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Full text of "Zeitschrift"

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Zeitschrift 


der 


Historischen  Gesellschaft 

für  die 

Provinz  Posen, 

zugleich 

Zeitschrift  der  Historischen  Geseilschaft  für 
den  Netzedistrikt  zu  Bromberg. 


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Alle  Rechte  vorbehalten. 


Zeitschrift 


der 


pistorisehen  Gesellschaft 

für  die 

Provinz  Posen 

zugleich 

Zeitschrift  der  Historisehen  Gesellschaft 

für  den 

JSletzedistrikt  zu  Bromberg. 


H«rausg«g«b«n 


Dr.  Hodgero  Prümers. 


Aihtzihnttr   Jahrgang. 


Eigentum  der  Gesellschaft.  —  Vertrieb  durch  Joseph  Jolowicz. 
Posen  1903. 


Alle  Rechte  vorbehalten. 


Inhalts  -Verzeichnis. 


Seile 

i.  Das  Hanlander-Dorf  Goldan  bei  Posen.  Ein  Beitrag  zur 
Wirtschaftsgeschichte  Gross-Polens  im  18.  Jahrhundert. 
Von  Dr.  Clemens  Brandenburger  zu  Posen    ...         i 

a.  Beitrage  zur  Geschichte  der  Gerichts-Organisation  für  die 
Provinz  Posen.  Von  Oberlandesgerichtsrat  Karl 
Martell  zu  Posen 51 

3.  Enstachius  Trepka.      Ein   Prediger   des    Evangeliums    in 

Posen.     Von  Lic.  Dr.  Theodor  Wotschke,  Pfarrer 

zu -Santomischel 87 

4.  Einige  Mitteilungen  Aber  die  Pilze  unserer  Provinz.     Eine 

Skizze«    Von  Professor  Dr.  Fritz  Pfuhl  zu  Posen  .  .     145 

5.  Ober  Friedrichs  des  Grossen  burleskes  Heldengedicht  „La 

guerre   des    conf6der6s".     Von   Gymnasial-Oberlehrer 

Dr.  Gerson  Peiser  zu  Posen 161 

6.  Francesco  Lismanino.  Von  Lic.  Dr.  Theodor  Wotschke, 

Pfarrer  zu  Santomischel 913 


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Das  Hauländer-Dorf  Goldau  bei  Posen. 

Ein  Beitrag  zur  Wirtschaftsgeschichte  Gross-Polens 
im  18.  Jahrhundert. 

Von 
Dr.  Clemens  Brandenburger. 


L  Die  Gründung. 

oldau,  im  äussersten  Nordosten  des  Kreises 
Posen- West  gelegen,  führt  seinen  jetzigen  Namen 
erst  seit  1899.  Am  19.  Oktober  1898  hatte 
nämlich  der  Schulze  auf  einstimmigen  Beschluss  der 
Gemeindevertretung  bei  dem  zuständigen  Landratsamte 
den  Antrag  gestellt,  dem  Dorfe  den  Namen  „Goldthal44  zu 
geben.  Daraufhin  wurde  am  6.  April  1899  die  ministerielle 
Genehmigung  zur  Führung  des  Namens  „Goldau44  er- 
teilt   Früher  hiess  das  Dorf  Zlotkowo-Hauland1). 

Mit  dem  Beinamen  „Hauland*  ist  die  Entstehungsart 
des  Dorfes  gekennzeichnet;  denn  einerlei,  ob  man  „Häu- 
tend" von  der  erstmaligen  Besetzung  solcher  Kolonien 
durch  eingewanderte  Holländer 2),  oder  davon  ableiten 
will,  dass  die  Ansiedler  erst  den  Wald  hauen  mussten  (also 
Hauland  gleich  —  »rod*  in  deutschen  Ortsnamen),  soviel 
steht  jedenfalls  fest:  diese  Dörfer  bilden  eine  ganz  be- 
sondere Gattung  unter  den  Ansiedelungen.  Eine  durchaus 
zutreffende  Schilderung  von  Ansiedelungen,  die  im  18.  Jahr- 
hundert auf  Waldboden  angesetzt  wurden,  gibt  Chlebs  in 
seiner  kleinen,    anonym  erschienenen  Schrift   „Über  Ur- 

*)  Poln.  zloto-  Gold;  owo  eine  Ortsnamenendung. 

*)  In  lateinischen  Urkunden  heissen  die  Bewohner  ÄHolandi", 
im  Polnischen  „Olqdry"  und  „Olendry".  Diese  Ansicht  wird  gegen- 
wärtig* von  den  meisten  vertreten. 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XVIII.  1 


2  Clemens  Brandenburger. 

sprung  und  Verbreitung  des  Deutschthums  im  Gross- 
berzogthum  Posen"  (Berlin:  Mittler  &  Sohn  1849)  aui 
Seite  32  ff. 

„Sie  erhielten  entweder  einen  bestimmten  Wald- 
distrikt nach  Hufen  zugemessen  oder  es  wurde  ihnen  — 
was  bei  der  damaligen  Wertlosigkeit  der  Wälder  nicht 
verwundern  darf  —  im  allgemeinen,  ohne  nähere  Be- 
stimmung des  Distrikts  gestattet,  eine  bestimmte  Anzahl 
von  Hufen  zu  roden,  wo  ihnen  solches  beliebte.  Jeder 
einzelne  erhielt  seinen  Besitzstand  in  einem,  oft  aber  auch, 
je  nach  der  Güte  des  Bodens,  in  vielen  zerstreuten  Stücken 
hutfrei,  häufig  mit  dem  vom  Gutsherrn  bewilligten  Holze 
umzäunt,  und  baute  sich  in  der  Mitte  seines  Besitztums 
auf,  so  dass  die  Etablissements  der  Hauländer  oft  regel- 
los in  den  Wäldern  zerstreut  liegen.  Wenigstens  war  dies 
die  Regel,  obgleich  auch  geschlossene  Hauländerdörfer 
sich  vorfinden1). 

„Ihre  Leistungen,  in  Geld-  und  Naturalzins  und  nur 
wenigen  Diensten,  meist  zu  bestimmten  wirtschaftlichen 
Zwecken,  als  Bauten,  Holzfuhren  etc.  bestehend  und  erst  nach 
vielen  Freijahren  eintretend,  waren  im  ganzen  massig;  ihr 
Besitz  in  der  Regel  freies  Eigentum,  nur  hin  und  wieder 
durch  den  herrschaftlichen  Konsens  zum  Verkauf  be- 
schränkt. Dabei  genossen  sie  häufig  Befreiung  von  öffent- 
lichen Lasten,  als  Kopfgeld,  Einquartierung  etc.,  und  in  der 
Regel  sehr  ausgedehnte  Hütungs-,  Streu-,  Mast-  und  Holz- 
gerechtsame, auch  Hülfe  bei  Brandschäden  und  andern 
Unglücksfällen.    Einkaufsgeld  wurde  selten  gefordert. 

„Da  sie  überdies  gleich  allen  übrigen  deutschen  An- 
siedlern persönlich  frei  blieben,  so  konnten  sie  bald  zu 
einem  gewissen  Wohlstande  gelangen.  Zwar  hat  der 
Übelstand,  dass  viele  dieser  Hauländereien  auf  zu  leichtem 
sandigen  Waldboden  und  ohne  Wiesen  angesetzt  sind, 
ihr  Gedeihen  häufig  gehindert.  Auch  hatten  sie  in  höherem 
Grade,  als  die  älteren  Ansiedler,  von  der  Willkür  ihrer 
Erbherrn  zu  leiden,  die  ihnen  nicht  selten  die  verheissenen 


*)  Goldau  gehört  zu  den  letzteren. 


riü 


Das  HaulAnder-Dorf  Goldau  bei  Posen.  3 

Privilegien  ganz  vorenthielten,  oder  die  erteilten  später 
<hnrh  Erhöhung  ihrer  Lasten  und  Entziehung  mancher 
•Gerechtsame  zu  ihreau  Nachteile  veränderten.  Obgleich 
meistens  in  Kommunen  mit  einer  ähnlichen  Gemeindever- 
fassung wie  die  älteren,  in  grösseren  Massen  zusammen- 
gedrängten Kolonnen  vereinigt,  waren  sie  doch  wegen 
ihrer  isolierten  Lage  weniger  als  diese  imstande,  mit  Er- 
folg gegen  solche  Willkür  anzukämpfen,  und  mussten  sich 
manche  Beeinträchtigung  gefallen  lassen,  für  die  sie  sich 
•dann  wohl  hin  und  wieder  durch  Einroden,  Ausdehnung 
ihrer  Waldgerechtsame  und  andere  Eingriffe  in  das  mangel- 
haft beaufsichtigte  Eigentum  ihrer  Grundherren  zu  ent- 
schädigen suchten.  Daher  die  vielen,  bis  in  die  neueste 
Zeit  herüber  gekommenen  Prozesse1),  in  welche  sie  mit 
ihren  Grundherren  verwickelt  wurden,  und  die  eben  nicht 
geeignet  waren,  ihren  Wohlstand  zu  fördern. 

„Indessen  haben  sie  sich  trotz  dieser  ungünstigen 
Einwirkungen  überall  in  ihrem  Besitztum  zu  erhalten  ge- 
wusst  und  bilden  noch  heute  einen  sehr  zahlreichen  und 
achtbaren,  durch  Betriebsamkeit  und  Tätigkeit  ausge- 
zeichneten Teil  der  deutschen  Bevölkerung  hiesiger  Provinz, 
-der  sich  selbst  auf  dürftigem  Boden  durch  Bau  von 
Handelsgewächsen,  namentlich  Hopfen,  und  durch  allerlei 
Nebengewerbe,  als  Schiffahrt,  Fuhrwesen,  Brettschneiden 
etc.  gut  ernährt 

„Wir  finden  diese  Hauländereien  besonders  in  den- 
jenigen Kreisen  verbreitet,  die  damals  noch  weniger  kul- 
tiviert und  waldreicher  waren,  wie  in  den  Kreisen  Birnbaum, 
Meseritz,  Bomst,  Buk,  Schrimm,  Schroda,  Gnesen,  Mogilno, 
wogegen  sie  in  den  damals  schon  kultivierteren  Kreisen 
Fraustadt,  Kröben,  Wirsitz  und  Bromberg  fast  gar  nicht 
vorkommen.* 

Allein  in  den  bei  der  ersten  Teilung  Polens  (1772) 
in  Besitz  genommenen  Landesteilen  zählte  man  über  400 
solcher  Hauländerdörfer,  deren  Grösse  mitunter  sehr  be- 
trächtlich war. 


*)  Vergl.  darüber  weiter  unten,  Abschn.  III. 


4  Clemens  Brandenburger. 

Dass  auch  Zlotkowo  auf  einer  zu  rodenden  Stelle 
angesetzt  wurde,  ergibt  sich  aus  dem  Wortlaute  des  unten 
abgedruckten  Vertrages;  denn  dort  wird  das  Land  aus- 
drücklich als  „zarosami  zarosly*  (von  Dickicht  überwuchert) 
bezeichnet  Doch  geht  aus  der  Wahl  des  Ausdruckes  her- 
vor, dass  Zlotkowo  insofern  von  der  Regel  abweicht,  als 
es  nicht  auf  einem  beliebigen  Platze  im  Walde  angelegt 
wurde,  sondern  an  einem  Orte,  der  früher  urbar  gewesen 
und  dann  aus  irgend  welchen  Gründen  ausser  Kultur  ge- 
kommen sein  muss.  Das  ergibt  sich  auch  daraus,  dass 
der  Ort  schon  „antiquitus"  Zlotkowo  hiess  (siehe  den 
Vertrag). 

Über  dieses  frühere  Zlotkowo  habe  ich  nur  eine 
einzige  Nachricht  gefunden,  eine  Resignation1),  1450  vor  dem 
Posener  Grodgericht  verhandelt,  in  welcher  ein  Edelmann 
Nikolaus  Glynyeczky2)  sein  Gut  Zlotkowo,  „im  Posener 
Distrikt  belegen",  seinem  Verwandten  Nikolaus  Morawsky 
auflässt8).   Seit  jenem  September  1450  sind  die  Geschicke 


*)  Res.  Posn.  1450  BI.  96,  im  Posener  Staatsarchiv.  Liber 
resignationum  ist  ein  bei  dem  Grodgericht  geführtes  Register,  das 
hauptsächlich  für  Auflassungen  bestimmt  ist,  aber  auch,  namentlich 
während  der  wenig  geordneten  Zustände  der  älteren  Zeit,  oft 
andere  Urkunden  enthält. 

2)  Glinno-Glinienko  und  Morasko  sind  unmittelbar  an  Zlotkowo* 
anschliessende  Güter,  die  sich  also  um  1450  mit  Zlotkowo  zusammen 
in  der  Hand  einer  Familie  befanden. 

3)  Nachstehend  der  Wortlaut  der  auch  wirtschaftsgeschichtlich. 
nicht  uninteressanten  Urkunde: 

Actum  Poznanie  die  dominica  proxima  post  festum  nativitatls 
beate  Marie  virginis  (13.  September  1450). 
Szlothkowo 

Ibidem  veniens  nobilis  Nicolaus  filius  olim  nobilis  Stanislai 
Glynyeczsky  cum  patruis  suis  et  awnculo  germano  non  compulsus 
etc.  totam  ipsis  villam  Slothkowo  sie  nuneupatam  in  districtu  Poz- 
naniensi  sitam  cum  omni  jure,  dominio  et  proprietate,  prout  solus 
tenuit,  habuit  et  possedit,  cum  agris  etc.,  nihil  juris,  dominii  et  pro- 
prietatis  ibidem  pro  se  aut  suis  legittimis  successoribus  penitus  re- 
servando,  nobili  Nicoiao  olim  Morawsky,  patruo  ipsius  germano,  pro 
centum  raarcis  latorum  grossorum  monete  Prahensis  etc.  causa  vere 
et  perpetue  divisionis  dedit  et  ab  eadem  hereditate  seu  villa  Slotkowo- 
perpetualiter  recessit  et  ratione  huiusmodi  divisionis  reeepit  easdem. 


Das  Hauländer-Dorf  Goldau  bei  Posen.  5 

des  Gutes  durch  drei  Jahrhunderte  in  Dunkel  gehüllt. 
Als  es  dann,  als  Ödland,  wieder  auftaucht,  befindet  es 
sich  im  Besitze  eines  Magnaten  aus  uralter  grosspolnischer 
Senatorenfamilie,  des  Andreas  Wyssogota  Zakrzewski, 
Kastellans  von  Kaiisch  und  Ritters  des  Stanislausordens1). 
Es  ist  ihm  ein  lästiger  Besitz,  denn  es  bringt  ihm  nicht 
nur  nichts  ein,  sondern  sein  Gut  Golenczewo2)  muss  sogar 
für  die  Wüstenei  die  Kopfsteuer3)  entrichten;  da,  wie  aus 


centum  marcas  et  propter  hoc  eandem  villam  Slothkowo  dicto  patruo 
suo  coram  nobis  rite  et  rationabiliter  juxta  terre  consuetudinem  im- 
perpetuum  resignavit  presentibus  ibidem  quibus  supra. 

Bemerkung  zu  der  Angabe  des  Verkaufspreises  „centum  marcae 
latorum  grossorum  monetae  Prahensis":  i  Mark  Silber  ist  gleich  48 
Groschen,  der  Prager  Groschen  =  3,717  gr.  fein,  also  100  Mark 
Silber  =  17  841.  6  gr.  fein  oder  ungefähr  1072  Taler  (Vgl.  Pieko- 
sinski,  O  monecie  i  stopie  menniezej  w  Polsce  w  XIV.  i  XV.  wieku. 
(Über  Münze  und  Münzfuss  in  Polen  im  14.  und  15.  Jahrhundert). 
Krakati  187a 

*)  Über  die  Zakrzewski  vom  Wappen  Wyssogota:  Theodor 
Zychlinski,  Zlota  Ksicga  Szlachty  Polskiej.  (Goldenes  Buch  des 
polnischen  Adels),  1.  Jahrg.  S.  347  ff.,  und  Jan  Nep.  Bobrowicz, 
Herbarz  Polski  Ks.  Kaspra  Niesieckiego  S.  J.  (Polnisches  Wappen- 
buch des  P.  Kaspar  Niesiecki  S.  J.)  S.  36. 

*)  Gründungs- Vertrag  §  8  (Beilage  1). 

*)  Die  Kopfsteuer,  poglowne,  ursprünglich  nur  in  Zeiten  all* 
gemeiner  Gefahr  des  Vaterlandes,  besonders  in  Türken-  und  Tartaren- 
kriegen  ausgeschrieben,  wurde  seit  1717  eine  dauernde  Hauptsteuerart. 
Das  gewährt  auch  einen  gewissen  Anhalt  für  den  Zeitpunkt  der 
Verwüstung  Zlotkowos.  Da  nämlich  verlassen  daliegende  Ländereien 
bei  der  Einführung  der  Kopfsteuer  nicht  in  Anrechnung  gebracht 
wurden,  so  muss  Zlotkowo  1717  noch  besiedelt  gewesen  sein.  Es 
wurde  dann  entweder  zwischen  1717  und  1719  (Waffenstillstand  mit 
Schweden)  oder  während  des  Polnischen  Thronfolgekrieges  (1733 — 
1737)  und  der  darauf  folgenden  inneren  Unruhen  verwüstet.  Der 
Umstand,  dass  erst  „Dickicht"  das  Land  überwucherte  und  es  noch 
keine  Bäume  trug  (Vertrag  §  1),  scheint  für  die  letztgenannte  Mög- 
lichkeit zu  sprechen. 

Ähnliches  bietet  die  Klage  über  die  Kopfsteuer  im  Kontrakte 
der  Stadt  Posen  von  1719  mit  den  „Bambergern0  in  Luban.  Dort 
heisst  es  in  §  8:  „Da  nun  das  Kopfgeld,  welches  laut  der  Constitution 
die  Stadt  Posen  halbjährig  zu  entrichten  hat,  sehr  drückend  ist  und 
nach  dem  Taryff  die  Summe  nicht  zusammenbringen  kann,  daher  nun 
auch  die  noch  lebenden  für  die  schon  verstorbenen  zahlen  müssen, 


6  Clemens  Brandenburger. 

dem  Vertrage  (§  8)  ersichtlich  ist,  die  Kopfsteuer  für  Jahr 
und  Hufe  4  Gulden  20  (Kupfer)  Groschen  betrug,  Zlotkowo 
aber  11V2  Hufen  zählte,  so  hatte  die  Herrschaft  Golenczewo 
jährlich  53  Gulden  20  Groschen1)  für  das  Ödland  aufzu* 
bringen.  Begreiflich,  dass  der  Kastellan  den  Verlust  in 
Gewinn  umzuwandeln  suchte,  und  zwar  auf  jene  Art  und 
Weise,  die  damals,  wie  zu  allen  Zeiten,  für  die  slavischen 
Grossen  die  bequemste  und  ertragreichste  war:  durch 
die  Ansetzung  deutscher  Bauern. 

Der  Gründungsvertrag  datiert  vom  Palmsonntag,  den 
26.  März  1752,  aber  die  Ansetzung  erfolgte  spätestens  um 
die  Mitte  des  Jahres  1751,  wie  aus  dem  ausdrücklichen 
Hinweis  im  Vertrag  (§  2)  hervorgeht,  dass  die  Hauländer 
fast  schon  ein  Jahr  in  Zlotkowo  sässen.  Woher  sie  ge- 
kommen, war  urkundlich  nicht  festzustellen.  Im  Dorfe 
selbst  erfuhr  ich  aus  dem  Munde  der  Leute,  dass  ihre 
Vorgänger  (nicht  „Vorfahren")  aus  Brandenburg,  Pommern 
und  Schlesien  eingewandert  sein  sollen.  Die  Familien- 
namen widersprechen  dem  nicht,  sind  vielmehr  zum  Teil 
ausgesprochen  niederdeutsch.  Beachtenswert  erscheint  ein 
änderer  Umstand :  in  den  Urkunden  der  Schulzengerichts- 
barkeit aus  dem  18.  Jahrhundert  weist  das  mehrfache 
Vorkommen  des  Ausdruckes  „ Sterke"  für  „junge  Kuh% 
der  sich  von  Oldenburg  bis  Livland  findet,  dem  ober- 
deutschen Sprachgebiete  dagegen  fremd  ist,  auf  Branden- 
burg, Pommern,  Preussen  hin,  kaum  auf  Schlesien. 

Aus  der  Mundart  von  heute  kann  man  in  dieser  Be- 
ziehung ebensowenig  Schlüsse  ziehen,  wie  aus  der 
Tracht;  beide  bieten  keine  Besonderheiten  mehr,  und 
selbst  wenn  das  der  Fall  wäre,  würde  ich  in  Hinblick 
auf  die  bei  der  steten  Zuwanderung  fehlende  Familien- 
überlieferung Bedenken  tragen,  irgend  etwas  daraus 
folgern  zu  wollen. 


wie  es  auch  theils  die  Stadt  thun  muss,  so  geben  wir  den  Lubonscheit 
Leuten  hiermit  auf"  etc.  (Abgedruckt  bei  Bar,  Die  Bamberger  bei 
Posen.    Anlage  1). 

*)  Der  polnische  (Silber-)Gulden   galt  ungefähr  50  Pfennige 
(genauer  0,486  M)  und  zerfiel  in  30  (Kupfer-)Groschen. 


Das  Hauländer-Dorf  Goldau  bei  Posen.  7 

Der  Grund  dafür,  dass  nicht  sofort  bei  der  An- 
siedelung ein  schriftlicher  Vertrag  abgeschlossen  wurde, 
ist  wohl  darin  zu  suchen,  dass  die  neuen  Ansiedler  zuvor 
Gelegenheit  haben  sollten,  die  Verhältnisse  kennen  zu 
lernen  und  zugleich  ihre  Brauchbarkeit  zu  erweisen,  ehe 
man  zum  endgiltigen  Vertragsabschluss  schritt.  Dass  aber 
von  vornherein  mündliche  Abmachungen  getroffen 
worden  waren,  erhellt  der  §  2  des  Vertrages  zur  Genüge. 

Das  zur  Gemarkung  Zlotkowo  gehörige  Land  um- 
fasste  elf  Hufen  und  16  Morgen.  Gemeint  sind  polnische 
Hufen  zu  30  Morgen  (zu  300  Geviert-Ruten),  auf  Grund- 
lage der  alten  kulmischen  Hufe  (28  Morgen  291  Geviert- 
Ruten  =  16,81  ha)  ausgebildet,  aber  etwas  grösser  als 
diese,  nämlich  17,955  ha.  Darnach  betrug  die  Gesamt- 
fläche der  Gemarkung  Zlotkowo  206,105  ha  oder  346  poln. 
Morgen  (zu  59,85  ar),  wovon  14V2  Morgen  oder  8,68  ha 
für  die  Schule  ausgeschieden  wurden,  sodass  nur  noch 
1V2  Morgen  über  n  Hufen  hinaus  übrig  blieben.  Nun 
zählt  aber  das  Verzeichnis  zu  Eingang  des  Vertrages  nicht 
11,  sondern  12  Ansiedler  auf,  nämlich: 

1.  Johann  Bachmann,  7.  Paul  Hirschmann, 

2.  Johann  Möller,  8.  Michael  Kiembein, 

3.  Witwe  Kurzmann,  9.  Christoph  Schultz, 

4.  Gottfried  David  Krüger,      10.  Peter  Pachotek, 

5.  Schmied  Bleschke,  11.  Friedrich  Laube, 

6.  Johann  Christoph  Korn,      12.  Matthias  Binder. 
Es  waren   also  von  vornherein   10  Ganzhufner  und 

2  Halbhufner  vorgesehen.  Der  eine  Halbhufner  wird 
sogar  im  Vertrage  angeführt,  wenn  auch  nicht  mit  Namen. 
In  §  4  heisst  es  nämlich,  dass  eine  halbe  Hufe  „frei"  sein 
solle  (von  den  in  dem  vorhergehenden  Paragraphen  auf- 
gezählten Lasten)  für  denjenigen,  der  die  Schenke  über- 
nehme. Wer  der  andere  Halbhufner  war,  ist  nicht  er- 
sichtlich. 

Übrigens  ist  zu  bemerken,  dass  die  Hufen  in  Wirk- 
lichkeit nicht  genau  30  Morgen  gross  waren,  wenigstens 
nicht  alle,  denn  sonst  könnte  im  Vertrage  nicht  die  Rede 
davon  sein,   dass  die  Hauländer  den  von  jeder  Hufe  zu 


8  Clemens  Brandenburger. 

entrichtenden  Zins  nach  Anzahl  der  einem  jeden  ge- 
hörenden Morgen  unter  sich  repartieren  sollten  (§  2),  und 
dass  der  Kastellan  sich  verpflichte,  die  noch  unvermessene 
Grenzwiese  denen  zuzuteilen,  denen  noch  etwas  zur 
Hufe  fehle  (§  7).  Auch  Besitzungen  von  mehr  als 
30  Morgen  kommen  vor.  So  wird  z.  B.  in  dem  in  Beilage  2 
mitgeteilten  Einzelprivileg  gesagt,  dass  dem  Johann  Möller 
30  Morgen  und  32  Ruten  zugewiesen  wurden.  Es  ist  ja 
natürlich,  dass  die  Bedürfnisse  des  Wirtschaftslebens 
mathematische  Genauigkeit  nicht  zuliessen,  und  dafür,  dass 
hierdurch  keine  ungerechte  Bevorzugung  einzelner  entstand, 
ist  durch  die  erwähnte  proportionale  Verteilung  der  Ab- 
gaben in  billiger  Weise  Sorge  getragen. 

