brand von Posen am 15. April 1803. 145
väterliche Huld und Gnade dankbar verehren, eilen wir auf das an
uns unter gestrigem dato erlassene allergnädigste Rescript unsern
«ubmissesten Bericht allerunterthänigst zu erstatten.
Da nach dem gedachten allerhöchsten Rescript Ewr. König-
lichen Majestät allergnädigste landesväterliche Absicht zuvörderst
-dahin gehet, den Verunglückten in Absicht ihrer ersten dringendsten
Bedürfnisse Hülfe zu gewähren, und Allerhöchst dieselben zu dem
Ende unsere Anzeige erfordert haben, was von uns bis jetzt zur
Unterstützung der Verunglückten geschehen, ist so verfehlen wir
nicht hiermit allerunterthänigst anzuzeigen, dass wir des andern
Tages nach erfolgtem Brande sogleich über die zweckmässigsten
und schleunigsten Mittel, wie denen ohne Obdach, Lebensmittel und
Vermögen auf den Strassen und in den umliegenden Feldern
zerstreut mit dem traurigen Ueberrest ihrer wenigen aus den
Flammen geretteten Habe herumirrenden, in der ersten Bestürzung
sich selbst nicht berathenden, Verunglückten vorläufig zu helfen, in
einer ausserordentlichen Conferenz beratschlagten. Uns schienen
für diesen Augenblick Obdach und Schutz wider den Hunger die
ersten Bedürfnisse zu seyn.
Das Personale des Magistrats war noch zu sehr mit Tilgung
der noch damals und mehrere Tage darauf lodernden Flammen und
mit Aufrechthaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung beschäftigt,
als dass wir solchen von dieser gleich dringend nötigen Beschäftigung
abziehen konnten, welches, wie der Erfolg lehrte, um so nötiger
war, als am zweiten und dritten Tage nach dem grossen Brande,
an ganz entgegengesetzten Gegenden der Stadt, nehmlich dicht am
Wronker Thore und auf der Schrodke neues Feuer entstand,
welches bey dem in jenen Tagen vorhandenen heftigen Winde
noch grössere Zerstörung drohte, glücklicherweise aber durch
augenblickliche Veranstaltungen gleich gelöscht wurde.
Wir ernannten daher zur schleunigen Unterbringung der Ab-
gebrandten und zu deren vorläufigen Verpflegung eine besondere
Commission in der Person der Krieges- und Domainen-Räthe Buch-
holz und Hahn und des Assessor, jetzigen Stadt und Polizey-Director
Flesch, forderten die benachbarten Aemter und Dominia zur
Herbeybringung der ersten Lebensbedürfnisse, Brodt, Fleisch etc.
auf, veranstalteten, da bey dem Brande selbst viele Diebstähle vor-
gefallen waren, sogleich in der Stadt und Vorstädten, so wie in der
umliegenden Gegend Visitationen, verfügten sofort die Abbrechung
der das Herunterstürzen drohenden Giebel und Schornsteine der
abgebrandten Häuser, die Wiederöfnung der versperten Passagen
und Anlegung interimistischer Communication durch Fähren, Kähne
und Brücken, verfügten die Vermessung der Brandstellen und unter-
Hessen unseres Erachtens nichts, was nach Lage der Umstände
nötig war.
Zeitschrift der Hist. Ges. fQr die Pror. Posen. Jahrg. XIX. 10
146 Rodgero Prümers.
Die Commission fing des andern Tages nach dem Feuer
sogleich ihre Geschäfte mit Hülfe eines ihr vorläufig gegebenen,
hiernächst aber sofort aus den eingehenden Beiträgen erstatteten
Vorschusses von einigen Hundert Thalern an, und unterstützten da-
mit, so wie durch die zu unsern und ihren öffentlichen Aufforde-
rungen eingehenden Beyträge 592 von den ärmsten nothleidenden
Familien in den ersten Tagen; als hierauf Lebensmittel eingingen,
auch von uns die Veranstaltung getroffen wurde, dass diejenigen
Abgebrannten, so ohne allen Erwerb waren, beym Abbrechen der
Giebel und Schornsteine und bey dem Hinwegräumen des Schuttes
gegen Tagelohn angestellt worden, mithin ihnen der Weg zum vor-
läufigen Erwerb und Unterhalt eröfnet war, hörten jene baare Geld-
unterstützungen von der Commission auf, die einkommenden
Victualien wurden von derselben dem hiesigen Magistrat zugesandt,,
welcher sie vertheilte.
Mittlerweile beschäftigte sich die Commission mit Unter-
bringung der Abgebrandten, welche bey den ihrigen und sonst kein
Unterkommen hatten. Mit Hülfe des Bischofs von Posen, des
Officialats, der sämmtlichen Klöster und mehrern Einwohner
hiesiger Stadt, welche nicht abgebrandt waren, und welche die
beiden bischöflichen Palais, mehrere Curien, die Kloster-Gebäude
und ihre Wohngebäude mit einer lobenswürdigen Bereitwilligkeit
einräumten1), war es der Commission möglich, in zwey Tagen
mehrere Hundert Familien unter Obdach und so unterzubringen,
dass solche einen zu ihrem Gewerbe und Familien- Verhältniss
möglichst zu beschaffenden Raum hatten. Unterdes wurden die
eingehenden Geldbeyträge gesammelt und davon den sich meldenden
und von den Bürger-Repraesentanten recognoscirten verunglückten
Handwerker aus den Beiträgen Unterstützungen unter dem Nahmen
als Vorschuss zum Wiederanfang ihrer Gewerbe gegeben, welche
sich nach dem Bedürfniss und der Art des Gewerbes richteten
und sich auf 10 bis 200 Rthr. bey den grösseren Posten unter Ver-
bürgung einiger wohlhabender Einwohner beliefen. Auf diese Art
wurden 94 Handwerker und gewerbetreibende Familien bis zum
3ten hujus mit 3028 Rth. in Thätigkeit gesetzt, welche jetzt schon
ihr Gewerbe wiederum treiben.
Ausserdem erhielten die vielen in der Schustergasse abge-
brandten Schuster Vorschüsse an Leder von 5 bis 10 Rthr. an Werth,
auch wurde Handwerkszeug, so hier nicht zu haben, für Rechnung
der Commission verschrieben.
Mit dem 3ten Mai c. wurde die Commission auf Ewr. König-
lichen Majestät Befehl, deren gleichzeitigen Antrag aufgehoben, und
]) Am Rande die Bemerkung: Dies Benehmen ist äusserst lobenswerth und
Siebt einen sehr willkommenen Beweis von Menschenfreundlichkeit und Duldung.
Der grosse Brand von Posen am 15. April 1803. 147
hat selbige ihren Bericht, Abschluss und baaren Gelder an uns ein-
gesandt.
Aus dem abschriftlich allerunterthänigst angebogenen Bericht
derselben, werden Allerhöchst dieselben zu ersehen geruhen, dass
ihre Einnahme bis den 3ten hujus Mittags um 1 Uhr sich auf 5390.
19. 10, ihre Ausgaben auf 3512. 8. 6. belaufen hat, und dass das
Residuum von 1878 Rthr. 11 Gr. 4 Pfg. an unsere Kri'ges- und
Domainen-Casse abgeliefert ist; hiezu kommt der in Natura der-
selben von den Erben des ehemaligen Dohmherrn von Rogalinski
Überlieferte zum Teil aus Praetiosis bestehende Nachlass desselben,
welcher nach den Willen der Erben um Johann is d. J. veräussert
und an die ärmsten Abgebrandten verteilt werden soll und etwa
1200 Rthr. an Werth betragen kann.
Die übrigen Beiträge, welche der hiesige Magistrat an sich
und ad Depositum genommen hat, sind aus der Summe noch nicht
bekannt.
Was den Plan der Commission anlangt, so werden Ewr.
Königlichen Majestät aus dem oballegirten Bericht näher zu ent-
nehmen geruhen; es besteht solcher kürzlich darin, dass ausser
den ersten ausgemittelten Unterstützungen an oberwähnte 592 der
ärmsten Familien, welche 484 Rthr. 8V2 Ggr. betrugen, die Beiträge,
so wie sie einkamen, sogleich dazu verwandt worden, um nur erst
wieder Handwerker und Gewerbe in Tätigkeit zu setzen und die
Unterstützungen als Vorschüsse hinzugeben1), weil, so lange als noch
Beiträge einkommen, keine Reparation der Beiträge auf die Abge-
brandten gemacht werden konnte, dagegen, wenn solche darauf
warten sollten, der Werth der Wohlthat, welcher in der schleu-
nigsten Hülfe bestand, verlohren ging, dagegen bey Erteilung der
Vorschüsse unter gehöriger Vorsicht gleich geholfen wird, und die
Absicht, am Schluss aller Beiträge eine Repartition auf sämmtliche
Abgebrandte zu machen uud die Gelder nach Maassgabe des allen-
falls an Eidesstatt angegebenen Verlustes nach pro Centen gleich-
massig zu verteilen2), demnach ganz erreicht werden kann, indem
diejenigen, welche Vorschuss erhalten, wenn nach der Repartition
weniger auf sie trift, den Vorschuss in so weit zum Teil erstatten
müssen. Was dagegen die vorläufig an die 592 Familien ver-
abreichten 484 Rthr. 8V2 Gr. Unterstützung anbetrift, so sind solche
immer geringer, als nach den schon jetzt eingegangenen Beiträgen
bey einer Repartition auf sie treffen kann.
*) Dgl. : Dies Benehmen ist Äusserst zweckmässig und gut.
*) Dgl. : Etwa in einem Zeitraum von 8 Wochen werden so ziemlich die be-
deutenden Beytrflge eingegangen seyn. Dann soll die Kammer durch den Magistrat
einen Abschluss und eine Repartition machen lassen und solche zur Genehmigung ein-
reichen. Das Wenige, was nach dieser Zeit eingehen dorfte, kann hicrnflchst immer
noch nachträglich vertheilt werden.
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Pro*. Posen. Jahrg. XIX. 10
148 Rodgero Prümers.
Wir wünschen nun, dass diese unsere Maasregeln so wie
-das Benehmen der Commission Ewr. Königl. Majestät hohen Beyfalls
•sich erfreuen möge1), und stellen Allerhöchst denenselben aller-
unterthänigst anheim, ob und in wie fern Ewr. Königlichen Majestät
nach gedachtem Plan fortgehen oder etwa darin etwas abändern zu.
lassen geruhen wollen.
Wir überreichen nun hierbey 3 Tableaus, aus welchen Ewr.
Königlichen Majestät huldreichst zu entnehmen geruhen werden,
dass überhaupt 1093 Familien abgebrandt sind; unter diesen sind
797 Handwerker und gewerbetreibende Familien und von diesen
sind bereits 94 Familien mit Vorschüssen von der Commission
unterstützt und in Tätigkeit. Es bleiben daher noch 703 Hand*
werker und gewerbetreibende Familien übrig. Bey jenen 94 Fa-
milien ist nur auf das höchste Bedürfniss bey Anschaffung des
Handwerkszeuges, jedoch noch nicht auf Vorräthe an rohem Material
gerechnet; dennoch beträgt diese Unterstützung im Durchschnitt
auf jede 32 Rthr. 5 Gr. i14/^ Pfg. Nimmt man diesen Durchschnitt
zum ohngefähren Maassstab zur Unterstützung der übrigen 703, so
dass solche wenigstens anfangen können, ihre Gewerbe zu betreiben,
an, so ist hiezu eine Summe von 22645 Rthr. 13 Gr. 8 Pfg. er-
forderlich, wodurch diese Familien immer noch nicht für ihren
Verlust entschädigt, sondern nur in Thätigkeit gesetzt werden.
Diese Hülfe wird die Eingeschränktheit unserer Mittel, selbst,
wenn auch die Beyträge, wie bisher, einzukommen fortfahren2),
nicht erlauben, auch wird solche, selbst wenn durch die milden
Beyträge so viel und noch mehr einkommt, doch nicht schnell
£enug da seyn, um zur rechten Zeit helfen zu können. Wir glauben
daher solches wenigstens zum Teil aus Ewr. Königlichen Majestät
wohltätigen Händen erbitten zu dürfen, und werden die milden
Beyträge zu dem noch erforderlichen alsdann zutreten können.
Was nun Ewr. Königlichen Majestät bey dem Brande ver-
unglückte von uns ressortirende Officianten anbetrifft, so über-
Teichen wir in der Anlage und den dazu gehörigen 27 Belägen eine
Nach Weisung, aus welcher Allerhöchst Dieselben entnehmen werden:
dass 29 Officianten und deren Familien bey dem Brande verunglückt
sind. Ewr. Königlichen Majestät werden ferner zu entnehmen ge-
l) Dgl. : Das Benehmen sowohl der Cammer als der Commission ist sehr
lobenswerth, und gerne bezeugt das Departement darüber seinen Beyfall. Der Plan
kann auch dann verfolgt und aus den milden Beytrigen den Gewerbtreibenden Vorschusa
zur Fortsetzung ihrer Nahrung, jedoch mit der gehörigen Vorsicht, auf den Antrag des
Magistrats durch die Cammer bewilligt werden.
*) Dgl. : Da bis jetzt schon so ansehnliche Beyträge und zwar nur aus Posen
selbst und den umliegenden Gegenden eingegangen sind, so ist es höchst wahrschein-
lich, dass solche zur ersten nothdQrftigen Unterstützung hinreichen werden. Sollten
indessen Falle vorkommen, wo schleunige und bedeutende Unterstützung gegeben
werden muss, welche die milden Beytrflge nicht herzugeben vermögen, so soll darübez
an das Departement berichtet und desfalls der nöthige Antrag gemacht werden.
Der grosse Brand von Posen am 15. April 1803. 14^
ruhen, ob und wieviel solche an Gehalt haben, und wie gross ihr Verlust
ist. Selbiger beträgt im ganzen 24076 Rthr. 5 Ggr. Wenn indes
der Werth dreyer abgebrannten Gebäude, welche mehr für den
Retablissements-Fond als hieher zu gehören scheinen, so wie noch
einige andere Schäden, welche wir in fine der Nachweisung be-
merkt haben, von obiger Summe abgehen, und dagegen der Verlust
des in Ewr. Königlichen Majestät Dienst beym Feuer abwesend
gewesenen und noch abwesenden Forstfiscal Kulau, welcher auf
300 Rthr. anzunehmen, hinzugesetzt wird, so verbleibt der Verlust
an fahrender Habe 12692 Rthr. 5 Gr.1)
Dies ist ausser dem Verlust von 3 Gebäuden der mühsame
Erwerb mehrerer Jahre2). Ewr. Königlichen Majestät ist es nicht
unbekannt, wie schwer es Allerhöchst Dero Dienern fällt, von dem
auf den Unterhalt des Lebens, besonders bey Subalternen, die hier
grösstenteils vorkommen, nothdürftig berechneten Gehalt so viel zu
ersparen, um sich nach und nach die häuslichen zur Fortführung
der Oeconomie nötigen Hausgeräthe, Meubles, Kleidungsstücke u. s. w.
zu beschaffen. Ewr. Königlichen Majestät ist es ferner bekannt, dass
unter diesen Officianten, so viel wir wissen, keiner ist, welcher so.
viel Vermögen hätte, den Verlust zu verschmerzen, ja wir können
es nicht verheelen, dass viele unter ihnen sonst in einigem Wohl-
stande selbst mit erborgten Kleidern, Hausgeräth, Meublen, Betten,,
auch zum Teil ohne dieselben jetzt sich behelfen und auf Ewr.
Königlichen Majestät Hülfe hoffen, ohne welche grösstenteils ihr
Loss sehr traurig und ihre Zuflucht die Contrahirung von Schulden
seyn würde, welche sie noch mehr dirangiren und mit den Ihrigen
in Kummer und Nahrungssorgen versenken würde.
Wir können Ewr. Königlichen Majestät auch pflichtmässig
versichern, dass unter diesen Officianten der grösste Teil von der
Art ist, dass wir vorzüglich Ursach haben, mit ihrem Benehmen in
Dienst, ihrer Moralitaet und Rechtschaffenheit zufrieden zu seyn
und solche Allerhöchst Dero Fürsorge vorzüglich zu empfehlen.
Wir enthalten uns solche namentlich zu nennen, um die übrigen,
welche, wenn sie sich auch nicht vorzüglich auszeichnen, dennoch
ihre Pflicht erfüllen, nicht zu kränken.
Wir glauben auch hier die Bemerkung machen zu dürfen,,
ohne den Verdacht der Parteylichkeit zu besorgen, dass diese ab-
gebrandten Officianten, so wie sämmtliche übrige Officianten hie-
selbst noch lange die Folgen des Brandes empfinden werden, indem,.
') Dgl. Nota. Der Verlust soll seyn 1369a Rthr.
Diesem treten hinzu die ? Gelder des Kipke mit . 740 ,t
Sa. . 13432 Rthr.
50 proc. betrafen: 6716 „
*) Dgl.: Welche Vergütigung den Officianten zu bewilligen seyn wird, hingt
jron der Königlichen Gnade ab. Sobald sie Allerhöchst Selbst darüber entschieden,
haben werden, soll die Kanuner nähern Bescheid erbalten.
150 Rodgero Prümers.
wie schon zum Teil der Fall ist, der Kaufmann und Handwerker
sich durch höhere Preise für seinen Verlust zu erholen suchen wird,
dem besoldeten Officianten aber, bey den höher steigenden Preisen
der Dinge kein Weg offen stehet, seine Einnahme zu vermehren,
vielmehr derselbe sein Auskommen in möglichster Beschränkung
seiner Bedürfnisse suchen muss.
Wir haben nun einigen derselben, welche in der dringendsten
Verlegenheit waren, Vorschüsse anweisen müssen, welche nach an-
liegender Nachweisung1) 970 Rthr. betragen. Diese würden von
den von Ewr. Königlichen Majestät huldreichst zu bewilligenden
Unterstützungen hiernächst zu decourtiren seyn.
Wir würden nun mit Hinsicht auf die diesen Officianten zu
Gebote stehenden Mitteln nach Ewr. Königlichen Majestät Aller-
höchsten Befehl uns erlauben, dasjenige quantum, welches erforder-
lich seyn würde, um sie wiederum in Stand zu setzen, ohne drin-
gende Sorgen ihren Berufsgeschäften nachzugehen, vorzuschlagen.
Wenn uns indess die besonderen Vermögens-Umstände, Connexionen
und Verhältnisse derselben, wodurch einige sich vielleicht in etwas
helfen können, nicht so ganz genau bekannt sind, dass wir nicht
besorgten, irgend einem zu nahe zu treten, so müssen wir, ob und
in wie weit Ewr. Königlichen Majestät solche nach Maassgabe ihres
Verlustes zu unterstützen geruhen wollen, lediglich Ewr. Königlichen
Majestät Gnade anheimstellen, und werde selbige gewiss jede Hülfe,
welche, zu ihrem Emporkommen beitragen kann, dankbar annehmen.
Orginal im Geh. Staatsarchiv zu Berlin: General-Direktorium,
Südpreussen, Ortschaften Nr. 1645, Vol. 1.
V.
Eingabe der Posener Bürgerrepräsentanten an Minister v. Voss über
den Wiederaufbau der Stadt. Posen, den 4. Mai 1803.
Wir wollen uns enthalten, Ew. Excellenz die traurige Lage
unserer durch den schrecklichen Brand am 15. des v. M. so un-
glücklich gewordenen Stadt zu schildern — die Ruinen der abge-
brannten Häuser geben schon überzeugende Beweise davon — , die
bis zur Verzweifelung gebrachte Bürgerschaft siehet indessen in
der Person Ew. Excellenz nur ihren Retter — und durch Höchst
Dero Ankunft in ihren Mauern findet sie schon Trost für sich mit
dem Bewustseyn, dass sie ganz ohne ihre Schuld dieses harte Loos
zu tragen hat. — Sie ist überzeugt, dass blos von der Gnade Ew.
*) Dgl. : Die Nachweisung besagt einen Vorschuss von 1090 Rthr., and da-
rüber soll segleich auf die Extraordinarien-Kasse in Berlin und zwar auf die 10 000 Rthr.,
welche des Königs Majestät zur Abheifong der dringendsten Bedarfnisse der hiesigen
Abgebrannten bewilligt haben, angewiesen and der Kammer davon zur Einzahlung
Nachricht gegeben werden.
Der grosse Brand von Posen am 15. April 1803. 15 1
Excellenz ihr künftiges Wohl abhängt, und Höchst dieselben es an
kräftiger Fürsprache und gnädigster Verwendung bey Sr. König-
lichen Majestät nicht fehlen lassen wollen, um ihrem betrübten
Schicksale Linderung zu verschaffen. — Die verunglückten Bürger
wollen sich daher ganz dem wohlwollenden Herzen Ew. Excellenz
überlassen, da sie mit dem Verluste ihrer Häuser, ihrer Werkstätte
auch noch alles übrige verlohren und nicht im Stande sind, dem
Staate ferner als nützliche Bürger zu dienen, wenn ihnen nicht
durch allerhöchste Königl. Gnade huldreichst aufgeholfen, und durch
schleunigste wirksame Unterstützung sie vor dem gänzlichen Unter-
gange geschützt werden sollten.
In dieser gewissen Veraussetzung wagen wir es daher, Ew.
Excellenz unsere allergehorsamste Bitte zu überreichen, welche
dahin gehet, den unglücklichen Abgebrandten zum Wiederaufbau
ihrer Häuser und Werkstätte 50 Procent als Bauhülfsgelder gnädigst
zu bewilligen und im übrigen die benöthigten Vorschüsse aus
Königl. Cassen zu bewirken.
Hiebey können wir uns zugleich nicht enthalten, noch fol-
gende zur einiger Erleichterung und Beschleunigung des Wieder-
aufbaues der abgebrandten Häuser, und zur mehrerer Sicherheit
der Stadt abzweckende Gegenstände der näheren Prüfung Ew. Ex-
cellenz allergehorsamst vorzulegen: als
1. Dass es einem jeden erlaubt sey, den nöthigen Bedarf
von Dach- und Mauersteinen sich selbst zu verschaffen, wie und wo er
es nur immer am wohlfeilsten und beqwemsten findet, ohne verbunden
zu seyn, in diesem ausserordentlichen Falle solchen Bedarf von den
Ziegeleyen der Stadt Cämmerey für höhere Preise zu nehmen.
2. Dass auch in diesem Falle Feld Brände nachgegeben, und
der benöthigte Leim dazu von der Cämmerey unentgeldlich her-
gegeben werde.
3. Da bis jetzt schon das Bauholz durch die starke Ausfuhr
aus der Provinz zu mangeln anfängt und dadurch auch sehr ver-
theuert wird, so dürfte es sehr zweckdienlich seyn, wenn die Aus-
fuhr des Kiehnen Holzes ins Ausland auf einige Zeit nicht verstattet
würde.
4. Es hat Eine Königl. Haupt-Nutzholz Administration in den
Forsten ohnweit der Warthe starke Ankäufe von Kiehnen Hölzern
gemacht, und wir müssen hiebey allergehorsamst bitten, dass we-
nigstens ein Theil von diesen Hölzern zum Wiederaufbau Posens
durch die Königl. Administration abgetreten, und von dem bereits
auf dem Transport befindlichen vorläufig etwas allhier verbleiben
möchte.
5. Da es bey dem Brande überzeigend bewiesen worden,
wie höchst nothwendig noch eine Brücke vom Graben über die
Warthe nach St. Äoch ist, so ergehet auch unsere allergehorsamste
Bitte dahin, bey dem neuen Retablissement der Stadt zugleich die
152 Rodgero Prümers.
Wiederherstellung der Brücke nach St. Roch gnädigst zu berück-
sichtigen, solche Brücke hätte unstreitig jetzt sehr vieles beige-
tragen, und es würde dem Feuer unstreitig mehr Einhalt gethan
worden seyn, und wenigstens würde der Graben haben gerettet
werden können, wenn nicht die zur Rettung herbeygeeilten Men-
schen von dem jenseitigen Ufer der Warthe läre Zuschauer dabey
bleiben mussten, da durch das Feuer am Walaschayer Thor alle
Verbindung der Stadt mit dem jenseitigen Ufer der Warthe ganz
abgeschnitten war.
6. Dass die hiesige Stadt und Bürgerschaft durch die Juden
schon viele ähnliche und zur Zeit noch weit grössere Zerstörungen
erlitten hat, beweisen die Stadt Akten zur hinlänglichen Ueber-
zeugung. — Aus diesen gehet hervor, wie im Jahr 1447 die Gärber-
strasse, im Jahr 1464 das Dominikaner Kloster, im Jahr 1539/
der grösste Theil der Stadt mit dem Rathause und der St Martin
Vorstadt, im Jahr 1590 ebenfalls ein Theil der Stadt durch das
in der Judenstadt ausgekommene Feuer in Asche gelegt worden ist«
Ausserdem ist noch im Jahre 1633 ein Theil und zuletzt im Jahre
1764 die ganze Judenstadt allein mit der grössten Gefahr der Bürger-
häuser m Flammen aufgegangen, als welche Verwüstungen lediglich
durch die unordentliche Lebensart der Juden und ihren mit fin-
sterem Aberglauben verknüpften Gewohnheiten verursacht worden
sind. Da nun der grösste Theil der hiesigen Juden kein bestirntes
Gewerbe treibet, sondern die meisten als Factores von zufälligen
Gewinn aus Aufträgen von andern, Schacherey und Facienden
leben, wozu sie eigentlich nach Cap. I § 13 des neuen Juden-Regle-
ments gar nich zugelassen, ja in solchem Falle gar nicht geduldet
werden sollen, so wäre es die grösste Wohlthat für die hiesige
Stadt, wenn darin die Vorschrift des Juden-Reglements in Erfüllung
gebracht und dabey auf Verminderung der starken Zahl der hie-
sigen Juden Rücksicht genommen werden möchte, als wozu die
ehemaligen geisdichen Städte die beste Gelegenheit darbiethen, wenn
selbige in diese Städte vertheilet werden möchten.
Wir ersterben ehrfurchtsvoll Ew. Excellenz allergehorsamste
Diener.
Die Representanten der hiesiger Bürgerschaft
Berger. Au. Rose. Berlach. Tschuschke.
Original im Geh. Staatsarchiv zu Berlin: Generaldirektorium,
Südpreussen.
VI.
Immediatbericht des Ministers v. Voss über seine Reise nach Posen
und die dort getroffenen Massnahmen. Berlin, den 12. Mai 1803.
Während meiner Anwesenheit zu Posen, von wo ich heute
hier zurückgekommen bin, habe ich, ihrem Hauptzwecke gemäss,
mich von allem, was das der Stadt widerfahrene Unglück, dessen
Der grosse Brand von Posen am 15. April 1803. 153
augenblickliche Milderung und wesentliche Abhelfung durch Re-
tablissements-Bau angehet, durch Augenschein und eingezogene
Details auf das sorgfältigste unterrichtet.
Der geschehene Schade erstreckt sich auf 1093 Familien
christlicher und jüdischer Religion, die aus 5180 Köpfen bestehen;
der Verlust, den sie an Waaren, Mobilien, Handwerkergeräth etc.
erlitten, ist von ihnen auf 1,528,111 Rthr. 21 Gr. angegeben worden.
Ueberstiege auch, wie ich nicht in Abrede stellen mag, diese
Angabe den wahren Verlust vielleicht um ein Drittheil, so ist der
Schaden doch noch sehr beträchtlich, und es wird, um ihn zu er-
setzen, eine geraume Zeit erforderlich seyn.
Schon bei meiner Ankunft war für das erste dringendste Be-
dürfniss der Unglücklichen, die alles verloren und sich nicht selbst
helfen können, im Ganzen gesorgt, und es ist mir von dieser Seite
wenig zu thun übrig geblieben.
Die Kammer hat sich bei der Fürsorge für die Hülfsbedürftige
sehr rühmlich benommen; durch ihre von dem Eifer einer beson-
deren aus ihrer Mitte delegirten Commission, der Menschenfreund-
lichkeit und Toleranz des Bischofs und der Geistlichkeit, auch der
Klöster, und der Milde der Bewohner der Stadt und der umliegen-
den Gegend unterstützte Bemühungen ist es ihr in den ersten Tagen
nach dem Brande gelungen, die ohne Obdach und Erhaltungsmittel
gewesene Familien unterzubringen, nothdürftig zu beköstigen und,
in so fern sie in Handwerksleuten bestanden, zum Wiederanfang
des Gewerbes zu befördern, sonst aber auch andere Gelegenheiten
zu einigem Verdienste zu verschaffen.
Die gute Folgen hiervon sind auch darin sehr sichtbar, dass
nirgend Müssige, blos Klagende und das Mitleid Ansprechende an-
zutreffen sind, vielmehr die Verunglückten in dankbarer Anerkennung
der Wohlthätigkeit und des Beistandes, so sie erfahren, auch ihrer-
seits thun, was sie vermögen, um sich selbst zu helfen.
Zu ihrer Beruhigung trägt aber warlioh noch mehr das veste
Vertrauen in Euer Königlichen Majestät Gnade bei, von der sie sich
für das Retablissement der Stadt gewisse Unterstützung versprechen.
Die bisher für die Verunglückte eingekommene milde Beiträge
haben, ungeachtet sie vorzüglich nur Einwohnern von Posen selbst
und der nahe gelegenen Gegend zu danken gewesen, die nicht un-
bedeutende Summe von etwas über 7000 Rthr. und an Consum-
tubilien (!) nach Geldeswerth von ungefähr 3000 Rthr. ausgemacht.
Zusammengenommen mit den Beweisen der Mildthätigkeit,
welche noch zu erwarten sind, werden sie zur ersten notdürftigsten
Unterstützung hoffentlich ausreichen.
Aus den mir von Euer Königlichen Majestät zu diesem Behuf
huldreichst anvertraueten 10 000 Rthlr. habe ich daher nur einigen
Handwerksleuten, welche vor dem Brande ein bedeutendes Gewerbe
154 Rodgero Prümers.
gehabt, und da sie alles verloren, zum Wiederanfang ein kleines
Capital bedürfen, und zwar
dem Klempner Kienemann 200 Rthr.
„ Satler Schiffer 500 n
n Tuchfabricanten Hartesz 400 „
• „ Zimmermeister Rieskiewicz 500 „
und ausserdem den beiden Schlössern und Spritzen-
meistern Wojciechowski und Grunwald, welche, indem
sie als Sprützenmeister beim Feuer auf das rühmlichste
beschäftigt gewesen, ihre Häuser und Habseeligkeiten,
letztere mit einem Werth von 1500 Rthr. verloren
haben, einem jeden 200 Rthr 400 „
überhaupt 2000 Rthr.
als Vorschuss angewiesen, und ich schmeichle mir, dass Euer König-
lichen Majestät dieses allergnädigst genehmigen werden.
Die übrige wenige Personen, die sich bei mir um Hülfe ge-
meldet, habe ich an die bis jetzt noch zum Teil zur Disposition
vorhandene und sich noch täglich mehrende milde Beiträge ver-
weisen können, aus denen den Handwerksleuten auf Abschlag der
bei der Distribution auf sie fallenden Antheilen kleine Posten zur An-
schaffung von Handwerksgeräthen gegeben werden.
Sollten aber diese Vorschüsse die Antheile an den milden
Beiträgen übersteigen, so habe ich die Kammer instruirt, davon
Anzeige zu machen und gutachtlich zu berichten, ob von dem Mehr-
betrage der Vorschuss-Summen ein Teil zurückzuerwarten oder
dessen gänzliche Erlassung erforderlich ist.
Dasjenige, was hierdurch ausfiele, würde ich dann von Euer
Königlichen Majestät Gnade, auch wenn es die mir zuerst anver-
traute Summe der 10 000 Rthlr. übersteigen sollte, zu erbitten wagen.
Von den Subaltern Officianten der Cammer haben 18 und
einer von denen des Magistrats bei dem Brande das Ihrige teils
ganz verloren, teils davon bedeutend eingebüsst.
Ihrem ersten Bedürfnisse ist durch Vorschüsse abgeholfen
worden, die ich mit 1 050 Rthr. auf die mehrgedachte 10 000 Rthr.
übernommen habe.
Ihr sonstiger Verlust ist auf 13432 Rthr. angegeben. Diesen
gemildert zu sehen, dürfen sie nur von Euer Königlichen Majestät
Gnade hoffen, da es mir für ihre Verhältnisse nicht passend zu seyn
scheint, dass sie an den einkommenden milden Beiträgen participiren.
Ich selbst halte mich überzeugt, dass selbst zum Besten des
Dienstes ihnen Hülfe geleistet und die Sorge, die ihren Muth jetzt
unterdrückt, abgenommen werden muss, ich wage daher für sie die
Hälfte ihres Schadens mit 6716 Rthr. aus den von Euer Königlichen
Majestät den Abgebrannten destinirten 10 000 Rthr. Hülfsgelder
Der grosse Brand von Posen am 15: April 1803. 155
allerunterthänigst zu erbitten, wobei ihnen jedoch die bereits an-
gewiesene 1050 Rthr. Vorschuss anzurechnen seyn würden.
Von diesen werden sodann 1284 Rthr. zur künftigen Disposition
übrig bleiben.
Uebrigens habe ich zu dem Retablissement des abgebrannten
Teils der Stadt den Plan entwerfen lassen, und ich werde Euer
Königlichen Majestät solchen in wenigen Tagen vorlegen, indem es
zu seiner gänzlichen Vollständigkeit nur noch auf einige Ver-
messungen von Brandstellen, die in diesem Augenblicke wegen des
darauf befindlichen Schuttes noch nicht zugänglich waren, und auf
Fertigung einer zur gehörigen Uebersicht erforderlichen Zeichnung
ankommt
Original im Geh. Staats- Archiv zu Berlin: Acta des Cabinets
König Friedrich Wilhelms EI. Rep. 89 Nr. in Bl. 15.
Auf dem Schriftstücke der Vermerk: Alles recht gut bis auf die in Antrag ge-
brachte fernere Unterstützung der Kammer-Off icianten, welche beym Brande verlohren
haben, die in dem Verhaltnisse ganz ungewöhnlich und uberdem, da auf die Officianten
andrer Departements keine Rücksicht genommen worden, zu einseitig ist. Die vor-
geschossenen 1050 Rthl. können denselben erlassen, im übrigen aber muss erwartet
werden, was für sammtliche Officianten aus allen Classen wird geschehen können.
VII.
Vorschläge des Ministers v. Voss für das Retablissement der Stadt
Posen. Berlin, den 20. Mal 1803.
Um bey Entwerfung des Posenschen Retablissements-Bauplans,
welche ich mir, wie ich in meinem allerunterthänigsten Berichte vom
I2ten d. M. vorläufig angezeigt, bey meiner dortigen Anwesenheit
besonders angelegen seyn lassen, ganz zweckmässig zu verfahren,
habe ich mich verpflichtet gehalten, mein Augenmerk zugleich auf
solide Wiederherstellung des abgebrandten Teils der Stadt, dessen
Auseinanderbau zu Verhütung künftiger ähnlicher Unglücksfälle,
Vermehrung der Bequemlichkeit für das Gewerbe, bessere Arron-
«dirung und Verschönerung der Stadt zu wenden.
Der Brandschaden hat einen Teil des Juden - Viertels, in
-welchem das Feuer ausgebrochen ist, einige daran stossende
Strassen der eigentlichen Stadt, in welcher Gewerbtreibende aller
Art zusammengedrängt waren und die Vorstadt, der Graben genannt,
betroffen, auf welcher die Gebäude eine einzelne lange, von einem
Kanal durchschnittene und vermittelst einer hölzernen Brücke mit
der Stadt zusammenhängende Strasse bildeten.
Das Juden-Viertel, welches bisher in bestimmte enge Grenzen
beschränkt, mit mehrenteils leicht entzündbaren Häusern von der
schlechtesten Construktion, in denen unverhältnissmässig viel Fa-
milien Eigenthum und Wohnung, zum Teil in Hangeboden und
Abschlägen von wenig Fuss hatten, übersetzt und in dieser Ver-
156 Rodgero Prümers.
fassung der Ordnung und Reinlichkeit ganz unempfänglich war»
hat schon zu verschiedenen Zeiten grosse Feuerschäden, so wie
auch den jetzigen, über die Stadt gebracht. Religionshass und
Fanatismus haben die Grenzen des Juden- Viertels vormals bestimmt ;
durch die seitdem gemachte Fortschritte in Aufklärung und Toleranz,
so wie durch die gemachte unglückliche Erfahrung sind die ein-
sichtsvolleren Einwohner Posens auf deren Aufhebung genugsam
vorbereitet, und Pflicht der Landes-Polizey ist es, die jetzige be-
queme Gelegenheit dazu zu benutzen. Nur die Besorgniss, dass
die Ausbreitung der Juden über ihren bisherigen Bezirk dem
Nahrungsstande der Christen einigen Eintrag thun mögte, kann
vielleicht hie und da noch einiges Missvergnügen über eine solche
Veränderung erzeugen; allein diese Besorgniss wird teils durch das
gegenseitige Beispiel der Städte in den alten Provinzen widerlegt,
teils kann solche den vielen guten Folgen der Aufhebung des Juden-
Viertels nicht die Waage halten und von letzterer um so weniger
abhalten, da sie zu den zweckmässigsten Mitteln gehört, durch
welche die Juden besser kontrollirt werden, und mit der Zeit ihre
Denkungs- und Handlungsweise gebessert werden kann.
Die mit abgebrannte Strassen der eigentlichen Stadt waren
eng, unbequem und feuergefährlich, und es ist nötig, sie zu ver-
breiten, und die darauf herzustellende Häuser, mit Vermeidung aller
Giebelhäuser, auseinander zu bauen.
Die Graben - Vorstadt war eine dem Gewerbe und der Kom-
munikazion nicht vorteilhafte inseif örmige Anlage zwischen dem
schon erwähnten Kanal und der Warthe, von der sie bei jedem
ungewöhnlichen Wasserstande durch Ueberschwemmung litt; es ist
daher schon jetzt nicht rathsam, sie wieder herzustellen, und wird
um so mehr unrathsam, da Eurer Königlichen Majestät Absicht
dahin geht, das altländische Accisesystem auch nach und nach in
Südpreussen einzuführen. Ihr Lokal wird künftig besser zu Garten-
Etablissements, zum Packhofe, zu dem darauf bereits etablirten
Holzhofe und zu Kaufmanns- Speichern, denen die Nähe des Stroms
besondere Bequemlichkeit gewähren kann, zu benutzen seyn; auch
wird alsdann die sonst noth wendige kostbare Wiederherstellung und
Unterhaltung einer schon seit einiger Zeit verfallenen Brücke über
die Warthe Behufs der Communication mit der jenseits des Stroms
gelegenen Vorstadt St Roch erspart werden. Ich bin daher bei
Entwerfung des Retablissementsplans davon ausgegangen, dass1)
!) Am Rande der Vermerk: „Zu approbiren, dagegen soll aber auch dahin
gesehen werden, das Judenwesen in Posen auf den Fnss wie in den alten Landen,
wenigstens in Ansehung der einzuschränkenden Anzahl derer Juden, welche Häuser
besitzen können, einzurichten, weil sonst allerdings zu besorgen seyn dürfte, dass die
christlichen Einwohner von ihnen in ihrem Nahrungs-Stande beeinträchtigt werden
würden.
Der grosse Brand von Posen am 15. April 1803. 157
die Juden nicht ferner in ein bestimmtes Viertel zu isoliren, der
eingeäscherte Teil der eigentlichen Stadt zu erweitern und ausein-
ander zu bauen, die Graben- Vorstadt mit den in Feuer aufgegangenen
Burgerhäusern nicht wieder zu besetzen, und diejenige Anzahl der-
selben, welche hiernach nicht wieder den vorigen Platz erhalten
können, teils nach anderen noch unbebauten Stellen in der Stadt,
teils nach einer neuen dieser hinzuzufügenden Gegend zu ver-
legen sey.
Die Zahl der abgebrannten Bürgerhäuser beläuft sich über-
haupt auf 276; diese werden auch wieder herzustellen seyn.
Wenn dem wieder zu bebauenden Teile der Brandstätte eine
zweckmässige Einrichtung gegeben werden soll, so werden die
darauf herzustellende Strassen, die grössere eine Breite von 5, die
kleinere von 4 Ruthen, erhalten müssen. Es wäre wünschenswerth,
sie noch um respective 1 Ruthe mehr zu verbreiten; die daran
stossende noch bebaute Strassen und die Notwendigkeit, den her-
zustellenden Strassen bei gehöriger Tiefe der Häuser nicht zu viel
von dem nothdürftigen Hofraume zu benehmen, lassen solches aber
nicht zu.
Jeder neuen Bürgerstelle wird eine Frontenlänge von 50 Fuss
einzugeben seyn.
Unter diesen Voraussetzungen können von den eingeäscherten
376 Wohnhäusern nur 114 auf dem wieder zu bebauenden Teile
der Altstadt Platz finden; die übrige 162 aber werden neue Stellen
erhalten müssen.
Davon können
a. auf dem jetzt wüsten Sapiehaplatze 7 Stck.
und b. auf dem zum Theile schon gut bebauten und
durch die noch hinzuzusetzende Gebäude in eine
regelmässige triangulaire Figur zu bringenden
Platze bei der Bernhardiner Kirche 4 „
zusammen . . 11 Stck.
zu stehen kommen. Die Bebauung dieser in der Stadt belegenen
Plätze wird dieser zur Zierde und zu mehrerer Feuersicherheit
gereichen. Der Bau der übrigen 151 Häuser wird am Besten dazu
benutzt werden können, der neuen Gegend der Stadt, auf welcher
die Wilhelms- und einige andere neuen Strassen schon angelegt
sind, noch mehr Ausdehnung zu geben, sie vollständig und regel-
mässig zu bebauen und dadurch zu einer Vollkommenheit zu
erheben, dass sie unter dem Nahmen der Wilhelmsstadt ein wür-
diges Denkmal der landesväterlichen Huld der ersten Regenten
aus dem königlich preussischen Hause gegen die Einwohner Po-
sens werde.
158 Rodgero Prümers.
Zu diesem Zwecke werden dann
c. auf der noch nicht ganz bebauten zweiten
Seite der Wilhelmsstrasse 7 Häuser
d. auf beiden Seiten des Wilhelmsplatzes ... 8
e. auf der Berliner Strasse 31
f. auf einer neu durchzuführenden Strasse *) vom
Schauspielhause bis St Martin 6
g. auf der schon angelegten Strasse9} vom Schau-
spielhause nach Kuhndorff 14
h. auf der neu anzulegenden neuen Strasse8) von
der Magazinstrasse nach der St. Martin Strasse 29
i. auf der zu regulirenden und zu verlängernden
Friedrichstrasse von der Wilhelmsstrasse ab 6
k. auf der Strasse4) von St Martin bis an die
Strasse zu den neuen Gärten 30
und 1. auf der zu verlängernden Magazinstrasse . . 30
zusammen . . 162 Häuser
zu errichten seyn.
Zur näheren Uebersicht dieses Plans lege ich einen Grund-
Riss von dei Stadt Posen bei, auf welchem der eingeäscherte Teö
derselben, das darauf mit der gedachten Strassen -Verbreitung und
dem Häuserauseinanderbau zu bewirkende Retablissement und der
projektirte weitere Anbau der Wilhelmsstadt genau verzeichnet und
dargestellt ist.
Durch Ausführung dieses Plans wird vorzüglich die Ausbrei-
tung entstandener Feuer abgewendet, ausserdem aber eine schon
mit gutem Erfolge angefangene Anlage in einer Gegend zur Vollen-
dung geführt, die sich durch eine hohe und gesunde Lage aus-
zeichnet und ein der künftig zu hebenden Thor-Akzise vorteilhaftes
Arrondissement bewirkt. Die dort anzulegende Strassen sind auf
die Breite von 6 und respektive 5 Ruthen berechnet, die Bürger-
stellen, wie in der Altstadt auf 50 Fuss Frontenlänge, die Tiefe der
Häuser auf 40—45 Fuss, und die Hoftiefe, welche in der Altstadt von
der Gelegenheit abhängt, wenigstens auf 40 Fuss angenommen, mit
der Maassgabe, dass, wenn einzelne, nach der Wilhelmstadt zu ver-
legende Bürgerstellen vormals mehr Hofraum gehabt, ihnen ein
diesem gleicher Flächen-Inhalt zum Hofe eingegeben werden soll
Ob Eure Königl. Majestät diesen Plan5), insofern er sich auf
Veränderung der Lokalität und Umfang der neuen Bürgerstellen
J) Ritterstrasse.
*) Theaterstrasse.
*) Victoriastrasse.
<) St. Martinstrasse bis Petriplatz.
*) Am Rande der Vermerk: Approbirt.
Der grosse Brand von Posen am 15. April 1803. 159
erstreckt, zu genehmigen geruhen wollen, stelle ich Höchstdero-
Ermessen und Entscheidung in tiefster Ehrfurcht anheim.
Die Realisirung eines soliden und baldigen Retablissements-
Baues kann aber überhaupt ohne Eurer Königlichen Majestät Unter-
stützung nicht erwartet werden.
Die bei dem Brande verunglückte Eigenthümer haben fast
sämmtlich alles das Ihrige verlohren; ihr Vermögenszustand kann nur
allmählig mit ihrem Gewerbe wieder emporkommen. Uederdem
haften auf den Grundstücken vieler bedeutende Hypotheken, die
ihnen den Credit Behufs des Retablissements-Baues benehmen. Unter
diesen Umständen ist ihr zuversichtliches Vertrauen auf Eurer König»
liehen Majestät landesväterliche Huld und Milde, als einziges Mitteln
sie bei ihren Stellen zu erhalten und ihnen deren Wiederbebauung^
möglich zu machen, gerichtet.
Ich habe für den Wiederbau der Häuser angenommen, dass
solche massiv von 2 Stockwerken, und in der Regel von 40 Fuss
Tiefe, aber nur mit eben der Hauslänge, welche die abgebrannte
Wohngebäude, es sey von den Strassen — oder insofern es Giebel-
häuser waren, nach der Hofseite gehabt haben, geschehen solL
Werden hierbey die 50 Fuss Fronte, welche jeder Bürgerstelle an-
zuweisen sind, nicht durch das Wohnhaus ausgefüllt, so ist der
Ueberrest mit einem Thorwege oder mit einer massiven Mauer, die
künftig einem An- oder Zwischen-Bau Platz machen können, oder
auch mit einem Neben-Gebäude von Steinen und gefälligem Ansehen
zu besetzen, sofern der Eigenthümer nicht etwa gleich aus eigenen
Mitteln das Wohnhaus auf die ganze Breite seiner Stelle extradiren
kann und will. Bei dieser Bauart wird nach den beigeschlossenen
Entwürfen zu Normal -Anschlägen und Zeichnungen von viererley
Art zu einem einzelnen Hause im Durchschnitt die Summe von
5000 Rthr. erforderlich seyn. Von den abgebrannten Häusern sind
nur 8 bei der englichen Phönix-Societät versichert gewesen; auf
diese wird es keiner Bau- Vergütung bedürfen, da die Versicherungs-
Summen, welche die Eigenthümer erhalten, für jeden über das*
gedachte Normal- Anschlags-Quantum von 5000 Rthr. betragen. Die Zahl
der Wohnhäuser, auf welche Bauhülfe erforderlich, beläuft sich daher
auf 268 und das Normal-Bau-Quantum für solche auf 1,340,000 Rthr.
Von Eurer Königlichen Majestät Gnade wird es abhängen, ob-
Allerhöchstdieselben von dieser Summe zur Beförderung des Reta-
blissementsbaues 40 pro Cent mit 536,000 Rthr. oder wie die Ab-
gebrannten wünschen und schriftlich bei mir nachgesucht haben,.
50 pro Cent mit 670,000 Rthr. zu bewilligen geruhen wollen. Der in
ähnlichen Fällen übliche Satz der Bauhülfe, welcher auch zuletzt bey
Fraustadt stattgefunden, ist zwar nur je 40 pro Cent gewesen;
indessen dürfte sich Posen wegen der besonderen Wichtigkeit seiner
Wiedererhebung vielleicht nach Eurer Königlichen Majestät höchstem
IÖO Rodgero Prümers.
Ermessen zu mehrerer Begünstigung qualifiziren, daher submittire
ich allerunterthänigst, ob Eure Königliche Majestät die Abgebrannte
mit 50 pro Cent zu begnadigen geruhen wollen1). Zugleich aber
muss ich submissest auch noch dahin antragen, dass Eure Königliche
Majestät a) zur Vergütung des taxmässigen Werths für den Grund
und Boden, welcher zu den zu verlegenden 162 Bürgerstellen er-
forderlich ist, b) zur Translokazion oder taxmassiger Bezahlung
einiger Behuf« der Strassen - Erweiterung in der. Altstadt weg-
zuschaffenden Gebäude, c) zur Planirung der neuen Strassen,
d) zur Strassenpflasterung überhaupt, e) zu den nötigen öffent-
lichen Brunnen, f) zur Erbauung einer massiven Kanalbrücke statt
der abgebrannten hölzernen, zur Sicherstellung der Kommunikazion
zwischen der Altstadt und dem Graben, und zu den nötigen öffent-
lichen Kanälen, g) zu den Kosten für die Aufsicht beim Retablisse-
mentsbau und zu anderen dabey vorfallenden Nebenausgaben, und
h) zu Vermehrung der Lösch-Geräthschaften mit einer Prahmspritze,
die nach dem gemachten Ueberschlage erforderliche Summe von
100,000 Rthr. huldreichst akkordiren, wodurch dann der ganze der
Stadt Posen zu Hülfe kommende Retablissements-Bau-Fonds bei
40 pro Cent auf 636,000 Rthr. und bei 50 pro Cent auf 770,000 Rthr.
zu stehen kommen wird.
Bei der von Eurer Königlichen Majestät zu erwartenden Unter-
stützung wird übrigens das Retablissement füglich innerhalb vier
Jahren2) auszuführen, und daher von der Retablissementssumme,
welche Eure Königliche Majestät zu bestimmen geruhen werden, jähr-
lich ein Viertel auf den Meliorazionsplan der Provinz zu brin-
gen seyn.
Was die übrige, bei dem Retablissementsbau vorzunehmende
Regeln8) betrifft, so werden sie meines unvorgreiflichen Erachtens
in Folgenden bestehen müssen.
Niemand, der nicht massiv bauet und sich in alle Anordnungen
des Retablissements-Bauplans willig fügt, kann an der Wohlthat des
Bau-Benefiz theilnehmen ; dieses erstreckt sich auch in keinem Falle
auf Hinter-, Neben-, Wirtschafts-Gebäude oder Befriedigungen, wenn
sie auch von Steinen sind.
Es können zwar dergleichen Gebäude und Befriedigungen, wo
es der Raum erlaubt, an die Strasse gesetzt werden, sie müssen aber
dann massiv, von gefälligem Ansehen und approbirt seyn.
*) Am Rande der Vermerk : Se. Majestät wollen den Abgebrannten 50 Proc.
BauhCÜfsg eider accordiren und zu den litt, a bis h bemerkten Gegenstanden 100,000 Thx.
aussetzen.
*) Am Rande der Vermerk : Sr. Majestät glauben nicht, dass das Retablissement in
4 Jahren werde vollendet werden können und wollen daher die erforderlichen 770/m Thl.
wenigstens auf 6 Jahre vertheilen lassen.
») Am Rande der Vermerk : werden sämmtliche Vorschläge approbirt und wird
das darnach für die Commission zu entwerfende Regulativ zur Vollziehung erwartet.
Der grosse Brand von Posen am 15. April 1803, 161
Den Bauenden ist es erlaubt, mehr als zwey Stockwerk zu
bauen, die Vergütung geht aber nur auf zwei Etagen.
Ebenso ist es den Bauenden zu verstatten, mehr als das Anschlags-
Quantum, nicht aber weniger auf den Bau zu verwenden.
Die innere Einrichtung der Gebäude ist der Convenienz der
Bauenden, jedoch bei Beobachtung der Regeln der Feuersicherheit
und diesfälhgen Controlle zu überlassen.
Die auf den Brandstellen verbliebenen Steine werden den
vormaligen Häuser - Besitzern gelassen und können von denselben
beim neuen Baue angewendet werden.
Den Bauenden ist frey zu geben, Ziegeley-Anlagen zu machen
und bis zur Vollendung des Retablissementsbaues zu unterhalten;
sie müssen sich jedoch der Revision der Steine, welche sie ver-
fertigen, unterwerfen, damit keine schlechte und in Absicht des
Maasses unrichtige Steine gebraucht werden.
Ein jeder Eigenthümer, welcher eine neue Bau- und Hofstelle
erhält, muss, wenn diese grösser als seine vormalige ist, für das
Uebermaass taxmässige Vergütung an den Retablissements-Bau-Fonds
leisten. Ist er hiezu nicht gleich im Stande, so soll ihm Dilazion
widerfahren, und leidliche Terminalzahlung von ihm angenommen
werden.
Eben so muss sich ein jeder Eigenthümer, welcher eine neue
Bürgerstelle angewiesen erhält, der verhältnissmässigen Abgabe-
Regulirung unterwerfen; entstehen hierdurch Ueberschüsse, ausser
bei den Rauchfangsgeldern, so fallen sie der Kämmerey als neue
Revenue anheim.
Unter den Bauenden ist, da das Retablissement mehrere
Jahre erfordert, eine Reihenfolge zu reguliren, und bei solcher
Kaufleuten, Brauern, Bäkkern und allen denjenigen, denen es bei
ihrem Gewerbe vorzüglich auf Raum und feuersichere Behältnisse
ankömmt, der Vorzug vor anderen zu geben. In der Concurrenz
gleichgegründeter Ansprüche auf früheren Bau entscheidet das Loos.
Wer nach seiner Reihe oder nach dem Loose am Bauen
stehet, muss sogleich Zeichnung und Anschlag, wonach er bauen
will, zu Revision und Festsetzung einreichen, zugleich aber die
Mittel nachweisen, den Bau mit Hülfe der Unterstützungsgelder
ohne Unterbrechung auszuführen. Kann er das Vermögen hierzu
nicht gleich darthun, so geht die Reihe des Bauens auf den nächsten
qualifizirten Interessenten des Bauplans über.
Ausser der Reihenfolge des Bauplans stehet denen zu bauen
frei, die nicht auf Unterstützung Anspruch machen. Auch diejenige,
welche solche zu erhalten wünschen und vorschussweise beschaffen
können, kann der Bau zur Beförderung des Retablissements ausser
der Reihe nachgelassen werden; sie müssen aber dann den Ersatz
Zeitschrift der Hist. Ges. ffir die Prov. Posen. Jahrg. XIX. 11
IÖ2 Rodgero Prümers.
ihres Vorschusses erwarten, bis ihre Reihe zum Bauen planmässig
eintritt.
Die Unterstützungsgelder sind den Bauenden in drey Terminen,
und zwar beim Anfange des Baues, wenn das Haus unter Dach ist,
und nach geschehener Vollendung und Revision jedesmal mit einem
Dritteile zu bezahlen.
So wie die Bauenden verbunden sind, statt ihrer alten Bürger-
stellen neue anzunehmen, ebenso sind die Eigenthümer des Grundes
und Bodens, der zu letztern erforderlich ist, verpflichtet, solche gegen
Entschädigung zum gemeinen Besten abzutreten. Auch wenn dieser
Grund und Boden streitig ist, so darf solches dessen Abtretung
nicht aufhalten. Die taxmassige Entschädigungssumme ist aber dann,
bis zu ausgemachtem Streite zwischen den Parteien, gerichtlich
niederzulegen.
Die Entschädigung für Ländereien, welche zum Retabüssements-
bau zu überlassen sind, geschieht nach einer Taxe, zu der die
Grundsätze von der Kammer nach vorgängiger Rücksprache mit
dem Magistrat zu ermessen sind. Die Bezahlung der Entschädigungs-
gelder wird sofort aus dem Retablissements-Bau-Fond geleistet.
Eigenthümer von Gebäuden, welche zum Besten des Re-
tablissementsbaues und der Strassen- Verbreitung niedergenommen
werden müssen, sind verbunden, sich deren Translokazion auf
Kosten des Retablissements-Bau-Fonds gefallen zu lassen, und es
ist dahin zu sehen, dass die Eigenthümer dabei in Absicht der
Vorteile der Lokalität nach Möglichkeit nicht verlieren. Wollen
selbige lieber die Bezahlung nach der Taxe dafür annehmen, so
soll diese erfolgen.
Zur Leitung der Retablissements-Bau-Geschäfte wird eine
besondere Commission unter der Direkzion der Kammer zu ver-
ordnen und zu solcher zu ernennen seyn:
i. Der Krieges- und Steuerrath von Timroth,
a. Der Stadt- und Polizey-Direktor Flesche,
3. eine noch zu bestimmende Justiz-Person,
4. Der Polizey-Inspektor Tatzler und
5. ein noch zu wählender Bau-Bediente.
Diese Commission erhält die besondere Verpflichtung:
a. auf die genaueste Befolgung des Retablissementsbauplans
zu wachen,
b. die Reinigung der Baustellen zu besorgen,
c. die Strassen und Bürgerstellen abzustecken und anzuweisen,
d. für die Herbeischaffung des Materialienbedarfs mitzusorgen,
e. die Materialien in Absicht der Güte zu revidiren und
schlechte zu verwerfen und
f. jährlich den Plan zum Retablissement bis zu dessen Vol*
lendung zu entwerfen und zur höhern Genehmigung ein-
zureichen.
Der grosse Brand von Posen am 15. April 1803. 163
Die Commission hat ferner alle den Retablissementsbau be-
treffende Streitigkeiten zu untersuchen und von Polizeiwegen ohne
weitläuftige Förmlichkeiten nach den Umstanden der Billigkeit ge-
mäss abzumachen.
Die höhere Instanzen in dergleichen Sachen sind die Kammer
und das Provinzial-Finanz-Departement.
Streitigkeiten, welche jura privatorum allein zum Gegenstande
haben, sind zwar an das ordentliche Gericht zu verweisen ; indessen
hat die Commission und nicht der Kläger das Forum zu wählen.
Mit den Geld-Angelegenheiten hat die Commission nichts zu
thun. Die Zahlungen geschehen vielmehr durch die Kammer und
den Magistrat, und zur Berechnung wird ein besonderer Anhang
zur extraordinairen Kämmerei-Bau-Rechnung gewidmet
In Rücksicht auf die Wohlthätigkeit des Retablissements-Bau-
und Erweiterungs-Planes und die Gnade, welche der Stadt durch
<lie Unterstützung zu seiner Ausführung widerfährt, ist zwar wohl
zu hoffen, dass alle, welche dabey speciell interessiren, sich mit
Willigkeit in die festzusetzende Prinzipien fügen werden. In-
dessen ist es doch rathsam, solche in ein besonderes Reglement zu
fassen und diesem die Kraft eines speciellen Gesetzes beizulegen.
Ich habe auch ein solches Reglement bereits entworfen, mich darüber
mit dem Grosskanzler von Goldbeck in Correspondenz gesetzt und
bitte allerunterthänigst um die Erlaubniss, solches nach erfolgter
höchster Resoluzion auf gegenwärtigen Bericht und nach geschehener
Modifikazion in Gemässheit Eurer Königlichen Majestät allergnädigster
Bestimmungen zu Allerhöchstdero Vollziehung submissest vor-
zulegen.
Uebrigens ist es sehr wünschenswerth1), die Schindeldächer,
welche die Feuergefährlichkeit so sehr vermehren, und auch bei
dem letzten Brande zu Posen die weite Ausbreitung des Feuer-
schadens veranlasst haben, gänzlich aus dieser Stadt zu entfernen
und andern Orten, wo sie ebenfalls noch stattfinden, hierunter das
Beispiel zu geben. Dieses wird dadurch vorzüglich befördert wer-
den, wenn den Eigentümern von Gebäuden mit Schindeldächern
durch Unterstützung der Reiz gegeben wird, solche gegen Ziegel-
dächer umzutauschen; denn die Kostbarkeit dieser ist unstreitig der
Hauptgrund, der ihre Allgemeinheit hintertreibt
Jetzt nach der kürzlich gemachten traurigen Erfahrung von der
^Verderblichkeit der hölzernen Dächer ist ohne Zweifel ein beson-
ders günstiger Zeitpunkt zu ihrer Verminderung, wenn dazu durch
Bewilligung eines Beitrags zu den Kosten von Seiten des Staats die
Hand geboten wird.
Eine Beihülfe von 25 pro Cent wird hiezu genügen, und ich
*wage es, diese für diejenige allerunterthänigst in Vorschlag zu brin-
J) Am Rande der Vermerk: Approbirt.
11«
164 Rodgero Prümers.
gen, welche in Posen Ziegeldächer statt Schindeldächer machen
wollen, vorausgesetzt, dass die Dachstühle stark genug sind, um
jene zu tragen. Nach dem Ueberschlage der Kammer wird der
Zweck mit 9000 Rthr. zu erreichen seyn, und stelle Eurer König-
lichen Majestät in tiefster Ehrfurcht anheim, ob diese Summe inner-
halb vier Jahren, jedesmal mit 2250 Rthr., auf den Meliorazions-Plan
angesetzt werden darf.
Schliesslich bemerke ich noch allerunterthänigst, dass auch das.
von Eurer Königlichen Majestät zur Errichtung eines Hebammen-
Instituts im vorigen Jahr erkaufte, auf der Graben-Vorstadt belegen
gewesene Haus, mit dessen Nebengebäuden, ein Raub der Flammen
geworden ist Der Wiederaufbau desselben wird ganz auf Eurer
Königlichen Majestät Kosten zu bewürken seyn, die ich mir jedoch,,
mit vorgängiger Vereinigung mit dem Medicinal-Departement, als-
dann erst submissest in Antrag zu bringen vorbehalte, wenn Riss
und Anschlag von dem zu errichtenden neuen Gebäude aufgenommen
seyn werden.
Original im Geh. Staats- Archiv zu Berlin: Acta des Kabinets
König Friedrich Wilhelms III. Rep. 89. Nr. m Bl. 16.
vni.
Kabinets-Ordre, betr. das Retablissement der Stadt Posen.
Körblitz, den a8. Mai 1803.
Mein lieber Staatsminister von Voss ! Auf Euern Bericht vom
20. d. Mts. das Retablissement des abgebranndten Theils der Stadt
Posen betreffend, gebe Ich Euch hierdurch zu erkennen, dass
1. aus den von Euch angeführten erheblichen Gründen Ich
es genehmigen will, dass die Juden nicht ferner in ein bestimmtes
Viertel isolirt weiden, überhaupt aber der eingeäscherte Theil der
eigentlichen Stadt erweitert und auseinander gebaut, auch die
Grabenvorstadt mit den im Feuer aufgegangenen Bürgerhäusern
nicht wieder besezt, sondern diejenige Anzahl derselben, welche
hiernach nicht wieder den vorigen Platz erhalten, theils nach andern
noch unbebauten Stellen in der Stadt, theils nach einer neuen dieser
hinzufügenden Gegend verlegt werden kann, jedoch müsst Ihr nun
auch, bey vorbestimmter Aufhebung des Juden- Viertels, dahin sehen,,
dass das Judenwesen in Posen auf den Fuss, wie in den alten
Landen, wenigstens in Ansehung der einzuschränkenden Anzahl der
Juden, 'welche Häuser besitzen können, eingerichtet wird, weil
sonst allerdings zu besorgen seyn dürfte, dass die christlichen Ein-
wohner von ihnen in ihrem Nahrungs-Stande beeinträchtigt werden
würden.
2. Ich es bey den angezeigten Umständen zweckmässig und
not h wendig finde, dass von sämtlichen abgebrandten 276 Bürger-
Der grosse Brand von Posen am 15. April 1803. 165
Häusern nur 114 auf den wieder zu bebauenden Theil der Alt-
stadt Platz erhalten, die übrigen 162 aber auf die von Euch ge*
nannten in dem Euch nebst den Normal- Anschlägen und Zeichnungen
bereits zurückgesandten Grundriss verzeichneten Stellen gesezt und
sämtliche Häusser massiv von zwey Stockwerken zu 50 Fuss
Fronten-Länge und 40 bis 45 Fuss Tiefe erbaut, hiernächst auch
<lie Strassen in dem zu bebauenden abgebrandten Theile der Stadt;
zu respective 5 und 4 Ruthen, in dem neu zu bebauenden
Theile aber zu respective 6 und 5 Ruthen breit angelegt werden.
3. In Ansehung der Unterstützung zum Bau der abgebrandten
Häuser Ich nach Abzug der acht in der Phönix-Societät versicherten
Häuser zu den übrigen 268 Häusern auf die dazu erforderlichen,
in Verhältniss des Normal-Anschlags-Quanti von 5/m Thalern für
ein Haus, zu überhaupt 1,340,000 Thalern angenommene Kosten,
Fünfzig Prozent Bauhülfsgelder mit 670,000 Thalern und hiernächst
a) zur Vergütigung des taxmässigen Werthes für den behufs
der zu verlegenden Bürgerhäuser abzutretenden Grund und Boden,
b) zur Bezahlung einiger Behufs der Strassen-Erweiterung
in der Altstadt wegzuschaffenden Gebäude,
c) zur Planirung der neuen Strassen,
d) zur Strassenpflasterung überhaupt,
e) zu den nöthigen öffentlichen Brunnen,
f) zu Erbauung einer massiven Kanal-Brücke zwischen der
Altstadt und dem Graben und zu den nöthigen öffentlichen Kanälen,
g) zu den Kosten für die Aufsicht beym Retablissements-Bau
und den dabey vorfallenden Neben- Ausgaben, und endlich
h) zur Vermehrung der Lösch- Anstalten mit einer Prahmspritze
noch überhaupt die Summe von 100,000 Thalern accordiren will,
so dass jedoch die hiernach erforderlichen 770,000 Thaler, da Ich
nicht glaube, dass das Retablissement in 4 Jahren wird vollendet
werden können, auf wenigstens 6 Jahre vertheilt werden sollen.
4. was die übrigen bey dem Retablissements-Bau anzunehmen-
den Regeln betriff Ich sämtliche von Euch deshalb gemachten
Vorschläge, ingleichen die Anordnung einer besonderen Commission
2tur Leitung der Retablissements-Bau-Geschäfte in der angezeigten
Art, approbiren, und daher das darnach für die Commission zu ent-
wertende Regulativ zu seiner Vollziehung gewärtigen will, so wie
Ich denn auch
5. die Begünstigung des Baues der Ziegeldächer statt der bis«
berigen Schindeldächer rathsam finde, daher auch denjenigen,
welche dergleichen in Posen statt der Schindeldächer machen
wollen, eine Beyhülfe von 25 Procent bewilligen, die zu dem
Ende nöthigen zu 9000 Thalern angegebene Kosten aber, inner-
halb vier Jahren, jedesmal mit 2250 Thalern auf den Meliorations-
Plan accordiren, und endlich
l66 Rodgero Prümers.
6. wegen des auf der Graben- Vorstadt mit sämtlichen Neben-
gebäuden abgebrandten, ganz auf Meine Kosten zu erbauendem
Hebammen-Instituts Eure weiteren Anträge, nach geschehener Ver-
einigung mit dem Medicinal-Departement, unter Einsendung des.
Risses und Anschlags erwarten will, so dass Ihr nunmehr überall
hiernach die weiter nöthigen Verfügungen treffen könnt. Ich bin
Euer wohl affectionirter König.
Original im Geh. Staats- Archiv zu Berlin, General-Direktorium,
Südpreussen, Ortschaften. Nr. 1645 Vol. 3 Bl. 1.
IX.
Der Justizminiater v. Goldbeck rät, vor Enteignung der Grundstücke
zunächst in Güte mit den früheren Eigentümern zu verhandeln.
Berlin, den 30. Juli 1804.
Ew. Excellenz haben mir vermittelst Dero geehrtestei>
Schreibens vom 19t«? d. M. einen Bericht der Posenschen Krieges-
und Domainen-Kammer mitzutheile geruhet, um meine Meinung:
über die von den Referenten in Antrag gebrachte Declaration des
§ 9 des für Posen ernannten Retablissements-Reglements zu ver-
nehmen. Dero mir zugleich eröfnetes Sentiment gehet dahin, dass,
da es an sich gleichgültig sey, ob Grundstücke von ihren bisherigen
Eigentümern zur Erweiterung der Strasse oder zu Bauplätzen für
die abgebrannten Einwohner abgetreten werden, nach der Bestim-
mung des § 12 verfahren werden könne, ohne dass es einer
nähern Erklärung des Reglements bedürfe. Darin bin ich nun zwar
mit Ew. Excellenz vollkommen einig, dass über eine Abtretung von
der Art, wie der § 9 solche annimmt, ebenfalls kein Prozess oder
sonstige Weitläufigkeit gestattet werden kann; da indessen der
§ 9 ausdrücklich verordnet, dass bevor via facti verfahren wird, der
Versuch gemacht werden soll, die Abtretung in Güte zu regulären,
und es doch eine unnöthige und um so drückendere Härte scheinen
möchte, wenn dieser Versuch ganz bey Seite gesetzt werden sollte,
so stelle ich ergebenst anheira, ob Dieselben nicht die Cammer an-
zuweisen geruhen wollen, die gütliche Verhandlung mit dem Eigen-
tümer des abzutretenden Platzes der Reguürung der Sache nach
den festgesetzten Principien vorangehen zu lassen. Dieser Versuch
der Güte kann nur eine unbedeutende Zeit wegnehmen, indemv
wenn die Tax-Principien, wonach die Vergütigung geleistet wird*
öffentlich bekannt sind, und die abzutretende Plätze nach einem
gewissen Maasse bestimmt werden, dieses Maass aber ebenfalls
seine Taxe hat, beyde Theile wissen, was sie respective zu er-
warten und zu leisten haben. Lässt der Eigenthümer, der ihm zu
machenden Bedeutungen ungeachtet, von seiner übertriebenen Forde-
rung nicht ab, so werden die Verhandlungen abgebrochen, und ihm
der Fundus abgenommen. Bey diesem Verfahren wird, bey einem
Der grosse Brand von Posen am 15. April 1803. 167
unbedeutenden Zeitaufwande, die Sache weniger gehässig er-
scheinen, als wenn man auch bey billigen Eigentümern mit deren
Exmission den Anfang machen wollte, ohne sie einmal zu befragen,
und ich glaube daher, dass diese Form um so mehr zu beobachten
seyn dürfte, als jeder Zwang auch pro bono publico schon an sich
etwas Widriges hat. Was nun die Berichtigung des Besitztitels
von den ihren bisherigen Eigentümern abgenommenen Baustellen
anbelangt, so habe ich der Posenschen Regierung aufgegeben, nach
erfordertem Berichte des dortigen Stadtgerichts Vorschlage zu thun,
wie diese Sache auf die kürzeste und sicherste Art zu reguliren
seyn dürfte, nach deren Eingang ich nicht ermangeln werde, mit
Ew. Excellenz mich deshalb näher zu concertiren.
Original im Geh. Staats- Archiv Berlin : Gen. Dir., Südpr., Ort-
schaften Nr. 1645 Vol. 7.
x.
Die Kriegs- und Domänenkammer zu Posen berichtet an das General-
Direktorium Ober die Art der Verlosung der Bauplätze in Posen.
Posen, den a8. August 1804.
Ew. Königlichen Majestät Südpreuss. Departements-Chef haben
während dessen leztern Anwesenheit hieselbst auf unsern münd-
lichen Vortrag in Absicht der Grundsätze, welche bey Vertheilung
der Retablissements-Bauplätze in der hiesigen Neustadt beobachtet
werden sollen, zu bestimmen geruhet, dass er künftighin, um allen
Beschwerden so wie dem Schein von Partheylichkeit und Begünstigung
möglichst zu begegnen, bey Verlosung der Retablissements-Bau-
plätze verbleiben, jedoch dahin gesehen werden solle, dass die
Ouvriers, Handel und Gastwirthschafttreibenden Personen in allen
Gegenden der Alt- und Neu-Stadt möglichst vertheilt werden, dass
selbige die für sie schicklichsten Stellen erhalten und dass dem
Bauenden nach Vorschrift des Retablissements-Bau-Reglements die
Vortheile, welche mit ihren vormaligen Grundstücken verbunden
gewesen, so viel es die Umstände zulassen, wieder zugewandt
werden. In Gemässheit dieser Bestimmung haben wir das dieser-
halb Erforderliche an die Retablissements-Bau-Commission unterm
14. Juny c. erlassen und derselben zugleich aufgegeben, für die-
jenigen Personen, bey welchen nach Bestimmung des gedachten
Reglements in Absicht der Anweisung der Bauplätze besondere
Rücksicht genommen werden muss, besondere Gassen der Ver-
losung zu constituiren, allen übrigen Retablissements-Bauenden aber,
welche nicht individuelle Umstände begünstigen, ihre Baustellen
durch die allgemeine Verlosung ohne Unterschied anzuweisen. Die
Commission hat nun unterm 18. d. M. dagegen vorgestellt, dass nach
ihrer Meinung nur die ehemalige Lage des abgebrannten Grund-
stücks bestimmen könne, in welche Ciasse der Eigenthümer
l68 Rodgero Prümers.
desselben bey Verlosung der Baustellen in der Neustadt gelangen
solle, und dass das Gewerbe oder die sonstige Eigenschaft des
Eigenthümers gar nicht zu berücksichtigen sey, da derjenige, der
von den Einkünften eines Hauses in der Breiten Strasse gelebt
habe, ohne irgend einen andern Erwerbszweig gehabt zu haben, die
gerechtesten Ansprüche machen könne, dass er in der besten
Gegend der Neustadt um eine Baustelle loosen dürfe. Dahingegen
der Kaufmann aus der entlegenen Hölzernen oder Nassen Gasse zu-
frieden seyn müsse, wieder in den entlegenen Gegenden der Neu-
stadt zu loosen. Von diesem Gesichtspunkte ausgegangen hat die
Commission zwey Classen gemacht und zur ersten Classe die Breite
Strasse, grosse Judenstrasse, Gerbergasse, Schlosser- und Messer-
schmidsgasse und den Graben, zur zweiten Classe aber die übrigen
kleinen Gassen gerechnet. In der Neustadt ist dieselbe gesonnen,
die Interessenten der ersten Classe in dem Theile, welcher von der
neuen Berliner und Friedrich-Strasse anfängt, .bis inclusive der
beiden nach St. Martin führenden Strassen und in dem Theile der
Fischerey, welcher von dem projectirten freyn Platze bis zur
Strasse nach dem Carmeliter Kloster belegen ist, loosen zu lassen,
wo dann für die zweyte Classe der übrige Theil der neuen Langen
Gasse durch die Fischerey bis in die Neuen Gärten und von dort
die neuen Communications-Strassen mit St. Martin verbleiben würde.
Damit keiner der Abgebrannten für den andern praegravirt
werde, hält es die Commisssion für noth wendig, dass jetzt alle Ab-
gebrannte um ihre Plätze auf einmal loosen, damit ein jeder wieder
ein Eigenthum erhält und sich wenigstens ein Hinterhaus bauen
kann, um den theuren Miethen zu entgehen und in Ruhe sein Ge-
werbe zu betreiben. Um dieses ausführen zu können, wird die Com-
mission bestimmt ausmitteln, was ein jeder von den Eigen thümern
derjenigen Grundstücke, welche in der zu bebauenden Gegend be-
legen sind, abtreten muss, und hat dazu bereits die Einleitung ge-
troffen, befürchtet zwar viele Widersprüche von den Eigenthümern
jener Gegenden, hoft jedoch, dass sie zum Besten der hiesigen Ab-
gebrannten hierunter bestens werde unterstützt werden, damit
durch eigensinnige Widersprüche einzelner Eigenthümer das Ganze
nicht leide.
Wir müssen hierunter ganz dem Sentiment der Retablissements-
Bau-Commission beitreten und submittiren Ew. Königl. Majestät bey
Ueberreichung eines Situations-Plans von der verlängerten Friedrichs
Strasse bis zum neuen Markte allerunterthänigst, ob nach dem An-
trage der Commission nicht auch ein Theil des Juden-Begräbniss-
platzes, welcher an dieser Strasse belegen ist, jetzt schon zu Bau-
stellen in der Art genommen werden dürfte, als der Plan dieses
näher ausweiset. Diese Gegend und die Abgebrannten würden sehr
viel dadurch gewinnen, und da auf diesen Theil des Kirchhofes
Der grosse Brand von Posen am 15. April 1803. 169
schon lange kein Todter mehr beerdigt worden ist, so würde auch
diese Massregel nicht unbillig seyn, und das durch keine Vernunft-
Gründe zu besiegende Vorurtheil der Juden wohl keine Rücksicht
verdienen.
Ew. Königl. Majestät allweisesten Ermessen stellen wir die
allerhöchste Entscheidung wegen dieser Vorschlage submissest an-
heim und bitten um baldige huldreiche Resolution und Zurückferti-
gung des beigehenden Plans allerunterthänigst.
Original im Geh. Staats- Archiv zu Berlin: Gen. Dir., Süd-
preussen, Ortschaften Nr. 1645 Vol. 8.
Die Vorschlag« worden genehmigt, jedoch mit der Weisung, „dass der Juden-
kirchhof vor der Hand noch nicht bebauet werden sollte".
XL
Gutachten des Juaticmlnliters v. Goldbeck über die Neuregulierung
des Hypothekenwesens in der Stadt Posen. Berlin, d. 14* Dxember 1804.
Es ist nunmehro der Bericht der Regierung zu Posen, mit dem
Gutachten des dortigen Stadtgerichts, betreffend die Regulirung des
Hypothekenwesens von den in der Stadt abgebrannten und nicht
an der alten Stelle zu retablirenden Häuser eingegangen. Nachdem
die Sache sorgfältig erwogen und mehrere Neben Akten adhibirt
worden sind, gebe ich mir die Ehre, Ew. Fxcellenz in den Original
Anlagen den gedachten Bericht nebst dem Gutachten sub voto re-
missionis mitzuteilen und Denenselben meine Meinung zu eröfnen,
nach welchen Grundsätzen die Sache am kürzesten und sichersten
zu reguliren seyn dürfte, wobey ich jedoch des zu beobachtenden
Verfahrens, in Rücksicht dessen ich bey dem Vorschlagen des
Stadtgerichtes wenig zu erinnern finde, nur zum Teil gedenken und
mich vorzüglich nur auf Materialia einlassen werde.
Die zu etabiirenden abgebrannten Häuser sind von f ünf erley
Art: 1, die auf dem Graben, welche nur auf eigne Kosten des
Eigenthümers oder dessen Cessionarii auf der alten Stelle retablirt
werden. 2, diejenigen der abgebrannten Graben Häuser, welche
mit Königlichen Bauhülfs Geldern in der sogenannten Neustadt eta-
blirt werden. 3, die in der Altstadt abgebrannten, welche auf der
alten Stelle, es sey auf dieser allein oder zum Teil auch auf einem
anderen Platze, wieder erbaut werden. 4, die auf der Altstadt ab-
gebrannten, welche auf eine andere Stelle der Altstadt zu stehen
kommen, und 5, diejenigen derselben, welche auf der Neustadt
retablirt werden.
So weit die abgebrannten Häuser von dem vorigen Eigen-
thümer ganz auf eigne Kosten oder mit Hülfe Königlicher Baugelder
auf der alten Stelle retablirt werden, hat die Sache kein Bedenken;
die alten Hypotheken und Reallasten revivisciren und ruhen auf
dem neuen Gebäude, wie vorher auf dem alten.
170 Rodgero Prümers.
Schwüriger aber sind die Fälle zu reguliren, wenn der alte
Eigenthümer seine Stelle verkauft und nicht selbst bebaut, und wenn
er das abgebrannte Haus an einer andern Stelle, sey es er selbst
oder sein Cessionarius, retablirt.
Hier kommen folgende Fragen zu entscheiden vor: 1) Muss
der Käufer der Brandstelle, der sie bebaut, für alle vorher auf der-
selben gehaftete Hypotheken gerecht werden ? und ruhen diese auch
auf dem von ihm darauf erbauten Hause? 2) Können sich die Real-
gläubigen desjenigen, der einen Fundum in der sogenannten Neustadt
gutwillig oder gezwungen hergiebt, damit darauf Strassen angelegt und
die in der Altstadt oder auf dem Graben abgebrannten Häuser re-
tablirt werden, wegen ihrer ganzen Forderungen an einem oder
mehrern von denen, welchen ein einzelner Bauplatz des verhafteten
Fundi angewiesen wird oder auf dem darauf errichteten Gebäude
halten? welche Frage auch dann vorkömmt, wenn ein Teil des
Bauplatzes in der Altstadt oder der ganze Platz eines Abgebrannten,
der sein Haus auf der Neustadt retablirt, andern, die in der Altstadt
bauen, überlassen will. 3) Können die Realgläubigen eines ab-
gebrannten Haus-Eigenthümers, der sein Haus auf einer neuen Stelle
selbst retablirt, verlangen, dass ihre Forderungen auf das neue
Haus übertragen werden oder können sie sich nur vi juris realis an
der abgebrannten Stelle halten?
Die analogische Anwendung der Rechte in diesem Falle, würde
das Retablissement der Stadt sehr aufhalten, zum Teil ganz vereiteln
und eine völlige Ungewissheit und grosse Schwürigkeiten herbei-
führen, dahero ich folgende Principia etabliren würde, wobey ich
davon ausgehe, dass 1) die Käufer der Baustellen auf alle Weise
sicher gestellt werden, um ohne Bedenken Plätze zu acquiriren, und
2) nach einer auffallenden Billigkeit die Realgläubiger dererjenigen
Grundstücke, welche pro bono publico den Eigentümern abge-
zwungen werden, befriediget und sicher gestellt werden müssen.
Die Realgläubigen desjenigen, welcher den abgebrannten Platz
selbst nicht bebaut, auch sein Haus nicht auf der Neustadt auf einer
andern Stelle retablirt, sondern den alten Platz oder das Recht,
Bauhülfsgelder an seiner Stelle zu fordern, an einen andern abtritt
oder verkauft, können sich nur an dem Kaufgelde, welches der
Käufer oder Cessionarius erlegt, halten, und ihnen steht es nur frey,
binnen 4 Wochen das Verkaufsrecht (!) auszuüben, wenn ihre For-
derungen durch das Kaufgeld nicht vollständig gedeckt werden, und
sollen sie zu dessen Ausübung gerichtlich aufgefordert werden, wenn
sich aus dem Hypotheken Buche ergiebt, dass ihre Forderungen
nicht gedeckt werden.
Dieses Recht steht nur denjenigen Gläubigern zu, welche einen
Ausfall leiden.
Der grosse Brand von Posen am 15. April 1803. 17*
Wer ohne diese Aufforderung der eingetragenen Gläubiger
dem Eigenthümer Zahlung für den Platz oder das Recht leistet,
muss es sich selbst beimessen, wenn er bey der persönlichen Un-
sicherheit des Verkaufers den Gläubigern für den Ausfall ihrer ein-
getragenen Forderungen, soweit sein Kaufgeld reichte, gerecht
werden muss. Ohne den Creditoren dieses Verkaufsrecht (!) einzu-
räumen, würden sie in vielen Fällen hintergangen werden.
Die Retablissements-Bau-Commission zahlt die principien-
mässigen Kaufgelder für die Plätze, welche sie zu Strassen oder
neuen Baustellen auf der Neustadt acquirirt, zum Deposito des
Stadtgerichts, von wo aus sie dem Eigenthümer ausgehändiget werden,
oder die Sache mit den Real- Creditoren nach dem Vorschlage des
Stadtgerichts regulirt wird.
Dieses geschieh et cum effectu einer gänzlichen Liberation des
Fundi von allen vorher darauf gehafteten Lasten, so dass davon
keine auf die Commission oder die auf diesen Platz angewiesene
Baustellen übergehen.
(Der Vorschlag, dass die Commission den etwanigen Ausfall
der Real-Schulden übernehme, scheint mir ganz unbegründet zu
seyn, da ich mit Gewissheit voraussetzen zu können glaube, dass
diese Plätze so gut bezahlt werden, dass kein Gläubiger, der vorher
darauf Geld lieh, einen höhern Preis erwarten durfte. Es würde
dieses auch wahrscheinlich manchen Betrug veranlassen).
3.
Eben so wie ad. 2. wird es auch mit den Brandstellen der
Altstadt, die nicht mit eigenen Häusern bebaut, sondern zu andern
abgetreten werden, zu halten seyn.
Der Vorschlag, dass die in der Altstadt und auf dem Graben
abgebrannten Hauseigentümer, welche Plätze zum Bau in der
Neustadt angewiesen erhalten, die auf ihren Brandstellen haftenden
Realschulden und Lasten auf die an dem neuen Orte erbauten
Häuser mit herüber nehmen sollen, ist wohl nicht für rechtlich be-
gründet anzunehmen. Es ist ein blosser Glücksfall, dass Königliche
Baugelder gegeben werden, und ein jeder Creditor, welcher auf
diese, in keiner Feuer-Casse versicherte Häuser Geld lieh, konnte
nichts anderes vorhersehn, als dass, wenn sie abbrannten, ihm zu
seiner Sicherheit nur der Bauplatz und die persönliche- Zahlbarkeit
des Eigentümers übrig bleibe. Beyde Sicherheiten hat er auch
jetzt. Indessen habe ich, da die Bauhülfsgelder fürs allgemeine
Beste und nicht wegen der Person des Bauenden hergegeben
172 Rodgero Prümers.
werden, (nichts dagegen, wenn gesetzlich bestimmt werden soll) l),
dass, im Fall die Realer editoren des abgebrannten Hauses darauf an-
tragen, ihre Forderungen auf das in der Neustadt erbaute Haus
übertragen werden, jedoch dergestalt, dass sie den Gläubigern,
welche das Geld zur Anschaffung des Bauplatzes und zum Bau
selbst hergeben, nachstehen, also nur auf residuum Anspruch
behalten.
Hieraus kann kein Nachteil entstehen, denn gedeckt sind der-
gleichen Creditoren immer nur bei solchen Schuldner, der wohl-
habend und persönlich sicher ist.
5-
Was nun die Verfahrungsart anbetrifft, so (fahrt nach meiner
Meinung der Vorschlag des Stadtgerichtes, dass die Retablissements-
Bau-Commission über die Plätze, welche sie auf der Neustadt zu
Strassen und neuen Bauplätzen acquirirt, mit dem bisherigen Eigen-
thümer förmliche Verträge gerichtlich abschliessen oder verlautbare,
zu grossen Weitläuftigkeiten, und (ich halte)1) ein Attest (dieser) *)
Commission, dass der zu beschreibende und nach einer Nummer
oder sonst genau zu bezeichnende Platz von dem N. N. reglements-
mässig acquirirt und dem N. N. zum Retablissement seines ab-
gebrannten Hauses angewiesen, auch von ihm bezahlt worden, (für)
hinreichend, um den Besitztitel für den neuen Acquirenten zu be-
richtigen. Hat er die Zahlung des Kaufgeldes für den Platz an die
Commission noch nicht geleistet, so kann in das Attest gesetzt
werden, dass dieses noch nicht geschehen und ieh? locus im
Hypotheken-Buche für die zu benennende Summe des Kaufgeldes
reservirt werde. Ich setze indessen hiebey voraus, dass, wie es
das Reglement vorschreibt, die Retablissements- Commission mit
einem Justizbedienten versehen sey, damit ein solches Attest ge-
richtlichen fidem habe.
(Wenn Ew. Excellenz mit diesem Sentiment einig seyn sollten,
worüber ich mir eine bald gefällige Erklärung ganz ergebenst er-
bitte; so würden diese Principia, da sie die Gesetze abändern, er-
weitern und zum Teil neue Gesetze sind, Seiner Königlichen Majestät
zur Genehmigung vorzulegen und mit den aufgestellten Gründen zu
motiviren seyn, und stelle ich zugleich ergebenst anheim, ob Ew.(
Excellenz zur Beschleunigung der Sache diesen Bericht gleich zu
meiner Mitzeichnung geneigt entwerfen lassen wollen.
Noch muss ich der Juden gedenken, wovon in den anliegen-
den Berichten sehr viel verhandelt ist.
Da die Judenstadt auseinandergerissen wird, und die für die
Juden zu retablirenden Häuser mit den christlichen vermischt werden,
l) In Rücksicht auf die Klammer ist am Rande hinzugefügt : so wird festgesetzt.
*) Dfl.: ist
*) Dg-1: der Retablissements-Bau-
Der grosse Brand von Posen am i$. April 1803. 173
so wäre es schon deshalb und aus andern Gründen noch mehr zu
wünschen, dass das Hypothekenwesen aller Judenhäuser dem Stadt-
Gerichte übertragen würde.
Die Juden in Posen haben bekanntlich ihre eigene Juris-
diction, welche bey der Occupation anerkannt worden ist. Es sind
schon Versuche gemacht worden, sie der Gerichtsbarkeit des Stadt-
gerichts zu unterwerfen. Sie schienen dazu einmal nicht abgeneigt
zu seyn, wenn sie die 500 Rthr., welche sie zur Salarirung des
Judengerichtes jährlich zahlen, nicht mehr erlegen dürften. Bey
dem geringen Unterhaltungs-Fonds des Stadtgerichtes konnte hier-
auf nicht entriret werden, und in der Folge verlangten sie unmittel-
bar unter der Regierung zu stehn und leiteten diesen Anspruch
aus ihrem Verhältnisse gegen den Woiwoden zu Pohlnischen Zeiten
her, welches aber keine Anwendung leidet.
Mit diesem Antrage wurden sie also abgewiesen, und da sie
ausdrücklich dagegen protestirten, dem Stadt-Gerichte unterworfen
zu werden, so wurden sie beschieden, dass es bey der jetzigen
Verfassung bleiben müsse).
6.
Da (indessen)1) das Judengericht bisher das Hypothekenwesen
der jüdischen Grundstücke noch gar nicht regulirt hat, (man zu
Pohlnischen Zeiten diese Einrichtung gar nicht kannte) und es sehr
grosse Schwierigkeiten haben würde, diesem Gerichte das
Hypothekenwesen über die mit allen übrigen Häusern der Stadt
untereinander liegenden Judenhäuser zu überlassen, so (sentire ich
dafür, dass)2) solches dem Posenschen Stadtgerichte übertragen
(werde), jedoch alle zur ersten Uebertragung erforderliche Nach-
richten von dem Judengerichte gesammlet werden. Es, verstehet
sich, dass alsdann auch die Real- Jurisdiction dem Stadtgerichte mit
zufallen (muss).
(Wenn Ew. Excellenz auch hiemit einig seyn sollten, so würde
auch hierüber zugleich mit die Königliche Genehmigung einzu-
hohlen seyn.
Endlich bemerke ich in Ansehung des Vorschlages des
Stadtgerichtes,
7-
dass zur Regulirung des Hypothekenwesens der abgebrannten
Häuser aus seiner Mitte eine besondere Commission niedergesetzt
werde, wie mir dieses nicht nötig zu seyn scheinet, da das Re-
tablissement der Stadt nur successive und vielleicht erst in 6 bis
10 Jahren geschiehet, das Geschäft also auch nur successive geschehen
darf und durch meine Vorschläge sehr simplificirt werden wird.
*) Dgl. : Die Juden Stadt auseinander gebauet wird und
*) Dgl. : wird
174 Rodgero Prümers.
8.
Den Subalternen des Stadtgerichtes wird dadurch zwar eine
grössere Arbeit gewachsen (!); allein Ew. Excellenz werden auch
hoffentlich nicht abgeneigt seyn, ihnen dafür eine angemessene
ausserordentliche Remuneration zu bewilligen.
Wenn die Haupt-Principia höchsten Orts genehmiget worden
sind, werde ich die Regierung wegen des beobachtenden Ver-
fahrens ausführlich bescheiden.)
Original im Geh. Staats- Archiv zu Berlin: General-Direkt.,
Südpreussen, Ortschaften Nr. 1645 Vol. 9.
v. Vom erklärt sich hiermit einverstanden. a8/ia. 1804. Eine Kabinets-Ordre
Tom 19. Januar 1805 regelt die Angelegenheit nach den Vorschlagen Goldbecks.
Inhalts- Verzeichnis.
Seite
i. Die Epochen der Posener Landesgeschichte. Von Archiv-
rat Professor Dr. Adolf Warschauer zu Posen . . 1
2. Zur Geschichte des Buchdrucks und des Buchhandels in
Lissa. Von Pastor Wilhelm Bickerich zu Lissa . . 29
3. Zehn Posener Leichenpredigten der Marienkirchen-Bibliothek
zu Frankfurt a. O. Von Amtsgerichtsrat Arno
Bötticher zu Frankfurt a. 0 61
4. Der Streit der Schuhmachergewerke zu Meseritz und
Schwerin im 17. Jahrhundert. Von f Referendar Karl
Andersch zu Schwerin a. W 75
5. Des Landgrafen Friedrich von Hessen Todesritt von Posen
nach Kosten. Von Bibliothekar Professor Dr. Oswald
Collmann zu Posen 91
6. Der grosse Brand von Posen am 15. April 1803. Von
Archivdirektor Professor Dr. Rodgero Prümers zu
Posen 118
i
■■
??&&■?&*' W91,
•V.Y
Zeitschrift
,:<i9
der
Historischen Gesellschaft
für die
Provinz Posen,
zugleich
Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für *
den Netzedistrikt zu Bromberg.
Herausgegeben
Vi Hl
Dr. Rodgero Prümers.
Neunzehnter Jahrgang. • •■ « Zweiter Kalbband.
■
I:'.\9i
Alle Rechte vorbehalten.
Preussische Friedensprojekt von 1712
und König Stanislaus Leszczynski.
Von
Kurt Schottmtiller.
|er grosse Geschichtsschreiber der preussischen
Politik Joh. Gustav Droysen hat zum ersten
Mal darauf hingewiesen, wie Preussen durch
die unverhältnissmässig grossen noch dazu vom Kaiser
unvergoltenen militärischen Opfer in dem ihm fernen
spanischen Erbfolgekriege in die klägliche Notlage
geriet, auf eine kraftvolle Wahrnehmung seiner eignen
dringenden Interessen auf dem dichtbenachbarten
nordischen Kriegsschauplatze an seinen Grenzen so
völlig verzichten zu müssen. Eine tragische Schicksals-
fügung, dass die Regimenter, die so tapfer und ruhmvoll für
die habsburgische Hauspolitik bei Höchstädt und Ouden-
aarde, bei Turin und Malplaquet gefochten hatten, noch
immer fern der Heimat waren, die, wenngleich friedliches
Land, wehrlos den rücksichtslosen Truppendurchzügen und
gelegentlichen Kontributionen seitens der nordischen Kriegs-
parteien preisgegeben blieb. Ohne die nötigen militärischen
Kräfte wäre allerdings auch eine entschlossenere Natur als
der erste Preussenkönig kaum in der Lage gewesen, seine
Ansprüche auf dem norddeutschen Kriegsschauplatze, vor
allem in Pommern, zur Geltung zu bringen.
Aus dieser Notlage ist auch, wenigstens zum Teil,
die Neutralität zu erklären, die Friedrich I. im Allge-
meinen hier beobachtet hat Pläne zur Beilegung des
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Prov. Posen. Jahrg. XIX. 12
178 Kurt Schottmüller.
Krieges sind preussischerseits wohl mehrfach erwogen
worden, zumal in der Besorgnis vor Friedensstörung im
eignen Lande durch die an den Grenzen stehenden
Truppen der kriegführenden Parteien. Der preussische
Friedenvermittlungsversuch vom Jahre 1712 ist von Droy-
sen bereits kurz berührt worden1); der Anteil des gross-
polnischen Theologen Daniel Ernst Jablonski und des
Lissaer Bürgermeisters Arnold, deren Vermittlung sich
die preussische Regierung damals bediente, mag eine ein-
gehendere Darstellung dieses Planes im provinzialge-
schichtlichen Interesse rechtfertigen.
Den äusseren Anstoss zu diesem Vermittlungsaner-
bieten für Preussen hat wahrscheinlich wohl die Bedro-
hung und Heimsuchung geboten, der die schutzlosen
Marken im Sommer 1711 infolge der rücksichtslosen Durch-
züge der Kriegstruppen preisgegeben waren. Zu diesen
wurde die Erlaubnis formell zwar erbeten, aber erst gar
nicht abgewartet, so dass im August 171 1 12,000 Russen,
6000 Polen, 6000 Sachsen auf dem Wege nordwärts nur
drei Meilen von Berlin entfernt lagerten. Dass es bei
derartigen Durchmärschen nicht ohne Unordnung und
gelegentliche Plünderungen abgegangen war, das hatte
man eben schweigend und wehrlos hinnehmen müssen.
In Berlin war wohl bekannt, dass Dänemark und vor-
allem Sachsen bereits mit Unbehagen und Mistrauen das
wachsende politische Uebergewicht und den Ueberraut
des russischen Bundesgenossen auf diesem Kriegsschau-
platz ertrugen und dass darum beide gern ihren Frieden
mit Schweden gemacht hätten. Den russischen Gegner
liess man vor der Hand gänzlich bei Seite, aber am wich-
tigsten war, wie sich denn Schweden in der Frage stellen
würde; hier musste zu allererst einmal sondiert werden.
Man wandte sich an Graf Wellingk in Stade, den Gou-
verneur von Bremen und Verden, jener schwedischen
Besitzungen im niedersächsischen Kreise, der einen Ein-
fall der Dänen in sein Gebiet befürchten musste und
1) Droysen, Geschichte der preussischen Politik IV, 424.
«*v>r - |7v
Das prcuss. Friedensprojekt v. 1712 u. König Stanisl. Leszczynski. 179
hoffte, dass Preussen von Reichswegen als Mitdirigent im
niedersächsischen Kreise ein Truppenkontigent gegen den
feindlichen Einfall aufstellen werde. Gleichzeitig war es
Wellingk wichtig, Zeit zu gewinnen, dass Graf Stenbock
das in Schweden zusammen gebrachte letzte Heer nach
Pommern hinüberführen könnte. So war er denn zu Ver-
handlungen sehr bereit und erhielt die Erlaubnis dazu in
einer von Karl XII. am 8. März 1712 in Bender ausge-
stellten Vollmacht, mit welcher er am 11. Juni den Baron
von Friesendorf nach Berlin sandte1); er selbst traf am
19. Juni ein. Doch betrat er nicht die Hauptstadt, die
Verhandlungen wurden von Preussen — offenbar um den
Argwohn Russlands nicht zu wecken — ganz geheim ge-
führt, und er hielt sich während der Zeit in dem Spandau
benachbarten kleinen Ruhleben auf. Dort hatte er bereits
tags darauf mit Preussens auswärtigem Minister Rüdiger
von Ilgen eine erste Besprechung, über deren Inhalt des
Ministers eigenhändige Aufzeichnung in den Akten2) uns
unterrichtet. Ilgen setzte dem Schweden auseinander,
Preussen sei jetzt in die Lage geraten, die Herstellung
der Ruhe in Norden verlangen zu müssen; man sei ge-
neigt, Schweden zuallererst Vorschläge zu machen und
sich mit ihm im Geheimen über die Friedensbedingungen
zu einigen, für welche die einzelnen Gegner Schwedens
nach einander gewonnen werden sollten; die etwa
Widerstrebenden sollten, — sobald Schweden sich mit
den andern verständigt habe, zur Annahme der Bedin-
gungen mit Waffengewalt gezwungen werden, unter be-
waffneter Mitwirkung Preussens: „Le roi de Prusse est
en 6tat de donner pour cet effet ä des conditions raison-
nables un corps de 25,000 hommes et pourra meme V aug-
menter considerablement.w Namentlich die letztere Aussicht
direkter Waffenhilfe war hier wohl für Wellingk aus-
schlaggebend. Denn unter ausdrücklicher Berufung hier-
auf erklärte er sich folgenden Tages in einem offiziellen
*) Droysen a. a. O. S. 421.
*) Geheimes Staatsarchiv Berlin Rep.XI. Schweden 247.ll. Nr. 51
18*
l8o Kurt Schottmüller.
Schreiben zu weiteren Verhandlungen in der begonnenen
Richtung bereit. In der Zusammenkunft am 22. Juni
legte Ugen dar, die Rückführung des Königs Stanislaus
auf den polnischen Thron sei nicht möglich ohne
einen neuen blutigen Krieg in Polen, ohne eine völlige
Umwälzung der gegenwärtigen Verhältnisse; deshalb
dürfe man nicht, wie bisher schwedischerseits, diesen
Punkt als die erste unerlässliche Friedensbedingung hin-
stellen, wenn man wirklich ernsthaft den Frieden erstrebe;
allerdings dürfe man auch nicht dabei dem Ansehen des
Königs von Schweden zu nahe treten, nichts von ihm
fordern, was seinem bisherigen Kriegsruhm nachteilig sei
und ihn in Gegensatz zu seinem bisherigen Schützling
Stanislaus bringe. Eine am folgenden Tage Wellingk
ttbergebene Denkschrift unter dem Titel „Pens6es libres
sur les affaires du Nord" giebt an, wie Ilgen sich die
Lösung dieses Problems gedacht hat: nötig sei zuerst
möglichst schnelle Verständigung mit König August, ohne
dass Schweden diesen als Polenkönig anerkennen müsse
oder mit ihm direkt unterhandle ; Schweden müsse Preus-
sen die Einstellung der Feindseligkeiten in Sachsen und
Polen zusichern und solle dann durch Preussens Vermitt-
lung alle durch August entrissenen schwedischen Provinzen
zurückerhalten. Der Hauptpunkt war: Preussen wird
den König Stanislaus dazu bestimmen, zu Gun-
sten des Friedens im Norden und besonders zum
Heile seines unglücklichen Vaterlandes auf den
polnischen Thron freiwillig während der Regie-
rungszeit König Augusts Verzicht zu leisten, nach
dessen Ableben sollten alle seine Ansprüche aner-
kannt und unterstützt werden. Dafür werde August
Preussen gegenüber sich verpflichten, Stanislaus die freie
Wahl seines Aufenthaltsortes in Polen, den Besitz und
Genuss seiner Güter sowie ausserdem nahmhafte Geld-
mittel zum eignen und seiner Familie Unterhalt zu über-
lassen. Der Beitritt Dänemarks zu diesem Abkommen
sei vorgesehen ; mit oder ohne diesen Bundesgenossen
würden jedenfalls Preussen, Schweden und Sachsen-
Das preuss. Friedensprojekt v. 1712 u. König Stanisl. Leszczynski. 18 1
Polen diesen Frieden verkünden und mit einem gemein-
samen Heere von 60,000 Mann ihm Anerkennung bei
den etwa widerstrebenden Gegnern Schwedens erzwin-
gen. Auch Englands Beitritt unter Mitwirkung seiner
Flotte in der Ostsee solle erbeten werden. Auf diese
Vorschläge persönlich näher einzugehen, hat Wellingk
vermieden; sie erschienen ihm doch zu folgenschwer.
Er beschränkte sich darauf, sie zur Mitteilung an seinen
König entgegenzunehmen.
Immerhin war es wohl doch nicht ohne Vor-
wissen Wellingks, dass in den ersten Julitagen die
preussische Regierung sich anschickte, wenigstens ihrer-
seits an die Ausführung ihres Plans zu gehen, durch
direkte Verhandlung mit König Stanislaus, der seit
seiner Vertreibung aus Polen in Schweden eine Zuflucht
gefunden hatte und in Karlskrona residierte. Bei der
Zweifelhaftigkeit des Erfolges sollte diese Anknüpfimg
natürlich ganz im Geheimen geschehen, und darum wählte
Ilgen zu dieser Mission keinen Qiplomaten, sondern einen
Privatmann, mit dem Stanislaus als Grundherr seiner Erb-
stadt Lissa seit langem in Beziehungen stand, und dessen
Reise zum Könige daher als durchaus unauffällig erschei-
nen musste. Der dazu Ausersehene war Benjamin Ar-
nold, Bürgermeister von Lissa, der bereits 1707 als Stanis-
laus* Agent am Berliner Hofe verhandelt hatte, um eine
Anleihe von 50,000 Thalern für seinen König zu erlan-
gen; zur jetzigen Reise war er wohl um so mehr bereit,
als er bei dieser Gelegenheit hoffte, für sein eignes Dar-
lehen von 30,000 Tympfen von Stanislaus eins seiner
Güter bei Lissa als Pfand zu erhalten1). Mit der Her-
beischaffung dieses Mannes beauftragte Ilgen den dama-
ligen Berliner Hofprediger Daniel Ernst Jablonski, der
selbst Jahre lang als Rektor und Prediger in Lissa ge-
wirkt hatte, mit König Stanislaus wohl bekannt war und
als einer der sehr wenigen Eingeweihten dieses Plans
l) Kvacala: Jablonski und Grosspolen in dieser Zeitschrift
XV. 275.
I&2 Kurt Schottmüller.
neben Arnold als Vermittler des Schriftwechsels heran-
gezogen wurde; auch seine persönlichen nahen Beziehun-
gen zu Stanislaus sollten für dessen Beeinflussung nutzbar
gemacht werden. Bereits am 3. Juli konnte Jablonslri
dem Minister die Ankunft Arnolds in Berlin anzeigen.
Aber es vergingen noch einige Tage bis zu der offiziellen
Auftragserteilimg; Arnold richtete wegen seiner Reise
einige schriftliche Anfragen an den Minister und bat zur
Sicherung gegen Gefangenschaft oder unliebsamen länge-
ren Aufenthalt unterwegs um Beilegung des preussischen
Hofratstitels, ein Wunsch, dem man natürlich nicht Folge
gab, da sonst die Reise ihres beabsichtigten privaten un-
auffälligen Charakters entkleidet worden wäre. Am 8. Juli
fand dann wohl die entscheidende Besprechung zwischen
Minister und Bürgermeister statt; im Anschluss daran hat
llgen gleich die Instruktion1) entworfen, deren vier erste
Punkte er seinem Gesandten sofort in die Feder diktierte,
um dann nachher noch fünf Artikel mit Vorschriften über
Hin- und Rückreise und Art der Berichterstattung hinzu-
zufügen. Danach war
„1. von wegen und im Namen Ihro Majestät des
Königs in Preussen I. M. dem Könige Stanislao zu
remonstriren, wie wenig sich vor Selbten zur Zeit noch
Hoffnung zeige, den Thron von Pohlen via armorum
wieder zu besteigen, allermassen solches in dem in fran-
zösischer Sprache abgefassten und dem schwedischen
Minister allhier copeilich communicierten Aufsatz2) vorge-
stellet ist; dass dannenhero Ihro Majestät der König in
Preussen aus wahrer Zuneigung und umb völlige Be-
ruhigung von dem Königreich Pohlen und, wo Gott will»
auch von dem ganzen Norden wiederherzustellen, sich
offerirten, alles diensame hierzu beizutragen.
2. Aufm Fall nun höchstbesagter König Stanislaus
hieran Gefallen fände, ist Selbter zu versichern, dass
1) Geheimes Staatsarchiv Berlin Rep. XI. Schweden 247.
II. No. 54.
2) Damit sind wohl die Wellingk übergebenen „Pensees libres
sur les affaires du Nord" gemeint.
Das preuss. Friedensprojekt v. 1 712 u. König Stanisl. Leszczynski. 183
1. M. der König in Preussen alles mögliche anwenden
werden, damit mehrerwähntem Könige
a) zuförderst der Titel eines Königes auch von ande-
ren Potentaten gegeben werde,
b) dass Ihre Majestät entweder aus Pohlen, Preussen
oder Lithauen etc. soviel Revenuen zugewendet werden
sollen, hiermit Sie standesgemäss leben konnten.
c) Solten an schongemeldeten König dessen eigene
sowohl als I. M. dero Gemahlin und Königl. Frau
Mutter Erbgüter wiedergegeben und zu freier Dispo-
sition und Nutzung eingeräumt werden. Und letzlich
d) versprechen I. M. der König in Preussen, alle mög-
liche officia anzuwenden, auch bei auswärtigen
Potentaten sich dahin zu bearbeiten, dass an I. M.
den König Stanislaus nach Absterben des Königes
Augusti Majestät die Succession von Pohlen zuge-
standen, und selbter beim Thron mainteniret werde.
3. Wogegen aber I. M. der König Stanislaus allen
auf dem Polnischen Thron habenden Ansprüchen, so
lange I. M. der König Augustus am Leben Sich befinden,
renunciren und Sich anheischig machen würden, weder
durch Sich noch auch durch S. M. den König von
Schweden vivente rege Augusto Pohlen, viel weniger
Sachsen zu beunruhigen; wie auch dass Ihre Majestät den
König von Schweden dahin zu disponiren trachten woll-
ten, damit Selbter dieses vorgeschlagene Expediens Sich
mitgefallen lasse als den ersten Schritt zur Herstellung
des guten Vernehmens und völligen Friedens zwischen
Ihre und des Königs Augusti Majestäten."
Die anderen Artikel besagten, dass die etwa ge-
wonnenen Verabredungen der Mächte unter Garantie ge-
stellt werden, dass der Gesandte schleunig berichten, die
Hinreise über Lübeck antreten und seine Berichte nach
Berlin an die Adresse des Hofpredigers Jablonski senden
soll. Betraue ihn König Stanislaus etwa mit einer Mission
an Karl XII. nach Bender, so müsse der Gesandte jeden-
falls den Weg dahin über Berlin zwecks vorherigen Be-
richtes dort nehmen.
184 Kurt Schottmüller.
Aber als ob Ilgen diese nüchternen Darlegungen nicht
für ausreichend gehalten habe, um König Stanislaus zur
Thronentsagung zu überreden, so hat er auch noch Jablonski
aufgefordert, in einem seinerseits Arnold mitgegebenen
Briefe an des Königs bekannte edle selbstlose Gesinnung
zu appellieren, damit er zum Heile ihres gemeinsamen
unglücklichen geliebten Vaterlandes Polen ein Opfer bringe
und der heimgesuchten Vatererde durch seinen Thron-
verzicht hochherzig Ruhe, Frieden und Wohlstand wieder
gebe. Dieser merkwürdige Brief des Jablonski an seinen
ehemaligen Lissaer Grundherrn und noch immer wohl-
wollenden Gönner ist in einem vorzüglich stilisierten Latein
geschrieben und berührt durch seine persönliche Wärme,
freimütige Aussprache und grosssinnige vornehme Denk-
weise sympathisch, allerdings ist er auch recht über-
schwänglich und schwülstig, wie es der barocke Geschmack
des Zeitalters eben erforderte. Des Königs letzte Ver-
treibung von Reich und Thron vor 3 Jahren charakterisiert
der Briefschreiber als freiwilliges Exil und setzt es eben-
so wie den erbetenen Thronverzicht in Vergleich mit
dem freiwilligen Opfertod des alten Athenerkönigs Kodros;
gegenüber den Gesetzen des Vaterlandes, die eine Ab-
dankung etwa widerraten, betont er den Grundsatz:
„Suprema lex populi salus esto;" er vergleicht Polen mit
einem Schiffe, das von den täglichen Stünnen des Krieges
erschüttert und zerschlagen bei richtiger Beobachtung der
göttlichen Vorsehung endlich in den Hafen des Friedens
werde einlaufen können, und er fordert zur Thronent-
sagung zum Schluss nochmals auf durch einen starken
Appell an des Königs Vaterlandsliebe: Non te ipsum
tibi in memoriam revoco, disparem fortunam, triste exilium;
novi enim te magno animo, sed populos tuos cogita et
dulcem, quae te sibi genuit, terram. Cogita immensa illa
duodecennis belli mala, fusi fundendique cruoris flumina,
provincias spoliatas, direptas urbes, vastatos agros, exhaustos
incolas, proculcatas leges, divina humana eversa omnia,
Poloniam in Polonie cineribus sepultam, patriam profundo
malorum abysso mersam, profundiore (ni deus avertat)
Das preuss. Friedensprojekt v. 1712 u. König Stanisl. Leszczynski. 185
mergendam, quod caput rei est, imminentem Polonis
successionem regni haereditariam libertati electoris populi
fatalem neque facile, nisi te intervenierte, averruncandam.
Haec te ut Poloniae miseraris inclamant, haec, ut opem
feras, flagitant, haec ut tempori obseeundando minus malum
ad tempus, toleres quo majora evitentur, deposeunt"
Am 12. Juli ward zum Ausweis und zur Empfehlung
bei allen auswärtigen Behörden ein Reise-Pass ausgefertigt
„für den Benjamin Arnold, welcher mit Allerhöchster Sr.
Königlichen Majestät in Preussen Permission in seinen
particulier Angelegenheiten nach Lübeck gehet und von
da weiter nach Schweden sich zu begeben necessitiret sein
dürfte, "und ebenso ward ihm ein besonderes Empfehlungs-
schreiben an den Magistrat zu Lübeck eingehändigt, in
der Fassimg, als erhalte der Ueberbringer es auf seinen
eignen besondern Wunsch von derpreussischen Regierung,
die Bürgermeister und Rat von Lübeck ersuche, ihm
bei Fortsetzung seiner Reise „in seinen particulier Ange-
legenheiten" nach Schweden gute Beförderung zu erweisen.
Kurz darauf, am 13. Juli, verliess der Gesandte Berlin
und langte nach dreitägigem Unterwegssein über Ham-
burg mit der Post spät Abends am 16. in Lübeck an, wie
er in einem am 18. von dort geschickten Briefe Ilgen
meldete. Tagsdarauf (17.) an einem Sonntagmorgen gab
er noch vor dem Frühgottesdienst sein Empfehlungs-
schreiben ab, konnte aber von dem Bürgermeister Rhode
keine Schiffsgelegenheit nach Schonen für die allernächste
Zeit erfahren. Nach zweitägigem eignen Suchen ermittelte
er ein holsteinisches Schiff, mit dem er am 19. Lübeck
verliess und nach ntägiger Seefahrt am 30. in Kalmar
landete. Zu Lande gings dann weiter nach Karlskrona
und Christianstadt. Noch bevor er letzteren Ort erreichte,
traf er mittenwegs mit dem von ihm Gesuchten zusammen,
kehrte mit ihm nach Karlskrona zurück, wie er selbigen
Tages noch nach Berlin meldete. Ueber seine Reise, die
Begegnung mit dem Könige Stanislaus, die verschiedenen
Audienzen, den endgiltigen Bescheid und die Heimreise
hat Arnold mündlich sich Jablonski gegenüber geäussert,
186 Kurt Schottmüller.
dieser hat danach auf Ilgens Befehl einen eingehenden
schriftlichen Bericht als Ersatz für eine Schlussrelation ver-
fasst Dieser Bericht erschien wichtig genug, um ihn in
der I. Anlage wörtlich wieder zu geben. Interessant ist
zu bemerken, wie der leichtbestimmbare König ursprüng-
lich den gehörten Vorschlägen durchaus geneigt erscheint,
dann nach dem Bericht an die schwedischen Staatsmänner
und empfangnen Weisungen aus Stockholm zurückhaltender
wird, umfangreichere Entschädigungen, wie die Abtretung
der einen Reichshälfte Lithauen oder das Herzogtum Kur-
land, auch Liegnitz, Brieg und Wohlau fordert, nach der
Rücksprache mit dem herbeigeeilten Stenbock noch vor-
sichtiger wird und im Absatz 2 seiner mündlichen Ant-
wort geradezu seinen eignen Entschluss bis nach des
Schwedenkönigs Entscheidung zurückstellt Die in Absatz
4 der königlichen Antwort (in Anlage I) gestellten Be-
dingungen: Rücktritt Sachsens und Dänemarks vom
russischen Bündnis, Räumung Pommerns durch dieSachsen,
Unterstellung von mehreren Tausend Mann sächsischer
Hilfstruppen unter des Schwedenkönigs Befehl,
entsprachen so sehr den augenblicklichen Bedürfnissen
der militärischen Lage Schwedens, dass sie eben sich
dadurch deutlich als die Wünsche des Stockholmer
Kriegsrats, nicht als persönliche Eingebung des Königs
Stanislaus erweisen. Dass der Monarch von sich selbst
aus einem Friedensschluss, auch auf Grundlage der
preussischen Vorschläge, sehr wohl geneigt war, betont
seine mündliche Erklärung durchaus, „dass er (da Gott
vor sei) keine Vorschläge oder Mittel, Polen zu beruhigen,
verwerfen wolle !" Seine dem Gesandten in französischer
Sprache mitgegebene schriftliche Antwort (abgedruckt
als Anlage II) erscheint dagegen als hochoffiziell und durch
die schwedischen Rücksichten bestimmt; sie ist sehr aus-
weichend und zurückhaltend, bietet viel weniger Positives
und stellt sich darum in ihrem vollen Umfange von An-
fang bis zu Ende als ein lediglich von Stanislaus unter-
schriebenes, schwedisches Schreiben, nicht als seine eigene
Meinungsäusserung dar. Er hat sehr wohl selbst den
Das preuss. Friedensprojekt v. 1712 u. König Stanisl. Leszczynski. 187
grossen Abstand zwischen seinen mündlichen Abschieds-
worten und dem offiziellen schriftlichen Bescheide em-
pfunden und deshalb sich zu Arnold noch mit den Worten
geäussert, die Jablonski in einem Briefe vom 14. Sep-
tember dem offenbar wenig befriedigten Ilgen wiedergab :
man solle seinen mündlichen Vorstellungen in Berlin nur
Glauben beimessen, denn „wann Ihr nicht mehr als
die geschriebene Antwort nachher Berlin mit-
bringen solltet, würdet Ihr mit Eurer Verrichtung
schlechten Dank verdienen!"
Arnolds Auftrag war damit erledigt. Preussen ver-
folgte daraufhin seinen Plan weiter, es galt vornehmlich
Karl XII. selbst günstig zu beeinflussen, von ihm selbst
die Zustimmung zu Stanislaus Thronentsagung zu erlangen.
Zu diesem Zwecke wurde sofort der preussische Oberst
v. Eosander, genannt Göte, Schwede von Geburt, in Karls
Lager nach Bender abgesandt, um ihm das Projekt vor-
zulegen1). Im November, als Stenbock, in Pommern mit
frischen Schwedentruppen gelandet nach einigen Erfolgen
mit den Sachsen einen Waffenstillstand abschloss, dachte
man beiderseits wohl ernstlich an einen Frieden auf Grund
der preussischen Vorschläge, so dass König Stanislaus das
schwedische Hauptquartier verliess, schleunigst in Bender
selbst Karls Zustimmung zum Thronverzicht zu erbitten.
Stenbocks Sieg bei Gadebusch über die Dänen und
einige Sachsen veränderte die Sachlage sehr; auch die
Hoffnungen auf Eosanders Sendung erwiesen sich ganz
eitel. Der Schwedenkönig war nicht zum Nachgeben zu
bewegen; zumal seit der Kunde von Stenbocks Landimg in
Pommern war er entschlossen, selbst auf dem Kampfplatz
den alten Widersachern entgegenzutreten. Schon im De-
zember galt das Friedensprojekt als gescheitert, auf das König
Friedrich so grosse Hoffnungen gesetzt. Er hat die Ent-
täuschung nicht lange überlebt, einige Wochen darauf am
25. Februar 17 13 ist er gestorben und hat den späten Friedens-
schluss des Nordischen Krieges 1721 nicht mehr gesehen.
x) Droysen. a. a. 0. S. 425.
188 Kurt Schottmüller.
Anhang.
i.
Reisebericht1).
Nachdem Benjamin Arnold den 13. Juli von Berlin abgegangen
und den 19. zu Lübeck ins Schiff getreten, kam er den 30. in
Callmar an, setzte selbigen Tages seine Reise nach Christianstadt
zu Lande fort und hatte das Glück, den 1. August deu König
Stanislaum hinter Carlskrone auf dem Wege nach diesem Ort an-
zutreffen, allwo er ganz gnädig empfangen und mit nach Carlskrone
zurückzukehren beordert worden.
Als nun der König daselbst von gedachten Arnolds habender
Commission summarischen Bericht eingenommen und auf seine An-
frage von ihm verstanden, dass zu der gegenwertigen entamireten
Handlung S. Königl. Maj. in Preussen durch zwo Ursachen bewogen
worden, als einesteils durch die wahre und gute Zuneigung, so Sie
vor den König Stanislaum hegen, und andernteils in der Absicht,
damit durch Herstellung eines guten Vernehmens zwischen des
Königes in Schweden und Königes Augusti Mt Mt. der mehr und
mehr anwachsenden und gefährlicherweise eindringenden Musco-
witischen Gewalt Einhalt geschehen möge, hat höchst gedachter
König, zumahl er das Gewicht und hohe Nohtwendigkeit dieses
letzteren Punktes sehr wohl einsähe, alle ersinnlichen Marquen von
sich gegeben, dass der geschehene Vortrag ihm sonderlich ange-
nehm, und er vor sein Teil denselben zum verlangten Endzweck
zu fördern bereit und begierig sey.
S. Mt. fand aber nötig, dem Reichs-Senat in Stockholm hier-
von Part zu geben, und sandten deswegen den Grafen Rozrazewski,
als einen getreuen und zum Stillschweigen neuverbundenen Diener
dorthin ab; schrieben zugleich eigenhändig an den Grafen Hornr
was die Absicht dieser Negociation in puncto Moscaus sey, und
declarirten ihresteils, dass, so viel ihr eigen Interesse beträfe, Sie
diese Friedenshandlung keinesweges schwer machen, sondern auf alle
Weise facilitiren wollten, begehrten zugleich, dass der Graf Hörn
sein und des Senats Gutbefinden lhro hierüber frey eröffnen
möchte; worauf aber gedachter Hörn, so viel Arnolden wissend,
in seiner Antwort in die Sache selbst sich nicht eingelassen, sondern
vermeldet, dass der Feldmarschall Steinbock von dem Senat, um
dero Meinung dem K. Stanislao mündlich zu communiciren, instruirt
sey; tiabey er, Steinbock, selbst durch Schreiben ihm dringendlich
ersuchte, dass Arnold eher nicht, als bis nach Ankunft gedachten
Steinbocks zurück möchte spedirt werden.
I) firhnmcs Staatsarchiv zu Berlin Rrp. XI Schweden 247. II. Nr. 54.
_
Da> preuss. Friedensprojekt v. 1712 u. König Stanisl. Leszczynski. 189
Den 2. August reisete der K. Stanislaus von Carlskrona ab
und kam d. 3. auf dem unter Christianstadt gelegenen Dorfe, wo
S. Mt der Zeit mit der Gemahlin und Frau Mutter residirte, an,
Arnolden aber befahlen Sie, in die Stadt sich zu logiren und täglich
draussen die Aufwartung zu machen, womit auch den 4. dito der
Anfang geschähe.
Wie nun bisanher der K. Stanislaus Ihme gäntzlich allein ge-
lassen gewesen und aus der dem Arnold aufgegebenen Commission
mit sonst niemanden communiciret, hat er die allergrösste Neigung,
die man nur wünschen können, bezeuget, dass er die Nahmens
S. Königl. Mt in Preussen von Arnolden gethane Vorschlage anzu-
nehmen bereit sey; und das mit solcher Fermete, dass, als Arnold
ihme den Scrupel gemacht, dass er itzo zwar also gesinnet seyr
wie aber, wenn es Gott gefallen möchte, die schwedischen Waffen
mit einem eclatanten Siege zu segnen? er wiederholent gleich
wie mit einem Eid-Schwur bestätiget, dass er seinesteils auch so
dann gleicher Neigung bleiben wolle.
Nach Verlauf etwa 8 Tagen liess sich K. Stanislaus verlauten,
ob nicht die Sache dahin zu richten wäre, dass K. Augustus in
Pohlen, und er in Littauen die Regierung fahren möchte, bis beide
Provintzien in dem Oberlebenden wieder vereinigt würden. Wobey
auch gedacht worden, weil das Herzogtum Churland als ein Cron-
Lehen auf dem Fall stünde, ob solches nicht ihme erblich zugeordnet
werden könnte, zumahlen die Oeconomien in Littauen, derer nur
drey und sämtlich ruinirt, ihme keinen süffisanten Unterhalt ver-
schaffen könnten. Auch wurde der drey schlesischen Fürsten-
tü miner Liegnitz, Brieg und Wolau gedacht, mit dem Zusatz dass
er, Stanislaus, selbst dem K. Augusto verschiedene Mittel an die
Hand zu geben wüsste, wie selbige von dem Kayser zu überkommen.
In diesem Intervallo der Zeit ist auch remarquable, dass, als der
General Smigelski sich gegen den K. Stanislaum erboten, nacher
Pohlen zu gehen und seinen Anhang, den er so wohl bey der
Littauischen als Cron-Arm£e, auch unter dem Adel auf dem Lande
habe, an sich zu ziehen und bey jetziger Abwesenheit der Musco-
witischen Truppen en faveur des K. Stanislai eine nachdrückliche
Bewegung zu machen, höchst gedachter König solches nicht an-
nehmen wollen, in Hoffnung, dass vermittelst der itztgethanen Vor-
schläge die Ruhe des Vaterlandes ohne dergleichen gefährliche
neue Motus könne hergestellet werden.
Auch hat währender dieser Zeit der König Stanislaus mit
Arnolden oft überleget, wer an den König von Schweden nacher
Bender abzuschicken seyn möchte. Da zwar Arnold, zufolge seiner
von S. Königl. Mt. in Preussen ihm gegebenen Instruction hiezu sich
erboten; es hat aber höchstgedachter König vor nötig erachtet,
Arnolden in hiesigen Quartiren bey- und durch ihn die Correspon-
19° Kurt Schottmüller.
denz zwischen S. Preussischen Majestät, und ihme zu unterhalten r
dagegen aber dero ersten Kammerherrn Adlerfeld mit anher abge-
fertiget, damit derselbe das nötige nacher Bender überbringe; wobey
zugleich der H. Rozrazewski nach Berlin gesandt worden, um,
wann Arnold neue Reise antreten müsste, er nicht nur inzwischen
die Correspondenz führen, sondern auch, wann mit dem K. Augusto
in eine Negociation zu treten wäre, er schon zur Hand seyn möchte.
Den 20. August ging der K. Stanislaus nacher Carlskrona, um
dem Feldmarschall Steinbock den Weg zu verkürtzen, damit selbter
nicht erst zu ihm nacher Christianstadt kommen dörfte, und befahl
Arnolden dahin zu folgen und sich fertig zu halten, von da nacher
Deutschland zurück zu kehren. Steinbock langete in gedachtem
Carlskron d. 24. Aug. an, und nachdem der König verschiedene
Stunden mit selbigen conferirt, beorderte er Arnolden folgenden
Morgen um 6 Uhr bei ihm zu seyn und seine Expedition zu em-
pfangen, wie dann auch geschehen.
Nun scheinet wohl, dass Steinbock dem K. Stanislao dahin
müsse Vorstellung gethan haben, dass er in der vorseyenden Hand-
lung nicht allzu weit gehen, noch allzu positive sich erklären möchte,,
ehe und bevor er des K. v. Schweden Meinung darüber vernommen.
Es hat aber jedennoch höchstgedachter König über die schrifdiche
Antwort, welche er dem Arnold auf die Puncta seiner mitgebrachten
Instruction erteilet, seine über dem gantzen Werk führende Ge-
danken in folgender Ordnung und mit folgenden Worten annoch
eröfnet.
1. Dass Arnold auf die allerverbindlichste Art, wie er nur
weiss und kan, durch den Freyherrn v. Dgen S. Königl. Mt. in
Preussen nahmens Königes Stanislai vor die in dem hochwichtigen
Negotio, welches Selbte durch Arnolden an Sie bringen lassen,,
bezeugte Amine und gute Neigung danken solle.
2. Dass, weil des Königs Augusti Art ihme, dem K. Stanislao
bekannt, habe er vor jetzo in seiner Antwort auf die Instruction
nicht anders als wie geschehen sich expliciren können. Den Ab-
gang aber zu ersetzen, solle Arnold dasjenige mündlich hinzu-
fügen, was ihme Stanislao auf dem Herzen liege; nehmlich, dass er
(da Gott vor sey) keine Vorschläge oder Mittel, Pohlen zu
beruhigen, verwerfen wolle; nur, weil hierüber nicht so sehr
mit ihme Stanislao, als vielmehr mit dem K. von Schweden zuerst
müsse negocijret werden, als wünsche er, dass ihme mehr Tllicia
oder Beweg-Gründe an die Hand gegeben werden möchten, durch
wckhe er höchstgedachten König zum Frieden bewegen könne;
hauptsächlich darauf ankommende, dass der erste Vortrag, welcher
von diesen Frieden ihme (dem K. v. Schweden) wird gethan werden,,
ohne Abbruch seiner Ehre und seines Interesse seyn möge. Und
wann nun er, vermittelst solcher Gründe, den K. v. Schweden zu
Bas preuss. Friedensprojekt v. 1 712 u. König Stanisl. Leszczynski. 191
einem Frieden mit dem K. Augusto vermocht haben würde, so
-würde eben dadurch er selbst vor seine Person gleichfalls schon
za allem disponirt seyn. Weil nun das Werk notwendig in dieser
Ordnung gehen müsse, als sey nötig,
3. dass der K. Augustus vermittelst eines authentischen Instru-
Hienti sich declarire, worin die Essenz dieses Tractats bestehen, und
-welches derselben Sicherheit seyn solle?
4. Und damit der K. Stanislaus, wie höchst geneigt zu solcher
Pacification er sey, bezeugen möge, so wolle er selbst zulängliche
Wege an die Hand geben, wodurch die Mediation S. Königl.
Preussischen Majt zu erwünschtem Effect gedeyen möge, nehmlich
dass Seine Königl. Majt. in Preussen über sich nehmen, den
König Augustum dahin zu vermögen, (und dass dieses zu einem
Praeliminari diene), dass letztgedachte Majestät sich erkläre, 1.)
Von der Alliantz mit Moscau abzustehen. 2.) etliche tausend Mann
unter Commando des Königs von Schweden zu geben. 3.) dero
Truppen sofort aus Pommern abzuführen; weil zu befürchten, falls
bey bevorstehender Bataille die sächsischen Truppen sich mit-
befinden sollten, und Schweden obsiegte, dass hiedurch die Frie-
denshandlung so viel schwerer, wo nicht unmöglich gemacht werden
dörfte. 4.) Dass endlich auch der König Augustus über sich nehme,
den König von Dänemark von der Alliantz mit Moscau abzuführen,
gleichwie vermutet wird, das er Selbten zu der geschehenen Ruptur
mit Schweden veranlasset habe.
5. Wann nun obigem gemäs man sich erkläret, so ist Adler-
feld beordert, Nahmens des K. Stanislai den K. v. Schweden dahin
zu disponiren, dass auch derselbe zu dem Frieden sich geneigt be-
zeuge; und verspricht K. Stanislaus hiebey alle möglichste Officia
zu solchem Ende bey dem K. von Schweden anzuwenden, wenn
man nur, wie oben gedacht, ihme zulängliche Illicia und Beweg-
gründe an Hand gäbe, und wünschet höchstgedachter König, dass
man hierum, um sortem armorum zu praeveniren, möglichst eile.
Dieses würden also diejenige Puncta seyn, welche die Paci-
fication zwischen des Königs von Schweden und Königs August
Mt Mt. betreffen; welche Pacification wohl die erste und wichtigste
seyn wird. Die andere, zwischen K. Stanislao und K. Augusto,
würde weniger Schwürigkeit machen, und hätte desfalls der König
Stanislaus zu S. Königl. Mt. in Preussen Aequität und Aequanimität
das allervollkommenste Vertrauen.
Mit dieser Erklärung erliess der K. Stanislaus Arnolden, ihme
zur Beschleunigung seiner Rückreise eine eigene Fregatte von
30 Stücken mitgebend, mit welcher er d. 31. Augusti von Carlskrona
abgesegelt, folgenden Tages in Colberg an Land gestiegen, und
drauf d. 4. Sept. in Berlin angelanget.
Berlin d. 6. Sept. 1712.
192 Kurt Schottmüller.
IL
Reponce a llnatruction de Benjamin Arnold.1)
Benjamin Arnold & son retour ä Berlin representera ä Sa
Majeste* le roy de Prusse ou devant son ministere le sensible chagrin»
dont Sa Majeste le roy de Pologne a £te touche de voir Sa Ma-
jeste le roy de Prusse desespere* au sujet de son rttablissement
sur le throne. II seroit ais6 de le convaincre du contraire, si on
vouloit se vanter de ses forces, de la considerable partie des Polo-
nois que nul mauvais sort ne sauroit obliger ä changer de senti-
ment et enfin des ressources, avec les quelles la bienseance empeche
d'gclater; si le sort de son regne n'6toit point soümis ä la volonte
de dieu; et si, bien lotn de le faire consister dans l'appui des
armes, Sa Majeste Polonoise ne mettoit point toute sa confiance
dans la justice de dieu. Ainsi la mesme espgrance lui reste tou-
jours qua ses adversaires, tandis qu'il a les armes ä la main,
les armes surtout de son allie accoutumees ä des evenements plus
eztraordinaires qu'il n'en faut pour son retablissement. Sa Majeste'
seroit bien satisfaite, si les revers journaliers de cette guerre pou-
Voient desabuser Sa Majeste le roy de Prusse du peu d'espe*rance
qu'elie a du retour de sa fortune. Si l'eloignement de Sa Majeste
le roy de Suede a retenu jusqu'ä present les affaires dans une
certaine langueur, nous sommes sur le point de nous reveiller de
cet assoupissement, oü l'absence de ce prince nous a mis, et ce
grand dieu, qui nous donne les moyens de nous mettre en etat,
de disputer la couronne de Pologne, en trouvera assez pour la
faire obtenir.
Sa Majeste Polonoise reconnolt neantmoins l'affection sincere
et veritable de Sa Majeste le roy de Prusse, de ce qu'elie vent
bien entremettre son autorite pour retablir le repos dans le roy-
aume de Pologne; la republique ne sauroit etre que tres sensible
un jour languissante qu'elie est apres sa tranquiilite. Mais avant
que de l'entamer il faut considerer, si le calme de la maniere
propos£e ne lui seroit pas plus dangereux que la tempete, dont
eile est agit£e. On en a veu une funeste experience du commen-
cement du regne du roy Auguste, come ce royaume assoupi de son
repos et de sa tranquiilite se trouvoit sur le point de sa perte, si
la puissante assistance du roy de Suede n'avoit pas fait rompre
les mesures prises pour sa ruine. Le meme cas subsiste encore et
il v a de plus ä craindre, que la chute de la Pologne ne cause pas
edle de ses voisins. Si Sa Majeste Polonaise a aeeepte la couronne,
cela n'a jamais €t€ en vue que pour la tenir come en depost, afin
quo la poste"rite n'en perde pas la possession et qu'elie la reprenne
sans aueune atteinte. Ainsi cela seroit mal la conserver que de la
') Geh. Staatsarchiv zu Berlin Rep. XI Schweden 274. II. Nr. 54.
Das preuss. Friedensprojekt v. 17 12 u. König Stanisl. Leszczynskt. 193
rendre k un prince, qui a fait voir, que les loix et la liberte de
Pologne sont des bijoux äpineux de cette couronne, qui le Wessen t.
Sa Majeste le roy de Pologne auroit souhaite, qu'on lui eüt
represente des raisons veritables du salut de sa patrie, pour le
disposer, d'accepter des offres pareilles; le zele, qu'elle a envers
eile, auroit pü la rendre plus attentive. Mais il est bien difficile
de mettre la derniere inain aux malheurs irreparables de la Pologne
en affermissant le mal, qui la tient par la gorge. Ainsi pour faire
goüter k Sa Majeste les dites raisons il faudroit l'attirer par son
foible, qui est de lui faire voir, que la republique de Pologne
n'aura aucune atteinte dans ses etats ni dans ses immunites; que
la gloire de Sa Majeste le roy de Suede son allte aura toute sa
satisfaction et que la negociation aura une plus grande sürete que
la derniere faite a Alt-Ranstadt.
Pour ce qui est du titre du roy, Sa Majeste le roi de Po-
logne Pa acquis d'un peuple electeur par le choix, qu'il a fait de
sa personne. Elle a öte reconnue pour tel par toutes les puissances
et ce qui lui fait toujours un tres agröable Souvenir, par Sa Ma-
jeste" le roy de Prusse le premier, et meme par son proare adver-
saire, le roy Auguste. Qui est ce qui voudra se donner an d6dit
pour lui disputer ce titre la.
Pour le revenu de sa subsistance ce n'est pas ce qui l'a
jamais tente, ni qui l'obiigefa ä autoriser la perte de sa patrie.
Quant k ses terres hereditates, le roy Auguste n'en sauroit
pas fctre le maitre ni pour les retenir ni pour les rendre; la repu-
blique £tant la maltresse de son territoire en disposera et se
souviendra du moins, si le bon dieu ne la tire pas de ce malheur,
que sa liberte est ensevelie dans les cendres du patrimoine de Sa
Majeste* Polonoise.
Quant ä la succession ä la couronne Sa Majeste n'est nulle-
ment si ennemi de la personne du roy Auguste pour qu'elle attende
naltre sa prosperite de son tombeau; eile lui souhaite une heureuse
et longue suite des amtees mais pas a ses depens.
Quant k ce qu'il s'agit de renoncer aux pretensions sur la
couronne de Pologne pendant la vie du roy Auguste, c'est une
affaire, ä la quelle come il est expliqud cidessus, il faudroit que
Sa Majeste le roy de Pologne soit porte par des motifs plus
salutaires k la Pologne, que ne sont point ceux, que contribueroient
a la souverainete du roy Auguste. Si cela n'est pas dans son pouvoir
de delivrer la Pologne de son joug, du moins ne voudroit eile pas
effacer les traces, qu'elle a franchise aux bons patriotes, pour qu'en
les suivant ils puissent parvenir k leur premier lustre, etant
asseuree, qu'elle sert de barriere encore teile eloigitee, qu'elle est
pour empecher le roi Auguste, k etouffer l'apparence de la liberte,
qui reste. Sa Majeste offre tous ses Offices aupres de Sa Majeste
Zeitschrift der Hist. Ges. fflr die Prov. Posen. Jahrg. XIX. IS
194 Kurt Schottmüllcr.
lc roy de Suede, pour le portcr ä la paix, pourvcu qu'il n'y ait riet*
de prejudiciable ä sa gloire et qu'il n'y ait rien, qui le puisse rebuter
ä entendre parier de la paix avec un prince, qui ne lui a pas
tenue. Et c'est sur cette esperance que Sa Majeste le roi de
Prasse fera attention aux justes remonstrances de Sa Majeste* le
roy de Pologne et qu'eile trouvera des moyens pour que le roy
Auguste se declare plus ouvertement; qu'eile envoye le sieur
Adlerfeld, son premier chambellan, aupres de Sa Majeste le roy
de Suede, pour convenir avec eile du meine sentiment au sujet de
la tranquilite* du nord, avant quoy il est impossible, qu'on puisse
dire quelque chose de decisif, sur quoy s'il plaira ä Sa Majeste le
roy de Prusse de le charger de ses commissions, on peut s'attendre-
de sa capacite* qu'il saura bien representer l'affaire ä Sa Majeste*
et nous faire connoltre ses sentiments & son retour, ce qui sera
dans la suite la regle de notre negociation; etant notoire que la
delicatesse de l'amitie* de ce prince vaut une couronne et qu'on
ne sauroit estre plus heureux que quand on a son sort entre ses mains.
Benjamin Arnold retournera sur ses pas la, oü il trouvera
alors Sa Majeste* le roy de Pologne, pour lui apprendre le contenu
de la depeche du sieur Adlerfeld et pour la rendre certaine de la
continuation de la bonne amitie et disposition de Sa Majeste* le roy
de Prusse envers eile.
Fait a Carlscrona le 25 d'aoust 1712.
StanislasRoy. L. S.
Geschichte Fraustadts im Mittelalter.
Von
Hugo Moritz.
Vorbemerkung über die Quellen.
Die vorliegende Arbeit beabsichtigt, unter Heranziehung aller
erreichbaren Quellen die Geschichte der Stadt Fraustadt bis zum
Ende des T5. Jahrhunderts darzustellen; sind doch die bisherigea
Darstellungen von Wuttke1) und Braune2), von der dürftigen
Zusammenstellung Neigebaurs ganz abgesehen % gerade für diese Zeit
durchaus unzureichend. Die Arbeit will damit zugleich eine Ein-
leitung bilden zu der im Laufe des nächsten Jahres zu erwartenden:
Publikation zweier Fraustädter Bürger Chroniken des 16. und 17. Jahr-
hunderts in den Sonderveröffentlichungen der Historischen Gesell-
schaft für die Provinz Posen.
Als Quellenmaterial kommt in erster Linie der ziemlich um-
fangreiche Urkundenschatz der Stadt in Betracht4), der zum weit-
aus grössten Teile als Depot der Stadt Fraustadt im Königlichen
Staatsarchiv zu Posen aufbewahrt wird, während sich einige wenige
Stücke im Besitz des Staatsarchivs und des Kaiser-Friedrich-
Museums befinden und die ältesten Privilegien nach Warschau ge-
langt sind. Alle zu Ende des 18. Jahrhunderts im Original oder in
Abschriften und Grodauszügen im Besitz der Stadt befindlichen
Urkunden, d. h. der bei weitem grösste Teil der in Betracht kom-
menden Urkunden überhaupt, finden sich übrigens in wörtlichen
Abschriften in einem von der 1780—83 in Fraustadt tagenden „Kom-
mission der guten Ordnung" angelegten und jetzt im Besitze des
Posener Staatsarchivs befindlichen Privilegienbuche, in ausführlichen
Regesten in dem von derselben Kommission herausgegebenen Werke
') Stfldtebuch des Landes Posen, Leipzig 1864; 2. (Titel)auflage 1877.
*) Geschichte der Stadt Fraustadt, Fraustadt 1889.
3) Urkundliche Nachrichten Ober die frohere Geschichte von Fraustadt in Lede-
bars AJlg. Archiv für die Geschichtskunde d. preuss. Staates XV (1834) S. 82—89.
') Zum Folgenden vgl.: Warschauer, die städtischen Archive in der Provinz
Posen, Leipzig 1901, S. 43 ff.
18«
196 Hugo Moritz.
„Stan miasta I. K. Mci. Wschowy l).u Doch ist diese wichtige Ver-
öffentlichung fast ganz in Vergessenheit geraten und weder in
Wuttkes Städtebuch noch in Braunes Geschichte von Fraustadt be-
nutzt worden. Ergänzt werden die erwähnten Urkundenbestände
durch die Bücher der Kronmetrik in Warschau2), aus denen mir
Herr Dr. Warschauer in dankenswerter Weise Regesten der ein-
schlägigen Stücke zur Verfügung gestellt hat. Einige kirchliche
Urkunden von geringerer Bedeutung finden sich in dem auf dem
Kgl. Staatsarchiv befindlichen Repertorium des Erzbischöflichen
Konsistorialarchivs zu Posen verzeichnet. Von mehreren derselben
besitzt das Staatsarchiv auch ausführliche Regesten. Das Breslauer
Stadtarchiv lieferte einige wenig wichtige Korrespondenzen. — Die
älteren Urkunden bis zum Jahre 1400 sind, nachdem sie grossen-
teils schon an anderen Stellen gedruckt waren, jetzt sämtlich im
Codex diplomaticus Maioris Poloniae8) vereinigt, einige der ältesten
in dem Codex diplomaticus Poloniae Bd. IV (Res Silesiacae)4) noch
•einmal nach den Originalen gedruckt. Eine Anzahl Urkunden des
15. Jahrhunderts sind in dem älteren grosspolnischen Urkunden-
buche von Raczynski5) und in Wuttkes Städtebuch veröffentlicht.
Neben den Urkunden waren vor allem die zerstreuten Er-
wähnungen schlesischer und polnischer Chronisten heranzuziehen, die
jetzt — abgesehen von dem grossen Werke des Dlugosz6) — grössten-
teils in den Scriptores rerum Silesiacarum und dem Codex diplo-
maticus Silesiae, sowie in den Scriptores rerum Polonicarura und
den Monumenta Poloniae historica vereinigt sind.
Die Grodbücher von Fraustadt (Inscriptiones, später auch Re-
lationes und Resignationes Wschowenses) beginnen erst mit dem
Jahre 1497, die Stadtbücher (Rats-, später auch Schöffen- bzw. Vogts-
bücher) mit dem Jahre 1507, die Kirchenbücher erst gegen Ende des 16.
Jahrhunderts. Die Grodbücher gehören dem Posener Staatsarchiv an,
die Stadtbücher werden als Depot der Stadt dort aufbewahrt, die
Kirchenbücher befinden sich noch in den Händen der betreffenden
Gemeinden. Für das 16. und 17. Jahrhundert sind diese Bücher
grösstenteils durchgesehen und die in ihnen vorkommenden Ab-
schriften mittelalterlicher Urkunden und sonstigen einschlägigen
Stellen verwertet worden. Einzelne Urkunden fanden sich auch in
den ebenfalls auf dem Posener Staatsarchiv befindlichen Posener
und Kostener Grodbüchern, die natürlich nicht systematisch durch-
gesehen werden konnten.
*) Lissa 1783, vgl. Warschauer a. a. O. S. 48. — Alle Urkunden, bei denen in
Folgenden die Stelle desStan augegeben ist, finden sich also im Wortlaut im Privilegien -
Whe. Für uns kommt nur der Band, der die Privilegien der Altstadt enthalt, in Betracht.
-) Vgl. Ober diese Warschauer, die städtischen Archive S. XVII.
3) Bd. 1— IV. Posen 1877— Si (citiert: tod.)
«) Warschau 1887 (citiert: Cod. Pol.)
D) Raczynski, codex diplomaticus maioris Poloniae, Posen 1840.
•) Historiae Polonicae libri ia Bd. I— V, Krakau 1873—78, Index 1887.
Geschichte Fraustadts im Mittelalter. • igf
Einige chronikalische Notizen von der Hand des bekannten
FrmnstAdter Predigers Valerius Herberger (f 1627) finden sich in
einem Kalendarium Paul Ebers (Wittenberg 1573), welches der
Bibliothek des Kripplein Christi in Fraustadt gehört und jetzt in der
Bibliothek des Posener Staatsarchivs aufbewahrt wird (Dep. Frst.
448). Eine auffallende Uebereinstimmung mit diesen Notizen, die
entweder auf direkte Entlehnung oder auf Benutzung einer gemein-
samen Quelle zurückgehen muss, zeigen die Angaben in dem sehr
seltenen „Fraustadtischen Evangelien-Liecht" des Paul Clapius (Görlitz
167a)1). Auch Lauterbach in seinem „Leben Valerius Herbergers"
(Leipzig 1708, 2. Aufl. 171 1) und in seinem .Fraustadtischen Zion"
(Leipzig 1711)*) greift gelegentlich auf die ältere Zeit zurück, ohne
jedoch über die von ihm benutzten Angaben von Herberger und
Clapius und die Mitteilungen der schlesischen und polnischen Chro-
nisten wesentlich hinauszugehen.
An einigen Stellen konnten endlich die im Archiv der katho-
lischen Pfarrkirche in Fraustadt aufbewahrte Chronik des Franzis-
kaner- oder Bernhardinerklosters8) und die auf der Raczynskischen
Bibliothek in Posen befindliche polnische Geschichte Fraustadts von«
Joseph Jonemann4) herangezogen werden, wenn auch beide nach
ihrer Entstehung um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts für die
älteren Zeiten keinen eigentlichen Quellenwert haben und die erstere
grösstenteils aus auch sonst bekannten Urkunden zusammengesetzt ist.
Diese Beschaffenheit des Materials — das Fehlen einer zu-
sammenhängenden Uebertieferung — mag es entschuldigen, wenn
unsere Darstellung einen etwas fragmentarischen Charakter trägt
Die wiederholt benutzten und abgekürzt citierten Werke sind,,
soweit noch nicht angeführt, folgende:
(Röpell)— Caro: Geschichte Polens Band II— V, Gotha 1863—1886.
Friedensburg: Schlesiens Münzgeschichte im Mittelalter, 2. Bde. (Cod. . ,
dipl. Silesiae Bd. 12 u. 13.) Breslau 1887— 88. — Nachtrag, Bd. 23.
Grünhagen: Geschichte Schlesiens Bd. I, Gotha 1884.
Hupp: Wappen und Siegel der deutschen Städte, Flecken und
Dörfer, 2. Heft: Pommern, Posen und Schlesien, Frankfurt
a. M. 1898.
Kirmis: Handbuch der polnischen Münzkunde, Posen 1892 (als „Ein-
leitung in die polnische Münzkunde" zuerst erschienen in
dieser Zeitschrift Bd. IV— VI).