Hervorzuheben  ist,  dass  den  Goldauern  das  Bauholz 
nicht  unengeltlich  überlassen  wurde,  wie  es  sonst  bei  der 
Ansetzung  von  Hauländern  zu  geschehen  pflegte,  dass 
vielmehr  jeder  einen  Goldgulden  für  das  vom  Erbherrn 
zu  liefernde  Holz  zahlen  musste  (§  1).  Das  erklärt  sich, 
wie  auch  der  Vertrag  hervorhebt,  daraus,  dass  es  in  der 
Gemarkung  keine  Bäume  gab.  Infolgedessen  konnte  auch 
nicht,  wie  anderwärts,  bei  der  Instandsetzung  der  Äcker 
das  nötige  Holz  gewonnen  werden. 

Eine  andere  Eigentümlichkeit  des  Vertrages  ist  die 
hohe  Zahl  der  Freijahre,  hoch  in  Anbetracht  des  Um- 
standes,  dass  es  sich  doch  nur  um  die  Wiederaufnahme 
einer  während  weniger  Jahrzehnte  unterbrochenen  Kultur 
handelte.  Den  6  Freijahren  für  Goldau  stehen  z.  B.  nur 
3  Freijahre  für  die  unter  ganz  ähnlichen  Verhältnissen  an- 
gesiedelten Bamberger  in  Luban1)  und  ein  Freijahr  für 
die  Bamberger  in  Rataj2)  gegenüber,  während  in  dem  vom 
Grafen  Leon  Raczynski  1755  für  Kopaszyn  ausgestellten 
Privilegs)  Freijahre  überhaupt  nicht  erwähnt  werden. 

Auch  die  übrigen  Bedingungen  des  Vertrages  sind 
äusserst   liberale,   wie    die    umstehende     vergleichsweise 

*)  Bär,  Die  „Bamberger"  beiPosen.    Posen  1882.  Beilage  i,§3- 
2)  ebendaselbst  Beilage  3,  §  a. 

s)  Abgedruckt  bei  Krasiftski,  Bauernverhältnisse  in  Polen 
I.  S.  161  ff. 


Das  Hauländer-Dorf  Goldau  bei  Posen. 


Nebeneinanderstellung  der  Vertragsbedingungen  von  Gol- 
dau, Luban  und  Kopaszyn  dartut 

Vergleichende  Gegenüberstellung  der  Bedingungen  des 
Ansiedlungsvertrags  dreier  deutscher  Dörfer. 


Goldau 


Luban 


Kopaszyn 
^55 


Freijahrc:  Sechs. 

Viehhaltung:  Gross- 
vieh und  Ziegen  un- 
beschrftnktt25Schafe 
auf  die  Hufe. 


Hutung:  Im  Walde 
von  Golenczewo ; 
Nachhutung  auf  Wie- 
sen undFeldern  dort- 
selbst.  DieHerrschaf t 
hat  dieses  Recht 
auf  Goldauer  Ge- 
markung aber  nicht. 

Verfassung:  i)  Re- 
ligionsfreiheit, Schul- 
zenwahl. 

2)  Stellenverkauf  ge- 
gen Entrichtung  von 
1  Taler  für  die 
Hufe  durch  jeden 
Kontrahenten. 
3) 

Abgaben:  1)  Der 
Kirche  laut  Spezial- 
vertrag. 


2)  Kopfsteuer  mit  4 
Gulden  20  Groschen 
für  Jahr  und  Hufe. 


Drei. 

Unbeschränkt.  (Die 
Stadt  Posen  hatte 
natürlich  kein  In- 
teresse an  einer 
Beschränkung  der 
Wollerzeugung.) 

Müssen  sich  die  Hutung 
des  Posener  Viehes 
gefallen  lassen,o  h  n  e 
Gegenleistung. 


1)  Katholisch,  Schul- 
zenwahl. 

2)  Stellenverkaufgegen 
Abgabe  desvierten 
Teils  des  Ver- 
mögens. 

3)  Beschränkungen  im 
Erbrecht. 

1)  Maien  zu  Pfingsten 
und  Fronleichnam 
in  die  Pfarrkirche. 
Weitere  kirchliche 
Lasten  nicht  genannt. 

2)  Kopfsteuer  für  das 
Jahr:  der  Wirt  4 
Gulden,  die  Frau  4 
Gulden,  der  Knecht 
3  Gulden,  das  Kind 
2  Gulden. 


Grossvieh  und  Ziegen 
unbeschränkt,  auf 
der  Scholtisei  300 
Schafe,  sonst  keine. 


1)  Religionsfreiheit, 
Erbschulze. 

2)  Stellenverkauf  ge- 
gen Entrichtung  von 
10  M. 


3) 

1)  Wie  seit  alters  an 
die  Kirche. 


2)  Nicht  angeführt, 
musste  aber  zweifel- 
los bezahlt  werden, 
weil  öffentlich-recht- 
lich. 


IO 


Clemens  Brandenburger. 


Goldau 

Luban 

Kopaszyn 

175« 

1719 

1755 

3)  Grandgeld  mit  60 

3)    Grundgeld:       der 

3)  Grundgeld   mit  20 

Tymfi 

en  für  Jahi 

rund 

Ganzbauer    jahrlich 

Tymfen  für  Jahr  und 

Hufe. 

5oTymfe,  der  Halb- 
bauer 25  Tymfe. 

Hufe. 

4).   • 

4)  Steuer  der  „Hyber- 
na"  zusammen   100 
Gulden  jährlich. 

4) 

5).  . 

5) 

5)  1  Gans  und  2  Hennen 
für  Hufe  und  Jahr. 

Dienste:  1)  Für  Hufe 

1)  Jede  eigene  Haus- 

1) 4  Tage  Spanndienste 

und 

Jahr     1 

Tag 

haltung   bis   zu  6 

für  Hufe  und  Jahr, 

Hand 

-   und    1 

Tag 

Tagen  Handdienste, 

ausserdem        nach 

Spanndienst. 

ausserdem       jeder 

Wahl  der  Herrschaft 

Wirt  3  Tage  Spann- 

noch 1  Tag  Hand- 

dienste, jeder  Ein- 

oder Spanndienst. 

mieter  noch  3  Tage 

Handdienste. 

2).   . 

2) 

2)  2  Getreidefuhren  für 
Hufe  und  Jahr  nach 
Bromberg  oder  Po- 
sen oder  für  die 
Fuhre  5  Tymfe. 

3).   • 

3)    Dürfen    andere 
Dienste         nicht 
verweigern. 

3)  Dürfen  andere 
Dienste  nicht 
verweigern. 

Die   den  Hauländern   zugestandenen  Rechte  waren 
folgende: 

1)  Sie  erhielten  die  ihnen  zugeteilten  Ländereien  zu 
erblichem  und  frei  verkäuflichem  Besitz  (§  15 
der  Gründungsurkunde). 

2)  Es  wurden  ihnen  6  Freijahre  bewilligt,  ablaufend 
mit  dem  11.  November  1757  (§  2). 

3)  Sie  erhielten  Hutungsrecht  im  Golenczewer 
Walde  (§  10). 


Das  Haalftnder-Dorf  Goldau  bei  Posen.  II 

4)  Sie  durften  auf  jeder  Hufe  25  Schafe  halten,  aber 
mehr  nicht1)  (§  11). 

5)  Sie  hatten  die  Hutung  auf  den  Golenczewer 
Stoppelfeldern  und  Wiesen  nach  dem  Mähen 
und  nachdem  vorher  die  Herrschaft  die  Vor- 
hutung  daselbst  geübt  hatte  (§  12). 

6)  Es  stand  ihnen  freie  Schulzenwahl  zu  (§  9). 

7)  Sie  durften  ihre  Religion  frei  ausüben  (§  6). 

8)  Sie  durften  einen  eigenen  Friedhof  anlegen  (§  5). 

9)  Sie  durften  eine  eigene  Schule  unterhalten,  zu 
der  Dienstland  lastenfrei  angewiesen  war. 

10)  Sie  hatten  das  Schankrecht  für  den  Ort,  eben- 
falls mit  lastenfreiem  Krugland,  und  durften  den 
Krugwirt  selber  bestimmen  (§  4). 

Dem  standen  folgende  Verpflichtungen  gegenüber: 

1.  Sie  mussten  die  Bestätigung  der  Herrschaft  nach- 
suchen a)  für  den  gewählten  Schulzen  (§  9),  b)  für  den 
gewählten  Krugwirt  (§  4). 

2.  Sie  mussten  von  Hufenverkäufen  die  Herrschaft 
in  Kenntnis  setzen  (§  15),  wahrscheinlich,  damit  ge- 
gebenenfalls diese  Widerspruch  gegen  den  Käufer  er- 
heben konnte. 

3.  Sie  mussten  sich  verpflichten,  bei  Verkauf  ihrer 
Hufe  je  einen  Taler  Gebühr  sowohl  seitens  des  Ver- 
käufers wie  seitens  des  Käufers  an  die  Herrschaft  abzu- 
führen (§  15).  (Man  vergleiche  damit  die  Gegenüber- 
stellung). 

4.  Sie  durften  niemals  Ziegen  im  Golenczewer 
Walde  hüten,  desgleichen  hatten  sie  das  Vieh  von  den 
Schonungen  sorglich  fern  zu  halten  (§  10). 

5.  Sie  mussten  sich  verpflichten,  allen  Schaden,  der 
auf  Golenczewer  Gemarkung  von  ihren  Herden  etwa  an- 
gerichtet werden  sollte,  gemäss  der  Abschätzung  durch 
den  Schulzen  zu  ersetzen  (§  13). 

*)  Damit  die  Bauern  nur  Wolle  für  den  eigenen  Bedarf  er- 
zeugten und  dem  Gutsherrn  keine  Konkurrenz  im  Wollverkauf,  einer 
seiner  wichtigsten  Einnahmequellen,  machten.  Vergl.  Schottmüller, 
Handel  und  Gewerbe  in  der  Provinz  Posen.    Posen  1901. 


12  Clemens  Brandenburger. 

6.  Sie  durften  Wachs  niemals  anderswohin  ver- 
kaufen als  an  die  Herrschaft,  die  einen  Gulden  für  das* 
Pfund  zu  geben  hatte  (§  14). 

7.  Sie  mussten  sich  verpflichten,  den  beim  Kastellan 
mit  dem  katholischen  Pfarrer  von  Sobota  abzuschliessen- 
den  Vertrag  über  die  jener  Kirche  zustehenden  Abgaben 
innezuhalten  (§  6). 

8.  Die  Zlotkower  Kopfsteuer,  die  bisher  von  Golen- 
czewo  getragen  worden  war,  hatten  sie  nach  Ablauf  der 
Freijahre  mit  halbjährlich  2  Gulden  10  Groschen  für  die 
Hufe  selbst  zu  entrichten  (§  8). 

9.  An  Lasten  gegenüber  der  Gutsherrschaft  hatten 
sie  zu  leisten:  während  der  Freijahre  zwei  Handtage  für 
Hufe  und  Jahr  in  der  Erntezeit  (§  3),  später  für  Hufe  und 
Jahr:  je  einen  Tag  Hand-  und  Spanndienste  (§  3)  und 
60  Tymfen1)  in  Geld  (§  2). 

Ebenso  freiheitlich  wie  diese  Bemessung  von  Rechten; 
und  Pflichten  war  auch  die  Gemeindeverfassung. 
Während  man  anderwärts  zu  jener  Zeit  die  Besiede- 
lung  oft  noch  in  der  von  alters  hergebrachten  Weise 
vornahm,  dass  man  sich  mit  einem  „locator44  in  Ver- 
bindung setzte2),  dem  für  sich  und  seine  Rechtsnachfolger 
das  Schulzenamt  verliehen  wurde,  wofür  er  dann  die 
nötigen  Ansiedler  zusammenzubringen  hatte,  war  in 
Goldau  der  Schulze  frei  wählbar,  nur  dass  die  Herrschaft 
sich  das  Bestätigungsrecht  vorbehielt  Dem  Schulzen 
stand  die  niedere  Gerichtsbarkeit  zu,  d.  h.  diejenige  für 
Übertretungen,  die  also  mit  Geldstrafe  zu  sühnen  waren; 
es  ist  das  aus  dem  alten  jus  teutonicum  herübergenommen. 
Da  jedoch  bestimmt  wurde,  dass  alle  Strafgelder  an  die 
Herrschaft  abzuführen  seien,  während  nach  dem  jus 
teutonicum  ein  Drittel  davon  dem  Schulzen  zufiel,  so 
kam  jegliches  Interesse  an  häufigen  und  hohen  Strafen 
in  Fortfall.  Gegen  das  Urteil  des  Schulzen  stand  Appel- 
lation an  die  Herrschaft  zu,   die   seit   1523  höchster  Ge- 


i)  Etwa  36  Mark. 

2)  So  auch  in  Kopaszyn. 


Das  Hauländer-Dorf  Goldau  bei  Posen.  13 

richtshof  für  ihre  Hintersassen  war.  Weitere  Be- 
stimmungen scheinen  bei  der  Gründung  nicht  getroffen 
worden  zu  sein.  Man  wollte  sich  offenbar  den  Ansiedlern 
möglichst  entgegenkommend  erweisen,  indem  man  ihnen 
überliess,  sich  nach  dem  Brauche  ihrer  Heimat  einzu- 
richten. Ja  man  ging  in  diesem  Entgegenkommen  so 
weit,  dass  man  die  Abschätzung  und  Aburteilung  von 
Flurschäden  auf  der  Gutsgemarkung  Golenczewo  nicht, 
wie  doch  zu  erwarten  gewesen  wäre,  der  Herrschaft  vor- 
behielt, sondern  dem  Schulzen  übertrug,  also  einem  von 
-denen,  die  den  Schaden  zu  bezahlen  hatten! 

Ich  bin  geneigt,  den  Grund  für  diese  auffallende 
Erscheinung  nicht  etwa  in  einem  besonderen  Wohlwollen 
<ies  Kastellans  gegenüber  den  Hauländern,  sondern  darin 
zu  suchen,  dass  er  derartige  Lockmittel  für  nötig 
hielt,  um  Ansiedler  zu  gewinnen.  Die  Herrschaft  war  ja 
oberstes  Gericht  für  den  Bauern,  konnte  also,  wenn  sich 
-die  Vertragsbestimmungen  später  als  lästig  erwiesen,  die- 
selben einfach  abändern  oder  ignorieren,  wie  es  ander- 
wärts auch  Sitte  war.  In  der  Tat  ist  das  binnen 
weniger  Jahre  eingetreten! 

Vorläufig  aber  nahm  und  gab  Herr  Andreas 
Wyssogota  Zakrzewski,  Kastellan  von  Kaiisch  und  Erb- 
herr von  Zlotkowo,  die  Versicherung,  dass  die  Satzung 
vom  Palmensonntag  1752  für  ewige  Zeiten  bindend  und 
za  Recht  bestehen  solle.  Damit  war  das  Hauländerdorf 
Zlotkowo  rechtlich  begründet 

II.  Aus  polnischer  Zeit 

Das  erste  Lebenszeichen  der  neuen  Gemeinde,  dem 
wir  nach  Vollziehung  des  Gründungsaktes  begegnen,  ist 
die  Eintragung  der  Gründungsurkunde  in  die  Bücher  des 
Posener  Grodgerichtes  am  Karmittwoch,  den  29.  März 
1752.  Diese  Eintragung  war  zur  rechtlichen  Gültigkeit  der 
Gründungsurkunde  nicht  erforderlich,  wurde  jedoch  last 
immer  vorgenommen,  weil  die  Abschrift  in  den  Grodr 
büchern  vor  Gericht  dieselbe  Beweiskraft  hatte,  wie  das 


14  Clemens  Brandenburger. 

Original,  was  bei  Verlusten  oder  Fälschungen  des  Originals 
von  Bedeutung  war.  Der  Kastellan  hatte  deshalb  im  Ver- 
trage versprochen,  für  die  Eintragung  der  Urkunde  Sorge 
zu  tragen.  Merkwürdigerweise  erfolgte  die  Eintragung 
aber  nicht  auf  seine  Veranlassung,  sondern  auf  Antrags 
dreier  Abgesandter  der  Hauländer,  die  in  der  Einleitung 
zu  der  Grodgerichtsverhandlung  namentlich  aufgeführt 
werden:  Johannes  Bachmann,  Friedrich  Laube  und 
Christoph  Schultz.  Diese  drei  handelten  etwa  nicht  als 
Beauftragte  des  Kastellans,  sondern,  wie  es  in  der  Ver- 
handlungausdrücklich heisst:  „suis  et  aliorum  Holandorum 
nominibus."  Ob  diese  Abweichung  vom  Vertrage  auf 
einer  mündlichen  Abmachung  mit  dem  Erbheim  beruhte 
oder  ob  die  Hauländer  es  für  sicherer  hielten,  wenn  sie 
selbst  die  Eintragung  überwachten,  muss  ich  dahingestellt 
sein  lassen. 

2  V*  Jahr  nach  der  Gründung  erfolgte  der  erste , 
urkundlich  auf  uns  gekommene  Besitzwechsel.  Johann 
Möller  verkauft  seine  Hufe  mit  allem  Zubehör  an  einen 
gewissen  Christoph  Hirschfelder,  wozu  der  Kastellan 
am  i.  Juni  1754  seine  Bewilligung  gab  ')•  Diese  Ein- 
willigung ist  auf  dem  Privileg  des  Johann  Möller  aus- 
gestellt und  überträgt  ausdrücklich  alle  Rechte  und 
Pflichten  des  bisherigen  auf  den  neuen  Privileginhaber. 
Es  war  das  bei  dem  Fehlen  von  Grundbüchern  in  der 
polnischen  Rechtspflege  der  einfachste  Weg,  den  Neu- 
erwerber zu  legitimieren  und  sicherzustellen.  Mit  Hirsch- 
felder kam  diejenige  Familie  nach  Goldau,  die  sich  einzig 
und  allein  von  allen  Familien  aus  polnischer  Zeit  im 
Mannesstamme  bis  heute  im  Dorfe  erhalten  hat  Alle 
anderen  Namen  aus  jenen  Tagen  sind  durch  Erlöschen 
des  Mannesstammes  oder  durch  Wegzug  verschwunden. 
Gewiss  ein  merkwürdiger  Umstand,  wenn  man  bedenkt r 
dass  in  den  Bamberger -Dörfern  die  alten  Familien  fast 
durchweg  erhalten  blieben.  Das  Aussterben  des  Mannes- 
stammes ist  natürlich  nicht  erklärlich.    Wohl  aber  lassen 


*)  Siehe  Beilage  2. 


Das  Hauländer- Dorf  Goldau  bei  Posen.  15 

sich  Gründe  dafür  beibringen,  dass  der  Wegzug  in  Goldau 
häufiger  war,  als  er  in  den  Bamberger-Dörfern  gewesen 
sein  kann:  In  Goldau  war  nämlich  die  Abwanderung 
fast  unbeschränkt  frei;  denn  die  Abgabe  von  einem  Taler 
ist  kaum  als  eine  Beschränkung  zu  betrachten.  In  dem 
Bamberger-Dorf  Luban  dagegen  war  die  Abwanderung 
fast  unbeschränkt  unterbunden;  denn  die  Abgabe  von 
25°/o  des  ganzen  Vermögens  musste  prohibitiv  wirken. 

Stärker  noch  als  die  leichte  Wegzugsmöglichkeit 
wirkte  aber  unzweifelhaft  die  schnell  eintretende  Ver- 
schlechterung der  persönlichen  Lage  auf  den  häufigen 
Wechsel  der  Goldauer  Wirte  hin.  Die  Bamberger,  ob- 
wohl von  Anfang  an  viel  schlechter  gestellt  als  die 
Goldauer,  waren  im  Grunde  genommen  doch  besser  daran, 
weil  ihre  Verhältnisse  rechtlich  viel  gesicherter  waren. 
Sie  standen  in  Diensten  der  Stadt  Posen,  also  einer 
juristischen  Person,  während  die  Goldauer  auf  dem  Lande 
eines  Einzelnen  sassen.  Die  Aufsicht  über  die  Bamberger 
war  nicht  in  Händen  eines  Mannes,  sondern  des  Kollegiums 
der  Kämmerer,  die  kein  Interesse  an  einer  Ausbeutung 
hatten,  und  gegen  die  stets  die  Berufung  an  den  Magistrat 
offen  stand,  während  den  Goldauern  der  Gutsherr  zugleich 
oberster  Gerichtsherr  war,  dessen  Anordnungen  befolgt 
werden  mussten,  falls  er  die  Macht  hatte  sie  durchzusetzen. 
Die  Lage  der  Bamberger  konnte  also  stets  die  gleiche 
bleiben,  die  der  Goldauer  musste  sich  naturnotwendig 
verschlechtern,  sobald  sich  der  Gutsherr  Vorteil  davon 
versprach. 

Dieser  Fall  trat  bereits  1757  ein.  Am  6.  Februar 
jenes  Jahres  wurde  den  Hauländern  seitens  des  Gutsherrn  *) 
ein  neues  Privileg  aufgedrängt,  das  den  Bauern  die  Ver- 
pflichtung auferlegte,  jährlich  für  die  Herrschaft  sechs 
Fuhren  nach  Thorn  zu  tun  oder  für  jede  Fuhre  32 
Groschen  poln.  zu  zahlen  und  anstatt  des  im  Gründungs- 

1)  Ob  noch  Andreas  Zakrzewski  damals  Gutsherr  war  oder 
bereits  Karl  Nieiychowski,  habe  ich  nicht  feststellen  können.  Viel- 
eicht war  es  bereits  der  letztgenannte,  der  1762  auch  eine  Dorf- 
Ordnung  erliess. 


l6  Clemens  Brandenburger. 

Privileg  festgesetzten  einen  Hand-  und  einen  Spanntages 
jährlich  deren  zwölf  zu  leisten.  Natürlich  weigerten  sich 
die  Wirte,  das  neue  Privileg  anzuerkennen,  weil  sie  „bei 
diesen  Diensten  in  ihrer  Wirtschaft  nicht  bestehen 
könnten"1)  und  weil  sie  nicht  zur  Feststellung  desselben 
hinzugezogen  worden  seien.  Aber  die  Weigerung  half 
nichts.  Wer  nicht  gutwillig  leistete,  der  wurde  mit  Stock- 
schlägen oder  mit  Exekution  in  sein  Vermögen  mürbe 
gemacht  In  einem  Falle  wurde  der  Bauer  sogar  auf  die 
Weise  gezwungen,  dass  ihm  der  Gutsherr  die  Wahl  liess, 
ob  er  leisten  oder  sein  Haus  in  Flammen  sehen  wolle. 
Eine  Berufung  gab  es  nicht.  Unterwerfung  oder  Verkauf 
war  die  Alternative.  Von  dieser  letzteren  Möglichkeit 
scheint,  wie  auch  aus  der  Zusammenstellung  am  Ende 
dieses  Abschnittes  hervorgeht,  so  häufig  Gebrauch  gemacht 
worden  zu  sein,  dass  es  der  Gutsherr  am  18.  September  1775 
angebracht  fand,  wiederum  ein  neues  Privileg  zu  erlassen, 
das  eine  Abgabe  von  10  %  bei  jedem  Verkaufe  einführte, 
an  Stelle  des  „für  ewige  Zeiten"  garantierten  Talers  von 
der  Hufe. 

Zwischen  diese  beiden  Privilegien  aber  fällt  die 
Einführung  einer  Dorf  Ordnung.  Am  20.  Dezember  1762 
erliess  Karl  NieSychowski,  der  neue  Besitzer  von  Golen- 
czewo,  eine  „wilkerliche  und  geburchliche  Gerechtigkeit"  2), 
damit  unter  den  „gutten  ehrlichen  Leuthen — gutte  Ordenung, 
auch  Friede  und  Einigkeit  gestiff tet,  darnebst  der  geburchliche 
Gehorsam  erhalten  werde. " 

Die  Dorfordnung  ist  ein  äusserst  bedeutsamer  Beleg 
für  den  tiefgehenden  Einfluss,  den  das  jus  teutonicum  in 
Polen  gewonnen  hatte,  indem  sie  sich  in  vielen  Stücken 
ganz  eng  an  dasselbe  anschliesst,  obwohl  doch  die  alten 
deutschen  Kolonien,  mit  denen  einst  das  jus  teutonicum 
ins  Land  gekommen  war,  längst  polonisiert  waren  und 
eine  Überlieferung  kaum  mehr  bestand. 


*)  Aus  dem  Tribunals-Erkenntnis  der  südpreussischen  Regierung 
vom  11.  August  1798. 

*)  Siehe  Beilage  3. 