») Ich kenne nur ein Exemplar im Besitze der Breslauer Stadtbibliothek.
2) Die vollen Titel s. bei Warschauer, die städtischen Archive S. 57.
*) Archivium conventns Vschovensis Fratrum Minorum Observanüum.... anno
domini 1790.
«) Drieje ziemi Wschowskiey i stolecznego jey miasta Wschowy etc., 75 Blatt.
Manuskripte Nr. 59).
198 Hugo Moritz.
Kirmis: Beiträge zur Wappen- und Münzkunde Grosspolens 1) Frau-
stadt, in Meyers Zeitschr. für Gesch. u. Landeskunde der
Prov. Posen Bd. III, Posen 1884.
— Münzgeschichte der Stadt Fraustadt und Neue Beitrage zur
Münzgeschichte der Stadt Fraustadt (S. A. aus den Berliner
Münzblattern 1885 und 1886).
Minsberg: Geschichte der Stadt und Festung Gross-Glogau, 2. Bände,
Glogau 1853.
Monatsblätter = Historische Monatsblätter für die Provinz Pose«,
Posen 1900 ff.
Regesten zur schlesischen Geschichte, hrsg. von Grünhagen (zur Zeit
bis 1333) in Cod. dipl. Silesiae VII 1 (2 Aufl. 1884), 2, 3, XVI,
XVm und XXII (citiert: Schles. Regesten I— VI).
Schmidt, Geschichte des Deutschtums im Lande Posen unter polni-
scher Herrschaft, Bromberg 1904.
I. Äussere Geschichte der Stadt bis zum endgiltigen
Anfall an Polen.
Die Stadt Fraustadt ist nicht so alt oder wenigstens
nicht so früh nachweisbar, wie man gewöhnlich annimmt
Die Besiedelung der Stätte mag allerdings, wie Urnen-
funde zeigen, in die heidnische Zeit zurückgehen1). Die
ältesten Nachrichten über eine städtische Ansiedlung an
«dieser Stelle sind dagegen unbeglaubigt oder beruhen auf
einem Irrtum. Ganz unbeglaubigt ist die Ueberlieferung,
dass die Stadt im Jahre 1150 gegründet sei2). Auf einem
Irrtum beruht die Angabe Wuttkes, dass Fraustadt zu
Anfang des 13. Jahrhunderts bereits deutschrechtliche
Stadt gewesen sei8), die dann in andere lokal- und pro-
vinzialgeschichtliche Schriften4), ja auch in Werke allge-
meineren Charakters5) übergegangen ist Die angebliche
l) Jonemann f. 1, Lauterbach, Zion S. 73, Wuttke S. 394.
Besonders sollen solche Funde nach Jonemann in der Gegend der
früheren Ziegelei hinter dem Bernhardinerkloster gemacht wor-
den sein.
*) Lauterbach, Zion S. 62.
*) Städtebuch S. 294.
l) Braune S. 8; Meyer, Geschichte des Landes Posen S. 133.
=) Kaemmel, deutsche Geschichte S. 427.
Geschichte Fraustadts im Mittelalter. 199
Urkunde vom Jahre 1204, von der Wuttke durch private
Mitteilung Kenntnis erhielt, hat niemals existiert. Es
handelt sich höchstwahrscheinlich, wie auch die Regesten
zur schlesischen Geschichte1) annehmen, um eine Ver-
wechslung mit der später zu erwähnenden Urkunde vom
12. Dezember 1310 oder auch mit dem grossen Privileg
vom Jahre 1404, das allerdings beträchtlich mehr enthält,
^ls jene Urkunde von 1204 nach Wuttke enthalten haben
soll. Die älteste urkundliche Erwähnung des Ortes dürfen
wir wohl mit Warschauer2) in das Jahr 1248 setzen, in
welchem uns Veschow als Ausstellungsort einer Urkunde
der beiden schlesischen Herzöge Boleslaw und Heinrich,
zweier Söhne des bekannten im Jahre 1241 bei Wahl-
statt im Kampfe gegen die Mongolen gefallenen Herzogs
Heinrich II. des Frommen von Liegnitz, begegnet8). Wir
dürfen in Veschow wohl mit Recht den polnischen Namen
von Fraustadt (Wschowa) erblicken. Ob sich dort be-
reits eine städtische Ansiedelung oder vielleicht nur ein
Schloss befand, lässt die Fassung des Datums allerdings
nicht erkennen. Als Stadt wird Fraustadt zum ersten
Male im Jahre 1273 bezeichnet, wo es in der Gründungs-
urkunde für das benachbarte Dorf Pritschen4) als „an-
liegende Stadt" (civitas adiacens) — freilich ohne Namen
— erwähnt wird5). Der Name Fraustadt begegnet uns
erst in einer Urkunde des Jahres 12906). Im allgemeinen
*) I S. 84 f.
2) Die städtischen Archive S. 43.
») Cod. I S. 241.
*) Nur in einem Transsumpt von 1447 erhalten, Wuttke S.
12, besser Cod. I S. 398.
6) Daher die Zahl 1273 auf dem Wappen am Rathaus; Ab-
bildung desselben bei Vossberg, Wappenbuch der Städte d. Gross-
herzogtums Posen, Berlin 1866, Tafel III. (vgl. Kirmis, Beiträge S.
330). Die in älteren Schriften wiederholt vorkommende Angabe, dass
Fraustadt 1273 Stadtrecht erhalten habe (z. B. Vossberg S. 8, Kir-
mis, Münzgeschichte S. 1), geht jedenfalls auch auf unsere Urkunde
.zurück.
«) Wuttke S. 143, Cod. II S. 43, Cod. Pol. IV S. 1, Schlesische
Regesten HI S. 132.
200 Hugo Moritz.
können wir annehmen, dass Fraustadt kaum lange vor dem
Jahre 1250 gegründet sein wird, da erst um diese Zeit
zahlreichere schlesische und posensche Städte, das benach-
barte Glogau z. B. ebenso wie die deutsche Stadt Posen
im Jahre 1253, gegründet wurden1).
Dass Fraustadt gleich als deutsche Stadt angelegt
wurde, zeigt die bauliche Anlage mit dem quadratischen
Marktplatz und den von den Ecken desselben ausgehenden
Strassen, die in allen wesentlichen Stücken dem üblichen
Plane der deutschen Kolonialstädte im Osten8) entspricht.
Von einer älteren städtischen Ansiedlung slavischen Ur-
sprunges, neben der die deutsche Stadt erbaut worden
wäre, wie dies in zahlreichen schlesischen3) und auch in
manchen posenschen Städten — man denke an Posen
selbst — der Fall war, finden wir nirgends eine Spur.
Dagegen macht die eigenartige Lage der Stadt zwischen
den in ältester Zeit unter dem Namen Pritschen zu-
sammengefassten Dörfern Ober- und Niederpritschen, die
sich westlich bezw. östlich an die Stadt anschliessen und
mit ihrer Feldflur das Stadtgebiet umfassen, wahrschein-
lich, dass die Stadt auf dem Gebiete dieses im Jahre
1273 zu deutschem Rechte ausgesetzten, aber jedenfalls
schon vorher bestehenden Dorfes4) gegründet ist Eine
Gründungsurkunde für Fraustadt finden wir nirgends er-
wähnt Jedenfalls war eine solche im Jahre 1404 nicht
mehr bekannt, da die Stadt sie sich sonst ohne Zweifei
in dem später näher zu besprechenden grossen Privileg
hätte bestätigen lassen.
Der Name Fraustadt ist jedenfalls, wie auch Lauter-
bach6) annimmt, von unserer lieben Frau hergenommen.
i) Grünhagen I S. 88
2) Vergl. z. B. Grünhagen 1 S. 59 f.
3) Grünhagen I S. 59.
4) „villam nostram", heisst es in der Gründnngsurkunde, „quae
vulgariter Priczyn nuneupatur, Walthero eiusdem villae contulimus
iure theutonico .... collocandam."
5) Leben Herbergers S. 16 f.
Geschichte Fraustadts im Mittelalter. 201
Ihr war die Pfarrkirche ursprünglich geweiht1). Ihr Bild
zeigt das älteste Stadtsiegel (an einer Urkunde vom Jahre
I3I0)2)« Die Erklärung Wuttkes (S. 294), dass der Name
die Stätte bezeichne, „wo in unruhigen Zeiten die Weiber
Schutz suchten und fanden", ist wohl nur dem Bestreben
entsprungen, den deutschen Namen mit dem polnischen
(Wschowa) in Einklang zu bringen, und erscheint ziem-
lich gekünstelt. Ein Artikel über Fraustadt in der sehr
seltenen Wochenschrift „Südpreussische Unterhaltungen"
Posen 1802 (vgl. diese Zeitschrift Bd. 14 S. 264 ff.), der im
allgemeinen nicht viel Neues bietet, erwähnt eine Sage,
dass die Frauen sich einmal an der Verteidigung der
Stadt beteiligt hätten, führt den Namen Fraustadt aber
selbst auf die Jungfrau Maria zurück.
Als urkundlich bezeugte Namensformen finden wir
1290 Frowenstat, 1310 Vrowenstat und Vrowinstat, 1337
Wrawenstat, 1339 Frowenstat und Frowynstat, 1392 Fra-
winstad, später meist Frawenstadt. Falsch sind die bei
polnischen Geschichtsschreibern vorkommende, auf Un-
kenntnis des Deutschen beruhende Form Freystadt8) und
die auf kirchliche Tendenzen zurückgehende Schreibung
Fronstadt4), die ich übrigens in den Stadtbüchern des
16. Jahrhunderts nur ganz vereinzelt einmal5), in denen
des 17. überhaupt nicht gefunden habe. Die griechische
Obersetzung Gynaecopolis findet sich in poetischen Spiele-
1) In der Bodenschenkungsurkunde für das Franziskaner- oder
Bernhardinerkloster vom Jahre 1456 (Archivium f. 2, Rel. Wscho-
wenses 1670—75 f. 224 b) nennt sich der Pfarrer „Benedictes de
Costen, rector ecclesiae parochialis beatae virg. Mariae infra muros
Wschowenses". Der hlg. Stanislaus, dem die Kirche jetzt geweiht
ist (Kohte, Kunstdenkmäler d. Prov. Posen IJI S. 175) scheint erst
später an die Stelle der Jungfrau Maria getreten zu sein, vielleicht
als die Reliquie dieses Heiligen (Lauterbach, Zion S. 17) dorthin kam.
2) Vgl. Kirmis, Beiträge S. 330 f. Eine Abbildung bei Saurma,
Wappenbuch der schles. Städte Nr. 23. Ein Abguss in der Siegel-
sammlung von Kirmis im Kaiser Friedrich Museum zu Posen.
*) Lauterbach, Zion S. 61; Wuttke S. 294 Anm. 3.
*) Vgl. Lauterbach, Herberger S. i7, Wuttke S. 294 Anm. 3.
5) Ratsbuch 1572 — 75 f. 21a.
2Q2 Hugo Moritz.
reien *), gelegentlich aber auch in geschäftlichen Aufzeich-
nungen2).
Der polnische Name Wschowa kommt vor dem im
Jahre 1343 bzw. 1346 erfolgten Übergange der Stadt
an die Krone Polen nur ganz vereinzelt vor. Sicher auf
Fraustadt zu beziehen sind — abgesehen von dem schon
besprochenen Urkundendatum von 1248 — nur der in
einer Urkunde Przemysls von Grosspolen 1289 a"s Zeuge
genannte Wyerzbyata castellanus de Wschow8) und die
in einem aus dem Anfange des 14. Jahrhunderts stam-
menden Einnahmeregister des Breslauer Bistums zweimal
vorkommende Erwähnung von „Conradi villa (Kursdorf)
prope Weschowam4), sowie endlich der Cunradus advo-
catus de civitate Schowa in einer später näher zu be-
sprechenden Urkunde für Seh wetzkau vom Jahre 1333 6).
Der Name, den schon Herberger als „Festung, Behältnis,
Grenzschloss" deutete6) und Wuttke (S. 294) genauer mit
„Aufbewahrungsort*- übersetzt, mag, wie Wuttke vermutet,
zuerst von dem Schlosse gegolten haben und dann auf
die Stadt übergegangen sein7). Häufiger wird derselbe
erst seit dem Übergange der Stadt an Polen. Urkundlich
bezeugte Namensformen sind ausser den schon genannten
besonders Vschowa, Wschowa und seltener Schowa.
Die aus dem 15. Jahrhundert überlieferte Form (pars)
*) Ratsbuch 1597 — 1602 f. 46 u. 47.
2) S(acrae) R(omanae) M(aiestatis) Commissartorum protestatio
Gnyaecopoli anno 1540 facta (Stadtarchiv Breslau Hs. O. 20 f. 185).
3) Cod. II S. 20.
4) Cod. dipl. Silesiae XIV S. 53 u. 161.
5) Cod. II S. 450. Die in einer Urkunde von 1302 vorkommende
Herrschaft Weshcowo, nicht Weschowo (RaczynskiS.92, Cod. II S. 204),
an die Wuttke S. 296 denkt, ist wohl Wieszkowo bei Kriewen. Das als
Heimat eines Saganer Ratsherrn erwähnte Wichow oder Wyschow
in dem Landfriedensbündnis von 1310 (Kirmis, Beitrage S. 332, Cod.
II S. 281) kann auch Weichau bei Freystadt bezeichnen.
6) Lauterbach, Herberger S. 19.
7) Auch in Herrnstadt (südöstlich von Guhrau) scheint die
Stadt den polnischen Namen der Burg Waiciorz angenommen zu
haben, Cod. dipl. Sil. XIV S. 16t Anm. 269.
Geschichte Fraustadts im Mittelalter. 303
Vorschoviensis *) ist eine blosse Entstellung; Uskow,
\J9ch0via, Uschohovia u. s. w.a) sind willkürliche Latini-
sierungen.
Zur Zeit seiner ersten Erwähnung im Jahre 1248
geborte Fraustadt, wie aus der oben angeführten Urkunde
hervorgeht, zu Schlesien. Im Jahre 1273 niuss dagegen
Pritschen und damit auch Fraustadt zu Grosspolen ge-
hört haben, da unter dem Aussteller der Gründungs-
urkunde für Pritschen, wie die Erwähnung des Notars
Thilo zeigt8), unzweifelhaft mit Grünhagen4) undKirmis6)
Przemysls IL von Grosspolen und nicht, wie andere
annehmen6), der gleichnamige Sohn Conrads I. (II.) von
Glogau zu verstehen ist7). Während dann die schon er-
wähnte Aufführung eines castellanus de Wschow in
einer Urkunde Przemysls von Grosspolen dafür zu sprechen
scheint, dass Fraustadt im Jahre 1289 noch zu diesem
Lande gehörte, war es 1290, wie die ebenfalls schon an-
geführte Urkunde dieses Jahres zeigt, bereits im Besitze
Heinrichs I. (III.) von Glogau, jenes mächtigen Fürsten,.
der bald darauf grosse Stücke des Breslauer Herzogtum*
an sich riss und nach '„der Ermordung Przemysls II
im Jahre 1297 als Herr eines bedeutenden Teils von
Grosspolen mit Posen, Gnesen und Kaiisch erscheint0).
Nach dem Tode Heinrichs im Jahre 1309 war Frau-
stadt mit seinem Gebiete9) im Gemeinbesitz seiner fünf
i) Cod. dipl. Sil. XV S. 140.
s) Wuttke S. 294, Kirmis, Beiträge S. 328.
^ Vgl. Cod. I Nr. 453 mit Nr. 459. Siehe auch Krzyzanowski,
diplomy i kancellaryja Przerayslawa II.
4) Schlesische Regesten II Nr. 1432.
5) Beiträge S. 329.
•) Wuttke S. 295 und nach ihm Caro II S. 262.
7) Danach wäre die Darstellung älterer und neuerer polnischer
Geschichtsschreiber, dass König Kasimir Fraustadt im Jahre 1343
zurückgewonnen habe, nicht so falsch, wie Caro II S. 262 Anm. 3
meint.
8) Grünhagen I S. 123, 125, 133.
9) 1307 territorium Vrowenstatensis, 1312 Wrowihstat cum*
suo districtu, 1337 terra Vrowenstadt (Cod. II S. 254, 293, 496).
204 Hugo Moritz.
Söhne, nach der Teilung von 131 2 in dem von Heinrich,
Johann und Primko. Obgleich diese ihr Gesamtgebiet
weiter geteilt zu haben scheinen — Heinrich wird nach
Sagan, Johann nach Steinau, Primko nach Glogau zu-
benannt1) — sind die Fraustädter Urkunden doch ab-
wechselnd von Heinrich II. (IV.) und Primko ausgestellt*).
Nach des letzteren Tode im Jahre 1331 kam Fraustadt
an Johann von Steinau. Aber der leichtsinnige und tief-
-verschuldete Fürst konnte seinen Besitz nicht behaupten.
Zuerst scheint er die Stadt seinem Bruder Konrad von
Oels verpfändet zu haben, dann überliess er sie am 7. Juni
1335 (?)8) an seinen Lehnsherrn, den König Johann von
Böhmen, der damals schon fast ganz Schlesien in Ab-
hängigkeit von sich gebracht hatte. Dieser versprach,
Konrad auszuzahlen und Fraustadt nebst einer Reihe anderer
Besitzungen dem Johann als Lehen auf Lebenszeit zurück-
zugeben. Am 29. Januar 1336 verzichtete dieser jedoch
auf sein ganzes Fürstentum Steinau einschliesslich der
StadJ Fraustadt gegen die Statthalterschaft des 1331 an den
Böhmenherrscher gekommenen Glogau4). Als er diese
noch vor Ablauf eines Jahres zurückgab, scheint er einen
Teil der bei ihrer Erwerbung abgetretenen Besitzungen
zurückerhalten zu haben. Am 27. März 1337 verkaufte
er nämlich das in dem damaligen Vertrage inbegriffene
Guhrauische von neuem an den König, indem er sich
lebenslängliche Belehnung mit demselben und der von
!) Vgl. Lux, Schlesische Fürstenbüder 187a, Bogen 26c. S. 2,
Grotefend, Stammtafeln der schles. Fürsten 2. Aufl. S. 4, Minsberg
Seite 67.
2) Die Annahme Wuttkes (S. 295), dass die Stadt um das
Jahr 1322 vorübergehend im Besitze des Königs Wladislaw (Lokietek)
von Polen gewesen sei, beruht auf der falschen Datierung der noch
genauer zu besprechenden Urkunde über den Ankauf der Vogtei,
die tatsächlich von 1392 stammt.
3) Das Jahr ist nicht ganz sicher, vgl. Lehns- und Besitz-
urkunden Schlesiens .... im Mittelalter, herausg. von Granhagen
und Markgraf Bd. I. S. 139.
4) Ueber den Anfall Glogaus an König Johann s. Grünhagen,
Gesch. Schlesiens I S. 145.
Geschichte Fraustadts im Mittelalter. 205
Konrad ausgelösten Stadt Fraustadt1) ausbedang. Diese
Abmachung gelangte jedoch nicht zur Ausführung. Viel-
mehr verkaufte Herzog Johann kraft Vertrags vom 27.
August 1337 — mit nachträglicher Einwilligung des durch
Ltlben entschädigten Böhmenkönigs vom 25. März 1338*) —
sein ganzes Herzogtum Steinau einschliesslich Fraustadts
an seine Brüder Heinrich von Sagan und Konrad von
Oels, von denen er es als Lehen auf Lebenszeit zurück-
erhielt. Fraustadt scheint er dann bald wieder an Konrad
von Oels verpfändet zu haben. Wenigstens haben wir
eine vom 27. Januar 1339 aus Fraustadt selbst datierte
Urkunde dieses Fürsten für die Stadt8), und im Jahre 1341
wird Fraustadt von Johann in einer Urkunde für Heinrich
von Sagan als verpfändet bezeichnet4). Da fiel im Jahre
1343, nachdem schon zehn Jahre vorher Wladislaus
Lolrietek kurz vor seinem Tode bis an das rechte Oder-
ufer vorgedrungen war5), der Polenkönig Kasimir der
Grosse in Schlesien ein und eroberte Fraustadt6). Im
Frühling 1345 erteilte er der Stadt zwei Privilegien.
Im Sommer scheint sie dann noch einmal in
1) una cum civitate Frowenstat expedita et exsoluta penes
dominum ConFadura Olsnicensem ducem.
2) Die Angabe Caros IL S. 262, König Johann habe nur auf
Steinau und Guhrau verzichtet, sich von Fraustadt aber sofort huldigen
lassen, wird durch die angeführte Urkunde widerlegt.
3) Vgl. Wuttke S. 295.
*) Johann verpflichtet sich, jenem „unse lant und leute, die wir
haben, und die Vrauwenstat, wen wir die gelosten", nicht zu ent-
fremden. — Wuttkes Erwähnung einer von 134 1 datierten Urkunde
Kasimirs von Polen für Fraustadt beruht auf einer ganz ungenauen
Abschrift der Urkunde desselben Fürsten vom 23. Mai 1345 (Cod. II
Nr. 1241); diese findet sich jetzt im St. A. Posen und liegt beim
Original (Fraustadt A. 12).
5) Minsberg I. S. 207. Dass Fraustadt dabei erobert worden
sei, wie Lauterbach (Herberger S. 19) erzählt, ist sonst nicht über-
liefert. Vergl. auch Schles. Regesten VI S. 180.
^ Czarnkowski (Mon. Pol. Hist. II S. 628 f.) „Kasimirus rex
.... anno domini 1343 congregata multitudine armatorum praedictam
civitatem Wschowam acquisivit muitosque captivos ibidem cepit". Bei
Dlugosz EIS. 209 ist die Erzählung etwas weiter ausgeführt.
ao6 Hugo Moritz.
Konrads Hände zurückgekommen zu sein. Am 12. August
sah sich dieser jedoch infolge der grossen im Kriege
mit Polen erlittenen Verluste genötigt, die Stadt, viel-
leicht auch nur den Anspruch auf dieselbe, nebst anderen
Besitzungen an den Böhmenkönig zu verkaufen. Doch
auch der Böhme konnte Fraustadt nicht behaupten oder
wiedergewinnen. Ende September war die Stadt, wie die
Urkunden beweisen, wieder in den Händen Kasimirs^
und im Frieden von 1346 kam sie nebst ihrem Gebiete
endgiltig an Polen1), um nun dauernd bei diesem Reiche
zu bleiben9). Das Fraustädter Land nahm übrigens inner-
halb der Woiwodschaft Posen, zu der es geschlagen
wurde, bis zum Ende des polnischen Reiches eine gewisse
Sonderstellung ein8). Zunächst blieb es, wie wir noch genauer
sehen werden, sogar im Besitze des deutschen Rechtes.
Im Jahre 1383 machten die Glogauer Herzöge, in-
dem sie die dem Tode König Ludwigs von Ungarn
und Polen folgenden Wirren benutzten, noch einen Versuch
zur Rückgewinnung Fraustadts. Sie wurden jedoch, wie
Dlugosz erzählt, durch die Bürger von den Mauern zurück-
geschlagen, sodass sie sich mit der Verwüstung des platten
Landes begnügen mussten4).
!) Caro II S. 273.
a) Die zahlreichen Besitzverschiebungen zwischen den sehte-
sischen Fürsten und dem Böhmenkönig sehr unvollständig bei
Wuttke S. 295, ausführlicher, aber nicht durchweg richtig, bei Mins-
berg I. S. 208—16. Die meiner Darstellung zu Grunde liegenden
Urkunden von 1312 an sind jetzt sämtlich vereinigt in den Lehns-
urkunden I S. 120 — 166.
8) Vergl. Kirmis, Beiträge S. 329 Anm. 11.
*) Dlugosz III S. 435 f. — Czarnkowski (Mon. Pol. Hist. II 8. 746)
spricht nur beiläufig von den Glogauern, „qui pro tunc terram
Wschowensem devastabant". Die Annahme Wuttkes (S. 296), dass
die Fraustädter mit der polnischen Herrschaft unzufrieden gewesen
seien und sich loszureissen versucht hätten, schwebt ganz in der
Luft. — Spätere Revisionen der Grenze des Fraustädter Landes
gegen Polen fanden nach Jonemann f. 21 a und f. 4 a in den Jahren 1528
(vergl. Inscr. Wschow. 1526—38 f. 45 a) und 1597 statt, lieber die erstere
gibt es eine besondere Schrift von Celichowski (besprochen Monats-
blätter IIS.106.)
Geschichte Fraustadts im Mittelalter. 207
Von dieser Zeit an (schon 1345) wird, wie bereits
erwähnt (S. 202), für Stadt und Land in den königlichen
Urkunden wie in den Grodbüchern und überhaupt im
Lateinischen und Polnischen der Name Wschowa bezw.
<üstrictus oder terra Wschowensis1) gebraucht2). In den
Stadtbüchern und überhaupt in deutschen Aufzeichnungen
h>lfeibt der Name Frauenstadt herrschend.
II. Innere Entwicklung der Stadt unter schlesischer
Herrschaft.
Als Fraustadt an Polen kam, war es kein unbedeutender
Ortmehr. Dasdeutsche Rechtunddamitdie Selbstverwaltung
besass es jedenfalls schon zur Zeit seiner ersten Erwähnung
In einer Urkunde von 13108) werden uns Erbvogt, Bürger-
meister und zwei Ratsherren genannt4).
Im Jahre 1290 besass die Stadt bereits 15 fränkische
Hufen in dem benachbarten Dorfe Pritschen bzw. Neu-
Pritschen6). Allerdings waren dieselben unfruchtbar, so
dass der für sie zu entrichtende Zins in dem genannten
Jahre von Herzog Heinrich I. (III.) von Glogau um ein
Drittel ermässigt wurde.
*) Bei Geschichtschreibern vereinzelt auch ducatus Wschowensis
<Mon. Pol. Hist II S. 861), in den Stadtbüchern zuweilen Frau-
städtisches Weichbild.
*) Nur in dem grossen Privileg Wladislaw Jagiellos von 1404
heiest es „Frawenstat alias Wschowa", weil die Stadt in den durch
dies Privileg bestätigten älteren Urkunden den deutschen Namen
führte.
*) Wuttke S. 17, Cod. II S. 280; besserer Abdruck nach einem
andern Original bei Kirmis, Beitrage S. 333.
4) Die Namen derselben lauten :Stephanus de Swenkenvelt iudex
haereditarius, Syfridus Ramugus oder Ramungus magister civium,
Gotfridus Frederici (bei Kirmis G. Longus) und Gerewicus de
Waltersdorf consules. — Im Jahre 1333 war ein gewisser Nicolaus
magister civium (Cod. II S. 450).
b) Wuttke S. 143 liest (nach einem älteren Druck) ville, que
nunc, Cod. II S. 43 (nach d. Original), que vuigariter und Cod. Pol. IV
S. 1 (ebenfalls nach d. Orig.), que Nova Predsin nuncupatur.
208 Hugo Moritz.
Das früh in zwei Dörfer geteilte Dorf Pritschen
welches allmählich ganz an die Stadt fiel, erscheint, wenn
der Name richtig gedeutet wird, als Pretsino schon 1210
unter den dem Kloster Pforta zur Gründung eines
Cisterzienserklosters von Wladislaus Odonicz von
Kaiisch geschenkten Besitzungen1); doch muss es
dem Kloster wieder verloren gegangen sein. Im
Jahre 1273 (1. Oktober) gab dann Przemyslaus IL
von Grosspolen durch die schon mehrfach erwähnte
Urkunde das Dorf mit 50 fränkischen Hufen einem
gewissen Walther, der schon in dem Dorfe ansässig ge-
wesen zu sein scheint2), zur Besiedelung nach Magde-
burger Recht. Die Rechte und Pflichten der anzusetzen-
den Bauern und des Lokators wurden genau geregelt.
Ob sich diese Urkunde auf das jetzige Ober- oder Nieder-
pritschen bezieht, bezw. ob damals überhaupt schon
eine solche Teilung bestand und ob diese, wenn sie be-
stand, nur örtliche oder auch administrative Bedeutung
hatte, lässt sich nicht mit Bestimmtheit ausmachen8). Das
Neu -Pritschen (?) der Urkunde von 1290 ist, wie aus
i) Cod. I S. 64, vgl. Schmidt S. 76.
2) Waltero eiusdem villac.
8) Grünhagen, Schles. Regesten II S. 204, der auch einige
Verbesserungsvorschläge für den Text der Urkunde macht, deutet
sie ohne Angabe eines Grundes auf Niederpritschen. Für dieses
spräche vielleicht die Bestimmung, dass keine Kirche gebaut werden
soll, während Oberpritschen schon 1345 eine Kirche hat. Die von
Grünh. bezweifelten Worte „et ecclesiam non habeant" stehen in der
Urkunde d. h. in dem Transsumpt von 1447 ganz deutlich, passen
aber allerdings nicht recht in den Zusammenhang und sind
vielleicht verderbt. Andererseits wird das Schulzengut, wie
wir später sehen werden, zu Ende des 15. Jahrh. zu Oberpritschen
gerechnet. Die Schulzen dagegen, die sich als Nachfolger jenes
Walther fühlen, bezeichnen sich stets nur als Erbschulzen von
„Pritschen1*. Auch sonst ist häufig nur von „Pritschen** die Rede.
Die Teilung in Alt- und Neu-, Gross- und Klein-, Ober- und
Niederpritschen scheint also trotz der räumlichen Trennung beider
Dörfer durch die Stadt Fraustadt lange Zeit nur örtliche, nicht
administrative Bedeutung gehabt zu haben. Besondere Schulzen von
Niederpritschen begegnen uns erst im 16. Jahrhundert.
% Geschichte Fraustadts im Mittelalter. 209
einer Vergleichung der Urkunden von 1367 und 1404*)
hervorgeht, das jetzige Nieder-Pritschen.
Im Jahre 1310 (12. Dezember) erkaufte die Stadt von
Heinrich IL (IV.) für 110 Mark Königsgroschen den nahe-
gelegenen Wald sowie die Erlaubnis zur Erbauung eines
Bades und zur Anlage von je vier neuen Fleisch-, Brot-
und Schuhbänken2). 1325 (17. Februar) wurde ihr von
Herzog Primko auf Grund einer gerichtlichen Verhand-
lung der ihr von unbekannter Seite bestrittene Besitz von
io Hufen Weideland, die sich gegen Rudegeri villa (Röhrs-
dorf) hinzogen, 2 Rossmühlen und 1 Windmühle8) be-
stätigt4). 1339 Hessen sich die Bürger durch den gerade
anwesenden Herzog Konrad von Oels den Erwerb der
gegen Ulbersdorf zu gelegenen Steinwiese, die sie von
Lucco (oder Lutko) von Rakwicz gekauft hatten5), be-
stätigen.
In Bezug auf die Rechtsprechung hatten die Bürger
1332 (15. Dezember) von Johann von Steinau das wich-
tige Recht erhalten, dass alle Appellationen vom Gerichte
des Erbvogtes (de iudicio haereditario), an wen sie auch
i) Wuttke S. 41, Cod. III S. 293. — Die Bedeutung des
Namens Pritschen ist auch Lauterbach (Zion S. 173) unbekannt
Namensformen : 1210 Pretsino, 1273 Przyczyn, 1290 Predsin, 1326
Przyczyny, 1327 Pritchinin, 1345 Pricz, später gewöhnlich Priczina
oder Pryczyna, deutsch Pritschen, das Pritschen.
*) Wuttke S. 18, Cod. II. S. 283, Cod. dipl. Pol. IV. S. 2;
Schles. Regesten IV S. 182.
8) de duobus molendinis, que rossemuel vocantur vulgariter,
et uno molendino venti, quod wyntmuel dicitur.
*) Regest nach älteren schlechten Drucken bei Wuttke S. 145,
neuer Druck nach d. Orig. Cod. IL S. 378, danach Regest in Schles.
Regesten V. S. 265.
») Wuttke S. 23, Cod. II S. 516, Cod. Pol. IV S. 5 Die Lage
der Steinwiese (Cod. Pol. Steynveze, Cod. liest Steynvere) ergibt
sich aus einem um das Ende des 16. Jahrh.'s zwischen Fraustadt
und den Besitzern von Ulbersdorf geführten Grenzstreite. — Das
Datum f. 4 post diem S. Vincentii martiris wird von Wuttke u. Cod.
Pol. auf den 27. Januar, vom Cod. (wohl richtiger) auf den 9. Juni
gedeutet.
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Prov. Posen. Jahrg. XIX. 14
2IO Hugo Moritz.
gerichtet seien, in Fraustadt selbst entschieden werden
müssten1).
Um Gewalttaten zu steuern, hatte die Stadt schon 1310,
in der unruhigen Zeit nach dem Tode Heinrichs III. (I), in Glogau
mit den anderen Städten des Glogau-Saganer Landes Glogau,
Sagan, Freistadt, Steinau, Sprottau, Lüben, Guhrau, Krassen
und Grünberg2) ein Bündnis geschlossen. Wer in einer der
Bundesstädte wegen einer Übeltat — unvorsätzliche Ver-
wundung oder Tötung ausgenommen — geächtet war, sollte
in jeder anderen zur Haft gebracht werden. Auslösung der
von Räubern Gefangenen wurde verboten, gegenseitige Hilfe
bei Gewalttaten gegen einen Bürger oder Vogt einer der
Städte zugesagt; Mädchenentführung sollte dem Raube
oder Diebstahl gleich geachtet werden8).
Auch das Recht, Kleingeld zu münzen, hat die Stadt
vielleicht schon von den schlesischen Herzögen erhalten4).
Doch sind, wie Kirmis das Ergebnis seiner Forschungen
zusammenfasst5), „weder die Verleihungsurkunde, noch Mün-
zen aus dieser Zeit, noch urkundliche Hinweise auf eine in
Fraustadt im 14. Jahrh. bestehende Münze vorhanden"6).
!) Wuttke S. 23, Cod. II S. 449, Cod. dipl. Pol. IV S. 4, Schles.
Regesten VI S. 169. Das entsprechende Recht hatte Glogau 1331
erhalten, Minsberg I S. 201.
2) Die beiden letzten Namen nur bei Kirmis.
*) Wuttke S. 17, Cod. II S. 280; nach einem anderen Original
Kirmis, Beiträge S. 331 ff. Vgl. Schles. Regesten IV S. 175 f.,
Grünhagen I S. 155.
4) Dlugosz III S. 210; dass Johann von Steinau gemeint sei,
ist nur eine Vermutung von Kirmis.
6) Handbuch S. 35 (Ztschr. IV. S. 346).
6) Ganz ähnlich Friedensburg, Schlesiens Münzgeschichte im
Mittelalter II S. 204, 206, 210, der die wenigen wegen eines V auf
Fraustadt bezogenen Münzen diesem abspricht und die Nachricht des
Dlugosz für wahrscheinlich falsch erklärt. — Neuerdings hat Fr.
einige Münzen aus der Zeit Heinrichs III. (I.) von Glogau wegen des
Buchstabens V (Vrowenstat) und der Rose (des Abzeichens der
Jungfrau Maria) für Fraustadt in Anspruch genommen. Doch meint
er selbst, dass diese Münzen eher fürstlichen als städtischen Ur-
sprungs seien (Die polnischen Münzen Heinrichs III. und IV. von
Glogau in Hist. Monatsblätter f. d. Prov. Posen IV S. 52 f., vgl.
auch Cod. dipl. Sil. Bd. 23 S. 47).
Geschichte Fraustadts im Mittelalter. 211
Von fürstlichen Beamten erscheint in Fraustadt neben
dem schon genannten Wyerzbyata castellanus de Wschow
(S. 202) von 1289 im Jahre 1327 in einer Urkunde Primkos
vom 31. Oktober1) ein Otto de Briptitz, iudex curiae
nostrae Frauenstatensis. Danach war Fraustadt der Sitz
eines herzoglichen Gerichtes. Zuweilen residierten die
Fürsten, wie ausser der eben genannten Urkunde noch
die schon erwähnte Konrads vom 27. Januar oder 11. Juni
1339 zeigt, selbst in Fraustadt.
III. Fraustadt unter den polnischen Königen.
Der Anfall an Polen brachte Fraustadt neue Vorteile.
Die Stadt, die wohl unter der Herrschaft des ewig geld-
bedürftigen Johann von Steinau und den beständigen Ver-
pfändungen schwer zu leiden gehabt hatte, scheint sich der
polnischen Herrschaft willig gefügt, ja sich derselben
schon während des Krieges eifrig angeschlossen zu haben.
Zum Lohn für die bewiesene Treue, die er in den leb-
haftesten Ausdrücken rühmt2), und zum Ersätze für die
im Kriege erlittenen schweren Schäden liess König Ka-
simir ihr schon 1345 grosse Gunstbeweise zuteil werden8).
Er wollte die Stadt wohl als wichtige Grenzfestung mög-
lichst stärken und an sich fesseln.
*) Cod. n S. 416.
*) So sagt er in dem Zollfreiheitsprivileg vom 23. Mai 1345 (Cod.
II S. 570), es sei bekannt, „quo modo cives de Vschowa magnam
nobis fidelitatem ostenderunt, in qua sie (nach d. Orig.) persistentes
non modica dampna in rebus et in destruetione eiusdem civitatis
ineurrerunt", in der vom gleichen Tage datierten Schenkungsurkunde
über Pritschen „considerata magna fidelitate et constantia multiplici
nobis exhibita per nostros fideles cives de Wschowa".
8) Vgl. Schmidt S. 150, 196. Doch ist die Angabe von Saurma,
Wappenbuch S. 52, und Kirniis, Beiträge S. 329, Fraustadt habe
unter den polnischen Städten eine Ausnahmestellung eingenommen,
die sich nur mit der von Danzig, Elbing und Thorn vergleichen
Hesse, stark übertrieben.
212 Hugo Moritz.
Am 23. Mai 1345 verlieh er den Fraustädter Bürgern
zunächst vollständige Zollfreiheit1). Es ist dies das grund-
legende Zollprivileg Fraustadts, das von den späteren
Königen bald enger, bald weiter ausgelegt und durch die
Praxis zuweilen unterbrochen, immer wieder bestätigt
wurde. Unter demselben Datum erhielt die Stadt das
Dorf Pritschen — nach der Bestätigung Wladislaus Ja-
giellos von 1404 ist Oberpritschen gemeint2) — mit der
hier zum ersten Male erwähnten Kirche und dem zum
Dorfe gehörigen Vorwerk, sowie das Recht, in den um-
liegenden königlichen Wäldern zur Befestigung der Stadt
(ad plancandam civitatem) oder anderen gemeinnützigen
Zwecken Holz zu schlagen8). Wir sehen, dass Frau-
stadt damals noch mit einem hölzernen Planken-
werk befestigt war4). Am 26. September desselben
Jahres übertrug Kasimir der Stadt den einst dem
Mathias von Panwicz gehörigen, dann an den König
1) Er befreit sie „ab omnibus et singulis theloneis seu guida-
giis (ursprünglich Geleitsgeld) in quibuscunque locis et quarumcun-
que pcrsonamm existant secularium vel spiritualium. Cod. II.
S. 570.
2) Auf Oberpritschen beziehen sich "noch folgende Urkunden:
Im März 1326 (Cod. schreibt Idibus, seine Vorlage ultimis Martii)
bestätigte Herzog Heinrich v. Glogau (Sagan) die durch Lutold von
Malewitz im Sinne seines verstorbenen Vaters erfolgte Oberweisung
von 5 Hufen in Pritschen an das Cistercienserkloster in Fehlen
(Cod. II S. 398, Schles. Regesten V S. 293). Es ist dies jeden-
falls der Kern der 7 Hufen, die Fraustadt im 16. Jahrhundert von
Priment, wohin das genannte Kloster inzwischen verlegt war, kaufte.
Aus den bei diesem Kaufe gepflogenen Verhandlungen ergibt sich»
dass es sich um Oberpritschen handelt. Am 31. Oktober 1327 be-
stätigte Primko von Glogau dem Hermann von Trebitz (Driebitz ?)
die durch seinen (Primkos) Bruder Heinrich erfolgte Schenkung
15 Hufen in Alt- Pritschen (Pritchinin antiquo). Schlechter Druck
bei Wuttke S. 21, besser im Cod. II S. 416, vgl. Schles. Regesten VI
Sk 26. Wenn Neu Pritschen Nieder-Pritschen ist (s. oben S. 208 f.),
un werden wir Alt- und Ober-Pritschen gleich setzen müssen.
3) Cod. II S. 570 nach einer Abschrift, Orig. St. A. Posen A 12.
*) Kohte III S. 174.
Geschichte Fraustadts im Mittelalter. 213
übergegangenen Teil von Neu-Pritschen (d. h. Nieder-
Pritschen) in Grösse von 50 Hufen1).
Am 13. Mai 1349 bestätigte er den Einwohnern der
Stadt wie des Landes Fraustadt das deutsche Recht9) mit dem
besonderen, an das Privileg Johanns von Steinau von 1332
(S. 209 f.) erinnernden Zusätze, dass sie in allen Rechts-
streitigkeiten, besonders in Angelegenheiten, die ihre
Erbgüter beträfen, und in Kriminalfällen a) nur in der Stadt
Fraustadt vor dem Starosten, Burggrafen, Landvogt oder
einem besonderen Deputierten und zwar nach deutschem
Rechte Rede zu stehen hätten4). Die eben erwähnte Ur-
kunde, die am 31. März 1388 von Wladislaw Jagiello be-
stätigt wurde5), hatte übrigens in erster Linie für das
Land Fraustadt Bedeutung, dem sie in scharfem Gegen-
satze zu der sonstigen auf innere Einigung des Reiches
gerichteten Politik Kasimirs6) durch Belassung des deut-
schen Rechtes eine Ausnahmestellung unter den Land-
schaften Polens einräumte7). Für die Stadt war sie,
abgesehen von den pekuniären Vorteilen, die dieser als
alleinigem Sitz der Rechtsprechung für das ganze Frau-
städter Land aus der Steigerung des Verkehrs erwuchsen8),
i) Cod. II S. 574.
*) Er verspricht, sie „circa omnia iura Theutunicalia et civi-
lis ac consuetudines, quibus tempore aliorum dueum seu prineipum
ab anüquo utebantur", zu erhalten.
3) pro causa seu causis hereditariis atque capitalibus et crimi-
nalibus, puta furti, sangwinis, homieidii, incendii, et aliis universis.
*) Wuttke S. 37, Cod. II S. 614.
») Wuttke S. 35 (mit falschem Datum), Cod. III S. 601. In der-
selben Urkunde bestätigte Wladislaus Jagiello den Einwohnern von
Stadt und Land Fraustadt im allgemeinen alle Rechte, deren sie sich
anter seinen Vorfahren erfreut hatten.
«) Vgl Schmidt S. 148 ff.
0 Vgl. Schmidt S. 166, T96, aao,
*) Von einer Steigerung der stadtischen Gerichtsgefälle, wie
Schmidt S. 196 meint, durfte kaum die Rede sein, da die Edelleute und
«andere Nichtbürger zwar in der Stadt, aber nicht vor dem städ-
tischen Gerichte Recht zu nehmen hatten; auch war die Vogtei, der
die Gerichtsgcfälle grösstenteils zuflössen, damals noch nicht im
Besitze der Stadt.
214 Hugo Moritz.
wohl nur dann von Wichtigkeit, wenn es sich um
Prozesse der Stadt oder einzelner Bürger gegen Nicht-
städter handelte, die nun auch in der Stadt, zwar vor
einem königlichen Beamten, aber nach deutschem Rechte
verhandelt werden mussten. Für Streitigkeiten der Bürger
unter einander war natürlich das Stadtgericht zuständig.
Im August 1349 war König Kasimir, wie das Datum
einer Urkunde zeigt1), persönlich in Fraustadt anwesend2).
Einen wichtigen Schritt vorwärts tat die Stadt im
Jahre 1392. In diesem Jahre (am 27. November), nicht,
wie bisher auf Grund eines Lesefehlers angenommen
wurde, bereits 13228) gelang es ihr, mit Genehmigung
Wladislaw Jagiellos die Vogtei den derzeitigen Inhabern
derselben, den Erben des Nickil oder Nicolaus, Conrad
und Anna4), mit allen Liegenschaften und Rechten für
40 (nicht 50!) polnische Mark abzukaufen6). Bei dieser
*) Cod. Pol. III S. 227, nach d. Oberschrift 2., nach dem Datum
11. August.
2) Von König Ludwig (1370—82) haben wir keine Privilegien
für Fraustadt, obwohl es solche gegeben zu haben scheint (WuttkeS. 41).
*) Richtig datiert bei Warschauer: Die städtischen Archive
S. 44, Schmidt S. 190.
4) Früher begegnet uns im Besitze der Vogtei ausser dem
schon erwähnten Stephanus de Swenkenvelt (S. 207 A. 4) von 1310 noch
ein „Cunradus dictus Zchyphron, advocatus de eivitate Schowa"
und zwar als Schiedsrichter in einer Streitigkeit über die Vogtei zu '
Schwetzkau. Seltsamerweise finden sich über diese Angelegenheit
im Cod. II S. 450, III S. 361 zwei bis auf die Namen des Abtes von
Lubin und die Angabe der Untersiegelnden fast wörtlich, besonders
auch in den Namen der beteiligten Personen, übereinstimmende
Urkunden (beide nach Originalen), von denen die eine vom 11.
März 1333, die andere vom 11. März 1371 datiert ist. Da jedoch der
in beiden Urkunden genannte Vogt von Schwetzkau Johann Ware-
mul seine Vogtei nach Cod. III S. 283 schon im Jahre 1366 nach
langem Besitze verkauft hat, so ist die Urkunde von 1333 als die
ursprüngliche, die von 1371 als eine allerdings in sehr ungewöhn-
licher Form vollzogene Erneuerung derselben anzusehen. Der
Fraustädter Vogt Cunradus ist also in das Jahr 1333 zu setzen.
*) Die bei Wuttke S. 18, danach im Cod. II S. 365 ganz fehler-
haft abgedruckte und fälschlich vom 1. Dez. 1322 (hier auch in den
Schles. Regesten V S. 214 angeführt) datierte Urkunde soll im An-
hang nach dem Original veröffentlicht werden.
Geschichte Fraustadts im Mittelalter. 21 5
Gelegenheit lernen wir auch den Namen des Starosten,
Remschil von Opaln (Oppeln), Herr zum Czacz (bei
Schmiegel)1), und der 7 Landschöffen kennen, vor denen
der Kauf geschah. Die letzteren, die sich sonst in Polen
nicht finden, sind offenbar noch eine aus schlesischer Zeit
stammende deutschrechtliche Einrichtung des Fraustädter
Landes. Mit der Erwerbung der Vogtei, die für die mittel-
alterlichen Städte stets von epochemachender Bedeutung
war2), bekam die Stadt nicht nur die Leitung der Recht-
sprechung in die Hand, sondern gewann auch namhafte
Einkünfte aus Grundbesitz, gewerblichen Baulichkeiten
und Gerichtsgefällen8). Der von Fraustadt gezahlte Preis
muss im Verhältnis hierzu und im Vergleich zu den
Opfern anderer Städte4) als ein auffallend niedriger be-
zeichnet werden. Ein Teil der Vogteigüter muss übrigens
im Besitze des Königs gewesen sein, da dieser 1395 dem
Kastellan von Nakel, Vincenz von Granow5), ein zur Vogtei
gehöriges, der Pfarrkirche gegenüber gelegenes Haus6)
schenken konnte7).
Im Jahre 1404 (2. Juni) erneuerte Wladislaw Jagiello
den Fraustädtern alle Besitzungen und Rechte, deren recht-
mässigen Besitz sie nachweisen konnten. Er fügte einige
neuen Gnadenbeweise hinzu, und so entstand ein grosses
Privileg, das von den späteren Königen immer wieder
bestätigt wurde8). Aus einem Vergleich desselben mit den
*) Vgl. Monatsblätter II S. 2 f.
2) Vgl. Warschauer, Stadtbuch von Posen I S. 100*, Schmidt
Seite 235.
3) Ueber die Einkünfte der Vogtei im Jahre 1 428 siehe weiter unten.
4) So bezahlte Kaiisch im Jahre 1360 360 Mark für die Vogtei
(Warschauer, a. a. O. I S. 100*), Schrimm in drei Raten 1400 — 1428
gar 1100 Mark, Schmidt S. 235.
5) Nicht Pranved, wie Wuttke schreibt.
*) Domum nostram iuxta domum coquinam (in der Vorlage:
coffinam) in civitate Wschowa ex opposito ecclesie situatam.
*) Schlechter Druck bei Wuttke S. 38, besser Cod. m S. 679.
6) Von Sigismund I. am 24. Januar 1525, von Sigismund m. am
3. Juni 1588, von Wladislaw IV. am 15. Februar 1633 und von Johann
Kasimir am 3. Februar 1649, vgl. Warschauer, die städtischen
Archive S. 44.
2l6 Hugo Moritz.
bisher besprochenen Urkunden ersehen wir übrigens, dass
uns wesentliche Privilegien, die 1404 noch vorhanden
waren, seitdem nicht verloren gegangen sind. Auf die
älteren, jetzt lediglich bestätigten Erwerbungen brauchen
wir hier nicht näher einzugehen1). Neuverliehen wurde
der Stadt der Salzverkauf. Es wurde ihr der Besitz des,
wahrscheinlich vor kurzer Zeit von Peter von
Falkenhayn erkauften Dorfes Niederpritschen (Przedczyn
inferior)2), das ebenso wie vorher Oberpritschen (vgl.
Anm.1) hier zum ersten Mal unter diesem Namen erscheint,
samt der Walkmühle bestätigt8) und die Anlage von Tuch-
kammern und Krambuden4) gestattet. Die Stadt erhielt
die Befugnis, Kleingeld, d. h. Denare, 12 auf 1 Groschen ,
zu schlagen. Dieselben sollten jedoch die königlichen
Zeichen, auf der einen Seite den Adler, auf der anderen
das Doppelkreuz der Jagellonen tragen5). Rechtsbelehrung
1) Es sind dies 1) die 12 Fleisch-, Brot- und Schuhbänke und
das Bad nebst dem Walde von 1310, 2) die 1325 der Stadt bestätig-
ten 10 Hufen Weideland nebst .den beiden Rossmahlen und der
Windmühle, 3) die 1339 gekaufte Steinwiese, 4) das 1345 der Stadt
übertragene Dorf Oberpritschen (Przedczin superior).
2) Wie aus der Bestätigung König Kasimirs vom 13. Mai 1367
ersichtlich, hatte damals Tamo von Schellendorf 30 Hufen Ackers
in Neu-Pritschen (in villa, que dicitur in Polonico Nowi Prczyczyn)
für 150 Mark polnisch an die Brüder Günther und Peter von Falken-
hayn verkauft, Cod. III S. 293.
3) Teile von Niederpritschen besass die Stadt schon früher,.
1290 (?) und 1345 (s. oben S. 207, 212 f.).
4) Camerae pannicidarum et institorum.
5) Ueber die Frage, ob Fraustadt schon früher Münzrecht be-
sessen hat, s. oben S. 210« Das „sub signis tarnen nostris rcgalibuß*,
welches nach Kirmis, Münzgesch. d. Stadt Fraustadt S. 5, für frühere
Prägung spricht, ist einfach so zu erklären, dass die Stadt zwar das
Münzrecht erhalt, jedoch nicht mit dem städtischen, sondern mit
dem königlichen Wappen prägen soll. Auch der in gleicher Rich-
tung sich bewegende Schluss aus dem damals in Polen nicht mehr
gebräuchlichen Münzfusse (Handbuch S. 35, Zeitschrift IV S. 346)
ist nicht gerade zwingend. Dieser Münzfuss kann ebenso gut mit
Rücksicht auf die nahen Beziehungen zu Schlesien, wo die gleiche
Währung herrschte (Friedensburg II S. 53 f.), gewählt sein.
Geschichte Fraustadts im Mittelalter. 21 7
sollten die Fraustädter nötigenfalls in Magdeburg, aber
nirgends anders suchen. Ein Jahrmarkt wurde ihnen für
den Sonntag vor Michaelis bewilligt. Endlich erhielten
sie das Recht, den Rektor der Stadtschule anzustellen:
die erste Erwähnung einer Schule in Fraustadt1). Als
Gegenleistung für diese Vergünstigungen sollte die Stadt
aus den beiden Rossmühlen wöchentlich 6 Mass Weizen-
malz (brasei tritici)2) an den König, d.h., wie aus späteren
Erwähnungen hervorgeht, an den Starosten abliefern und
diese kostenlos mahlen lassen. Zum Schluss bestätigte
Wladislaw noch mit den Worten des Privilegs von 1345
die Zollfreiheit der Bürger8).
Die auf das Gepräge der Münzen bezügliche Vor-
schrift des Königs hatte auch auf die Entwicklung des
Von den wenigen bekannten Fraustädter Denaren des
15. Jahrhunderts zeigen die ältesten das Doppelkreuz ohne, die
späteren mit zwei Ringeln zwischen den Querbalken. Kirmis ver-
mutet, die letzteren seien zum Unterschiede von den leichteren
Krakauer Denaren in das Wappen gesetzt worden.
Eine königliche Münze in Fraustadt ist für das 15. Jahrhundert
nicht nachzuweisen. Das F. oder W. auf einigen Halbgroschen
Wladislaw Jagiellos ist wohl richtiger auf Krakauer Münzmeister zu
beziehen (Kirmis, Münzgeschichte S. 5, Handbuch S. 24, Zeitschrift IV
S. 335).
*) Von einer Parochialschule in Fraustadt vor 1364, wie sie
Karbowiak auf Grund von Lukaszewicz annimmt (vgl. Monatsblätter
Bd. V S. 110), ist mir nichts bekannt.
2j 1519 (Stan S. 17) wurden diese mensurae als ewiertnie,
1533 (Stan S. 20) als wiertele (Viertel) bezeichnet
*) Abdruck des Privilegs nach einem Posener Grodbuchein-
trag bei Raczynski S. 263 und Wuttke S. 41. Ich gebe zu letzterem
nach dem Transsumpt von 1525 (Orig. Dep. Fraustadt A 47) einige
Verbesserungen. S. 41 Z. 16 lies: a longe retroactis temporibus
pro marcis Z. 18: Item Z. 19: ad hoformy(?) seu ad viam peeudum
Z. 20: ante civitatem Z. 21: in cuius fine Z. 22: et unum ventile
molendinum Z. 23: in foribus civitatis a Luthkone Rakwycz Z. 26
n. 27: Frawenstadt Z. 28: Przedczyn.... Falkyehain Z. 29: in theutonico
walkmol, in polonico stampy. Z. 32: imprimendo Z. 33: in Meydburg,
S. 42 Z. 2: concedimus et Z. 3: ut permittitur, ipsis Z. 4: brasei tri-
tici Z. 7: libertamus Z. 8: guidagiis.
218 Hugo Moritz.
Stadtwappens Einfluss1). Das Ratssiegel (S. 201) zeigte
schon im weiteren Verlaufe des 14. Jahrhunderts nicht
mehr die Jungfrau mit dem Kinde, sondern die Krönung
Mariae durch Gottvater31). Zu dieser Darstellung trat,
offenbar von den Münzen entlehnt, um die Mitte des
15. Jahrhunderts als Nebenfigur (am unteren Rande an-
gebracht) das jagellonische Doppelkreuz, bald mit den
Ringen zwischen den Querbalken, bald ohne dieselben*).
Erst allmählich werden diese zu einem festen Bestandteile
des Wappens.
l) Zu der folgenden Darstellung vgl. Kirmis Beiträge, da*
Wappenbuch von Hupp und die schon erwähnte Siegelsammlong
von Kirmis.
*) Der Stempel nach Hupp S. 32 noch aus der ersten Hälfte
des 14. Jahrh. (?), das Siegel erhalten an der Urkunde Ober des
Verkauf des Schergadems von 1420. Die an sich unwahrscheinliche
Vermutung von Kirmis, Beiträge S. 335, dass nicht die Krönung
Maria, sondern die der Königin Hedwig dargestellt sei, wird durefe
die späteren Siegel, welche die männliche Person mit einem deut-
lichen Heiligenschein zeigen, widerlegt, falls man nicht gerade eine
Umdeutung des Wappenbildes annehmen will. K. scheint sie neuer-
dings selbst aufgegeben zu haben, da er sie in seinem Handbuck
der poln. Münzkunde S. 36 (Ztschr. IV S. 347) nicht mehr erwähnt
*) Mit dieser Darstellung führt Hupp drei Siegel an (Siegel-
abdrücke sämtlich in Kirmis, Sammlung): 1) Stempel um die Mitte
des 15. Jahrh. geschnitten und noch vorhanden (St. A. Posen, Pet-
schafte IV 1), 30 mm., mit den Ringen. 2) Stempel um 1520 geschnit-
ten, 36 mm., ohne Ringe. Kirmis, Handbuch S. 36 hält diesen Stem-
pel für älter; er vermutet, dass die Ringe zum Unterschiede von den
leichteren Krakauer Denaren auf die Münzen gesetzt worden und
von diesen in das Wappen gelangt seien. 3) Stempel um 1600 in
Gebrauch gekommen und noch vorhanden (in Fraustadt?, vgl. die
Notiz von Ehrenberg in der Petschaftsammlung des Posener Staats-
archivs), 35 mm., mit den Ringen. Nr. 1 wurde übrigens neben den
anderen Stempeln weiter gebraucht, so an Urkunden von 1531, 1645,
1723 und sogar noch an einem Briefe von 1807 (in der Siegelsamm-
ung des Posener Staatsarchivs). Ausser diesen Siegeln ist mir 4) ein dem
unter Nr. 3 beschriebenen sehr ähnliches, wahrscheinlich etwas älteres,
34 mm., mit den Ringen, begegnet mit der Umschr. : Sigillum civitatis
Fraunstadt (an Urkunden von 1584 und 1591, Dep. Frst. A. 94 und
100) — Sämtliche vier Siegel werden in den Urkunden, an denen
sie sich befinden, als „grosse" oder „grössere* Siegel bezeichnet.
Geschichte Fraustadts im Mittelalter. 219
Im Gerichtssiegel hielt sich als Hauptfigur die Dar-
stellung der Maria mit dem Kinde, darunter bald auch
hier das Doppelkreuz1). Im Jahre 1532 wurde dem Stadt-
gericht durch Sigismund I. anlässlich der Erwerbung der
Vogtei durch die Stadt ein neues Siegel, der ungekrönte
polnische Adler mit einem grossen S. auf der Brust, da-
runter ein Schildchen mit dem Doppelkreuz, verliehen2),
welches jedoch, wie Anmerkung1 zeigt, das alte Siegel
vorerst nicht ganz verdrängte. — Bei den wandernden
Handwerksburschen sollen nach Lauterbach3) „vordem" die
drei Schnecken über der Tür der Pfarrkirche und das
grüne Kreuz an dem grossen Turm als Wahrzeichen
Fraustadts gegolten haben.
Daneben gab es, wie aus verschiedenen Erwähnungen in den Stadt-
büchern hervorgeht (Ratsbuch 1527—35 f. 318a, 1549—54 f. 249) ein
kleineres Siegel oder Sekret. Begegnet ist mir ein solches nicht
Wahrscheinlich hat dieses das kleine Wappen, Doppelkreuz mit
Ringen, gezeigt. Kirmis, Beiträge S. 355, kennt solche Siegel mit
<ter Jahreszahl 16 — 21, die mit ihrem Durchmesser von 45 mm. aller-
dings das „grössere Siegel" an Umfang übertreffen würden. Auch
vrird nicht klar, ob dies eigentliche Stadtsiegel oder solche einzelner
städtischer Behörden sein sollen. In seiner Sammlung finden sich
solche Siegel nicht. Eine schriftliche Anfrage ist unbeantwortet ge-
blieben. Das bei Hupp erwähnte Siegel mit der Umschrift „Rada
miasta Wschowy* gehört wohl erst der Zeit des Herzogtums War-
schau an.
*) Hupp beschreibt ein Siegel mit dem Doppelkreuz (ohne
Ringe), dessen Stempel um die Mitte des 15. Jahrhunderts ge-
schnitten sein soll (28 mm). Es findet sich an zwei Schöffen-
briefen von 1505 und 1508 (Dep. Frst. A 25 und 27). Ein zweites,
bisher noch nicht beschriebenes, wahrscheinlich älteres Siegel mit
derselben Darstellung, aber ohne das Schildchen mit dem Doppel-
kreuz findet sich in Kirmis' Sammlung als Oblatensiegel. Es stammt
nach Kirmis* Notiz von einer Urkunde von 1549, von der die Unter-
schriften und Siegel vorhanden sind. Die Umschrift ist nicht lesbar;
doch macht die Stellung zwischen Stadtsiegel und Innungssiegeln es
unzweifelhaft, dass es sich um ein Schöffensiegel handelt.
2) Siehe das Regest der Urkunde, Stan S. 25 f. Vgl. auch
Hupp und Kirmis' Sammlung. Ein ähnliches Siegel mit der Zahl
17—16 findet sich bei Dep. Frst. A 15.
8) Herberger S. 17.
220 Hugo Moritz.
Ihren Pritschener Besitz rundete die Stadt immer
mehr ab. Im Jahre 1409 erhielt sie von Wladislaw die
einst dem Siegfried von Evno und seiner Witwe ge-
hörigen, dann an den König gefallenen 8 Hufen in
Pritschen — nach einem jüngeren Vermerk auf der Rück-
seite der Urkunde ist Niederpritschen gemeint — mit 8
Mark jährlichem Zins. Sie wurde dafür verpflichtet, die
Mauern und Gräben wieder herzustellen1). Wir sehen,
dass die Stadt seit 1345 (S. 212) in ihrer Befestigung we-
sentliche Fortschritte gemacht hatte. 1422 verkaufte Johann,
Sohn des Nenker von Kotwitz2), sein Erbgut in Pritschen
— nach einem alten, wahrscheinlich gleichzeitigen Ver-
merk auf der Rückseite der Urkunde ebenfalls in Nieder-
pritschen — an Fraustadt3).
Um diese Zeit geriet die Stadt mit einem Edelmann,
dem königlichen Kämmerer Hanczel Opala, in einen lang-
wierigen Streit über „Pritschen1*. Eine königliche Kom-
mission beendete denselben durch einen Vergleich, nach
dem Hanczel der Stadt 75 Mark mediorum grossorum
zahlen und diese ihm das Dorf als rechtmässigem Besitzer
restituieren sollte. König Wladislaw genehmigte diesen
Vergleich am 3. August 14264). Ob derselbe vollzogen
worden ist, wissen wir nicht. Jedenfalls befand sich die
Stadt 1450 wieder im Besitze des Dorfes. In dem ge-
nannten Jahre befahl nämlich König Kasimir IV. dem Sta-
rosten, den Nikolaus Herolth, Schulzen von „Pritschen*,
der sich das alte Privileg von 1273 im Jahre 1444 von
Wladislaw III., 1447 von Kasimir selbst hatte bestätigen
lassen5), gegen Beschwerungen seitens der Stadt zu schützen6).
l) „urbem muro et fossatis bene fortificare murosque et
fossaia vetera reformare". — dat. Jedlna 19. Februar 1409, Orig.
Sl A Posen Frst. A 15; Stan. S. 11; Wuttke S. 296.
-) Johannes Nenckeri de Kothewicz.
:i) Bestätigung des Verkaufs durch den Starosten dat. Wschowa
pp, Januar 1422. Orig. St. A. Posen Frst. A 16; Stan S. 12.
l) Orig. Dep. Frst. A 9; Stan S. 101; Wuttke S. 297.
b) Orig. Dep. Frst. A 13 a (darin die Urkunden von 1273 und 1444).
*) dat. Kosten 24. Juni 1450. Cop. St. A. Posen Frst. B 4. (Orig.
m Kaiser Friedrich Museum zu Posen).
Geschichte Fraustadts im Mittelalter. 221
1459 entschied der König auf Grund jenes Privilegs und
«ines Urteils des Hofgerichtes von neuem, dass der Schulze
von „Pritschen* zu keinerlei Lasten an die Stadt ver-
pflichtet sei, dafür aber bei einem allgemeinen Aufgebot
persönlich Kriegsdienst zu leisten und, wenn nötig, einen
Bogenschützen mit Armbrust (sagittarium cum ballista) zur
Verfolgung von Verbrechern zu stellen habe1). Nachdem
1499 (8. Februar) eine Teilung des Schulzengutes in „Ober-
pritschen", wie es jetzt heisst, unter die Brüder Andreas,
Mathias und Georg Herold erfolgt war oder vielmehr die
beiden erstgenannten dem dritten einen Teil des Gutes
abgetreten hatten2), gelang es 1507 (24. Januar) der Stadt,
den dritten Teil desselben, eben den Anteil Georgs, für
m Mark polnisch an sich zu bringen8). Am 10. August
1517 endlich gestattete König Sigismund I. den Erwerb
des ganzen Schulzengutes und Schulzenamtes durch die
Stadt4). Der Kaufpreis ist uns leider nicht bekannt6).
Erst von dieser Seite an scheint es besondere Schulzen
und Schöffen von Niederpritschen gegeben zu haben, die
*) Orig. Dep. Frst. A 17 a; bei Neigebaur S. 84 und Wuttke
S. 297 fälschlich zum Jahre 1445 erwähnt.
*) Orig. Dep. Frst A 24; schlechtes Excerpt Stan S. 15. Der
Anteil Georgs genau bestimmt, so dass man danach die Grösse des
ganzen Gutes schätzen kann. Die Brüder erst als sculteti haeredi-
tarii de Pryczina, das Gut dann als scultetia superioris Pryczinae
bezeichnet
*) Bezeugung des Verkaufs durch den Starosten. Orig. Dep.
Frst A 26; Stan S. 15.
4) Orig. Dep. Frst. A 34; Stan S. 16; das Dorf hier als
maior Przyczyna bezeichnet. Wir sehen, dass der im 16. Jahr-
hundert oft gebrauchte Ausdruck Przyczyna maior Ober-, Prz. minor
also Niederpritschen bezeichnet (die entsprechenden deutschen Aus-
drücke Gross- und Kleinpritschen kommeu garnicht oder äusserst
selten vor), vgl. auch Pawinski, Polska XVI. wieku I S. 98, wo Prz.
maior im Jahre 1579 mit 50, Prz. minor mit 17 Hufen verzeichnet
ist. Es ist also, um dies noch einmal zusammenzufassen, einerseits
Alt-, Gross- und Ober-, andererseits Neu-, Klein- und Niederpritschen
gleich bedeutend.
6) In der königlichen Urkunde heisst es „in summa pecuniarum
in privilegio originali ipsius scultecie descripta."
222 Hugo Moritz.
ebenso wie diejenigen von Oberpritschen von Jahr zu
Jahr von der Stadtbehörde eingesetzt wurden1).
Die Rechtsverhältnisse der Stadt blieben im ganzen
die alten. Eine Veränderung erfuhr jedoch das deutsche
Erbrecht durch die am 19. Februar 1409 von König Wla-
dislaw erlassene Bestimmung, dass den Witwen der
Bürger auch beim Fehlen einer Morgengabe2) ein Drittel
der Güter des Mannes zufallen solle. Gleichzeitig wurden
Geldstrafen für Messerstechereien festgesetzt3). Dass Wla-
dislaw 1422 (12. Juni) die Einwohner, insbesondere die
Edelleute des Fraustädter Landes der Lehnspflichten
enthob, sie ihren grosspolnischen Standesgenossen gleich-
stellte, ihnen die Einsetzung eingeborener Landrichter zu-
sagte und das Kostener Gericht zu ihrem Appella-
tionshofe bestimmte, kurz das polnische Recht im Lande
Fraustadt einführte4), kam für die Stadt wenig in betracht
Die Leitung der Stadt lag, wie in den meisten
deutschrechtlichen Städten, in den Händen dreier Kollegien,
des Rats, der Schöffen und der Innungsältesten. Sie
begegnen uns mit den Namen ihrer Mitglieder
(vgl. auch oben S. 207) zuerst in einer Zinsverschreibung
der Stadt vom Jahre 14125), dem ältesten in Abschrift
erhaltenen Stadtbrief. Sonst haben wir aus dem
1) Zum ersten Male begegnen uns Schulz und Schöffen von
Niederpritschen im Jahre 1538 (Ratsbuch 1535— 40 f. 239 b), vgl.
oben S. 208 A. 3.
-) Auch wenn der Mann „uxori . . . nihil de bonis suis ratione
tJotalicii assignaverit, dum vitam ducebat in humanis.
*) Ziehen des Schwertes soll mit 1!2 Mark, des Messers mit
1 Vierdung an das Rathaus „pro munitione et structura civitatis*
gcbusst werden. Wer einen andern mit dem Messer verwundet
(proiccerit), soll eine Mark zahlen und zwar 8 scoti an das Schloss,
8 an den Vogt, 8 an das Rathaus (pretorium). Orig. Dep. Frst. A 3;
Stun S, 1 r f .
*} Orig. Dep. Frst. A. 5; gedruckt bei Wuttke S. 46, in der
jftchrift müsste es „in terra Fraustadt" heissen. Vgl. Schmidt
» Archiv des erzbischöfl. Posener Konsistoriums, Act. Cons.
n_ unter 16. Juli 1459, Regest im St. A. Posen.
Geschichte Fraustadts im Mittelalter. 223
15. Jahrhundert Verzeichnisse aller drei Kollegien nur noch
ans den Jahren 1420 *) und 1456 *), Verzeichnisse des Rats
allein in den Urkunden von 1428 8) und 1448 4), der
Schöffen allein in den Schöffenbriefen von 1450 und 1496 5).
Als Stadtschreiber begegnet uns 1472 in dem Vergleich
über die Vogtei ein gewisser Mathias Ludowig.
Die eigentliche regierende Behörde war der
Rat. Dieser wurde zu Anfang des 15. Jahrhunderts
vom Starosten, wie es scheint, ohne Mitwirkung
der Bürger, eingesetzt Wir wissen dies aus der schon
erwähnten Urkunde Wladislaws vom 19. Februar 1409(8.222),
in der den, wie es scheint, zuweilen unbotmässigen Zünften
der strengste Gehorsam gegen eben diesen Rat einge-
schärft wurde6). Am 9. Juli 1425 aber, einen Tag,
nachdem die Stadt ihm und für den Fall seines Todes
seinem Sohne den Eid der Treue geschworen hatte7),
erteilte Wladislaw von Kosten aus den Fraustädtern eine
Ratswahlordnung, durch die die Bürger den massgebenden
Einfluss auf die Zusammensetzung ihrer obersten Behörde
erhielten8). Alle Jahre sollten sie dem Starosten zwölf ge-
*) Verkauf des Schergaderas, Abdruck folgt im Anhange.
2) Bodenschenkungsurkunde für das Bernhardinerkloster.
**) Verzeichnis der Besitzungen der Vogtei.
*) Stadtbrief im Ratsbuch 1597 — 1602 f. 315b.
ß) Vogtsbuch 1636—39 f. 128a, Vogtsbuch 1596— 1600 f. 314a.
*) volumus . . . , ut „omnes mechanicorum artifices et magistri
suis proconsuli et consulibus civitatis predicte per capitaneum
electis debitam faciant obedientiam et in omnibus eorum ordina-
tkmibusf statutis et preceptis omnino eis sint subiecti ipsorumque
regiminibus et disposicionibus in statuendis empcionibus et ven-
ditionibus se opponere non debeant."
*) Regest bei Wuttke S. 149.
*) Gedruckt mit einigen Fehlern bei Wuttke S. 150. Die ent-
scheidende Stelle lautet nach dem Orig. Dep. Frst. A 7: civibus
hanc concedimus facultatem, ut quotiescunque ipsos cives proconsu-
lem et consules eiusdem civitatis eligere contigerit, extunc duode-
cim viros idoneos . . . capitaneo nostro . . . debent et tenebuntur
praesentare, ex quibus capitaneus noster unum proconsulem, reliquos
vero ex ipsis in consules omni contradictione cessante debet admit-
tere, eligere et in eosdem consentire ac pro consiliariis dictae
224 Hugo Moritz.
eignete Männer vorschlagen, aus denselben sollte dieser
ohne jeden Widerspruch einen zum Bürgermeister (pro-
consul), sieben andere l) zu Ratsherren (consules) ernennen.
Allerdings sollte dies Wahlrecht der Bürger nur für die
nächsten zehn Jahre Geltung haben2). Wunder nehmen
darf uns diese zeitliche Begrenzung nicht, da auch die
Stadt Posen die freie Ratswahl zweimal auf begrenzte
Zeit, einmal (1444) auf 6, einmal (1453) auf 3 Jahre ver-
liehen erhielt8). Wie es nach Ablauf der zehn-
jährigen Wahlfreiheit gehalten wurde, wissen wir
nicht, da wir aus dem weiteren Verlaufe des 15. Jahr-
hunderts keinerlei Bestimmungen oder Berichte über
die Art der Ratswahl besitzen.
Ein Jahr später, am 2. August 1426, wurde die
Stadt von demselben König in allen Rechten den anderen
Städten Grosspolens gleichgestellt4), jedoch unter aus-
drücklichem Vorbehalte ihrer besonderen Privilegien und
civitatis annis singulis ad decursum decem annorum conti-
nuc se sequcntium inclusive deputarc et omnino deassignare.
Quocirca tibi, capitaneo nostro . . . , nostris firmis damus regalibos in
mandatis, quatenus electionem huius modi infrascriptam nullatenus . . .
praesumas impedire, sed ipsam, sicut praefertur, admittas annis
praedictis faciendam". — Am gleichen Tage erteilte Wladislaw ein
ähnliches, aber zeitlich unbegrenztes Privileg für Kosten (Inscript.
Posn. 1580 I f. 444b).
l) So ist das „reliquos ex ipsis" der Urkunde jedenfalls zu
verstehen, da wir schon 1428 und dann stets 7. nie aber 11 Namen
finden. Wenn die Urkunden von 1412 und 1420 nur 4 bzw. 6 Rats-
herren nennen, so ist das wohl als zufällige Abweichung zu be-
trachten (vgl. Warschauer, Stadtbuch von Posen S. 96*).
>) So muss man die Urkunde wohl ihrem Wortlaute nach
auffassen. Bei den späteren Streitigkeiten über die Ratswahl wurde
sie allerdings, wie aus den Ratswahlprivilegien von 1589 und 1598
(Dep. Frst. A 95 und 103) hervorgeht, so aufgefasst, dass die Rats
heiren für 10 Jahre hätten gewählt werden sollen. Doch finden
wir schon im Anfange des 16. Jahrhunderts — für das 15. haben
wir zu wenig Ratslisten, um die Frage zu entscheiden — stets jähr-
liche Wahlen.
a) Warschauer, Stadtbuch von Posen S. 93*.
*) Gleiche Bestimmung für Wielichowo von [429 bei Wuttke
Seile 54,
Geschichte Fraustadts im Mittelalter. 225
namentlich Ausschliessung des im Lande Fraustadt
{1422, s. oben S. 222) eingeführten polnischen Rechtes1). Ins-
besondere wurde den Bürgern das wichtige Recht be-
stätigt, ihre Schuldner, wer sie auch seien, in der Stadt
selbst zur Rechenschaft zu ziehen2). Was die Stadt durch
die als besondere Belohnung für ihre Treue bezeich-
nete Gleichstellung mit den anderen Städten Grosspolens
gewonnen hat, ist nicht recht ersichtlich0). Wichtiger war
für sie vielleicht die gleichzeitige, durch die gefährdete
Lage der Stadt an den Grenzen des Reiches, ihre Wich-
tigkeit für die Sicherheit des Innern und die Notwendig-
keit der Instandhaltung der Stadtbefestigung begründete4)
Befreiung der Bürger von der Zahlung der Marktabgabe
(targowe) in allen Städten Polens5).
Am 17. Juli 1444 wurde den Fraustädter Bürgern6)
von Wladislaw III. (Warnensis), bei dessen Wahl und
Krönung im Jahre 1434 die Stadt neben verschiedenen
anderen grosspolnischen Städten vertreten gewesen war7),
mit einer dem Privileg gleichen Inhalts von 1426 wörtlich
entlehnten Begründung abermals Befreiung von der Tar-
*) „iure Polonico nobilibus et ignobilibus eiusdem districtus
Wschovensis dato et concesso in contrarium non obstante".
*) Ein älteres Privileg dieses Inhalts ist mir nicht bekannt,
wenn nicht etwa die Urkunde Johanns von Steinau von 1332 (siehe
oben S. 209 f.) gemeint ist. — Unsere Urk. gedruckt bei Wuttke S. 53
nach einem Transsumpt in der Bestätigung Sigismund Augusts vom
* Juli 1550.
9) Dass sie dadurch geschädigt worden sei, wie Schmidt S. 231
meint, scheint mir nicht richtig, da ja alle Sonderrechte vorbehalten
wurden.
*) „considerantes civitatem nostram Wschowam tamquam in
metis regni nostri positam a suis cometaneis iam rapinis, iam spoliis,
iam aliis impressionibus ut plerumque adeo molestari, ut, nisi sue
fidelitatis industria cum presidio divine dextre tum armis, tum
muri vallo, tum fossatorum praeparemento emulorum insidiis in tem-
pore occurrerent, nedum ipsamet civitas, sed et interiora regni in-
finita et intollerabilia dampna sus müsset."
5) Orig. Dep. Frst A 8; Stan S. 13.
•) cives, mercatores, vectores et salisductores.
7) Schmidt S. 222.
Zeitschrift der Hist. Ges. fttr die Prov. Posen. Jahrgang XIX. 15
226 Hugo Moritz.
gowe, vorläufig bis zu der, nicht mehr erfolgten, Rück-
kehr des Königs nach Polen1) verliehen2). Zwei Tage
vorher war die Stadt mit Rücksicht auf die grossen Aus-
gaben, die sie für Wiederherstellung der Mauern und An-
legung eines neuen Grabens und Parchams aufgewendet
hatte8), auch von der vor zwei Jahren auferlegten Steuer
der königlichen Städte — 2 Groschen von 1 Mark —
entbunden worden4).
Für den Durchgangshandel der Stadt war es wichtige
dass neben der Hauptstrasse nach Schlesien, die über
Punitz führte, durch königliche Verordnung von 1441
auch der Weg über Fraustadt, sonst nur noch der
über Koschmin, gestattet wurde5). Sehr zu gute
kamen der Stadt jedenfalls die um die Mitte des 15. Jahr-
hunderts beginnenden, lange fortdauernden Bestre-
bungen der polnischen Könige und einiger deutschen
Fürsten, unter Umgehung des Niederlagerechts von Breslau
und Frankfurt a. O. eine neue Strasse von Posen nach
Leipzig über Glogau zu eröffnen, die auch Fraustadt be-
rührte6). Im Jahre 1515 wird Fraustadt neben Posenr
Punitz, Kaiisch und Sieradz als Zollstätte für schlesische
*) Wladislaw III. fiel bekanntlich am 10. November 1444 bei
Warna gegen die Türken.
2) Ortsdatum fehlt, Orig. Dep. Frst. A 13; Stan S. 13.
Dass die Urkunde in Ungarn ausgestellt ist, ergibt sich aus dem
Datum des folgenden Privilegs.
3) Tarnen casu infausto eiusdem civitatis Wschovensis murus
his annis mit in quantitate non pauca, pro cuius muri reedificatione
cives iam dicti summam pecuniarum satis magnam exposuerunt fos-
satumque et perkanum novum non modicis sumptibus et impensis
ordinaverunt et fecerunt.
*) dat. Budae 15. Juli 1444, Orig. Dep. Frst. A 12, Stan S. 102.
5) Raczynski S. 138, danach Wuttke S. 297. Im Jahre 1471
wurden z. B., wie der Breslauer Chronist Eschenloer berichtet,
Breslauer Kaufmannsgüter auf der Reise vom Posener Jahrmarkt in
Fraustadt beschlagnahmt (Script, rer. Sil. VII S. 239).
B) Vgl. Grünhagen, Schlesien am Ausgange des Mittelalters, in
Zischr. d. Vereins für Gesch. u. Altertum Schlesiens Bd. 18 (1884)
S- 43—45 und Wehrmann, die Fraustädter Verhandlung 1512, in
Monatsblätter III (1902) S. 49 ff.
*
Geschichte Fraustadts im Mittelalter. 227
^Varen bezeichnet1). — Aber die Bürger trieben auch be-
deutenden Eigenhandel. Im Jahre 1452 bestimmte Könige
Kasimir IV. auf Klagen der Stadt hin, dass die mit Tuch
mind anderen Waren nach Reussen, dem jetzigen Ost-
galizien, handelnden Fraustädter auf dem näheren, in
ihren alten, uns unbekannten, Privilegien2) bezeichneten
Wege zollfrei und unbehindert ziehen und nicht zu un-
gewohnten Wegen gezwungen werden sollten. Der Weg
nach Reussen wurde über Petrikau, Opoczno und Sando-
mir, der nach Lelov (bei Lemberg)8) über Krakau fest-
gesetzt4). Im Jahre 1455 schärfte Kasimir, neben einer
Bestätigung des Zollfreiheitsprivilegs Wladislaws III.5) und
aller anderen Privilegien6), von neuem ein, dass die
Fraustädter mit ihren Waren überall im Reiche und be-
sonders in den Provinzen jenseits der Weichsel, Reussen,
Podolien, Litauen, frei umherziehen dürften7). Ebenfalls
dem Handel zugute kam die 1487 (9. März) von dem
Generalstarosten von Grosspolen, Nicolaus von Cuthnor
als königlichem Kommissar gefällte Entscheidung, dass die
Fraustädter in Kosten keinen Brückenzoll zu zahlen
hätten8), die im folgenden Jahre (5. Mai) vom .König auf
die Kostener in Fraustadt ausgedehnt wurde9).
1) Grünhagen, Gesch. Schlesiens I S. 398.
2) die der König „nuper in conventione Nyeschowiensi" (in
Nieszawa in Kujawien (?) eingesehen haben will.
3) Vielleicht ist unter Lelov Lemberg selbst (polnisch Lwow)
zu verstehen.
4) dat. Siradiae in conventione 1452 (ohne Tag!) Orig. Dep.
Frst. A 14; Stan S. 13.
5) Gemeint ist die Befreiung von der Targowe.
*) dat Thorn4. Dec. 1455, Orig. Dep. Frst. A. 16; Stan S. 13.
7) dat. Thorn 5. Dec. 1455, Orig. Dep. Frst. A 17; Stan S. 13.
Dass Wuttke beide Urkunden von 1445 datiert, beruht auf einem-
Druckfehler bei Neigebaur S. 84.
8) Orig. Dep. Frst. A. 21; Stan S. 14.
9) Orig. Dep. Frst. A 22 ; Stan S. 15. Schon im Jahre 1409
war von dem Kostener Landgericht entschieden worden, dass die
Fraustädter beim Durchzug durch Tremessen dem Kloster für eigene
Waren keinen, für fremde nur den halben Zoll zu zahlen hätten^
Terrestria Costensia 1405 — 1412 f. 122.
-228 Hugo Moritz.
Allerdings hatte der Handel gewiss oft genug unter
<ler Unsicherheit der Strassen zu leiden. So hören wir, dass zu
Anfang des 16. Jahrhunderts (1510) den Fraustädtern von
einem schlesischen Edelmann Christoph von Reisewitz
^dem „schwarzen Christoph") und seinen Genossen 110
Gulden und zwei Tuche genommen wurden1).
Für die Einnahmen der Stadt aus dem ihr 1404
(S. 216) gestatteten Salzverkauf war es von Nutzen, dass
<lem Abte von Lubin 1462 (3. Juni) vom König die Unter-
haltung einer Salzniederlage in Schwetzkau untersagt und
der dortige Salzvertrieb auf die Markttage (Mittwoch) be-
schränkt wurde2).
Aber auch Einbussen erlitt die Stadt im Laufe des
15. Jahrhunderts. So scheint sie die 1392 erkaufte Vogtei
*(S. 214) vor dem Jahre 1409 bereits wieder verloren zu
Tiaben. Hierfür spricht die aus dem genannten Jahre
stammende, schon angeführte königliche Verordnung, die
<lem Vogte ein Drittel der für Messerstechereien fest-
gesetzten Strafe zuwies und ihn überdies vor der Stadt-
behörde nannte (S. 222). Dazu stimmt, dass die aus
den Jahren 1412, 1420 und 1456 bekannten Listen der
städtischen Behörden (S. 222 f.) den Vogt nicht nennen.
Auch das 1428 von dem Rat auf Befehl des Königs auf-
gestellte Verzeichnis der Besitzungen und Einkünfte der
Vogtei8) macht den Eindruck, als ob die Vogtei damals
*) Klose, Innere Verhältnisse Breslaus 1458— 1526 (Script rer.
Sil. m S. 35.)
2) Orig. Dep. Frst. A 18; Stan S. 14. Neigebaur S. 85 (da-
nach Wuttke S. 297) hat diese Urkunde ganz missverstanden.
— Eine allgemeine Privilegienbestätigung, wie sie später von
jedem König bei seinem Regierungsantritt ausgestellt wurde
(vgl Warschauer Stadtarchive S. 45) — daneben fehlte es allerdings
auch später nicht an Bestätigungen einzelner Privilegien — haben
wir aus dem 15. Jahrhundert nur von Johann Albrecht dat. Posen
7. Mai 1493 (aus der Kronmetrik), allgemeine Bestätigungen mehr bei-
läufig neben solchen bestimmter Privilegien von Wladislaw Jagiello
^1388, s, o. S. 213) und Kasimir IV. (1455, s- 227)-
») Transsumpt in dem Protokoll einer gerichtlichen Verhand-
lung vom 6. Juni 1519, Stan S. 103. Danach gehörten zur Vogtei
Geschichte Fraustadts im Mittelalter. 229»
nicht im Besitze der Stadt gewesen wäre. Im Jahre 145a
war ein gewisser Baker Libel1), 1472 Mathias Eckel Erb-
vogt Zwischen ihm und der Stadt wurde in dem ge-
dachten Jahre (7. März) ein Vergleich geschlossen, nach
dem die Untertanen des Vogtes2) an gewissen städtischen
Lasten teilnehmen sollten3). Im Jahre 1476 scheint Mathias
Eckel noch im Besitze der Vogtei gewesen zu sein4).
Bald darauf, jedenfalls noch unter der Regierung König
Kasimirs, also vor 1492, wurde sie aber, wie bei späteren
Verhandlungen zwischen König, Stadt und Vogt fest-
gestellt wurde5), für 770 Goldgulden an den Edlen
Nicolaus Cothwitz verpfändet, der nach seinem Besitztum
Laube (polnisch Dlugie) in den lateinischen Urkunden
als Nicolaus Dluski bezeichnet wird. Auch hier, wie in
zahlreichen anderen Städten, kam die Vogtei also aus
bürgerlichen Händen in die eines Edelmannes, eine für
die Stadt nicht gerade vorteilhafte Änderung6). Im Jahre
1496 erscheint dieser „Nicias von der Laube" in einem
9 Hufen Acker zu je 64 Groschen Zins, zu ziemlich gleichen Teilen
vor dem polnischen Tore, „auf der Lette" und in Niederpritschen
gelegen, das Bad, das auf unbekannte Weise von der Stadt an den
Vogt gekommen war, zu 4 Mark Zins, 10 Schuhmacher- und
8 Backerbuden.
*) Nach dem Schöffenbriefe dieses Jahres (s. o. S. 223).
• 2) homines ipsius advocati, praesertim rustici et hortulani, qui
iuxta civitatem in advocatia sedent.
s) Als Transsumpt in der kgl. Bestätigung vom 13. März 1519.
Orig. Dep. Frst A 38, Stan S. 18.
4) Vgl. das Mandat König Kasimirs an den General starosten
Mathias von Bnin, dat. Petrikau 25. Aug. T476, Capitanealia Posna-
niensia 1475—87 f. 44 b.
6) Vgl. besonders die Urkunde König Sigismunds, dat. Krakau
31. Mai 1518, Orig. Dep. Frst. A 39, Stan S. 16 f. Die Verpfändung
scheint vom Könige ausgegangen zu sein, wenigstens behielt sich
dieser den Rückkajuf vor. Die Originalurkunde der Verpfändung
war nicht mehr vorhanden, man nahm an, dass sie in den Kriegs-
wirren verloren gegangen sei; dagegen lag eine Urkunde einer
Kommission König Kasimirs und eine Bestätigung dieser Urkunde
durch König Albert vor.
«) Schmidt S. 236.
^3° Hugo Moritz.
Schöffenbriefe1) als Erbvogt aufgeführt. Später folgte auf
ihn sein Sohn Nenker Kottwitz bezw. Nanker Dluski, der
uns im Jahre 1505 in einem Schöffenbriefe begegnet9).
Die laufenden Geschäfte der Vogtei Hessen diese „Erb-
vögte", wie aus den Schöffenbriefen von 1450 und 1496
ersichtlich, durch einen zum „Stadtvogt" bestellten Bürger
verwalten. Von Nenker Kottwitz (Dluski) erwarb endlich
nach langen Verhandlungen, auf die wir hier nicht näher
eingehen können, die Stadt am 1. Januar 1532 für
930 ungarische Goldgulden die Vogtei, um sie dann
dauernd in ihrem Besitze zu behalten8).
Ueber die Ausdehnung Fraustadts im Mittelalter haben
wir keine näheren Angaben. Die wenig umfangreiche
innere Stadt wird, wie wir dies von den meisten deutsche»
Städten im Slavenlande annehmen dürfen4), gleich bei
<ler Gründung der Stadt in der Hauptsache besiedelt
worden sein. Das Strassennetz war offenbar im wesent-
lichen dasselbe wie heute. Allerdings hatten die Strassen,
wie wir dies aus dem 16. Jahrhundert wissen, grossen-
teils andere Namen. Bei der Enge der Innenstadt
werden schon früh Ansiedlungen vor der Stadtmauer ent-
standen sein. Eine Vorstadt vor dem polnischen Tore,
kurz polnische Vorstadt genannt, wird uns bei Gelegen-
heit der noch näher zu erwähnenden Brände von 1469
und 1474 genannt; doch wissen wir nicht, wie weit die-
selbe sich ausdehnte. Die Gegend des Bernhardiner-
klosters im Norden der Stadt scheint bei Gründung des-
selben im Jahre 1456 noch nicht städtisch bebaut, sondern
mit Gärten der Bürger besetzt gewesen zu sein6). Ob
im 15. Jahrhundert bereits Ansiedelungen vor dem Glo-
gauer Tore bestanden, wissen wir nicht. Interessant
*) Siehe oben S. 223.
2) Orig. Dep. Frst. A 25.
8) Chronikalische Eintragung im Ratsbuch 1527 — 35 f. 136b.
4) Vgl. Warschauer, Stadtbuch von Posen S. 53*.
5) Nach der später näher zu besprechenden Bodenschenkungs-
urkunde für das Kloster.
Geschichte Fraustadts im Mittelalter. 23 1
ist die Angabe, dass Fraustadt schon im Anfange des
16. Jahrhunderts von zahlreichen Windmühlen umgeben
war1).
Von heut noch vorhandenen Bauten stammen aus
dem Mittelalter ausser der Stadtmauer wohl nur die Grund-
mauern der Pfarrkirche2).
Noch weniger als über die räumliche Ausdehnung
der Stadt wissen wir über die Bevölkerungszahl. Einen
gewissen Anhalt für die relative Bedeutung der Stadt gibt
uns das bekannte, aus dem Jahre 1458 stammende Dekret
König Kasimirs über die von den grosspolnischen Städten
für den Krieg gegen den deutschen Orden zu stellenden
Truppen. Danach sollte Fraustadt 20 Fusssoldaten stellen,
während Posen 60, Kosten 40, Kaiisch 30, Gnesen, Schroda,
Koschmin und Slupza (in Russisch-Polen) ebenfalls je 20,
Obornik, Meseritz, Gostyn und Wreschen 15 und Seh wetzkau
10 Mann aufzubringen hatten8). Genau nach der Be-
völkerungsziffer waren diese Zahlen allerdings kaum ab-
gestuft. In den Jahren 1509 — 11, 1521 und 15244) er-
scheint Fraustadt, wie beiläufig bemerkt sein möge, unter
den grosspolnischen Städten, die Kriegswagen zu stellen
hatten6).
Der nationale Charakter der Bevölkerung war, wie
aus den überlieferten Namen von Bürgern hervorgeht6),
ein rein deutscher, wie er es ja bis auf die Gegenwart
geblieben ist.
Die Hauptnahrungsquelle der Bürger Fraustadts war
im 15. Jahrhundert gewiss ebenso wie später im 16. das
*) Der schlesische Dichter Vulturinus führt im Jahre 1506 in
seinem Panegyricus Slesiacus (v. 586) bezeichnenderweise auch
unsere Stadt auf und nennt sie: Frauenstad ventimolis circumdata
denique multis (angeführt in Script, rer. Sil. Bd. 17 S. 87 Anm. 36).
2) Kohte, Kunstdenkmäler III S. 174 f.
3) Raczynski S. 181.
*) Script rer. Pol. IV S. 476, 478, Raczynski S. 181.
5) Kriewen hatte die Stellung eines solchen durch Zahlung
von 20 polnischen Mark = 32 Gulden abgelöst, Script, rer. Pol. IX
S. 478.
*) Vergl. die Zusammenstellung S. 222 f.
232 Hugo Moritz.
Handwerk. Im Jahre 1412 bestanden bezw. waren im
Stadtregiment (durch je zwei Aelteste) vertreten die
Innungen der Fleischer, Bäcker, Schuster, Weber oder
Tuchmacher (lanifices seu textores), Schneider und
Schmiede. Die Urkunde von 1420, welche die von den
Aeltesten1) vertretenen Gewerke nicht angibt, zeigt,
wenn wir richtig lesen, 14 Namen. Es muss also
eine Innung hinzugekommen sein. Die Liste von 1456
nennt ausser den schon 1412 vorhandenen Zünften noch
die Mälzer (braxatores)2). Das wichtigste Gewerbe war
jedenfalls, wie schon die königlichen Urkunden über den
Tuchhandel (S. 227) beweisen, die Tuchweberei. Mit ihr
zusammen hing die Tuchschererei, durch welche die Tuche
erst eigentlich gebrauchsfertig gemacht wurden. Die letzere,
die ein recht einträgliches Gewerbe gewesen sein muss,
scheint die Stadt zuerst selbst ausgeübt zu haben. Im
Jahre 1420 (10. Sept.) verkaufte sie dann den Schergadem
nebst der Stadtwage an einen gewissen Michel Scherer8)
für die ansehnliche Summe von 50 Mark und einen jähr-
lichen Zins von 4 Mark böhmischer Groschen. Gleich-
zeitig wurde ein Tarif für das Wiegen und Scheren fest-
gesetzt4). Von Jnnungssatzungen ist uns aus dem 15.
Jahrhundert nur ein wichtiges königliches Statut für die
Tuchmacher vom Jahre 1493 erhalten6). Jedes Stück Tuch
soll 30 Ellen enthalten und, nachdem es von besonders
dazu bestimmten Bürgern nachgemessen ist, von den
Innungsältesten „nach dem löblichen Muster auswärtiger
*) Dieselben werden als „Hantwergmeister allir hantwerg unser
stad" bezeichnet.
2) Ueber die Urkunden von 1412, 1420 und 1456 s. oben
S. 223.
3) Scherer ist wohl nicht Familienname, sondern Berufsbe-
zeichnung.
4) Die auch sonst in vieler Beziehung interessante Urkunde, der
älteste im Original erhaltene Stadtbrief, soll im Anhange abgedruckt
werden.
5) dat. Posen, 7. Mai 1493, Inscr. Wschow. 1608 — 10 f. 264,
Kronmetrik Bd. 15 f. 161.
Geschichte Fraustadts im Mittelalter. 233
Städte" mit dem kleinen Stadtsiegel1) versehen werden2).
>ie Fraustädter Arbeit war dadurch überall leicht erkenn-
Mur. Sonstige genauere Nachrichten über das gewerbliche
^eben sind uns aus dem Mittelalter nicht überliefert.
Auch über die kirchlichen Verhältnisse sind wir nur
unvollkommen unterrichtet. Die der Jungfrau Maria ge-
weihte Pfarrkirche (S. 201) wird wohl seit Gründung der
Stadt bestanden haben. Im Jahre 1487 wurden durch
den König Kasimir IV. die Pfarrei zur Propstei, die Altar-
stellen zu Pfründen erhoben, letztere unter Vorbehalt der
Genehmigung der Kollatoren. Das Patronatsrecht über die
Propstei behielt sich der König ausdrücklich vor8). Doch
werden die Pfarrer auch späterhin stets als plebani, nicht als
praepositi bezeichnet. Als Pfarrer begegnen uns: 1326 ein
gewisser Jordanus, plebanus in Frowenstad4), 1432 Bogus-
tew de Mfyny5), 1456 Benedictus de Costen6), 1472 Stanis-
laus Gerlin, iuris pontificii magister7), 1487 ein gewisser
Qeophas8), 1489 Mathias de Schmygel, decretorum doctor9),
und 1499 Johannes Chmowski10).
l) sigilhtm civitatis, quod in eorum denario scu in obulo sich
befindet.
*) Im Jahre 15 13 wurde von König Sigismund I. (dat. Posen
& März) die Bestimmung über die (jetzt zweiseitige) Plombe erneuert,
ohne dass unsere Urkunde erwähnt wurde (Inscr. Posn. 1514—18
f. 147 a, Inscr. Wschow. 161 1 — 13 f. 243, vgl. Warschauer, Die
städtischen Archive S. 57).
8) dat. Petrikau 2r. Januar 1487, Kronmetrik Bd. 14 f. 207.
*) Cod. ü S. 398.
5) Lukaszewicz, Opis historyczny kosciolöw parochialnych II
S. 279 ohne Quellenangabe.
«) in der Bodenschenkungsurkunde für das Bernhardiner-
kloster.
7) in dem Vergleich wegen der Vogtei, s. oben S. 229.
*) in der Urkunde über die Erhebung der Pfarrei zur Propstei.
•) Am 28. Januar 1489 vertrug er sich mit der Stadt dahin,
dass diese ihm für die auf dem Pfarracker belegene Ziegelei einen
Garten abtrat, Orig. Dep. Frst. A 23.
10) In der Urkunde über die Teilung des Schulzengutes in
Oberpritschen, s. oben S. 231.
234 Hugo Moritz.^
Ausser der Pfarrkirche wird uns in der Boden-
schenkungsurkunde für das Bernhardinerkloster eine diesem
gegenübergelegene Kapelle der Jungfrau Maria genannt,
welche von der Pfarrkirche durch den Zusatz „extra muros
Wschovenses" unterschieden wird. Im Jahre 1433 lernen
wir bei Gelegenheit der Verlegung eines Altars die Aller-
heiligenkirche ausserhalb der Mauern kennen1). Nach
Lauterbach lag sie vor der Pforte, welche in der Nähe
der Pfarrkirche die Stadtmauer durchbrach2). Auch sonst
mögen die später vorkommenden Kirchen und kirchlichen
Anstalten, namentlich die Fronleichnams- oder Corpus-
Christi-Kirche, sowie das Georgs-, Lorenz- und Nikolaus-
spital8) schon ins Mittelalter zurückgehen, da sie gleich
zu Anfang des 16. Jahrhunderts in den Stadtbüchern viel-
fach erwähnt werden. Auf die einzelnen Altarstiftungen,
deren uns aus unserer Periode mehrere bekannt sind,
können wir nicht näher eingehen4).
Ausser den städtischen Kirchen gab es noch die
unter städtischem Patronat stehende Kirche in Ober-
pritschen, die 1345 zum ersten Male erwähnt wird
(Seite 212), die jetzt sogenannte „rote Kirche"5).
Einen wichtigen Zuwachs an kirchlichen Anstalten
erhielt Fraüstadt durch die 1456 erfolgte Gründung des
1) Genehmigung der Verlegung durch den Generalvikar Johann
de Drzewocza dat. Posen 28. Dez. 1433. Orig. Dep. Frst. A 10. Mit
der Marienkirche innerhalb der Mauern, in welche der Altar ver-
legt wird, muss die Pfarrkirche geraeint sein.
2) Zion S. 69.
3) Vgl. Lauterbach. Zion S. 68 f.
4) Vergl. das Repertorium des Posener erzbischöflichen
Konsistorialarchivs im St. A. Posen, die eben genannte Urkunde
vom 28. Dez. 1433 und die beiden Urkunden des Bischofs Andreas
von Posen vom 8. Mai 1456, welche den Altar des Altaristen
Petrus Czimmermann betreffen (Resign. Wschow. 1558—66 f. 39,40).
5) Über dieselbe vgl. Kohte, Kunstdenkmäler III S. 196 ff.
Am 28. November 1423 bezeugte der Rat, dass der Pfarrer
Johannes zu Pritschen der dortigen Kirche einen jährlichen Zins
von 3V2 Mark vermacht habe. Am 17. Dez. genehmigte Nicolaus,
Generalvikar des Posener Bistums, das obengenannte Testament
unter Inserierung der Ratsurkunde, Orig. Dep. Frst. A 6.
Geschichte Fraustadts im Mittelalter. 235
Franziskaner-Observanten- oder Bernhardiner-Klosters1).
Die Entstehung desselben wird auf den Aufenthalt des
besonders durch seine Kreuzpredigten gegen Türken und
Ketzer berühmten Franziskanermönchs Johann Capistrano
in Polen zurückgeführt2) ; dass derselbe in Fraustadt selbst
gewesen wäre, ist allerdings nicht überliefert. Direkt be-
teiligt an der Gründung war Gabriel von Verona, der
damalige Vikar des Ordens für die nördlichen Königreiche
und apostolischer Legat. Der Entschluss zur Nieder-
lassung mag in das Jahr 1455 fallen8), der Bau konnte
jedoch erst später begonnen werden. Der Platz — nördlich
der Innenstadt, an der Stelle, wo die von dem Wieder*
aufbau im 17. Jahrhundert herrührende Klosterkirche noch
heute steht — wurde nach der vom 7. November 1456
datierten Urkunde4) von der Stadt unter Befreiung von
allen Abgaben geschenkt. Am 10. Mai 1457 erhielt die
neue Niederlassung, die der Olmützer Kongregation an-
gehörte, zugleich mit den ziemlich gleichzeitig entstande-
nen Klöstern in Posen und Kosten, die Bestätigung des
Posener Bischofs Andreas5). Die Klostergebäude mit der
Kirche wurden, wie die Klosterchronik zum Jahre 146a
J) Nach dem heiligen Bernhardin von Siena nannte sich ein
besonders in Polen verbreiteter Zweig der Franziskaner auch Bern-
hardiner.
2) Herberger schreibt (Calendarium Eberi, Vorsatzblatt) : „Anna
1453 (!) suasu Johan. Capistrani senatus aedificavit das münchen
kloster"; ähnlich (ohne Angabe des Jahres) Lauterbach, Zion S. 64
(doch ist seine Angabe „neben der Pfarrkirche", wenn sie räumlich
verstanden werden soll, falsch). — Der Starost Albert Gorski und
die Stadt Fraustadt verwandten sich später am 28. bezw. 31. Dez*
146a beim Papst für die Heiligsprechung Capistranos, vgl. A. Her-
mann: Qapistranus triumphans (Köln 1700) S. 708, 710.
*) Dlugosz V S. 217 ; Joh. de Komorowo (Memoriale ordinis
fratrum minorum) Mon. Pol. hist. V S. 176.
4) Abschriften Rel. Wschow. 1670—75 f. 224b. und in der
Klosterchronik. Zur Zeit der Abfassung der letzteren soll das
Original noch vorhanden gewesen sein. Vielleicht befindet es sich
noch heute im Archiv der Pfarrkirche.
B) Abschrift der Bestätigungsurkunde in der Klosterchronik
Seite 6.
23$ Hugo Moritz.
berichtet, mit Hilfe frommer Bürger und Edelleute aus
Fach werk1) erbaut und den Heiligen Franciscus und
Bernhardin geweiht. An das Kloster grenzte ein von
einer niedrigen Mauer umgebener Kirchhof und ein Obst-
garten. — Dem Mönchskloster folgte später ein Nonnen-
kloster der Bernhardinerinnen, das im Jahre 1505 an-
lässlich einer Schenkung zum ersten Male erwähnt
wird8).
Von dem geistigen Leben Fraustadts im Mittelalter
erfahren wir bei der Dürftigkeit unserer Quellen natürlich
nur wenig. Dass die Stadt im Jahre 1404 vom Könige
<Jie Erlaubnis erhielt, einen Schulrektor anzustellen, dass
also eine lateinische Schule entweder schon vor dieser
Zeit in Fraustadt bestand oder damals errichtet wurde,
haben wir schon erwähnt. Weitere Nachrichten über
diese Schule haben wir aber erst aus dem 16. Jahr-
hundert8). Dagegen ersehen wir aus den Matrikeln der
Universitäten, dass Fraustadt schon im 15. Jahrhundert
eine ganze Anzahl seiner Söhne auf die verschiedenen
Universitäten, namentlich nach Leipzig und Krakau, ent-
sandt hat. In Leipzig finden wir nach der Zusammen-
stellung von Wotschke4) von 141 1 bis 1500 unter den
mit Heimatsort angegebenen Studierenden nicht weniger
als 21 Fraustädter, wozu noch ein in die Matrikel nicht
eingetragener Bakkalaureus kommt, während Posen in der-
selben Zeit mit 24, alle anderen Städte der Provinz zu-
sammen nur mit 17 Namen vertreten sind. Unter den
Fraustädter Studierenden begegnen uns 1477 Albertus,
Andreas und Petrus Gorssky aus der Starostenfamiüe
und im gleichen Jahre ein Mathias, baccalaureus decre-
torum, vielleicht identisch mit dem gleichnamigen Frau-
*) „ex ligneis et lateribus coctis intermixtim, antiquo, ut aiunt,
Pruthenico more."
3) Schöffenbrief vom 20. Juni 1505, Orig. Dep. Frst. A 25.
*) Vgl. Friebe, Geschichte der ehemaligen Lateinschulen Frau-
stadts, Beilage zum Fraustädter Gymnasialprogramm von 1804.
4) Posener Studenten in Leipzig bis 1560, Monatsblatter IV
Seite 129 ff.
Geschichte Fraustadts im Mittelalter. 237
Städter Pfarrer des Jahres 1489, der sich allerdings als
Mathias de Schmygel bezeichnet (S. 233). In dem schon
erwähnten Bakkalaureus Petrus Czymmermann (1447V
können wir vielleicht den Altaristen des Jahres 1456
(S. 234 A. 4) wiedererkennen. Die Krakauer Matrikel1)
weist von 1400 bis 1500 40 sicher aus Fraustadt stam-
mende Studenten auf2). Manche andere, bei denen der
Ortsname verstümmelt ist, mögen auch noch zu Fraustadt
gehören. Namentlich ist es, wenn die Diözesanbezeich-
nung fehlt, oft unmöglich, zwischen Fraustadt und dem
schlesischen Freistadt zu unterscheiden. Hier wird Frau-
stadt allerdings von anderen grosspolnischen Städten, die
mehr polnischen Charakter trugen, so z. B. von Gnesen und
Schroda, an Zahl der Namen stark übertroffen. Eine
Identifizierung der Personen mit den in den Fraustädter
Quellen vorkommenden ist leider nur in den wenigsten
Fällen möglich, da die Studierenden meist nur mit dem
eigenen Vornamen und dem des Vaters, ohne Fami-
liennamen, bezeichnet sind8). Der Melchior Johannis
Eckel von 1442 gehörte wohl der Familie des späteren
Erbvogts Mathias Eckel, der Johannes Alberty Gorsky von
1488 jedenfalls der Starostenfamilie an. In Erfurt er-
scheint im Jahre 1418 ein Magister Michael Embrich
de Frowinstad4). — In der ersten Hälfte des 16. Jahr-
hunderts trat, wie schon Wotschke bemerkt hat6), ein
starker Rückgang in der Zahl der Fraustädter Studierenden
ein. Leipzig weist bis 1558 keinen einzigen, Wittenberg
bis 1570 nur einen Namen auf. Auch in der Krakauer
Matrikel finden sich bis 1551 nur 11 unzweifelhafte Frau-
städter.
*) Album studiosorum universitatis Cracoviensis Bd. I 1400*
bis 1489, Bd. II 1490—1551, Krakau 1887, 1892.
2) 25 von ihnen bezeichnen sich nach dem deutschen, 15 nach
dem polnischen Namen der Stadt. Zum ersten Male erscheint der
letztere im Jahre 1430.
3) z. B. 1416: Johannes Johannis de Frawenstat.
4) Zeitschrift d. Vereins f. Gesch. Schlesiens, Bd. 30 S. 307 ff~
5) a. a. O. S. 130.
23& Hugo Moritz.
Von einzelnen, freudigen wie traurigen, Ereig-
nissen aus der Geschichte Fraustadts im 15. Jahrhundert
werden uns noch einige erwähnt, die sich in den Zu-
sammenhang unserer Erzählung nicht gut einfügen Hessen
und daher hier folgen mögen.
So hatte Wladislaus Jagiello im Juli 1416 hier eine
Zusammenkunft mit dem Markgrafen Wilhelm von
Meissen1). Im Jahre 1462 hielt sich König Kasimir auf dem
Wege zu derGIogauer Zusammenkunft mit Georg Podiebrad
von Böhmen vom 15. — 18. Mai mit grossem Gefolge in
Fraustadt auf2). Doch neben solchen Tagen des Glanzes
und der Freude fehlte es nicht an Zeiten schwerer Be-
drängnis. Im Jahre 1435 brannte, wie uns Herberger in
seinen handschriftlichen Notizen berichtet3), die ganze
Stadt samt der Pfarrkirche ab; nur das Rathaus, das wohl
schon damals auf der Mitte des Marktes stand, blieb un-
versehrt. Im Jahre 1464 soll die Pest, die damals in
Schlesien wütete4), auch in Fraustadt ihre Opfer ge-
fordert haben5). Am Freitag vor Pfingsten (19. Mai) 1466
wurde die Vorstadt vor dem polnischen Tore abermals
durch Feuer vernichtet6). Im Jahre 1474 fiel auf Antrieb
des Königs Mathias Corvinus von Ungarn, der wegen
seiner Ansprüche auf Böhmen mit Polen im Kriege lag,
*) Dlugosz IV S. 193.
2) Dlugosz V S. 343 f. Nach den annales Glogovienses (Script,
rcr. Siles. X S. 15) würden sich die Daten etwas anders stellen.
3) Clapius nennt das Jahr 143 1, was Lauterbach (Herberger
S. 269) ausdrücklich zurückweist. Eine wörtliche Anführung beider
Stellen möge die Schreibweise Herbergers und sein Verhältnis zu
Clapius (s. oben S. 197) kennzeichnen. Herberger (Calend. Eben,
Vorsatzblatt): „Anno 1435 ist die fraunstatt una cum templo durch
feur vertorben. Curia mansit salva" (Vgl. auch Calend. S. 198).
Clapius: „Anno Christi 1431 die gantze Fraustadt sampt der Pfarr-
kirchen durch Feuer untergegangen und nur alleine das rathhaus
unversehret blieben."
«) Grünhagen I S. 405.
ß) Dlugosz V S. 401.
8) nach Herbergers Notizen (Cal. Eberi, Vorsatzblatt) und
Clapius.
Geschichte Fraustadts im Mittelalter. 239
d^r Herzog Johann der Grimmige von Sagan mit einem
Heere von einigen tausend Mann und etwas Geschütz in
G- rosspolen ein und belagerte Fraustadt vom 20. bis 23.
M&rz1). Die nach dem letzten Brande kaum wieder auf-
gebaute Vorstadt, dazu auch Oberpritschen, ging von
neuem in Flammen auf. Die Bürger schlugen jedoch die
feinde von den Mauern ab, so dass sie sich mit der
Verwüstung des platten Landes begnügen mussten, bis
Herzog Johann bei Kiebel (südl. von Wollstein), nach
Dlugosz bei Kopnitz, durch Feuer schwer verletzt wurde
und sich nach Schlesien zurückzog2). Der König verlieh der
Stadt und allen Einwohnern am 11. Mai mit Rücksicht
auf ihre bedeutenden Verluste und besonders auf den
Brand der Vorstadt eine dreijährige Befreiung von geist-
lichen und weltlichen wiederkäuflichen Zinsen8). Als
König Mathias im Jahre 1488 gegen Herzog Johann von Sagan,
<ler sich unterdessen des Herzogtums Glogau bemächtigt
hatte, den Krieg eröffnete und Glogau belagern liess, sah man
sich auf polnischer Seite bewogen, zum Schutz der Grenze
in die Stadt Fraustadt Truppen zu legen*). Doch hören
wir nicht, dass diese irgendwie eingegriffen hätten oder
Fraustadt sonst in den Kampf verwickelt worden wäre.
Neben der Stadt bestand, wie schon erwähnt, wahr-
scheinlich von Anfang an ein Schloss. In den ältesten
Zeiten scheint es der Sitz eines Kastellans gewesen
*) Das Datum nach den annales Glogovienses.
2) Annales Glogovienses (Script, rer. Siles X S. 30) ; Eschenloer,
Geschichten der Stadt Breslau 1440—79 (hrsg. v. Kunisch 1828) II
8. 301 ; Dlugosz V S. 605 f., Grünhagen I S. 334, Caro V S. 390. Wo-
her der letztgenannte die Nachricht hat, dass die Bürger den Sturm mit
Geld abgekauft hätten, ist mir unbekannt. — Clapius nennt zuerst irrtüm-
lich 1473, später richtig 1474; Lauterbach hat im Herb. S. 20 durch
Druckfehler 1574 (S. 269 richtig), im Zion (S. 62) keine Jahreszahl,
nirgends aber, wie Wuttke S. 297 und nach ihm Caro behaupten, 1584.
») dat. Colo, Orig. Dep. Frst. A 20, Stan S. 103.
*) Script, rer. Sil. XIV S. 175.
240 Hugo Moritz.
zu sein (S. 203). Später, nachweislich zuerst 1349 (S. 213),.
finden wir daselbst einen Starosten (capitaneus, Haupt-
mann) mit seinem Unterbeamten, dem Burggrafen (bürg-
grabius). Als Starosten begegnen uns:
1392 Remschil von Opaln (S. 215).
1409 und 1422 Johannes de Czirznina, Erbherr von
Reisen, daneben zuerst auch Starost von Kosten, später
Kastellan von Meseritz1).
1432 Mathias Bank2) alias Stronczek de Osieczna*).
1445 Johann Kottwitz von Golna (Gollmitz im Kreise
Fraustadt)*).
1450 Heinrich Kottwitz von Golna6).
1453 wieder ein Johann, Kastellan von Meseritz6).
1456 der Posener Bischof Andreas Opalinski de Bnin1).
1) Als Zeuge in den beiden königlichen Urkunden von 1409
(s. oben S. 220, 222) und als Aussteller der Urkunde vom 10. Januar 1422
(S. 220). 1409 nennt er sich Joh. de Cz. alias de Ridzyn haeres,
Costanensis et Wschowiensis capitaneus, 1422 Joh. de Cz. haeres
in Ridzyn, castellanus Mederensis.
2) Jonemann f. 14 a, 17 b nennt ihn Mathias Borek.
3) In dem genannten Jahre bezeugt M. Bank (dat Lublin 9. Fe-
bruar 1462) die Uebernahme der Starostei (gedruckt bei Wuttke S. 297
A. 15 nach Raczynki S. 164 f.). Dass die Stadt an ihn verpfändet, also
zeitweise mittelbar geworden sei, wie Wuttke meint, (ebenso Meyer,
Gesch. des Landes Posen S. 171), ist aus der Urkunde nicht zu er-
weisen. Bank bezeugt nur, dass er „castrum et civitatem Wschowam
cum ipsorum districtu ad manus fideles in tenutam et gubernationenV'
empfangen habe, und verspricht, sie niemand anders als dem König
oder seinem Nachfolger zu resignieren.
*) Im Stadtarchiv Breslau befindet sich ein Brief von ihm
an den Bresiauer Rat betr. eines gewissen Hans Janisch, den
er gefangen hat, dat. 29. Okt. 1445.
5) In dem Schutzbrief für den Schulzen von Pritschen, s.
oben S. 220. — Jonemann f. 17 b bezeichnet ihn als Heinrich Kottwitz-
Golaniecki; f. 4a gibt er eine ganze Liste von polnischen Namen,
welche die einzelnen Zweige der Familie Kottwitz nach ihren
Gütern im Fraustädter Kreise angenommen haben sollen.
6) in dem bald zu erwähnenden Fischereiverbot.
7) in der Bestätigung einer Schuldverschreibung für den AI*
taristen Petrus Czimmermann dat. Fraustadt 8. Mai 1456, Resign.
Wschow. 1558I66 f. 39.
Geschichte Fraustadts im Mittelalter. S4I
1462 und 1476 Albert Gorski, das zweite Mal auch
als castellanus Landensis (von L^dek bei Peisern) be-
zeichnet1).
1499 Albertus de Gora scholasticus Vladislaviensis
(von Leslau in Kujawien), cancellarius et canonicus Posna-
niensis2).
Die beiden letztgenannten gehören schon der Familie
an, die die Starostenwürde von Fraustadt fast das ganze
16. Jahrhundert hindurch in Besitz haben sollte.
Von Unterbeamten der Starosten begegnet uns 1399
ein Kraczo „burggrabius Ffschovensis" *), 1456 ein
Johannes de Pampowo4), 1463 ein Mathias Crzyssan (P)8).
Über die Beziehungen der Stadt zu den Starostett
hören wir so gut wie nichts. An Reibungen wird es bei
der unmittelbaren Nachbarschaft wohl ebenso wenig ge-
fehlt haben wie später. Das einzige Zeugnis, das wir
dafür besitzen, ist ein aus dem Jahre 1453 stammendes
Verbot König Kasimirs an die Bewohner des Schlosses,
im Stadtgraben und den von den Bürgern zur Verteidi-
gung angelegten Teichen zu fischen6).
*) 1462 in dem Brief über Capistrano, s. oben S. 235 A. 2; 1476 in
dem königlichen Mandat Aber die Vogtei, s. oben S. 229 A. 4.
*) als Aussteller der Urkunde über die Teilung des Schulzen-
gutes in Oberpritschen (s. oben S. 221); er ist vielleicht identisch
mit dem Albert Gofsky der Leipziger Matrikel von 1477.
*) Lekszycki, Grodbücher II S. 285.
4) s. oben S. 240 A. 7.
6) Ein Brief von ihm an Gregor Lilgenzweig (in Breslau ?)
dat. 30. August 1463 im Breslauer Stadtarchiv.
6) dat. Sandomir 8. Sept. 1453, Orig. Dep. Frst. A 15, Stan
S. 13, Wuttke S. 297.
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Prov. Posen. Jahrg. XIX. 16
242 Hugo Moritz.
Anhang.
1.
Remschil von Opaln, Starost zu Fraustadt, bestätigt der Stadt
Fraustadt den Erwerb der städtischen Vogtei, dat. (Fraustadt) 37. No-
vember 1392. Orig. St. A. Posen, Dep. Frst. A 2 a; das Siegel fehlt.
Wir her Remschil von Opaln, her zum Czacz1) und haupt-
[man] zur Frawenstad, mit den nochgescrebenen landscheppin do
seibist, Syfrid Kothewicz von Czedelicz2), Tyczhe Qualecken, Heincze
Erckewicz, Niclos Langnaw, Stephan von Wilkaw3), Hanns Crumpnaw
von der Luba4) und Heinrich Kawffman, bekenne uf fintlich mit
dezim briffe allen den, dy en sehen, horin adir lezin, das vor min
gehegittim hoffedinge vor uns gestandin haben Conrad foit unde
Anna syne swestir, eczwin dez aldin Nickils foittes kynder, mit frischim
gesundinn leyb und herczin, mit volbedochtim muthe und mit
guthim czytlichin rathe er frunde, unbethwungen, sunder wil-
lenlich vor uns ufgegeben, gelazin vor rycht und vorleugit haben
daz gerichte und foitteye zur Frawinstad, daz ir feterlich erbe und
gued gewest ist, gancz und gar mit allir herschaft und rechten,
noczin und zugehorungen, keins sundirlichen do von behaldin ader
geczogen, dem rathe und der stad zur Frawinstad, und haben dez
dor umbe von en genomen fyrczik mark groschin bemischer mun-
cze und polnisch werunge und haben sich dez ben antin gerichtis
vorczegin, zy dorumb nu noch nymraer anczuredin noch czu
sprechin. Des habe ich obgenanter her Remschil dem vorbenantin
rathe und stad dez egedochtin gerichtes abgetretin noch geheize
und von gebod unsers gnadigen herrn koningis Wladislai. Des czu
bekantnisse haben wir obgeschrebin her Remschil von Opaln und
lantscheppin unser ingesegille an dezin brieff lazin hangen, an der
nestin mitwache noch Katherine, der heylegen juncfrawen, noch
gotes geburd twsund dryhundert iar und in dem czwey unde ncwen-
czikstin jar.
II.
Die Stadt Fraustadt verkauft den Schergadem und die Stadt-
wage an Michel Scherer, dat. (Fraustadt) 10. September 1420. Orig.
St. A. Posen, Dep. Frst. A 4.
Gelbes Stadtsiegel an grünen Fäden.
') Czacz liegt bei Schmirgel. Ober unsern Remschil von Opaln vgl. meine
Bemerkungen in den Monatsblattern Band n S. a f.
*) Zedlitz bei Fraustadt.
*) wohl Deutsch- Wilke bei Lissa.
4) Laube zwischen Fraustadt und Lissa.
Geschichte Fraustadts im Mittelalter. 243
In gotis namen amen. Wenne alle ding von menschlichen
gedancken leychticlichen vorgessen werden und vorterben, wo die
nicht mit wo r haftigen geczewgen und briffen bestetigit werden, hyr-
umme wir ratmanne, scheppen und hantwergmeister der stad
Ffrawenstadt mit namen Henrich Kouffmann burgermeister, Hans
Pellifex, Cloze Neydecke, Niclus Ffaytchyn, Mathus Herold, Petir
Cleibir, Nicolaus Scheydemantil ratmanne, Andris Medder, Niclus
Hubener, Hancke Herman, Niclus Mugkenstad, Mathus Lodewig,
CJorge Bernhard, Jencke Petirwicz scheppen, Michil Schultis, Peczhe
Kouffman, Mathus Gruneberg, Petir Lamprecht, Reychehenczhil,
Junge Ffederoff, Heynke Sneidir, Petir Preysensteyn, Hannus
Döring, Niclus Kittil, Niclus Preysensteyn, Michil Messirsmeid, Beler
und Nidus Lange, hant wergmeistern allir hantwerg unser stad
bekennen offintlichen in desim briffe allen den, die en sehen, hören
adir leszen, daz wir mit rothe und willen unser eldlsten und jün-
gsten vorkoufft habin unsern schergadem mit der woge in allen
reyn, enden und greniczen, alz wir en selbir gehabt habin, mit
namen, von gründe äff alz die czwene gebil begriffen habin, dem
erbarn Michil Scherer, Salomee seyner elichen hawsfrawen, eren
-erben und rechten nochkomelingen. Denn vorgeschreben scher-
gadem mit der woge habin wir em vorkoufft und gegebin czu
ewigen geczeiten umb funffczig mark grosschen und czu vir marken
grosschen rechtis jerliches ewigis czinsis bemisschir montcze pol-
nisscher czal und werunge, der acht und virczig grosschen vor die
mark gehen. Denn selben czins sal der egenanthe Michil Scherer,
Salomee seyne eliche hawsfrawe, ere erbin und rechten noch-
komelinge leisten, antwurten und beczaln alle jar jerlichen off eynen
iczlichen synthe Michils tag dez heilligen erczhengils ane arg. In
sulchen rechten und freythen dem egenanthen Michil Scherer,
Salomeen seyner elichen hawsfrawen, eren erben und rechten noch-
komelingen mit namen, daz sie mögen allirley kouffmanschaczt
treiben also andir metheburger in der stad und in unsers gnedigen
hern koniges lande, awsgenommen bir czu schenken und gewand
czu sneyden. Ouch were is sache, ap die montcze vorwandilt
wurde, do got vor sey, so sal her neymen czu scheren von sechz
elen schönes gewandis eynen bemisschen grosschen adir also vil
heller, alz eyn bemissch grossche gilt, und von eyner elen lanthuchz
sal her neymen eynen heller, der ouch czwelfe vor eynen be-
misschen grosschen gehen. Ouch sal her neymen von andirhalbe
cle lanthuchz czwene heller und von funff virtil lanthuchz eynen
heller. Ouch thuen wir dem obgenanthen Michil Schercr, Salomeen
seyner elichen hawsfrawen, eren erben und rechten nochkomelingen
die gunst und fruntschaft, daz nymandis keyn gewand scheren sal
obir en1), her weide denne is em selbir scheren adir seynen
*) ausser ihnen.
i6«
244 Hugo Moritz.
kindern, die an seynem brothe synd. Ouch thuen wir cm die gunst,
daz nymandis sal keynen schergadem noch woge obir en bawen
noch hengen. Ouch sal her von der woge czu lone neymen von
eynen steyne czu wegen eynen heller, von andirhalbyn steyne
czwene heller alz is von aldirs vormolz gewest ist, und von funff
virtil eynis steynis sal her neymen eynen heller. Ouch waz undir
eynem halben steyne ist, do von sal her nis nicht1) neymen, und
stillen en vorantwurten als unsern dyner und alz eynen andirn
metheburger. Ouch sal her dez geschoz und der wache frey seyn,
waz uns angehöret. Ouch globen2) wir dem obgenanthen Michil
Scherern, Salomeen seyner elichen hawsfrawen, eren erben und
rechten nochkomelingen den vorgeschreben kouff stethe und
gancz sal gehalden werden und en den vorgenanthen schergadem
mit der woge czu habin, czu halden, czu vorkouffen, czu vorsetzen,
czu vorwandiln und an eren bequemesten notcz czu wenden un-
schedelich unser stad czinsen und allen eren rechten. Czu orkunde
und bekentenis habin wir obgenanthen ratmanne, scheppen und
hantwergmeister mit guttir wost unser stadsegil an desin briff
lossen hengen, der geschrebin und gegebin ist am dinstage noch
Nativitatis Marie, alz man list der gebort, noch gotis gebort
virczenhundirt jar, dornoch in dem czwenczigistem jare.
>) nichts. Im Original steht: nis aicht.
0 geloben.
Aus bewegter Zeit.
Tagebuchblätter und Briefe aus der Zeit der polnischen
Unruhen 1793 und 1794.
Zusammengestellt und bearbeitet von
Ernst von Schönfeldt.
)ie nachstehenden Briefe und Tagebuchein-
tragungen stammen von den Brüdern Wilhelm
und Carl v. Pannwitz, die beide während
des Feldzuges in Polen im Infanterie - Regiment
v. Franckenberg als junge Leutnants standen» Wilhelm,
geb. 1772, blieb bis nach der Katastrophe von Jena im
Dienst und nahm dann seinen Abschied, um seine Güter
Gulben und Babow in der Lausitz zu bewirtschaften.
Carl, geb. 1776, sollte nicht in die Heimat zurückkehren.
In der Nacht vom 17. zum 18. Oktober 1795 machte er
auf dem Rückmarsch aus Polen seinem Leben infolge
hochgradiger Schwermut durch] einen Pistolenschuß*
ein Ende.
Die Briefe sind meist an die Eltern gerichtet und
zeugen nächst aufrichtigster kindlicher Liebe und Ver-
ehrung von einer hohen Auffassungsgabe und klarem
Urteil, namentlich die von Wilhelm.
Der Vater, Carl Wilhelm v. Pannwitz, lebte derzeit
auf seinem Gute Gulben. Die Mutter, Sophie Luise, war
die Tochter eines Gutsnachbarn, des Hans Ernst v. Schön-
feldt auf Werben. Die in den Briefen oft erwähnte
Karoline ist die Schwester, die sich später mit Carl
v. Gleissenberg verheiratete. Der gleichfalls mehrmals
erwähnte Leopold v. Kleist — ein Bruder des unglücklichen
Dichters — war ein Vetter Wilhelms, später sein Schwager.
246 Ernst von Schönfeldt.
Erwähnt sei noch, dass Carl in seiner Jugend mit
seinen Vettern Heinrich v. Kleist und Ernst v. Schönfeldt
zusammen im Hause des Predigers Catel in Berlin er-
zogen worden ist.
Leider sind von den Briefen der Brüder nur wenige
erhalten. Da beide aber bei demselben Regiment standen,
also im Grossen und Ganzen dasselbe erlebten, so Hessen
sich doch einige Lücken gegenseitig ausfüllen. Das Tage-
buch von 1793, geführt von Wilhelm, enthält wenig mehr
als eine einfache Aufzählung der Tatsachen, bis auf die
kurzen Beschreibungen von Land und Leuten, die nicht
ohne Interesse sind. Die Briefe von 1794 dagegen geben
ein anschauliches Bild des Feldzugs und des ganzen
Kriegslebens. Da Wilhelm ungleich lebhafter und ein-
gehender schreibt als Carl, so wurden seine Briefe in
erster Linie zusammengestellt, und nur vorhandene Lücken,
soweit es anging, aus dem Tagebuche Carls, von dem
übrigens nur noch wenig Blätter vorhanden sind, ergänzt.
Die Schreibweise der Briefe ist nach Möglichkeit
beibehalten worden. Die verschiedenen Personen- und
Ortsnamen, die in den Briefen sehr oft verschieden ge-
schrieben werden, sind übereinstimmend teils nach der
Kgl. Preuss. Rangliste, teils nach Werken aus jener Zeit
wiedergegeben. Was den historischen Zusammenhangs
anbetrifft, so habe ich mich in den Einleitungen und Fuss-
noten auf das Allernotwendigste beschränkt, da die Briefe
ja nur einen Beitrag zur Geschichte jener Zeit liefern
sollen, die von berufeneren Federn schon zur Genüge
beschrieben worden ist.
Die zweite Teilung Polens war durch die Peters-
burger Konvention vom 23. Januar 1793 zwischen Russ-
land und Preussen endgiltig beschlossen, und schon am
24. Januar liess General v. Moellendorff, der mit der
Besitznahme des preussischen Anteils beauftragt war,.
seine Avantgarde unter General-Major von der Trenck
über Schwerin und Birnbaum in Polen einrücken, während
er selbst am nächsten Tage mit 5 Kolonnen nachfolgte.
Aus bewegter Zeit. 247
iei der Avantgarde befand sich das Regiment v. Francken-
>erg, dem der Leutnant v. Pannwitz, dessen Erlebnisse
wvir in Nachstehendem bringen, angehörte.
Cantonnierungsquartier Blaszky1), den 8. März 1793.
Meine beste Mutter! Rechnen Sie es mir ja nicht zu, dass
ich Ihr gütiges Schreiben vom 9. vorigen Monats, welches ich aber
erst den 29. ejus erhalten habe, so spät beantworte und seit dem
18. nicht geschrieben habe, allein wir sind bis jetzt wie auf einer
wüsten Insel herumgeirrt, ohne nur eine Gelegenheit gehabt zu
Viaben, einen Brief auf ein Postamt zu besorgen.
Für Ihre mütterlichen Wünsche zu meinem Geburtstage2)
sage ich Ihnen den kindlichsten Dank, und seien Sie versichert,
dass nur der Tod mich unterbrechen kann, mich unausgesetzt gegen
Sie für alle Güte dankbar zu bezeugen.
Versprochener Massen überschicke ich Ihnen hierbei mein
Tagebuch von unserem Ausmarsch bis zum 2. hujus als den Tag,
wo wir dieses Städtchen besetzt haben. Sie werden hieraus das
nähere unserer Fata ersehen, allein ich muss zugleich um gütige
Nachsicht bitten, denn öfters habe ich vor Müdigkeit kaum die
Feder halten können. Da wir glauben, hier einige Zeit ruhig stehen
zu bleiben, so habe ich das Tagebuch vor der Hand geschlossen,
bis interessantere Post kommt. Karl3) habe ich zuletzt in Waitha
den 23. Febr. gesehen, und vorgestern hat ihn der Major Manteuffel
gesprochen, er ist noch frisch und gesund und mit seiner Equipage
ist auch noch alles richtig. Das 1. Bataillon steht 3 Meilen von hier
in Sieradz4), ich werde mich nächstens einmal aufmachen, ihn zu
besuchen. Meine Equipage ist noch im besten Stande, Matthes5) ist
noch gesund, er lässt seine Eltern grüssen, und ich habe noch alle
Ursache mit ihm zufrieden zu sein. Meinen lieben Vater bitte ich
gehorsamst meine Hochachtung zu versichern und ich werde nie
aufhören zu sein Ihr gehorsamer Sohn
W. v. Pannwitz.
Tagebuch.
Gross Lübbichow8), den 20. Januar. Meinem Versprechen
gemäss fange ich hiermit mein Tagebuch an, ob es aber interessant
werden wird, das ist von der Zukunft zu erwarten. Ich werde
]) Blaszki, Stadt in der Woiwodschaft Kaiisch, Kreis Warta.
a) geb. 9. Februar 1772.
s) den Bruder.
*) im Gouvernement Kaiisch, Kreis Sieradz.
*) sein Diener.
*) Im Regierungsbezirk Prankfurt a. O., Kreis Sternberg.
34& Ernst von Schönfeldt.
Ihnen weiter nichts liefern, als was das Regiment und mich an-
betrifft, andere Neuigkeiten nur wenig, und nur die interessantesten,
denn ich habe es vor 3 Jahren in Schlesien erfahren, dass man
selbst bei uns den wenigsten Nachrichten trauen darf.
Heute früh um l/ß Uhr sind wir ausmarschiert, allein man
gewöhnt sich ebenso an das Scheiden, wie an alles übrige, denn der
Abschied nach Schlesien war ungleich trauriger und selbst der
nach Pommern1), ob wir jetzt gleich die Aussicht haben, ungleich
länger wegzubleiben, als beide vorigen Male. Wir sind zwei gute
Meilen marschiert und haben bis auf die letzte halbe Meile, wo
wir wenig Bahn hatten, guten Weg. Unsere Kompagnie und die
vom Hauptmann Hagen steht auf diesem Dorf hier, Major v. Schätzel
in Neuendorf8), Kapitän v. Zastrow in Kl. Lübbichow8) und die
reitende Batterie in Drentzig4;. Ich habe mit dem Kapitän Felden
eine recht nette Stube, und mit unserer Bagage ist es auch recht
gut gegangen.
Bresen0), den 21. Wir haben heute einen schlimmen Marsch,
keine Bahn und hässliches schlappriges Wetter. Wir haben nur einen
Mann hoch marschieren können, und die Pferde haben beständig bis an
die Knie im Schnee waten müssen. Im letzten Dorf haben wir stürmen
lassen, um den Schnee aus dem Wege zu schaffen, da die Wagen
nicht mehr fort konnten. Dem Fähnrich Butzlow ist die Nacht ein
Pferd gefallen. Ich liege mit den beiden anderen Offizieren, dem
Fähnrich Langen und dem Fähnrich Morstein etwas eng zusammen.
Major Schätzel und Kapitän Zastrow stehen in Langenfelde6), und
Kap. von Hagen steht in Bresen, die reitende Batterie in
Hennersdorf7).
Gleis sen8), den 22ten. Soeben sind wir in den Ort
unserer vorläufigen Bestimmung eingerückt. Unsere Quartiere
scheinen recht gut zu sein, wenigstens habe ich ein recht
hübsches Stübchen, und die Leute liegen auch nicht so
eng wie in dem vorigen Nachtquartier. Für unsere armen
Pferde ist dieser Marsch aber sehr schlimm gewesen, da wir wenig
J) 1790 hatte Prcussen mobil gemacht, um das Vordringen der verbündeten
Österreicher und Russen in der Türkei zu verhindern. Nachdem die Armee in
Schlesien infolge den Vertrages von Reichenbach verfügbar geworden war, sog der
König einen Teil der Regimenter nach Pommern und Ostpreusscn, um einen Druck
auf die Russen auszuüben. Aber auch hier kam es nicht zur Aktion.
*) Im Reg. Bez. Frankfurt a. O. Kreis Sternberg.
») Ebcndort.
') Drenzig, ebendort.
^ Brecsen, ebendort.
«9 Langenfeld, ebendort.
') Heinersdorf, ebendort.
*) Ebendort.
Aus bewegter Zeit. 249
Bahn gehabt haben, und da der Schnee jetzt weich wird, so fallen
die Pferde öfters bis über die Kniee ein, auch die Räder schnitten
sehr ein. Major v. Schätzel, Kapt. v. Zastrow und Kapt. v. Hagen
liegen in Königswalde1), wie auch die reitende Batterie. Heute rückt
-das erste Bataillon in Zilenzig*) ein, auch Moellendorff kommt heute
dort an. Wenn wir einige Tage hier stehen bleiben, so werde ich
herüber reiten, um Karl und den jüngsten Stoj entin8) zu besuchen.
Zilenzig ist nur eine Meile von hier. Heute habe ich den Lt. von
Brunnow von den Grenadiers gesprochen, bei ihnen ist es bis jetzt
recht gut gegangen, sie kommen heute nach Stenszk4) u. Muschten6).
Dies Dorf gehört dem Präsident Poser, der hier englisch Bier
brauen lässt, welches ich fleissig kosten werde. Die Polnische
Grfinze ist nur eine viertel Meile von hier.
Den 23ten. Den heutigen können wir uns als einen Ruhetag an-
sehen, denn soeben (des Abends um 6 Uhr) bekommt unser Bataillon
die Ordre, morgen in Pohlen einzumarschieren. Unsere Compagnie
steht um 6 Uhr auf dem Place d'armes, und nachdem selbige scharf
geladen hat, marschiert sie nach Königswalde, wo sich um 8 Uhr
das Bataillon versammelt. Zwei Compagnien von unseren Grenadiers
marschieren morgen ebenfalls. Wo es hingeht, und wie es uns
morgen gehen wird, weiss ich noch nicht. Ich habe heute einen
Boten nach Zilenzig geschickt und an Karl geschrieben; er ist
glücklich dort angekommen. In Schwerin 8), 2 Meilen von hier, stehen
polnische Husaren, und Meseritz ist mit Infanterie und Kanonen be-
setzt. Morgen ein Mehres.
Nachtrag. Die beiden Grenadier-Compagnieen sind nicht
marschiert, sondern das ganze Grenadier-Bataillon den asten, und
Meseritz ist nicht mit Kanonen besetzt gewesen.
Schwerin in Pohlen, den 24ten. Des Abends um 8 Uhr.
Nachdem um 6 Uhr die Kompagnie geladen hatte, marschierte
sie von Gleisßen nach Königswalde, wo sich um 8 Uhr
das Bataillon versammelte. Um 9 Uhr rückte das Bataillon
heraus, und um V210 Uhr versammelte sich bei Osch das
Detachement unter dem Gen. Maj. v. Trenck, welches aus 2 Eskadrons
von Trenck, einer halben reitenden Batterie und unserem aten
Bataillon besteht, und marschierte in folgender Ordnung: 1 Eskadron
Husaren und die halbe reitende Batterie die Avant-Garde, unser
Bataillon, die Bagage und 1 Eskadron Husaren die Ariere-Garde, nach
») Im Reg .-Bez. Frankfurt a. O. Kreis Sternberg.
,J) Zielenzig, ebendort.
3) seinen Vetter.
*) Stenttch, Reg.-Bez. Frankfurt, Kreis Zaüichau*Schwicbuit.
-) Ebendort.
*) Schwerin a. d. Warthe.
250 Ernst von Schönfeldt.
der Ober-Mühle, Vi Meile von Schwerin, wo das Corps die Obra
passierte und jenseits der Brücke aufmarschierte. Die Pfanndeckel
wurden abgemacht und die Pfropfen aus dem Lauf genommen. In
Schwerin standen 150 polnische Husaren, die der General Trenck
auffordern Hess, mit Güte sich wegzubegeben, da sie aber von der
Republik Ordre haben, sich zu verteitigen, so liess sie der General
Trenck attaquieren und machte 10 Mann gefangen; da sie aber
nicht geschossen hatten und wir nicht feindlich gegen sie agieren
wollten, so liess er sie wieder frei und gestattete ihnen freien Ab-
zug mit Sack und Pack1). Wir rückten hierauf um 4 Uhr in
Schwerin ein und fanden die feindlichen Husaren noch auf dem
Markt aufmarschiert, welche aber bei unserer Ankunft den Ort
räumten. Das Bataillon und die Artillerie besetzt die Stadt, und die
Kavallerie die nächsten Dörfer. Wir sind hier sehr gut aufgenommen,
und im Ganzen scheinen die Einwohner uns sehr gewogen zu sein.
Ich liege mit dem Kapitän Felden zusammen. Bei der Ober-Mühle
glaubten wir gewiss, dass wir noch heute zur Action kommen
würden, und dass ich voll banger Erwartung der kommenden Dinge
war, können Sie sich vorstellen. Verzeihen Sie, dass ich mich so
kurz gefasst habe, allein wir sind 12 Stunden auf dem Marsch
gewesen, und um y2l haben wir erst was zu essen bekommen: ich
bin daher entsetzlich müde. Morgen gehts nach Birnbaum.
NB. Bei dieser Gelegenheit habe ich die polnischen Husaren
gesehen, sie sind pompeuse beritten, allein sie rückten in der
grössten Unordnung aus.
Birnbaum, den 25ten. Heute früh um V^Uhr sind wir aus-
gerückt. Um Vz9Uhr versammelte sich das Corps bei Poitsche, wo wir
anderthalb Stunden auf den General Trenck warten mussten. Die Ko-
lonne setzte sich hierauf in folgender Ordnung in Marsch: 2Eskadrons
Husaren die Avant- Garde, die reitende Batterie, unser Bataillon,
die Bagage von ganzem Detachement; 1 Offiz. und 30 Mann von
uns, und 1 Offiz. und 40 Husaren macht die Arriere-Garde und
deckten die Bagage. Wir sind, ohne ein Hindernis anzutreffen, um
4 Uhr hier eingerückt. Die Einwohner haben uns sehr gut auf-
genommen und durchgängig unseren Musketiers zu essen gegeben.
Auf dem Marsch stürzte ein Kanonler und brach sich den Fuss.
Der arme Mensch musste nachgefahren werden. Morgen kommen
wir auf Dörfer zu stehen.
J) Moellendoi ff war vom Könige angewiesen worden, die Polen nicht als Feinde
zu betrachten, da man ja nur die Ordnung im Lande wieder herstellen wollte. Nur,
wenn die polnischen Truppen nicht freiwillig ihre Quartiere räumten, sollte mit
Gewalt vorgegangen werden.
Aus bewegter Zeit. 251
Lubosch1), den 26. Um 7*9 Ubr rückten wir aus, das Rendez-
>r Birnbaum. Der Marsch geschah in eben der Ordnung,.
e vorher. Ich hatte mit 40 Mann nebst 1 Lieutenant und
i die Ariere-Garde. Da wir Zirke, das mit polnischen
>esetzt ist, auf unserer linken Flanke liegen Hessen, so-
.vir auf selbiger vorzüglich ein wachsames Auge haben.
Patrouillen trafen nichts an. Der Marsch ging, wegen
-ner Defitees, die wir passieren mussten, und wegen der
> Weges sehr schwer zu passieren waren, äusserst langsam,
insere Compagnie, die mit der reitenden Batterie hier zu-
steht, erst um 6 Uhr in die Quartiere kam. Die anderen'
noch weiter und zum Theil eine Meile weiter als wir zu
Diese werden wohl schwerlich vor 9 Uhr ihre Quartiere
n. Morgen haben wir Ruhtag und dann ein Mehreres von
•1 Quartieren.
Den 27. Wir sind hier recht gut aufgenommen. Ich liege mit
Kapitän Felden bei dem Jäger, der zwar ein recht guter Mann,
ch deutsch kann, bei dem es aber ziemlich auf polnische Art
opre zugeht. In der Stube ist ein Ofen, der aber wenig warnt
die Familie und wir wärmen uns daher an einem irdenen
sen Kohlentopf, der auf Rädern steht und von einem zum andern
hren werden kann.
Ottorowa2), den 28. Um tygß sind wir ausmarschiert; da wir
Ate nur kurze Märsche hatten, so marschierte unser Bataillon und
- Eskadrons für sich naoh ihrem Nachtquartier. Ich liege».
eder mit dem Kapitän v. Felden bei dem Riemer, einem sehr
iten Manne, bei dem es wider der hiesigen Gewohnheit sehr rein-
en ist. Dies Dorf gehört dem Kastellan Grafen von Moschinsky8)
ütter vom Stanislaus - Orden, bei dem wir heute Mittag gegessen-
laben. Es scheint ein sehr aufgeräumter Mann zu sein. Die reitende
Batterie liegt bei uns.
Starsini4), den 29. Wir haben eine unruhige Nacht und steten
Marsch gehabt. Gestern Abend um n Uhr bekam der Major von,
Man teuf fei die Nachricht, vorzüglich auf seiner Hut zu sein. Wir
mussten daher die ganze Nacht angezogen bleiben, die Wachen-
wurden verstärkt, und ich musste mit einem Schützen und 2 Mann
ein Patrol in grossem Regen machen. Was hierzu Gelegenheit ge-
geben hat, weiss man noch nicht gewiss, man will aber theils feuern
gehört haben, theils sagt man, dass ein Husaren Patrol auf polnische-
') Lubosch, Kr. Birnbaum.
*) Kr. Samter.
*) Moszczenski.
*) Starzyny, Kr. Posen W.
252 Ernst von Schönfeldt.
Kavallerie gestossen ist1). Die ganze Nacht und diesen Vormittag
regnete es, wir mussten also mit den durchweichten Kleidern noch
2l/2 starke Meilen marschieren. Starsini ist ein äusserst elendes
Dorf in einer noch traurigeren Gegend, denn weit und breit sieht man
nichts als Pläne, die Dörfer sind ganz kahl, die schlechten Hatten
liegen unter ein ander ohne die geringste Ordnung, in den Dörfern
selbst sieht man weder einen Baum, noch Garten. Da das Dorf so
schlecht ist, so hat der Major v. Manteuffel die Güte gehabt, den
Kapitän v. Felden und mich zu sich bei dem Edelmann zu nehmen;
ich für meine Person liege daher recht gut, aber unsere armen
Leute sehr schlecht. Morgen rücken wir noch nicht in Posen ein.
Nachtrag. Die Ursache, warum wir die Nacht vom 28.
zum 29. unterm Gewehr bleiben mussten, war die Unternehmung des
Major v. Platen vom Trenckschen Husaren-Regiment, die den Tag
vorher vorfiel; unsere Compagnie war die nächste an Zirke/
Psasky2), den 30. Da wir bis jetzt die Avant Garde gemacht
haben, jetzt aber mit den übrigen Truppen, die noch zurück sind,
zugleich vor Posen marschieren sollen, so sind wir nur V« Meile weit
bis hierher vorgerückt. In Kelcz8) versammelte sich das Bataillon.
Die Eskadrons marschierten gleich nach ihren bestimmten Nacht-
quartieren. Wir liegen hier äusserst schlecht und so enge, dass der
grösste Teil von den Leuten in den Scheunen liegen musste. Ich
liege mit dem Kapitän und den beiden Fähnrichs in einer engen
Stube. Morgen gehts nach Posen, allein der grösste Teil der Be-
satzung soll schon heraus sein, wir werden daher wohl ohne Hinder-
nis einmarschieren.
Posen, den 31. Um V210 versammelte sich unser Detache-
ment bei einer Mühle, eine viertel Meile vor Posen, und um 10 Uhr
unser ganzes Regiment, 2 Eskadrons von Trenck und die Dragoner
v. Prittwitz und die halbe reitende Batterie vor den Thoren von
Posen. Von der anderen Seite marschieren um eben die Zeit die
Regimenter v. Klinckowstroem, das leichte Bataillon v. Oswald.
3 Eskadrons v. Trenck und die andere Hälfte der reitenden Batterie.
Der hier commandierende Oberst wollte anfangs Umstände machen,
allein da der General Möllendorff die Kanonen vors Thor auffahren
und abprotzen Hess, bequemten sie sich zum Abmarsch. Die Wache
besetzte die Thore und die Hauptwacht. Um 2 Uhr rückten die
1. Bataillons von uns und von Klinckowstroem herein, die 2. Ba-
taillons aber in die Vorstädte. Auf den nächsten Dörfern liegen die
') Ein stärkerer polnischer Kavallerie-Posten hatte Zirke besetzt und musste
wm Major von Platen vom Husaren-Regiment v. Trenck erst hinausgeworfen, bezw.
gefangen genommen werden. Platen erhielt splter fOr diese Unternehmung den Orden
pour le merite.