Das  Haulander-Dorf  Goldau  bei  Posen.  17 

Was  zunächst  die  Dorfobrigkeit  angeht,  so  be- 
stimmte die  Ordnung,  dass  die  „Nachbarn"  (d.  h.  die 
Vollberechtigten,  die  Wirte,  nicht  auch  die  Haussöhne 
Einmieter  u.  s.  w.)  einen  Schulzen  und  etliche  Beisitzer 
wählen  sollten,  die  des  Dorfes  Bestes  sollen  helfen  fort- 
setzen, die  zwistigen  Händel,  so  vorfallen,  mittein  und 
scheiden,  über  dieser  —  Anordnung  halten,  die  verwirkten 
Strafen  einfordern  und  jährlich  den  Nachbarn  Rechnung 
thun  sollen.  Offenbar  hatten  jährlich  Neuwahlen  statt- 
zufinden, denn  es  sollten  diese  nachfolgenden  Punkte  den 
Nachbarn  zweimal  des  Jahres  vorgelesen  werden, 
erstlich  stracks  nach  gehaltener  Kür,  zum  andern 
auf  Michael,  damit  sich  niemand  mit  Unwissenheit  zu 
entschuldigen  habe1).  Die  Bestätigung,  oder,  wie  es  im 
Original  heisst,  die  „  Bekräftigung"  der  Wahl  stand  dem 
Gutsherrn  zu,  eine  Bestimmung,  die  sich  ja  schon  in  der 
Gründungsurkunde  findet  Sonderbarerweise  wird  die  Zahl 
der  zu  wählenden  Beisitzer  in  der  Ordnimg  nicht  fest- 
gesetzt. Doch  geht  aus  den  erhaltenen  Urkunden  hervor, 
dass  ihre  Zahl  stets  drei  betrug,  so  dass  der  Gemeinde- 
vorstand sich  zusammensetzte  wie  folgt:  1.  Der  regierende 
Schulze,  2.  der  älteste  Gerichtsmann,  zuweilen  auch  Ge- 
meindeältester genannt,  3.  der  Nachbarschulze,  auch  Bei- 
sitzer genannt,  4.  der  jüngste  Gerichtsmann. 

A.    Stellung  der  Dorfobrigkeit. 

1.  Die  Befugnisse 
lassen  sich  etwa  folgendermassen  zusammenfassen: 

a)  Der  Schulze  konnte  die  Wirte  zusammenbieten 
oder  zusammenbieten  lassen.  Wer  ohne  triftigen  Grund 
fern  blieb,  hatte  5  Groschen  Strafe  zu  zahlen  (§  1).  Seinen 
Anordnungen  war  unbedingte  Folge  zu  leisten  (§  2,  §  3, 
i  17  u.  a.  mehr),  einerlei  ob  er  sie  persönlich  oder  durch 
Beauftragte  erteilte  (§  4).    Doch    konnte  jeder,    der  sich 


*)  Auch  in  Luban  musste  die  „Verordnung"  zweimal  jährlich 
vorgelesen  werden,  zu  Ostern  und  Michaelis,  damit  sie  „in  gutem 
•Gedächtnis  bleibe."    (Bär  a.  a.  O.  Beilage  1  §  23).     . 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XVIII.  8 


18  Clemens  Brandenburger. 

dadurch  oder  durch  Rechtsentscheidungen  beschwert  ver- 
meinte, an  die  Herrschaft  appellieren.  Allerdings  wurde 
„freventliche  und  mutwillige"  Berufung  mit  einer  „guten 
Mark*  gestraft  (§  38).  Insonderheit  wurde  festgesetzt,, 
dass  die  Nichtbefolgung  von  Anordnungen  zu  des  Dorfes 
Bestem,  als  da  sind:  die  Treiben  zu  bessern,  die  Grenzen 
zu  verfertigen,  die  Wassergänge  und  Gräben  zu  krauten 
und  auszuräumen,  mit  2  Mark  und  nach  einer  erfolg- 
losen Frist  von  8  Tagen  mit  dem  doppelten  zu  bestrafen 
sei  (§  17). 

b.  Der  Gemeinde  vorstand  hatte  Funktionen  sowohl 
der  Rechtspflege  wie  der  Verwaltung  auszuüben.  Er  besass 
die  Rechte  einer  öffentlichen  Urkundsperson,  indem 
Testamente  und  Kontrakte  unter  seiner  Mitwirkung  aus- 
zufertigen waren  (§  36),  und  war  Gerichtsbehörde  in  allen 
Fällen,  die  nicht  unter  die  Kriminalgerichtsbarkeit  fielen. 
Letztere  war  der  Herrschaft  vorbehalten  (§  37).  Die  Bei- 
sitzer allein  hatten  keinerlei  Befugnisse  auszuüben,  sondern 
stets  nur  in  Gemeinschaft  mit  dem  Schulzen,  ausgenommen^, 
dass  der  Gemeindeälteste  oder  der  Nachbarschulze  den 
Schulzen  im  Behinderungsfalle  zu  vertreten  hatte. 

Die  Verwaltungsrechte  des  Kollegiums  erstreckten 
sich  vor  allen  auf  die  Verwahrung  und  Verwendung  der 
Strafgelder  und  Gebühren.  Diese  Gelder  wurden  in  einer 
besonderen  Lade  beim  Schulzen  aufbewahrt,  zu  der  die 
Schlüssel  sich  in  Händen  der  Beisitzer  befanden.  Betreffs 
der  Verwendung  war  bestimmt,  dass  das  Geld  nicht 
„verschlemmt"  werden  dürfe,  sondern  zu  Ausbesserungen 
und  Neuanlagen  im  Interesse  des  Dorfes  verwendet 
werden  müsse,  und  zwar  immer  mit  Vorwissen  der  Wirte 
(vgl.  Einleitung  der  Dorfordnung).  Durch  dieses  System 
mehrfachen  Verschlusses  der  Lade  und  öffentlicher 
Kontrolle  der  Verwendung  war  Veruntreuungen  und  Unter- 
schlagungen nach  Möglichkeit  vorgebeugt 

Von  den  besonderen  Strafen  bei  Vergehungen  gegen 
die  Mitglieder  des  Gemeindevorstandes  wird  weiter  unten 
die  Rede  sein,  wenn  ich  den  Schutz  von  Person,  Eigentum 
und  Rechten  zu  behandeln  habe. 


V 

% 

\ 


Das  Hanländer-Dorf  Goldan  bei  Posen.  19* 

2.  Die  Pflichten. 
Ein  grosser  Teil  der  Befugnisse  war  ohne  weiteres 
mit  dementsprechenden  Pflichten  verknüpft,  die  aus  der 
obenstehenden  Aufzählung  leicht  ersichtlich  sind,  sodass. 
es  einer  nochmaligen  Hervorhebung  nicht  bedarf.  Es. 
braucht  also  nur  auf  die  in  der  Dorfordnung  ausdrücklich 
genannten  Verpflichtungen  eingegangen  zu  werden. 

a)  Der  Schulze  war  gehalten,  Kriminal-  oder  hals- 
peinigliche  Vergehen  sofort  der  Herrschaft  anzuzeigen^ 
damit  dieselbe  in  die  Möglichkeit  versetzt  wurde,  ihre 
Gerichtsbarkeit  auszuüben  (§  37). 

b)  Das  Gesamt kollegium  war  verpflichtet,  alle 
14  Tage  am  Dienstag  Gerichtssitzung  abzuhalten,  nach 
Anhörung  von  Klage  und  Verteidigung  die  Händel  zu 
schlichten  und  auch  den  Fremden  zu  ihrem  Rechte  zu 
verhelfen,  damit  nach  göttlichen  und  weltlichen  Rechten 
einem  jedweden,  sowohl  einem  Einheimischen  als  Aus- 
ländischen1), widerfahre,  was  recht  und  billig  ist  und  sich 
niemand  mutwillig  zu  beschweren  habe  (§  34).  Doch 
durften  bei  5  Groschen  Strafe  Weiber,  sofern  sie  verheiratet 
und  ihr  Mann  ortsanwesend  war,  nicht  vor  Gericht  er- 
scheinen (§  5),  und  Klagen  waren  nur  anzunehmen,  wenn 
die  klägerische  Partei  den  Verklagten  spätestens  am  Tage 
vorher  zur  Verantwortung  geladen  hatte  (§  34).  Die  ver- 
hängten Strafen  waren  unablässig  einzufordern  (§  34). 

Ganz  besonders  hatten  Schulze  wie  Ratsleute  darüber 
zu  wachen,  dass  die  Dämme  und  die  Wasserläufe  in 
Ordnung  waren,  und  zu  sorgen,  dass  vorkommende  Schad- 
haftigkeiten sofort  ausgebessert  wurden.  Wurden  sie  hierin 
lässig  befunden,  so  sollten  sie  nach  Erkenntnis  der  ganzen 
Gemeinde   gestraft  werden. 

Im  Schluss  der  Dorfordnung  wurde  das  Kollegium 
dann  noch  im  allgemeinen  streng  verpflichtet,  über  die 
Ausführung  aller  Bestimmungen  der  Ordnung,  Satzung,. 
Konstitution  mit  Ernst  zu  halten,  wofern  es  nicht  selbst 
die  jeweils  festgesetzte  Strafe  doppelt  verwirken  wollte. 

*)  Mit  den  „Ausländischen"  sind  die  von  den  Gütern  anderer 
Herren  stammenden  Leute  gemeint. 


20  Clemens  Brandenburger. 

3.  Die  Einkünfte  und  Gefälle. 

a)  An  regelmässigen  Bezügen  hatte  der  Schulze  10, 
die  Ratsleute  15  Groschen  von  der  Hufe  zu  beanspruchen, 
die  jährlich  bei  der  Wahlversammlung  unter  Strafe  der 
Verdoppelung  zu  entrichten  waren  (§  6). 

b)  Bei  allen  Reisen,  die  sie  im  Interesse  des  Dorfes 
machen  mussten,  waren  ihnen  die  Unkosten  zu  erstatten, 
und  zwar  wurde  die  Summe  durch  Umlage  nach  Land- 
besitz aufgebracht  (§  7). 

c)  Für  die  Besichtigung  eines  Grundstückes  zwecks 
Schadenabschätzung  hatte  das  Gericht  12  Groschen  zu 
beanspruchen  (§  29),  ebensoviel  für  die  Gerichtsver- 
handlung von  jedem,  der  Recht  begehrte,  und  da  hierbei 
dem  Schulzen  ausdrücklich  4  Groschen  zugesprochen  wurden 
(§  35)»  so  ist  anzunehmen,  dass  ihm  auch  bei  der  Schaden- 
abschätzung 4  Groschen  gehörten. 

d)  Dem  Schulzen  allein  standen  zu:  die  Gebühren 
für  Klage  wegen  Grenzverletzung  mit  10  Groschen 
<§  18),  von  Blut-  und  Blauschlägen  8  Silbergroschen 
nebst  der  gerichtlichen  Gebühr  (d.  h.  4  Groschen)  (§  37) 
und  von  der  Viehpfändung  der  dritte  Pfennig  (§  25). 

B.  Regelung  des  Zusammenlebens  im  Dorfe. 

1.  Kauf  und  Verkauf. 

a)  Kaufverträge  über  Mobilien  galten  als  ab- 
geschlossen, wenn  „gewiss  Bier  darüber  getrunken  worden" 
war.  Hielt  dann  der  eine  Kontrahent  den  Vertrag  nicht, 
so  war  er  gehalten,  zwei  Tonnen  Bier  zu  geben  (§  9). 

b)  Land  verkaufe  durften  nicht  heimlich  abge- 
schlossen werden,  sondern  waren  bei  dem  Schulzen  an- 
zumelden. Die  Kaufsumme  musste  bei  ihm  hinterlegt 
werden,  und  nach  Abschluss  des  Vertrages  hatte  die 
„ganze  Nachbarschaft*,  d.  h.  alle  Wirte,  Anspruch  auf 
eine  Tonne  Bier  (§  39). 

Wollte  aber  jemand  sein  Land  an  einen  Dorffremden 
verkaufen,  so  hatte  der  Schulze  die  Wirte  bei  einer  von 
dem  Verkäufer  zu  liefernden  Tonne  Bier  zu  versammeln 


Das  Hauländer-Dorf  Goldau  bei  Posen.  21 

und  Umfrage  zu  halten,  ob  vielleicht  einer  der  Wirte  das 
Land  kaufen  möchte.  War  das  der  Fall,  so  stand  dem 
Betreffenden  der  Verkauf  vor  dem  Fremden  zu.  Meldeten 
sich  mehrere,  so  hatte  der  mit  Acker  und  Baustelle  an- 
grenzende den  Vorzug.  Allen  voran  aber  gingen  die 
„Freunde",  d.  h.  die  Anverwandten  des  Verkäufers.  Auf 
Übertretung  dieser  Bestimmungen  stand  eine  Strafe  von 
10  guten  Mark  an  die  Herrschaft  und  von  einer  Tonne 
Bier  an  die  Nachbarschaft  (§  40). 

Der  Umstand,  dass  für  die  häufigen  Mobilien-  und 
die  nicht  seltenen  Immobilienverkäufe  gerade  die  Abgabe 
einer  Tonne  Bier  als  Grundbedingung  festgesetzt  wurde, 
mag  teilweise  in  der  Sitte  begründet  sein.  Anderseits 
aber  hat  sicherlich  mitbestimmend  gewirkt,  dass  in  Golen- 
czewo  eine  herrschaftliche  Brauerei  bestand  —  in  Polen 
hatte  jede  Herrschaft  ihre  eigene  Brauerei,  wenn  nicht 
sogar  mehrere1)  — ,  die  für  den  Absatz  ihres  Bieres 
natürlich  in  erster  Linie  auf  die  Bauern  angewiesen  war. 
Anderwärts,  z.  B.  in  der  mehrfach  erwähnten  Urkunde 
von  Kppaszyn,  wird  ausdrücklich  bestimmt,  dass  die 
Bauern  das  Bier  nur  aus  der  herrschaftlichen  Brauerei 
holen,  dass  im  Dorfkrug  kein  anderes  ausgeschenkt 
werden  dürfe.  Daher  überall  bei  der  Gründung  die  Für- 
sorge für  einen  Krug,  die  Ausstattung  desselben  mit 
Land,  die  Besserstellung  des  Krugwirtes  in  bezug  auf 
Dienste  und  Abgaben!  Da  auch  in  Goldau  der  Krug 
mit  Land  ausgestattet  war  (siehe  oben!),  so  ist  füglicher 
Weise  anzunehmen,  dass  der  Zwang  im  Bierbezug  eben- 
falls bestand. 

2.  Pfändung, 
a)  Wenn  jemand  Vieh  pfändete,  so  durfte  er  es 
nicht  in  seinen  eigenen  Stall  treiben,  sondern  musste  es 
beim  Schulzen  oder  den  Ratsleuten  unterstellen,  bei 
Strafe  einer  guten  Mark  (§  24).  Die  Sorge  für  Tränken 
und  Füttern  lag  jedoch  dem  Pfänder  ob,  der  für  jeden 
Schaden  haftbar  blieb  (§  22).    Die  Bestimmung,  dass  das . 

»)  Vergl.  u.  A.  Schottmüller  a.  a.  O. 


"22  Clemens  Brandenburger. 

Vieh  bei  einer  Gerichtsperson  unterzustellen  sei,  wurde 
vor  allem  wohl  deshalb  getroffen,  damit  der  Pfänder  nicht 
in  Versuchung  käme,  das  gepfändete  Vieh  zu  seinem 
Vorteil  auszunutzen.  Die  Dorfordnung  verbot  ausdrücklich 
jedem,  die  gepfändeten  Kühe  zu  melken,  die  gepfändeten 
Pferde  zu  reiten,  ebenfalls  bei  i  Mark  Strafe  (§  28). 
Auch  wurde  die  Aufsicht  der  Pfändungen,  die  Verfolgung 
willkürlicher  Pfändungen  erleichtert,  die  Hinterziehung 
*des  dem  Schulzen  zustehenden  dritten  Pfennigs  ver- 
hindert Wurde  das  Vieh  auf  fremdem  Grunde  und 
Boden  betreten,  so  durfte  sich  der  Besitzer  der  Pfändung 
nicht  widersetzen.  Jeder  Versuch  zum  Widerstand  kostete 
1  Mark  Strafe  (§  26).  War  das  Vieh  in  Gerichtsverwahr 
gebracht,  so  hatte  der  Schulze  es  dem  Gepfändeten  so- 
fort anzusagen.  Löste  der  sein  Vieh  nicht  desselbigen 
Tages  aus,  so  hatte  er  5  Groschen  Stallgeld  für  jedes  Tier 
zu  zahlen.  Die  zweite  Nacht  kostete  10,  die  dritte  20, 
die  vierte  40  und  die  fünfte  80  Groschen  für  das  Tier,  War 
das  Vieh  auch  bis  dahin  noch  nicht  eingelöst,  so  wurde 
es,  der  gnädigen  Herrschaft  in  den  Hof  getrieben» 
also  Eigentum  des  Gutsherrn  (§  23).  Die  Auslösung 
geschah,  indem  der  Pfänder  den  ihm  erwachsenen 
Schaden  durch  das  Gericht,  dem  für  die  Flurbesichtigung 
12  Groschen  zustanden,  abschätzen  Hess  und  die  ab- 
geschätzte Summe  von  dem  Gepfändeten  als  Lösegeld 
forderte,  dazu  die  Besichtigungsgebühr.  Doch  konnte 
er  sich,  und  bei  geringen  Schäden  wird  er  es  natürlich 
immer  getan  haben,  mit  dem  gewöhnlichen  Pfand- 
gelde  von  1  Groschen  für  jedes  Tier  begnügen  (§  29), 
Wollte  jemand  sein  Vieh  sofort  wieder  los  haben, 
und  konnte  der  Schaden  nicht  mehr  am  Pfändungstage 
abgeschätzt  werden,  so  musste  er  Bürgen  stellen,  die 
dem  Schulzen  genügend  erschienen  und  die  sich  für  das 
doppelte  Pfandgeld,  also  für  2  Groschen  für  das  Tier,  ver- 
bürgten (§  25),  Dann  konnte  er  sein  Vieh  sofort  wieder 
mitnehmen  und  die  Auslösung  später  erledigen,  eine 
Massregel,  die  den  wirtschaftlichen  Bedürfnissen  durch- 
aus Rechnung  trug. 


Das  Hauländer-Dorf  Goldau  bei  Posen.  23 

b)  Gänse  und  Enten  dagegen  sollten  nicht  ge- 
pfändet werden,  wahrscheinlich  in  Anerkennung  des 
alten  Wahrspruches,  dass  die  Nürnberger  keinen  hängen, 
ehe  sie  ihn  haben,  und  ausserdem  in  der  Erwägung,  dass 
man  bei  dem  schwer  zu  beaufsichtigenden  Geflügel  aus 
Pfändungsstreitigkeiten  garnicht  herausgekommen  wäre. 
Hier  durfte  sich  jedermann  sein  Recht  selbst  schaffen, 
indem  er  das  Federvieh  totschlug  oder  totwarf,  doch 
musste  er  die  getöteten  Tiere  dem  Eigentümer  ins  Haus 
schicken  (§  30). 

3.  Brandschäden. 

a)  Brach  ein  Brand  aus,  so  hatte  sich  selbstver- 
ständlich jeder  an  den  Lösch-  und  Rettungsarbeiten  zu 
beteiligen;  Zuwiderhandlungen  wurden  mit  3  guten  Mark 
bestraft  (§  11).  Wer  dabei  zu  fremden  Werkzeugen,  als 
Äxten,  Beilen,  Hacken  u.  s.  w.  griff,  der  durfte  dieselben 
nach  Bewältigung  des  Feuers  nicht  nach  Hause  nehmen, 
sondern  hatte  sie  bei  einer  Mark  Strafe  unverzüglich  zum 
Schulzen  zu  bringen,  damit  sie  von  Amtswegen  dem 
Eigentümer  wieder  zugestellt  wurden  (§  12). 

b)  Dem  Abgebrannten  sollte  mit  einer  „christlichen 
Beisteuer"  geholfen  werden,  und  zwar  je  nach  der  Grösse 
des  Schadens  mit  einem  Groschen  von  der  Hufe.  Auch 
musste  ihm  Holz,  Sand  u.  s.  w.  zum  Wiederaufbau  her- 
beigefahren und  sonst  nach  Möglichkeit  Beistand  geleistet 
werden  (§  10). 

4.  Vom    Gesinde. 

a)  Der  Gedanke  der  Einigkeit,  der  in  der  soeben 
angeführten  Beihilfe  bei  Feuerschäden  zum  Ausdruck 
kommt  und  der  später  noch  einmal  beim  Diebstahl  wieder- 
kehren wird,  findet  sich  auch  im  Gesinderecht,  indem 
niemand  einen  Gärtner  oder  Einlieger  ohne  Vorwissen 
und  Zustimmung  der  anderen  Wirte  annehmen  durfte, 
bei  Strafe  einer  Tonne  Bieres  (§  33).  Es  sollten  keine 
Leute  ins  Dorf  kommen,  die  Anlass  zu  Misshelligkeiten 
geben  und  das  gute  Einvernehmen  der  Einwohner  stören 


24  Clemens  Brandenburger. 

konnten.    Dem  suchte  man  durch  diese  Bestimmung  vor- 
zubeugen. 

b)  Wer  einem  anderen  die  Taglöhner  ausmietete, 
ehe  sie  entlohnt  und  entlassen  waren,  der  sollte  eine 
Mark  Strafe  zahlen  (§  20).  Wer  aber  einen  Knecht 
oder  eine  Magd  dem  Dienstgeber  abspenstig  machte,, 
dem  wurde  die  Strafe  verdoppelt,  und  ausserdem  musste 
er  den  Dienstboten  wieder  zu  dem  alten  Herrn  zurück- 
kehren lassen  (§  21). 

5.  Schutz  von  Leib  und  Leben  und  Ehre* 

a)  Verleumdung  und  Ehrabschneidung,  durch 
2  untadelhafte  Zeugen  bewiesen,  wurde  mit  2  Mark  be- 
straft. Ausserdem  war  der  Verurteilte  zum  Widerruf 
gezwungen  (§  15).  Lief  jemand  vor  eines  anderen  Tür,, 
um  ihn  mit  Scheltworten  herauszufordern,  so  büsste  er  das 
mit  3  guten  Mark  (§  13). 

b)  Da  die  Vergehen  wider  Leib  und  Leben  vor 
das  Gericht  des  Gutsherrn  gehörten,  so  bleiben  sie  in 
der  Dorfordnung  unerwähnt,  mit  Ausnahme  des  Wege- 
lagerns.  Wer  dieses  Vergehens  mit  3  unversprochenen 
Zeugen  überführt  wurde,  war  der  Dorflade  4  Mark  ver- 
fallen, ohne  damit  der  gebührenden  Leibesstrafe  zu  ent- 
rinnen (§  14). 

c)  Mit  besonderem  Schutze  waren  die  Gerichtsver- 
handlungen und  die  obrigkeitlichen  Personen  ausgestattet 
Das  war  durchaus  notwendig,  denn  einerseits  war  gerade 
vor  Gericht  und  den  Gerichtspersonen  gegenüber  die 
Versuchung  zu  Ausschreitungen  am  häufigsten  und  grösstenr 
anderseits  musste  nirgend  so  strenge  Ordnung  und  Achtung 
gefordert  werden  wie  gerade  hier. 

Wer  einen  andern  vor  Gericht  mit  Scheltworten 
anfuhr  oder  der  Lüge  zieh,  der  musste  es  mit  5  Groschen 
büssen,  wer  sich  aber  gar  zu  Tätlichkeiten  hinreissen 
Hess,  hatte  das  Doppelte  zu  zahlen  und  durfte  ausserdem 
das  Gerichtslokal  nicht  eher  verlassen,  als  bis  er  sich  mit 
seinem  Gegner  vertragen  hatte  (§  31).  Schickte  der 
Schulze  jemanden   in  des  Dorfs  Gerichtsgeschäften  aus, 


Das  Hauländer-Dorf  Goldau  bei  Posen.  25 

und  wurde  dieser  Beauftragte  beschimpft  oder  geschlagenr 
so  hatte  der  Angreifer  2  gute  Mark  zu  zahlen,  weitere 
Strafe  nach  Erkenntnis  des  Gerichtes  zu  leisten  (§  4). 
Kam  jemand  schimpfend  oder  mit  „scharfem  Gewehr"  ins 
Schulzen-  oder  Gerichtshaus,  weigerte  er  sich  dem  Verhör, 
so  war  er  ohne  weiteres  mit  2  Mark  zu  strafen.  Vergriff 
er  sich  aber  an  den  Gerichtspersonen,  so  war  durch 
besonderen  Gerichtsspruch  gegen  ihn  zu  erkennen  (§  2). 
Und  wenn  mit  Zwang  gegen  ihn  vorgegangen  werden 
musste,  dann  hatte  er  Schläge  und  Wunden  seinem  eigenen 
Verschulden  zuzuschreiben  (§  3). 

6.  Schutz  des  Eigentums. 

a)  Ich  habe  schon  oben  (B  4)  vorwegnehmend 
bemerkt,  dass  der  Solidaritätsgedanke  bei  der  Bestimmung 
über  den  Diebstahl  wiederkehre.  Es  waren  nämlich  alle 
Wirte  verpflichtet,  an  der  Suche  und  Verfolgung  des  Diebes 
teilzunehmen  (§  19).  Diese  Verpflichtung  findet  sich 
übrigens  unter  dem  Namen  „£lad*  auch  schon  im  ältesten 
polnischen  Recht. 

b)  Das  Befahren  eines  bestellten  fremden  Ackers 
verpflichtete  zu  einer  Mark  Strafe  und  zu  Schadenersatz 
<§  16).  Ebenso  wurde  schadenersatzpflichtig,  wer  fremdes 
Vieh  schlug  oder  warf  (mit  3  Mark)  (§  27)  und  wer  durch 
Grenzgräben  und  unberechtigte  Abzäunungen  den  Nach- 
bar in  der  Bestellung  seines  Landes  hinderte  und  störte 
(jedesmal  mit  10  Groschen  Schulzengebühren)  (§  18). 

c)  Mass  und  Gewicht  hatten  sich  nach  Posener 
Brauch  zu  richten.  Vorsätzliches  und  betrügerisches 
Zuwiderhandeln  wurde  laut  besonderem  Gerichtsspruch 
bestraft  (§  32). 

d)  Für  die  Beschädigung  von  Äckern  und  Wiesen 
durch  fremdes  Vieh  konnte  sich  jeder  vermittelst  der  oben 
ausführlich   behandelten  Pfändung  schadlos  halten  (B  2). 

7.   E  r  b  g  a  n  g. 
Hinsichtlich   des   Erbganges   ist  aus   den   uns  er- 
haltenen Dokumenten  der  Schulzengerichtsbarkeit1)  ersicht- 

*)  Vgl.  Gemeinde-Akten  von  Goldan,  Nr.  25,  33,  ai,  36, 34,  38, 35. 


20  Clemens  Brandenburger. 

lieh,  dass  keine  Realteilung  vorgenommen  wurde,  dass- 
vielmehr  der  älteste  Sohn,  unter  Umständen  auch  die 
wiederverheiratete  Witwe  oder  ein  Schwiegersohn,  die 
Wirtschaft  übernahm  und  die  übrigen  Erbberechtigten  mit 
Geld,  Vieh,  Aussteuer  abfand,  wobei  der  Übernehmende 
stets  bevorzugt  war.  Die  Abfindung  erfolgte  bei  minorennen 
Erben  erst  nach  erlangter  Grossjährigkeit,  bei  Töchtern 
gewöhnlich  erst  gelegentlich  ihrer  Verheiratung. 

Ich  möchte  nicht  unterlassen,  hier  einige  Beispiele 
solcher  Auseinandersetzungen  anzuführen,  da  sie  die  wirt- 
schaftliche Lage  der  Hauländer  recht  gut  beleuchten. 

a)  Am  2.  November  1776  heiratete  Johann  Redel  die 
verwitwete  Frau  Anna  Katharina  Schweife,  wobei  Hausr 
Hof  und  Hufe  auf  ihn  überging,  wogegen  er  versprechen 
musste,  den  3  Stiefsöhnen  nach  erlangter  Grossjährigkeit 
je  5  Taler  (zu  6  Gulden)  auszuzahlen,  jedem  2  fünfjährige 
Rinder,  den  beiden  ältesten  einen  halben  Wagen  und  dem 
jüngsten  nach  Wahl  auch  einen  halben  Wagen  oder  aber 
einen  Pflug  zu  geben.  Die  Töchter  sollten  bei  ihrer 
Verheiratung  2  Kühe,  einen  Kessel,  ein  aufgebettetes  Bett 
und  ein  Brautkleid  bekommen,  auch  wurde  ihnen  die 
Hochzeit  frei  ausgehalten.  Ausserdem  bekam  jedes  der 
Kinder  3  Schafe  und  einen  Bienenstock.  Der  Anteil  eines 
etwa  minorenn  Verstorbenen  fiel  den  andern  zu  (Gemeinde- 
Akten,  Inv.  Nr.  21). 

b)  Am  16.  November  1783  verkaufte  Johann  Gottlob- 
Korn  seine  Hufe  Land  an  seinen  Schwager  Christian 
Willert  für  300  Gulden  mit  der  Verpflichtung,  der  einen 
Schwester  des  Verkäufers  die  Hochzeit  auszurichten  und 
eine  Kuh  zu  geben,  während  der  Verkäufer  selbst  die 
gleiche  Verpflichtung  für  die  andere  Schwester  einging 
(Inv.  Nr.  34). 

c)  Am  24.  April  1785  übernahm  Johann  Kraft  die 
Wirtschaft  seines  verstorbenen  Vaters  mit  der  Auflage,, 
seine  drei  noch  ledigen  Schwestern  ebenso  auszustatten,, 
wie  der  Vater  die  verheiratete  Tochter  ausgestattet  hatte, 
nämlich  ihnen  zu.  geben:  12  Mutterschafe,  7  Jungschäfe 
und  6  Lämmer,  zusammen  25  Stück,  ein  einjähriges  Schwein, 


Das  Hauländer-Dorf  Goldau  bei  Posen.  27- 

zwei  Kühe,  zwei  Gänse,  ein  Bett  mit  vier  Kissen  und 
einer  Lade  darunter.  Ausserdem  musste  er  für  ihre  Er-» 
ziehung  sorgen,  sie  mit  Kleidung  und  bei  der  Verheiratung 
mit  Aussteuer  versehen  und  jeder  10  Reichsthaler  geben. 
Doch  hatte  jedesmal  zwischen  den  Leistungen  mindestens 
ein  Jahr  zu  liegen,  damit  der  Bruder  mit  seiner  Wirtschaft 
in  Ordnung  blieb.  Zum  Vergleich  mit  der  Abfindung  im 
vorhergehenden  Falle  möchte  ich  noch  bemerken,  dass  diese 
Wirtschaft  8  Jahre  vorher  für  800  Gulden  an  Johann 
Kraft  senior  übergegangen  war  (Kaufpreis  bei  Nr.  2  nur 
300  Gulden). 

d)  Am  26.  April  1787  musste  Michael  Brauer  ver- 
sprechen, seinem  Stiefsöhnchen  aus  der  Hinterlassenschaft 
des  Vaters  zu  geben:  15  Reichstaler  (zu  6  Gulden),  ein 
Paar  Rinder  von  4  Jahren,  10  Stück  Schafe,  ein  Pferd 
und  einen  Pflug.  Dieser  Vertrag  erhält  besondere  Be- 
deutung dadurch,  dass  in  ihm  Taxen  angegeben  sind> 
nämlich  10  Taler  für  das  Pferd,  5  Taler  für  das  Rind, 
1  Taler  für  das  Schaf,  während  der  Pflug  18  Gulden 
wert  sein  sollte  (Inv.  Nr.  35). 

8.  Besitzwechsel. 
Ich  habe,  soweit  die  Unterlagen  noch  vorhanden 
sind,  für  die  Zeit  von  1752  bis  1793,  von  der  Gründung 
bis  zur  preussischen  Besitzergreifung,  19  Fälle  von  Besitz- 
wechsel durch  Verkauf  oder  durch  Wiederverheiratung 
einer  Witwe  mit  einem  Dorffremden  feststellen  können. 
Da  1793  nur  noch  Johann  Hirschmann  aus  einer  der 
ersten  Ansiedlerfamilien  als  Wirt  aufgeführt  wird,  der 
wahrscheinlich  noch  auf  der  Scholle  seiner  Väter  sass, 
so  verteilen  sich  die  19  Fälle  auf  11  Wirtschaften,  von 
denen  also  mehrere  ihren  Besitzer  öfters  gewechselt 
haben  müssen.  Hiervon  fallen  mindestens  7  Besitzwechsel 
(für  eine  ganze  Anzahl  Hess  sich  das  Jahr  nicht  fest« 
stellen)  auf  die  Zeit  nach  1775.  Das  schon  erwähnte 
Privileg  vom  gleichen  Jahre,  das  der  Gutsherrschaft  den 
zehnten  Groschen  beim  Verkauf  zusprach,  vermochte 
demnach   den  Wegzug   der   ersten  Ansiedler   nicht   auf- 


28  Clemens  Brandenburger. 

zuhalten.  Der  Grund  lag  in  der  fortwährenden  brutalen 
Rechtsverletzung  seitens  der  Herrschaft,  die  das  wirt- 
schaftliche Emporkommen  erschwerte  und  nicht  geeignet 
*war,  Leute  zum  Bleiben  zu  veranlassen,  die,  unter 
preussischem  Szepter  geboren,  an  die  Verhältnisse  eines 
geordneten  Rechtsstaates  gewohnt  waren,  die  wussten, 
dass  seit  1772  in  Westpreussen  und  im  Netzedistrikt  Recht, 
Ordnung  und  Wohlstand  unter  der  Regierung  des  grossen 
Königs  ihren  Einzug  gehalten,  dass  man  dort  Bauern 
suchte,  um  das  entvölkerte  Land  zu  besiedeln  und  die 
dem  Wasser  abgerungenen  Strecken  in  Kultur  zu  nehmen. 

9.  Kirchliche  Ordnung. 
Kirchlich  gehörte  Goldau  zur  Kreuzkirche  in  Posen. 
Da  die  Gründung  aber  in  die  Zeit  des  sogenannten 
Posener  Kircheninterregnums  fällt,  während  dessen  die 
Kreuzkirche  infolge  der  Herrschaft  der  Posener  Jesuiten 
geschlossen  war,  und  die  Protestanten  nach  dem  11  Kilo- 
meter entfernten  Schwersenz  zur  Kirche  mussten,  so  finden 
wir  Namen  von  Goldauer  Bauern  erst  seit  der  Wieder- 
eröffnung, 1779,  in  den  Kirchenbüchern.  Wo  die  Goldauer 
in  der  Zwischenzeit  ihren  kirchlichen  Bedürfnissen  genügten, 
wer  ihre  Kinder  taufte,  ihre  Brautpaare  einsegnete,  ihre 
Toten  begrub,  habe  ich  nicht  ermitteln  können.  Die 
Schwersenzer  Kirchenbücher  habe  ich  vergeblich  darauf- 
hin durchgesehen.  Die  Auskunft,  die  ich  im  Dorfe  selbst 
erhielt,  war  dürftig.  Danach  sollen  die  Taufen  meist  in 
•der  katholischen  Kirche  zu  Sobota  stattgefunden  haben; 
im  übrigen  sollen  die  Leute  die  Kirche  in  Revier  (Kreis 
Wongrowitz,  nahe  der  Posener  Bezirksgrenze)  besucht 
haben.  Aus  der  handschriftlichen  Chronik  des  Lehrers 
Dalchau,  die  sich  auf  die  Berichte  einiger  inzwischen  ver- 
storbener, sehr  alter  Dorfbewohner  stützt,  ergiebt  sich, 
dass  jeden  zweiten  Sonntag  Gottesdienst  in  der  Schule 
stattfand,  bestehend  aus  gemeinsamem  Gesang  und  aus 
dem  Verlesen  einer  Predigt  durch  den  Lehrer,  der  infolge- 
dessen „Verleser"  hiess.  Wahrscheinlich  haben  auch  die 
Begräbnisse  auf  dem  Gemeinde-Friedhof  nur  unter  Be- 
gleitung des  Lehrers  stattgefunden. 


Das  Hauländer-Dorf  Goldan  bei  Posen.  29. 

10.  Schule. 
Von  der  Erlaubnis,  eine  Schule  zu  errichten,  machten 
die  Goldauer  schon  früh  Gebrauch.  Das  Schulhaus  war, 
wie  alle  anderen  Häuser,  aus  Lehm  und  Fachwerk  auf- 
geführt und  mit  Stroh  gedeckt.  Es  enthielt  nur  eine 
Stube,  eine  Kammer  und  einen  Anbau  zur  Unterbringung* 
der  Kuh.  Der  Unterricht  fand  in  der  Wohnstube  statt. 
Die  Kinder  sassen  um  einen  Tisch  herum;  wer  keinen 
Platz  fand,  musste  dem  Unterricht  stehend  beiwohnen. 
Natürlich  war  der  Lehrer  nicht  das,  was  wir  heute  unter 
diesem  Namen  verstehen,  sondern  irgend  ein  Handwerker, 
der  zur  Not  lesen,  schreiben  und  rechnen  konnte.  Seine 
Bildung  kann  man  leicht  ermessen,  wenn  man  die  Kauf- 
und Ehekontrakte  durchliest,  die  sämtlich  von  des  Lehrers 
Hand  geschrieben  sind.  Die  Besorgung  der  Schreib« 
arbeit  für  den  Schulzen  war  überhaupt  die  wichtigste 
Aufgabe  des  Lehrers,  denn  unter  den  Bauern  war  keiner,, 
der  auch  nur  seinen  Namen  zu  schreiben  verstand. 

C.  Rückblick  auf  die  polnische  Zeit. 

Darüber  kann  kein  Zweifel  obwalten:  Die  zurück- 
bleibenden Bauern  wären  innerhalb  eines  halben  Jahr- 
hunderts unfehlbar  in  den  Zustand  völliger  Hörigkeit 
versunken  —  trotz  ihrer  „für  ewige  Zeiten"  bestätigten 
Freiheiten  und  Rechte  — ,  wenn  die  polnische  Herrschaft 
länger  gedauert  hätte. 

Es  ist  das  die  gleiche  Erscheinung,  wie  sie  uns  drei 
Jahrhunderte  früher  bei  den  alten  Dörfern  deutschen 
Rechtes  begegnet,  die  auch  in  sehr  kurzer  Frist  aus  dem 
Zustande   der  Erbfreiheit  in  den  der  Hörigkeit  verfielen. 

Fragen  wir  nach  den  Ursachen,  so  lässt  sich  un- 
schwer erkennen,  dass  auch  diese  beidemal  dieselben  sind. 
Die  Grundlage  bildet  die  unbeschränkte  Herrschaft  der 
Adelsrepublik,  die  im  18.  Jahrhundert  noch  stärker  aus- 
gebildet war  als  zur  Zeit  der  Jägiellonen.  Der  polnische 
Adel  hatte  weit  ausgedehntere  Rechte  als  die  Grundherren 
der  ostdeutschen  Territorialstaaten,  ja  man  kann  be- 
haupten, dass  er  wirklich,  wenn  auch  nicht  rechtlich  die- 


.30  Clemens  Brandenburger. 

selbe  Stellung  einnahm,  wie  die  reichsständischen  Feudal- 
herren.    War  er  so    mit   unbeschränkter    Gewalt   über 
Leben  und  Tod,  über  Freiheit  und  Eigentum  seiner  Guts- 
untertanen ausgerüstet,   eine  Gewalt,   gegen  die  es  keine 
Berufung,  keinen  Schutz  gab,  so  bedurfte  es  nur  eines  An- 
stosses,    um   ihn    zur  Durchführung  derselben  zu  veran- 
lassen und  die  dem  Recht  nach  freien  Bauern  zu  Hörigen 
herabzudrücken.    Diesen  Anstoss  hatte  im  15.  Jahrhundert 
die  durch  den  neuerschlossenen  Zugang  zur  Ostseeküste 
ermöglichte  freie  Getreideausfuhr  gegeben,   die  den  Adel 
zur  Ausdehnung  seiner  Anbaufläche  reizte.    Im  18.  Jahr- 
hundert finden  wir  den  gleichen  Beweggrund.    In  Polen 
hatte   ein  ausgedehntes   System   von   Berechtigungen   zu 
Privatzollerhebungen   bestanden,   das   durch   die   Steuer- 
reform des  Convocations-Reichstages  von  1764  aufgehoben 
und    durch   einen    „Generalzoll"    ersetzt  wurde.     Dieser 
Generalzoll  war  jedoch  durchaus  nicht  allgemein,  vielmehr 
standen   dem  Adel  weitgehende   Privilegien1)  zu,   indem 
1.  alle  land-  und  forstwirtschaftlichen  Erzeugnisse,  die  auf 
adligen  Fuhren   zum  Markt   oder  für  den  Eigengebrauch 
auf   andere  Güter  gebracht  wurden,    abgabenfrei  waren, 
und   indem   2.  alles  Vieh  von   einem  Gute   zum  anderen 
steuerfrei   durchgelassen   wurde.      Damit  war  der  ganze 
innere  Verkehr,  besonders  nach  den  städtischen  Märkten, 
der  bisher  unter  den  Privatzollschranken  schwer  gelitten 
hatte,  für  den  Adel  bezw.  seine  Beauftragten  freigegeben, 
was  natürlich  sofort  eine  stärkere  Produktion  hervorrufen 
musste.    Aber  auch   für  den  Export  wurden  dem  Adel 
bedeutende    Erleichterungen   zu  Teil,   indem  1.  sein  Ge- 
treide nur  2  polnische  Gulden  Ausfuhrzoll  für  die  Last2)  zu 
zahlen  hatte  und  indem    2.  seine  „necessaria"   zollfrei  ins 
Land  gelassen  wurden.      Welcher  Antrieb  zur  Erhöhung 
der  Produktion  und  der  Ausfuhr  in  der  Vereinigung  dieser 
beiden  Privilegien  lag,  bedarf  wohl  keiner  weiteren  Aus- 

i)  Vgl.  Krasinski,  Geschichtliche  Darstellung  der  Bauern- 
verhältnisse in  Polen  (Krakau  1898)  II.  S.  12  ff.  —  Henryk  Schmitt, 
Dzieje  Polski  w  18  i  19  wieku  (Krakau  1866— €8)  II.  S.  65  ff. 

2)  1  Last  =  30  Scheffel  zu  120,6  Liter  =  3618  Liter. 


Das  Hauländer-Dorf  Goldau  bei  Posen.  31 

führung.  Zu  gesteigerter  Produktion  bedurfte  man  er- 
höhten Arbeitsaufwandes,  also  einer  grösseren  Zahl  von 
Arbeitern.  Da  diese,  wie  Stenger1)  in  seinem  Auf  satze  ganz 
richtig  bemerkt,  als  landwirtschaftliche  Lohnarbeiter  in 
jener  Zeit  nicht  zu  haben  waren,  so  zwang  man  die 
Bauern  zu  ungerechtfertigten  Dienstleistungen.  Damit 
hängt  es  auch  zusammen,  dass  von  den  Goldauern  jährlich 
<6  Fuhren  nach  Thorn  verlangt  wurden.  Nach  Thorn 
brachte  man  das  Getreide,  um  es  von  dort  zu  Schiff 
oder  auf  Flössen  nach  Danzig  zu  bringen. 

So  verband  sich  die  ungeordnete  Rechtslage  des 
Landes  mit  den  wirtschaftlichen  Bedürfnissen  des  Adels, 
um  den  freien  Bauern  in  die  Hörigkeit  zu  zwingen.  Als 
aber  seit  dem  Einmarsch  der  Preussen  die  Idee  des 
Rechtsstaates  zum  Siege  gelangte,  da  waren  die  wirtschaft- 
lichen Bedürfnisse  der  bisher  herrschenden  Klasse  nicht 
mehr  mächtig  genug,  um  sich  diesem  Prinzip  gegenüber 
durchzusetzen.  Die  Folge  war,  dass  die  Bauern  wieder 
in  ihren  alten  Stand  gesetzt  wurden. 

III.  Bei  der  Krone  Preussen. 

Doch  auch  für  Goldau  sollte  die  Stunde  der  Erlösung 
schlagen.  Am  23.  Januar  1793  schloss  Friedrich  Wilhelm  IL 
mit  der  Kaiserin  Katharina  IL  die  Petersburger  Convention 
-die  ihm  neben  Thorn  und  Danzig  auch  das  alte  Gross- 
polen tiberantwortete.  Am  24.  Januar  überschritten  die 
Truppen  des  Generals  von  Moellendorf  in  der  Gegend  von 
Schwerin  a.  W.  die  polnische  Grenze.  Die  Aufnahme 
der  militärischen  Besitzergreifung,  die  über  Erwarten  glatt 
von  statten  ging,  war  in  den  verschiedenen  Landesteilen 
und  bei  den  verschiedenen  Volksschichten  nicht  dieselbe. 
In  einem  Bericht  des  Ministers  von  Hoym,  datiert  Breslau, 
11.  Februar  1793,  heisst  es  hierüber: 

„Was  die  Stimmung  der  Polen  bey  den  jetzigen 
Umständen  anbetrifft,  so  ist  der  ohneweit  der  diesseitigen 
■Grenze   befindliche   Adel  dabey  ziemlich   ruhig  und   in- 

*)  S.  folgenden  Abschnitt. 


32  Clemens  Brandenburger. 

different;  je  entfernter  und  je  tiefer  derselbe  in  Gross- 
Pohlen  ist,  desto  unzufriedener  ist  derselbe  und  fast  bis 
auf  die  Raserey  über  die  ihm  bevorstehende  Veränderung 
gebracht,  dahingegen  der  Bürger  und  Bauer  durch* 
gängig  den  Augenblick  segnet,  in  welchen  Ew. 
Majestät  jene  Distrikte  in  Dero  Besitz  nehmen  lassen  r 
indem  er  dadurch  von  derSclaverey  und  von  dem 
Druck  befreyet  wird,  unter  welchem  er  zeither 
vergebens  geseufzet  hat"1). 

Nachdem  die  militärische  Besitznahme  vollendet  war,, 
wurde  am  25.  März  das  Notifikationspatent  *)  erlassen,  das 
erstemal,  dass  der  König  öffentlich  zu  seinen  neuen  Unter- 
tanen sprach.  Der  König  verhiess  darin,  „das  gantze 
Land  dergestalt  zu  regieren,  dass  der  vernünftige  und 
wohldenkende  Theil  der  Einwohner  glücklich  und  zufrieden 
seyn  kann  und  keine  Ursache  haben  soll,  die  Veränderung 
in  der  Landesherrschaft  zu  bereuen."  Zugleich  wurden 
Anordnungen  für  die  Erbhuldigung  getroffen,  die  am 
Dienstag  den  7.  Mai  3)  stattfand. 

Zu  dieser  Huldigungsfeier  entsandten  die  Goldauer 
ihren  derzeitigen  Schulzen  Martin  Schmidt  mit  nachstehen- 
der Vollmacht:4) 

„Wir  Endesunterschriebne  Einwohner  des  im  Posni- 
schen Distrikt  gelegnen  Dorfes  Zlotkowa,  ertheilen  hiermit 
unserm  Schultzen  Martin  Schmidt  Vollmacht,  in  unserm 
Nahmen  bei  der  Sr.  Königl.  Majestät  von  Preussen  auf 
d.  7.  Mai  in  Posen  zu  leistenden  Huldigung  zugegen  zu 
seyn  und  den  zu  leistenden  Huldigungs  Eid  in  unsre 
Seele  zu  schwören,  unter  der  Erklärung,  dass  wir  diese 
Eidesleistung  also  ansehen  wollen,  als  ob  sie  von  uns 
allen  persönlich  geschehen  wäre.  Zlotkowa  d.  6.  Mai 
1793."    (Folgen  die  Unterschriften). 


i)  Breslauer  Staatsarchiv,  M.  R.  V.  10  Vol.  XVI.  Ausführlich 
ist  jene  Zeit  behandelt  in  Prümers  etc.,  Das  Jahr  1793.  Posen  1895. 
Sonder- Veröffentlichung  der  Historischen  Gesellschaft. 

2)  Abgedruckt  bei  Prümers  etc.    Das  Jahr  1793  S.  42  ff. 

s)  Prümers  etc.  a.  a.  O.  Seite  13. 

*)  Gemeinde- Akten,  Inv.  Nr.  3. 


Das  Hauländer-Dorf  Goldau  bei  Posen.  33 

Die  Einverleibung  Grosspolens  in  den  preussischen 
Staat  hatte  fast  überall  zur  Folge,  dass  die  Bauern  der 
Gutsherrschaft  die  aufgezwungenen  und  ungerechten 
Dienste  verweigerten,  sich  vielfach  sogar  mit  Gewalt  wider- 
setzten. So  heisst  es  schon  in  einem  Bericht  Moellendorfs 
an  das  Kabinetsministerium  vom  12.  April  1793  aus  Petri- 
kau:1)  „Dass  die  Unterthanen  hin  und  wieder  anfangen, 
ihren  Grundherrschaften  den  bisher  geleisteten  Dienst  zu 
versagen.  Verschiedene  Herrschaften  haben  daher  bey 
mir  angesucht,  die  Unterthanen  durch  militärische  Exe- 
cution  zu  ihrer  Schuldigkeit  zurückzuführen,  oder  ihnen 
zu  erlauben,  sich  durch  Aufsitzen  selbst  ihr  Recht  zu  ver- 
schaffen. Beide  Mittel  scheinen  mir  bey  gegenwärtiger 
Lage  der  Dinge  nicht  zulässig  zu  seyn,  ersteres  würde 
den  gemeinen  Mann  wieder  uns  aufbringen,  und  letzteres 
scheint  mir  mit  Gefahr  der  Aufopferung  der  Ruhe  ver- 
bunden zu  seyn.  Ich  habe  daher  vernünftige  Unteroffizier 
nach  diejenige  Oerter  hingeschickt,  wo  Unruhen  obwalten, 
und  habe  den  Unterthanen  unter  Androhung  militärischer 
Execution  ermahnen  lassen,  ihren  Grundherrschaften  weder 
den  Dienst  noch  Gehorsam  zu  versagen,  sondern  solchen 
solange  unweigerlich  zu  leisten,  bis  dass  neue  Justitzhöfe 
errichtet  seyn  würden,  vor  welchen  sie  sodann  ihre  Be- 
schwerden anzubringen  und  nach  Befinden  der  Umstände 
Hülfe  zu  gewärtigen  hätten". 

Aber  die  „Ermahnungen"  der  „vernünftigen  Unter- 
offizier" scheinen  den  gewünschten  Erfolg  nicht  gehabt 
zu  haben,  denn  am  12.  Juli  desselben  Jahres  1793  sah  sich 
die  südpreussische  Regierung  zu  Posen  veranlasst,  ein 
„Publicandum  an  die  sämtlichen  Gemeinden  der  Mediat- 
städte  und  Dörfer*42)  zu  erlassen,  das  „an  allen  Kirch- 
Thüren,  Rat-Häusern  und  Dorf-Krügen  zu  affigieren  war4*: 
Der  König  habe  höchst  missfällig  vernommen,  dass 
Dero    Landesväterliche    Absicht,    dass    jedermann    ohne 

*)  Geh.  Staatsarch.  Berlin,  R.  7  C  Nr.  1  betr.  die  Besitznehmung, 
Vol.  II  BL  26  ff.    Abgedruckt  bei  Prümers  a.  a.  O.  Seite  48  ff. 