«) Psarskic, Kr. Posen W.
») Kiekrt, Kr. Posen W.
Aus bewegter Zeit. 25$;
reitenden Batterien, das leichte Bataillon v. Oswald, unsere Grena-
diers, die Grenadiers von Klinckowstroem, die Dragoner von Pritt-
witz und 5 Eskadrons v. Trenck. Wir in der Vorstadt liegen äusserst
schlecht. Posen hat schöne hohe Giebelhäuser und prächtige Ge-
bäude, worunter das Rathaus und das Jesuiter Collegium, vorzüglich
dem äusseren nach, die schönsten sind. Allein die Strassen sind
eng und äusserst schmutzig. Es sind grosse Müllhaufen selbst auf dem
Markt, und das Pflaster ist so schlecht, dass man mitten auf der Strasse
mit einem Wagen umgeworfen befürchten muss. Die öffentlichen Ge-
bäude werde ich mir nächstens besehen u. Ihnen davon dann ein näheres
mitteilen. Übrigens scheint Posen sehr lebhaft zu sein. Es ist meist
alle Tage hier Picknick oder Redoute. Am 29. hat der Major Platen
von Trenck Zirke überrumpelt und einige 80 Husaren zu Gefangenen
gemacht. Unser Depot Bataillon hat in Karge eine ähnliche Affaire
gehabt Die dortige polnische Besatzung wollte den Ort nicht räumen
und hatte das Rathaus und einige andere Häuser besetzt, um solche
zu verteidigen. Der Major Milkair Hess solches daher stürmen, ver-
trieb sie glücklich und machte einige 70 Gefangene. Der Verlust
des Bataillons sind 2 Tote und 5 Verwundete, die Pohlen haben
5 Tote und 15 Verwundete. Die Kriegskasse, das Feldkommissariat
und Postamt sind in der Stadt.
Posen, den 2. Februar. Heute ist hier Marien Lichtmess
heute Nachmittag bin ich in einigen Kirchen gewesen. Die
Franziskaner Kirche ist ein schönes Gebäude, allein die Gemälde
sind schlecht, und übrigens ist sie, wie meist alle katholischen
Kirchen, sehr bunt und abschäulich mit kleinen Gemälden über-
laden. Die Jesuiten Kirche ist ein sehr schönes Gebäude, die
Ahar-Stücke sind schön, sie ist nicht so überladen wie die vorige;
es war aber Gottesdienst, und daher konnte ich nicht alles genauer
besehen. Die Bernhardiener Kirche ist eben ein schönes Gebäude,
allein viel zu bunt. Der Altar ist recht hübsch, wenigstens nicht
so bunt, allein doch ohne Geschmack. Heute Abend bin ich auf
einem Picknick.
Den 3. Februar. Gestern bin ich auf einem Picknick gewesen .
Ich weiss nicht, woher es kommt, dass keine einzige Dame erschien,,
ich habe daher meine 12 Gulden umsonst bezahlt Für einen
Spieler sind hier treffliche Aspecten. Auf jedem Kaffeehause sind
2—3 Pharao-Bänke. Alle Polnische Beurlaubte, die sich sehen
lassen, sollen entwaffnet werden.
Den 4. Febr. Gestern Abend bin ich auf der Redoute ge-
wesen. Es kamen einige Damens; sehr gut angezogen, aber
gross tentheils abscheulich geschmacklos (Es erscheint alles ohne
Maske). Es sind 2 Säle und einige Stuben en plein pied. In einem
Saal wird polnisch, in den anderen englisch und französisch getanzt.
^54 Ernst von SchÖnfcldt.
In den übrigen Stuben sind theils Pharao-Bänke, theils wird dort
gespielt. Es war erstaunt voll. Die Damens tanzten zwar mit uns,
aber sie waren so zurückhaltend, dass sie uns sehr vermieden,
allein sehr frei mit den Pohlen umgingen, die sich sehr stolz gegen
uns betragen. Die Grenadiers waren heute zu einem Angriff be-
stimmt, allein die Besatzung von dem Ort, der dazu bestimmt war,
hat sich gestern Mittag zurückgezogen. Ich habe heute die Wache
am Breslauer Thore. Sie ist sehr unruhig wegen der vielen ein-
und auspassierenden Fremden. Heute Nachmittag sind in der
Vorstadt einige ao Gewehre gefunden worden.
Den 8. Febr. Heute marschiert die Avantgarde, die aus dem
Bataillon v. Oswald, die halbe reitende Batterie unter dem Major
v. Prosch und aus den Husaren v. Trenck besteht. Morgen
marschieren unsere beiden Musketir-Bataillons und die Dragoner
v. Prittwitz. Wir sind also nur 9 Tage hier gewesen. Ich hatte
mir vorgenommen, die vorzüglichsten Gebäude zu besehen, allein
ich konnte keine Gesellschaft zusammenbringen, um alle einen
Führer, der über alles Auskunft geben kann, anzunehmen,
und war mir zu theuer, da das auch sonst mit Kosten ver-
knüpft ist. Posen hat eine recht angenehme Lage, dicht an der
Warthe. Die Strassen sind, wie ich schon oben gesagt habe, eng
und äusserst schmutzig; um nur bis über die Strasse zu kommen,
muss man beinah bis an die Waden im Koth waten. Ich habe in
-einigen katholischen Kirchen ihrem Gottesdienst beigewohnt, allein
es ist bei Weitem nicht so feierlich, als in Schlesien, da die Musik
elend war, und die Kirchen überhaupt zu beklext sind. Auf den
Picknicks und Redouten habe ich mich noch am besten amüsiert,
<lenn schon das Gewühl von Offiziers, von Deutschen, von Pohlen,
die theils polnisch, theils englisch tanzen, theils Pharao spielen und
dergl., ist sehr unterhaltend, da man auf den Redouten gemeiniglich
4> — 700 Menschen zusammen sah.
Crossenoer1) Holländereyen, den 9. Gestern Abend
erhielt ich die traurige Nachricht vom Ableben der ewig teuren
Tante2). Grosser Gott, das kam unerwartet. Wir verlieren un-
endlich durch ihr, denn nun sind alle die schönen Verhältnisse, in
•denen ich durch ihr in Frankfurt stand, weg, da Tante Massow3) jetzt
vermuthlich nicht in Frankfurt bleiben wird. Die vorige Nacht suchte
ich mich noch immer zu täuschen, dass es ein Irrthum wäre, allein
leider erfahre ich heute die traurige Gewissheit. Ich mag nicht
mehr nach Frankfurt, denn ich werde dort jetzt traurig leben;
!) Krossno-Hauland, Kreis Schlimm.
*) Juliane Ulrike v. Kleist, geb. v. Pannwitz, Mutter des Dichters Hei.u
v. Kleist.
3) Des Vaters Schwester Auguste Helene war an Ewald v. Massow verheiratet.
Aus bewegter Zeit. 255
^wenn wir doch ewig marschierten! Ich verdanke der Verstorbenen
xxnendlich viel, und Leopolden, wenn er zum Regiment kommt, will
ich es gewiss nach Kräften vergelten, was ich ihr nie verdanken
konnte.
Wir sind heute bei sehr schlechtem ' Wetter 2 Meilen
marschiert und stehen so gut, als wir noch nicht in Pohlen ge-
standen haben. Die Einwohner sprechen alle deutsch und sind
reinlicher, als wie es hier sonst Gebrauch ist. Da unsere Grenadiers
nur eine viertel Meile von hier in Moszino1) stehen, so haben der
Kapitän Felden, Langen und ich sie auf eine Stunde besucht. Sie
sind heute nicht marschiert, da sie 2 Meilen vorgestanden haben,
xi nd marschieren erst morgen aus.
Suleva2), den 10. Wir sind heute bei sehr schönem Wetter
nur eine Meile marschiert ; unsere Leute hegen schlecht, da sie zum
Theil in den Scheunen liegen müssen. Ich liege mit dem Kapitän
und dem Major auf dem Vorwerk. Die Leute scheinen hier sehr
furchtsam und zurückhaltend zu sein.
Den 11. Wir haben heute Ruhetag, ich will Ihnen also
etwas von der hiesigen Gegend mittheilen, die hier ohngleich schöner,
.als auf der anderen Seite von Posen ist. Die Dörfer sind hier
schöner gebaut, und gestern hat uns unser Marsch durch frucht-
baren Boden und Übergemachte Brüche geführt. Die Einwohner
könnten meist wohlhabender sein, wenn sie von den Herrschaften
nicht so unerhört gedrückt würden. Zum Beweis : In den Crossen -
noer Hollendereyen haben sich die Einwohner von allen Diensten
und Abgaben freigekauft. Demohngeachtet haben sie bei Ge-
legenheit, dass der Herr einen Teich bauen Hess, jeder 1 Rthr.
dazu contribuiren müssen und überdies ohnentgeltlich daran arbeiten
müssen. Noch vor kurzem hat der Herr sich einige Fässer Häringe
von Stettin kommen lassen, die aber verdorben waren. Die Ein-
wohner haben solche erhandeln müssen und doppelt so theuer be-
zahlt. Weigert sich der Bauer dem Willen der Herrschaft, so wird
er so lange geprügelt, bis er es thut, und durch Klagen ver-
schlimmert er es nur. — Heute Nachmittag bin ich mit dem Major
Manteuffel bei dem holländischen Capitain Czarsinsky, dem das
nächste Dorf gehört und bei dem Hagen liegt, zum Kaffee gewesen.
Nochowo3), den 12. Wir haben heute wieder einen kurzen
Marsch gehabt und liegen hier noch so ziemlich. Ich liege mit
allen Officiers der Kompagnie, ausser dem Major, zusammen.
Nochowo ist sonst ein elendes Dorf.
l) Moschin, Stadt, Kreis Schrimm.
*) Sulejewo, Kreis Schrimm.
8) Kr. Schrimm.
256 Ernst von Schönfeldt.
Xions1) den 13. Wir sind heute bei schlechtem Wetter
2 starke Meilen marschiert. Xions ist ein schlechtes Städtchen in
einer schönen Gegend. Unsere Leute liegen hier gut. Heute
Mittag haben wir bei einem Herrn von Sackscheffsky2) gegessen*
der hier Administrator ist. Das Essen und der Wein waren aber
schlecht. Morgen haben wir wieder Ruhetag.
Den 14. Febr. Wir haben heute Ruhetag gehabt und heute
Mittag wieder bei dem Herrn von Sackscheffsky gegessen. Die
Unterhaltung mit ihm und seiner Familie war stumm, da er nicht
ein Wort deutsch verstand und ausser dem Major v. Manteuffel
keiner Polnisch konnte. Xions ist ein kleines schlechtes ödes Land-
städtchen, die Einwohner sprechen mehrentheils deutsch und wir
sind recht gut aufgenommen worden. Die Husaren von unserer
Avant-Garde sollen mit den Pohlen ein Scharmützel gehabt haben
und sollen von beiden Seiten Tote geblieben sein; diese Nachricht
haben wir durch Leute erfahren, die hierher zu Markte gekommen
sind. Man sagt überdies, dass sie sich bei Kaiisch wieder ge-
sammelt haben, und sollen sie sich im Kloster Czenstochau und in
Lowicz verschanzt haben; dies sind aber blos Gerüchte, denen man
noch keinen Glauben beimessen kann.
Nachtrag. Das Scharmützel mit unserer Avant-Garde und
den Pohlen ist unbegründet. Die Pohlen hatten sich auch dazumal
schon von Kaiisch und Czenstochau, wo sie sich aber nicht ver-
schanzt hatten, zurück und nach Lowicz gezogen.
Woydoschützer-Holländereyen, den 15. Wir haben
einen starken Marsch gehabt, indem wir 2l/2 polnische Meilen
marschiert sind. Wir sind schöne Gegenden passiert, und der
trockene Frost, den wir hatten, kam sowohl uns als unseren
Pferden vor die Wagens sehr zu statten. Man sagt, dass wir nicht
nach Warthe3), sondern nach Lowicz4) kommen werden, so polnische
Truppen uns erwarten wollen. Die hiesigen Holländer haben uns
sehr gut aufgenommen, sie sprechen auch alle deutsch.
Sucho'rczewo5), den 16. Bei dem schönsten Wetter und
Wege haben wir nur einen kleinen Marsch von 1 starken Melle gehabt.
Die Einwohner sind hier alle ganz polnisch, nicht allein in der Sprache,
sondern auch in der Reinlichkeit, indem unsere Fouriere und Fourier-
schützen gestern noch die Kühe und Schweine haben müssen aus
den Stuben jagen. Wir haben heute Mittag bei dem Edelmann nach
der polnischen Art recht gut gegessen ; er nebst seiner Frau konnten
l) Stadt, Kreis Schriram.
-) Zakrzewski.
3) Warta, Woiwodschaft Kaiisch.
*) Woiwodschaft Masovien, Kr, Sochaczcw.
°) 7/e Meilen westl. v. Pleschen.
Aus bewegter Zeit. 257
kein Wort deutsch, die Tochter sprach etwas gebrochenes deutsch.
Morgen haben wir Ruhtag.
Den 17. Wir haben heut Ruhtag gehabt. Das Dorf hat sehr
arme Einwohner, ob es gleich in einer sehr schönen Gegend liegt.
Ich bin heute Nachmittag auf der Jagd gewesen und habe einen
Hasen geschossen, defn ersten, den ich in ganz Pohlen gesehen habe.
Bei dem Dorfe liegt ein prächtiger Eichenwald, da aber das Gehölz
hier in sehr geringem Preise steht, und hier überhaupt sehr wenig
Bedürfnis ist, so verfaulen die schönsten Stamme.
Kstusowi), den 18. Februar. Das war heute ein fataler
Marsch. Wir haben nicht allein an den uns angewiesenen Ort 3
starke Meilen gehabt, sondern sind noch iV» Meile ummarschiert,
indem uns der Bote, der uns entgegen geschickt wurde, um das
Nachtquartier der Kompagnie anzuzeigen, ganz und gar verfehlte.
Wir sind um Va7 Uhr aus Suchorczewo ausmarschiert und um
Va5 Uhr erst in die Quartiere gekommen, ohne uns nur V4 Stunde
auf dem Marsche aufgehalten zu haben. Die Einwohner des Dorfes
haben noch nie Einquartierung gehabt, sie waren daher erstaunt
und in Flucht, allein durch gutes Zureden wurden sie bald dreister
und haben uns sehr gut aufgenommen.
Kruschmineir2), den 19. Februar. Wir sind heute Kaiisch
passiert, wo wir das Kommando vom Rest zurückgelassen haben; es ist
aber nicht so stark, als es in dem Dislokationsplan angezeigt ist,
sondern es besteht nur aus 1 Kapt, 1 Subaltern und 60 Mann, und
1 Lieut. und 30 Dragoner v. Prittwitz. Der Kapt. v. Wesenbeck und
der Lieut. Storch sind dabei geblieben. Kaiisch ist vor ohngefähr
3 Jahren beinah ganz abgebrannt und noch nicht aufgebaut Sie
können sich also vorstellen, wie traurig der Anblick ist, zumal da
man noch an den Ruinen und den wenig übergebliebenen Häusern
sieht, dass es ehemals sehr husch gewesen sein muss. Kruschmineir
ist ein kleines Städtchen, wo wir aber recht gut liegen. Heut
Mittag haben wir bei dem Grafen Kielczewsky, einem sehr klugen
und artigen Mann, dem dies Städtchen gehört, gegessen, allein nicht
nach der hier gewöhnlichen malpropren und schlechten Gewohnheit,
sondern das Essen war sehr gut zubereitet, der Wein gut, und die
Zimmer recht geschmackvoll möbliert. Den 23. sollen wir auf die
Pohlen stossen. Morgen kommt der General Moellendorff, der bisher
in Posen zurückgeblieben war, zu uns.
Nachtrag. Die Avant Garde hatte den 18. 10 polnische
Husaren, die Fourage eintreiben wollten, zu Gefangenen gemacht,
welche den 19. durch Kruschmineir kamen.
') Kuczkow (?), Kr. Schrimm.
*) Kozminek, Gouvernement u. Kreis Kaiisch.
Zeltschrift der Hist. Ges. für die Prov. Posen. Jahrg. XJX. 17
258 Ernst von Schönfeldt.
Bartochowo1), den aotenFebr. Ich habe heute die Ariere
Garde gehabt, die nicht die angenehmste war, denn es ging ein
Fourage- Wagen entzwei, und ich musste auf einem Dorfe einen
anderen Wagen wegnehmen. Man muss hierbei sehr vorsichtig zu
Werke gehen, denn einen Grenadier - Unteroffizier, der vor
einigen Tagen allein in einem Dorfe einen Wagen holen
wollte, wollten die Bauern geradezu totschlagen, allein zum
Glück kamen ihm ein paar Grenadiers zur Hilfe. Wir passierten
Wartha, wo ein russisches Magazin ist, das von einem Kommando
russischer Jager bewacht wird. Hier in Bartoschowo haben Russen
und Pohlen gestanden, die die Einwohner so ausgesogen haben,
dass wir nicht das geringste bekommen konnten; es ist überhaupt
unerhört, wie tyrannisch die Russen und selbst die Pohlen mit den
Einwohnern umgehen.
Rudnicki2), den 2iten. Die schönen Aussichten, doch
endlich einmal zur Action zu kommen, sind wieder vorbei. Die
Pohlen haben sich bis hinter Warschau zurückgezogen; morgen
geht also alles wieder bis in die Quartiere vom 20ten zurück, wo
wir 2 Ruhetage haben und dann den Kordon nach dem Dislokations-
plan beziehen8). Rudnicki ist ein grosses Dorf, denn es stehen
heute 4 Kompagnieen (Leib-Compagnie, Ob. Koeppern, Maj. v. Man-
teuffei u. Kapt. v. Hagen) hier, es ist also das erste Mal, dass ich
mit Karl in einem Orte stehe, denn in Posen lag er in der Stadt,
und ich in der Vorstadt. Hier in Rudnicki haben ebenfalls wie in
Bartochowo die Russen lange gestanden und Alles ausgezehrt Wir
sind heute über die Warthe, die gefroren ist, marschiert und durch
einen Bruch gegangen, wo wir auch eine gute halbe Meile über das
blanke Eis gingen. Es ist mir gar nicht lieb, dass wir wieder
zurükgehen, denn ich hätte wohl gewünscht, dass wir nur einmal
losgefeuert hätten, so aber wird es wohl wieder nichts werden.
Bartochowo, den aaten Febr. Heute sind wir wieder bis
hierher zurückgegangen. Die Bagage ist einen anderen Weg
gegangen, da man nicht traute, dass das Eis in dem Bruch, von
dem ich gestern sagte, halten würde. Gestern Abend hieb ein
Bauer in Rudnicki mit einer Axt nach einem Soldaten, der das
schlechte Lagerstroh, das er von ihm bekam, nicht nehmen wollte
und sich dafür anderes aus der Scheune nahm, und verwundete ihn
leicht an der rechten Hand. Heute früh musste ihm daher der
Edelmann in unserer Gegenwart 18 Hiebe auf den H geben
mit einer Peitsche, wo am Ende ein starker Knoten war, der die
Hiebe sehr fühlbar machen musste. — Da Wartha zum Teil ab-
») Woiwodschaft Kaiisch, Kreis Warta.
■) Rodniki, ebendort.
') Diese Linie deckte sich ungefähr mit der vorgesehenen neuen G ranze.
Aus bewegter Zeit. 259
gebrannt ist und daher das ganze Bataillon nicht dort liegen kann,
so werden wir noch so lange hier stehen bleiben, bis uns vom
General v. Möllendorff ein anderes Kantonnierungsquartier an-
gewiesen wird. Das 1. Bataillon marschiert den ästen nach
Siradz1;, und die Grenadiers, die auf den Dörfern bei Wartha liegen,
den 24ten nach Wielun2). Bartochowo gehört dem polnischen
General Biernitzky, der jetzt bei der Armee ist. Seine Frau und
Kinder aber halten sich hier auf, von der wir das vorige [Mal] und
auch jetzt zu essen bekommen haben, allein sie war keinmal dabei.
Blaszky3), den 2. März. Nachdem uns den 28. Februar dieser
Ort vom General Moellendorff zum Kantonnierungs- Quartier ange-
wiesen worden, marschierte unsere Kompagnie hierher, und Kapt.
v. Hagen auf ein Dorf y4 Meile von hier. Blaszky ist ein elendes
Städtchen, das bei uns nur ein sehr mittelmässiges Dorf sein würde,
in einer öden, traurigen Gegend. Wir haben also eine sehr lang-
weilige Zukunft zu hoffen, woran uns der Graf Lipsky, dem der
Ort gehört, und welcher ein artiger Mann zu sein scheint, die Zeit
nicht verkürzen hilft. Ich liege mit dem Kapt. v. Felden bei einend
Metzger, und unser Quartier ist besser, als wir es glaubten, da wir
die schlechten Hütten erblickten.
Da wir aller Wahrscheinlichkeit hier eine geraume Zeit ruhig
werden liegen bleiben, so will ich jetzt mein Tagebuch schliessen,
bis wir interessanteren Stoff wieder haben werden, und zum Schluss
Ihnen etwas über Pohlen schreiben.
Pohlen ist nicht so schlecht, als wie man es sich vorstellt,
wenn man einen Strich von ohngefähr 10 Meilen an der Grenze
passiert hat. Seit Posen sind wir durch sehr fruchtbare Gegenden
ekommen, auch haben wir zum Theil schöne Wälder angetroffen
Bei alledem aber ist doch der Bauer das ärmste, elendeste Geschöpf»
das man sich auf Gottes Erdboden vorstellen kann, denn theils saugt
ihn der Edelmann aufs Blut aus, theils erlauben sich die hiesigen
Gutsbesitzer die unerhörtesten Gewalttätigkeiten gegen sie, welches
auch die Ursache ist, dass so wenig Industrie herrscht. Die Juden,
die hier sehr zahlreich sind, haben dies sehr gut zu benutzen
gewusst, denn sie haben nicht allein den ganzen Handel an sich
gezogen, sondern sie treiben auch die meisten Professionen.
Der hiesige arme Adel lebt elend und ernährt sich meisten-
theils vom Güter pachten ; die reichen wohnen sehr schlecht, halten
sich aber ein paar Dutzend Domestiquen, fahren nicht anders ab
mit 6 Pferden und essen und trinken mehrentheils schlecht.
!) Sieradz, Woiwodschaft Kaiisch, Kreis Sieradz.
£) Woiwodschaft Kaiisch, Kreis Wielun.
3) Blaszki, Woiwodschaft Kaiisch, Kreis Waita.
2ÖO Ernst von Schönfeldt.
Schliesslich muss ich noch um gütige Nachsicht bitten, denn
beim Durchlesen finde ich, dass es öfter erstaunt unleserlich ge-
schrieben ist. Sie werden aber so gütig sein und bedenken, das&
ich vor Müdigkeit kaum die Feder halten kann. Ich füge nur noch
hinzu, dass ich am 6. nach Marchwatsch l) kommandiert gewesen
bin, wo ich ein Brief-Kommando mit 2 Scharf-Schützen angestellt
habe, zur Kommunikation mit Kaiisch, welches 4 Meilen von hier ist.
Unser Quartier, ich liege mit dem Kapt. v. Felden zusammen, ist
doch schlechter, als ich anfangs glaubte. Wir müssen es uns öfters
gefallen lassen, mit den eingekoppelten Kälbern zusammen zu
schlafen. Vor unserer Stubenthür wird alles Vieh geschlachtet, und
in unserer Stube wird das übrige zugerichtet, und überdem ge-
hören 6 Kinder zur Familie.
Cantonnierungs-Quartier Blaszky, den . . . März 1793.
v. Pannwitz.
Nachdem so nun die ungefähre Grenzlinie besetzt
war, wurde durch das Notifications-Patent vom 25. März
die Besitznahme des Landes ausgesprochen. Am 7. Mai
fand dann in Posen die Huldigung statt Nach manchen
Mühen und Arbeiten wurde endlich am 25. September auch
die Zustimmung des polnischen Reichstages erlangt.
So war Preussens Gebiet fast ohne Schwertstreich
um 1065 [^Meilen mit 1 150000 Einwohnern vergrössert.
Den militärischen Schutz dieser neuen Provinz Südpreussen
übernahm Gen.-Lt. Graf v. Schwerin mit 8 Bataillonen
Infanterie und 25 Eskadrons. Die übrigen Truppen, dar-
unter auch das Inf .-Rgt. v. Franckenberg und mit ihm die beiden
Brüder v. Pannwitz, rückten in ihre alten Garnisonen ein.
War man im Lande auch zunächst mit der Gestaltung
der Dinge zufrieden, so brach doch bald die Unzufriedenheit,
veranlasst durch einige vielleicht nicht ganz zweckmässige
Massnahmen der neuen Regierung, durch.
Adel und Geistlichkeit taten das ihre, um das Feuer
zu schüren. Eine der Festsetzungen des Teilungsvertrages
von 1793 war die Herabsetzung des polnischen Heeres
auf 12000 Mann. Es mussten also ganze Truppenteile
aufgelöst werden, wodurch die vielen Berufssoldaten
*) Marchwacz, Woiwodschaft u. Kreis Kaiisch.
Aus bewegter Zeit. 261
plötzlich brotlos wurden. Diese verstärkten natürlich das
Heer der Unzufriedenen. Offen widersetzte sich dieser
.Anordnung der General Madalinski, Kommandeur einer
Kavallerie -Brigade in Ostrolenka. Mitte März brach er
mit seinen Regimentern auf und rückte durch preussiches
C>ebiet in der Richtung auf Krakau vor. Etwa zur selben
«Zeit war hier Kosciuszko, der National-Held von 1793,
wieder eingetroffen, und hatte sich zum Höchstkommandie-
renden ausrufen lassen. Hiermit war der Bann gebrochen.
Ganz Polen war im Aufstand. Madalinski eilte ihm entgegen
und erreichte trotz des Widerstandes der zu schwachen
preussischen Truppen bald die Fühlung mit ihm.
Mitte April brach auch in Warschau der Aufstand
los. Die russische Besatzung unter Igelstroem wurde am
18. überfallen, und mit Mühe rettete sich ein kleiner Teil
aus der Stadt. Das gewaltige Ringen kostete den Russen
an 20000 Mann. König Stanislaus trat nun offen auf die
Seite des Aufstandes. Das Kommando in Warschau über-
nahm General Mokronowski.
Kosciuszkos Plan war, bei Warschau ein Heer zu^
sammenzuziehen und von hier aus dem Gegner entgegen-
zutreten. Am 1. April brach er von Krakau auf. Die
russischen Abteilungen waren zu schwach, dem Vor-
dringen energisch Einhalt zu gebieten, und ihre Unterstützung
wurde von den Preussen abgelehnt, da Schwerin, der selbst
einen Einfall der Polen in preussisches Gebiet befürchtete,
^rst die Ankunft der Verstärkungen abwarten wollte, ehe
er offensiv vorginge. Als Kosciuszko am 4. sogar einen
Sieg über die Russen bei Raclawice1) errungen hatte,
schlössen sich auch die noch Zögernden seinen Fahnen an.
Die Mobilmachung der preussischen Truppenteile
ging ziemlich langsam vor sich. Gen. Lt. v. Favrat, der
an Stelle des erkrankten Schwerin das Kommando über-
nommen hatte, zog bei Czenstochau2) und Lowicz3) die
1) Woiwodschaft Krakau, Kreis Miechow.
2) Woiwodschaft Kaiisch, Kreis Czenstochau.
3) Woiwodschaft Masovien, Kreis Sochaczew.
262 Ernst von Schönfeldt.
vorhandenen Truppen zusammen und wartete unter deren
Schutz die Vollendung der Mobilmachung ab. Die nördlich
der Weichsel stehenden Truppen des Gen. Lt. v. Wolki
operierten vereint mit den Russen gegen Warschau.
Ende Mai standen endlich dem Gen. Lt v. Favrat
an der oberen Pilica 17 Batl. 27 Esk. und 2l/a Batter.
zum Angriff auf Krakau zur Verfügung.
Der Schutz der Grenze an der Bzura war dem Ge-
neral v. Bonin mit 8 Batl. (3 v. Frankenberg, 2 v. Bonin,
1 v. Amandriez, 1. v. Jung Schwerin u. Füs.-Batl. Hinrichs),
den Dragonern v. Brückner, den Husaren v. Trenck und
6 Geschützen übertragen. Ihm unterstanden auch die aus
Warschau entkommenen Russen. Das Hauptquartier war
in Lowicz. In Petrikau1) und Czenstochau waren noch
immobile Truppenteile belassen, teils zur Verbindung mit
der Hauptarmee, deren Kommando Anfang Juni der König
selbt übernahm, teils zum unmittelbaren Schutz der Grenze,
Hier setzt das Tagebuch des Karl v. Pannwitz ein.
Den 29. May gelangten wir nach einem unterbrochenen Marsch
von 53 Meilen zu dem Ort unserer Bestimmung an, nehmlich in
denen Cantonierungsquartieren an der Bzurra. Unsere Stellung
geht von Lowicz, allwo das Hauptquartier, bis hinter Suchasch aeff2),
ist bis jetzt defensiv und sehr vorteilhaft in Ansehung unserer Ver-
theidigung. Vor uns haben wir den tiefen sumpfigten Fluss, die
Bzurra, auf unserem rechten Flügel Lowicz, das durch das mit
4 Bollwerken versehene Schloss und einer Redoute gedeckt wird,
und darin unser ganzes Magazin. Ferner wird unser rechter Flügel
durch ein russisches Corps von 2500 8) Mann unter dem General
Fersen nebst 12 Kanonen und Haubitzen noch mehr gedeckt. Alle
Dörfer diesseits der Bzurra sind stark mit Infanterie besetzt, und
wo Brücken oder Furthen sind, werden sie des Nachts durch Pickets
besetzt (z. B. Kompin*), Bischöfl. Kozlow5), Gross Sabusto6) u. s. w.)
Ebenso wie der rechte, so ist auch der Unke Flügel gedeckt.
Suchaschaeff (ein kleines Städtchen, worin unser Grenadier-Bataillon
steht) ist ebenfalls durch das befestigte Schloss fortificiert. Vor uns
*) oder Piotrkow, Woiwodschaft Kaiisch, Kreis Piotrkow.
2) Sochaczew.
a) soll wohl heissen 35000 Mann.
') Kapina, Woiwodschaft Masovien, Kr. Sochaczew.
') Kozlow bisknpi, ebendort.
*) Zabostöw duzy, ebendort.
264 Ernst von SchönfeldL
haben wir die Vorposten zu betrachten: bei Rawa1) den Oberst
von Hinrichs mit seinem Füsilier-Bataillon and 2 Eskadrons v. Trenk
Husaren, ferner auch bei Biala2) den russischen Oberst von Engelhardt
mit 2500 leichten Truppen. Die Dislocation der sämtlichen
Bataillone und Eskadrons ist folgende:
In Lowicz: 1 Batl. v. Bonin und 1 Batl. Jung Schwerin nebst
1 Eskadron v. Brückner Dragoner;
Rechts Lowicz: 2 Eskadrons Brückner;
In Popow3): 3 Compagnien vom 2. Batl. Bonin nebst 2
Kanonen — besetzen durch ein Picket des Nachts die Mahle
bei Popow;
In Gross Sabusto : 1 Comp. v. Bonin ;
Klein Sabusto4) wird durch ein Commando besetzt;
In Kompin: 3 Comp, des 1. Batl. v. Frankenberg nebst
2 Kanonen;
In Potocky5): 1 Comp, des 1. Batl. v. Frankenberg;
In Adlig Kozlow6): 3 Comp, des 1. Batl. v. Frankenberg
nebst 2 Kanonen;
In Bischöflich Kozlow: 1 Comp, des 2. Batl. v. Frankenberg;
Ueber der Bzurra in Bettnari7) 1 Eskadron v. Brückner,
in Gensitz6) 1 Eskadron v. Brückner;
Links über Suchaschaeff : das Grenadier-Batl. v. Amandrtez
und 2 Eskadrons v. Trenk;
Bei Suchaschaeff: 2 Eskadrons v. Trenk;
Die äussersten Avertissements-Posten formieren die Kosaken.
Bei einer Allarmiemng zieht sich das ganze Corps auf der
Höhe bei Potocky zusammen.
Den 1. Juni besah ich das russische Lager; es ist der wahre
Inbegriff der Unordnung; denn so wie bei uns Accuratesse und
Ordnung herrscht, ebensowenig ist sie hier, alles liegt wild herum.
Das Kavallerie-Lager war vorn, die Infanterie in der Mitte, und ihre
Artillerie hinten, aus dem Grunde, weil sie eigentlich unseren
Rücken decken sollten. Ihre Zelte sind auf chinesische Art rund,
der innere Raum achtmal grösser, als wie bei uns, und im Gemein-
Zelt müssen 36 Mann campieren, weil darauf gerechnet wird, dass
10 immer auf Wache sind. In jedem Lager haben sie auch ihre
eigene Kirche, ein grünes, grosses Zelt, ohngefähr 20 — 30 Fuss lang
und 15 breit, worin sie ihre Fahnen aufbewahren und Gottesdienst
') Ebendort, Kreis Rawa.
*) Biala, Ebcndort.
s) Popow, Ebendort, Kr. Sochaczcw.
4) Zabostöw maly, ebcndort.
5) Potoka mtyn, ebendort, Kr. Rawa.
fi) Kozlow szlachecki, ebendort, Kr. Sochaczew.
7) Bednary, ebendort.
•) K<»8zyce, ebendort.
Aus bewegter Zeit. 265
(ins innere bin ich nicht gewesen). Ihr Geschütz ist von sehr
acfcrwerem Kaliber, meist Karthannen und schwere Haubitzen, ihre
elftCTinalige Schvwalows1) haben sie gar nicht mehr.
Ihre Infanterie bestand bei diesem Corps ans Grenadiers und
Jftger zu Fuss. Sie waren von mittlerer Statur, meist klein
omI gedrungen. Die Montierung der Gienadiers war folgende:
einen zeisig-grünen Rollet mit hellen rothen Aufklappen, lange weiss-
leinene Beinkleider, kleine Stiefeln, ein ledernes Kasket, das vorn
niedergelassen ist, darüber ein weisswollener Federbusch, der an
beiden Enden an dem Hut festgemacht und in Gestalt eines
BascbJiks ist, darüber eine weisse Feder. Ihre Gewehre sind leichter
wie die unsrigen, haben ein längeres Bajonett und an dem Kolben
eine Backe. Statt Tornister trägt er ein ledernes Felleisen und eine
kleine Patronentasche für 40 Patronen. Eine Grenadier-Compagnie
ist 160 Mann stark, ein Grenadier-Regiment zählt über 4000 Kopfe.
Die Jäger zu Fuss sind ganz dunkelgrün, haben ein schwarz
ledernes Kasket mh einer schwarzen Feder, und gezogene Büchse.
Die Kavallerie bestand ohngefähr aus 4 Eskadrons Dragoner,
1 Eskadron Grenadier zu Pferde, melierte Commandos Husaren und
Kosaken. Die Dragoner sehen gut aus, haben hellblaue KoDets (die
Offiziers dunkelblau), halbe rothe Aufklappen, Aufschläge und Kragen,
schwarze Fellmützen mit Federn, lange leinen Beinkleider und kleine
Stiefeln. Oberdem hat ein Dragoner ein Paar Pistolen, Säbel und
Karabiner. Die Grenadier zu Pferde sind ebenso, wie die zu Fuss.
Ihre Kavallerie hatte fast lauter schlechte Pferde, weil sie garnicht
abgewartet wurden, und worauf sie unermesslich grosse Gebisse
hatten. Ich sehe sie ins Lager rücken. Die Infanterie schwenkte
m Zügen und marschierte rottenweis auf. Ihre Griffe beim Exer-
zieren sind alle sehr kurz, aber alle sehr gut und zugleich. Die
Position beim gemeinen Mann ist ausserordentlich und wird durch
die ausserordentliche Prügel noch mehr erhalten. Durch die ent-
setzliche Prügel erhalten sie noch ihre wenige Disciplin, wäre dieses
nicht, so wären es wahre Horden. Der Russe verlangt entsetzliche
Schläge, wenn er seine Schuldigkeit thun soll, und danach ist er
heiter und aufgeräumt. Man wird nie sehen, dass er traurig wäre, fast
immer singt er, und das auch auf dem fatiguirtesten Marsche. Doch
bei alle diesem heiteren Gemüth besitzt er die Untugend des Stehlens,
und man wird keine Nation geneigter dazu finden, als die Russen.
Den 3. Juni. Heute erfuhren wir die Affaire des Oberst von
Hinrichs von unserm Corps, welche laut Relation folgende war. Er
erfährt, dass ein Dorf mit bewaffneten Bauern besetzt ist, die ihn
angreifen wollen; um ihnen aber zuvor zu kommen, greift er sie
*) Haubitzen, benannt nach d>m Erfinder (iraf Peter Schuwalow, Kais. Russ.
Generalfeldzeugmeister und Kriegsminister f 1762.
266 Ernst von Schönfeldt.
selbst an. Daher rückt er mit seinem Detachemcnt von i Bataillon
und 2 Eskadrons, überfällt sie, macht an 30 Gefangene, and das
übrige soll sich theils durch die Flucht gerettet haben, theils haben
sie sie niedergestossen. Wir haben nur ein paar Blessierte gehabt1).
Später besah ich die prächtigen Gärten des Fürsten von Ra-
zewill2) zu Arcadien8). Dieser Garten ist nicht sehr gross, auf eng-
lische Art angelegt und verbindet alles, was nur die grösste Pracht
und der auserlesene Geschmack verbinden kann. Wenn man alle
kleinen Büsche und Cascaden beschreiben wollte, so gehörten Tage
dazu. Es ist eine wahre Delicatesse für das Auge, ein überraschender
Anblick, denn bei jedem Schritte wird man angenehm überrascht.
Vorzüglich findet man hier gut angebrachte Ruinen. Vorzüglich
fällt ein Tempel, welcher auf korinth'schen Säulen ruht, sehr ins
Auge; er ist ungefähr 30 Fuss lang, und 16 Fuss breit, enthält 4 Ge-
mächer und ist von Quadersteinen aufgeführt. Der Saal darin ist
prächtig, dessen Fussboden von Mosaic Arbeit, die Decke ist gewölbt
und mit einem ausnehmend schönen Gemälde geschmückt. Die
innere Bekleidung ist von Gypsmarmor. Die Statuen sind aus-
nehmend schön, nehmlich ein angebundener Satyr von weissem
korinth'schen Marmor.
Soweit das Tagebuch des Karl v. Pannwitz. Lassen
wir nun die Briefe seines Bruders Wilhelm folgen :
Kantonnierungs- Quartier Gr. Sabustow, den 17. Juni 1794.
Bester Vater! Wir stehen noch auf unserem alten Fleck, und das
wenige, das sich hier zugetragen hat, will ich Ihnen folgender Gestalt
nach der Reihe erzählen.
Den 6. Juni bekamen die Regimenter den Befehl, frisch zu
laden, und gegen Abend das Korps die Ordre, sich bei Sucharcz ew4)
zu versammeln, welches auch
den 7. geschah. Der Zweck dieser Bewegung war eine De-
monstration gegen den General Mocronowsky, der gegen uns
kommandiert, zu machen, inzwischen der König im Krakauschen
Kosciuszkon auf den Hals gehen wollte. Das Korps brach also
den 8., nachdem es den Tag vorher seine überflüssigen
Feldgeräthe nach Lowicz zurückgeschickt hatte, in 3 Kolonnen rechts
abmarschiert aus seine Kantonnierungsquartiere auf. Die Kolonne
rechter Hand führte der General Frankenberg und bestand aus dem
1. Batl. v. Bonin und 1000 Russen; die mittelste Kolonne führte
J) Oberfall von Opoczno, Woiwodschaft Sandomir, in der Nacht zum 27. Mai.
*) Radiiwill.
3) Arkadia, Woiwodschaft Masowien, Kreis Sochaczew.
*) Sochaczew.
Aus bewegter Zeit. 267
«der General v. Trenk und bestand aus unserem Regiment und
4 Eskadrons von Trenk, die 3. Kolonne führte der General Brückner
Tind bestand aus dem Grenadier-Batl. v. Amandriez und dem Rgt.
Brückner. Diese Kolonne sollte sich vor Kaczky1) versammeln und
dort ein Lager beziehen, den 9. aber wieder aufbrechen und einen
feindl. Posten in Blonnin2) vertreiben, sich sodann aber wieder
zurück in seine vorigen Kantonnierungs-Quartiere bei Lowicz zurück-
ziehen. Nachdem wir aber vor Kaczky angekommen waren, bekam
der General v. Bonin durch einen Courier die erfreuliche Nachricht,
-dass der König die Pohlen bereits im Krakauschen geschlagen,
mithin die Expedition jetzt nicht mehr nötig sei8). Das Corps
marschierte also sogleich wieder links in die vorigen Quartiere bei
Sucharczew4) und
den 9. in seine Kantonnierungsquartiere bei Lowicz an der
Bzurra. Am Morgen dieses Tages ward von der Weichsel her eine
starke Canonade gehört.
Den 10. des Nachts musste sich alles parat halten, um beim
ersten Wink ausrücken zu können, indem sich der Feind in Blonnin
verstärkt hatte und ein Angriff auf Sucharczew zu vermuthen
war; da inzwischen nichts vorfiel, so wurden am Tage die Leute
wieder in die Quartiere verlegt.
Den 12. kam durch einen Courier vom Herzog v. Holstein
die Nachricht hier an, dass die Russen die Pohlen jenseits der
Weichsel total geschlagen hatten6), welches die Kanonade war, so
wir den 9. des Morgens gehört hatten. Diesen Morgen ward von des
Morgens 4 Uhr bis 7 Uhr wieder eine Kanonade gehört, wovon
man aber noch keine Nachricht hat.
Den 16. hörte man des Morgens um V45 Uhr in der Ent-
fernung von 1 Meile 2 Kanonenschüsse, worauf einige Flinten-
schüsse folgten, und unmittelbar darauf sah man ein grosses Feuer
aufgehen. Wir mussten daher sogleich ins Gewehr. Nachdem die
Kavallerie-Patrouillen wieder zurückgekommen waren, welche die
Nachricht brachten, dass Russen einen pollnischen Posten im Kloster
Minnovice vertrieben und das Kloster angesteckt hätten, gingen wir
wieder in unsere Quartiere. Die näheren Umstände hiervon sind
diese. Da russische Streifparthien verschiedentlich in pollnischem
Gebiet geplündert hatten, so rückte ein pollnisches Detachement bis
vor genanntes Kloster vor, von wo aus es auf preussischen Dörfern
Repressalien gebrauchte. Der General Bonin befahl also, dass, da
J) Kaczki, Woiwodschaft Kaiisch, Kr. Warta.
*) Bionie, Woiwodschaft Masovien, Kr. Lentscbitz.
3) Am 6. Juni hatte der König in dem Gefecht bei Szczefcociny (Woiwodschaft
Krakau, Kreis Pilica) die Polen geschlagen. Kosciuszko war aber nach Norden, also
in Richtung auf Warschau, entkommen. Karl gibt in sciuen Notizen den Verlust der
Polen auf aooo Manu und 16 Kanonen an.
*) Sochaczew.
ß) Schlacht bei Dubienka (Woiwodschaft Lublin, Kreis Hrubieszow).
268 Ernst von Schönfeldt
sie ohne Ordre die Gelegenheit hierzu gegeben, sie es jetzt wieder gut
machen sollten; er detachierte also aoo rassische Jäger, ioo russische
Dragoner, ioo Kosacken und a Kanonen unterm Major Wimpfen
(einen Sohn von Felix Wimpfen) zu dieser Expedition. Zu diesem
Endzweck brach also
den 15. des Abends dieses Detachement auf1) und griff
den 16. des Morgens das Dorf, worin die Pohlen, deren Zahl
man nicht genau angeben kann, waren, an. Diese zogen sich ins
Kloster zurück und verrammelten das Thor, welches aber sogleich
durch 2 Kanonenschüsse aufgeschlossen ward. Die Russen drangen
hierauf ins Kloster ein, töteten 2 Offiziere und 40 Pohlen und
nahmen 1 Offizier und 14 Mann gefangen und erbeuteten 1 Fahne. In-
zwischen soll, ohne denen, die sich vorher mit der Flucht gerettet
hatten, über die Hälfte im Kloster versteckt geblieben sein, indem
der Major Wimpfen, wegen der Annäherung von einem polinischen
Soutien mit 10 Kanonen, sich eiligst wieder zurückziehen musste. Die
hierbei von den russischen Truppen verübten Grausamkeiten sind für
disciplinierte Truppen unerhört. Sie hatten der Besatzung Pardon
versprochen, hernach aber a Offiziere und 40 Mann ohne Gnade
und Barmherzigkeit niedergemetzelt oder vielmehr geschlachtet.
Den Offizier und 14 Mann, so als Gefangene eingebracht worden
sind, hat der Major Wimpfen, ein sehr tüchtiger und rechtschaffener
Offizier, mit Gefahr seines eigenen Lebens gerettet a wehrlose
Mönche und verschiedene wehrlose Menschen, worunter Weiber
und Kinder sollen gewesen sein, haben sie ebenfalls gemordet und
am Ende das schöne Kloster und das Dorf angezündet Aus
folgendem können Sie sich eine Idee von dem Ton machen, der
unter ihnen herrscht. Nach dem Vorfall schickte der Major
Wimpfen einen Kapitän von die Dragoner mit der erbeuteten
Fahne an den General Bonin. Dieser kam nach Lowicz mit dem
erbeuteten Pferde von einem polinischen Offizier an der Hand und
die blutigen Kleider, sogar das blutige Hemde hinten auf das Pferd
gebunden, auf welches er ritt. Der Verlust der Russen soll ge-
ringer gewesen sein. Morgen kommt der Kronprinz hier an und
übernimmt das Kommando über dies Korps, welches, wie man
sagt, nächstens auf Warschau losgehen soll. Über diese Verände-
rung sind wir recht froh, denn bis jetzt hat Bonin sich nur
als ein ganz mittelmässiger General gezeigt, der nicht im mindesten
für die unter ihm stehenden Truppen gesorgt hat, indem wir kaum
unser Brod und Fourage bis jetzt erhalten haben. Die Relation des
Sieges, den der König über die Pohlen erfochten hat, werden Sie
') Karl fOgt erläuternd hinzu: Das Detachement marschierte Abends um 9 Uhr
bei der Mühle hinter Popow (Woiwodschaft Kaiisch, Kreis Warta) über die Blum,
ging in der grössten Stille Ober Arcadien und Niborow (Rbendort, Kreis Peisern) und
fiberfiel den Feind bei Tagesanbruch.
Aus bewegter Zeit 269
wohl aus den Zeitungen ersehen, wir haben noch keine ganz genaue
hjervon. Mit dem Regiment Alt v. Schwerin und dem Grenadier
Bataillon v. Bonin ist der König ausserordentlich zufrieden gewesen.
Das Regiment Klingkowstroem hat am meisten gelitten, indem es
allein 2 Offiziere tot und 6 verwundet hat. Dies Regiment hat durch
♦inen Fehler des Kommandeurs nicht frisch geladen gehabt; wie es
also die erste Bataillonssalve geben sollte, geht kein Gewehr los;
anfangs soll da« Regiment hierüber etwas decontenancirt gewesen
sein, hernach aber sich wieder zusammengerafft und mit dem Ba-
yonett auf den Feind losgegangen sein. Die Offiziere, die vom
Rgt. geblieben sind, sind der Kapt. Kalbow und der Lt. Bockelberg.
Vom Regiment Trenk wird allgemein der Major Platen, der letzte
3ohn vom verstorbenen G. L. Platen1). . . .
Im Lager von Potocki, den 28. Juni 1794.
Bester Vater ! Vor 3 Tagen habe ich den ersten Brief von Ihnen
erhalten, der wahrscheinlich seine eigene Tour muss gegangen sein, in-
dem er vom 10. Mai, a Tage nach unserem Ausmarsch aus Frankfurt also,
datiert war. Aus Frankfurt haben wir noch keinen Brief bekommen.
Den 22. haben wir unsere Kantonnierungsquartiere verlassen und andere,
näher an Sucharczew bezogen, indem 3 Kompagnien des 1. Ba-
taillons nach Kompin und 1 nach Potocki, 2 Komp. des 2. Batl.
nach Adlich Kozlow und 2 nach Bischöflich Kozlow (bei welche
letzteren ich stehe) kamen. Da Bischöfl. Kozlow ein Vorposten ist,
und wir weiter keine Truppen mehr vor uns hatten, so war diese
Tage Ober unser Dienst äusserst schwer. Alle Nächte mussten die
Officiers mit den Leuten angezogen bleiben und die Posten, die zu
-besetzen waren, besetzt behalten und flberdem starke Wachten, Pickets
und Patrols geben. Sie können also glauben, dass ich die Zeit über den
Rock nicht vom Leibe bekommen habe, und dass wir bei der ent-
setzlichen Hitze, die wir seit einigen Tagen haben, viel ausgestanden
haben. Hierzu kommt noch, dass bei dem Staub meine Augen
wieder sehr schlimm geworden sind. Gestern haben, wie Sie aus
Überschrift ersehen werden, 2 Bataillons v. Bonin, unser 1. u.
2. Batl, eine reitende Batterie und 3 Eskadrons v. Brückner ein
Lager auf dem halben Wege von Lowicz nach Sucharczew be-
zogen und in ein paar Tagen geht es auf Warschau los, da der
König bereits sich genähert hat8). Kosciuszko ist über die Weichsel
gegangen und hat sich dadurch die Communikation mit Warschau
wieder eröffnet. Die 6000 Pohlen, die unterm General Dombrowsky
0 Die Fortsetzung des Briefes fehlt.
*) Die Hauptannee war den entkommenen Polen auf Warschau gefolgt, aber
•durch zu npflten Aufbruch und durch die unwegsame Lysa Gora aufgehalten, erreichte
«ie die Polen niiht mehr vor der Pflica; Kosciuszko überschritt am 04. Juni bei Warka
<Woiwodschaft Masovien, Kreis Czersk) ungehindert den Plus». Die Hauptarmee setzte
ihren Vormarsch auf Warschau Ober Opoezno fort.
270 Ernst von Schönfeldt.
bei Blonnin gestanden haben, haben sich schleunigst nach Warschan
zurückziehen müssen, jetzt, da sie einen allgemeinen Angriff auf
Sucharczew1) und Lowicz unternehmen wollten. Vorgestern sind
sie inzwischen wieder in Blonnin8) angekommen und haben einige
preussische Dörfer ausgeplündert.
Den 23. ist unser Gesandter aus Warschau angekommen. Da
wir wahrscheinlich jetzt werden packen müssen, so habe ich mit
meinen Pferden eine starke Veränderung vorgenommen. Die fuchs-
braune Stute habe ich gegen ein anderes Pferd, das zum Packen
tauglich ist, vertauscht, es ist zwar ein Pferd von sehr wenig Figur,
allein stark und gedrungen und im 8. Jahre. Auch habe ich auch
ein Beipferd für ao Thaler zum Packen gekauft, um nicht zu
riskieren, bei der Hitze das Pferd zu drücken und sodann alle meine
Sachen im Stich zu lassen. Es ist ein kleines russisches Kosacken-
pferd, mit welchem ich bis jetzt noch sehr zufrieden bin. Das
Geld hierzu habe ich mich von Karl geborgt. Dieses Geld bitte ich
ganz gehorsamst der Frau Generalin3) in Frankfurt gegen eine
Quittung zu restituieren, wo es sich Karl vom General wieder kann
bezahlen lassen. Ich bitte Ihnen blos, dieses mir als einen Vor-
schuss zu geben, denn da ich glaube, dass ich meine Pferde bei
unserer Zurückkunft nach Frankfurt werde gut bezahlt bekommen,
so will ich es Ihnen mit dem kindlichsten Dank wieder erstatten.
Den 1. July. Verzeihen Sie, dass ich abgebrochen und, wie
Sie sehen, etwas konfus geschrieben habe. Allein da ich in
5 Nächten nicht geschlafen hatte und keinen Rock vom Leibe be-
kommen hatte, so war ich so entsetzlich müde, dass ich es nicht
länger aushalten konnte. Die 20 Thaler mir vorschussweise zu re-
stituieren, bitte ich Ihnen nochmals recht sehr, da Karl in den Fall
kommen kann, auch Geld zu gebrauchen.
Den 30. Juny des Vormittags um 10 Uhr ist das Dragoner-
Regiment v. Frankenberg (ehemals Grf. Finkenstein) auf dem linken
Flügel ins Lager gerückt4). Es hat beim Korps des Gen. Lt Schön-
feldt gestanden und auf dem Marsch verschiedene kleine Scharmüzel
gehabt7 Des Nachmittags um 3 Uhr wurden in der Nähe einige
Flintenschüsse gehört, und kurz darauf kamen 2 Dragoner an-
gesprengt mit der Nachricht, dass die Pohlen attaquierten; uro
nähere Nachricht hiervon zu haben, wurden sogleich starke
Patrouillen ausgeschickt, die aber nichts mehr vom Feinde antrafen.
Die Ursach hiervon war folgende. Der Lt. v. Quitzow vom
*) Sochacicw.
3) Btonie, Woiwodschaft Masovien, Kreis Btonie.
3) Generalin von Zenge, Mutter der Braut Heinrichs v. Kleist.
*) Dies Regiment, das bisher dem Gen. Lt. v. Schönfeldt — der den Oberbefehl
nördlich der Weichsel übernommen hatte — unterstellt war, wurde auf Befehl de»
Königs an das Kronprinzliche Corps abgegeben.
Aus bewegter Zeit. 27 1
Regiment Brückner, der mit 30 Pferden einen Posten t Meile
vorwärts zu besetzen commandiert war, ward, da das Dorf mitten
im Walde liegt, von 300 Pohlen attaquiert, ehe er mit seinen Leuten
zu Pferde kommen konnte. Er besetzte also sogleich die Thüren
des Stalles und feuerte mit der Hälfte des Kommandos, während
die andere Hälfte sattelte, und so wehren sie sich, bis das ganze
Commando zu Pferde ist. Er haut sich hierauf mit 11 Mann, da
die Vedetten, indem eben abgelöst wurde, versprengt waren, und
er verschiedene detachiert hatte, durch, setzt sich wieder und wirft
sie wieder aus dem Dorfe heraus, wird aber wieder zurückgedrängt ;
er setzt sich nochmals, wirft sie wieder zum Dorfe heraus und be-
hauptet seinen Posten, bis er tags darauf abgelöst ward. Seine
Entschlossenheit und Gegenwart des Geistes wird allgemein be-
wundert. Von seinem Commando sind 3 Mann todt, 2 blessiert und
1 gefangen, und er hat seine ganze Equipage zu Pferde verloren.
Von den Pohlen sind einige 20 Mann geblieben.
Den t. July bekam der Prinz die Nachricht, dass der Major
Streithorst, der 2 Meilen von hier steht, attaquiert wurde. Das
1. Bataillon v. Bonin, 3 Eskadrons v. Frankenberg und 2 reitende
Canonens wurden daher sogleich zum Securs kommandiert, sie trafen
aber auch nichts mehr an.
Karl und Leopold Kleist sind frisch und gesund. Der Mutter
bitte ich gehorsamst meinen kindlichen Respect zu versichern,
Karoline küsse ich und bin mit der ungeheuchelsten Hochachtung
Ihr gehorsamer Sohn
W. v. Pannwitz.
Über die nun folgende Zeit ist ein Bogen aus Karls
Tagebuch erhalten, der hier eingeschaltet werden möge.
Wenn auch die Fortsetzung von Wilhelms Briefen oft
dieselben Tatsachen behandelt, so ist es trotzdem in-
teressant, auch Karls Notizen zu lesen, da sie einige neue
Einzelheiten enthalten. Bei direktem Widerspruch zwischen
den Aufzeichnungen beider Brüder möchte ich aber auf
Wilhelms Seite stehen, da die ganze Art und Weise von
Karls Tagebuchführung etwas verworren ist. Ich setze
dies Tagebuchblatt — übrigens das letzte, das erhalten
ist — vor Wilhelms Briefe aus derselben Zeit, da es
kürzer gefasst ist. Bevor sich der Leser aber ein Bild
macht, bitte ich, erst Wilhelms Briefe auch zu lesen.
272 Ernst von Schönfeldt.
Den 7. Juli brach das Korps in 1 Kolonne auf*). Das Grenadier-
Bataillon v. Amandriez, 4 Esk. von Trenk nebst der reitend»
Batterie machten die Avantgarde und bezogen das Lager bei Grodzick^,
einem kleinen Städtchen 2 Meilen links von Bionnin*), wo der Feiad
mit einem Korps von 12 000 Mann unter dem General Mockronowatj
das Defile nebst den Fluss besetzt hatte, wo der General Ebner
mit 6 Bataillonen und 6 Eskadrons ihm entgegen von der Armee
des Königs detachiert war, nm ihn in echec zu halten, weil man
seine eigene Stärke nicht wusste, und damit er unsere Vereinigung
mit dem Konige nicht hindern könnte. Der General Eisner kanno-
nierte ihn blos mit 6 Haubitzen, doch da der Feind gut verschanzt
war und vor der Brücke eine Schanze aufgeworfen hatte, so be-
antwortete ihn dieser sehr gut, und schoss uns sehr viel Leute zu
Schanden. Den 8. wurde das Elsnersche Korps vom Feind mit
30 Kanonen selbst attaquiert und versuchte, seine Retraite zum
Korps des Kronprinzen zu bewerkstelligen, um ihm seinen linken
Flügel mit seiner ganzen Kavallerie zu tournieren. Doch nach
einer starken Kanonade, wo die Walterschen Schützen (300) nebst
dem Soutien vom Kronprinzen (xl2 reitende Batterie und 5 Eskadrons
Frankenberg) die Kavallerie zurückgehalten hatte, geht der General
v. Eisner in einer guten Disposition etwas zur Armee des Königs
zurück. . .
Heute früh hörten wir eine starke Kanonade beim Schönfeldt-
sehen Korps jenseits der Weichsel, welches eine Demonstration
gegen Warschau machen sollte4). Um 8 Uhr des Morgens bekamen
wir Marsch -Ordre, und wir brachen um 10 Uhr in einer Kolonne auf,
um zu der Armee des Kronprinzen zu stossen, welche über Radom6)
und Rawa6) Kosciuszkon nachfolgte, ihn in einer Entfernung von
6 Meilen von Warschau einholte, der ihr aber nicht Stand hielt,
sondern sich in seinen Retran ehernen ts bei Radzin7) festsetzte.
Ein russisches Korps, das am linken Ufer der Weichsel stand,
unter dem General Fersen und Denisow, und an unseren rechten
Flügel stiess, hatte spät gegen 9 Uhr eine Kanonade, um den
Feind zu delogieren, welcher unsere rechte Flanke bedrohte,
erreichte aber nichts.
Um 12 Uhr des Nachts brachen 2 Bataillone von Franken-
ben?» 3 von Armandriez, 5 Esk. v. Brückner, 5 v. Czetteritz, 3 v. Würtem-
J) Der Krenprinz hatte den Befehl bekommen, eine Verbindung mit der Armee
des Königs herzustellen.
*) Grodzisk, Woiwodschaft Masovicn, Kreis Blonie.
■OS.aör. ,
*) Bei Biala hatten Teile des Schonfeldtschen Corps unter dem Gen. Goatfcer
die Polen angegriffen, waren aber nach sehr verlustreichem Kampfe zurückgegangen.
*) Woiwodschaft Sandomir, Kreis Radom.
6) Woiwodschaft Masovien, Kreis Rawa.
T) Raszyn, SW. v. Warschau.
Aus bewegter Zeit. 273
berg Husaren nebst der j
reitenden Batterie in 2 Ko- 4t|
tonnen unter dem General £ *
Götz auf, um den Feind •* 4 O
m seinem festen Lager ^ r^ C^* ^
bei Radczin zu recognos- jofylW^ <^2>^y^
eieren. Nach einstündiger , a ^& ^W ^
Kanonade zog ersieh zurück ^^— £2\f^w^^^'^£
nach dem Waide bei der ^^^Vj^^^^^
Armee des Königs. Wir
hatten einen Verlust von
paar Todten und etlichen
Blessierten, (s. Skizze.)
Um 7 Uhr Abends Qjjgjl «^»/""^o*^
brach die ganze Armee des 3*$^«* 3*? ; ' *% v
Königs nebst den Russen **\ \ %^ ^^»«0 — \ J
in der grössten Stille in j^ \ ^ A ^ÜSto» «^ ,'
2 Kolonnen auf, die 1. unter
«lern Könige selbst ging rechts,
die 2. unter dem Kronprinzen ^ J-
.ging links. Das ganze ver-
sammelte sich i1^ Meilen
von Nadrczin1). Der König
mit der Avantgarde setzte
sich dicht vor Radczin, und
alles blieb die ganze Nacht
unter dem Gewehr stehen.
Früh morgens brach alles
wieder in 2 Kolonnen auf,
um das feste Lager bei Radczin anzugreifen, nachdem die Russen ihren
rechten Flügel tournieren sollten. DochKosciuszko hatte, nachdem er alle
seine Brücken hinter sich hatte abwerfen lassen und des Nachts aus
seinem Lager herausgezogen war, sich dicht vor Warschau gesetzt.
Es nahm also die ganze Armee ein Lager hinter Radczin, auf einer
sanften Anhöhe, vor uns ein Defitee mit einem Flusse und Radczin,
wo die Avant-Garde stand. Die Russen waren wieder auf dem
rechten Flügel und formierten eine Art von Flanke.
Den 12. hatte die ganze Armee Ruhtag.
Den 13. brach die ganze Armee in 4 Kolonnen auf. Die 1.
unter dem Kronprinzen ging durch Radczin, die 2. unter dem
Könige selbst ging bei der Meierei über den Fluss links, die 3.
unter dem Prinzen von Würtemberg ging ganz links, und die 4,
machte die sämtliche Bagage aus. Das Korps des General v. Eisner.
') Nadarzyn, Kreis Warschau.
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Prov. Posen. Jahrg. XIX. 18
274 Ernst von Schönfeldt.
nachdem sich der General Mockronowski von Blonnin1) zurückgezogen
hatte, ging am linken Ufer der Weichsel fort. Bei der Bagage
blieb das Dragoner-Regiment v. Frankenberg und 2 Bataillone
von Hollwede. Die Artillerie war in den Kolonnen brigadeweise
vertheilt. Der Vereinigungspunkt war im Walde bei Opalin2) und
alle Kolonnen, ausser der 4. und dem Eisners chen Korps, vereinigten
sich 1. Meile vor Warschau. Es wurde mit Divisionen aufmarschiert,
und die ganze Infanterie, ausser der Avantgarde, setzte sich in einer
Linie, die ganze Kavallerie nebst der Avantgarde und der reitenden
Batterie besetzte die Anhöhen, nachdem sich Kosciuszko in seine
Retranchements links am Walde, als auch vor der Stadt festgesetzt
hatte. Es wurde etwas kanoniert und 2 Offiziere und etliche Ge-
meine zu Gefangenen gemacht; wir verloren dabei einen Husaren
und hatten etliche Blessierte. Dann blieb alles ruhig. Die Armee
ging dann l\4 Meile hinter den Anhöhen in 2 Treffen bei dem Dorfe
Opalin, welches wir im Rücken hatten, ins Lager, sodass Warschau
von der Abendseite beinah eingeschlossen wurde. Die Anhöhen
wurden blos von Kavallerie- Pickets, fliegenden Kanonen und
Schützen besetzt.
Den 14. wurde blos charmützieret und wir hatten blos von
uns ein paar Blessierte.
Der 15. war dazu bestimmt, die Insurgenten aus dem Dorfe
Beiina3) und dem Walde herauszutreiben, dazu der General Eisner
mit seinem Korps bestimmt war. Zu demselben Falle rückten auch
die Grenadier-Bataillone vom 1. Treffen, nehmlich v. Klinckowstroem
und v. Frankenberg und v. Schwerin nebst 5 Eskadrons v. Prittwitz
des Nachts auf die Anhöhen vor Warschau aus, um dort Aufmerk-
samkeit zu zeigen. Doch der General v. Eisner, da er sah, dass
der Posten zu gut besetzt war, zog sich zurück und es blieb blos
beim charmützieren unserer Schützen und Husaren mit den feind-
lichen.
Den 16. befand sich alles ruhig.
Den 17. war eine starke Kanonade bei dem Schönfeldtschen
Korps, das den Narew besetzt hatte, und dauerte von des Morgens
um 5 Uhr bis 9 Uhr.
Den 18. gingen 2 Bataillone v. Hollwede ab, um das Be-
lagerungsgeschütz, das von Graudenz kam und aus 4 Mörsern und
10 25pfündigen Haubitzen bestand, zu escortieren. Unterdess wurde
am 19. und 20. stark an Faschienen gearbeitet, die zu den neu-
errichteten Batterieen dienen sollten.
J) Blcraie.
2) Opalen, WNW. v. Warschau.
::) Bielany, N. v. Warschau.
f Aus bewegter Zeit. 275
Den ao. war wieder eine starke Kanonade beim Schönfeldt-
schen Korps, und des abends wurde raportieret, dass der Gen. Maj .
v. Günther denen Insurgenten 5 Kanonen und 600 Gefangene ab-
genommen hätte1).
Den 21. griff der General-Major v. Günther abermals die
Pohlen an und nahm 2 Kanonen ihnen ab.
Den 23. war eine starke Kanonade selbst, es fing von ihrem
rechten Flügel bei Mariemont2) an und ging um ihre ganze Chaire ;
man vermuthete, dass sie ihre neue Stücke probierten.
Den 25. brach die ganze Armee ganz stille des Nachts um
12 Uhr auf und ging in 2 Kolonnen rechts abmarschiert durch einen
grossen Bogen den Weg nach Wola3), nachdem es sich das Elsner-
sche Korps an sich gezogen hatte. Das Rendez-vous für beide Ko-
lonnen war hinter dem feindlich besetzten Dorfe Wola. Um eben
die Zeit brachen auch die Russen auf, und nachdem die Armee
um 2 Uhr des Morgens hinter Wola aufmarschiert war, setzten
sich die Russen auf unseren rechten Flügel, so dass ihr rechter
Flügel an die Weichsel stiess. Das Batl. Oswald, 5 Eskadrons
v. Trenk nebst der reitenden Batterie des Lt. v. Holzendorff
schmissen den Feind aus dem Dorfe Wola, nachdem sie 1 Major
und 50 Gefangene gemacht hatten, und besetzten es nebst den
Walterschen Schützen. Gegen 6 Uhr ging die Armee, nachdem der
Feind uns mit Haubitzen beschossen und wir den Rittmeister
Göhlen und etliche Husaren v. Czetteritz verloren hatten, ins Lager
1000 Schritt hinter Wola, so dass unser rechter Flügel hinter dem
Dorfe an die Russen stiess, dieses aber von dem Batl. Hinrichs
besetzt war, der linke aber eine Art von Flanke bildete und wo
unsere ganze Kavallerie, ausser den Regimentern Würtemberg und
Trenk, und etliche leichte Battaillons die Flanke formierten. Gegen
8 Uhr des Morgens griff der Feind unter dem Schutz seiner
Batterien das Dorf förmlich an, nachdem eine Linie feindl. Kavallerie
rechts dem Dorfe unsere Vorposten drängte und den Angriff unter-
stützte. Er zwang sogar das Bataillon v. Oswald, nachdem es
einigen Verlust erlitten, sich zurück zu ziehen, doch so gleich
kamen von unserem linken Flügel 2 Bataillons von Amandriez zum
Succurs und 3 Bataillons v. Frankenberg soutenierten sie und
nahmen das Dorf nach einem Verlust von 30 Todten und Blessierten
wieder ein. Des Abends um 9 Uhr gingen das 2. Bataillon
v. Frankenberg und 2 Bataillons v. Bonin zur Ablösung des Ba-
taillons v. Oswald und 2 v. Amandriez nach Wola.
!) Schönfeldt drängte in einer Reihe von Gefechten, besonders bei Dembniki^
die Polen auf Warschau zurück, um dadurch die Operationen des Königs zu erleichtern
*) Marymont, NNW. v. Warschau,
s) WSW. v. Warschau.
16*
IJÜ Ernst von Schönfei dt
Den a6. des Morgens tun 8 Uhr löste das 1. und Grenadier-
Bataillon v. Frankenberg and das a. v. Schwerin die Dorfbesatnag
ab. Es verhielt sich von beiden Theilen so ziemlich ruhig, ausser
-denen feindlichen Jägern, welche sich an den ausgestellten Schntzen-
posten heranschlichen, doch wurden sie von den Walterschen Ba-
taillonsschützen zurückgetrieben. Bei den einzelnen Kanonenschüssen,
-die geschahen, verlor das Grenadier-Bataillon v. Frankenberg 1 Toten
und hatte a Blessierte. Auch brachen denselben Tag a Bataillon*
von Hollwede nach Lowicz auf, um die Bzurra wieder zu besetzen,
weil der General Mockronowsky, der bei Mariemont stand und
alles weggezogen fand, auf der Anhöhe, wo unsere Vorposten ge-
standen, ein Lager aufgeschlagen und das Dorf Oppalin besetzt hatte«
und so uns theils in die Flanke, theils in Südpreussen einzufallen
-drohte. Deswegen ist meist unsere ganze Kavallerie auf unserem
linken Flügel.
Den 37. Diese Nacht war zur Eröffnung der Trencheen
bestimmt1); es gingen darnach gegen 9 Uhr per Bataillon 400 Ar-
beiter, 1 Capitftn und a Subalterne zur Eröffnung der Trencheen
bei Wola unter der Direktion des Obersten Freund vom Ingenieur-
-Corps dahin ab. Zur Bedeckung blieb das a. Bataillon von Rnks
Doch da alles beim Ort der Bestimmung war, so feuerten die
Schützen von Amandriez, welche ins Korn postiert und nicht »ver-
tieret waren, auf unsere Arbeiter, so dass alles in der grössten Con-
fusion war, und alles floh mit Hinterlassung des Schanzzeuges in
<ier grössten Confusion zurück. Den anderen Morgen kehrte der
-Oberst von Freund nach Neisse retour1). Auch war die ganze
1. Linie im Gewehr.
Den 38. wurden per Bataillon aoo Arbeiter, 1 Capitan und
3 Subalterne kommandiert, um die misslungenen Trencheen aufs
neue zu eröffnen. Der Feind, der da glaubte, sie würden auf unseren
rechten Flügel angefangen werden, zündete daher ein Dorf nebst
^inem Vorwerk bei Warschau an. Es wurden daher, weil das Feuer
einen zu hellen Schein gab, die Arbeiten um ia Uhr erst ange-
fangen, und die erste Parallele nebst 3 preussischen Wurf-Batterieen
und 1 russischen Demontier Batterie kamen glücklich zu Stande.
Gegen Morgen merkte der Feind unsere Absicht, daher machte er
-ein sehr starkes Feuer auf uns, vorzüglich mit Leucht- und Brand-
Kugeln.
Weitere Notizen von Karl sind leider nicht vor-
handen. Es folgen nun wieder Wilhelms Briefe.
*) \%\. S. 287 Anm, i.
Aus bewegter Zeit. 277*
Im Lager bei Oppalin, den ai. Juli 1794«.
Bester Vater! Verzeihen Sie, dass ich so lange Ihnen keine Nach«
rieht mitgetheilt habe, denn da wir immer vermutheten, zur Action zu
kommen, so wollte ich es so lange aufschieben, bis ich Ihnen was wichti-
geres schreiben könnte. Meinen letzten Brief aus dem Lager bei Potocki1)
werden Sie wohl erhalten haben. Den 4. Juli bekam das Corps des-
Kronprinzen die Ordre, zur Armee des Königs zu stossen. Zu diesen*
Behuf brach es den 5. auf und bezog ein Lager bei Wiskitny8) auf
pollnischem Grund und Boden. Auf dem Marsch stiess noch unser
Grenadier-Bataillon und das von Amandriez nebst 2 Eskadrons von
Brückner und 4 v. Trenk zu uns. Den 6. brach das Corps wieder
auf und bezog ein Lager bei Grodzick8). Auf dem Marsch hörten
wir eine starke Kannonade beim Elsnerschen Corps, das gegen Blonin4>
stand, und da selbiges von den Pohlen unter dem General Joseph
Poniatowsky gedrängt wurde, so stiess noch den nämlichen Tag das
Regiment Frankenberg Dragoner nebst der halben reitenden Batterie
zu ihm. Den 7. hatten wir Ruhetag.
Den 8. des Vormittags um 11 Uhr brach das Corps wieder
auf und vereinigte sich des Abends um 6 Uhr bei Nadrczin6) mit
der Armee des Königs. Da die Pohlen sich von Blonnin zurück-
gezogen hatten, so stiessen das Dragoner-Regiment v. Frankenberg
und die halbe reitende Batterie wieder zu uns. Des Nachts um»
13 Uhr bekam das Regiment Amandriez, unser 1. und a. Bataillon,,
die Dragoner v. Brückner und 8 Schwadronen Husaren theils von
Czettritz, theils von Würtemberg und die halbe Batterie die Ordre,
eine Recognoscirung unter dem General Goetz vorzunehmen. Ko-
sctuszko stand eine Meile von uns hinter dem Städtchen Radczhu
Mit Tages Anbruch fielen die ersten Schüsse von den Flankeurs.
Das Regiment Amandriez marschierte hierauf nebst den 8 Schwadrons
Husaren auf und kannonierte die polinischen Aussenposten bis
in Radczin, wo sie sich hinter das dortige äusserst difficile Deiilee
setzten. Wir marschierten ebenfalls mit den 5 Eskadrons v. Brückner
auf und unterstützten den Angriff. Von beiden Seiten ward hierauf
kannoniert, während welcher Zeit der General Goetz Kosciuszkos
vortheilhafte Stellung rekognoscierte. Um 7 Uhr zogen sich die vor-
gerittenen Bataillons und Eskadrons durch uns durch, und wir
deckten den Rückzug, wozu uns die Pohlen ganz ruhig Hessen.
Unser Verlust bestand in 3 Todten und 8 bis 9 Blessierten und
einigen Pferden. Ein Husaren Offizier von Czettritz hatte einen
Hieb ins Genick, und der Lieutnant Fiebey von der reitenden Batterie
*) Patoki, Woiwodschaft Masovien, Kr. Sochaczew.
*) Wiskitki, ebendort.
*) Vgl. S. 072, Anm. 3.
*) Blonie.
6) Vgl. S. 273, Anm. 1.
278 Ernst von Schönfeldt.
«ine Contusion in der linken Lende bekommen. Da wir durch eine
kleine Anhöhe gedeckt waren, so hatte das Regiment keinen Ver-
lust. Da sich ohnmittelbar darauf Kosciuszko wieder zurückgezogen
hatte, so brach des Abends um 8 Uhr die ganze Armee in 2 Ko-
lonnen auf und blieb vor Radczin unterm Gewehr bis zum Anbruch
<ies Tages, wo selbige das D£filee passierte. Da aber die Absicht
des Königs war, die Pohlen in die linke Flanke zu umgehen, so ging
■eine Stunde darauf die Armee über das D6fil6e wieder zurück und
bezog ein Lager diesseits Radczin; die Avant Garde blieb jenseits
<ler Stadt. Den 13. des Morgens brach die Armee in 4 Kolonnen
auf, bis auf die Avant Garde, welche aus dem Regiment Graf von
Anhalt und den Dragonern von Frankenberg besteht, welche auch
noch auf ihrem Posten bei Radczin steht, und zog sich ganz links
weg nach der Strasse von Blonnin auf Warschau. Bei Oppallin,
eine kleine Meile von Warschau, marschierte die Armee in 2 Treffen
auf; da sich aber Kosciuszko in die Verschanzungen von Warschau
geworfen hatte, so war kein Angriff zu unternehmen. Die Armee
bezog also ein Lager mit dem linken Flügel bei Oppalin. Der rechte
Flügel ist an einer Anhöhe gelehnt. Zwischen der Weichsel und
Oppalin steht der General Elsner. Die Pohlen stehen nur eine kleine
halbe Meile von unserem Lager in einem so festen Lager, dass an
gar keinen Angriff mit stürmender Hand gedacht werden kann,
sondern Warschau soll förmlich blockiert werden. Es werden da-
her alle Anstalten zu einer Belagerung getroffen, und man erwartet
nur noch die schweren Geschütze von Wyszogrod1). Der rechte
Flügel der Pohlen hat sich in einem Wald verschanzt, aus* welchem
sie nothwendig noch vor der Blokade vertrieben werden müssen;
wir haben also in ein paar Tagen eine scharfe Action vor uns. Da
zu einer Belagerung zu wenig Ingenieur- und Artillerie Offiziere
bei der Armee sind, so sind zu diesem Behuf Offiziere aus den
Regimentern genommen worden, um bei dem Trencheen und
Batterie Bau zu dienen. Unter letzteren befinde ich mich auch,
und zu diesem Behuf haben wir gestern und vorgestern Probe
Batterien bauen müssen. Der Himmel gebe nur, dass wir im se-
rieusen nicht dazu gebraucht werden, denn die erfahrensten Artillerie
Offiziere halten dies für die schwerste Sache ihres Dienstes, weilen
eine Batterie in einer Nacht 1800 Schritt von den feindlichen Werken
und unterm feindlichen Feuer erbaut werden muss. An meiner
möglichsten Bravour und Fleiss soll es zwar gewiss nicht fehlen,
allein ist man mit Tages Anbruch nicht fertig, so riskiert man Ehr
und Reputation dabei zuzusetzen.
Übrigens geht es uns noch recht gut. Unsere Leute haben
Fleisch und Gemüse vollauf. Der Himmel bewahre uns nur vor
') Woiwodschaft u. Kreis Plock.
Aus bewegter Zeit. 279
<ier Ruhr, die schon in den anderen Regimentern eingerissen ist.
■Gestern ist der General Graf Schwerin wieder zur Armee gekommen.
Meine Pferde stehen etwas im Kropt, da ihnen das Fouragieren nicht
recht behagen will. Karl ist mit seinen Pferden frisch und gesund.
Der Mutter, der Tante Massow und denen Cousinens, die wahrschein-
lich noch in Gulben sein werden, bitte ich mich gehorsamst zu em-
pfehlen, Karolinen küsse ich dabei. Mit der unausgesetzten Hoch-
-achtung Ihr gehorsamer Sohn
W. v. Pannwitz.
Im Lager bei Wola, den 17. August 1794.
Bester Vater! Wir stehen noch auf unserem alten Fleck und
werden wahrscheinlich noch ein paar Wochen aushalten müssen, da der
König eher nichts unternehmen will, bis er das nachbeorderte schwere
Geschütz, welches mit Vorspann aus Schlesien kommt, heran hat. Die
Wuth sich einander zu karinonieren, hat daher sehr nachgelassen ; bis vor
-ein paar Tagen geschah aus jeder unserer Batterien alle viertel
Stunde ein Schuss; dies ist aber gänzlich eingestellt worden, indem
die Parallele zu weit ist, um dem Feind einen zweckmässigen Schaden
zu verursachen, und ist blos auf Ausfälle und feindliche Arbeiten
eingeschränkt worden. Auch das feindliche Feuer hat sehr nach-
gelassen. In der Nacht vom 13. zum 14. kannonierte der Feind sehr
heftig aus allen seinen Batterien und griff zu gleicher Zeit ein Dorf
auf unserem linken Flügel, das vom Bataillon Pelel besetzt war,
an, ward aber zurückgeschlagen. Da dies vermuthen liess, dass er
unsern linken Flügel tournieren wollte, so brach den 15. der Gene-
ral Goetz mit 8 Bataillons und 6 Eskadrons von hier auf und be-
setzte die Anhöhe bei Oppalin, um den rechten Flügel des Feindes
en e*chec zu halten. Im Belagerungs Depot und im Laboratorio
wird inzwischen fleissig gearbeitet und es ist daher gewiss, dass
die 2. Parallele eröffnet werden wird, sobald das Geschütz heran
ist. Für bessere Sicherheit werden längs der ganzen Front der
Armee Retranchements angelegt. Seit meinem letzten Briefe haben
wir nur (nämlich das Regiment) 2 Blessierte gehabt, wovon einer
bereits gestorben ist. Merkwürdig ist es, dass unser Regiment das
einzigste in der Armee ist, welches noch keine Desertion gehabt
hat. In Warschau selbst werden nach Aussage der Deserteurs die
Lebensmittel sehr knapp; ein Beweis hiervon ist dieses, dass gestern
2 Deserteurs von den Dragonern v. Frankenberg wieder zurück-
gekommen sind und sich ihrer Strafe freiwillig unterworfen haben,
indem es in Warschau nicht zum Aushalten sein soll. Man be-
wundert hier allgemein in Kosciuszkon den ausserordentlich grossen
Mann. Von Szczekociny, wo er total geschlagen ward, bis hierher
hat er mit einer ganz ungeübten und zusammengerotteten Armee
fl8o Ernst von Schönfeldt
einen so meisterhaften Zurückzag gewagt, dass er beinahe nicht eine«
Mann verloren hat, ohngeachtet die Armee ihm bestandig auf dem
Foss gefolgt ist Seine Retranchements sind so vortheilhaft angelegt^
dass ein Angriff mit stürmender Hand gar nicht mit der Aussicht
eines glücklichen Erfolges zu unternehmen ist Den 13. hat er den
General Mokronowsky mit 10 000 Mann dem russischen General Der-
felde, der Wilna und Grodno weggenommen hat, entgegengeschickt
Man kann gar keinen traurigeren Anblick denken, als die
hiesige Gegend darstellt Mehr wie 8 Dörfer, die vor der Front der
beiden Armeen stehen, sind abgebrannt worden durch feindliche Haubitz
Granaten. Was noch ist stehen geblieben, ist von uns eingerissen
worden, um Holz zum Kochen zu erlangen; woran es der Gegend
fehlt Zurückgebliebene Hunde sind die einzigen Geschöpfe, die
auf die Stellen, wo Dörfer gestanden haben, zurückgeblieben sind.
Vorzüglich ist es um das schöne Dorf Wola, bei welchem die
Könige von Pohlen gewählt werden, schade. Von diesem Dorfe,
wo ein recht schönes Schloss und ein sehr schöner Garten war,,
sieht man fast nichts mehr, als die Kirche und die Stellen, wo die
schönsten Landhäuser gestanden haben. Sechs Tage, nachdem wir
hier angekommen waren, fand man in einer Scheune eine unglück-
liche, fast verhungerte Familie von einer Frau und 4 Kindern, deren
Vater bei der Wegnahme von Wola erschossen worden war, und
die sich dort so lange aus Furcht versteckt gehalten hatte.
Ausser Schwemler und Sommerfeld, die schon fast ein
paar Wochen krank sind, ist beim Regiment alles frisch und gesund ;
ersterer lässt sich Ihnen allerseits gehorsamst empfehlen, sowie auch
Karl und Leopold Kleist, welche ebenfalls gesund sind. Letzterer
hat alle möglichen Gerichte essen gelernt, da er sonst zum grossen
Verdruss der Tante sehr wählte.
Unsere Pferde sind noch im besten Stande; allein meine
Strümpfe desertieren gewaltig, und zu meinem grössten Schreck
habe ich neulich gefunden, dass ich alle meine wollenen Strümpfe,
die ich jetzt bei den kühlen Nächten in den Trenchen sehr gut
brauchen könnte, in Frankfurt vergessen habe. Wollten Sie daher
wohl die Güte haben und mir wenigstens letztere sobald als mög-
lich nachschicken. Auch ein Hemd habe ich schon zu Schnupf-
tüchern zerschneiden müssen.
Meiner guten Mutter bitte ich meinen kindlichen Respect zu
versichern. Sowie auch an Tante Massow und denen Kousinen,
wenn selbige noch in Guiben sind, wo nicht, so bitte ich ganz ge-
horsamst, ihr diesen Brief zu kommunizieren. Karolinen küsse ich
und bin mit der unausgesetzten Hochachtung Dir gehorsamer Sohn
W. v. Pannwitz.
NB. In Cottbus ist die Nachricht, dass der Sohn vom Sattler
Sikkel todtgeschossen sein soll; da dieser aber noch frisch und ge-
sund ist, so können Sie den Eltern gelegentlich dieses wissen lassen.
Aus bewegter Zeit. 281
Im Lager auf dem langen Berge vor Warschau, den 29. Aug.
1794, beim Corps des Generals v. Goetz.
Mein lieber Bruder1)! Es wundert mir gar nicht, dass
Ihr in Berlin schon seit 4 Wochen die Nachricht von der
Einnahme von Warschau erwartet, da wir selbst vor 5 Wochen
schon glaubten, drinn zu sein. Allein es scheint noch in
weitem Felde zu sein, da wir 4 Wochen geschossen und ge-
arbeitet haben, um näher zu kommen, und die Stadt noch nicht
reichen können. Die Nachrichten bis zu Anfang dieses Monats wirst
Du wohl von Vater erfahren haben, wenigstens bat ich ihn darum,
sie Dir mitzutheilen. Seit dieser Zeit ist das schwere Geschütz,
welches wir erwarten, angekommen, allein bis jetzt ist es nur dazu
gebraucht worden, den langen Berg wieder zu nehmen, den wir,
als wir im Lager bei Oppalin standen, besetzt hatten, als wir aber
nach Wola marschierten, ihn verliessen, ohne daran zu denken, dass,
wenn der Feind sich auf selbigem festsetzt, er in unserer linken
Flanke kam. Dieses geschah denn auch, er beschoss uns von sel-
bigem unsere Parallele bei Wola nach Herzenslust; Goetz musste
also mit dem Rgt. Hoilwede, dem Batl. Oswald, den Dragonern von
Frankenberg und 3 Schwadrons Husaren von Wola aufbrechen und
sich bei Oppalin setzen, um den Feind gegen unsere linke Flanke
in echec zu halten. Den 22. wurden die Approchen gegen den
langen Berg vom Dorfe Gurze 2) aus eröffnet, allein man beging nun
den kleinen Fehler, anstatt die Batterien 1800 Schritt vom Feinde auf zu-
werfen, waren wir, wie das Ding bei Tage besehen ward, nicht mehr
wie 2500 Schritt vom Feinde ab; man konnte ihn also mit dem
Wurf Geschütz gar nicht erreichen. Und nur in der Nacht vom
24. zum 25. kamen wir so weit, Batterien auf 1500 Schritt gegen ihn
aufzuwerfen, aus welchen die Pohlen, die sich inzwischen von Marie-
mont bis zum langen Berg sehr stark gesetzt hatten, den 25. düchtig
beschossen wurden. Da der General Goetz mit den Grenadieren
von Anhalt, 2 Bataillons von Huet, dem Regiment Bonin, dem Ba-
taillon v. Pelet, den Dragonern v. Prittwitz, 4 Schwadrons Husaren
und der reitenden Batterie v. Holzendorff verstärkt worden war, so
griff er den 26. des Morgens die Verschanzungen auf dem langen
Berge, dem Dorfe Wawrzitze3) und in dem Werke bei Wawrzitze
mit stürmender Hand an und delogierte den Feind in Zeit von 2
Stunden aus 7 Redouten und eroberte 8 Kanons und 2 Haubitzen.
Die Pohlen sollen sich verzweifelt gewehrt haben, allein jedesmal,
dass sie sich haben setzen wollen, hat sich die Infanterie mit dem
Bayonet mit der grössten Vehemenz auf sie geworfen und zurück-
gedrängt. Holzendorff mit seiner reitenden Batterie hat das meiste
*) Ernst v. P., spfiter Landrat des Kreises Cottbus.
») Gorce, W v. Warschau.
8) Wawrzyszew, NNW v. Warschau.
282 Ernst von Schönfeidt.
zum Ausschlag der Sache beigetragen 1). Das Regiment Hollwede
und die Dragoner v. Frankenberg sollen schrecklich brav gethan
haben. Die Action machte Götzen und den Truppen, die dabei ge-
wesen sind, wirklich viel Ehre, nur schade, dass wir jetzt manchen
braven Kerl mehr hätten, wenn wir vor 4 Wochen klüger gewesen
wären. Diesen Morgen ward die Vorstadt von Warschau aus den
Batterien bei Wola auch mit glühenden Kugeln, jedoch ohne Wirkung,
beschossen. Den 28. des Morgens mosste das 1. Bataillon v. Bonin
eine Redoute, die man so ziemlich verlassen glaubte, angreifen, allein
wider Vermuthen war sie sehr stark besetzt. Der Angriff gelang in-
zwischen doch, allein die Pohlen kamen mit frischen Truppen zurück
und griffen das Bataillon von neuem an ; es wehrte sich entsetzlich,
war aber genöthigt, nachdem es sich gänzlich verfeuert hatte, mit dem
ßayonet durchzuschlagen, und von den braven Kerls kamen kaum
76 zurück. An den beiden Tagen, dem 26. und 28., sind von diesem
Bataillon 5 Offiziere tot und 8 blessiert, worunter sich auch der Kom-
mandeur des Regiments, der Oberst v. Treuenfels befindet. Der
Genera] Götz griff zwar die Redoute von neuem an, nahm sie auch
und eroberte 1 Kanone, allein der Vortheil, den man dadurch er-
langt hat, ist gegen den Verlust sehr unproportzioniert. Da die Re-
gimenter vom Götzischen Corps sehr gelitten hatten, so musste unser
Regiment, die Grenadiere von Ruits und 2 Bataillons von Anhalt auf-
brechen und das Regiment Bonin und Hollwede und die Grenadiere von
Anhalt beim Götzschen Corps ablösen. Uns steht also noch der Sturm
auf Mariemont bevor, von wo aus wir Warschau zu erreichen hoffen.
Den 4. Sept. Ich war neulich so schrecklich müde und konnte
nicht weiter schreiben, indem ich mir vornahm, meinen Brief den
folgenden Tag fortzusetzen; allein seit dieser Zeit habe ich nicht
ein Kleidungsstück von meinem Leibe gelegt, indem ich 5 Tage und
5 Nächte ununterbrochen unterm Gewehr gelegen habe. Du kannst
Dir also denken, wie wohl mir ist, da wir heute Nacht Ruhe gehabt
haben, das heisst, wir sind angezogen in unserem Zelt gewesen und
nur einmal in der Nacht ins Gewehr gejagt worden.
Seit dieser Zeit haben sich die Dinge gewaltig verändert. Da
Nachrichten eingelaufen sind, dass bedenkliche Unruhen in Süd-
preussen ausbrechen, so ziehen wir ab, wie die Katz vom
Taubenschlag, welches wahrscheinlich in der Nacht vom 5.
zum 6. geschehen wird. Morgen früh besetzt das Regiment noch
die Trencheen und ist wahrscheinlich dazu bestimmt, den Rückzug
der Armee zu decken. Diese Diversion macht uns einen gewaltigen
Strich durch die Rechnung, denn nun haben wir kommendes Jahr
gewiss wieder eine Campagne, indem man sagt, dass der König fest
entschlossen sei, seinen Plan zu verfolgen. Die Geschichte mit
Warschau kostet uns bis jetzt ca. 1200 Todte und Blessierte. Es ist
J) Holzendorff erhielt hierfür den Orden pour le merite.
Aus bewegter Zeit. 283:
wahr, es sind verschiedene Fehler vorgefallen, die aber bei Gott
den Regimentern nicht können zur Last gelegt werden, denn bei
allem, wozu die Truppen hier gebraucht worden, haben sie sehr
viel Bravour gezeigt. Wir haben aber auch gesehen, dass Kosciuszko-
den Pohlen zu einem ganz anderen Soldaten gemacht hat, als für
welchen er bis jetzt durchgehend ist gehalten worden. Es ist eilt
sehr grosser Wagemuth, dass der König unternommen hat, gegen ein
verschanztes Lager mit ungefähr 30000 Mann, inclusive denen Russen,,
zu approchieren, das von 60 — 70 000 Mann vertheidigt wird. Kosciuszkoa
seine Retranchements sollen wie eine neue reguläre Festung sein
und diejenigen, die wir eingenommen haben, sind sehr zu be-
wundern. Auf eine bewunderungswürdige Art weiss er das Terrain-
zu benutzen, und es ist nicht ein Werk, das nicht von einem anderem
eine nachdrückliche Defension erhielte. Man hält ihn mit vielen*
Recht für einen der grössten Männer seiner Zeit. Um wieder aufs
vorige zu kommen. Den 31. des Morgens wurde der linke Flügel
von unserem Corps, der aus dem Bataillon v. Oswald und t Ba-
taillon v. Anhalt besteht, förmlich bei dem Dorfe Wawrzitze *)
attaquiert, während das Dragoner-Regiment v. Frankenberg, welches
zwischen gedachten Bataillons und dem langen Berge steht, en front
angegriffen wurde. Unser Bataillon musste zum Soutien dorthin
eilen, und nach einem anderthalb Stunden langen kleinen Gewehr-
feuer wurden sie zurückgeschlagen. Unser Verlust besteht in 3.
Offiziers und ohngefähr 80 bis 100 Todten und Blessierten. Durch
ein schrecklich Kanonenfeuer suchten sie den Soutien abzuhalten»
welches aber doch ohne Wirkung war.
Heute ist das Regiment Hollwede wieder hier eingerückt, un d
dagegen das Regiment Ruits nach Wola marschiert. Hollwede hat
den 26. und a8. nicht mehr wie 7 Offiziers todt und 9 blessiert. Die
letzte Zeit über haben die Pohlen heftige Ausfälle auf unsere
Trencheen gethan, die jedoch mehrentheils abgeschlagen worden sind,.
bis auf 3 Haubitzen, die sie beim 1. Bataillon v. Klinkowstroem ver-
nagelt hatten, jedoch sind sie dadurch nicht unbrauchbar geworden.
Karl, Waldow, Winning u. Brünnow lassen Dich grüssen, letzter
ist bei die Ingenieurs angestellt. Übrigens sind wir noch frisch und
gesund.
Da ich nicht weiss, ob ich noch so viel Zeit haben werde, den.
Eltern zu schreiben, so theile doch diesen Brief so bald als mögliche
dem Vater mit, nebst der Bitte, es mir ja nicht zuzurechnen, dass ich
selbst nicht schreibe. Sobald als ich ein paar Stündchen übrig habe,,
werde ich es ohnverzüglich thun. Ich würde ihnen heute geschriebea
haben, wenn ich diesen Brief nicht schon angefangen hätte.
Leb wohl, mein lieber Bruder, vielleicht sehen wir uns kom-
mendes Jahr auf diesem Fleck. Ich bin Dein guter Bruder Wilhelm.
») Vgl. 8. aBi Anm. 3.
-284 Ernst von Schönfeldt
Beim Corps des Gen.-Maj. v. Frankenberg im Lager bei
Sucharczew1), den 21. Sept.
Bester Vater ! Ihr gütiges Schreiben nebst der Wäsche haben
wir den 19. huj. richtig erhalten, wofür wir Ihnen gehorsamst danken.
Dass die Belagerung förmlich aufgehoben worden, wird wahr-
scheinlich bei Ihnen schon etwas Altes sein, hoffentlich werden
Sie es auch aus meinem Brief an Ernsten und der Tante ersehen,
welchen ich gebeten habe, sie Ihnen mitzutheilen. Karl hat mir
gesagt, dass er Ihnen im Lager auf dem langen Berge geschrieben
habe, ich habe also diese Zeit benutzt, beiden Ersteren Nachricht
von uns zu geben. Damit Sie sich diese famose Belagerung etwas
deutlicher vorstellen können habe ich unsere Position und Werke,
sowie Kosciuszkos ungefähre Stellung aufgezeichnet2). Die Affaire
auf dem langen Berge wird Ihnen ebenfalls schon bekannt sein, so
wie die Attaquen vom 28. auf die beiden Schanzen zwischen dem
Paradies des Dames und Mariemont Diese letzteren haben schreck-
lich viel Menschen, vorzüglich dem 1. Bataillon v. Bonin und dem
Regiment Hoilwede, gekostet. Letzteres hat beide Schanzen, nach-
dem sie schon vorher von den Schützen waren genommen worden,
3 mal wieder genommen, sich 3 mal gänzlich verfeuert und mit
dem Bayonet durchschlagen müssen, bis endlich das 1. Bataillon
v. Bonin die Schanze Nr. 1 mainteniert hat. Das brave Regiment
Hoilwede hat aber einen Verlust an diesen beiden Tagen von
7 Offiziers todt, 9 blessiert und 600 Unteroffiziere und Gemeine todt
und blessiert gehabt. Da die Regimenter vom Goetzschen Korps
sehr gelitten hatten, so musste den 20. unser Regiment das Rgt.
Ruits, die Regimenter v. Bonin und Hoilwede auf dem langen
Berge ablösen. Diese Zeit über bis zum Abmarsch haben wir
schreckliche Fatiguen gehabt, indem wir 24 Stunden in den
Trencheen beim Paradies des Dames oder sogenanntem rothen
Hause liegen mussten und 24 Stunden immer unterm Gewehre auf
dem langen Berge standen, wo denn der grösste Theil vom Re-
giment immer auf Arbeit war. Da diese Zeit über der Feind
häufige Ausfälle that, so mussten wir daher aufs möglichste wachsam
sein. Den 30. August machte er 2 falsche Attaquen rechts dem
rothen Hause und auf der Redoute bei Wawrzitze, einen Haupt-
.angriff aber links diesem Dorfe auf das Bataillon Oswald, wo er
-den linken Flügel des Goetzischen Korps zu tournieren suchte,
indem die feindliche Kavallerie die 300 Kosacken übern Haufen
warf, um uns im Rücken zu kommen. Das 2. Bataillon v. Anhalt
aber, welches hinter der Redoute stand, setzte sich links dem Dorfe
en flanque und unterstützte so unsere Kavallerie vom linken Flügel,
die die feindliche wieder zurückwarf. Da das Gefecht hartnäckig
J) Sochaczew.
9) s. Seite 265.
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286 Ernst von Schönfeldt.
ward, so musste unser Bataillon nach Wawrzitze zum Soutien eilen,
welches sie zwar durch eine heftige Kannonade aus den Batterien
am Walde zu verhindern suchten, allein als wir nahe genug zum
kleinen Gewehrfeuer kamen, zogen sich der Feind mit einem be-
trächtlichen Verlust zurück. Unser Verlust bestand an Todten und
Verwundeten in 3 Offiziers vom Batl. Oswald und zwischen 90 bis
100 Gemeinen. Vom Bataillon ist nur 1 Schütze durch eine Kar-
•dätschenkugel geblieben.
In der Nacht vom 5. zum 6. ward die Belagerung aufgehoben ;
-der König ging diesen Tag nur bis Radczin zurück, wo er so lange
stehen blieb, bis das schwere Geschütz, das Lazareth und die
Bäckerei völlig zurück waren, und ist den 9. bis in die Gegend von
Rawa gegangen, wo die Armee jetzt kampiert. Das Götzsche Corps
deckte den Rückzug des Königs und ging diesen Tag bis Blonin,
wo unser General das Kommando übernahm und mit 1 Bataillon
Hollwede, unseren beiden Musketier Bataillonen und 5 Eskadrons
v. Brückner den 8. ein Lager zwischen Lowicz und Sucharczew
bei Potocki zur Deckung der Bzurra bezog. Unsere Grenadiers
besetzten Lowicz, die Grenadiers v. Hollwede Sucharczew und
1 Bataillon v. Hollwede in Leczyca1).
Die Ursachen des Rückzugs sind wohl unbezweifelt bedenk-
liche Unruhen in Süd-Preussen, die bei dem jetzigen Umstände um
so mehr gefährlich sind2). Ein Riesenwerk bleibt es immer, welches
der König unternahm, mit ohngefähr 36000 Mann, inclusive den
Russen, gegen Retranchements zu approchieren, die von 60000 Mann
regulären Truppen und ebensoviel Warschauer Bürgern und Piek-
und Sensen-Bauern vertheidigt wurden. 40000 Russen unterm Ge-
neral Derfelde sollten zwar schon den ia. Juli auf der anderen
Seite von Warschau erscheinen, allein bei unserm Rückzuge waren
sie noch bei Grodno, 40 Meilen von Warschau. Die Armee hat
beständig sehr brav gethan, allein Fehler sind vorgegangen, die
unerhört sind. Als wir bei Oppalin standen, hatten wir den langen
Berg besetzt, wir verliessen ihn aber, als wir den 27. July bei Wola
vorrückten, ohne daran zu denken, dass, wenn der Feind sich auf
selbigem festsetzte, er unsere Trencheen bei Wola flankierte. Dies
geschah denn auch; um diesen Fehler zu redressieren, geschahen
die Attaquen vom 26. und 28., wo wir so manchen braven Kerl
hätten ersparen können. Es ist unerhört, wie der Charletan
>) Leczyca, Woiwodschaft Masovien, Kr. Leczyca.
a) Wenn die preussischen Unruhen auch den Äusseren Anstoss zur Aufhebung
der Belagerung gaben, 90 war doch wohl der Hauptgrund der, dass der König die Ab-
neigung der Russen, ihn tatkräftig zu unterstützen, bemerkte. Es lag nicht im russischen
Interesse, dass Warschau von den Preussen genommen würde; hfttte der König auf
energisches Haudeln seiner Verbündeten rechnen können, so hfitte er wohl nicht die Be-
lagerung im letzten Augenblick aufgegeben.
Aus bewegter Zeit. 287
Pontanus1), der die Belagerung eligerirte, mit unsern Knochen
gespielt hat; wir haben sehr oft Arbeiten des Nachts einreissen
müssen, die wir die Nacht vorher gemacht hatten. Sie können sich
-dieses vorstellen, wenn ich Ihnen versichere, dass er die Trencheen
bei Gurze iaoo Schritt vor den feindlichen Batterien aufwerfen
sollte, sie aber, wie wir am Tage sahen, 2400 Schritt davon entfernt
waren. Ein armer Ingenieur-Capitän musste daran Schuld sein,
der auch deswegen 4 Wochen in Arrest sass.
Besorgnisse wegen Mangel an Unterhalt haben uns nicht
2um Rückzuge bewogen, denn in den Magazinen von Radczin,
Sabiawola2) und Mrzanow8) ist noch Vorrath an Mehl und Fourage
auf 2 Monat gewesen, welches grösstenteils wegen Mangel an Fuhr-
werk hat verdorben werden müssen.
Im Lager bei Potocki haben wir uns nur einer kurzen Ruhe
erfreut. Um Ihnen unsere Stellung anschaulicher zu machen, so
erfolgt auch ein leichter Abriss von der Pzurra4). Unser General
hat die Ordre, die Pzurra zwischen Lowicz und Sucharczew zu
decken und das Magazin in Kaminionne5) mit 60 Mann zu besetzen.
Sucharczew ist von Lowicz 3 Meilen und von der Weichsel 2 und
1!2 Meile. Der General besetzte also jeden Ort mit 1 Bataillon und
blieb mit den übrigen in der Mitte, um beide örter besser unter-
stützen zu können, und detachierte 2 Offiziers und 60 Mann nach
Kaminionne, wie Sie aus der Zeichnung ersehen werden, und be-
setzte die Dörfer an die Pzurra mit die Schützen. Sie werden den
groben Fehler leicht einsehen, dass man in Kaminionne, dicht an
der Gränze, ein starkes Magazin von Salz, Mehl und Hafer unter
einer Bedeckung von nur 60 Mann Hess. Der General zeigte dies
an, aber ehe der Bescheid zurück war, hatte den 13. der Feind, wie
es nicht anders kommen konnte, 40000 Mann stark, das Commando
nach einer tapferen Gegenwehr aufgehoben, das Magazin weg-
genommen und machte den 14. Miene, Sucharczew6), das mit dem
sehr geschwächten, ohngefähr 200 Mann starken Grenadier Bataillon
v. Hollwede besetzt ist, zu attaquiren7). Unser Bataillon mit
150 Pferden musste also in aller Eil zum Soutien eilen. Unsere
missliche Lage können Sie sich vorstellen, da der Feind, der seine
*) Die Belagerungsarbeiten hatte zuerst Oberst v. Freund geleitet, der aber
abberufen wurde, „da er hier nicht zu brauchen ist", wie der König schrieb. Sein
Nachfolger, der Art.-Major Pontanus scheint nicht besser gewesen zu sein. (s. auch
„Denkwürdigkeiten und Erinnerungen des den. Feldmarschalls Hermann v. Boyen").
*) Zabiawola, Kreis Btonie.
*) Mszczonow, Woiwodschaft Masovien, Kreis Blonie.
<) Karl schrieb Bzurra, Wilhelm oft Pzurra.
*) Kamion, Kreis Sochaczew.
*) Sochaczew.
?) Der Zweck dieses feindl. Durchbruchs war der, die Verbindung mit deu
Insurgenten in Sadpreussen aufzunehmen und dafür zu sorgen, dass der Aufstand an
der unteren Weichsel nicht einschliefe.
288 Ernst von Schönfcldt
Vorposten nur V2 Meile von uns hat, Ober die Pzurra war und uns
so von allen Seiten angreifen konnte. Das Bataillon blieb also auf
dieser Seite der Pzurra, um Sucharczew von dieser Seite zu
decken. Den 16. wurden Madalinsky und Dombrowsky, die bei
Kaminionne standen, mit dem General Sajunschek *) und 10 000 Mann
verstärkt. Madalinsky und Dombrowsky marschierten aber in
3 Kolonnen, ohngefähr 6000 Mann stark, nach Gombin*) und stehen uns
also im Rücken, Sajunschek hat mit 8000 Mann Kaminionne besetzt,
Blonnin ist schon besetzt gewesen und ist den 19. mit 5000 Mann
verstärkt worden. Auf dem Rapport des Generals ist er den 19. mit
dem Regiment Alt-Schwerin, dem 1 Bataillon v. Hollwede, welches
in Lenschiz stand, und 5 Eskadrons Husaren verstärkt worden
und soll Kaminionne wieder nehmen. Er hat also Lowicz
mit 2 Bataillons Alt -Schwerin besetzt und unsere Grenadiers
und das 1. Bataillon v. Hollwede bei Potocki an sich gezogen.
Heute Abend will er mit diesen 4 Bataillons und 10 Eskadrons
zu uns stossen, und morgen haben wir wahrscheinlich eine
Action bei Kaminionne. Ich will also hier schliessen und hoffe,
morgen oder übermorgen Ihnen wichtigere Nachrichten mittheilen zu
können. Gelingt unser Angriff, so wird er uns wirklich viel Ehre
machen, da wir kaum halb so stark sind, im Gegentheil kann es uns
nie Schande machen, der Obermacht weichen zu müssen.
Karl hat mich den 18. besucht; er ist so wie ich noch frisch
und gesund und lässt sich Ihnen vielmals empfehlen. Meine Pferde
sind noch im besten Stande. Meinen Wagen, der ziemlich ruiniert
war, habe ich gegen einen recht guten, leichten, beschlagenen ver-
tauscht und 6 Th. 16 Groschen zugegeben. An meinen Unterkleidern
und Stiefeln bin ich ganz und gar abgerissen und, sobald wir etwas
Ruhe haben, muss ich mich völlig neu equipieren; auch mein Über-
rock ist nur noch ein Spinnengewebe. Nächstens ein Mehreres.
Im Lager bei Kaminionne, den 29. Sept. Da Nachrichten ein-
gegangen, dass Dombrowsky nach Lenczyc und Madalinsky über
Kuttnow3) nach Klodawa4) gegangen sei, so ward aus dem inten-
tionierten Angriff nichts. Den 22. kamen durch unsere Patrouillen
die Nachrichten ein, dass der Feind Kaminionne verlassen und nur
eine Kavallerie Feldwache zurückgelassen habe: wahrscheinlich sind
Russen gegen Warschau im Anmarsch, denn auch von Blonnin
sollen einige Tausend Mann zurückgegangen sein. Der General
Frankenberg detachierte also den 25. unser 1. Bataillon unter unsenn
Obristen aus dem Lager bei Potocki, den Posten bei Kaminionne
zu besetzen und die Communication mit Wyszogrod wieder zu er-
]) ZaJ4C7ek.
*) Woiwodschaft Masovien, Kreis Gostynin.
*) Kutno, Woiwodschaft Masovien, Kr. Orlöw.
') Ebendort Kr. L^czyca.
1*
289
Den 8. rückte da s Gren. Batl.
v. Frankenberg in Lowicz ein,
j. und 2. Batl. v. Frankenberg
bezogen ein Lager zwischen
Potocki und Adl. Kozlow, sowi e
auch das 2. Batl. v. Hollwede
und 5 Eskadrons v. Brückner.
Den 16. rückten das 2. Batl.
v . Frankenberg und 100 Pferde
v. Brückner bei Sucharczew
ins'Lager zumSoutien des Gren.
Batl. v. Hollwede.
Den 20. rückten das i.und 2.
Batl. Grf . v. Schwerin in Lowicz
ein, und das 1. Batl. v. Hollwede,
das Gren. Batl. Grf. v. Schwerin
und das Gren. Batl. v. Franken-
berg rückten ins Lager bei Po-
tocki, 4 Eskadrons v. Württem-
berg in Adl. Kozlow und 1 Esk.
bei Sucharczew.
Den 25. rückte das 1. Batl.
v. Schwerin ins Lager bei Po-
tocki,das 1. Batl. v. Frankenberg
ins Lager bei Sucharczew, und
den 26.rückten die 2 Musketier
Bat!., 100 Pferde und 6 Kanons
ins Lager bei Kaminionne.
Es stehen also gegenwärtig :
Das 2. Batl. Grf. v. Schwerin
in Lowicz, die Gren. Bads. Grf.
v. Schwerin und v. Franken-
berg, das 1. und 2. Batl. v. Holl-
wede, das 1. Batl. Grf. v. Schwe-
rin, 5 Esk. v. Brückner und
4 Esk. v. Würtemberg bei Po-
tocki, das Gren. Batl. v. Holl-
wede in Sucharczew, das 1.
und 2. Batl. v. Frankenberg und
1 Esk. v. Würtemberg bei Ka-
minionne.
K o m p i n , Adl. Kozlow,
Bischöflich Kozlow. Trojanow,
Witkowitza und Kaminionne
sind mit Schützen und me-
lierte Infanterie und Kavallerie
Commandos besetzt.
Zeitschrift der Hist. Ges. für die
Prov. Posen. Jah . XIX. 19
39° Ernst von Schönfeldt.
Offnen. Den a6. des Morgens zog unser Oberst unser Bataillon und
ioo Pferde bei Sucharczew an sich und marschierte dorthin. Auf
dem Marsch wurden wir unaufhörlich vonpollnischen Flankeurs be-
unruhigt, und kurz vor Kaminionne stand jenseits der Pzurra eine
Linie Cavallerie aufmarschiert, die Miene machte, durch den
seichten Fluss zu setzen, um unsere Manövers zu betrachten. Der
Oberst liess einige Kanonenschüsse auf sie thun, worauf sie sich
eiligst zurückzogen, und wir bezogen ein Lager auf den Höhen
links Kaminionne. In diesem Dorfe haben wir noch einiges
Getreide, Mehl, Salz und Fourage gefunden, welches der Feind
nicht hat fortbringen können. Kaminionne ist mit 80 Schützen und
100 Pferden unterm Major v. Kirstenau v. Würtemberg besetzt, und
die Brücke bei Witkowitze1) ist mit 1 Offizier und 30 Mann von uns
besetzt, welches Commando alle 24 Stunden abgelöst wird. Vor-
gestern bin ich dort auf Commando gewesen, und durch meine
Patrouillen habe ich die Nachricht eingezogen, dass die Pohlen von
den Russen sollen total geschlagen worden sein, und dass in der
Nacht vom 37. zum 38. sich eine pollnische Patrouille durch die
Pzurra geschlichen hat, die von Madalinsky zurückgekommen ist
und ihm die Ordre, sich sobald als möglich zurückzuziehen, über-
bracht haben soll, da Warschau von den Russen bedroht wird.
Wenn dieses begründet ist, so möchte es hier wohl bald ruhig
werden. Die Berge, auf die wir hier stehen, werden durch Ver-
schanzungen zu einem haltbaren Posten gemacht, es ist daher zu
vermuthen, dass wir bis im Winter hier werden stehen bleiben.
Der General Favrat hat das Commando übers Schönfeldtsche
Corps übernommen, da letzterer, kränklicher Umstände halber,
zurückgegangen ist. Unser General hat vom Könige ein sehr
schmeichelhaftes Schreiben über seine Massregeln erhalten und, es
ist sonderbar, Tags darauf die Ordre, das Commando übers Corps
dem General Klinkowstroem zu übergeben. Oberhaupt gehen jetzt
von Seiten der Adjutantur Sachen vor, die unglaublich sind, ich
mag sie dem Papier nicht anvertrauen, aber mündlich werde ich es
Ihnen mit der Zeit.
Der General Schwerin steht mit 6 Bataillons bei Rawa und
hat das ganze Belagerungsgeschütz noch bei sich, welches, da es
nicht bespannt ist, indem es in aller Eil nach Warschau beordert
ward, nicht mobil hat gemacht werden können.
Der Unteroffizier Falsch aus Radensdorf8) ist noch frisch
und gesund.
Was das Briefporto anbetrifft, so gehen auf Befehl des Königs
Soldaten- und Unteroffizier-Briefe frei, allein Offiziers Briefe keines-
wegs. Auch werden Offiziersbriefe mit der Signatur »Soldaten-
') Witkowitze, ebendort, Kxeis Suchacrow.
*) Im Kreise Kalau oder Lttbben.
Aus bewegter Zeit. 291
Sachen" nicht angenommen. Meiner guten Mutter bitte ich meine
kindliche Hochachtung zu versichern. Karolinen küsse ich in Ge-
danken und bin unausgesetzt Ihr gehorsamer Sohn W. v. Pannwitz.
NB. Der Lt. Suhm hat nur durch eine kleine Gewehrkugel
-eine leichte Contusion am Fuss bekommen, die ihn jedoch nicht ge-
hindert hat, seinen Dienst zu thun. Sonst ist kein Offizier vom
Regiment blessiert.
Lager bei Kaminionne, den 26. Oktober 94
Bester Vater! Bis zum 19. dieses Monats war ausser
«ein paar kleinen Vorposten Gefechten unter unseren Schützen
und polinischen Jägern, wobei erstere wirklich viel Bravour
zeigten, nichts erhebliches vorgefallen; an diesem Tage aber
wurden wir des Morgens um 5 Uhr durch ein paar kleine
Gewehrschüsse, worauf sogleich ein paar feindliche Kanonen-
schüsse folgten, ins Gewehr gejagt. Ohnmittelbar darauf fing
*m engagiertes Feuer im Dorfe Kaminionne, welches ohngeffthr
1500 Schritt von unserem linken Flügel entfernt ist und mit 80
Schützen und 50 Pferden besetzt war, an. Unser Kommandeur des
Bataillons, der Oberstl. Schaetzel, commandierte mich sogleich mit
40 Mann und 2 Unteroffiziers zum Soutien der Schützen nach Kaminionne.
Als ich gegen das Dorf Kamion1) kam, begegnete ich schon einem
Trupp unserer Schützen und den 50 Pferden, indem sich der Feind,
der ohngefähr 4000 Mann stark sein mochte, schon des Dorfes be-
mächtigt hatte. Ich postierte mich also auf einer kleinen Anhöhe,
um den Rückzug der Schützen zu unterstützen. Da ich aber ohn-
mittelbar darauf den Schützenhornisten im Dorfe blasen hörte und
daher vermuthete, dass die Schützen des 1. Bataillons sich noch
darin hielten, so beschloss ich, ins Dorf einzudringen, um wo möglich
mich mit selbige zu vereinigen. Den Eingang des Dorfes fand ich
mit Jägern besetzt, diese warfen meine Leute incontenente zurück,
und ich avancierte bis mitten ins Dorf gegen einen grossen Salz-
schuppen. Dort fand ich eine Linie aufmarschiert, an welche ich in
der Finsterniss bis auf 20 Schritt herangekommen war. Da ich
zweifelhaft war, dass es der Feind wirklich sein möchte, so liess ich
„Wer da" rufen, worauf ich zur Antwort „Gut Freund" bekam;
ich forderte hierauf das Feldgeschrei, worauf ich zur Antwort be-
kam: „Wir haben's vergessen". Noch immer in der Idee, dass es
doch möglich sei, dass es unsere Leute sein möchten, zog ich in
der Geschwindigkeit 6 Freiwillige vor, um es genau zu untersuchen.
Diese 6 braven Kerls gingen dem Feind mit der grössten Ent-
schlossenheit gerade auf den Leib und überzeugten sich, dass es
feindliche Infanterie war. Ich liess also sogleich einige Salven geben,
worauf ich ein schreckliches Feuer aus allen Ecken bekam, so dass
') Von hier ab wird der Ort immer Kamion genannt, bisher Kaminionne.
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Pro*. Posen. Jahrgang: XIX. 19*
292 Ernst von Schönfeldt
in einem Na 6 Blessierte um mich herum lagen. Nachdem ich
10 bis ia Salven mochte gegeben haben, bemerkte ich, das meine
beiden Flanken genommen waren, und dass ich in der linken mit
Kardätschen beschossen ward. Ich formierte also in aller Eile ein
halbes Quarree und gewann glücklich den Eingang des Dorfes
wieder. Da inmittelst der Feind mit Gewalt in mich eindringen
wollte, machte ich wieder Front, und durch ein paar gut angebrachte
Salven wich er wieder zurück. Ich benutzte diesen günstigen
Augenblick und gewann dadurch meine Flanque wieder, indem ich
30 — 40 Schritt retirierte. Hier fand ich den Lt. v. Goellnitz mit
einem Trupp Schützen, der einer ganzen feindlichen Linie Schritt
vor Schritt das Terrein streitig machte. Ich vereinigte mich mit ihm
und zogen uns nun gemeinschaftlich völlig nach der Redoute No. V
zurück, nachdem wir noch 4—5 mal Front gemacht hatten und die
uns verfolgende Infanterie, die mit Gewalt eindringen wollte, immer
in Respect hielten. Mein Verlust bestand in 1 toten Musquetier,
blessiert waren 1 Unteroffizier und 8 Mann, und 1 Mann ward ge-
fangen. Der Verlust, den ich dem Feinde verursacht hatte, ist stärker
gewesen, denn bei dem Salzschuppen und auf dem Wege, wo ich
meinen Rückzug nahm, sind nach der Action einige Tote gefunden
worden. Die Blessierten haben sie aber gleich mitgenommen. In-
zwischen war es völlig Tag geworden, und nun sah man den Feind
in verschiedenen Kolonnen mit 8 Kanons und 1 Haubitze gegen die
Redouten vorrücken. Nachdem er sich formiert hatte, hielt er unseren
rechten Flügel en echec und griff die Redoute No. V auf unsere»
linken Flügel, welche mit unserer und des Capitän Hagens Compagnie
besetzt war, zugleich en Front und im Rücken an und versuchte
3 mal sie mit stürmender Hand zu erobern, ward aber jedesmal
glücklich zurückgeschlagen, welche Angriffe er durch ein heftiges
Kanonenfeuer aus allem seinem Geschütz unterstützte. Um 10 Uhr
Hess er von seinen Attaken ab und zog sich bei Kamion, wo er
eine Brücke über die Bzurra geschlagen hatte, wieder zurück. Zu
gleicher Zeit griff der Feind unsern Aussenposten an der Witkowicer
Mühle, den der Lt. Kalben mit 30 Mann besetzt hatte, 300 Mann
stark mit 2 Kanons an. Kalben hat sich mit einer beispiellosen
Bravour 2 Stunden lang gehalten und sich nicht eher ergeben, als
bis er selbst 4 mal blessiert war und 9 Tote und 3 Blessierte hatte.
Der Rest ist mit ihm selbst gefangen worden, und wenn er auch
mit dem Leben davon kommt, so bleibt er doch ein Krüppel, denn
ihm ist die linke Schulter und die linke Kniescheibe entzweigeschossen
worden, und 2 mal ist er im linken Arm blessiert. Er ist 2 mal
schon blessiert gewesen und hat sich immer noch gewehrt Unser
Verlust an diesem Tage besteht in Todten 1 Unteroffizier und 18
Gemeinen, der ganze Verlust an Todte, Blessierte und Gefangene
in 1 Offizier, 5 Unteroffiziers und 73 Gemeine. Der Verlust des
Aus bewegter Zeit. 293
Feindes kann nicht genau angegeben werden, wahrscheinlich ist er
Aber ohngleich stärker, da er alle Blessierte mitgenommen hat und
viele Todte in Kamion begraben hat. Gefangen haben wir 2 Offiziers
und 8 Mann bekommen. Unter ersteren befindet sich der Major
Hadztewicz1), Adjutant beim Prinzen Joseph Poniatowsky, der das
feindliche Corps commandierte. Dieser Hadztewicz machte den
Angriff auf unseren linken Flügel mit 1 Bataillon des 7. Regiments.
Mit ausserordentlicher Kühnheit ritt er voran und munterte sein
Bataillon auf, ward aber mit 4 Kugeln zu gleicher Zeit blessiert
und ist auch bereits gestorben. Nach Aussage der Gefangenen ist
der Feind 4000 Mann stark gewesen und hat 14 Canons bei sich ge-
llab t, wovon er aber nur 9 in Action brachte. Unsere Leute haben
diesen Tag wirklich sehr viel Bravour gezeigt. Sie haben keine
Idee, mit welchem Mut und Entschlossenheit die 40 Mann von meinem
Commando, wie ich Ihnen oben erzählt habe, auf den Feind los-
gingen. Mir für meine Person ist es also sehr leicht geworden, so
weit einzudringen, und ihrer Entschlossenheit sowie dem ausser-
ordentlich guten Benehmen meiner Unteroffiziers habe ich die glück-
liche Retirade zu verdanken. Auf meinem Rapport sind auch die
beiden Unteroffiziers und die 6 Mann, die sogleich freiwillig hervor-
sprangen und den Feind recognoscierten, zu Medaillen vorgeschlagen
-worden. Die Ursach, dass ich mich so weit gewagt hatte, ist diese :
Der Feind hatte den Waldhornisten des 1. Bataillons gefangen be-
kommen; um uns also irre zu machen, hatte er ihn im Dorfe Appell
blasen lassen ; ich konnte daher nicht anders vermuthen, als dass die
Schützen sich noch im Dorfe hielten, sonst wäre es garnicht meine
Bestimmung gewesen, so weit zu gehen. Karl ist frisch und gesund,
er ist während der Action ebenfalls mit 20 Mann detachiert geworden,
aus einem Gebüsch feindliche Jäger zu vertreiben, und hat bei dieser
Gelegenheit eine ganze Lage von einer feindlichen Compagnie erhalten,
aber doch nur 1 Blessierten gehabt. An diesem Tage ist Suchar-
czew ebenfalls angegriffen worden, allein der Feind ist durch den
General Klinkowstroem, der zum Soutien dorthin eilte, vertrieben
worden. Des Nachmittags marschierte der Oberst Koeppern mit
400 Mann und 1 Canon nach Witkowice, und besetzte den Posten,
wo Kalben gestanden hatte, und eröffnete dadurch wieder die Com-
munication mit Sucharczew2).
Den 20. des Abends kamen unsere Grenadiers, die bisher beim
General Klinkowstroem gestanden hatten, hier an, um uns zu verstärken.
') Hadziewicz.
•0 Durch das für die Polen sc ungünstige Gefecht bei Maciejowice, in de«
Kosciuszko gefangen genommen wurde, war Warschau durch die Russen stark bedroht*
E£wurden also alle Kräfte, deren man habhaft werden konnte, herangezogen* Mad*»
ttnski und Dombrowski, die s. Zt. so leicht Ober die Bzurra gekommen waren, fanden
nun den Rückweg versperrt. Um ihnen tden Obergang zu öffn^n,3unternahm Joseph
Poniatowski diesen Vorstoss von^Warschau aus.
294 Ernst von Schönfeldt.
Den ai. war alles ruhig.
Den aa. marschierte der Maj. v. Manteuffel mit aoo Mann nach
Misterschitz *), wo er a schwere 6 Pfünder und a Haubitzen empfing
und auf unsere Werke brachte. Der Lt. Lindenau ward mit 8 Mann
nach Bauern zum Schanzen coramandiert und hatte für seine Person
das Unglück, durch eine feindliche Patrouille vom Madalinskischen.
Corps gefangen zu werden. Er war von seinem Commando zu wek
vorgeritten und bemerkte nicht eher die Gefahr, als bis sie ihn schon
weg hatten. Da der Oberst Nachrichten erhielt, dass das Madalinski-
sche Corps im Anmarsch sei und von die Generals Politz, Jung v.
Schwerin, gedrängt und vom Gen. Lt. Grf. v. Schwerin in die linke
Flanke genommen wurde, so mussten wir
den 33. des Morgens um 4 Uhr auf die Werke rücken, da es
sehr wahrscheinlich war, dass Poniatowsky wieder gegen uns was unter-
nehmen würde, um seinen Übergang über die Pzurra zu erleichtern r
so wie sein Zweck wohl auch am 19. war, sich durch die Eroberung
des Postens, den wir besetzt haben, mit Madalinski zu vereinigen.
Um 5 Uhr rückte der Feind mit Geschütz gegen Kamion vor und
machte sich vom Dorfe Meister. Inzwischen fiel ein so starker
Nebel, dass man nicht 50 Schritt weit sehen konnte, allein unsere
Schützen-Patrouillen stiessen, da es Tag ward, auf polinische Jager,,
die sie verhinderten, den Feind zu rekognoscieren ; auch schlichen
sie sich unter Begünstigung des Nebels bis an die Schanzen und be-
schossen sie einzeln. Um 10 Uhr fiel der Nebel, und nun sah man
diesseits Kamion ohngefähr 1000 Mann Infanterie mit 2 Kanons und
1 Haubitze, und vor unserer Front ebensoviel Kavallerie mit Inter-
vallen aufmarschiert. Letztere ward jedoch in Kurzem durch unser
Feuer aus dem groben Geschütz genötigt, sich hinter Kamion zurück-
zuziehen. Erstere begnügte sich anfänglich blos uns zu kannonieren,
ward aber doch bald genötigt, sich aus unserem Schuss zu ziehen.
Unsere Schützen amüsierten sich inzwischen mit die feindlichen
Jäger. Aus Wyszogrod, welches auf dem jenseitigen Ufer der
Weichsel liegt, ward jedoch der Feind kräftig beschossen. So blieb
der Feind bis des Nachmittags um 4 Uhr stehen, ohne das mindeste
zu unternehmen, als uns in dchec zu halten; dann zog er sich aber
wieder über die Bzurra zurück. Unser Verlust bestand in 1 todten
Husaren und 3 Blessierten vom Regiment. Sucharczew ist diesen
Tag ebenfalls mit der grössten Wuth angegriffen worden, allein das
brave Grenadier-Bataillon v. Hollwede hat rühmlichst seinen Posten
behauptet. Der Lt. v. Troschke von unserem Grenadier-Bataillon,
der mit 30 Mann kommandiert war, die Brod- und Fourage- Wagens
(Lern Bataillon nachzubringen, ist eben dort gewesen und hat den
*) Mistrzewice, Woiwodschaft Masovien, Kr. Sochacsew.
*
Aas bewegter Zeit 295
Platz vertheidigen helfen. Er hat aber das Unglück gehabt, selbst
blessiert zu werden, und von seinem Commando sind 5 Mann todt
geschossen und 4 blessiert. Der Fähnrich Morstein vom Regiment
hatte diesen Morgen den Aussenposten bei Witkowice besetzt, unter
Begünstigung des Nebels hat er aber eine gute Retirade gemacht
und nur 1 Mann verloren, da er Tages vorher vom Obristen die
Instruction bekommen hatte, sich bei Annäherung des Feindes zurück-
zuziehen. Alles dieses benutzte Madalinski, der inzwischen heran-
gekommen war, und ging des Abends um 6 Uhr bei Witkowice über
die Bzurra. Dombrowski wollte zu gleicher Zeit bei Sucharczew
durchgehen, zu welchem Endzweck der Feind diesen Posten so
wüthend angegriffen hatte. Da er aber diesen Posten noch besetzt
fand, zog er sich auf Witkowice und passierte des Morgens um
3 Uhr diesen Fluss, ehe er noch vom Gen. Lt. Schwerin eingeholt
werden konnte.
Den 24. des Morgens unternahm der Oberst mit 300 Mann, worunter
ich auch war, und 1 Canon eine Recognoscirung nach Witkowice.
Bei unserer Annäherung erfuhren wir, dass die dortige Mühle und
Brücke besetzt waren. 30 Schützen von uns, die die Avantgarde
machten, bemächtigten sich selbiger im vollem Laufen und erbeuteten
2 Pferde. Inmitten folgte das Commando in vollem Trab, konnte
abef doch nicht verhindern, dass die Besatzung von Witkowice
durch die Bzurra entkam; unsere Husaren machten 4 Gefangene und
erbeuteten 2 Pferde. Durch einige Kanonenschüsse wurden die
feindl. Kavallerie -Vorposten jenseits dem Wasser vertrieben. Ich
musste inzwischen mit 1 Peloton die Mühle besetzen und die Brücke
abwerfen lassen. Die feindlichen Jäger suchten mich zwar daran
zu verhindern, ich erreichte aber doch meinen Zweck und zog mich
hierauf nach der Mühle zurück. Da das diesseitige Ufer vom Feinde
gereinigt war, so hatte der Oberst seinen Zweck erreicht und mar-
schierte wieder links ab. Als wir in den Wald zwischen Witkowice
und Kamion kamen, fing in der Nähe eine heftige Kannonade an ;
um den Grund hiervon zu erfahren, kehrte der Oberst incontinente
um. Bei Witkowice erfuhren wir dann, dass der General Klinkow-
stroem bis Misterschitz J), eine halbe Meile von Witkowice, vor-
gerückt war, und das feindliche Lager bei Brochowo2) beschossen
hatte. Der Oberst schickte den Lt. Platen, seinen Adjutanten, an
ihn ab, und wir marschierten ins Lager.
Den 25., sowie heute, ist alles ruhig geblieben.
Sie sehen also, dass es die letzte Zeit hier scharf hergegangen
ist, wir vermutheten auch, wenn Madalinski und Dombrowski durch
wären, Ruhe zu bekommen, allein gestern verbreitete sich das
i) Vgl. S. 295 Anm. i.
*) Brochöw NNO v. Mistrxewicr.
V
296 Ernst von Schönfeldt.
Gerücht, dass wir zum zweiten mal gegen Warschau vorrücken
würden, da jetzt die Russen vorgerückt sind ; dieses Gerücht bedarf
doch Bestätigung, ob es gleich wahrscheinlich ist, dass das Favratsche
Corps jenseits der Weichsel sich mit den Russen vereinigen wird.
Kosciuszkos Gefangennahme wird Ihnen wahrscheinlich schon
bekannt sein. Wir haben deswegen Victoria geschossen. Bei
seiner Gefangennehmung soll er sich über nichts beklagt haben,
als über die Grausamkeit, dass man ihm das Leben gelassen hat.
Die russischen Offiziers Damens haben ihm fussfällig für die Gross-
muth gedankt, die er ihnen nach der Niederlage in Warschau erzeugt
hat. Er hatte sie mit Passen versehen und nachdrücklich gegen
alle Misshandlungen des Pöbels geschützt.
Meine Cavallerie ist im besten Stand. Vor 14 Tagen ist
selbige um ein Kleines vermehrt gewesen, eins meiner Wagen-
pferde hat ein Füllen bekommen, dem aber gleich darauf von der
Mutter ein Fuss zertreten ward, welches mir recht heb ist, da ich
doch nur viel Quängelei mit selbiges gehabt haben würde.
Leopold ist frisch und gesund.
Diese Nachrichten bitte ich gehorsamst der Tante mitzutheilen,
deren Brief ich erhalten habe. Es ist mir nicht möglich, noch einen
Brief zu schreiben, da wir fast alle Augenblick, der häufigen Vor-
posten-Neckereien wegen, ins Gewehr müssen. Wollne Strümpfe
habe ich garnicht, ich werde aber suchen, mir solche hier an-
zuschaffen. Meine Hemden halten sich besser, als ich anfangs
vermuthete. Ein altes Hemde ist nur erst unbrauchbar geworden.
Die übrigen sind noch in gutem Stande. Ein Schnupftuch habe ich in
der letzten Action zerrissen, um unsere Blessierten verbinden zu lassen.
Karl lässt sich Ihnen gehorsamst empfehlen; er fürchtet, dass
Sie drei von seinen Briefen nicht erhalten haben; ich habe alle
14 Tage richtig geschrieben, ob Sie aber die Briefe, der Unruhen
in Südpreussen wegen, erhalten haben, steht dahin, so wie ich
glaube, manchen Brief von Ihnen nicht erhalten zu haben.
Dass die Gens d' Armes marschiert sind, habe ich aus den
Zeitungen ersehen, aber wo sie jetzt sein mögen, weiss ich nicht.
Seien Sie übrigens versichert, dass unsere jetzige Lage und
Lebensart besser ist, als sie klingt, und dass ich nichts weniger als
Ltn/uif den mit meinem Stande bin. Der Mutter bitte ich meine
Hochachtung zu versichern und bin unausgesetzt Ihr gehorsamer Sohn
W. v. Pannwitz«
NB. An nichts leide ich hier einen so empfindlichen Mangel,
aK an Pfeifenmundstücken, denn bereits muss ich mich mit einer
Federpose behelfen. Was das für eine Noth für einen Tabaksraucher,
zumal im. Felde, ist, können Sie sich leicht vorstellen. Wollten
Sie wohl daher die Güte haben und mir eine Parthie, und wenn es
auch 2 Dutzend sind, schicken. Hier kann man weit und breit
keins mehr habhaft werden.
.
Aus bewegter Zeit. 297
Soeben ist unsre Batterie schwere 6 Pfünder abmarschiert,
«ad wir erhalten dagegen eine von schweren 12 Pfündern. Ein
Beweis, dass vielleicht ein Theil von uns doch vorrückt. Das Post-
geld für die* Mundstücke will ich gern tragen. Pannwitz.
Hier schliessen die Briefe. Des Schreibers zuletzt
ausgesprochene Hoffnung auf ein erneutes Vorgehen
gegen Warschau sollte nicht in Erfüllung gehen. Am
4. November stürmte Suworow Praga und am 9. d. Mts.
hielt er seinen feierlichen Einzug in die Hauptstadt Polens.
Ein Wahlkonflikt im Kreise Kroeben 1826.
Von
Manfred Laubert.
I ie Wahlen zu dem i. Posener Provinziallandtage
von 1827 vollzogen sich bei durchschnittlich
reger Beteiligung noch nicht wie die späteren
unter dem leitenden Gesichtspunkt des nationalen Gegen-
satzes, sondern es wurden ohne Rücksicht auf deutsche
oder polnische Herkunft, häufig deshalb in vollster Ein-
mütigkeit, diejenigen Männer zu Deputierten erkoren, welche
ihre Standesgenossen für die geeignetsten zur Wahrung der
gemeinschaftlichen Interessensphäre hielten. Wenn hierbei
der zweite und dritte Stand, Städte und Landgemeinden,
mit zwei Ausnahmen nur deutsche Abgeordnete ent-
sandten, so lag der Grund hierfür in dem Umstände, dass
fast einzig und allein die Nachkommen der aus dem Westen
zugezogenen Ansiedler, nicht die der alteingesessenen
slavischen Bevölkerung, gegenüber den fortwährenden
Unterdrückungsgelüsten der Grundherren ihre Besitztitel
insoweit unverkümmert erhalten hatten, um die gesetzlichen
Bedingungen erfüllen zu können, welche an die Wahl-
berechtigung oder gar an die Wählbarkeit zum Provinzial-
landtage geknüpft waren *).
J) Gesetz wegen Anordnung der Provinzialstände für das
•Grossherzogtum Posen v. 27. März 1824 (Gesetz-Sammlung Nr. 14
S. 141/8;) dazu die spezielle Verordnung von 1826, veröffentlicht in
den Amtsblättern der Regierungen. Verlangt wurde vor allem der
eigentümliche Besitz eines städtischen, bezw. ländlichen Grund-
stücks; zur Ausübung des passiven Wahlrechts war sogar der
Nachweis des zehnjährigen freien Besitzes eines solchen Grund-
stücks von bestimmtem Minimalumfange erforderlich (§ 5 u. 12 des*
^Gesetzes v. 1824).
•
300 Manfred Laubert.
Gerade umgekehrt lagen die Dinge bei der Ritter-
schaft. Unter dieser besassen die Polen mit Ausnahme
weniger Grenzkreise eine unbestrittene Mehrheit, und es
entsprach nur den damaligen Besitzverhältnissen, dass
von den 24 Abgeordneten des ersten Standes bloss vier
deutscher Herkunft waren. Nirgends lassen sich Spuren
von einem Versuch der Minorität nachweisen, ihre
Stimmen auf nationale Sonderkandidaten zu vereinigen f
und es bestand um so weniger Anlass dazu, als den
Polen nicht der Vorwurf gemacht werden kann, dass sie
ihre Überlegenheit in einseitiger Weise ausgebeutet hätten.
Mehrere Mandate, bei deren Verteilung sie das Heft in
Händen hatten, wurden Deutschen angeboten1).
Mit voller Berechtigung fällte daher der Oberpräsident
Baumann über den Ausfall der Wahlen ein günstiges
Gesamturteil und wies mit Befriedigung darauf hin, dass
sich unter den 45 Abgeordneten 23, unter ihren Stellvertretern
18 Protestanten befanden2).
Nur ein einziger Missklang störte die fried-
liche Harmonie, in der sich die Wahlen zu dem 1. Po-
sener Provinziallandtag abgespielt hatten: er wurde
hervorgerufen durch die Ritterschaft des Kreises
Kroeben. Bei dem für diese angesetzten Termine am
1. August 1826 vereinigten die 18 von den 43 wahlberech-
tigten, wirklich erschienenen Komparenten sämtlich ihre
Stimmen auf den Besitzer von Pakoslaw, Joseph von Krzj'za-
nowski, einen Mann, der sich damals unter dem Verdacht der
*) So im Kreise Wongrowitz; erst als der dort gewählte
frühere Oberpräsident Zerboni di Sposetti aus Gesundheitsrücksichten
ablehnte, trat ein Pole an seine Stelle.
2) Für den 1. Landtag wurden nur je ein, bei den späteres
Neuwahlen je zwei Stellvertreter eines Abgeordneten gewählt. —
Baumann an das Staatsministerium 12. Dez. 1826; Protokoll der Kom-
mission für ständische Angelegenheiten, 7. Jan. 1827. Auszug
Staatsarchiv Berlin R. 89 C XI b vol. I. Nr. 1. — Die aktenmässige
Grundlage für die folgende Darstellung, sofern nichts anders ver-
merkt ist, daselbst und Staatsarchiv Posen, Oberpräsidialakten V
B b 2 vol. I u. II.
Ein Wahlkonflikt im Kreise Kroeben 1826. 301
Teilnahme an unerlaubten politischen Verbindungen als Ge-
nosse des Generals von Uminski zu Thorn in Haft befand.
Der Hinweis des Landrats von Randow, dass die Wahl eines
in Staatsarrest befindlichen und deshalb an der Ausübung
seiner bürgerlichen Pflichten behinderten Subjektes un-
zulässig sei, vermochte die Stände nicht umzustimmen;
sie beharrten vielmehr bei ihrem ursprünglichen Beschluss,
um auf solche Weise ihre Überzeugung von der Unschuld
Krzyzanowskis darzutun.
Der Oberpräsident eignete sich jedoch die Auffassung
Randows an und machte diesem die Abhaltung einer
zweiten Wahl zur Pflicht, bei der nur Stimmen für solche
Männer giltig sein sollten, die an dem fraglichen Tage
<len Vollbesitz ihrer Freiheit geniessen würden.
Bei dem neuen auf den 30. November anberaumten
Termin fanden sich nur noch 13 der beteiligten Guts-
besitzer ein, von denen 5 auf die Eröffnungen Randows
hin ihre Stimmen einem Herrn von Czarnecki zu geben
bereit waren. Da sich dieser aber selbst für Krzyzanowski
erklärt hatte, so glaubte er durch Annahme der Wahl
mit seiner inneren Überzeugung in Zwiespalt zu geraten
und lehnte ab, so gern er auch unter anderen Umständen
als Deputierter seines Kreises aufgetreten wäre.
Jedenfalls erschien es fraglich, ob Baumann geneigt
sein würde, die Aggregation Czarneckis kraft rechtlicher
Befugnis auszusprechen, und zur Vorsicht liess Randow
deshalb von den 5 willfährigen Wählern noch einen sub-
sidiären Abgeordneten sowie den gesetzlich vorgeschrie-
benen Stellvertreter bestimmen; man einigte sich auf
einen Grafen von Potulicki und einen Herrn von Broni-
kowski, deren Zustimmung aber zunächst nicht zu erlangen
war, da beide den Wahlakt versäumt hatten.
Um den ihm überaus peinlichen Konflikt, der wie
alle vorfallenden Unregelmässigkeiten nach der von der
Posener Regierung angenommenen Auffassung einen
Schatten auf die Tätigkeit des betreffenden Landrats zu
werfen geeignet war, möglichst bald beigelegt zu sehen,
wünschte Randow die Wahl Czarneckis durch Baumann
3©2 Manfred Laubert.
anerkannt zu sehen, da er hoffte, dass sich jener dann
nicht länger versagen werde. Zu diesem Schritt wollte
sich der Oberpräsident aber nicht verstehen, aus Furcht^
derselbe könne als Schwäche gedeutet werden; er hielt
es vielmehr für notwendig, über die ganze Angelegenheit
an das Staatsministerium zu berichten und von diesem
Anweisimg zu erbitten, zumal ersichtlich war, dass in dem
an gebildeten Gutsbesitzern reichen Kroebener Kreise die
Wahl des verhältnismässig unbedeutenden Krzyianowski
nur als politische Demonstration gedeutet werden konnte *).
Von den zuletzt gewählten lehnte Bronikowski rund-
weg ab. Graf Potulicki, ein Schwager des ebenfalls zu
Thorn in Haft befindlichen Grafen von Mieliynski, tat
hinterher ein Gleiches, nachdem er zuerst in einer ge-
wundenen Erklärung sich zur Annahme bereit erklärt
hatte, unter der Voraussetzung jedoch, dass er lediglich
Stellvertreter (zastqpca) des eigentlichen Abgeordneten
sein würde. Der etwas sophistisch aus dem Zusammen-
*) Zwischen Randow, einem der ältesten, verdientesten und
geachtetsten Landräte der Provinz, und Baumann kam es zu einem
Zusammenstoss über die in Rede stehende Angelegenheit, als der
Oberpräsident gegen jenen den Vorwurf mangelnder Energie erhob,
da er die Wahl Kzryzanowskis nicht zu hintertreiben vermocht
hatte (Reskript v. 20. Dez. 1826, eigenhändiges Konzept). Randow
verteidigte sich sehr energisch und gab an, er sei selbst von dem
ganzen Plan überrascht worden. Auch habe er keine Kenntnis von
der inzwischen eröffneten Kriminaluntersuchung gegen v. K. gehabt,
■nd man hätte die Verhaftung als bloss politische, nicht entehrende
Massregel hingestellt Randow hatte als kleineres Übel die Wahl
geduldet und nicht den leicht herbeizuführenden tumul manschen
Schluss erzwungen. Manche der Wähler waren mit der Kandidatur
v. K.'s nicht zufrieden gewesen, ohne den Mut zu offener Opposition
zu finden; andere brannten vor Begierde, selbst gewählt zu werden«.
Der Landrat klagte, dass ein tiefer wurzelnder, auf allgemeine
Ursachen zurückgehender Beschluss gerade seinen Kreis traf, weil
Herr v. K. zufälliger Weise dort seinen Wohnsitz hatte (An Bau-
mann 26. Dez.). Die Wahl Czarneckis wollte Randow anerkannt
und damit den Zwischenfall aus der Welt geschafft sehen, „weil in
der Regel ist, dass alle in meinem Kreise vorfallenden Irregulari-
täten dem Landrat zur Last gelegt werden" (An Baumann 1. Dez.).
Ein Wahlkonflikt im Kreise Krochen 1826. 303
hang herausgelesenen Deutung, welche der Landrat dieser
Klausel zu geben gesucht hatte, war der Oberpräsident
von vornhein nicht beigetreten, sondern hatte in einem
neuen Bericht an das Staatsministerium seine Ansicht da-
hin ausgesprochen, nach jener nichtssagenden Erklärung
könne er Potulicki keinesfalls als Abgeordneten gelten
lassen und werde nur durch die Rücksicht auf die grosse
Zahl der imbeteiligten Gutsbesitzer von dem Antrage
zurückgehalten, der Ritterschaft des Kreises Kroeben nach
ihrer bisherigen Unbotmässigkeit überhaupt keine Ver-
tretung beim Landtag zu bewilligen.
Während von den Lokalbehörden noch nach einem
gütlichen Ausweg gesucht wurde, ja eine Anzahl der
betroffenen Gutsbesitzer sich sogar zu einer Beschwerde
an Baumann verstieg und die Gültigkeit jeder anderen
Wahl als die des Herrn von Krzyianowski anfocht, wurde
eine schnelle Lösung von Berlin aus herbeigeführt.
In einer Sitzung am 14. Dezember hatte sich die
Kommission für ständische Angelegenheiten mit der
Kroebener Frage befasst, und da von den Ständen ein
nicht im Besitz des unbescholtenen Rufes befindlicher,
mithin nach dem Gesetz vom 27. März 1824 unzulässiger
Vertreter gewählt war1), so machte die Kommission den
Vorschlag, den ersten Stand des genannten Kreises für dieses
Mal von der Beschickimg des Landtages überhaupt aus-
zuschliessen. Auf den Entwurf einer in diesem Sinne
gehaltenen Kabinetsordre hin bemerkte der Kabinetsrat
Albrecht jedoch, eine solche Massregelung sei dem Könige
ungenügend erschienen und da man in dem Beharren
auf der vorschriftswidrigen Wahl eine strenge Ahndung
erheischende Opposition erblicken müsse, so habe er die
Suspension der Vertretung auf 10 oder mehr Jahre zu
verhängen geruht. Nach der definitiven Fassung des
Allerhöchsten Befehls vom 10. Januar 1827 wurde der
*) Nach § 5 Nr. 4 gehört auch der unbescholtene Ruf zu den
Bedingungen der Wählbarkeit.
304- Manfred Laubert.
Ritterschaft des Kroebener Kreises das Repräsentations-
recht genommen, bis der Monarch sich „von ihrer besseren
Gesinnung" überzeugt haben würde1).
Baumann machte dem Landrat unter dem Ausdruck
des tiefsten persönlichen Bedauerns von diesem uner-
wartet harten, viele Unschuldige treffenden Ende Mit-
teilung, gab sich aber der Hoffnung hin, dass nach dem
Wortlaut der Ordre Friedrich Wilhelm III. vielleicht ge-
neigt sein möchte, die Ausschliessung in kurzem wieder
aufzuheben. Für diesen Fall wurde dem Landrat streng
vertraulich anheimgestellt, auf die Zweckmässigkeit einer
ehrerbietigen Entschuldigungsadresse an den Monarchen
vorsichtig hinzuweisen2).
Die Schuldigen selbst hatten sich hartnäckig hinter
der Ausrede zu verschanzen gesucht, sie wären von der
Absicht ganz frei gewesen, gesetzwidrige Handlungen zu
begehen. Auch dem Staatsministerium gegenüber be-
tonten sie die Auffassung, da sie von der gegen Krzyia-
nowski eröffneten Kriminaluntersuchung keine Kenntnis
besassen, hätten sie die Verhaftung ihres Kandidaten als
eine bloss politische, den Charakter desselben nicht be-
fleckende Massregel betrachtet3).
Wenn der Zusammenhang der Dinge, wie er hier
auseinandergesetzt wurde, überhaupt irgendwie der
Wahrheit entsprach, so musste die Ordre vom 10. Januar
J) Randow an Baumann 24. Okt. u. 1. Dez. 1826, Antwort
Konzept 6. Nov. u. 9. Dez., Baumann an das Staatsministerium 6. u.
11. Dez., Konzept; Protokoll der Sitzung v. 14. Dez. u. Entwurf
einer Kabinets-Ordre; Konzept, bezw. Abschrift d. Kab.-Ordre
v. 10. Jan. 1827; Beschwerde von Kroebener Gutsbesitzern an Bau-
mann 30. Dez., Wahlprotokolle v. 1. Aug. u. 30. Nov.