*)  In  der  Ediktensammlung  des  Posener  Staats-Archives.  Die 
Verordnung  ist  deutsch  und  polnisch  gedruckt. 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  fttr  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XVm.  8 


34  Clemens  Brandenburger. 

Unterschied  der  Person  und  des  Standes  Recht  verschafft 
werden  solle,  von  vielen  Gemeinden  der  Mediat-Städte 
und  Dörfer  dahin  unrecht  ausgelegt  worden,  als  ob  sie 
ihren  Herrschaften  und  deren  Beamten  die  schuldige 
Achtung  und  Gehorsam  nicht  mehr  leisten  dürften,  und 
als  ob  ihnen  frey  stünde,  ihre  bisherigen  Schuldigkeiten 
zu  verweigern  und  sich  Hütungen  und  andere  Vorteile 
eigenmächtig  anzumassen,  welche  sie  bisher  nicht  zu 
geniessen  gehabt. 

„Ein  solches  Verfahren  streitet  gegen  alle  gute 
Ordnung,  welche  Se.  Königliche  Majestät  bevestigt  wissen 
wollen,  und  welche  allein  der  Weg  ist,  auf  welchem  einem 
jeden  zu  seinem  Rechte  geholfen  werden  kann. 

„Seine  Königliche  Majestät  werden  besondere  Kom- 
missiones  anordnen,  welche  alle  Schuldigkeiten  der  Unter- 
thanen,  imgleichen  die  Vortheile,  so  diese  von  ihren  Grund- 
herrschaften zu  fordern  haben,  gründlich  untersuchen  und 
reguliren  werden.  Ein  so  wichtiges  Werk  erfordert  aber 
Zeit  und  muss  ruhig  betrieben  werden.  Es  werden  daher 
alle  und  jede  Einwohner  in  den  Städten  und  Dörfern 
hiermit  ernstlich  erinnert,  bis  dahin,  dass  ihre  Gerecht- 
same und  Schuldigkeiten  durch  gütlichen  Vergleich  oder 
einen  richterlichen  Ausspruch  festgesetzt  sein  werden, 
nicht  nur  alle  ihre  Abgaben  und  Dienste,  so  wie  sie  solches 
in  dem  letzten  Jahre  vor  Sr.  Königlichen  Majestät  von 
Preussen  Besitznehmung  geleistet,  fernerhin  ohnweiger- 
lich  zu  leisten  und  sich  an  Hütungen  und  andern 
Nutzungen  ein  mehreres  nicht  anzumaassen,  als  sie  biss 
dahin  genossen  haben. 

„Sollte  wider  Verhoffen  eine  oder  die  andere  Grund- 
herrschaft, deren  Pächter  oder  Beamten  von  ihren  Unter- 
thanen  mehrere  Dienste  oder  Abgaben  fordern,  als  sie 
zur  Zeit  der  Königlichen  Besitznehmung  geleistet,  oder 
denselben  Vortheile  entziehen  wollen,  so  sie  bis  dahin 
genossen  haben,  so  steht  den  Unterthanen  frey,  ihre  Be- 
schwerde darüber  bey  der  Königlichen  Regierung  anzu- 
bringen, und  diese  wird  dieselben  bey  dem  vorigen  Besitz 
bis  nach  völliger  Regulirung  der  Sache  zu  schützen  wissen, 


Das  Haalftader-Dorf  Goldau  bei  Posen.  35 

dagegen  werden  diejenigen,  welche  sich  beygehen  lassen, 
die  ihnen  abgeforderten  Abgaben  und  Dienste  eigen- 
mächtig zu  verweigern,  oder  sich  selbst  in  den  Besitz  der 
ihnen  von  der  Herrschaft  untersagten  Nutzungen  zu  setzen, 
als  Störer  der  Ruhe  angesehen  und  mit  empfindlicher 
Strafe  belegt  werden. 

„Da  auch  dadurch,  dass  ein  jeder  Stand  in  den  ihm 
von  Gott  angewiesenen  Schranken  bleibt,  die  allgemeine 
Giückseeligkeit  befördert  wird,  so  wird  allen  Einwohnern 
der  Mediat-Städte  und  Dörfer  so  gnädig  als  ernstlich  an- 
befohlen, ihren  Herrschaften  und  denen  die  Stelle  derselben 
vertretenden  Pächtern  und  Beamten  die  gebührende 
Achtung  und  Gehorsam  zu  beweisen  und  sich  solcherge- 
stalt der  allerhöchsten  königlichen  Gnade  und  Schutzes 
würdig  zu  machen." 

Wenn  aber  Dr.  Meisner  (der  Verfasser  der  Abhand- 
lung „Gerichtsorganisation  und  Rechtspflege"  in  dem 
mehrfach  erwähnten  Prümers'schen  Sammelwerke  „Das 
Jahr  1793")  betreffs  der  zahlreichen  Prozesse,  in  denen 
die  Hauländer  ihre  Privilegien  geltend  machten,  behauptet:1) 
«„In  den  deshalb  ergangenen  Entscheidungen  wurde  aber, 
50  sehr  auch  der  Rechtsweg  in  Polen  erschwert  war, 
doch  nicht  angenommen,  dass  den  freien  deutschen 
Bauern  das  rechtliche  Gehör  geradezu  versagt  gewesen 
sei,  und  es  wurde  hiernach  der  Anspruch  der  Hauländer 
etc.  auf  Ermässigung  ihrer  Leistungen  auf  Grund  der 
za  Gunsten  der  bestehenden  Verhältnisse  eingewendeten 
Verjährung  abgewiesen"  —  so  widerspricht  dem  nicht 
nur  der  Wortlaut  des  obigen  Publicandums,  sondern  vor 
allem  das  Erkentnnis  der  südpreussischen  Regierung  „in 
Sachen  der  Hauländer-Gemeinde  zu  Ztotkowo,  Appellanten 
und  Beklagten,  wider  den  Grundherrn  Dominikus  von 
Przanowski,  Appellaten  und  Kläger"2),  d.  d.  Posen,  den 
11.  August  1798. 

Die  Goldauer  hatten  sich  nämlich  nicht  nur  in  dem 
Jahre  1793,  sondern  bereits  1791  und  1792,  als  der  Ein- 

i)  a.  a-  O.  S.  327. 

*)  Gemeinde-Akten  Inv.  Nr.  5. 


36  Clemens  Brandenburger. 

marsch  der  Preussen  schon  zu  erwarten  stand,  geweigert,, 
die  ihnen  1757  auferlegten  Fuhren  nach  Thorn  zu  leisten^ 
und  waren  dieserhalb,  sowie  wegen  der  Leistung  von  12 
Spanntagen  und  dem  zehnten  Groschen  vom  Gutsherrn 
verklagt,  am  12.  Dezember  1795  in  erster  Instanz  auch 
verurteilt  worden.  Dieses  Urteil  aber  hob  die  süd- 
preussische  Regierung  als  Appellationsinstanz  auf  und  setzte 
die  Hauländer  wieder  in  Genuss  ihres  ursprünglichen 
Privilegs  von  1752,  indem  sie  in  der  Begründung  aus- 
drücklich sagte:  „Es  ist  bekannt,  dass  zu  polnischen 
Zeiten  den  Unterthanen  keine  zuverlässige  Rechts- 
pflege gegen  ihre  Grundherren  angediehen  ist^ 
mithin  kann  nach  der  Rechts-Regel:  contra  agere  non 
val entern  non  currit  praescriptio,  von  einer  Praescription 
nicht  die  Rede  seyn*. 

Richtig  ist  allerdings,  dass  viele  Staatsdiener,  Richter 
sowohl  wie  Verwaltungsbeamte,  sich  zu  Ungerechtigkeiten 
gegen  die  Bauern  hinreissen  Hessen,  einerseits,  um  sich 
den  polnischen  Edelleuten  gefällig  zu  erweisen,  anderer- 
seits aus  Ärger  über  die  häufigen  und  langwierigen 
Prozesse,  durch  die  sie  aus  ihrem  gewohnten  Schlendrian 
herausgerissen  wurden.  Typisch  für  diese  Art  von  Leuten 
ist  der  Kronzeuge  Meisners,  Stenger-Unruhstadt,  der  in 
den  „Jahrbüchern  der  preussischen  Monarchie",  Jahrgang 
1798  II,  einen  Aufsatz  „Von  den  Hauländern  in  Süd- 
preussen*  veröffentlichte.  Da  dieser  Aufsatz  neben  den 
zahlreichen  Anerkennungen,  die  den  Hauländern  zu  jener 
Zeit  von  anderen  Beamten  zu  Teil  wurden,  voll  des  un- 
freiwilligen Lobes  von  einer  ihnen  feindlich  gesinnten 
Seite  ist,  so  möchte  ich  ihn  hier  wenigstens  auszugsweise 
wiedergeben : 

„Die  Hauländer  machen  in  Südpreussen  einen  sehr 

wichtigen  Teil  der  Einwohner  aus 

Wenn  man  dazu  nimmt,  dass  sie  entweder  gar  kein  oder 
ein  äusserst  unbeträchtliches  Grundgeld  (Kaufpretium) 
bezahlten,  so  ist  nicht  zu  leugnen,  dass  sie  auf  vor- 
teilhafte Art  zu  nicht  selten  sehr  beträchtlichen  Besitzungen 
kamen. 


Das  Haaländer-Dorf  Goldau  bei  Posen.  37 

„Der  bessre  Teil  der  deutschen  Nation  verliess  mit 
den  Vorfahren  unsrer  jetzigen  Hauländer  sein  Vaterland 
gewiss  nicht;  denn  mögen  wir  auch  weiter  unten  Gründe 
auffinden,  warum  sie  schlechter  geworden,  so  lässt  sich  doch 
ihre  jetzige  Verderbtheit  nicht  wohl  erklären,  wenn  sie  gute 
Sitten  und  Charakter  mitbrachten.  Fleiss  und  Industrie 
als  Kinder  der  Not  waren  gewiss  ihre  einzige  Mitgift; 
mögten  sich  diese  nur  wenigstens  ganz  erhalten  haben! 
Der  Hauländer  ist  nicht  einfältig,  aber  auch  nichts  weniger 
als  klug.  Er  ist  verschmitzt,  wenn  er  einen  Angriff  be- 
fürchtet, und  klebt  so  an  alten  Vorurteilen  und  Gewohn- 
heiten, dass  er  seinen  offenbaren  Vorteil  nicht  sieht,  den 
triftigsten  Vorstellungen  kein  Gehör  giebt,  weil  angeborne 
Furcht  gegen  alles,  was  neu  ist,  ihn  taub  macht.  Er  ist 
äusserst  misstrauisch,  der  Mann  traut  seinem  Weibe  nicht, 
der  Vater  nicht  dem  Kinde,  aber  alle  vereinigen  sich,  wenn 
es  auf  Misstrauen  gegen  den  Herrn  oder  Vorgesetzten 
überhaupt  ankommt.  Er  ist  äusserst  halsstarrig,  wider- 
setzlich . . .  und  undienstfertig,  thut  nichts  gerne,  was  er 
nicht  thun  muss;  er  hat  endlich  keine  Religion.  Ich  würde 
diese  harte  Beschuldigungen  nicht  niedergeschrieben 
haben,  wenn  ich  einerseits  nicht  von  der  Wahrheit  der- 
selben überzeugt  und  andrerseits  eben  so  bereit  zur  Ent- 
schuldigung der  Leute  wäre. 

„Vorzüglich  nach  der  preussischen  Besitznahme  hatte 
der  Geschäftsmann  und  ganz  insbesondere  der  Richter  in 
der  Provinz  Gelegenheit,  diese  Hauländer  von  der  ge- 
schilderten Seite  kennen  zu  lernen. 

„Wir  haben  bereits  der  Privilegien  und  ihres  Haupt- 
inhalts erwähnt  Dieser  war  ganz  der  Zeit  angemessen, 
zu  der  sie  gegeben  wurden,  aber  tempora  mutantur  etc. 
So  ging  es  auch  in  Polen.  Die  Gutsbesitzer  sahen  sich 
bald,  durch  Not  gedrungen  und  durch  gute  Beispiele  aus 
der  Nachbarschaft  aufgemuntert,  veranlasst,  auf  Erweiterung 
und  Veredlung  ihrer  Wirtschaften  zu  denken.  Die  Unter- 
thanendienste  wollten  nicht  mehr  hinreichen,  Lohnarbeiter 
waren  entweder  nicht  zu  bekommen  oder  zu  kostspielig. 
Man  sprach  die  Hauländer  um  Hülfe  an,  sie  thaten  es  anfangs 


38  Clemens  Brandenburger. 

auf  Bitte1),  und  am  Ende  ward  freilich  ein  Recht  daraus. 
Den  Hauländern  blieb  nichts  übrig,  als  sich  zu  gratulieren, 
wenn  nur  nicht  zuviel  von  ihnen  verlangt  wurde.  Es 
ward  preussisch  von  den  Kanzeln  und  überall 
publiziert,  dass  ein  jeder  bei  seinen  Rechten  und  Privi- 
legien geschützt  werden  solle.  Dies  erhitzte  die  Köpfe 
der  Hauländer  auf  einmal  zu  schnell;  in  Strömen  eilten 
sie  den  Gerichtshöfen  zu,  ihre  Privilegien  wohl  eingepackt 
auf  der  Brust  Das  Nachsuchen  rechtlicher  Hülfe  —  wer 
könnte  es  tadeln?  Aber  damit  verband  nun  der  Hau- 
länder eine  so  unwiderlegbare  Renitenz,  dass  er  nicht 
nur  in  der  Meinung,  es  sei  schon  genung,  sein  Privilegium 
blos  vorgezeigt  zu  haben,  plötzlich  zu  dienen  aufhörte, 
sondern  auch  oft  durch  alle  nur  möglichen  Vorstellungen 
nicht  zu  der  Überzeugung  zu  bringen  war  und  noch 
nicht  ist,  dass  er  nicht  selbst  sein  eigener  Richter  sein, 
sich  selbst  sein  Recht  nicht  nehmen  könne.  Nein  er 
lässt  lieber  zu  14  Tagen  bis  3  Wochen  militärische  Exe- 
kution das  seine  aufzehren,  um  dann  doch  noch  wenigstens 
zu  schelten:  was  ist  das  für  Gerechtigkeit!  ....  Über- 
haupt pflegt  der  Hauländer  sich  gerne  recht  arm  und 
dürftig  zu  nennen  und  zu  stellen;  er  ist  im  Ganzen  nicht 
reich,  aber  auch  nichts  weniger  als  arm;  jedoch  seine  Furcht, 
sein  Misstrauen  lassen  ihn  überall  Gefahren  ahnden.  Dazu 
kommt  seine  grosse  Geldliebe,  ich  sage  absichtlich  nicht 
Geiz;  denn  geizig  möchte  ich  ihn  nicht  nennen,  wenigstens 
da  nicht,  wo  es  auf  Befriedigung  seines  Stolzes  und  seiner 
Eigenliebe  ankommt. 

„Mögt  es  Gemeinsinn  sein,  aber  ich  muss  es  leider 
Gemeindestolz  nennen,  der  diese  Leute  auszeichnet 
Man  sehe  einmal  solche  Hauländergemeine  unter  dem 
Präsidio  ihres  Schulzen  und  ihrer  Gerichtsleute  —  ich 
weiss  nicht  gleich,  womit  ich  diese  Scene  am  schicklichsten 
vergleichen  könnte!  Gottlob,  dass  noch  Nüchternheit  so 
ziemlich  unter  ihnen  herrschend  ist.    Ich  meine,  dass  sie 


i)  Wahrscheinlich  ist  das  ein  Zeichen  der  Halsstarrigkeit,  von 
der  Stenger  spricht! 


Das  Hanländer-Dorf  Goldau  bei  Posen.  39 

dem  Trünke  nicht  ergeben  sind,  denn  übrigens  lässt  der 
Hauländer  sich  am  guten  Leben  nichts  abgehen,  und  die 
vielen  Jahrmärkte  in  den  vielen  kleinen  Städten  Süd- 
preussens  tragen  vorzüglich  dazu  bei,  ihn  zum  Wohlleben 
geneigt  zu  machen  und  seinen  sinnlichen  Geschmack  zu 
verfeinern.  Die  Kirche  besucht  er,  wenn  er  nicht  zu  weit 
davon  entfernt  wohnt,  fleissig  genug;  aber  dies  ist  auch 
die  einzige  Art  seines  Gottesdienstes,  und  so  segnend 
und  heilsam  sie  sonst  ist,  so  ist  sie  es  doch  für  den 
Hauländer  nicht,  weil  er  nicht  vorbereitet  genug  das 
Gotteshaus  besucht"  .  .  .  und  so  fort! 

Der  Stimmung,  die  aus  dem  Aufsatze  hervorleuchtet, 
entspricht  es  auch,  dass  die  Goldauer  Bauern  in  der 
ersten  Instanz  kostenpflichtig  abgewiesen  wurden,  denn 
die  Untergerichte  waren  ja  zum  grossen  Teil  mit  über- 
nommenen Polen  und  mit  engherzigen  Bureaukraten 
vom  Geiste  Stengers  besetzt  Eine  Erneuerung,  eine  Er- 
ziehung zu  preussischem  Rechtssinne  konnte  nur  nach 
und  nach,  nur  durch  Leute  wie  den  Herrn  von  Steudener 
erfolgen,  unter  dessen  Vorsitz  die  südpreussische  Re- 
gierung ihr  freisprechendes  Urteil  erliess. 

Mit  diesem  Erkenntnis  vom  11.  August  1798  trat 
Goldau  in  ruhige,  rechtlich  geordnete  Verhältnisse  ein, 
die  einer  dauernden  Störung  nicht  mehr  unterworfen 
wurden.  Die  Episode  des  Grossherzogtums  Warschau 
war  zu  kurz,  der  Geist  der  „Freiheit,  Gleichheit,  Brüder- 
lichkeit11 auch  in  Polen  damals  zu  mächtig,  als  dass  eine 
ernstliche  Verschlechterung  der  Lage  erfolgen  konnte. 

Nach  Niederwerfung  des  Korsen  und  der  Zer- 
trümmerung seiner  Staatengebilde  wurde  Goldau,  unter 
preussische  Herrschaft  zurückgekehrt,  des  Segens  der 
Stein-Hardenbergischen  Reformen  teilhaftig,  womit  es 
aus  der  Sonderstellung  eines  Haulandes  heraustritt. 


40  Clemens  Brandenburger. 


Beilage   I. 

Gründungsvertrag  von  Goldau  (Obersetzung). 

Andreas  Wyssogota  Zakrzewski,  Kastellan  von  Kaiisch,  Erb- 
herr  der  Güter  Przetoczna,  Sorge,  Eichl-Vorwerk,  Zychtychfier 
(Sieh-dich-für),  Golenczewo,  Ztotkowo  u.  s.  w. 

Allen  insgesammt  und  denen  insbesondere,  die  es  angeht, 
thue  ich  kund  und  zu  wissen:  Da  ich  eine  Landfläche  erblich 
besitze,  vor  alters  Ztotkowo  genannt,  von  Dickicht  überwuchert, 
so  verkaufe  ich  dieses  ganze  Land  erblich  den  Hauländern,  die  mit 
mir  die  unten  genannten  Bedingungen  eingegangen  sind.  Die 
Bedingungen  für  sie  sind  diese:  Das  Land  ist  bereits  genau  ver- 
messen mit  Ausnahme  einiger  Morgen  auf  der  zwischen  Sobota  und 
Zlotkowo  belegenen  Grenzwiese;  besagte  Morgen  werde  ich  sofort 
nach  den  bevorstehenden  Osterf  eiertagen  *)  vermessen  lassen  und 
dann  sogleich  ihren  Hufen  zuteilen.  Die  Zahl  dieser  Hufen  beläuft 
sich  auf  elf,  und  16  Morgen. 

Die  Hauländer,  die  von  mir  Satzung  nehmen,  zähle  ich  hier 
in  der  Satzung  zunächst  auf:  Jan  Bachmann,  Jan  Meiler,  die  nach- 
gelassene Witwe  des  Mälzers  Kurczmann,  Godfryd  Dail  Krüger  (im 
Original  mit  „Karczmarz"  ins  Polnische  übersetzt),  der  Schmied 
Bleszko  (—  Bleschke),  Jan  Krzysztof  Korn,  Pawel  (=  Paul)  Hersz- 
mann  (=  Hirschmann),  Michal  (=  Michael)  Klembeim,  Krzysztof 
Szultz  (=  Schultz)  Piotr  (=  Peter)  Pachoiek,  Frydrych  Laube,  Matys 
Binder. 

Und  es  soll  ihnen  erlaubt  sein,  einem  anderen  zu  verkaufen, 
jedem  von  ihnen  einzeln;  darum  bekommen  sie  einzeln  für  soviel 
Morgen,  als  sie  erhalten  haben,  Privilegien2)  von  mir  ausgestellt. 

Für  die  Schule  sind  14  Morgen  und  150  Ruten  angemessen, 
die  einzig  und  allein  für  die  Unterweisung  der  Kinder  sein  sollen. 
Diese  Morgen  für  die  Schule  gehen  frei,  d.  h.  ohne  Lasten,  aus- 
genommen ein  für  allemal  das  Grundgeld. 

Dies  aber  ist  der  Wortlaut  der  Kondition  oder  der  Satzung, 
die  allen  zusammen  gegeben  ist  mit  der  Verpflichtung,  sie  bis  aufs 
kleinste  zu  erfüllen  und  zu  beobachten: 

1)  Da  es  dort  keine  Bäume  giebt,  und  sie  sich  welche  zum 
Bauen  kaufen  müssen,  so  giebt  jeder  von  ihnen  einzeln  von  jeder 
Hufe  jetzt  gleich  einen  Goldgulden,  worüber  ich  ihnen  mit  gegen- 
wärtiger Satzung  quittire. 

2)  Ich  habe  ihnen  sechs  Freijahre  bewilligt,  und  da  sie  vor 
Annahme  dieser  Satzung,  das  ist  der  geschriebenen  Bedingungen, 
schon  fast  ein  Jahr  dort  gesessen  haben,  so  haben  sie,  angefangen 


*)  Ostern  fiel  im  Jahre  1753  auf  den  2.  April. 
*)  Ein  solches  Einzelprivileg  in  Beilage  a. 


Das  Haulander-Dorf  Goldau  bei  Posen.  41 

von  St  Martinitag  *)  dieses  gegenwärtigen  Jahres  1752,  noch  5  Frei- 
jahre, also  bis  Martini  des  Jahres  1757,  das  Gott  uns  schenken  möge. 
Nach  Ablauf  der  Freijahre  hat  jeder  einzelne  alljährlich  von  seiner 
Hufe  60  Tymfen  *)  zu  bezahlen.  Diese  60  Tymfen  sollen  sie  unter 
sich  nach  der  Anzahl  Morgen,  die  jeder  hat,  umlegen  und  zum 
Schulzen  bringen;  der  Schulze  aber  soll  sie,  nach  dem  er  sie  von 
ihnen  in  Empfang  genommen  hat,  zu  meinen  Händen  abliefern. 

3)  Bevor  die  Freijahre  abgelaufen  sind,  soll  jeder  von  ihnen 
zwei  Tage  auf  die  Hufe  nach  Golenczewo  zum  Mähen  kommen, 
nach  Ablauf  aber  jeder  einen  Tag  im  Jahr  mit  Gespann,  einen  Tag 
zur  Handarbeit 

4)  Eine  halbe  Hufe  ist  frei  für  denjenigen,  der  den  Bier-  und 
Branntweinausschank  übernimmt,  von  der  Gemeinde  eingesetzt  und 
von  mir  genehmigt. 

5)  Einen  Kirchhof  zur  Bestattung  der  Toten  sollen  sie  selbst 
auf  ihren  Hufen,  auf  ihrem  eigenen  Grund  und  Boden,  auswählen 
und  abzäunen. 

6)  Was  die  kirchenrechtlichen  Verpflichtungen  anbelangt,  so 
wird  ein  Vertrag  mit  dem  hochwürdigen  Herrn  Pfarrer  von  Sobota 
hier  bei  mir  abgeschlossen,  um  dessen  Bestätigung  durch  den  hoch- 
würdigsten Herrn  Bischof  von  Posen  ich  mich  bemühen  werde. 

7)  Und  da  einige  Morgen  auf  der  Grenzwiese  zwischen  Sobota 
und  Zlotkowo  noch  nicht  vermessen  sind,  so  werde  ich  sie  gleich 
nach  dem  Osterfeste  vermessen  lassen  und  denjenigen,  denen  es 
noch  zu  den  Hufen  fehlt,  hinzugeben,  und  ich  will  gleich  in  der 
gegenwärtigen  Satzung  festsetzen,  dass  jene  nach  der  Ausmessung 
und  Zuteilung  zu  den  Hufen  proportional  für  die  Morgen  bezahlen 8) 
sollen,  die  sich  herausstellen  werden. 

8)  Weil  das  Gut  Golenczewo  für  das  Wüstland  Zlotkowo 
bisher  die  Kopfsteuer  bezahlt  hat,  so  sollen  künftig  die  auf  jenem  Lande 
angesetzten  Hauländer  nach  Ablauf  der  Freijahre  die  Kopfsteuer 
entrichten,  jeder  von  seiner  Hufe  2  Gulden  10  Groschen  an  jedem 
der  beiden  Zahlungstermine,  was  also  jährlich  4  Gulden  20  Groschen 
auf  die  Hufe  ausmacht. 

9)  Den  Schulzen  dürfen  sie  sich  selber  wählen,  seine  Bestä- 
tigung steht  mir  zu.  Die  Geldstrafen,  die  der  Schulze  verhängen 
wird,  sollen  an  die  Herrschaft  gehen.  Wenn  aber  jemand  mit  dem 
Schulzenurteil  nicht  zufrieden  ist,  so  steht  ihm  die  Berufung  an  die 
Herrschaft  zu. 


0  xx.  November. 

*)  Der  Tymf  entspricht  dem  spateren  (Silber-)  Gulden,  steht  aber  im  Werte 
höher  (etwm  60  Pfennig).  Beide  Monzen  kommen  in  dem  Vertrage  neben  einander  vor, 
was  den  tatsächlichen  MOnzenTerhaltnissen  jener  Zeit  entspricht. 

*)  Nämlich  das  in  §  a  festgesetzte  Grandgeld,  das  ja  nur  nominell  nach  Hufen 
berechnet  wird,  in  Wirklichkeit  aber  nach  Morgen  erhoben  werden  soll. 


42  Clemens  Brandenburger. 

10)  Die  Huttmg  im  Golenczewoer  Wald  gestatte  ich  ihnen, 
sofern  sie  bei  Strafe  es  unterlassen,  dort  Ziegen  zu  ziehen,  des- 
gleichen Vieh  zu  weiden,  wo  sich  Schonungen  befinden  oder 
angelegt  werden. 

n)  Schafe  dürfen  sie  auf  jeder  Hufe  25  Stück  züchten,  mehr 
nicht,  bei  Strafe;  zugleich  ordne  ich  an,  dass  sie  nur  von  ausge- 
wachsenen Bäumen  Aeste  abhauen  dürfen  x)f  damit  sie  mir  für  ihre 
Schafe  nicht  die  jungen  Bäumchen  verderben.  Und  weil  sie  sich 
über  die  Dörfer  Kludowo  (Chludowo,  Kreis  Posen  Ost)  und  Drogo- 
szewo  *)  beklagen,  dass  diese  ihre  Ziegen  im  Golenczewoer  Wald 
hüten,  so  werde  ich  genannten  Dörfern  das  Hüten  der  Ziegen 
verbieten. 

12)  Auf  den  Golenczewoer  Stoppelfeldern,  sowohl  den  Winter- 
ais auch  den  Sommerfeldern,  sollen  sie  dann  weiden  dürfen,  wenn 
jenes  Gut  dort  zuvor  seinen  Viehbestand  gehütet  hat;  das  heisst 
also,  dass  sie  nicht  gleich  nach  dem  Garbenbinden  hüten  sollen; 
und  das  gleiche  versteht  sich  auch  für  das  Abmähen  der  auf 
Golenczewoer  Gemarkung  belegenen  Wiesen. 

13)  Wenn  aber  der  Zlotkowoer  Schäfer  oder  Ziegenhirt  irgend 
welchen  Schaden  auf  Golenczewoer  Gemarkung  anrichtet,  so  soll 
der  Schulze  die  Tat  aburteilen  und  den  Schaden  abschätzen,  den 
die  Hauländer  bezahlen  müssen. 

14)  Und  für  den  Fall,  dass  sie  Bienen  halten  werden,  darf 
keiner,  der  Bienen  züchtet,  bei  Strafe  anderswohin  verkaufen  als  an 
die  Herrschaft:  ich  verspreche  für  jedes  Pfund  einen  Gulden  poln. 
zu  geben.  Wer  es  aber  nicht  zu  der  angegebenen  Taxe  an  die 
Herrschaft  liefert,  sondern  anderswohin  verkauft  und  verschachert, 
soll  dem  Schulzengericht  verfallen  sein. 

15)  Wer  aber  nach  der  hiermit  gegebenen  Satzung  seine 
Hufe  verkaufen  will,  sei  es  mit  den  Baulichkeiten,  sei  es  ohne  die- 
selben, der  soll  es  mit  meinem  bezw.  meiner  Rechtsnachfolger 
Vorwissen  tun,  und  sowohl  der  Verkäufer  wie  der  Käufer  soll, 
jeder  einzeln,  einen  Taler  von  der  Hufe  an  mich  oder  meinen 
Rechtsnachfolger  zahlen. 

Diese  Satzung  soll  nicht  nur  den  Holländern,  die  sie  jetzt  von 
mir  annehmen,  sondern  auch  ihren  Rechtsnachfolgern  für  ewige 
Zeiten  dienen,  und  sie  mitsamt  ihren  Rechtsnachfolgern  sollen  die- 
selbe  halten  und  genau  erfüllen.  Ich  aber,  und  zwar  auch  mitsamt 
meinen  Rechtsnachfolgern,  versichere  sie  der  Innehaltung,  und 
zur  besseren  Wertung  und  Beglaubigung  unterschreibe  ich  mich 
mit  meiner  eigenen  Hand  und  füge  mein  Familiensiegel  anhängend 


s)  Wahrscheinlich,  um  Schafhürden  herzustellen. 

•)  Ein  Ort  Drogosiewo  existiert  in  jener  Gegend  nicht.  Wahrscheinlich  ist 
Drogoszyn  gemeint,  ein  polnisches  Dorf  zwischen  Knischin  und  Golencxewo,  das  1868 
mit  dem  Auskauf  des  letzten  Bauern  durch  den  Besitzer  von  Knischin  und  Morasko, 
einen  Herrn  von  Treskow,  verschwand  (Mitteilung  des  Lehrers  Dalchau  in  Goldau). 


Das  Haulander-Dorf  Goldau  bei  Posen.  4J 

hinzu.  Zugleich  übernehme  ich  es,  für  die  Eintragung  in  die  Bücher- 
dcs  Posener  Grodgerichtes  Sorge  zu  tragen.  Ausgefertigt  zu  Kiekrz- 
am  26.  März1)  im  Jahre  1752.  Andreas  Wyssogota  Zakrzewski,. 
Kastellan  von  Kaiisch  m.  p. 

Das  Siegel,  in  rotem  Wachs,  befindet  sich  in  einer  Metall- 
Kapsel.  Auf  der  Rückseite  des  Pergamentes  steht  ein  Vermerk 
über  die  Eintragung  in  die  Grodakten:  „Inductum  per  oblatam  in 
acta  castren.  Posnan.  feria  tertia  post  dominicam  Ram.  Palmarum 
quadragesimalem  (also  am  29.  März)  a.  dni.  1752.  Suscepit  ChmielewskiA 

Die  Grodgerichtseintragung  hat  nachstehende  Einleitungs-  bezw. 
Schlussbemerkung:  „Ad  officium  et  acta  praesentia  castrensia 
Posnaniensia  personaliter  venientes  honesti  Johannes  Bachmann^ 
Fridericus  Laube  et  Chrystoforus  Szulc2),  Holandri  in  fundo 
Zlodkowo  locati,  suis  et  aliorum  Holandorum  infra  specificatorum 
nominibus  obtulerunt  officio  praesenti  ad  acticandum  et  actis  hisce 
inscribendum  Privilegium  illustris  magnifici  Andreae  Wyssogota 
Zakrzewski  castellani  Calisiensis  ratione  infra  scriptorum  sibi  offeren- 
tibus  aliisque  Holandis  inferius  expressis  in  pargamano  datum  et 
collatum,  manu  propria  ejusdem  illustris  magnifici  castellani  Calisiensis 
sigilloque  ejus  gentilitio  pensili  subscriptum  et  communitum,  cujus- 
privüegii  tenor  sequitur  ejusmodi:"  —  (Vertrag  wie  oben.  Am. 
Schluss :) 

„Locus  sigilli  pensilis  gentilitii  in  rubro  cero  expressi,  cujus 
quidem  privilegy  modo  praemisso  acticati  et  ingrossati  originale 
iidem  offerentes  denuo  ad  se  receperunt  et  recepto  officium  et 
cancellariam  praesentem  quietarunt  quietantque  praesenti.11 


Beilage   II. 

Obersetzung  eines  für  jeden  Hauländer  besonders 
ausgestellten  Privilegs. 
Privilegium,   dem   ehrsamen  Meier  1752  ausgestellt. 
Andreas  Wyssogotta  Zakrzewski,  Kastellan  von  Kaiisch  (u.  s.  w.)^ 
Indem   ich    mich   auf    die  Satzung  beziehe,    die   ich  den   in 
Zlotkowo   angesiedelten   Hauländern    für  die    ganze   Gemeinde  im 
allgemeinen    gegeben    habe,    und   indem    ich    diese   auch    in    den. 
geringsten  Punkten  und  Bedingungen  in  ihrer  Gesamtheit  wie  Be- 
sonderheit   in    allem   bekräftige    und    festhalte,    verleihe   ich    dem 
ehrsamen    Jan   Meier    die   Gerechtsame    auf    eine  Hufe   und  32. 
Ruten,   die   auf  Zlotkowoer  Gemarkung  für  ihn   ausgemessen   sind. 


*)  Am  Palmsonntag. 

*)  Ein  Beispiel  dafür,  wie  die  Schreibweise  deutscher  Namen  polemisiert  wird«. 
Im  Vertrag  wird  Schnitz  „Szultz*  geschrieben,  hier  schon  „Szulc." 


44  Clemens  Brandenburger. 

Diese  sollen  ihm  und  seinen  Rechtsnachfolgern  zugleich  mit  den 
von  ihm  auf  gedachtem  Grundstück  angelegten  Gebäuden  und  Gärten 
für  ewige  Zeit  erblich  zu  Diensten  sein,  wofür  ich  mich  mitsamt 
meinen  Rechtsnachfolgern  verbürge  und  verbinde.  Er  hingegen  mit 
seinen  Rechtsnachfolgern  verpflichtet  sich,  die  Leistungen  zu  erfüllen, 
wozu  die  Zlotkowoer  Hauländer  im  allgemeinen  sich  heute  durch 
Vertrag  schriftlich  verpflichtet  haben.  Was  ich  zur  besseren  Wertung 
und  Beglaubigung  unter  Beidrückung  meines  Familiensiegels  mit 
eigener  Hand  bestätige  und  unterschreibe  zu  Kiekrz  am  26.  März 
im  Jahre  des  Herrn  1752.  Andreas  Zakrzewski  K.  K.  m.  p. 
D.  24.  July  1753  bezahlte  Jan  Meier  das  ordnungsmässige  Grund- 
geld mit  13  Tymfen  und  1  Sechser,  worüber  ich  ihm  quittire. 
Andreas  Zakrzewski,  K.  K.  m.  p. 

Weil  der  ehrsame  Jan  Meier,  ehemals  Einwohner  zu  Ziotkowo, 
seine  Hufe  mit  allem  Zubehör  an  den  ehrsamen  Krysztof  Hirsz- 
felder,  seinen  Nachfolger  in  dieser  Stelle,  verkauft  hat,  so  approbiere 
und  ratifiziere  ich  obige  Gerechtsame,  die  Jan  Melier  besass,  gegen- 
wärtigem Krysztof  Hirszf eider  und  seinen  Rechtsnachfolgern  und 
erkläre,  dass  ich  sie  ihm  in  allem  halten  werde,  wie  auch  jener 
Hirszfelder  sich  verpflichtet,  seinen  Verpflichtungen,  die  für  alle 
Hauländer  in  Ziotkowo  in  der  Generalsatzung  niedergeschrieben 
sind,  zur  Genüge  nachzukommen.  Was  ich,  damit  es  ihm  als 
Gerechtsame  diene,  durch  eigenhändige  Unterschrift  bestätige.  Datum 
Kiekrz  d.  1.  Juny  1754.    Andreas  Zakrzewski  K.  K.  m.  p. 


Beilage  III. 

Wilkerliche  und  geburchliche  Gerechtigkeit  in  Slotkawe. 

Ich  Carol  (Niezychowski)  thue  kund  hirmit  jeder  manniglich, 
insonderheit  denen  zu  wissen  von  Nöhten,  nachdem  ich  mein  Dorf 
Slotkawe  genandt,  gutten  ehrlichen  Leuthen,  ihnen  und  ihren  Nach- 
komlingen,  umb  eine  gewisse  Summa  Geldes  verhandelt  und  ver- 
kauft und  umb  einen  jahrlichen  Zinss  aussgethan,  damit  aber  unter 
ihnen  gutte  Ordnung,  auch  Friede  und  Einigkeit  gestifftet,  darnebst 
der  geburhliche  Gehorsam  erhalten  werde,  habe  ich  vor  hochnöhtig 
zu  sein  erachtet,  etliche  nothwendige  Puncta  aussfassen  zu  lassen, 
dabei  ich  bei  Vermeidung  ernster  Straffe  und  verleibter  Busse  jeder- 
zeit steif  und  feste  wil  gehalten  haben.  Und  umb  merere  Aufsicht 
sollen  die  Nachtbarn  (vollberechtigten  Wirte)  unter  ihnen  einen 
Schultzen,  auch  etliche  Personen  zu  Beisitzern  wählen,  dieselbige 
auch  von  mir  bekräftiget,  welche  des  Dorffes  Bestes  sollen  helffen 
fordtsctzen,  die  zwistige  Händel,  so  vorfallen,  mittelen  und  scheiden, 
über  dieser  meiner  Anordenung  halten,  die  verwürcketen  Straffen 


Das  Hauländer-Dorf  Goldau  bei  Posen.  45 

einforderen,  und  jahrlich  den  Nachbarren  Rechnung  thun  sollen.  Ich 
wil  auch,  das  die  gedachte  Geldtstraffe  in  eine  Lade  getan,  welche 
bei  den  Schultzen  stehen  muss,  und  die  Beisitzer  die  Schlüssel  dar- 
zu  haben  sollen,  wohl  verwahrt  und  nicht  ihres  Gefallens  nach  ver- 
schlemmet, sondern  zur  Reparirung  und  Besserung  des  Dorffs 
angewendet  werden,  welches  dan  jederzeit  mit  der  Nachtbarren  Vor- 
wissen gesehen  soll.  Und  sollen  diese  nachfolgende  Puncta  den 
Nachtbaren  zweimahl  des  Jahrs  vorgelesen  werden,  erstlich  stracks 
nach  gehaltener  Kühr,  zum  andern  auff  Michael,  und  damit  sich 
niemandt  mit  Unwissenheit  zu  entschuldigen  habe. 

1)  So  der  Schnitze  die  Nachtbaren  verboth  (entbietet)  oder 
verbohten  last,  sollen  sie  zu  ihn  kommen  undt  gehorsam  sein,  so 
aber  jemandt  einheimisch  (ortsanwesend)  wäre  und  nicht  in  eigener 
Person  käme,  soll  er  auff  5  Groschen  gestraft  werden. 

2)  So  jemand  von  den  Nachtbahren  den  Schultzen  oder  Rath- 
leuthen  mit  unhofflichen  oder  mit  Schimpffwordten  oder  gar  mit 
scharf fen  Gewehr  wiederstrebendt  ins  Schultzen-  oder  Gerichthauss 
komme  und  keinen  Gehör  geben  wolte,  der  sol  ohne  einige  Wieder- 
rede auf  2  gutte  Marckt  gestraffet  werden.  Da  er  es  aber  sonst 
gröber  macht  und  mit  Schlägen  anlauffen  wolte,  sol  er  nach  Gelegen- 
heit seiner  Übertretung  nach  Erkäntnis  des  Dorffesgerichte  höher 
gestraffet  werden. 

3)  Da  jemandt  frefentlich  sich  wieder  den  geordneten  Schultzen 
und  seine  Beisitzer  setzte  und  begangene  Missetaht  nicht  wolle  ge- 
horsam sein  oder  sich  gefangen  geben,  würde  er  darüber  geschlagen 
oder  verwundet,  es  wäre  bei  Tage  oder  Nacht,  sol  darüber  keine 
Bosse  noch  Recht  ergehen. 

4)  So  einer  oder  mehr  von  Schultzen  in  des  Dorffs  Gerichs- 
geschäfften  geschickt  würde,  undt  jemand  sich  mit  übrigen  Schelt- 
wordten  oder  Schlägen  vergriffe,  der  solt  verfallen  sein  zwei  gutte 
Marckt  und  nach  Erkäntnis  der  Ältesten  (Dorfobrigkeit)  gestraffet 
werden. 

5)  Wen  der  Schultze  mit  seinen  Ratsleuthen  zu  Gerichte  sitzet, 
sol  kein  Weib,  es  sei  den,  dass  sie  vor  ihre  eigene  Person  zu  klagen 
hätte,  undt  ihr  Man,  wo  sie  einen  hate,  nicht  einheimisch  wäre, 
für  Gerichte  kommen  bei  5  Groschen  Straffe. 

6)  Ist  bewilliget,  das  den  Schultzen  sein  Lohn,  von  der  Hufe 
10  Groschen  und  bei  den  Rathsleuthen  15  Groschen,  sol  gegeben 
werden,  alle  Jahre,  wenn  die  Kühr  gehalten  wirdt,  bei  Straffe  doppelt 
abzulegen. 

7)  Wenn  die  Schultzen  oder  Rathsleutten  ausser  dem  Dorfe 
und  wegen  des  Dorffs  Bestes  verreisen  würden,  sollen  die  Unkosten 
bezahlet  werden  nach  Hufenzahl. 

8)  Sol  Schultze  und  Rathsleutte  auf  das  Dorf  fleissige  Achtung 
haben,  so  etwas  an  Tamme  oder  Wassergänge  oder  sonsten,  das 
dem  Dorf  schädlich  wäre,  sollen  sie  dahin  trachten  und  anschaffen  y 


-46  Clemens  Brandenburger. 

damit  das  [  .  .  .  J l)  gemacht  und  gebessert  werde.  Da  aber  Schultzen 
and  Rathsleatte  hirinnen  [zu  läsjsig  befunden  würden,  sollen  sie 
•nach  Erkäntnis  der  gantzen  Gemeine  gestrafft  [werde]n. 

9)  Wo  Kauff  oder  Verkauffe  gesehen,  es  sei  Getreide  Viehe 
oder  Pferde,  wie  es  Nahmen  haben  mag,  und  ist  gewiss  Bir  darüber 
getrunken  worden:  wer  den  andern  den  Kauff  nicht  hält,  der  sol 
verfallen  sein  zwei  Tonne  Bir. 

10)  Da  Gott  behüten  vor  wolle:  durch  Gottes  Wetter  oder 
•sonst  durch  böse  Leuthe  einen  irgendts  sein  Hauss  abbrennen  würde, 
so  sol  man  ihn  mit  einen  christlichen  Beisteuer  zu  Hilffe  kommen, 
von  der  Hufe  ein  Groschen  polnisz,  darnach  der  Schade  gross  be- 
funden wirdt,  auch  Holtz  undt  anders  führen,  hülffliche  Handt  und 
Beistandt  zu  leisten. 

11)  Wo  ein  Feuer,  da  Gott  behüte,  auskämme,  wer  alssdan 
einheimmisch  wäre  und  nicht  retten  und  leschen  hülffe,  der  sol  ver- 
fallen sein  3  gutte  Marckt. 

12)  Wer  in  Brande  fremde  Gefässe  (Gerätschaften)  ergreif ft 
«s  wäre  an  Äxten,  Beilen,  Hacken  oder  wie  es  auch  Nahmen  haben 
möge,  der  sol  es  zum  Schultzen  bringen  und  nicht  mit  sich  nach 
Hausse  nehmen  oder  tragen,  auf  das  es  wieder  abgegeben  werde, 
wem  es  gehört,  bei  Straffe  einer  gutten  Marckt 

13)  Niemand  sol  den  andern  vor  seiner  Tühr  lauffen  mit 
Aussforderung.  Wer  das  thun  wirde,  der  sol  verfallen  sein  drei 
gutte  Marckt 

14)  So  einer  den  andern  würde  wegelagern  in  den  Dorffe 
oder  auff  den  Felde,  und  er  könte  solches  bezeigen  oder  beweisen 
durch  oder  mit  3  un[ve]rsprochenen  Männern,  der  so[l]  verfallen 
sein  4  gutte  Marckt  und  dam[it]  der  gebürlichen  Leibesstraffe  nicht 
entgehen. 

15)  Wenn  ein  gutt  Man  den  andern  oder  eine  gutte  Frau  die 
andere  übel  aus[hu]delt  und  an  ihren  Ehren  angreiffet,  und  konte 
solches  bezeigen  mit  2  untad[el]hafftige  Zeigen,  der  oder  dieselbige 
«ollen  verfallen  seyn  der  Nachbarschaft  in]  die  Lade  zwei  gutte 
Marckt  und  solche  Schimpf f reden  einander  darth[un]  oder  einander 
ein  ehrlich  Zeigniss  geben  nach  gerichtlichen  Gebrauch  und  Gebühr. 

16)  So  [einer]  den  andern  über  seinen  Acker  fahret,  welcher 
besäet  ist,  der  sol  verfallen  sein  [1  gu]tten  Marckt  und  den  Schaden 
entrichten. 

17)  So  auss  Befehl  des  Schultzen  gehöhten  würde,  die  Treiben 
:zu  bessern,  die  Gräntzen  zu  verfärtigen,  die  Wassergange  und 
Graben  zu  krauten  und  ausszuräumen  oder  sonst,  was  dem  Dorfe 
:zum  Besten  gereichet:  wer  solches  nicht  verrichtet,  sol  verfallen 
sein  zwei  gutte  Marckt  und  bei  8  Tage  alles  fertig  zu  haben  bei 
doppelter  Straffe. 


*)  Das  Original  beschädigt. 


Das  Hauländer-Dorf  Goldau  bei  Posen.  47 

18)  Sol  ein  Nachtbar  den  andern  seine  Grantze  nicht  graben 
und  zäunen  nach  Gelegenheit  des  Landes  halten;  welcher  das  nicht 
thun  wirdt  und  einen  hirüber  Schaden  gesehen  wirdt,  so  sol  der- 
selbige  den  Schaden  richten  und  so  offte  er  darüber  angeklaget 
«wirdt,  der  sol  den  Schultzen  verfallen  10  Groschen. 

19)  So  jemand  ein  Pferdt  oder  sonsten  etwas  gestohlen  würde, 
sollen  die  Nachtbaren  nach  Hufezahl  solchen  helffen  nachzutrachten 
und  zu  Ende  zu  förderen. 

20)  Niemandt  soll  den  andern  ohne  Consens  und  Bewilligung 
seine  angenommene  Arbeiter,  welche  er  angenommen  und  ehe  er 
sie  abgelohnet  und  nicht  mer  brauchet,  abspenssdig  machen  und 
auf  einige  Arbeit  nehmen  bei  Straffe  1  glitten  Marckt. 

21)  So  sich  jemandt  unterstehet,  seinen  Nachtbar  seinen  Knecht 
oder  Magd  ausszumihten,  der  solches  thut,  der  sol  verfallen  sein 
3  gutte  Marckt,  und  gleichwohl  den  Dinstbohten  seinen  Herrn  in 
Dienste  folgen  zu  lassen  schuldig  sein. 

22)  So  jemand  seines  Nachbaren  Viehc  pfändet,  der  sol  es 
tränken  lassen,  damit  es  nicht  verschmachte  und  umbkomme;  sonst 
sol  er  ihn  den  Schaden  erstatten. 

23)  So  jemandes  Viehe  gepfändet  würde,  und  der  Schultze 
«s  denselbigen  ansagen  lisse,  derselbige  aber  sein  Viehe  im  Gerichte 
stehen  lisse,  so  sol  er  die  erste  Nacht  von  Stück  5  Groschen,  die 
andere  10  Groschen,  und  also  doppelt  bis  zur  5-ten  Nacht  erlegen, 
und  so  dass  Viehe  nicht  abgehollet  und  ausgelösset  wird,  so  sol  es 
-der  gnädigen  Herrschafft  in  den  Hof  getrieben  werden. 

24)  Niemandt  soll  sich  unterstehen,  seines  Nachbarn  Viehe, 
so  das  es  gepfändet  wirdt,  in  seine  Pfändung  nehmen  oder  in  seinen 
Behausung  zu  verwahren,  sondern  bei  den  Schultzen  oder  beim 
Rathsman  stracks  uberantwordten  bei  Straffe  1  glitten  Marckt. 

25)  Den  Schultzen  sol  von  den  gepfändetten  Viehe  der  dritte 
Pfennig  gegeben  werden;  wer  auch  sein  Vieh  loss  haben  wil,  sol 
Bürgen  setzen,  damit  der  Schultze  zufrieden  ist,  auf  doppelt 
Pfandtgeldt. 

26)  So  jemandt,  deme  sein  Viehe  zum  Schultzen  getrieben 
würde,  sich  entgegen  setzet  und  dasselbige  mit  Gewalt  zurücke 
halten  wolte,  der  sol  1  gutten  Marckt  ablegen. 

27)  Wer  eines  andern  Viehe  schlägt  oder  wirfft,  das  es 
Schaden  davon  bekomet,  der  sol  den  Schaden  erstatten  und  zur 
Straffe  drei  gutte  Marck  verfallen  sein. 