2) Zwei Schreiben Baumanns an Randow v. 9. Februar 1827.
Konzept.
3) Eingabe an das Staatsministerium 6. Febr. Abschrift. Durch
Einsendung der Akten an die höhere Instanz war Baumann angeblich
den Absichten der Bittsteller zuvorgekommen, welche der Ueberzeugung
waren, dass ihre in jenen Piecen entwickelten Meinungen „ganz in
Übereinstimmung mit dem Willen des durch die Allerhöchste Huld
und Gnade Seiner Majestät uns gewordenen Gesetzes sind".
Ein Wahlkonflikt im Kreise Kroeben 1826. 305
\xm so unerwarteter und schwerwiegender auf die davon
Betroffenen zurückfallen. In der Tat bemächtigte sich
nach Randows Bericht der Gutsbesitzer eine mit tiefer
Zerknirschung verbundene Bestürzung, als er ihnen in
einer auf den 3. März anberaumten Versammlung von
dem Entschluss des Königs Kenntnis gab. Auf der Stelle
wurde die Absendung einer Entschuldigungs- oder besser
gesagt: Verteidigungs - Adresse beschlossen, welche der
Landrat dem allgemeinen Wunsche zufolge aufsetzte. Zu
ihrer Unterstützung stellte er den Grundherren seines
Kreises ein günstiges Zeugnis aus und hob hervor, dass
von den 43 wahlfähigen Besitzern nur 9 an Herrn von
Krzyzanowski festgehalten hätten, also beinahe 3/4 ohne
Verschulden unter den Folgen der königlichen Ungnade
zu leiden hätten. Diesen Umstand betonte auch Baumann
besonders, um die Befürwortung des Gesuchs zu recht-
fertigen. Trotzdem sah sich das Staatsministerium nicht
veranlasst, bei dem Monarchen eine Milderung der
früheren Bestimmung zu beantragen1).
Diesem ersten vollständig gescheiterten Anlauf, um
die Zurücknahme der verhängten Ausschliessung zu er-
wirken, folgte ein zweiter, dem wenigstens ein teilweiser
Erfolg beschieden war, im Herbst 1827. Die Seele dieser
Bestrebungen war der Fürst Sulkowski, welcher in seiner
Eigenschaft als Landtagsmarschall den sehnlichen Wunsch
hegte, die vorhandene Lücke unter den Deputierten aus-
gefüllt zu sehen. Er wandte sich um Rat an Randow
und Baumann. Letzterer warnte, mit dem Hinweis, dass,
nachdem inzwischen Herr von Krzyzanowski aus der Haft
auf seine Güter entlassen worden war, dessen Wieder-
wahl 'zu befürchten stehe, und ausserdem die Interessenten
bei dem voraufgegangenen Unternehmen mit völliger
Verkennung der Situation gehandelt hätten, da sie mehr
auf ihre Rechtfertigung als auf den Beweis einer ge-
besserten Gesinnung bedacht genommen, ja, die Sus-
!) Randow an Baumann, 4. März ; Baumann an das Staats-
ministerium, Konzept, 8. März. Antwort, 19. März.
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Prov. Posen. Jahrgang XIX. ao
306 Manfred Laubert
pension der Aussperrung nicht als Akt der Gnade, son-
dern der Gerechtigkeit gefordert hätten. Diese Bedenken
aber erschütterten Sulkowskis Vorsatz ebensowenig wie
die ähnlich lautenden Ratschläge des Landrats, der dieses
Mal seinerseits jedes aktive Eingreifen ablehnte, aber
wiederum die Absendung einer möglichst von allen Be-
teiligten unterzeichneten Entschuldigungsadresse als ein-
ziges Mittel zum Zweck bezeichnete1).
Dem Winke Randows folgend, Hess Sulkowski
durch einen angesehenen Gutsbesitzer die wahlfähigen
Mitglieder der Ritterschaft nach seinem Schlosse Reisen
entbieten. Der erste Versuch misslang, bei einer zweiten
Aufforderung kamen wenigstens 21 der Geladenen zu-
sammen, und die Adresse wurde mit einem sehr warmen
Befürwortungsschreiben des Fürsten2) abgeschickt
Auch Randow begleitete dieselbe umsomehr mit
seinen guten Wünschen, als er erfahren hatte, dass von
den Deputierten des ersten Standes der ganzen Provinz ge-
plant wurde, nach der Landtagseröffnung bei dem Fehlen
des Kroebener Vertreters sich für nicht gesetzlich voll-
zählig zu erklären und darum in keine Beratungen ein-
treten zu wollen. Eine Wiederholung des leidigen
Skandals in grösserem Massstab stand also auf dem
Landtag selbst zu befürchten. Der Oberpräsident sah
freilich weniger schwarz, sondern gab sich der sicheren
Hoffnung hin, die Mehrzahl der Abgeordneten werde vor
der offenkundigen Befolgung derartiger obstruktiver Ten-
denzen zurückschrecken 8).
Die Adresse wurde vom Könige durch eine in
gnädige Worte gekleidete Ablehnung des vorgebrachten
Gesuches beantwortet. „Bei aller Geneigtheit", auf Sul-
kowskis Wünsche einzugehen, konnte sich der Monarch
*) Sulkowski an Baumann, 15. Sept.; Antwort, Konzept, 17. Sept.;
Sulkowski an Baumann 22. Sept.
2) Vom 28. Sept.
3) Randow an Baumann, 28. Sept. Archiv Posen. Obpräs.- Akten
V, Ba ia.
Ein Wahlkonflikt im Kreise Kroeben 1826. 307
z\x einer Zurücknahme der verfügten Suspension für den
bevorstehenden 1. Landtag nicht entschliessen, dagegen
stellte er eine solche Massregel für den folgenden Zu-
sammentritt der Stände in gewisse Aussicht in Anbetracht
des loyalen Gesinnungswechsels, den die Kroebener
Ritterschaft an den Tag gelegt hatte, und unter der
Voraussetzung, dass sie keinen neuen Anlass zur
Unzufriedenheit geben werde1).
Noch weitergehende Zugeständnisse vermochte auch
die Verwendung des Statthalters, Fürsten RadziwiH, nicht
zu erzielen2), und der 1. Stand des Kreises
Kroeben musste sich in sein Schicksal
fügen, aufdemProvinziallandtage von 1827
ohne Vertretung zu bleiben.
Indessen hattesich die Allerhöchste Willensmeinung mit
solcher Unzweideutigkeit für die Zulassung des Kroebener
Abgeordneten bei der 2. ständischen Versammlung
ausgesprochen, dass selbst der anfänglich zu keinem
entgegenkommenden Schritt in der fraglichen Angelegen-
heit geneigte Minister des Innern, Schuckmann, sich der
Notwendigkeit einer Neuwahl nicht verschliessen konnte,
noch bevor eine an ihn ergehende Kabinetsordre von*
11. September 1829 den Eintritt eines für den Rest der
laufenden Wahlperiode zu nominierenden Kroebener Ab-
geordneten iu den Landtag verfügte, falls keine beson-
deren Gründe dagegen sprächen8).
Hiermit begann des Schauspiels 2. Akt. Inzwischen
hatte sich die Sachlage insofern wesentlich verschoben,,
als Krzyianowski durch das am 26. November 1827 vom
Posener Landgericht gefällte, später vom Oberappellations-
gericht als oberster Berufungsinstanz bestätigte Urteil
von der Anklage wegen Teilnahme an einer verbotenem
*) Kab.-Ordre v. 13. Okt 1827 an Sulkowski.
2) Kab.-Ordre v. 13. Okt. an Radziwiü, Archiv Posen, Statt-
kaherakten V 3 f. 24.
5) Schuckmann an Baumann 26. Juni u. 1. Juli 1829, Abschrift
bezw. Konzept der Kab.-Ordre v. it. Sept.
3°8 Manfred Laubert.
geheimen Verbindung, allerdings „nur vorläufig* frei-
gesprochen und — wir hörten es bereits — aus der
Haft entlassen war1).
Da nun zu befürchten stand, dass unter diesen Um-
ständen die Wählerschaft den Versuch machen werde,
ihren früheren Kandidaten wieder zu erküren, so drängte
sich die Frage auf, ob ein nur ab instantia absolvierter
Jnculpat überhaupt als unbescholten im Sinne des Ge-
setzes von 1824 zu betrachten sei? Nach Baumanns
Ansicht war die Unbescholtenheit erst dann wieder her-
gestellt, wenn die Unschuld des Angeklagten vom Richter
definitiv, nicht bloss vorläufig anerkannt war. Dieser
Auffassung schloss sich Schuckmann an, und er genehmigte,
dass dem Landrat eingeschärft werde, erforderlichen
Falls darauf zu verweisen, dass eine eventuelle Wahl
Krzyianowskis als gesetzwidrig zu betrachten sei2).
Der Erfolg dieser Vorsichtsmassregel war bei alledem
um so ungewisser, als noch in anderer Hinsicht die Dinge
sich in einer für die Behörden ungünstigen Weise ge-
ändert hatten: der ungewöhnlich tüchtige, auch bei den
Polen in hohem Ansehen stehende Landrat von Randow
war gestorben und hatte in dem bisherigen Leiter des
Fraustädter Kreises, Stammer, einen eben so unfähigen
wie schwächlichen Nachfolger erhalten, dessen Einfluss
auf seine Kreisbewohner nur sehr gering veranschlagt
werden durfte8). Zur gröseren Sicherheit suchte daher
Baumann noch durch Vermittlung Sulkowskis auf die
Vermeidung einer unangemessenen Wahl hinzuwirken.
1) Abschrift des Urteilstenors, Archiv Posen a. a. O.
2) Baumann an Schuckmann, 12. Juli, Konzept; Antwort 3. Aug.,
Baumann an den Landrat Stammer, 15. Aug., Konzept.
3) Die Versetzung Stammers in den besonders wichtigen und
schwierigen Kroebener Kreis war auf speziellen Wunsch Baumanns
verfügt worden, dem sein gänzlicher Mangel an Menschenkenntnis
hierbei einen derben Streich spielte. Schon nach wenigen Monaten
konnte er sich einen schweren Missgriff nicht verhehlen, doch ge-
lang es erst Flottwell nach jahrelangem Bemühen, sich Stammers
durch zwangsweise Pensionierung zu entledigen.
Ein Wahlkonflikt im Kreise Krochen 1826. 309-
Auch dem Fürsten war die ganze Angelegenheit im
höchsten Masse peinlich, und er wird gewiss unter der
Hand sein möglichstes getan haben, um jede Anstössigkeit
zu vermeiden, soweit er dazu ohne Einbusse seines An-
sehens bei der polnischen Aristokratie im Stande war,,
denn stets suchte er zwischen den ihn bedrohenden
beiden Klippen hindurchzulavieren, dem Verdachte man-
gelnder Energie bei Aufrechterhaltung von Ordnung und
Gesetz auf der einen, zu weitgetriebener Loyalität auf der
anderen Seite. Daher brauchte er die ihm als Landtags-
marschall gebotene Unparteilichkeit zum Vorwand, um
offene, seinpolnischesNationalitätsgefühl kompromittierende
Schritte zu vermeiden1).
Alle Beschwichtigungsversuche blieben ohne Erfolge
und die geheimen Befürchtungen der Behörden gingen
in vollem Umfang in Erfüllung. Bei dem am 24. Sep-
tember abgehaltenen Termin beschlossen die erschienenen
Gutsbesitzer, vorläufig von einer Wahl Abstand zu nehmen^
um dem anwesenden Herrn von KrzySanowski Gelegen-
heit zu geben, in einer Immediateingabe seine Lage
dem Könige vorzutragen und eine Allerhöchste Ent~
Scheidung zu erbitten2).
Die Antwort fiel, wie sich von vornherein hatte er-
warten lassen, dahin aus, dass ein nur ab instantia Frei-
gesprochener nach dem Gesetze weder wahlfähig noch
wählbar sei. Auf dem 1. Dezember wurde dann ein
nochmaliger Termin ausgeschrieben3).
*) Baumann an Sulkowski, 26. August, Konzept; Antwort, 24.
August 1829.
2) Stammer an Baumann, 25. Sept. ; Wahlprotokoll v. 24. Sept.
3) Baumann an den Geheimen Rat Michalski (?), den Gehilfen
und Vertrauten Radziwills. 8. Nov. 1829. Archiv Posen, Statt-
halterakten V 3 f. 80/1: Krzyzanowskis Beschwerde über die vom
Oberpräsidenten verfügte Aberkennung seiner Wählbarkeit sei vom
Könige zurückgewiesen ; die Sache habe in Berlin „einen sehr üblen
Eindruck* gemacht, doch sei ein neuer Termin bewilligt worden,,
da die Ritterschaft noch nicht gewählt, sondern um Belehrung ge-
beten habe.
310 Manfred Laubert.
Da jedoch Stammer in seiner anmassenden und
dünkelhaften Art bei der Wahleinladung, anstatt sich auf
eine rein formelle Fassung zu beschränken, eine un-
passende Kritik der Tätigkeit und Erfolge des i. Land-
tages zum besten gegeben hatte, ausserdem aber, um
Krzyianowski zum freiwilligen Verzicht zu bewegen, in
eine schwächliche, demütig bittende Privatkorrespondenz
mit diesem eingetreten war, wobei ihn der stolze Magnat
schmählich abfallen Hess, so übertrug der Oberpräsident
nicht ihm, sondern auf Anweisung Schuckmanns dem
Landrat des benachbarten Krotoschiner Kreises, von Kar-
•czewski, einem gebornen Polen, die fernere Leitung der
Wahlangelegenheit, zumal auch Stammers wenig um-
sichtiges Verhalten bei dem Wahlakt selbst an der un-
günstigen Wendung der Dinge nicht schuldlos erschien1).
Diese Verfügung bot bei der Wahl am i. Dezember
den erschienenen Teilnehmern willkommenen Vorwand zu
einem neuen Seitensprung. Acht von den n Anwesenden
verlangten zunächst Aufschluss darüber, weshalb nicht
der zuständige Kreislandrat als Kommissar fungieren
sollte. Sie stützten sich hierbei auf den § 26 des Gesetzes
vom 27. März 1824, wonach die Wahlen durch den Landrat
oder einen von ihm ernannten Stellvertreter geleitet
werden mussten. Um über den Grund der hier an-
geordneten Abweichung per Estafette Auskunft von
*) Gedruckte Wahleinladung v. 1. Sept.; Privatschreibea
Stammers an v. K. 23. Sept., Abschrift; Antwort mit Übersetzung
24. Sept. Wahlprotokoll 24. Sept.; Baumann an Schuckmann, Kon-
zept, 2. Okt.; Antwort, 2. Nov; Baumann an v. Krzyzanowski und
Stammer, Konzept 7. Nov. Von Stammers Wahleinladung schrieb
Baumann: „Das Circulare des Landraths Stammer ist das elendeste
Machwerk, das ich kenne, und es ist kaum zu begreifen, wie dieser
Landrath, dem nichts oblag, als die Grundbesitzer zu dem Wahl-
Termin einzuladen, sich hat herablassen können, wegen der ver-
meintlich begrenzten Resultate des ersten Provinzial-Landtages dem
Kroebener Creise Trostworte zuzurufen, um von dem Beharren bei
dem Gebetenen, aber von Sr. Majestät nicht bewilligten ihm grosse
Erfolge in die Perspective zu stellen." (An Radziwili, 12. Okt. Statt-
halterakten a. a. O. fl. 78/9.)
Ein Wahlkonflikt im Kreise Kroeben 1826. 31 1
Baumann einholen zu können, beantragten sie eine vor-
läufige Vertagung; nur die 3 anderen Interessenten waren
bereit, die Wahl eines Abgeordneten nebst Stellvertreters
ohne Aufschub in das Werk zu setzen1).
Unter solchen Umständen blieb bloss die Anbe-
raumung eines nochmaligen Termins übrig; dieser
wurde unter Anwesenheit von 14 Wählern am 14. De-
zember abgehalten. Karczewski las einen Auszug der
Schuckmannschen Verfügung vom 2. November vor,
welche die Ernennung eines „umsichtigeren Kommissars"
empfahl. Die Stände erklärten darauf einstimmig, sie
dächten nicht daran, sich der Wahl zu entziehen, müssten
sich aber einer peinlichen Befolgung djer gesetzlichen
Vorschriften befleissigen und aus diesem Grunde darauf
bestehen, dass der Landrat Stammer seine Zustimmung
zm der Leitung des Wahlgeschäftes durch einen anderen
Kommissar förmlich erkläre. Karczewski konnte nicht
hindern, dass durch eine eilig entsandte Deputation die
entsprechende Anfrage gestellt wurde. Für Stammer
war diese Wendung im höchsten Masse erwünscht, denn
er erhielt dadurch Gelegenheit, für die ihm wider-
fahrene Kränkung Rache zu nehmen und das Verfahren
seiner vorgesetzten Behörden einer bissigen Kritik zu
unterziehen. Weit entfernt, der Sache seinen persön-
lichen Ehrgeiz zum Opfer zu bringen, lehnte er die Be-
stallung eines Vertreters entrüstet ab, da eine solche
Handlung ihm als stillschweigende Sanktionierung der
seiner Meinung nach ungerechten Zurücksetzung hätte
ausgelegt werden müssen2).
1) Wahlprotokoll 1. Dez.
2) Schriftliche Erklärung Stammers v. 14. Dez. n ... Ich bin
durch die Ernennung eines Commissarii zur Leitung der Wahl
eines Landtags-Abgeordneten an meiner Stelle öffentlich kompro-
mittirt, ohne dass ich dazu auf irgend eine Art Veranlassung ge-
geben habe. Würde ich nun jetzt einen Stellvertreter für mich
ernennen, so würde das ganze gebildete Publicum dies als ein
Selbstgeständniss meiner von mir anerkannten Unfähigkeit zur
Leitung dieses Acts annehmen müssen . . . u
312 Manfred Laub er t.
Hierauf erklärten die Mitglieder der Versammlung,,
sie könnten sich durch das angeführte Ministerialreskript
nicht von der Befolgung der gesetzlichen Vorschrift für
entbunden halten, müssten also ihre Wahlkompetenz in
Zweifel ziehen und um baldige Ansetzung eines 4. Termins
bitten. Alle Gegenvorstellungen des Kommissars blieben
fruchtlos; der Beschluss wurde einstimmig gefasst, denn
auch diejenigen traten ihm bei, die am 1. Dezember sieb
zur Wahl hatten bereit finden lassen1).
Diese Machenschaften stellten aber die Geduld der
oberen Behörden und des Königs auf eine zu harte Ge-
duldsprobe. Nach Baumanns am 19. Dezember er-
statteter Anzeige von den geschilderten Ereignissen be-
reitete Schuckmann einen Immediatbericht vor, auf
welchen die Kabinetsordre vom 31. d. M. erging2). In
dieser war bündig gesagt, da die Ritterschaft des Kreises
Kroeben „unter unhaltbaren Vorwänden" drei Wahltermine
vereitelt habe, so sei kein neuer anzuberaumen und es
solle vielmehr die königliche Bestimmung vom 10. Januar
1827 wieder in Kraft treten, zumal auch die nach der
Ordre vom 15. Oktober jenes Jahres an die Aufhebung
der Suspension geknüpfte Bedingung anlässlich der
letzten Vorgänge als nicht erfüllt betrachtet werden
müsse. Stammer kam mit einer scharfen Rüge seines
respektwidrigen Benehmens davon 3).
Dieses Mal war es bitterer Ernst mit der Ungnade
Friedrich Wilhelms. Wenn die renitenten Stände ge-
hofft hatten, dank einflussreicher Fürsprache und dank
!) Wahlprotokoll 14. Dez.
2) Baumann an Schuckmann, Konzept; Kabinetsordre am
Schuckmann, Konzept, bezw. Abschrift.
3) Schuckmann an Baumann 4. Januar 1830; Baumann an
Stammer 9. Januar, Konzept. Der Minister setzt auseinander, dass
der Landrat auf die Anfrage der Ritterschaft hätte erklären müssen,
in Dienstsachen dürfe kein Beamter eine dem Willen seiner Vor-
gesetzten widerstreitende Ansicht haben, daher sei die Einsetzung
des Stellvertreters als von ihm gebilligt zu betrachten, wodurch
allen Weiterungen der Boden entzogen worden wäre.
Ein Wahlkonflikt im Kreise Kroeben 1826. 3 13
ter oft bewährten Langmut der preussischen Staats-
egierung baldige Verzeihung zu erlangen, so sahen sie
rieh arg getäuscht
Eine von dem 2. Provinziallandtage in das Werk
gesetzte und von einem Auss chuss desselben vorbereitete
Immediateingabe verlief ergebnislos 1). Noch viel weniger
•war nach dem Ausbruch des polnischen Aufstandes von
1830 in den leitenden Kreisen Stimmung vorhanden,
Gnade für Recht ergehen zu lassen. Erst 1836 kam die
Angelegenheit wieder zur Sprache, und zwar gaben die
Kroebener Gutsbesitzer selbst den Wunsch zu erkennen,
auf den nächsten Landtag einen Vertreter entsenden zu
dürfen. Der damalige Minister des Innern, Rochow, war
nicht zu einer Fürsprache geneigt und wollte bei den
absolut ungewissen Absichten des Königs jedenfalls erst
gegen das Ende der laufenden Wahlperiode weitere
Schritte in dieser Frage tun. Für unerlässlich hielt er es,
dass sich die Schuldigen unmittelbar an den Monarchen
wandten und ihm zu erkennen gäben, wie sehr sie ihre
früheren Missgriffe nicht blos einsähen, sondern auch be-
reuten. Da aber durch die Ordre vom Oktober 1829
die Suspension des Wahlrechts nicht schlechthin, sondern
nur provisorisch für den 2. Provinziallandtag aufgehoben
war, glaubte der Minister voraussagen zu können, dass
sein königlicher Herr, nachdem der erste Versuch einer
Neuwahl über alles Erwarten ungünstig ausgefallen war,
wohl schwerlich gewillt sein werde, ohne vorherige
weitere Probe sein Verdikt sogleich definitiv zu be-
seitigen.
Zu dieser pessimistischen Anschauung hatte wesent-
lich das Ergebnis einer auf Rochows Wunsch von
Flottwell eingereichten Charakteristik der in Betracht
l) Sulkowski an Baumann 15. u. 18. Januar. Auch Krzyi-
anowski wandte sich direkt an den König und bat um Erlaubnis, an
den Verhandlungen sich beteiligen zu dürfen ; sein Gesuch wurde
«ebenfalls abgewiesen. (Kabinetsordre an Schuckmann und den
Justizminister Grafen Dankelman Konzept 26. Januar.)
314 Manfred Laubert
kommenden Grundherren des Kreises Kroeben beigetragen.
Nach des Oberpräsidenten milder, vom Minister nicht
einmal durchweg gebilligten Klassifizierung waren 22 der
Betreffenden zuverlässig und verständig, 12 andere politisch
indifferent und einflusslos, während n zur Klasse der
exaltierten Polenfreunde gerechnet werden mussten *).
Der von der Ritterschaft gemachte Anlauf, um eine
Beseitigung der über sie verhängten Strafe zu erwirkenr
konnte also auf Unterstützung von Seiten des Ministers
nicht rechnen und verlor sich daher erklärlicherweise
im Sande.
Niemals hat sich der tief gekränkte Könige
Friedrich Wilhelm III. dazu entschliessen
können, den widerspenstigen Kroebener
Ständen das Recht der Vertretung auf dem
Posener P r o v i n z i a 1 1 a nd t a g zurück-
zugeben.
Dem Sohne blieb es vorbehalten, seine in den
ersten Regierungsjahren betätigte nachsichtige Gesinnung
gegen die polnische Nation schon 1840 durch die Ver-
zeihung an den Tag zu legen, die er grossmütig der
Ritterschaft des genannten Kreises zu teil werden Hess
„In der Voraussetzung", dass die einst zur Ausschliessung
führenden Gründe „völlig beseitigt sein werden*, wurde
die Ausschreibung einer Wahl gestattet und dabei die
Hoffnung geäussert, dass der Erfolg diese Voraussetzung
bestätigen werde2).
Mit dieser königlichen Verfügung wurde endlich ein
mehr als ein Jahrzehnt sich hinschleppender Konflikt
zum Abschluss gebracht, der von Seiten der Ritterschaft
*) Rochow an Flottwell 18. Dezember 1836 und 35. April 1837;.
Antwort und Verzeichnis der Gutsbesitzer 6. Jan., Konzept, die Be-
merkungen teilweise von Flottwell eigenhändig eingetragen.
2) Kabinetsordre an Rochow 4. Dezember, Abschrift Diese
Erwartung ging freilich nicht in Erfüllung. Der Abgeordnete des
Kroebener Kreises, von Stablewski, sowie seine Stellvertreter, ge-
hörten der radikalen polnischen Partei zu und schlössen sich deren
Vorgehen skrupellos an.
Ein Wahlkonflikt Im Kreise Kroeben 1806. 315
mit allen Waffen der Intrigue, unter geschickter
Ausnützung der von den Behörden begangenen
Ungeschicklichkeiten, von Seiten der Regierung im
ganzen mit konsequenter Festigkeit, wenn auch im
einzelnen nicht durchweg mit Takt und Umsicht
fortgeführt wurde.
Will man die dem Streit zu Grunde liegenden
Motive näher bestimmen, so wird man als Grundton der
oppositionellen Strömung zweifellos ein Aufwallen des
Nationalitätsgefühls, das demonstrative Eintreten des pol-
nischen Adels für eines seiner verfolgten und vervehmten
Mitglieder annehmen können. Diese Solidaritätserklärung"
mit dem Märtyrer der nationalen Sache ging aus von
einer kleinen radikalen Minderheit Gewiss, Randow
hat es ja ausgeplaudert, viele waren im Herzen unzu-
frieden mit Krzyianowskis Wahl, aber sie wagten nicht
zu widersprechen und blieben künftig lieber ganz zu
Hause. Dieser Indifferentismus kennzeichnet die Situation.
Er ist sicherlich nicht blos ein Anzeichen des noch sehr
mangelhaft entwickelten politischen Verständnisses jener
Zeit, sondern ein Ausfluss des Grundsatzes, dass man
keine Partei vor den Kopf stossen dürfe, ein Grundsatz,
dem Deutsche wie Polen, grosse wie kleine Grundherrn
huldigten. Sulkowski selbst ist das Urbild jener janus-
köpfigen Mittelpartei, deren Anhängern nichts so verhasst
war, wie ein zugespitzter Konflikt, bei dem sie in die
Lage kommen konnten, offen Farbe zu bekennen. Schrieb
doch der Fürst, als an ihn die Aufforderung erging,
seinen Einfluss gegen Krzyianowskis Wiederwahl
geltend zu machen, ihm als Landtagsmarschall gebühre
absolute Unparteilichkeit und er könne daher nur „sub
rosa" wirken und erläuternd schickte er voraus: „Aller-
dings schmeichle ich mir, das Zutrauen aller meiner
vernünftigen Landsleute zu besitzen, die gewiss Gottlob
sieben Achtel der Bevölkerung des Grossherzogthums
Posen ausmachen, allein auch das eine Achtel muss ich.
mit Klugheit behandeln, damit die Zahl desselben sich
flicht vermehre, sondern vermindere."
3*6 Manfred Laubert.
Mit anderen Worten: weil die grosse Mehrheit der
Wähler nicht den Mut hat, sich mit der extremen Minorität zu
verfeinden, überlässt man diesen rücksichtslos für ihre
.Ziele eintretenden Männern die Führung, und so gelingt
es ihnen, eine Ausschlag gebende Stellung zu gewinnen
und noch manchen Wankelmütigen mit sich fortzureissen.
Die verständigen Polen fürchten, bei offenkundiger
Unterstützung der Regierung des Mangels an Patriotismus
geziehenx zu werden ; die vereinzelten Deutschen besorgen
bei entschlossenem Eintreten für die staatliche Autorität
unangenehme Reibereien persönlicher Natur.
Aber es hiesse doch die Bewegung zu eng be-
grenzen, wenn man das Gebäude der Oppo-
sition nur auf dieser nationalen Basis be-
gründen wollte.
Bei der ersten Wahl am i. August 1826 wurde, wie
wir sahen, Krzyianowski einstimmig zum Depu-
tierten proklamiert, obwohl sich unter den Wählern
auch die Herren Leopold und Heinrich von Unruh auf
Ziemlin, bezw. Dziqczyn befanden. Letzterer bekleidete
.zwar die Würde eines königlich preussischen Kammer-
herrn, aber noch 10 Jahre später stellte ihm Flottwell
■das Zeugnis aus, er sei „nicht von ganz zuverlässiger Ge-
sinnung", wenn auch „verständiger und besonnener* ge-
worden als früher, und Rochow wollte ihn nicht einmal,
wie der Oberpräsident, den unverdächtigen Gutsbesitzern
zuzählen. Die beiden Unruh befanden sich auch am
30. November ebenso wie ein Hauptmann a. D. Haendel
auf Tarche unter der Mehrheit, welche jede andere Wahl
als die des anfangs nominierten Kandidaten ablehnte.
Ein Kreisrat Hellwig, der dieses Mal und bei den späteren
Terminen am 24. September und 1. Dezember 1829 sich
von der Majorität absonderte, am 24. September ganz
allein, das folgende Mal nur in Gemeinschaft mit einem
Herrn von Rogalinski und dem für seine im Besitz eines
Dominiums befindliche Gemeinde wählenden Bürger-
meister von Gostyn, wofür diese drei auf Schuckmanns
Veranlassung unter der Hand belobt wurden, schlug sich*
Ein Wahlkonflikt im Kreise Kroeben 1806. 317
hauptsächlich wohl aus Furcht vor etwaigen Unannehm-
lichkeiten, weniger aus innerer Ueberzeugung, am 14. De-
zember doch auf die Seite seiner Kollegen, wodurch der
einstimmige Beschluss zu Stande kam, ohne ausdrückliche
Zustimmung Stammers zur Leitung des Wahlaktes durch
einen Stellvertreter keine Wahl vornehmen zu wollen.
Am 1. Dezember war Heinrich von Unruh nicht zugegen ;.
Leopold treffen wir unter der Mehrheit; am 14. fehlt
auch die Unterschrift des Kammerherrn nicht.
Also auch Männer von deutschem Geblüt verhalten
sich nicht nur passiv, sondern stehen im Kampfe gegen
die Regierung Schulter an Schulter mit ihren polnischen
Genossen in den Reihen der Opposition. Sie traten ein
für Krzyzanowski, mit dem sie vielleicht warme Freund-
schaft, jedenfalls aber eine starke Interessengemeinschaft
verband. Ein solches Verhalten wird nur erklärlich,,
wenn man die geringe Liebe und Achtung in
Betracht zieht, welche die preussischen Be-
hörden bei den Grossgrundbesitzern der
Provinz Posen in der ersten Hälfte des 19. Jahr-
hunderts überhaupt genossen. Nicht als Träger
und Schützer nationaler Rechte, sondern in erster Linie
als Feind partikularer und materieller Interessen galt der
Staat auch dem deutschen Gutsbesitzer. Es handelt sich
bei dem Kr oeb ener Konflikt nicht um einen Akt
nationaler Auflehnung allein, sondern es ist
ihm eine starke Dosis ständischer Selbst-
herrlichkeit gegen die Vormundschaft der
R eg i e r u n g und ihr verhasstes Organ, den
Landrat, beigemischt und darum wurde mit ge-
heimer Schadenfreude jede neue Niederlage der Behörden
betrachtet. Die Lage der Landwirte war eine überaus
schwierige in der Provinz; sie wurde verschärft durch
die gesetzgeberische Bahn, welche die preussischen Staats-
männer nach 1815 im grossen ganzen zielbewusst ver-
folgten ; das Regulierungsgesetz von 1823, die Reform der
Steuerverfassung, die drohende Ablösung der Zwangs-
und Bauernrechte, die Vorbereitungen der Judeneman-
3i8
Manfred Laubert.
•cipation und die rudimentäre Erfüllung der konstitutionellen
Verheissungen durch die Schaffung der bedeutungslosen
Provinziallandtage mussten den Groll der Feudalherren
herausfordern und liessen bei ihnen vor den mate-
riellen Ansprüchen die politisch-natio-
nalen Pflichten in den Hintergrund treten
eine Erscheinung, die sich seit dem Wahlkonflikt von
Kroeben in den verschiedensten Phasen wiederholt hat.
M
Zeitschrift
der
JHüstorisehen Gesellschaft
für die
Provinz Posen,
zugleich
Zeitschrift der Historischen Gesellschaft
für den
fJetzedistrikt zu Bromberg.
Herausgegeben
Dr. Rodgero Prümers.
Zwanzigster Jahrgang.
Eigentum der Gesellschaft. — Vertrieb durch Joseph Jolowicz.
Posen 1905.
Inhalts- Verzeichnis.
Seite
t. Geschichte der Stadt Pakosch. Von Archivrat Professor
Dr. Adolf Warschauer zu Posen r
2. Andreas Fricius Modrevius. Seine Lehr- und Wanderjahre.
Aus dem Nachlasse Dr. Jacob Caros, Universitäts-
professors zu Breslau 55
3. Alte Lissaer Grabdenkmäler. Von Oberlehrer a. D. Dr. Paul
Voigt zu Lissa 11 1
4. Kuno Fischer in Posen. Von Gymnasialdirektor Prof. Dr.
Friedrich Thümen zu Posen 149
5. Beiträge zur Geschichte des deutsch-katholischen Kirchen-
systems der Stadt Posen und ihrer Kämmereidörfer.
Von Dr. Manfred Laubert zu Frankfurt a. O. . . . 163
6. Carl Gottfried Woide. Ein Beitrag zu den wissenschaftlichen
Traditionen der Unität. Von Pastor Wilhelm
Bickerich zu Lissa 193
7. Jakob Kuchler. Ein Poscner Humanist. Von Pastor
Dr. Theodor Wotschke zu Santomischel * 213
8. Aus den Posener Stadtrechnungen, besonders des XVI. Jahr-
hunderts. Von Archivrat Professor Dr. Adolf
Warschauer zu Posen 249
9. Der Hostiendiebstahl zu Posen im Jahre 1399. Von
Geh. Archivrat Professor Dr. Rodgero Prüm er s zu
Posen 293
Geschichte der Stadt Pakosch.
Im Auftrage der städtischen Behörden bearbeitet
von
Adolf Warschauer.
I.
Die älteste Erwähnung des Ortes, der Kirche und der
Burg Pakosch. — Schicksale im Kriege mit dem Deutschen
Orden.
I er nordöstliche Teil der heutigen Provinz Posen,
das Land der Wasserscheide zwischen dem
Oberlauf der Netze und der Weichsel, das
früher noch mehr als heute von Rinnsalen, Seen und
Sümpfen durchsetzt war, bewahrt verhältnismässig alt-
historische Erinnerungen. Die festen Punkte, die aus den
weiten Wasser- und Sumpfflächen hervorragten, waren
leicht zu verteidigende Wohnplätze, und die Gewässer
boten der Urbevölkerung vielfach mühelos zu erlangende
Nahrungsmittel dar. Sogar den ältesten Fürstensitz
des Landes, Kruschwitz, setzt die Volksüberlieferung in
diese Gegend.
Zu diesen alten, früher noch mehr als heute von
Wasser und Sumpf völlig umgebenen Wohnstätten gehört
auch Pakosch, am Oberlauf der Netze, wo dieser Fluss in
breitem Strombett, in früheren Zeiten mannigfach von
Nebenarmen begleitet, aus dem langgestreckten Jankowoer
(jetzt Pakoscher) See im Süden zum Mölno-See
im Norden strömt. Hier bestand sicherlich bereits
um die Mitte des 13. Jahrhunderts eine Ansiedlung, die
Zettschrift der Hist. Ges. für die Prov. Posen. Jahrg. XX. i
2 Adolf Warschauer.
schon damals ihren heutigen Namen führte1), mit einer
Kirche. Der Lauf der Netze bildete in diesen Gegenden
die Grenze zwischen den Landschaften Kujavien und
Grosspolen, und da Pakosch auf dem linken — also west-
lichen — Ufer des Flusses lag, so gehörte es zu Gross-
polen und war zu der Zeit, in der die urkundliche Über-
lieferung über den Ort beginnt, im Besitze der Landes-
herrschaft, der grosspolnischen Herzöge, selbst
Die ältesten Nachrichten, die über den Ort erhalten
sind, beziehen sich auf die ehemalige Pfarrkirche und das
Schloss oder die Burg, die beide heute nicht mehr
existieren. Die Pfarrkirche, die dem heil. Jacobus ge-
weiht war, wurde um das Jahr 1250 im Tausch für die
Kirche von Zon mit den gehörigen Zehnten von dem gross-
polnischen Herzog Przemisl I. dem Erzbischof Fulco von
Gnesen abgetreten. Die hierüber ausgestellte Urkunde
ist die älteste, die über die Geschichte von Pakosch Aus-
kunft gibt2). Sie enthält keine genauere Jahresbezeichnung ;
da jedoch eine zweite Urkunde vom 20. Mai 1253 den
Tausch der Kirchen als bereits vollzogen angibt3), so
mag sie nur um weniges älter sein als diese.
Aus demselben Jahrzehnt stammt die älteste Nachricht
über die Burg, die früher in Pakosch bestanden hat. Die
sog. Grosspolnische Chronik nämlich erzählt, dass in dem
Kriege, den der Bruder des obengenannten Herzogs
Przemisl I. Boleslaus mit dem Herzog Kasimir von
Kiyavien führte, der Bundesgenosse des letzteren, der
Pommernherzog Swantopolk im Jahre 1259 auf dem
Gebiete des Herzogs Boleslaus zum Schaden desselben
in Pakosch eine Burg erbaut habe4). Es ist freilich
möglich, dass schon früher von Seiten der grosspolnischen
J) Die Ältesten in den Urkunden des 13. und 14. Jahrhunderts
vorkommenden Namensformen sind: Pacost, Pacosc, Pakosth,
Paccoscz, Pacoscz, Pakoscz, Paczoscz, Pacostz.
2) Gedruckt in dem Codex diplomaticus Majoris Poloniae Nr. 239.
3) Ebenda Nr. 315.
*) Monumenta Poloniae historica Bd. II S. 584.
I - jq-
Geschichte der Stadt Pakosch. 3
Herzöge hier, an der Landesgrenze ein festes Haus er-
richtet worden war, und dass an dieses die weitere
Ansiedlung sich erst angeschlossen hat, doch fehlen hierüber
nähere Nachrichten. Die Burg lag an der Stelle, an der
in späteren Zeiten das Reformatenkloster errichtet wurde.
Die Schwierigkeit, den an der Grenze des Landes
gelegenen Ort dauernd zu schützen, scheint den Herzog
Boleslaus veranlasst zu haben, das unmittelbare landes-
herrliche Besitzrecht an ihm aufzugeben und ein mächtiges
Adelsgeschlecht dort festzusetzen, in dessen Vorteil es
liegen musste, die Burg und die Ansiedlung zu verteidigen.
Wir erfahren nämlich, dass dieser Herzog Pakosch zwei
Brüdern Pribislaus und Paul, von denen der eine Wojwode,
■der andere Kastellan von Schwetz war, geschenkweise
zum Eigentum überwiesen habe. Der Nachfolger des
Herzogs Boleslaus, der grosspolnische Herzog Przemisl II.
hat dann diese Schenkung noch in so fern erweitert, als
er die der Landesherrschaft von den Bewohnern von
Pakosch noch immer zustehenden Dienste und Leistungen
den Grundherren abtrat, ihnen auch den Blutbann über
die Hintersassen einräumte und endlich auch gestattete,
dass sie ihr Besitztum beliebig anderweitig verkaufen und
verschenken durften1).
Wenn es die Absicht der Herzöge war, durch diese
Begabungen Burg und Dorf Pakosch in sicherer Hut zu
erhalten, so hat die Folgezeit diese Berechnung als richtig
erwiesen. Zwar hörten seit dem Ende des 13. Jahr-
hunderts die Kämpfe zwischen Grosspolen und Kiyavien
auf, da ein kujavischer Herzog Wladislaus Lokietek beide
polnischen Landschaften unter seiner Herrschaft vereinigte,
aber unter seiner Regierung begann der grosse und ver-
heerende Krieg mit dem Deutschen Ritterorden, wodurch
die nordöstlichen Teile unserer Provinz und somit auch
Pakosch wiederholt von feindlichen Überfällen bedroht
wurden. Damals war einer der ersten polnischen Kriegs-
helden der jugendliche Wojwode von Kujavien Albert
!) Cod. dipl. Maj, Pol. Nr. 503.
4 Adolf Warschauer.
Chostelecz Grundherr von Pakosch. Im Frühling 1332
fiel der Orden in Kujavien ein, er nahm Brze££ und
rückte dann vor Inowrazlaw, das sich ebenfalls ergeben
musste. Ein allgemeiner Schrecken ging durch das Land»
und mutlos flüchtete der eingesessene Adel mit Weib
und Kind nach dem entlegenen Krakau. Nur der Wojwode
Albert Chostelecz blieb im Lande. Mit seinen Mannen
warf er sich in seine Burg Pakosch und leistete den Rittern
mannhaft Widerstand, so dass ihre Übermacht sich hier
brach *). Auch in friedlichen Zeiten weilte der Wojwode
wohl häufig auf seiner Burg zu Pakosch, als angesehener
Mann die Streitigkeiten seiner Nachbarn richtend und
schlichtend2).
II.
Die Gründung der Stadt Pakosch zu deutschem Recht im
Jahre 1359 und ihre Folgen.
Eine Zeit fortschreitender Entwickelung brach für
unseren Ort an, als Kasimir der Grosse die Regierung
antrat und durch seinen Friedensschluss mit dem Deutschen
Orden die nördlichen Grenzlandschaften seines Reiches
dauernd vor feindlichen Anfällen sicher stellte. Wie der
König selbst es als seine Aufgabe betrachtete, das
menschenarm gewordene Land mit Kolonisten neu zu be-
völkern und Städte und Dörfer in grosser Anzahl zu gründen,
so taten es auch seine geistlichen und weltlichen Vasallen.
Dem Wojwoden Albert Chostelecz, der in seiner Jugend
Pakosch so tapfer verteidigt hatte, war es noch vergönnt,
diese Zeit zu erleben und sich an ihren Bestrebungen zu
beteiligen. Wie in jenen Jahren neben der alten Burg
Bydgoszcz die Stadt Bromberg von dem König selbst
gegründet wurde, so beschloss auch der Wojwode seinen
1) Rocznik Traski in den Monumenta Poloniae historica Bd. II
S. 857, auch in der kleinpolnischen Chronik, ebenda Bd. III S. 195.
Die preussische Überlieferung lässt Pakosch allerdings eingenommen
werden. Chronica terrae Prussiae, ebenda Bd. IV. S. 40.
2) Cod. dipl. Maj. Pol. Nr. 1202.
Geschichte der Stadt Pakosch. 5
Ort Pakosch zur Stadt zu erheben, die Bewohner, von
denen er zweifellos voraussetzte, dass sie sich durch
Kolonistenzuzug ansehnlich vermehren würden, mit frei-
heitlichen Privilegien auszustatten und so seinem aus-
gedehnten Güterkomplex, den er übrigens zu jener Zeit
gemeinsam mit seinem Vetter dem Untertruchsess von
Brzesö Hektor besass, durch ein städtisches in ihm
gelegenes Gemeinwesen einen ansehnlichen Mittelpunkt
zu geben.
Der erste vorbereitende Schritt, den er hierzu tat,
war die Erwerbung des ganz dicht nordwestlich bei
Pakosch gelegenen Dorfes Ludkowo. Dieses Dorf befand
sich im geistlichen Besitz und zwar in dem des Erz-
bischofs von Gnesen. Die ursprünglich für den Ort Pakosch
gegründete Jacobikirche war, wie oben bereits erwähnt,
im Jahre 1250 von dem Erzbischof erworben worden und
wurde seitdem als zu Ludkowo gehörig betrachtet. Es
ist natürlich, dass der Gedanke, das bisherige Dorf
Pakosch zur Stadt zu erheben, es wünschenswert
erscheinen Hess, die Pfarrkirche wiederum für den Ort
zu gewinnen. Da dies wohl nicht anders als durch die
Erwerbung des ganzen Dorfes Ludkowo möglich war
und überdies auch die im unmittelbaren Anschluss an
Pakosch gelegene Dorfflur von Ludkowo ein natürliches
Erweiterungsgebiet für die künftige Stadt darstellen konnte,
so verhandelte der Wojwode mit dem Erzbischof Jacob
von Gnesen hierüber und führte die Angelegenheit im
Jahre 1358 zu einem glücklichen Abschluss. Er trat sein
im heutigen Russisch-Polen bei Kowal gelegenes Dorf
Dobryjewice an den Erzbischof ab und erhielt dafür das
gewünschte Ludkowo mit dem Patronatsrecht über die
zugehörige Jacobikirche1), die seitdem wieder als Pfarr-
kirche von Pakosch galt.
Ein Jahr später erfolgte dann die Erhebimg von
Pakosch zur Stadt. Es war dies ein Vorgang, der
die Rechtsstellung des Ortes vollkommen änderte, indem
*) Cod. dipl. Maj. Pol. Nr. 1371 und 1375.
6 Adolf Warschauer.
er ihn von jeder Gerichtsbarkeit und Verwaltungstätigkeit
der Landesbeamten befreite und zu einem selbständigen
Gemeinwesen unter eigenen Behörden nach dem Muster
der Städte in Deutschland machte, wonach man den
ganzen Rechtsakt auch als Gründung zu deutschem Recht
bezeichnete. König Kasimir erteilte dem Wojwoden
Albert und dem Untertruchsess Hector, den Grundherren
von Pakosch, die Erlaubnis hierzu bei seiner Anwesenheit
in Brze66 am 9. Februar 1359. Die hierüber ausgestellte
Urkunde, die Gründungsurkunde der Stadt, ist in einer
authentischen Abschrift in den Büchern der Kronmetrik
in dem Hauptstaatsarchiv zu Warschau erhalten und
mehrfach gedruckt worden1). In dieser Urkunde ge-
stattete der König in Rücksicht auf die getreuen Dienste
und die gerechten Bitten der beiden genannten Grund-
herren, auf dem Grund und Boden ihres Dorfes Pakosch
eine Stadt nach deutschem Rechte, demselben, dessen
sich die Stadt Inowrazlaw erfreue, zu begründen und sie
mit dem früheren Namen Pakosch zu benennen. Von
nun an sollten in der Stadt die polnischen Rechte, Dienste
und Gewohnheiten, sowie alle Lasten, die dem deutschen
Rechte widerstrebten, aufgehoben sein. Dagegfen sollte
ein aus Bürgern bestehendes Sondergericht unter
einem Vogt eingerichtet werden, dem alle Bürger
in grossen und kleinen Dingen, auch in Bezug auf die
Kriminalsachen, unterstellt sein sollten. Von diesem ging
der Rechtszug an die Grundherrschaft, die ihrerseits
wieder durch den König vor sein Hofgericht geladen
werden konnte. Ausserdem verlieh die Gründungsurkunde
den Bürgern noch das Recht, an jedem Montag einen
Wochenmarkt abhalten zu dürfen.
Weitere direkte Nachrichten über die Gründung der
Stadt sind nicht erhalten, sodass wir über viele Einzel-
heiten des Vorgangs nicht unterrichtet sind. Fraglich ist
*) Rzyszczewski und Muczkowski, Cod. dipl. Pol. II. Nr. 512,
hieraus nachgedruckt in Cod. dipl. Mai. Pol. Nr. 1397 und Wuttke>
Städtebuch des Landes Posen Nr. 26.
Geschichte der Stadt Pakosch. 7
es insbesondere, ob eine grössere Anzahl von Kolonisten
zur Ansiedlung herangezogen werden konnte. Das
Äussere der Stadt zeigt nicht jene charakteristische Form
der anderen deutschen Kolonialstädte unserer Provinz:
den viereckigen Marktplatz und die nach den vier Him-
melsrichtungen davon ausgehenden Strassen, vielmehr
begnügte man sich mit der Anlegung eines breiten lang-
gestreckten Marktplatzes oder einer Marktstrasse, die
nach Norden und Süden je eine schmälere Fortsetzung
erhielt In der Mitte des Marktplatzes stand früher ein
Rathaus, das von verschiedenen gewerblichen Bauten,
wie Brot-, Fleisch-, Schuhmacherbuden etc. umgeben war.
Nach allgemeiner Sitte scheint die Stadt auch eine Be-
festigung erhalten zu haben, denn in einer allerdings erst
dem 17. Jahrhundert angehörigen Urkunde wird von zwei
Toren der Stadt, dem Gnesener und Inowrazlawer>
gesprochen. Inbezug auf die Verfassung der Stadt dürfen
wir annehmen, dass ausser dem in der Gründungsurkunde
erwähnten Stadtgericht auch eine Verwaltungsbehörde,
ein Rat mit einem Bürgermeister an der Spitze, eingesetzt
wurde. Durch einen besonderen Vertrag müssen die Be-
ziehungen der Bürger zu der Grundherrschaft, besonders
die dieser zustehenden Abgaben und Leistungen fest-
gesetzt worden sein. Dieser Vertrag aber ist nicht er-
halten, und wir erfahren erst aus einer viel späteren
Periode etwas über diese Beziehungen. Wie in vielen
der zu jener Zeit gegründeten Städte scheinen sich auch
in Pakosch bei der Erhebung zur Stadt einige Juden
niedergelassen zu haben, wenigstens finden sich aus dem
16. und 17. Jahrhundert einige Erwähnungen von Pakoscher
Juden, von denen einer Tuchhandel trieb1). Nach allge-
meiner Gepflogenheit nahm die neugegründete Stadt ein
Wappen an und wählte sich zum Wappenbilde in sicht-
licher Befriedigung über die Wiedergewinnung ihrer alten
Pfarrkirche den heiligen Jacobus, den Schutzpatron dieses
Gotteshauses.
J) Stadtarchiv Posen. A. advoc. 1550 sab. in vig. s. Thome.
Judenältestc der Pakoscher Gemeinde St.-A. Posen. Rel. Jun. 1629—31.
8 Adolf Warschauer.
Die Nachrichten über die Geschichte der Stadt in
den ersten Jahrhunderten nach ihrer Gründung sind nur
ganz vereinzelt. In den schweren inneren Kämpfen, die
Grosspolen am Ende des 14. Jahrhunderts vor der Thron-
besteigung der Jagiellonen durchtobten, spielten auch die
Grundherren von Pakosch, die Söhne des Untertruchsess
Hector — der Wojwode Albert war, wie es scheint,
kinderlos gestorben — eine bedeutsame Rolle. Eine
Chronik aus jener Zeit1) stellt es so dar, als ob Pakosch
und das benachbarte Labischin damals zu Raubnestern
geworden seien, aus denen ritterliche Wegelagerer friedliche
Kaufmannszüge überfielen und plünderten, einmal aber
wohl auch von den zum Widerstand gereizten Kaufleuter*
eine blutige Zurückweisimg erleiden mussten.
Nach der Wiederherstellung des inneren Friedens
im Lande mit der Wahl des Wladislaus Jagiello zum
König von Polen (1386) trat eine mehrere Jahrhunderte
dauernde Periode ruhiger und ungestörter Entwicklung
für die Stadt ein.
Nachdem durch die Schlacht bei Tannenberg (1410)
der Nordosten des Landes dauernd vor den Einfällen des
Deutschen Ritterordens gesichert war, scheinen sich die
Hoffnungen, in Pakosch einen gewissen Handelsmittel-
punkt zu begründen, mächtig geregt zu haben. Der da-
malige Grundherr Thomco erwirkte bei dem König für
die Stadt den nur selten gewährten Vorzug der Zoll-
freiheit im ganzen Lande. Das Privilegium, das hierüber
am 12. August 1415 ausgestellt wurde, galt für eine so
grosse Kostbarkeit, dass man sich unter allen Umständen
vor seinem Verlust schützen wollte und dies dadurch er-
reichte, dass es der Grundherr nach Posen brachte und es
dort in rechtsverbindlicher Form in die Akten der Stadt
Posen abschreiben liess2).
*) Chronik des Johannes von Czarnkow, Mon. Pol. hist. II.
Seite 729.
2) Warschauer, Stadtbuch von Posen Bd. I S. 9t f.
Geschichte der Stadt Pakosch. 9
Um die Stadt immer mehr zu einem wirtschaftlichen
^Mittelpunkt für die Umgegend zu machen, strebten die
späteren Grundherren sowie auch die Bürger darnach,
Jahrmärkte in ihr einzurichten, die überdies durch die
Erhebung von Markt- und Standgeldern willkommene
Einnahmen brachten. Am 5. März 1519 gewährte der
König Sigismund I. auf Bitten des Grundherrn Andreas
drei solcher Jahrmärkte für die Tage der heil. Gertrud
(6. Oktober), des heil. Lorenz (10. August) und der elf-
tausend Jungfrauen (21. Okt.)1). Später wurde die Anzahl
dieser Jahrmärkte noch bedeutend vermehrt.
Aus dem Jahre 1583 ist eine kurze Zusammen-
stellung der von der Stadt gezahlten Staatssteuer „Schoss*
erhalten. Aus ihren Zahlen geht hervor, dass das Ge-
meinwesen zwar klein, aber doch nicht ganz unbedeutend
gewesen ist. Zwar betrug die Gesamtsteuersumme nur
30 Gulden, aber an ihrer Aufbringung waren beteiligt
15 Schneider, 22 Schuhmacher, 9 Schmiede, 11 Kürschner,
4 Fleischer, 36 Bäcker, 7 Fischer, je ein Chirurg und
Bader etc. Die Handwerker waren in Innungen ge-
gliedert, doch gehörten 10 keiner Innung an. In der-
se4ben Urkunde werden auch zwei Wassermühlen erwähnt,
die sich wohl, wie in späteren Zeiten, im Besitz der
Grundherrschaft befanden und von denen die eine
nördlich, die andere südlich von der Stadt am Netzefluss
gelegen war. Auf die Ausübung der Fischerei deutet die
Erwähnung der 7 Fischer in dieser Steuerliste hin.
Auch die Branntweinbrennerei muss gepflegt worden sein,
da von 14 Brennkesseln oder Töpfen Steuer gezahlt wurde2).
III.
Die grundherrschaftlichen Familien Krotowski und
Dzialynski. Die religiöse Bewegung im 16. Jahrhundert
In einer Beziehung war der Stadt ein besonders
günstiges Geschick beschieden. Während nämlich die
meisten Städte im alten Polen, die sich im Besitze adliger
J) Hauptstaatsarchiv zu Warschau, Kronmetrik Bd. 33 BL 244.
2) Pawinski, Polska XVI. wieku I S. 261 f.
IO Adolf Warschauer.
Familien befanden, ihre Eigentümer häufig wechselten j
und so zu Erwerbsobjekten herabsanken, die von ihren
Grundherren möglichst ausgesogen wurden, blieb Pakosch
nach seiner Entstehung zunächst viele Jahrhunderte
hindurch im Besitze einer und derselben Magnatenfamilie,
nämlich der Krotowski vom Wappen Leszczyc, der alle
bisher genannten Grundherren der Stadt angehörten.
Den Namen führte diese Familie von dem Dorfe
Krotoschin bei Bartschin, zu ihren Besitzungen gehörten
nicht nur Pakosch, sondern auch Labischin, KoScielec
und andere Ortschaften in den grosspolnisch - kujavischen
Grenzlanden. Viele von den Mitgliedern dieses Hauses
bekleideten hohe Staatsämter, so der Begründer der Stadt
Pakosch Albert das des Wojwoden von Kujavien. Die
höchste Stufe der Ehren erstieg der ebenfalls schon oben
erwähnte Grundherr Thomco, der Kastellan von Bromberg,
später Kastellan von Posen und Generalstarost von Gross-
polen wurde. Um die Mitte und gegen Ende des 15. Jahr-
hunderts wurde den Mitgliedern des Hauses mehrfach
die Würde des Kastellans von Schrimm anvertraut,
während im 16. Jahrhundert die Krotowski wieder wie
im 13. und 14. die kujavischen Landeswürden, besonders
das Kastellanat und die Wojwodschaft von Inowrazlaw
verwalteten. Die Stadt Pakosch blieb bis zum Aussterben
des Hauses Eigentum der Familie, und da sie immer vom
Vater auf den Sohn überging, so konnte sich ein
patriarchalisches Verhältnis zwischen Grundherren und
Bürgern ausbilden, und es kamen Übergriffe und Härten
gegen die Hintersassen hier wohl kaum vor; es ist viel-
mehr eine Reihe von Nachrichten überliefert, die von
einer väterlichen Sorgfalt der grundherrschaftlichen Familie
für die Bürgerschaft Zeugnis ablegen. Hierzu gehören
die schon oben erwähnten Massregeln zur wirtschaftlichen
Hebung der Stadt Aber auch den geistigen und kirch-
lichen Interessen der Bürger wandten die Krotowski
ihre Aufmerksamkeit zu; so errichtete um die Mitte des
15. Jahrhunderts Albert Krotowski, Kastellan von Schrimm,
in Pakosch eine Schule, die noch im 17. Jahrhundert be-
Geschichte der Stadt Pakosch. II
stand und deren Rektor einen Teil seines Gehaltes aus
der Stadtkasse bezog. Um dieselbe Zeit wurde auch, da
<iie Bürgerschaft sich vermehrt hatte und die alte Jacobi-
lrirche die Menge der Gläubigen nicht mehr fassen konnte,
^ine zweite Kirche, wie es scheint, auf gemeinsame Kosten
<ies Grundherrn und der Bürger errichtet. Diese Kirche,
von der jetzt jede Spur verloren ist, lag am Netzefluss
in der Stadt selbst und war der Heimsuchung der Jung-
frau Maria gewidmet Als die alte Jacobikirche immer
baufälliger wurde, ging wohl schon gegen das Ende des
15. Jahrhunderts die Würde der Pfarrkirche auf dieses
»euere Gotteshaus über, neben dem auch für den Geist-
lichen ein Pfarrhaus errichtet wurde1).
Als im 16. Jahrhundert die reformatorische Bewegung
m Grosspolen festen Fuss fasste, traten auch die Kro-
towski zu der neuen Lehre über, doch schlössen sie sich
nicht dem lutherischen Bekenntnis, sondern der Richtung
der Böhmischen Brüder an, die im Slawentum entstanden,
unter dem hohen polnischen Adel in Grosspolen und
Kujavien viele Anhänger fand. Der damalige Grundherr
von Pakosch Johann Erasmus Krotowski, seit 1562
Wojwode von Inowrazlaw, war einer der eifrigsten Partei-
gänger dieser Sekte und war in dritter Ehe mit Ursula
Barbara Ostrorog, der Tochter des Generalstarosten Jacob
Ostrorog, des Hauptes der Böhmischen Brüder in Gross-
polen, vermählt. Der enge Zusammenhang zwischen
Grundherren und Bürgerschaft hatte zur immittelbaren
Folge, das auch die letztere dem katholischen Bekennt-
nisse entsagte und zu demjenigen der Böhmischen Brüder
übertrat Es geschah dies in so umfassender Weise, dass
beide Gotteshäuser, sowohl die Jacobi- als die Marien-
kirche, den Böhmischen Brüdern überantwortet wurden.
Zu den Geistlichen dieses Bekenntnisses, die in Pakosch ihres
Amtes walteten, gehörte Christoph Musonius, eine der be-
*) Über die Marienkirche vgl. Johannes a Lasco, Liber bene-
ficiorum I S. 185 f.
12 Adolf Warschauer.
deutendsten und einflussreichsten Persönlichkeiten unter
seinen Amtsgenossen1).
Bei seinem Ableben hinterliess Erasmus Krotowski
zwei Söhne: Johann und Andreas. Der erstere, seit 1583
Kastellan von Inowrazlaw, starb 1587 unverehelicht, der
letztere, der seit 1623 die Würde eines Kastellans von
Kaiisch bekleidete, war zwar verheiratet, hinterliess aber
keine männlichen Nachkommen, sodass mit diesen beiden
Brüdern das Geschlecht der Krotowski in männlicher
Linie ausstarb2). Es scheint, dass schon Andreas wieder
zum katholischen Glauben zurückgekehrt ist, da im Jahre
1608 die Pfarrkirche zu St. Marien bereits wieder für den
katholischen Gottesdienst eingerichtet war. Die Familie
folgte hierin nur dem Beispiele, das fast alle gross-
polnischen und kujavischen Familien zu jener Zeit, als
unter dem König Sigismund III. die Reformation in dem
ganzen Königreiche in den Hintergrund gedrängt wurde,
gaben. Allerdings scheint ein Teil der Bürgerschaft zu-
nächst noch dem Bekenntnisse der Böhmischen Brüder
treu geblieben zu sein, da die Jacobikirche vorläufig noch
in ihrem Besitze blieb.
Der letzte Krotowski, Andreas, besass di^ Stadt
Pakosch nicht mehr allein, sondern teilte ihren Besitz mit
einem andern Edelmann Felix Dobrocielski, über dessen
Familie jedoch weiter keine Nachrichten erhalten sind.
*) Über die Böhmischen Brüder in Pakosch vgl. die kurzen
Angaben bei J. Lukaszewicz, O koSciolach braci Czeskich w dawne]
Wielkopolsce S. 333. Dass beide Kirchen von den Evangelischen
besetzt waren, geht aus einer Kirchenvisitation von 1608 hervor:
Pakosd oppidum . . in quo est ecclesia lignea tegulis tecta, conse-
crata tit. Visitationis Beatae Mariae virginis. Post consecrationem
fuit profanata et violata sepulturis haereticorum, demum post multos
annos reconciliata fuit per rev. suffraganeura Gnesnensem et restituta
catholicis. . . . Sacellum aliud est extra dictum oppidum lignosum
consecratum tituli s. Jacobi profanatum ac violatum sepulturis hae-
reticorum, in qua ecclesia quondam fuit parrochialis. (Pfarr-
archiv von Pakosch.)
2) Zychlinski, Zlota ksie.ga Bd. XI S. 98— 102 findet man genea-
logische Notizen über die Familie Krotowski.
Geschichte der Stadt Pakosch. 13
Von ihm ging der ganze Güterkomplex in den Besitz der
Familie Dzialynski über. Diese Familie war ursprüng-
lich in dem benachbarten KoScielec heimisch gewesen
und hatte von diesem ihren Stammsitz früher den Namen
Koäcielecki getragen. Später nahm ein Zweig der Familie
von einem ihr gehörigen Schlosse Dzialyn im Dobriner
Lande den Namen Dzialynski an und eben dieser kam in
den Besitz der Pakoscher Güter. Da die Dzialynski eine
streng katholische Familie waren, so gelang es ihnen auch
bald, die letzten Reste der reformatorischen Überzeugung
in der Bürgerschaft auszumerzen und die Rückgabe der
Jacobikirche an die Katholiken durchzusetzen. Seitdem
wurde die Jacobikirche wohl wieder die eigentliche Pfarr-
kirche. Die Marienkirche verfiel und wurde später nieder-
gerissen; in den Urkunden wird ihrer seither nirgends
Erwähnung getan.
IV.
Die Gründung des Kalvarienberges und des Reformatcn-
klosters. Die Vernichtung der Judengemeinde.
Bald nachdem die Dzialynski in den Besitz von
Pakosch gekommen waren, betätigten sie ihren religiösen
Eifer dadurch, dass sie ihre Stadt zum Sitz zweier religiöser
Anstalten machten, die für die Geschichte der Stadt von
grosser Wichtigkeit geworden sind, nämlich des jetzt
noch bestehenden Kalvarienberges und des nunmehr auf-
gelösten Reformatenklosters.
Beide Stiftungen entstanden etwa zu gleicher Zeit,
so dass wohl angenommen werden kann, dass sie im
Zusammenhang mit einander geplant wurden. Der
Kalvarienberg wurde 1628 von Michael Dzialynski, dem
Sohn des 1615 gestorbenen Wojwoden Michael von BrzeSö,
eingerichtet. Ob der Stifter, wie man sich erzählt,
selbst im heiligen Lande gewesen ist und dort die Ent-
fernungen der Leidensstationen von einander kennen
gelernt hat, um sie in Pakosch nachzuahmen, ist nicht
14 Adolf Warschauer.
zweifellos nachweisbar und dürfte um so weniger anzu-
nehmen sein, als für die Abmessungen der Stationen
nach einigen Andeutungen in den Urkunden auch die-
jenigen des Zebrzydowskischen Kalvarienberges bei Krakau
massgebend waren. Im Jahre 1629 stellte Michael
Dzialynski einen förmlichen Stiftungsbrief» über den Kal-
varienberg aus und Hess ihn in die Grodakten von
Inowrazlaw eintragen. Die Aufsicht über den Kalvarien-
berg wurde zunächst dem Pfarrer der Pfarrkirche anvertraut.
Wahrscheinlich weil dessen Kräfte für diese geist-
liche Arbeit nicht ausreichten, wurde kurz darauf zur
Errichtung des Klosters geschritten.
Von allen den zahlreichen Mönchsorden, die im
Mittelalter entstanden waren, hatten sich fast ausschliess-
fich die Franziskaner - Bettelmönche in der Gunst des-
Volkes erhalten. Eine Abteilung dieses Ordens, die die
alte strenge Ordensregel der vollkommenen Armut in
solcher Schärfe befolgte, dass ihre Anhänger stets barfuss
gingen und niemals Geld oder auch nur einen Vorrats-
sack bei sich trugen, hatte sich im 16. Jahrhundert in
Spanien ausgebildet und den Namen der „Reformaten*
angenommen. Im Jahre 1621 gewann dieser Orden Ein-
gang auch in Polen, wo die Magnaten ihnen zahlreiche
Klöster erbauten. In unserer Provinz war das älteste
dieser Klöster im Jahre 1621 in Görchen von dem dortigen
Grundherrn Adam Przyjemski errichtet worden, 1627 hatte
Labischin ein ähnliches Kloster erhalten, und diese An-
siedlung ganz in der Nähe von Pakosch gab wohl den
ersten Anstoss, sie auch dorthin zu verpflanzen.
Neben dem schon oben genannten Michael Dzialynski
beteiligten sich auch noch dessen beide Brüder Paul,
Starost von Kowal, Inowrazlaw und Nieszawa, dem Michael
den Besitz der Güter Pakosch abgetreten hatte, sowie
Kaspar an dem frommen Werke. Kaspar, der geistig
hervorragendste der Brüder, scheint die treibende Kraft
hierbei gewesen zu sein, wie er denn überhaupt durch
glühenden katholischen Glaubenseifer während seines
ganzen Lebens sich ausgezeichnet hat und noch im
Geschichte der Stadt Pakosch. 15
höheren Alter, nachdem er bereits die Würde eines
"Wojwoden von Kulm erstiegen hatte, in den geist-
lichen Stand übertrat und sein Leben als Bischof von
Kulm endigte.
Der Platz, den die Brüder dem neu zu errichtenden
Kloster anwiesen, war merkwürdig genug. Die alte im
13. Jahrhundert errichtete Burg hatte ihre Bedeutung als
Verteidigungsbau völlig verloren. Auch als Wohngebäude
war sie nicht mehr verwendbar, da sie in einen ver-
fallenen und ruinenhaften Zustand geraten war. So ent-
schlossen sich die Brüder, diesen Platz, der früher so
häufig von kriegerischem Getümmel erfüllt gewesen war
den stillen Bussübungen der Mönche einzuräumen. Unter
dem 13. März 1631 stellte der Gnesener Erzbischof
Johann W^zyk eine Urkunde hierüber aus, und am 7. Juli
erfolgte vor den Inowrazlawer Grodakten die förmliche Auf-
lassung der Burg und des zugehörigen Gartens an die römische
Kirche für den Orden der Reformaten durch Paul
Dzialynski, der hierbei feierlich versicherte, dass er zu
der Schenkung durch reinen Eifer und blosse Freigebigkeit
bewogen worden sei und kein Geld dafür erhalten
habe. Am 22. Dezember desselben Jahres nahmen
einige aus Labischin herübergekommenen Mönche feierlich
und förmlich von dem Orte Besitz und errichteten
zum Zeichen dessen auf ihm ein Kreuz. Der Bau eines
Klosters und einer Kirche konnte sofort in Angriff ge-
nommen werden, da eine fromme Edeldame Ludmilla
Niemojewska freigebig die Mittel hierzu zur Verfügung
stellte. Schon am 2. August 1632 konnte der Gnesener
Suffraganbischof Andreas Gembicki die Kirche weihen.
Er widmete die Kirche selbst dem heil. Bona-
ventura und zwei Altäre dem heil. Franz von Assisi
und dem heil. Antonius von Padua, also den drei
grössten Leuchten des Franziskanerordens. Um diese
Altäre mit den notwendigen Reliquienschätzen aus-
zustatten, hatte Kaspar Dzialynski schon im Jahre 1622
in den Katakomben in Rom nach Märtyrergebeinen
suchen lassen und war durch die Bemühungen des in
16 Adolf Warschauer.
Rom lebenden Thorner Jesuiten Jacob Zychowicz auch
mit solchen versehen worden. Unter allerlei Vorsichts-
massregeln hatten zwei polnische Edelleute Arnolph und
Albert Krzycki und der Posener Domherr Hieronymus
Zerzynski diese Reliquien, für die die dienstgefälligen
Römer als Gegengabe Bernsteinstücke wünschten, über die
Alpen geführt und in die Hände des Kaspar Dzialynski
gelegt1).
Als das Kloster fertig eingerichtet und mit Mönchen
besetzt war, wurde ihm die Sorge für den Kalvarienberg
übertragen, der bald für die Bevölkerung ein beliebter
Wallfahrtsort wurde, so dass — wie die Klosterchronik
wohl etwas übertrieben erzählt — , an manchen Festtagen,
besonders am Feste des heil. Kreuzes im Monat Mai
18 — 20 000 Menschen die Stätte besuchten, um dort Erlass
ihrer Sünden oder Heilung von ihren Leiden zu finden.
Noch waren freilich die einzelnen Stationen nur mit
passend ausgeschmückten Kreuzen bezeichnet, die aber
schon in den nächsten Jahrzehnten nach und nach durch
die noch heute bestehenden Kapellen ersetzt wurden.
Im Jahre 1654 mag wohl ein grosser Teil der Baulich-
keiten schon vollendet gewesen sein, da in dem genannten
Jahre der Sohn des Paul Dzialynski, Sigismund, Wojwode
von Brze££ in Kujavien, den Grund und Boden der
väterlichen Schenkung erweiterte, damit die Gläubigen
den Weg von der einen Kapelle zur andern bequemer
zurücklegen könnten.
x) Über die Geschichte des Klosters gibt den besten Auf-
schluss eine zweibändige jetzt im Besitze des Pakoscher Pfarrarchivs
befindliche Handschrift von Nepomucen Sadowski, Scrutinium
antiquitatis sive nova revisio veteris archivii conventus ad s. Bonaven-
turam Pacostensem PP s. Francisci reformatorum in II libros divisa.
Obwohl die Handschrift erst 1815 abgefasst ist, ist sie auch für die
älteren Zeiten sehr wichtig, da sie alte Urkunden und Überlieferungen
benutzt. Ebenfalls im Besitze des Pfarrarchivs befindet sich eine
Handschrift mit Abschrift der Privilegien des Konvents und des
Kalvarienberges: Monimenta seu documenta variarum transactionum
ratione fundationis Calvaristicae et conventus Pacostensis, angelegt
1740 durch den Prior Victor Brzozowski.
Geschichte der Stadt Pakosch. 17
Allerdings erfolgte nach dem Tode des Königs
Sigismund III. und besonders in der Zeit, als die Schweden
in. den Jahren 1655 bis 1657 das Land heimsuchten, ein
Rückgang der beiden frommen Anstalten, so dass das
Kloster auf seine Rechte an dem Kalvarienberg ver-
zichtete und seine Pflege wieder dem Ortspfarrer übergeben
wurde. Sobald aber die Ruhe im Lande wieder hergestellt
\ivar, wurden die alten Bestrebungen wieder aufgenommen.
Es ist noch ein Brief vom 26. August 1660 vorhanden,
worin im Namen der ganzen Bürgerschaft von Pakosch
<ier damalige Bürgermeister Tomas Nalecki und der
Schöffe Balthasar Kürschner den Provinzial des Reformaten-
ordens baten, die Besorgung des Kalvarienberges wieder
<ien Mönchen zu überweisen, welcher Bitte auch ent-
sprochen wurde. Einige Jahre später verschrieb ein
Gönner des Kalvarienberges, der Tribun von Kruschwitz
Martin Beldowski, diesem eine Summe von 15 000 Gulden»
-die auf die Pakoscher Güter eingetragen wurde und die
gottesdienstlichen Einrichtungen des Kalvarienberges für
alle Zeit finanziell sicher stellte. Das Kloster aber wurde
von dem Grundherrn Sigismund Dzialynski baulich von
Grund aus erneuert. Auch seine Gemahlin Katharina
Francisca geb. Witoslawska gehörte, wie die Kloster-
-chronik rühmt, zu den grössten Wohltäterinnen der
Mönche. Sie hat, wie viele andere Mitglieder der
Dzialynskischen Familie in der Klosterkirche ihre letzte
Ruhestätte gefunden1).
Wie der Franziskanerorden im allgemeinen, so hielt
auch das Kloster in Pakosch darauf, geistig hervorragende
und der Wissenschaft kundige Männer unter seinen
Insassen zu besitzen. Es war der Regel des Ordens ent-
sprechend, dass die hierzu befähigten Mönche sich dem
Predigerberufe widmeten und hierin nicht nur auf der
Kanzel der Klosterkirche wirkten, sondern auch predigend
im Lande umherzogen. Dem Zuge ihrer Zeit folgend
x) Ihre Grabschrift ist abgedruckt bei Zychlinski, Ziota ksie.ga
X S. 102 f.
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Prov. Posen. Jahrg. XX. 2
18 Adolf Warschauer.
beschränkten diese Mönche sich nicht darauf, den frommen
Sinn ihrer Glaubensgenossen zu stärken, sondern sie
richteten ihr besonderes Augenmerk auf die Bekehrung
Andersgläubiger. Mit grosser Genugtuung führt die
Klosterchronik die Fälle auf, in denen es gelang, Pro-
testanten aus der Nachbarschaft, vornehmlich aus den
Hauländereien, zu dem katholischen Glauben zurückzu-
führen, und gerade weil die Protestanten gewöhnlich
deutscher Herkunft waren, wurden vielfach geschickte
Mönche deutscher Nationalität in den Klosterkonvent ein-
gestellt: so werden als besonders geschickt in dem Be-
kehrungswerk gerühmt Heinrich Wolffenbusch, Capistran
Hoffmann und Donatus Raab. Auch gelang es wohl hin
und wieder, einen Juden in der Klosterkirche sein Bekenntnis
abschwören zu lassen.
Vielfach liessen die Mönche ihre gelehrte Bildung,
Beredsamkeit und Glaubensstärke auch vor einem
grösseren geladenen Publikum glänzen. Hierzu wurden
Disputationen veranstaltet, denen die Bürger der Stadt
und benachbarte Edelleute beiwohnten. An solchen
feierlichen Redekämpfen beteiligten sich auch die Mönche
der benachbarten Klöster zu Labischin und Bromberg, wie
auch die Pakoscher Brüder zu ähnlichen Veranstaltungen
in fremde Klöster berufen wurden. Der Adel, der an
solchen Veranstaltungen Wohlgefallen hatte, übte durch
mancherlei Gunstbezeugungen Vergeltung. So beschloss
der kujavische Landtag von Radziejewo im Jahr 1670 für
den Klosterkonvent zu Pakosch eine Schenkung von
20 Fass Salz, der Landtag von 1673 schenkte 30 Fass
Salz und wies überdies aus den Einnahmen der Accise
noch 100 Gulden für den Kalvarienberg an1).
Ausser dem Kloster und dem Kalvarienberg bestand
in Pakosch im 17. Jahrhundert noch eine dritte fromme
Stiftung, nämlich ein Hospital und eine dazu gehörige
Kirche zum heiligen Geist. Beide lagen vor der Stadt
J) Pawinski, Dzieje ziemi Kujawskiej. Rzady sejmikowe IL
S. 360. 427.
Geschichte der Stadt Pakosch. 19
rechter Hand auf dem Wege nach dem Dorfe Ludkowo.
XJber die Gründung fehlen jede Nachrichten. Die Aus-
stattung bestand aus mehreren Acker- und Gartengrund-
stücken und einigen Kapitalzinsen. Nach einer Kirchen-
visitation von 1728 war die Hospitalkirche damals bereits
abgebrannt, einige Zeit später fiel auch das Hospital
selbst einer Feuersbrunst zum Opfer. Beide sind später
nicht wieder aufgebaut worden.
Ein trauriges Schicksal wurde um die Mitte des
17. Jahrhunderts der alten Judengemeinde der Stadt
bereitet. Die Volksüberlieferung erzählt hierüber, dass
ein Grundherr aus irgend welcher Ursache von den
Juden gereizt, ihnen den Untergang geschworen und sie
eines Nachts durch seine Leute habe überfallen und
sämtlich niedermetzeln lassen. Von den königlichen
Gerichten für diese Bluttat zur Verantwortung gezogen
soll er durch die Errichtung des Kalvarienbergs die
Strafe abgelöst haben1). Es ist jedoch nachweisbar, dass
das traurige Ereignis so sich nicht zugetragen haben
kann und dass weder die Grundherrschaft die Ermordung
der Juden veranlasst hat, noch auch die Einrichtung des
Kalvarienbergs mit ihr in irgend welcher Verbindung
steht. Vielmehr hat im Jahre 1629 zu einer Zeit als der
Kalvarienberg schon gegründet worden war, die Juden-
gemeinde in Pakosch noch bestanden, da in diesem Jahre
ihre Ältesten David und Israel Lapny vor dem Grod-
gericht zu Inowrazlaw einen Eid über die richtige Steuer-
einschätzung der Gemeinde ablegten2). Das Unwetter
zog erst im Jahre 1656 und zwar von aussen über sie
empor. Das zügellose Heer des Czarnecki, der im Früh-
jahr 1656 das von den Schweden besetzte Grosspolen
wieder zu erobern versuchte, bereitete fast überall, wo
es hinkam, den Juden ein schreckliches Los. In manchen
Städten wurden sie zu Hunderten niedergemetzelt, so-
1) Niemir, Wspomnienie o Pakosci im Tygodnik literacki 1841
S. 347 f-
2) St.-A. Posen. Rcl. Jun. 1629—31.
a*
'20 Adolf Warschauer.
dass ihre Körper nicht bestattet werden konnten, sondern
•den Hunden zum Frasse dienten. Die Heimsuchung der
Juden zu Pakosch gehörte zu den grausamsten im ganzen
Lande. Sie erfolgte am 14. Mai und liess keinen Juden
in Pakosch übrig. Nur wenige haben wohl durch die
Flucht das nackte Leben gerettet, die meisten wurden
niedergeschlagen. In einem Hügel am Wege nach
Inowrazlaw gegenüber der Kapelle Gethsemane will man
noch heute ihre Grabstätte nachweisen. Weit in fernen
Ländern, wo immer Juden wohnten, erscholl die Klage
über diese schreckliche Verfolgung, und das Seelen-
erinnerungsbuch der Gemeinde zu Worms erzählt noch
bis auf den heutigen Tag von den erschlagenen Märtyrern
in dem entlegenen Pakosch1). Auch nach dem Blutbade
haben Juden sich nicht wieder in Pakosch nieder-
gelassen. Sie mieden den Ort, an dem ihre Glaubens-
genossen so grausames erduldet hatten; erst etwa zwei
Jahrhunderte später haben sie wieder ihre Heimstätten
hier aufzuschlagen gewagt.
V.
Die städtische Verfassung im 17. Jahrhundert. Die Privi-
legien vom Jahre 1671 und 1718. Die Innungsorganisation.
Die Zeit, in der Pakosch durch den Kalvarienberg
und das Reformatenkloster erhöhte Bedeutung und An-
sehen gewann, war auch diejenige, in der die inneren
Verhältnisse der Stadt durch Abmachungen mit der
Grundherrschaft eine dauernde Festigkeit erhielten. Der-
selbe Sigismund Dzialynski, Wojwode von Brzesc, der
mit seiner Gemahlin dem Kloster so viel wohlwollende
Förderung erwies, war auch den Bürgern ein Gönner
und Freund und zeigte dies dadurch, dass er durch ein
Privilegium, das er ihnen am 20. Januar 167 1 in Pakosch
selbst ausstellte, eine städtische Satzung, wie sie die
l) L. Levin, die Judenverfolgungen im zweiten schwedisch-
polnischen Kriege (1655—59). Zeitschr. d. Hist. Ges. f. d. Prov. Posen.
XVI S. 87.
Geschichte der Stadt Pakosch. 21
anderen Städte im Königreich Polen genossen, verlieb
und hierin besonders die Verpflichtungen der Bürger-
schaft der Grundherrschaft gegenüber genau festsetzte1)^
Ein solches Privilegium war für eine grundherrliche
Stadt in jener Zeit von grosser praktischer Bedeutung»
Bei der grossen Schwäche der Staatsgewalt im polnischen
Reiche waren die Städte nämlich ganz der Willkür ihrer
Grundherren überlassen und konnten von diesen nach
Belieben schwer mit Abgaben und Prohndiensten be-
lastet werden. Nur wo ein Grundherr, wie es im Jahre 1671
bei Pakosch geschah, privilegienmässig die Leistungen
der Bürger festlegte und ausdrücklich betonte, dass er in
dieser Beziehung seine Nachkommen binde, konnte eine
Stadt mit einer gewissen Ruhe und Sicherheit dem
Wechsel der Grundherrschaften entgegensehen, wenn
auch freilich selbst in diesem günstigsten Fall mehr eine
moralische als rechtliche Gewähr gegen spätere Be-
drückung und Aussaugung gegeben war.
In Pakosch, wo nach dem Erlass des Privi-
legiums von 167 1 bis zur Auflösung des polnischen
Staates ununterbrochen die Dzialynski im Besitz der
Grundherrschaft blieben, hielten sich die Enkel ziemlich
streng an die Bestimmungen und Satzungen des Ahn-
herrn, und das im Lande sonst selten beobachtete patri-
archalisch gute Verhältnis zwischen Grundherren und
Bürgern blieb wohl dauernd gewahrt. Nur der Sohn des
Sigismund Dzialynski Jacob hat durch die Ergänzungen,
die er im Jahre 1718 dem Privilegium seines Vaters hin-
zufügte, die Leistungen der Bürgerschaft erheblich zu
vermehren gesucht, andererseits aber doch auch wieder
mannigfach Ordnung in die verworrenen städtischen Ver-
hältnisse gebracht.
Mit Hilfe des Privilegiums von 1671 und seiner Er-
gänzung von 1718 ist es unter Zuziehung einiger anderer
noch vorhandenen Urkunden möglich, sich ein ziemlich
i) Erhalten in einem Transsumpt von 17 18 Oktober 26. St.-A.
Posen, Dep. Pakosch A 1.
■22 Adolf Warschauer.
vollständiges Bild von der Verfassung und den inneren
Zuständen der Stadt im 17. und 18. Jahrhundert zu ent-
werfen.
Noch immer wurde die Stadt, wie es die mittelalter-
liche Gründungsurkunde bestimmt hatte, nach den Grund-
sätzen des deutschen und zwar des Magdeburgischen
Rechts verwaltet. Diesem zufolge stand an der Spitze der
Bürgerschaft ein Bürgermeister mit mehreren Ratsherren
und für die Rechtspflege als oberster Richter ein Vogt mit
mehreren Schöffen. Der Rat scheint aus 8, das Schöffen-
kollegium aus 7 Personen bestanden zu haben. Alle
•diese Beamten wechselten jährlich um Johanni. Über den
Wahlmodus sind wir nicht genau unterrichtet, doch
scheint nach dem Muster anderer Städte das Wahlrecht
in der Hand eines aus den Innungsältesten bestehenden
Ausschusses der Bürgerschaft geruht zu haben. Die
Wahl des Bürgermeisters bedurfte der Bestätigung der
Grundherrschaft, wofür diese nach den Bestimmungen
von 1718 jedesmal von der Bürgerschaft 10 Dukaten er-
hielt Gehalt bezogen diese städtischen Beamten nicht,
doch hatte der Bürgermeister, dem wohl der grösste Teil
<ler Arbeit zufiel, das Recht Bier zu brauen und aus-
zuschänken, ohne hierfür die noch weiter unten zu er-
wähnende Abgabe an die Grundherrschaft zu zahlen.
Da dieses unbeschränkte freie Braurecht des Bürger-
meisters der Bürgerschaft nachteilig wurde, so ordnete die
Grundherrschaft 1718 an, dass es auf 5 Gebräue be-
schränkt würde. Der Vogt (Stadtrichter) bezog eine Ein-
nahme dadurch, dass er bei Häuserverkäufen für die Auf-
lassung, die vor ihm stattfand, von dem Verkäufer 1 poln.
Groschen von jedem Gulden des Kaufpreises und von
dem Käufer 3 poln. Gulden erhielt. Die Bürgerschaft
unterstand in Verwaltung und Rechtsprechung durchaus
nur den städtischen Behörden. Selbst den Blutbann
handhabte das städtische Gericht völlig selbständig, auch
durfte kein Bürger in einem andern als dem städtischen Ge-
fängnis eingekerkert werden. Der Hügel am Wege nach
Mogilno, wo ehemals der Galgen stand, heisst noch jetzt
Geschichte der Stadt Pakosch. 23
Galgenhügel, der Pranger befand sich in der Stadt selbst
in der Nähe der heutigen Apotheke1).
Der Rechtspflege lag das Magdeburgische Weich-
bildrecht zugrunde, das zu diesem Zwecke für den Ge-
brauch polnischer Städte vielfach in die polnische Sprache
übersetzt war. Fühlte sich ein Bürger durch den Spruch
einer der städtischen Behörden verletzt, so stand ihm die
Berufung an den Grundherrn frei. Dessen Entscheidung
aber war in allen Sachen endgültig, eine Appellation an
irgend ein höheres staatliches oder königliches Gericht
war nach der damaligen polnischen Verfassung ausge-
schlossen.
Die Einnahmen der Stadtkasse waren sehr gering-
fügig. Sie bestanden, abgesehen von etwa eingehenden
Strafgeldern, nur aus dem Mietszins für die Fleisch-
scharren, Krambuden u. s. w., die beim Rathause lagen,
ferner aus den Erträgnissen einiger städtischer Häuser
und des städtischen Bades. Was sonst etwa gebraucht
wurde, musste durch eine Umlage aufgebracht werden.
An die Grundherrschaft wurde alljährlich zu Martini
ein „Zins" gezahlt. Er betrug für jedes Haus 24 poln.
Groschen, für ein Grundstück ohne Haus sowie für einen
Garten 18 Groschen, halbe Grundstücke oder Gärten
zahlten 9 Groschen. Die Handwerker zahlten nach einer
bei dem Bürgermeister verwahrten Rolle ein sogenanntes
Nahrungs- oder Professionsgeld. Ausserdem aber hatten
die Bürger auf den beiden herrschaftlichen Vorwerken
Rybitwy und Radlowko zur Erntezeit Scharwerksdienste
zu leisten.
Besonders ergiebig waren die Einnahmen, die die
Grundherrschaft von dem Brau- und Brennereibetrieb der
Bürger bezog. Ursprünglich konnte jeder angesessene
Bürger ganz nach Belieben brauen und brennen sowie
ausschänken, war jedoch genötigt, das Malz hierzu in einer
der beiden obenerwähnten herrschaftlichen Wassermühlen,
der Kujavischen oder der Palucensischen mahlen zu lassen.
J) Niemir, a. a. O. S. 349 Anm. 6.
24 Adolf Warschauer.
Für jedes Gebräu Bier und für jeden Topf Branntwein
musste eine Abgabe von 6 Tympfen an die Herrschaft
gezahlt werden. Auch für den Fall, dass die Wasser-
mühlen bei tiefem Wasserstand nicht gingen und Malz
anderweitig gemahlen wurde, musste diese Abgabe ge-
zahlt werden. In keinem Falle war es erlaubt, Bier aus
anderen Orten einzuführen, vielmehr waren die Bürger
gezwungen, es aus dem herrschaftlichen Kruge zu kaufen,
wenn es in der Stadt selbst fehlte. Um aber die Kon-
kurrenz der brauenden Bürger unter einander zu ver-
meiden, war das Reihebrauen eingeführt, sodass nur
immer einer nach dem andern brauen und ausschänken
durfte.
Eine wesentliche Änderung der Braugerechtsame
führte der Sohn des Sigismund Dzialynski Jacob im Jahre
1726 ein. Er beschränkte nämlich das Braurecht auf
15 Personen, die sich um „diese Gerechtigkeit Mühe ge-
geben", d. h. also wohl sie bezahlt hatten, und vereinigte
diese zu einer Brauerinnung. Die Hofabgaben für jedes
Gebräu erhöhte er auf 9 Gulden 18 Groschen, wozu noch
6 Groschen Mahlgeld kamen. Ausserdem nötigte er jeden
Brauer, wenn die Reihe des Brauens und Ausschänkens
an ihn kam, 2 Tonnen Bier aus der herrschaftlichen
Brauerei abzunehmen und mit seinem eigenen Bier zu
verschänken. Da diese letztere Bestimmung als besonders
drückend empfunden wurde, so hob sie der Grundherr
Augustin Dzialynski im Jahre 1751 auf, erhöhte aber dafür
die Abgaben für jedes Gebräu auf einen Dukaten.
Branntwein brennen und eigenen oder fremden Brannt-
wein auszuschänken, blieb jedem gegen die alte Ab-
gabe von 6 Tympfen erlaubt.
Als eine Art von Entgelt für die Leistungen der
Bürgerschaft an die Grundherren räumten diese ihr einige
Nutzungsrechte in ihrem Herrschaftsgebiet ein, die zweifellos
von hohem Werte waren: nämlich das Fischerei- und
Weiderecht. Das erstere war allerdings durch das Privileg
von 1671 nur in recht beschränkter Form bewilligt, indem
es räumlich nur für die Stellen der Netze bei den oben-
Geschichte der Stadt Pakosch. 25
genannten Mühlen gestattet war und auch da nur als sog.
kleine Fischerei ausgeübt werden konnte, „soweit sie
waten können". Das Weiderecht aber gewährte das
Privileg auf herrschaftlich Pakoscher Boden unumschränkt,
allerdings mit der Hinzufügung, dass hierdurch weder der
Herrschaft selbst noch ihren städtischen Untertanen noch
dem Kalvarienberge irgend welcher Schaden zugefügt
werden sollte. Allerdings hat dieses Weiderecht später
auch wieder zu einer Erhöhung der Lasten der Bürger-
schaft Veranlassung gegeben. Der oben schon erwähnte
Grundherr Jacob Dzialynski behauptete nämlich im Jahre
1718, dass die Bürger auf dem Grund und Boden von
Ludkowo widerrechtlich sich einige Weiden eingerichtet
und dort auch einige Gärten angelegt hätten. Er zeigte
sich geneigt, ihnen diese auch für die Zukunft zu über-
lassen, setzte aber für die Gärten einen Grundzins fest
und verlangte für die Weiden die Leistung von Frohn-
diensten zur Erntezeit auch auf dem Vorwerke Ludkowo.
Somit hatte von dieser Zeit an die Bürgerschaft für drei
Vorwerke: Rybitwy, Radlowko und 'Ludkowo zu frohn-
werken. Als ihr 1726 das allgemeine Braurecht entzogen
und der neu gebildeten Brauerinnung zugewiesen wurde,
erging die Bestimmung, dass von nun an die Brauer-
innung allein das Vorwerk Radlowko, mit der anderen
Bürgerschaft zusammen das Vorwerk Ludkowo und die
Bürger mit Ausschluss der Brauer das Vorwerk Rybitwy
abzuernten hätten.
Hierin änderte sich, so lange Pakosch zum polnischen
Reiche gehörte, nur insoweit etwas, dass die Brauerinnung
ihren Frohndienst von Radlowko in eine jährliche Geld-
zahlung von 360 poln. Gulden umsetzte.
Noch in einer anderen Beziehung hat Jacob Dzialynski
die Lebensbedingungen der Bürger verschlechtert, in-
dem er ihnen das Recht der Freizügigkeit einschränkte.
Über die Aufnahme neuer Bürger bestimmte nämlich das
Privilegium des Sigismund Dzialynski von 1671 nur, dass
Fremden katholischen Glaubens es freistehen sollte, in
Pakosch sich niederzulassen und Eigentum zu erwerben,
20 Adolf Warschauer.
und dass ihnen der Zugang zu allen städtischen Ämtern
offenstehen sollte. Über den Wegzug traf er keine Be-
stimmung, er wird also ungehindert gewesen sein. Sein
Sohn Jacob aber schrieb 1718 vor, dass ein Bürger, der
von Pakosch wegziehen wollte, nicht nur seine etwa
rückständigen städtischen und staatlichen Abgaben zu be-
richtigen habe, sondern einen anderen Einwohner an
seine Stelle ansetzen müsse.
Mannigfache Lasten erwuchsen der Stadt durch die
Ausführung der polizeilichen Vorschriften zur Aufrecht-
erhaltung der Ordnung, Reinlichkeit und Sicherheit in der
Stadt. Jeden Sonnabend vor der Vesper musste jeder
Bürger vor seinem Hause reinigen und den Kot zu-
sammenfegen, und es waren zwei Bürger bestellt, die dies
zu kontrollieren hatten. Der gesammelte Unrat wurde
dann auf Befehl des Bürgermeisters aus der Stadt her-
ausgeschafft. Besondere Vorschriften waren zur Rein-
haltung der zahlreichen Wasserläufe in der Nähe der
Stadt erlassen. In den Gräben hinter den Häusern und
in den zunächst liegenden Flussläufen, die die Bürger
rein zu halten verpflichtet waren, durften die Schuster,.
Gerber, Kürschner und Fleischer ihre Leder nicht aus-
spülen und ausarbeiten, vielmehr war ihnen dies nur in
dem entfernter liegenden Flusslauf gestattet, in dem die
Müller regelmässig das Kraut und das Rohr auszuhauen
verpflichtet waren. Der Feuersgefahr wegen war es ver-
boten, die Dächer mit Stroh zu decken. Eine Feuerleiter
musste jeder Bürger besitzen, Feuerlöschgeräte aber jede
Innung, und sie auf dem Rathause verwahren. Für die
Instandsetzung der Brücken und des Steinpflasters sorgte
die Herrschaft, erhob hierfür aber von den Fuhrleuten
eine Abgabe, deren Einziehung sie einem Bürger an-
vertraute. Zum Schutz gegen Unruhen irgend welcher
Art musste jeder Bürger im Besitze von Waffen sein,
um in Reih* und Glied dem Befehle des Grundherrn
folgen zu können. Mit diesen Waffen hatte die Bürger-
schaft auch zu den feierlichen Prozessionen Weihnachten,
Ostern und am Fronleichnam zu erscheinen.
Geschichte der Stadt Pakosch. 27
Inbezug auf die wirtschaftlichen Verhältnisse lassen,
die Urkunden so viel erkennen, dass der Brauerei- und
Schankbetrieb, wodurch die Umgegend versorgt wurde,,
das einträglichste Gewerbe war. Einige Bürger betrieben
Gartenwirtschaft, einen grösseren Ackerbesitz hatte keiner.
Jeden Dienstag wurde Wochenmarkt abgehalten. Die
Anzahl der Jahrmärkte hatte im Laufe der Zeit zuge-
nommen, ein königliches Privilegium vom 20. Mai 1760
setzte sie auf neun fest1). Die Handwerker waren, wie
in allen Städten der damaligen Zeit, in Innungen ge-
gliedert, doch ist es nicht genau bekannt, wie viele solcher
Innungen es in Pakosch gegeben hat Vier dieser
Innungen haben die Statuten noch erhalten, sodass wir
einen Einblick in ihre Organisation gewinnen, nämlich die
der Schmiede, Schlosser, Böttcher, Tischler u. s. w. vom
8. Dezember 1627, der Leinweber und Färber vom
12. April 1703, die der Schuhmacher vom 24. Januar
1721 und die der schon oben erwähnten Brauer vom
8. Juli 1726. Jedes Handwerk, das einer Innung ange-
hörte, besass das ausschliessliche Recht des Gewerbe-
betriebs für seine Mitglieder, sodass auch von aussea
keine Waren ihres Handwerks eingeführt werden durften.
Nur zu den Jahrmärkten hörte dieses Monopolrecht zeit-
weilig auf. Der Eintritt neuer Meister war durch die
verhältnismässig hohen Eintrittsgebühren erschwert, und
je einträglicher ein Handwerk war, desto höher stiegen
seine Anforderungen in dieser Beziehung. Am billigsten
machten es in Pakosch die Schuhmacher, die nur
Va Gulden, 2 Fass Bier und 4 Pfund Wachs forderten,
teurer schon die Schmiede und die Leinweber, die ausser
Wachs, Bier und einer ansehnlichen Mahlzeit noch 9 bzw.
13 Gulden festsetzten, am teuersten die Brauer, die
100 Gulden verlangten. Nur die Meistersöhne und
*) Die Urkunde befindet sich in Abschrift in dem St.-A. zu
Posen Inscr. Jun. 1755 — 60. Die Termine fielen auf die folgenden
Heiligentage: 1. Joseph, 2. Philippus und Jacobus, 3. Antonius von
Padua, 4. Laurentius, 5. Michael, 6. Elftausend Jungfrauen, 7. An-
dreas, 8. Pauli Bekehrung, 9. Bonaventura.
•2& Adolf Warschauer.
Schwiegersöhne hatten es billiger, indem sie nur die Hälfte
«lieser Gebühren zu erlegen hatten. Wie überall, waren
auch in Pakosch die Innungen und besonders ihre
Ältesten, die jährlich um Johanni von den Mitgliedern
gewählt wurden, für richtiges Mass und gute Beschaffenheit
<ler Waren verantwortlich. Vor Überteuerung sollte das
Publikum dadurch geschützt werden, dass alljährlich eine
Taxe sämtlicher Handwerkswaren von dem Bürgermeister
der Grundherrschaft zur Genehmigung überreicht werden
musste. Auch als kirchliche Brüderschaften galten die
Innungen, was um so leichter durchgeführt werden konnte,
als sämtliche Mitglieder katholisch waren. Sie besorgten
durch ihre jüngsten Mitglieder den Dienst in der Kirche,
die Handreichungen bei den Bestattungen ihrer Mitglieder
und Hessen alle Quatember Seelenmessen abhalten. Die
Handwerke der Brauer, Kürschner, Rademacher und Schuh-
macher hatten jedes einen besonderen Altar in der Pfarr-
kirche. Das Wachs der Eintritts- und Strafgebühren
wurde zu Kirchenlichtern verarbeitet. Auch in geselliger
Beziehung beherrschten die Innungen durch die Zu-
sammenkünfte in den Herbergen das Leben ihrer Mit-
glieder. Endlich hatten sie auch eine politische Bedeutung,
da ihre Ältesten alljährlich den Rat wählten und bei
wichtigen Entscheidungen des Magistrats um ihre Beistim-
mung befragt werden mussten.
VI.
Geschichte der Stadt in der Zeit der Auflösung des
polnischen Staats und die Besitznahme durch Preussen.
Die Zeit vom Ende des 17. Jahrhunderts bis zur
Teilung von Polen ist für dieses Land eine traurige
Periode des Niedergangs gewesen. Äussere Kriege
wechselten mit inneren Unruhen ab, und die Ohnmacht
des Staates vermochte die gesunkenen Kräfte des Landes
nicht wieder zu heben. Wie bei dem Staatsganzen lässt
sich der allgemeine Rückgang in der Geschichte jedes
^einzelnen Gemeinwesens beobachten.
Geschichte der Stadt Pakosch. 2(^
In Pakosch begann das Unheil mit einer furchtbaren
Feuersbrunst, die im Jahre 1684 die Stadt vollständig
zerstörte. Das Feuer brach am 19. Mai am Vormittag,
aus und verzehrte 55 Häuser in der Stadt selbst, das kurz,
zuvor neu errichtete Herrenhaus und das Pfarrhaus. Die
Pfarrkirche entging dem Brande wie durch ein Wunder *).
Kaum wieder aufgebaut, wurde die Stadt durch die Leiden
des nordischen Krieges heimgesucht. Wir wissen freilich
hierüber nur so viel, dass der kujavische Landtag 1705
Pakosch zu den Städten rechnete, die durch die Soldaten
am meisten gelitten hatten und deshalb für eine Steuer-
ermässigung empfohlen wurden2). Die Pest, die nach
diesem Kriege Grosspolen auf ihrem letzten grossen Zuge
durch Europa heimsuchte, verschonte auch Pakosch nicht.
Die Klosterchronik erzählt hierüber, dass sie in der Stadt
und den benachbarten Dörfern vom Monat Mai des Jahres
1708 an totbringend gewütet und von den Insassen des
Konvents sieben hinweggerafft habe.
Dieselbe Chronik entwirft ein wertvolles und an-
schauliches Bild von den mannigfachen Heimsuchungen
der Stadt während des siebenjährigen Krieges und den
Wirren der Konföderationen von Radom und Bar, die der
ersten Teilung Polens vorangingen. Im Herbst 1761
lagen die Russen lange Zeit in Pakosch und machten,,
wie der Chronist sich ausdrückt, aus der ganzen Stadt
ein Lazareth, denn viele Verwundete lagen zur schweren
Belästigung und Bedrückung der Bürger in ihren Häusern
und vertrieben durch ihren Gestank die Bewohner aus
denselben.
Von dem Kriege, den die Russen gegen die kon-
föderierten Polen führten, wurde Pakosch in den Jahren
J) Aus einer Handschrift des Klosters Tremessen Mon. Pol.
hist. V S. 967. Vgl. auch Pawinski, Dzieje ziemi kujawskiej III S. 103.
Genauere Angaben über den Brand in der ältesten Matrikel der
Pfarrkirche. Bei dem Brande des Pfarrhauses scheinen die älteren
Kirchenbücher mitverbrannt zu sein, da die noch vorhandenen mit
dem Jahre 1685 beginnen.
2) Pawinski, Dzieje Bd. IV S. 109.
30 Adolf Warschauer.
1769 — 71 mehrfach berührt. Zum ersten Mal kamen, wie
•die Klosterchronik eingehend berichtet, die Konföderierten
am 19. März 1769 nach Pakosch. Sie zogen 300 Mann
stark früh um die neunte Stunde ein und stellten nur je
einen Soldaten am Eingang und Ausgang der Stadt als
Wache auf, ohne die Brücken abzubrechen. Sorglos
gaben sie sich der Ruhe in den Bürgerquartieren hin,
^viele besuchten, da es Fastenzeit war, die Kirche. Da
stürzte Nachmittags um die dritte Stunde, als die Passio
angestimmt wurde, ein Bote in die Kirche und schrie:
„Konföderierte, kommt herbei, der Feind ist da!Ä Die
Russen waren in die Stadt eingedrungen und hatten alles
in Schrecken gesetzt. Das Volk floh aus der Kirche, der
Prediger stieg von der Kanzel, ein Geistlicher lief, um
«las Altarsakrament zu retten. Die Kosaken jagten die
fliehenden Konföderierten, schlugen sie nieder, wo sie sie
fanden, oder warfen sie in das Wasser. Mehr als
97 Leichen der Konföderierten vermischt mit einigen Russen
lagen umher. Sie wurden in Massengräbern in der Um-
gegend beigesetzt, die Russen, worunter ein Rittmeister
der Kosaken war, besonders. — Um die Weihnachtszeit
desselben Jahres kamen wiederum zahlreiche Konföde-
rierte unter den Marschällen Mazowiecki und Malczewski
nach Pakosch. Auch diese Einquartierung gereichte der
Bürgerschaft zum Unglück, indem durch die Unachtsam-
keit eines Kriegsknechtes ein Feuer ausbrach, das vier
Bürgerhäuser verzehrte, ohne dass von den Konföderierten
ein Ersatz zu erlangen war. — Wenige Monate später, am
21. Juni 1770 kam ein grosses russisches Heer nach
Pakosch und beschwerte die verarmte Bürgerschaft durch
grosse Forderungen. Den Bürgermeister Sebastian Drze-
wicki entkleideten sie, führten ihn schmachvoll in ein
fremdes Haus und peitschten ihn dort durch. Nur dem
inständigen Flehen angesehener Bürger gelang es endlich
ihn loszubitten und die Forderungen in etwas zu er-
mässigen. Auch im September und Oktober desselben
Jahres kamen die Russen mehrfach in die „ganz unglück-
liche" Stadt und sogen sie und das Kloster durch ihre
Geschichte der Stadt Pakosch. 31
Forderungen aus. Eine andere Schar Russen, die unter
Lern Major Förster am 4. April 1771 in Pakosch einzog,
v\irde besonders dadurch lästig, dass sie dem Kloster
alles Getreide, besonders Gerste und Hafer wegnahm;
cum Ersatz für den Schaden schenkte der M^jor dem
Kloster allerdings 10 Fass Salz.
Im Sommer desselben Jahres 1771, nämlich am
20. Juni, rückten zum ersten Mal preussische Truppen in
Pakosch ein. Es war dies die Zeit, in der Friedrich der
Grosse, um sein Land vor den Überfällen der Konföde-
rierten und dem Eindringen der in Podolien wütenden
Pest zu schützen, Teile von Grosspolen besetzte, wozu
auch die Pakoscher Gegend gehörte. Auch hierüber
macht die Klosterchronik einige interessante Mitteilungen.
Die Schar, die Pakosch besetzte, bestand aus 40 Mann
Husaren unter Führung des Majors Lolhöfel. Obwohl
dieser auf Befehl seines Generals von den benachbarten
Edelleuten Getreidegeld einziehen musste und so
mancherlei Beschwerde verursachte, war er doch gütig
und milde und der Stadt und dem Kloster sehr zugetan.
Denn als im September zweimal Russen vorbeizogen,
duldete er weder, dass sie in der Stadt noch im Kloster
Rast hielten, trieb sogar Kosaken, die auf der Pakoscher
Wiese Heu nehmen wollten, hinweg. Ebenso zwang er
im Oktober Russen, die 480 Konföderierte von Posen nach
Thorn transportieren wollten, von ihrer Absicht, im
Kloster Quartier zu nehmen, abzustehen. Der Chronist
erzählt weiter, dass der Major Katholik gewesen sei,
die Messe in der Klosterkirche besucht und die Predigt
gehört habe, obwohl sie polnisch war. Freilich bereiteten
die Preussen den Klosterbrüdern dadurch Ärgernis, dass
sie hin und wieder durch einen Feldgeistlichen protestan-
tischen Gottesdienst abhalten Hessen, zu dem die Bauern
aus den benachbarten deutschen Hauländereien zahlreich
zusammenströmten.
Als Friedrich der Grosse im Jahre 1772 endgültig
den Netzedistrikt besetzte, zog er von der Landschaft am
Oberlauf der Netze nur Labischin in seine Grenzen.
32 Adolf Warschauer.
Erst im Februar 1773, als er sich entschloss, die Grenzen
weiter nach Grosspolen vorzuschieben, nahm er auch
Pakosch in Besitz. Irgend welchen Widerstand fanden
die Preussen hier ebensowenig, als an irgend einem
anderen Ort des Landes. Da preussische Truppen schon
lange in Pakosch lagen, so machte das wichtige Er-
eignis, das bedeutsamste aus der ganzen Geschichte der
Stadt, auf die Bürgerschaft so wenig Eindruck, dass die
Klosterchronik, die davon erzählt, die Zeit der Besitz-
nahme irrtümlich in das Jahr 1772 verlegt.
Wenige Wochen nach der Einverleibung der Stadt
in den preussischen Staat kamen Kommissare der Regie-
rung nach Pakosch, um zu Zwecken der neuen Besteue-
rung nach preussischem Muster gemeinsam mit der
städtischen Behörde und den Grundherren die Verhält-
nisse der Stadt zu untersuchen. Der sog. Klassifikations-
anschlag, der hierdurch entstand und noch jetzt erhalten
ist1), gibt einen Einblick in den damaligen Zustand der
Stadt und lässt erkennen, wie ärmlich nach jeder Richtung
hin das Gemeinwesen ausgestattet war. Die Stadt be-
stand aus 66 Häusern, von öffentlichen Gebäuden waren
nur das Rathaus, die Pfarrkirche und das Kloster vor-
handen. Die Bevölkerung bestand aus nur 85 ange-
sessenen Familien, im Ganzen aus 468 Personen bürger-
lichen Standes, wozu noch der Pfarrer und die 22 Insassen
des Reformatenklosters kamen2). Die ganze Bevölkerung
war katholisch bis auf einen evangelischen Müller; eine
Judengemeinde gab es nicht mehr. An staatlichen Ab-
gaben hatte die Stadt 428 poln. Gulden sog. Königsgeld
und 400 Gulden Zapfengeld (Schanksteuer) jährlich aufge-
bracht. An die Grundherrschaft wurde jährlich 108 Gulden
28 Gr. Grundgeld von den Häusern und 152 Gulden
Nahrungsgeld von den Handwerkern gezahlt, ausserdem
wurden die Brauabgaben und die Scharwerksdienste
1 ) St.-A. Posen. Kammerdeputation Bromberg XII 15 I.
2) Die Namen der Bewohner sind einzeln aufgeführt in der
Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen
Bd. VIII S. 205.
Geschichte der Stadt Pakosch. 33
nach den oben erwähnten Privilegien von 1671 und 1718
geleistet. Obwohl in der Stadt noch immer das Magde-
burgische Recht galt und 15 Magistratspersonen ihres
Amtes walteten, fanden die preussischen Kommissare
doch weder eine Kämmereikasse vor, noch konnten sie
von irgend welchen polizeilichen Massregeln irgend eine
Spur entdecken, es existierten nicht einmal Feuerlösch-
gerätschaften. Die verständigen polizeilichen Bestimmungen
der alten grundherrlichen Privilegien waren also voll-
kommen in Vergessenheit geraten.
VII.
Die Neuordnung der inneren Verhältnisse während der
Zugehörigkeit der Stadt zum Netzedistrikt. Die Gründung
der Reformatenschule (1773 — 1806).
Der Zustand, in dem die Städte des Netzedistrikts
vorgefunden wurden, liess es gerechtfertigt erscheinen,
dass durch die preussischen Behörden eine völlige Neu-
organisation ihrer Verfassung erfolgte. Der in diesen
Städten noch immer geltende Grundsatz der Selbst-
verwaltung und selbstherrlichen Rechtspflege, der aus
früheren Jahrhunderten stammend dem damaligen Bildungs-
zustande der Bürgerschaften nicht mehr entsprach, wurde
fallen gelassen und die in Preussen sonst übliche Organi-
sation eingeführt. Die städtische Verwaltung wurde dem-
zufolge nicht mehr Bürgern im Ehrenamte anvertraut und
überhaupt jede Mitwirkung der Bürgerschaft bei der
Leitung der öffentlichen Angelegenheiten aufgehoben.
Dagegen wahrte man die alten Gerechtsame der Grund-
herrschaften wenigstens insofern, dass man ihnen ein
Vorschlagsrecht bei den als städtische Beamte anzustel-
lenden Persönlichkeiten einräumte, allerdings ihnen auch
hierfür die Pflicht auferlegte, bei der finanziellen Begrün-
dung der neuen Kämmereien mitzuwirken.
In Pakosch erklärte die Grundherrschaft selbst, dass
alle bisher amtierenden Magistratspersonen „nicht einen
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Prov. Posen. Jahrg. XX. 3
34 Adolf Warschauer.
Kreuzer wert seien", und bat um deren Entfernung und
um Anstellung einer geeigneten Persönlichkeit als Bürger-
meister.
Die beiden Brüder Ignaz und Xaver Dzialynski, die
in jener Zeit die Herrschaft Pakosch gemeinschaftlich be-
sassen, sie aber freilich zeitweise ihrem Schwager Czapski
für einen rückständigen Teil der Mitgift ihrer Schwester
in Pfandbesitz übergaben, überwiesen der neu zu be-
gründenden Kämmerei das Zettelgeld der fünf Gebräue
Bier, die der Bürgermeister von jeher frei gehabt hatte,
die Einnahme von der Stadtwiese, die Hälfte des Markt-
geldes, das Meisterrechtsgeld, die Stand- und Einfuhr-
gelder ausser den öffentlichen Jahrmärkten und die
Polizeistrafen und erklärten sich ausserdem bereit, falls
die Gesamtsumme dieser Einnahmen die Summe von
133 Talern nicht erreichen sollte, das Fehlende aus
eigenen Mitteln zulegen zu wollen. Tatsächlich schliesst
auch der älteste vorhandene Etat der Stadt für das Jahr
1781/82 in Einnahme und Ausgabe mit 133 Talern ab.
Als Bürgermeister war zunächst ein gewisser Essen ein-
gesetzt worden, der sich aber schon nach einigen Mo-
naten als ungeeignet erwies und dem Zollkondukteur
Conrad Platz machte. Sein Gehalt betrug jährlich
75 Taler. Ausser ihm war nur noch ein Kämmerer, der auch
den stolzen Titel Senator führte, mit 25 Talern und ein
Stadtdiener mit 15 Talern angestellt. Für die Rechts-
pflege der untersten Instanz wurde ein Richter, der
„Justizbürgermeister" Hantelmann angestellt; da aber
Pakosch allein ihn weder beschäftigen noch ernähren
konnte, so vereinigte er noch eine ganze Anzahl benach-
barter Städte zu einem Gerichtssprengel. In den höheren
Instanzen wurde die Rechtspflege von den staatlichen
Gerichtshöfen gehandhabt. Auch inbezug auf die Polizei-
vorschriften und die Massregeln der öffentlichen Wohl-
fahrt hatten die städtischen Behörden sich nunmehr
durchaus den staatlichen Behörden, zunächst dem vor-
geordneten Steuerrat des Kreises Strelno und der Kammer-
deputation zu Bromberg zu fügen.
Geschichte der Stadt Pakosch. 35
Der Verlust, den Pakosch ebenso wie die anderen
Städte des Netzedistrikts unter der neuen Regierung an
freiheitlicher Selbstbestimmung erlitt, wurde ihr mehr alsv
ersetzt, da die neue Ordnung der Dinge einen vollkommenen
Schutz gegen jeden willkürlichen Eingriff von Seiten der
Grundherrschaft bot, der die Städte in den früheren
-Zeiten ohne jeden Rückhalt unterlagen. Zwar gab es
kein Mittel, ohne schwere Verletzimg privater Rechte die
Abgaben und Leistungen der Bürger an die Grundherren
aufzuheben oder auch nur zu beschränken, aber die
Regierung half den vielfach hierin schwer bedrückten
Bürgerschaften wenigstens dadurch, dass sie über alle
-diese Verpflichtungen geordnete Urbarien aufstellen liess
und so nicht nur Gelegenheit hatte, die privilegienmässig
nicht begründeten auszuscheiden, sondern vor allem jede
willkürliche Erhöhung zu hindern.
In Pakosch wurde ein solches Urbarium in Gegenwart
«dreier Mitglieder der Bromberger Kammer am 26. und
27. August 1785 aufgenommen. Der Grundherr Xaver
Dzialynski war persönlich anwesend, die Bürgerschaft
war durch die vier Bürger Martin Konacki, Andreas
Kontowicz, Franz Kropski und Alexander Nowicki
vertreten, die sich vorbehielten, eine Vollmacht ihrer Mit-
bürger vorzulegen. Freilich ist dies letztere nie geschehen,
und dieser Umstand hat, wie noch unten gezeigt werden
wird, später die Handhabe zu ernsten Streitigkeiten
geboten. Es wurden die städtischen Privilegien, besonders
«dasjenige von 17 18 vorgelegt und in den einzelnen
Punkten durchgegangen, und man kam durch Vereinbarung
beider Teile zu den folgenden Feststellungen: 1. In Bezug
auf die zur Erntezeit auf den Vorwerken Radlowko,
Rybitwy und Ludkowo zu leistenden Frohndienste sollte
zunächst die Brauerinnung, die für Radlowko allein
verpflichtet war, nach wie vor an Stelle der Arbeit
jährlich die Summe von 360 Tympfen oder 60 Talern
bezahlen. Für Rybitwy, wo die Bürger mit Aus-
schluss der Brauer den Frohndienst leisteten, wurde der
Wert der Leistung jedes Bürgers auf 21 poln. Gulden
36 Adolf Warschauer.
jährlich berechnet. Die Grundherrschaft begnügte sich
jedoch mit 16 Gulden von denjenigen Bürgern, die eine
Geldzahlung der Frohndienstleistung vorziehen würden,
doch mussten sich die Bürger wegen dieser Ermässigung
verpflichten, der Grundherrschaft bei vorkommenden
Bauten in Pakosch, Rybitwy und Ludkowo Hülfe zu leisten.
In Bezug auf Ludkowo hatte sich die Bürgerschaft schon
früher an Stelle aller zu leistenden Frohndienste zu einer
jährlichen Zahlung von 42 Talern verpflichtet, was nun-
mehr bestätigt wurde. Für alle drei Vorwerke sollten die
Zahlungen an die Herrschaft von Pakosch auch dann
geleistet werden, wenn sie im Laufe der Zeit etwa in
andern Besitz übergehen sollten. 2. Für die zu zahlenden
Grundzinsen sowohl der Grundstücke in der Stadt als
der Gärten in Ludkowo, ferner auch für das Nahrungsgeld
der Handwerker wurden die alten Grundsätze beibehalten
und hiernach ein neues Heberegister entworfen, wobei
ausdrücklich bemerkt wurde, dass die Bürger zu weiter
nichts als zu den im Register verzeichneten Leistungen
verpflichtet seien. 3. Einige Schwierigkeiten machte die
Festlegung der Brauereiabgaben. Nach den alten Be-
stimmungen betrug das „Zettelgeld" für jedes Gebräu
Bier einen Dukaten oder 27 Gulden 18 Groschen poln.
und das dem Müller zufallende Mahlgeld 6 Groschen, wo-
gegen aber die Grundherrschaft verbunden war, den
Brauern das freie Schroten auf den ihr gehörigen
Wassermühlen zu gestatten. Nun hatte aber Friedrich
der Grosse den Plan gefasst, den Goplosee tiefer zu
legen, um die Uferländereien urbar zu machen, und zur
Durchführung dieses Planes war es notwendig gewesen,
der Netze unterhalb des Sees freieren Abzug zu gewähren
und den Mühlendamm bei Pakosch zu durchstechen.
Hierdurch war der Betrieb der Wassermühlen unmöglich
geworden, und die Grundherrschaft war ausser Stande, den
Brauern gegenüber ihre privilegienmässigen Verpflichtungen
zu erfüllen. So blieb ihr nichts übrig als ihre Bereit-
willigkeit zur Anlegung einer Wind- und Rossmühle an
Stelle der eingegangenen Wassermühlen zu erklären und bis
Geschichte der Stadt Pakosch. 37
zu deren Errichtung eine entsprechende Ermässigung des
Zettelgeldes eintreten zu lassen. Tatsächlich wurde
später auch eine Rossmühle erbaut, der erlittene Schaden
aber wurde den Dzialynski von der Regierung durch
Zahlung einer Summe von 3333 Talern 25V2 Gr. ersetzt.
4. Das Brennen und Ausschänken des Branntweins
sollte nach wie vor gegen eine Abgabe an die Herrschaft
von jährlich 6 Tympfen oder 36 preussischen Groschen
jedem Bürger frei stehen, ebenso auch der Ausschank
des von fremd her eingeführten Branntweins. Als
Maximalmass des zum Branntweinbrennen zu verwendenden
Grapens wurden 4 Berliner Tonnen festgesetzt 5. Völlig
neu geordnet wurden die Verhältnisse der städtischen
Hütung. Es wurde zwar im allgemeinen zugegeben, dass
die Bürgerschaft freie Hütung sowohl auf Ludkowoer als
auch auf Pakoscher Grund und Boden besitze, aber es
wurden auch die Missstände und Streitigkeiten betont,
die sich durch das häufige Zusammentreffen des den
Bürgern und der Herrschaft gehörigen Viehs ergeben
hatten. Es erfolgte deshalb eine Einigung dahin, dass die
Ludkowoer Hütung zwischen der Herrschaft und den
Bürgern geteilt wurde, doch mussten die letzteren sich
gefallen lassen, dass auf ihrem Teile auch die Ludkowoer
Bauern und die Herrschaft wenigstens mit Schafen hüten
durfte. Dagegen wurde der Bürgerschaft ein vollkommen
selbständiges Recht auf die Pakoscher Ländereien und
Wiesen links des Weges von Pakosch bis Jankowo ein-
geräumt, obgleich sie — wie dasUrbarium sich ausdrückt —
solche nicht privilegienmässig besitze, sondern sich blos
angemasst und unter sich verteilt habe. 6. Für die
Fischerei wurde das alte den Bürgern zustehende Recht
des Fischens mit Hamen, Reusen und kleinen Netzen,
soweit sie waten konnten, bestätigt1).
Auch in Bezug auf das äussere Ansehen, sowie
auf das Kirchen- und Schulwesen der Stadt war diese
*) Abschrift des Urbariums in den Akten der Stadt betr. die
verschiedenen alten Dokumente und Urkunden Bl. 58—69.
38 Adolf Warschauer.
Zeit der beginnenden preussischen Herrschaft eine Periodf
fruchtbarer Weiterentwicklung. Die alte Pfarrkirche d^
Ortes, ein Fach werkbau, war im Laufe der Jahre baufelk
geworden. Gegen Ende der siebziger Jahre war ihr Zu-
stand derartig, dass kein Gottesdienst mehr darin ab-
gehalten werden konnte und die Kirche des Refonnaten-
klosters hierzu verwandt werden musste. Das in der
Stadt liegende Militär, zwei Kompagnieen des Regiment
von Ingersleben, hatte in der Nähe der Kirche seinen
Übungsplatz und ihr Führer, der Oberstleutnant von Boyen
meldete im Jahre 1777, dass man fast stündlich den
Einsturz des Gebäudes vermuten müsse und dass seine
Soldaten hierdurch bedroht würden. Er bat, dass
wenigstens Turm und Giebel abgebrochen würden, um
allem ferneren Unglück vorzubeugen, glaubte aber, dass
wenn man anfangen würde, an dem Gebäude zu rühren,
es von selber einfallen werde. Auch der Kreisbau-
kondukteur, der aufgefordert wurde, einen Reparatur-
anschlag zu entwerfen, erklärte es für ratsam, die Kirche
je eher je lieber abzubrechen. Man begnügte sich in-
dessen vorläufig damit, das gefährdete Dach abzutragen
und das Fachwerk herauszuschlagen, so dass nur der aus
blossen Blöcken bestehende Rumpf zurück blieb. Dieser
wurde im Jahre 1787 mit Erlaubnis des Konsistoriums
niedergerissen. Da aber die Grundherrschaft die Materialien
für ihren Bedarf verwandt hatte, so drängte der damalige
Propst Maychrowicz, offenbar ein sehr rühriger und
tätiger Mann, den Grafen Johann Dzialynski zur Hinter-
legung eines Fonds zur Erbauung eines neuen Gottes*
hauses. Anderweitige Mittel verschaffte er sich noch von
Bürgern der Stadt selbst und durch eine allgemeine
Kollekte in den preussischen Staaten, die einige Hundert
Taler einbrachte, so dass er in den Jähren 1796—99 die
Kirche auf den alten Fundamenten neu errichten konnte,
und zwar als massiven Bau, während sie früher nur aus
Fachwerk bestanden hatte. Derselbe Propst erwirkte
auch in den Jahren 1786/87 durch Verhandlungen mit
der Grundherrschaft, dass die Äcker und Wiesen sowohl
Geschichte der Stadt Pakosch. 39
ler Pfarr- als auch der — allerdings nicht mehr be-
stehenden — Hospitalkirche aus ihrer früher getrennten
Lage in einzelnen Stücken in einheitliche Flächen
zusammengelegt und so bequemer benutzbar gemacht
wurden1).
Auch die Bürgerhäuser bestanden zur Zeit der
preussischen Besitznahme noch alle aus Holz oder Fach-
werk, so dass Feuersbrünste leicht eine gefährliche Ver-
breitung erhielten. So fanden in den Jahren 1794 — 99
nicht weniger als fünf verheerende Brände statt, über
deren Ausdehnung wir genauer unterrichtet sind. Am
20. Januar 1794 verzehrte ein Feuer 21 Häuser und
33 Ställe, also fast die halbe Stadt, der Schaden wurde
auf etwa 10 000 Taler berechnet. Alle diese Häuser waren
aus Holz und mit Strohdächern bedeckt gewesen. Der
zweite Brand, am 27. Januar 1798, vernichtete 14 Bürger-
häuser und verursachte einen Schaden von 7446 Talern.
Im Jahre 1799 wüteten drei Brände: am 26. Februar
brach Feuer im Hause des Bürgermeisters Conrad aus und
forderte 8 Häuser als Opfer und ähnlichen Schaden richteten
die Feuersbrünste vom 19. April und 14. Mai an. Da
hierzulande damals noch nirgends von einer Feuerver-
sicherung die Rede war, so waren die Abgebrannten
vielfach auf die Unterstützung des Staates angewiesen,
und dieser benutzte die Gelegenheit, um durch Gewährung
höherer Bauhilfsgelder an die massiv wieder Aufbauenden
die Entstehung von Ziegelhäusern in der Stadt zu
fördern. Diejenigen, die ihre Häuser in der alten Weise
wieder errichten wollten, erhielten nur 50 Taler, die
andern aber die sich zur massiven Bauart entschlossen,
das doppelte oder auch das dreifache dieser Summe.
So begann zu jener Zeit die Umgestaltung der Stadt
aus einer hölzernen in eine steinerne.
Eine ganz besondere Bedeutung aber gewann die
Stadt in dieser Epoche für ihre nähere und weitere Um*
J) Abschriften dieser Verhandlungen befinden sich in einem
Aktenstück des Pfarrarchivs betr. die Kirchenvisitationen.
40 Adolf Warschauer.
gebung durch die Errichtung der sog. Reformaten-
schule. Trotzdem nämlich die Stadt durch ihren
Übergang an den preussischen Staat von einer katholischen
unter eine protestantische Herrschaft gekommen war, so
konnte doch der Klosterkonvent bei den bekannten duld-
samen Gesinnungen Friedrichs des Grossen und seines Nach-
folgers sich nicht nur ungestört, sondern sogar in aufsteigender
Linie entwickeln und daran denken, seine Wirksamkeit
durch Errichtung einer höheren Schule zu erweitern. Bei
den vielfachen Verbindungen, die das Kloster mit dem
Adel der Umgegend hatte, gelang es ihm, eine grössere
Anzahl von Edelleuten für diesen Plan zu interessieren
und zu veranlassen, dass diese in Inowrazlaw eine Ver-
sammlung abhielten und unter Führung des Adalbert
von Mieczkowki im Namen des ganzen Adels des Netze-
distrikts am 13. April 1786 eine Eingabe an Friedrich
den Grossen richteten, worin sie um seine Einwilligung
zur Errichtung eines Gymnasiums bei dem Kloster zu
Pakosch baten. Sie erboten sich einen Teil der Mittel
aufzubringen, für das Fehlende wünschten sie eine Kollekte
veranstalten zu dürfen, auch beanspruchten sie Freiheit
vom Militärdienst für die Schüler, so lange sie die Schule
besuchen würden. Diese Eingabe hatte freilich ebenso
wie eine Wiederholung derselben zunächst keinen Erfolg.
Glücklicher war ein anderer Weg, den der Konvent nach
dem Tode Friedrichs des Grossen einschlug. Es scheint,
dass die Einmischung des Adels die ganze Angelegenheit
politisch verdächtig erscheinen liess, und so kam der
Konvent zu dem Entschluss, sich nunmehr lieber der Hilfe
der Bürgerschaft zu bedienen. Im Frühling 1787 reiste
der damalige Guardian Anicetus Paszkiewicz mit zwei
Bürgern Casimir Lukaszewski und Bartholomaeus Lisiecki
nach Bromberg, wo sie mit Hülfe eines dortigen Regierungs-
beamten eine erneute Bittschrift an den König Friedrich
Wilhelm IL richteten. Der König überwies diese Bittschrift
durch eine Kabinetsordre vom 16. Juni an den Staats-
minister von Zedlitz mit dem Befehl, nach Lage der Ver-
hältnisse hierauf das Erforderliche zu verfügen. Nachdem
Geschichte der Stadt Pakosch. 41
im Auftrage des Ministers die Bromberger Kammer die
notwendigen Erhebungen angestellt hatte, empfahl sie in
einem eingehenden Bericht an den Minister vom
18. September, die Genehmigung zu erteilen, wünschte
aber die Bedingung daran geknüpft, dass das Kloster den
Unterricht unentgeltlich übernehme, tüchtige und geschickte
Leute hierfür auswähle und diese der Kammer zur
Prüfung stelle. Die Kammer hielt sich hierzu für berechtigt,
weil der Ordensprovinzial Dionysius Kowakiewicz zu
Warschau sich willig erklärt hatte, wenn die Schule ein-
gerichtet wäre, das Kloster mit passenden Geistlichen zu
versehen und sie zur Prüfung zu stellen. Auf diesen Bericht
hin erteilte der Minister unter dem 5. Oktober 1787 die
von der Stadt und dem Konvent gewünschte Erlaubnis1).
Im folgenden Jahre begann der Bau der Schule in
der unmittelbaren Nachbarschaft und auf dem Grund und
Boden des Klosters. Ein gemauertes Dienerhaus wurde
gegen die Stadt hin verlängert und gegen das Kloster
hin durch eine Mauer abgesperrt. Die Mönche beschwerten
sich übrigens bitter darüber, dass die Bürgerschaft ihre
Versprechungen bei dem Schulbau nicht erfüllte und fast
die ganze Mühe und Arbeit dem Kloster überliess. Ein
Teil der Kosten wurde durch eine Kollekte bei Edelleuten
und in der Nachbarschaft der Stadt aufgebracht. Am
23. Oktober 1788 konnte dann die feierliche Eröffnung
durch den Guardian Paszkiewicz, der die treibende Kraft
bei dem ganzen Unternehmen gewesen war, erfolgen.
Die Schule war eine Art von Gymnasium, da ihr
ausgesprochener Zweck war, zum Universitätsstudium vor-
zubereiten oder ihren Abiturienten die Fähigkeit zur Be-
kleidung einer untergeordneten Stelle im Staatsdienst
oder die Kenntnisse für die militärische Laufbahn zu ver-
l) St-A. Posen. Pakosch C 14. Th. Warminski, Die Ordnungen
der Höheren Schule des Reformatenklosters zu Pakosch, im Jahr-
buch der Hist Ges. für den Netzedistrikt zu Bromberg 1897 S. 5 — 32,
1898 S. 54—80. Hiernach A. Skladny, Die Schule der Reiormaten zu
Pakosch. Hist. Monatsbl. f. d. Prov. Posen I S. 161—70.
42 Adolf Warschauer.
schaffen. Doch trug ihre Organisation und die Lehr-
methode einen etwas altfränkischen Charakter und
erinnerte an die mittelalterlichen Kirchen- und Kloster-
schulen. Auf die Realien wurde kein besonderer Wert
gelegt; neben der polnischen Muttersprache der Schüler
wurde im Lateinischen, Französischen und Deutschen
unterrichtet Der hauptsächlichste Lehrgegenstand war
das Lateinische, hierin sollte eine vollkommene Fertigkeit
im mündlichen und schriftlichen Ausdruck, sowie auch
die Kunst der Wiedergabe poetischer Gedanken in
metrischer Form erreicht werden. Für den letztgenannten
Zweck wurde sogar eine Prosodie in lateinischer Sprache
für die Schule besonders gedruckt l). Auch der Unterricht
in der Religion wurde sehr betont, trotzdem wurden,
wenn die Anstalt naturgemäss auch einen durchaus
katholischen Charakter trug, doch auch protestantische
Schüler aufgenommen. Als Lehrer amtierten ausschliesslich
Klostergeistliche, nur in der untersten Klasse wurde wohl
auch ein Laie als Lehrer zugelassen. Die Zahl der
Schüler, unter denen sich vielfach Söhne adliger Grund-
besitzer befanden, stieg bald auf mehrere Hundert. Die
Leistungen der Schule waren in den ersten Jahrzehnten
nach ihrer Entstehung durchaus zufriedenstellend. So
konnte die Kammer zu Marienwerder am 19. Oktober 1798
an das Kloster schreiben : „Wir haben zu unserem Wohl-
gefallen in Erfahrung gebracht, dass ihr bei dem Schul-
institut, welches vor 11 Jahren mit unserer Genehmigung
in eurem Kloster gestiftet worden ist, mit rühmlichem
Fleiss und gutem Erfolg unterrichtet, so dass in demselben
schon mehrere brauchbare Männer gebildet sind, und dass
auch eure jetzigen Zöglinge, deren 178 an der Zahl sind,
gute Hoffnung geben. Wir können euch hierüber unseren
Beyfall nicht vorenthalten und müssen euch zu erkennen
geben, dass wir eure Bemühungen, die ihr bei dem unent-
*) Der Titel dieses Büchleins lautet: Pars quarta Grammatices
de Prosodia seu de Quantitate syllabarum pro usu seholarum
Pacostensium PP Reformatorum provinciae Majoris Poloniae S. Anton ii
Padvani collecta anno Domini 1793 typis mandata. Varsaviae. KL 8?.
Geschichte der Stadt Pakosch. 43
geltlichen Unterricht der Jugend habt, jederzeit gnädig
bemerken werden, und dass auch das Vaterland eure
Verdienste nie vergessen kann1)". Die Folge dieser
Zufriedenheit der Regierung mit der Wirksamkeit der
Schule war, dass ihr nicht nur die erbetene Be-
freiung ihrer Schüler für die Dauer ihres Auf-
enthaltes an der Schule vom Militärdienst, sondern
auch eine jährliche Spende von 24 Klaftern Brennholz
aus den königlichen Forsten gewährt wurde. Im Jahre 1799
konnte das Kloster sich dann auch mit Hülfe der Ein-
wohner von Pakosch ein neues, bequemes, völlig massives
Schulhaus erbauen.
In derselben Periode vollzog sich noch eine Um-
änderung, die für die Stadt selbst und für die ganze Um-
gegend von Wichtigkeit war, Die Dzialynskische Familie
verkaufte nämlich die Pakoscher Güter und gab somit
auch die Grundherrschaft über die Stadt, die Jahrhunderte
hindurch ihr eigen gewesen war, auf. Vielleicht haben
hierbei politische Gründe mitgewirkt, da die Familie von
jeher eine politisch bedeutsame Rolle im polnischen
Staatswesen gespielt hatte, für deren Fortführung es ihr
•wohl nötig erschien, ihren Grundbesitz auf polnischem
Boden zu konzentrieren. Die letzten Besitzer, die beiden
Brüder Ignaz und Xaver Dzialynski, verkauften deshalb
ihre Besitzungen in Westpreussen durch einen Vertrag,
der am 13. Mai 1789 abgeschlossen und am 10. Januar
1792 gerichtlich bestätigt wurde, für 18500 ung. Gulden
an den Ritterschaftsrat Leutnant Johann Carl v. Gerhardt
zu Flatow. Der ältere der beiden Brüder Dzialynski,
Xaver, kaufte die Herrschaft Kurnik bei Posen, die da-
mals noch zu Polen gehörte, seine Linie starb mit seinem
Sohne, dem Grafen Titus Dzialynski aus. Die jüngere
Linie, die in Podolien angesiedelt ist, blüht noch heute.
Obwohl der offizielle Verkauf erst im Jahre 1789
stattfand, so hatte doch der neue Grundherr tatsächlich
<den Besitz schon im Jahre vorher angetreten und wirkte
i) St.-A. Posen. Pakosch C 1 Bl. 116.
44 Adolf Warschauer.
bei der feierlichen Einweihung der Reformatenschule im
Jahre 1788 bereits als Patron mit. Die Zeit seiner Grund-
herrschaft wurde für die Bürgerschaft dadurch wichtig,
dass er durch eine Abmachung vom 6. September 1795
seine Genehmigung zur Aufteilung einer bisher als ge-
meinsamen Hütung benutzten Wiese hinter Ludkowo unter
die grundbesitzenden Bürger der Stadt gewährte. Hier-
durch gelangte jeder der 70 hierzu berechtigten Bürger
zu einem kleinen selbständigen Grundbesitz von 86 Ruthen,
wofür ein jährlicher Kanon von 4 Gulden an die Kämmerei
zu bezahlen war. Im Besitze der Kämmerei blieb als
Rest nur ein Teil von 45 Ruthen.
Johann Carl von Gerhardt war übrigens nur wenige
Jahre im Besitz der Pakoscher Güter, da er sie schon
Ende 1802 weiter an den Ritterschaftsrat Joseph v. Miecz-
kowski verkaufte. Überhaupt trat von nun an, wie noch
gezeigt werden wird, ein fortwährender Wechsel der
Grundherrschaften ein.
Vffl.
Die Herzoglich Warschauische Zeit (1807 — 15).
Eine völlige Änderung aller inneren Verhältnisse er-
folgte, als unter der Einwirkung Napoleons aus einem
Teile der früher polnischen Landesteile das Herzogtum
Warschau gebildet und Pakosch diesem Staatswesen ein-
verleibt wurde. Die Verfassung der Stadt wurde wieder
freiheitlicher gestaltet, da an Stelle der straffen Beamten-
regierung während der preussischen Verwaltung wieder
eine Vertretung der Bürgerschaft eingesetzt wurde.
Freilich war die Zeit, in der Truppendurchmärsche, Ein-
quartierungen, Kriegsauflagen und mancherlei Vergewal-
tigungen die Stadt beunruhigten, nicht dazu angetan, eine
ruhige Entwicklung zu befördern, sodass wohl auch in
der polnischen Bevölkerung die Schwere der Zeitverhält-
nisse drückend empfunden wurde. So sprach sich Ne-
pomucen Sadowski, der Verfasser der Chronik des Re-
formatenklosters, über die Franzosen, auf die man damals
Geschichte der Stadt Pakosch. 45
sonst wohl als die Retter Polens hinzublicken pflegte
folgendermassen voll Bitterkeit aus: „In der Zeit dieses
Krieges haben die Franzosen wie unter dem Mantel der
Freundschaft ihre Schritte nach Polen gelenkt, aber un-
geachtet dieser Freundschaft wurden viele polnischen
Bürger beraubt, eine grosse Zahl neben ihren Besitz-
tümern getötet und unschuldig erschlagen und andere
•durch sie in die tiefste Armut gestürtzt Ich sage: möge
Gott der Herr solche Freunde von uns abwenden."
Dementsprechend ist auch über die Geschichte der
Stadt aus dieser Zeit nichts erfreuliches zu berichten.
Besitzer der Herrschaft Pakosch war damals Norbert
von Zielinski, Friedensrichter des Kreises Inowrazlaw. auf
Rybitwy, der sie seit 1804 mit Ignatz von Suminski zu-
sammen und seit 1808 allein besass. Über ihn hatte die
Bürgerschaft mannigfach zu klagen, da er sich vielfach
Eingriffe in ihre alten Gerechtsame erlaubte. So ver-
wehrte er ihr die Einfuhr des Branntweins aus der Fremde,
machte wegen ihres Weiderechts auf den Ludkowoer
Grundstücken Schwierigkeiten und untersagte ihnen die
Ausübung ihres alten Fischereirechtes. Die Bürgerschaft
sah sich hierdurch genötigt, gegen ihren Grundherrn
klagend vorzugehen, und die Streitigkeiten fanden durch
das Urteil des Ziviltribunals des Departements Bromberg
vom 15. Oktober 181 1 ihre Endschaft. Das Urteil stützte
sich auf den Wortlaut der alten Privilegien vom 28. Fe-
bruar 1671 und 19. Januar 1736 und kam in den meisten,
allerdings nicht in allen Punkten zu einem für die Stadt
günstigen Ergebnis. Inbezug auf den Vertrieb des
Branntweins stellte es sich im Wesentlichen auf den
Standpunkt des Grundherrn, indem es der Bürgerschaft
zwar das Branntweinbrennen in ihren Häusern gestattete
aber die Einfuhr aus der Fremde untersagte. Dagegen
schützte es in vollem Umfange das Weiderecht der Bürger-
schaft und sprach ihr auch die Fischereigerechtsame zu.
Ob diese freilich sich auch auf den Jankowoer See er-
strecke, entschied das Urteil nicht, sondern erachtete
diesen Punkt einer näheren Aufklärung für noch bedürftig.
46 Adolf Warschauer.
Auch der Stolz der Stadt, die Schule, verlor in
dieser Zeit ihr altes Ansehen und ihren Ruf. Zwar
besass sie im Jahre 181 1 noch 230 Schüler, aber diese
wurden von nur 2 Lehrern unterrichtet, da der frühere
Zudrang zu dem klösterlichen Leben aufgehört hatte und
gebildete Mönche selten waren. In dieser Not überliess
man den Schülern der höheren Klassen den Unterricht
in den niederen, und es erfolgte ein völliger Absturz in
den wissenschaftlichen Leistungen und dem sittlichen
Verhalten der Schüler. Es half denn auch nicht viel,
dass die Regierung sich entschloss, einen weltlichen
Lehrer der Mathematik, Professor von Swinarski, anzustellen
und ihn mit 200 Talern aus der Staatskasse zu besolden.
Der Bromberger Departementspräfekt Gliszczynski urteilte
im Jahre 181 1, dass, wenn selbst Leute höherer Stände
ihre Söhne in diese Schule schickten, sie offenbar nicht
wüssten, was Unterricht und Erziehung sei. Es ist inter-
essant zu beobachten, dass diese Schule, die unter der
früheren preussischen Regierung errichtet worden war
und Befriedigendes leistete, nunmehr unter der Regierung
des neuen Staatswesens sich im offenbaren Niedergang
befand, sodass die höchste Erziehungsbehörde des Staates,
die Edukationskommission, vor der Behauptung nicht zu-
rückschreckte, dass die Schule unter geistlicher Leitung
niemals etwas leisten werde1).
IX.
Seit dem Wiederanfall der Provinz an Preussen (1815).
Friedliche Zeiten und mit ihnen eine ruhige Ent-
wicklung traten wieder ein, als mit dem Sturze Napoleons
auch seine Schöpfung, das Herzogtum Warschau, zu
Grunde ging und die Provinz Posen in ihren heutigen
Grenzen unter preussischer Herrschaft eingerichtet wurde.
Die ersten Jahrzehnte dieser Periode räumten ebenso wie
*) Vgl. A. Skladny, Die Geschichte der Reformatenschule in
Pakosch, in der Zeitschrift der Hist. Ges. f. d. Prov. Posen XVI
Seite 72—76.
Geschichte der Stadt Pakosch. 47
in allen anderen Städten des Landes so auch in Pakosch
mit den Schöpfungen der Vergangenheit gründlich auf
und setzten neue Organisationen an deren Stelle, die den
-Anschauungen der modernen Zeit besser angepasst die
Überleitung in die Zustände bürgerlicher Freiheit, die wir
heute als selbstverständliche Grundlage eines bürgerlichen
Gemeinwesens ansehen, ermöglichten. Wenn diese
wichtigen Umwälzungen ohne innere Erschütterungen in
ordnungsmässiger und friedlicher Weise vor sich gingen,
so beruhte dies im wesentlichen darauf, dass sie von der
Staatsverwaltung ausgingen und in der Ausführung allge-
meiner Gesetze erfolgten.
Zuerst erfuhren die geistlichen Verhältnisse eine
völlige Umgestaltimg, indem das Kloster und die unter
seinem Regiment stehende Schule aufgehoben wurden.
Zwar wurde die in den alten Provinzen des preussi-
schen Staates durchgeführte Massregel der Säkularisation
der Klöster in der neu erworbenen Provinz Posen zu-
nächst nicht angewandt: doch wurde bald nach der Be-
sitznahme durch eine Kgl. Kabinetsordre vom 27. Sep-
tember 1816 die Aufnahme neuer Insassen in die vor-
handenen Klöster, soweit sie nicht der Krankenpflege ge-
widmet waren, verboten, sodass sie in absehbarer Zeit
aussterben und sich so von selbst auflösen mussten. Da
dieser allgemeinen Verfügung auch das Reformatenkloster
zu Pakosch unterworfen wurde, so war für die Schule
die nächste Folge hiervon, dass sie an eine Erneuerung
der geistlichen Lehrkräfte nicht mehr denken konnte und
als Klosterschule einging. Da die Schüler grossenteils aus
der Fremde stammten und bei den Bürgern lebten, so
hatten diese ein materielles Interesse an der Erhaltung
der Anstalt Aber schon 1817 war die Anzahl der
Schüler auf 87 gesunken, und der Unterricht wurde von
nur zwei Reformatengeistlichen Florentin Okolewski und
Nepomucen Zdybalinski erteilt Unterrichtsgegenstände
waren nur polnisch und lateinisch. Nach dem Ableben
des Professors von Swinarski war dessen Stelle nicht
wieder besetzt worden, wenn auch freilich sein Gehalt
48 Adolf Warschauer.
von 200 Talern noch immer von der Staatskasse an die
Schule gezahlt wurde. Im Jahre 1821 wurde noch ein
Versuch gemacht die Schule zu erhalten, indem unter dem
19. November sich die Bürgerschaft von Pakosch und
einige Edelleute, wie Skorzewski auf Lubostron, Lochocki
auf Bartschin u. a. mit einem Immediatgesuch an den
König wandten und um Anstellung brauchbarer und hin-
länglicher Lehrer baten. Von dem Zdybalinski sagte die
Eingabe, er besitze nur die lateinische und seine eigene
polnische Muttersprache, wogegen es ihm an den be-
nötigten Kenntnissen der herrschenden deutschen Sprache,
zu deren Erlernung nicht nur die Schüler selbst die grösste
Neigung hegten, sondern auch die Eltern solches am
heissesten wünschten, gänzlich mangele. Die Antrag-
steller dachten wohl an eine Umgestaltung der dem
Untergang ohnehin geweihten Klosterschule in ein mo-
dernes Gymnasium. Die Regierung zog freilich diesen
Gedanken nicht weiter in Erwägung, und in den ersten
Julitagen des folgenden Jahres (1822) löste sich die Re-
formatenschule auf, indem die beiden Klostergeistlichen
ihre Unterrichtstätigkeit einstellten. Ein etwas später auf-
tauchender Plan, das Schullehrerseminar von Bromberg
nach Pakosch zu verlegen und so der Stadt einen Ersatz
für die verlorene Unterrichtsanstalt zu verschaffen, fand
ebenfalls bei der Regierung keinen Anklang, und in der
richtigen Erwägung, dass die örtlichen Verhältnisse mehr
ein geordnetes Volksschulwesen als eine höhere Schul-
anstalt forderten, wurde im Jahre 1824 die Einrichtung
einer katholischen Volksschule angeordnet und ihr der
alte, früher der Reformatenschule gezahlte jährliche Zu-
schuss von 200 Talern überwiesen. Diesen Zuschuss
hat die Schule bis zum Jahre 1870 bezogen. Die beiden
oben genannten letzten geistlichen Lehrer fügten sich
willig den geänderten Verhältnissen und erboten sich zur
Erteilung des Unterrichts in der Religion und einigen
anderen Lehrgegenständen an der neuen Volksschule,
was die Regierung in Rücksicht auf ihre Beliebtheit auch
annahm.
Geschichte der Stadt Pakosch. 49
Ein Jahrzehnt nach der Schule wurde auch das
Kloster aufgelöst. Bis zuletzt hat es seinen Glaubens-
eiier betätigt, und noch am 4. Februar 1825 konnte ein
Jude im Konvent unter grossen Feierlichkeiten getauft
werden. Um diese Zeit hatte sich die Anzahl der Kloster-
insassen jedoch schon sehr vermindert. Da das Kloster
zu den ärmsten in der Provinz gehörte und seine Ein-
künfte auf nicht mehr als 20 Taler jährlich berechnet
wurden, so wurde seine Auflösung durch die Behörden
freilich nicht sehr beschleunigt. Mit dem Bernhardiner-
kloster in Görka und dem Franziskanerkloster zu Gnesen
war das Reformatenkloster zu Pakosch Ende 1834 in der
Provinz Posen noch allein übrig geblieben. Die end-
gültige Auflösungsordre erging durch das Kultus- und
Finanzministerium am 27. Februar 1837 und durch das
Oberpräsidium am 27. März desselben Jahres. Damals
bestand der Konvent noch aus drei Mitgliedern, dem
Guardian Zdybalinski und den Mönchen Okolewski und
Woytinkiewicz, die auf Pension gesetzt wurden. Die sehr
zerfallenen Klostergebäude und die Kirche wurden der
katholischen Ortsgemeinde überwiesen, die aus dem
Säkularisationsfonds noch überdies einen Zuschuss zu
den Kultuskosten und dem Gehalt des Probstes und
Vikars erhielt. Da die alte Pfarrkirche abgebrannt war
und nicht wieder aufgebaut wurde, so war der Gemeinde
die Überweisung der Klosterkirche, die nunmehr zur
Pfarrkirche eingerichtet wurde, um so willkommener.
Gleichzeitig wurde auch der Kalvarienberg, den das
Kloster bis zu seiner Auflösung bedient hatte, dem Orts-
geistlichen zur weiteren Besorgung übergeben.
Zu derselben Zeit, in der die geistlichen und Schul-
verhältnisse in der geschilderten Weise eine wesentliche
Umgestaltung erfuhren und aus den Resten der in früheren
Jahrhunderten entstandenen Organisationen die modernen
Einrichtungen entstanden, gerieten auch die Grundlagen
der alten städtischen Verfassung, so weit sie noch auf
den Beziehungen zwischen Grundherr-
schaft und leistungspflichtiger Bürge r -
Zeitschrift der Htst. Ges. far die Prov. Posen. Jahrg. XX. 4
50 Adolf Warschauer.
schaft beruhten, ins Wanken. Das patriarchalische
Verhältnis der Grundherren zu ihren ihnen untertänigen
Bürgern, mit allen seinen Vorteilen und Schäden, hatte,,
wie überall, so auch in Pakosch schon längst seine
Daseinsberechtigung verloren, da durch die preussischen
Gesetze jede Einmischung des Grundherrn in die eigent-
liche Verwaltung der Stadt ausgeschlossen war. Aber
auch abgesehen davon, wäre in Pakosch die Fortführung
eines solchen Verhältnisses schon darum nicht möglich
gewesen, weil seit dem Wegzuge der Dzialynskischen
Familie die Herrschaft schnell von einer Hand in die
andere ging und so die Ausbildung irgend welcher ver-
traulichen Beziehungen unmöglich wurde. Der oben
erwähnte Norbert von Zielinski behielt die Herrschaft
bis zum Jahre 1820, worauf sie im Wege der Subhastation
von der königlichen Hauptbank zu Berlin erworben wurde,
von der sie wieder im Jahre 1829 der Landrat Thaddeus
von Wolanski zu Inowrazlaw durch Kauf erstand. Er war
der letzte Grundherr von Pakosch, dem die Lösung der noch
bestehenden materiellen Beziehungen zu der Bürgerschaft
oblag, und es scheint, dass er Einsicht und Wohlwollen genug
besass, um die bei den langwierigen Auseinandersetzungen
sich ergebenden Schwierigkeiten und Streitpunkte zu
einer für beide Teile gedeihlichen Lösung zu führen.
Noch während der Zeit, als die Hauptbank die Herr-
schaft Pakosch besass, kam in der Bürgerschaft die Über-
zeugung zum Durchbruch, dass die Leistungen, zu denen
sie nach dem Urbar von 1786 verpflichtet war, sie in
ungerechtfertigter Weise allzu schwer belasteten und mit den
modernen Anschauungen und Gesetzen nicht mehr in
allen Punkten in Übereinstimmung ständen. In einer ein-
gehenden Denkschrift, die die Bürgerschaft am 30. Okt. 1827
der Hauptbank einreichte, legte sie diese Anschauungen
dar. Zunächst wünschte sie eine Ermässigung des
Dienstgeldes für die drei Vorwerke Rybitwy, Ludkowo
und Radlowko. Für Radlowko, wo die Brauerinnung
allein verpflichtet war, hatte diese freilich schon seit
mehreren Jahren die Zahlung überhaupt nicht geleistet
Geschichte der Stadt Pakosch. 5*
und hielt sich in Rücksicht auf die neue Brausteuer und
die Gewerbegesetze zu dieser Zahlung auch in Zu-
kunft nicht für verpflichtet. Auch die Zahlung des Zettel-
geldes unter den alten Bedingungen hielt die Brauer-
innung nicht mehr für angängig. Ebenso wenig glaubte
die Bürgerschaft nach der Einführung der Gewerbefreiheit,
zur weiteren Zahlung des Professionsgeldes angehalten
werden zu können. Für den Fall eines ablehnenden
Bescheides scheint die Bürgerschaft entschlossen gewesen
zu sein, die Rechtsgültigkeit des Urbars von 1785 auf
dem Prozesswege anzugreifen.
Zum weiteren Austrag kam die Angelegenheit
zunächst jedoch nicht, da die Hauptbank kurz darauf die
Herrschaft verkaufte. Der neue Grundherr, Landrat
von Wolanski wusste geschickt den für beide Teile
zweifellos kostspieligen Prozess zu vermeiden und schaffte
zunächst den schwierigsten Streitpunkt aus der Welt,.
indem er sich mit der Brauerinnung einigte, was allerdings
um so notwendiger war, als diese seit dem Jahre 1820«
in Folge der doppelten Besteuerung durch den Staat und
die Grundherrschaft das Brauen überhaupt eingestellt
hatte. Nunmehr verzichtete Wolanski auf die Zahlung
des Zettelgeldes, wogegen die Brauerinnung wiederum
in Bezug auf das Mahlen des Malzes keine Ansprüche
an die Herrschaft zu stellen versprach. Von allen früheren
Verpflichtungen blieb nur übrig, dass die Brauerinnung
sich zu einer jährlichen Pauschalzahlung von 20 Talern an
die Herrschaft bereit erklärte.
Kurz darauf begannen dann auf Grund der preus-
sischen Kulturgesetzgebung die langwierigen und
schwierigen Verhandlungen über die Ablösung der Weide-
berechtigungen der Bürgerschaft im Walde zu Ludkowo^.
die freilich erst durch die Rezesse vom 3. Juni 1852 und
15. November 1869 zur endgültigen Erledigung kamen..
Die Berechtigten wurden mit einigen Parzellen im Walde
von Ludkowo abgefunden. Gleichzeitig mit diesen Ver-
handlungen gingen andere wegen Ablösung der Weide-
und Hütungsgelder, des Scharwerks- und Erntezinses,,
52 Adolf Warschauer.
•des Acker- und Gartenzinses und der Professions- oder
Nahrungsgelder. Der Grundherr berechnete die ihm zu-
stehenden Einnahmen von diesen letzteren auf 500 Taler
jährlich, die Haus-, Grund- und Ackerzinsen aber auf
238 Taler 21 Sgr. Die Einigung brachte der Rezess vom
11. Mai 1854. Auch die Bürger unter sich lösten dem
Zuge der Zeit folgend die noch bestehenden gemein-
samen Grundbesitzansprüche durch Separation auf. So
wurde im Jahre 1847 die Hütung Swiniary von zusammen
13 Morgen 17 Quadratruten unter den 70 hausbesitzenden
Bürgern aufgeteilt, so dass jeder 34 Quadratruthen erhielt
Am Anfang der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
waren somit alle jene Lasten und Zahlungen, die auf den
alten Privilegien von 167 1 und 17 18 und ihrer Auslegung
durch das Urbarium von 1785 beruhten, aufgehoben und
in Rentenzahlungen verwandelt, die auch ihrerseits durch
Amortisation nach und nach verschwanden. Der alten
Fesseln und Beschränkungen entledigt konnte die Stadt
■als ein nunmehr lediglich von den staatlichen Gewalten
abhängiges Gemeinwesen in freier Entfaltung ihrer Kräfte
^einer aufsteigenden Entwickelung entgegensehen.
In den sechsziger Jahren kam die Stadt auch zu
einer protestantischenKirche. Einige protestan-
tische Familien wohnten in Pakosch bereits seit der
preussischen Besitznahme, mussten aber ihre religiösen
Bedürfnisse in den benachbarten Gemeinden, besonders
■in Inowrazlaw, befriedigen. Erst als die Gemeinde an-
sehnlicher geworden war, wurde ihr durch den könig-
lichen Erlass vom 6. August 1856 die Erlaubnis zur
Einrichtung eines Pfarrsystems erteilt1). Sofort begannen
dann auch die Bemühungen um die Erbauung einer
•massiven Kirche. Diese sollte ursprünglich auf dem
Marktplatz errichtet worden, und die Gemeinde kaufte zu
•diesem Zwecke von der Stadt einen kleinen Teil des Marktes
für den Preis von 250 Talern, doch wurde das Bauprojekt
*) Werner, Geschichte der evangelischen Parochien in der
Provinz Posen. S. 255.
Geschichte der Stadt Pakosch. 53;
schliesslich geändert und ein Platz vor der Stadt für die
Kirche bestimmt. Ein Glockenturm, den die Gemeinde
bereits auf dem ihr gehörigen Teil des Marktes errichtet
hatte, wurde von dort entfernt. Der Bau der Kirche
wurde durch Zuschüsse des Oberkirchenrats und durch
ein königliches Gnadengeschenk von 9000 Mark ermöglicht.
Die Einweihung erfolgte am 15. Oktober 1866.
Ungefähr gleichzeitig mit der Errichtung der Kirche
erfolgte auch die eines Krankenhauses. Wie schon
oben erwähnt, hatte Pakosch in früheren Jahrhunderten
ein Hospital mit einer dazu gehörigen Kirche zum Heiligen
Geist besessen. Beide waren schon zu polnischer Zeit
ein Raub der Flammen geworden, und es ist niemals zu
einer Wiederaufrichtung gekommen. Immerhin aber hatte
dieses Hospital einiges Vermögen in Liegenschaften be-
sessen, die nach seinem Untergang von der Propstei zu
Pakosch gemeinsam mit ihrem eigenen Grundbesitz ver-
waltet wurden. Gleich nach der preussischen Besitznahme
führte der Magistrat mit dem Probst einen Prozess wegen
der Herausgabe der Hospitalländereien und erreichte
auch im Jahre 1820 ein obsiegendes Urteil. Als aber die
Ländereien vermessen und aufgezeichnet werden sollten,,
war die Stadt nicht in der Lage, die Kosten hierfür aufzu-
bringen, und so verlief die Angelegenheit im Sande. In den
fünfziger Jahren brachte der Magistrat die Angelegenheit
noch einmal zur Anregung. Die Regierung riet aber von
der Wiederaufnahme des Prozesses ab, da es doch schwer
zu erweisen sein würde, dass das Hospital eine städtische
Besitzung gewesen sei. Auch ein späterer Versuch, durch*
Vermittlung der Generalkommission zum Ziele zu kommen,
blieb fruchtlos, so dass die Aussicht, auf Grund der alten
Stiftung zu einem neuen Krankenhaus zu gelangen,,
endgültig fallen gelassen wurde und die Bürgerschaft nach,
wie vor ohne Krankenhaus war.
Diesem Übelstand half die werktätige Menschenliebe
zweier edelgesinnter Männer ab, des Sanitätsrats Dr. Kühnast
zu Pakosch und des Rittergutsbesitzers von Tschepe zu
Broniewice. Ihrem Eifer gelang es, die Mittel aufzubringen.
;54 Adolf Warschauer.
und den Johanniterorden, dem Tschepe angehörte, zur
Gründung eines Krankenhauses in Pakosch zu bewegen,
•das am 15. Oktober 1866 eingeweiht wrerden konnte.
Zum dauernden Gedächtnis des Sanitätsrats Ktihnast, der
im Jahre 1888 starb, wurde eine eherne Tafel mit seinem
Bilde errichtet und eine Sanitätsrat Dr. Theodor Kühnast-
Stiftung zur Unterstützung armer kranker Personen,
namentlich armer Wöchnerinnen gegründet.
Auch Bürger jüdischen Glaubens hat die
Stadt im 19. Jahrhundert wieder gewonnen. Im Jahre
1821 müssen schon Juden in Pakosch gewohnt haben, da
sie in diesem Jahre um Befreiung vom Brückenzoll baten,
der beim Passieren der Netzebrücke von dem Dominium
erhoben wurde und von dessen Zahlung die christlichen
Bürger befreit waren. Nach dem Erlass der Flottwellschen
Judengesetze wurde im Jahre 1834 eine Gemeinde
organisiert, die in Pakosch und Rybitwy zusammen
89 Seelen ausmachte. Die alte Synagoge aus Fachwerk
wurde in der neuesten Zeit durch einen massiven Bau
•ersetzt, dessen Einweihung am 17. August 1904 erfolgte.
Der Geschichtsschreibung einer späteren Zeit muss
es vorbehalten bleiben die erfreuliche materielle Ent-
wicklung der Stadt in den letzten Jahrzehnten im
Zusammenhang darzustellen. Sie wird zweifellos zu dem
Ergebnis führen, dass in keiner Periode der älteren
städtischen Geschichte, von der diese Blätter erzählen,
die Stadt so schnell und kräftig emporgeblüht ist, als
eben in dieser letzten Epoche. Die folgenden Zahlen über
die Zunahme der Bevölkerung und die Erhöhung des
städtischen Etats mögen hierfür den Beweis liefern: die
Einwohnerzahl der Stadt betrug zur Zeit ihrer Eingliederung
in den preussischen Staat 490, 1792 517, 1833 819, 1864
1254 und nach der letzten Volkszählung im Jahre 1903
2960 Seelen. Der städtische Etat, der im Jahre 1781/2
mit 133 Tl. abschloss war im Jahre 1845 erst auf
269 Tl., 1859 auf 646 TL gestiegen und balanziert jetzt
in Einnahme und Ausgabe mit 66730 Mk.
Andreas Fricius Modrevius.
Seine Lehr- und Wanderjahre.
Aus dem Nachlasse Jakob Caros.
in unklarer Punkt in dem Leben des Modrevius
ist eigentümlicher Weise sein Name. Für die
polnischen Literarhistoriker unterliegt es keinem
Zweifel, dass „Modrevius" lediglich die Latinisierung des
Namens „Modrzewski" sei. Sie weisen auf die ver-
schiedenen Familien, die es unter diesem Namen in Polen
gegeben hat, ohne Zögern hin und lassen es nur un-
bestimmt, welcher von diesen Sippen unser Andreas
gehört hat1). Indess so liegt der Fall wohl nicht. Die
Zeitgenossen haben ihn, soweit bezeugende Schriftstücke
vorliegen, niemals weder Modrzewski noch Modrevius
genannt, sondern immer nur Fricius, und wo er in seinen
*) Ossolinski (Wiadom. hist. krit. IV S. 123 Note 2) hat aus
dem Niesiecki drei Wappen ausgezogen, unter denen Modrzewski
vorkommen, und angemerkt, dass Niesiecki den Andreas Fricius
Anmerkung des Herausgebers. Vorliegende Arbeit hat sich im
Nachlasse des am 10. Nov. 1904 verstorbenen Universitäts - Professors
Dr. Jakob Caro zu Breslau vorgefunden.
Sie ist im Jahre 1896 niedergeschrieben, wie aus dem Konzept
hervorgeht, das auf Abzügen von Breslauer Doktordiplomen dieses
Jahres entworfen ist.
Wenn somit die Arbeit vielleicht die Forschungs-Ergebnisse
des letzten Jahrzehntes nicht berücksichtigt, auch nicht zu einem
Abschlüsse gebracht ist, so habe ich doch geglaubt, sie in d e r
Form drucken zu sollen, wie sie von dem Verfasser hinterlassen
war, unvollendet, ohne Zusätze und ohne Änderungen im Inhalt
-wie in der Sprache, um ihr den intimen, eigenen Reiz zu bewahren,
der den Freunden und Schülern des Verstorbenen aus ihr ent-
gegenstrahlen wird.
56 Jakob Caro.
Schriften auf sich selbst zu reden kommt, nennt er selbst
sich nur Fricius, ja in der Universitätsmatrikel war er
nur mit dem Namen Andreas Jacobi de W^lborz und in
dem Baccalaureatsregister sogar schlechtweg nur als
Andreas de Wolborz eingezeichnet, und man würde in
beiden Fällen nicht wissen, dass damit der Held unserer
Erzählung gemeint sei, wenn nicht eine andere, der Schrift
nach dem 16. Jahrhundert angehörige Hand aufklärend an
den Rand des Baccalaureatsverzeichnisses die Worte
„Fricius, hereticus, Fric" zu dem Namen hinzugesetzt
hätte1). Also auch hier nur „Fricius", so, wie der Papst
und die Bischöfe, der König in amtlichen Urkunden, und
die Nuntien, und Melanchthon und Hosius und sein Ver-
leger Oporinus und er selbst schreiben. Niemals nennt
ihn Jemand Modrevius, und nur auf den Büchertiteln fehlt
fast niemals neben dem „Andreae Fricii" der Zusatz ;
Modrevii2).
überhaupt nicht nennt, weil er die im Punkte der Rechtgläubigkeit
Anrüchigen überhaupt zu verschweigen pflege. Er könnte also
nach Niesiecki entweder ein Jelita oder Rola oder Grzymala sein.
Ossolinski entscheidet sich für das Letztere, weil die Grzymala in
Grosspolen und namentlich im Sieradzer Gebiet verbreitet wären.
Das scheint mir nicht einmal ganz zutreffend. Vermutlich hat
Tarnowski, Pisarze polityczni XVI. wieku I S. 227, keinen besseren
Grund, wenn er ihn ohne jeden Beweis den Jelita zurechnet. Dass
Braun nur infolge einer Verwechselung der Modrzejewski mit den
Modrzewski den Fricius dem Wappen Ostoja zuteilt, ist von Ossolinski
bereits mit Zurückweisung der daraus gefolgerten Herkunft aus
dem Sandomir'schen angemerkt worden. — Indessen liegen allen
diesen Behauptungen weder äussere noch innere Beweise von irgend
welcher Stichhaltigkeit zu Grunde.
*) Muczkowski, Statuta nee non lib. promotionum univ.
Cracov. S. 169.
2) Und zwar nur auf den Titeln, während die Kolumnen auf
jeder Seite nur die Überschrift: A. Fricii haben. In den von dem
Baseler Professor Ludovicus Lucius veranstalteten Ausgaben der
Fricius'schen Schriften De Providentia et praedestinatione, Basel 1613,
und De peccato originis et libero hominis arbitrio, Basel 1617, ist
ebenfalls das Modrevii ganz weggelassen und nur A. Fricii auf dem
Titel gesagt. — Dass aber auch die zeitgenössischen Buchhändler
trotz dem Modrevius auf den Titeln den Autor nur mit dem Namen
Andreas Fricius Modrevius.
Modrevius ist also nur ein Name, wie ihn di<
steller des XVI. Jahrhunderts willkürlich teils d
tinisierung oder Übersetzung ihrer wirklichen
teils durch Andeutung ihres Geburtsorts oder :
charakteristischer Merkmale sich beizulegen p
Einem Gelehrten, der einer Familie Modrzewski
hätte, würde es nahe gelegen haben, sich in der
als Modrevius auszugeben — der Name wurde
für die lateinische Sprache deklinabel — ; da
würden auch seine Freunde und Feinde ihn so
haben. Da dies jedoch nicht ein einziges Mal vc
so ist der Schluss erlaubt, dass Fricius mit keine
Polen vorkommenden Familien Modrzewski,
Wappen sie auch angehören, in irgend einer v
schaftlichen Zugehörigkeit gestanden haben kar
eben denselben Gedanken würde man auch oh
äusseren Gründe bei einem Überblick über da
und die sozialen Beziehungen des Mannes gelanj
steht in einer eigenen Isolierung da, nur geschüt
sein Amt, das er sich errungen, und gestützt dun
Gesinnungsgenossen, mit dem Rückhalt eines bescl
ererbten väterlichen Guts, aber niemals, wie das
Polen der offene oder geheime Grund des Erf
sein pflegte, gefördert durch mächtige Familienver
Als der Hass der alten Kirche über ihn hereinbr
ihn von dem heimatlichen Herde vertreibt, findet
vorübergehend eine Unterkunft bei einem hochg
Parteigenossen und muss schliesslich seinen Fi
die Grenze seines Vaterlandes setzen. Dass eine I
sippe für ihn eingetreten wäre, hört man nicht.
Fricius bezeichneten, geht aus dem überaus interessanten gei
Inventar der Buchhändler Matthias Scharfenberg und Flori
aus den Jahren 1547, 1551 hervor. Arch. do dziejöw lit. i
Nr. 71, 116, 127, 480, 523.
*) Über die Namenänderungen s. das schöne Seh
Nicol. Oehmler im Corpus reformatorum III col. 208
Interessant ist für uns die Bezugnahme auf Philippum reg
Sigismundi praeeeptorem, (quem) voeavit Laetus Callima
58 Jakob Caro.
Ein Blick auf die Generalstabskarte aber belehrt
uns, dass etwa tausend Schritt von dem noch heute
stehenden Vogteihause von Wolborz entfernt das Vor-
werk Modrzewek liegt, das früher Modrzew hiess und
zur Parochie von Wolborz gehörte *). Es ist sehr
möglich, ja wahrscheinlich, dass Andreas, dessen Vater
Jakob Erbvogt von Wolborz und Pächter von Parochial-
gutem war, auf diesem Gute geboren wurde und von
dieser Ortsbezeichnung seinen Schriftstellernamen „Mo-
drevius" bildete, aber eben erst dann, als er mit einem
literarischen Erzeugnis hervortrat2). Auf der Universität
hiess er nur Andreas de Wolborz und im Leben, im Amt,
in der Gesellschaft nur Andreas Fricius. Er war also-
kein Modrzewski und gehörte auch nicht zu den Wappen,,
in welche ihn der Scharfsinn der Gelehrten einreihen wollte.
Aber auch der Name Fricius8) gibt zu denken.
Die wohlfeile Ansicht, welche darin eine latinisierende
Verbildung des Vornamens Fritz sehen wollte, ist
längst aufgegeben. Aus dem Umstand, dass der
polnische Übersetzer des Hauptwerks unseres Schrift-
stellers ihn Fritsch (Frycz) und nicht Fritz nennt, glaubt
Matecki schliessen zu dürfen, dass sein Familienname
Fritsch gewesen, obwohl man freilich aus dem Zusatz
„Fric" in der Note zur Universitätsmatrikel ebenso gut an-
nehmen könnte, dass er Frick oder Fricke gelautet
habe. Das wird sich wohl kaum entscheiden lassen,
und nur die Beibehaltung der latinisierten Form Fricius
entzieht sich der stets anfechtbaren Vermutung. Aber
was auch immer für ein Name zu Grunde gelegen haben
mag, ob Fritz, ob Fritsch oder Frick, alle weisen doch
auf einen deutschen Ursprung der Familie hin. Alle hier
erwähnten Formen sind ja doch nur Ableitungen oder
Koseformen von Friedrich, und vor den Zeiten Kaiser
a) J. de Lasco, über bcneficiorum II S. 174 — 177.
*) Janocki 1 85 sagt daher ganz richtig: Modrevius e rure
natali dictus, und braucht nur den Namen Fricius.
*) Dalton, Johannes a Lasco, S. 498 u. a. schreibt „Frisius",
was gar keinen Grund hat.
Andreas Fricius Modrevius. 59*
Friedrichs III., der als Pate eines Sohnes des Königs
Kasimir diesem den Namen verliehen hatte, war der
Name Friedrich in Familien rein polnischer Abstammung
wohl nicht üblich. Mit hervorhebenswerter Unbefangen-
heit hat daher schon Matecki die Vermutung aus-
gesprochen, dass die Familie des Fricius aus Schlesien
eingewandert sein könnte. Hält man sich genau an den
Wortlaut einer Äusserung des Fricius, so war jedenfalls
schon sein Grossvater in Polen ansässig und zwar auf
eben derselben Vogtei von Wolborz, die später dem
Andreas zugefallen war.
Für die Wahrscheinlichkeit der schlesischen Abkunft
der Familie sprechen aber noch andere Umstände. In
den trüben Lebenstagen, da der Zorn und Verfolgungs-
eifer des Papstes Paul Caraffa unsern Andreas von dem
ererbten väterlichen Wohnsitz verdrängt hatte, und der
bedrohte Mann es geraten hielt, für einige Zeit den heiss
gewordenen Boden seines Vaterlandes zu verlassen,,
begab er sich nach Trebnitz bei Breslau, wo vermutlich
noch Verwandte seines Hauses lebten1). Auch sonst
lassen sich gewisse gemütliche und geschäftliche Be-
ziehungen mit schlesischen Bürgern, auf die noch später
hingewiesen werden soll, nicht verkennen. Einem dicken
Irrtum aber würde der sich preisgeben, der eine Ein-
wirkung solcher fremden Herkunft auf Andreas und sein
Nationalbewusstsein annähme. „Wir Polen" und „unsere
*) Die dritte Sylva (vgl. weiter unten) unter dem Titel: De
Jesu Christo filio dei et hominis eodemque deo et doniino nostro«
ad Pium papam V. ist datiert: „Trepnicii, anno 1568 mense Junio".
In den Urkunden des Stifts Trebnitz erscheint ein Joachim Fritsch
am 1. Januar 1575 als Zeuge, der dann in der Urk. vom 3. Dezember 1578.
unter den Zeugen als stiftischer Kornmeister bezeichnet wird, in
welcher Eigenschaft er <hch 1579 und 1580 nachweisbar ist (Kon-
firmationsbuch des Stifts Trebnitz von 1512— 1620). Ein Fridericus
Fritsch findet sich in demselben Buche als Stiftssekret&r in den
Jahren 1559, 1561, 1562 und 1563. In dem von ihm geschriebenen
Register und Urbarbuch aus den Jahren 1563 — 1569 wird er mit dem
Zusatz Storm genannt. (Mitteilung aus dem Kgl. Staatsarchiv zu
Breslau).
<X> Jakob Caro.
Vorfahren in Polen" ist sein zweites Wort. In seiner
Jugend hat er ausserhalb der Schule, wo das Lateinische
neben die Landessprache trat, gewiss kein anderes Wort
als polnisch gesprochen, und speziell die deutsche Sprache
hat er, wie zufällig urkundlich zu erweisen ist, erst in
-der Mitte seiner Lebensjahre zu erlernen Gelegenheit
gehabt, wenn auch wohl das Erlernen den Umständen
zufolge nur in einer Vervollkommnung der Herrschaft
über die Sprache bestanden haben wird. Durch alle
seine Schriften glüht eine warme Liebe zu seinem Vater-
lande, die für ihn so selbstverständlich, ein so natürlicher
Pulsschlag seiner Gefühle ist, dass er sich nirgends damit
ruhmredig breit macht. Sein Patriotismus ist ihm so
durchaus fraglos, dass er ihn nirgends ins Licht zu setzen
für nötig hält, aber freilich ist er auch, wie es damals die
Zeitumstände gestatteten, ohne Gehässigkeit gegen andere
Nationalitäten. Ihm selbst würde es wunderlich vor-
gekommen sein, wenn irgend Jemand ihm gesagt hätte,
dass irgend etwas in ihm nicht ganz und gar polnisch
wäre. Ist es richtig, dass er der Abkömmling einer ein-
gewanderten Familie war, so würde er als ein Beispiel
gelten können, bis zu welchem Grade sich die deutschen
Einwanderer, deren es gerade beim Ausgang des 15. und
im Anfang des 16. Jahrhunderts eine ansehnliche Zahl
gab, in zwei, drei Generationen schon polonisierten.
Den Namen seines Grossvaters kennt man nicht.
Von seinem Vater weiss man eben nur, dass er Jakob
hiess und, wie jener, Vogt von Wolborz war. Diese
kleine Landstadt gehörte den Bischöfen von Kujavien, die
dort eine Residenz besassen, und hatte schon im 13. Jahr-
hundert auf Grund des ihr verliehenen Magdeburger
Rechts ihre eigene Gerichtsbarkeit, deren Ausübung dem
Vogte oblag. Irgend welche Abhängigkeit vom Bischof
war bei diesem Amte ganz ausgeschlossen. Es war
nichts Seltenes, dass Edelleute, ja selbst Inhaber sena-
torischer Staatsämter, solche Vogteien erwarben, denn die
Gefälle boten unter Umständen ein ansehnliches Ein-
kommen. Die Fricius haben aber daneben auch noch
Andreas Fricius Modrevius.
mdere Rittergüter in der Nähe erblich besess«
3ben jenes oben erwähnte Modrzewek, so dass s
*alls in guten unabhängigen Verhältnissen sich t
Dass sie dem Adel angehörten, steht ausser allem
ob derselbe aber sich auf Edelbürtigkeit schlech
ihnen schon vor der Einwanderung zu eigen ^
nur auf dem Indigenat gründete, welches da
polnische Recht allen erbliches Grundeigentum i
erwerbenden Einwanderern gewährte 2), wird nich
scheiden sein. Jedenfalls muss der Rechtstitel
begründet gewesen sein, dass Fricius es wagei
sich dem höheren Staatsdienst widmen zu woL
Leuten bürgerlicher Abkunft doch nur in der pries
Soutane möglich war. Durch eine scharfsinnige Korr
hat Malecki festgestellt, dass unser Andreas zwisc
Jahren 1502 und 1506, wahrscheinlich 1503, geb<
Ausser ihm ist, soweit unsere Kenntnis reicht, n
ein Sohn aus der Ehe seiner Eltern hervorgeganj
den Namen Jan Christoph trug und, wie es
dieselbe äussere Laufbahn einschlug wie Andre
es zu einer bemerkten Bedeutung doch nicht bra
In jungen Jahren schon muss Andreas nach
gekommen sein. Denn im Jahre 1514 finden
unter den Schülern der Corpus-Christi-Schule, wc
für die Universität vorbereitenden Unterricht §
Im Jahre 151 7 wurde er bei der Artistenfaki
Universität Krakau eingeschrieben. Der vierzeh
*) Sed moratur (Fricius; in advocatia et bonis, qua
haereditate obvenerunt, et quae juri Polonico, ut
rura equitum, subsunt moribus nostris, schreibt Jan Dr<
an den Papst Paul IV. — Allerdings sagt Fricius in der ]
zu De emend. rep. (S. 9): et ego quidem in tenui fortuna
aber doch in einem Zusammenhang, der die Folgerung
Verhältnisse ausschliesst. Er sagt: nicht in solchem ]
der ihm ein Recht zur Ordnung der Staatsleitung gäbe. — Ii
ist, dass Wolfgang Wissenburger in der deutschen Üb
diese Stelle weglässt.
*) Lengnich, Jus pol., Übersetzung von Helcel, S. 21
*) Acta rectoralia ed. Wislocki I Nr. 2299.
62 Jakob Caro.
Student fällt aber nach Berücksichtigung damaliger Sitten
weniger auf, als der sechzehnjährige Baccalaureus, denn
selten nur war es den jungen Leuten vergönnt, nach
zweijährigem Studium schon den ersten akademischen
Grad und überdies mit Auszeichnimg zu erwerben1).
Wohl sind wir Dank dem erhaltenen Liber diligentiarum
der Artistenfakultät in der Lage, alle Vorlesungen und
Übungen zu kennen, die dem jungen Fricius zu Gebote
standen, dennoch aber kann man sich in Ermangelung
bestimmter Nachrichten kein sicheres Bild von der Richtung
und den eigentlichen Zielen seiner Studien machen. Un-
zweifelhaft waren sie mit dem erlangten Baccalaureat
nicht abgeschlossen, aber den Magistergrad scheint er
weder in Krakau noch anderwärts erworben zu haben.
Die trockenen Matrikelnotizen, auch wenn man sie mit
allem, was sonst von dem auf der Universität herrschenden
Geiste bekannt ist, zusammenhält, würden an sich nicht
verraten, dass Andreas schon in diesen Lehrjahren den
Anstoss empfangen hat, die Staat und Kirche zur Zeit
beherrschenden Verhältnisse als morsch, angefressen,
unnatürlich und verbesserungsbedürftig anzusehen. Was
ihm die Universität bot, entsprach im Ganzen dem da-
mals überall gepflegten Kulturgeiste.
Von der schwungvollen und freien Auffassung der
kirchlichen Dinge, die sie mitten im Kampfe der Concilien-
epoche des 15. Jahrhunderts vertrat, war die Krakauer
Hochschule doch nur soweit zurückgegangen, als es die
allgemeinen Wandlungen und die Lage des eigenen Heimat-
landes zwingend bedingten. Unterstüzt von den eigentüm-
lichen Fügungen der Politik unter Kasimir dem Jagielloniden
hat sie bei weitem weniger den Oppositionsgeist der
Baseler Concilstage sich zurückstauen lassen als manche
ihrer Schwesteranstalten in Deutschland. War es doch
unter Anderem der weithin verbreitete Ruf von
*) Im Liber promotionum, ed. Muczkowski, S. 169, dem wir
diese Notizen verdanken, werden die Prüflinge nach den Graden
des Prüfungsausfalls geordnet. Der Name des Andreas Fricius
steht an der Spitze.
Andreas Fricius Modrevius. 63
ihrem trotzigen Widerstand gegen die von Rom
betriebene Reaktion, welche den aus der Philosophen-
schule des Pomponius Laetus verjagten Callimachus in
diese dem Italiener vollends fremdartigen und abgelegenen
Gebiete zog. An keiner der gleichzeitigen Hochschulen
-war die Empfänglichkeit für die neue Botschaft der
humanistischen Lehrmeinung so glücklich vorgebildet
als in Krakau. Ein nervöser Enthusiasmus für die Pflege
der antiken Literatur und Lebensform ergriff die Lehrer
und Literatenschichten nicht blos, sondern vornehmlich
auch die bestimmenden Hofkreise, und der üblich
gewordene Besuch der italienischen Hochschulen seitens
des jungen Bildung suchenden Adels nährte den huma-
nistischen Eifer. In wenigen Jahrzehnten ist die neue
Denk- und Lehrweise in Krakau schon so heimisch, dass
sie die Meister der neuen Schule aus der Fremde in die
sonst wegen Unwirtlichkeit verschrieenen Gefilde heranlockt.
Ein Conrad Celtes hat sie hier nicht, wie manchmal zu
lesen ist, erst begründet, sondern ist von der vorhandenen
angezogen worden. Die Bildung einer sodalitas Vistulana,
eines Humanistenvereins, würde ihm sonst bei der Kürze
seines Aufenthalts kaum möglich gewesen sein. Wenn
auch die fortschreitende Bewegung zuweilen auf Gegen-
druck stiess und in ihrer Entwickelung Kurven beschreiben
musste, so hatte sie doch sehr bald eine Atmosphäre
geschaffen, in welcher der versumpfte Scholasticismus
gänzlich oder doch bis auf eine geringe Wirkung unter-
drückt erschien. Und neben dem Humanismus blühte
hier wie kaum irgendwo der Betrieb der mathematischen
und Naturwissenschaften; bessere Lehrer in diesen
Fächern, ruft Aesticampianus (Johann Sommerfeld) aus,
hat kein Gymnasium. Mit dem Beginn des 16. Jahrhunderts
aber und mit der Ansiedelung aus Deutschland einge-
wanderter Buchhändler und Drucker nimmt der Humanismus
einen so siegreichen Aufschwung, dass er völlig die
gesamte Studienrichtung beherrscht Ein „Poet" nach
dem andern tritt in dem Lehrkörper auf. Kaum hat Paul
von Krosno die Augen geschlossen, so nimmt Valentin
64 Jakob Caro.
Eck die Lehrvorträge auf, und grade das Studienjahr des
Fricius war in dieser Hinsicht hervorragend, denn eben
im Jahre 1508 war es, dass der Engländer Leonhard Coxe
und der mit der Dichterkrone vom Kaiser Maximilian
geschmückte Rudolf Agricola aus Wasserburg *) die
Krakauer Katheder bestiegen, und eben in demselben
Jahre war es, dass die Italienerin Bona Sforza als Königin
von Polen ihren Einzug in Krakau hielt und mit ihrer
Begleitung einen starken Luftstrom italischen Geistes in
die sarmatischen Gefilde einführte.
Kann man unter solchen Verhältnissen sich sehr
wohl die dem Fricius eigene blühende korrekte und
gewandte Handhabung der lateinischen Sprache und die
grosse Belesenheit in der antiken Literatur erklären und
auch sein freies unbefangenes und unverbildetes Ver-
ständnis des Aristoteles in diesem Schulgeiste begründet
finden, so sucht man doch vergebens unter seinen Lehrern
nach den charakterisierten Namen, auf welche die
demokratische und heterodoxe Denkweise, die später sein
Schicksal bildete, hätte zurückgeführt werden können.
Der geräuschvolle Humanismus dort war über die Stil-
und Redekünsteleien noch nicht hinausgekommen. In der
Sprachformentrunkenheit und in dem Kunstredenrausch,
in dem Epigrammen- und Invektivenstapel und in den
Zänkereien schelsüchtiger Cliquen und Conventikel
erschöpfte sich der modern gewordene Einfluss der Hoch-
schullehrer. Im Substanziellen aber gaben sie unbe-
absichtigt und unbewusst zu sehr verschiedenen Richtungen
den Antrieb. Eben als Fricius Baccalaureus wurde, trat
Stanislaus Hosius in die Universität ein, und aus eben
demselben Unterricht entwickelte sich in Fricius ein kühn
strebender Reformator, und in Hosius ein bis zum
Fanatismus hartnäckiger Gegenreformator. Fricius selbst
x) Am Bodensee, genannt der Jüngere, in der Matrikel als
Rudolfus Joannis de Constancia eingeschrieben. Vgl. über ihn
Gustav Bauch, Programm der evang. höheren Bürgerschule in
Breslau, Ostern 1892.
Andreas Fricius Modrevius. 65
belehrt uns, wie er die Impulse zu einer von dem Alten
sich loslösenden Denkungsart in sich aufgenommen, und
seine Bemerkungen ziehen um sa mehr das Interesse an,
als sie für die Art der Verbreitung der Lutherischen Ideen
ein bezeichnendes Beispiel liefern. —
In dem Tractat, den Fricius in den Tagen der immer
mehr erstarkenden Reaktion der berühmten und epoche-
machenden Confessio fidei des Cardinais Hosius entgegen-
setzte und den er seinem Jugendfreunde und trotz der
hohen hierarchischen Würde wohl Gesinnungsgenossen,
dem Erzdechanten Paul Glogowski widmete, überlässt er
sich folgenden Betrachtungen: Während meines Versuchs,
diese vier Punkte der Christenlehre klar zu stellen, trat
mir oft jene Zeit in die Erinnerung, da wir Beide in
frühestem Lebensalter unter den Hörern der akademischen
Lehrer sassen. Alles andere fesselte damals unsern Lern-
eifer, — nur nicht die Theologie, und zwar weil wir, wie
du dich erinnern wirst, fanden, dass sie weniger aus
Quellen als aus abgeleiteten Bächen, und zwar recht
trüben, nach vieler Leute Ansicht, sehr viel Unrat mit sich
führenden Bächen geschöpft war. Dich, meinen Schul-
und Studiengenossen, darf ich wohl daran erinnern, wie
tiefer Frieden damals in der Kirche herrschte. Kein
Ketzer griff die Kirche an. Da aber mitten in diesem
Stillleben erhob sich Luther mit der Anzweifelung der
Hauptpunkte der christlichen Lehre. Seine Bücher wurden
aus Deutschland zu uns gebracht, und in der Krakauer
Universität selbst öffentlich verkauft. Bei Vielen, welche
die Neugier gereizt hatte, fanden sie Beifall und Zu-
stimmung, und selbst unsere Theologen nahmen keinen
Anstoss daran. Da aber traf das Verbot des Papstes —
ich glaube Leos X. — ein, das die Lektüre dieser Schriften
mit der Strafe des Ausschlusses aus der Kirche bedrohte *).
Darüber fuhr der Schrecken in unsere Lehrer, und nicht
*) Der Verfasser scheint hier die Zeit zwischen 1520 und 1523
im Auge gehabt zu haben; denn im Jahre 1523 (7. März) war die
Einfuhr, Verkauf, Lektüre der reformatorischen Schriften bei Strafe
des Feuertodes durch königliches Edikt verboten.
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Prov. Posen. Jahrg. XX. 5
66 Jakob Caro.
nur dass sie es unterliessen, die verbotenen Bücher zu
lesen, sie warfen sie sogar ins Feuer, obwohl ihr Beruf
ihnen doch die Verwahrung derselben hätte empfehlen
sollen. Inzwischen aber nahm die Sache Luthers in
Deutschland einen überaus glänzenden Fortgang. Bald
hatte er in seinem Fürsten einen wunderbaren Förderer
seiner Bestrebungen gefunden, und viele ebenso philo-
sophisch hochgebildete, wie in der Sprachkunde hervor-
ragende Lehrer schlössen sich ihm und seiner Doktrin an.
Die Zahl der Schüler nahm in einer Weise zu, dass nicht
nur in Deutschland, wo Jedermann seine Meinung frei und
offen aussprach, sondern auch in Italien, in Frankreich, in
allen christlichen Ländern und demgemäss auch in unserem
Vaterlande die Menge derjenigen, die jene Lehre aufnahmen
und gern mit Herz und Mund bekennen mochten, gradezu
unbegrenzt war. Unter solchen Umständen aber wurden
uns die Schriften der gelehrten und beredten Männer
zugetragen, wess Geistes hätte man sein müssen, um sie
unberührt zu lassen? Freilich das päpstliche Verbot und
das Interdikt bildeten ein wesentliches Hindernis. Aber
das stand ja eben neben anderen Dingen in Frage, ob
solche Interdikte ein Recht der Geltung haben oder
nicht; wir konnten uns nicht enthalten, was sich uns
darbot, zu lesen. Anfänglich hielten wir allerdings mit
unserer Zustimmung zurück, denn es ist gar schwer,
religiöse Anschauungen aufzugeben, die man sozusagen
mit der Muttermilch eingesogen hat, und in denen, wie
wir wissen, unsere Vorfahren gelebt und bis zum letzten
Athemzuge verharrt hatten. Aber wie Jemand, der sich
viel der Sonne aussetzt, sich färbt, wenn er auch zu
anderem Zwecke als um der Farbe willen im Freien sich
aufhielt, so konnte es nicht fehlen, dass, als ich die
gedachten Bücher mit Aufmerksamkeit, nur um sie kennen
zu lernen, gelesen hatte, die alten Anschauungen immer
mehr verblassten und neue sich aufdrängten. Diesen
neuen Ideen aber haben wir niemals so viel Gewalt über
uns eingeräumt, dass wir ein öffentliches Bekenntnis und
eine bestimmende Lebensform daraus gebildet hätten.
Andreas Fricius Modrevius. 67
Wir lebten fort in den überkommenen Sitten. So wie
wir in einem Staate leben, dessen Gesetze wir nicht in
allen Stücken billigen, so hörten wir nicht auf, in einer
Kirche zu verbleiben, deren Lehre, Gebräuche und Cere-
monien uns ganz verwerflich erschienen. Immer stand
mir das Wort Gamliels bei Lukas vor der Seele: Ist
<iie von Luther angerührte Bewegung in der Kirche von
Gott, dann wird sie bestehen, mögen auch alle es nicht
wollen ; ist sie Menschenwerk, wird die Zeit sie vernichten
und zusammenbrechen lassen."
Aus diesen nicht ohne Absicht weit über ihren
nächsten Zweck ausgehobenen Bemerkungen wäre an
sich schon erkennbar, dass Fricius auch nach dem be-
standenen Baccalaureatsexamen noch längere Zeit auf der
Universität geblieben ist, ein Umstand, der ihn in einem
anderen Teile seiner vertraulichen Ergüsse an Glogowski
berechtigt, den Hosius als ihren gemeinschaftlichen „Mit-
schüler" zu bezeichnen. Noch im Jahre 1522 ist er, wie
wir aus den Universitätsakten erfahren, immer noch über
den „Baccalaureus der freien Künste" nicht hinaus1). Die
Magisterwürde hat er niemals erlangt. Wie lange aber
dieses akademische Studium gedauert hat, und mit welcher
sozialen Stellung des jungen Mannes es seinen Abschluss
gefunden hat, darüber steht eine rückblickende Bemerkung
in dem mit Bitterkeit und Groll angefüllten Sendschreiben
des Fricius an den Papst Paul IV. vom Jahre 1556, wo-
rin er seinen Studiengang kurz darlegt und ausführt, wie
dieser in zwei Epochen zerfallen sei. Die erste sei
von wissenschaftlichem Schulunterricht eingenommen ge-
wesen, alsdann wäre er „an den Hof gebracht worden,
um Vermögen zu machen". Hernach aber sei er aus
dieser praktischen Beschäftigung in schon ziemlich reifem
Alter wieder zu den Studien zurückgekehrt, deren Be-
wältigung ihm unglaubliche Mühseligkeiten bereitete, und
da eben damals religiöse Fragen im Vordergrunde ge-
standen hätten, so wäre sein Augenmerk auf die einander
*) Acta rectoralia ed. Wislocki Nr. 2603.
68 Jakob Caro.
bekämpfenden Schriften gerichtet worden, die er mit
schlichtem Sinn ohne jedes die richtige Erkenntnis ein-
schränkende Vorurteil sich verständlich zu machen ge-
strebt hätte1).
Diese wertvollen Notizen müssen nun dazu dienen^
einen langen Zeitraum aus der ersten Lebenshälfte unseres
Fricius zu beleuchten, einen Zeitraum von beinahe
14 Jahren, für welchen wir sonst jeder Kunde über seine
Entwicklung bar wären. Sie wollen also sagen, dass die
erste Studienepoche, die geschildertermassen in die Kra-
kauer Universität ihn geführt hatte, von dem Interesse für
Theologie durchaus entfernt war, dass er aber in der
zweiten Studienepoche, die seinen Aufenthalt in Witten-
berg veranlasste, die Richtung auf die religiösen Contro-
versen erhalten hätte. Zwischen beiden aber liegt die
Zeit des praktischen „Hofdienstes", der hiernach etwa
10 Jahre, die Jahre des Übergangs von der Jugend zur
Reife, erfüllt haben muss. Es entsteht nun die Frage, an
welchem „Hofe" Fricius seinen Versuch „Vermögen zu
erwerben" gemacht haben mag. Der Ausdruck „ad
aulam" ist dehnbar. Er kann ebenso gut auf die Hof-
haltung eines Magnaten, eines Kirchenfürsten, wie auf den
des Königs gehen. Darauf gründet sich die Vermutung
Maleckis, dass Fricius, der in der Tat während der seinem
akademischen Studium folgenden Jahre in die lebhaftesten
Beziehungen zu dem Hause der Laski getreten sein muss^
entweder an dem reichen und bewegten Hofe des einfluss-
reichen Kastellans von Sieradz, Jarostaw Laski, oder gar
an dem des Primas, des Erzbischofs Jan Laski, in irgend
einer Funktion Stellung gefunden habe, was ihn dann
allerdings zu den drei Söhnen des Jaroslaw, zu dem als
Diplomaten und Parteigänger berühmten Hieronymus, zu
dem massvolleren Stanislaw und zu dem wegen seiner re-
formatorischen Bestrebungen allgemein bekannten Jan,
der der westlichen Literatur unter dem Namen Johannes
a Las co geläufiger ist, in innige Berührung gebracht
i) D. E. R. Ed. 1559. S. 542.
Andreas Fricius Modrevius. 69
haben würde1). Soviel ist unbestreitbar: wir würden
auch ohne das ausdrückliche Bekenntnis des Fricius sein
nahes Verhältnis zu allen Gliedern des Hauses Laski
folgern müssen. Die merkwürdigste Idee in seinen wirt-
schaftspolitischen Vorschlägen, die einzig in der Wirt-
schaftsgeschichte des 16. Jahrhunderts dasteht, bekannte
«r selbst, unter Berufung auf seine „Familiarität" mit ihm,
dem Erzbischof Laski zu verdanken. Sein erstes auf die
Reform des Strafrechts abzielendes Buch legte er dem
Hieronymus Laski in den Mund und widmete es dem da-
mals etwa achtjährigen Albrecht, dem Sohne desselben.
Von seiner Korrespondenz mit Jan Laski haben sich we-
nigstens zwei Stücke gerade aus der Zeit, in welcher
dieser seinen Bruch mit der alten Kirche vorbereitete, er-
halten, und es zeigt sich, dass Fricius mit der ganzen Ent-
wickelung dieser verhängnisvollen Absichten des Prälaten
vertraut und darin verwickelt war. Mit Stanislaw Laski
war es ihm vergönnt, wichtige Gesandtschaften im Namen
des Königs auszuführen, und sicherlich wurde er dem
Magnaten als Orator nur beigegeben, weil er mit ihm in
allgemein bekanntem Zusammenhang stand. An mehreren
Stellen seiner Schriften weist er mit Wärme und Dank-
barkeit auf diese Protektion der Laski hin. Sein ganzer
.äusserer Lebensgang scheint von diesem Verhältnis be-
herrscht zu sein, und vielleicht wird sich ergeben, dass
auch seine innere Entwickelung hiervon nicht unberührt
geblieben ist.
Danach wäre es ja wohl möglich, dass der junge
Gelehrte, nachdem er die Universität verlassen, zunächst
im Dienste der Laski sich nützlich zu machen suchte, zu-
mal der Stammsitz der Laski nur wenige Meilen von
*) Diese Vermutung Maleckis würde unwiderleglich erscheinen,
wenn Fricius wirklich, wie Malecki zitiert, von sich (im Appendix
zur D. B. R. S. 672) sagte, „dass er seit vielen Jahren dem Hause
der Laski gern diene" (Ktöry Laskich domowi od wielu lat rad
sJuzq). So bestimmt wage ich doch den Ausspruch des Fricius nicht
zu interpretieren. Er sagt nur: „nos qui domum Lasciorum annos
permultos familiaritate deiunctam teneremus." Das lässt doch
noch eine andere Auffassung zu.
70 Jakob Caro.
seinem Heimatorte entfernt war, und dort in seiner
Provinz gewiss keine Familie sich mit dem Einfluss und
der Bedeutung der Laski in den politischen wie kirch-
lichen Angelegenheiten hätte messen können. Aber man
hat doch grosse Mühe, sich ein Bild von der Art und
Natur dieses angeblichen Dienstverhältnisses zu machen«
zumal wenn man es in dem Ausdruck des Fricius: „ad
aulam deductus sum opum caussa" bezeichnet finden will.
Gab es denn überhaupt in den Jahren 1522 bis 1532, um
welche es sich handelt, einen „Laski'schen Hof? Kein
Mitglied des Hauses ist eigentlich in dieser Zeit in Polen
derart sesshaft, dass es einen Hof hätte halten können.
Den Hieronymus sieht man, nachdem er Kastellan
von Sieradz (1523) geworden, bald in Basel in jenen
merkwürdigen Unterredungen mit Erasmus von Rotterdam,
bald in Blois am Hofe Franz I. von Frankreich und dann
wieder in Preussen und dann am Hofe Ferdinands und
wieder bei Franz I. und Heinrich VIII. von England, und
als Wallfahrer nach Loreto, und in Buda und in Constan-
tinopel — , und es vergehen viele Jahre, ehe er wieder
polnischen Boden betritt. Den Stanislaw treffen wir in
eben dieser Epoche am französischen Hofe, in Italien und
unter den Kämpfern in der Schlacht bei Pavia, und in
Spanien, die Gefangenschaft des Franzosenkönigs teilend ;
und den jüngeren Jan Laski1), den Nutzniesser mehrerer
Pfründen, findet man eben damals unter den Haus-
genossen und Pensionären des Erasmus in Basel und im
Verkehr mit Oecolampadius und Farel und Amerbach, und
i) Ich möchte hier die Gelegenheit wahrnehmen, zu be-
merken, dass während Dal ton, Joh. a Lasko S. 58 ff., ein sehr aus-
führliches phantasievolles Bild von Laskis Studien in Bologna gibt,
weder er noch sein kritisierender Nachtreter Pascal wissen, wo sie
ihren Helden 1518 und 1519 zu suchen haben. Dass er in diesen
beiden Jahren in Padua seine Studien fortsetzte, geht aus den Acta
univ. legistarura (Auszug von Windakiewicz im Archivum do dziejöw
oswiaty VII, S. 167) hervor. Und dass er am 23. Oktober 1517
noch in Bologna war, zeigt seine Anwesenheit bei dem Examen
eines Landsmannes, nach dem Lib. doctorum Ludowici de Paleotts
notarii, gleichfalls bei Windakiewicz a. a. O. S. 136 Note 1.
Andreas Fricius Modrcvius. 71
der alte Erzbischof Jan Laski ist daheim so beweglich,
von Ort zu Ort ziehend, wie seine Neffen draussen. Wo
denkt man sich denn diesen Laski'schen *Hof", an dem
Fricius sich ein Vermögen machen sollte?
Das Verhältnis wäre durchsichtiger, wenn man an-
nehmen dürfte, dass Fricius einen der Laski auf diesen
vielen Reisen begleitet hätte. Das scheint aber, nach
genauer Erwägung seiner Schriften, in denen es an Rück-
blicken und subjektiven Erinnerungen nicht fehlt, ganz
ausgeschlossen. Denn es ist durchaus unwahrscheinlich,
— wenigstens fehlt dafür jede Andeutung, dass Fricius
jemals in Italien oder Frankreich l) oder England gewesen
wäre, und wenn ihm je das Glück zu teil geworden
wäre, Erasmus persönlich kennen zu lernen, dann würde
er bei der grossen Verehrung, die er ihm zollte, es sicher
nicht unerwähnt gelassen haben. Wenn er im Gefolge
der Laski Reisen in fremde Länder gemacht hätte, oder wie
die Erfindung mancher Biographen ihm zuschreibt, aus-
ländische Universitäten besucht hätte, dann würde das bei
der Lebhaftigkeit seiner Auffassung und bei seiner tiefen
Wahrhaftigkeit, vermöge welcher er sein ganzes inneres
Wesen in seinen Schriften hervorzukehren pflegte, irgend-
wo zum Ausdruk gekommen sein. Im Gegenteil aber
erscheint in allen seinen Betrachtungen sein geistiger
Horizont eingeschlossen von den Erfahrungen und
Beobachtungen in seinem Heimatlande, und nur das
gelehrte Studium und die Lektüre vermitteln ihm die für
die Gemeingültigkeit seiner Ideen notwendige Erweiterung
desselben. Mit dieser Begrenzung des Anschauungsbodens
erhält seine ganze Entwicklung eine hemmende Schranke '
und den Schein einer gewissen Inferiorität gegenüber
manchen mit Titeln, Bekanntschaften, Auszeichnungen
prunkenden, weit umhergekommenen Schriftstellern seiner
Zeit. Hat er doch nicht einmal, wie das so üblich war,
an irgend einer anderen Universität einen akademischen
*) Dass Fricius weder Italienisch noch Französisch verstand,
bekennt er selbst einmal vor Granvella, dem Bischof von Arras, und
Hosius. Vgl. Hosii epist. Nr. 377 S. 391.
72 Jakob Caro.
Grad erworben ! Er sollte später noch einen Augenblick
erleben, in dem man ihn das fühlen Hess.
Nach allem dem aber möchte doch wohl anzunehmen
sein, dass Fricius nach seinem Abgang von der Universität
allerdings in die Clientel der Laski eintrat, wofern er der-
selben nicht früher schon sich erfreute, diese aber dazu
benutzte, um sich am königlichen Hofe eine Dienststelle
zu verschaffen. Die „aula", in welche er geführt wurde,
um sich Vermögen zu schaffen, möchte doch wohl die
königliche gewesen sein. Es war nichts Seltenes, dass
junge strebsame Leute, die entweder den Vorzug hoher
Geburt oder einer einflussreichen Protektion genossen,
sich im Hofdienste oder Kanzleidienste auf die höheren
Ämter vorbereiteten. Die Zahl der curienses, aulici,
dworzanie, wie sie genannt wurden, war niemals gering,
und namentlich in der Königskanzlei und im diplomatischen
Dienst brauchte man Leute, die neben sonstigen Fach-
kenntnissen das Lateinische mit Fertigkeit beherrschten.
Gar Manchem, zumal wenn er den Magnatenfamilien an-
gehörte, ist es gelungen, von dieser bescheidenen Stellung
bis zu den einträglichen senatorischen Ämtern sich empor-
zuarbeiten, oder wenn er dem geistlichen Stande angehörte,
eine fette Pfründe zu erhaschen. Kleinen Edelleuten war
freilich der Zugang zu solchen Anwartschaften nur durch
den Schutz und die Empfehlung hochangesehener Männer
oder Frauen erschlossen, und wenn ihnen günstige Um-
stände und Gelegenheiten nicht zu Hülfe kamen, oder die
Protektion an Gewicht und Wirkung Einbusse erlitt, mussten
sie gar lange geduldig dienen, ehe sie zu der höheren
Stelle eines „secretarius regis" aufzusteigen vermochten.
Bevor sie aber diesen Rang erreichten, dürfte es selten
nur geschehen sein, dass ihr Name in den Geschäften
hervortrat. Die Tatsache also, dass des Fricius Namen
uns nirgends begegnet, kann die Vermutung, dass er im
königlichen Dienst emporzukommen suchte, nicht ent-
kräften. Dahingegen muss der Umstand, dass bei seinem
ersten Hervortreten als Schriftsteller eine innige und
sympathische Beziehung zu dem Königssohne, zu Sigmund
Andreas Fricius Modrevius. 73
August, deutlich hindurchleuchtet, eine Beziehung, die
steigend mehr an Bedeutung gewann und am Ende für
die ganze literarische Produktion des Fricius befruchtend
wirkte, die Vorstellung erwecken, dass er frühzeitig schon
in den Lebenskreis des Prinzen, der Hoffnung des Landes,
eingetreten sei und dort eine Funktion ausgeübt habe.
Vielleicht sogar ist die Annahme nicht zu weitgehend,
dass bei dem Unterricht und der Ausbildung des Prinzen
die Fähigkeiten, die literarischen Kenntnisse und der
gemütstiefe Ernst des jungen Gelehrten irgendwie zur
Verwertung kamen.
Es ist höchst peinlich, so Vermutimg an Vermutung
zu reihen, nur gestützt durch die kurze Bemerkung des
Fricius, dass er tun materieller Vorteile willen an den
Hof gebracht worden wäre. Käme es nur darauf an, die
äusseren Züge seines Lebens zu vervollständigen, dann
könnte man sich gern dieser verdriesslichen Freilassung
der Einbildungskraft entziehen. Aber dass eben grade
in dieser Epoche, für welche uns jede materielle Nachricht
versagt ist, sich die ganze Eigentümlichkeit unseres
Helden, die eigenartige Verbindung staatsmännischer
Contemplation und praktisch -politischen Reformeifers mit
dem durchdringenden Interesse für theologische und
theosophische Fragen ausgebildet hat, kann nicht ver-
kannt werden. In den Umständen und Beziehungen,
welche diese Lebensjahre des Mannes erfüllten, liegen
die Wurzeln seiner geistigen Persönlichkeit. Nun hiesse
es aber alle Andeutungen und Mitteilungen aus seinen
Schriften verkennen, wenn man sie nicht in dem
Zusammenhang mit den Schicksalen und dem Ideenkreis
der Laski finden wollte, gleichviel durch welche äussere
Bedingungen derselbe geknüpft war. Stand er, wie
Malecki annimmt, in einem direkten Dienstverhältnis zu
den Laski, dann ergäbe er sich als selbstverständlich;
hatte er aber, wie die äusseren Verhältnisse zu glauben
nötigen, am königlichen Hofe sein Glück zu machen
versucht, so verdankte er die Aufnahme an demselben
unzweifelhaft nur der Protektion und Fürsprache der
74 Jakob Caro.
Laski. In dem einem wie in dem andern Falle bildeten
der Einfluss und das Ansehen dieser ausgezeichneten
Familie die Staffel für sein Emporkommen, und in dem
einen wie in dem andern Falle bestimmte dieses Ver-
hältnis die Objekte seines^ geistigen Interesses. Von
jedem der drei ihm ungefähr gleichalterigen Brüder, die
allein hier in Betracht kommen, hat er einen andern
Impuls erfahren. Die tiefe und innige Bewunderung, die
er für Hieronymus ausspricht, bezieht sich auf dessen
imbefangene und gereifte Ansicht vom Staat und auf seiner
hochherzigen, von tiefer Menschenfreundlichkeit getra-
genen Anschauung der sozialen Pflichten; Fricius spricht
es unumwunden aus, dass er den Anstoss zu seinem
literarischen Hervortreten aus der Ideengemeinschaft mit
diesem leidenschaftlichen Politiker empfangen habe. Aber
diese Aneignung der Denkweise des liberalen Magnaten
dürfte erst in die Zeit fallen, da Hieronymus von seinen
ungarischen Abenteuern wieder zu längerem Aufenthalt
in die Heimat zurückgekehrt war. Mit Stanislaw Laski
verband ihn das Interesse für die politische Praxis. Die
Teilnahme aber für die religiösen Zeitfragen und für die
theologischen Controversen schöpfte er aus dem Verkehr
mit Jan Laski, der wie gesagt bezeugtermassen bis zur
intimsten Mitwissenschaft und Mitwirkung bei den auf-
lehnenden Schritten dieses unruhigen Klerikers heran-
wuchs. Befremdlich bleibt es immerhin, dass Fricius in
keiner seiner Schriften, die doch oft genug Gegenstände
behandeln, welche den Lebenskern und den gewählten
Lebensberuf Laskis ausmachen, jemals seiner Erwähnung
tut Es ist sichtlich später etwas Trennendes zwischen
die beiden Männer getreten, und der Gedanke drängt
sich dem Kenner der Friciusschen Moral auf, dass er
das revolutionäre und sektirerische Gebahren seines
Jugendfreundes missbilligte. Damals aber, in der Zeit
des ersten Aufstrebens, da die Erörterung der politischen
und kirchlichen Fragen und der Austausch der Gedanken
auf dem Boden des Humanismus sich bewegten, als
Erasmus von Rotterdam für die gebildeten polnischen
Andreas Fricius Modrevius. 75
Kreise noch der einzige, der glänzendste Stern des Jahr-
hunderts war und die Tiefe und grundstürzende Gewalt der
Wittenberger Doktrinen zunächst nur in ihrer negativen
Bedeutung als Widerstand gegen Missbrauch und Verun-
staltung der kirchlichen Organisation begriffen wurde,
damals begegneten sich die jungen Freunde in der Überein-
stimmung über das Recht der freien Forschung und der
freien Meinungsäusserung, in der Übereinstimmung des
tiefen Unwillens über die Gräuel der vermoderten
CJesellschafts- und Kirchenordnung und in dem überein-
stimmenden Verlangen, ihre Lebensaufgabe in der Arbeit
für eine Regeneration derselben zu suchen.
Seit dem Jahre 1521 hatte Jan Laski neben seinen
klerikalen Würden auch die Titel eines secretarius regis.
Aus dieser Eigenschaft ergäbe sich, wenn anders sich
damit eine wirkliche amtliche Tätigkeit verband, schon
ein Zusammenwirken mit Fricius. Aber weit mehr beruhte
ihre Gemeinschaft auf der Gleichartigkeit der Ideale, die
sie freilich unter den herrschenden Verhältnissen einst-
weilen in der Seele vergraben und vor dem Licht des
Tages verbergen mussten.
Stände das Bild der Entwickelung Jan Laskis in den
bedeutungs- und ereignisreichen Jahren von seiner Rück-
kehr aus Basel, der Hochburg des Humanismus, in die
Trivialität einer begünstigten Hierarchenlaufbahn mit voller
Klarheit vor uns, dann könnte man leichter aus dem
späteren Lebenswerk des Fricius zurückschliessen auf die
Anregungen, die er aus dem Verkehr mit Laski empfangen
hat Aber dass dies der Fall sei, kann doch nur mit
grosser Einschränkung zugegeben werden. So viel auch
immer die Forschung für die Aufhellung der schwer
verständlichen Erscheinung des Jan Laski getan hat, das
Ziel wurde nicht erreicht. Die Theologen, welche sich
in erster Reihe von der nur allzu interessanten Persön-
lichkeit angezogen fühlten, suchten mit Eifer alle Momente
und Erscheinungen auf, die aus dem Nepoten eines regel-
rechten katholischen Erzbischofs, aus dem mit Kirchen-
pfründen und hochfliegenden Exspectanzen überschütteten
76 Jakob Caro.
Würdenträger einen Apostel der neuen Lehre, des
evangelischen Glaubens machten. Die politischen Ver-
wickelungen aber, welche seine Schicksale und nicht
bloss die äusseren — schufen, werden kaum gestreift^
jedenfalls nicht in ihrem weitläufigen Einfluss gewürdigt *).
Die politische Historiographie wiederum hat in dem An-
drang der mannigfaltigen und ausgedehnten Ereignisse,
die um den älteren Bruder Laskis, um Hieronymus, der
eine wahrhaft europäische Rolle spielte, sich gruppierten,
nicht Raum gefunden, der Nebenperson Jans die aus-
reichende Aufmerksamkeit zuzuwenden. Eine über solche
Einseitigkeiten sich erhebende Betrachtung dürfte zu dem
Ergebnis gelangen, dass die Katastrophe in dem Leben
Jan Laskis, die Flucht aus dem Vaterlande und aus
seinem hohen Amte, keineswegs nur allein oder auch
nur vornehmlich durch die religiösen Skrupel und den im
Herzen vollzogenen Bruch mit der alten Kirchenlehre
herbeigeführt wurde. Seine politische Stellung musste an
sich schon schwierig und peinlich sein, da er den schweren
Hass der seinem Oheim, dem Primas, grollenden Coterieen
von seinem ersten Auftreten an übernommen hatte und
als trauriges Erbteil mit zu tragen verurteilt war. Als er
nun aber gar aus inniger Liebe zu seinem älteren Bruder
sich mit den phantasievollen und wiedersprüchigen
Abenteuern desselben identifizierte, geriet er vollends
in eine schiefe Lage, die allenfalls erträglich und ver-
besserlich gewesen sein würde, wenn des Hieronymus
Pläne trotz aller Ungeheuerlichkeiten gelungen wären.
Da sie aber schmählich zusammenbrachen, und der
bedrängte Diplomat die einzige Rettung in einer alles
Vertrauen zerstörenden Überläuferei zu dem bisher
bekämpften Feinde zu finden suchte, und da Jan durch
1) Um nur auf eins aufmerksam zu machen: weder Dalton.
noch Pascal, von den älteren Biographen gar zu geschweigen,.
wissen etwas von der Reise Laskis an den österreichischen Hof
in Znaim, wo er denn doch von König Ferdinand in einer Weise
gedemütigt wurde, die auch einen weniger empfindsamen Mann
gebrochen haben würde. Vgl. Hirschberg, Hieronim Laski S. 231.
Andreas Fricius Modrevius. 77
ein leidenschaftliches Eintreten für seinen Bruder alle
Verantwortung für dessen Fehlgriffe sich mit auflud, so
wurde er in seinen tragischen Fall mit hineingerissen,
und zwar um so tiefer, als seine geistliche Würde, von
ihm selbst innerlich gering geschätzt, ihm keinen Halt
und kein Gegengewicht bot. Sein Kredit war mit dem
seines Bruders gesunken, sein Reichtum war vergeudet,
— es war ein moralischer und materieller Bankrott, und
die Neigung zu Flucht und Zurückgezogenheit wird ver-
ständlich, auch ohne seine religiösen Gewissenswallungen
in Anschlag zu bringen. Der überaus kluge Hosius
wusste sehr wohl, warum er trotz der enthusiastischen
Bewunderung für Jan Laski sich „durch seine Verwandten
und Freunde" bewegen liess, die Einladung Laskis, seine
Studien und seine Einsamkeit zu teilen, bedauernd ab-
zulehnen1).
Man begreift den Wunsch Jan Laskis, einen ver-
ständnisvollen Genossen bei sich zu haben; denn es war
einsam neben dem lebensvollen Manne geworden. Sein
Oheim, der Primas, das Haupt der Familie, in den letzten
Lebensjahren dem angesammelten Hass seiner Feinde er-
liegend, war im Jahre 1531 gestorben. Sein Bruder, sich
selbst und sein ganzes Haus durch zweideutige Politik
kompromittierend, flog von einem Ende Europas zum
andern, von Constantinopel nach Paris und London hin
und her und gab seinen Hassern Stoff zur Nachrede,
dass er die Türken wider die christlichen Völker herbei-
führe, ein Vorwurf, der wie auf seinen Oheim so auch
auf seinen Bruder Jan mit belastender Schwere zurück-
fiel. Der belebende und schwungreiche Verkehr des
letztern mit dem Musenhofe des Erasmus war erloschen,
denn so wie der Meister und Regent desselben, der als
Pensionär des Kaisers Karl bedenklich geworden war,
mit einem Mann in vertrautem Gedankenaustausch zu
bleiben, der dem Hause Habsburg in aller Form den
*) S. Hosius Brief an Laiaro Bonamico vom 12. Februar 1536
in Stan. Hosii epistolae, Acta hist. Pol. IV Nr. 16.
78 Jakob Caro.
Krieg erklärt hatte (1528), so zogen sich auch die anderen
Genossen der Baseler Tafelrunde, die einst Laski mit
Bücherwidmungen und wohlgedrechselten Kunstbriefen
überschüttet hatten, allmälig mehr zurück *). Die stylvolle
Korrespondenz des Erasmus nach Polen ging jetzt viel-
mehr durch Andreas Fricius, den geschworenen Feind
der Laski. Der König Sigmund und die Königin Bona
hatten ihm wohl die Gunst nicht entzogen, aber in der
aus der politischen Situation ihnen aufgedrungenen
Neutralität hielten sie mit jedem Ausdruck derselben
möglichst zurück. Die Wahrscheinlichkeit, dass er in der
polnischen Hierarchie weiter so steige, wie unter dem
Einfluss seines Oheims in den früheren Jahren, und endlich
gar die höchsten Würden erreichen werde, die alle seine
Biographen betonen zu müssen glauben, war tatsächlich
sehr gering. Bei keiner der vielen Bistümervakanzen, die
gerade seit dem Tode seines Oheims eingetreten waren,
wurde sein Name genannt, und das Bistum Vesprim, so-
wie sonstige Exspectanzen in Ungarn, die ihm in Aus-
sicht gestellt waren, konnten nur als unsichere Wechsel
auf eine sehr bedingte Zukunft gelten. Nimmt man zu
allem dem, was ihn verstimmen musste, noch hinzu, dass sein
längerer Aufenthalt in Basel, seine Begegnung mit Zwingli,
seine Intimität mit ausgesprochenen „Sacramentariern" ihn
von vornherein als einen Freund der Reformation
stempelten und ihn in der öffentlichen Meinimg mit dem
Geruch der Ketzerei behafteten, so versteht man doch
wohl, dass ihm der Boden seiner Heimat heiss wurde.
Mit dem Blute der Laski in den Adern war er nicht
geschaffen, sich in gemeine herkömmliche Ordnungen zu
fügen. Die Begehrlichkeit, die Herrschsucht, der an dem
Unmöglichen selbst rüttelnde Ehrgeiz, der Hang nach
l) Des. Erasmi epp. familiäres. Ad Amerbachium, Basel 1772.
Ep. XXIX, aus dem hervorgeht, dass Laski den Erasmus nicht habe
compromittieren wollen und darum nicht geschrieben hätte. Justus
(d. i. Decius) berichtet dem Erasmus, dass Laski als Bischof von
Vesprim nominiert wäre, — ein nur auf dem Papier gebliebenes
Bistum.
Andreas Fricius Modrevius. 79
Ungewöhnlichem, die Gier nach unerhörten Taten, nach
Aufreizung und Abenteuern, welche fast alle Glieder
dieses Geschlechts erfüllten, waren in ihm nur auf eine
andere Note gestimmt. Wer weiss, wie lange schon der
Gedanke in ihm aufgetaucht war, die beengenden sozialen
Fesseln der üblichen Lebensformen und den Staub des
vaterländischen Bodens von den Füssen zu schütteln!
Mit diesem zum Entschluss gereiften Gedanken findet
man unsern Andreas Fricius in enger Verbindung. Man
wird sich erinnern, wie er selbst berichtet, dass ihm ur-
sprünglich das Interesse für theologische Fragen gänzlich
fern stand, und dass erst, als die Streitigkeiten darüber
alle Welt bewegten, er sich zu einem eingehenden
Studium derselben veranlasst fand.
Die verbotene Lektüre der aus Deutschland ein-
geführten Schriften habe allmälig seine Anschauungen
gewandelt Wo aber konnte das eher geschehen, als im
Verkehr mit Jan Laski? Wir wissen, dass Laski der
Besitzer der Bibliothek des Erasmus nach dessen Tode
geworden war, dass Beatus Rhenanus und Amerbach und
Pelican, Hesch u. A. ihm eigene Bücher widmeten und
sonstige Bücher schickten, dass Laski sich sogar einer
„apostolischen Erlaubnis"1) zur Lektüre der verpönten
Schriften erfreute, eines Indults, der denjenigen verliehen
wurde, von welchen man sich einer Widerlegung der-
selben versah. Wenn es irgendwo in Polen damals einen
Herd und Sammelpunkt für die oppositionelle, anti-
katholische Literatur Deutschlands und der Schweiz gab,
dann war es bei Jan Laski. Die drakonischen Be-
stimmungen und Verbote, welche der Einfuhr und dem
*) S. das berüchtigte juramentum, das Abraham Kuyper
(Joannis a Lasco Opera II 547) veröffentlichte, das Dalton S. 136 mit
Kuyper fälschlich ins J. 1526 setzt, und das Pascal (J. a. L. S. 138 ff.)
mit faden Gründen als unecht betrachten will, — das aber zu-
verlässig echt ist (vgl. Hosii epistolae I S. 123 Nr. 108 und
Appendix 9) und ins J. 1542 gehört. Das hindert aber nicht, dass
der darin erwähnte indultus apostolicus ihm schon viel früher,
vielleicht eben 1526, erteilt worden ist.
80 Jakob Caro.
Besitz solcher ketzerischen Schriften in Polen entgegen-
standen, fochten Laski nichts an, denn abgesehen von
jenem Indult konnte er in dem ausserhalb der Grenzen
Polens gelegenen Käsmark, dem Schlosse seines Bruders,
auf welchem er selbst die Polizei mit souveräner Freiheit
ausübte, ungestört und ungehindert seine Bibliothek auf-
stellen, gemessen, studieren. Kurz, hier fand Fricius die
Gelegenheit, durch fortgesetztes Studium der schon auf
der Universität angefassten reformatorischen Literatur
„seinen mit der Muttermilch eingesogenen Kirchenglauben
allmälig verblassen zu lassen/ Kam nun noch der lebendige
Gedankenaustausch mit dem gewinnenden und bestricken-
den Kleriker, dessen Zauber und Anmut man auch dann
anerkennen muss, wenn man von der hochtönenden
Enkomiastik des Erasmus und seiner Tafelrunde das auf
die Humanistenmode in Rechnung kommende Mass in
Abzug bringt, — kam, sage ich, noch die Jahre hindurch
betriebene Diskussion, das tägliche Gespräch, die gemein-
same Erbauung an dem emporlodernden Feuer der
Begeisterung und Glaubensinnigkeit, das der aus Deutsch-
land und der Schweiz hereingeleitete geistige Import ent-
zündete, — kam das innige wechselseitige Verständnis
gegenüber dem herrschenden Pharisäertum, vor dem man
es verbergen musste, hinzu, so begreift man, dass nach
Verlauf einiger Jahre beide Männer auf dem Punkte
standen, sich nach dem Lande zu sehnen, in welchem
nach Fricius bemerkenswertem Ausdruck jeder seine
Meinung frei aussprechen dürfe, und wo die Urheber und
Schöpfer der weltgeschichtlichen Zeitbewegung walteten*
Zwischen beiden Männern bestand aber ein wesent-
licher Unterschied. Der eine war Laie und noch nirgends
bemerkt, der andere war ein hochstehender Kleriker, auf
den Freunde und Feinde die Augen richteten. Für Fricius
war es eher möglich, die Heimat für einige Zeit zu ver-
lassen und in Wittenberg sich der Forschung über das
neue Evangelium unter Leitung seiner ersten, grossen
Lehrer zu widmen. Immerhin hatte es doch auch für ihn
seine Bedenken; denn wenn auch das drakonische Verbot
Andreas Fricius Modrevius. 8l
des Besuchs der ketzerischen Universitäten überhaupt und
namentlich der Universität Wittenberg vom Könige Sigmund
formell erst später (1535) erlassen wurde, so lag doch auch
vordem schon darauf eine verpönende Gehässigkeit, und
es sieht geradezu wie auf Fricius gemünzt aus, wenn es
in dem königlichen Erlass an den Kronmarschall Peter
Kmita heisst1), „dass diejenigen, welche bei Luther oder
andern Häuptern seiner Partei zur Zeit sich aufhalten, von
jeder künftigen Anwartschaft auf Würden und Ämter aus-
geschlossen, diejenigen aber, die nach der Proklamation
des Verbots dennoch solche Studienreisen unternähmen,
als Landesverwiesene angesehen oder mit noch härteren
Strafen belegt werden sollen, denen auch die Anstifter
dieser ketzerischen Fahrten nicht entgehen werden". Wenn
es daher in Polen bekannt wurde, dass Fricius eben zur
Zeit, da dieses Verbot erging, sich nicht nur in Wittenberg,
sondern in intimer Freundschaft mit einem „Oberhaupt
der lutherischen Faktion" befand, dann war freilich, wenn
sich die öffentlichen Verhältnisse nicht änderten, ihm jede
Pfoffnung auf Karriere im Staatsdienst abgeschnitten. Jeden-
falls hatte er somit sowohl im eigenen Interesse als auch
im Interesse seiner Gönner alle Ursache, den Mantel des
Geheimnisses über seine Wallfahrt zu den Quellen der
neuen Lehre zu breiten. Gleichwohl sind wir durch die
Briefe Melanchthons und einige damit übereinstimmende
Andeutungen im Stande zu durchschauen, dass die Rück-
kehr des Fricius auf die Schulbank, dieses erneute „Studium
in schon ziemlich reifem Alter", die zweite Epoche seiner
Ausbildung, von welcher er in dem Schreiben an den
Papst Paul IV. spricht, mit einer Angelegenheit im Zu-
sammenhang stehe, die seinem Gönner Jan Laski ganz
besonders am Herzen lag.
Dieser hatte nämlich von seiner Gesandtschaftsreise
nach Frankreich im Jahre 1524 einen Knaben nach Basel
in die Tafelrunde des Erasmus mitgebracht, der ihn durch
*) Kautz, Praecipua ac publica religionis evang. in Polonia fata.
S. 18. Vgl. Dalton S. T67.
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Prov. Posen. Jahrg. XX. 6
82 Jakob Caro.
sein sanftes Wesen und durch seine guten Anlagen an-
gezogen hatte. Der Knabe war in Orleans geboren und
mit Bewilligung seines Vaters war er dem polnischen
Magnaten, der für seine Ausbildung sorgen zu wollen ver-
sprochen hatte, nach dem Osten gefolgt. Er hiess Nicolaus
Anianus und schrieb sich später in der Weise der Hu-
manisten mit dem klangvollen Namen Anianus Burgonius1).
Wo auch immer seiner Erwähnung geschieht, wird er
mit Ausdrücken der Sympathie und Bewunderung gefeiert-
Die Wunderkinder waren ja eine typische Erscheinung
der Humanistenkreise. Anianus aber scheint doch durch
die Lieblichkeit seiner Erscheinung und seinen hellen,
anmutigen Geist ernste, hervorragende Männer in
einer ganz besonderen Weise angezogen zu haben. Laski
muss grosse Hoffnungen auf ihn gesetzt haben, als
er ihn nach Polen mit sich nahm. Anfänglich mögen sie,
gemäss der eigenen Schwärmerei Laskis in seinem da-
maligen Entwickelungsstadium, nur auf Humanismus und
Schöngeisterei und keinesweges auf theologische Dinge
Bezug gehabt haben. In der Tat fallen auch die]ersten litera-
rischen Produkte des Anianus, die wir besitzen, ganz und
gar in jene Gattung. Als Courtisan und Angehöriger des
!) Ich versage mir, alle die Verkehrtheiten zu widerlegen,
die in dieser Frage von verschiedenen Seiten zu Tage gebracht
worden sind. — In den von Dalton herausgegebenen Evangelisch
Reformierten Blättern Jahrgang II Nr. n gibt Anianus an: er sei
„Aurchiae natus". Dass nur ein Lesefehler für „Aureliae" (Orleans)
vorliegt, hat keiner bemerkt. Der Hauptheilige von Orleans ist aber
St. Anianus, der den Attila durch Gebet von den Mauern der Stadt
gescheucht hat. Ihm war die grosse gothische Kirche St. Aignan
geweiht, nach der ein ganzer Stadtteil in Orleans und mehrere Ort-
schaften im Orteanais genannt wurden. Die grosse nie Tabourg, an
die die Kirche und die umliegenden Gebäude anstossen, mag wohl
dem „Burgonius" zu Grunde liegen, wenn man nicht einfach an eine
T^atinisierung von bourgeon oder bourgeois denken will. — Es ist
daran zu erinnern, dass Jan Laski und Hieronymus gelegentlich
ihrer diplomatischen Sendung an Franz I. von Frankreich einen
längeren Aufenthalt in Blois, wo der Hof damals residierte, nehmen
mussten. Den Taufnamen Nicolaus gibt die Wittenberger Matrikel,,
Foerstemann S. 144.
Andreas Fricius Modrevius. 85
Laskischen Kreises glaubte der junge Mann ein höchst
pathetisches und gespreiztes Epigramm des Bischofs
Krzycki (Cricius) auf den Vizekanzler und Krakauer Bischof
Tomicki durch ein anderes Epigramm persiflieren zu sollen.
Das machte böses Blut im andern Lager. Nicht blos
Cricius selbst, sondern alle die Kostgänger des Krakauer
Bischofs, die durch seine Freigebigkeit ihre Studien machen
konnten, Hosius, Konarski, der Dalmatiner MichaeL
Wrantius — alle fielen über den dreisten Jüngling mit von
Anspielungen strotzenden Versen her. Er blieb die Ant-
wort nicht schuldig, aber scheint doch aus diesem kleinen
poetischen Kriege ohne dauernde Feindschaften hervor-
gegangen zu sein1).
Namentlich mit Hosius stand er in den herzlichsten
Beziehungen. Als dieser nebst Konarski, Czarnkowski und
anderen Schützlingen des Tomicki die italienischen Univer-
sitäten bezog, gab Laski ihm den von dem brennenden
Wunsch nach weiterer Ausbildung erfüllten Anianus mit.
Neben Hosius studierte er 1530 und 1531 in Bologna.
Entzückte Briefe voll Begeisterung für seine Lehrer, na-
mentlich den Romulus Amasaeus, schrieb er seinem Patron.
Wenn aber die ohnehin etwas spärliche Pension ausblieb*
dann teilte Hosius mit ihm alles, was er hatte, machte ihm
Vorschüsse, kurz erwies sich ihm als ein tüchtiger gross-
herziger Kommilitone. Und als nun gar Anianus erkrankte
und auch nach seiner Genesung noch über Kopfweh und
Augenschmerz zu klagen hatte, da bewährte Hosius ihm
eine so liebenswürdige und herzliche Fürsorge und schrieb
selbst an Laski so eindringend, wie nur edle brüderliche
Gesinnung es vermochte. Auch bei Lazaro Bonamico, den
Hosius immer als seinen Lehrer pries, führte er den
Anianus ein und so wie Hosius selbst wird er dort wohl
die Bekanntschaft mit Reginald Pole und Georg Sabinus
gemacht haben. Seine Bekanntschaft mit Paulus Manutius
setzte sich auch nach seiner Abreise in einem Briefwechsel
*) Über den poetischen Kampf (certamen inter cymbam et
corbitam) s. Cas. Morawski, Andreae Cricii carmina S. 156 ff.
6*
84 Jakob Caro.
fort Etwa zwei volle Jahre blieb Anianus in Italien1).
Dann kehrte er nach Polen zurück. Inzwischen aber waren
allmälig in Laski, gemäss seiner eigenen ansteigenden
Begeisterung für die Reformation, Pläne mit dem begabten
Anianus entstanden, von welchen man sich in den Kreisen
der Tomicki und Cricius mit dem tiefsten Groll und Un-
willen unterhielt. Er wolle in dem Franzosen einen Vor-
kämpfer der neuen Lehre in Polen sich heranbilden, er
sei bestimmt, der „Apostel Polens" zu werden. So gehässig
solche Nachrede auch gemeint war, es unterliegt keinem
Zweifel, dass sie die volle Wahrheit enthielt Das huma-
nistische Spiel mit Versen und Zänkereien, mit gelehrten
Traktaten und ciceronianischen Vorträgen und Episteln
ionnte er, nachdem er selbst aus dieser naiven Glück-
seligkeit und wesenlosen Schwärmerei getreten, nachdem
er selbst in die Untiefen der dogmatischen Systeme geraten
und in der Klärung derselben seine eigene Lebensaufgabe
gefunden, nicht mehr als das Ziel seines Lieblings an-
sehen. Unstreitig wollte er sich in dem Jüngling einen
Mitarbeiter an dem Reformationswerke, das ihm vorschwebte,
erziehen, einen Mitarbeiter, der weniger als er in Polen
gebunden wäre durch Rücksichten auf Familie, auf soziale
und politische Pflichten. Und dafür gab es nur eine ge-
eignete Bildungsstätte damals — Wittenberg.
Dorthin beschloss er, seinen Schützling zu senden, und
als Mentor und Leiter seiner Studien gab er ihm unsern
Fricius mit. So kam es, dass Fricius dem Hofdienst für
einige Jahre entsagte und in die Lage kam, die theologischen
Zeitfragen von einer andern Seite, als ihm in der Heimat
geboten war, zu studieren. Man wird sich erinnern, dass
er in dem Schreiben an den Papst Paul IV. von den un-
glaublichen Schwierigkeiten spricht, die ihm das Eindringen
in diese ihm bisher ferner gelegene Richtung bereitete.
*) Über den Aufenthalt in Italien und sein Verhältnis zu
Hosius vgl. die interessanten schönen Briefe des Anianus und Hosius
an Laski, die Dalton in den Evang. Reform. Blättern Jahrg. IL 1892
Nr. 10 und 11 mitgeteilt hat. — Übersehen hat Dalton den Brief
«des Paulus Manutius bei Gabbema S. 65.
Andreas Fricius Modrevius. 85
Aber wir werden uns überzeugen, dass er auch in der
neuen Sphäre jenem Grundsatz treu geblieben ist, den er
als die Methode aller seiner Forschungen bezeichnet, die
Quellen vorurteilsfrei nach ihrem schlichten Sinn zu prüfen
und zwischen den widerstreitenden Lehrmeinungen sich
eine eigene selbständige Ansicht herauszuarbeiten. Wir
werden uns überzeugen, dass er diese Freiheit auch den
gefeierten und von ihm selbst aus dem Herzensgrunde
tief verehrten Autoritäten der neuen Lehre gegenüber be-
wahrte. Es wird sich zeigen, dass selbst die vertrauten
freundschaftlichen Verhältnisse zu Melanchthon ihn nicht
veranlassten, sich von seinen Doktrinen über die wichtigsten
religiösen Anliegen gefangen nehmen zu lassen. Hier
haben wir nur anzumerken, dass im Wintersemester 1532^
unter dem Rektorat des Schwaben Ulrich Schilling unser
Fricius und der seiner Obhut empfohlene Anianus neben
einander in die Matrikel der Wittenberger Universität ein-
getragen wurden1).
*) Focrstemann Alb. acad. Vitemberg. S. 144 findet man den;
Andreas Petrus Fritz. Der Name Petrus könnte Zweifel erregen,
ob damit Fricius gemeint sei, da er sonst niemals als dem Andreas
angehörig vorkommt. Die Berufung Dylewskis (S. 36 Note 36) auf
Janocki (Janociana I S. 84) für die Gültigkeit kann uns gar nichts
nützen, denn Janocki hat keine andern Quellen, als wir, und hat
übrigens die Matrikel niemals eingesehen. Ich würde trotz Janocki
und obgleich ich es für einen neckischen Zufall halten müsste, dass
da zu gleicher Zeit ein Andreas Fritz und ein Andreas Petrus Fritz
studierten, daran zweifeln, dass diese Inskription unsern Fricius be-
trifft, wenn nicht unmittelbar darnach inskribiert wäre: Nicolaus
Hamanus, wobei ich anzumerken habe, dass Melanchthon auch nicht
Anianus sondern Amanus schreibt (Corp. ref. II col. 838 Nr. 1251).
Hierdurch erfährt man* aber auch zum ersten Mal, dass Anianus den
Vornamen Nicolaus hatte. — Malecki (Bibl. Ossol. V, 152) will über-
haupt ein Studium des Fricius in Wittenberg nicht zugeben, da er
damals schon ein Alter erlangt hatte, das ihn zu einer seltsamen
Figur auf den Schulbänken der Universität gemacht hätte. Aber
weder an andern Hochschulen noch gar in Wittenberg würde der
etwa dreissigjährige Mann unter den Scholaren aufgefallen sein. Es
gab ältere damals dort, verheiratete Leute, Doktoren und Männer
von distinguierter Stellung. Manche haben sich den Aufenthalt in
der Stadt nur durch die Immatrikulation, die sie der Privilegien der
B6 Jakob Caro.
Die Aufnahme der beiden Lernbegierigen, die von
Jan Laski Briefe und Geschenke für Melanchthon mit-
brachten, scheint die freundlichste gewesen zu sein. Seit
-einigen Jahren schon stand Laski mit Melanchthon im
Briefwechsel. Der herzenswarme Ton, der alle Schreiben
des grossen Reformators auszeichnet, nahm hier noch einen
besonderen Accent an. Er kam den Ideen und Zukunfts-
plänen des polnischen Kirchenwürdenträgers mit vollem
Verständnis entgegen, und von vornherein wandte er
dem Anianus und bald auch seinem Begleiter ein ausser-
ordentliches Interesse zu. Laski hatte ihm einen Ring
mit einem grossen Saphir zum Geschenk gemacht. In
seinem überaus graziösen Dankschreiben bemerkt er, wie
die Himmelsfarbe des Steins ihn an die himmlischen
Eigenschaften des Gebers erinnern würde, und setzt
hinzu: das kostbare Juwel hat aber bei weitem für mich
nicht den Reiz wie dein Anianus; ich bin von seiner Sanft-
mut und seinem geistvollen Wesen so eingenommen, dass
unter allen hier Studierenden keiner mir einen so lieben
Umgang gewährt1).
Mit dem Eintritt des Anianus in den Wittenberger
Kreis beginnen auch für Fricius jene Jahre der innigen
und herzlichen Beziehungen zu Melanchthon, von denen
dieser beim Abgang des Fricius in seinem Schreiben an
Veit Dietrich in Nürnberg spricht, und welche für die
Studenten teilhaftig machte, erst ermöglicht. Übrigens wussten weder
Malecki noch die Biographen des Laski, die den Fricius behandelten,
etwas von seiner Immatrikulation und von seiner Beziehung zu
Anianus. — Der einzige plausible Einwand, der gemacht werden
könnte, wäre der, dass Melanchthon im Jahre 1537 sagt, er geniesse
den Umgang des Fricius „amplius triennio'*.' Man wird daher an-
nehmen müssen, dass die „familiaritas" der beiden Männer sich erst
etwas später knüpfte, was bei der notarisch sehr zurückhaltenden,
schweigsamen Natur des Fricius (siehe die Notiz bei Tarnowski,
pisarze polit. I) ganz begreiflich wäre. — Aufmerksam machen möchte
ich noch, dass der Johannes Vinarius, den Melanchthon in einem
Empfehlungsbrief (Corp. ref. III col. 369 Nr. 1575) als den Begleiter
des Fricius bezeichnet, als Johannes Weymann in demselben Semester
mit Fricius und Anianus immatrikuliert ist. Foerstemann a. a. O.
*) Pascal S. 113.
Andreas Fricius Modrevius. 87
ganze Denkweise und öffentliche Tätigkeit unseres Andreas
so fruchtbar geworden sind. Keineswegs war der nun
schon dreissigjährige, gelehrte und feinsinnige Fricius
etwa nur der Schüler des Melanchthon geworden, wie
Anianus. Wir haben da die Worte Melanchthons auf die
Wage zulegen. Er schreibt: *) „Der vertrauliche Umgang
mit Fricius, mehr als drei Jahre hindurch, war mir nicht
nur darum so wertvoll, weil ich mit ihm in unserer
Lieblingswissenschaft mich ergötzlich ergehen konnte,
sondern weit mehr deshalb, weil er mich öfters in
schwierigen Verhältnissen durch seinen Rat und durch
seinen Zuspruch unterstützt und aufgerichtet hat." Fricius
war darnach also nicht der blos empfangende Teil, und
nichts würde weniger zutreffend sein, als die Auffassung,
dass er nach Wittenberg lediglich als ein lernbegieriger
Akademiker gekommen sei. Alle Umstände zeigen viel-
mehr, dass er eine doppelte Mission hatte, einmal den
Studiengang des Anianus zu leiten, und zweitens seinen
„Patron", wie er Jan Laski tituliert, über die wichtigsten
Vorgänge am Mittelpunkt der reformatorischen Bewegung
und über die Fortschritte in der Klärung ihres Lehrgehalts
zu informieren. So wurde er das vermittelnde und ver-
bindende Glied zweier grosser Faktoren der Reformation,
er, der dem Interesse für Theologie so fern stand, jetzt,
nun aber allerdings ganz und gar, mehr fast als einem
Laien und Staatsmann geziemte, von diesen Gegenständen
erfüllt wurde.
Wie sehr Melanchthon sich die Ausbildung des
Anianus angelegen sein Hess, und wie nahe er ihn seinem
Herzen und seinen Interessen gestellt hatte, beweist der
Umstand, dass er am Ende des Jahres 1534, als er auf
Veranlassung des Landgrafen Philipp sich nach Cassel
begab, um dort mit Bucer die dornenvolle Frage von der
Abendmahlslehre in eine die Gegensätze ausgleichende
Formel zu bringen, den jungen Gelehrten mit sich nahm.
„Wegen seiner vorzüglichen Gaben und seines edlen
*) Corpus reformat. III S. 369 Nr. 1574.
88 Jakob Caro.
Charakters, „schreibt Melanchthon," liebte ich ihn wie einen
eigenen Sohn. Tisch und Wohnung teilte ich mit ihm
und ohne Unterlass suchte ich ihn für Gegenstände der
Theologie und Philosophie in jeder Weise zu interessieren.
Da er die deutschen Fürstenhöfe zu sehen wünschte und
namentlich auch den bewunderten Landgrafen kennen
lernen wollte, lies ich gern ihn mitreisen.* Auf der Rück-
reise jedoch blieb Anianus einer Geldangelegenheit wegen,
und weil er bei den dort sich aufhaltenden Polen1) gern
einige Tage verbringen wollte, in Leipzig zurück, während
Melanchthon seine Reise nach Wittenberg fortsetzte. In-
zwischen steigerte sich aber ein „leichter Katarrh", den der
zarte Jüngling sich auf der Reise zugezogen hatte, zu einer
Pleuritis; es fehlte ihm nicht an ärztlicher Pflege und
Sorgfalt, aber die schwachen Kräfte reichten nicht aus
zum Widerstand gegen die Gewalt des Fiebers. Er erlag
nach wenigen Tagen schon. Melanchthons Schmerz war
grenzenlos. „Mein Leben," sagte er, „hätte ich hingeben
mögen, um ihm das seinige zu erhalten. Wäre mein
eigener Sohn gestorben, es hätte mich nicht so erschüttert. u
Eine ergreifendere Totenklage2) findet man in keinem
Briefe des grossen Mannes wieder. Aber sein Schmerz
sollte ihm noch mehr verbittert werden. „Wegen seiner
Beziehungen zu Melanchthon" versagte das unduldsame
Leipzig dem verblichenen Jüngling ein ehrliches Begräbnis,
und da die Freunde nicht dulden wollten, dass er an
ungeweihtem Orte eingescharrt würde, brachten sie die
Leiche nach Wittenberg, wo Melanchthon sie unter feier-
lichem Geleit der akademischen Bürger — der Anschlag
am schwarzen Brett von Seiten Melanchthons hat sich
*) Der hervorragendste der damals anwesenden Polen dürfte
wohl Stanislaw Koscielecki, der Sohn des Wojewoden von Kaiisch,
gewesen sein. (Leipziger Matrikel in Archiwum do dziejöw oäwiaty II
S. 428. Er war ein Schwestersohn des Jan Laski. Vgl. den Brief des
Anianus an Laski; den Dalton in den Evang. Reformierten Blättern
Jahrg. II. (1892) Nr. 11, S. 128 mitgeteilt hat.
2) Corp. ref. U col. 838 Nr. 1251.
Andreas Fricius Modrevius. 89
erhalten1) — in der Fürstengruft der Schlosskirche bei-
setzen Hess. Melanchthon selbst hielt die Grabrede, in
•der er den Verstorbenen den „Apostel Polens" nannte
und ausführte, dass „Polen einen unersetzlichen Verlust
erlitten habe, denn wenn irgend Jemand, dann war er
dazu vorgebildet, um die Polen vom Irrwege auf den des
Heils zu leiten." Rührend sind die Trostesworte, die
Melanchthon seinem gemütvollen Bericht an Laski hinzu-
fügt, und gegen den Schluss des Schreibens bemerkt er:
.„Über den Nachlass des Anianus wird, wie ich annehme,
Petrus schreiben"2). Unter diesem Petrus haben wir wohl
niemand anders, als unsern Fricius zu verstehen8), der alle
Ursache hatte zu wünchen, dass in einem Schreiben des
Ketzerfürsten an den hinreichend schon der Ketzerei ver-
dächtigen und gehassten polnischen Kleriker seiner nur
mit dem neutralen Namen gedacht wird, der in der Heimat
für ihn nicht üblich war; denn geriet der Brief in falsche
Hände und erfuhr man seinen gegenwärtigen Aufenthalt,
dann war es um seine fernere Beamtenlaufbahn in Polen
geschehen.
„Das ist nun schon der zweite Kondolenzbrief, den
ich Dir schreiben muss", sagt Melanchthon in seinem
Bericht vom 2. Februar 1535 an Jan Laski über den Tod
des Anianus. Der erste, den er meinte, betraf ohne Zweifel
die am 31. August 1534 erfolgte Verhaftung des Hieronymus
Laski durch Jan Zapolya. Wie ein Donnerschlag hatte
die Nachricht davon den in Käsmark weilenden Jan
getroffen. Wegen schwerer Krankheit bettlägerig, in
furchtbarer Geldnot, so arm, dass ihm die Hände sanken,
ratlos, was er beginnen sollte, zumal die Hintersassen in
Käsmark, sobald sie vernahmen, dass ihr Herr im Kerker
x) Intimatio de funere Amani deducendo. Corp. ref. II col. 838
Nr. 1250.
2) S. die Anmerkungen zu Nr. 16 der Epistolae Stan. Hosii I
S. 36, wo die Auszüge aus den Briefen des Görski und des Drzewicki
mitgeteilt werden, die mit Melanchthons Briefen übereinstimmen.
3) Es ist hier besonders daran zu erinnern, dass Fricius in
Wittenberg immatrikuliert war als „Andreas Petrus Fritz.
9° Jakob Caro.
zu Ofen sich befände, störrisch, aufsätzig in offenen Auf-
ruhr ausbrachen — so schildert Jan seine Lage in einem
Schreiben an die Königin Bona. Sollte er schmachvoll
fliehen und dieses grosse Besitztum seines Bruders im
Stich lassen? Mit äusserster Anstrengung raffte er sich
auf, flammende Briefe schrieb er an den greisen König
von Polen, an seine einflussreiche Gemahlin, an den ihm
verhassten Vizekanzler, den Bischof Tomicki von Krakau,
der übrigens grossmütig der erste war, der sofort für die
Rettung und Befreiung des Hieronymus eintrat. Die durch
Nebenumstände aufgehaltene und zögernd gewährte diplo-
matische Intervention des Königs hatte keinen Erfolg.
Inzwischen hatte sich Jan an den deutschen König
Ferdinand gewandt, während sein jüngerer Bruder Stanislaw
an den bairischen Hof1) und von dort zu Franz I. von
Frankreich geeilt war. Auch eine zweite viel nachdrück-
lichere Intervention König Sigmunds blieb ohne Ergebnis.
Mittlerweile hatte aber Jan den Hetman Tarnowski zu
bewegen gewusst, dass er mit ihm zusammen kurz vor
Weihnachten zunächst nach Ofen eilte, um den Gefangenen
zu sprechen, und als dies nicht durchzusetzen war, nach
Wardein reiste, wo Zapolya sich damals aufhielt Es ging
das Gerücht, dass dieser ergrimmte Monarch schon den
Befehl gegeben habe, den Hieronymus in der Donau zu
ertränken. Man kann daher denken, wie pein volle Wochen
Jan in Wardein während der Unterhandlungen des Het-
mans mit Zapolya zubrachte. Erst in den letzten Tagen
des Januar 1535 endlich verstand sich Zapolya gegen
weitreichende Bürgschaften von Seiten des Hetmans
Tarnowski und des von einer Wallfahrt heimkehrenden
2) Ad vocem bairischer Hof möge hier doch ein Zug angeführt
werden, welche die Moral der Laski bezeichnet Die Agenten der
bairischen Herzöge in Ungarn liessen*ihre Correspondenz nach Krakau
an einen Juden gehen, der sie dann von dort nach München schickte.
Diesen Juden wusste Hieronymus so zu gewinnen, dass er alle ihm
zugehenden Briefe dem Jan Laski zeigte, der sie abschrieb und
seinem Bruder Hieronymus übersandte. (Bei Hirschberg, Hier. L.
nach Muffat, Quellen und Erörterungen zur bair. u. dtschn. Gesch. IV
S. 285.
Andreas Fricius Modrevius. 91
Kastellans von Krakau, des Jan Tqczynski, dazu, dem
Hieronyraus die Freiheit zu geben und ihn von jeder
weitern Dienstpflicht zu entbinden.
An eben dem Tage aber, am 26. Januar, an welchem
der Vertrag mit Zapolya zu Stande gekommen war, bat
Jan Laski zum zweiten Mal — sein erster Bote, Oppel
v. Vitzthum war nicht vorgelassen worden — den König
Ferdinand um einen Geleitsbrief, um persönlich dem bisher
bekämpften Nebenbuhler des Zapolya die Dienste seines
Bruders anzubieten. Ferdinand empfing Jan Laski zwar
in Znaim in Mähren sehr gnädig, forderte aber vor allem,
dass Jan öffentlich und feierlich Abbitte tun müsse wegen
der Kriegserklärung, die sein Bruder vor sieben Jahren
gegen ihn hatte ergehen lassen. Die Zumutung war denn
doch furchtbar, aber aus Liebe zu seinem Bruder und
doch wohl auch in dem heissen Verlangen nach Rache
an Zapolya vollzog Jan in Znaim den demütigenden Akt
Dennoch aber war das Misstrauen Ferdinands nicht so
leicht zu überwinden. Jan reiste im März mit schwachen
Vertröstungen nach Käsmark zurück, und bald sah er sich
im April durch den unvermuteten Überfall eines der Partei-
gänger des habsburgischen Hauses, der, wie es scheint,,
zu dem Versuch der Demütigung des anspruchsvollen
Wojewoden beauftragt war, in kriegerische Händel ver-
wickelt Auch hierbei sehen wir Jan Laski noch in voller
Tätigkeit, dann aber tritt er mehr in den Hintergrund, und
Hieronymus übernimmt selbst die schwierige Aufgabe,,
nicht nur das Misstrauen des Habsburgers zu überwinden,
sondern zugleich für seine Dienste glänzende Besoldungen
und Vorteile herauszuschlagen. Über ein Jahr dauerten
die Verhandlungen, und erst am 12. Mai 1536 erteilte
Ferdinand dem Rat Markus Pemflinger den Auftrag, mit
dem Wojewoden abzuschliessen, und im September des-
selben Jahres — die Daten sind für unsern Stoff nicht
ohne Bedeutung — leistete Hieronymus dem Habsburger
den feierlichen Eid der Treue als Mitglied des Rats der
ungarischen Krone. Das Haus Laski stand wieder auf
der Höhe, und der österreichische Sold scheint auch
92 Jakob Caro.
wieder der Armut auf Schloss Käsmark abgeholfen zu
haben *).
Unverzüglich darauf — offenbar hatte Jan Laski nur
diese Lösung der für sein Haus so entscheidenden Frage
abgewartet — reiste er nach Deutschland ab.
Wann und wo Jan Laski die Nachrichten vom Tode
des Anianus empfangen hatte, ist nicht überliefert Es
muss in der Zeit geschehen sein, da die Erlösung seines
Bruders aus der Gefangenschaft glücklich errungen war
und die Einleitung eines Verhältnisses zum Hause Habs-
burg und die Zurückweisung des Gewaltstreichs auf die
ungarischen Besitzungen die ganze Spannung seiner
Kräfte in Anspruch nahm. Dann aber, als Hieronymus
selbst wieder die Geschäfte des ehrgeizigen Hauses zu
leiten vermochte, bemächtigte sich des Jan das Bedürfnis
der Ruhe, der Einsamkeit und Sammlung. Er zog sich
auf ein Schloss seines Bruders, auf Rytwian, zurück, und
ganz in Studien sich versenkend, verbot er seinen Dienern
sogar, ihn anzureden2). Je mehr ihn aber die ihn um-
gebende Clerisei mit ihren Intriguen, mit ihrer Gelehr-
samkeitscoquetterie, ihrer Stellenjägerei und ihrer Frivolität
anwiderte, desto mehr sehnte er sich nach dem Gedanken-
austausch mit gleichgestimmten, freien Seelen, die sich
über den vermoderten Schlendrian, über die abgestorbene
und ausgebrannte alte Kirche emporschwangen. Wie
beneidete er den Fricius — es sind seine Worte — um
das Glück des Umgangs mit Melanchthon3). Er drückte dem
Fricius in den lebhaftesten Worten den Dank dafür aus,
dass er zwischen ihm und dem deutschen Reformator ein
Band der „Freundschaft und der Liebe" geschlungen habe.
Wie eigen aber! Wusste er wohl, dasseben um dieselbe
Zeit, da er die Sehnsucht nach dem genialen Meister
aussprach, sein Feind und Nebenbuhler, Andreas Krzycki,
*) Alle Daten nach den von Hirschberg, Hieronim Laski
S. 213 — 244 beigebrachten archivalischen Materialien.
2) Hosii epp. Nr. 16.
3) ut vobis propemodum iam illius (Phiiippi) consuetudinem
invideam.
Andreas Fricius Modrevius. 95
der Mann, der ihn vielleicht am meisten hasste, der ihn aus der
Freundschaft des Erasmus zu drängen verstanden hatte, der
Verfasser des berüchtigten giftstrotzenden Pamphlets gegen
Luther, der encomia Lutheri, und der Königlichen Ver-
folgungsedikte, schon fünf Jahre früher mit Melanchthon
eine Korrespondenz angeknüpft hatte, um ihn unter
Eröffnung goldener Perspektiven nach Polen zu locken,
in der vermessenen Hoffnung, den Mitschöpfer der
Reformation aus seinem weltgeschichtlichen Beruf reissea
und zu einem bestochenen Renegaten herabwürdigen zu
können? Wusste Laski, dass diese frivole Vermessenheit,,
welche der mit Personen und Verhältnissen nicht bekannte
Melanchthon durch: ein in seiner sanften Weise aus-
weichendes Wort nicht entmutigt hatte, gerade jetzt das
Spiel wieder aufgenommen hatte *) ? Und wusste er, dass
Cricius seine unverfrorene Zuversicht und seine intriguante
Absicht der römischen Curie sogar vorzutragen den Mut
hatte, und dass diese eben damals mit dem Studium der
Melanchthonschen Schriften beschäftigt war, um zu erwägen,,
ob sie dem polnischen Bischof einen offiziellen Auftrag
im Sinne der Umgarnung des deutschen Reformators
erteilen solle2) ? Gewiss war Cricius trotz seiner glänzenden
Begabung und seiner geistreichen Vielseitigkeit nicht der
Mann, der Melanchthon hätte zu Falle bringen können,
aber es wäre doch denkbar gewesen, dass er in Anbetracht
der preussischen Verhältnisse und der trotz aller Zwangs-
edikte in Polen selbst anschwellenden Bewegung von dem
Interesse seiner eigenen Sache hätte geboten halten können,
1) Die Briefe Melanchthons im Cod. Cornicensis des Fricius,
beschrieben bei Morawski, Carmina Cricii, praef. XII. vgl. Ke^trzynski,
in Altpreussische Monatsschrift. 1871. VII Hft. 8. Bindseil, Ergänzung
zu Mel. epp. S. 50 Nr. 676*.
2) Korzeniowski, Analecta Romana in Scriptt. rer. Pol. XV
Nr. 91 (Academ. Crac.) aus den Acta consistorialia camerariorum II:
1535 Januar 15. Demandatum est decano sacri collegü et collegis
suis de congregatione, ut examinarent litteras Philippi Melanthonis
et referrent in consistorio, ut posset deliberare, an episcopo Plocensi
(Andr. Cricio) sit committendum, ut auctoritate apostolica vocet ad se
et studeat revocare ad unitatem fidei christianae, vel ne.
-94 Jakob Caro.
die polnische Einladung ernst zu nehmen und die Hinter-
list zu verkennen. Da aber zeigt sich uns ein Verhältnis,
in welchem Fricius Gelegenheit hatte, dem Reformator
einen wesentlichen Dienst zu leisten. Wenn Melanchthon
nicht mehr, wie noch zwei Jahre zuvor (1533), seine Ankunft
in Polen in Aussicht stellte, wenn er, soviel wir wissen,
überhaupt die Korrespondenz mit dem geheimen Kommis-
sionär der römischen Kurie abbrach, obwohl der Mann
eben im Begriff stand, die höchste Staffel der Hierarchie
in Polen, den Primatensitz zu ersteigen, so mag es wohl
dem Einfluss des Fricius zuzuschreiben sein, der, um
Melanchthons Ausdruck zu gebrauchen, „in schwierigen
Verhältnissen ihm mit seinem Rathe beistand", der Personen
und Dinge, die in Polen massgebend waren, darzulegen
und namentlich die wahre Natur des Cricius dem harm-
losen und vertrauenden Melanchthon zu enthüllen in der
Lage war1).
Während nun solcher Weise Fricius sich zwischen
Melanchthon und den ihm von Rom zugedachten Beicht-
vater stellte, suchte er die Beziehungen zwischen jenem
und Laski enger zu knüpfen. Denn je mehr Fricius in
die Kirchenreformfragen eingedrungen war, desto mehr
-stärkte sich seine Überzeugung, dass Jan Laski dazu
berufen sei, in seinem Vaterlande den neuen Geist zum
Durch bruch zu bringen, und dass er wie kein Anderer
für die höchste Stelle der Hierarchie sich eigne. Und der
Zeitpunkt schien gekommen, dass dieses Schicksal sich
erfüllte. Im Herbst des Jahres 1535 raffte der Tod nach
einander den Erzbischof Matthias Drzewicki von Gnesen
und den Bischof von Krakau, den Vizekanzler Tomicki,
hin2). Für beide Stellen, im Einfluss mindestens coor-
diniert, glaubte Fricius keinen berechtigteren Bewerber sich
denken zu können. Wohl wusste er, dass die Stimme
x) Zur Charakteristik ist auf die meisterhafte Stelle in der von
Stan. Görski verfassten vita Cricii (Morawski, carmina Cricii, praefatio
S. XL) zu verweisen.
2) Matthias Drzewicki, der Erzbischof von Gnesen, starb am 21.
August, Peter Tomicki, der Bischof von Krakau, am 29. Oktober 1535.
Andreas Fricius Modrcvius. 95
cles Rechts und der Vernunft in Gefahr stehe, von der
Intrigue und Bestechung erdrückt zu werden. Er griff zur
Feder — es ist die erste Schrift von ihm, die wir zwar
nicht besitzen, von der wir aber sichere Nachricht haben.
Mit hohem Schwung1) pries er die Tugenden seines
Gönners und mit Eifer wies er darauf hin, dass jetzt das
Vaterland sie am geeigneten Orte zu verwerten die Mög-
lichkeit habe. So treuherzig dieser Appell an die Freunde
des Gefeierten auch empfunden war, er konnte doch nach
Lage der Verhältnisse nur peinlich wirken. Laski selbst
äusserte sich beklommen, er glaubt zu bemerken, dass
selbst seine wärmsten Anhänger, die von der Schrift
Kunde erhalten haben, sich kühl abwenden. Er fürchtet,
dass man in der „declamatio" von ihm bestellte Arbeit
finden würde, und bittet bei weiterer Verbreitung der
Schrift doch ausdrücklich zu erklären, dass er ihr fern
stehe. Ganz abgesehen davon, dass die Ämter längst
anderen bereits zugesagt sind, er würde sie, wenn sie
ihm angeboten würden, doch ablehnen — zumal jetzt.
Angesichts der mit wenig Ausnahme herrschenden
Charakterlosigkeit bleibe man überhaupt lieber von all
diesem Trouble so fern als möglich, und am wenigsten
möchte er sich jetzt um irgend etwas bewerben. Dieser
unzweifelhaft aufrichtige Erguss von Resignation kenn-
zeichnet die trübe Stimmung Jan Laskis und zeigt, wie
hoffnungslos er die Entwickelung der reformatorischen
Bewegung in Polen ansah. Es überraschte ihn ja nicht,
wie er selbst andeutet, dass unter der Einwirkung der
„Gynaekokratie", die zur Zeit in seinem Vaterlande die
Obermacht hatte, ein Andreas Cricius den Primatenstuhl
bestieg, um von diesem hohen Throne den Mädchen den
Rat zu erteilen, si non caste, saltem caute vivere, und dass
den durch tausend Verdienste geweihten Platz Tomickis
ein Jan Latalski einnahm, den sein Bruder Stanislaw in
aller Kürze „hohl und betrunken", Cricius selbst aber
noch viel schlimmer charakterisiert2). Der Modergeruch,
*) declamatorio modo.
2) Diaeta Asiana in Cricii carmina ed. Morawski S. 278, 295.
g6 Jakob Caro.
der aus dem Zusammenbruch der bisherigen kirchlichen
Organisation emporstieg, wehte Jan Laski widerlich ent-
gegen. Wie gern hätte er wohl einen geistvollen jungen
Mann, wie Hosius, der damals noch nicht Priester war,
um den aber, seitdem er aus Bologna zurückgekehrt war,
von allen Seiten geworben wurde, an sich gefesselt, um
mit ihm zu forschen, zu disputieren, das Treiben des Clerus
zu verachten, zu schwärmen und Zukunftspläne zu
schmieden. Aber auch da fand er keinen Anklang, und
an dieser Ablehnung konnte er bemessen, wie tief er
schon die Hoffnung auf einen seinen Idealen entsprechenden
Wirkungskreis im Vaterlande herabstimmen müsse.
In dieser Depression des Gemütes mussten ihm die
Briefe und Berichte des Fricius vom Mittelpunkte des
neuen Evangeliums her von herzerfreuender und Entschlüsse
weckender Bedeutung sein. Wir würden der einen
erhaltenen Probe nach zu urteilen über manchen Punkt
aus den Vorgängen und Anschauungen der Wittenberger
Kreise durch einen ruhigen objektiven Beobachter auf-
geklärt werden, wenn wir diese Korrespondenz besässen.
Dass sie möglichst mit Geheimnis umhüllt und zum Teil
in Chiffren geführt war1), hätte nur als ein Vorzug gelten
können, denn um so rücksichtsloser sprachen sich dann
unter den Vorkehrungen gegen fremde Neugier die Mei-
nungen aus. Und man denke, -welche grossen Ereignisse
damals in den Wittenberger Kreisen sich abspielten. Ist
es doch die Zeit, die der neueste geistvolle Geschichts-
schreiber der Reformation schlechthin als „die Glanz-
periode des deutschen Protestantismus" bezeichnet. Von
allen aber dürfte keines so sehr das Interesse Jan Laskis
in Anspruch genommen haben, als die Verhandlungen,
die zum Abschluss der Wittenberger Concordie geführt
haben. Und gerade hierüber sind wir so glücklich, einen
ausführlichen Brief des Fricius zu besitzen.
Wo Fricius sich eigentlich damals aufhielt, ist nicht
erkennbar. Der Brief ist aus Crotovium datiert. Dass
i) Siehe das Postscript des Laskischen Briefes an Fricius und
meine Note zu dem Briefe des Fricius an Laski bei Gabbema.
Andreas Fricius Modrevius. 97
darunter nicht Krakau zu verstehen ist, zeigt der ganze
Inhalt des Briefes. In jedem Falle muss es ein Ort in der
Nähe und in vielfacher Verbindung mit Wittenberg
gewesen sein. Bekanntlich war die Universität Witten-
berg und namentlich auch Melanchthon im Sommer 1535
auf einige Monate bis zum Februar 1536 der Pest wegen
nach Jena ausgewandert. Ob nun Fricius auch dorthin
seinem befreundeten Meister folgte oder sich, was wahr-
scheinlicher, an einem andern nahegelegenen Ort aufhielt,
wissen wir nicht zu sagen. Jedenfalls muss er in der Lage
gewesen sein, seinen „Patron*4 von dem Fortgang des
grossen Werkes der Vereinbarung des Gegensatzes
zwischen den oberdeutschen „Sacramentariern" und den
Wittenbergern im Punkte der Abendmahlslehre genau
und dauernd auf dem Laufenden zu erhalten. In einem
frühern, uns nicht erhaltenen Schreiben hatte er ihm
bereits angezeigt, dass die Oberdeutschen mit den Witten-
bergern zusammen kommen werden1). Nach einer dem
Fricius durch Zbygniew, dem der Vorsicht halber als Ver-
mittler der Korrespondenz zwischengestellten Vertrauens-
mann, am 23. März 1536 erteilten Nachricht wollte Jan
Laski jener Zusammenkunft beiwohnen. Es ist aber oben
bereits angedeutet worden, was für kritische Tage
eben in jenem Frühling für die Laski vorüberzogen.
Bevor König Ferdinand sich definitiv für die Annahme
ihrer Propositionen ausgesprochen hatte, konnte Jan wohl
nicht gut sich nach Deutschland begeben. Jeden Tag
wurde die königliche Entscheidung erwartet, und da sie
in der Mitte des Mai eingegangen war, hegte selbst
Zbygniew die Ansicht, dass Jan Laski sich bereits in
Wittenberg und zwar mit Fricius befände. Nach diesen
Mitteilungen glaubte auch Fricius sicher, dass Laski in
Wittenberg sei, aber durch einen deutschen Juristen, der
den Erwarteten noch in Polen gesehen hatte, zweifelhaft
geworden, sandte er einen Boten nach Wittenberg, um
zu erfahren, dass allerdings Laski weder dort war, noch
*) uti prioribus literis tibi signifieavi.
Zeitschrift der Hist. Ges. fttr die Prov. Posen. Jahrg. XX.
98 Jakob Caro.
dort ist, und musste sich nun daran machen, über die
Lage der Wittenberger Concordie und über die wesent-
lichen neuerdings eingegangenen Nachrichten von dem
Welttheater schriftliche Mitteilungen zu machen.
„Es waren", so schreibt er am 20. Juni, „wie ich Dir
schon in einem früheren Briefe angezeigt habe, die Sacra?
mentarier, die einigen Ruf genossen, nach Wittenberg zu-
sammengekommen. Aus Strassburg: Wolf gang Capito
und Martin Bucer, aus Augsburg: Bonifacius Wolfhard
und (Wolf gang) Mäuslein, aus Ulm: Martin Frecht, aus
Constanz: Joh. Zwick, aus Frankfurt: Joh. Bernhardi, aus
Esslingen: Jacob Otther, aus Reutlingen: Matthaeus
Alberus und Johann Schradin, aus Memmingen: Gervasius
Schüler, aus Veifeld: Martinus German; aus der übrigen
Schweiz waren Viele zugegen, namentlich aus den Städten
Basel, Zürich, Schafhausen, Bern, St. Gallen, Biel, Mühl-
hausen, Eisenach (sie!); aus Gotha: Friedrich Myconius,
aus Erfurt: Justus Moenius, der am Himmelfahrtstage die
Predigt hielt1). Diese haben nun acht Tage lang mit den
Lutheranern ernstlichst über das Sakrament disputiert,
nicht öffentlich, sondern im Hause Luthers. Nach langer
Verhandlung definierte Bucer seine und der obengenannten
Ansicht folgendermassen1*.
Es folgt nun ein fast wortgetreuer Auszug aus der
Conkordienformel2), der zeigt, dass Fricius, wenn er nicht
selbst bei der Verlesung zugegen war, das Schriftstück
bei seinem Briefe vorliegend gehabt haben muss. Da er
selbst hinzufügte, dass „Nichts bis zur Rückfrage bei den
oberländischen Brüdern und Kirchen veröffentlicht oder
gedruckt werden soll", so kann er die Urkunde nur als
vertrauliche Mitteilung und wohl von Niemand anders als
von Melanchthon erhalten haben. Bemerkenswert ist aber,
namentlich in Rücksicht seiner späteren Stellung zu den
einschläglichen Fragen, dass er Luthers mit keiner Silbe
Erwähnung tut, dahingegen Bucer mit regem Interesse
J) Luthers berühmte Himmelfahrtspredigt wurde bekanntlich
in der Vesper gehalten.
■) Corp. ref. III col. 75 Nr. 1429.
Andreas Fricius Modrevius. 99
In den Vordergrund stellt, was freilich auch auf die Ge-
sinnung des Adressaten berechnet sein konnte. „Bucer",
50 erzählt er, „der unter allen Sakramentariern als der
-Gelehrteste gilt, hielt am 28. Mai die Predigt in der
Wittenberger Kirche1). Dort bezeugte der gelehrte und
beredte Mann zu allgemeiner Freude und Bewunderung
öffentlich, dass er und alle, die mit ihm gekommen wären,
in allen Punkten über die Eucharistie mit den Witten-
berger Doktoren, die er in den Himmel hob und als die
ersten Schöpfer der derzeitigen Erneuerung des Evan-
geliums, die es in voller Reinheit lehrten, bezeichnete,
durchaus übereinstimmte. Übrigens legte Fricius dem
Briefe einen Auszug aus der Predigt bei. Er fährt dann
fort: „Nach der Predigt nahmen Bucer, Capito und viele
Andere das Abendmahl. So entstand die Conkordie über
das Sakrament, denn ohne Rücksicht auf ihren Ruf trugen
jene Männer kein Bedenken, ihren Irrtum öffentlich ein-
zugestehen".
Man weiss, wie bestürzt die Wittenberger Ver-
sammlung von den „mehr als tragischen" Nachrichten aus
England über die am 19. Mai erfolgte Hinrichtung der
Anna Boleyn war. So wie Melanchthon am 29. Mai diesen
für die protestantische Welt so erschütternden Vorgang
dem Justus Jonas nach Erfurt meldet, so berichtet Fricius
drei Wochen später dem Laski, aber genauer in den
Nebenumständen, über welche wohl inzwischen Mitteilungen
eingegangen sein mochten. Ferner erzählt er ihm, dass
der Landgraf Philipp viele Wiedertäufer in Gefangen-
schaft hat, die wohl ihr Leben werden lassen müssen,
denn dieser Fürst pflege mit Aufrührern keine Nachsicht
zu haben. Dann erwähnt er der Konflikte zwischen den
beiden Linien des sächsischen Fürstenhauses, die nur
durch die Vermittelung der beiderseitigen Untertanen
beigelegt worden wären. Nicht minder gut unterrichtet
zeigt sich Fricius über die Ereignisse im Nordwesten.
x) Melanchthon schreibt am 29. Mai an Justus Jonas: Bucer us
hie concionatus est.
7*
IOO Jakob Caro.
Er berichtet von den Verwüstungen Ostfrieslands durch
den Herzog (Carl) van Geldern, und von der misslichen
Lage Groningens, wo Carl, nachdem er mit dem Dänen-
könige Christian III. gemeinsame Sache gemacht, mit
Hülfe dänischer Truppen einen Zwinger zu bauen ver-
suchte, wogegen die Stadtbewohner die Hülfe der Stadt-
halterin Maria anriefen. Er kannte auch die verwickelten
Verhältnisse des Lübeck-Dänischen Krieges und berichtet
über den im Februar 1536 zu Stande gekommenen
Hamburger Frieden unter ganz zutreffender Angabe der
Bedingungen. „Ausser der Hauptstadt Koppenhagen, das
zu Wasser und zu Lande belagert, vom Herzog von
Meklenburg verteidigt wird1), ist das ganze übrige Land
pacificiert und beruhigt". Dann kommt er auf Wullen-
weber zu sprechen, von dem er zu sagen weiss, dass er
der Anreger und Führer jenes Krieges, nunmehr schon
seit etwa 8 Monaten in strenger Haft von dem Herzoge
von Braunschweig gehalten und der Tortur unterworfen
worden wäre. „Es geht das Gerücht", fügte er hinzu,
„dass er schon tod sei". Das war nun freilich nicht be-
gründet, denn Wullenweber musste sein trauriges Geschick
noch bis zum 24. September 1537 tragen. Auch in diesem
Falle setzte Fricius eine Bemerkung gegen „die Aufruhrer*
hinzu. Dieser historisch-politischen Rundschau fügt er
noch einige „Pasquille und eine Prophezeiung über den
Kaiser bei, der, wie er sich ausdrückt, dem Franzosen
(Franz I.) mit eigener Hand geschrieben haben soll: „Du,
der Du die Verträge nicht hältst, gewinne ich den Sieg
über Dich, so räche ich mich in Deinem Blute". Am
Schluss endlich erwähnt Fricius, dass er kurz zuvor dem
Laski die Allegorie des St. Christophorus gesandt und
nur vergessen hätte, in das Packet auch die des St Georg
beizulegen, die er beide von Melanchthon erhalten habe.
Er schicke das zweite dieses Mal. Es sind das die in
Form von Andachtsblättchen gefertigten farbigen Holz-
schnitte, zu denen Melanchthon einige Verse gemacht und von
*) Kopenhagen (Hagunia) fiel bekanntlich erst am 2S. Juli 1536.
Andreas Fricius Modrevius. IOI
deren Kunstwerk er mit einiger Selbstgefälligkeit
spricht l).
Wir haben bei diesem Briefe länger verweilen
müssen, weil er doch das einzige uns zur Einsicht
gelangte Schriftstück des Fricius aus der Epoche vor
seinem literarischen Auftreten ist Er ist aber auch nach den
verschiedensten Seiten hin lehrreich. Während er einer-
seits die Vertrauensstellung kennzeichnet, die Fricius
zwischen Melanchthon und Jan Laski einnahm, zeigt er
andererseits die klare Sachlichkeit und die umfassende
Umsicht, mit der er die Zeitinteressen betrachtet. Wie
sticht doch die ruhige und knappe Darstellung, die gleich-
sam einen Querschnitt der Tagesfragen enthält, weit ab
von der gezierten Phrasenhaftigkeit der vielen andern
Briefe, die Jan Laski aus Deutschland empfing! Schon
aus diesem einen Briefe spricht die Tüchtigkeit des
Mannes, die es wohl erklärt, dass er die Sympathie des
grossherzigen Reformators erwarb und dauernd fest-
zuhalten vermochte.
Mehr aber, als dieses charakterisierende Ergebnis
ist dem Briefe nicht zu entnehmen, namentlich nichts für
die äussern Lebensumstände unseres Helden, ausser der
Tatsache, dass sie immer noch aufs engste mit denen des
Jan Laski verbunden waren. Dieser Spur haben wir
darum auch in Ermangelung anderer Quellen weiter nach-
zugehen. Wenn gesagt worden ist, dass Laski bei der
Wittenberger Theologenversammlung erwartet wurde, so
ist das gewiss richtig und bezeugt, insofern Fricius darauf
*) Am 10. März 1536 schickt er dem Fürsten Georg von Anhalt
das carmen de icone Georgii und verspricht bald auch die allegoria
Christophori zu überreichen. Corp. ref. III S. 45 Nr. 1406. An Veit
Dietrich schickt er sie erst am 1. Dezbr. a. a. O. col. 194 Nr. 1493
mit der Bemerkung, sie seien nach der vor Dürerischen Manier —
nur umrissen. Er habe sie gezeichnet, andere hätten sie coloriert.
Den Christophorus, meint er, würde auch Dürer gelobt haben. —
Luther habe das Gedicht über St. Georg in deutsche Verse setzen
wollen und schon einen Anfang damit gemacht. Dann aber sei
anderes dazwischen getreten, und er wird wohl nicht wieder darauf
zurückkommen.
102 Jakob Caro.
rechnete, dort und bei jener Gelegenheit mit ihm zu-
sammenzutreffen. Dass aber die Theologen selbst oder
auch nur Melanchthon ihn erwartet hätten, dafür fehlt
wenigstens jedes Zeugnis. Schwerlich aber ist anzunehmen,
dass Fricius über die Gründe der Abhaltung Jan Laskis,
die vornehmlich in dem hängenden Zustand der Ver-
handlungen des Hieronymus mit dem deutschen Könige
beruhten, unterrichtet war. Peinlich genug mochte es dem
beweglichen Propst von Gnesen sein, der wohl auch darum
die Einsamkeit aufgesucht hatte, um nicht seinem
erbittertem Feinde, dem zum Erzbischof von Gnesen
erhobenen Cricius, die Ehren erweisen zu müssen, von
den Umständen gefesselt zurückgehalten zu werden. Dass
ihm der Boden in Polen nach Gestaltung der Dinge durch
die jüngste Besetzung der Bischofsstühle unter den Füssen
brannte und dass es ihm wohl getan haben würde, mit
den deutschen Theologen in freier Diskussion sich er-
gehen zu dürfen, begreift man wohl. Wie verhängnis-
voll, dass die politischen Verhandlungen seines Bruders
sich so hinzogen! Nun aber traf noch gar die erschütternde
Nachricht vom Tode des Erasmus ein1), die für Laski,
von allen inneren und geistigen Beziehungen abgesehen,
noch ein besonderes äusseres Anliegen hatte, insofern er
jetzt durch Auszahlimg eines Restes der Besitzer der
Bibliothek des grössten aller Humanisten wurde. Er
musste dort in Basel sein, ein grosses, vielleicht unwider-
bringliches Interesse stand für ihn auf dem Spiele. Endlich
in den ersten Tagen des Oktober war für ihn durch den
von seinem Bruder Hieronymus dem Könige Ferdinand
geleisteten Eid die Bahn frei, und schon nach wenigen
Wochen finden wir ihn in Basel. Am Martinitage ordnete
er durch Zahlung der noch schuldigen 150 Dukaten die
Erbschaft der Erasmischen Bibliothek2). Bei den Buch-
händlern Froben und Bischof regte er eine Gesamtaus-
gabe der Werke des grossen Humanisten an, zu welcher
*) Erasmus starb am 12. Juli 1536.
2) Nach der eigenhändigen Urk. vom 12. Nov. 1536. Pascal
S. 116.
Andreas Fricius Modrcvius. 103
er 100 Dukaten zur Verfügung stellte. Die Buchhändler
lehnten das Angebot wie das Unternehmen, zu dem nach
ihrer Berechnung mehrere tausend Dukaten nötig waren,
höflich dankend ab1). Inzwischen aber hatte der nach
Erasmus Ansicht „nerveuse" Mann seinen Fuss bereits
weiter gesetzt. Wohin er von dort sich begeben, wird
von den Biographen verschieden angenommen. Ob es
richtig ist, dass er nach Löwen gereist wäre, um die
schon vor 11 bis 12 Jahren gemachte Bekanntschaft mit
den Eltern seiner zukünftigen Frau zu erneuern und die
Familie sowie die junge Dame auf den beabsichtigten
Heiratsantrag vorzubereiten, wie der neueste Biograph
vermuten zu dürfen glaubt2), mag wohl dahingestellt
bleiben. Die Annahme kann uns um so weniger zur Zu-
stimmung verleiten, als der Verfasser ebenso wie alle
seine Vorgänger den einzigen beglaubigten Aufenthalt
des Laski gelegentlich dieser Reise übersehen hat. Am
1. Mai 1537 schreibt nämlich Melanchthon aus Leipzig an
Joachim Camerarius ®) : „Wir haben dieser Tage viel ge-
sprochen TteQl doyiiariov, denn 'Iioavvrjg 6 Jdowjg den Du
in Basel gesehen hast, ist hier. In diesen unseren Ge-
sprächen ist Deiner oft mit Ehren gedacht worden".
Dieser Aufenthalt Laskis bei Melanchthon aber war
auch für unsern Fricius entscheidend, denn damit war für
ihn die Mission abgeschlossen, die ihm von Laski aufgetragen
war, wenigstens soweit sie Wittenberg betraf. Er stand
im Begriff, sich nach Nürnberg für einige Zeit zu begeben,
das er, nach der Angabe Melanchthons, für die „Leuchte
Deutschlands" hielt. Dort wollte er die deutsche Sprache
sich aneignen, das Kunstleben studieren und mit Veit
A) Gabbema, Epp. clarorum virorum, ep. X von Hieronymus
und Episcopius. S. 23.
2) Pascal S. 117, wo des Verkehrten noch viel mehr steht
8) Corp. reform, m col. 359 Nr. 1570. Wenn man die Kontro-
versen über den Zeitpunkt, wann Laski sein Vaterland dauernd
verlassen hat, liest, dann darf man wohl erstaunen, dass diese
wichtige Notiz von niemandem bemerkt wurde. — Übrigens hat
Dalton, der freilich diese Reise vom Winter 1536I37 nicht kenntt
durchaus Recht, wenn er Laski 1538 noch in Polen vermutet
104 Jakob Caro.
Dietrich und anderen gelehrten Leuten in Verkehr treten.
Es dürfte kulturhistorisch bemerkenswert erscheinen, dass
Fricius nach einem, soviel wir wissen, mehr als vierjährigen
Aufenthalt in Deutschland der Sprache mächtig zu werden
keine Gelegenheit hatte, so ausschliesslich in lateinischer
Sprache wurde in den akademischen Kreisen die Unter-
haltung gepflogen. Er war dem trefflichen Veit Dietrich
bereits im Melanchthonschen Hause bekannt geworden, und
dieser schätzte an ihm insbesondere die Klugheit und die
sorgsame Pflichttreue, so wie auch Melanchthon selbst in sei-
nem Empfehlungsbriefe diese Charaktereigenschaften höher
noch als seine wissenschaftliche Erudition anschlägt Auch
den Begleiter des Fricius, den Johannes Winarski, der einige
Zeit noch bei Andreas bleiben und dann sich in Deutschland
weiter umsehen will, empfiehlt Melanchthon dem Veit
Dietrich als einen sanften, taktvollen und gebildeten Mann l).
Dass aber auch nach seiner Abreise von Wittenberg bei
Melanchthon der von Fricius hinterlassene Eindruck lange
Zeit ungeschwächt blieb, ersieht man aus einem Schreiben
des Reformators vom Jahre 1539 an den Breslauer Stadt-
arzt Matthias Auctus, einen grossen Förderer der evan-
gelischen Sache2), in welchem er gelegentlich der An-
meldung des von Melanchthon ausgebildeten Jan Chrzy-
stoporski8) anführt, dass der ausgezeichnete Jüngling ihm
durch Fricius zugeführt sei, und „dessen Empfehlung gelte
bei ihm sehr viel"4).
x) Die beiden Schreiben im Corp. reform. III, col. 369 Nr. 1574
und 1575.
2) Der erste von der Stadt 1533 angestellte Physikus (Mark-
graf, die städtischen Medizinaleinrichtungen Breslaus, S. 11 und Beil.
VII). Er stand mit den Boner in Polen in Korrespondenz. (Stan.
Hosii epp. S. 50 Nr. 30).
3) Melanchthon schrieb ihm 1537 „de purgatorio" Corp. ref. III
col. 411 Nr. 1607, ferner am 5. Mai 1539, a. a. O. Nr. 1805, an seinen
Vater Nr. 1806 und an Auctus das. Nr. 1804. Er hat später eine
hervortretende Rolle gespielt und eine Gesandschaft nach Rom
geführt.
4) Nam cum initio comendatione Fricii, quae apud me valet
plurimum, aditus ei ad meam amicitiam patefactus esset, postea
eum libenter meo judicio complexus sum.
Andreas Fricius Modrevius. 105
Damit verschwindet aber Fricius vor unsern Augen
für mehrere Jahre. Dass er nun sich nach Süddeutschland
gewandt und dort noch etwa drei Jahre geblieben wäre,
ist durch kein stichhaltiges Beweismittel bezeugt. Jeden-
falls würden dann seine Aufgaben und Bestrebungen
nicht mehr in derselben Richtung gelegen haben.
Unzweifelhaft blieb er auch jetzt noch mit dem Hause
Laski in irgend einer Verbindung, aber schwerlich hatte
er auch in dieser Epoche noch den Interessen des
Gnesener Propstes zu dienen.
Wenige Jahre vor seinem Tode noch beschäftigte
sich Professor Caro mit den Schicksalen des Modrevius.
Am 5. November 1902 hielt er im Verein für Geschichte
und Altertum Schlesiens einen Vortrag über „Andreas
Fricius, ein Staatsmann und Reformator schlesischer
Abstammung", worüber der Bibliothekar an der Breslauer
Stadtbibliothek, Dr. Wendt, in der Schlesischen Zeitimg
berichtet; und da uns der Bericht in ganz knappen
Zügen ein Gesamtbild dieses bemerkenswerten Mannes
vorführt, so sei aus ihm folgendes entnommen: „Der Vor-
tragende führte aus, wie Fricius, dieser wenig bekannte
und . in seinem Wesen und Wirken meist verkannte
polnische Staatsmann des 16. Jahrhunderts doch als einer
der geistvollsten, originellsten und individuellsten Charaktere
seiner Zeit allgemeine Anerkennung verdiene. Seine
politischen und theologischen Schriften zeigen, wie er
seinen Zeitgenossen in vielem vorauseilte, wie er über-
raschend früh die Erkenntnis der organischen Natur des
Staates zur Schau trägt. Energisch bekämpft er die für
den Gang der polnischen Geschichte so verhängnisvolle
Alleinherrschaft des Adels, übt ferner in einer Schrift
über den Totschlag an der „Wergeidstheorie", der
Bestrafung des Mordes mit leichter Haft und Geldbusse,
vernichtende Kritik und entwickelt in seinem 1551
erschienenen Hauptwerke „De emendanda republica"
Reformideen über die Steuerverfassung, das Schulwesen
und anderes, die uns wunderbar modern anmuten. In
106 Jakob Caro.
seinen theologischen und kirchenpolitischen: über das
Abendmahl unter beiderlei Gestalt, die Priesterehe, den
Gottesdienst in der Landessprache, die Konzilsfrage und
die Lehre von den guten Werken zeigt sich Fricius als
so scharfer Gegner der kirchlichen Missbräuche, dass er
zeitweilig infolge päpstlicher Verfolgung die Heimat meiden
musste. Doch hat er sich nie einer der neuen protestan-
tischen Richtungen förmlich angeschlossen.-
Anhang.
Der Brief des Andreas Fricius vom ao. Juni 1535 an Jan LaskL
Dieser Brief ist nicht blos für die Biographie des Fricius,
sondern mehr noch für die des Jan Laski von grosser Wichtigkeit,
und aus diesem letzteren Grunde ist er öfters schon angeführt
worden. Wenn er aber ebenso eingehend gelesen worden wäre,
als er oft citiert ist, dann würde doch wohl schon auch seine all-
gemeinere Bedeutung als eins der unmittelbarsten Zeugnisse für die
beim Abschluss der Wittenberger Concordie obwaltenden Umstände
— neben Myconius gepriesen worden sein. Freilich hat der Brief
bei seinen Lesern und Citatoren eigene Schicksale gehabt Von
Schelhorn (Ergötzlichkeiten aus der Kirchen-Historie S. 673), der
ihn zuerst anführt, wird nur das Datum und der Abdruck bei
S. A. Gablema (sie!) angezeigt und vermutet, dass er von Fricius
herstamme. Aus dem Inhalt wird nur geschlossen, dass „Crotau4*
in Polen liege, und dass daher Fricius seinen Wittenberger Aufent-
halt durch eine zeitweilige Anwesenheit in Polen unterbrochen haben
müsse. Ossolinski (Wiadomosci hist. kryt IV S. 120) hat nur das
Datum und den Adressaten von Schelhorn gelernt, den Inhalt aber
nicht gelesen und die Sammlung, in welcher er gedruckt ist, niemals
gesehen, denn sonst würde er von dem Stofflichen der Mitteilung
Gebrauch gemacht und den Herausgeber nicht Sim(on) abb(as)
Gadema statt Simon Abbes Gabbema genannt haben. — Maiecki,
(Bibl. Ossol. V S. 143 Note) erwähnt die „oberflächliche, den Inhalt
nicht berührende1' Notiz Ossolinskis, beklagt aber, dass keine der
Lemberger Bibliotheken die Sammlung „Gademas" besitze, und er
also keine Angabe über den Brief machen könne. Dalton (Johannes
8 Lasco S. 167) kennt den Brief in seiner Bedeutung für die
Geschichte der Wittenberger Concordie und verwertet ihn für die
Charakterisierung der damaligen Stimmung J. Laskis, stösst sich
aber daran, dass nur ein „Andreas Fr.44 unterzeichnet, und „vermutet*,
dass Fr. Fricius bedeute. Wie gesagt, hat das schon Schelhorn
getan, aber hier wie dort erforderte die Vermutung nicht zu viel
Andreas Fricius Modrevius. 107
Wagnis, denn Gabbema gibt im Register ausdrücklich an, dass
Fricius der Briefschreiber ist. — George Pascal (Jean de Lasco S. 115)
citiert den Brief aus Gabbema und folgert aus dem Inhalt, dass
Laski zu den Verhandlungen der Wittenberger Concordie erwartet
^worden wäre. Auch dies zeugt nicht von genauem Studium des
Schreibens. — Edmund Dylewski (Andrzej Frycz Modrz. S. 96) liess
sich den Brief durch Lubowicz auf der Berliner Bibliothek
abschreiben, druckt auch die erste mehr Persönliches enthaltende
Hälfte ab, den wichtigern Teil aber, der die allgemeinen Verhältnisse
skizziert, lässt er unberücksichtigt und gibt im Texte seiner Schrift
Dinge an, von denen in dem Briefe keine Spur sich findet.
Alle aber glauben mit dem Datum des Briefes „Crotovii die
XX. Junii 1536" die Behauptung beweisen zu können, dass Fricius
seinen Wittenberger Aufenfhalt unterbrochen und sich nach Polen
für einige Zeit zurückbegeben hätte, denn alle lesen unbedenklich
für „Crotovii" — Cracovie. Schelhorn freilich nicht, und Malecki,
wie immer genau, auch nicht; er schreibt „z Krotowa", aber er
nimmt doch auch wie Schelhorn die zeitweilige Rückreise nach
Polen an, sucht also „Crotovium" in Polen. — Wenn aber das
richtig wäre, dass Crotovii für .Cracoviae zu nehmen wäre, dann
würde mindestens ein Teil des Briefes überaus läppisch erscheinen.
Dann hätte demnach Fricius in Krakau einen deutschen Juristen
aufgegabelt, der den Laski in irgend einem polnischen Nest, dessen
Namen er nicht auszusprechen vermochte, gesehen hatte, und der
im übrigen den Fricius und seine Gesellschaft von Krakauer Zu-
ständen und Vorgängen unterhält. So hatte, erzählt Fricius, dieser
Jurist sich zwei Brote „aus Krakau" mitgebracht, ein Weizenbrot
und ein Roggenbrot (ipse jurisperitus attulerat secum Cracovia
duos panes), die zeigte er bei der Mahlzeit als ein Wunder, woraus
denn alle entnahmen, dass in Krakau eine ausserordentliche
Teuerung der Lebensmittel herrsche. — Man sollte meinen, dass
die Krakauer in Krakau für eine solche Warnehmung nicht erst der
Symbolik des deutschen Rechtsgelehrten bedurften, ganz abgesehen
davon, dass dann der deutsche Herr Brote aus Krakau nach Krakau
mitgebracht haben würde. — Hierauf aber erzählt der Jurist noch
andere wunderlichere Dinge über Krakau: dort käme es nicht
darauf an, ob einer Recht oder Unrecht hätte, wer Handsalben und
Geschenke gibt, hat immer Recht; er selbst hätte 2000 Dukaten
jährlich verdienen können, wenn er alle Prozesse, die man ihm
angetragen, zu führen sich herbeigelassen hätte; und dann erzählt
er von den Beamten und vom Klerus gar vielerlei, aber, sagt
Fricius, „ich erinnere mich, dass dergleichen Gerede bei uns von
allen geführt zu werden pflegt."
Und das alles sollte Fricius sich in Krakau erzählen lassen?
In der Fremde wird es allerdings fü* ihn von grossem Interesse
gewesen sein.
108 Jakob Caro.
Dann noch weiter: War Fricius in Krakau, und wie der
Jurist versicherte, Jan Laski in Polen, dann waren der Brief-
schreiber und der Adressat jenseits von Breslau. Was hat es aber
alsdann für einen Sinn, wenn Fricius schreibt: non dubitavi ad te
scribere, cum hac multi proficiscerentur ad mercatum Vratislaviensem,
ut illinc iterum ad te remittantur Cracoviam? Fricius schrieb
also angeblich von Krakau, damit der Brief durch die Breslauer
Messfahrer über Breslau nach Krakau gebracht würde. Das würde
doch die Logik sein. — Und nun noch eins: Fricius soll also nach
jener Lesart in Krakau sein, und wie er aus dem Briefe des
Sbigneus erfährt, dass Jan Laski in Wittenberg sein soll, schickt
er seinen Boten nach Wittenberg — von Krakau nach Wittenberg — *
um sich zu überzeugen, ob es richtig ist Kann man das für wahr-
scheinlich halten? — Und endlich: Seinen Bericht über die Witten-
berger Concordie, über die Hinrichtung der Anna Boleyn, über die
verschiedenen Ereignisse in Deutschland und die Sendung der
Pasquille über den Kaiser und der Allegorie Melanchthons über
St. Georg leitet Fricius mit den Worten ein: quae huc afferuntur^
ea tibi duxi significanda esse, das wäre also der Lesart zu folge»
was nach Krakau gemeldet wird. Wer aber durfte damals der-
gleichen, namentlich die Einzelheiten der Wittenberger Verhand-
lungen und einen Auszug aus Bucers Wittenberger Sonntagspredigt
nach Krakau berichten?
Genug des Widersinns ! Der Verfasser des Briefes war nicht
in Krakau, sondern jenseits von Breslau, nicht gar weit von Witten-
berg, so dass er einen Boten dahin schicken kann, um festzustellen,
ob Jemand dort angekommen ist, und in solcher Verbindung mit
Wittenberg, dass er die dortigen Vorgänge und die dort eingehenden
Meldungen von den allgemeinen die Reformatoren interessierenden
politischen Ereignissen unverzüglich erfährt. Der Verfasser war
aber auch nicht in irgend einem apokryphen Krotow in Polen,
wie Malecki meint, denn auch da träfe der Aberwitz durchaus zu.
Ich glaube, kein verständiger Mann, der diesen Brief nicht blos
citiert, sondern auch liest, wird es in Abrede stellen wollen, dass
Fricius in Deutschland, in nächster Nähe des Schauplatzes des
Concordienwerks sich befand, und ich würde meines Glaubens
noch sicherer sein, wenn ich sagen könnte, wo dieses Crotovium in
der Nähe Wittenbergs liegt. Das kann ich aber leider nicht. Viel-
leicht vermag das ein anderer. Sollte aber auch kein Anderer es
vermögen, dann würde ich mir die Erlaubnis usurpieren, zu ver-
muten, dass es überhaupt nicht existiert, und dass es lediglich
ersonnen ist, um über den Aufenthalt des Briefschreibers für den
Fall, dass der Brief in unrechte Hände käme, irre zu führen. Man
denke: der Vorsicht halber („ne quid incaute agamus") hat der
Brief schon eine falsche Adresse. Statt an Jan Laski trägt er die
Aufschrift an Sbigneus, einen den beiden Korrespondenten ver-
Andreas Fricius Modrevius. 109
trauten Mittelsmann („inscripsi literas Sbigneo"). Warum soll er
nicht auch der Vorsicht halber einen utopischen Datumsort haben?