28)  Niemandt  soll  gefändete  Kühe  melcken  oder  Pferde,  so 
gepfändet,  reitten;  wer  hir  wiederhandelt,  der  sol  ohne  alle  Wieder- 
rede 1  gutte  Marckt  Straffe  erlegen. 

29)  Wer  eines  andern  Viehe  in  Getreide  pfändet  oder  auff 
den  Wiessen,  der  sol  den  Schaden  durch  die  Gerichten  schätzen 
lassen;  wo  er  aber  solches  nicht  thun  wil,    so  sol  er  sich  an  ge- 


48  Clemens  Brandenburger. 

wöhnliglichen  Pfändtgelde  gnügen  lassen,  als  ein  Groschen  von» 
Stück.  Von  der  Besichtigung  sol  den  Gerichten  12  Groschen  ge- 
geben werden,  und  wer  den  Schaden  thut,  von  den  sol  er  es  wieder 
fordern. 

30)  Gänse  und  Endten  sollen  die  Freiheit  haben,  wen  die 
einen  Nachtbar  oder  den  andern  zu  Schaden  gehen,  soll  man  sie 
todtschlagen,  und  den  sie  gehören,  nach  Hausse  schicken. 

31)  Wer  einen  vor  Gerichte  mit  unhöfflichen  Wordten  anfahret 
oder  Lügen  straffet,  sol  solches  mit  fünf  Groschen  büssen;  trauet 
er  ihnen  aber  zu  schlagen,  so  sol  er  Gehorsam  halten  und  zehn 
Groschen  ablegen,  auch  soll  er  nicht  ehre  aussgelassen  werden,  er 
habe  sich  den  mit  seinen  Nachtbar  vortragen. 

32)  Scheffel  und  Birmass  soll  redfertig  nach  der  umbliegenden 
Stadt  Maass  gemessen  werden,  damit  niemanden  Unrecht  geschehe ; 
wer  vorsetzlich  darwider  handelt  und  seinen  Nächsten  damit  be- 
trüget, soll  nach  Erkäntniss  des  Schultzen  und  der  Rathsleutte  ge- 
straffet werden. 

33)  Niemandt  soll  Macht  haben,  einen  Gärtner  oder  Haussmarc 
bey  sich  einzunehmen  oder  auf  sein  Landt  zu  setzen,  ohne  Vor- 
bewust  und  Bewilligung  der  gantzen  Nachtbarschafft,  bei  Straffe 
einer  Tonne  Birs. 

34)  Der  Schultz  und  Beisitzer  sollen  schuldig  sein,  alle  14  Tage 
auf  den  Dinstag  den  Nachtbarn  Recht  sitzen,  auf  Klage  und  Antwordt 
die  parteischen  Händel  schlichten  und  vertragen,  die  verwiirckte 
Straffen  unablässig  abfordern,  jedoch,  das  eine  Parth  die  andern 
den  Tag  zuvor  zeitig  lade  oder  bestelle  lassen  solle.  Den  Fremden 
aber  sollen  sie  jederzeit  nach  Erlegung  der  Gebühr  verhelffen,  damit 
nach  göttlichen  und  weldtlichen  Rechte  einen  jedweden,  sowohl 
einen  heimischen  alss  ausländischen,  wiederfahre,  was  recht  und 
billig  ist,  undt  sich  niemandt  mutwillig  zu  beschweren  habe. 

35)  Vor  der  Zusammenkunft  aber  soll  ein  jeder,  der  dass 
Recht  begeret,  12  Groschen  ablegen,  davor  den  Schultzen  4  Groschen 
gebühret. 

36)  So  mögen  sie  auch  gerichtliche  Testamenta  Contraeta 
aussfertigen. 

37)  Wil  ich  mir  vorbehalten  haben,  das  der  Schultze  gutte 
Achtung  haben  sol,  damit  an  criminal  oder  an  halsspeinigliche 
Straffen  nicht  verschweigen  sole,  sondern  mir  jederzeit  angemeldet 
werden  soll;  was  aber  andere  Sachen  anbelanget,  lasse  ich  solches 
alles  solches  den  Dorffe  zum  Besten  zu  richten,  jedoch  gehöret  dem 
Schulzen  jederzeit  von  Blutt-  oder  Blauschlägen  8  Silbergroschen 
und  den  gerichtlichen  Gebühr. 

38)  Wen  einer,  so  sich  von  Schultzen  und  seinen  Beisitzern 
beschweret  vermeinet,  seinen  Beruff  an  die  gnädige  Herrschafft  zu 
nehmen,  soll  ihn  solches  jederzeit  vergönnet  werden  und  zugelassen  ; 


Das  Hauländer-Dorf  Goldau  bei  Posen.  49 

'wer  aber  frefentlicher  und  muthwilliger  Weise  appeliret,   der  soll 
ablegen  i  gutten  Marckt 

39)  Dafern  ein  Nachtbar  den  andern  oder  je  einen  Fremden 
sein  Landt  verkauftet,  sol  solches  erstlich  bey  den  Schultzen  ange- 
meldet werden,  und  es  nicht  heimlicher  Weisse  verkauften,  jederzeit 
die  Kauffsuma  bein  Schultzen  ablegen,  und  der  ganzen  Nachbarschafft 
eine  Tonne  Bir  ablegen. 

40)  Dafern  aber  einer  ausserhalb  des  Dorffes  ein  Landt  ver- 
kauffte,  so  sol  den  Schultzen  gebührend  umb  Ratht  und  Frage  halten 
unter  den  Nachtbaren  bey  der  Tonne  Bir,  ob  irgend  ein  Nachtbar 
selbiges  Landt  an  sich  kauften  wolle,  und  daferne  einer  wäre,  soll 
ihn  solches  für  den  Fremden  zugelassen  werden,  so  mit  seiner 
Grantze  und  Baustelle  an  nächsten  wäre.  Jedoch  sindt  die  Freunde 
die  allernächsten;  wer  sich  dawieder  setzet,  soll  Strafte  ablegen  an 
die  gnädige  Herrschafft  10  gutte  Marck  und  der  Nachtbarschafft 
eine  Tonne  Bir. 

Befehle  demnach  Schultzen  und  Rathsleutten  ernstlich,  wofern 
sie  sich  der  einverleibten  Straffe  nicht  selbst  theilhafftig  machen 
und  dieselbige  doppelt  ablegen  wollen,  über  dieser  meiner  Anordnung, 
Satzung  und  Constitution  mit  Ernst  zu  halten  und  darwieder  zu 
handelen  zu  thun  nicht  gestatten.  Zur  Uhrkundt  und  mehrere  Be- 
kräftigung habe  ich  es  eigenhändig  unterschrieben,  auch  mein  wohl 
angebohrnes  adliches  Signet  wissentlich  darauff  drücken  lassen. 
Gegeben  in  meinen  Erbdorfte  w  Golenczewie  Anno  Christi  1762 
d.  ao.  Decembris  Karol  Niezychowski  mp. 


Zeitschrift  der  Hisl.  Ges.  für  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XVIII. 


Beiträge 


zur 

Beschichte  der  Berichts-Organisation  für  die  Provinz  Posen. 

Von 
Karl  Martell. 


I. 
1816/17. 

o  lange  die  heutige  Provinz  Posen  einen  Teil  der 
polnischen  Republik  bildete,  gab  es  ein  für  alle 
Klassen  der  Bevölkerung  geltendes,  geschriebenes 
Recht  nicht.  Nur  für  die  Rechtsverhältnisse  des  Adels 
und  der  Geistlichkeit  war  teilweise  durch  Konstitutionen 
gesorgt.  Die  Königl.  Städte  waren  auf  deutsche  Rechts- 
quellen: das  Kulmische,  Sächsische,  Magdeburgische  Recht 
\rerwiesen.  Einzelne  von  ihnen  förderten  durch  ihre 
Statuten  die  sich  an  diese  Quellen  anlehnende  Rechts- 
entwickelung. Von  den  Mediatstädten  hatten  nur  wenige 
eine  Anlehnung  an  die  deutschen  Rechtsquellen.  Vielfach 
wurden  ihre  Einwohner  in  ihrer  Rechtsstellung  andern 
Untertanen  der  Grundherrn  gleichgestellt.  Zwar  hatten  einige 
dieser  Mediatstädte  vom  Grundherrn  ausgestellte  Vertrags- 
instrumente, sogenannte  Privilegien.  Aber  der  Grundherr  war 
schliesslich  Gerichtsherr,  und  gegen  ihn  konnte  ein  Rechts- 
gang mit  Aussicht  auf  Erfolg  kaum  eingeschlagen  werden. 
Von  den  Landbewohnern  hatten  zwar  die  Hauländer  in 
ihren  Dorfgerichten  eine  rechtsprechende  und  die  freiwillige 
Gerichtsbarkeit  verwaltende  Behörde.  Aber  auch  bei  ihnen 
entschied   der  Grundherr  in  zweiter  und  letzter  Instanz. 


52  Karl  Martell. 

Der  grösste  Teil  der  Bevölkerung,  der  Bauer,  entbehrte 
aber  jedes  gesicherten  Rechtsschutzes.  Er  war  dem  Er- 
messen, d.  h.  dem  willkürlichen  Gutdünken  der  Grund- 
herrn Preis  gegeben.  Wie  der  Adel  den  Einwohnern 
der  Mediatstädte  und  den  Bauern  gegenüber  die  Gerichts- 
barkeit übte,  so  hatte  die  Krone  die  Gerichtsbarkeit  über 
die  Bauern  der  Krongüter.  Der  Adel  nahm  Recht  vor 
den  Grodgerichten,  bezüglich  seiner  Besitzungen  vor  den 
Landgerichten.  Von  den  Grod-  und  Landgerichten  ging 
der  Rechtszug  an  die  Tribunale,  von  den  Stadtgerichten 
an  das  Assessorialgericht,  von  den  Dorfgerichten  wie 
erwähnt  an  den  Grundherrn.  Die  Mitglieder  der  Tribunale 
und  Assessorialgcrichte  entbehrten  zum  grössten  Teile 
einer  wissenschaftlichen  Vorbildung  für  ihren  Beruf.  Diese 
galt  für  unnötig.  Denn  nach  weit  verbreiteter  Ansicht 
war  jeder  polnische  Edelmann  nicht  nur  geborener  Soldat 
sondern  auch  geborener  Jurist.  Die  Republik  war  so  in 
Gesetzgebung  und  Rechtspflege  auf  dem  Standpunkte 
stecken  geblieben,  den  die  deutschen  Staaten  und  Terri- 
torien seit  dem  Ausgange  des  Mittelalters  überwunden 
hatten.  Als  Folge  des  unvollständigen,  ungewissen,  nur 
notdürftig  durch  Herkommen  und  Gerichtsgebrauch  er- 
gänzten Rechts  und  als  Folge  der  wesentlich  auf  ständischer 
Grundlage  ruhenden  Gerichtsorganisation  ergab  sich  in 
Verbindung  mit  der  Besetzung  der  Gerichte  mit  mangel- 
haft ausgebildeten  und  wenig  gewissenhaften  Beamten  — 
die  grösste  Unordnung  und  Unzuverlässigkeit.  Überdies 
waren  Bestechungen  an  der  Tagesordnung,  so  dass  der 
damalige  Geheimrat  Zerboni  di  Sposetti  1793  berichtete: 
Bestechungen  sind  unerhebliche  Ereignisse,  über  die  kaum 
gesprochen  wird. 

Im  Netzedistrikt  hatte  Preussen  gleich  nach  der 
Besitznahme  Ordnung  zu  schaffen  gesucht.  Durch  das 
Notifikationspatent  vom  28.  September  1772  und  die  In- 
struktion für  die  westpreussische  Regierung  vom  21.  Sep- 
tember 1773  wurde  das  ostpreussische  Landrecht  von 
1721  zur  Rechtsquelle  bestimmt  und  als  Gericht  II.  Instanz 
ein  Hofgericht   in   Bromberg  eingesetzt    Als  dann  1793 


Gerichts-Organisation  für  die  Provinz  Posen.  53 

Südpreussen  an  den  preussischen  Staat  fiel,  war  dies 
Ereignis  die  Veranlassung  zu  umfangreicher  Gesetzgebung. 
Nunmehr  wurde  das  Allgemeine  Landrecht,  die  Allgemeine 
Gerichts-Ordnung,  die  Hypotheken-Ordnung,  die  preussische 
Kriminal-Ordnung  von  1717,  später  die  Kriminal-Ordnung 
von  1805  mit  Geltung  für  die  ganze  Provinz  in  Kraft 
gesetzt.  An  Gerichtsbehörden  wurden,  wie  in  den  andern 
Provinzen  der  Monarchie  Patrimonialgerichte  eingeführt, 
neben  denen  städtische  und  königliche  Untergerichte  bestellt 
wurden.  Zu  Gerichten  IL  Instanz  wurden  die  Regierungen 
in  Posen,  Kaiisch,  Warschau  bestimmt  und  diese  delegierten 
wegen  der  Unzuverlässigkeit  der  zur  Verwaltung  der 
Patrimonial-  und  Untergerichte  Berufenen  sog.  Kreisjustiz- 
Kommissare.  Sei  1796  wurden  neben  den  Untergerichten 
für  die  Strafgerichtsbarkeit  Inquisitoriate  unter  der  un- 
mittelbaren Aufsicht  der  Obergerichte  eingerichtet.  Diese 
Inquisitoriate  bewährten  sich.  Die  Einleitung  der  Kriminal- 
Ordnung  von  1805  erkennt  die  Wirksamkeit  dieser  Be- 
hörden aufrichtig  an  und  verheisst,  dass  nach  ihrem 
Muster  gleiche  Einrichtungen  in  der  ganzen  Monarchie 
eingeführt  werden  sollen,  was  denn  auch  später  wenigstens 
zum  Teile  geschehen  ist  So  hat  die  Ajigliederung  der 
polnischen  Provinzen  nicht  nur  zur  Publikation  des  A.  L.  R., 
sondern  auch  zur  Schaffung  der  Inquisitoriate  für  grosse 
Teile  der  Monarchie  den  Anstoss  gegeben. 

Die  stramme  preussische  Zucht,  die  Hingebung  der  in 
dies  Land  neu  hineingezogenen  Beamten  an  ihr  Amt  hatte 
verstanden,  das  Vertrauen  der  Bevölkerung  zu  erwerben, 
und  hatte  einen  leidlichen  Zustand  der  Rechtspflege  herbei- 
zuführen vermocht.  Insbesondere  ist  dieser  Zeit  die  Für- 
sorge für  das  Hypothekenwesen  zu  danken,  eine  Fürsorge, 
die  zur  polnischen  Zeit  ganz  unbekannt  bleiben  musste. 
Es  war  gelungen,  die  Hypothekenbücher  der  Domänen  und 
adligen  Güter  bis  auf  einen  Restbestand  von  29  Be- 
sitzungen zu  regulieren,  als  der  Tilsiter  Frieden  vom 
9.  Juli  1807  die  Provinz  von  der  Monarchie  abriss.  Nun- 
mehr erfolgte  ein  völliger  Umsturz  des  Rechtswesens. 
Als  bürgerliche  Gesetzbücher  wurden  1809  an  Stelle  des 


54  Karl  Martell. 

A.  L.  R.  der  code  Napoleon  und  der  code  de  commerce 
eingeführt  An  Stelle  der  A.  G.  O.  trat  der  code  de  proc6dure 
und  damit  ein  mündliches  und  öffentliches  Verfahren  in 
Civilsachen.  Für  jeden  Kreis  wurde  ein  Friedensgericht, 
für  jedes  Departement  ein  Civiltribunal  erster  Instanz,  für 
zwei  Departements  ein  Kriminalgerichtshof,  wie  die 
Inquisitoriate  benannt  wurden,  eingerichtet  Höchste 
Spruchbehörde  wurde  das  Tribunal  in  Warschau.  In  dem 
Organisationstatut  wurden  die  Gerichte  für  unabhängig 
erklärt,  der  Absetzbarkeit  der  Richter  enge  Grenzen  ge- 
gezogen. Fortbestehen  liess  das  Statut  die  Geltung  des 
preussischen  Kriminalrechts,  während  die  Kriminalordnung 
durch  ein  öffentliches  Verfahren  modifiziert  wurde.  War 
dieser  Umsturz  des  erst  kürzlich  geschaffenen  Rechts- 
zustandes die  Ursache  grosser  Verwirrung,  kam  z.  B. 
die  Ordnung  des  Hypothekenwesens  völlig  ins  Stocken, 
so  traten  andererseits  auf  dem  Gebiete  der  Provinz  Posen 
neue  Erscheinungen  ins  Leben,  die  in  den  alten  Provinzen 
der  Monarchie  erst  viel  später  zur  Geltung  kamen.  In 
diese  Zeit  der  Geltung  des  französischen  Rechts  fällt  zu- 
nächst die  Aufhebung  der  Patrimonialgerichte.  Das  Gross- 
herzogtum Warschau  wandelte  die  Friedens-  und  Land- 
gerichte zu  staatlichen  Organen  um.  Es  beseitigte  ferner 
den  persönlichen  eximierten  Gerichtsstand  der  Beamten 
und  Adligen,  die  zur  preussischen  Zeit  bei  dem  Hofgericht 
in  Bromberg  und  der  Regierung  in  Posen  ihren  persön- 
lichen Gerichtsstand  gehabt  hatten.  Es  verwies  also  alle 
Untertanen  vor  dieselben  Gerichte.  Im  Grossherzogtum 
wurde  ferner  an  Stelle  des  preussischen  schriftlichen  Prozess- 
verfahrens ein  mündliches  Verfahren  in  Geltung  gesetzt  und 
im  Strafverfahren  konnte  das  Prinzip  der  Öffentlichkeit  sich 
Einfluss  verschaffen.  Wir  können  ohne  weiteres  annehmen, 
dass  alle  diese  Reformen,  so  gross  auch  ihre  Wirksamkeit 
bei  langer  Friedensdauer  hätte  sein  können,  trotz  aller 
Feierlichkeiten,  mit  denen  die  Einführung  der  Konstitution 
und  der  neuen  Gesetze  begrüsst  wurde,  inhaltlos  geblieben 
sind.  Schon  den  preussischen  Gesetzen  werden  grosse 
Teile  der  Bevölkerung  verständnislos  gegenüber  gestanden 


Gerichts-Organisation  für  die  Provinz  Posen.  55 

haben.  War  doch  das  A.  L.  R.  erst  1796  und  zwar  nicht 
in  das  Polnische,  sondern  in  das  Lateinische  übersetzt.  Und 
bei  dem  mangelhaften  Personale,  mit  dem  die  preussische 
Verwaltung  bei  den  Untergerichten  grösstenteils  zu  arbeiten 
hatte,  wird  die  Vermutung  nicht  fehl  gehen,  dass  vielen 
richterlichen  Beamten  das  Verständnis  der  preussischen 
Gesetze  im  Grossen  und  Ganzen  verschlossen  geblieben 
ist  Den  französischen  Gesetzbüchern  werden  die  Beamten 
des  Grossherzogtums  noch  viel  verständnisloser  gegenüber 
gestanden  haben.  Denn  mit  rücksichtsloser  Energie 
waren  alle  die  preussischen  Beamten  aus  ihren  Ämtern  ent- 
fernt, die  die  frühere  preussische  Verwaltung  aus  den  alten 
Provinzen  herangezogen  hatte.  Damit  beraubte  sich  aber 
das  Grossherzogtum  gerade  derjenigen  Elemente,  die  für 
die  Justizkarriere  wissenschaftlich  und  beruflich  vorgebildet 
waren.  Zu  diesem  Umsturz  der  Rechtsquellen  und  der 
Entfernung  des  tüchtigsten  Teils  des  Beamtenstandes  trat 
nun  aber  die  Geissei  des  Krieges.  Das  Land  wurde  als 
Kriegsdepot  behandelt  und  ausgesogen.  Polen  war  für 
Napoleon  nur  ein  untergeordnetes  Glied  in  seinen  welt- 
umspannenden Plänen,  nur  ein  Kompensationsmittel  und 
eine  Quelle  der  Bereicherung  für  seine  Generale.  So  blieben 
bei  den  unruhigen  öffentlichen  Verhältnissen  die  Gesetze 
französischen  Ursprunges,  welche  in  Friedenszeiten  einen 
ungeheuren  Fortschritt  hätten  herbeiführen  können,  un- 
ausgeführt Sie  bestanden  tatsächlich  nur  auf  dem  Papier 
zu  Recht,  und  Preussen  fand,  als  es  noch  vor  Abschluss 
der  Wiener  Kongressverhandlungen  wieder  in  den  Besitz 
des  Netzedistrikts  und  eines  Teils  von  Südpreussen  kam, 
die  gesamte  Rechtspflege  in  der  grössten  Unordnung. 

Es  ist  aus  der  allgemeinen  Geschichte  bekannt,  wie 
sehr  im  Jahre  1815  Preussen  unter  dem  Einflüsse  Russlands 
stand,  wie  sehr  insbesondere  König  Friedrich  Wilhelm  III. 
trotz  aller  Unzuverlässigkeit,  die  Kaiser  Alexander  1806/7 
an  den  Tag  gelegt  hatte,  auf  die  Stimme  des  Czaren  Wert 
legte.  Auf  den  Einfluss  des  Czaren,  der  daran  ging,  in 
dem  ihm  überwiesenen  Teile  des  zur  Auflösung  bestimmten 
Grossherzogtums  Warschau  sich  ein  nur  lose  mit  der  Czaren- 


56  Karl  Martell. 

kröne  verknüpftes  Königreich  zurechtzuzimmern,  ist  auch  wohl 
jener  unglückliche  Zuruf  vom  15.  Mai  1815  zurückzuführen,, 
in  welchem  der  König  leicht  misszuverstehende  Worte  an 
die  unter  sein  Szepter  zurückkehrenden  Bewohner  der 
Provinz  richtete,  Worte,  die  der  kommandierende  General 
von  Grolmann  15  Jahre  später  nicht  anstand,  für  törichte 
Stellen  in  den  Traktaten  und  Besitznahmepatenten  zu  er- 
klären. Schon  vor  Erlass  dieser  Patente  hatte  der  König 
unter  dem  3.  Mai  1815  von  Wien  aus  bestimmt:  in  der 
neuen  Provinz  sind  nicht  wie  in  den  andern  Provinzen  Unter- 
gerichte vorhanden.  Es  soll  dabei  (also  bei  den  staatlichen: 
Friedensgerichten)  verbleiben.  Die  vorhandenen  Tribunale 
sollen  zu  Landgerichten  umgestaltet  werden.  Die  Appellation 
soll  von  einem  Landgericht  an  das  andere  Landgericht 
gehen.  Dritte  und  letzte  Instanz  soll  das  Oberappellations- 
gericht in  Posen  sein.  Die  Direktoren  und  Vize-Präsidenten 
der  Landgerichte  und  des  Oberappellationsgerichts  müssen 
die  preussische  Justizkarriere  gemacht  haben.  Zu  Präsi- 
denten der  Gerichte  sind  Einheimische  vom  Adel  zu  be- 
stellen. In  materieller  Beziehung  sind  die  preussischen 
Gesetze  wiedereinzuführen.  Im  Prozessverfahren  soll  das 
mündliche  und  öffentliche  Verfahren  mit  Modifikationen 
beibehalten  werden. 

Zugleich  ernannte  der  König  den  Stadtgerichtsdirektor 
Schoenermark  zu  Berlin  zum  allgemeinen  Organisations- 
Kommissar  und  zum  Vizepräsidenten  des  Königl.  Ober- 
Appellationsgerichts.  Mochten  der  Staatskanzler  Hardenberg 
und  der  Justiz-Minister  Kircheisen  auch  nicht  mit  allen 
Befehlen  des  Königs  einverstanden  sein,  jedenfalls  mussten 
sie  dem  Königlichen  Willen  nachzuleben  bestrebt  sein 
und  sind  das  zu  tun  auch  in  vollstem  Masse  bestrebt  ge- 
wesen. Schoenermark  trat  sein  Amt  alsbald  an.  Auf 
seinen  Vorschlägen,  eingereicht  am  10.  Mai  1816 
beruht  in  der  Hauptsache  das  Patent  vom  9.  No- 
vember 1816  und  die  Verordnung  vom  9.  Februar  181 7, 
betreffend  die  Ordnung  der  Gerichte,  die  Wiederein- 
führung der  preussischen  Gesetze  und  die  Regelung  des 
Prozessverfahrens. 


Gerichts-Organisation  für  die  Provinz  Posen.  57 

Aufgehoben  wurden  durch  diese  Gesetze  das  ganze 
1809  eingeführte  französische  Civilrecht  und  das  franzö- 
sische Prozessverfahren.  Dafür  wurden  wieder  das  Allg. 
Landrecht,  die  Hypotheken-Ordnung  und  die  Allg.  Gerichts- 
Ordnung  in  Kraft  gesetzt,  jedoch  mit  der  Abänderung, 
dass  der  persönliche  eximierte  Gerichtsstand  der  Adligen 
und  Beamten  beseitigt  blieb,  und  der  Grundsatz  der 
Mündlichkeit,  welcher  im  französischen  Prozessverfahren 
Geltung  hatte,  mit  Modifikationen  aufgenommen  wurde. 
Für  Strafsachen  brauchte  besondere  Fürsorge  nicht  ge- 
troffen werden.  Das  Grossherzogtum  Warschau  hatte  es 
bei  dem  preussischen  Strafrecht  des  Landrechts  be- 
lassen. In  Geltung  geblieben  war  in  der  Hauptsache  auch 
die  preussische  Kriminal-Ordnung  von  1805  und  das  In- 
quisitoriat.  Insoweit  war  also  das  Rechtswesen  der 
Provinz  mit  den  Einrichtungen  der  altländischen  Provinze» 
in  Einklang. 