War es doch den Polen verboten, die Wittenberger Universität zu
besuchen, zumal für einen jungen Mann, der am Hofe Karriere
machen wollte. Zwar weist die Wittenberger Matrikel gleichwohl
eine ganze Reihe von polnischen Studierenden auf, aber zumeist
sind es Leute von Familien, denen es nicht zu schwer wurde,
solchen Verboten ein trotziges Schnippchen zu schlagen. Aber für
den Sohn des Vogts von Wolberz wäre es doch nicht unbedenklich
gewesen, sich auf dem verpönten Platze betreffen zu lassen.
Diese ganze Argumentation wirft nun aber, so scheint es,
Dylewski vollständig über den Haufen. Er erzählt (S. 36), dass „wir
zwar nicht wissen, welche Umstände die Rückkehr des Fricius nach
Polen veranlasst hätten, dass wir aber einen Brief vom 20. Juni 1536
kennen, in dem Jan Laski anzeigt, (zajawlajet) dass er, Fricius, durch
seine wissenschaftlichen Studien die Aufmerksamkeit des Prinzen
Sigismund August auf sich gelenkt habe, und dass der Königssohn
ihn aus Zuneigung zu .seinem Sekretär bestimmt habe." — Habent
sua fata libelli. Von allem, was aus dem Briefe schon heraus-
gelesen wurde, ist dies das Wunderlichste. Ich kann keine Silbe
von der ganzen Erzählung darin finden, weder den Namen des
Prinzen noch eine Hindeutung auf ihn, weder von den „wissen-
schaftlichen Studien- noch von dem Sekretär. Die ganze Er-
zählung ist vollkommen erfunden. In dem Briefe steht nichts davon.
Da also der Brief nicht von Krakau datiert, so fehlt jede
Unterstützung für die von Schelhorn zuerst aufgestellte Meinung,
dass Fricius seinen Wittenberger Aufenthalt durch einen Besuch
seines Vaterlandes unterbrochen hätte, und wenn Melanchthon von
einem dreijährigen Aufenthalt in seiner Umgebung spricht, so
haben wir uns denselben kontinuierlich zu denken.
Alte Lissaer Grabdenkmäler.
Von
Paul Voigt.
*on der Vergangenheit Lissas in polnischer Zeit
erzählen uns Urkunden und Schriften manches,
Bauten sehr wenig; dagegen hat auf dem refor-
mierten und den beiden evangelischen Kirchhöfen eine
recht stattliche Zahl von Steinzeugen alle Unbilden der Zeit
überdauert und gibt uns manche Kunde von Wohlstand,
Handel und Gewerbe, Verfassung, religiösem und Gemein-
sinn, Geschmack und Denkweise der Bürger dieser eine
Zeit lang bedeutendsten Stadt Grosspolens.
Die Grabdenkmäler, um die es sich hier handelt —
es sind im ganzen über ioo — reichen mit ihren jüngsten
Ausläufern bis in die preussische Zeit (1813) hinein und
beginnen etwa mit dem Jahre 1630. Von 1628 ab waren
aus Böhmen und seit 1629 ganz besonders aus dem benach-
barten Schlesien wegen der habsburgischen Religions-
verfolgungen und der Drangsale des deutschen Religions-
krieges Tausende von Protestanten nach Polen aus-
gewandert. Nach Lissa, der Stadt der Grafen Leszczynski,
siedelte in diesen Jahren fast die gesamte Bürgerschaft
des benachbarten Guhrau über und gründete dort die
lutherische Kreuzkirchengemeinde. Durch diesen Zuzug,,
der noch lange fortdauerte, nahm die Stadt in wirtschaft-
licher und geistiger Beziehung — wir erinnern nur an
112 Paul Voigt.
Comenius und Johann Heermann — einen gewaltigen
Aufschwung, der auch nach der Zerstörung durch die
Polen 1656 noch eine schöne Nachblüte hatte, die erst
durch die Russen 1707 und die Pest von 1709/10 vernichtet
wurde. Aus der ersten Blütezeit sind nur ganz wenige
Denkmäler erhalten, eine grössere Anzahl der schönsten
aus der zweiten, die meisten aus späterer Zeit, in der
wir immer noch einige Wohlhabenheit bei den Bürgern
der Stadt voraussetzen dürfen.
Das Material der Grabdenkmäler ist meist Bunzlauer
Sandstein, nur ganz vereinzelt Marmor. Der Form nach
unterscheiden wir drei grosse Gruppen: 1. grabgrosse
Steinplatten, die teils noch auf den Gräbern liegen, so
die meisten des reformierten Kirchhofs, teils, wie auf
dem inneren evangelischen Kirchhof, in die äusseren
Kirchenwände oder in die Kirchhofsmauer eingelassen
sind, letztere befinden sich jedoch nicht immer an ihrer
ursprünglichen Stelle; 2. niedrige etwa mannshohe vier-
seitige Pyramiden ; 3. hohe Pyramiden von anderthalb- bis
zweifacher Manneshöhe, drei- und vierseitig. Vereinzelt
findet sich die Form eines Wappenschildes, eines grossen
Kelches oder Taufbeckens, einer Kanzel.
Die drei Grundformen sind der Zeit nach zwar nicht
streng von einander geschieden, doch lässt sich erkennen,
dass in der ältesten Zeit die Platten bevorzugt wurden.
Solcher Platten hat der reformierte Kirchhof über ein
Dutzend, die fast sämtlich aus dem 17. Jahrhundert stammen,
die jüngste aus dem Jahre 1718. Der innere evangelische
Kirchhof — auf dem später angelegten äussern sind nur
Pyramiden, die wiederum auf dem innern ganz fehlen —
weist, soweit ich habe feststellen können, nur zwei Platten
aus dem 17. Jahrhundert auf, die übrigen sehr zahlreichen
stammen hier zumeist aus der Zeit von 1700 bis 1730,
reichen jedoch vereinzelt herab bis ins Jahr 1812. Das
18. Jahrhundert bevorzugt die Pyramide, und zwar scheint
die niedrige Form früher aufgekommen zu sein; sie findet
sich zuerst auf dem reformierten Kirchhof im Jahre 1703,
auf dem evangelischen erst in den dreissiger Jahren
Alte Lissacr Giabdenkmäler. 113
desselben Jahrhunderts, die jüngste aus dem Jahre 1770.
Die meisten niedrigen Pyramiden gehören auf beiden
Kirchhöfen der Zeit von 1730 bis 1750 an. Die hohe
Pyramide, die besonders massenhaft auf dem reformierten
Kirchhof auftritt, beginnt dort mit 1723 und endet mit 1813
(eine Inschrift von 1832 ist später nachgetragen), die jüngste
des evangelischen Kirchhofs stammt aus dem Jahre 1762,
bei weitem die meisten sind aus der Zeit von 1743 bis 1774.
Die wenigen von den drei Hauptformen abweichenden
Gebilde endlich gehören dem ersten Drittel des 18. Jahr-
hunderts an.
Betrachten wir nun die Hauptformen genauer. Die
Steinplatten enthalten entweder in erhabener Arbeit eine
Darstellung der ganzen Gestalt des Verstorbenen mit einer
kurzen um den Rand laufenden Inschrift (von dieser Art
sind auf dem reformierten Kirchhof mehrere, auf dem
evangelischen innern nur eine) oder an Stelle der bild-
lichen Darstellung eine umfangreiche Inschrift in der Mitte
des Steines mit allerlei Verzierungen am Rande. Bei
einigen finden sich medaillonartige Vertiefungen, die den
Porträtkopf des Gestorbenen in Stein gehauen enthielten;
die Köpfe selbst sind nirgends erhalten.
Wir wenden uns der Beschreibung einzelner Platten
zu. Da liegt auf dem reformierten Kirchhof eine grosse
Marmorplatte, deren Relieffigur eine Frau in faltigem
gestickten Gewände mit doppelt gebauschten Faltenärmeln
darstellt. An der rechten Handwurzel trägt sie ein Arm-
band mit grossem Schloss, den Kopf ziert ein turban-
artiger Aufsatz, das Gesicht ist zerstört. Der erhöhte
Rand der Platte sagt uns in umlaufender erhabener
Schrift, wer hier ruht: Generosa Sophia de Broniewo
Generosi Alexandri Bronikow [II] Conivx Hie Qvod
[Mojrtale Habvit de[po]svit in Spem Gloriosae Resvrrec-
Anno MDCLXXVI. Der reformierten Gemeinde gehörten
bekanntlich eine Zeit lang sehr viele Polen an, und es darf
uns deshalb nicht wundern, solche auch auf dem Kirch-
hof zu finden. Ein Alexander von Bronikowski nahm in
Zeitschrift der Hist. Ges. för die Prov. Posen. Jahrg. XX. 8
114 Paul Voigt
den 80 — 90 er Jahren des 17. Jahrhundert eine angesehene
Stellung in der reformierten Gemeinde Lissas ein1).
Vielleicht ist er der Ritter, den die dicht neben der
vorigen liegende, ganz gleich gearbeitete, inschriftlose
Grabplatte bis zu den Knien herab darstellt Er trägt
einen Schuppenpanzer, die Linke ruht am Schwertgriff,
während die Rechte am Körper herunterhängt; das
Gesicht ist auch bei dieser Figur völlig zerstört Die
Stellen, die der Körper frei lässt, sind mit allerhand
Kriegsemblemen als Speer- und Pfeilspitzen, Beilen,
Kanonenrohren, Beinschienen, Fahnen, einem Rad (Reifen?)
u. a. ausgefüllt.
Eine andere stattliche Männergestalt zeigt eine Platte
nahe der Südmauer des Kirchhofs, einen bärtigen Schmied
mit den Abzeichen seines Handwerks: Hammer und
Zange.
In derselben Reihe mit dem Ritter und der adligen
Dame bemerken wir auf einer etwas kleineren ausgehöhlten
Sandsteinplatte eine bürgerliche Frau in langem bis auf
die Füsse herabreichenden, faltigen Rock mit weiten am
Handgelenk geschlossenen Ärmeln, kurzem leichtgezackten
Schulterkragen, schlichter, enganliegender Haube; die
Hände sind unter der Brust zusammengelegt An den
freien Stellen sehen wir oben Vorhänge, zur Seite einen
Ständer mit aufgeschlagenem Buch, unten Schädel, Knochen
u. a. Der Rand trägt die Inschrift in erhabenen Buch-
staben.
In gleicher Haltung und Gewandung sind auf einer
anderen Platte 3 Kinder neben einander dargestellt in
3 Feldern. Der Aussenrand und die fussbreiten Flächen
zwischen den Feldern sind mit erhabener Schrift aus-
gefüllt, die in rechtwinkligen Spiralen von aussen nach
innen um die einzelnen Felder läuft Die Inschrift lautet:
Anno 1625 den 24. November ist Katharina Lysefarthen
gebohren worden des Morgens an der halben Uhr, ist
1630 den 7. Juny umb halbe wege ... in Gott . . . ver-
l) S. diese Zeitschrift Jahrg. XV. S. 9.
Alte Lissaer Grabdenkmäler.
schyden. Ihr gantzes Alltter erstreckhet sich a
3 Wochen 3 Tag.
Anno 1627 den 10. September ist mein Sönlei
Lysefarth gebohren worden des Morgens an de
Uhr [dr]ey viertel auff fienffe, ist gestorben 1
19. Juny auf [dr]ey nach Mittage. Sein gantzes
strecket sich 2 Jahr 40 Wochen 3 Tag.
Anno 1629 den 25. February ist mein Sönlei
Lysefarth gebohren worden Nachmittag 1/l auff vi«
halben Uhr, ist gestorben 1630 den 28. Juny ha
acht des Morgen. Sein gantzes Alter erstrecket
1 Jahr 19 Wochen 6 Tage.
Hier sei der einzigen kleinen Platte mit (
auf dem inneren evangelischen Kirchhof gedacht,
ein Kind in ganz gleicher Haltung und Kleie
ebenfalls umlaufender erhabener Schrift zeigt: ,
den 2. November viertel auf 3 . . . nach Mittags
selig entschlaffen, des ehrenvesten wo
geliebtes Töchterlein Martha Alter 2 Jahr 42 W
Rechtwinklig neben jenem Stein mit den 3
liegt eine Platte, die keine Figur aufweist, sondei
Mitte ein grosses Medaillon mit Inschrift, darüber
Zweiggewinden und Blumen umschlossenes Wap
oberhalb eines schräg liegenden Querbalkens da!
teil eines springenden Hirsches enthält
Einer sehr angesehenen Bürgermeisterfarr
17. Jahrhunderts gehörte eine Tote an, die nicht
dem Ritter ihre Ruhestätte gefunden hat: Hedw
Frau des Tuchmachers Friedrich Held. Auf ihre
stein sehen wir über einem grossen die Insel
haltenden herzförmigen Mittelschild in einem ]
Wappenschild einen schrägen Querbalken mi
Pfeil; die freien Stellen erinnern durch Knochen,
Hacke, Spaten, Schaufel, Stundenglas an die Ver
keit des Irdischen.
Noch mehr als bei den zuletzt besprochener
nimmt bei den übrigen die Inschrift den grösst<
Il6 • Paul Voigt. •
ein. Die meisten und schönsten Platten dieser Art
finden sich auf dem inneren evangelischen Kirchhof, wo
sie teils in die Aussenwände der Kirche selbst, teils in
•die Nischen der Kirchhofsmauer eingelassen sind, die
hier auf zwei Seiten noch von der alten Stadtmauer
gebildet wird. Sie sind meist umrandet von Blumen-
und Blattgewinde in der mannigfaltigsten Ausführung,
Tron der einfachsten bis zur kunstvollsten Bearbeitung der
Formen. Vereinzelt tritt an die Stelle der Blätter und
Blumen ein Baum, Säulen oder auch eine Säulenhalle;
einige haben Rokokoumrahmung. Daneben fehlt es nicht
an Belebung durch mehr oder weniger schön gearbeitete
Figuren, besonders Engel. Die freien Ecken sind hier
und da durch symbolische und allegorische Darstellungen
ausgefüllt, etwa ein Strahlendreieck, Stundenglas, Engel
mit Schädel, Palmzweig, Krone, Füllhorn mit Blumen. Hier
sieht man einen Engel mit Wappenschild, auf dem ein
auf einem Berge stehender Vogel einen Zyveig im
Schnabel hält, statt der Helmzier ist ein Gefäss, aus dem
zwei Zweige und drei Eicheln hervorragen; dort ein Lamm
mit Fahne auf einem Scheiterhaufen.
Eine Platte an der Kreuzkirche — es sei gestattet,
wenigstens ein paar von dieser Gattung genauer zu
beschreiben — zeigt in einer Ecke eine vor einem nieder-
fahrenden Blitz erschrocken in die Knie gesunkene
betende Figur, darunter ein Schiff mit geblähtem Segel.
Um den Knienden sind die Worte geschlungen: „Dennoch
bleib ich stets an dir, denn du haltest mich bei meiner
rechten Hand;" um das Schiff liest man: „Du leitest mich
nach deinem Rat und nimbst mich endl. mit Ehren an."
Auf einer andern Platte daselbst kniet in einer Ecke ein
betender Mann in antikem Gewände vor einem Altar,
auf dem ein Opfer (man erkennt einen Stierkopf) brennt;
.am Altar steht eine Schale und ein Krug. Um den
runden Schildrand, auf dem dies dargestellt ist, laufen die
Worte: „In Gottes Dienste unverdrossen, i. Reg. vs. 30".
In dem Rundschild der Gegenecke ruht ein Mann halb
aufgerichtet unter einem Baume, ein Engel reicht ihm die
Alte Lissaer Grabdenkmäler. 117
Hand, wie um ihn aufzurichten; neben dem Baum steht
ein Gerät in Form einer bauchigen Flasche (Pilgerflasche?);
um den Rand die Worte: „Des Höchsten Sorge ein-
geschlossen 1. Reg. 19,5". In den unteren Ecken rechts
nimmt ein Mann Abschied von einer brennenden Stadt,,
um den Rand die Inschrift: „Durch Creutz und Trübsal
selig fort 2. Reg. 2,8", links ein knieender Mann, die Arme
ausbreitend, über ihm ein antikes Zweigespann in einer
Wolke; Randschrift: „geführet an den Freudenort
2. Reg. 2,ii.u Neben dieser Platte ist eine ganz ähnliche
eingemauert, sie zeigt in den oberen Ecken links eine
weibliche Figur auf einer Erhöhung sitzend, ein brennendes
Herz in der Linken, dazu die Worte: „Treu in ehelicher
Liebe"; rechts dieselbe Figur zum Himmel empor-
schwebend mit einem Kreuz im Arm, und die Worte:
rein in wahrem Glaubenstriebe". Unten links sitzt sie,
die Hände vor die Brust gepresst, neben ihr ein Hund (?),.
der Hintergrund ist unkenntlich. Die Umschrift sagt:
„voll Geduld in Creutz und Noth"; rechts sehen wir sie
mit einem Anker, den die Rechte umfasst, während die
Linke hoffnungsvoll und siegesgewiss ausgestreckt ist;
Inschrift: „fest in Hoffnung biss in Todt"
Die Pyramiden, hohe wie niedrige, setzen sich aus-
drei Teilen, Fuss, Kopf und Mittelstück, zusammen.
Letzteres ist das Hauptstück und enthält die eigentliche
Grabinschrift. Es besteht bei den niedrigen Pyramiden
aus einem vierseitigen Block, dessen Seiten meist nach
unten stark vorgewölbt sind, die geschweiften Kanten
sind entweder scharf oder abgerundet, glatt oder auch
bandartig verziert. Dieser Mittel block geht oben in einen
kleinen mehr oder weniger kubischen Kopf über, der bis-
weilen mit einfachen Kleeblättchen verziert ist und als
Aufsatz häufig eine eiserne Spitze trägt, sei es ein Kreuz
aus Bandeisen mit Eisenblättern, sei es ein Blumen-
gewinde oder ein zierliches Hufeisen, das aus einem
Blumenkelch von vier Eisenbändern oder zwischen zwei
Eisenblättern aufragt. Der Fuss ist meist sehr klein und.
schmal und ohne Sorgfalt gearbeitet.
Il8 Paul Voigt.
Weit zahlreicher als die niedrigen sind die hohen
Pyramiden, wovon auf dem reformierten Kirchhof in der
Nähe der Leichenhalle allein eine Gruppe von etwa 20
auf engem Räume zusammen steht. Dabei ist keine der
andern völlig gleich an Grösse und Ausführung, es sei
denn, dass sie, wie es vorkommt, ein Paar bilden, etwa
auf Gräbern von Ehegatten. Der Fuss ist auch hier
vielfach zu klein und schmal im Verhältnis zum Haupt-
teil, bei den schönsten jedoch besteht er aus einem
breiten kubischen Block von dem Ganzen entsprechender
Ausdehnung, auf dem das übrige sicher ruht. Das Haupt-
und Mittelstück stellt eine schlanke drei- oder vierseitige,
nach oben ein wenig sich verjüngende Pyramide mit
ebenen, selten flach ausgehöhlten Seiten dar mit geraden,
•teils scharfen teils abgerundeten, glatten oder mit Band-
oder Blattwerk, auch beiden, verzierten Kanten und geht
entweder mit deutlich gekennzeichnetem Absatz oder
ohne solchen mit Rokokoschnörkeln in den Kopf der
Pyramide über, der die verschiedensten Gebilde aus
Stein oder Eisen trägt: Adler, Fruchtaufsatz, Tannen-
(Pinien-)zapfen, Pilzartiges, Krone mit Eisenzierat, Kugel,
Kugel mit Lamm, das eine Fahne trägt, ein flammendes
Dreieck, ein beflügeltes und brennendes Herz, Krone,
-darauf ein Baumstumpf (?) mit Anker, Kugel mit eisernen
Flammen nach zwei Seiten und nach oben, ein eisernes
Flammenkreuz, ein Pelikan mit drei Jungen an der
Brust, Knochen mit Schädel in natürlicher Grösse.
Zwischen Fuss und Mittelstück befinden sich häufig an
den vier Ecken Totenschädel, an deren Stelle bei den
jüngeren, der Rokokozeit sich nähernden Denkmälern
Engelsköpfe treten; auf diesen erscheint die eigentliche
Pyramide ruhend. Vereinzelt sieht man an dieser Stelle
ein Spruchband oder ein mit Inschrift versehenes Tuch,
das über die Schädel gebreitet ist. Auch eine zweiseitige
Pyramide findet sich vor.
Von andern Denkmalsformen ist auf dem reformierten
Kirchhof- nur eine vorhanden: eine grosse schöne vier-
kantige Vase (Taufbecken), an den abgerundeten Kanten
Alte Lissaer Grabdenkmäler. 119
mit Blattornamenten verziert, an den oberen Ecken vier
Schädel; der Deckel schliesst oben mit einer grossen
Kugel mit zwei Griffen. Auf dem äusseren evangelischen
Kirchhof liegt ein grosser Marmorblock mit gewölbter
Schriftseite, der von einem früher im inneren Kirchhof
angebrachten, eine Kanzel darstellenden Denkmal her-
rühren soll.
Nun zu den Inschriften selbst. Ausser dem Bericht
über den Toten finden wir Bibelsprüche und Leichen-
text, diese bei den Pyramiden gewöhnlich an Kopf und
Fuss. Die Sprache ist durchweg deutsch, nur zwei
lateinische sind vorhanden, von einzelnen lateinischen
Sprüchen abgesehen. Die Schrift, meist eingegraben,
selten erhaben, ist, was Sorgfalt und Schönheit der Aus-
führung betrifft, sehr verschieden. Die Rechtschreibung
bewegt sich durch alle Stufen vom Richtigsten bis zum
Fehlerhaftesten. Wortschatz und Grammatik zeigen
neben dem Gewöhnlichsten manche Seltenheit und Alter-
tümlichkeit. Der Stil ist bald schlicht und trocken, bald
ergeht er sich in gefühlvoller, poetischer, blumiger,
schwülstiger Redeweise, in Versen und in Prosa.
Die Hauptinschrift erzählt nicht bloss, was die Nach-
welt von den Toten erfahren soll, sie deutet häufig auch
an, wer das Denkmal gestiftet hat. Da heisst es am
Anfang oder am Schluss: Liebe Treu kindliche Flicht
haben diss Denkmal auf gericht — Aus treuer Lieb und
Freundschafts Pflicht hat dieses Denckmahl aufgericht —
Denkmahl zärtlicher Liebe einer treuen Ehegattin — Aus
herzlicher Liebe stifftete der wohlseel: diss Denckmahl
ihr Ehe-Herr — Was Mutter Lieb gethan, zeigt dieses
Grabmahl an A. B. A. 1757 — Gestifftet aus mütterl. Liebe
ihrer gehors. Tochter — Nahe an diesem Steine ruhen
die Gebeine eines rechtschaffenen Mannes, dessen Asche
sein gel. Sohn durch dieses Denk-Mahl bei der Nach-
welt ehret — und endigte zu grosser Betrübniss seiner
Gattin, die ihm dis Denckmal nebst den Kindern stiftet,
seinen Lauf nach einer harten Niederlage — Dero einige
Fr. Tochter hat dieses Grab und Ehren Mahl ihrem oben-
120 Paul Voigt.
gedachten Hr. Pflege Vater zu rühmlichen Andenken setzen
lassen Ao. 1716 — Jesus Christus A. u. O. Ehren-
Gedächtniss, welches die dankbare kindliche Liebe zum
unvergeßlichen und gesegneten Andencken einer wohl-
verdient und treuen Mutter errichtet — Ihr Gedächtniss
ist in Frieden und dieser Stein zeuge, dass eine tr. Mutter
ihres lieben Kindes nicht vergessen kan.
Auch in Einleitung und Schluss zeigt sich der
bunteste Wechsel. Wir lesen: Ehrengedächtniss des — ,
Alhier ruhen zwey christliche Eheleute — , Denckinahl
der Ruhestätte des — , Grabmahl, wobey ruhen die Leiber,
— Dis Denckmahl bezeichnet das Grab eines wahren
Christen — , Hier liegt der Kummer zärtl. Eltern — , Hier an
diesem Grabe ruhen die verweseten Gebeine rechtschafner
Christen und beglückter Eltern — , Hier hat das sterbliche
gewünscht von sich abgelegt — , Hier hat sich zur Ruhe
geleget — , Hier ist bey geleget das sterbliche Theil — ,
Allhier (Unweit von hier — ), Bey diesem Epithaphio ruhet
der entseelte Cörper — , An diesem Denckmahl ruhet die
sterbliche Hülle eines guten Menschen — , Die im Leben
getrennete 3 Schwestern aus dem hochadelichen Dziem-
bowskischen Hausse hat der Todt anhero zusammen
gebracht. — Dieses Denkmal der Liebe decket den
sterblichen Teil einer Unsterblichen — , Hier geniesset die
sichere Ruhe das irdische Theil — , Diese hier auff-
geworffene Gräber beschliessen die Asche einer Mutter^
ihrer Kinder — , Nicht weit von dieser State bedecket die
Erde das Grab und die entseelten Gebeine eines treuen
und zärtlich liebenden Ehefreundes und Vaters — , Hier
ruhen nach vieler Unruhe die Gebeine — , Hier erwarten
der fröhlichen Auferstehung die Gebeine eines frommen
Alten — , Wessen dieses Bildniss sey, lehret folgende
Unterschrifft nehmlich — , Hier soll der Stein ein Grabmahl
seyn — , Von den Altvätern hiess es schon: Und er
starb, Also auch — , Wohl dem, der im Leben an den
Todt gedenkt, das that — , Bleiche Sterbensgedanken
hegte in ihrem Leben — , en coelestis academiae
membrum! /
Alte Lissaer Grabdenkmäler. 121
Oft wird der Vorübergehende angeredet: Hier
findest du mein Leser ein Denckmahl 5 lieber Kinder
— , Schaue Wanderer: Vor diesem Grab Steine bedecket
die Erde — . Er wird zur Mitklage aufgefordert: Wanderer,
stehe still, u. weine Thränen des Mitleids mit einer
betrübten Wittwe und mit verlassnen Waysen, welche
den schieinigen u. unvermutheten Tod ihres Geliebten
Ehe-Gatten und zärtlichen Vaters beweinen — , oder er
wird an die eigne Sterblichkeit gemahnt: Stehe Pilgram
und bedencke, dass dich auch treffen wird zuletzt der
Tod, welcher bey spätem Abend ihres Lebens zur Ver-
wesung anhero gebracht hat das Sterbliche christl. Ehe-
leute, nahmentlich des — ; Sterblicher, beäuge diese Denck-
mahle, so wirst du wahrnehmen, dass der Todt keine
Person ansiehet. Hier findest du Gross-Eltern einer
sämmtlichen Schwesterschafft, so theils, ohne die Welt zu
sehen, theils unmündig, theils in der besten Blüthe ihrer
Jahre, zur Verwehsung gelanget, da zuletzt bey dieser
Denck- Säule das Sterbliche abgeleget — . Auch über
etwas, das dem Vorübergehenden auffallen könnte, wird
Aufklärung gegeben: Wundere dich nicht Leser, dass
diese Ehren Säule nicht allein der weyl. Tit. Fr. Elisabeth
Anderschin gebohrne Seydlin, sondern auch ihrem ge-
liebten Ehegatten, dem weyl. Tit. Hr. Samuel Andersch
gewesen Bürger und Tuchmachern allhier wie auch Erb-
vk Gerichts Scholtzen in Striessewitz, zum Gedächtniss
auf f gerichtet, da sie nur allein hier ruhet, er aber
unter seiner Gemeine. Derselbe Stein hat am Schluss
einen bedenklichen Gruss an den Leser: Sie gingen
stets der Fromen Lauff, drum nahm sie Erd und Himmel
auff. Lebe wohl Leser und folge ihnen nach. Ein
anderer Schluss mahnt: Gedenke Leser bey seinem Grab
an den Todt und erwarte ihn wachend. Natürlich fehlt
es auch nicht an der lateinischen Mahnung: Memento mori,
mit und ohne Übersetzung. Dafür heisst es auch: discite
mortales vivendo mori oder Beati in domino morientes.
In ihren Mitteilungen über die Toten sind die
Inschriften meist sehr ausführlich. Ausser den Namen des
122 Paul Voigt
Toten gibt der Bericht auch die des Ehegatten, oft noch die
der Eltern, wir erfahren von den Kindern und ihren Gatten
und von den Enkeln. Die Daten der Geburt und des Todes,
letzteres öfter auf Stunde und Viertelstunde, häufig auch
das der Verehelichung, werden gewissenhaft angeführt
Ferner wird der ganze Lebenslauf, Taten und Charakter
in Kürze geschildert, von der Jugend und Erziehung, von
Reisen und Schicksalen, vom frommen Wandel und den
Tugenden des Verstorbenen als Gatte, Vater, Sohn,
Schüler, von seinen Verdiensten, Titeln und Würden als
Bürger und Wohltäter wird getreulich berichtet, auch wohl von
seiner letzten Krankheit und seinem schweren Sterben : also
meist ein Auszug des Lebenslaufs, wie wir deren in den alten
gedruckten Leichenreden jener Zeiten finden. Nicht immer
ist alles zusammen, die Inschriften sind hierin so verschieden
wie die Denkmäler in ihrer Form und Einzelausführung,
immer so viel, wie der Raum hergeben wollte. Und wem das
nicht genug ist, der wird auch einmal an die noch
Lebenden zu genauerer Erkundigung verwiesen. So
heisst es in einer Lobrede auf eine junge Frau, die auf
dem reformierten Kirchhof der Auferstehung wartet: „Wiltu
was mehres wissen von dem christl. gottsfürtign u. ver-
träglichn Verhalten dieses im Himmel versetzten Tugend
Bildes, dasselbe findestu rühmlich einge . . . het in den
Gemütter der in hiesiger Stad noch lebenden. . .*
Wären uns keine andern Urkunden über die Ver-
gangenheit Lissas und über seine alten Bewohner erhalten
so könnten wir uns nach diesen Grabdenkmälern einiger-
massen ein Bild machen. Zwar nicht von der äussern
Geschichte der Stadt; darauf deuten nur wenige Bemer-
kungen hin, wie wenn auf einer Säule des evangelischen
Kirchhofs von „mancherlei Unruhe bey Krieg und Pest*4
(gemeint ist der schwedisch-sächsische Krieg von 1707,
wo Lissa zum zweiten Male in Flammen aufging) die
Rede ist, oder wenn ebenda der „Contagion" gedacht
wird, die 1709/10 Tausende der durch die voraufgegangene
Zerstörung der Stadt eben schwer geprüften Einwohner
hinraffte. Darauf spielt auch die Grabschrift der Frau des
Alte Lissaer Grabdenkmäler. 123
Bürgermeisters und Kaufmanns Queisser an, die ihrem
Manne 17 10 „in grosser Unruhe des Landes ehelich anver-
traut wurde." Auch Hesse sich wohl die Darstellung der
brennenden Stadt auf einer oben beschriebenen Platte auf
die Zerstörung Lissas deuten. Von mancherlei Wechsel
und Veränderung, von vielem Kreuz und Not reden
mehrere Inschriften, doch lassen sich diese allgemeinen Aus-
drücke ebenso gut aus persönlichen Erlebnissen erklären.
Mehr als von den äusseren Schicksalen der Stadt
erfahren wir von der Herkunft und Nationalität der
Bürger, dem Handel und Gewerbe, den Formen der
Zunftverfassung und Stadtverwaltung, den Bildungs- und
Wohlfahrtsanstalten u. dgl. Wir finden zwar mehrere
Namen von polnischen Edelleuten auf dem reformierten
Kirchhof, wie Bronikowski, Dziembowski (in Verbindung
mit dem deutschen Namen v. Unruh), Bukowiecki
Miel^cki, Potworowski, v. Sadova-Nieszkowski, Kurnatowski ;
aber nirgends aus polnischer Zeit eine polnische Inschrift,
solche fand ich nur an einem Erbbegräbnis auf dem
reformierten und eine auf dem evangelischen Kirchhof,,
beide aus preussischer Zeit. Sonst sind die Inschriften
durchweg deutsch, und deutsch sind, abgesehen von den
genannten, die Namen der Toten und ihrer Anverwandten^
von denen manche aus anderen Urkunden bekannt^
manche noch heute unter den am Orte Lebenden gefunden
werden. Reformierte: Adelt, Andersch, Arnold, Bardker
Bahr, Bertram, Böhn, Bruntzel, Cassius, Epaenetus, Fels-
mann, Ferguschyll, Gabel, Giering, Glabisch, Greulich,.
Gumprecht, Gutschwager, Handke, Hartmann, Held, Hübel^
Karause, Kirste, Klose, Körber, Kuntze, Lange, Leissner,.
Leissnitzer, Liebezeit, Meissner, Mielisch, Neumann, Pusch-
mann, Queisser, Papmahl, Rauhut, Reichel, Riebe, Roon,
Rüdiger, Schäffer, Sehende, Schöps, Schrinner, Seydel,.
Siebenhar, Stiller, Stock, Vetter, Vigilantius, Wandelt,.
Woide, Zimmermann, Zippel, Zugehör1). Evangelische:
x) Ihrer Konfession nach sind von diesen einige lutherisch
gewesen, da der reformierte Kirchhof lange Zeit von den Lutherischen,
mitbenutzt wurde.
124 Paul Voigt.
.Arndt, Bluhm, Boeckelmann, Braun, Eichler, Crell, Fritsch,
Gabel, Goldammer, Grundmann, Günther, Heinrich,
Heintze, Hoyer, Jäckel, Kahl, Keyl, Köhler, König, Krug,
Kutzner, Lauffer, Liehr, Logan, Mielisch, Müller, Münkeler,
Nelle, Opitz, Pfängler, Pfitzner, Prüffer, Renner, Schmekel,
Schneider, Scholtz, Schröter, Siegemund, Sonntag, Stein,
Thiel, Tiessler, Thomas, Vogel, Wandre}', Wehner,
Wentzel, Wild, Woide, Wollmann, Ziepke.
Dass Lissa eine Kolonistenstadt und zwar eine
grösstenteils von Schlesiern emporgebrachte und durch
schlesischen Zuzug deutsch erhaltene Stadt war, beweisen
.auch diese Steinzeugen, die uns als auswärtige Geburts-
stätten ihrer Toten angeben: Guhrau, Freystadt, Kunern
in Schlesien, Kuntzendorf in Oberschlesien, Liegnitz,
Breslau, Koben, Haynau, Glogau; aus der Provinz Posen
Fraustadt, Bojanowo, Schmiegel, Sarne, Schlichtingsheim;
aus entlegneren Gegenden Marienwerder, Bahrenbusch
bei Neustettin, Hirschfeld in Hessencassel, Alten Bruch
im Lande Hadeln.
Ihre Geschäftsreisen führen die Lissaer Bürger nach
allen Gegenden Polens und Deutschlands und darüber
hinaus. Junge Männer lernen das Kaufmannsgewerbe in
Lublin, Warschau, wo ein junger „der Handlung Be-
fliessener auf der Leszno1)" begraben wird, andere studieren,
nachdem sie das berühmte Lissaer Gymnasium durchlaufen
haben, in Frankfurt und auf der Königlichen Akademie
in Berlin oder unternehmen zu ihrer Ausbildung Reisen
bis nach Holland, Frankreich und Portugal.
Die in keiner Inschrift fehlenden Titel, Würden,
Ehrenämter, Berufsbezeichnungen geben eine deutliche Vor-
stellung von dem reichen Leben in Handel, Gewerbe und
Wissenschaft der Altlissaer ßürger. Mehr als die heutigen,
auch jetzt noch gedeihenden Gewerbe der Bäcker, Fleischer,
Schuhmacher, Klempner, Kürschner, Sattler, (Mälzer und)
Brauer finden wir solche vertreten, die heute nur wenig
oder garnicht mehr am Orte vorhanden oder doch bei
x) Vorstadt in Warschau.
Alte Lissaer Grabdenkmäler. 125.
weitem nicht mehr von der alten wirtschaftlichen und
sozialen Bedeutung sind, wie Müller, Tuchmacher, Kauf-
und Handelsmänner bezw. Herren, Kunst-, Waid-, Schwarz-
und Seh önf ärber, Seifensieder, Posamentierer, Goldjuweliere,
Büchsenschmiede und Pulvermacher, Hutmacher, Waffen-
schmiede, Weiss- und Semischgerber, Chirurgen (Bader).
Der Gelehrtenstand ist vertreten durch Gymnasiasten,
Rektoren, Pastoren, einen Superattendens ecclesiarum reL
per Maj. Pol., einen Generalsenior der ev. luth. Kirche und
in Grosspolen, Pastor der Kirche und Inspektor der
Schule zu Lissa, ferner durch einen Medicinae Doctor und
Practicus bey der Stadt, ein Philoso. et medic. Doctor und
Stadt-Physikus. Von nichtstädtischen Beamten findet sich,
ein Kgl.poln. Sekretär und Postmeister zu Fraustadt und
Lissa, ein Kgl. Domänenpächter, ein „Hochadeliger poln».
Güterarendator" und „Sr. Kgl. Mayst in Pohlen Hoch-
verordn. würklicher Kammer und Hoff Rath".
Zahlreich sind die Ehrenämter, welche die Inschriften
neben der Bezeichnung als B. (Bürger), B. bey der Stadt
und neben der Berufsangabe nicht versäumen aufzuzählen.
Da erscheinen die Ältesten, Neben- und Oberältesten,
die Geschworenen der Zünfte oder Mittel aller oben an-
geführten Gewerbe; da ist ein Oberältester der Seifen-
sieder „dieses Kreises", ein Schuhmacher ist Oberältester
der Zunft der Mälzer und Brauer. Da finden wir von
städtischen Ämtern Bürgermeister, Senioren des Rats,
Ratsälteste, Ratsassessoren, einen J. U. C. und des Rats-
collegii Assessor, Ratsverwandte, einen Magistratssenior,
einen Stadtrat, einen ältesten Assessor des Gerichtscollegii,
einen Stadtvogt, einen Gemeindeältesten bey der Stadt;
und auch von Lissadorf einen Gerichtsscholzen auf der
Leszczynke sowie einen Gerichtsscholzen von Striesewitz.
Von kirchlichen Gemeindeämtern sind vertreten : Vorsteher
der luth. Kirche, Kirchenälteste bei der ev. luth. Ge-
meinde, Kirchenälteste der ref. Gemeinde, Kirchenvater
der ref. Gemeinde, Vorsteher des Lazaretts, Vorgesetzter
der Stadt und der ref. Gemeinde, Hospitalsvorsteher zu
St. George.
126 Paul Voigt.
Mannigfaltig wie Ämter, Stand und Würden sind
auch die Titel der Verstorbenen, die meist ausdrücklich
angeführt oder doch durch ein Tit., Tit. pl. x) oder pleniss.,
Tit. deb. (iti) respektvoll angedeutet werden. Da ruht
neben dem „alten, dem ehrbaren und geachteten, auch
ehrengeachteten, namhaften, vorsichtigen, ansehnlichen,
wohlgesehenen, ehrenwohlgeachteten, höchstens noch
berühmten und kunstreichen oder kunsterfahrenen Hand-
•werkmeister der vornehme und weitberühmte Kauf- und
Handelsmann, der hochberühmte Pulvermacher, der hoch-
meritierte Bürgermeister, Senior E. W. E. Rats, der wohl-
bestellte Gemeindeälteste bei der Stadt, der wohlmeritierte
Gerichtsassessor, wohlverdiente Kirchenälteste, der hoch-
edle, wohlweise und hochbenamte Herr, vornehmer des
Rats und der Kirche Ältester; neben dem edlen, ehren-
festen, wohlweisen und wohlbenamten Herrn X., hiesiger
Stadt ansehnlichem Ratsverwandten der hochedelgeborene,
hochgelehrte und hocherfahrene Herr Herr Y., Dr. medicinae
und Stadtphysikus und der hoch- und wohledle, hoch- und
wohlgelahrte Herr Rektor sowie der hochwohlgeborene
(adlige) Herr. Auch Frauen, Jungfrauen und Junggesellen
entbehren des ehrenden Titels nicht: neben dem ehrbaren
und namhaften Junggesellen hat die ehr- und tugend-
same, die ehrbare „viel sitt- und tugendgelobte" Jungfrau
ihre Ruhestätte gefunden. Und die Frauen werden gerühmt
als wohlgeborene, ehrbare, „viel ehr- und tugendbegabte0,
.„hoch ehren reiche an Sitten und Tugend edele".
Aus der grossen Menge Inschriften lassen wir nun
eine Auswahl von solchen folgen, die teils zur Bestätigung
und Ergänzung des Gesagten dienen mögen, teils durch
Form oder Inhalt irgendwie bemerkenswert sind, und
beginnen mit den gereimten. Die einzige Inschrift dieser
Art auf dem reformierten Kirchhof, zugleich die älteste
und umfangreichste der gereimten überhaupt, findet sich
auf einer das Grab noch heute deckenden Sandsteinplatte,
die der „Tit. Fraw. Anna Sofia Woidin gebohrene(n) Felss
*) Titutis pleni.
Alte Lissaer Grabdenkmäler. 127
Mannin" gewidmet ist, welche „nachdem sie Jungfraw 18:
ehlich ein Jahr, Mutter isTage, zusammen 19 V2 Jahre gelebet,
legte (sie) hier nieder, was an ihr sterblich war. Ao 1676
den 18. Dezember". Die Verse lauten:
Steh Wandersmann.
Lass diesen Stein dich lehren,
Dass sich die Tugend selbst nicht kan
Des grimmen Todes Macht erwehren.
Hier ruht ein Weib. Fragstu nach ihren Jahren,
Sie war von dehm, die noch Berg auff hier gehn
Und sollen erst am Gipfel stille stehn.
Doch war sie schon an Tugend hochgefahren.
Und übertraff mit der der Jahre Lauff,
Drum nahm sie auch der Höchste zeitig auff.
Zwar war ihr noch das Leben hir zu gönnen,
Umb dass sie hätt ein Muster geben können
Von Tugend, Zucht, von Sitt und Freundlichkeit :
Auff diese war von Jugend sie beflissen,
Es lasset dis ihr schöner Nähme wissen,
Dehn sie mit Recht geführt in dieser Zeit.
Nun, sie ist hin. Es ist umb sie gethan.
Ach dass doch auch die Tugend sterben kan:
Doch huldiget die nicht der finstern Erden.
Der schöne Geist hat müst ein Engel werden
Und einen Platz im Paradiese haben.
Es lieget nun ihr Cörper hier begraben.
Ihr Ehmann liess die Neben Stell ihm offen.
Doch nun er hat ein ander Lager troffen,
So ruht sie hier allein
Er ehret sie mit diesem Stein
und wünschet Beyden wol
? J. F. P. W. ? ? N. S.
(Ruhet in Frieden Peter Woide Anna Felsmann.?)
Die übrigen gereimten Inschriften finden wir auf den
beiden evangelischen Kirchhöfen. Seiner ersten 1701 ver-
storbenen Frau, deren Bildnis einst das Medaillon („Wessen
dieses Bildniss sey, lehret folgende Unterschrift") der Platte
128 Paul Voigt.
ausfüllte, widmete der „vornehme Kauff und Handelsmann
Gerichts Assessor und Kirchen Elteste Hr. Adam Fritsch"
nebst dem Lobe, dass sie „dass gutte Zeugniss wahrer
Gottesfurcht, beständiger ehelichen Treue, mütterlicher
Sorgfalt für ihre Kinder, standhaffter Gedult in vielem
Creutz und Christi: Bereitung zum seelig Ende verliess",
den kurzen Vers:
Wer also stirbt, dem steht der Himmel offen,
Und kan getrost die Auferstehung hoffen.
Seiner zweiten aus dem um die Kreuzkirchengemeinde
hochverdienten Geschlecht der Goldammer stammenden
Frau, seiner „Liebsten Abigail andern Ehe", deren Bildnis
er ebenfalls im Medaillon der Nachwelt zu zeigen für
würdig hielt, setzte er, als sie ihm im Pestjahr 1709 starb,
die Worte auf den Grabstein:
Du schiäffst o Seelige bey diesen Grabesteinen,
Wir aber müssen hier noch viele Noth beweinen.
Dem Stifter des St. Georgenhospitals, nach dem heute
noch eine Gasse der Stadt vermutlich ihren Namen hat,
dem Kaufmann Georg Stoltze und sich selbst, setzte seine
Ehefrau ein prächtiges Marmordenkmal in Form einer
Kanzel mit der Inschrift:
Die schnelle Zeit verfleucht [u.] schreibet gleich wol an,
Wer wir gewesen sind und was wir hier gethan.
Sie zeigt mit dieser Schrifft:
Von Tit. Hrn: George Stoltzen des Raths und Kirchen-
Eltesten wie auch berühmten Kauffmann in Lissa
Durch ein lts Hertz
Wie sehr sein Krone und werthen Ehe-Schatz
Tit. Frauen Anna A Stoltzin gebohrne Walterin
Und sie hinwieder ihn biss an den Todt geliebet.
Doch war sein Sinn noch mehr zu seinem Gott gericht
Drumb Hess sich als ein schönstes Liecht das Muster
wahrer Frömmigkeit
Durch . . . und Geduld in seinem Leben sehen
Durch hertzliches Erbarmen durch Wohlthat an den Armen
[So hat] er seinen Lauff auf 55V2 Jahr und etwas
drüber bracht.
Alte Lissaer Grabdrnkmäler. 129
[Ihm] ward sein Lagerstat zu einer Todtenbaar Ao 1702
d 20. Septbr.
[Nun] ruht sein Cörper hier mit vielem Ehe-Seegen,
[Wo ihm dereinst] sein Schatz sich wird zur Seite legen.
[Die Seele ist] aber im Himmel seelig aufgehoben.
Wie hier so sind auch bei den nächstfolgenden
Inschriften die Namen und Titel, die Daten der Geburt
und des Todes ohne Reim zwischen die Verse geschoben,
so auf den zwei zusammen gehörenden in die Südmauer
der Kreuzkirche eingelassenen Platten, die wir oben wegen
der allegorischen Eckdarstellungen mit umgebenden Versen
ausführlicher beschrieben haben. Auf dem grossen Mittel-
schilde der ersten Platte lesen wir in schöner deutlicher
Schrift:
Hier ruht dem Leibe nach, der wie Elias lebensmüde war,
Tit. Herr Elias Müller, ansehnlich gewesener Bürger
und Färber allhier,
sein Leben, das ihm Gott gegeben,
in Bojanowo Ao 1665. d. 4. August:
und sein vergnügter Ehestand
mit Tit Frau Rosina gebohrner Pfänglerin von A<> 1687 an,
die gaben ihm viel Anlass an die Hand,
des Höchsten Treue zu erheben.
Er ehrte Gott, sein Hauss, und lässt den Ruhm zurücke,
dass Gottes Furcht und Redlichkeit
Ihm stets von Hertzen lieb gewesen:
die allerletzte Lebens Zeit
die brachte er mit grossem Schmertz und Krankheit zu,
doch ein erwünschter Todt
Ao 1726 d. 14. Nov seines Alters 61 Jahr, 3Monath, 10 Tage,
der theilete die Jordans Wasser seiner Leyden
und brachte ihn zur Ruh
und zu des Himmels Freuden.
Indess will seinem Angedenken,
die so sein halbes Hertze war,
mit diesem Leichenstein
das letzte Zeugniss ihrer Treue
schenken.
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Prov. Posen. Jahrg. XX. 9
130 Paul Voigt.
Die Inschrift auf dem grossen Mittelschilde der
Schwesterplatte lautet;
Ein treuer Ehe-Schatz liegt hier dem andern an der Seite,
Tit Fr. Rosina Müllerin geb. Pfänglerin,
Vom Anfang Ihres Lebens an,
so geschehen in Koben Ao 1667 d. 26. M ,
Verband sie sich mit ihrem Gott,
ihm stets im Glauben treu zu sein.
In ihrem Ehestande
mit Tit Herrn Elias Müllern, ansehnlichen Bürgern und
Färbern allhier, von Ao 1687,
War redliche und reine Liebe,
in Wohl und Weh stets unveränderlich.
Ihr Creutz u. ihren Wittwenstand
Von Ao 1726,
Ertrug sie mit Geduld und in Gelassenheit,
biss das sie endlich überwand,
Und alle Noth im Tod ein fröhlich Ende fand,
So geschehn Ao 1744, ihres Alters — J. 5 M 4 T.
Die Hoffnung hat sie nun auch noch im Grabe,
dereinst mit ihren Eh-Schatz aufzustehn
und an den Ort der Freuden ein zu gehn.
Derselben Form begegnen wir auch auf zwei niedrigen
Pyramiden des äusseren evangelischen Kirchhofs:
Hier ruht in ihrer Kammer
Ohn allen Jammer
Fr. Anna Regina geb. Arndten.
Sie sah das Licht der Welt
1684 d. 3. Apr.
Und nahm in ihrer Jugend
An Alter zu und auch an Tugend.
Als sie in Stand der Ehe trat
171 1 d. 16. Jan. mit Hr. Michael Bluhm, ansehnl: B: u. der
löbl: Zunfft d. Sattl. Ober Elt, auch Kirchen Vorst. d. Ev. Ge.
Den sie vergnügt geführet hat
26 Jahr 6 M 3 Wochen,
So erfreute ihre Seel
Ein einiger Sohn Samuel.
Alte Lissaer Grabdenkmäler. 131
Sie hat in dieser Welt
ihrVertraun auf Gott gestellt.
Er war ihre Lust u. Freude
in Angst und Leide,
Biss ihr der Tod das Leben nahm
1737 d. 11. Aug.,
wodurch sie aber zur volkommen Freude in den Himmel kam,
nachdem sie ihr Alter bracht auf 53 J. 4 M. 7T.
Ein wahrer Christ
suchet das, was droben ist.
Daher ist seine Liebe zu Gott gericht,
deren sich die Seelige beflissen.
Ihr Wahl Spruch war:
Christum lieb haben ist besser, den alles wissen.
Darum ist ihr mühsames Leben u. Tod zur sanften Ruhe
worden. Sie wird wieder aus dem Tode erwachen u. das
ewige Leben antreten, da sie ihren Heiland lieben wird
in Ewigkeit.
Der Kopf der Pyramide trägt die Inschrift, die wie
die Hauptinschrift auf alle vier Seiten verteilt ist:
Meinem Gott hatt ich
Mich in allem gantz ergeben,
Der hat mich auch aus aller Noth
Geführet durch einen sanfftenTod.
Echte Handwerkspoesie mutet uns erfrischend naiv
und originell auf einer andern kleinen Pyramide desselben
Kirchhofs an:
Sterblicher geh nicht vorbey,
Liess vorher, was dieses sey.
Nah bey dieser Pyramide
Schiäfft ein kleines Par in Friede.
Es bedecket dieser Stein
Einen Sohn u. Töchterlein
Nathanael u. Christina Elisabets Babein (?).
Das liebe Söhnlein hiess
Mit Recht Nathanael,
denn wars ein Schmerzens Riess,
Als dessen seine Seel,
132 Paul Voigt.
ein Kind, das hier zur Lust
Der Eltern ward gebohren
A. 1740 d 10. Mai,
Sie durch Verzehrung nun
Schon wiederum verlohren.
(Datum)
Das liebe Töchterlein
war auch kein geringes Letzen,
Es solte jenen Riess
den Eltern Par ersetzen.
Allein sein schöner Nahm:
Sie hiesse Christin Liesel,
Ward hier nicht lang gehört,
Es kam ein weises FrieseL
Sie war kaum auf die Welt
Kurz vorher gekomen,
1742 d 29. No.,
So ward sie durch den Tod
Den Eltern schon genommen
1742.
Tit. Herr Christian Leberecht
Und zugenahmet Gabel,
Der schwartz schön künstlich färbt,
lyitfärbt seinToden Nebel
Mit seinem Ehe Schatz,
Frau Anna Rosina Nellen,
Da sie der Kinder Tod
Sarg und Grab hiess bestellen.
Auf zwei hohen Schwesterpyramiden des äusseren
evangelischen Kirchhofs, die einer Frau Schmekel und
ihren 8 Kindern gewidmet sind (die Prosainschriften teilen
wir ihrer Eigenart wegen später mit), zieren Kopf und Fuss
die Verse auf die Mutter:
Hier soll der Stein ein Grabmahl seyn,
... in der Freud u Leid
. . Kindes Not gebahr hier gar den Tod
Alte Lissaer Grabdenkmäler.
Auf vierzehnjährige Ehe
Bracht hier der Tod viel Wehe.
Der Leichen Text war Gottes Wille,
Zu Gott ist meine Seele stille. Ps. 6 v.
Und auf eine siebenjährige Tochter:
Heute roth Morgen tod:
Im Himmel oben wohl aufgehoben.
Als mit einer Leichen-Predigt war diss selige Kind 1
Muste diese Himelsbraut diesen Spruch zum Tex
Ps. 6 v. io.
Leichen-Text: Ich freue mich im Herrn
Seele ist frölich in meinem Gott, wie eine Braut
Geschmeide b erdet.
Auf ein einjähriges Brüderchen gehen die '
Schon bald im i ten Jahr
kam meine Todtenbahr —
Ich geh ins Grab, doch Johann Ernst soll le
Und wenn Gott will, noch lange Trost uns g
Und von 3 früher gestorbenen Geschwis
„nicht weit von hier . . . auf dem Kirchhofe
Kirche" (dem inneren) ruhen, lautet die kurze K
Drey dort hegrabene Herzen
Erregten 3 mahl Schmerzen.
„Von diesem Kleeblatte wurde zum 3 fachen S
der Eltern ein Jahr nach dem andern ein Blat at
dort ligen sie verwelcket, doch im Frühlinge al
der Sterblichen grünen ihre Gebeine ewig wiede
Eine andere hohe Pyramide zeigt in weit!
baren Buchstaben den Vers:
Glauben, Hoffnung und Geduld
Uebte diese Frau in Zeiten,
Und die Liebe konnte Sie
In die Ewigkeit begleiten.
Eine Platte aus neuerer Zeit (181 2) gebe
schluss der gereimten Grabinschriften:
Ruhe wohl du theurer Gatte,
Schlummre aus in deiner Gruft,
134 Paul Voigt.
Bis des Welterlösers Stimme
Dich zum neuen Leben rufft.
Unser Auge thränt um dich,
Doch beym frohen Auferstehen
Werden wir, o schöner Trost,
Dich dereinstens wiedersehen.
Von den vielen Prosainschriften möge die einzige
umfangreiche lateinische des Seniors der ref. Gemeinde
Adam Samuel Hartmann, der den Lesern dieser Zeitschrift
durch sein Tagebuch1) bekannt ist, voran stehen. Hartmann
hat 1690 Lissa verlassen und ist 1691 auf einer Reise
nach England in Rotterdam gestorben und wohl auch
begraben. Wir haben es hier nicht mit einem Grabstein»
sondern mit einer noch bei seinen Lebzeiten ihm gesetzten
Gedenktafel zu tun.
D. O. M. et angelo eius custodi ossium, sub et ex
hoc saxo mortem ante mortem et vitam ante vitam medi-
tatus est vivus adhuc et respexit Adam Samuel Hartman
s. th. d. et ecclesiarum ref. per Maj. Pol. superat, qui in vita,
quid esset vivere, in morte, quid esset mori, non sensit,
quem satis laudabit, qui verum dixerit.
Is A.[R] O. MDCXXVU d. 7. Septembr. vitam, sexto
post mense exilium orsus est, novercanti patriae eripiendus,
ut matri servaretur ecclesiae, cuius filius exstitit et pater.
Relata plurimorum annorum indefessis sudoribus de
omnibus fere Europae regionibus et academiis linguarum
et sententiarum spolia aerario domini intulit, id demum vivere
ratus, deo vixisse et ecclesiae, ab anno aet XXIII. ita v. <L
ministerio functus est, ut disertissimo praeconio innocentem
vitam pingens et quod disceret et quod imitaretur, gregi
Christiano proponeret. Sed mortuus etiam concionabitur.
Commiss[um] dein sibi a supremo nauarcha clavum
cum magno gloriae divinae incremento vigilantissime rexit
Vtramque iTtloxoTvrjv administravit ut ad labores natus
respiraret, cum relliquiae evangelij exspirare viderentur>
nunquam otiosus. Jam veneranda canities post Herculeos
!) S. diese Zeitschr. XIV. XV.
Alte Lissaer Grabdenkmäler. 135
exantlatos sudores ad placidam quietem sese componens
eum disponit, ut ad quod imminentem coeli scalam
praestoletur.
I lector et quae lapis iste non capit, alibi quaere
vel ab exteris. Hoc me vivo adhuc et plo . . . [nejscio
ubi terrarum ossi[bus] suis quies designata sit. Hie
D. E. I. P.
Deutsch, aber in demselben schwülstigen Barockstil,
der für die 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts charakteristisch,
vermutlich von Hartmann selbst, ist eine Doppelplatte
beschrieben, die zwei Verwandten Hartmanns gewidmet
ist, nämlich seiner zweiten Frau Barbara, einer geborenen
Vigilantius, und deren Tochter aus erster Ehe mit Pastor
Daniel Epaenetus.
Von Frau Barbara Hartmann heisst es: „Wanders-
mann, bin ich gleich kein teurer Monitor, sehe mich doch
an wegen der Kostbarkeit, die hier beygeleget, dieser schlechte
Stein bedecket einen edlen Tempel Gottes, ein geschmücktes
Wohnhaus der Tugenden, ein preiswürdige Schule einger
Wurthligkeit, ein allgemeine Allhaus der Frembdlinge und
Waysen, ein erquickentes Spi[tal] der Armen und Not-
leydenden, eine sterbliche Wohnung der unsterblichen
Liebe, Tit. Fr. Barbara Hartmannin geb. Vigilantiussin,
welche A. 1630 den 8. April in diese Eitelkeit eingetreten,
A. 1688 den 31. Augusti dieselbe wieder gesegnet. In-
zwischen viel Wechselfälle unbeständiger Zeitligkeit er-
fahren, viel Proben beständiger Gottseeligkeit erwiesen.
Sie ward zuerst A. 1647 Tit. H. Danieli Epaeneto V. D. M.
... (3 Reihen unleserlich) . . . Tit. Hr. Adam Samuel
Hartmann .... (Rest unleserlich) . . . ."
Von dem bescheiden tugendhaften Sinn ihrer Tochter
Christina Ferguschyll erzählt die andre Hälfte der Inschrift:
„An ihrer werthen Mutter Seite ruhet allhier Tit. Fr.
Christina Ferguschyllin geb. Epaenetin, die noch so viel
billiger nach dem Todte gerühmet wird, umb wie viel
mehr sie im Leben allen Ruhm vermieden, auch den sie
verdienet! Es haben die Rosen gottseeliger Sittsamkeit
die Lilien ungefärbter Aufrichtigkeit, die Violen preis-
136 Paul Voigt.
würdiger Demuth, die Palmen heldenmüthger Selbstüber-
windung, das Tausendschönchen] auserlesenster Tugenden
derselben Jungfr. einen unverwelcklichen Ehrenkrantz
gewunden und igkeit das Kleinod Sie
war ihrer Eltern Tit. H. Danielis [Epaeneti]. V. D. M
Past . . . (Rest unleserlich) . . ."
Derselben Familie und derselben Stilgattung gehört
noch eine Doppelplatte mit korinthischer Säulenfassung
an : „Da mirs also gehen sollte, warumb bin ich schwanger
worden. — Ach Schmertz, dass die Sonne vor Mittage
verfinstert und der Rosen Stock im Lentzen zernichtet
worden, die hoch Ehren reiche an Sitten und Tugend
edele Frau, Barbara Bährinn, gebohrne Epaenetin, hat im
Jahr Christi 1679 den 11. Monatstag Juny, die erblasete
Blühte ihrer Jugend, nach dem sie einsam und Jungfrau
um 16, ehlich 2 Jahr, und Mutter ach Jammer nur VII. Tage,
zusammen XVIII Jahr VI Wochen 11 Tage alt gelebet, under
disen Stein verscharren lassen. Vor die tugendhaffte Seele
war kein Raum in dieser Herberge, die ist wider nach
ihren Ursprünge gekehrt Ihr Gedächtnis ist in Frieden
und dieser Stein Zeuge, das eine treue Mutter ihres lieben
Kindes nicht vergesen kan M. D. C. LXXXI den 2. Aug."
Die andre Hälfte füllen die Worte: „Unter diesem Centner-
schweren Steine liegen noch mehr Centner Sorgen ver-
graben, mit welchen dess weyland edlen ehrenvesten wohl-
wey. und wohlbenahmten Herr Martin Bähres, hiesiger
Stadt ansehnlichen Rathsverwandtens und der Reformierten
Gemeinde wohl verdienten Kirchen -Ehestens, Leben be-
schaff tiget war, welcher, nachdem es ihn in die 58 Jahr
durch mancherley Wechsel und Veränderung ermüdet,
hat seine Seele das himmlise Vaterland, der Leib aber
diesen Sand zur Ruhstätt erkoren, worein er im Jahr
Christi M. D. C. L. XXX den 29. Monats Tag Septemb.
versetzet, und dieses Denk-mahl ihm zu Ehren und seinem
unmündigen Söhnlein zum Andenken geleget worden
M. D. C L. XXXI den 7. Aug."
Von Familienstolz, weiten Reisen, gediegenen Kennt-
nissen, bürgerlicher Tüchtigkeit und Frömmigkeit zeugt
Alte Lissaer Grabdenkmäler. 137
die schöne hohe Pyramide Samuel Zugehörs, dessen Vor-
fahren von Comenius erwähnt werden und Joh. Heermann
befreundet waren: „Hier ruhet in Gott der weyl. tit.
plen. Herr Samuel Zugehör, gewesener hoch-
meritirter Bürger Meister, letzlich Senior E. W. E. Raths
wie auch hochberühmter Pulvermacher dieser Stadt. Er
stammt aus einem alten Geschlechte her, welches durch
seine vorzügliche Tugenden ansehnlich und berühmt
gewesen! Sein Herr Vater war der weyl. Herr Martin
Zugehör, vornehmer Bürger und Pulvermacher all-
hier, seine Frau Mutter, die weyl. Frau Catharina
geb. Adeltin, welche ihn Ao. 1701 den 2. Febr. zur Welt
gebohren. Seine besondere Fähigkeit des Verstandes und
zulängliche Triebfaden des Willens machten schon in
zarter Jugend an ihm den Unterricht seiner Lehrer frucht-
bar. Er erwarb sich eine gründliche Kenntniss in
Sprachen und Wissenschafften und unternahm bey
anwachsenden Jahren eine Reise nach Holland, Frankreich
und Portugal, da er in Lissabon das Glück hatte, mit
seinem eintzigen Bruder sich noch einmahl zu vergnügen.
Er hatte ihn aus Liebe besucht in der Frembde und
kurtz nach seinem Tode folgte ihm derselbe nach in die
himmlische Heymath. In frembden Ländern suchte er
sich diejenigen Vortheile zu Nutze zu machen, welche
auff die Verbesserung des Verstandes und Angenehme in
Sitten abzielten. Diese vorzügliche Eigenschafften machten
ihn bey Frembden beliebt und angenehm. In dieser
vorzüglichen Verfassung kam der Seelige im Jahr 1729
in sein Vaterland zurücke. Er verlobte sich im Jahr 1732
den i4ten May mit der damahls tit. Jungfer Dorothea
Elisabeth, des tit. Herrn Christian Körbers hoch-
ansehnlichen Königl. Pohln. Secretairs und Post: Meisters
zu Fraustadt und Lissa mittelsten Jungfer Tochter, und
zeugete in dieser zärtlichen Ehe, welche durch Gottes
Gnade 17 Jahr dauerte, 5 Söhne und 5 Töchter, deren
2 Söhne und 2 Töchter ihrem Vater vorangegangen,
l'nermüdete Sorgfalt, Einsicht, Verstand und Redlichkeit
waren die Eigenschafften, die ihn geschickt machten, das
138 Paul Voigt.
Ehrenammt eines Rathmannes und Bürger - Meisters
zu bekleiden. Im Leben war er gegen seinen Jesum
getreu, gegen seine Ehegattin vertraut, liebreich und
zärtlich, gegen seine Kinder sorgfältig und gütig, gegen
Freunde und Feinde redlich, ohne Misstrauen, gefällig,
ohne Eigennutz, sanftmüthig, ohne Verstellung, in seinem
Ammte gewissenhaft, unverdrossen und redlich. In seiner
Kranckheit fand ihn der Todt nicht müssig. Er ging ihm
mit den Waffen des Glaubens getrost entgegen, er
kämpfte, überwand ihn und übergab also dem gekreutzigten
Jesu seine erlösete Seele, da er sein rühmliches Alter
auff 49 Jahr bracht.
Schlaffe wohl, Samuel!
du Richter ehrenwehrt.
Für Deine Treue Dir
dis Denckmahl Zugehört.
Denckmahl zärtlicher Liebe einer treuen Ehegattin. Er
starb 1749 den 26sten Sept. und wurde den 29. dito am
Tage Michaelis zu dieser Ruhe-Städte gebracht4'.
Kürzer und knapper berichtet eine Grabsteinplatte
an der Kreuzkirche von den Lebensschicksalen eines vor-
nehmen Kaufmanns: „Nahe an diesem Steine ruhen die
Gebeine eines rechtschaffenen Mannes, dessen Asche sein
gel. Sohn durch dieses Denk-Mahl bei der Nachwelt ehret
Der W. tit. deb. Herr Gottfried Eichler, gew. vorn. B. u.
weit berühmt. Kauff- und Handels-Mann, wie auch der
loebl. Kauffmsch. allhier ansehnlicher Eltester, lebte unter
christl. Bemühungen, sich als einen rechtschaffnen Mann
jeder Zeit zu beweisen, und starb mit dem wohlverdienten
Nachklange im Grabe, dass er es in der That gewesen,
1702 d. 19. 7br. ward er in Fraustadt geb., in Lublin
erlernte er die Kauffmsch. Der Tod seines Herrn Vaters
ruffte ihn 1728 nach Hause. Er verheiratete sich
1730 d. 8. Febr. mit tit. deb. Jungfer Barbara
Regina Milischin aus Lissa, Hess sich 1731 alhier
bürgert, nieder und legte seine Handlung im Vertrauen
auf Gott an. Ein einziger Sohn war die überbliebene
Alte Lissaer Grabdenkmäler. 139
Trucht dieser Ehe. 1740 d. 28. 8br. starb diese gel.
Gattin nach der Geburt eines eben frühzeitig noch
gestorbenen Toechterl., u. 1742 d. 28. Aug. verehl. er sich
-wieder mit tit pl. Jungfer Maria Helena Boekel-
mann aus Fraustadt. Allerhand podagrische Zufälle
hatten schon lange seine christl. Geduld geprüfet,
u. sein seel. Abschied kam 1764 d. 16. Apr., da
er mit 61 J. 6 M. u. 21 T. aus der Welt ging, in welcher
er als ein treuer Bürger, als ein redlicher Menschen-
freund, als ein zaertJicher Gatte, als ein liebreicher Vater,
kurtz als ein gutter Christ und rechtschaffner Mann gelebet".
Selbstbewusster Bürgerstolz spricht uns an aus
einer hohen Pyramide: „Hier ruhet Herr Martin
Zimmermann ein würdiger Vorgesetzter der Stadt
und der reformirten Gemeine. Er wurde Ao. 1698
d. 28. Sept. hier gebohren von Martin Zimmermann,
Raths Beisitzern wie auch Kirchen Aeltesten, und
Susanna Dorothea Siebenharin. Warschau lernte ihn
die Kauffmanschafft, und Lissa nahm ihn Ao. 1725
unter ihre Bürger auff. Er diente der Stadt treu
und stieg nach und nach von den niedrigsten
Stuffen der Ehre bis zu den vornehmsten Aemptern der
Stadt, die er mit Ruhm bekleidete! Er war von einem
munteren Geiste, arbeitsam in seinem Beruffe, redlich im
Handel, dienstfertig im Umgange, zärtlich in der Ehe,
eifrig in der Freundschafft, unermüdet im Dienste der
Stadt und seiner Gemeine . . ."
Ein anderer Obelisk gibt zwar nicht von hohen
Verdiensten um Stadt und Gemeinde laute Kunde, aber
desto beweglicher und redseliger klingt die Klage der
Witwe um die häuslichen stillen Tugenden des schlichten
Gatten: „Wanderer stehe still und weine Thränen des
Mitleids mit einer betrübten Witwe und mit verlassnen
Waysen, welche den schieinigen und unvermutheten Tod
ihres geliebten Ehe-Gatten und zärtlichen Vaters
beweinen. Er starb, wie er gelebt hatte, als ein Christ.
Er that wohl, aber in der Stille, und wolte nicht
bemerckt werden. Sein Name ist würdig, hier ein-
140 Paul Voigt.
gegraben zu werden. Es war Samuel Glabisch, Bürg. u.
Müller hierselbst. Er war unbemerckt in seinem Leben,
aber nach seinem Tode wurde er von vielen vermisst.
1774. Sein Vater war Christoph Glabisch, gew. Bürger
u. der löbl. Zunft der Müller Neben Aeltester, seine
Mutter Hedwig geb. Papmahlin. Er war d. 12. Novemb. 1727
gebohren. Er wählte sich zur Ehe-Gattin d. 11. Novemb. 1750
Anna Regina Anderschin, zwote Tochter Herrn Samuel
Andersches, Erb- und Gerichts Scholzen in Striessewitz, mit
welcher er 22 Jahre weniger 4 Tage in einer vergnügten
und glücklichen Ehe gelebt, welche mit 6 Kindern
geseegnet gewesen, davon 1 Sohn und 2 Töchter ihm in
die Ewigkeit vorangegangen. Drei vaterlose und
unerzogene Waysen, nämlich eine Tochter Marie Elisabeth
und zween Söhne, Johann Samuel und David Erns^
beweinen mit ihrer zärtlichen Mutter den für sie zu
frühen Tod ihres geliebten Vaters. Das schmerzhafteste
für sie war, dass sie nicht einmahl den letzten Vater-
Seegen aus seinem sterbenden Munde bekommen konnten.
So schleunig raubte ihnen der Tod ihren Vater, klagend
begleiteten sie ihn hierher zu seinem Grabe. Ebenso
bange und verlassen klagt die betrübte Witwe über den
unersetzlichen Verlust ihres besten Ehe-Gatten und Ver-
sorgers, der in den blühendesten Jahren ganz unvermuthet
von ihrer Seite gerissen wurde. Durch den Schlaf
erquickt erwachte sie am Morgen an seiner Seite, dachte
nicht, dass es der letzte seyn würde. Plötzlich hörte sie
ihn stöhnen, eilte ihm zu helfen, aber vergebens. Ein
tödtenderSchlagfluss endigte seinLeben am 7. Novemb. 1772,
früh um halb 7 Uhr, und wurde den folgenden Tag am
XXI. Sonnt, nach Trinit. mit einer Leich Predigt begraben.
Nur 45 Jahre weniger 5 Tage war sein Alter. Diss Denck-
mahl stiftet die eheliche Liebe u. Treue. Anna Regina
Glabischin geb. Anderschin.44
Recht bieder und treuherzig, ohne alles Rühmen
und redseliges Jammern, lautet ein anderer Bericht über
einen schlichten Bürger: „Wohl dem, der im Leben an
den Tod gedenkt. Das that Hr. Georg Heintze, alter
Alte Lissaer Grabdenkmäler. 141
B. u. Tuchm. Durch die Geburt kam er an das Sterbliche
Ao. 1667 d. 24. Jan. in Sarne. Weil er aber sähe, dass
es in derselben nicht gutt alleine sey, verehelichte er
sich erstlich mit Jf. Anna Maria Schneiderin, hernach mit
Fr. Anna Christina Braunin, verwit. Sonntagin. In erster
Ehe zeugeie er eine Tochter, die andere war ohne
Leibeserben; mit beyden lebte er in vergnügter Ehe. Bei
mancher Veränderung in Creutz und Leiden sähe er, dass
selig sterben das beste sey; dahero bereitete er sich
füglich zu demselben, damit er ewig leben mochte. Endlich
ging er der Seelen nach aus der Welt in den Himmel
Ao. 1745 d. 14. ... , seines Alters 75 Jahr 5 M. 21 Tage.
Der Leib erwartet alhier der frölichen Aufferstehung".
Im Gegensatz zu den teilweise zwar sehr redseligen
und wortreichen, aber doch recht trockenen Berichten der
letzten Inschriften reden die Steine in einem oft bis zur
Empfindsamkeit gesteigerten gefühlvollen Tone, wenn sie
von dem Hinscheiden junger Menschen erzählen. „Unter
diesem Denk Mahl ruhen die Gebeine eines hoffnungs-
vollen Jünglings Mart. Dan. Zimmermann, civ. gymn.
Lesn., welchen der Höchste anno 1720 d. 27. Januar
diese Sterblichkeit durch gesunde Geburt begrüssen Hess.
Seine Eltern sind der tit. pl. Herr Martin Zimmer-
mann, Bürger, Kauff und Handelsmann . . . Und die
wayl. edle Fr. Susanna Elisabeth gebohrne Cassiussin.
Diese christliche Eltern wurden durch die Geburt
dieses ältesten Sohnes sehr erfreuet und Hessen es
an nichts ermangeln, was zu desselben christlicher
Aufferziehung erfordert wurde, wobey sie auch Gottes
Seegen verspüreten, indehm sie an ihm von Kind-
heit an eine besondere Modestie, anständige Freymüthig-
keit und ernsthafte Munterkeit bemerkten, womit eine
wahre Frömmigkeit, Gehorsam und Auffrichtigkeit gepaaret
gieng. In dem hiesigen Gymnasio nahm er in guten
Wissenschafften so zu, dass er mit Recht eine Zierde
desselben konnte genenet werden und auch bereits eine
geraume Zeit den ersten Platz in der höchsten Classe
besass. Ja es war schon an dem, dass er als ein
142 Paul Voigt.
Alumnus auf hohe Schulen gehen sollte. War aber
dieser hoffnungsvolle Jüngling seinen Eltern, Vorgesetzten
und Freunden lieb, war [er] doch seinem [Gott] noch
lieber, desswegen er ihn ... in der Blüthe seiner Jahre
Anno 1743 d. 23. Febr. in dem i8*en Jahr seines Alters
durch einen seeligen Tod" usw.
Ebenfalls einem Gymnasiasten ist eine dreiseitige
Pyramide gewidmet, auf der es heisst: „Hier liegt der
Kummer zärtlicher Eltern, der hofnungsvolle Jüngling Martin
Traugott Kirste. Ein Sohn des Er ward gebohren
d. 9. November 1755 früh um 6 Uhr. Gott hatte seine
Seele mit fürtrefflichen Gaben ausgezieret, die sich mit
zunehmenden Jahren immer mehr und mehr zu äussern
anfingen, wie. eine Knospe, die nach und nach ihre schöne
Blume zeigt Sein natürlich' guter Verstand ward von un-
ermüdlichem Fleisse begleitet. Ob er gleich erst 11 Jahre
alt war, so war er doch schon ein würdiges Mitglied der
zweiten Classe in hiesigem Gymnasio. Er starb, ehe er
noch recht zu leben anfing, ehe er noch mit seinen schönen
Talenten der Welt gedienet. Seine junge Gottesfurcht
übertraf noch seine übrigen liebenswürdigen Eigenschaften:
Er liebte Gott und alle Menschen und er wurde von allen
wieder geliebt Er hat seine Eltern nie in seinem Leben,
nur durch seinen Tod hat er sie betrübet. Im Leben war
er ein Muster der Jugend und im Tode ein Muster der
christl Unerschrockenheit Sein Tod war allen lehrreich
und erbaulich. Er entschlief sanft nach einer kurtzen Krank-
heit d. 6. Januar 1767. Nachdem er nur 11 Jahre und
etwas über 2 Monate gelebt. Ruhet, ihr kostbaren Über-
bleibsel in dieser stillen Dunkelheit, ruhet in sanftem Schlafe,
bis die letzte Posaune euch die angenehme Losung geben
und durch alle eure stille Wohnungen laut erschallen wird
Hervey. Das Grab ist der getreuste Lehr-Meister, und
diese Beispiele der Sterblichkeit sind die lehrreichsten
Lectionen. Hervey. Dort wird jetzt Deine Unschuld glänzen
vom Licht verklärter Wissenschaft. Haller. Des Todes
Schrecken ist der Berg, den wahrer Glaube nur versetzt.
Young".
Alte Lissaer Grabdenkmäler. 143
Das Werden und verheissungsvolle Streben eines
jung gestorbenen Arztes rühmt eine hohe Pyramide: „Hier
ruhen die Gebeine eines Christen, eines Menschenfreundes
und eines wahren Gelehrten. Fragstu, Leser, wer dieser
seltener Sterblicher gewesen, so wisse: Es war der weyl.
hoch-edel gebohrne hoch gelahrte und hoch erfahrne
Herr Herr Samuel David Rauhut, medicine Doctor et
practici bey der Stadt. Er war ein erbethener Sohn
des . . . . , welchen er Ao. 1734 d. 2. Febr. geschencket
wurde. Im ioten Jahre seines Alters wurde er durch
den Todt seines Vaters in den betrübten Weysen- Stand
versetzet, dessen Stelle tit. Herr Sam. Ernst Woyde, Bürg.
und Seiffen Sieder allhier, als ein Pflege Vater biss an
seinen Todt treulich vertreten. Seine Begierde zu denen
Wissenschafften trieb die Eltern, dass sie ihm in der
Jugend den ersten Grund zu denselben und eines wahren
Christenthums in dem hiesigen Gymnasio legen Hessen.
Darauff bauete er die bestrebte an äusserlichen Curen
erlernte Artzney- Kunst, welche er in Berlin in der Königl.
Akademie vermehrte u. kam dann in Frankfurth auff
der hohen Schule in den medicinischen Wissenschaften
so weit, dass er die Doct. Würde rühmlichst erhielt!
Die grosse Freude, so er alsdann seinen Eltern brachte,
währete nur etwas über 9 Monathe. Seine Erfahrenheit
in der Medicin und gottssfürchtiger Wandel werden viel
länger im Andenken dauren, als seine kurze Lebens-Zeit,
die nach 26 Jahren 3 Mon. und 5 Tagen durch den Todt
ein Ende nahm. Denkmahl der zärtlichen Mutter-Liebe."
Auf einer vierkantigen Sandsteinsäule mit senkrechten
Wänden steht eine mit einem Tuch verdeckte Vase, auf
der ein Schmetterling kriecht u. a. An der Vase lehnt
ein sehr plump gearbeitetes weinendes Kind: „Dieses
Denkmal der Liebe decket den sterblichen Teil einer
Unsterblichen. Johanna Gottliebe hiess sie bei den
Sterblichen. Ein schöner Nähme, einen schönern hat sie
bei den Unsterblichen! Sie war die würdige Tochter
durch Geb. u. Tug. edler Eltern, des weil, hochwohlgeb.
Herrn Bogisl. v. Sadova Mieszkowski, u. der weil, hoch-
144 Paul Voigt.
wohlgeb. Frauen Sophianna geb. v. Kurnatowska, geb.
1765 d. 24. Juli, gest 1788 d. 12. Jan. Früh verwaist fand
sie einen Ersatz des zu frühen Verlusts ihrer Eltern in
der mütterlichen Vorsorge ihrer ehrw. Fr. Grossmutter,
der hochwgb. Fr. Joanna v. Kurnatowska, deren Stolz u.
Freude sie war, u. in der Zärtlichkeit ihrer hochwbg.
Brüder, in deren Hertzen sie stets lebet Zu früh entfloh
sie ihnen in der Blüthe der Jahre, derer sie nicht volle
23 zählte, ihr selbst nicht zu früh, Allen unvermuthet,
nur ihr nicht Dies bezeugen die Todesbetrachtungen,
die sie an ihrem letzten Geburtstag niederschrieb. In
diesen schildert sich ihr edles frommes Herz als Freundin
Gottes und als Menschenfreundin. Den Menschen wehrt,
doch Gott lieber, reifte sie früh zum Engel, und da diese
Welt ihrer nicht wehrt war, gieng sie zeitig in jene bessere
Welt ein. Wenn ein aufgeklärter Geist, ein edles sanftes
Herz, ungeheuchelte Gottesfurcht, Redlichkeit ohne Falsch,
allgemeines Wohlwollen u. stille Mildtthätigkeit das
redenste Denkmal . . . tt u. s. w.
Grossen Jammer bedecken die Gräber der Frau
Schmekel und ihrer 8 Kinder, von deren stattlichen beiden
Obelisken wir oben ein paar Verse mitgeteilt haben.
Auf dem Grabstein der Kinder lesen wir: „Hier
findest du, mein Leser, ein Denkmahl 5 lieber Kinder ....
Das erste war eine liebe Tochter, Nahmens Johanna
Florentina. Sie blühte auf A. 1744 d. 3. Sept und war,
wie ihr Nähme weiset, in dem Ehe-Garten ihrer Eltern
eine angenehme Blume. Sie zeigte bis ins 7 bende Jahr
die angenehmsten Blüthen einer hoffnungsvollen Erziehung.
Man erblickte an ihr Liebligkeit zu Hause und Fleiss in
der Schule. Hier war Steigen u. Fallen beysammen.
Das 1 |t St . . ffen Jahr war das letzte. Doch Johanna
Florentina, die blühende Annehmlichkeit, verblühte nur
dem Leibe nach. Ao. 1751 d. 22. Aug. überfiel sie Hitze
u. Haupt-Schmertz, hierauf ein Friesel. Menschen -Hülffe
war umsonst. Ein Stock -Flussel brachte zum Leidwesen
der Eltern das Leben ins Stocken u. den Körper ins Grab,
die Seele aber kam als eine Himmels Blume d. 23. Aug.
Alte Lissaer Grabdenkmäler. 145
V4 auf 10 Uhr voran ins Paradeiss, als diese frome Tochter
Abends noch gläubig gesprochen: Christi Blut u. Gerechtig-
keit, Herr Jesu, dir leb ich, dir sterb ich. Ihres Alters
7 Jahr weniger 8 Tage. — Auf dieser Seite ruhet bey
seiner im 7. Jahr verstorbenen Schwester ein kleiner
Bruder Carol: Gottlob Schmekel. Dieser ward Ao. 1751
d. 17. Marti: allhier gebohren. Bey dem Weinen seiner
gedachten Eltern über das Absterben seiner 4 Schwestern,
trocknete er mit einem zugleich lebenden Bruder durch
sein Lachen u. holdreiches Wesen selbige offtmahl die
Thränen ab. Allein die grassirenden Röthel u. hefftige
Zahn-Schmertzen legten 1752 d. 20. Febr. seine Annehmlig-
keit auch zeitig in ein nahes Grab . . a Worauf am Fuss
der oben citierte Vers folgt: „Ich geh ins Grab, doch
Johann Ernst soll leben, und wenn Gott will, noch lange
Trost uns geben!"
Der aus Pommern gebürtige Ehemann Schmekel
war Rats- und Kirchenältester und seines Zeichens Kunst-
Waid- und Schönfärber; er heiratete in zweiter Ehe eine
Tochter des Generalseniors der ev. luth. Kirchen in
Grosspolen Sam. Günthers, wohl ein Beweis für das
Ansehn, in dem damals gewisse Gewerbe der Stadt noch
standen. Seine Grabsteinplatte nebst der eines Rektors
der evangelischen Schule ziert den Turmeingang der
Kreuzkirche.
Zum Schluss mögen hier noch als weitere Stilproben
und Belege mancherlei Art einige Auszüge aus Inschriften
Platz finden.
Nachdem die Jungfer Thomasin 1713 zu Haynau in
Schlesien glücklich geboren worden, „seegnete Gott ihre
christl. Erziehung so genädig, dass sie unter allen Zufällen
von Freude und Leyd zum Tröste ihrer geliebten Eltern,
zum Vergnügen ihres Geschwisters, zum Wohlgefallen
ihrer Nechsten ein gehorsames, treues und tugendhaftes
Hertze in gläubiger Erkenntniss u. Verehrung Gottes, bey
ungeheuchelter Übung der Gottseligkeit bewahrte, biss sie
durch Krankheit und Schmertzen am Leibe entkräftet, an
der Seele gestärcket, als eine Braut Jesu allhier in Lissa
Zeitschrift der Hist. Ges. fOr die Prov. Posen. Jahrg. XX. ic
146 Paul Voigt.
bey ihrem geliebten Hr. Bruder Ao. 1717 d. 21. Febr.
durch einen seel. Tod vom Glauben zum Schauen kam." Der
Frau Anna Regina Seydel Eltern „erfreuete die Gottes-
furcht ihrer Jugend, und der köstliche jungfräuliche Schmuck r
die Zucht und Keuschheit, mit welchem sie nebst anderen
christl. Tugenden gezieret war, gefiel dem damahls Jung-
gesellen pp., dem sie Ao. 1736 . . ehelich worden . . . Die
wohlseelige lebte schlecht und recht und meidete das Böse-
Sie hielt dieser Zeit Leiden vor nichts gegen der fürstligen
ewigen Herrligkeit . ." Frau Anna Arnold geb. Woide,
der Tochter der Sophie geb. Felsmann, deren Grabgedicht
wir oben brachten, rühmt die schönste Pyramide des
reformierten Kirchhofs nach: „Gottes-Furcht und Christen-
thum, Niedrigkeit in der Ehre, Treue im Ehestande,
Sorgfalt im Hauswesen, Aufrichtigkeit im Umgange, waren
ihr bester Schmuck im Leben und bleiben ihr unsterblicher
Ruhm auch nach ihrem Tode."
Dass die Frauen auch im Geschäft des Mannes mit-
halfen, sehen wir aus dem Grabstein des Färbermeisters
Lange, der zur zweiten Ehe schritt, um „für unerzogne
Kinder eine zweite Mutter, in seinem Gewerbe eine treue
Gehülfin an ihr zu haben. Nur der Verlust seiner
Johanna Renate, über den die Pflegemutter vor Betrübniss
krank ward, störte sein häusliches Glück, trübte diese
musterhafte Ehe, die wie der stille Bach, in welchem der
Himmel sich spiegelt, sanft und ruhig hinfloss. Zur
Zierde dieses Gottesackers, zur Pflege siecher Armen
zum Bau der Luther-Orgel stiftete er einen Beitrag
und krönte wie sein Leben mit Milde auch sein Ende . ."
Dass der Unterricht auch von Mädchen genossen wurde,
lehrt uns der Stein, der die Gebeine der Anna Queisser
geb. Stiller deckt: „Ihre Eltern waren besorget, sobald
möglich die ihr nöthige Wissenschaft, insonderlich im
Christenthum, beyzubringen, welche dann mit andern
jungfräulichen Tugenden gepaaret ginge und in solchem
Schmucke sich Gott u. Menschen beliebt und angenehm
machte ... In ihrem Wittwenstande gleichte sie einer
gottsfürchtichen Hanna . ." Ihr ähnelte ihre Tochter, auf
Alte Lissaer Grabdenkmäler. 147"
deren Grabstein es heisst: „Wo Leibes Schöne, Seelen
Klugheit und wahre Frömmigkeit vereinbahret, da lieb-
kosen sich Abigail u. Hanna. Ein solches Tugend-Bild
war in ihrem Leben die hier ruhende . . . Sie begrüssete
die Welt, da sie Ao. 1726 . . zu leben anfieng und durch
die Geburth ihre hohen Eltern . . [der Vater war Bürger-
meister] hertzlich erfreuete, nehmlich .... Diese vergnügte
der Anwachs ihrer Gottesfurcht, die Ehrerbietigkeit
und Treue, womit sie ihnen und dem Geschwister
begegnete. Die christlöbliche Tugenden waren ihres
Leibes Zierde . . Den tit. plen. Herrn Joh. Theod.
Bertram vornehm. Burg. Kauff- und Handelsmann^
bestrahlten dieselben besonders, so dass . . ihre Hertzen
sich ehelich verbanden. Ein anmuthiges Töchterlein . . .
versiegelte ihre nur 42 Wochen dauernde zeiü. eheliche
Liebe. Dann hielt die wohlseel. nach Gottes Willen . .
in dem Himmel ihren seeligen Kirchen-Gang." Ihrer unver-
heirateten Schwester Elisabeth widmet die Mutter die Worte:
,Ihr stilles Wesen und Neigung zur Gottesfurcht gaben ihrer
hohen Eltern Vermahnungen herrlichen Nutzen. Sie
gewahn ihre Gunst durch kindliche Ehr-Furcht, der
Geschwister Liebe durch zärtliche Zuneigung. Sie lebte
zwar in der Welt, war aber nicht von der Welt. Ihre
Gesellschafft in beliebter Einsamkeit war Jesus, den liebte
ihre Seele, mit dehm hielte sie erbauliche Gespräche,
dehm schenckte sie ihr Hertze, dehm blieb sie getreir
biss an den Todt. Der hat sie auch gnädigst im 37ten
Jahre ihres Tugend -Wandels mit dem herrlichsten Braut-
Crantze der Krone des Lebens in seiner Herrligkeit
beehret". Eine andere Schwester erhielt, ebenfalls durch
die Mutter, die Inschrift: „Ehret man einen hohen Stand,,
so hat . . . doppelten Preiss erlangt, da sie nicht allein
von vornehmen Eltern entsprossen, sondern auch in dem
geehrtesten Stande der Jungfrauschaft in schönster Tugend-
Blüthe Todes verbliechen und im Himmel ewig zu blühen
angefangen. Ihre Hohe Eltern empfingen von Gott den
letzten Ehe-Seegen, als sie Ihnen Ao. 1731 . . freudigst,
gebohren und von Christo in der h: Tauffe mit dem.
10*
T48 Paul Voigt.
Kleide seiner Gerechtigkeit aussgezieret wurde. In diesem
Schmuck prangete sie als eine Braut in ihrem Geschmeide
b erdet, tratt damit in den Stand geistlicher Jungfrauen.
Ihre Lampe war Gottes Furcht, ihr Oel Glaube Liebe u.
Hoffnung, ihre Schönheit Zucht u. Keuschheit, ihre Hoch-
achtung die Eltern, ihr ander Hertz das Geschwiester, ihr
Trost im Leben u. Sterben Jesus, ihr Alles, der sie auch
Ao. 1747 . . zur seeligen Hochzeit heim gehohlet".
Etwas fremdartig mutet uns der Vergleich in einer
Inschrift an, wo es heisst: „Wie nun Christi: Eheleuten
den süssen Ambra der Liebe offt leider Colocwinten ver-
gällen, so ging es auch den wohlseeligen . . . Dagegen
können wir es nachfühlen, wenn von dem Müller Jakob
Handke, der nach einander fünfmal „den ledigen mit dem
ehlichen Stand verwechselte", schliesslich gesagt wird:
-„Wie nun sein Ehestand, so war sein gäntzes leben ein
steter Wechsel der Zufälle".
Fromm, bieder, treuherzig, geduldig in Trübsal,
tüchtig, fleissig und redlich im Beruf, standesbewusst,
voll Bürgerstolz und Gemeinsinn, in ihrer Redeweise
bald schwülstig bilderreich, bald nüchtern redselig, naiv
und hausbacken, bald innig und gefühlvoll, je nach dem
Charakter der Zeitperiode oder der Redenden: so treten
uns die Menschen auch dieser ehemals viel mehr als jetzt
deutschen Stadt in polnischen Landen auf ihren Grab-
denkmälern entgegen, die zwei Jahrhunderte voll schwerer
Schicksalsschläge durch feindliche Zerstörung und ver-
wüstende Feuersbrunst in immer sich bei treuer Arbeit
erneuender Verjüngung überdauert haben.
Kuno Fischer in Posen.
Von
Friedrich Thtimen.
)enn der achtzigste Geburtstag Kuno Fischers,,
den der Gelehrte am 23. Juli 1904 beginge
vielen seiner Schüler und Verehrer, gewiss
aber auch ihm selbst ein Anlass geworden ist, den Blick
rückschauend den verschiedenen Epochen seines Lebens«
zuzuwenden, ihn auf seinen Wanderungen wie in seinen
Kämpfen zu begleiten, kurz seinen Werdegang wie die
Tätigkeit des reifen Mannes einer Betrachtung zu unter-
ziehen, so hat auch die Historische Gesellschaft in Posen
es sich nicht nehmen lassen, seines Aufenthalts in unserer
Stadt, in die er einst als zehnjähriger Knabe eintrat, um
auf dem Königlichen Friedrich Wilhelms -Gymnasium für
seinen zukünftigen Beruf sich vorzubilden, pietätvoll zu
gedenken1).
Fragen wir also: Was brachte das junge Menschen-
kind bei seinem Eintritte in unsere Stadt mit? welche
Einflüsse wirkten bestimmend auf seinen Entwicklungs-
gang bis zum Eintritte in das Leben? sind diese
Einflüsse später noch wahrnehmbar? Spärlich freilich
fliessen nur die Quellen, aus denen wir schöpfen können,,
um auf diese Fragen eine Antwort zu geben; aber von
unbedingter Zuverlässigkeit ist, was wir über jene Zeit
*) Der am 8. November 1904 gehaltene Vortrag wird hier
gekürzt wiedergegeben.
150 Friedrich Thümen.
aus seiner eigenen Feder haben, der Lebenslauf, den er
vor der Reifeprüfung Ostern 1844 verfasste.
Ernst Kuno Berthold Fischer ist am 23. Juli 1824 in
Sandenwalde, einem Dorfe des Guhrauer Kreises, als der
jüngere von zwei Brüdern geboren. Sein Vater war dort
Pastor; seine Mutter, geborene von Corvin-Wiersbitzky,
starb, als der Knabe ein und ein halbes Jahr alt war.
Bis 1832 blieb die Familie dort; dann wurde der Vater
nach Wierzig versetzt, einem Städtchen desselben Kreises.
Am 24. April 1835 wurde Kuno Fischer in das Königliche
Friedrich Wilhelms-Gymnasium zu Posen, welches damals
unter der Leitung des Prof. Wendt, dann, seit dem
10. November 1843, unter der des Konsistorial- und
Schulrats Dr. Kiessling stand, aufgenommen und verliess
es Ostern 1844 mit dem Zeugnis der Reife, nachdem er
.am 22. März die mündliche Prüfung bestanden hatte. —
Diese kurzen Angaben erhalten Leben und Licht durch
die erwähnte Vita, aus welcher die Hauptgedanken hier
wiedergegeben werden sollen, und zwar auch aus der
Zeit, die vor Fischers Aufenthalt in Posen liegt, da nur
so die erste der vorhin aufgeworfenen Fragen eine Beant-
wortung finden kann.
In dem genannten Schriftstücke, das der 19jährige
Jüngling verfasste, erklärt Fischer, die Jahre der Kindheit
.als die Entwicklungsperiode des Selbstbewusstseins nur
vorübergehend berühren und nur die Momente hervor-
heben zu wollen, die auf seine spätere Entwicklung einen
entscheidenden Einfluss ausgeübt haben. Sie sind ihm
-schlechthin die glückliche — er unterstreicht diesen
Positiv — Zeit seines Lebens gewesen, weil er dessen
Ernst noch nicht fühlte; nötigt ihm auch die Erinnerung
an die Träume, die ihn damals so unaussprechlich
glücklich machten, schon in diesem Jünglingsalter ein
Lächeln ab, so ergreift ihn doch bisweilen eine unendliche
Sehnsucht wie den Wanderer, der im Norden sich seiner
südlichen Heimat erinnert. Er bekennt, dass inmitten
der glücklichsten Verhältnisse, in welche ihn seine Geburt
eingeführt «hatte, der Verlust der Mutter, des Schutzengels
Kuno Fischer in Posen. 151
seines ersten Lebensjahres, ihn traf, ohne dass er eine
Ahnung von diesem Abschiede in seiner Bedeutung hatte.
Die Worte lassen aber darauf schliessen, dass ihm in
fortschreitendem Alter ein Verständnis für die Schwere
des Verlustes mehr und mehr geworden ist. Der Vater,
dem nunmehr die doppelte Aufgabe erwuchs, die Pflichten
des Amtes zu erfüllen und die Kinder zu erziehen,
bekämpfte männlich den herben Schmerz, dessen Gewalt
sein Leben verfallen schien, und förderte mit eigener
Aufopferung die Ausbildung der Söhne; darum nimmt
Kuno schon an dieser Stelle Veranlassung, ihm den Dank
zu sagen, den das schwache Wort nur andeuten, nie aus-
sprechen kann. Am Grabe der Mutter, zu welchem die
Drei häufig wallfahrteten, erinnert er sich, seine besten
Vorsätze gefasst zu haben; aus den fast täglichen
Erzählungen des Vaters gestaltet er sich ein Bild der-
jenigen, die er im Leben nie gekannt hat; ja, im
Anschlüsse hieran verwickelt ihn die kindliche Ein-
bildungskraft bald in einen Kreis phantastischer Gestalten,
die ihn mit magischer Gewalt immer tiefer in ihre Welt
hinein und von der wirklichen abzogen. Hierin erblickt
er den ersten Keim einer Art Schwärmerei, die ihm
♦manchen argen Streich gespielt und hemmend auf den
Gang seiner Entwicklung eingewirkt hat; er bedauert,
ihr sich hingegeben zu haben, da sie eben kein Prinzip
der Bildung in sich habe und dem Geiste seine Klarheit
ebenso wie seine Freiheit nehme. Mit Gewalt habe er
sich später diesem Hange, den er, wenn nicht verachte,
so doch bedaure, entrissen. Diese Neigung zur Schwärmerei
muss recht stark gewesen sein, da der Verfasser ihr
eine so ausgedehnte Besprechung widmet. Sein Vater
suchte, um ihn davon zu heilen, alle schädliche Lektüre,
die eine Kindesphantasie erhitzen konnte, von ihm fern-
zuhalten; aber Fischer bekennt, dass er seine Irrtümer in
dieser Beziehung nicht eher abgelegt, als bis er selbst
sie erkannt habe, und dieses Gefühl, aus sich selbst, nur
unter massiger Leitung, sich entwickelt zu haben, verlieh
ihm ein gewisses Selbstvertrauen, das er indessen um
152 Friedrich Thümen.
keinen Preis als Selbstzufriedenheit angesehen wissen
möchte. Von diesem Fehler weiss er sich auch bis zu
dieser Zeit noch frei. Aber wie einerseits jene Periode
der Schwärmerei ihn, der sozusagen eines Schwerpunktes
entbehrte, den erst männliche Reife verleiht, aus einem
Gegensatz in den andern treibt, so hebt er andrerseits
ein anderes, aber daraus entspringendes und ihm äusserst
nachteilig gewordenes Moment hervor: „eine phantastische
Welt steht in ihrem Unsinn der wirklichen Welt in ihrer
Wahrheit schroff gegenüber; die unmittelbare Wirkung
der ersteren ist eine Negation der letzteren und somit von
selbst alles räumliche Denken ausgeschlossen". Da nun
auch von aussen her, wie er angibt, in dieser Beziehung
wenig auf ihn eingewirkt wurde, so wird sein Geist der
mathematischen Anschauung entfremdet: das heisst jeden-
falls, dass er zunächst in diesem Lehrfache nicht viel
leistete. Aber schon von der Tertia an lernte er sie
mehr schätzen und „verdankte ihr besonders die Über-
zeugung, wie hoch das Wissen über dem Fühlen, und
wie unsinnig die durch das blosse Gefühl erzeugten
Irrtümer sind". Er bedauert, nicht gleich an räumliche
Anschauungen gewöhnt worden zu sein, da er es dann
um vieles weiter in der Mathematik gebracht haben würde.*
Der Vater sieht sich infolge seiner schwachen
Gesundheit gezwungen, die weitere Ausbildung der
Knaben einem Hauslehrer anzuvertrauen. Ein Lustrum
hat dieser Theologe die Stellung inne gehabt, ohne nach
einer bestimmten Richtung auf die Zöglinge einzuwirken;
dies hat Kuno Fischer vermisst, enthält sich jedoch aus
Pietät jedes weiteren Urteils über seinen Präceptor, der,
als der Vater 1832 als Superintendent und Oberprediger
in das Städtchen Wierzig versetzt wird, zunächst auch
dorthin übersiedelt, 1835 aber in ein Amt berufen wird
und damit das Haus verlässt Der Vater, welchem die
Zeit mangelt, selbst den Unterricht wieder aufzunehmen,
erfüllt den Wunsch des in Posen wohnenden Bruders,
eines Kreis-Steuereinnehmers, der Kuno in sein Haus
aufnehmen und seine weitere Erziehung leiten will, und
Kuno Fischer in Posen. 153
gibt ihn Ostern 1835 auf das eben errichtete Königliche
Friedrich Wilhelms-Gymnasium, wo der 10jährige in die
Sexta eintritt.
Diese Änderung in seinen äusseren Verhältnissen,
die neue Art der Erziehung in häuslicher und wissen-
schaftlicher Hinsicht möchte er einen Lebensabschnitt
nennen, „wenn mich die geistigen Irrtümer, von denen
ich eben gesprochen, nicht noch beherrscht hätten". Mit
anderen Worten: er ist ein Träumer gewesen, und
dem entspricht das Bekenntnis, welches er ablegt, in
den beiden unteren Klassen, Sexta und Quarta, nicht
fleissig gewesen zu sein. Es sei hier erwähnt, dass die
unterste Klasse bei der Gründung der Anstalt Sexta
hiess, dass sie aber durch eine Verfügung des Provinzial-
Schul-Kollegiums vom 4. Februar 1836 in Quinta umgetauft
wurde, und dass infolge finanzieller Gründe die ursprüng-
liche Sexta in eine Vorbereitungsklasse verwandelt
wurde; so ist denn Fischer Ostern 1836 gleich in die
Quarta versetzt worden. Der Name Sexta hatte ihn bei der
Aufnahme schmerzlich berührt und seinen „kindlichen Stolz,
der weit höher flog, beleidigt14; gleichwohl dankt später der
Jüngling der Einsicht des Direktors, dass er ihn „noch
einmal die Rudimente durchmachen Hess", mit dem
Bekenntnis, dass seine Kenntnisse teils durch knaben-
haften Unfleiss, teils durch einen wenig systematischen
Unterricht mangelhaft und verworren waren. Er büsste
jene Fehler dadurch, dass er in den beiden unteren
Klassen bei den halbjährlichen Versetzungen sich über-
gangen sah; doch wurde ihm dann, wie auch später stets,
eine unbedingte Versetzung zuteil. Auch nach seinem
Eintritt in die Untertertia 1837, so klagt er, bewegte er
sich „noch immer in dem beschränkten Kreise unklarer,
schwärmerischer Gefühle" und „der Unterricht interessierte
ihn nur dann, wefin er zufällig seinen Gefühlen entsprach";
aber neben der Klage über seinen Unfleiss spricht er
von schülerhaftem Ehrgeiz, als welchen er den „Trieb
nach Klassenerhöhung* * bezeichnet, und von dem Ent-
schlüsse, fleissiger zu werden, und rühmt sich gewisser-
154 Friedrich Thümen.
massen, dass es ihm gelang, mit der nächsten Versetzung
in die höhere Tertia promoviert zu werden" Ostern 1838,
was uns allerdings nur normal erscheinen will. Doch er
bleibt zunächst noch der Träumer und auch Grübler;
stellt sich einerseits die unabweisliche Notwendigkeit ein,
über die wirklichen Dinge der Aussenwelt, soweit sie ihn
berühren, nachzudenken, so vermisst er doch ausreichende
Kenntnisse, um sich Klarheit darüber zu verschaffen, und
indem er „Alles, was er nicht verstand, in den Kreis
seines Gefühllebens (so schreibt er) zog, sah er die
wirkliche Welt durch den Nebel dunkler Gefühle". Er
bedauert, dass „dies ihn auf unsinnige, absurde Ansichten
von menschlichen Dingen leiten musste", dass er „auf
solche Abwege geraten konnte, wo seine geistige Kraft
zuletzt untergehen musste"; dann aber, so berichtet er
weiter freudig, sah er zu der Zeit, da er in die oberen
Klassen vorrückte, diese Irrtümer ein, es „fielen die
Schlacken allmählich ab, die seinen Geist so lange
getrübt hatten, und er errang die Stufe, wo er sich selbst
bekennen konnte, dass er vorurteilsfrei denke". Von
nun an will er „seine Interessen, welcher Natur sie auch
seien, nie mehr ausschliesslich vor das Tribunal des
Gefühls bringen", und es erwacht in ihm ein lebendiges
Interesse für die Wissenschaft, der er bis dahin, wenn
auch nicht gleichgiltig, so doch in lauer Weise gegen-
über gestanden hatte.
Dies oft sich wiederholende Bekenntnis, durch ein
zu starkes Gefühlsleben den Dingen der Wirklichkeit ent-
fremdet worden zu sein, drängt uns die Frage auf nach
dem Grunde der Erscheinung. Wir gehen sicher nicht
fehl, wenn wir dies empfindsame Wesen als eine Gabe
betrachten, die ihm die Mutter Natur auf den Tisch des
Lebens gelegt hat; äussere Verhältnisse stärken diese
Seite in ihm: die Stille des ländlichen Pfarrhauses, das
abseits vom Getriebe der grossen Welt liegt und ihn vor
wechselnden und starken Eindrücken bewahrt, und
der frühe Tod der Mutter, deren Bild durch die
Erzählungen des Vaters vor seine Seele wieder
Kuno Fischer in Posen. 155'
and wieder geführt und lebendig erhalten wird.
Dieser selbst wird als „ein nur der idealen Sphäre des;
Lebens zugewandter Mann bezeichnet, dessen Beruf als
Prediger seinen Neigungen und Gemütsbedürfnissen voll-
kommen entsprach, und der nach dem Tode seiner Gattim
in tiefer ländlicher Zurückgezogenheit, nur der Seelsorge
seiner Gemeinde und der Erziehung seiner beiden Söhne
mit aufopferungsfreudiger Liebe hingegeben, lebte4'1). Diese
Stimmung des Knaben dauert bis in sein sechzehntes-
Lebensjahr, wie er selbst angibt; also, auch die grössere
Stadt, in die er mit 10 Jahren übergesiedelt ist, hat nicht
von Anfang an vermocht, ihn davon abzuziehen und
grössere Tatkraft in ihm zu wecken oder wenigstens ihn.
die Dinge der Welt so ansehen zu lassen, wie sie
in Wahrheit sind. Es hängt das offenbar auch mit
dem Charakter jener Zeit zusammen, in der immer
noch ein Nachzittern der Wertherstimmung in weiten
Kreisen wahrnehmbar ist, und später die Romantiker mit
ihren Ideen die empfindsame Welt beherrschen. Be-
zeichnend ist nun folgende Stelle des Lebenslaufes: „Vater-
ländische Dichter und Schriftsteller hatten meinem Gefühls-
leben geschmeichelt und mich mehr und mehr in diesen
magischen Kreis hineingebannt. Klassische Dichter sollten,
den Durchbruch in mir hervorrufen und einem deutschen:
und englischen Dichter danke ich endlich die Befreiung"^
Den ersten Anstoss zu einem Umschwung gibt ihm Friedrich
von Schiller, dessen Poesien ihn entzünden und die er
fast ganz auswendig lernt. „Seine Gedanken waren so
schön und wahr, so bezaubernd ausgesprochen, dass ich
nicht begreifen konnte, wie Schiller nicht eine neue Ära.
für die Menschheit begründet hatte: eine kindische
Schwärmerei, die mich damals so glücklich machte! Es
war eine Illusion, in deren rosigem Lichte ich die Welt:
wiederglänzen sah; doch als ich näher hinblickte, sah die
Welt ganz anders aus, als Schiller sie wollte, und ich
musste mir selbst gestehen: es war gut, dass sie
*) M. E. von Sosnowski: Kuno Fischer, Breslau o. J. „Deutsche-
Bücherei" Schottländer.
156 Friedrich Thümen.
nicht so war". Einen lyrischen Traum nennt er
•es, aus dem ihn eine epische Harfe weckt, die
Homers, „bei dessen Heroen ich die Posas, die Teils und
:alle Schillerschen Ideale vergass"! Dieser Dichter übt
auch auf ihn eine begeisternde Wirkung aus, und „mit
-der Liebe zum Altertum brach meinem Geiste eine neue
Ära an; alle eitlen Träume waren vergessen." Die
griechische Götterwelt in Vergils Aenei's und Ovids Meta-
morphosen wiederzufinden, macht ihn glücklich, und seine
Entwicklung, die er bisher als eine lyrische bezeichnet
hat, nimmt eine diesen Eindrücken analoge Richtung, die
•er eine epische nennt, d. h. — so lauten seine Worte —
„das Träumen in der Zukunft hörte auf, und ich fühlte
mich auf dem festen Boden der Vergangenheit sicherer
und wohler." Den dritten Fortschritt macht er dann in-
folge seines Studiums Goethes und Shakespeares, die ihn
von der Prima an, 1842, in ausgedehntem Masse beschäf-
tigen. Hier liest er in der Klasse den „Faust"; „obwohl
ich mir keineswegs das vollkommene Verständnis, namentlich
im speziellen Sinne, anmasse, erkannte ich doch den un-
geheuren Gedanken, der dem Faust zugrunde liegt, und
verfolgte ihn in den Hauptzügen des Dramas." Faust ist
ihm „nicht das Phantasiegeschöpf eines Dichtertraumes,
sondern der Mensch in seiner Wahrheit, ein Prototyp
für alle Zeiten gültig.* Einen zweiten Gedanken, „epoche-
machend in seiner Entwicklung", entnimmt er der Dichtung,
die Wahrheit nämlich, „dass der Mensch nie die absolute
Wahrheit erkennen kann, und es die höchste menschliche
Aufgabe bleibt, seine Zeit richtig zu verstehen und nach
individuellen Kräften zu fördern". Dies soll ihm auch
für die Wahl des Berufes Prinzip sein. Shakespeare
endlich zeigt ihm die Welt, wie sie wirklich ist, und zwar
in der Gegenwart, und bringt ihm die Wahrheit zum
Bewusstsein: „Der Mensch ist zum Handeln geboren und
muss drastisch in seine Gegenwart eingreifen".
Nach einem Danke an seine Lehrer, deren einsichts-
volle Strenge und nachsichtiger Ernst seine Entwicklung
gefördert haben, gibt er in zusammenfassender Weise an,
Kuno Fischer in Posen. 157
dass er mit besonderer Vorliebe das Studium der Ge-
schichte als die unerlässliche Bedingung zum Verständnisse
der Zeit, das Studium der Alten und das der Muttersprache
getrieben habe. Für die französische Sprache fühlt er ein
grösseres Interesse, als er ihr bei den Anforderungen der-
Schule widmen kann; und so nimmt er sich vor, die
Sprache der grossen, welthistorischen Nation ganz kennen;
zu lernen. Die hebräische Sprache flösst ihm als eine,,
die vor Jahrtausenden gelebt hat, Ehrfurcht ein. Mit der
Mathematik, die er mehr achtet, als er in ihr leistet, hat
er sich, besonders wegen der mangelhaften Vorbildung,,
nicht befreunden können. Für die Naturwissenschaften
ist kein eigentliches, subjektives Interesse in ihm erregt:
worden, und im besonderen der Physik hat er sich stets
fern gehalten. — Von der Schuldisziplin nimmt er mit dem
bekannten Worte Abschied, das auch Goethe seiner Selbst-
biographie vorangestellt hat: '0 ^ daQelg avd-QWTtog ov
Tzatdsverai.
Sodann spricht er über die Wahl des Berufes, über
die er sehr viel nachgedacht hat. Von Kindheit an war
er für die Theologie bestimmt, die ihn auch eigentümlich
anlockte wegen der praktischen Ausübung der Bered-
samkeit; er entsagte indessen aus bestimmten Gründen,,
die er uns freilich vorenthält, diesem Studium, und erklärt,,
das der Geschichte und der Sprachen fortsetzen
zu wollen. „Das dritte Studium endlich, dem ich mit
grossen Hoffnungen entgegensehe, und das ich mit rast-
losem Eifer betreiben will, ist die Philosophie; doch muss.
ich mich jedes Urteils über diese Wissenschaft begeben,
da ich sie bis jetzt noch zu wenig, fast gar nicht, kenne"..
Diese verschiedenen Disziplinen fasst er unter dem Namen
Philologie zusammen; nach dem Rate sachverständiger
Männer hat er die Universitäten Leipzig und Berlin zu
seiner akademischen Ausbildung erwählt.
Dem Lebenslaufe ist ein Bericht über die Lektüre
des Schülers angefügt worden, die ihn in den meisten
seiner Mussestunden beschäftigt hat; es sind nach seiner
Angabe fast ausschliesslich Schriftsteller von hervor-
158 Friedrich Thüraen.
ragender Bedeutung in den verschiedenen Literaturen
gewesen, die aber ausserhalb des Bereiches der Schule
liegen, und darum unterlässt er die Nennung von Namen.
Dass er die Lektüre so eifrig betrieb, führt er teils auf
<den natürlichen Trieb nach Beschäftigung, teils auf „das
Streben, sich nie von sozialen Neigungen beherrschen zu
lassen", d. h. also für sich zu leben, zurück. Gelesen hat
»er zunächst belletristische und namentlich romantische
Literatur, von letzterer vorzugsweise englische. Dann
bekommt die Lektüre einen wissenschaftlichen Charakter,
indem er sich den Alten zuwendet und später besonders
den Geschichtsschreibern, unter denen Schlosser durch
seine „Geschichte des 18. Jahrhunderts" einen tiefen Ein-
druck auf ihn macht. Ausser Goethe und Schiller erwähnt
•er noch Lessing und Börne als seine Lieblingsschriftsteller;
»die Faustidee, die er eifrig verfolgt, führt ihn zu Klinger,
Immermann und besonders zu Byron. Unterden Franzosen
gewinnt er Beranger lieb und liest von Rousseau den „Contrat
social" und den „Emile". Was er noch von altklassischer
Lektüre erwähnt, ist im wesentlichen das, was noch heute
darin getrieben wird; Sueton auf der einen und Hesiod
und Plutarch auf der anderen Seite überschreiten das
Mass des jetzt Üblichen.
Nicht uninteressant ist es, das Ergebnis der schrift-
lichen Arbeiten der Reifeprüfung, welche in den Tagen
vom 23. bis 28. Februar angefertigt wurden, zu hören,
nicht uninteressant auch die Notiz des Protokolls vom
letzten Tage: „Prof. Müller nahm mehreren Abiturienten
mitgebrachte deutsche Übersetzungen des Sophokles vor
Beginn der Arbeit weg". Ob Kuno Fischer unter diesen
gewesen ist, darüber schweigt des Aktenstückes Höflich-
keit, welches in diskreter Weise hierbei überhaupt keine
Namen nennt.
Der deutsche Aufsatz behandelt das Thema: „Was
hat dazu gewirkt, die lateinische Sprache zur allgemeinen
Gelehrtensprache zu machen?" und ist in einer „den An-
forderungen des Reglements jedenfalls genügenden Weise"
bearbeitet worden. Hervorgehoben wird in der Beurteilung
Kuno Fischer in Posen. 159
„die Bildung des Verstandes und der Phantasie" und trotz
einiger nicht strengen Schlussfolgerungen „das Streben
nach selbständiger Geistesbewegung0; die „korrekte und
sprachgewandte Schreibart" leidet darunter, dass sie
„durch das Streben" nach poetischer oder rednerischer
Färbung stellenweise zu einer etwas gezierten Diktion
sich hat verleiten lassen". Seine häuslichen Arbeiten —
auch damals war dieser Zusatz schon üblich — waren
immer mit grossem Fleisse angefertigt und gewöhnlich
nach Inhalt und Form recht gelungen. Der lateinische
Aufsatz behandelt das Thema: Pugna Salaminia cur non
Graecis solum summam attulerit utilitatem, sed toti etiam
Europae fuerit utilissima; es sei hierzu bemerkt, dass
Kuno Fischer in offenbarer Flüchtigkeit die Worte:
summam attulerit utilitatem — welche von Kiesslings
Hand in das Protokoll eingetragen stehen und auch bei
den übrigen Arbeiten sich finden — fortgelassen hat.
Der Aufsatz erhält das Prädikat: im ganzen wohl befrie-
digend, da trotz der nicht scharfen Disposition die Dar-
stellung durch rhetorische Lebendigkeit und fast durch-
gängige Korrektheit sich empfiehlt. Auch sonst hat er
fast jederzeit eine recht gute Kenntnis der lateinischen
Sprache bewiesen. Im Hebräischen ist Psalm 144, V. 1 — 11
ins Lateinische übersetzt und eine ebensolche Analyse
der Formen gegeben worden; die Arbeit ist für 2 Stunden
recht umfangreich und entspricht im allgemeinen den
gesetzlichen Anforderungen. Hat in dem lateinischen
Extemporale „das Streben nach Eleganz den Verfasser
bisweilen auf Abwege geführt", so wird die Arbeit doch
als „im ganzen befriedigend" zensiert, während die Über-
setzung aus dem Griechischen ,SophokIes' Elektra Vers
254 — 292, die an einigen Stellen im Ausdrucke zu prosaisch
ist, an anderen dagegen „fast etwas zu sehr sich in die
Höhe schraubt", die Bezeichnung: den Anforderungen
genügend, erhält, ebenso die französische, die betitelt ist:
Der Frühling des griechichen Klimas. Dagegen ist ihm
die mathematische Arbeit nicht gelungen; sie ist, da es
dem Verfasser „an Klarheit und Übersicht seiner mancherlei
l6o Friedrich Thfimen.
mathematischen Kenntnisse fehlt": den gesetzlichen An-
forderungen nicht genügend.
Die mündliche Reifeprüfung findet am 22. März statt.
Es erschienen dazu 6 Schüler, von denen aber nur 4 das
Reifezeugnis erhalten, ausser Kuno Fischer: Ernst von
Kessel, Hermann Kohleis und Gustav Wendt, welche drei
Jura und Kameralia studieren wollen; die beiden anderen
bestehen die Prüfung ein halbes Jahr später. Die Ver-
handlung findet unter dem Vorsitze des Regierungs- und
Schulrats Dr. Brettner statt, und die Prüfungskommission
besteht weiter aus dem Direktor Kiessling, den Professoren
Martin, Müller und Loew, dem Oberlehrer Schönborn,
dem Konsistorialrat Dr. Siedler als Religionslehrer und
dem Dr. Rymarkiewicz.
Das Zeugnis der Reife spricht sich in Betreff der
sittlichen Aufführung dahin aus, dass Fischer „in seinem
Verhältnis zu Lehrern und Mitschülern sich wahr und
offen gezeigt, bildenden Einflüssen eine immer zunehmende
Empfänglichkeit bewiesen und den Anforderungen der
Ordnung und guter Gesetzlichkeit willige Folge geleistet
hat". „Seine recht guten Anlagen, so heisst es weiter,
hat er mit angestrengtem Fleiss auszubilden sich bemüht
und eine erfreuliche Liebe zu den Wissenschaften an den
Tag gelegt Mit sichtbarem Erfolge ist er auch einer ihn
früher behindernden Unklarheit und Überschätzung seiner
Kräfte Herr geworden".
Die Angaben des Protokolls sind meistens summarisch
gehalten. Die Prüfungs- Kommission, welche das Zeugnis
am 1. April 1844 ausgefertigt hat, entlässt ihn in der
sicheren Hoffnung, dass er der von ihm eingeschlagenen
löblichen Richtung nie untreu werde und seine wissen-
schaftliche und sittliche Ausbildung mit dem besten Erfolge
fortsetzen werde.
Über die äussere Erscheinung Fischers haben wir
ein Zeugnis Sosnowskis. „Als ich im Jahre 1841 bei
meinem Eintritt in das Friedrich Wilhelms- Gymnasium
zu Posen zum ersten Male die Räume der Schule betrat
und die Jugend nach beendigtem Unterricht aus den Klassen
Kuno Fischer in Posen. 161
nausstürmen sah, erregte unter meinen neuen Mitschülern
ner besonders meine Aufmerksamkeit in hohem Grade.
ui seiner wohlgebildeten Gestalt, die sich durch ihre
'fc>liafte und energische Bewegung auszeichnete, musste
er Blick mit Interesse und Wohlgefallen ruhen. Sein
f fenes und heiteres Gesicht von interessantem Schnitt,
ein kühn und fest blickendes Auge Hessen eine sich
nichtig entwickelnde Intelligenz verraten. Das blonde
-laar fiel in langen, vollen Locken bis auf die Schulter
nerab. So erschien mir damals Ernst Kuno Berthold
Fischer".
Über die Wohnung Kuno Fischers in Posen haben
eingehende Untersuchungen stattgefunden, da das Adress-
buch von 1835 den Oheim in die Wilhelmstrasse 134 ver-
setzt — ein Haus, das sich in unmittelbarer Nähe der
Raczynskischen Bibliothek befunden haben muss, — Fischer
selbst aber auf eine Anfrage angegeben hat, dass er in
der Villa „Lindenruh" vor dem Eichwaldtore gewohnt habe.
Dies ist das Grundstück Nr. 11 der Eichwaldstrasse —
genannt Columbia Nr. 3 im Grundbuche, — welches jetzt
die Sanitätsmolkerei einnimmt. Hiernach hatte der Kreis-
steuereinnehmer Fischer seine Wohnung in der Wilhelm-
strasse schon aufgegeben, ehe er den Neffen zu sich nahm,
und dieser wiederum hat, als die Familie Fischer in die
Stadt zurückkehrte, weil die Eichwaldstrasse sehr häufig
von Überschwemmungen heimgesucht wurde, den Umzug
nicht mehr mitgemacht, sondern Posen früher verlassen.
Übrigens will der gegenwärtige Besitzer des Grundstücks
in der Eichwaldstrasse das Gebäude abbrechen lassen;
es dürfte sich empfehlen, es im Bilde festzuhalten.
Als ein begabtes junges Menschenkind, etwas träu-
merisch veranlagt, ist Kuno Fischer einst nach Posen und
auf das Friedrich Wilhelms -Gymnasium gekommen. Den
gemütlichen Verhältnissen des Vaterhauses entrissen, hat
or unter der strengen und gewissenhaften Erziehung des
Oheims allmählich gelernt, das träumerische Wesen abzu-
legen und sich in die Ordnung und die Pünktlichkeit der
Schule zu fügen, äusserlich und innerlich. „Schon in den
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Prov. Posen. Jahrg. XX. n
IÖ2 Friedrich Thfimen.
Mittelklassen gehörte er zu den ausgezeichnetsten und in
den Augen der Lehrer hoffnungsvollsten Schülern". In
den oberen Klassen zeigte sich seine hervorragende all-
gemeine Befähigung recht klar, „eine rasche und sichere
Auffassung, ein entschiedenes selbständiges Urteil, eine
anerkannte Rednergabe und eine grosse Empfänglichkeit
für die Dichtkunst und die Schönheit ihrer Formen44. Man
hatte daher geglaubt — und er selbst hatte ja diese
Absicht kundgegeben, — dass er die Literatur zu seinem
Hauptstudium machen würde; aber schon nach dem ersten
Semester, das er in Leipzig zubrachte, zieht es ihn nach
Halle und zum Studium der Philosophie, der er von jetzt
an vorzugsweise seine Kraft und Zeit widmet Dass er
aber jener nicht untreu geworden, beweisen seine Schriften
über Schiller, Lessing, Shakespeare und Goethe.
Zu Posen ist Kuno Fischer später nicht wieder in
Beziehungen getreten. Wir aber widmen ihm mit diesen
Zeilen ein Zeichen des Gedenkens.
zur Geschichte des deutsch-katholischen Kirchen-
systems der Stadt Posen und ihrer Kämmereidörfer,
Von
Manfred Laubert.
eine der im Laufe des 19. Jahrhunderts vor-
nehmlich durch die stille Wirksamkeit des
katholischen Klerus sich vollziehenden Poloni-
sierungen ehemals deutscher Kolonien in der Provinz
Posen hat so viel Staub aufgewirbelt wie die Entnationali-
sierung der sogenannten Bamberger. Der Grund hier-
für liegt darin, dass sich dieser Vorgang in unmittelbarer
Nähe der Stadt Posen, „unter den Augen der höchsten
Staatsbeamten und Schulbehörden" abspielte, und dass
bereits vor längerer Zeit von Max Bär dem Schicksal der
betreffenden Gemeinden eine ausführliche Monographie
gewidmet worden ist, deren Hauptinhalt später General-
leutnant von Boguslawski, durch eigene Beobachtungen
ergänzt, dem deutschen Volke von neuem in das
Gedächtnis gerufen hat1).
An der Hand aktenmässigen Materials schildert
Bär ausführlich, wie einige der katholischen Pröpste ihre
l) Bär, Die „Bamberger" bei Posen. Posen 1882, zuerst
erschienen in der „Zeitschrift für Geschichte und Landeskunde der
Provinz Posen" 1882 Heft III;
v. Boguslawski, 85 Jahre Preussischer Regierungspolitik in
Posen und Westpreussen von 1815 bis 1900. Berlin 1901. S. 22 ff.
11*
164 Manfred Laubert.
Stellung als geistliche Schulinspektoren dazu benutzten,
um durch Einwirkung auf das Lehrerpersonal die Schule
zum „Tummelplatz ultramontan-polnischer Propaganda" zu
machen und unser Gewährsmann deutet ferner an, wie
sie durch ihren persönlichen Einfluss auf die Gemeinden,
im Beichtstuhl und beim Abendmahl und durch private
Unterredungen die deutschen Katholiken ihrer Kirchspiele,
wahrscheinlich ad majorem dei gloriam, für die Sache
des Polentums zu gewinnen trachteten, wozu sich ihnen
nur allzu günstige Gelegenheit bot, da der kirchlichen
Ordnung nach die von Bambergern bewohnten Dörfer zu
polnisch-katholischen Pfarrkirchen gehörten, in denen nur
polnisch gepredigt und zelebriert wurde. „Allerdings —
fährt Bär fort1) — ist den deutschen Katholiken in Posen
nach schweren Kämpfen eine Kirche — die Franziskaner-
kirche — zugewiesen, allein dieselbe ist nur eine Suk-
kursale der Pfarrkirche, keine Parochialkirche; es wird
daher dort wohl deutsch gepredigt, Beichte gehört u. s. w.,
aber es darf dort nicht getauft und getraut werden,
wenigstens nicht ohne vorher eingeholte Erlaubnis der
betreffenden Parochialpröbste und ohne Zahlung doppelter
Gebühren".
Diese „schweren Kämpfe", welche es gekostet hat,
um den deutschen Katholiken der Stadt Posen und ihrer
Kämmereidörfer — denn diese bilden vorwiegend die
Ansiedelungsplätze der Bamberger — eine eigene Succursal-
kirche zu erobern, sollen in dem vorliegenden Aufsatz nach
den Akten des Geheimen Staatsarchivs in Berlin2) näher
geschildert werden.
Angeschnitten wurde die Frage des deutsch-
katholischen Kirchensystems an Allerhöchster Stelle zum
ersten Mal durch einen Immediatbericht des Ministers der
geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten, des
Freiherrn von Altenstein, vom r 9. Dezember 1835. In
demselben wird als eine Art historischer Einleitung aus-
geführt, dass in der Stadt Posen und ihrer Umgebung
i) a. a. O. S. 49.
2) Rep. 89. C. XLII. Nr. 7. vol. II f. 89 ff. u. vol. III f. 121 ff.
Deutsch-katholisches Kirchensystem zu Posen.
165
eine nicht unbeträchtliche Zahl von Katholiken deutscher
Abkunft lebte, die teils aus Schlesien stammten, teils
Abkömmlinge einer im 17. Jahrhundert aus den fränkischen
Bistümern Bamberg und Würzburg zur Förderung des
Obst- und Gemüsebaues nach dem fernen Osten ver-
pflanzten Kolonie waren1).
Nach einer genauen im Jahre 1831 durch die
Regierung zu Posen veranstalteten Zählung gehörten zu
den deutschen Katholiken:
a) in der Stadt Posen 442 Familien mit 1 678 Köpfen.
b) „ den Gemeinden
c)
d)
e)
0
g)
Ober- u. Unter
Wilda . . .
Winiary . .
* Dembsen
Luban . . .
Rataj . . .
Bonin 2) . .
133
5i
34
18
36
i
559
281
230
121
252
20
719 Familien mit 3 141 Köpfen3).
Durch die Einpfarrung zu den polnischen Kirchen
ihres Wohnorts entstand für diese deutschen Katholiken
keine Unbequemlichkeit in Bezug auf denjenigen Teil des
Gottesdienstes, der in lateinischer Sprache verrichtet wird,
da ihnen das Wirken eines deutschen oder polnischen
*) In Wahrheit fand die Einwanderung der Kolonisten in der
ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts statt; der Zweck ihrer Berufung
war ein nicht so eng begrenzter, sondern die Stadt Posen holte die
Ansiedler zur Wiederbevölkerung der durch Krieg und Pest ver-
heerten Kämmereidörfer überhaupt und zur Sicherstellung der aus
diesen Besitzungen fliessenden Einnahmen in das Land. Es handelt
sich also um eine Finanzoperation der Kämmereiverwaltung. Ein
Teil der zuziehenden Familien stammte auch aus Württemberg,
Ostpreussen und anderen deutschen Provinzen.
2) Ein verschwundenes Vorwerk an der Stelle des heutigen
Forts Winiary.
3) Diese Zahlen weichen sehr erheblich von den für 1835 bei
Bär angegebenen, deren öuelle mir unbekannt ist, ab. (a. a. O. S. 74).
Nach Bär zählte damals Dembsen 23 deutsche Hausväter, Luban 12,
Rataj 2r, Wilda 55.
l66 Manfred Laubert.
Priesters hierbei gleichgiltig sein konnte. Anders verhielt
es sich in Bezug auf diejenigen seelsorgerischen Ver-
richtungen und die Teile des Gottesdienstes, bei denen
die Landessprache ausschliesslich oder zugleich mit der
lateinischen gebraucht werden muss, wie Predigt, Unterricht,
Beichte, Krankenbesuche, Beratungen in zweifelhaften
Gewissensfällen und selbst Taufe wie Trauung. Hier
nun leisteten früher die Klöster der Dominikaner, Franzis-
kaner, Bernhardiner und Pauliner die erforderliche Aus-
hilfe; das Brüderschaftswesen bot dazu nicht allein die
Form, sondern auch die nötigen Mittel. Diese nur der
katholischen Kirche eigentümliche Institution besteht darin,
dass sich neben der auf der gesetzlich notwendigen
Parochialeinteilung beruhenden Pfarrgemeinde unter kirch-
licher Aufsicht noch andere freiwillige Vereine, teils zu
gottesdienstlichen Übungen, teils zu mildtätigen Zwecken
gestalten können, die sich entweder den Pfarrkirchen
selbst, meist aber den Klöstern anschlössen, ihre eigenen
Prediger aus den Weltgeistlichen oder Mönchen besassen
und sich merkwürdiger Weise bei ihrem Gottesdienst
fast ausschliesslich der Landessprache bedienten. Auf
diese Weise trugen sie dazu bei, den Gebrauch der
lateinischen Sprache zu mildern und neueren im religiösen
Volksleben entwickelten Ideen Eingang zu verschaffen.
Die deutsch-redenden Katholiken in der Stadt Posen
und deren Umgebung hielten sich an die bei den Domini-
kanern und Bernhardinern bestehenden sogenannten
„deutsch-katholischen Brüderschaften", bei denen an
gewissen Sonn- und Feiertagen des Nachmittags für sie
ein besonderer Gottesdienst in deutscher Sprache mit
Gesang, Gebet und Predigt gehalten wurde. Die Brüder-
schaftsprediger waren zugleich die Beichtväter, Religions-
lehrer, Tröster der Kranken, kurz, sie vertraten den Pfarrer
bei allen Handlungen, bei denen dieser wegen Unkenntnis
der deutschen Sprache sein Amt nicht selbst wahr-
nehmen konnte.
Die in Rede stehende deutsch-katholische Bevölke-
rung gerät deswegen durch die befohlene Aufhebung der
Deutsch-katholisches Kirchensystem zu Posen. 167
genannten Klöster in nicht geringe Verlegenheit, „und es
leuchtet den sämmtlichen Provinzialbehörden daselbst ein,
dass für die religiösen Bedürfnisse dieser Katholiken in
zureichender Weise anderweitig gesorgt werden muss.
Dafür spricht nicht allein die Gerechtigkeit, indem sie
durch das rechtliche Bestehen der Klöster und des mit
den Klöstern verbundenen Instituts der Brüderschaften
die ihnen mit Rücksicht auf den Unterschied der Sprache
unentbehrliche Ergänzung der pfarrlichen Seelsorge
genossen, sondern es reden auch erhebliche politische
Gründe einer solchen Fürsorge das Wort. Das Miss-
vergnügen, welches jede Klosteraufhebung, besonders
in jener Provinz, zu begleiten pflegt, dürfte sehr gesteigert
werden, wenn man diese Rücksicht ganz ausser Augen
setzen wollte. Man würde eine nicht unbedeutende
Anzahl deutscher Familien, die bis dahin mit deutscher
Ausdauer dem National-Charakter und der Muttersprache
treu geblieben sind, mittelbar nöthigen, in der nächsten
Geschlechtsfolge diese Eigenschaften der Religion wegen
abzulegen. Dadurch aber würde man ein Element auf-
opfern, welches wesentlich dazu dient, der deutschen
Sprache und Lebensweise bei den Einwohnern polnischen
Stammes, besonders bei dem gemeinen Manne und in
den Mittel-Classen, Eingang zu verschaffen, weil die Über-
einstimmung in der Religion den Verkehr und die
Familien-Verbindungen erleichtert. Auch ist es für Posen,
als Festung und Garnisonstadt, nicht unwichtig, dass dort
ein deutsch-katholischer Gottesdienst bestehe".
Der anfänglich aufgetauchte Gedanke, für die deutsch-
katholische Einwohnerschaft der Stadt eine besondere
Parochie in einer eingehenden Klosterkirche zu gründen,
musste wieder aufgegeben werden, insbesondere wegen
der Verwicklungen und Schwierigkeiten, welche mit der
Vereinigung dieser Glaubensgenossen zu einer solchen
förmlichen Parochie in der Tat verbunden sein würden.
Angemessen erschien es dagegen, einen Mittelweg zu
wählen in der Weise, dass die Franziskanerkirche zu
Posen zu einer Succursal- oder Hilfskirche für die deutsch-
l68 Manfred Laubert.
redenden Katholiken erhoben und bei derselben die
Anstellung von zwei deutschen Geistlichen bewirkt würde,
denen die Verpflichtung obliegen sollte, an Sonn- und
Feiertagen Gottesdienst mit deutscher Predigt zu halten,
Beichte zu hören, die heilige Kommunion zu spenden,
ohne dass daraus eine Auflösung der bestehenden Parochial-
verbindung zwischen den deutschen Katholiken und den
polnischen Pfarrkirchen erfolgte. Auf solche Weise
hofften die Verwaltungsbehörden die bisherigen Leistungen
der Brüderschaften und deren Prediger zu ersetzen.
Zur Besoldung der zwei Geistlichen und der unteren
Kirchenbedienten, zur Bestreitung der gottesdienstlichen
Bedürfnisse sowie endlich zur baulichen Unterhaltung der
bisherigen Franziskanerkirche konnten zweckmässig die
bei dem Posener Franziskanerkloster ausgesetzten, der
Säkularisation nicht unterliegenden Messfundationen und
ähnliche Einnahmen im Reinbetrage von 1380 Rtr. 19 Sgr.
überwiesen werden. Die laufenden Ausgaben bei der
geplanten Einrichtung berechnete Altenstein auf 1684 Rtr.
10 Sgr., so dass ein jährlicher Zuschuss von 305 Rtr.
21 Sgr. erforderlich blieb, dessen Deckung aus dem
Säkularisationsfonds und zwar aus einem darunter
begriffenen Fonds von 8000 Rtr. zur Dotierung
solcher Pfarrsysteme, deren Organisation durch die
Aufhebung der Klöster notwendig wurde, unbedenk-
lich erschien.
Der Erzbischof von Gnesen und Posen (Dunin) war
mit diesem Projekt einverstanden und zur Überweisung
der Fundationen bereit. Freilich wollte er sich auch die
Besetzung der beiden geistlichen Stellen vorbehalten,
was der Minister für nicht angängig erklärte, da offenbar
hier das Patronat oder Präsentationsrecht dem Landes-
herrn zukam, weil der Staat die Räumlichkeit, ein ihm
durch Säkularisation zugefallenes Kloster, und einen
Jahreszuschuss hergeben musste, der Erzbischof aber
durch die blosse Zuweisung der Messfundationen nicht
als Dotator im eigentlichen Sinne auftrat. Als verstärken-
des Argument wurde bemerkt: „Nächstdem aber ist es
Deutsch-katholisches Kirchensystem zu Posen. 169
auch von politischer Bedeutung, dass der Staat die Ver-
gebung dieser mit deutschen Geistlichen zu besetzenden
beiden Stellen in Händen behalte."
Bei dieser Sachlage glaubte der Minister, seinem
Monarchen nur anheimstellen zu können: „Die Erhebung
der Franziskaner -Kirche zu Posen zur Succursal- Kirche
für die deutsch -redenden Katholiken daselbst und der
Umgegend und die Übertragung des Patronats-Rechts an
die Regierung zu Posen", sowie die Bestreitung der not-
wendigen Ausgaben in der vorgeschlagenen Weise unter
Gewährung des erforderlichen Zuschusses aus dem
Säkularisationsfonds „in Gnaden zu genehmigen".
Selten wohl ist ein Antrag auf Unterstützung eines
deutschen Kirchensystems in der Provinz mit verhältnis-
mässig recht geringen staatlichen Mitteln durch triftigere
Gründe motiviert worden, und selten wohl mag Altenstein
während seiner langjährigen amtlichen Wirksamkeit mit
grösserer Zuversicht der Gewährung seines Antrages ent-
gegen gesehen haben als in dem vorliegenden Falle.
Überraschenderweise fand es nach einer am
10. Januar 1836 erlassenen Kabinetsordre x) der Monarch
auf diesen Bericht nicht erforderlich, dass nach dem
Antrage aus den Katholiken deutscher Abkunft in Posen
und der Umgegend „eine besondere Pfarrgemeinde gebildet
und ein neues katholisches Pfarr- System eingerichtet
werde". Jedenfalls wollte Friedrich Wilhelm III. erst
abwarten, wie sich die Sache nach Aufhebung der in
Frage kommenden Klöster gestalten werde, und Altenstein
bekam den Auftrag, die Angelegenheit für jetzt auf sich
beruhen zu lassen und nur dafür zu sorgen, dass die
Messfundationen der Verfügung des Erzbischofs noch
nicht definitiv überwiesen, sondern die Disposition darüber
vorläufig noch vorbehalten würde.
Aus einem Reskript des Ministers vom 29. Januar 1836
ersah dann der Oberpräsident Flottwell die unerwarteten
Hindernisse, welche die Einrichtung des Gottesdienstes
A) Konzept von dem Wirklichen Geh. Rat von Stägemann.
170 Manfred Laubert.
in der Posener Franziskanerkirche gefunden hatte. In
einem Bericht vom 15. Februar betonte er jedoch, dass
der ablehnende Allerhöchste Bescheid auf einem Missver-
ständnis zu beruhen schien, da die vom König für unnötig
erklärte Bildung einer besonderen Pfarrgemeinde und
eines neuen katholischen Parochialkirchensystems seinem
eigenen Vorschlage ebenso fremd gewesen sei, wie sie
nach Äusserung des Ministers auch nicht in dem Wesen
von dessen Immediatbericht gelegen hatte. Der Ausspruch
Seiner Majestät stimmte vielmehr mit der Ansicht über-
ein, die der Oberpräsident selbst von der Sache hegte,
und mit der er auch früher gegenüber der 1834 auf
Bildung einer neuen Kirchengesellschaft und das Aus-
scheiden der deutschen Katholiken aus ihrem bisherigen
Pfarrnexus gerichteten Absicht des Ministers durch-
gedrungen war. Hingegen wollte sich Flottwell nicht zu
der Anschauung bekehren, dass eine Einrichtung, deren
Zweck nur darin bestand, den deutschen Katholiken den
Gottesdienst in ihrer Mutter- und Landessprache zu
sichern, mit den Wünschen des Königs in Widerspruch
stehen sollte. Einen Anhalt für seine Meinung fand er
in den vielfachen, wichtigen, von Altenstein stets
anerkannten Interessen, welche eine solche Einrichtung
als höchst wünschenswert, ja als notwendig, darstellten
und besonders in dem Umstand, dass Friedrich Wilhelm
durch Kabinetsbefehl vom 14. April 1832 zwar die Gebäude
des Franziskanerklosters der Stadtgemeinde für ihre
Armenanstalten überwiesen, aber gleichzeitig ausdrücklich
bestimmt hatte, dass die Kirche dem katholischen Gottes-
dienst vorbehalten werde. Flottwell wies daher vorsichtig
darauf hin, dass eine nähere Bestimmung der Modalitäten
dieses Gottesdienstes und die Flüssigmachung der nötigen
Mittel hierfür ganz innerhalb der Grenzen der dem
Minister durch Ordre vom 31. März 1833 übertragenen
Befugnisse gelegen haben dürfte, der Monarch also nur
durch die von ihm speziell eingeholte Genehmigung zu
der Annahme bewogen sein mochte, es werde die Bildung
einer neuen Kirchengesellschaft mit Pfarrgerechtsamen
Deutsch-katholisches Kirchensystem zu Posen. 17 1
beabsichtigt. Deshalb stellte er Altenstein dringend
anheim, dem König einen erneuten berichtigenden Vortrag
zu halten.
Der Kultus der Katholiken deutscher Herkunft war
in der städtischen Pfarrkirche von jeher vernachlässigt
worden, weil die Mehrzahl der Einwohner polnisch
verstand und die geistlichen Behörden hierin eine
ihrer Gesinnung entsprechende Veranlassung fanden,
nur für den polnischen Gottesdienst zu sorgen. Dadurch
waren jene, wie Flottwell zur Unterstützung seines Ge*
suches anführt, genötigt gewesen, unter dem Namen der
St. Annen-Gemeinde sich zu einer besonderen Brüderschaft
zusammenzuschliessen, ein eigenes Bethaus zu erbauen und
^inen der deutschen Sprache kundigen Klostergeistlichen für
ihre Seelsorge auszuwählen und zu besolden. Seitdem die
St. Annen-Kapelle aber baufällig geworden, wurde dieser
deutsche Gottesdienst in der Franziskanerkirche abgehalten.
Eine Wiederherstellung des früheren Verhältnisses ver-
hinderte die bauliche Verfassung der zudem als Pfarr-
wohnung der St. Martin-Gemeinde unentbehrlichen Annen-
Kapelle und der Umstand, dass durch die Aufhebung der
Klöster die Gelegenheit benommen war, sich für billiges
Geld einen der deutschen Sprache kundigen Geistlichen
zu verschaffen. Es kam also nur an auf einen Wechsel
des Lokals, statt der St. Annen -Kapelle, und die feste
Anstellung deutscher Prediger als Ersatz für die früher
zeitweilig berufenen Klostergeistlichen.
Flottwell glaubte mit Sicherheit voraussehen zu
können, dass die deutschen Katholiken, falls sie auf den
Besuch der städtischen Pfarrkirche beschränkt werden
.sollten, noch lange einen genügenden Gottesdienst ent-
behren würden. Selbst wenn die Regierung mit Nach-
druck darauf hielt, dass bei jeder Kirche einer der
anzustellenden Geistlichen der deutschen Sprache mächtig
sei, konnte es dem Erzbischof und dessen Konsistorium,
solange bis die neugeschaffenen Bildungsanstalten für den
Klerus ihren günstigen Einfluss auf gründlichere germanische
Bildung und Gesinnung wirklich ausüben würden, bei dem
172 Manfred Laubert.
Mangel an tauglichen Subjekten nicht schwer fallen, durch
irgend welche Ausflüchte die Bemühungen der Behörden
zu vereiteln, „und — so führt der Oberpräsident ferner
aus, — ein regelmässiger deutscher Gottesdienst in allen
städtischen Kirchen wird sich wegen der Nothwendigkeit
eines wiederholten polnischen Gottesdienstes für die über-
wiegende Mehrzahl der dieser Sprache anhängenden
katholischen Einwohner namentlich so lange nicht er-
zwingen lassen, als dem Bedürfnisse der letzteren nicht
durch die feste Einrichtung des Gottesdienstes in den
Kirchen der übrigen aufgehobenen Klöster Genüge ge-
schieht. Soll[en] aber den [sie!] wohlgesinnten Katholiken,
welche von deutscher Abstammung der preussischen
Regierung ergeben sind, so wie jetzt, darauf beschränkt
bleiben, von Zeit zu Zeit bald in dieser bald in jener Kirche,
wie es die Erzbischöfliche Behörde anordnet, einer deutschen
Predigt beizuwohnen, bei dem Geistlichen einer andern
Parochie die Beichte zu hören und die Kinder zum Religions-
Unterricht zu schicken, so kann es nicht fehlen, dass hierin
eine besondere Aufforderung für sie liegen wird, bei ihren
Kindern die Erlernung der polnischen Sprache, als eines
Mittels zur bessern Erfüllung ihrer Religionspflichten, zu
befördern, und es lässt sich nicht verkennen, wie wesentlich
in den niedern Volksklassen die Gewöhnung an diev pol-
nische Sprache eine Entwöhnung der deutschen Sitten und
Bildung herbeiführt und polnische Gesinnungen befördert.
Es ist Thatsache, dass in Dörfern, welche lediglich mit
Abkömmlingen deutscher Colonisten bevölkert sind, selbst
in der nächsten Umgebung der Stadt Posen — wie in
dem Kämmerei Dorf Jezyce — die deutsche Sprache fast
ganz erloschen ist, weil die aus Bamberg eingewanderten
Colonisten durch mehrere Generationen genöthigt gewesen
sind, wegen des Unterrichts und des Gottesdienstes in
der angestammten katholischen Religion an die der pol-
nischen Sprache nur kundigen und der deutschen Bildung
abgeneigten Landesgeistlichen sich zu halten, während
in den evangelischen Colonien überall die deutsche Sprache
herrschend geblieben ist, weil sie den Religions-Unterricht
Deutsch-katholisches Kirchensystem zu Posen. 173
und die kirchliche Andacht bei deutschen Predigern ge-
funden haben."
In dieser Weise drohte also die Aufhebung der
Klöster in der Stadt Posen durch Verminderung der
Gelegenheit zum deutschen Gottesdienst einen den Ab-
sichten des Königs gerade entgegenlaufenden, der ger-
manischen Bildung feindlichen Einfluss auszuüben, wenn
nicht die Einrichtung eines selbständigen ununterbrochenen
deutschen Gottesdienstes in der Franziskanerkirche zur
Ausführung gebracht wurde. „Sie ist der lebhafteste
Wunsch wie das fühlbare Bedürfniss eines sehr beachtungs-
werten Theiles der städtischen Einwohner, der Herr Erz-
bischof selbst bevorwortet sie dringend", fügte Flottwell
hinzu, um dem Minister eine angelegentliche Verwendung
nahe zu legen.
Erhöht wurde das Gewicht der Ausführungen des
Oberpräsidenten durch ein vielleicht auf Anregung und
wahrscheinlich wohl mit Vorwissen der Provinzialbehörden
am 7. April von den Vorstehern der St. Annen-
Gemeinde, Tischlermeister Kirscht und Uhrmacher-
meister Tritschler, eingereichtes Immediatgesuch. Fast
100 Jahre hindurch war nach ihm vom Bernhardinerkloster
für den deutsch-katholischen Gottesdienst in der St. Annen-
Kirche Sorge getragen, 1806 dieses Gebäude aber von
den Franzosen in ein Magazin verwandelt und nach der
Rückkehr friedlicher Zeiten dann in unbrauchbarem Zu-
stand vorgefunden worden1), ohne dass die zur Reparatur
erforderlichen Mittel aufgebracht werden konnten.
Den durch die Aufhebung der Klöster in Posen
aller Belehrung und alles Unterrichts beraubten deutschen
Katholiken wurde zum Trost das Versprechen erteilt, es
würde ihnen eine Kirche und der zur Dotierung zweier
Prediger nötige Fonds angewiesen werden. Beinahe
10 Jahre waren seitdem verflossen, während welcher die
Andacht der hart betroffenen, armen Gemeinde durch
*) In der Zwischenzeit war mit grossen Opfern ein anderes
Lokal von der bedrängten Gemeinde gemietet worden.
174 Manfred Laubert.
fast ebensoviele, immer wieder wechselnde, aus den vor-
handenen Mitteln nur spärlich besoldete Seelsorger mit
vielfachen störenden Unterbrechungen in verschiedenen
Parochial- und Kloster-Kirchen abgehalten worden war.
Jetzt, nach wirklich stattgehabter Beseitigung der Klöster,
so klagen die Bittsteller mit dem vernehmlich durch-
klingenden Ton schmerzlicher Enttäuschung, jetzt, da sich
die Gemeinde dank der ihr von allen Provinzialbehörden
zugesicherten Fürsprache am Ziel ihrer Wünsche wähnte,
war ihnen eröffnet worden, dass ihre jahrelangen Bitten
höhern Orts unberücksichtigt geblieben seien, ein Schlag,
der sie dazu veranlasst hatte, sich voll Vertrauen an ihren
Landesvater zu wenden und ihn um Berücksichtigung"
ihrer traurigen Lage zu ersuchen.
Dieses Immediatgesuch wurde Altenstein zur gut-
achtlichen Äusserung zugefertigt, welcher auf seinen über
diesen Gegenstand, „der bei der grossen Anzahl von
Leuten, die es trifft, und wegen seines wesentlichen
Zusammenhanges mit den Rechten des Gewissens und
der Förderung deutscher Sprache und Cultur unverkenn-
bare Wichtigkeit besitzt", erstatteten Vortrag vom 19. De-
zember 1835 verwies, gleichzeitig aber die Gelegenheit
wahrnahm, um den Irrtum aufzuklären, welcher der
Kabinetsordre vom 10. Januar 1836 ersichtlich zu Grunde
lag, da die Errichtung einer besonderen neuen Parochie
für die deutsch redenden Katholiken gar nicht beabsichtigt
war, die Beibehaltung der vormaligen Franziskanerkirche
für den katholischen Gottesdienst aber schon seit 1832
feststand und die Dotation des für denselben notwendigen
Klerus aus dem zu diesem Zweck im allgemeinen aus-
geworfenen Anteil des Klostervermögens damit als un-
erlässlich zusammenhing *). „Abgesehen hiervon4' — wird
hinzugefügt — „kann ohne auffallende Härte nicht dem
Zufall überlassen werden, ob den deutsch redenden
Katholiken, die seither in dem Bestehen des Dominikaner-
*) Schreiben an den geheimen Kabinetsrat Müller v. 23. April
bei Rücksendung des Gesuches.
Deutsch-katholisches Kirchensystem zu Posen. 175
und des Franziskaner-Klosters die Befriedigung ihres
religiösen Bedürfnisses auf rechtmässige Weise besessen
haben, bei der Aufhebung der genannten Klöster ein Ersatz
zu Th eil werden soll oder nicht. Sie können bei den polnisch en
Priestern nicht zur Beichte gehen, aus den Predigten
derselben sich nicht vernehmen, ihre Kinder durch die-
selben nicht im Katechismus unterrichten lassen, von
ihnen den Trost auf dem Sterbebette nicht empfangen.
Die polnische Geistlichkeit wird sich diesen Leuten in
Sprache nicht anbequemen; vielmehr dem natürlichen
Triebe folgend, die Entnationalisierung der deutschen
Katholiken sich angelegen sein lassen." Dazu kam, dass
sich dem Erzbischof die ihm verfassungsmässig zustehende
Verfügung über die Messstiftungen nicht vorenthalten Hess,
falls die dafür in Aussicht genommene Verwendung nicht
zur Ausführung gelangen sollte. In Anbetracht dieser
durch Flottwells Bericht verstärkten Umstände war der
Minister entschlossen gewesen, bei erster passender
Gelegenheit seinen Vortrag zu wiederholen und konnte
jetzt das Immediatgesuch nur der wohlwollenden Auf-
merksamkeit des Kabinetsrats Müller empfehlen, der
seinerseits durch Flottwell über den Gang der Dinge
unterrichtet worden war und den mit dem Vortrag beim
Könige betrauten Staatsminister Grafen Lottum auf den
von allen Seiten gehegten dringenden Wunsch einer
Gewährung der geäusserten Bitte hinwies1).
Lottum schlug als zweckmässigsten Weg zur Er-
reichung des erstrebten Ziels den vor, dass Altenstein
die Immediateingabe zum Anlass nehmen möge, um dem
Könige in einem neuen Bericht diejenige Aufklärung zu
geben, welche auf die gewünschte Allerhöchste Ent-
scheidung von wesentlichem Einfluss sein konnte2).
Dieser Anregung folgend trug der Kultusminister
unter dem 5. August nochmals die Angelegenheit seinem
Königlichen Herrn vor und betonte, dass sich, wie zu
2) Schreiben v. 30. April.
2) Schreiben vom 2. Mai, Konzept v. Stägemann.
176 Manfred Laubert.
erwarten gewesen war, die Aufhebung der Klöster iür
die zahlreichen deutsch-katholischen Einwohner als em-
pfindlich herausgestellt hatte. Ebensowenig wie von der
Gründung einer neuen Parochie die Rede gewesen, war
der in den Formen einer Brüderschaft bestehende gottes-
dienstliche Verein der deutsch redenden Katholiken
eine neue, erst durch die Abschaffung der Klöster hervor-
gerufene Erscheinung, sondern hatte sein altes durch ein
natürliches Bedürfnis begründetes rechtliches Bestehen.
Hiernach handelte es sich eigentlich nur darum, an
die bereits beschlossene Beibehaltung der Franziskaner-
kirche zu Posen die Bestimmung zu knüpfen, dass durch sie
dem religiösen Bedürfnis der Katholiken deutscher Abkunft
genügt werde, im Grunde eine innerhalb der erzbischöf-
lichen Befugnisse liegende Veranstaltung, zu deren Be-
schränkung kein Anlass vorlag, da die betroffenen
1500 Seelen — von der Umgebung Posens wird bei
dieser Zahl also ganz abgesehen — jetzt die Gelegenheit
entbehren mussten, sich an einer Predigt in ihrer Mutter-
sprache zu erbauen und andere Religionsbedürfnisse zu
erlangen. Es erschien hiernach als eine Forderung der
Gerechtigkeit, dass der Staat aus dem Vermögen der ihm
zugefallenen Klöster soviel hergäbe, als zur Befriedigung
einer so wichtigen Forderung notwendig war, ein Grund-
satz, den man in Deutschland infolge eines Reichs-
deputationsbeschlusses befolgt hatte.
Aus diesen Erwägungen war ein Eingreifen der
Staatsbehörden in die Ausstattungsangelegenheiten der
vormaligen Franziskanerkirche hauptsächlich gerechtfertigt;
es stand zu besorgen, dass wenn man die Sache ihrem
natürlichen Gang, d. h. der Fürsorge des Erzbischofs
überliess, dieser Prälat über die Fonds der Klosterkirche
anderweitig verfügen oder „wenigstens aus einem seiner
Stamm-Verwandschaft natürlichen Gefühle die Bedürfnisse
der deutsch-katholischen Einwohnerschaft hintansetzen
und dadurch zu Verlegenheiten und Reclamationen Ver-
anlassung geben möchte."
Deutsch-katholisches Kirchensystem zu Posen. 177
Seine Motive so zusammenfassend, schliesst Alten-
stein mit dem erneuerten Hinweis, dass Dunin infolge
der gepflogenen Verhandlungen bereit sei, die ihm
zustehenden Messfundationen zur Ausstattung des
Gottesdienstes für seine Pfarrkinder deutscher Abkunft
zu verwenden, und der Minister auf die Genehmigung
dieser Verwendung glaube antragen zu dürfen, falls der
König bei dem dargelegten Zusammenhang der Dinge seine
Zustimmung noch für notwendig erachten sollte, denn
„diese Massregel würde zur religiösen Beruhigung der
zahlreichen Beteiligten beitragen, der deutschen Bildung
mehr Eingang verschaffen, und den Klagen über Ge-
wissensdruck, der erfolgen dürfte, vorbeugen."
In einem Pro Memoria vom 21. August bemerkte
der im Zivilkabinet beschäftigte, dank dieser Stellung
einflussreiche Geheimrat von Stägemann, Altensteins
Antrag dürfe sich nunmehr wohl der königlichen Ge-
nehmigung zu erfreuen haben, da es sich nur um die
Befriedigung des religiösen Bedürfnisses deutscher
Katholiken in ihrer Muttersprache mit Hilfe von Geld-
summen handele, über welche der Erzbischof andern
Falles zu Gunsten der polnischredenden Glaubensver-
wandten katholischer Konfession verfügen dürfte, und
darüber hinaus nur ein geringfügiger Zuschuss erbeten
würde.
Trotz dieser Erwägung wünschte der König vor
seiner definitiven Beschlussfassung noch Auskunft zu
erhalten, wie man in ähnlichen Fälllen bei der nicht
unbeträchtlichen Zahl der deutschen Einwohner katho-
lischer Konfession in anderen Orten des Grossherzogtums
Posen, besonders in den Gegenden an der schlesisch-
neumärkischen Grenze, verfahren war1).
Am 19. Dezember 1836, also nachdem sich die
Angelegenheit genau ein Jahr lang hingeschleppt
hatte, konnte der Freiherr von Altenstein die verlangte
Auskunft erteilen und seinem Könige berichten, dass bei
v) Kabinetsordre an Altenstein, Konzept v. 7. Sept.
Zeitschrift der Hist. Ges. fQr die Prov. Posen. Jahrg. XX. ia
178 Manfred Laubert.
der Abschaffung von Klöstern in der Provinz Posen,
besonders auch in den westlichen Grenzkreisen, allent-
halben auf Befriedigung des religiösen Bedürfnisses der
der deutschen Zunge angehörigen katholischen Einwohner
Rücksicht genommen worden war, indem man entweder
die zur Seelsorge noch geeigneten und der deutschen
Sprache mächtigen Klostergeistlichen als Ortspfarrer
beibehalten oder bei der Einrichtung neuer Kirchen-
systeme Weltgeistliche, die des deutschen Idioms
kundig waren, angestellt hatte. Diese auf natürlicher Billigkeit
beruhenden und durch die Säkularisationen in Deutsch-
land zum Gesetz erhobenen Grundsätze waren in Schlesien
ebenso zur Anwendung gelangt, wie sie bei den Kloster-
aufhebungen im Posener Departement zur Richtschnur
genommen worden waren, was der Minister durch ein-
gehende Schilderung des in Biesen1), Paradies2), Rawitsch3),.
Kosten4), Schildberg4) und Grätz4) beobachteten Verfahrens
belegt.
Da in dem Posener Falle für die notwendigen
Dotationen im wesentlichen gesorgt war, so entstand für
die Staatsgewalt eigentlich nur die Frage, ob es in ihrem
Interesse rätlich erscheinen konnte, die für die katholischen
Deutschen beabsichtigte und von diesen selbst dringend
erbetene Einrichtung des Gottesdienstes zu versagen,
eine Frage, deren Verneinung keinem Zweifel unterliegen
zu können schien. Nochmals wiederholt also der Minister
seinen früheren Antrag.
x) Hier war der der deutschen Sprache nicht hinreichend
mächtige Exconventual Lewandowski aus diesem Grunde für ein
anderes Beneficium bestimmt worden.
2) Die Gemeinde benutzte das Pfarrsystem des neumärkischen
Nachbardorfes Jordan.
3) Nach Aufhebung des Reformatenklosters war für die
deutschen Katholiken ein besonderer Lokalkaplan angestellt worden.
4) In Kosten war ebenso wie in Schildberg ein besonderes
Beneficium für einen der deutschen Sprache mächtigen Geistlichen
errichtet und eine gleiche Massregel vom Erzbischof für die 30a
deutschen Katholiken in Grätz befürwortet.
Deutsch-katholisches Kirchensystem zu Pos
Kntsprechend den diesem Bericht wohl
Lottum beigefügten Randbemerkungen wi
rCabinetsbefehl vom 26. Dezember die Erh<
F* ranziskanerkirche zur Succursalkirch
Katholiken deutscher Herkunft in F
Umgebung, sowie die Übertragung des
rechts an die Regierung gebilligt, fal
h>ischof, zu dessen Obliegenheiten eine solche
gehörte, die verfügbaren Messfundationen hierl
wollte. Dieser Bestimmung war indessen der
gefügt: „Ich kann Sie aber nicht authoris
Zuschuss aus dem Säkularisationsfonds zu
haltungskosten der Kirche zu verwenden".
Den weiteren Verlauf, welchen die An
genommen hat, erfahren wir aus einem Imme
den Altensteins Nachfolger Eichhorn am 8.
also nach erfolgtem Thronwechsel, Friedrich V
erstattet hat. Der Minister erinnert zunächi
historischen Gang der Dinge: Die Aufhebung
mit Wahrnehmung des deutsch-katholischen Got
betrauten Mendikantenklöster, die entstandene
dass die betroffene Gemeinde, falls nicht die
eines Gottesdienstes in ihrer Muttersprache ;
Weise sicher gestellt wurde, mit der Zeit i
behauptete Nationalität verlieren, „und da
Element, welches besonders geeignet war, dew
und Bildung bei der polnischen Bevölke
gang zu verschaffen, untergehen werde", de
Altensteins auf die Schaffung eines eigenen Pi
in einer der unterdrückten Klosterkirchen für die
deutschen Stammes wegen der in ihrer bishe
bindung mit den übrigen städtischen Pfarrkircl
den Schwierigkeiten und die Genehmigui
reduzierten Antrags vom 19. Dezember 1836,
auf die Gewährung des erbetenen Zuschusses
gegangen war, wie Eichhorn mutmasst, weil <
180 Manfred Laubert.
nach Massgabe des damals ersichtlichen Bedürfnisses nicht
unbedingt notwendig erschien.
Infolge der Allerhöchsten Bestimmungen war dann
die ehemalige Franziskanerkirche den deutschen Katholiken
zur Abhaltung ihres Gottesdienstes überwiesen worden,
und es sollten bei derselben, der Grösse der Gemeinde
mit ihren 3 — 4000 Mitgliedern angemessen, zwei Geist-
liche angestellt werden. Die in Messfundationen wirklich
ausgesetzte Dotation hatte sich indessen gegen die Soll-
einnahme dadurch erheblich vermindert, dass die Posener
Judenschaft einen hierunter begriffenen Betrag von
222 Rtr. 16 Sgr. als Zinsen einer von ehemaligen geist-
lichen Instituten herrührenden Schuld ferner zu zahlen
.sich weigerte und den hierüber schwebenden Prozess
wahrscheinlich gewinnen würde. Infolgedessen hatte
vorläufig nur ein Geistlicher angenommen werden können,
und die Seelsorge war sehr unvollkommen besorgt
•worden. Hinzu trat eine weit vorgeschrittene Baufällig-
keit des Kirchengebäudes; eine Orgel fehlte ganz und die
sonstige Ausstattung des Gottesdienstes war eine derartig
dürftige, dass man nicht ohne Grund befürchten musste,
bei längerer Fortdauer dieser ungünstigen Verhältnisse
werde die Succursale den wichtigen Zweck, zu dessen
Erreichung sie hergestellt war, „gänzlich verfehlen, und
die deutschen Katholiken in Posen vor dem allmählichen
Verschmelzen mit ihren an Zahl so sehr überwiegenden
Confessionsverwandten polnischen Stammes" nicht
bewahrt werden können.
Nach Flottwells Versicherung befand sich die
Kirchengemeinde in einer Lage, welche eine zureichende
Abhilfe von dieser Seite nicht erwarten Hess. Die
Katholiken deutschen Geblütes in Posen gehörten nicht zu
dem wohlhabenden Teile der Bevölkerung; sie hatten ferner,
•da sie durchweg zu anderen Kirchen eingepfarrt waren,
alle observanzmässigen Parochiallasten ihres eigentlichen
Pfarrbezirks zu tragen neben den freiwilligen Beiträgen,
•die sie für den deutschen Kultus aufbrachten; sie waren
«daher zu weiteren ausserordentlichen Anstrengungen für
Deutsch-katholisches Kirchensystem zu Posen. l8r
letzteren nicht im Stande. Selbst der Ausweg einer-
förmlichen Besteuerung durch Umlage musste ein zweck-
loser Versuch sein, da ihr eine rechtliche Grundlage
fehlte, alle nicht Willigen sich der Zahlung ihrer Beiträge
also durch Lossagung von der Succursalkirche entziehen
konnten und man einen Teil der Gemeinde damit nur
dem polnischen Klerus in die Arme treiben würde.
Unter solchen Umständen besorgte Flottwell die
baldige gänzliche Auflösung der deutschen Gemeinde,,
deren Repräsentanten sich mit einer dringenden Dar-
stellung ihrer Not wieder an ihn gewandt hatten. Sa
berichtete Eichhorn dann von dem Oberpräsidenten:
„Derselbe findet in einem raschen und kräftigen Ein-
schreiten der Regierung das einzige Mittel, der Stadt und
Provinz Posen in der deutschen Succursale ein wichtiges
Element zur Verbreitung deutscher Sitte und Gesinnung
zu sichern". Aus diesen Motiven hatte er bei dem
Minister beantragt, dass die zur baulichen Wiederher
Stellung der Succursalkirche erforderlichen Gelder aus
Mitteln des Patronatsbaufonds bewilligt werden möchten;,
in zweiter Linie hatte er Eichhorns Beihilfe dafür erbeten,
dass durch königliche Gnade die unzureichende Dotation
der Kirche aus dem Posener Säkularisationsfonds ver-
stärkt und der Gemeinde zur Beschaffung einer Orgel
ein einmaliges Geschenk gemacht werde.
Eichhorn erklärte sein völliges Einverständnis mit
Flottwells Anschauung, dass die Erhaltung der Succursale
„als ein Vereinigungs- Punkt für die deutschen Katholiken,,
mit Recht die volle Theilnahme Euerer Königlichen Majestät
Regierung in Anspruch nehmen darf. Je sichtbarer das
Bestreben des polnischen Volksstammes darauf gerichtet
ist, das Eindringen deutscher Bildung und Lebensweise
von sich abzuwehren, um so wichtiger muss es erscheinen,
die Fortdauer eines Instituts zu sichern, welches zur
Vermittelung der bestehenden Gegensätze um so leichter
beitragen kann, als keine Ungleichheit des religiösen
Bekenntnisses die Annäherung der beiden Volks -
stamme erschwert". Deshalb hatte der Minister bereits
182 Manfred Laubert.
-die zur Wiederherstellung des Kirchenlokals nötigen
Mittel angewiesen und geglaubt, hiermit voll-
kommen den Allerhöchsten Intentionen entsprechend zu
handeln.
Den darüber hinaus erforderlichen dauernden
Dotationszuschuss hatte Flottwell auf 300 Rtr. jährlich
angegeben, ein Betrag, gegen welchen Eichhorn nichts
zu. erinnern fand, und für dessen Gewährung ausser der
allgemeinen Rücksicht auf die Verbindlichkeit des Staates
.zu einem Ersatz für die von aufgehobenenen Klöstern in
der Seelsorge geleistete Aushilfe noch der besondere
-Umstand sprach, dass der Zuschuss hauptsächlich benötigt
wurde, weil das der Succursale vom Staat zugedachte
Activum durch die neueren die Verhältnisse der Juden
im Grossherzogtüm betreffenden Gesetze zum Teil un-
einziehbar geworden war. Die Voraussetzung der der-
einstigen Allerhöchsten Bestimmung, dass nach ihrer
Weisung der laufende Bedarf hinreichend gedeckt sein
werde, konnte nach mehrjähriger Erfahrung und nach
den eingetretenen Ausfällen nicht mehr als zutreffend
.angesehen werden, und die nunmehrige Bitte um eine
Ergänzung erschien deshalb genügend begründet
Was endlich die fehlende Orgel anbetraf, so hatte
Flottwell die Kosten für die Beseitigung dieses als sehr
dringend hingestellten Bedürfnisses vorläufig auf 800 bis
1000 Rtr. geschätzt; und weil demnach keine Hoffnung
bestand, dass ohne ausserordentliche Beihilfe die Gemeinde
je zu einem eigenen Instrument gelangen werde, hatte der
Oberpräsident die Erwirkung eines königlichen Gnaden-
geschenkes von 1000 Rtr. zu dem fraglichen Zwecke als
wünschenswert geschildert. Eichhorn gesteht zu, er würde
sich ungern entschlossen haben, die Bewilligung eines so
erheblichen Betrages zu befürworten, wenn nicht, abge-
sehen von dem politisch wichtigen Interesse, welches an
die Erhaltung und das Aufblühen der deutschen Succur-
sale geknüpft war, Flottwell es auch „als ein für ihn
persönlich besonders erfreuliches Ereigniss bezeichnet
hätte, die fernere Existenz dieses Instituts noch vor
Deutsch-katholisches Kirchensystem zu Posen. 183
seinem Ausscheiden aus seinem jetzigen Wirkungs-
kreise völlig gesichert zu sehen1). So aber glaube ich
es auch den Verdiensten, welche der Ober-Präsident
Flottwell sich in vielfacher Beziehung um die von ihm
administrirte Provinz erworben hat, schuldig zu sein, den
Antrag desselben Euerer Königlichen Majestät
Allergnädigsten Berücksichtigung unterthänigst zu em-
pfehlen".
Am 17. Juli, d. h. also nach mehr als zwei Monaten,
befasste sich endlich der Geheime Oberfinanzrat Patow
mit der Angelegenheit und setzte eine kleine Denkschrift
auf, in der er für den Antrag Eichhorns zwar eintrat,
dieses Zugeständnis indessen mit einer Bemängelung des
ganzen bisherigen Verfahrens zu verbrämen sich berufen
fühlte: „Es ist mir sehr zweifelhaft, ob man wohl daran
gethan hat, die deutschen Katholiken von den polnischen
so streng zu sondern und einen schroffen Gegensatz
hervorzurufen. In politischer Beziehung sind die Be-
wohner der grossen Städte gewiss die am wenigsten
gefährlichen Polen, und wenn es darauf ankommt, deut-
sches Leben und deutsche Ansichten mehr unter ihnen
einheimisch zu machen, so möchte dies eher gelingen,
wenn die deutschen Katholiken mit ihnen leben, als
wenn man, nachdem man schon die deutschen Evan-
gelischen gänzlich isolirt hat, nun auch noch die deut-
schen Katholiken von den Polen fern hält.
So wie die Sache einmal liegt, bleibt indes wohl
nichts übrig, als die erbetene Autorisation zu bewilligen".
Hinsichtlich der Orgel fand Patow jedoch keinen
Grund, den ganzen Betrag oder, da ein Anschlag fehlte,
womöglich noch mehr zu bewilligen.
Diesem Vorschlage entsprechend wurde Eichhorn
durch Kabinetsordre vom 24. Juli2) autorisiert, der für die
deutschen Katholiken in Posen eingerichteten Succursal-
*) Flottwell legte die Posener Oberpräsidialgeschäfte am 1. Mai
1841 nieder.
2) Konzept v. Patow, gezeichnet von General - Leutnant
von Thile.
184 Manfred Laubert.
kirche die erforderliche Dotationsergänzung innerhalb des
von Flottwell gewünschten Betrages von 300 Rtr. jährlich
aus den Mitteln des Säkularisationsfonds zu überweisen.
In Bezug auf die Orgel wurde dagegen in erster
Linie an die eigenen Kräfte der Gemeinde appelliert,
und erst wenn deren Unzulänglichkeit wirklich zutage
trat, sollte wegen staatlicher Beihilfe in Gemeinschaft
mit dem Finanzminister neuer Bericht erstattet werden1).
Von dem persönlichen Lieblingswunsch des aus seinem
Posener Amte scheidenden Oberpräsidenten war nicht
weiter die Rede.
Wenn wir heute, freilich nachdem die Geschichte
ihr Urteil gesprochen, auf die geschilderte Epoche zurück-
blicken, so wird es uns schwer sie zu begreifen.
Ausführlich hat Bär dargetan, ein wie schwerer Fehler
es gewesen ist, den deutschen Katholiken nur eine Succur-
sale einzuräumen, und welche Schwierigkeiten hat es
gekostet, um nur dieses Zugeständnis an Allerhöchster
Stelle zu erlangen! Oberpräsident und Kultusminister
sind von der zwingenden Notwendigkeit dieser durch
Gründe der Politik und der Gerechtigkeit gleichmässig-
unterstützten Forderung auf das tiefste durchdrungen; sie
werden nicht müde, die ihnen wohlbekannte deutsch-
feindliche Richtung des polnischen Klerus zu betonen,
und doch gelingt es ihnen erst nach langatmigen Rück-
fragen und mehrjährigem Kampfe die Genehmigung des
Königs zu erwirken, der aber aus übertriebener Pedanterie,
— es ist schwer, einen milderen Ausdruck zu finden —
den erbetenen staatlichen Zuschuss von 305 Rtr. 21 Sgr.
verweigert und die Angelegenheit als eine Verpflichtung
des Erzbischofs diesem tiberlassen will; eine Massregel,
die um so auffälliger wird, wenn man sich die grossen
Opfer vergegenwärtigt, welche der preussische Staat unter
Friedrich Wilhelm III. auch bei der drückendsten Finanz-
J) Den Vortrag v. 8. Mai 1841 hatte Eichhorn abweichend von
dem vorgeschriebenen Verfahren ohne Konkurrenz des Finanz-
ministers gehalten, um auf Flottwells Wunsch die Sache möglichst
beschleunigen zu können.
Deutsch-katholisches Kirchensystem zu Posen. 185
läge anderwärts und in der Provinz Posen für den
Ausbau des Kirchenwesens, allerdings überwiegend des
evangelischen, hat bringen müssen. Selten nur tat
Altenstein nach dieser Hinsicht eine Fehlbitte, und wo es
irgend anging, half der fromme Fürst den verarmten
Gemeinden, wenn es galt, ihnen ein würdiges Gotteshaus
zu schaffen und einen Seelsorger zu bestellen.
Vier Jahre später, nachdem die deutschen Katholiken
Posens und der umliegenden Dörfer unter den beschränk-
testen Verhältnissen ihre religiösen Bedürfnisse in ihrer
Muttersprache befriedigt hatten, entschloss sich endlich
Friedrich Wilhelm IV. dazu, ihnen eine kleine Unter-
stützung aus öffentlichen Fonds zu gewähren, eine Orgel
aber hielt auch er für einen Luxus, zu dem sie selbst
mindestens aus eigener Tasche beisteuern sollten, obwohl
sie für die polnischen Pfarrkirchen ihren ungeschmälerten
Beitrag zu entrichten gezwungen waren. Ein in unmittel-
barer Umgebung des Monarchen tätiger hoher Staats-
beamter aber konnte sich den — wir dürfen das heute
sagen — naiven Vorschlag erlauben, man solle die deutschen
Katholiken als Förderer ihrer Sprache und Sitte unter
die Menge ihrer polnischen Glaubensgenossen mischen
und sie ohne den Rückhalt einer eigenen Kirche und Geist-
lichkeit dem polnischen Klerus ausliefern, dessen gewaltig
für die nationale Sache werbende Kraft schwerlich harm-
loser unterschätzt und dessen innerstes Wesen schwerlich
blinder verkannt werden konnte, als es hier geschehen ist.
In der systematischen Entnationalisierung der „Bamberger",
also gerade eines grossen Teiles der deutschen Katholiken,
von denen wir gesprochen haben, hat er eine Quittung
darauf erteilt, von der sich hoffen lässt, dass sie als leuch-
tende Warnungstafel unvergessen bleiben und für die Zu-
kunft die massgebenden Behörden von weiterem „Paktieren
mit dem Ultramontanismus" zurückhalten wird, der in der
Provinz mit der nationalen Propaganda sich verquickend
stets eine Hochburg des Polentums gewesen ist.
l86 Manfred Laubert.
Zum weiteren Beleg für die in dem erwähnten Schrift-
wechsel von Flottwell fast bis zum Überdruss betonte
deutschfeindliche Tendenz des ultramontanen Klerus mit
seinem Erzbischof an der Spitze und der grossen
Wichtigkeit, welche danach für die Regierung an
das Fortbestehen eines deutschen Bestandteils unter der
katholischen Bevölkerung Posens geknüpft war, sei an
den vom Oberpräsidenten gemeinsam mit dem kom-
mandierenden General von Grolman am 2. Juni 1836 über
die lezten drei Monate erstatteten periodischen Verwaltungs-
bericht erinnert 1). Es wird darin als bemerkenswert hin-
gestellt, dass Dunin schon seit längerer Zeit sich aus allen
gesellschaftlichen Verbindungen mit deutschen Beamten
und Einsassen konsequent zurückgezogen hatte, weder
Personen aus diesen Kreisen bei sich sah, noch Einladungen
derselben Folge leistete, wogegen er grosse gesellige
Zirkel um sich zu versammeln pflegte, zu welchen nur
Leute polnischer Abstammung Zutritt fanden. Ebenso
beharrlich widerstrebte er jeder Einrichtung, durch
welche nach dem königlichen Willen „eine wissen-
schaftliche und deutsche Cultur" unter den katholischen
Geistlichen des Landes verbreitet werden sollte, und zwar
„durch fortwährende unbegründete Einwendungen." Erst
kurze Zeit zuvor hatte er sich nicht gescheut, als Dom-
probst für das Posener Metropolitankapitel einen aus
Böhmen gebürtigen, in Krakau gebildeten Kleriker dringend
zu empfehlen, von dem sich dann ergab, dass er in
Dresden und Posen mit den eifrigsten Anhängern der
polnisch-nationalen Sache intime Verbindungen unterhielt
Zur Erklärung dieser Beobachtungen schreiben unsere
Gewährsmänner: „Es scheint, dass die auffallende Charakter-
schwäche des Erzbischofs durch einige in seiner Nähe
befindliche Geistliche zu diesen seinem früheren Benehmen
ganz fremden Schritten verleitet wird, und dass er da-
durch sich wieder eine Popularität unter dem polnischen
*) Auszug Staatsarchiv Berlin Rep. 89 C. XLIII Schlesien»
Posen Nr. 12.
Deutsch-katholisches Kirchensystem zu Posen. 187"
Teil seiner Geistlichkeit und der Gutsbesitzer zu erwerben
sucht, die er zum grossen Teil verloren hat. Umso not-
wendiger erscheint es, dass diejenigen Stellen des höheren.
Clerus, deren verfassungsmässige Besetzung von Ew. König-
lichen Majestät abhängt, nur an Geistliche deutscher Ab-
kunft und zuverlässiger Gesinnung verliehen, und dass
die Einrichtungen zu einer zweckmässigen Bildung der
katholischen Theologen möglichst gefördert werden, und
in diesem Sinne wird auch von dem Ministerio der
geistlichen Angelegenheiten in Übereinstimmung mit den
Anträgen der Provinzial-Behörden strenge verfahren.'*
Aus diesem Immediatbericht ersah der König mit
Missfallen, in welcher unangemessenen Weise Dunin den
für die Bildung der katholischen Geistlichkeit im Gross-
herzogtum Posen getroffenen Vorkehrungen entgegen trat.
„Ich mache Sie — bemerkt der Monarch in einer
Kabinetsordre an Altenstein — hierauf besonders auf-
merksam, damit Sie jede Veranlassung benutzen, den
Erzbischof hierüber zu berichtigen und ihn von einer
Wirksamkeit zurückzuführen, durch welche er gleichzeitig
das Interesse des Staats und der katholischen Kirche
gefährdet" *).
Fast buchstäblich vom ersten Tage seiner Posener
Wirksamkeit an in Misshelligkeiten mit Dunin verstrickt,,
hat es Flottwell während seiner mehr als zehnjährigen
Amtsdauer bei keiner Gelegenheit versäumt, seine
mahnende Stimme zu erheben und die vorgesetzten
Ministerien, sowie den König von der wenig loyalen
Stimmung der polnischen Geistlichkeit in Kenntnis zu
setzen. Mit vollster Einmütigkeit haben die Spitzen der
Militär- und Zivilbehörden den Oberpräsidenten bei diesem.
Bestreben unterstützt; die gegebene Probe zeigt, dass
diese Warnungen nicht ohne Eindruck blieben, noch
bevor der Ausbruch der kirchlichen Wirren die Diener
des päpstlichen Stuhles in offenen Gegensatz zur
Regierung drängte.
*) Konzept v. 12. Juni, a. a. O.
188 Manfred Laubert.
Auf zweifachen Wegen hofften die Behörden den
Einfluss der polnischen Geistlichkeit lähmen und diese
selbst aus dem Banne des nationalen Fanatismus all-
mählich loslösen zu können: erstens durch die Errichtung
geeigneter, von deutschem Geist und deutscher Kultur
durchwehter Bildungsanstalten für die jungen Kleriker
und zweitens durch die Versetzung von Priestern deutscher
Herkunft in diejenigen Stellen der Posen - Gnesener
Erzdiöcese, auf deren Vergebung die weltliche Macht einen
bestimmenden Einfluss auszuüben befugt war. Auf beiden
Punkten ging das Gouvernement nach 1830 zielbewusst
vor, aber auf beiden Punkten leistete Dunin einen
wesentlich passiven, doch nicht erfolglosen Widerstand.
Er hintertrieb nach Möglichkeit eine Reform der Priester-
seminare und vereitelte die anfänglich von ihm gebilligte
Errichtung eines Konvictoriums an der Breslauer Universität
für die sich dem geistlichen Stande widmenden jungen
Leute seiner Provinz, wie er den Kandidaten der
Regierung seine Zustimmung versagte und ihre kanonische
Würdigkeit unter den nichtigsten Vorwänden bestritt. An
der Hand dieser Erfahrungen musste es als eine auf-
fallende Kurzsichtigkeit von Seiten der Staatsverwaltung
erscheinen, dass sie die deutsch-katholische Gemeinde zu
Posen und ihre religiösen Bedürfnisse der Fürsorge dieses
Prälaten anvertrauen wollte. Von Charakter selbst schwach
und friedfertig, war Dunin ein gefügiges Werkzeug in
den Händen seiner Berater und rechtfertigte in vollstem
Masse die Bedenken, mit denen Altenstein schon 1827
auf seine Wahl zum Erzbischof hinwies: „Kräftig und ent-
schieden würde auch er, teils wegen seines Mangels an
Kraft, teils wegen seines nicht ganz ausser Anschlag zu
lassenden vaterländischen Verhältnisses gleichfalls nicht
auf deutsche Sitte, Sprache und Bildung einwirken, und
in dieser Beziehung durch seine Wahl nicht viel gewonnen
werden" l).
*) Immediatberichte 17. Juni, Rep. 89 C XLII Nr. 5 vol. I
f. 70/6. — Die Entscheidung der Krone fiel damals zu Gunsten
Wolicki's.
Deutsch-katholisches Kirchensystem zu Posen. 189
In befremdendem Gegensatz zu dem geringen Mass von
Fürsorge, das den deutschen Katholiken Posens von
Seiten der Regierung entgegengebracht wurde, steht das
Verhalten der letzteren hinsichtlich des schwachen Restes
der ehemals nicht unbedeutenden dortigen Kolonie von
Bekennern der griechisch-katholischen Kon-
fession. Diese hatten sich für ihren Gottesdienst ein
Haus eingerichtet und bezogen vom Staat zur Bestrei-
tung ihrer religiösen Bedürfnisse als Gnadengeschenk
eine jährliche Beihilfe von 100 Rtrn., deren Zahlung
Altenstein jedoch 1820 einstellte, da die unaufhörlich
zusammenschmelzende Gemeinde sich keinen Lehrer und
Geistlichen mehr zu halten vermochte. Im Jahre 1829
benutzte nun ein Kandidat Zupariski die Anwesenheit des
Zaren in Berlin, um diesem ein Bittgesuch zu überreichen,,
dessen Inhalt er später dem Könige von Preussen eben-
falls vortrug1). Es wurde darin in der Hauptsache die
Niederschlagung rückständiger und der Erlass zukünftiger
staatlicher Abgaben von dem Bethaus der griechisch-
katholischen Glaubensgenossen gefordert. Sofort verfügte
Friedrich Wilhelm eine eingehende Erörterung über die
Zulässigkeit des Gesuchs und die Möglichkeit seiner
Erfüllung.
Der zur Berichterstattung aufgeforderte Oberpräsident
von Baumann schildert die Sachlage als wenig erfreulich.
Er gab an, dass sich einschliesslich der Frauen und
Kinder noch 26 Bekenner der griechischen Religion in Posen
selbst, 18 andere in der Provinz befanden, die allmälige
Verminderung dieser Zahl zu erwarten stand und der
von Schulden erdrückten Gemeinde gar nicht geholfen
werden könne. Auch die erflehte Niederschlagung der auf-
gehäuften Rückstände und der künftige Erlass aller Staats-
und Kommunallasten von dem ehemaligen Bethaus mussten
sich als unwirksame Hilfsmittel erweisen und konnten
J) Immediatgesuch. 9. Juni 1829; Graf Lottum an den
Generalmajor und Generaladjutanten des Königs Grafen v. Nostiz.
19. Sept. Konzept Rep. 89 C. XLII. Nr. 7 vol. I. f. 77/8 und 83/4.
190 Manfred Laubert.
nimmermehr zum Ausbau einer wirklichen Gemeinde-
verfassung und zur Anstellung eines eigenen Geistlichen
führen; nach wie vor hätte der Gottesdienst von einem
.aus Kaiisch gelegentlich nach Posen kommenden Prediger
besorgt werden müssen l). In einem Schreiben an
Lottum gab Baumann ebenfalls seiner Überzeugung Aus-
druck, dass die verlangte Beihilfe ganz ausser Verhältnis
zu dem Umfang der Gemeinde zu stehen scheine, ein
Anlass zu dem Eingehen auf das Zupariskische Gesuch
also eigentlich nur in der Verwendung des russischen
Kaisers liegen könne, falls eine solche stattgefunden haben
sollte 2). Diese Eventualität werden wir wohl in bejahen-
dem Sinne entscheiden dürfen und die Rücksicht auf
.seinen Schwiegersohn mag den König vor allen Dingen
zu dem Entschluss bewogen haben, der griechisch-
katholischen Gemeinde in Posen zu Hilfe zu kommen.
Über den besten Weg hierzu wurde wiederum Baumanns
Ansicht eingeholt 3).
In Anlehnung an diese räumte der Monarch ein,
es sei bei der unbeträchtlichen Zahl der in Frage kom-
menden Individuen allerdings wohl nicht ausführbar, sie
zu einer Gemeinde mit vollständigen kirchlichen Ein-
richtungen zusammenzuschliessen. Hingegen schien es
keinem Bedenken zu unterliegen, das zu ihrem Gottes-
dienst eingerichtete Gebäude auch fernerhin dieser Be-
stimmung zu widmen und dem zufolge von Staats- und
Kommunal- Abgaben zu befreien. Ohne weiteres sollten
deshalb die noch zahlbaren Rauchfanggelder niederge-
schlagen, die seit 1820 vom Etat des Provinzial-Geist-
lichen- und Schul-Fonds abgesetzten jährlichen Unter-
stützungsgelder hingegen wieder in denselben aufgenommen
und für die Zwischenzeit nachgezahlt werden. Aus den
450 verfügbaren Summen mussten die rückständigen und
laufenden Feuerkassenprämien hergegeben und des-
*) Immediatbericht v. 29. Aug. 1829, a. a. O. f. 64/8.
2) Schreiben v. gleichen Tage, a. a. O. f. 74.
3) Kabinetsordre v. 17. Sept., Abschrift a. a. O. f. 76.
Deutsch-katholisches Kirchensystem zu Posen. 191
gleichen in Zukunft die baulichen Reparaturen der Ka-
pelle bestritten werden. Hinsichtlich des Gottesdienstes
selbst sollte es indessen nur bei der bisherigen Einrich-
tung verbleiben, also noch fernerhin, soweit es die vor-
handenen Mittel gestatteten, von Zeit zu Zeit der Seel-
sorger aus Kaiisch nach Posen berufen werden, wo sich
auch die Glaubensgenossen aus der Provinz zu gemein-
schaftlicher Andacht versammeln konnten1). — Man sieht,
alles in allem ohne jede rechtliche Verpflichtung ein nicht
unbedeutendes Opfer aus öffentlichen Kassen für eine an-
scheinend dem Untergang geweihte, politisch bedeutungs-
lose Gemeinde von Ausländern und Anhängern eines
landfremden Glaubensbekenntnisses.
x) Kabinetsordre vom 10. Okt. Konzept v. Stägemann, a. a. O.
*• 72/3.
Carl Gottfried Woide. 209
Dn Cassiri und Dr. Beyer1). Woide war es auch, der
die Ernennung von Michaelis zum Mitgliede der Akademie
der Wissenschaften in London durchgesetzt hat (1789).
Der Interessenkreis Woides war ebenso umfangreich als
der gelehrte Freundeskreis, mit dem er im Briefwechsel
stand. Der letztere reichte von Zürich bis Stockholm,
von Madrid bis Petersburg. Der erstere umfasste neben
dem Koptischen auch das Arabische und Äthiopische,
neben der Bibel gelegentlich auch den Bramanismus und
andere fremde Religionen; ein besonderes Interesse hatte
er z. B. auch für die Erforschung der Samaritanischen
und Phönicischen Medaillen, über die er auch eigene
Abhartdlungen geschrieben hat2). Mit Johann Reinhold
Forster8), der als Geograph und Naturforscher, als
Begleiter Cooks auf dessen zweiter Reise um die Welt
und als Vater des glänzenden und doch so unglücklich
geendeten Schriftstellers Georg Forster berühmt ist, stand
Woide in engem Freundschaftsverhältnis. Die ersten
Beziehungen reichen in die Lissaer Zeit Woides zurück.
J. R. Forster war damals Prediger der kleinen reformierten
Gemeinde in Nassenhuben bei Danzig. Diese Gemeinde
hatte im i7ten Jahrhundert zum Unitätsverband gehört
und ihre Geistlichen von Lissa her erhalten; Petrus
Figulus, der Schwiegersohn des Comenius, war ihr
Pfarrer gewesen, und D. E. Jablonski hat in ihrem Pfarr-
hause das Licht der Welt erblickt. Nachforschungen
über die Vergangenheit der Gemeinde gaben Forster den
ersten Anlass, sich an Woide zu wenden4), er hatte aber
auch von dessen koptischen Studien auf der Hochschule
gehört und bat sich von ihm für die eigene Fortbildung
in der egyptischen Sprache die Abschrift von dem La
Croze'schen Lexikon aus, die er dann Jahre lang genutzt
*) Brief an Mich, vom 6. Febr. 1776.
2) Brief an Mich, vom 14. Febr. 1780.
8) Über ihn vergl. A. Leitzmann, Georg Forster, ein Bild aus
dem Geistesleben des i8ten Jahrhunderts. Halle 1893.
4) Dieser Briefwechsel ist veröffentlicht von F. Strehlke im
Programm der Danziger Petrischule 1863 S. lojf.
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Prov. Posen. Jahrg. XX. 14
2IO Wilhelm Bickerich.
hat In England lernten sie sich hernach persönlich
kennen, und Woide hat fortan die wechselvollen
Geschicke Forsters mit lebhafter Anteilnahme begleitet,
ohne jedoch die Schattenseiten in dessen Charakter zu
übersehen. So schreibt er z. B. unterm 7. Juli 1777 an
Michaelis : „Von Dr. Forster aus Halle habe ich Nachricht
gehabt er beklagt sich über viel Arbeit. Ich
glaube es, denn hier in London waren alle seine Arbeiten
freiwillig, dort ist er an Stunden gebunden. Er hat seit
vielen Jahren kein öffentliches Amt geführt Doch
zweifle ich, dass er bei Dr. Baard1) die neue Theologie
lernen sollte". Und ein andermal unter dem 29. Okt 1779:
„Unser Freund Forster hat in dieser Sache etwas Mensch-
liches getan", nämlich eine anscheinend sehr mühsame
Vergleichung Pariser Handschriften nur vorgegeben.
Überall, als Mensch und als Pfarrer und Gelehrter,
erscheint Woide als eine charakterfeste und liebenswerte
Persönlichkeit. Mit der Selbständigkeit eigener Über-
zeugung und dem Ernst unermüdlicher Pflichttreue ver-
band er eine ausgeprägte Friedensliebe. Wie £ich diese
in Lissa unter schwierigen Verhältnissen bewährt hat, so
tritt sie uns auch in seinem Briefwechsel wohltuend ent-
gegen, wenn er z. B. in einem Streit zwischen Michaelis
und Kennicott des letzteren Bibelwerk seinem Gegner
gegenüber in Schutz nimmt, diesen vor weiteren Streit-
schriften warnt und ihn daran mahnt, dass Höflichkeit die
Zierde der Gelehrsamkeit sei2). In den religiösen Kämpfen
jener Tage stand Woide auf Seiten der konservativen
Theologie, zu der ihn sein religiöser Ernst hinzog. „Der
Naturalismus und Deismus gehet weit, er wird aber nicht
allgemein werden", schrieb er unter dem 24. November 1789
an Michaelis. Darum ist der Ertrag seiner wissenschaft-
lichen Arbeit doch einer besonnenen biblischen Kritik zu
gute gekommen.
1) Gemeint ist Karl Friedrich Bahrdt, der damals in Halle die
seichteste Aufklärung in recht frivolem Tone vertrat.
*) Brief an Mich, vom 29. Juli 1778.
Carl Gottfried Woide. 211
Woide starb i. J. 1790. Sein Nachlass hat der
Wissenschaft noch einige Frucht gebracht. Aus ihm gab
Ford i. J. 1799 einmal die Woidesche Abschrift des
Codex Vaticanus, deren Zustandekommen oben erzählt ist,
sodann eine griechisch-koptische Evangelienschrift heraus,
welche, aus dem 5. Jahrhundert stammend und die
Stellen Luc. 12,15 — 13,32, Joh. 8,33 — 42 enthaltend, einst
von Woide gefunden und erworben, jetzt in der Bibliothek
der Clarendon Press zu Oxford sich befindet und seinen
Namen führt, sie wird nach ihm in der geltenden Abkür-
zung, welche die koptischen Bibelfragmente unt$r T
begreift, mit Twoi bezeichnet1). Seine eigenhändige
Abschrift des Codex Alexandrinus soll Woide nach dem
Druck der Universität Krakau vermacht haben2). Ein
Ölgemälde von ihm bewahrt die deutsch -reformierte
St Paulsgemeinde in London.
*) Protestantische Realencyklopädie 3te Aufl. Bd. II S. 748.
2) Mitteilung von Pfarrer Rehwald in London.
14*
Jakob Küchle r.
Ein Posener Humanist.
Von
Theodor Wotschke.
|ie Nacht des Dunkels und der Vergessenheit,
welche sich auf die Geschichte unserer Provinz
in früheren Jahrhunderten gesenkt, und welche
die historische Forschung nur langsam und allmählich zu
lichten vermag, hat auch die Erinnerung an den aus-
gelöscht, der einst als der gewandteste humanistische
Poet oder Latinist in Posens Mauern gelebt hat, Jakob
Kuchler aus Hirschberg. Keine Nachricht über unsere
Provinz und ihre Hauptstadt gedenkt seiner, der kundige
Lukaszewicz ist ganz an ihm vorübergegangen; abgesehen
von einer gelegentlichen Mitteilung in meiner Arbeit über
den Posener evangelischen Schriftsteller und Prediger
Eustachius Trepka ist sein Name vergessen in der
Literatur der letzten drei Jahrhunderte. Und doch ver-
dient er, dass wir seiner gedenken. Seine lateinischen
Gedichte gehören zu den besten, die wir dem Huma-
nismus in Posen verdanken, und der evangelischen Ge-
meinde war er über ein Jahrzehnt eine feste Säule,
gelegentlich auch ihr Mund, durch den sie ihre Hoff-
nungen und ihre Trauer zum Ausdruck brachte.
Jakob Kuchler stammt, wie das Hirschbergensis neben
seinem Namen an der Spitze seiner Dichtungen bezeugt,
214 Theodor Wotschke.
aus der bekannten schlesischen Gebirgsstadt. Über sein
Elternhaus, seine Jugend und seine Erziehung lässt sich
bei dem Mangel an Quellen, bei den wenigen Archivalien,
die das Breslauer Staatsarchiv über Hirschbergs ältere
Geschichte besitzt, nichts sagen. Ein Walter oder Va-
lentin Kuchler ist in den ersten Jahrzehnten des Re-
formationsjahrhunderts in Hirschberg angesehener Bürger,
seit 1522 begegnet er uns als Bürgermeister und Erbvogt,
vielleicht ist er der Vater unseres Humanisten gewesen1). Im
Wintersemester 1543 tritt uns sein Name zuerst urkundlich
entgegen, als Student Hess er sich an der Leipziger
Universität immatrikulieren2). Nahezu zwei Jahre besuchte
er diese Hochschule, erst im September 1545 vertauschte
er sie mit der Wittenberger8). Die Reise Luthers im
folgenden Oktober nach Mansfeld und der frühe Schluss
seiner Vorlesungen im Dezember lassen vermuten, dass
Kuchler dem grossen Reformator nicht näher getreten
ist und wir kein Recht haben, ihn im Näheren als seinen
Schüler zu bezeichnen, aber unvergesslich war ihm der
22. Februar 1546, als er in der grossen Schar der Stu-
denten der Leiche Luthers folgte und in der Schloss-
kirche Bugenhagens warme, Melanchthons gewichtige
Rede hörte. Dieser, der praeceptor Germaniae, hatte
schon des jungen Schlesiers ganzes Herz gewonnen,
seine Vorlesungen und Schriften fesselten ihn vor allen
anderen. Von ihm lernte er, in der Einheit von klassischer
Bildung und christlichem Glauben das Höchste zu sehen,
und wie der grosse Wittenberger Professor nicht nur
lehrte, sondern bildete, die Herzen seiner Schüler mit
warmer Begeisterung für sein eigenes Lebensideal erfüllte,
so fühlte unser junger Schlesier sich bald ganz im Banne
Melanchthonischer Gedanken, besonders auch zum Lehr-
*) Vergl. im Breslauer Staatsarchiv Dep. Hirschberg Nr. 377,
386, 406, 427, 435, 442 u. s. w. War der Hierimias Kuchler Hirschber-
gensis, der 1549 in Frankfurt sich immatrikulieren Hess, der Bruder
unseres Humanisten?
*) Vergl. Erler, Leipziger Matrikel.
*) Vergl. Förstemann, Album academicum Vitebergense.
Jakob Kuchler. 215
berufe hingezogen. Er musste ihn später wieder auf-
geben, aber nie erlosch in seiner Seele die dankbare
Liebe und Verehrung zu dem Wittenberger Lehrer, der
ihm das Lebensideal gegeben. Als in Posen die Kunde
von seinem Heimgang ihn traf, empfand er den Verlust
so schwer, als ob er den Vater hätte hingeben müssen.
Die erste mir bekannte Dichtung Kuchlers fällt in
den Anfang seiner Wittenberger Studienzeit1^. Sie entstammt
dem Jahre 1545 und zählt 71 Distichen. Die gefährdete
Lage des deutschen Protestantismus nach dem Frieden
von Crespy, der dem Kaiser freie Hand gegen die
evangelischen Stände gab, das mit dumpfem Grollen von
fernher sich bereits ankündigende Ungewitter des Schmal-
kaldischen Krieges, erfüllten die Gemüter mit Unruhe und
Bestürzung. Den Kleinmütigen und Verzagten ruft Kuchler
ein Wort des Trostes zu und sucht sie aufzurichten. Er
verweist auf die göttliche Hilfe, die er im Lichte des
Psalm Wortes sieht: „Der Engel des Herrn lagert sich um
die, so ihn fürchten". Jn der Widmung an seinen mir
nicht näher bekannten Gönner, Baron Heinrich von Zelking,
giebt er in den Versen:
„Cemis, ut insurgant in nos audaciter hostes
Oppressos saevo nosque furore velint,
Angelicae sed nos quoniam cinxere cohortes,
Arma quid illorum posse nocere putasu?
den Inhalt seiner Dichtung an. Zuerst schildert er an-
schaulich, wie Gott den Schutz der Gläubigen und ihrer
Kirche den Engelscharen übertragen habe2), dann mahnt
*) Elegia de angelis deo placentibus et excubias agentibus
pro ecclesia. Witebergae anno 1545. Jn Quart, ein Bogen, ohne
Angabe der Offizin. Aufgenommen ist diese Dichtung in Kuchlers
Historia Jonae prophetae, die 1551 in Königsberg erschien.
2) „Angelicos coetus rerum deus optimus autor
Condidit et comites addidit hosce pios,
Assidue summi qui obstant ante ora parentis
Atque obeunt laeti iussa verenda dei.
Est horum fidei commissa ecclesia Christi,
Tuta sit illorum semper ut auxilio,
2l6 Theodor Wotschke.
er: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde". Engelhände
werden über die Frommen sich breiten und nicht zu-
lassen, dass die Schwelle des göttlichen Heiligtums sich
röte von dem Blute treuer Bekennen Des Tyrannen
Macht und des Papstes List werden sie zu Schanden
machen1).
Die Hoffnung, welcher Kuchler einen so lebhaften
Ausdruck gegeben hatte, erfüllte sich nicht In den
ersten Tagen des November 1546 stand Moritz von
Sachsen nicht mehr fern von Wittenberg. Viele Bürger
flüchteten mit ihren Familien aus der Stadt Am 6. No-
vember wurden die Vorlesungen an der Universität ge-
schlossen, den Studenten anheim gegeben, in ihre Heimat
zurückzukehren oder den wenigen Professoren zu folgen,
die in dem festen Magdeburg ihre Vorlesungen fort-
zusetzen gedachten. Kuchler hatte besonderen Grund,
jede Berührung mit der kaiserlichen Partei zu scheuen;
war es doch offenkundig, wen er in seiner Elegie als
den tobenden und grausamen Tyrannen und den ver-
logenen Cerinth bezeichnet hatte. Ehe die Universität
sich auflöste, scheint er noch die Magisterwürde erworben zu
haben2), dann flüchtete er. Seine Schritte lenkte er nach
Ut populum servent, depellant noxia quaeque
Hostis et insidias posse nocere vetent
Ergo pios hominum coetus servare laborant,
Qui Christi verum dogma fidemque tenent,
Et reprimunt stygii saevissima tela tyranni
Grassantis variis hoc in ovile modis*'.
]) „Omnes qui dominum non ficto corde fatentur,
Hos tegit angelicus curat amatque cohors,
Sic etiam nostra reprimunt aetate tyrannos,
Sanguine qui nostro se satiare volunt,
Et vigiles stipant sacrati limina templi,
Ne laceret fallax hostis ovile dei.
Roboris ergo nihil Romanae sedis habebunt
Technae, nil oberunt facta nefanda papae,
Qui licet indigna cupiat nos caede peremptos
Inflammetque animos perfidus usque ducum".
*) In der von dem Lutherforscher Köstlin veröffentlichten
Liste der Wittenberger Baccalare und Magister habe ich Kuchlers
Jakob Kuchler. 217
Polen. Vielleicht hatte er mit einigen der polnischen
Studenten in Wittenberg Freundschaft geschlossen, etwa
mit Johannes Cosmider1) aus Posen oder dem Fraustadter
Johannes Chryseus, dem Edelmann Stanislaus Niegolewski
oder Andreas Vandtelius, der mit ihm in demselben
Monat in Wittenberg sich hatte immatrikulieren lassen,
vielleicht auch hatte er bereits durch Vermittlung des
Gorkaschen Kanzlers Matthias Poley, eines Schlesiers aus
Schweidnitz, einen Ruf als Erzieher der jungen Grafen
in Posen erhalten. Denn hier im Palaste des General-
starosten sehen wir ihn gleich darauf als Lehrer tätig.
Seit einer Reihe von Jahren war Graf Andreas
Gorka ein überzeugter Anhänger der Reformation. In
den vergangenen Sommertagen hatte er -durch seinen
Feldhauptmann Kaspar Kaczkowski selbst die Werbe-
trommel in unserer Provinz rühren lassen, um für die
Schmalkaldischen Verbündeten leichte Reiter zu sammeln.
Überzeugte evangelische Gesinnung und gediegene huma-
nistische Bildung waren die ersten Anforderungen, die er
an den Lehrer seiner Söhne stellte. Beiden entsprach
Kuchler im besten Sinne. In die Tiefe evangelischen
Glaubens führte er seine Zöglinge so hinein, dass die
lutherische Kirche treuere Glieder als sie sich nicht
wünschen konnte, und von den Sprachen pflegte er mit
den klassischen die deutsche so nachdrücklich, dass sie
die letztere im Unterschiede zu ihrem Vater2) bald wie
ihre Muttersprache beherrschten und in der lateinischen
sich selbst in Versen versuchten3).
Namen nicht gefunden. Da er die Magisterwürde besass, sie in
Leipzig sicher nicht erworben hat, vermute ich, dass er sie in
Wittenberg zu einer Zeit erhielt, wo die Schrecken des nahenden
Krieges eine ungenaue Führung der Universitätsakten zur Folge hatten.
*) Dieser Cosmider war später viele Jahre Ratsherr in Posen,
1569 Vogt und 1570 zweiter Bürgermeister.
2) In Gorkas Briefwechsel mit deutschen Fürsten und Edel-
leuten hören wir verschiedentlich die Bitte um Schreiben in latei-
nischer Sprache, da er die deutsche nicht hinreichend beherrsche.
3) Die Briefe, in denen die jungen Grafen am 7. Dezember 1551
den Tod ihres Vaters anzeigen, sind z. T. deutsch geschrieben, und
2l8 Theodor Wotschkc.
Werfen wir einen Blick auf den Freundeskreis, den
Kuchler in Posen gewann. Sein Erzieheramt, sein evan-
gelisches Bekenntnis und die Pflege der klassischen
Studien führten ihn vor allen anderen dem Manne näher,
der humanistisch reich gebildet einst selbst Lehrer im
Hause des Generalstarosten gewesen und jetzt dessen
geschätzter Sekretär, zugleich auch Seelsorger der evan-
gelischen Gemeinde Posens war, Eustachius Trepka1).
Die Bewunderung, mit der Kuchler zu ihm und seinen
reichen Gaben aufsah: „O patriae, o generis gloria
magna tui", nennt er ihn einmal2), und die Wertschätzung,
mit der auch Trepka den Jüngeren umfasste, entwickelte
sich zu einer innigen Freundschaft, die in gemeinsamer
Arbeit für die evangelische Gemeinde sich betätigte und
gelegentlich auch über Missgriffe des einen und der
daraus entstehenden Verstimmung des anderen schnell
hinweghalf. Ihr ganzes ferneres Leben fühlten sie sich
aneinander gebunden. Gemeinsam vertieften sie sich in
die Klassiker des Altertums, gemeinsam lasen sie die
Schriften Luthers und Melanchthons. Als Trepka Anfang
des Jahres 1556 die Übersetzung der Bibel ins Polnische
ins Auge fasste und von Herzog Albrecht die nötigen
Mittel auch zur Besoldung eines gelehrten deutschen
Mitarbeiters an diesem Werke zu erlangen suchte8), mag
er an Kuchler als Gehülfen gedacht haben. Ihm widmete
er auch die letzten Stunden seines Lebens, noch an
seinem Todestage schrieb er ein Vorwort zu seines
Freundes Gedicht auf die Hochzeit des Grafen Andreas
Gorka mit Barbara von Foüstein. Neben Trepka sei des
schon erwähnten Kaspar Kaczkowski gedacht. Gern Hess
Kuchler sich seinen bewährten Rat und seine Hilfe ge-
die kindliche Trauer, die aus ihnen spricht, macht es gewiss, dass
sie nicht von einem Schreiber verfasst, sondern der Söhne eigenstes
Werk sind.
*) Vergl. meine Biographie Trepkas. S. diese Zeitschrift XVIII,
S. 87 ff.
2) In dem Epithalamion zu Trepkas Hochzeit.
8) Vergl. Wotschke, Eustachius Trepka a. a. O. XVDI, S. 103.
Jakob Kuchler. 219
fallen, und als er aus dem Hause des Posener Bürgers
Johann Glaser die älteste Tochter für sich begehrte, war
es Kaczkowski, der für ihn den Gang als Freiwerber
machte. Ihm und seiner Liebe zu ihm hat er ähnlich
wie Andreas Trzycieski1) in seiner Elegie über die Refor-
mation in Polen in einem seiner Gedichte ein ehrenvolles
Denkmal gesetzt2).
Mit dem Gorkaschen Kanzler Matthias Poley lebte
er in herzlichem Einvernehmen. Seinen Sohn Christoph
unterrichtete er bis 1551, da er zur Frankfurter Hoch-
schule ging, zugleich mit den jungen Grafen. Durch 1 repka
ward er in viele Bürgerfamilien der Stadt eingeführt,
andere lernte er durch seine Heirat kennen, andere auch,
als er gelegentlich seinen Freund Trepka vertrat. Aus
der grossen Zahl seiner Bekannten seien nur genannt der Arzt
Stanislaus Niger8), der mit seiner Gattin Eva geb. Li-
thoslawski sein Haus in der Wronker Strasse zu einem
Mittelpunkte humanistischen Geistes und evangelischen
Glaubens zu machen suchte, der Magister Albert Caprinus
aus Buk, der Bürgermeister Andreas Lipczynski, ferner
Trepkas Schwiegervater, der hochangesehene Bartel Götz4),
und der Notar der Schöffen, Johann. Humanistische
Interessen Hessen ihn auch dem streng altgläubigen Arzte
Stephan Mikanus näher treten.
Die günstige Lage Posens an der grossen Heer-
strasse von Deutschland nach Polen und die enge Ver-
bindung Gorkas mit deutschen Fürsten, Humanisten und
Theologen führten Kuchler ferner mit verschiedenen
Gelehrten zusammen, die auf der Durchreise durch Posen
im Palaste des Generalstarosten und später seiner Söhne
*) Vergl. Wotschke, a. a. O. S. 124 Anm.
2) „Quos inter generosus erat Cascovius heros,
Sarmaticae terrae non mediocre decus,
Gorcano comiti quo non est charior alter
Candorem ob nivei pectoris atque fidem".
*) Vergl. Wotschke, a. a. O. S. 112 und 137.
4) Viele Jahre hindurch war Götz oder Gedcz Ratsherr, 1544
war er erster Bürgermeister, 1554 Vogt
220 Theodor Wotschke.
vorsprachen, so mit dem Königsberger Professor Friedrieb
Staphylus (Juni 1543, Herbst 1550, Sommer 15511),) dem
Arzte Andreas Aurifaber (Anfang April und Ende Mai 1551,.
Februar und Juni 1553 und sonst), dem Italiener Francesco
Stancaro (Januar bis April 1551)2), und freilich erst geraume
Zeit später Pietro Paolo Vergerio (Juli 1556, März
1557 und April 1560), vor allen aber mit Melanchthons-
Schwiegersohn Georg Sabinus. Längst war es sein
Wunsch, diesen gefeierten und gekrönten Poeten, dessen
Dichtungen seine Zeitgenossen den Klassikern gleich-
stellten, und an denen sich bildete, wer nach dem Lorbeer
des Dichters strebte, persönlich kennen zu lernen, aber erst in
Posen gelang es ihm, als Sabinus März 1549 mit Martin
Chemnitz durch die Stadt nach Wittenberg reiste und auf der
Rückfahrt nach Preussen Juni 1549 mit unseres Luthers
ältestem Sohne Johannes wieder in Posen rastete 8), Der
eitle Charakter dieses ehrgeizigen Humanisten Hess eine
wärmere Freundschaft zwischen ihm und dem einfachen
Hauslehrer nicht aufkommen, aber gern nahm er dessen
Huldigungen entgegen, und unser Kuchler ward nicht
müde, ihm seine Bewunderung zu bezeugen; auch als
*) Als Staphylus später in die alte Kirche zurücktrat und
gegen Melanchthon schrieb, brach Kuchler jede Verbindung mit
ihm ab. In seinem Epicedion in mortem Melanchthonis wendet er
sich wider ihn und Flacius als die undankbaren Schüler des grossen.
Meisters:
„Nil virulenta illi blasphemaque lingua nocebit
Illirici aut Staphyli, quos sua fata manent.
Desine livor edax manes lacerare sepulti,
Nil hie post vitae funera iuris habes.
Tempus erit, poenas quo tu dabis improbe scurra
Quae furiae ultrices in tua fata raunt".
2) Vergl. Wotschke, Stancaros erster Aufenthalt in Posen.
Histor. Monatsblätter V, S. 81 ff.
3) Melanchthon empfahl den nach Königsberg reisenden Jo-
hannes Luther unter dem 25. Mai 1549 dem Herzog Albrecht. Seine
Reise mit Sabinus durch unsere Provinz beschrieb Johannes Luther
in einem leider verloren gegangenen Briefe an Melanchthon. Am
6. November 1549 antwortet ihm dieser: „Tibi gratias habeo, quod
iter vestrum mihi descripsisti". Corpus Reformatorum VII, N. 4623.
Jakob Kuchler. 221
Trepka mit Vergerio März 1557 sich wider den ehr-
geizigen unzuverlässigen Humanisten wandte1), hielt er
zu ihm. So oft Sabinus auf seinen verschiedenen Ge-
sandtschaftsreisen Posen berührte2), suchte Kuchler ihn auf,
ihm sandte er gelegentlich seine Gedichte mit der Bitte,
sie durchzusehen und zu beurteilen, ihm widmete er, als
er am 2. Dezember 1560 in Frankfurt starb, im Verein
mit seinem Freunde Johann Bötticher aus Ruppin einen
warmen Nachruf. Dagegen hat Sabinus die humanistische
Sitte, Freunde zu besingen und die Veröffentlichung ihrer
Gedichte mit eigenen Versen zu begleiten, nie gegen
Kuchler beobachtet, vergebens habe ich unter seinen
Elegien nach einer gesucht, die unserem Posener Huma-
nisten gegolten hätte.
Die traurigen Nachrichten, die über den Verlauf des
Schmalkaldischen Krieges in Posen eintrafen und hier
die Bewohner in solche Aufregung versetzten, dass etliche
in grausen Naturerscheinungen den Himmel mit dem
evangelischen Deutschland meinten mitleiden zu sehen,
J) Vergl. Wotschke, Eustachius Trepka, a. a. O. S. 114. Am
4. April 1557 sah sich Sabinus veranlasst, folgendes Schreiben aus
Frankfurt a. d. Oder an Herzog Albrecht zu senden. „Es ist
neulich hier zu Frankfurt gewest Paulus Vergerius vnd hat sich
gegen einen disser Vniversitetverwandten lassenn hören, wie das
F. D. in Preussen mich vorm Jare, do ich zur Wilde gewest vnd
widerumb gegen Konigkspergk kommen bin, beschuldiget vnd an-
geklagt, das ich der Vniversität vnd seiner fürstlichen Gnaden solt
haben Gelt vntreulich entwandt vnnd abgestolenn. Nun weis ich
mich, ob Got will, dess vnschuldigk, vnnd dieweil mirs beschwerlich
vnd vnleidlich, das solichs von mir bey ehrlichen Leuthen sol geredt
werdenn, habe ich F. D. demütlichen geschrieben vnd gebeten umb
ein Passborth, darmitt öffentlich zubeweisenn, das ich seyner F. D.
erlich vnd treulich gedienet".
2) Georg Sabinus weilte sehr häufig in Posens Mauern. Zum
ersten Male wohl 1544, damals schrieb er von hier unter dem
29. Juni an seinen Leipziger Freund Joachim Camerarius und
empfahl ihm einen Studenten. Aus Posen studierten damals in
Leipzig Nikolaus Noskowski und Kaspar Lindener, aus unserer
Provinz Stanislaus Ostrorog. Ferner sehen wir Sabinus in Posen März
und Juni 1549, Sommer 1554, Ende Mai und Mitte MLgust 1556, Mai
und Dezember 1558, auch Mai und Dezember 1559.
222 Theodor Wotschke.
und die Gefahren des Interims für die Reformation
zwangen unserem Kuchler eine solche Teilnahme ab, dass
wir aus der ersten Zeit seiner Posener Tätigkeit nur
Verse besitzen, welche auf die Not der Kirche gehen.
So veröffentlichte er ein Gebet um Frieden für die
Evangelischen1) und für Erhaltung der reinen Lehre2),
ferner ein Gedicht, das der frohen Gewissheit göttlichen
Schutzes für die bedrängte Kirche Ausdruck gibt8). Auch
einer precatio ad deum opt. maximum ex prophetis et
apostolis und eines anderen Gedichtes, dass die Über-
schrift „Christiani hominis officium" trägt, sei gedacht
In gewandten Distichen klassischer Latinität werden die
Grundgedanken, wird das Wesen christlichen Glaubens
und evangelischer Frömmigkeit dargestellt.
*) Vergl. Kuchler: Historia Jonae prophetae 1551 S. C 4 b.
Pro pace:
„Tranquillam nostris pacem da Christo diebus,
Quam sine te nobis reddere nemo potest.
Te sine nemo alius nos tutos praestat ab hoste,
Pro nobis alius pr©elia nemo gerit".
*) A. a. o. S. C 3 b. Precatio pro conservatione sanioris doc-
trinae et ecclesiae.
„Summe deus rerum sator atque aeterna potestas,
Qui regis imperio, quicquid hie orbis habet,
Pura tui cum nunc habeamus dogmata verbi,
Quae resonant passim doeta per ora virum.
Fac ea constanti servemus pectore semper,
Ne precor haec nobis eripuisse velis.
Sed tutare pios tua dogmata saneta professos,
Qui te non fieta relligione colunt.
Daemonis et rabido deus alme resiste furore
Grassantis multa caede in ovile hominum".
U. s. w., u. s. w.
8) A. a. O. S. C 5b. De ecclesia Christi.
„Sub cruce sub multis ecclesia saneta procellis
Degit et est miseris exagitata modis.
Christus at hanc tandem miranda liberat arte
Supplicio et hostes subicit ille gravi.
Nunc quoque defendet Christus sua saneta professos
Dogmata dispergi nee sinet ille pios.
Namqifc pios ut amat, sie et defendit eosdem
Nee tristi miseros clade perire sinit".
Jakob Kuchler. 223
Am ersten Osterfeiertage 1548 starb der 81jährige
polnische König Sigismund I, und unter der freudigen
Erwartung aller Evangelischen Polens bestieg sein Sohn
Sigismund August den Thron. Seit länger denn einem
Jahrzehnt hatte er zu der Reformation sich freundlich
gestellt, seine Hofprädikanten in Wilna predigten in
evangelischem Sinne, gern Hess er auch von Herzog
Albrecht evangelische Schriften sich zusenden. Allgemein
erwartete man jetzt bei seinem Regierungsantritt, dass er
der Reformation in Polen zum Siege verhelfen würde.
Noch zu Lebzeiten des alten Königs auf dem Reichstage
zu Petrikau 1547 hatten die Landstände als ersten Artikel
die Forderung der Predigt des lauteren Wortes Gottes
aufgestellt, jetzt brach die evangelische Bewegung mit
neuer Kraft sich Bahn. Allen voran ging der Posener
Generalstarost, welcher offen vor dem Könige und den
Bischöfen erklärte, Polens Feinde seien beim Papste und
Kaiser zu suchen. Bekannt ist auch, wie er am deutschen
Fürstenbunde wider Karl V. sich beteiligte, und auf
Heinrichs II. von Frankreich Veranlassung der Bund
durch Gorkas Vermittlung König Sigismund August für
sich wider den Kaiser zu gewinnen suchte. Dies
müssen wir uns vergegenwärtigen, um : ein anderes
Gedicht1) Kuchlers verstehen zu können. In scharfer,
kühner Sprache fordert hier unser Humanist den
König auf, die Kirche, ich gebrauche zur Illustrierung
seine eigenen Worte, „vor den Papisten zu schützen
und dem ruchlosen ßaalsdienste ein Ende zu machen."
Da dieses Gedicht in die Hoffnungen und in die
Stimmung der Evangelischen Posens einen aus-
gezeichneten Einblick gewährt, vor allem aber des
Generalstarosten Haus gleichsam in elektrische Helle
taucht, ist es als historische Urkunde für die Kenntnis
der Reformation in Polen von höchster Bedeutung; ich
kenne keine andere Schrift aus jenem Jahre, in der
innerhalb der polnischen Grenzen so vernehmlich und so
*) Carmen nQorgenxixbv ad serenissimum Poloniae regem Sigis-
mund um Augustum pro purioris doctrinae evangelicae assertione.
224 Theodor Wotschke.
laut [der König um Förderung der Reformation gebeten,
so streng und rückhaltlos über die alte Kirche abgeurteilt
wird1). Andere Gedichte aus den Jahren 1548 und 1549
sind ein Gebet um Sündenvergebung und Milderung der
gegenwärtigen Heimsuchungen, ein Gesang über die Er-
scheinung des Herrn im Fleisch, über seine Auferstehung
und eine poetische Darstellung der Geschichte des heiligen
Laurentius.
Im Jahre 1549 verheiratete sich sein Freund
Eustachius Trepka mit einer Nichte des bekannten Arztes
*) Um seiner geschichtlichen Bedeutung willen teile ich das
Gedicht ganz mit.
„Inclyte Sarmatiae moderator et optime sceptri
Rex virtute tibi vix habiture parem,
Aspice, sit quantis ecclesia pressa periclis,
Cerne, quibus Christi est obruta sponsa malis.
Turcarum hanc rabies crudelibus opprimit armis,
Distrahit, absumit, diripit atque necat.
Parte alia lacerant cruciantque premuntque papistae,
Hanc cupit extinctam pontificumque cohors.
Adde, quod huic etiam minitantur saeva tyranni
Vincula et hanc omni vique doloque petunt
Contra tale nefas hanc pestiferamque procellam
Postulat auxilium supplice voce rogans.
Poscit opem lachrimis, sed nemo movetur ab istis,
Nemo gravi miserae tempore praestat opem.
Ast tu rex Auguste, invicte, o maxime regum,
Quo non maius habet Sarmatis ora decus.
Adfere desertam Christi, rex inclite, sponsam
Adfer opem sine et has pondus habere preces.
Suscipe magnanimos pro relligione labores,
Incolumis per te stet pietatis honor.
Ne dubites cultu scelerati abolere Baalis.
Iste Baal regnum dissipat ecce tuum.
Tollere nee verearis abusus quosque prophanos
Neve velis papae facta nefandi pati,
Qui facit e vera nunc relligione cothurnos
Et sacra pro libitu vertere scripta solet.
Ergo age rex Christum vero defendito cultu,
Officium hoc veri nobile regis erit,
Sic referes Scytico rex victor ab hoste triumphos
Sarmatiae ac reddes aurea saecla tuae".
Jakob Kuchler. 225
Johann Woyntzik, einer Tochter des hochangesehenen
Ratmannes Bartel Götz, und zu Ehren des jungen Paares
verfasste Kuchler das Hochzeitsgedicht1). Es kennzeichnet
den engen Bund, den Humanismus und Reformation auch
in Posen geschlossen haben, dass das in humanistischen
Kreisen übliche lateinische Hochzeitsgedicht uns in Posen
.zuerst im evangelischen Pfarrhause begegnet In ihm hat
Kuchler seinem Freunde das glänzendste Denkmal gesetzt.
Ausführlich schildert er seine edlen Charaktereigenschaften
und seine klassische Bildung, sein tiefgründiges Wissen
und seine hervorragende Rednergabe, seine Frömmigkeit
und sein unerschrockenes Eintreten mit Wort und Schrift
für die Reformation,- um ihm dann ein ewiges Fortleben
im Gedächtnis der Nachwelt zu verheissen 2). Er malt die
Braut in ihrem Liebreiz, rühmt das Ansehn ihrer Familie 3),
beschreibt den Hochzeitszug, an dem auch der General-
*) Epithalamion de nuptiis clarissimi viri genere, doctrina et
pietate praestantissimi domini Eustachii Trepcae et honestissimae
puellae Annae, filiae optimi viri d. Bartholomaei Guscz civis Pos-
naniensis.
*) „Qui sibi praeclarum studio et pietatis amore
Quaesivit nomen perpetuumque decus.
Eustati quis enim modo noscit nomina Trepcae,
Vix habet ingenii dotibus ille parem?
Namque bonas artes primis cognovit ab annis,
Ornavit studiis pectus et ille bonis.
Quid referam, quae sit facundae gratia linguae,
Consilio ut valeat iudicioque bono?
Facundi dicas illum Ciceronis alumnum,
Dictio tarn nitido mollis ab ore fluit,
Linguarum summo semper flagravit amore,
Quas sibi cura ingens edidicisse fuit.
Inde tenet veterum volvens monumenta sophorum,
Quicquid habet Latium, Graecia quicquid habet.
Quid memorem, Christi quantum tueatur honorem
Protegat et purae relligionis opus?
Conservare studet divini dogmata verbi
Hostibus opponens se calamo, ore, manu."
U. s. w. u. s. w.
3) Die Götz waren eine alte Posener Patrizierfamilie, deren
Glieder von 1404 ab häufig im Rate der Stadt sassen. Ein Nicolaus
Gocz war von 1448 — 1463 mit nur geringer Unterbrechung Vogt.
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Prov. Posen. Jahrg. XX. 15
226 Theodor Wotschkc.
starost teilnahm, den Trauakt im Gotteshause, das Hochzeits-
mal, gedenkt der Wünsche der Gäste, vor allem der Rede
des Poley, um dann mit seiner eigenen Fürbitte für das
Wohl des jungen Ehepaares zu schliessen.
Zwei Jahre weilte Kuchler in Posen. Die jungen
Grafen wuchsen heran, zudem sehnte er sich nach einem
grösseren Wirkungskreise, nach der Leitung einer ordent-
lichen Schule. In Posen selbst hoffte er eine Zeit lang"
bleiben zu können, der Rat beschloss die Pfarrschule von
Maria Magdalena zu reorganisieren und einen tüchtigen
humanistischen Lehrer an ihre Spitze zu stellen. Durch
den Bürgermeister Andreas Lipczynski, seinen Bekannten,,
dachte er die Wahl des Rates unschwer auf sich lenken
zu können. Aber politische Erwägungen zwangen diesen
von unserem Humanisten abzusehen. Zu bekannt war
seine evangelische Gesinnung, zu verbreitet seine
Gedichte, in denen, wie wir sahen, an scharfen Worten
wider die alte Kirche es nicht fehlte, als dass der Rat
hoffen durfte, ihm, ohne den Bischof und das Domkapitel
zu reizen, das Lehramt übertragen zu können. Er be-
schloss, durch den im Juni 1549 durch Posen nach
Wittenberg reisenden Friedrich Staphylus Melanchthon
um einen den Altgläubigen weniger verdächtigen Lehrer
zu bitten, und wählte schliesslich auf des Staphylus
Empfehlung hin Gregorius Pauli l). Die fehlgeschlagene
Hoffnung Hess Kuchler noch drückender die Enge seiner
gegenwärtigen Stellung empfinden, in ihm noch stärker
den Wunsch aufleben, seine Präceptorstelle mit dem
Lehramte an einer grösseren städtischen Schule zu ver-
tauschen. Den Plan, mit dem er einige Zeit sich trug,,
vorher noch einmal nach Wittenberg oder Leipzig zu
weiteren Studien zu gehen, musste er aufgeben, da eine
grosse Feuersbrunst seine Vaterstadt eingeäschert und
ihn um sein ganzes Erbe gebracht hatte. Jetzt beschloss
er seine Verbindung mit dem herzoglich preussischen
*) Vergl. Wotschke, Versuch der Pfarrschule von Maria Magda-
lena 1549 einen evangelischen Lehrer zu geben. Hist. Monatsblätter
Pos. IV S. 177 ff.
Jakob Kuchler. 227
Sekretär Balthasar Ganz, einem Jugendfreunde, für sich
auszunützen und richtete an ihn folgendes Schreiben1).
„Dem Erbarnn wolweysenn Hern Baltzar Gans, fürst-
licher Gnaden aus Preussen Secretarien, meynem be-
sondernn gutten Freunde vnd Gönner vnd lieben Lands-
mann. Meyne ganczwillige vnd gevlissene Dienst mit
Wunschungen aller Glügseligkeyt zuvor. Erbar, gonstiger
lieber Her Baltzar. Wem es euch sampt den ewren aus
Gnaden des allmechtigenn Gottes gancz wol erginge,,
wer mir eyne besondere Freude zu erfaren, wisset mich
auch noch (Got lob) in zimlicher Gesuntheyth, Got gebe
lange. Gonstiger lieber Herr Baltzar, weil mir iczund
bekeme Botschafft vorgestossene, hab ich nicht woln vn-
derlassen, von wegen unser altenn Freundtschafft an euch
zu schreiben. Ich wolt aber herczlich gernn euch als
meynenn alden guttenn vnd lieben Landsmann etwas
von frölichern Zeitung zuschreyben, weyl vns aber Got
der almechtige in diser letzten gefeerlichen Zeit von wegen
vnser Sunde mit mancherley Straff und Plag vilfaldigkst
heymsuchet vnd immer eyn Unglügk vber das ander vns
zuschickt, kan man wenig frelichs erfaren, darumb ich
euch auch auff dis mal diese traurige vnd schreckliche
Zeytung wil zuschreyben vnd fug euch himit zu wissen,
das vnser lieber Herr Got vnser liebes Vaterlandt, die
Stadt Hirsbergk, mit schrecklichem vnd grausamen Feuer
iemmerlich heymgesucht hat, den nechsten Sonnabend
vor dominica Cantate, durch welchen Brandt, so auff
eynem Hause auskommen, die gancze Stadt gar in Grundt
vertorben vnd eyngegangen ist, sampt der Kirchen, Radt-
hause, Türmen vnd Heusern, das nur die Stadtmaver
stehn blieben ist, vnd sind vnser liebe Landsleute, vnser
Eidern, Geschwister vnd Freundschafft erbermlich vor-
torben vnd in kleglich Elend und Armut durch sulchenn
Brandt kummen, den sie in so schnellem Fever, welchs
in dreyen Stunden die gancze Stadt eyngenumen, nichts
oder ie gar wenig haben können daruon bringen, welchs
mir herczlich leydt vnd nicht geringe Schmerczenn
*) Es findet sich in dem Königlichen Staatsarchiv zu Königsberg.
15*
^28 Theodor Wotschkc.
gebracht hat. Vnser lieber Herr Gott wold die armen
Leuten trösten vnd inen helfen vnd eyn idern vor so
schrecklichen Fewer gnediglich behüttenn. Solchs habe
ich euch lieber Her Baltzar, weyl mir iczundt fugliche
Botschafft vorkommen, nicht wollenn vorhaldenn, bitt
auch freundlich, ihr wolt mich auch dermal eynes mit
ewrem Schreybenn besuchenn vnd mir zuerkennen
geben, wie es euch geht, wiewol mir nicht zweifelt,
das ihr euch (Got lob) gancz wol gehabt. Was meyne
Person belangend, wil ich euch nicht bergen, das ich
noch immerzu bey dem Hern von Posenn meyn Auff-
«nthald hab vnd noch seiner Gnaden Sone vnder meyner
Disciplin hab. Weyl aber die iungen Hern nu fast
gewachsen nicht sonderliche Lust fortmehr zum studiern
haben, sich auch nicht gerne regirn lassen, wil meyner
Gelegenheyt nicht seynn, mich ferner alhyr aufzuhaldenn,
den ich mereke, das es meynen Studien nicht zutreglich
und nuczlich, mich alhy im Landt zu Polen bey disem
Hofflebenn lenger eynzulassenn, darumb wo mir irgent
eyn andere erliche Condition vorhanden stysse, wer ich
nicht vbel gesinnet, diselbe anzunehmen vnd meyn Wesen
anders mit Gottes Hülffe anzustellenn. Derhalbenn ist
meyn gancz freuntliche Bitt, ihr wolt neben andern ewern
gutten Freunden mir hirin beholffen seyn, ob ich irgent
im Landt zu Preussen in eyner feynen Stadt eynen Dienst
bekommen mechte, wil auch darum mit dem hern Doctor
Sabino mich vnderreden, den ich nicht vngern fürstlicher
Gnaden, meynem gnedigsten Heran, auffs vnterthenigst
zu dienen gesinnet vnd geneigt. Was ewer Gutdüncken
hirin seyn wirt, bitt wolt mich auffs ehste verstendigen,
ich thu euch widerumb, was euch lieb ist, vnd wo ich
hirinn durch euch, wie ich hoffe, gefürdert werde, wil ich
vmb euch zu sonderlichem Dangk in allem gutten unge-
spartes Vleysses allczeyt vordienenn. Ich hab stetts im
Willen gehabt, das ich mich widerumb ken Leipzigk oder
ken Wittenbergk begeben wolt, mich hat aber der Vnfriede
in diesem Vornehmen bisher vorhindert vnd nhu der
Vnfal vnd Schade, so ich neben den meynen daheym
Jakob Kuchlcr. 229
entpfangen hab, muss derhalben nu auff ander Wege
trachtenn, gancz dinstlich bittende wolt mir hirin von
wegen vnser alden Freundschafft, wo es müglich, beholff-
lich seyn. Himit seyt Gott dem almechtigen befoleniu
Datum eylende zu Posen d . . . J) im Jahr 1549*.
Nachtrag. „Wolt von meynetwegen freuntlich salutirn
den Dominum . . . . 2) von Prag, wo er noch in fürstlicher
Gnaden Kanzley, wie ich mich vorsehe, ist. Ich schick
auch hirbey eyn Carmen auff einen Pfaffenn, welchen
vnser etliche vom Hoffe vngefähr bei eyner Fettel
ergriffen, auff dem Marckt in die Thur geworffenn vnd
wol ge . . . *) haben, welchen Possen ich in lateynische
Vers kurz verfasset hab, wolt sie dem Seclutiano zeygen
vnd im meyn vnbekandt Dinst sagen. Ewer alzeyt williger
Jacobus Kuchler, der iungen Graffen von Gorca Praeceptor".
Das Carmen, dessen unser Latinist am Schlüsse
seines Schreibens gedenkt, ist uns nicht erhalten, wohl
aber ein Hochzeitsgedicht, das er einige Monate später
schrieb, zu dem ihn sein Freund Balthasar Gans ermuntert
hatte, und das, wie er hoffte, eine Anstellung in Preussen
ihm bringen sollte. Am 11. April 1547 war Herzog
x) Das Datum des Briefes isl leider weggerissen.
2) Der Name ist weggerissen, wahrscheinlich haben wir an
Wilhelm Skrzynietzki, Freiherrn von Ronow, zu denken. Vergl. über
ihn Wotschke, Johann Seklucyan Z. H. G. Posen 1902 S. 228. Posen,
den 3. Sept. 1548 schrieb Graf Andreas Gorka dem Herzoge Albrecht
nach Königsberg. Nihil addubito, quin Vr» Dlma Dtio memoria
teneat commendaciones apud Vram IiTmam Dnem per me factas pro
generoso domino Gulielmo Skrzinieczki, viro calamitoso et homine
afflicto, cuius res in eum locum iam adductae sunt, ut ad hunc
modum destitutus singulari benignitate Vr»e 111«*»* Dni» egeat
Quare cum ad Vram Ulmam Dnem, in qua spes omnes suas collocat
tanquam ad propicium numen confugiendum esse duxerit, rogo, ut
Vra Ulm* Dlio in eum pietatem christiano principe dignam declaret.
Quod etsi ego Vra*» Illmam D°cm facturam omnino confidam pro
eius benignitate et pietate apud omnes vulgata et celebrata, tarnen
et hanc commendationem meam volui accedere, sperans inde Vra»
Ulmam Dncm erga eum esse testaturam ex maiorf alacritate signi-
ficationem suae iam utique vulgatae clementiae".
3) Der Schluss des Wortes ist gleichfalls abgerissen.
23° Theodor Wotschke.
Albrechts Gattin Dorothea gestorben, und da sie ihm
keinen Sohn, für sein Herzogtum keinen Erben hinter-
lassen hatte, schritt er zur zweiten Ehe. Seine Wahl fiel
auf Anna Maria von Braunschweig, und zur Vermählung
dieses herzoglichen Paares verfasste Kuchler das Hochzeits-
gedicht. Im Eingange bekennt er, mit den preussischen
Sängern, vor allen mit Sabinus nicht wetteifern zu können,
auch habe er bei seiner grossen Arbeit und der Zer-
streuung, die der Gorkasche Hof biete, nicht Zeit, den
Musen, wie er wohl wünschte, zu dienen; aber das Wohl-
wollen, welches der Herzog seinem Grafen entgegen-
bringe, zwinge ihn, in die Saiten zu greifen. Besonders
eingehend preist er des Herzogs reformatorische Haltung
und den Schutz und Schirm, den er allen bedrängten
Evangelischen zuteil werden lässt1). Des Fürsten Wilhelm,
«des Stiefvaters der Braut, des Grafen Poppo von Henneberg,
welche die herzogliche Verlobte nach Königsberg geleiteten,
versäumt er nicht zu gedenken. Die anschauliche Schil-
derung der Braut2) lässt fast vermuten, dass Kuchler die
Verse erst während der Rast der Prinzessin in Posen
niedergeschrieben habe. Am 25. Januar 15508) traf sie hier
ein, und drei Tage dauerten die Festlichkeiten, die Gorka
1) „Perpetuam meruit dux uno hoc nomine laudem,
Quod tarn sincerae est religionis am ans,
Quod tanto studio Christi defendit honorem
Protegit et verum dogma fidemque dei,
Quodque pios doctosque viros dignatur honore,
Qui populum fidei dogmata sancta docent.
Arcet et a templis divin i numinis hostes,
Qui vastant Christi dilacerantque gregem.
Ac reprobis firmo se opponit corde papistis,
Impia Romani quos fovet aula lupi".
2) wEx oculis pietas, e vultu lucet honestas,
In gestu decus est ingenuusque pudor"
8) Poppen, den 25. Dezember 1549 schrieb Herzog Albrecht
an Christoph Konarski. „Dieweill der almechtige Godt es also
geschickt, das wir vns mit der hochgeborenen Fürstin Frewlein
Anna Maria von Braunschweig vnnd Lüneburg, Hertzog Ulrichs
vonn Braunschweig hochloblicher Gedechtnis nachgelassenen Tochter,
«helichenn verlobt vnnd auf künftig Estomihi zu Königsperk das
Jakob Kuchler. 231
ihr zu Ehren veranstaltete. Als sie am 28. Januar auf-
brach, gab Kuchler das Gedicht einem der Edelleute des
-Zuges nach Königsberg mit und folgendes Schreiben an
seinen Jugendfreund Balthasar Gans.
„Meyne ganczwillige vnd gevlissene Dinst vnd alles
guttes zuuor. Günstiger lieber Her Secretari, besunder gutter
Freundt vnd Gönner. Wie ich es mit euch nechs allhyr
zu Posen vorlassenn, das ich nach meynem geringen Ingenio
wolt S. G., ewrem gnädigsten Hern, auff S. G. hoch-
zeitliche Freude etwas zuschreybenn, vbersende ich euch
himit eyn Carmen gratulatorium, darin ich S. F. G. Glück-
wünsche zu dieser Heiradt, vnd dieweyl ich nicht sunder-
lich vil Zeit vnd Weyl gehabt, solche Materie mit grösserm
Vleiss, wie es wol von Nöten, zu tractirn, als der ich
sonst, wie euch wol bewusst, alhy beym Hoff vil Hindernis
an meynen Studien vnd bei den iungen Hern an Vnderlas
gross Muhe vnd Arbeyt vnnd allerley molestias haben
muss, ist meyn vleissige Bitt an euch, wolt des Hern
Doctors Sabini, wo er zukegen, iudicium hirinn zuuor
-erkunden, welchem ich auch in sunderheyt dauon ge-
iürstliche eheliche Beitager gehaltenn werdenn soll, Ire L. aber mit
sampt derselben bei sich habenden Fürstenn, Grauenn, Hern vnd Edel-
leuthen vermittelst gotlicher Gnadenn auf den 23. Januarii zu Silinski
<d. i. Zielenzig) vnnd dem f olgendenn 24. Januarii zu Meseritz annkhomenn
werdenn, demnach ann euch vnnser gnediges Begeren, ihr wollet
vonn vnnsernth wegenn die Kon« Maj* vnderthenigst vnnd freund-
lichst bittenn, Kon« Maj* wolle auf itzermelthe vnnsere künftige
Gemahell vnnd derselben bey sich habenden Fürstenn, Grafen,
Hern vnnd Edelleuthen, auch fürstlichen Frawenzimmer ein schrift-
lich, christlich vnnd königlich Gleith, nichts weniger Irer L. alle auf
ihr Begern auch mit lebendigem Gleith annehmen vnnd geleidlich
•durch die Cronn vnd Lande Preussen, bis inn vnser Fürstenthumb,
also auch widder hinaus inns Landth, bei allenn Ämtern zu
.geleithenn beuehlen lassen. Desgleichenn auch schriftlich die
Beuehle thun, dass Ire L. mith iren bei sich habenden vmb ihr
Geldt Notturft, vnnd was inen bequemlieh, haben vnnd erlangenn
mögen. Solche königliche Beuehll wollt ir inn vnnserm Nhamen
aufs vleissigste eilendeste vnnd förderlichste auf vorige kenigliche
Vertröstung, so dem Terla gescheen, fordern, solicitirn vnnd, das
sie inns beste gestellet vnd gemacht, vnserer Zuuersicht nach
fertigen vnd es bei Zeigernn zuschiekenn".
232 Theodor Wotschkc.
schrieben vnd gebeten, das Carmen zu vbersehn vnd, wo
es von Nöten, zu emendiren, vnd als dan wolt es zu
gelegner Zeyt seiner F. G. mit vleissiger Commendatioa
meyner gancz vnterthenigen vnnd allezeit gevlyssen Dinst
vnd auch meyner Studien vberantworten, mit Bitt, S. F. G.
wolt meyn gnediger Fürst vnd Herr seyn vnd sulch meyn
Arbeit, sso ich zu S. F. G. Ehre auff mich genummen, in
Gnaden annhemen vnd mich vor S. F. G. alczeyt willigen
Diener erkennen, wie ich mich den trostlich zu euch vor-
sehe, ihr besser, den ich euch schreyben kan, thun vnd
ausrichten werdet. Wo mich auch S. F. G. durch euher
Fürbitt etwa mit eyner Vorehrung aus Gnaden bedenken
würde, werdet ihr mir sulchs zu gelegener Zeyt wol zu-
stellenn, bit wolt hirinn vnbeschwert seyn, mir von wegen
vnser alten Freuntschafft sulchs gunstiglichen auszurichten.
Worin ich widerumb euch vnd all den ewren mit der
Zeyth wilfertige Dinst bezeigen kan, wil ich alczeyt
bereydt willigk vnvordrossen befunden werdenn. Meyn
gnediger herr hat den Marggrauen sampt den andern
Fürsten vnd Herrn gancz herlich entpfangen vnd inen
gross Ehre bezeygt. Himitt will ich euch dem ewigen
Gott befolen haben. Datum Posen, eylende Dinstag vor
purificationi Mariae1) im Jar 1550. E. E. alczeyt williger
Jacobus Kuchler2).
Ob Sabinus das Carmen durchgesehen, es Kuchler
die erhoffte klingende „Vorehrung" gebracht hat, wissen
wir nicht, aber noch in demselben Jahre ward es in
Königsberg gedruckt und herausgegeben 8). Auch in
einem Gedichte an Sabinus, das noch in das Jahr 1550
x) d. i. der 28. Januar.
2) Das Siegel des Briefes zeigt im Wappenschild einen Schwan
darunter die Buchstaben I. H. K.
*) Vergl. In nuptias illustrissimi prineipis ac domini domini
Alberti marchionis Brandeburgensis ducis Prussiae etc. et illustrissi-
mae prineipis ac dominae dominae Annae Mariae ducis Brunsvicensis et
Lunaeburgensis Carmen gratulatorium a Jacobo Kuchlero Hirsberg-
ense (!) comitum iuniorum a Gorca praeeeptore scriptum. Unter
dem Titel finden wir das Bild Herzog Albrechts und hinten den
Vermerk: In Regiomonte Borussorum ex officina Ioannis Luiftiu
Jakob Kuchler. 233
oder spätestens in die ersten Monate des folgenden Jahres
fallen muss, gedenkt Kuchler der Enge seines Wirkungs-
kreises und dass er nach einem anderen Amte sich sehne l).
Es hat dieses Gedicht für uns ein besonderes Interesse,
weil Kuchler in ihm die Geschichte seiner Liebe uns
gibt Wir hören, wie er in heissem Sehnen und doch
unschlüssig, ob er den entscheidenden Schritt tun dürfe,
den Hain aufsucht, an den so manche Liebesbekümmerte
vor ihm und nach ihm ihr Weh hingetragen haben, den
Eichwald *), er aber trotz alles Sinnens und Überlegens
zu keinem festen Entschlüsse kommen konnte. Dann
bedient er sich des bekannten Motivs der Anakreontik,
welches auch der von ihm so hoch geschätzte Sabinus
in seinen der Anna Melanchthon gewidmeten Liebes-
liedern so oft angewandt: die Liebesgöttin erscheint ihm
und beschwichtigt seine Bedenken 8). Er solle das Glück
*) „Pieridum columen vatum spes magna Sabine,
Temporis o nostri non mediocre decus,
Ecquid adhuc memori tibi nomen mente Iacobi
Haeret, amicitiae pars quotacumque tuac?
Si quaeris, quid agam, comitis me detinet aula
Gorcani studiis non satis apta meis."
2) „Eist nemus, haud longe Posna quod distat ab urbe,
Hie ubi Sarmaitos Varta pererrat agros,
Blandior haud alius sinuosi ad fluminis undas
Est locus, hunc nymphas incoluisse ferunt.
Hie ego dum curas cupio lenire molestas,
Saepe fatigavi terga ferocis equi.
Et cecini molles chara de Phyllide versus,
Quos mihi dietavit deliciosus amor.
Huc nuper veniens nemoris secreta petebam
Et vitae expendi tristia fata meae.
Atque animi dubius versabar pectore mecum,
Transigerem vitam qua ratione meam,
An sine coniugio deberem vivere caelebs,
Foedera legitimi sint ne petenda thori?"
3) „Quid dubitas sociam tibi vitae adiungere castam
Cur miser horrescis foedera saneta thori?
Ducis et incautum per tot discrimina vitam,
Nee tibi sunt curae iussa tremenda dei?
San ei vit firma qui vincla iugalia lege
Admittens liciti gaudia casta thori."
234 Theodor Wotschkc.
ergreifen, die schönste seiner Töchter werde das grosse
Posen ihm zuführen, Anna, die Königin seiner Lieder.
Noch zeigt ihm die Göttin die Anmut und den lockenden
Liebreiz der still Geliebten, da ist sein Entschluss gefasst-
Die Göttin entschwindet. Er sendet als seine Frei-
werber Kaczkowski, die jungen Grafen, den Präfekten des
Hofes, wohl Mathias Poley, und Andreas Lipczinski *),
welche von dem Vater der Geliebten, dem Posener Gold-
schmied Johannes Glaser die Hand seiner Tochter für
ihren Freund erbitten 2). In die Schilderung der Hochzeit,
an der viele Edelleute und Bürger, auch der Generalstarost
und seine Söhne teilnahmen, läuft das Gedicht aus. Doch
bieten die vier lezten Verse noch eine persönliche Wendung-
an Sabinus. Der Bote, der dieses Carmen nach Königsberg
bringe, werde ihm ausführlich überKuchlers Verhältnisse und
Wünsche berichten. Gewiss beziehen sich diese Worte auf
die Drucklegung der Gedichte unseres Humanisten, denn da
er wahrscheinlich noch im Jahre 1550 die von den Latinisten
des 16. Jahrhunderts gern behandelte Geschichte des Pro-
pheten Jona dichterisch dargestellt hatte, beabsichtigte er die
einzelnen zerstreuten Carmina zu einem Buche zusammen-
zustellen und vereint herauszugeben. Es erschien im
Winter 1551 mit einem längeren Zueignungsgedicht an
den Grossmarschall und Krakauer Kastellan Grafen
Johann von Tarnow8).
*) „Nobilis hie aderat nostrae praefectus el aulae
Cumque aliis Posna consul in urbe gravis."
2) „Eximia praestans virtutis laude Johannes
Disce age, quae nostrae sit modo causa viae.
Huc venimus petimusque tuam coniungere natam
Cuchlero liciti lege fideque thori.
Non ille indignus gener est mihi crede futurus,
Diligit hunc vatum pieridumque chorus,
Hunc Gorcanus amat comes, hunc tibi destinaturum
Atque virum natae postulat esse tuae.a
^ Historia Jonae prophetae carmine elegiaco traetata. Cui
addita sunt alia nonnulla sacri argumenti poemata eodem autore.
Anno 1551. Scripta Posnaniae in aula illustris d. comitis a Gorca
castellani Posnaniensis. In Oktav, vier Bogen. Hinten: Impressum
in Regiomonte Borussorum mense Novembri anno 1551.
Jakob Kuchler. 235
Die jungen Grafen waren herangewachsen, der
jüngste Stanislaus sollte demnächst die Universität Witten-
berg besuchen, Kuchlers Tätigkeit als Erzieher in Posen
hatte ein Ende. Seine Bemühungen um ein Lehramt in
einer grösseren Stadt waren fehlgeschlagen, so übernahm
er 1553 gern eine Stellung in seinem Heimatlande
Schlesien am Hofe des Herzogs Johann von Münsterberg
als Erzieher von dessen ältestem Sohne. Seine Ver-
bindung mit Polen gab er nicht auf, vor allem blieb er
in engem Zusammenhange mit seinem Posener Freundes-
kreise, wohl auch im Briefwechsel mit seinen ehemaligen
Schülern. Sollte er es nicht vermittelt haben, dass sein
Landsmann Johann Seckerwitz aus Breslau mit dem
Grafen Stanislaus Gorka 1554 in Wittenberg bekannt
wurde und ihm hier fünf lateinische Psalmen, auch eine
Übersetzung des Grafen Lieblingsliedes: „Es ist das Heil
uns kommen her" widmete x) ? Als im August 1553 der
König Sigismund August in Krakau sich mit Katharina
von Österreich, der Schwester seiner ersten im Lenze
ihrer Jugend und ihrer Ehe verstorbenen Gattin, vermählte,
griff Kuchler in die Saiten und dichtete zu Ehren des
königlichen Paares ein Hochzeitscarmen 2). In der Wid-
1) Joh. Seckerwitz ist am 1. Mai 1548 in Wittenberg, Winter-
Semester 1553 in Frankfurt immatrikuliert. Vergl. sein canticum
Pauli Sperati: „Es ist das Heil uns kommen her" metro Horatiano
iuxta illud „Vides ut alta stet nive candidum" in odam latinam
conversum.
„En immerentis alma salus adit
Solo benignae munere gratiae,
Spes illa falsae sanctitatis
Atque operum pereunt triumphi."
„Beata Christum respiciens fides
Hunc expirantem crimina victimam
Hunc liberatorem fatetur.
Pro miseris medium precando.11 U. s. w.
2) De nuptiis serenissimi et potentissimi Poloniae regis Sigis-
mundi secundi Augusti et illustrissimae dominae d. Catharinae
serenissimi Romanorum regis Ferdinandi filiae epithalamion. Autore
Jacobo Kuchlero Hirsbergense 1553 Mense Julio, in 4°, 2 Bogen.
Hinten: Vratislaviae in officina Crispini Scharffenbergii. — Ich be-
236 Theodor Wotschkc.
mung, welche vom Hofe des Herzogs von Münsterberg
datiert ist und an den Fürsten Nikolaus Radziwill sich
richtet, spricht er die Bitte aus, sein Gedicht dem Könige
zu übermitteln. Wahrscheinlich suchte er einen Ruf als
polnischer Hofpoet nach Krakau zu erhalten, denn er gibt
der Hoffnung Ausdruck, ausführlicher und glanzvoller
«ies Königs Taten und Namen besingen zu können, wenn
ihm durch königliche Munificenz ein ruhiges sorgenfreies
Leben gewährt würde und er sich ganz der Dichtkunst
widmen könnte.
Nach einiger Zeit kehrte Kuchler nach Posen zurück.
Seine alte Hoffnung, die Leitung einer grösseren Schule
^zu erhalten, hatte er aufgegeben und war zufrieden, in der
Heimat seiner Frau zuerst seinen Freund Trepka unter-
stützen zu können — Ende März 1558 reiste er zugleich
mit ihm nach Königsberg *), — dann als Sekretär des
Generalstarosten Johann Koscielecki eine geachtete
Stellung und sichere Existenz zu gewinnen. Oktober 1558
verheiratete sich sein ehemaliger Schüler Andreas Gorka
mit Barbara von Follstein. Natürlich konnte er die
Feier nicht vorübergehen lassen, ohne Erato, die Muse
merke hierbei, dass die Offizin des Krispin Scharffenberger, der
gewiss mit der bekannten gleichnamigen Krakauer Druckerfamilie
verwandt war, viele Bücher nach Posen lieferte. Sein Hauptabnehmer
war hier der Buchhändler Melchior Diering.
L) Mit dieser Reise steht es in Verbindung, dass Kuchler vor-
übergehend in den Verdacht geriet, Geld unterschlagen zu haben.
Am 24. Juli 1559 schreibt Herzog Albrecht an Stanislaus Ostrorog:
„Latere Magt«« Vr*m nolumus iussisse nos in libris rationum
aerarii nostri perquirere, an pecunia ea, quam uxor Eustachii Trepka
per Mag*»»« Vr*m a nobis postulavit per Cuchlerum, uti nos quidem
arbitrati sumus, missa esset. Quia vero errasse nos offendimus ex eo,
quod cum Cuchlerus ad nos fuerat, uno eodemque tempore et
Eustachium Trepka adfuisse, intelleximus nihilque Cuchlero datum esse,
quod ad eundem Trepka tum praesentem ferre potuisset. Jtaque aman-
ter petimus, quandoquid em opinio nostra nos fefellit, ut ne fraudi hoc
esse Cuchlero patiatur, cupimus autem, ut Mag*»»™ Vram in üsf quae
nomine coniugis Trepka praedicti apud nos egit, quomodo res se
habeat, nobis significet. Zu der Angelegenheit vergl. Wotschke,
Eustachius Trepka a. a. O. S. 133 und 141.
Jakob Kuchlcr. 237
der Liebenden, herbeizurufen1). Dieses Hochzeitsgedicht
ist wohl der erste Druck, der in unserer Provinz erschien.
Der Böhme Alexander, nach seiner Heimat Ujezd bei
Pilsen Augezdecki genannt, den Seklucyan mit Speratus
durch Vermittlung des Freiherrn von Ronow, Wilhelm
Skrzynietzki, nach Königsberg gezogen, und der hier unter
anderen Schriften die Übersetzung des Neuen Testamentes,
durch Seklucyan und das grosse polnische Gesangbuch
gedruckt hatte, war Ende 1556 mit seiner vorzüglichen
Druckerei nach Böhmen zurückgekehrt, dann aber vor
neuen Verfolgungen Sommer 1558 wiederum nach Polen
geflüchtet Hier zog ihn Graf Lukas Gorka in seine
Dienste und Hess seine Druckerei in seinem Schlosse zu
Samter aufstellen. Die erste Schrift, die dort die Presse ,
verliess, scheint das schon erwähnte Hochzeitsgedicht
gewesen zu sein 2). Gewidmet hat es Kuchler dem
J) „Andreae comitis Gorcani hymeneia dicam
Gaudia et optati foedera sancta thori.
Ergo, Erato, huc propera myrto praecincta viventi,
Ut iucunda canas et geniale melos.
Adsis, quaeso, animo faciii teque insere nostro
Et nos musarum numina sancta simuL*
Erwähnt seien noch die Verse, in denen Kuchler des früh-
verstorbenen Vaters des Bräutigams und seiner Verdienste um-
Grosspolens Hauptstadt gedenkt.
„Floruit et semper Posnania culta sub ipso
Praeside, quam rexit legibus ille bonis.
Iustitiae Studium verae et pietatis amavit
Eloquio fuit is consilioque potens."
2) Epithalamion de nuptiis illustris et magnifici domini d.
Andreae comitis et heredis in Gorka, Gnesnensis, Valcensis etc.
capitanei et magnificae dominae d. Barbara de Folsteyn palatinae
Cracoviensis etc. Autore Iacobo Kuchlero Hirsbergense. Impressum
Schamotuli in arce illustris d. Lucae comitis a Gorka palatini
Lanciciensis etc. per Alexandrum Bohemum. Anno 1558.
20. Octobris. In 40, 2 Bogen.
Auf dem folgenden Drucke nennt sich der Typograph
Auiezdecky, auf dem böhmischen Gesangbuch 1561 Auiezdecky
und Auiezdsky. Während die beiden in Samter gedruckten Gedichte
Kuchlers kein Wappen oder Buchdruckerzeichen des Böhmen
bringen, zeigt das Samtener Gesangbuch, dass er als Wappen
einen Schild führte, in dem ein Bär mit einer Kette am Halse steht.
238 Theodor Wotschke.
ältesten Bruder des Bräutigams, während Eustachius
Trepka an lezteren das Vorwort richtete. Auffallender
Weise ist dieses Posen, den 18. Oktober datiert, während
Trepka, wie urkundlich feststeht, schon am Tage vorher
in später Abendstunde vom Schlage getroffen verstorben ist
Ein halbes Jahr später führte Erato unserem Humani-
sten den Griffel zu einem Hochzeitsgedicht für die
Tochter seines Herrn, die sich mit Andreas Opalinski1)
vermählte2). Preist Kuchler das Brautpaar und rühmt er
den Adel ihrer Geschlechter8), malt er den Jubel, der bei
der Hochzeit in Posen herrschte4), schildert er den
reichen Schmuck des Gotteshauses, stets zeigt er sich als
der formgewandte Latinist, der meisterhaft die klassische
Sprache beherrscht.
Am 19. April 1560 starb sein Lehrer Melanchthon.
Kuchlers Schmerz einte sich mit der Trauer der evan-
gelischen Gemeinde; sie und sich selbst suchte er in
einigen Trostgedichten aufzurichten. Noch besitzen wir
*) Andreas Opalinski hat in Leipzig nach der Universitäts-
matrikel 1551 studiert. Auch Kuchlers Freund Bötticher aus Ruppin
widmete ihm zu seiner Vermählung ein Gedicht. Vergl. Gratulatio
de coniugio ad magnificum et generosum d. Andream Opalinski
scripta a Iohanne Bottichero Rupinensi. Francoforti excudebat
Iohannes Eichorn die quinto Aprilis 1559. In Quart i1^ Bogen.
2) In nuptias generosi ac vere nobilis domin i d. Andreae
Opalensky et praestantissimae omnibusque virtutibus ornatissimae
virginis Catharinae, filiae magnifici domini d. Janusii a Cosczielecz
palatini Siradiensis Maioris Poloniae generalis Naclensisque capitanei
carmen nuptiale. Anno 1559, in Quart zwei Bogen, hinten: Im-
pressum Schamotuli in arce illustris d. d. Lucae comitis a Gorka
palatini Lanczitiensis per Alexandrum Auiezdecky. Anno 1559.
13. Aprilis.
8) Besonders gedenkt er des Onkels des Bräutigams Petrus
Opalinski, der 1528 Meseritzer Starost, dann Hofmeister des Königs
Sigismund war und am 19. Dezember 154a zum Kastellan von Posen
ernannt worden war.
4) „Undique iam laeti tolluntur ad aethera plausus,
Hie ubi Posnanos Varta pererrat agros,
Et matres iuvenesque simul populusque patresque
Foelici plausu compita euneta replent*.
Jakob Kuchler. 239
ier von ihnen, darunter eine consolatio ad amicos
G-zrQOGTLxov1). Neben einigen kleineren Epitaphien ver-
aaste er zu Ehren seines unvergesslichen Lehrers auch noch
;in Epicedion2). Tiefe Trauer atmen dessen Verse, wie
Schluchzen klingt es aus ihnen, es ist, als ob wir in
cCmchlers schmerzbewegte Seele hineinsehen. Nachdem
er seiner Wehmut Raum gegeben, gedenkt er der Ver-
dienste und des unendlichen Segens, der von dem prae-
ceptor Germaniae ausgegangen ist, und richtet schliess-
lich seine Augen auf die Not der Kirche, die infolge der
Zerklüftung der Evangelischen auch in Posen zu Tage
trat. Mit dem Gebet, dass Gott allem Hader wehren und
seiner Kirche immer treue Lehrer senden möge, schliesst
•das treffliche Gedicht8).
Acht Monate, nachdem Melanchthon die Augen
geschlossen, am 2. Dezember 1560 starb sein Schüler
und einstiger4) Schwiegersohn Georg Sabinus in Frankfurt.
Als zur ersten Wiederkehr des Todestages Johann
Bötticher aus Ruppin, ein Schüler des Sabinus und
1) »Quid gemis extinctum docta et pia turba Philippum?
Non abiit cuius nomen honosque manent,
Parte sui vivit multo meliore super stes,
Fama viget terris, spiritus astra tenent".
2) Epicedion in mortem reverendi et incomparabilis viri d.
Philippi Melanchthonis scriptum Posnaniae Iacobo Kuchlero Hyrsch-
bergense Anno 1560 Maii 15. Unter diesem Titel befindet sich Melanch-
thons Brustbild. In Quart, ein Bogen, hinten : M. Iacobus Kuchlerus
memoriae optimi praeceptoris scripsit 19. Maii 1560. Die Offizin ist
nicht angegeben, doch glaube ich nicht zu irren mit der Annahme,
dass dies Gedicht nicht in Samter bei Augezdecki, sondern in einer
Wittenberger Druckerei erschienen ist.
*) „Te quoque musarum decus immortale Melanchthon
Proh dolor e terris mors violenta rapit?
Siccine fatalis claudis tua lumina vitae?
Chare pater, nullo tempore digne mori.
Concidis heu nimium fato prostratus iniquo?
Eriperis terris hei mihi quäle decus?
Omnibus hinc oritur iustissima causa querellae,
Sedula qui studiis dedita corda sumus".
4) Melanchthons Tochter Anna war nach wenig glücklicher
Ehe bereits 1547 verstorben.
240 Theodor Wotschke.
Freund unseres Posener Humanisten, vor den Frankfurter
Studenten eine Gedächtnisrede hielt und ihre Herausgabe
plante, sandte ihm Kuchler zur Aufnahme in diese Schrift
einige Epitaphia. Aber sie scheinen zu spät in Frankfurt
oder in der Wittenberger Druckerei eingetroffen zu sein,
wenigstens finden sie sich nicht in der ersten Ausgabe1)
dieser Rede, welche Januar 1562 bei Laurentius Schwenk
in Wittenberg erschien. Erst die zweite Auflage a), die ein
Jahr später gedruckt wurde, bringt sie, fünf an der Zahl *>
ausserdem 24 Distichen*), die den Frankfurter Lehrer
rühmen, dass er mit seiner Rede das Gedächtnis des
unvergleichlichen Sabinus gefeiert habe, und die enge
Freundschaft preisen, in der sie beide, Kuchler und
Bötticher, sich verbunden wissen6).
Einer der Posener Bekannten Kuchlers war der Arzt
Stephan Mikanus. Obwohl er in bewusstem Gegensatz
zur evangelischen Gemeinde in Posen stand und an ihrer
Bekämpfung und Vernichtung arbeitete, also ein Gegner
1) Oratio de vita clarissimi et ornatissimi viri d. Georgii
Sabini Brandeburgensis habita in academia Francofordiana a Johanne
Botichero Rupinensi. Unter dem 16. November 1561 hat Bötticher
diese Rede dem Rate der Geburtsstadt des Sabinus Brandenburg
gewidmet.
2) De vita et obitu d. Georgii Sabini oratio M. lohannis
Boticheri Rupinensis. Ad finem adiecta sunt epitaphia conscripta a
clarissimo viro d. lacobo Cuchlero Silesio palatini Siradiensis
secretario. Excudebant haeredes Georgii Rhaw 1563.
8) Das erste Epitaph zählt fünf, die anderen je zwei Distichen.
Eins teile ich mit.
„Hie situs est vatum decus et laus summa Sabinus,
Illius at nescit invida fama mori,
Italus hunc celebret, Germanus, Gallus, Iberus.
Non mors sed vita est,hac ratione mori".
4) Unter der Überschrift Iacobus Cuchlerus Silesius artium
magister et palatini Syradiensis secretarius Iohanni Botichero amica
suo tanquam carissimo.
6) „Namque tuum pjssum non pectus amare, Iohannes,
Non unquam possum non meminisse tui.
Vita placet, sunt grata mihi tua dulcia dieta.
Non possunt tua non scripta placere mihi".
Jakob Kuchler. 241
inseres Kuchler hätte sein müssen, halten humanistische
Studien die beiden Männer einander nahe gebracht, und
als Mikan die Tochter des Posener Bürgers Johann
R^eschka heiratete, zögerte Kuchler nicht, ihm ein Hoch-
zeitsgedicht zu widmen1).
Am 8. Dezember 1564 starb zu Posen der General-
starost, in dessen Diensten unser Latinist stand, und in
einem warmen Nachrufe 2) gedachte Kuchler seiner Bedeu-
tung für die Stadt und das Land Posen. Mit einem aus-
führlichen gleichfalls in Versen verfassten Epitaph sandte
er im folgenden Jahre das Epicedion an die beiden Neffen
des Generalstarosten Albert und Johann Kamieniecki,
welche seit dem 7. Februar bezw. 13. April in Witten-
berg studierten 3), mit der Bitte, es dort drucken zu lassen.
Sie gingen auf seinen Wunsch ein und beide Neffen
widmeten ihrerseits ihrem heimgegangenen Onkel noch
einige Verse4). Der Humanist Martin Heinrich aus Sagan,
den wir verschiedentlich in Wittenberg in Verbindung
1) Epithalamion in nuptias clarissimi viri domini Stephani
Micani medicinae doctoris et honestissimae virginis Annae filiae
olim nobilis loannis Viliczinski Rescii civis Posnaniensis. Iacobo
Kuchler Hirsbergensi autore.
2) „Occidit heu nimium fato praereptus acerbo
Heros, Sarmatici gloria magna soli,
Eximia praestans virtute Janusius heros,
Maxima Kosletiae lausque decusque domus.
Quo rectore fuit respublica nostra beata,
Quo sublato eadem non leve vulnus habet.
Namque fuit patriae semper Studiosus honoris,
Urbanae custos utilitatis erat".
3) Unter dem 7. Februar lesen wir in derAVittenberger Univer-
sitatsmatrikel Albertus Camyenyetzki generös, dorn, a Camienetz
et Olestro, Felix Obricius in comitatu eiusdem domini, unter dem
13. April lohannes Camyenyetzki gen. et magn. d. a Camyenietz et
Olesco, Martinus Wczysitzki Polonus in comitatu eiusdem domini.
Ihr Bruder Stanislaus hat am 1. December 1560 an der Königsberger
Hochschule sich inskribieren lassen. Vergl. auch den Brief der
Barbara Kamieniecka an Herzog Albrecht vom 13. April 1561.
4) Unter der Überschrift „ad illus. et magn. dorn. d. lanusium a
Koscziclccz avunculum suum dilectissimam pie in Christo defunctum
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Prcv. Poseu. Jahrg. XX. 16
242 Theodor Wotschke.
mit polnischen Studenten sehen, — als z. B. die Söhne des
bekannten Scharf enorter Grafen Jakob Ostrorog Wenzel und
Iohann Oktober 1560 die Wittenberger Hochschule verliessen,
richtete er an sie ein Abschiedsgedicht, — verfasste dagegen
eine responsio d. Ianusii a Kosczielecz auf die Klage der
Neffen1). Zusammen mit diesen Gedichten erschien
Kuchlers Arbeit bei Lorenz Schwenk in Wittenberg2).
Trotz seiner Stellung als Sekretär des ersten Beamten
Grosspolens scheint Kuchler in Posen in keineswegs
glänzenden äusseren Verhältnissen gelebt zu haben. Wahr-
scheinlich hatte sein Schwiegervater, der Posener Bürger
Johann Glaser, mehr Schulden als Besitz hinterlassen,
denn gleich nach seinem Tode Anfang 1559 heben Klagen
beim Stadtgericht wider Kuchler an. Er hatte das Haus
seines Schwiegervaters am Ringe mit den auf ihn
ruhenden Lasten übernommen und von der Witfrau
Elisabeth Stammet deshalb auf Zahlung eines Zinses von
29 Gulden verklagt, stand er am 3. März 1559 vor dem Rate8)
und wurde am 7. Juni desselben Jahres zur Zahlung ver-
Albertus bezw. Iohannes Kamienieczky a Camieniecz." Der
Jüngere klagt:
„Te nobis fato lugemus avuncule raptum,
In nos cuius erat verä paterna fides,
Quem pia Posna dolet, Siradia, Sarmatis ora,
Ipse etiam Augustus regia sceptra tenens.
Sed licet extinctum sit corpus, at aethere vivit
Salva tarnen merito mens pie Christe tuo".
*) „Sistite vos pueri lacrimas, deponite luctum.
Vita mihi Christus, mors mihi dulce lucrum.
IUius ablutue viciis nunc sanguine vivo,
Illius estque mihi morte redempta salus".
2) Epicedion in funere illustris et magnifici domini d. Ianusii
a Kosczielecz palatini Siradiensis Maioris Poloniae generalis Naclen-
sisque capitanei, qui obiit Posnaniae 8. Decembris anno 1564.
Scriptum Posnaniae a Iacobo Kuchlero Hirsbergensi Silesio.
Witesergae excusum a Laurentio Schwenk anno 1565, in Quart
ein Bogen.
3) Vergl. zu dieser und zu den folgenden Angaben die Posener
Ratsakten unter den genannten Tagen.
Jakob Kuchler. 243
urteilt1). Aber noch am 12. Juli des folgenden Jahres
m\isste er auf Grund einer Klage derselben Witwe vor
dem Rate erscheinen. Unter dem 8. August und 5. No-
vember 1561 ward er auf Grund einer Klage der Ältesten
der Fleischerinnung vor den Rat zitiert und am 24. Ok-
tober desselben Jahres wegen eines dem Schrodaer
Altarherren Stanislaus zustehenden, von ihm nicht ge-
zahlten Zinses. Am 4. September 1563 erklären ferner
die Erben Johann Glasers, seine vier Söhne Johannes,
Andreas, Petrus, und Stanislaus und seine beiden Töchter
Anna Katharina und Hedwig, erstere vertreten durch
ihren Gatten Kuchler, dem Danziger Bürger Nikolaus
Schultz 200 Gulden zu schulden. Die wenig günstigen
Vermögensverhältnisse Kuchlers zu Anfang der sechziger
Jahre brachten es mit sich, dass er die Vertretung Aus-
wärtiger in Posen neben seinem Amte übernahm, so Hess
er sich am 30. April 1561 zum Bevollmächtigten des
Breslauer Bürgers Adam Kanchaus erklären.
Nach dem Tode des Generalstarosten Koscielecki
musste Kuchler nach einem neuen Amte sich umsehen, \
und es glückte ihm, in Danzig die angesehene Stellung I
eines, Stadtsekretärs zu erhalten. Mitte 1565 mag er in /
seinen neuen Wirkungskreis eingetreten sein. Auch hier
gab er manche Probe seiner gewandten Feder. Unter
dem 30. Dezember schrieb er für seinen ersten Amts-
!) Das Erkenntnis des Rates zeigt, welche Einwendungen
Kuchler gegen die Zahlung des Zinses erhoben hatte. Magister
Kuchler-Schtametowna. lus docet censum omnem supra bonis non
supra personis obligari solere, domini igitur consules innitentes huic
iuri decreverunt, quod magister Iacobus Kuchlerus censum a domina
Schtamctowa ex vi obligationis petitum et super domo olim Ioannis
Glazcr, quam nunc ipse Iacobus magister nomine uxoris suae tan-
quam legitimae dictae domus cohaeredis inhabitat, ab eo tempore
quo domum haric inhabitare coepit, solvere debet, pro censu vero
ab annis aliquot de dicta domo a suo antecessore solvere neglecto
cum aliis cohaeredibus, si et in quantum ad dictam domum aliquid
iuris habere videbitur, de sorte sua respondere tenebitur. Eam
sententiam pars utraque ratam gratamque suscepit. Actum feria
quarta post octavas corporis Christi 1559.
16»
244 Theodor Wotschke.
genossen Johann Boccatius das Hochzeitsgedicht1), und
am i. Januar 1566 widmete er dem Danziger Rate eine
neue Ausgabe seiner historia Jonae prophetae a) mit einem
längeren Zueignungsgedichte. An der Jahreswende bring .
er den Ratsherren die üblichen Wünsche und bittet, als
Neujahrsgabe die Muse seiner Jugend hinzunehmen3).
Das weitere Leben unseres Humanisten hat kein
Interesse mehr für uns, in Posen begegnet er uns nur
noch einmal am 23. März 1571, als er seine Schwägerin
Hedwig in einer Vermögensangelegenheit vertritt. Erwähnt
sei, dass er dem Fürsten, zu dessen Hochzeit er einst
Erato seine Feder führen Hess, dem Herzog Albrecht
von Proussen, 1568 auch einen Nachruf widmete4). Wie
einst in dem Epithalamion preist er des Herzogs opfer-
freudige evangelische Haltung, weiter aber geht er
') Epithalamion de nuptiis ornatissimi viri doctrina et virtute
praestantis d. Ioannis Boccatii inclytae rei publicae Gedanensis seoretarii
et honestissimae virginis EHzabethae, filiae honesti pieque defuncti
Andreae Cholaei civis Gedanensis. Autore Iacobo Kuchlero Hii\>-
bergen. Anno 1566 tertio Calen. Ianuarii. Excusum Gedani a Iacobo
Rhodo, in Quart ein Bogen.
2) Historia Ionae prophetae carmine elegiaco tractata per Ia-
cobum Kuchlerum inclytae rei publicae Gedanensis secretarium
amplissimo ordini senatorio regiae civitatis Gedanensis dedicata anno
ir»66 cal. Ianuarii. Excusa Gedani per Iacobum Rhodum, in Quart
drei Bogen.
:<) „Pauca mea, quaeso, iuvenilia carmina Musae
Accipite ut studii pignora certa mei.
Namque sequi cupiens veteris vestigia moris,
Tempore, quo Iani primae rediere calendae,
Exiguum vobis devoto pectore Carmen
Offero iudicio scripta probanda pio.
4) Carmen funebre in obitum illustrissimi principis ac domin»
domini Alberti senioris marchionis Brandenburgensis, Prussiae,
Stetincnsium, Pomeraniae, Cassubiorum et Sclavorum ducis, bur-
gravii Norinbergensis, Rugiae principis etc., qui simul cum carissima
coniuge sua domina Anna Maria ex illustri et vetere ducum Bruns-
uicensium familia nata ex hac mortali vita decessit 13. calend.
Aprilis anno aetatis suae 78. Scriptum a Jacobo Cuchlero Hirs-
bergen, rei publicae Gedanensis secretario. Dantisci exeudebat la-
cobus Rhodus anno domini 1568. In Quart H/2 Bogen.
Jakob Kuchler. 245
die ganze lange Herrscherzeit des edlen Fürsten durch und
weist in allem den Segen seiner Regierung nach. Selbst-
verständlich ist es für unseren Humanisten, besonders bei
der Gründung der Königsberger Universität und der
Förderung der Wissenschaften durch Albrecht überhaupt
zu verweilen, wie bei der Schutzherrschaft, die der edle
Hohenzoller über alle verfolgten Evangelischen des Ostens
ausgeübt hat1). Nach Kuchlers früherem Wirkungskreise,
nach Posen, führt noch eins seiner Gedichte zurück, das
Carmen auf die verstorbene Schwester seiner ehemaligen
Zöglinge Katharina von Gorka, das er diesen, den drei
Grafen Gorka, in alter Anhänglichkeit widmete2).
Schliesslich sei noch eines Hochzeitsgedichtes gedacht,
das unseren Humanisten die Verbindungen, die er in
Danzig mit westpreussischen Magnaten angeknüpft hatte,
schreiben Hessen, und das zu Ehren des Stuhmer Starosten
Christoph von Zemen verfasst ist8).
Zweifellos sind die besprochenen Dichtungen Kuchlers
nur die Reste eines viel reicheren poetischen Schaffens.
In dem ersten Briefe an einen Königsberger Jugend-
freund hörten wir ihn selbst von einem jetzt ver-
*) „Ille piis columen miseris quoque dulce levamen
Exulibus, Christum qui profitentur, erat.
Curebant ad eum longis e finibus omnes
Artibus in sign es et pietate viri,
Quos nunquam vaeuos a se dimisit adauetos,
Sed iuvit prompta munificaque manu4'.
2) Carmen funebre in obitum magnificae omnique virtutum
genere ornatissimae dominae d. Catharinae ex illustri com i tum a
Gorka familia natae magnifici domini Rafaelis a Dzialin castellani
Brzestensis Covaliensisque capitanei pientissimae coniugis. Anno
Christi incamati 1570.
a) Epithalamion de nuptiis magnifici domini genere, doctrina,
virtute et sapientia praestantis domini Christof feri a Zema Meven.
Stumen. Hollandesisque capitanei haeredis in Christburgk etc. et
nobilissimae et ornatissimae virginis Gertrudis Krachtin sponsae.
Scriptum a Iacobo Kuchlero inelytae rei publicae Gedanen. secretario.
Accessit Elegia de iisdem nuptiis ab Achatio Cureo Marienburgense
in honorem sponsi et familiae Zemianae nobilissimae scripta. Anno \
domini 1567. Excusum Dantisci a Iacobo Rhodo.
246 Theodor Wotschkc.
lorenen Carmen sprechen. Er wird der Poet der
Gorkaschen Familie gewesen sein und alles, was ihr Herz
in Freud oder Leid bewegte, in seinen Liedern haben
wiederklingen lassen. Auch dem Generalstarosten Andreas
Gorka mag er Dezember 1551 ein Epicedion gewidmet
haben und später allen seinen Kindern Epithalamien.
Selbstverständlich ist es wohl auch, dass er nach dem
Jahre 1551 in kleinen didaktischen halb lyrischen Ge-
dichten sein religiöses Denken und Empfinden hat
ausströmen lassen, obwohl wir näheres hiervon nicht
wissen. Die Vernichtung, welcher die älteste evangelische
Literatur in Polen zum Opfer gefallen ist, hat auch
Kuchlers Schriften getroffen. Sodann aber mag auch nicht
alles, was seine gewandte Feder zu Papier brachte, ge-
druckt worden sein. Noch hatte Posen keine Presse, und
was unser Latinist hier gern in die Druckerei gegeben
hätte, wird er schon mit Rücksicht auf die höheren Kosten
nicht nach Königsberg, Breslau oder Wittenberg haben
senden wollen. Wohl druckte seit 1558 Augezdecki in
Samter, aber schon seit Sommer 1560 war seine Offizin
durch die Ausgabe des grossen böhmischen Brüdergesang-
buches vollständig in Anspruch genommen, und bald nach
dessen Erscheinen am 6. Juni1) 1561 mag der böhmische
Typograph seine Tätigkeit in Samter eingestellt haben2).
Es ist bemerkenswert, dass wir von Kuchler meist nur
Epithalamien und Epicedien besitzen, bei denen die
1) So die Angabe im Gesangbuche selbst. Nach dem Briefe
des Grafen Lukas Gorka, den er Samter, Pfingsten, also den
25. Mai 1561 an den Senior Johann Niger (Czerni) richtete, wäre
freilich der Druck schon vierzehn Tage vorher abgeschlossen gewesen.
2) Erst 1565 taucht Augezdecki wieder in Leitomischel auf, in
diesem Jahre gibt er die Chronik des Michael Konstantinovic von
Ostrovic heraus, zusammen mit einer alten Flugschrift „Feldzug gegen
die Türken". Man kann daraus, wie ich es Z. H. Ges. Pos. XVIII,
S. 128 getan habe, schliessen, dass er bis zum Tode seines Ver-
folgers, des Kaisers Ferdinand L, in Samter geblieben sei. Indessen
gibt es zu denken und spricht für ein früheres Verlassen der Stadt
seitens des Böhmen, dass aus den Jahren 1562 — 1564 kein einziger
Druck aus Samter vorliegt.
Jakob Kuchler. 247
Familien, denen sie galten, die Druckkosten getragen
haben werden. Aber sehen wir von dem zweifellos viel
reicheren dichterischen Schaffen Kuchlers ab, seine uns
bekannten Carmina zwingen bereits, ihn als den be-
deutendsten Latinisten Posens zu bezeichnen, hinter dem
die anderen, denen wir lateinische Verse verdanken, die
Arzte Stanislaus Niger und Joseph Struthius, zurückstehen
müssen. Über die gesamte neulateinische Dichtimg ist
die moderne nationale Entwickelung hinweggegangen;
der Humanisten grösster Stolz, in die klassischen Verse
der Antike die eigenen Gedanken zu fassen, gilt uns
heute als unfruchtbare, tote Arbeit. Die Namen selbst der
grössten Latinisten sind im ganzen vergessen, gehören
nur noch der Geschichte der philologischen Wissenschaften
an. Aber wie sie in ihr mit Recht einen Platz behaupten,
so verdient auch Kuchlers Gedächtnis festgehalten zu
werden von der Geschichte der Stadt und Provinz Posen.
Aus den Posener Stadtrechnungen,
besonders des XVI. Jahrhunderts.
Von
Adolf Warschauer.
s ist längst erkannt, dass alte Rechnungen trotz Sudt-
ihres aus kurzen, trockenen Notizen und Zahlen rechnttn
bestehenden Inhalts eine ergibige Quelle für die ?*n*.
Kenntnis vergangener Zeiten sind. Besonders alte Stadt- sche
rechnungen sind aus diesem Grunde vielfach veröffentlicht Quellen,
worden und bilden einen wesentlichen Teil des festen
Fundaments, auf dem unser Wissen von der Geschichte,
der Verfassung und der Wirtschaftsführung der alten
Städte ruht.
Es ist freilich ein vielfach wissenschaftlich schwer
zu bewältigendes Material, das die Rechnungen bieten.
Zu der Redseligkeit und Weitschweifigkeit der alten Ur-
kundensprache stehen sie mit ihrer nur andeutenden Kürze
in scharfem Gegensatze. Häufig ergibig und aufschluss-
reich, wo es kaum zu erwarten gewesen wäre, lassen sie
den Geschichtsfreund manchmal da im Stich, wo eine
etwas grössere Gesprächigkeit des Stadtschreibers schwer
empfundene Lücken hätte ausfüllen und zerrissene Zu-
sammenhänge hätte verknüpfen können. Wo andere
Quellen mangeln, reizt ihre Kürze stellenweise die Wiss-
begierde mehr als sie sie befriedigt, und sie haben der
250 Adolf Warschauer.
Forschung manches Rätsel aufgegeben, dessen Lösung
schwer zu finden sein dürfte.
Die Alles dies gilt auch von den Rechnungen der Stadt
Posener posen auf deren für die Geschichte der Stadt bedeutsamen
nnneen ^^^ die folgenden Mitteilungen deshalb aufmerksam
machen wollen, weil Lukaszewicz in seinem bekannten
Buche : „Historisch-statistisches Bild der Stadt Posen" diese
Quelle der städtischen Geschichte fast vollständig vernach-
lässigt hat.
Von allen Städten in der heutigen Provinz Posen
besitzt das städtische Archiv der Provinzialhauptstadt die
ältesten und zahlreichsten Stadtrechnungen1). Auch an
Vielseitigkeit und Bedeutung des Inhalts übertreffen sie
in Folge der politisch und wirtschaftlich hervorragenden
Stellung der Stadt die andern noch vorhandenen Stadt-
rechnungen bedeutend. Besonders bilden die zahlreichen
sorgsam geführten Rechnungen aus dem 16. und dem
Anfang des 17. Jahrhundert, der Blütezeit der Stadt, in
der sie nach dem Urteile ihres damaligen Stadtschreibers
an Glanz mit den Städten Deutschlands, ja Italiens wett-
eifern konnte, einen kostbaren kulturhistorischen Schatz,
der freilich grade seiner Reichhaltigkeit wegen kaum je-
mals der Öffentlichkeit durch den Druck wird vollständig
übergeben werden können.
Durchblättert man diese dünnen meist in Pergament
gebundenen Heftchen, deren zierliche klare Schrift und
übersichtliche Anordnung schon äusserlich den Geist der
Ordnung und straffen Verwaltung des damaligen Stadt-
wesens erkennen lassen, so steigt uns das Bild einer
städtischen Gemeinde empor, die zwar räumlich und geld-
wirtschaftlich sich in ziemlich engen Schranken zu halten
hatte, aber über die kleinlichen Sorgen des täglichen
Lebens hinaus doch auch für die Ehre und das Ansehen
J) Die ältesten Stadtrechnungen von 1493 — 07 sind veröffentlicht
in dem Stadtbuch von Posen Bd. I S. 345—436. Ober die vor-
handenen Rechnungen siehe ebenda Einleitung S. 25 ff.
k
Posencr Stadtrechnungen des XVI. Jahrhunderts. 251
der Stadt zu arbeiten verstand. Von gebildeten,
zeitweise sogar von gelehrten Männern geleitet,
hielt die Stadt ihren Säckel auch für die idealen
Interessen geöffnet, und wie sie durch den grossen
Um- und Erweiterungsbau ihres Rathauses sich ein
Kleinod der Kunst zu erwerben wusste, so förderte
sie auch nach Möglichkeit Wissenschaft und Literatur
und übte dem Sinne der Zeit entsprechend
Werke der Wohltätigkeit und Frömmigkeit. Charak-
teristisch für den späteren Verfall der Stadt seit
der Mitte des 17. Jahrhunderts ist ebenso die
Nachlässigkeit, die in dieser Zeit bei der Führung
der städtischen Rechnungen einriss, als deren
magerer Inhalt, der zeigt, dass die Bürger der ver-
armten Stadt weder Mittel noch Sinn für die
Befriedigung von Bedürfnissen über die nackte Not-
durft des Daseins hinaus besassen.
Eine ernste politische Rolle spielte freilich die Stadt Gesandt-
Posen auch im 15. und 16. Jahrhundert nicht mehr. Die scna*ten
Rechnungen zeigen nicht regelmässige Posten für die ^n. ,c
Besoldung städtischer Vertreter beim polnischen Reichs- UgC
tage, vielmehr scheint es, dass die allerdings zahl-
reichen und nicht wenig kostspieligen Gesandt-
schaften, die die Stadt an den Reichstag und
den König schickte, gewöhnlich ganz bestimmte
Aufträge zu erfüllen hatten, die freilich in den
Rechnungen meist nicht bezeichnet sind. Im Jahre 1494
gingen mehrere Ratsherren nach Krakau und
erhielten für ein Pferd 7 Gld. und für • ihre
Auslagen in Krakau selbst 20 Mark ausser einigen
kleineren Summen für die Dienerschaft. Gesandte,
die um Weihnachten 1497 an den König nach Lowicz
geschickt wurde, kosteten nur 11V2 Mark. Der Patrizier
Held, der 1498 zum König ging, liquidierte sogar nur
2V2 Gr. für Bromberger Bier. Manchmal begnügte man
sich damit, den Stadtschreiber als Gesandten zum Reichs-
tag zu entsenden, so 1501 nach Petrikau, und zahlte ihm
hierfür 4 Mark. Mehrere Gesandtschaften, die in dem
252 Adolf Warschauer.
Rechnungsjahre1) 1546/47 nach Krakau gingen und der
Stadtkasse nicht unbedeutende Ausgaben verursachten,
waren durch einen grossen Streit veranlasst worden, in
den die Posener mit den Kalischern wegen verweigerter
Gefangennahme des Juden Jacob Lisz}' (d. i. der Kahle)
aus Koschmin geraten waren. In demselben Rechnungs-
jahre ging ein städtischer Bote mit einem Briefe nach
Krakau, worin um Befreiung von der Teilnahme am
Kriegszuge gebeten wurde. In dem Jahre der Thron-
besteigung des Königs Sigismund August gingen städ-
tische Boten mit einer Reisezehrung von 100 Gulden
nach Petrikau, um den König einzuladen2). Die ungeheuren
Kosten, welche in demselben Rechnungsjahre Gesandte
nach Krakau verursachten, scheinen durch die bei dem
Regierungswechsel notwendig gewordene Betreibung
der Bestätigung der alten städtischen Rechte ent-
standen zu sein. Es kam wohl auch vor, dass
die Stadt, die sich sonst mit den Juden nicht am
Besten stand, einer städtischen Gesandtschaft den
Auftrag mitgab, auch für die Wahrung der Frei-
heiten der Juden vorstellig zu werden. Dies geschah
im Herbst 1569, als eine städtische Gesandtschaft
an den Reichstag nach Lublin ging, sie wurde von
den Juden mit 50 Gulden bezahlt. Einige Posten der Stadt-
rechnungen zeigen auch, wie für die materiellen Bedürfnisse
solcher städtischen Reichstags-Gesandtschaften gesorgt
wurde. Posener Gesandten, die 1566 nach Lublin gingen,
wurde eine Köchin mitgegeben, die nach ihrer Rückkehr
für ihre Mühewaltung von dem Rate mit 6 Gld. 18 Gr.
belohnt wurde. In Petrikau, wo der Reichstag häufig
stattfand und später die Prozesse in letzter Instanz vor dem
Hofgericht entschieden wurden, besass die Stadt Posen
J) Das Rechnungsjahr lief etwa von Michaelis bis Michaelis.
Alle Ausgabeposten sind für den Sonntag gebucht. Dies ist offenbar
immer der Sonntag, der dem wirklichen Zahltage folgte.
2) 1548 Dominica ante diem s. Valentini persolvimus nunciis,
qui Peterkoviam regis invitandi causa missi fuerant, expensam ad
iter hoc datam 100 fl.
Posener Stadtrechnungen des XVI. Jahrhunderts. 253
im 16. Jahrhundert ein Haus, offenbar doch wohl,
villi den vielen städtischen Sendboten ein Unter-
kommen zu gewähren. Die Stadtrechnung von 1559/60
notiert für einen Bauer, der das städtische Grund-
stück in Petrikau bewohnte, eine Entschädigung von
4 Gld. 12 Gr. Im Jahre 1588 muss die Stadt
dieses Grundstück bereits verkauft haben, da die
Stadtrechnung dieses Jahres den Rest des Kaufgeldes
unter den Einnahmen aufführt.
Ebensowenig wie an den Reichstag schickte die An die
Stadt regelmässig Gesandte an den grosspolnischen Land- Land-
tag zu Schroda. In den Rechnungen kommen wohl tage*
einige Posten für Sendboten nach Schroda vor, wie am
7. Dezember 1533 und Mitte 15481), aber wenn es sich
hier überhaupt um den Landtag handelt, so hatten die
städtischen Abgesandten doch gewiss keinen Zutritt zu
den Beratungen, sondern waren nur zur Erledigung
gewisser Aufträge da. Wahrscheinlich bedienten sie sich
hierzu der Vermittelung des Generalstarosten von Gross-
polen. Im 17. Jahrhundert sparte man die Kosten für
die Gesandtschaft auch in solchen Fällen. Die Stadt-
rechnung vom 16. Januar 1621 notiert eine Ehrengabe von
200 Gulden an den Generalstarosten zur Förderung der
Angelegenheit der Stadt auf dem Landtage zu Schroda
bei der Abgabe des vierten Groschens und damit die
Abschätzung der Handwerkererzeugnisse nicht ungerecht
erfolge.
Die Rechnungen erzählen auch sonst von Gesandt-
schaften an hohe Beamte, Militärs, Kirchenfürsten mit
bestimmten Aufträgen, deren einzelne Aufführung hier
zu tief in die Einzelheiten der städtischen Verwaltungs-
geschichte führen würde. Im Juni 1499 reiste der ganze
Rat als Gesandtschaft nach Gnesen und erhielt dafür
l) 1548 Dominica a. Marg.: Item vectori eunti cum notario
scabinorum ad Srzoda in causa Turcorum hie proclamatorum ad
mag. d. Pozn. (d. i. den Kastellan von Posen und Generalstarosten
von Grosspolen) 12 gr.
254 Adolf Warschauer.
3 Mark weniger 3 Gr. Zum 24. Dezember 1594 giebt
die Rechnung eine Notiz über einen Bürger, der auf einer
Reise zu dem Erzbischof von Gnesen im Interesse der
Stadt sich überangestrengt habe und in Folge davon
gestorben sei. Merkwürdig ist ein kleiner Geld-
posten, der am 16. Mai 1546 der Gattin des Schöffen-
schreibers gezahlt wurde, während ihr Mann sich in
Breslau bei dem römischen König in städtischen
Geschäften aufhielt
Ehren- Von Interesse wegen ihres Zusammenhanges mit der
ausgab allgemeinen Landesgeschichte sind auch die Ausgaben,
. c die die Stadt zur Ehrung hochstehender oder einfluss-
liche reicher Persönlichkeiten leistete, sei es, dass es sich um
Familie, kostbare Geschenke an Abwesende oder um Bewirtung
oder feierliche Veranstaltungen für gelegendich Anwesende
oder Durchreisende handelte. Die Anwesenheit des
Landesherrn hat wohl erst seit dem 16. Jahrhundert als
eine besondere Feierlichkeit und demzufolge Ausgaben
erfordernde Angelegenheit gegolten. Die ersten Jagiellonen
reisten noch sehr viel im Lande herum, vornehmlich, um
persönlich den grossen Landgerichtstagen vorzusitzen
und so wurde ihr Besuch in der grosspolnischen
Hauptstadt auch nicht als eine die Gemeinde auszeichnende
Ehrung empfunden. Es konnte vielmehr vorkommen,
dass man den bei solchen Gelegenheiten unvermeidlichen
Zustrom von Edelleuten und fremden Elementen aller Art
als Last und Gefahr empfand1). Dagegen war es bereits
um diese Zeit Brauch, den Landesherrn und seine
nächsten Angehörigen durch kostbare Geschenke bei
passender Gelegenheit zu ehren. So erwähnt schon eine
der ältesten Rechnungen vom 9. März 1494 eine Summe
von 39 Mark 30 Gr., die an Saffran und Malvasierwein für
den König aufgewandt wurde, der sich damals vielleicht
in Posen befand. Gingen Gesandte an den Hof, so
bekamen sie gewöhnlich irgend welche Ehrengaben für
x) Lukaszewicz, Historisch-statistisches Bild der Stadt Posen,
Bd. n S. 192.
Posener Stadtrechnungen des XVI. Jahrhunderts. 255
den König mit, wie Saffran oder Butter (1498), für
welche 1 Mark 4 Gr. ausgegeben wurde, oder Tuch
(1499). Im Jahre 1497, als — wie noch unten erwähnt
werden wird — die Stadt zum Wallachischen Krieg
grosse Aufwendungen machte, verehrte sie auch der
Königin Mutter und ihrem Hof, die in Polen zurück-
geblieben waren, kostbare Geschenke: nämlich der
Königin selbst einen Becher für 24 Gld., ferner ihr
und ihren Damen Leinwand für 22 Gld. und dem
Kardinal Erzbischof von Gnesen, Friedrich Jagiellonczyk,
dem Bruder des Königs, ebenfalls einen Becher
für 40 Ungarische Gulden und ein Fass Malvasier-
wein für 9 Ung. Gulden. Am Sonntag Reminis-
cere 1548 bezahlte die Stadt dem Goldschmied
Andreas Gozdz zum Ankauf von Silber für Becher,
die dem jungen König Sigismund August geschenkt
werden sollten, wenn er zur Leitung des Reiches
berufen werden würde, die Summe von 108 Gld.
29 Gr. Kurze Zeit darauf wurden 80 Gld. für
einen seiner Gemahlin Barbara geschenkten Becher
bezahlt. Es scheint, dass die oben erwähnte in
diesem Jahre nach Pctrikau abgeordnete Gesandt-
schaft, die den König einladen sollte, die Becher
ihm und seiner Gemahlin überreicht hat Im Auf-
trage des königlichen Hauses unter Sigismund
August ist wohl ein kleiner Posten für die städ-
tischen Fuhrleute von Sonntag Invocavit 1572
gezahlt worden, die den Schatz der Herzogin von
Braunschweig nach Meseritz führten.
Der erste König, für dessen Einzug die
Rechnungen Ausgaben nachweisen, ist Heinrich von
Valois. Am Sonntag, den 12. Juli 1573 wurde für
seine „Redner", den Bischof und Abt, bei ihrer
Ankunft in Posen ein Geldgeschenk von 14 Gld.
16 Den. gebucht. Schon vorher, am 21. Juni,
wurden Trompeter bezahlt, die bei der Ankunft des
Gesandten des Königs blasen sollten. Vom 19. Juli an be-
ginnen dann die Ausgaben für den erwarteten Einzug des
256 Adolf Warschauer.
Königs selbst. Es wurde eine Triumphpforte gebaut1),
die Breslauerstrasse besonders mit verschiedenfarbigem
Tuch geschmückt, wozu die Juden eine Beisteuer
geben mussten, dem einziehenden König brachte
man die Schlüssel der Stadt entgegen. Zur
Krönung des Königs, die in Krakau stattfand,
wurde der Bürgermeister, ein Ratsherr und der
Stadtschreiber entsandt und ein silbernes vergoldetes
Becken mit einer Giesskanne überreicht, das von
dem Posener Goldschmied Johann Glaser hergestellt
war und 705 Gld. 15 Gr. kostete. Zahlreich sind die
Ehrenausgaben, welche die Stadt für die Person Sigis-
munds III. leistete. Im Jahre 1592 schenkte sie ihm zu
seiner Hochzeit ein Becken aus Silber und Hess es durch
eine besondere Gesandtschaft überreichen. Im September
1594 wurden Arbeiter bezahlt, die „verschiedene und viele
Arbeit für die Ankunft des Königs" leisteten. Im
Januar 1598 wurden Ausgaben gebucht für die Bewirtung
der Erzherzogin Anna von Österreich, der Gemahlin des
Königs. Der Besuch des Königs und der Königin im
Jahre 1623 machte wiederum Ausgaben für Ausschmücken
der Strassen, Bau eines Triumphbogens, Malereien usw.
nötig. Aus späterer Zeit, in der die grössere Lücken-
haftigkeit der Stadtrechnungen die Fürstenbesuche nicht
mehr regelmässig zu verfolgen gestattet, seien die Aus-
gaben für den Aufenthalt der Gemahlin des Königs
Stanislaus Leszczynski im November und Dezember 1705,
für die eine besondere Küche in Posen eingerichtet wurde,
hervorgehoben, so wie die bedeutenden Ausgaben für
das Gefolge ihres Gatten im Anfang des Jahres 1706.
Die Besuche Augusts III. in den Jahren 1750 und 1752
sind nur durch kleine Ausgaben für Musik in den
Rechnungen bezeichnet.
Für Fremde Fürsten, die sich vorübergehend in Posen
andere aufhielten, wurden gastlich bewirtet. So haben die
durch- Besuche Herzogs Albrecht von Preussen, die für die
reisende
Fürstlich-
'ten ^ mstaurandum tnumphum.
Posener Stadtrechnungen des XVI. Jahrhunderts. 257
eformatorische Bewegung in Posen so einflussreich
;ewesen sind, auch in den Stadtrechnungen ihre Spuren
unterlassen. Am 1. Oktober 1536 wurden dem vom
Herzog nach Preussen als Boten abgehenden Conrad von
Afath — einem Posener Bürger — 2 Gulden ausgehändigt
^m 22. Oktober wurde für den Herzog selbst ein Geschenk
von 6 Krügen (vasa) Bier mit2Gld. 9Gr. und am s.November
eine Gabe von 6 Flaschen (ollae) Wein mit 40 Gr. in Ausgabe
gestellt. Auch im Jahre 1545 scheint der Herzog in
Posen geweilt zu haben, denn es wurden am
3. Oktober Tagelöhnern, die die Küche für ihn
aufstellten, 12 Gr. bezahlt. Für den Markgrafen
von Baden, den Vetter (frater amitinus) des Königs1),
wurden am 7. August 1588 an Fischen, Malvasier und
Ungarwein 14 Gld. 25 Gr. verausgabt In demselben Jahre
wurde am 23. Oktober für den Grafen Erich . . . a) zu
demselben Zweck die Summe von 16 Gld. 22 Gr. in Aus-
gabe gestellt, auch wurden ihm 200 Gld. aus der königlichen
Kontribution der Stadt als Geschenk des Königs von dem
Magistrat gezahlt. Am n. April 1620 wurde für den
Erzherzog Karl, den Bruder des Kaisers, und den Grafen
von Altein, die sich in Posen wohl auf der Durchreise
im Auftrage des Kaisers aufhielten, in ihrer Herberge
die Summe von 8 Gld. bezahlt. Endlich ist noch der
Besuch des Zaren Peters des Grossen während
des nordischen Krieges im Jahre 171 1 zu erwähnen. Für
ihn wurden am 5. November 53 Gld. 3 Den. zu Gläsern
verwandt, der zu ihnen gehörige Wein kostete 443 Gld.
10 Gr. Sonst wurden noch die Trompeter für die städ-
tische Kavalkade, die den Zaren begrüsste, am 17. November
mit 10 Gld. besoldet. Die letzte für diesen Besuch ver-
ausgabte Summe sind die am 26. Dezember gebuchten
57 Gld. zu Lichtern für den Zarewitsch.
*) Der Markgraf Christoph von Baden hatte 1564 Caecilie, die
Tochter Gustavs I. von Schweden, also die Tante des späteren
polnischen Königs Sigismund HL, geheiratet
2) Ohne nähere Angabe.
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Prov. Posen. Jahrg. XX. 17
258 Adolf Warschauer.
Für Auch der Kardinal Bischof von Ermeland Hosius
Homos. wurcje bei gelegentlicher Anwesenheit in Posen im Jahre
1564 wie ein Fürst mit 16 Flaschen Ungarwein bewirtet,,
für die am 6. Februar 8 Gld. 16 Gr. bezahlt wurden, und
sein Mitstreiter für die Gegenreformation der berühmte Get-
lehrte Martin Kromer, damals Koadjutor des Bistums
Ermeland, wurde als königlicher Gesandter bei seiner
Durchreise mit „Wein und anderen Dingen" beschenkt, für
die am Sonntag vor Neujahr 157 1 ein Posten von 10 Gld.
gebucht wurde. Ebenso wurden am 8. April 1590 für den
Herrn Herborth *), der als Gesandter an den Kaiser Posen
durchreiste, an Fischen und Wein 4 Gld. 10 Gr. verausgabt
Bei weniger vornehmen Gesandten, die die Stadt be-
Ftr rührten, sparte man die Ehrenausgaben, zu denen man
durch- nicht verpflichtet war, sondern begnügte sich mit den
reisende Beförderungskosten, deren Tragung dem Magistrat oblag.
'So wurden am 28. Mai 1564 an drei Fuhrleute, die den
Herrn Grabowiecki, der als Gesandter des Königs von
Polen aus Deutschland zurückkehrte2), nach Masovien
brachten 12 Gld. 8 Gr. und 1623 einem Abgesandten
des Königs an Wallenstein 10 Gld. bezahlt Dagegen
wurden bürgerliche Gesandschaften naturgemäss in
kollegialischem Sinne bewirtet, wie 1568 Kostener
Bürger, die nach Posen kamen, um wegen Ver-
brennung eines Tempelschänders zu verhandeln, mit
4 Krügen Ungarwein.
Ehren- Auch den hohen Landesbeamten, von deren Wohl-
gaben für wouen trotz der privilegienmässig eximierten Rechtsstellung
General* ^er Stadt doch häufig ihr Wohlergehen abhing, wurden
starosten. vielfache Ehrengaben gereicht, besonders dem General-
starosten von Grosspolen, der als Stellvertreter des Königs
angesehen wurde und. die landesherrlichen Rechte der
Stadt gegenüber wahrzunehmen berufen war. In den
1) Wohl der Parteigänger Zaraojskis Johann Alexander Herbart
von Fulstin.
2) Gabriel Grabowiecki war als Gesandter nach Dänemark
geschickt worden, um dort ein Bündnis gegen Russland abzuschliessen.
Posener Stadtrechnungen des XVI. Jahrhunderts. 259
ältesten erhaltenen Rechnungen aus dem Ende des
15. Jahrhunderts erscheinen vielfach Posten für
Wein, der ihm geschenkt wurde, und zwar bieten
diese Posten eine Auswahl aller in jener Zeit
bekannten und berühmten Weine, wie Malvasier,
Rivoli, Rheinwein und Frankenwein. Reichlich mit
Wein versehen wurde der Generalstarost (Johann
Ostrorog), als er 1497 in den Wallachischen Krieg
zog, bei welcher Gelegenheit ihm auch ein vergoldeter
Apfel im Werte von 21 Gulden überreicht wurde. Im
Jahre 1498 tritt zum ersten Male ein Geschenk von Tuch
für ihn in den Rechnungen auf. Im 16. Jahrhundert
wurden diese Tuchlieferungen Regel, und es bürgerte sich
sich ein, dass alljährlich um Martini dem Generalstarosten
ein Stück Londoner Tuch im Werte von 24 Gulden
gegeben wurde, während die Weinspenden um diese Zeit
aufhörten. Dem Generalstarosten Albert Czarnkowski und
seiner Gemahlin wurden bei ihrem ersten Einzüge in die
Stadt, zwei silberne vergoldete Becher, an denen viermal
das städtische Wappen angebracht war, geschenkt1). Die
Gesamtkosten, die am Sonntag vor Allerheiligen 1569
beglichen wurden, betrugen mehr als 100 Gulden. Bei
dem häufigen Geschäftsverkehr des Rates mit dem General-
starosten verursachten auch die an ihn geschickten Boten,
wenn er sich anderswo als in Posen aufhielt, Kosten
Hin und wieder ritt der ganze Rat zu ihm. Wurde der
Ratsbote zu ihm geschickt, so kam es vor, dass ihm vor-
her eine kleine Summe für ein Bad ausgehändigt wurdef
damit er sauber gewaschen vor dem hohen Herrn erschiene.
Auch andere geistliche oder weltliche Würdenträger wurden Für
hin und wieder mit Spenden, besonders mit Wein, bedacht, «**«
so der Bischof von Posen, die Kastellane und Woje- ^^n'
woden von Posen und Kaiisch. Es erhielt z. B. 1531
der Bischof ein Fass Malvasier im Werte von 5 Gulden
und im Jahre 1527 der Wojwode von Posen ein Kälbchen
träger.
l) Item ad eosdem cyphos 4 civitatis sigilla fabrefacta ponderis
7 librarum per 17 gr. 3 fL 29 gr.
17*
260 Adolf Warschauer.
für 14 Groschen und kurz darauf ein Viertel Rind
im Werte von 24 Groschen. Im Jahre 1500 wurde für
adlige Würdenträger im Ganzen eine Summe von 47 Mark
weniger 2 Groschen verausgabt, ohne dass in den Rech-
nungen angegeben ist, wozu diese grossen Aufwendungen
gemacht wurden. Der Burggraf von Posen, ein sonst
nicht zu den höchsten Würdenträgern zählender Beamter,
der aber für die Stadt von Wichtigkeit war, weil
er in Abwesenheit des Generalstarosten seine
Funktionen übernahm, erhielt im Anfang des 16. Jahr-
hunderts alljährlich eine feste Gabe von 5 Mark
oder 8 Gulden für einen Pelz.
Für den Auch für den Rat selbst wurden solche Ehrenausgaben
Rat geleistet. Charakteristisch ist es, dass bei solchen Aus-
gaben vielfach in den Rechnungen die Bemerkung steht,
dass sie nach alter Gewohnheit geleistet wurden. So
erhielt jeder Ratsherr eine kleine Summe am Tage vor
Ostern und Pfingsten für ein Bad, doch erfolgte die
Buchung dieser Summe — für alle Ratsherrn zusammen
18 Gr. — nur ausnahmsweise einmal (1497). Sonst
zahlte man wohl diese und andere Ausgaben der
Art der nachlässigen Weise damaliger Rechnungs-
führung folgend aus kleinen gelegentlichen Einnahmen,
die man ebenfalls nicht buchte. Am 28. Oktober 1533
verausgabte man 6 Gld. 12 Gr. füi die Mästung von 4
gekauften Schweinen für die Ratsherren nach alter Ge-
wohnheit Es scheint sich hier um ein alljährlich wieder-
kehrendes Festessen der Ratsherren gehandelt zu haben,
von dessen Kosten uns aber nur einzelne Spuren in den
Rechnungen begegnen. Eine ständige Gewohnheit war
es auch, dass die Ratsherren, wenn sie sich in die Stadt-
dörfer entweder zu Verwaltungszwecken oder zu Gerichts-
sitzungen begaben, aus dem Stadtsäckel bewirtet wurden.
Aus den Rechnungen geht hervor, dass bei Gelegenheit
von Gerichtssitzungen nur einige Flaschen Wein geliefert
wurden, wenn der Rat aber sonst nach dem Rechten sahf
eine ganze Mahlzeit besorgt werden musste. Die in den
Stadtrechnungen gebuchten Kosten, betragen gewöhnlich
Posener Stadtrechnungen des XVL Jahrhunderts. 261
Lir kleine Summen. Nur im Jahre 1533 ist die stattliche
urnme von 10 Gld. 10 Gr. für eine Mahlzeit des Rates
* Kundorf gebucht und dabei bemerkt, dass dies nach
Iter Gewohnheit alljährlich geschehe. Selten finden sich
Ehrengaben für einzelne Ratsherren. Dem Bürgermeister
^eter Schedel wurde Fastnacht 1589, weil er im ver-
gangenen Jahre bei der Führung der städtischen Soldaten
und in dem laufenden während der Pestzeit sich Verdienste
erworben hatte, zur Hochzeit seiner Tochter ein Ochs
ftlr 15 Gld. als Belohnung geschenkt. Im übrigen wusste
die Stadt Verdienste ihrer Bürger gewöhnlich durch
weniger kostspielige Ehrenbezeugungen, wie einen Ehren-
platz in der Kirche, zu belohnen.
In einem gewissen Zusammenhang mit den allge- MiU&ri-
meinen öffentlichen Verhältnissen stehen auch diesc e, us"
gaben
Posten für militärische und Kriegszwecke in den m^
Rechnungen. Eine stehende Truppe besoldete die Kriegs-
Stadt in Friedenszeiten nicht, doch war die leiden.
Bürgerschaft in ihren Innungen militärisch organisiert.
Es scheint, dass jeder Innung ein Mauerturm zur
Verteidigung im Notfall zugewiesen war, auch
hatte jede ein kleines Arsenal. Die Rechnungen
beweisen, dass hin und wieder Musterungen der Innungs-
meister in Waffen stattfanden, und dass es hierbei mit
einem gewissen militärischen Pomp unter Paukenschlag
und Trompetenschall herging1). Auch die Ausgaben für
die Schützengilde sind als solche für die Wehrhafterhaltung
der Bürgerschaft zu betrachten. 1561 wurden 65 Gld. für
drei Bürger, die „den Vogel abgeschossen hatten", als der
für sie festgesetzte Zins aus der Stadtkasse bezahlt Es
handelt sich wohl hier um die Bezahlung einer Staats-
abgabe aus dem Stadtsäckel für die Sieger, zu denen
übrigens auch der Erbauer des Rathauses Giovanni Bat-
tista di Quadro gehörte. Auch kommen Posten für die
Vogelstange zum Pfingstschiessen, Armbrüste für die
*) !573 Dom. ante nativ. Mariae: 8 tympanistis et tibicinas
ludentibus, dum lustrarentur iu armis contubernia, 1 fl. 26 gr.
262 Adolf Warschauer.
Schützen und Kosten für die Reparatur des Schiesshauses
in den Rechnungen vor. In der Rechnung von 1565)66
findet sich ein ganzes Kapitel für Kriegsmaschinen. Erz
für eine einzelne Kanone (bumbarda) wurde 1501 für
6 M. 10 Gr. gekauft Eine Beteiligung der Stadt an
Kriegszügen in die Ferne lässt sich aus den Rechnungen
nur für das Ende des 15. und den Anfang des 16. Jahr-
hunderts in den Ausgabeposten für die Stellung von
Kriegswagen nachweisen. Solche Kriegswagen mussten
mit Lebensmittel gefüllt werden, es mussten einige Söld-
ner und Kutscher gemietet und Pferde besorgt werden.
Die Kosten waren sehr bedeutend. In den Jahren 1497
und 1498 während des Wallachischen Krieges wurden
dreimal solche Kriegswagen gestellt, für deren Kosten
sich genaue Rechnungen erhalten haben. War die
Stadt selbst durch Feinde bedroht oder gestalteten
die politischen Verhältnisse sich so, dass es notwendig
schien, sich in Verteidigungszustand zu setzen, so ver-
traute man nicht auf die eigene Kraft, sondern nahm
Söldner in Dienst Dies geschah auch zum Geleit für
Kaufleute im Jahre 1536 wegen der zahlreichen
Schnapphähne, welche in jener Zeit die Land-
strassen unsicher machten. Während des Inter-
regnums im Rechnungsjahre 1576I77 wurden zur
Verteidigung der Stadt Söldner angenommen, zu
deren Bezahlung die Stadt durch Überweisung
von 200 Gld. aus dem Ertrage einer staatlichen
Tranksteuer in den Stand gesetzt wurde. Auf eigene
Kosten musste die Stadt eine Fusstruppe während des
Interregnums vor dem Regierungsantritte Sigismunds III.
in Sold nehmen, als man den Angriff der Österreicher
fürchtete; für ihren Unterhalt hatten sowohl in dem
Rechnungsjahre 1586I87 als 1587)88 die Juden je 100 Gld
beizusteuern. Es scheint, dass diese Truppe auch in
Tätigkeit getreten ist, da einige Posten für das
Werfen feuriger Kugeln und für Arbeiten der Soldaten
an den zerstörten Mauern des Grossen Tores in der
Rechnung erscheinen; auch die um dieselbe Zeit auf-
Posener Stadtrechnungen des XVI. Jahrhunderts. 2Ö3
gewandten Kosten für einen Kriegszug nach Jutroschin
stehen wohl mit diesen kriegerischen Ereignissen in Ver-
bindung, obwohl freilich die sonst vorhandenen Quellen
über die Geschichte dieser Unruhen keinen Anhalt
dafür geben, dass Posen direkt in Mitleidenschaft gezogen
wurde1). Auch die inneren Unruhen im Reiche machten
schon gegen Ende des 16. Jahrhunderts Schutzmassregeln
notwendig. So notiert die Jähresrechnung von 1598(99
einen Posten von 31 Gld. 2 Gr. für Vermehrung von
Wachen auf 9 Wochen, weil man verschiedentlich
Tumulte fürchtete, besonders während der Zeit der
Gefangenhaltung der Edelleute Krzesinski und Gninski.
Im Jahre 1619 hatte die Stadt an einen Bürger
Lukas Erbe nahezu 400 Gld. Schadenersatz für
Waren zu bezahlen, die ihm die Konföderierten zu Lublin
weggenommen hatten, und am 20. Oktober 1692 zahlte
die Stadt an die Posener Grodkanzlei Gebühren für die
eidliche Vernehmung einiger vorstädtischer Bürger über
den Schaden, der ihnen von den Soldaten des Strazniks
der Krone Bidzienski zugefügt worden. Sonst sind aus dem
17. Jahrhundert noch einige Notizen über die Kosten ver-
anstalteter Siegesfeiern von Interesse: in der Rechnung
von i6oi|2 stehen Posten im Gesamtbetrage von 11 Gld.
23 Gr. für die Feier des Sieges gegen den „furchtbaren
Tyrannen und Ketzer Herzog Carl von Südermannland*8).
Am 11. Juni 1649 wurden 4 Gld. 15 Gr. an die Trompeter
gezahlt, die Triumph blasen sollten, weil mit den
Kosaken Verträge abgeschlossen worden waren; doch
konnte der Stadtschreiber hier nicht unterlassen, die
Bemerkung hinzuzufügen, dass es wohl unter ungünstigen
Bedingungen geschehen sei. Von Interesse ist die Aus-
*) 1588/99 Dom. a. f. Doroth. : Tormentario pro jaculatione globorum
ignitorum 1 fl. Dom. Judica: Expeditio bellica nach Jutroschin . . ,
Dom. Exaudi : Milites stypendiarios inter moenia portae Magnae eisdem
destructarum (!) dedimus 4 fl. 24 gr.
*) Contra tyrannum emanissimum hereticam Carolam Suder-
snannie duccm.
264 Adolf Warschauer.
gäbe von 10 Gld. am 16. August 1708 für eine Vothr
messe in der Pfarrkirche, „um Gott zu danken für des
Sieg des Schwedenkönigs über Russland. u Im übrigen \
sind aus der Zeit der beiden Schwedenkriege, in
der Mitte des 17. und im Anfang des 18. Jahr-
hunderts die Stadtrechnungen nicht erbalten, so
dass die ungeheuren Verluste der Bürgerschaft ins
Einzelnen sich nicht mehr nachweisen lassen. Da-
gegen enthalten die Rechnungen zur Geschichte
der Unruhen von 1733 einige Angaben : nämlich
für die Ausbesserung der Mauer und für die Verprovian-
tierung des sächsischen Heeres, das am 6. November
in Posen einrückte. Aus der Zeit des siebenjährigen
Krieges, während dessen die Stadt von den das Land
durchziehenden und sich aus ihm erhaltenden kriegführen-
den Parteien zu leiden hatte, enthalten die Rechnungen
einige Posten für die Bekanntmachung russischer Publi-
kanden, nämlich am 15. Oktober 1758 über die Lieferung
von Stroh und Häcksel, vom 4. Juni 1759 über die Anfuhr
zum Magazin und am 27. Juli 1760 über das russische
Geld. Endlich liefern die Rechnungen noch ein reich*
haltiges Material über die grossen Kosten, welche der
Stadt während der Unruhen der Konföderation von
Bar sowohl für die Konföderierten selbst als auch f ör die
gegen sie operierenden russischen und preussischen
Truppen entstanden sind.
Kosten Verhältnismässig recht geringfügig sind die Kosten,
für die Welche zur Aufrechterhaltung der inneren Ruhe und
* te" Ordnung aufgewandt wurden. Die Rechtspflege wurde
ausschliesslich durch Laien im Ehrenamt gehandhabt, und
die ihnen von den Parteien zufliessenden Gebühren
berührten die städtische Finanzverwaltung in keiner Weise.
So spielt eigentlich nur die Exekution strafrechtlicher
Urteile in den Stadtrechnungen eine Rolle. Der Henker
war ein,er der wenigen fest angestellten Gemeindebeamten
und bezog gegen Ende des Mittelalters ein festes Gehalt
von wöchentlich 9 Groschen. Eine Anzahl kleinerer Städte
hatte nach alter Abmachung das Recht, die Dienste des
Posener Stadtrechnungen des XVI. Jahrhunderts. 265
Posener Henkers mitzubenutzen und zahlt hierfür eine
gewisse Summe jährlich1). Unter besonderen Verhält-
nissen bezahlte die Stadt dann auch wohl Reise- und
Aufenthaltskosten, so 1548, als der Henker nach Przedecz
zur Hinrichtung des Mörders des Türken Scheraffedin
entsandt wurde2). In Posen selbst wurde dem Henker
bei jeder Folterung, die er vornahm, eine kleine Summe
für Lichte ausgezahlt, wahrscheinlich zur Beleuchtung der
Folterkammer, die, wie alle im Kellergeschoss des Rat-
hauses liegenden Gefängnisräume fensterlos waren. Im
Jahre 1543 wurde für 10 Gr. ein Instrument zur Fest-
baltung der Gefangenen gekauft, das merkwürdiger Weise
den Namen „Die Jungfrau"(panna) führte. Viele Ausgaben ver-
ursachten die zahlreichen Hinrichtungen. Im Jahre 1547
liess sich die Stadt eine Passion malen, die vor den zur
Hinrichtung geführten Gefangenen hergetragen wurde, im
Jahre 1570 wurde das Crucifix, das vor den zum Tode
Verurteilten hergetragen wurde, wieder hergestellt und
bemalt. Im Frühjahr 157 1 wurden Ausgaben für die
Errichtung eines Galgen (mala crux) gebucht. Unter dem
17. Oktober 1712 findet sich ein Posten für Handschuhe,
die dem „Herrn Pokl^kowski aus der Stadtkasse gekauft
wurden, als die Zimmerleute bei dem Galgen auf dem
Ringe arbeiteten." Die Hinrichtungen selbst verursachten
keine besondere Kosten, da der Henker sie wohl für sein
Gehalt besorgen musste, nur einmal wird ein Posten
von 7 Gr. 2 Den. dafür eingesetzt, weil der Hingerichtete
ein Jude war8). Sonst verursachte noch der Lebens-
unterhalt der Gefangenen vor der Hinrichtung Ausgaben.
So wurden 1498 sechs Groschen für einen Gefangenen
im Wronker Tor verausgabt Im Jahre 1501 wurden
J) Stadtbuch von Posen, Bd. I. S. 196.
2) 1548 Dom. a. Egidii : Item persolvimus vectoribus euntibus
cum familia civili in Przedecz pro malefico necis Turci Scheraffedin
conscio nee non expensas itineris 5 fl. 8 gr.
*) 1582/83 Dom. a. f. s. Mattei: Pro Muchaiero Judeo suspenso
ad vexillum 7 gr. 9 den.
266 Adolf Warschauer.
dem Stadtdiener 7 Groschen vergütigt für den Unterhalt
eines Weibes, das im Stock (in czippo) sass. Wie sich Ver-
brecher gelegentlich auch der Ergreifung zu entziehen
verstanden, zeigt ein Rechnungsposten von 1501. Am
25. September dieses Jahres war in Posen auf dem Markte
der Kostener Bürgermeister Johann Ziegler von zwei
Edelleuten tötlich verwundet worden. Die Übeltäter
flüchteten zu den „schwarzen Mönchen" d. h. in das
Dominikanerkloster. Zwar wurde das Asylrecht der
heiligen Stätte geachtet, aber es wurden Wächter in der
Nähe des Klosters aufgestellt, um die Verbrecher am Ent-
weichen zu verhindern1). Einem Bürger Johann Cosa,
dem seine Frau entlaufen war, wurde im Jahre 1534 eine
Unterstützung von 24 Groschen gewährt, damit er nach
Sieradz reisen und ihr nachforschen könne. Im Jahre 161 1
wurde einmal Bier und Wein für die Gefangenen gekauft,
als sie beichteten. Endlich entstanden noch Kosten für
das Begräbnis der Hingerichteten. Eine solche Ein-
tragung vom Sonntag Invocavit 1575 über die Eingrabung
eines Mannes und eines Weibes, die wegen Ehebruchs
enthauptet wurden, scheint darauf hinzuweisen, dass die
alte deutsche Rechtssitte, Ehebrecher zusammen mit einem
spitzen Pfahle durchstossen einzugraben, auch in Posen
befolgt wurde, jedoch mit der Milderung, dass man die
Verbrecher vor dem Vergraben enthauptete. Seit dem
zweiten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts treten auch die
Posten für die Hexenverbrennungen auf, so am 29. Januar
161 1 für ein Hemd und einen Schleier der zum Feuer-
tode verurteilten Hexe 18 Gr., und ähnlich 1638 zu
ungebleichter Leinwand für die Hexe 16 Ellen zu 6 Gr.,
es scheint sich hier um die Gewandung zu handeln, in
l) 1501 Dom. p. f. Michaelis: Custodibus ad monachos tone,
quando Czyglar proconsul Costensis de Circulo civitatis nostre
sabbatho post Michaelis prox. per nobiles J. Sczyczyensky et
Punynski vulneratus fuerat, et ad monachos nigros aufugerunt
Vgl. über dieses Ereignis die Chronik der Stadtschreiber
von Posen, S. 6 f.
Poscner Stadtrechnungen des XVI. Jahrhunderts. 267
der die Verbrennung erfolgte. Auch wurden dem
Henker für die Verbrennung der Hexen besondere
Gebühren bezahlt, gewiss, weil diese Hinrichtungs-
art eigene Schwierigkeiten und Aufwendungen ver-
ursachte. Schon unter dem Jahre 1494I95 *st e^
Posten für die Verbrennung eines Verbrechers gebucht
Einer der bösesten Feinde der allgemeinen Wohl- Gciand-
fahrt war die Pest, die im 16. Jahrhundert die Stadt *jfits'
häufig in furchtbarer Weise heimsuchte. Als die einzige p^° "
Schutzmassregel gegen sie galt die Absperrung, zu deren
JDurchführung mancherlei Ausgaben notwendig waren.
Zu ihrer Aufbringung wurden auch die Juden heran-
gezogen, da der — übrigens meist nicht eintretende «
Erfolg ihnen ebenso wie den Christen zu gute kam. So
zahlten die Juden für diesen Zweck am 9. Juli 1605
30 Gld. an die Stadtkasse. Am Sonntag nach Frohnleich-
nam 1564 und im Jahre 1569 sind Kosten für Boten nach
Danzig notiert, die die dortigen Bürger bitten sollten,
wegen der — doch wohl in Danzig ausgebrochenen — 7
Pest den Posener Jahrmarkt nicht zu besuchen. War die
Pest ausgebrochen, so waren Ausgaben für die Bewachung
der infizierten Häuser, Nahrungsmittel für die Ein-
geschlossenen, Arzneien für die Erkrankten, Besoldung
der manchmal besonders angestellten Pestärzte, Bestattung
der Verstorbenen u. a. notwendig. Diese Posten nehmen
in den Stadtrechnungen der Pestjahre, wie 1585I86, 1588)89,
1591I92, i6oo|oi, 1604I05, 1605I06, gewöhnlich einen grossen
Raum ein. Die Pestrechnung von 1601 schliesst am 24. März
mit der für die Finanzlage der Stadt sehr hohen Summe
von 1901 Gld. 14 Gr. 9 Den. ab. Für die grösste aller
Pestepidemien, die von 1708J101), sind die speziellen
Rechnungen nicht erhalten. Die erste Erwähnung dieser
Pest in den Rechnungen stammt vom 8. Dezember 1708
und betrifft eine kleine Summe für einen schwedischen
l) Brandt G., Die Pest der Jahre 1707/13 in der heutigen
Provinz Posen. Zeitschrift der H G Pos. XVII. S. 301—28.
a68 Adolf Warschauer.
Soldaten, der eine Bekanntmachung ausrief, dass die
Leute wegen der Pest die Stadt nicht verlassen sollten-
SyphiBs. Auch die französische Krankheit (Syphilis) wird m
der Rechnung von 1564 einmal erwähnt, indem am
Sonntag vor Kreuzerhöhung 3 Gld. für 1000 Ziegel für
das Hospital» in dem man die von dieser Krankheit An-
gesteckten verpflegte, gezahlt wurden.
Jaden. Als Feinde der städtischen Wohlfahrt galten dem
Posener Bürger jener Zeit auch die Juden, die, ohne
bürgerliche Rechte zu gemessen und der städtischen
Obrigkeit Untertan zu sein, einen Teil der Stadt be-
wohnten und vielfach mit der christlichen Bürgerschaft
in eine geschäftliche Konkurrenz traten, die von ihr als
ein schweres ihr angetanes Unrecht empfunden wurde.
Da die Juden in dem Wojwoden von Posen einen gesetz-
lichen Beschützer hatten und überdies an ihren Verbin-
dungen mit dem Adel einen gewissen Rückhalt besassen,
so waren die Christen in den zahlreichen Prozessen, die
sie gegen die Juden führten, nicht immer die Obsiegenden
und wenn sich von Zeit zu Zeit der aufgespeicherte Juden*
hass inTumulten und Schlägereien Luft machte, so konnten
die strafrechtlichen Folgen für die Bürgerschaft recht be-
denklich werden. Die Rechnungen geben ein deutliches
Bild davon, wie kostspielig dieser jahrhundertelange Kampf
der Bürgerschaft mit den Juden war, und die schmähenden
judenfeindlichen Ausdrücke, mit denen die Stadtschreiber
vielfach die Buchung dieser Posten begleiteten, zeigt, wie
tief eingewurzelt und brennend diese Feindschaft war1).
Des ersten Judentumultes wird in den Stadtrechnungen
zum Jahre 1577 Erwähnung getan, da die Stadt am Sonntag
nach Maria Reinigung eine Summe von 70 Gld. 17 Gr.
für eine „Expedition nach Bromberg in der Sache des
Judentumultes* ausgab. Um 1578/79 wurden 3 Gld. 21 Gr.
für Wächter, die zur Zeit des Judentumultes gehalten
*) Vgl. auch das grosse Gedicht des Posener Stadtschreibers
über alle Klagen gegen die Juden in der Chronik der Stadtschreiber
von Posen S. 129—145.
Posencr Stadtrechnungen des XVI. Jahrhunderts. 269
wurden, aufgewandt und am '3. Juni 1628 erscheint ein
Abschlagsposten von 15 Gld. für einen Gesandten nach
Warschau wegen des Judentumultes in der Rechnung.
Die Prozesse, die gegen die Juden angestrengt wurden,
hatten sehr verschiedene tatsächliche Unterlagen: so zahlte
die Stadt am 15. Oktober 161 1 eine kleine Summe für
eine von \h% gegen die Juden bei dem Grodgerichte ein-
gereichte Erklärung, dass die Juden krankes Vieh zur
Stadt trieben und schlachteten, ähnliches geschah am
30. November 1619. Am 31. Dezember 161 1 gab die Stadt
unter Zahlung der üblichen Gebühr zu Protokoll, dass die
Juden gegen die Vorschrift zu Weihnachten auf dem Ringe
und auf den Strassen sich herumgetrieben hätten. Jm
Jahre 1612 wurde darum gestritten, dass die Juden einen
Mauerturm, den sie gewissermassen als Schlachthof be-
nutzten, eben hierdurch verdürben. Schwerer war die
Gefahr für die Juden in dem grossen Prozesse, den die
Stadt gegen sie nach dem in der Judenstadt entstandenen
Brande vom 11. Juni 1590 anstrengte, da die Forderung
gestellt wurde, dass die Juden sich nicht wieder an der
alten Stelle, sondern in weiterer Entfernung von der Stadt
aufbauen sollten. Die Juden zogen es auch vor, sich mit
der Bürgerschaft zu einigen und zahlten an die Stadtkasse
1500 Gld. für die Erlaubnis, „für eine gewisse Zeit unter
den Christen wohnen zu dürfen", und als Ersatz für ver-
schiedene den Bürgern gehörige Gegenstände, die bei den
Juden verbrannt waren. Die Zahlung leisteten nicht die
Juden selbst, sondern für sie der Posener Kaufmann
Hieronymus Rid. Die Stadtrechnung von 1590/91 gibt
auch an, wie ein Teil dieser Summe sofort wieder ver-
ausgabt wurde und zwar „für Seine durchlauchtigste
Gnaden unseren Herrn Generalmarschall als denjenigen,
der diese schwierigen Verhandlungen geführt hatte (uti
transactore hujus difficultatis) 100 Taler =116 Gld. 28 Gr.,
ferner dem Suffraganbischof 15 ung. Dukaten = 128 Gld.,
für Feuereimer 24 Gld. 20 Gr., und für Ausfuhr des Schutts
ä) Gld. 9 Gr.", so dass von der offenbar sehr willkommenen
Einnahme nur etwas über 1200 Gld. bar in die Stadtkasse
27° Adolf Warschauer.
gelegt werden konnten. In den ersten Tagen des Jahres
1591 zahlten die Juden übrigens noch 35 Gld. für die Aus-
fuhr des Schuttes aus ihrer Strasse. Charakteristisch für
die judenfeindliche Stimmung dieser Zeit ist auch der am
Sonntag Invocavit 1591 gebuchte Posten von 2 Gld. 6 Gr.
für „Christel >horus Slowicowic, der die Sache der wegen
Ermordung eines Juden Eingekerkerten verteidigte*. Am
schlimmsten für die Juden aber war der langdauernde von
der Bürgerschaft am Anfang des 17. Jahrhunderts gegen
sie angestrengte Prozess wegen ihrer Versuche, ihre räum-
lichen Schranken zu überschreiten. Diesen Prozess
gewann auch die Bürgerschaft, und die Folge war eine
immer ärger werdende Oberfüllung des Judenviertels, die
sich später furchtbar rächen sollte. In den Stadtrechnungen
beginnen die zahlreichen Posten für diesen Prozess mit
dem Anfang des Jahres 161 1. Am 30. Juli 161 1 wurde
eine Ausgabe von 514 Gld. 8 Gr. 9 Den. für die Sendung
zweier Magistratspersonen in dieser Angelegenheit an den
Posener Woj woden Johann Ostrorog nach Lublin gebuc hL
Die Rechnung von 1616/17 gibt eine sehr ausführliche
Zusammenstellung aller bisher entstandenen Kosten dieses
Prozesses und notiert unter dem 24. Juni 161 7 triumphierend
einen Posten von 3 Gld. „an die Karmelitermönche für
eine gesungene Votivmesse mit Musik, wobei der Magistrat
dem Herrgott für das von Seiner Majestät erhaltene ge-
rechte Dekret gegen das ungläubige Volk der Juden dankte".
Trotzdem musste am 17. August 1619 der Stadtschreiber
wieder eine grosse Rechnung, deren Gesamtsumme sich
auf 1185 Gld. 12 Gr. 9 Den. hlelief, als Ausgaben in dem
Prozess der Stadt gegen „die verfluchte ungläubige stin-
kige Nation der Juden wegen der vielen Schwierigk eiten
die sie der Stadt und ihren Bürgern bei dem Hofgerichte
Seiner Majestät in Warschau verursachen11, buchen, worauf
dann am 26. Oktober wieder eine Votivmesse in der Maria
Magdalenenkirche „für den Frieden mit dem Kaiserreich
und den Sieg der Stadt gegen die Juden" bezahlt werden
konnte. Die letzte grosse Rechnung für diese langwierigen
Prozesse mit der Gesamtsumme von 3325 Gld. 11 Gr. ist
Poscncr Stadtrechnungen des XVI. Jahrhunderts. 271
mnter dem 11. April 1620 unter der Aufschrift gebucht:
„Unkosten für den Prozess bei dem Hofe Seiner Königl.
Majestät in Warschau mit den Juden über die Anlegung
eines neuen Wohnplatzes für sie auf der Vorstadt vor dem
AVronker Tore, vom 28. März bis 30. Mai, wegen dessen
als Gesandte die Herren Christoph Arnold Bürgermeister,
Heinrich Kyewski Schreiber, Bartosz Widbor Syndikus
der Stadt abgeschickt waren, wobei Gott sei Lob und
Preis ein gesegnetes gerechtes Dekret Seiner Majestät
des Königs Sigismund III. gegen die widerwärtige ver-
räterische Nation erreicht wurde". Von dem hasserfüllteri
Geiste, den diese Prozesse in der Bürgerschaft aufgeregt
hatten, zeugen auch noch zwei Ausgabeposten aus der
nächstfolgenden Zeit. Unter dem 5. September 1620 wurde
ein kleiner Posten für Pulver zu Freudenschüssen bei
einer Prozession nach der Karmeliterkirche gebucht, und
hierbei gibt der Stadtschreiber mit einer sonst in den
Rechnungen ganz ungewöhnlichen Ausführlichkeit an, dass
durch diese Prozession die Tischplatte überführt worden
sei, „auf welcher die verfluchten Juden das heilige
Sakrament der Hostien, die sie aus der Dominikanerkirche
im Jahre des Herrn . . . .*) gestohlen und nach dem
damalssogenanntenSwidwinskischen Keller gebracht hatten,
beschimpften und durchstachen, so dass die Zeichen des
heiligen Blutes sich zeigten ". Und am 6. August 1622
wurde dem Arzt und Physiker Rudnicki für die Bücher,
die er gegen die treulosen Juden geschrieben hatte, ein
Geschenk von 30 Gld. verehrt. Um so schwerer muss
es dem Magistrat geworden sein, gerade um diese Zeit
am 12. Juli 1622 einen Juden, den die konföderierten Sol-
daten als Unterhändler an den Magistrat geschickt hatten,
und dessen Wohlwollen dementsprechend von einer ge-
wissen Wichtigkeit für die Bürgerschaft war, ein Ehren-
geschenk von 10 Gld. 12 Gr. verabfolgen zu müssen.
Mannigfach Hess der Magistrat an Juden, die zum Christen-
*) Lücke, da dem Schreiber das Jahr, in das die Sage gesetzt
wurde, wohl entfallen war.
272 Adolf Warschauer.
tum übertraten, Gnadengeschenke reichen, so am Sonntag
nach Neujahr 1582 dem jüdischen Diener des General-
starosten bei seiner Taufe 10 Gld., am Palmsonntag des-
selben Jahres einem getauften, aber verrückt gewordenen
Juden 12 Gr., am Lätaresonntag 1591 einem jüdischen
getauften Schneider für seinen Arzt 2 Gld. und am
31. Januar 1604 bei der Taufe eines Juden mit seinem
Weibe und 2 Söhnen 12 Gld.
Unter- Unterstützungen gewährte der Magistrat auch sonst
8tftt" mit freigebiger Hand ohne hasserfüllte Nebenabsicht, wie
zotigen. j)ej (jenen fQ,. dje getauften. Juden. So erhielten wohl
Söldner, die die Stadt durchzogen, ein kleines Geld-
geschenk, dessen Geringfügigkeit manchmal auffällig ist
und auf eine ziemliche Verlumptheit der Beschenkten
schliessen lässt So bekamen am Sonntag Judica 1542
durchpassierende Söldner, die nach Österreich gegen die
Türken bestimmt waren, 6 Gr. Auch die Gabe von 1 Gld.
1 Gr., die am Sonntag nach Himmelfahrt 1563 den deut-
schen in den russischen Krieg marschierenden Fuss-
soldaten gewfihrt wurde, kann nicht als glänzend bezeichnet
werden. Nicht besonders hoch wurde auch der Arith-
metiker Sigismund eingeschätzt, dem der Rat am Palm-
sonntag 1548 eine Gabe von 24 Gr. reichen liess. Für
bestimmte wohltätige Zwecke hatte der Rat auch Stiftungs-
fonds zur Verfügung, deren Zinsen er alljährlich verwenden
konnte. So hatte Georg Bock, der in den Jahren 1460
bis 1482 fast ununterbrochen Bürgermeister gewesen war
einen Fonds zur Verheiratung armer Mädchen testamen-
tarisch vermacht und etwa in derselben Zeit Albert
Wydawski einen Fonds für Tuch zur Bekleidung armer
Leute. Mannigfach, wenn auch nicht regelmassig geben
die Stadtrechnungen Notizen über die Verwendung. Aus
eigenen Mitteln gab die Stadt in der Rechnungsperiode
1493/94 die Summe von 41/9 Mark zur Verheiratung einer
Apothekerstochter. Im 16. Jahrhundert pflegte der Rat
besonders tief in den Säckel zu greifen, wenn es sich
darum handelte Bürgersöhnen eine Studienreise nach
tauen, im 16. Jahrhundert dem Mutterlande aller Kultur,
Posener Stadtrcchnungcn des XVI. Jahrhunderts. 273
~zu ermöglichen. Man nahm an, dass man durch solche
Unterstützungen der Stadt wesentlichen Nutzen bringe,
indem man für die zukünftige Bildung und das Ansehen
des Patriciats sorgte. So Hess um Ostern 1561 der Rat
dem Jacob Breznicki, Sohn des amtierenden Bürgermeisters
Jarosz, zu einer Studienreise nach Italien 20 ung. Dukaten
auszahlen, im Jahre 1579 zu demselben Zwecke die Summe
von 8 ung. Dukaten dem Stiefsohn des Bürgers Albert
S^dnydzien, 1582 erhielt der Sohn des Doktors der Philo-
sophie und Medizin Stanislaus zur Fortsetzung seiner
Studien in Italien 28 Gld., 1584 10 ung. Dukaten Timoteusf
der Sohn des Ratsherrn Johann Kyewski, wiederholt wurde
im letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts dem in Italien
studierenden Sohn des Adam Borek Geld gesandt. Auch
bereits graduierte Leute gingen mit Unterstützung des
Rats nach Italien, um dort ihrer Ausbildung die letzte
Vollendung angedeihen zu lassen. So wurden am Sonntag
Misericordia 1545 für den Magister Adam Sieynik, der zu
Studienzwecken nach Italien reisen wollte, 10 Gld. gebucht,
am Sonntag Judica für den Magister Caprico zu demselben
Zwecke 4 ung. Dukaten. Im Jahre 1566 war ein neuer
Schulmeister aus Krakau geholt worden, und schon in dem-
selben Jahre reiste er mit einer Unterstützung des Rates
von 10 Gld. nach Italien. Recht interessant ist die Notiz
von Sonntag Reminiscere 1583, wonach dem Schulmeister
Gallus Chraplewsky, der nach Vollendung eines Kursus der
Medizin in Italien nach Posen zurückzukehren versprach,
für die italienische Reise 20 ung. Dukaten gezahlt
wurden. Im Jahre 1591 schickte der Rat dem
Albert Wioska (Vioscius), Sohn eines Ratsherrn
und früher Schulmeister an der Stadtschule zu
Maria Magdalena, auf sein schriftliches Ansuchen und
die Bitte seiner Mutter eine Unterstützung von 11 Gld.
-6 Gr. Die letzte derartige Ausgabe ist am 19. Oktober 1596
mit 10 ung. Dukaten für den Geistlichen Constantin
gebucht worden, der sich Studien halber nach Italien
begeben wollte. Einmal wird auch eine Unterstützung
für einen jungen Patriziersohn, Johann Joseph, der 1548
Zeitschrift der Mist. Ges. für die Prov. Posen. Jahrg. XX. M
274 Adolf Warschauer.
die Universität in Paris besuchen wollte, gezahlt Auch
Unterstützungen von Posener Studenten in Krakau finden
sich nur vereinzelt, so wurde am 15. April 1595 den nach
Krakau gehenden Studenten eine mildtätige Gabe von
1 Gld. gereicht In viel spaterer Zeit erst hat die Stadt
zum Studium ihrer Bürgerssöhne in Krakau grössere Auf-
wendungen gemacht und so im Jahre 1789 480 Gld. zur
Erhaltung zweier Studenten der medizinischen Fakultät
gezahlt.
Bcfar- Beachtenswert ist es auch, wie sich in den Stadt-:
Rechnungen die reformatorische Bewegung widerspiegelt,
und wie man auch hier den plötzlichen Umschlag in die
gegenreformatorischen Anschauungen in den sechsziger
und siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts beobachten
kann. Wenn am Sonntag vor Johanni 1540 für einen
Boten, der nach Grätz mit einem Briefe gesandt wurde,,
um einen Prediger (concionator) einzuladen, eine kleine
Summe gebucht wurde, so kann bei der hervorragenden
Rolle, die Grätz als Mittelpunkt der Reformation in Gross-
polen gespielt hat, angenommen werden, dass dieser un-
genannte Prediger die neue Lehre verkündigte, und gerade
deshalb die Einladung an ihn erging. Sicherlich gehörte
der neuen Richtung der Prediger Samuel1) an, an den
im Jahre 1541 dreimal auf Befehl des Rates kleinere und
grössere Summen gezahlt wurden2). Zweifelhaft ist esr
ob mehrere Geldreichungen an den Prediger der Deutschen
in diesen Jahren mit der reformatorischen Bewegung in
Zusammenhang stehen, um so mehr als in dem Rechnungs-
jahr 1542/43 auch für den Prediger der Polen mit grösserem
Geldaufwand ein Haus gebaut und auch im darauffolgenden
l) Wotschke T.f Andreas Samuel und Johann Seklucyän, die
beiden ersten Prediger des Evangeliums in Posen. Zeitschrift
Bd. 17 S. 169 ff.
*) 1541 Dom. conduetus Pasche: Samueli concionatori jussu.
consulatus 1 fl. 18 gr. — Dom. a. Margarethe: Pro expensis victus
Samuelis concionatoris 6 fl. 12 gr. — Dom. a. Omnium sanctorumi
Concionatori Samueli dedimus jussu consulatus 1 fl. 18 gr.
Posener Stadtrechnungen des XVI. Jahrhunderts. 275
Jahre für seinen Lebensunterhalt mehreres gebucht
wurde. Ein Geschenk, das gegen Ende 1527 dem Probst
der Pfarrkirche vom Rate dargereicht wurde, buchte man
in Ausdrücken, die auf den Versuch einer Beschwichtigung
dieses der Reformation durchaus feindlichen Prälaten ge-
deutet werden können1). Mitten hinein in den Streit um die
neue Lehre aber führt wohl der Posten von 7 Gld. vom
Rogatesonntag 1548 für den Stadtdiener Lassota, der nach
Gnesen zu dem Generalstarosten mit Briefen in der Sache
der Prediger geschickt wurde2), und vollends die im
Jahre 1566 geleistete Ausgabe für ein Büchlein, das durch
einen Polen dem Rat zu Wittenberg geschenkt und ge-
widmet wurde3). Am Ende der sechsziger Jahre aber
treten schon die Ausgaben gegenreformatorischen Cha-
rakters auf. Als Benedikt Herbest, der berühmte Kanzel-
redner und Rektor der Lubranskischen Akademie, nach
Preussen reiste, wurde ihm auf Befehl des Rates ein
Viäticum von 10 Gld. gereicht und am Sonntag Miseri-
cordiae 1569 gebucht Im Herbst 1570 wurden grössere
Summen für die Reise des Predigers Johann Herbest,
des Bruders des obengenannten Benedikt, von Krakau
nach Posen und seinen Unterhalt daselbst gezahlt. Am
Sonntag nach Ostern 1570 erhielt ein Fuhrmann, der eben
diesen Prediger nach Kaiisch brachte, 3 Gld. 2 Gr. Auch
der Geistliche Walowski, der am Trinitatissonntag 1570
die stattliche Summe von 15 Gld. 28 Gr. für seine Predigten
erhielt, gehörte sicherlich der katholischen Partei an. In
demselben Jahre beginnen dann auch die zahlreichen
*) Domino Jacobo de Obornicki preposito s. Marie Magdalene
in Posnania ob comparandam graciam civitati dono data sunt 10 milia
laterura 7 m 24 gr. Preterea 2 fornaces cementi 8 m.
2) 1548 Dom. Rogacionum: Lassote faraulo civili Gnesnam ad
magnificum dominum Posn. cum literis in negocio concionatorum
xnisso dedimus fl. 7.
3) 1566 Dom. Reminiscere pro libello per quendam Polonum
consulatut Viteberga donato dicatoque jussu dominorum consulum
donavimus 4 fl. 12 gr.
18*
276 Adolf Warschauer.
Ausgaben für die Jesuiten, deren Niederlassung in Posea
um jene Zeit vorbereitet wurde. Am Sonntag den
11. Juni 1570 wurde für durchreisende Jesuitenpatres ein
Viatkrum von 4 GkL 24 Gr. gebucht, in den ersten Tagen
des folgenden Jahres an Trank und Speise für die „ehr-
würdigen Patres und den Provinzial der Jesuiten" 5 G4d-
25 Gr. verausgabt Der Provinzial reiste einige Monate
später nach Breslau, und der Posener Rat zahlte am
Sonntag der Apostelteilung dem Fuhrmann hierfür die
Summe von 5 Gld. 6 Gr. Welch vollständigen Sieg der
Katholizismus in der städtischen Vertretung damals schon
davongetragen hatte, zeigt die am Sonntag Maria Em-
pfängnis 157 1 gebuchte Ausgabe von 26 Gld. 12 Gr. „für
ein Gastmahl, als die Herren des Rates die Geistlichen
der Pfarrkirche und die Jesuiten und ihre fremden Gäste
(advenas) bewirteten", und wie freundlich das Verhältnis
zwischen dem neu gegründeten Kollegium und dem Rate
der Stadt sich gestaltete, geht aus einem Sonntag den
13. Februar 1575 gebuchten Geschenk von 4 Gld. 16 Gr.
„für die Studenten des Jesuitenkollegiums, die den Rats-
herren ihre Reden überreichten", hervor. Erwähnt sei
noch, dass, als der berühmte Jesuit Domherr von Erme-
land Treter 1593 Posen passierte, dem Fuhrmann am
27. November für seine Weiterfahrt in seine Diözese
12 Gld. 6 Gr. gezahlt wurden. In späterer Zeit scheint
man übrigens die Ausgaben für die Jesuiten nicht mehr
aus so vollem Herzen, wie früher, geleistet zu haben:
wenigstens wurde in dem Rechnungsjahr 1645/46 eine Aus*
gäbe für die Jesuitenpatres mit dem Bemerken gebucht,
dass sich die Stadt zu ihrer Aufbringung in Schulden
gestürzt habe. Einen Beweis für den vollständigen Um-
schwung der Gesinnung des Magistrats zu Gunsten des
Katholizismus gewährt auch der Posten von 4 Gld. 27 Gr.
am Trinitatissonntag 1572 für Betten (pro lectisterniis) an
Valentin, „der die Lutherische Ketzerei abgeschworen hat44.
Solche Bekehrungsgeschenke kamen auch noch in späteren
Zeiten vor, so wurden noch am 23. September 1748 auf
Fürbitte der Jesuiten einer „neuen Katholikin" 251/» Gr.
Posener Stadtrechnungen des XVI. Jahrhunderts. 277
gegeben. Hierher können wir auch die in der Periode
des wiedererstarkten Katholizismus sich mehrenden Aus-
gaben für den Kultus, Prozessionen u. a. rechnen. Auf
einen alten merkwürdigen Brauch deuten beispielsweise
die Posten vom 26. März 1752 „den Leuten, die das
Eselchen in der Prozession zogen, 25 Gr. 1 Den." und von
1765 »»den alten Leuten für das Führen des Eselchens
am Palmsonntag* 4l).
Auch die Ausgaben für künstlerische Leistungen Kunst
stehen mannigfach mit dem religiösen Empfinden im Zu-
sammenhang. Über Kirchenbauten bieten die Stadtrech-
nungen freilich nicht viel, obwohl der Rat Patron der
Pfarrkirche zu St Maria-Magdalena war. Es scheint, dass
die hierher gehörigen Bauten und Reparaturen aus dem
durch fromme Stiftungen sich ständig vermehrenden Ver-
mögen der Kirche selbst bestritten wurden. Dagegen sind
die Stadtrechnungen eine der vornehmsten, vielfach die
alleinige Quelle für die Geschichte der weltlichen Baulich-
keiten der Stadt, worauf speziell einzugehen hier freilich
nicht der Ort ist Besonders zur Baugeschichte des Rat-
hauses bieten die Rechnungen eine Menge von Einzel»
heiten und unschätzbaren Anhaltspunkten. Auch wer eine
Lebensbeschreibung des berühmtesten Stadtbaumeisters
von Posen, des Italieners Giovanni Battista di Quadro aus
Lugano, dem das Rathaus seine Erneuerung in den Formen
der Renaissance verdankt, verfassen wollte, dürfte die
Stadtrechnungen nicht ausser Acht lassen. Besonders
zeigen uns die Rechnungen, mit welcher Dankbarkeit und
Verehrung die Bürgerschaft ihm zugetan war: ausser
seinem regelmässigen Gehalt werden Extragaben „für seine
Sorgfalt und Klugheit bei den Bauarbeiten der Stadt"9)
gewährt Als er starb, stellte es sich heraus, dass er den
1) Über diesen alten Gebrauch vgl. Freytag, Bilder aus der
deutschen Vergangenheit Bd. IL 2. S. 184 Anm.
2) 158a Dom. Septuages.: Joanni Baptiste pro cura et consilio
circa fabricam civitatis sepius adhibita jussu dominorum consulum
12 fl. 10 gr.
278 Adolf Warschauer.
Zins für die von ihm gepachtete städtische Ziegelei auf
dem Vorwerk Wilda in der Höhe von 10 Mark jahrlich
für volle 13 Jahre schuldig geblieben war. Schon der
Umstand, dass ihm eine so bedeutende Summe für so
lange Zeit gestundet wurde, zeugt von der Rücksicht, die
man auf ihn nahm. Nunmehr zog der Rat zwar die
Schuld von der Witwe ein, erliess ihr aber den Zins für
drei Jahre „in Rücksicht auf die Dienste, die ihr Gatte
der Stadt geleistet hatte, und auf die von ihm für die
Stadt herrührenden, des Lobes wohl werten Werke"1).
Auch für die anderen öffentlichen Gebäude der Stadt,
wie die Wage, die Schule, bis herunter zu dem in keiner
alten Stadt fehlenden Hause für öffentliche Dirnen bieten
die Rechnungen baugeschichtliche Notizen in grosser Anzahl.
Von den Werken der Plastik, die die Stadtrechnungen
aufführen, erwähnen wir eine Statue der Passion, die im
Jahre 1583 vor der Martinkirche zur Bezeichnung der
Grenze des städtischen und kirchlichen Gebietes errichtet
wurde und 3 Gld. kostete2). Im Jahre 1590 wurde ein
Epitaph für den verstorbenen Probst der Maria -Magda-
lenenkirche Grocholski von einem Steinschneider herge-
stellt und nach Konin gebracht, wo die Beisetzung demnach
wohl stattgefunden hatte. Die Herstellung des Epitaphs
und sein Transport zusammen betrugen nicht mehr als
6 Gld. Sehr viel Hess sich die Stadt kosten, ihre Brunnen
durch Werke der Plastik zu schmücken, von denen freilich
nur wenig auf uns gekommen ist. Im Jahre 1568 liess
man durch den Bildhauer Michael Floischer aus Liegnitz
1) 1591 Dom. Cantate : Olim Joannes Baptista murator ab late-
rificio civili ad praedium Vilda sitto remansit pro annis 13 reipublicae
Posnaniensi census annui per marcas 10. Spectabilis consulatus habens
respectum servitiorum ipsius erga rempublicam et operura non con-
temnenda laude per eum civitati fabricatorum uxori ipsius debitum
hoc solventi retentum trium annorum dimiserunt, reposuit reliquum
in paratis, quod nos percepimus 160 fl.
2) 1583 Dom. Cantate: Pro statua cum passione domini sculpta
ante ecclesiam s. Martini in limitibus civitatis et ejusdem ecclesie
posita 3 fl.
Posener Stadtrechnungen des XVI. Jahrhunderts. 279
zwei Statuen, je eine für einen Brunnen vor dem Rathause
und dem Hause des Bürgermeisters Skrzetuski für 26 Gid.
12 Gr. anfertigen. Was sie darstellten, gibt die Stadt-
rechnung nicht an, wohl aber, dass an ihnen eherne
Röhren angebracht waren, aus denen das Wasser heraus-
floss, und dass über diesen die Darstellungen an-
gebracht waren1). Am Sonntag vor Martini 1581 wurde
ein Posten für die Schnitzerei eines hölzernen Hirsches
der als Brunnenfigur verwandt wurde2), gebucht. Man
darf wohl annehmen, dass dieser Hirsch trinkend dar-
gestellt war. Sein Geweih war ein natürliches und wurde
besonders angekauft. Zwei Jahre darauf (am Sonntag vor
Kreuzerhöhung 1583) erhielt ein Maler 14 Gld. für die
Skulptur eines Löwen und die Wiederherstellung der
Statuen für die Brunnen. Während man also im 16. Jahr-
hundert mit Vorliebe Tierdarstellungen als Brunnenfiguren
gewählt zu haben scheint, zog man im 17. Jahrhundert
mythologische Darstellungen vor. In der Stadtrechnung
von 1614/ 15 befinden sich ausführliche Angaben über die
Errichtung von vier Fontänen mit vier Statuen aus Holz,
darstellend Jupiter, Apoll, Neptun und Mars mit einem
Gesamtaufwand von 1441 Gld. 9 Gr. 15 Den. Auch das
sonst an Luxusausgaben arme 18. Jahrhundert blieb hierin
nicht zurück. Die Jahresrechnung von 1753/54 gibt
näheren Aufschluss über die Errichtung zweier Fontänen
mit figürlichen Darstellungen und die Rechnimg von 1765
berichtet über die Zahlung von 980 Gld. an den Schnitzer
Schepc für eine Fontäne, offenbar den noch jetzt auf dem
1) 1568 Dom. Paschae Michaeli Floischcr de Legnicia a sculptura
duarum statuarum ad cisternas canalium, alterius ante pretorium
alterius ante lapideam d. Skrzetuski proconsulis Posn. consistentium
ex condueto numeravimus 26 fl. 12 gr. — Pro fistulis aeneis ad
stataas canalium, quibus aqua defluat comparatis 15 gr. A pictura
imaginum super statuis praefatis sculpturarum dedimus 18 gr. —
Famulo sculptoris, qui s tatuas in canalibus statuebat, 8 gr.
2) 1581 Dom. a. f. s. Martini: A labore sive pictura stemmatum
livilium in templo et a labore sculpturae cervi lignei supra cisternam
canalium positi 7 fl.
a8o Adolf Warschauer.
Markte stehenden Brunnen mit der Darstellung des Raubes
der Proserpina (1766).
Auch die Maler wurden mannigfach aus dem Stadt-
säckel in Nahrung gesetzt Fraglich ist es, was es wohl
für Fahnen gewesen sind, für deren Bemalung ein Maler
im Jahre 1536 eine kleine Summe Geldes gezahlt erhielt1).
Vielfach liess sich der Magistrat Bilder der regierenden
Könige und ihrer Gemahlinnen herstellen. Ein weiträu-
miger Saal in dem Hauptgeschoss des Rathauses erhielt
den Namen der „Königssaal* wohl daher, weil diese jetzt
leider meist verlorenen Gemälde dort aufgehängt waren
Als der Maler Keller aus Kalbe sich 1638 in Posen
niederliess, gewährt ihm der Rat nur unter der Bedingung
das Bürgerrecht, dass er die Bilder des Königs und der
Königin für das Rathaus male. Die ihm hierfür gelieferte
Leinwand findet sich mit einem Posten von 2 Gld. 15 Gr.
unter dem 6. August 1640 in der Stadtrechnung. Auch
ein Gemälde des Kaisers Karls V. hat die Stadt einmal
erworben: Das Bild wurde dem Rate aus Liegnitz
zugeschickt, und er zahlte dafür am Sonntag
Jubilate 1560 3 Gld. 24 Gr. Die strenggläubige
Denkweise der Bürgerschaft führte wohl auch
einmal dazu, das Bild eines neugewählten Bischofs
malen zu lassen. Es geschah dies bei Gelegen-
heit des Einzugs des Bischofs Johann Tarto. Der Künstler
hiess Jarecki und das ihm gewährte Honorar betrug 20 Gld«
8 Gr. Bei dem Posten, der vom 27. September 1724 datiert,
ist bemerkt, dass der damalige Stadtpräsident Topinski
das Bild, das offenbar während des Einzuges irgendwo
ausgestellt war, an sich genommen habe. Von dem
farbenfreudigen Sinne des 16. Jahrhunderts geben die
vielen Ausgaben für Malereien an den Fa^aden der
öffentlichen Baulichkeiten reichen Aufschluss. Nicht nur
die Front des Rathauses war mit Malereien geschmückt,
1 gr. 5 den.
*) 1536 Dom. Rcminiscerc: Pictori a pictura vcxillorum 2 fU
Posener Stadtrechnungen, des XVI. Jahrhunderts. 281
die immer wieder erneuert wurden, sondern auch die
untergeordneteren städtischen Gebäude, wie Marstall,
Wage, die Tore u. s. w. Wenn nichts anderes, so war
doch wenigstens über den Eingängen das städtische
Wappen gemalt, das übrigens auch einmal in der Pfarr-
kirche angebracht wurde1). Das Grosse Tor, das an der
Stelle stand, wo sich heute die Breite Strasse mit der Grossen
Gerberstrasse kreuzen, wurde in den Jahren 1569 bis 1571
mit Malerei versehen: auf dem Turme, der sich über dem
Tore erhob, wurde das städtische Wappen gemalt und das
gemalte Bild des gekreuzigten Heilands angeheftet2). Auch
auf dem Turme über dem Breslauer Tore befanden sich
Wappen, die Ende 1588 von einem Maler für 12 Gr,
wiederhergestellt wurden. Am Sonntag vor Bartholomaei
1578 wurden einem Maler, der die Wappen auf der Bres-
lauer Strasse malte, 3 Gld. 12 Gr. gezahlt. Reichlich mit
Malereien geschmückt wurde im Jahre 1620 die kleine
Brücke, welche über einen jetzt verschütteten Warthearm
zur Karmeliterkirche führte8). Die Rechnung des ge-
nannten Jahres gibt an, dass 150 Eisenbleche gekauft
wurden, auf denen das heilige Abendmahl und die
Passion zur Aufstellung auf der Brücke gemalt wurden.
Auf derselben Brücke fanden auch die Bilder der heiligen
Peter und Paul eine Stelle; zum Schutze dieser Bilder
dienten Schirmdächer. Freilich bewertete man diese
Malereien nicht sehr hoch; für die Bilder der heiligen
Peter und Paul wurden das Schutzdach eingerechnet 8 Gld.
20 Gr. gezahlt, und bei den erstgenannten Malereien
betrug das Honorar für den unbekannten Maler 12 Gld.,
während man für das Blechmaterial und die Schutzdächer
*) 1582 Dom. Cantate: Pictori a labore insignium civitatis in
ccclesia s. Mariae Magdalenae 2 fl.
2) T5°9/7° Dom. ante fest. s. Margarethe: Pictori ad racionem
picturae in Magna porta 6 fl.
1571 Dom. pridie s. Hedwigis: Pictori a pictura stemmatum in
nova turri Magnae portae 10 gr. et pictori crucifixi ad turrim portae
Magnae affixi 2 fl. 24 gr.
3) Vgl. Zeitschrift der HG Pos. VIII S. 385 ff.
282 Adolf Warschauer.
***4t- 15 Gld. bezahlte. Nicht künstlerlichen oder religiösen,
bitöer. sondern rein praktischen Zwecken dienten die Stadtbilder,
für deren Herstellung sich in den Stadtrechnungen des
16. und der ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts wie-
derholt Posten aufgeführt finden. Wir haben es offenbar
mit Stadtplänen zu tun, die in der alten Manier die Stadt
aus der Vogelperspektive gesehen darstellten und somit
ganz treffend auch als Bilder bezeichnet werden konnten.
Zum ersten Male wurde am Sonntag vor Luciae 1535
einem „Maler für das Malen der ganzen Stadt" eine
Summe von 1 Gld. 18 Gr. gezahlt Eine zweite derartige
Aufnahme der Stadt erfolgte im Jahre 1564, da zum
Sonntag vor Bartholomaei eine Summe von 12 Gld. zu
diesem Zwecke für den Maler Peter gebucht ist: bemerkt
ist hierbei, dass das Bild, das hier als „Typus" und polnisch
„Wizerunek* bezeichnet wird, dem König übergeben
wurde1). Sehr kurze Zeit darauf scheint eine neue Dar-
stellung nöthig geworden zu sein, da Sonntag vor Matthaei
1570 wieder eine Summe von 8 Gld. für einen Maler für ein
„Wizerunek" gebucht ist, das im Jahre darauf in Leinwand
verpackt nach Warschau gesandt wurde2). Am Sonntag
vor Fastnacht im Jahre 1578 wurde für 17 Gr. Leinwand
zum „Malen der Stadt" für einen Maler gekauft, doch ist
keine Summe als Honorar für den Maler selbst gebucht,
so dass diese Darstellung vielleicht nicht zur Ausführung
gekommen ist Dagegen scheint in den Jahren 1593 und
*) 1564 Dom. a. Bartholomaei: Petro pictori a typo civitatis
Sacrac Regiae Majestati exhibito dedimus 12 fl. 1567 Dom. a. fest,
nat. Mariae: Petro pictori ad racionem pictae civitatis Posnaniensis
anno praeterito dedimus 6 fl. 18 gr. 1568 Dom. Septuages.: Petro
pictori ad racionem pictae urbis Posnaniae seu wizerunku, ut vocaat,
dedimus 4 fl. Dom. Pasche: Petro pictori residuum peccuniae pro
picta civitate Posn. 11 fl. 12 gr. Im Ganzen sind also an den Maler
34 Gld. gezahlt worden.
*) 1570 Dom. ante Mathei: Pictori numeravimus a pictnra
Wizerunku 8 fl. 1571 Dom. Pentecostes: Pro linteo, quo pictnra civi-
tatis Posnaniensis Warschaviam missa involveretur, 5 gr. Dom.
Trinit.: A pictura civitatis Posnaniensis in linteo pictori dedimus 3 fl.
Posener Stadtrechnungen des XVI. Jahrhunderts. 283.
1594 wieder ein neuer Plan zu Stande gekommen zu sein,
obwohl es bei den etwas unklaren Notizen in den Stadt-
rechnungen hierüber1) nicht ersichtlich ist, ob nicht vielleicht
nur die Zeichnung eines einzelnen Stadtteils gemeint ist.
Sicherlich aber wurde Anfang 1615 ein neuer Stadtplan
hergestellt und am 28. Februar dem Maler mit 10 Gulden
bezahlt Er wurde für den Reichstag an den König Sigis-
mund III. gesandt, der ihn mit auf sein Zimmer nahm, wo
er in einen Rahmen gespannt verblieb. Freilich musste
die Stadt diese Ehre mit dem Verluste des Planes bezahlen,
so dass sie sich im Jahre darauf ein neues Exemplar von
dem Maler für 15 Gld. herstellen Hess2). Trotzdem sich
in dem Besitz des Königs ein Bild der Stadt befand, liess
der Magistrat doch im Jahre 1620 ein neues zur Über-
sendung an ihn herstellen und hierfür unter dem 4. April
3 Gld. buchen. Aus allen diesen Angaben muss geschlossen
werden, dass diese in kurzen Zwischenräumen hinter ein-
ander hergestellten Stadtpläne als Unterlage in prozessu-
alischen oder Verwältungsangelegenheiten, in denen die
höchste Entscheidung beim König lag, dienten. Leider
scheint es, dass keiner dieser alten Pläne sich erhalten
hat, es ist dies um so bedauerlicher, da sie offenbar sehr
gross gewesen sind — für das Stadtbild des Malers
Peter 1564 bezahlte der Rat am Egidiensonntag 1565
6 Ellen Leinwand8) mit 1 Gld. 6 Gr. — und somit das
Stadtbild mit allen Einzelheiten wiedergegeben haben
müssen. Nicht unmöglich ist es, dass auf den Plan von
1615 das Posener Stadtbild bei Braun und Hogenberg,
Contrafractur und Beschreibung von den vornembsten
l) I593 Febr. 3: Venceslao pictori a pictura mappae civitatis
anopliandae 3 fl. 1594 Dez. 31 : Malarzowi od malowania miasta
w ymion y miasteczka 1 fl. 36 gr.
*) 16 15 Febr. 28: Maliarzewi od konterfectu miasta Poznania,
ktory sie, IKM. na seima poslal, fl 10. 1616 Okt. 15: Maliarzewi od
drugi deliniaty miasta, bo pierwszq IKM do pokoiu swego wziat y
w ramach wprawiona tamze zostata.
s) Pro 6 ulnis telae ad contrafecturam urbis Posnan per 6 gr.
emptae dedimus t fl. 6 gr.
284 Adolf Warschauer.
Stetten der Welt, Köln 1618 Bd. VI, zurückgeht, das in
Kohtes Verzeichnis der Kunstdenkmäler Bd. II reproduziert
worden ist Im Jahre 1620, in dem das letzte der er-
wähnten Stadtbilder hergestellt worden ist, zahlte der
Magistrat einem „Akademiker**, also wohl einem Jesuiten-
schüler, für eine genaue Beschreibung der Stadt 10 Tlr.
27 Gld. 10 Gr.1). In späterer Zeit scheint man die Her-
stellung derartiger Stadtbilder aufgegeben zu haben. Erst
aus dem Jahre 1728 erfahren wir wieder von der Her-
stellung eines Stadtplans, der für den neu ernannten
Generalstarosten Johann Georg Przebendowski angefertigt
wurde, um diesem den handgreiflichen Beweis zu liefern,
dass den Bürgern von Posen nur noch etwa ein Drittel
des Grundbesitzes in der Stadt selbst und ungefähr ein
Zwanzigstes in der nächsten Umgegend gehörte, während
alles andere in fremde Hände, besonders die der Geistlich-
keit und des Adels übergegangen sei. Der Plan wurde
von einem Posener Schöffen Johann Rzepecki, einem ver-
eidigten Geometer, gezeichnet, wie es scheint unentgelt-
lich, da in den Stadtrechnungen kein Honorar gebucht
ist Nach der Zeichnung stellte der Posener Jude Moises
auf 2 Platten einen Kupferstich her, wofür er ein Honorar
von 96 Gulden erhielt. Die Polierung der Platten selbst
vor dem Stich kostete noch 18 Gld. Von den Platten
wurde zunächst ein Exemplar auf Atlas mit Goldspitze
für den Generalstarosten abgezogen, wofür die Stadtkasse
7 Gld. 24 Gr. zahlte. Für die anderen Abzüge verwandte
man Papier, das von einer Jüdin Littmann für 42 Gld.
62/8 Gr. geliefert wurde. Von diesem Plan existiert jetzt
nur noch ein vollständiges Exemplar im Besitze der
Handschriftenabteilung der Ks;l. Bibliothek zu Berlin2).
Endlich Hess auch gegen Ende der polnischen Zeit die
Kommission der guten Ordnung, die von 1779 — 81 in
l) Accademicowi, co miasto minutie przypissal, honorarii
10 Tal. 27 fl. 10 gr.
^ Genaues über diesen Plan habe ich in der Zeitschrift
HG Pos. IX S. 468 ff. mitgeteilt.
Posener Stadtrechnungen des XVI. Jahrhunderts. 285 •
Ptosen tagte, einen grossen und genauen Plan der Stadt
-zeichnen, doch ist über seine Herstellungskosten in den
Stadtrechnungen nichts zu finden gewesen.
Zur Geschichte des heimischen Kunsthandwerkes (,erÄte
^werden auch diejenigen Posten der Stadtrechnungen zu
^berücksichtigen sein, die von der Anschaffung rathäuslicher
Gerätschaften handeln, obwohl ja freilich nurausnahmsweise
solche vor vielen Jahrhunderten angeschafften Gegenstände
sich bis auf unsere Zeit erhalten haben. Wie jede irgend-
wie angesehene Stadt hatte auch die Stadt Posen im
16. Jahrhundert ihr Tafelsilber, von dem sie bei feier-
lichen Gelegenheiten Gebrauch machte. Da grössere An-
schaffungskosten nirgends erwähnt werden, so scheint es »
aus dem Mittelalter zu stammen, aus dem die Rechnungen
nicht vorhanden sind. Reinigungs- und Wiederherstellungs-
kosten werden hin und wieder aufgeführt: so unter dem
3. Dezember 1559 für Schmelzen von Silber für Löffel
1 Gld. 10 Gr., am 27. Juli 1567 einem Goldschmidt für
das Aufpolieren des grossen Silberbechers 16 Gr. 9 Den. Fort-
gesetzt wurden Richtschwerter gebraucht Am 28. Oktober
1584 wurde für die Reinigung von 13 solcher Schwerter
von denen die Rechnung ausdrücklich bemerkt, dass sie
zum Enthaupten gebraucht wurden, 2 Gld. 10 Gr. gezahlt.
Merkwürdig modern mutet uns ein Gerät an, das der
Magistrat im Jahre 1589 anschaffte : ein eisernes Instrument,
-Heber genannt, mit dem Häuser emporgehoben wurden1);
die Kosten betrugen 3 Gld. 15 Gr.
Endlich gehören hierher noch die von der Stadt an- Siegei-
geschafften Siegelstempel. Die Notizen hierüber sind um stemPe<-
*so beachtenswerter, da, wenn auch nicht die Stempel
selbst, so doch die mit ihrer Hülfe hergestellten W ichs-
•siegel vielfach noch heute vorhanden sind und die Be-
urteilung der künstlerischen Leistung ermöglichen. Am
5. Februar 1548 wurden dem Goldschmidt Caspar für die
*) 1589 Dom Invocavit: Pro instrumento ferreo, quo aedificia
clevantur, Heber dicto, dedimus 3 fl. 15 gr.
• 286 Adolf Warschauer.
Gravierung eines zum Siegeln mit Wachs und Talg
dienenden Petschafts 3 Gld. gezahlt. Ganz besonders
interessant aber ist der Posten von 12 Gld. in der Rech-
nung vom 13. Dezember 1579, die dem Goldschraid
Erasmus für ein neues Stadtsiegel gezahlt wurden *).
Hierdurch kann ein in einigen Wachssiegeln des Stadt-
archivs erhaltener Schnitt als ein Werk des durch seine
Musterzeichnungen rühmlich bekannten Goldschmieds
Erasmus Kamin nachgewiesen werden. Auch das Holz-
siegel zum Bedrucken der Stadtbücher, das der Magistrat
im Jahre 1570 mit 2 Gld. bezahlte, ist noch heute auf den
Einbänden der Stadtakten jener Zeit erkennbar2).
1ÄB°- Im 16. Jahrhundert hatte die Stadt auch Mittel für
wissenschaftliche Zwecke, besonders für die Ausgestaltung
ihrer Bibliothek übrig. So erwarb sie im Jahre 1595 aus
der Bibliothek des Schöffen Stephan Winkler, was ihr für
ihre Bedürfnisse notwendig zu sein schien, wofür sie
die allerdings nur recht kleine Summe von 5 Gld. 25 Gr.
bezahlte. Dieser Stephan Winkler war der Sohn des
Posener Stadtschreibers Blasius Winkler, eines hoch-
gebildeten, ja gelehrten Mannes, der wohl eine bedeutende
Bibliothek gesammelt hatte. Der Sohn, ein Kaufmann
der weniger Interesse für die Wissenschaft hatte, setzte
wohl eine Ehre darin, die Ratsbibliothek mit dem, was
sie brauchte, ihm aber entbehrlich war, zu bereichern.
In demselben Jahre kaufte die Stadt auch von dem Buch-
händler Sebastian Janeczek eine Anzahl nicht namentlich
in der Rechnung aufgeführter Bücher für 19 Gld. 11 Gr.
Sonst sind vielfach die gekauften Bücher einzeln mit
ihren abgekürzten Titeln in den Stadtrechnungen auf-
geführt Besonders berücksichtigt wurden naturgemäß
den praktischen Bedürfnissen der Verwaltung entsprechend.
i) 1579 Dom. a fest. s. Luciae: Erasmo aurifabro pro sigillo
magistratui noviter facto 12 fl.
2) 1570 Dom. Jubilate: Pro ligneo sigillo ad imprimendos
libros civitatis comparato numeravimus 2 fl«
Posener Stadtrechnangen des XVI. Jahrhunderts. 287
die Rechtswissenschaft und hier ebenso wieder den
speziellen Verhältnissen der Stadt angepasst, ebenso das
sächsische Weichbild- oder Magdeburgische als das
polnische Recht. Den Sachsenspiegel, bis zu ihrem Über-
gang an den preussischen Staat die Grundlage ihres Rechts-
lebens, erwarb die Stadt in allen möglichen Ausgaben.
Im November 1535 kaufte sie einen Liber speculi SaxonicL
Der Kaufpreis ist leider nicht erkennbar, da er mit einer
Zahlung für Maurerarbeiten am Schulhaus zusammen-
gekoppelt ist Die Gesamtsumme betrug 1 Mark 30 Gr.
In der Rechnung vom 25. Juni 1581 erscheint ein polnischer
Sachsenspiegel, ein interessantes Beweisstück für die
fortschreitende Polonisierung der Stadt Der Kaufpreis
betrug 5 Taler, wozu noch die Einbindungskosten mit
40 Gr. traten. Im Jahre 1612 erwarb die Stadt wieder
einen Sachsenspiegel und das polnische Promptuarium
von Szczerbicz «mit einem Buche Reichstagskon-
stitutionen zusammen für 10 Gld. 18 Gr. Es scheinen
die in Posen selbst im Jahre 1610 bei Wolrabe gedruckten
Ausgaben des Sachsenspiegels zu sein, wenigstens besitzt
die Stadtbibliothek sie noch heute 1). Zum letzten Mal ist
eine Ausgabe für einen Sachsenspiegel und zwar wieder
für einen polnischen am 26. November 1616 notiert- Er
sollte für die Ratsstube dienen.
Je mehr die Stadt ihre mittelalterliche eximierte
Stellung verlor, um so grösseres Interesse musste sie
auch an dem Rechtsleben des polnischen Staates nehmen.
Sie erwarb deshalb die Statutenbücher des Reiches, ein
Exemplar im Jahre 1560 für 5 Gld. 18 Gr. und ein zweites
1570 für 5 Gld.; in diesen Preis waren zugleich die mit-
gekauften Reichstagsbeschlüsse einbegriffen. Das letzt-
erworbene Exemplar waren wohl des Herburt de Fulstin
Statuta regni Poloniae in ordinem alphabeti digesta.
*) Szczerbicz, Speculum Saxonum. Posen, Wolrab 1610 und
Sekretarz K. J. M. Jus municipale Magdeburskie nowo z Lacinskiego
y z Niemieckiego na Polskie . . przeloione. Posen, Wolrab 1610.
288 Adolf Warschauer.
Sicherlich besass der Rat dieses Buch, da er 1599 eine
Summe für das Einbinden desselben bezahlte. Das um-
fassendste juristische Werk, das die Stadt im 16. Jahr-
hundert erwarb und noch jetzt besitzt, ist der gewaltige
Oceanus juris in 12 grossen Foliobänden. Dies erhielt
sie im Jahre 1597 von Johann Izdbinski, der damals das
Amt eines stellvertretenden Starosten in Posen bekleidete,
geschenkt. Dem Diener, der es brachte, verehrte sie
die ansehnliche Gabe von 12 Gld.
Überhaupt wurde die Bibliothek vielfach durch
Geschenke bereichert, wobei der Rat sich aber regel-
mässig dem Geber oder — wo dies nicht anging — dem
Boten gegenüber erkenntlich erwies. Vielfach ist wohl
auch die Gabe vornehmlich in Rücksicht auf das zu er-
wartende Gegengeschenk gemacht worden. So erhielten
im Jahre 1575 die Studenten des erst vor Kurzem ge-
gründeten Jesuitenkollegiums, die dem Rat ihre Reden über-
reichten, eine Verehrung von 4 Gld. 16 Gr. (Vgl. oben S. 276).
Dieses gute Verhältnis zu den Jesuiten hielt den Rat aber gar
nicht ab, kurz darauf im Jahre 1577 dem protestantischen
Drucker Melchior Nehring 15 Gld. auszahlen zu lassen»
wobei freilich dahingestellt bleibt, ob dies eine Unter-
stützung für den tatsächlich in bedrängten Verhältnissen
lebenden Drucker oder Entgelt für gelieferte Drucksachen
war. Kirchlichen Zwecken dienten auch die Noten und
Gesänge, die die Stadt hin und wieder erwarb. So zahlte
sie um Neujahr 1571 für Motetten oder Gesänge ver-
schiedener Autoren, die sie zum Schmucke der Kirche
kaufte, 5 Gld. In demselben Jahre schickte dem Rate
der Breslauer Bürger Jacob Scholz 6 Bücher Gesänge,
zweifellos als Geschenk; denn der Rat beschenkte
den Boten mit 3 Gulden und verausgabte für seine
Zehrung noch ausserdem 4 Gld. 12 Gr. Ebenso wurde
ein Bote, der im Jahre 1590 dem Rate einen Gesang:
Te deum laudamus überreichte, mit 1 Gld. belohnt
Den eigentlichen Geber nennt die Rechnung nicht
Ein grösseres kunsthistorisches Interesse als diese musi-
kalischen Gaben aber hat es für uns, wenn wir in der
Posener Stadtrechnungen des XVI. Jahrhunderts. 289
Rechnung vom 11. März 1576 lesen, dass Erasmus Kamin,
der Goldschmied, das Buch der von ihm gedruckten Wappen
und Musterzeichnungen dem Rate geschenkt und hierfür
22 Gld. 20 Gr. als Gegengabe erhalten hat1). Die beiden
noch vorhandenen Ausgaben der Musterzeichnungen des
Erasmus Kamin stammen aus den Jahren 1552 und 1591.
Die angeführte Notiz macht es wahrscheinlich, dass zwischen
diesen beiden Ausgaben noch eine — jetzt nicht mehr
erhaltene — erschienen ist, was übrigens aus dem Titel
der letzten Ausgabe schon ohnehin als wahrscheinlich zu
schliessen war2). In unserer jetzigen Ratsbibliothek ist
die Gabe des Erasmus Kamin von 1576 bisher noch nicht
wieder aufgefunden worden. Auch das historische Interesse
scheint nicht ganz gefehlt zuhaben, wenigstens eine alte
Chronik besass die Stadtbibliothek, die sie im Jahre 1593
für 8 Groschen binden liess. Im Jahre 1616 liess der Rat
einem Chronisten, der eine Chronik drucken lassen wollte,
3 Gld. reichen, und einem Dichter, der 161 1 die Eroberung
von Smolensk durch die Polen besang, wurden 2 Gld.
verehrt. — Geschenkweise kamen auch naturwissen-
schaftliche Bücher in die Stadtbibliothek. So schenkte im
Jahre 1586 ein gewisser Turnaiser, ein seiner Zeit sehr
bekannter Gelehrter, dem Rate ein von ihm herausgegebenes
Herbarium; der Läufer, der es brachte, wurde mit einem
Taler belohnt Im Jahre 161 1 brachte ein Bote drei
Bücher, die ein Dr. Etzler in Stuhlweissenburg in Ungarn
geschrieben hatte und dem Rate schenkte. Der Titel
dieser Bücher ist nicht bekannt. Wenig nützlich mag
wohl dem Rat ein spanisches Buch (libellus Iberius)
erschienen sein, das ein Student aus Ingolstadt, der Sohn
des Posener Bürgers Peter Hopp, im Jahre 1595 dem Rate
schickte und wofür er 2 Gulden erhielt. Da weder Titel
noch Verfasser des Buches angegeben ist, so mag man
*) I576 Dom. Carnisprivii : Erasmo Kamin anrifabro, qu
librnm stemmatam et insigniumper ipsum impressorum sp. con-
snlatai donavit, jassu d. consulum dedimus 22 £1. 20 gr.
*) Zeitschrift HG Pos. IX S. 23.
Zeitschrift der Hist. Ges. für die Prov. Posen Jahrg. XX. 19
290 Adolf Warschauer.
wohl annehmen, dass es keiner der Ratsherren lesen konnte.
Es scheint beinahe so, als ob der junge Herr sich einen
Studentenulk mit dem Rate seiner Heimatstadt hat machen
wollen.
Besonders tief pflegte der Rat in den Stadtsäckel
zu greifen, wenn ein Schriftsteller ihm ein literarisches
Werk offiziell widmete. Für diese Ehre scheint man in
Posen in der guten Zeit, also im 16. und der ersten
Hälfte des 17. Jahrhunderts, sehr empfänglich und dankbar
gewesen zu sein. Es sind aus den Stadtrechnungen
8 Fälle festzustellen, in denen der Rat solche Wid-
mungen angenommen und gewöhnlich recht anständig
belohnt hat. Im Jahre 1570 widmete ihm der Arzt Dr. Johann
Schiller aus Neisse sein Büchlein über öffentliche sanitäre
Massregeln bei Pestepidemieen1), was dem Rat wohl um
so willkommer war, als man erst im Jahre 1568 in Posen
eine furchtbare Epidemie durchgemacht hatte. Der Arzt
erhielt eine Ehrengabe von 10 Gld. und sein Bote ein
Zehrungsgeld von 1 Gld. 27 Gr. Weniger praktischen
Zwecken diente das Buch, das im Jahre 1583 Friedrich
Moller aus Rastenburg dem Posener Rat widmete. Es
handelte von der Schöpfung und dem Fall der Engel (de
creatione et lapsu angelorum) und brachte dem Verfasser
ein Ehrengeschenk von 5 Gld. 18 Gr. ein. In demselben
Jahre widmete auch ein ungenannter ßromberger dem
Posener Rat ein Buch und erhielt dafür 4 Gld. 19 Gr.
Eine weitere Dedikation stand mit der schon erwähnten
Eroberung von Smolensk im Jahre 161 1 in Verbindung.
Ein gewisser Antonius schrieb über dies Ereignis ein
Gedicht und widmete es dem Rat, wofür er eine Belohnung
von 14 Gld. erhielt. Ende 1614 widmete dann der Sohn des
städtischen Syndikus Paul Widbor dem Rat seine Dissertation
und bekam dafür 30 Gld. Die letzten drei Widmungen, von
*) I57° J°h- Bapt: Joanni Schillero doctori Nissae habitanti
pro libello de regimine contra febres pestilentiales conscripto et sp.
consulatui Posn. dicato 10 fl. jussu consulum, tabellario vero pro
victu fl. 1 gr. 27 dedimus.
Posener Stadtrechnungen des XVI. Jahrhunderts. 291
denen die Rechnungen berichten, rühren von Mönchen her,
die ihre religiösen und theologischen Thesen dem Rate
zueigneten. Sie sind ein redendes Zeichen für den Geist
der Gegenreformation, der sich um diese Zeit immer mehr
in Posen ausbreitete. Zuerst dedizierte im Jahre 1619 der
Franziskanermönch Jaskowicki dem Rat solche Thesen und
erhielt dafür 10 Gulden, dann im Jahre 1644 ein Student
des Jesuitenkollegiums und 1649 ein Karmelitermönch,
welche beide je 30 Gulden dafür erhielten. Leider konnte
bisher noch keine dieser der Stadt gewidmeten Schriften in
der Stadtbibliothek selbst oder in irgend einer anderen
Sammlung wieder aufgefunden werden.
Endlich seien hier noch einige Notizen über die M^z-
städtische Münze erwähnt, die das von Kirmis über diesen wcscn-
Gegenstand gesammelte Material1) ergänzen. Am Sonntag
vor Simon und Juda 1567 wurden 8 Groschen für zwei
Typen oder Zeichnungen der neuen Taler bezahlt2).
Diese Taler können freilich nicht aus der städtischen Münze
hervorgegangen sein, da diese privilegienmässig nur zum
Schlagen von Denaren befugt war, vielmehr müssen es
Taler der königlichen Münze gewesen sein, die tatsäch-
lich um diese Zeit mit der Talerprägung begann. Als in
den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts die städtische
Münze in Posen von Engelbert Geil wieder neu ein-
gerichtet wurde, sandte man Proben der neu geprägten
Geldstücke an den Unterschatzmeister der Krone und
buchte dafür am 1. Februar 1603 die Summe von
13 Gld.8). Im Rechnungsjahre 1608/9 baute sich die
Stadt ein eigenes Münzgebäude, das neben dem städ-
tischen Badehaus (auf der Büttelstrasse) gelegen war.
J) Kirmis M.f Geschichte der städtischen Münze von Posen.
Zeitschrift H G Pos. II 261—282.
2) Pro 2bus typis alias wyzerunky novorum talerorum 8 gr.
*) Jego Mosci panu podskarbiemu koronnemu przes nasze
pany poslance pieniaszk y kwartniczkow nowy proby mouety do
Krakowa poslalizmy 13 fl.
19«
292 Adolf Warschauer.
Die Summe aller hierfür entstehenden Kosten betrug
457 Gld. 14 Gr. 12 Den. Im Jahre 1619 endlich muss
die Stadt mit einem in den Rechnungen nicht genannten
betrügerischen Münzmeister schlechte Erfahrungen gemacht
haben. Sie nahm seine Pferde weg, und es wurde für
ihre Fütterung in der Stadtrechnimg eine kleine Summe
gebucht
Der Hostjendiebstahl zu Posen im Jahre 1399.
Von
Rodgero Prümers.
ine schwere Beschuldigung ist vor langer Zeit
gegen die Fosener Juden erhoben worden, wie
sie schwerer von christlicher Seite kaum gedacht
werden kann, und unter der sie Jahrhunderte lang haben
leiden müssen. Sie sollten im Jahre 1399 den Diebstahl
von Hostien veranlasst und diese mit ihren Messern
durchstochen haben, um Christus selbst zu verhöhnen
und zu peinigen.
Eine ungeheuerliche Anklage, deren Grundlosigkeit
die Juden stets beteuert haben. Aber immer ist sie wieder
aufgetaucht und hat die Juden in Not und Verfolgung
gebracht.
Darum ist es gewiss am Platze, an der Hand des vor-
liegenden geschichtlichen Materials der Sache auf den
Grund zu gehen und zu untersuchen, welche Tatsachen
die Veranlassimg zu dieser Beschuldigung gegeben haben.
Da besitzt nun zunächst das Königl. Staatsarchiv zu
Posen unter seinen Beständen eine Urkunde l), die sich auf
*) Posen, Karmeliter Nr. 1.
294 Rodgero Prümers.
die Gründung der Karmeliterkirche zu Posen bezieht und
wegen der Begleitumstände dieser Gründung sehr be-
merkenswert ist Es wird nämlich in ihr von dem Aus-
steller, König Wladislaw Jagiello, erzählt, dass er die
Kirche nebst Kloster in der Vorstadt Posen an dem Orte
errichtet habe, wo der göttliche Leib, wie bekannt, einst
gefunden ist Die Urkunde ist wichtig genug, um sie ia
einer wörtlichen Übersetzung hier folgen zu lasssen.
Wir Wladislaw, von Gottes Gnaden König von Polen,
oberster Fürst der Lande Krakau, Sandomirien, Siradien,
Lancicien, Ciyavien, Lithuanien, Erbherr von Pommereilen
und Preussen, thun kund durch Gegenwärtiges Allen und
Jedem, die es angeht, den Gegenwärtigen wie den Zu-
künftigen, dass wir auf die inständigen Bitten des ehr-
würdigsten Vaters in Christo, des Herrn Albert, von
Gottes Gnaden Bischofs zu Posen, des von uns in auf-
richtiger Frömmigkeit geliebten, auch angefeuert durch
frommen Eifer und mit besonders frommen Gefühlen, in
Ansehimg der Lage der Brüder vom Orden der heiligen
Jungfrau Maria vom Berge Carmel und ihrer Gottesver-
ehrung, welche der Vater des Lichtes in seinem Hause
mit Sternenklarheit erglänzen liess, und da wir wünschen,
dem Tag der letzten Ernte durch fromme Werke zuvor-
zukommen und in Hinblick auf die ewigen Güter etwas von
den durch den Höchsten auf dieser vergänglichen Erde
uns verliehenen auszusäen, was wir mit vielfältiger Frucht
in ewiger Glückseligkeit wieder einzuheimsen vermöchten,
wodurch wir auch in heilsamem Austausch einen ewigen
Anteil an dem oberen Jerusalem, dem Jerusalem sage ich,
welches als Stadt gebaut wird, erwerben möchten, —
eine Kirche zugleich mit einem Kloster des vor-
genannten Ordens zum Lobe des allmächtigen Gottes und
zur Ehre des hochheiligen Leibes unseres Herrn Jesus
Christus in der Vorstadt unserer Stadt Posen an dem
Orte, wo der göttliche Leib selbst, wie bekannt, einst
gefunden ist, wegen Vergebung unserer Sünden wie auch
der berühmten Königinnen, unserer Gemahlinnen, der ver-
Der Hostiendiebstahl zu Posen im Jahre 1399. 295
storbenen Hedwig und der jetzigen Anna, gegründet1),
errichtet, bewidmet haben, wie wir sie auch jetzt
gründen, errichten, bewidmen und begaben.
Dieser Kirche und Kloster, seinem Prior und Convente
haben wir nach unserer bestimmten Kenntnis, auch nach
dem empfehlenden Rathe unserer Barone in beständiger und
unwiderruflicher Schenkung gegeben, geschenkt, zugeteilt,
inkorporiert und übereignet und geben, schenken, fügen
und teilen zu, übereignen, inkorporieren, übertragen und
spenden für den Bau und Grund und Boden 17 Morgen
Land in der Länge, 14 Morgen in der Breite an dem
ebenen Orte, wie in der Tat schon die Kirche und das
Kloster selbst gebaut werden, die durch den vorgenannten
Herrn Bischof und unseren Starosten, sowie die Rath-
mannen der vorgenannten Stadt Posen auf unseren Befehl
aus- und abgemessen sowie thatsächlich begrenzt sind,
und eine Mühle mit vier Rädern, die auf der Warthe neu
erbaut werden soll gegenüber unserem Erbgut oder Vor-
werk Rataj, einen Weingarten oder Weinberg, der einst
einem gewissen Stular gehörte, in Neudorf, und zwei
Fischer, die dem Kloster und Convent zum Fischen für
den Bedarf und Notdurft dienen sollen, erlaubter Weise
und frei in unseren Gewässern um die Warthe herum
und in der Warthe selbst, auch einen Fischteich für den
Klosterbedarf hinter dem Kloster selbst auf der Ebene und
in dem Wasserbecken, welches von der Warthe bis zu
einem anderen kleineren Flusse allmälig gegen einen
westlich gelegenen Berg dort sich erstreckt, zu machen,
einzurichten, zu erbauen und auf beliebige Weise in Stand
zu setzen, mit allen Nutzungen, Zinsen, Einkünften, Nutz-
*) quod ad instantes peticiones reverendi in Christo patris
domini Alberti dei gratia episcopi Poznaniensis devoti nobis sincere
dflecti, speciali eciam zelo devocionis accensi et conditionem fratrum
ordinis sancte Marie de monte Carmeli — contemplantes — ecclesiam
unacum monasterio ordinis predicti in suburbio civitatis nostrePoznanie
in loco, ubi ipsum corpus dominicum miraculose olim inventum esse
dinoscitur, ob remissionem peccatorum nostrorum ac eciam inclitarnm
Hedviigis defuncte et Anne moderne reginarnm conthoralium nostra-
rum fundavimus, ereximus, dedicavimus.
296 Rodgero Prümers.
niessungen, Fischereien, Gewinnen, Weinernte und allen
jetzigen und zukünftigen Erträgen, durch das vorgenannte
Kloster, seinen Prior und Convent beständig, frei und ruhig
zu behalten, zu haben, zu besitzen, zu gebrauchen und
zum beliebigen Gebrauch zu verwenden. Zum Zeugniss
dieser Urkunde ist unser Siegel angehängt. Geschehen
zu Krakau, am Sonnabend vor dem Sonntage Oculi mei
(13. März) in den Fasten im Jahre des Herrn 1406, in
Gegenwart der ehrwürdigen Väter in Christo, der Herren
Nicolaus aus göttlicher Gnade Erzbischofs der heiligen
Gnesener Kirche, des Bischofs Petrus von Krakau, des
vorgenannten Bischofs Albert von Posen, sowie der edlen
und gestrengen Herren Johann von Tharnow, Palatins zu
Krakau, Johann Liganza, Palatins von Lancicien, Petrus
Kmytha, Palatins von Sandomirien, Michael, Burggrafen
zu Lublin, Clemens von Moskorzow, Burggrafen zu
Wislica und Starosten zu Krakau, unserer getreuen ge-
liebten Ritter, und vieler anderer glaubwürdiger Leute.
Gegeben durch die Hand des von uns aufrichtig geliebten
ehrwürdigen Nikolaus, Domherren der Kirchen zu Krakau
und Sendomir, Probstes des hl. Florian und Vicekanzlers
unseres Hofes.
Dies also ist die Gründungsurkunde der Karmeliter-
kirche zu Posen, die jetzt allgemein die Corpus Christi
oder Fronleichnamskirche heisst. Betrachten wir sie
genauer, so ersehen wir, dass im Jahre 1406 der Bau der
Kirche bereits in Angriff genommen war, denn der König
spricht davon, dass er sie errichtet hat. Und das wird
bestätigt durch zwei Indulgenzbriefe l) des Papstes Boni-
faz IX. vom 9. Juli 1401 und vom 18. August 1403, in
denen dieser den Gläubigen, die zur Kirche des Corpus
Christi Klosters ausserhalb Posens wallfahrten und opfern,
Ablass verheisst. Aus dem Jahre 1404 sind auch mehrere
Vermächtnisse zum Bau der Kirche urkundlich bekannt*).
*) Arch. Vatic. Bonifacii IX. reg. Latcr. Vol. 89 foL 12 b, 13a
und Vol. 108 fol. 254 a b.
*) Vgl. Warschauer, Stadtbuch von Posen I S. 53 Nr. 64, S. 55
Nr. 69.
Der Hostiendiebstahl zu Posen im Jahre 1399. 297
Weiter sagt der König, die Kirche sei in der Vor-
stadt von Posen an dem Orte errichtet, wo der göttliche
Leib selbst einst auf wunderbare Weise, wie bekannt, ge-
funden wurde. Wir dürfen daher annehmen, dass er von
einer Überlieferung spricht. Hätte sich dies Ereignis zu
seiner Zeit zugetragen, so würde er es durch „vor Kurzem*
oder „während meiner Regierung" zum Ausdruck gebracht
haben. Auch das Wort dinoscitur setzt nicht ohne weiteres
das Ereignis, welches es bezeichnet, als sicher bewiesen
voraus. Dinoscere erklärt Georges1) als „etwas an
bekannten Merkmalen erkennen, vom anderen unter-
scheiden", Dieffenbach2) als „bekennen*.
Auch die Unbestimmtheit der Angabe: inventum
esse dinoscitur, lässt darauf schliessen, dass ein sicheres
Wissen nicht vorlag, andernfalls würde der König wohl
inventum est geschrieben haben.
Fassen wir das Gesagte nochmals zusammen, so lässt
sich folgendes Ergebnis feststellen: Vom Könige ist die
Corpus Christikirche gegründet worden an der Stelle, wo
einst der Leib Christi gefunden wurde, — wir dürfen
hinzusetzen: wie überliefert worden ist Hier nun ge-
schahen Zeichen und Wunder, wie Papst Bonifaz IX. in seinen
Indulgenzbriefen berichtet, wodurch er veranlasst wurde, den
gläubigen und opferwilligen Wallfahrern Ablass zu erteilen.
Wovon aber in den vorliegenden gleichzeitigen Ur-
kunden nicht die Rede ist, das ist die gegen die Juden
erhobene Beschuldigung des Hostiendiebstahls und der
Hostienschändung, und auch die nachfolgenden Könige,
die mehrfach diese Urkunden bestätigten, erwähnen eine
etwaige Schuld der Juden mit keinem Worte.
Auch eine andere Urkunde9) König Wladislaws vom
30. Juni 1428, durch die er dem Karmeliterkloster zu Posen,
*) Georges, Lateinisch-Deutsches Wörterbuch.
*) Dieffenbach, Glossarium latino-germanicum mediae et infimae
aetatis.
*) Original im Kgl. Staatsarchiv zu Posen: Posen, Karmeliter
Nr. 2. Ad monasterium sive locum Corporis Christi extra muros
civitatis Poznaniensis per nos fundatum et erectum, quod dei pietas
magnis miraculorum decoravit insigniis, gerentes affectum.
I
9cß Rodgero Prümcrs.
das von ihm gegründet und erbaut sei, zwei Hufen bei
Starolenka schenkt, spricht wohl von den grosses
Wundern, die geschehen seien, aber nicht von der
Hostiengeschichte. Ebenso schweigen hierüber die Be-
stätigungen der ersten Urkunde durch die Könige Sigis-
mund L vom 21. April 1513, Stefan vom 14. April 1578*
Sigismund III. vom 27. März 1613, Wladislaw IV. vom
26. Februar 1633.
Ebensowenig finden wir in einer Urkunde des Papstes
Sixtus IV. vom 22. Juli 1472 auch nur ein Wort über den
Hostiendiebstahl. Papst Sixtus verheisst lediglich denen
Ablass, die einen bestimmten Beitrag zum Neubau der
Karmeliterkirche und des Klosters ausserhalb Posens
leisten, für die die gläubigen Christen jener Gegenden
wegen der Heiligkeit des Ortes und der Verehrung des
allerheiligsten Leibes Christi, sowie wegen des ehrenhaften
Lebens und der exemplarischen Sitten der Brüder des
vorgenannten Ordens und Hauses eine besondere Ehr-
erbietung zeigen sollen1).
Immerhin wollen wir nicht unerwähnt lassen, dass
in den Posener Grodbüchern der Jahre 1399 — 1401 sich
keine die Posener Juden betreffende Eintragungen finden,
während sie vor und nachher häufig erwähnt sind. Es
ist daher nicht unmöglich, dass sie in diesen Jahren aus
irgend einem Grunde eingekerkert waren. Hätte dies
aber im Zusammenhang mit der Auffindung der Hostien
gestanden und wäre ihnen irgend eine Schuld nach-
gewiesen worden, dann würde sicherlich in Wladislaws
Urkunde Bezug darauf genommen sein.
*) Vgl Ehrenberg, Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte
der in der heutigen Provinz Posen vereinigten ehemaligen polnischen
Landesteile, Leipzig 1892, S. 19: ecclesia et domus corporis Christi
ordinis Carmelitarum extra muros Poznanienses, ad quos Christi-
fidel es partium illarura propter loci religionem ac venerationem
sacratissimi corporis Christi honestamque vitam et mores exemplares
fratrum ordinis et domus predictorum singularem devotionis aflectum
gerer e dicuntur.
Der Hostiendiebstahl zu Posen im Jahre 1399. 299
Und doch ist es nicht unmöglich, ja sogar wahr-
scheinlich, dass ein solches Gerücht im Volke schon frühf
vielleicht schon zur selben Zeit Eingang und Verbreitung
gefunden hatte. Denn es ist eine eigentümliche Erschei-
nung, dass die Erzählung von der blutenden Hostie dann
auftritt, wenn abweichend von der Lehre der katholischen :
Kirche der Genuss des Weines oder des Blutes im Abend-
mahle für die Laien gefordert wird. Dem Volke wird da- \
durch ge wissermassen klar gemacht, dass in der Hostie, lx
in dem wirklichen Leibe Christi, das Blut bereits enthalten
sei. Tauchte aber irgendwo das Gerücht auf, eine Hostie
sei verletzt und habe geblutet, wer anders sollte wohl
sich an der Hostie vergriffen haben, als die ungläubigen
Juden, die schon Christus selbst ans Kreuz geschlagen
und sein Blut vergossen hatten! Halten wir damit die
Wiclifsche Forderung des Abendmahls in beiderlei Gestalt
zusammen und vergegenwärtigen uns, dass Wiclif am
31. Dezember 1384 verstarb, so können wir das Gerücht
von dem aus der Hostie geflossenen Blute im Jahre 1399
verstehen.
Möglich, dass es eine Wiedergabe solcher Erzäh-
lungen ist, wenn Dlugosz, der um die Mitte des 15. Jahr-
hunderts schrieb, in seiner Historia Poloniae zu
«diesem Jahre vermerkt: Am 15. August nahm eine Frau
zu Posen, die im Dominikanerkloster mit dem göttlichen
Sakrament des Abendmahls versehen war, die Hostie aus
dem Munde, um sie den Posener Juden zu verkaufen. Sie
wurde auf den Posener Stadt -Wiesen gefunden und
begann, am Orte der Auffindung den Sterblichen grosse
l) Veneris die quinta deeima Augusti mulier quaedam de
Posnania, procurata in monasterio fratrum Praedicatorum Posnaniae
divinissimo eucharistiae sakramento, illud ex ore sustulit, Judaeis
Posnaniae commorantibus venditura. Quod in pratis civitatis Posna-
niensis repertum magna mortalibus praestare beneficia in loco
inventionis coepit. Cuius rei devotione Wladislaus Poloniae rex
motus in loco eodem fratrum Carmelitarum erigit coenobium sub
titulo Corporis Christi et choro monasterii de cocto latere pulcher-
rimo opere fabricato molendinum regium pro sustentatione fratrum
dat praedicto coenobio in dotem.
30O Rodgero Prümers.
Wohltaten zu erweisen. Aus Ehrfurcht hierfür errichtete
König Wladislaw von Polen ein Karmeliterkloster mit
Namen Corpus Christi, Hess den Klosterchor aus Back-
steinen sehr schön aufbauen und gab für den Unterhalt
der Brüder dem genannten Kloster eine königliche Mühle l)
zur Ausstattung.
Dlugosz bringt also schon die Juden in die Sache
hinein. Aber auch er weiss nichts von ihrer tätigen Mit-
wirkung.
Die erste ausführlichere Nachricht findet sich in einem
handschriftlichen Predigtbuche aus den 90 er Jahren des
15. Jahrhunderts, das von einem Mönche des Klosters
Tremessen, Michael von Janowitz, zusammengestellt w urde.
Er spricht in diesem auf Blatt 133 von den Eigenschafte n
der konsekrierten Hostie und fügt dann als Beispiel hin-
zu: Von einem Weibe, das den Leib Christi den Juden
verkauft hat, und das geschah zu Posen bei den Domi-
nikanern. Nachdem sie das verehrungswürdige Sakrament
von jenem Weibe erhalten hatten, gingen sie in einen
Keller und kreuzigten ihn dort und durchstachen ihn mit
einem Messer, so dass das Blut Christi aus der konse-
crierten Hostie ausströmte. Darnach trugen sie diese
dort zu einem Sumpfe, und da ist sie durch einen Hirten
gefunden worden. Dort haben sie die Corpus Christi-
Kirche erbaut1).
Mit den wunderbarsten Ausschmückungen aber malt
sich das Bild im Wandel der Zeiten! Im Jahre 1609 er-
*) Raczynskische Bibliothek zu Posen, Handschrift Nr. röi
Bl. 133 : Exemplum de una muliere, que corpus Christi Judeis ven-
didit, et hoc factum est Poznanie apud nigros monachos, recipientes
venerabile sacramentum ab iila muliere iverunt ad unum celarium,
ibi eum crucifixerunt et cultello kloly, itaut sanguls Christi de tüa
hostia consecrata krzykala, post eam ibi deportaverunt na yedno
blonye et ibi est inventa per unum pastorem. Ibi edificaverunt tem-
plum corporis Christi. Vgl. die Ausführungen Brückners über die
polnischen Glossen im Archiv für slavische Philologie Bd. X S. 384.
Der Hostiendiebstahl zu Posen im Jahre 1399. 3OL
schien ein Buch unter dem Titel1): Des allerheiligsten
Corpus Christi zu Posen Geschichte und Wunder, die in
der Posener Karmeliterkirche die göttliche Güte wirkt,
durch die fleissige Arbeit des Thomas Treter, Küsters zu
Posen und Domherrn von Ermland, aus alten Manuskripten
und der Vorfahren Überlieferung getreulich zusammen-
getragen und mit Kupferstichen durch Blasius Treter,
Vikar von Ermland, illustriert.
Das Buch enthält ausser mehreren Vorreden die
Geschichte des Hostiendiebstahls und daran angeschlossen
die Erzählung einer Fülle von Wundern.
Am Kopfe dieser Untersuchung gaben wir die untere
Leiste des Titelblattes wieder, die schon erkennen lässt,
in welchem Geiste das Buch geschrieben ist, und wie man
auf die Leidenschaften des Volkes einzuwirken suchte.
Gewidmet ist das Werk dem Andreas Opalinski,
Bischof zu Posen2). Treter erzählt in der Widmung an den
Bischof, dass er, ein geborener Posener, schon in seiner Jugend
gern diesen heiligen Ort, das Karmeliterkloster, aufgesucht
und mit den Mönchen sich über die Wunder unterhalten habe.
Gern hätte er die Majestät dieses Ortes durch seine
Schriften verkündet, doch sei er durch einen beinahe
25jährigen Aufenthalt in Rom, wo er auch mit dem Bischof
zusammen studiert, davon abgehalten. Er habe aber ge-
wissermassen als Unterpfand des grösseren Werkes von
dort die Geschichte und den Plan des ganzen Buches,
geschmückt mit 10 Kupferstichen, an das Karmeliterkloster
zu Posen geschickt. Nach seiner Rückkehr in das Vater-
land hat Treter dann den Rest der Arbeit beendet
Da das Buch ausser dem Titelblatt und einer grossen
Abbildung der Monstranz, in der die wundertätigen
]) Sacratissimi Corporis Christi hlstoria et miracula, quae in
ecclesia Posnaniensi ordinis sanctae Carmelitarum divina bonitas
opcratur, studio et labore Thomae Treten, Posnanien. cttstodis et
canonici Varmien., ex antiquis m. s. libris et maiorum traditione
fideliter collecta et aeneis typis per Blasium Treterum, vic. Varmien.
illnstrata. Anno domini MDCIX.
a) 1607—1633.
302 Rodgero Prümers.
Hostien aufbewahrt wurden, 10 numerierte Kupferstiche
enthält, so dürfen wir vielleicht annehmen, dass diese in
Rom gestochen sind, und die Mitwirkung des Blasius
Treter bei der Illustrierung des Buches sich auf die beiden
erstgenannten Stücke beschränkt Zudem trägt das Titel-
blatt die Buchstaben B. T. und die Abbildung der Mon-
stranz den Vermerk1): zum Lobe und Ruhme des all-
mächtigen Gottes stach es Blasius Treter, Vikar der
Ermländischen Domkirche, im Jahre 1609. Die übrigen
Kupferstiche sind nur mit den Nummern 1 — 10 bezeichnet.
Interessant ist auch bei der Zeichnung der Monstranz,
dass, trotzdem Thomas Treter von drei Hostien berichtet,
Blasius nur ein Behältnis dafür darstellt. Er wird das richtige
Bild von der Monstranz geben, wie sie vom König Wladislaw
Jagiello dem Kloster geschenkt wurde. Denn vor Thomas
Treter ist von drei Hostien nie die Rede. Weder der König
in der Gründungsurkunde noch Dlugosz wissen von dreien.
Nach Dlugosz kann das Weib, indem es kommunizierte,
auch nur eine Hostie unterschlagen und fortgebracht haben.
Erst Thomas Treter war es vorbehalten, die Dreizahl in
diese Wundergeschichte einzuführen. Ihr zur Liebe ist
dann sicherlich in späterer Zeit die Monstranz selbst ge-
ändert worden, indem man für die drei Hostien je einen
Behälter einfügte2). Seit wenigen Jahren ist die ursprüng-
liche Form mit einem Behältnis wieder hergestellt.
Sehen wir uns die Erzählung Treters näher an, so
erfahren wir folgendes: die Rabbinen zu Posen suchten
im Jahre 1399 in den Besitz von Hostien zu gelangem
Zu diesem Zwecke wandten sie sich an eine in ihren
Diensten stehende arme Frau, die eine einzige Tochter
hatte. Sie stellten ihr vor, wie leicht sie ihre traurige
Lage verbessern könnte, wenn sie ihnen eine Hostie ver-
schaffe. Sie würden die Sache ganz geheim halten. „Q
*) Ad laudcm et gloriam dei omnipotentis Blasius Treterus
cathcdralis ecclesiae Varmiensis vicarius sculpsit anno domini 1609.
*) Diese Form zeigt Kohte, Verzeichnis der Kunstdenkmaler
der Provinz Posen II S. 51.
Der Hostiendiebstahl zu Posen im Jahre 1399. 303
welch ein leichtfertiges Ding ist1) ein armes und gewinnsüch-
tiges Weib" ruft der Domherr von Ermland aus. Sie er-
hielt von ihnen Geld und versprach, ihrem Ansinnen zu
genügen. Das erste Bild zeigt in lebendiger Bewegung
die Rabbinen, wie sie der Magd mit ihrer Tochter den be*
dungenen Lohn auszahlen. Im zweiten Bilde ist die
Missetäterin durch göttliche Gewalt zu Boden gestreckt,
als sie das heilige Sakrament am Tage der Himmelfahrt
Maria in der Dominikanerkirche, wo sie sich hatte ein-
schliessen lassen, rauben wollte. Ein zweiter Versuch,
das Tabernakel zu öffnen und die Hostien aus der
Büchse zu nehmen, hatte denselben Misserfolg, erst zum
dritten Male gelang es ihr, drei Hostien für Kommuni-
kanten sich anzueignen und in einem weissen Leintuche
zu bergen. Von ihrer Tochter in ein Versteck geführt,
wartete die von einer plötzlichen Schwäche Befallene, bis
die Öffnung der Kirchentür zur Vesper ihr Gelegenheit
gab, aus der Kirche zu entweichen und ihren Raub den
Juden auszuliefern.
Im dritten Bilde durchstechen drei Juden bei lodern-
der Fackel mit ihren Messern in einem Gewölbe in einem
der edlen Familie Swidwa im Judenviertel gehörigen
Hause2) die Hostien.
Vom ausströmenden Blute wird der eine bespritz^
ohne es wieder abwaschen zu können, und so sehr waren
sie auf den Nazarener ergrimmt, dass sie selbst Säule,
Wände und Fussböden des Zimmers mit dem Blute be-
sprengten, wie es zu Zeiten Treters für die Gläubigen
zu ihrer Erbauung noch zu sehen war. Mehr und mehr aber
wurde der Vorgang ruchbar, eine Menge Juden strömte
herbei,unter ihnen ein jüdisches Weib, das von Geburt an
blind war. „Wenn du Christus, der wahre Sohn Gottes bist,"
betete sie im Inneren ihres Herzens, „den unsere Vor-
fahren kreuzigten und dessen Tugend und Macht unsere
Oberen und Rabbinen prüfen, so erleuchte die Finsternis
l) O quam levis res est egens et lucri cupida mulier.
*) An dessen Stelle im 17. Jahrhundert die Jesuskapelle
erbaut wurde.
3°4 Rodgero Pramers.
meiner Augen und lass mich das Tageslicht sehen, dass
ich deinen heiligen Namen preise. u Sofort wurde sie
sehend und bekannte, ohne Führer auf die Strasse
stürzend, Christus als Gott, der ihr die Gabe des Sehens
verliehen habe.
Die Juden, durch dieses Wunder erschreckt und
aus Furcht vor der Gefahr, die ihnen durch Ruchbar-
werdung ihres Frevels entstand, versuchten, die Hostien
durch Feuer zu vernichten, sie verbargen sie im Schmutz,
warfen sie in den Brunnen1), alles vergebens. So be-
schlossen sie, dass zwei von ihnen ausserhalb der Stadt
da, wo Wiesen und Sümpfe waren, sie im Schlamme ver-
senken sollten. Auf dem Wege dorthin durch das
Burgthor trafen sie auf einen armen, lahmen und kon-
trakten Bettler, dem sie auf sein Flehen ein Almosen gaben.
Sogleich erhielt er den völligen Gebrauch seiner Glieder
(Bild 4). Ein in den letzten Zügen liegender Kranker
erhob sich von seinem Bette, Christ, der Erretter, sei vor-
übergegangen und habe ihm die Gesundheit wieder-
gegeben. Die verstockten Juden aber wurden durch diese
Wunder nicht gerührt, sie gruben ein Loch und ver^
senkten darin das allerheiligste Sakrament
Wenige Tage nachher, am Sonntage nach Mariae
Himmelfahrt, weidete ein Hirt mit einem kleinen Knaben,
namens Paulus, die Rinder auf eben diesen Wiesen.
Während er sich dann aber entfernte, um die Messe zu
hören, schwebten die drei Hostien in der Luft, schnee-
weissen Schmetterlingen gleich. Zu dreien Malen be-
merkte dies der kleine Knabe, sah, wie die Rinder
andächtig auf die Knie fielen, und so betete auch er die
gegenwärtige Gottheit an (Bild 5). Der bald da-
rauf zurückkehrende Hirt, der zunächst dem Wunder
nicht glauben wollte, wurde durch eigenen Augen-
schein bekehrt Er eilte zur Obrigkeit und berichtete
*) In dem erwähnten Hause wird unten im Keller der
Brunnen von 5 m Tiefe gezeigt, dessen Wasser noch heutzutage
von den Glaubigen gegen alle möglichen Krankheiten, hauptsachlich
die der Augen, benutzt wird.
Der Hostiendiebstahl zu Posen im Jahre 1399. 3°5
üir alles. Aber man hielt seine Erzählung für wahnwitzig
und liess ihn in den Gewahrsam des Breslauer Tores
setzen. Doch die Türen seines Kerkers öffneten sich
ohne jemandes Zutun, und wieder verkündete er, wie
Arorher, sein Erlebnis. Der zur Rede gestellte Schliesser
versicherte, dass er allen seinen Pflichten genügt habe,
Tthr und Riegel seien in bester Ordnung gewesen (Bild 6).
Der Bürgermeister wusste nicht mehr, was er von der
Sache zu halten habe, er zog deshalb einige Ratmannen
und den Propst der Pfarrkirche hinzu und eilte zu dem
bezeichneten Orte. Da überzeugte er sich von der Wahr-
heit der Erzählung des Hirten und berichtete alles dem
versammelten Rate.
Dieser aber begab sich mit dem Pfarrer zum
Bischöfe1) mit der Bitte, die Hostien an einem geeigneten
Platze niederlegen zu lassen. Bald bewegte sich mit
Kreuzen, Fahnen und Kerzen der ganze Klerus zu der
Wiese, und einem uralten Priester, der im Gerüche besonderer
Heiligkeit stand, Johannes Riczy wol, wurde vom Bischof der
Auftrag erteilt, die Hostien aus dem Sumpfe herauszu-
heben (Bild 7). Unter dem Geläute der Glocken und
den Gesängen der Priester, die Strassen mit Zweigen und
Blumen geschmückt und bestreut, wurden sie alsdann in
die Pfarrkirche getragen.
Aber wenn sie dort auch im geschlossenen Tabernakel
treulich bewacht wurden, so zeigten sie sich doch immer
wieder an dem Orte, wo sie gefunden waren. Da erbaute
der Bischof hier eine Kapelle für die Verehrung der
heiligen Eucharistie (Bild 8). Der Ruf der nun sich ereig-
nenden Wunder wuchs von Tag zu Tag, eine ungeheure
Menschenmenge strömte zusammen, nicht nur aus Polen»
sondern auch aus den umliegenden Ländern. Bald da-
t) Treter sagt, einige meinten, es sei Stanislaus Ciolek ge-
wesen, das könne aber nicht stimmen, denn dieser sei erst 1428
Bischof geworden. Wahrscheinlich sei es Albert II. Jastrzembski,
der 1399 zur bischöflichen Würde gelangte.
Man sieht auch hier, die Ueberliefertmg war unrichtig, Treter
aber sachte sie mit der Geschichte in Einklang zu bringen.
306 Rodgero Prümcrs.
rauf fiel die Königin Hedwig, Gemahlin Wladislaw
Jagiellos, in eine sehr schwere Krankheit. Der König tat
ein Gelübde zur Wallfahrt nach der Fronleichnams-
kapelle zu Posen für ihre Genesung, doch Gott hatte es
anders bestimmt. Sie starb bald nach ihrer nur 3 Tage
alt gewordenen Tochter Bonifacia. Wohl gedachte nun
der König seines Gelübdes, aber da die Kriege mit dem
deutschen Orden ihn vollauf beschäftigten, fand er keine
Müsse, es zu erfüllen. Dafür gab er alljährlich reiche
Mittel zum Bau der Kirche, an welche er im Jahre 1414
bei seiner Anwesenheit in Posen ein Kloster der Karmeliter
anschloss (Bild 9).
Die entsetzliche und verdammenswerte Untat der
Juden fand ihre gebührende Strafe. Sie wurden nebst
dem tempelräuberischen Weibe ergriffen und gestanden
auf der Folter den ganzen Hergang. Da sie in ihrem
blinden Starrsinn beharrten und sich in Lästerungen er-
gingen, wurden sie nebst dem Weibe zum Tode ver-
dammt, dem sie festen Mutes entgegengingen, als würden
sie mit den Patriarchen Abraham, Jsaac und Jacob speisen.
Das Weib aber bereute wenigstens seine Tat, indem
es die Schuld auf seine Armut und die Überredung
der Juden schob.
Mit eisernen Ketten wurden sie an den Pfahl ge-
bunden, und damit ihre Strafe um so schwerer wäre,
mit ihnen zugleich kräftige Hunde, die sie mit grimmigen
Bissen zerfleischten, während sie von langsamem Feuer
verzehrt wurden (Bild 10).
Ein jüdischer Gelehrter, Wolf Meyer Dessauer, erzählt
in einem 1801 zu Berlin erschienenen Buche, Phylacterium
oder Arganton und Philo imSchoosse der wahren Glückselig-
keit, die Begebenheit in anderer Weise. Nach ihm hätten die
Dominikaner, an ihrer Spitze Johannes Ryczywol, im Jahre
1369 einen Volksaufstand erregt, weil sie nicht dulden
wollten, dass die Juden im Jahre 1367 eine Synagoge
in der Nähe ihres Klosters erbaut hatten. Die Synagoge
wurde niedergerissen, ein grosses Blutbad unter den Juden
Zeitschrift der Hist. Ges. f(lr die Prov. Posen. Jahrg. XX. so
Der Hostiendiebstahl zu Posen im Jahre 1399. 307
angerichtet König Ludwig, an den sie sich umHülfe wandten,
erwiderte ihnen, er sei nur König und nicht Papst, um
■ den Dienern der Religion befehlen zu können, versprach
aber, Leben und Vermögen der verschont gebliebenen
Juden zu schützen, bis eine von ihnen an den Papst nach
Rom geschickte Gesandstchaft zurückgekehrt wäre.
Am 13. Juni 1369 reiste die Deputation von Posen
ab und langte am 6. September in Rom an. Sie erzielte
durch ihre Bemühungen einen vollen Erfolg. Papst Innocen*
.gab eine Verordnung, in der er ausdrücklich befiehlt,
„dass ferner die Israeliten aller Beschuldigungen, sa
den Gebrauch des Christenblutes, die Entweihung der
konsecrierten Hostien und aller anderen aus blossem Aber-
glauben und Hipocrise fliessenden Verläumdungen be*
treffen, entledigt bleiben." Dies der Deputation ausgefer-
tigte und mitgegebene Statut ist nach Dessauer leider in
der im Jahre 1623 zu Posen vorgefallenen Feuersbrunst
von den Flammen verzehrt worden. Nur eine in einem
königlichen Privileg eingerückte Stelle, die er abdruckt,
sei unversehrt geblieben.
Die Ruhe blieb nun ungestört, bis im Jahre 1399
eine Christin, Namens Anna, die Magddienste bei dem
Ältesten Sacharias verrichtete, diesem einen Beutel von
fcoo Tympfen entwandte und in der Beichte von dem
Dominikaner Johannes mit schwerer Busse belegt wurde,
nicht so sehr, weil sie gestohlen, sondern weil sie den
Juden Dienste geleistet hatte. Daraus zog sie den Schluss^
dass Stehlen überhaupt erlaubt sei, und machte sich
eine ihr bietende Gelegenheit zu Nutze, aus der Domini-
kanerkirche selbst silberne Geräte, von denen das eine
drei Hostien enthielt, sich anzueignen, die sie der grösseren
Sicherheit halber auf einer Wiese unter dem Rasen ver-
barg. Hierbei war sie jedoch von dem Sohne des
. Hirten bemerkt, und als dieser nun den Schatz selbst
entdeckte, nahm er das Silber an sich, während er die
Hostien dort zurückliess. Am nächsten Sonntag aber
fiel dem Hirten einiges Vieh, von der herrschenden
Seuche angesteckt Voll Angst brachte er die gestohlenen
308 Rodgero Prümcrs.
Geräte dem Priester Johannes, um dessen Fürbitte zu
erlangen, berichtete auch, dass die Hostien unter dein
Rasen liegen geblieben. Diesen Umstand benutzte der
Mönch, um die Juden zu verderben. Die Diebin Anna,
der er aUe zeitlichen und ewigen Strafen androhte,
musste aussagen, dass sie von dem Rabbi und 13 Aeltesten
zu ihrer Tat angestiftet sei. Der weitere Verlauf der
Angelegenheit wird dann ähnlich wie von Treter dar-
gestellt, doch sagt er auch, dass drei weisse Schmetterlinge
in der Luft herumgeflogen seien, während Treter be-
richtet, die Hostien hätten über dem Orte, wo sie ver-
graben, geschwebt, gleich1) schneeweissen Schmetterlingen.
So viel Einzelheiten, so viel Falsches, könnte man
beinahe sagen, und der Zweifel ist wirklich berechtigt, ob
Dessauer besondere Quellen zu Gebote gestanden haben,
oder ob von ihm missverstandene Überlieferung mit
eigenen Zutaten willkürlich gemischt ist Schon Luka-
szewicz spricht Dessauer alle Glaubwürdigkeit ab und
bezeichnet seine Erzählung als leeres Geschwätz.
Wir müssen mindestens sagen, dass sie so wenig
wie nur möglich den geschichtlichen Tatsachen entspricht
Denn die Juden konnten im Jahre 1369 keine Gesandt-
schaft an den Papst nach Rom schicken, weil damals die
Päpste in Avignon residierten. Auch hiess der 1369
regierende Papst nicht Innocenz, sondern Urban V.
König Ludwig, an den sie sich gewandt haben sollen,
kam erst im Jahre 1370 zur Herrschaft Dessauer führt
ferner ein königliches Privileg an, in das eine Stelle aus
dem päpstlichen Schutzbrief aufgenommen und dadurch
erhalten geblieben sei. Diese Stelle ist aber ihrem Wor-
laute nach dem Judenprivileg8) Kasimirs IV. vom 13. August
1453 entnommen, also einer Urkunde, die beinahe 100
Jahre später niedergeschrieben ist
Beweise genug dafür, dass wir den Geschichts-
schreiber Dessauer nicht ernst zu nehmen brauchen,
ganz abgesehen davon, dass von einem päpstlichen
l) instar candidissimorum papilionum.
*) Vergleiche diese Zeitschrift Band VI Seite 160 § 39.
Der Hostiendiebstahl zu Posen im Jahre 1399. 309^
Schutzbriefe für die Posener Juden aus dieser Zeit nichts
bekannt ist. Eine Nachforschung nach einem solchen in
clen Bullarien durch das königl. Preussische Historische
Institut zu Rom ist ohne Ergebnis geblieben.
Kehren wir zu der Treterschen Erzählung zurück,
so haben wir bereits oben gesehen, dass sie ohne feste
geschichtliche Grundlage war. Ihr Verfasser schöpfte,
wie er selbst sagt, aus der Überlieferung und aus
Manuskripten, von denen wir aber nicht einmal
erfahren, welcher Art sie gewesen sind, wenn wir nicht
etwa das Predigtbuch des Tremessener Mönches als Ge-
schichtsquelle annehmen wollen. Ob in diesen Manus-
kripten vielleicht zu lesen gewesen, dass Wladislaw III. im
Jahre 1434 hätte die Sache untersuchen lassen, wie
Dessauer in seinem Phylacterium berichtet, dafür können wir
keine einzige Beweisstelle beibringen. Nach Dessauer soll der
Prozesserst im Jahre 1554 durch einen Vergleich beendigt
sein, wonach die Juden alljährlich zur Prozession des
Frohnleichnamfestes 800 Tympfe bezahlen und drei aus
ihrer Mitte stellen mussten, die mit schwarzen Messern
in der Hand eine Tafel mit der Abbildung der Hostien-
geschichte der Prozession nachtrugen. Erst 1723 hätten
sie sich von diesem Gebrauche durch Übernahme einer
jährlichen Lieferung von 2 Stein Wachs, Talg, Schiess-
pulver und Baumöl losgekauft. 1774 sei diese Abgabe
aufgehoben worden. Die Akten darüber befänden sich
bei den Karmelitern und in der Synagoge1).
Was von dieser Geschichte wahr ist, kann nur
schwer entschieden werden. Im 17. und 18. Jahrhundert
ist den Posener Juden durch den Magistrat hart zugesetzt
worden. Man hat im Jahre 1736 gegen sie selbst die Be-
schuldigung des Knabenmordes erhoben, aber der roman-
tischen Erzählung Dessauers von den hinter der Pro-
zession marschierenden Juden mit Messern und einer
Abbildung der Schandtaten ihrer Vorväter geschieht
keinerlei Erwähnimg.
l) wo sie aber nicht zu ermitteln waren.
310 Rodgero Prümcrs.
Als unrichtig nachweisbar ist die Angabe Dessauers>
<Iie Juden hätten im Jahre 1554 versprochen, jährlich
ßoo Tympfe zur Prozession des Frohnleichnamfestes zu
zahlen. Denn der polnische Münzmeister Andreas Tympf
prägte zuerst im Jahre 1661 die nach ihm benannten
Guldenstücke, die Tympfe.
Dagegen bestätigt sich die Angabe1), dass im Jahre
1724 ein Vergleich zwischen dem Karmeliterkloster und
•den Posener Juden geschlossen wurde, durch den sie sich
verpflichteten, an den Konvent der Karmeliter zu Posen
alljährlich 2 Stein Baumöl, 2 Stein Wachs, 2 Stein ge-
schmolzenen Talg und 1 Stein Schiesspulver zu liefern.
So steht in dem Dekret2) der Kommission, die zur
Regelung der jüdischen Schuldenverhältnisse eingesetzt
war, aus dem Jahre 1774. Durch dieses Dekret wurden
die Juden von der weiteren Lieferung dieser Abgabe be-
freit. In dem Dekrete steht aber nicht, dass den Juden
diese Abgabe an das Karmeliterkloster als Sühne für
den durch den Hostiendiebstahl begangenen Frevel auf-
erlegt worden sei, wie Dessauer erzählt.
Wohin wir also blicken und nach Belegen suchen,
geraten wir auf unsicheren Boden.
Unmöglich ist es nicht, dass dem Treter ein Prozess vor-
geschwebt hat, der berühmte Sochaczewer Blutprozess, der
im Jahre 1557 verhandelt ist, und aus dem manche Züge
zu dem von ihm entworfenen Bilde genommen sein
können. Nach einer Urkunde des Königs Sigismund
August vom Jahre 1557 hätte eine Frau Dorothea Lateczka,
von mehreren Juden überredet, ihnen das Sakrament des
Altars, welches sie bei der Kommunion in der Pfarrkirche
zu Kotlowo bei Seite gebracht, für 3 Taler und ein Tuch»
kleid mit seidenen Spitzen verkauft. Die Juden aber
*) nicht 1723, wie Dessauer schreibt, sondern 1724. Perles,
Geschichte der Juden in Posen, Breslau 1865, S. io, gibt richtig den
25. September 1724.
2) Deutsche Obersetzung im Archiv der Synagogengemeinde
zu Posen. Vergl. Historische Monatsblätter für die Provinz Posen
lü S. 38 ff.
Der Hostiendiebstahl zu Posen im Jahre 1399. 311
hätten die Hostie mit einer Nadel durchstochen und das
ausgeflossene Blut in einem kleinen Gefässe verwahrt.
Die auf der Folter befragten Juden hätten ihre Schuld
bekannt und seien hingerichtet worden. Der König und
seine Räte sprachen nun freilich die Richter von der An-
schuldigung frei, gegen die königlichen den Juden er-
teilten Privilegien gehandelt zu haben, weil das Zeugnis
<ler Lateczka und das Geständnis der Juden vorgelegen
Jhatte. Da sich jedoch herausstellte, dass die Aussage der
Lateczka von Hass gegen die Juden eingegeben gewesen,
ßo bestimmte nun der König, dass, wenn vor irgend
-einem Gerichte ein Jude wegen Diebstahls von Christen-
kindern, um deren Blut zu vergiessen, oder wegen
Hostiendiebstahls angeklagt werden sollte, nur er, der König,
allein und nur auf dem Reichstage über den Fall
richten dürfe.
Also auch hier die Anklage, dass die Juden eine
Frau überredet hätten, auch hier das Durchstechen der
Hostie, allerdings nicht mit Messern, sondern mit einer Nadel,
<ias ausfliessende Blut und die Sühne durch Hinrichtung
der Juden. Es ist wohl nicht überflüssig, darauf hinzu-
weisen, dass auch diese Erzählung zeitlich in eine Periode
fällt, in der den Katholiken daran liegen musste, gegen
die Forderung des Kelches für die Laien das Vorhanden-
sein des Blutes in der Hostie den Gläubigen recht ein-
dringlich zu machen.
Was aber das 17. Jahrhundert unter dem Einflüsse
der kirchlichen Reaktion als selbstverständlich annahm,
nämlich die Schuld der beklagten Juden, dazu gelangte
man ein Jahrhundert früher nicht ohne weiteres. Viel-
mehr wird festgestellt, dass das Zeugnis gegen sie von
Hass eingegeben war, und es werden Vorkehrungen ge-
troffen, um die Angeklagten bei solch schweren Ver-
dächtigungen einem geordneten Gerichtsverfahren unter
dem Vorsitze des Königs zu unterwerfen.
Die Zeitgenossen Treters aber nahmen seine Er-
zählung gläubig hin, und von nun an mehren sich die
Erzählungen von der jüdischen Schandtat. Ja, es wurde im
312 Rodgero Prümers.
Jahre 1620 in dem Hause der Swidwa sogar der Tischr
eingemauert in einem Pfeiler, gefunden, auf dem die
Hostien von den Juden mit ihren Messern durchbohrt
waren1). In feierlicher Prozession unter Führung des Weih-
bischofs Gninski, an der sämtliche Welt- und Ordens-
geistliche sowie ausserdem einige tausend andere Per-
sonen teilnahmen, wurde dieser Tisch nach der Karmeliter-
kirche übertragen. Für diesen Vorgang finden wir einen
Belag in den Posener Stadtrechnungen2), in denen zum
6. September 1620 ein kleiner Posten für Pulver gebucht
ist, und zwar zu Freudenschüssen bei der Prozession
nach der Karmeliterkirche, in der die Tischplatte dorthin
gebracht wurde, auf der die verfluchten Juden das
heilige Sakrament der aus der Dominikanerkirche durch
sie gestohlenen und nach dem damals sogenannten
Swidwiczker Keller gebrachten Hostien durchstochen
hatten, sodass die Zeichen des heiligen Blutes sich
zeigten, wie es dort heisst.
Der Einfluss Treters auf diesen Vorgang ist offen-
sichtlich, und ebenso ist alles, was sich später noch als
Material zu dieser Frage ermitteln lässt, weiter nichts als
Wiederholung und Ausschreibung Treters.
Der Glaube an die Schuld der Juden setzte sich
im Volke so fest, dass sogar der Stadtschreiber, den wir
unbedingt zu den gebildetsten Einwohnern Posens
rechnen müssen, in den Stadtbüchern nach Beweisen für den
ungeheuren Frevel suchte. Und als er nichts fand, da
schrieb er enttäuscht an den Rand einer freigebliebenen
Stelle des Jahres 1402: Hier ist über den Diebstahl des
allerheiligsten Sakraments durch die Juden zu notieren8).
Es ist aber bei der Absicht geblieben.
J) Vergl. Lukaszewicz, Historisch-statistisches Bild der Stadt
Posen Bd. II S. 99. 236.
2) Vergl. A. Warschauer, Aus den Posener Stadtrechnungea,
in dieser Zeitschrift Bd. XX S. 271.
8) Eintragung von einer Hand des 17. Jahrhunderts im
ältesten Stadtbuch von Posen zum Jahre 1402 : De Judaeorum furto
sacratissimi sacramenti hie no tan dum. Vergl. Warschauer, Stadt-
buch von Posen I S. 47.
Der Hostiendiebstahl zu Posen im Jahre 1399. 3*3
Eine Grodurkunde1) vom Jahre 1559 schreibt über
das Haus der Swidwa, in dem die gottlose und verbreche-
rische Hand der Juden, nichtswürdig erhoben, die wunder-
tätigen Hostien zu durchbohren gewagt hat, wie über diesen
Gegenstand die Geschichte2) eben dieser Kirche und
andere weltliche Nachrichten ausführlicher erzählen und
bezeugen. Diese Grodeintragung betrifft den lang-
wierigen Streit des Karmeliterconvents mit der Stadt
Posen über das Haus der Swidwa, welches der Konvent
für sich in Anspruch nahm, während der Magistrat es
anscheinend für Hospitalzwecke verwenden wollte.
Aus demselben Jahre besitzen wir eine Urkunde
des Königs Johann Kasimir, in der er die Rechte des
Karmeliterklosters auf eben dieses Haus anerkennt, in
dessen Kammer in längst vergangenen Jahrhunderten die
Raserei der Juden durch einen Angriff auf das alier-
heiligste Sakrament des hochheiligen Leibes Christi
wütete, dadurch dass sie ihn grausam durchbohrten. Dort
könnten sie eine Kapelle errichten, in der sicherer vor
einem feindlichen Einfalle oder anderer Gefahr der Schatz
der allerheiligsten Hostien niedergelegt werden möchte.
Denn es sei billig, dass dort ihr Aufbewahrungsort und
das Sühneopfer für die Sünden wäre, wo man sie be-
schimpft und durchbohrt hatte3).
*) Relationes Posnanienses 1659 m BI. 77. lapideara Swid-
winska dictam ac potius originem fundationis dictae praefatae con-
ventas ipsorum, in qua impia ac scelesta Judaica manus nefarie
elevata miraculosas hostias corporis sanctissimi salutis humanae
redemptoris ausa est perfodere, prout eo nomine historia ecclesiae
eiusdem ac aliae saeculares notitiae latius obloqu untur ac testantur.
2) Das ist doch wohl Treters Sacratissimi Corporis Christi
Historia et miracula, Posen 1609.
3) Urkunde König Johann Kasimirs vom 13. April 1659 als
Transsumt in einer Originalurkunde König Johanns III. vom 20. März
1676 im Kgl. Statsarchiv zu Posen, Posen, Karmeliter Nr. 16: iura
certa super lapideam Swidwinska dictam in civitate nostra Posna-
niensi sitam et iacentem, in cuius triclinio dudum retroactis tempo-
rum saeculis Judaica rabies caelo lata impetu in sacrosanctam sacra-
tissimi corporis Christi eucharistiam crudeli confossione desaeviit
Sacellum, in quo securius hostilis incursionis et cuiusvis periculi
3*4 Rodgero Prümers.
Noch ausführlicher nimmt eine zweite Urkunde
Johann Kasimirs vom 21. März 1668 auf die Freveltat im
Swidwinska-Hause Bezug, indem sie sagt:
„Es besteht ein berühmter Tempel, der aus dem könig-
lichen Gute unseres allergnädigsten gottseligen Vorfahren
und Vorgängers, des Wladislaw Jagiello,in der Metropolitair»
Stadt Grosspolens erbaut ist. Diesen erbaute, zierte und
bereicherte er mit geräumigen Baulichkeiten für die Väter
des Ordens der allerseligsten Jungfrau Maria vom Berge
Xarmel zu Ehren des allerheiligsten Leibes unseres Herrn
Jesu Christi, als die tempelschänderische Bosheit der un-
gläubigen Juden, welche drei hochheilige Hostien in grösster
Gottlosigkeit und ungeheurem Frevel mit Messern durch-
bohrt und mit grösster Verachtung der Ehre Gottes an
einem schmutzigen Orte verborgen hatte, durch Gott,
der seine Ehre an den Gottlosen rächte, auf wunderbare
Weise aufgedeckt war1).
Auch die Kurie, die früher die Posener Juden in
ihren Schutz genommen, macht sich nunmehr die Tretersche
Darstellung zu eigen. Im Vatikanischen Archiv zu Rom
befindet sich eine Zusammenstellung der Einkünfte des
Karmeliterkonvents zu Posen vom Jahre 1775, unter denen
auch der Besitz einer Kapelle an dem Orte erwähnt wird,
wo die wundertätigen drei Hostien, die gestohlen und von
den ungläubigen Juden mit Messern durchstochen waren,
metu suprafatus sanetissimarum hostiarum thesaurus deponi et asser-
vari possit, aequum enim est, quod ibi depositorium suum pecca-
torumque piaculum sit, ubi suae contaminationis et transfüdonis
triclinium habuit, erigant . . .
*) Exstat — insigne regalibus serenissimi divae memoriae
Vladislai Jagielonis atavi et praedecessoris nostri in metropolitana
Majoris Poloniae civitate erectum templum, quod ipse religiosis
patribns ordinis beatissimae virginis Mariae de monte Carmelo in
honorem sacratissimi corporis domini nostri Jesu Christi, dum sacrilega
perfidorom Jndaeornm tres sacratissimas hostias cultris per summam
impietatem et immanitatem confossas in loco coenoso occultantium in
maximum divini nominis contemptum, deo honorem suum ab impiis
vendicante, miraculose deteeta fuisset malitia, fundavit. Original im
Kgl. Staatsarchiv zu Posen: Posen, Karmeliter Nr. 14.
Der Hostiendiebstahl zu Posen im Jahre 1399. 3*5
im August des Jahres 1399 reichliches Blut vergossen
hatten1).
Als im Jahre 1750 die Königin Maria Josefa das
Karmeliterkloster zu Posen besuchte, zeigte ihr der Dom-
propst Josef Thaddaeus Kierski die drei allerheiligsten
einst von den Juden durchstochenen Hostien, die in
kleinsten Teilchen in einer mit Edelsteinen geschmückten
Monstranz aufbewahrt wurden, gab ihr auch das kleine
Corporate, in dem die Hostien lagen, auf ihre Bitte in die
Hand2). So hat es im Jahre 1772 der Generalprokurator
der polnischen Karmeliterprovinz in die Akten des Posener
General -Konsistoriums eintragen lassen. Abgedruckt ist
dies in einer gleichfalls 1772 erschienenen polnischen
Obersetzimg des Treterschen Buches von Kasimir Miedz-
wiedzki, die unter dem Titel: Die drei heiligen Hostien,
die zu Posen im Jahre 1399 von den Juden mit Messern
durchstochen wurden, von der Buchdruckerei der Posener
Akademie gedruckt8) wurde.
Diese Übersetzimg hat dann wieder als Vorlage für
eine deutsche Ausgabe gedient, die in Posen „zum Jubi-
läum im Jahre 1799" erschien. Der Übersetzer, der sich
auf die „Geschichte von den heiligen drey Hostien" be-
schränkt und von einer Wiedergabe der Wunder absieht,
nennt seinen Namen nicht. In welchem Geiste er aber
geschrieben, das ergibt sich aus seinem Nachworte, nach-
*) Idem conventus Poznaniensis habet residentiam in ipsa civi-
tate Posnaniensi sibi subiectam com capella seu oratorio in ipso locor
nbi miraculosae tres hostiae furto sublatae a perfidis Judaeis cultris
compnnctae in anno 1399 mense Augnsto copiosom fadere sangainem.
*) tres sacratissimas hostias olim a Judaeis confixas in minu-
tissimis particulis in monstratorio gemmis adornato diligentissime
asservatas . . . serenissimae reginae Poloniarum . . . aedes sanctissimt
Corporis exemplarissime visitanti intuendas et adorandas in majori
altari religiöse exhibui nee non corporate exiguum, quo dietae
sanetissimae tres hostiae reconditae fuerant, eidem serenissimae
reginae devote exoptanti pro reliquiis decenter consignatum in manus
proprias debita com reverentia reposui.
3) Kazmierz Miedzwiedzki, Trzy swi^te hostye, w Poznaniu
1399 roku nozami od zydow ukfote. Poznan 1772.
316 Rodgero Prümers.
dem er den qualvollen Tod der Juden geschildert „Unge-
achtet dieser schreckliche Tod nicht allein zur Bestrafung
jener Bösewichte, sondern auch zur strengen Warnung
ihres Gleichen hätte dienen sollen, so sieht man dennoch
in allen christlichen Ländern, wo nur Juden vorhanden
sind, Auftritte der schwärzesten Bosheit, welche von den
tief eingewurzelten Vorurteilen und dem unüberwindlichen
Hass gegen alles das, was nur den christlichen Namen
führt, bei dieser schlecht erzogenen Nation die deutlichsten
Beweise liefern. Nicht nur das hochwürdige Sakrament
und andere Heiligtümer sind von ihnen bei Gelegenheit
der nur allzu häufigen Kirchendiebstähle schändlich ge-
lästert und entheiligt, sondern auch unschuldige Kinder
blos aus Religionshass mehrmals getötet und umgebracht
worden, ohne einmal in Erfahrung zu bringen, ob der-
gleichen Fälle immer gehörig bestraft und geahndet
worden sind*.
Bei solchen Vorwürfen darf es beinahe Wunder
nehmen, dass die Prozession, die am 26. August 1799 zur
Erinnerung an die Auffindung der Hostien zu Posen statt-
fand und an der gewiss 15000 — 20000 Menschen teil-
nahmen, ohne alle Unordnung vorübergegangen ist1).
Wir stehen am Schlüsse unserer geschichtlichen
Untersuchung.
Blicken wir auf den Gang der Wundergeschichte zu-
rück, so spricht der König Wladislaus im Jahre 1406 nur
von dem göttischen Leibe, der in der Vorstadt von Posen
gefunden ist. Wir dürfen das „dinoscitur* der Urkunde
dahin fassen, dass ihm solches berichtet ist. Es kann nur
vom Hörensagen die Rede sein, das sich auf Überlieferung
aus früherer Zeit stützt. Dlugosz fügt in seiner Chronik
bereits hinzu, dass eine Frau bei der Kommunion
eine Hostie genommen, nicht genossen, sondern den Juden
ausgeliefert habe. Michael v. Janowitz bringt mit ganz
x) Südpreussische Zeitung 1799 Nr. 69 vom 28. August Diese
Prozession war die Veranlassung zu dem oben genannten Phylac-
terium Dessauers.