Eingerichtet  wurden  7,  später  nach  anderer  Sprengel- 
einteilung 4  Landgerichte,  34  später  60,  dann  70  Friedens- 
gerichte und  ein  Obergericht,  das  Oberappellationsgericht 
in  Posen.  Dabei  blieb  hinsichtlich  der  Friedensgerichte 
das  Prinzip  gewahrt,  dass  auch  die  unterste  richterliche 
Behörde  eine  staatliche  Behörde  war,  während  in  den 
alten  Provinzen  der  Monarchie  noch  die  Patrimonial- 
gerichte  der  Städte  und  Grossgrundbesitzer  fortbestanden- 
Was  die  Zuständigkeit  der  Gerichte  anlangt,  so  waren 
die  Friedensgerichte  in  der  Hauptsache  Sühnegerichte,. 
Schiedsgerichtsinstanzen.  Sie  sollten  die  Parteien  zum. 
Vergleiche  zu  bringen  suchen,  ehe  zur  Klage  geschritten 
werden  durfte.  Zu  ihrem  Geschäftskreise  gehörten  alle 
Prozesse  unter  50  Talern,  Injurien-,  Holzdefraudations- 
und  Possessoriensachen.  In  Vormundschafts-  und  Nach- 
lasssachen hatten  sie  bei  einem  vormundschaftlich  zu  ver- 
waltenden Vermögen  oder  einem  Nachlasse  bis  zu 
200  Thalern  einzuschreiten.  In  Kriminalsachen  sollten  sie 
die  Verhaftungen  und  ersten  Vernehmungen  vornehmen 
Berufungs-  und  Beschwerdegericht  war  ihren  Entschei- 
dungen gegenüber  das  Landgericht 


58  Karl  Martcll. 

Die  Landgerichte  waren  bei  grösseren  Objekten  die 
erste  Instanz.  In  Vormundschafts-  und  Nachlasssachen 
erstreckte  sich  ihre  Zuständigkeit  auf  Objekte  bis  zu 
2500  Talern.  Ihnen  lag  die  Führung  der  Hypotheken- 
bücher ob.  Jedoch  war  die  Führung  der  Grundbücher 
über  die  Domänen  und  die  adligen  Güter  den  Land- 
gerichten in  Posen  und  Bromberg  allein  übertragen.  In 
Kriminalsachen  waren  die  Landgerichte,  bei  einfacheren 
Straftaten  die  Spruchbehörden.  Hinsichtlich  des  Instanzen- 
zuges waren  der  Königlichen  Ordre  gemäss  die  Land- 
gerichte wechselseitig  Appellations-  und  Beschwerdegerichte. 
So  standen  Krotoschin  und  Fraustadt  in  wechselseitigem 
Instanzenzuge.  In  allen  übrigen  Sachen,  also  bei  Ver- 
mögensobjekten über  2500  Talern  trat  die  Zuständigkeit 
des  Oberappellationsgerichts  als  erstinstanzliches  Gericht 
ein,  und  dies  war  auch  bei  den  wichtigeren  Kriminalsachen 
der  Fall.  Berufungen  und  Beschwerden  gegen  die  Ent- 
scheidungen des  einen  Senats  gingen  zur  Nachprüfung 
an  den  andern  Senat  des  Oberappellationsgerichts.  Be- 
züglich der  Gerichtssprache  wurde  dem  Königlichen  Zurufe 
gemäss  bestimmt,  dass  die  polnische  Sprache  neben  der 
deutschen  bei  allen  Verhandlungen  in  gleicher  Geltung 
stehen  sollte. 

So  trat  nun  diese  Gerichtsverfassung  ins  Leben,  in 
der  die  neuen  Rechtsgedanken  Aufnahme  gefunden  hatten, 
dass  alle  Preussen  vor  dem  Gesetze  gleich  seien,  d.  h.  ohne 
Ansehen  der  Person  vor  demselben  Richter  Recht  zu 
nehmen  hatten,  dass  alle  Richter  staatliche  Beamten  seien, 
und  dass  im  Prozessverfahren  die  Mündlichkeit  zu- 
gelassen war.  Erst  nach  Jahrzehnten  haben  diese  Grund- 
sätze in  das  Rechtsleben  der  übrigen  altländischen 
Provinzen  Aufnahme  gefunden. 

Sehr  viele  Mühe  verursachte  die  Besetzung  der 
Gerichte.  Aus  den  altländischen  Provinzen  Hessen  sich 
juristisch  vorgebildete  Beamte  nur  schwer  heranziehen. 
Das  einheimische  Personal  aber  war  schwach,  sehr 
schwach.  Das  Grossherzogtum  Warschau  hatte,  so  klagte 
Schoenermark  am  31.  Oktober  1815  dem  Minister  Kirch- 


Gerichts-Organisation  für  die  Provinz  Posen.  59 

^isen,  nach  Entfernung  der  alten  preussischen  aus  andern 
Provinzen  herangezogenen  Beamten  die  eingerichteten 
Tribunale  mit  Mitgliedern  besetzt,  die  in  der  früheren 
polnischen  Zeit  vor  1793  tätig  gewesen,  also  ohne  wissen- 
schaftliche und  ohne  zureichende  berufliche  Qualifikation 
waren.  Zu  den  Stellen  der  Kassierer,  Sekretäre,  Regi- 
straturen habe  man  Leute  berufen,  die  gar  keine 
Befähigung  für  solche  Ämter  erworben  und  nachgewiesen 
hätten.  Für  die  Annahme  solcher  Leute  sei  einzig  das 
Ermessen  der  Vorsteher  der  Gerichtsbehörden  massgebend 
gewesen.  Tröstend  antwortete  ihm  der  Justizminister  auf 
diese  Klagen:  Bei  der  gegenwärtigen  Organisation  kann 
man  im  Sinne  der  Kabinets-Ordre  vom  3.  Mai  1815  keine 
grossen  Anforderungen  machen,  da  die  Absicht,  die  vor- 
handenen Beamten  in  Aktivität  zu  erhalten,  unverkennbar 
ist  Bei  den  jungen  Polen  wird  es  wünschenswert  sein, 
dass  sie  auf  deutschen  Universitäten  studieren,  dass  sie 
ihre  Laufbahn  in  deutschen  Provinzen  antreten,  dort  ihr 
Examen  machen  und  zu  Ämtern  in  den  deutschen  Provinzen 
geschickt  gemacht  werden.  Wie  wenig  kannte  der  Justiz- 
minister Kircheisen  den  Charakter  der  damaligen  polnischen 
adligen  Jugend,  wenn  er  solche  Erwartungen  hegte! 

Dem  Königlichen  Befehle  gemäss  ging  die  Verwaltung 
an  die  Berufung  Einheimischer  vom  Adel  zu  den  ersten 
Präsidenten  der  Kollegialgerichte.  Mit  Mühe  wurden  ge- 
eignete Persönlichkeiten  ermittelt.  Denn  es  musste  doch 
wenigstens  darauf  gesehen  werden,  dass  zu  diesen  Vor- 
steherstellen Männer  mit  einiger  juristischer  Vorbildung 
berufen  wurden.  Zum  ersten  Präsidenten  des  Königlichen 
Oberappellationsgerichts  wurde  nach  langwierigen  Verhand- 
lungen der  frühere  Tribunalsrat  von  GorzeAski  ernannt. 
Seine  feierliche  Einführung  erfolgte  am  1.  März  1817. 
Gestern  fand,  so  berichtet  der  frühere  Geheimrat,  jetzt 
zum  Oberpräsidenten  ernannte  Zerboni  di  Sposetti  am 
2.  März  181 7  dem  Staatskanzler,  die  feierliche  Einführung 
der  neuen  Gerichtsverfassung  und  des  Herrn  von  Gorzehski 
zum  Amte  eines  Ersten  Präsidenten  des  Königlichen 
Oberappellationsgerichts  statt     Dem  Herrn  von  Gorzenski 


60  Karl  Martell. 

traten  bei  der  Feierlichkeit  die  Tränen  in  die  Augen, 
Es  ist  doch  merkwürdig,  wie  es  in  dieser  Provinz  weniger 
auf  die  Sache,  als  auf  den  Moment  und  die  Form  ankommt. 
Wir  haben  hierin  ein  besonderes  Unglück  und  kommen 
nicht  selten  in  den  Fall,  unsere  guten  Friedrichsdors  für 
rote  Pfennige  wegzugeben. 

Verstand  der  Oberpräsident  unter  der  Bemerkungr 
dass  es  hier  in  der  Provinz  weniger  auf  die  Sache  als 
auf  die  Form  ankomme,  dass  die  Ernennimg  der  Vorsteher 
der  Gerichte  aus  der  Zahl  der  Einheimischen  vom  Adel 
eine  reine  Formensache,  die  Berufung  zu  einem  Scheinamt 
sei,  so  traf  seine  Bemerkung  völlig  zu.  Durch  eine  um- 
ständliche Instruktion  grenzte  der  Vizepräsident  Schoener- 
mark  die  Befugnisse  der  Ersten  Präsidenten  dahin  abr 
dass  diesen  Herren  im  wesentlichen  die  Repräsentation 
verblieb,  das  ganze  Schwergewicht  der  Verwaltung  aber 
den  Direktoren  der  Landgerichte  und  dem  Vizepräsidenten 
des  Oberappellationsgerichts  zufiel.  Also  dafür,  dass  die 
Inhaber  dieser  übrigens  mit  erheblichen  Entschädigungs- 
geldern ausgestatteten  Ehrenstellen  keinen  materiellen 
Schaden  anrichten  konnten;  sorgte  die  Beamtenbureaukratie. 
Aus  der  Erkenntnis  der  völligen  Überflüssigkeit  dieser 
Ehrenpräsidenten  ist  denn  auch  wohl  die  Bemerkung  zu 
verstehen,  dass  diese  Ämter  den  Wert  roter  Pfennige 
hätten,  und  es  wohl  besser  gewesen  wäre,  die  guten 
Friedrichsdors  im  Kasten  zu  behalten. 

So  trat  nun  je  nach  dem  Fortschreiten  der  Einrichtung 
der  neuen  Gerichte  und  ihrer  Besetzung  das  neue  Ver- 
fahren in  Übung,  und  eine  gewisse  Rechtssicherheit  begann 
in  die  Provinz  einzuziehen.  Aber  es  war  für  die  preussischen 
Beamten  eine  dornenvolle  Zeit.  Die  Bevölkerung,  d.  h. 
der  grundbesitzende  polnische  Adel  konnte  nicht  zufrieden 
gestellt  werden.  Obwohl  der  Königlichen  Verheissung 
gemäss  bei  allen  Verhandlungen  die  polnische  Sprache 
neben  der  deutschen  volle  Geltung  hatte,  liefen  Beschwerden 
über  diese  Ordnung  der  Gerichtssprache  ein.  Und  doch 
führte  die  Vorschrift,  dass  Verhandlungen  in  polnischer 
Sprache   zu  führen  seien,  zu  den  grössten  Unzuträglich- 


Gerichts-Organisation  für  die  Provinz  Posen.  6l 

keiten,  als  junge  Leute  polnischen  Stammes  sich  nicht 
«dazu  bequemten,  die  preussische  Justizlaufbahn  einzu- 
schlagen, d.  h.  sich  wissenschaftlich  und  beruflich  zu  den 
Justizämtern  vorzubereiten,  und  andererseits  die  neu  in 
<üe  Provinz  hineingezogenen  Beamten  die  polnische  Sprache 
sich  nicht  aneigneten,  auch  nicht  aneignen  konnten.  Wo 
immer  ein  Aktenstück  in  polnischer  Sprache  geführt  wurde, 
da  war  es  für  die  Aufsichtsbehörde  mangels  der  Fähigkeit, 
die  Verhandlungen  nachprüfen  zu  können,  so  gut  wie  nicht 
vorhanden.  Schwer  haben  unter  solchen  Verhältnissen 
die  Geschäfte  gelitten. 

Kaum  war  die  neue  Verfassung  ins  Leben  getreten, 
als  schon  1818  beim  Staatskanzler  eine  Beschwerde  von 
vier  polnischen  Grundherrn  einlief,  in  welcher  über  Zurück- 
setzung und  Beschädigung  der  Nationalität  Klage  geführt 
wurde.  In  umfangreicher  Breite  beriefen  sich  die  Be- 
schwerdeführer auf  die  Traktate  und  Besitznahmepatente 
und  Hessen  es  auch  an  Selbstlob  nicht  fehlen. 

Trotz  der  Treulosigkeit,  mit  der  die  polnischen  Soldaten 
und  Offiziere  1806/7  die  preussischen  Fahnen  verlassen 
hatten,  trotzdem  Stidpreussen  gleich  nach  der  unglücklichen 
Doppelschlacht  von  Jena  und  Auerstädt  seinen  Abfall 
-erklärt,  und  der  polnische  Adel  Napoleon  in  Posen  und 
Warschau  als  Befreier  begrüsst  hatte,  wagten  die  Be- 
schwerdeführer von  der  Treue  der  polnischen  Nation  zum 
Herrscherhause  zu  sprechen.  Es  war  wohl  eine  Konzession 
an  ihr  Gewissen,  wenn  sie  dabei  den  charakteristischen 
Zusatz  machten,  „sofern  nicht  höhere  Pflichten  in  Frage 
kamen."  Unwillig  berichtete  Schoenermark  auf  die  ihm 
zugefertigte  Beschwerde,  dass  der  polnischen  Sprache 
durch  die  neue  Verfassung  und  in  täglicher  Gerichtspraxis 
das  weiteste  Entgegenkommen  erwiesen  würde.  Derartige 
Klagen  seien  ihm  nicht  neu."  Er  habe  in  .einem  Lande 
zu  tun,  in  dem  es  zur  Nationalität  gehöre,  unzufrieden  zu 
sein.  Dabei  wies  er  darauf  hin,  dass  Beschwerdeführer 
die  tatsächlichen  Nationalitätsverhältnisse  der  Provinz  ganz 
ausser  Augen  Hessen.  Denn  die  Provinz  zähle  doch  Vs 
Deutsche,   und   deren  Vorhandensein    und    deren  Recht, 


62  Karl  Martell. 

in  der  Justizverfassung  berücksichtigt  zu  werden,  werde 
in  der  Beschwerde  ganz  ausser  Augen  gesetzt  Als  in 
den  folgenden  Jahren  der  Staatskanzler  von  Hardenbergs 
geneigt  schien,  den  Klagen  der  Beschwerdeführer  nach- 
zugeben, und  die  Einsetzung  einer  Justizimmediat- 
Kommission  in  die  Wege  leitete,  trat  ihm  der  Justiz- 
minister Kircheisen  unter  dem  3.  Oktober  1821  mit  einem 
geharnischten  Berichte  an  den  König  entgegen. 

Es  komme,  so  schreibt  er,  nicht  auf  die  Wünsche  der 
Mehrheit  der  Bevölkerung  an,  sondern  auf  die  Bedürfnisse 
des  Landes  und  des  Staates.  Was  nützlich  sei,  darüber 
sei  man  bei  der  Veränderlichkeit  menschlicher  An- 
schauungen beständig  wechselnder  Meinung.  Was  für  das 
Land  und  den  Staat  zweckmässig  und  notwendig  sei, 
darüber  habe  die  Regierung  zu  entscheiden.  Und  da 
sei  es  nun  staatliches  Bedürfnis,  dass  ein  gleichmässiger 
Organismus  im  Staatsleben  wirke.  Denke  man  schon 
jetzt  an  eine  Änderung,  so  sei  es  besser,  dass  die  neue 
Provinz  sich  im  Justizwesen  an  die  altländischen  Provinzen 
anschliesse,  als  dass  die  alten  Provinzen  zur  Aufnahme 
noch  nicht  bewährter  Neuerungen  herangezogen  würden. 
Bei  der  kurzen  Dauer  der  erst  vor  einigen  Jahren  ein- 
geführten Verfassung  sei  es  jedenfalls  am  besten,  der- 
selben noch  Zeit  zur  Bewährung  zu  lassen. 

Dem  stimmte  nun  auch  der  König  bei,  und  damit 
blieb  es  fürs  erste  bei  der  von  Schoenermark  vorge- 
schlagenen und  zur  Einführung  gebrachten  Verfassung. 
Diese  erhielt  nur  insofern  einen  Bruch,  als  1821  dem 
Fürsten  von  Thurn  und  Taxis  eine  besondere  Gerichts- 
barkeit für  sein  Fürstentum  Krotoschin  bewilligt  wurde. 
Diese  Fürstentumsgerichte  gab  der  Grundherr  aber  schon 
1833  um  so  lieber  ab,  als  die  Unkosten  für  die  Ehrev 
eine  selbständige  Gerichtsbarkeit  zu  haben,  zu  gross 
wurden. 

Schoenermark  brachte  die  neue  Justizverfassung  schritt- 
weise zur  Durchführung,  so  wie  es  die  Beschaffung  von 
Beamten  und  Lokalitäten  gestattete.  Erst  1824  sah  er 
seinen  Organisationsauftrag  als  erfüllt  an  und  gab  ihn  in 


Gerichts-Organisation  für  die  Provinz  Posen.  63 

die  Hände  des  Justizministers  zurück,  der  ihm  in  warmen 
Worten  für  die  mühevolle  Arbeit  dankte. 

Unzweifelhaft  litt  die  durchgeführte  Organisation  an 
mancherlei  Gebrechen.  Die  Abgrenzimg  der  Zuständigkeiten 
nach  dem  Werte  der  Angelegenheiten,  die  mangelhafte 
Ordnung  des  Instanzenzuges,  die  Bestellung  der  Friedens- 
gerichte zu  Sühneinstanzen  hatten  mancherlei  Bedenken 
gegen  sich.  Dazu  kam,  dass  ein  polnischer  Bauernstand 
sich  zu  entwickeln  begann,  die  gutsherrlich-bäuerlichen 
Regulierungen  dem  bisher  landlosen  Ackerbauer  Eigentum 
verschafften,  der  Handel  sich  hob  und  durch  die  kultur- 
befördernden Massregein  der  neuen  Regierung  die  Be- 
dürfnisse der  Provinzbewohner  sich  änderten.  Wenn 
die  Unzufriedenen  es  übersahen,  dass  in  der  Besetzung 
der  Friedensgerichte  mit  unzureichendem  Personal  der 
Kernpunkt  der  Klagen  lag,  so  wird  man  ihnen  dies 
kaum  verdenken.  Ist  es  doch  in  der  menschlichen  Natur 
begründet,  die  Organisationen  und  nicht  die  Menschen. 
für  Unebenheiten  der  Geschäfte  verantwortlich  zu  machen. 
Schon  der  erste  Landtag,  welchen  der  König  1827  der 
Provinz  bewilligt  hatte,  brachte  Klagen  über  die  Justiz- 
verfassimg. Die  Landstände  beantragten,  den  Friedens- 
gerichten eine  grössere  Kompetenz  bis  zu  300  Talern  zu 
geben  und  ihre  Zuständigkeit  in  Vormundschafts-  und 
Nachlasssachen  auf  Objekte  bis  zu  4000  Talern  zu  er- 
weitern. Im  Prozessverfahren  baten  sie  um  Beseitigung 
des  wechselseitigen  Instanzenzuges  bei  den  Landgerichten 
und  um  weitere  Ausdehnung  des  mündlichen  Verfahrens. 
Ihren  Anträgen  trat  der  zum  Bericht  aufgeforderte  Prä- 
sident Schoenermark  nur  zum  kleinsten  Teile  bei.  Auch 
er  befürwortete  die  Aufhebung  des  wechselseitigen  In- 
stanzenzuges, befürwortete  jedoch  nur  die  Erweiterung 
der  Zuständigkeit  der  Friedensgerichte  in  Vormundschafts- 
und Nachlasssachen  bis  zu  einem  Vermögensbestande  von 
500  Talern.  Den  weitergehenden  Anträgen  gegenüber 
verhielt  er  sich  ablehnend.  Auch  nicht  einmal  sein  Vorschlag 
erhielt  die  Königliche  Genehmigung.  Vielmehr  ordnete 
der  König   nur   die   Beseitigung   des   wechselseitigen  In- 


-64  Karl  Martell. 

-Stanzenzuges  an.  Vom  i.  Juli  1829  ab  hörte  demgemäss 
die  Berufung  und  Beschwerde  von  einem  Landgerichte 
an  das  andere  auf,  und  es  wurde  der  IL  Senat  des  Ober- 
appellationsgerichts die  Berufungs-  und  Beschwerdeinstanz 
für  die  Entscheidungen  der  Landgerichte,  während  der 
L  Senat  des  Oberappellationsgerichts  in  III.  Instanz  end- 
gültig entschied. 

Auf  erneuten  Antrag  des  Landtags  von  1829  erhielt 
1830  der  Justizminister  den  Auftrag  zu  Vorarbeiten  für 
^ine  allgemeine  Reform  der  Justizverwaltung.  Zu  den 
Beratungen  im  Staatsministerium  über  Vorschläge  des 
Ministers  wurde  auch  der  Kronprinz  zugezogen.  Auf  des 
Kronprinzen  Antrag,  so  meldete  der  Justizminister  von 
Kamptz  dem  seit  dem  9.  Dezember  1830  in  sein  neues 
Amt  berufenen  Oberpräsidenten  von  Flottwell  am  14.  No- 
vember 1831,  wurde  in  der  Sitzung  des  Staatsministeriunis 
vom  17.  November  1830  zur  Beratung  gestellt,  ob  es  nicht 
ratsam  sei,  verschiedene  Gerichte  für  die  deutschen  und  pol- 
nischen Einwohner  der  Provinz  zu  bilden.  Diesen  Vorschlag 
habe  der  Kronprinz  zwar  auf  das  Votum  des  Justizministers 
fallen  lassen.  Dafür  aber  habe  er  wenigstens  die  Tren- 
nung der  Obergerichte  nach  Nationalitäten  befürwortet. 
Aber  auch  solcher  Trennung  habe  Schoenermark  wider- 
sprochen und  dabei  bemerkt,  dass  Wünsche  nach  solcher 
Trennung  garnicht  bekannt  geworden  seien.  Der  Vize- 
präsident Schoenermark  habe  sich  auch  darüber  aus- 
gelassen, dass  die  Friedens-  und  Landgerichte  sich  bisher 
das  Vertrauen  der  Eingesessenen  zu  erwerben  nicht  ver- 
mocht hätten.  Schoenermark  habe  den  Grund  für  diese 
Erscheinung  darin  gefunden,  dass  diese  Behörden  noch 
zu  viel  polnische,  nicht  beruflich  vorgebildete  Mitglieder 
in  ihren  Reihen  zählten.  Mit  Rücksicht  auf  die  Sprach- 
kenntnis seien  noch  immer  viel  zu  viel  junge  Leute  an- 
genommen, die  bei  den  Landgerichten  ihren  ersten  ju- 
ristischen Ausflug  machten.  Flottwell  werde  um  Äusserung 
ersucht 

In  seinem  Antwortschreiben  vom  13.  November  1831 
stimmt  Flottwell  ganz  in  Schoenermarks  Klagen  ein.    Das 


Gerichts-Organisation  für  die  Provinz  Posen.  65 

Publikum,  so  lässt  er  sich  aus,  beklagt  sich  nicht  über  die 
Organisation,  sondern  über  das  Verfahren  und  die  Be- 
lastung der  Gerichte,  über  die  mangelnde  Aufsicht  und  die 
mangelnde  Direktion.  Die  Geschäfte  seien  in  Unordnung. 
Insbesondere  klage  das  Publikum  über  die  geringen  Fort- 
schritte in  der  Regulierung  der  Grundbücher.  Die  Forti- 
fikation  in  Posen  wolle  schon  seit  Jahren  die  Ent- 
schädigungen für  das  zu  ihren  Bauten  verwendete  Land 
zahlen,  es  sei  aber  die  Legitimation  der  Eigentümer  bei 
den  Grundakten  nicht  zu  beschaffen.  Der  Grund  für  die 
Klagen  liege  also  in  der  schlechten  Besetzimg  der  Gerichte. 
Bei  denselben  sei  auch  eine  Veränderung  insoweit  ge- 
boten, als  gar  keine  Veranlassung  vorliege,  die  Ehren- 
Präsidenten  bestehen  zu  lassen.  Warum  stelle  man  nicht 
statt  derselben  sachgemäss  vorgebildete  Beamte  mit  Ver- 
pflichtung zu  positiver  Arbeit  an!  Im  Geschäftsverkehre 
müsse  man  auch  von  den  Vorschriften  der  Ordnung  vom 
9.  November  1816  abgehen  und  auf  die  polnische  Sprache 
keine  Rücksicht  nehmen.  Aus  dem  ganzen  Berichte 
spricht  der  neue  Geist,  der  in  die  Provinz  eingezogen  war 
und  einige  Jahre  darauf  auch  für  die  Verfassung  der 
Gerichte  von  grösster  Fruchtbarkeit  werden  sollte. 


II. 
1834. 

Der  verdiente  Organisator  des  Justizwesens  in  der 
Provinz  Posen,  der  Vizepräsident  des  Oberappellations- 
gerichts von  Schoenermark  —  er  war  inzwischen  geadelt 
—  war  am  21.  Juni  1832  in  Berlin,  wo  er  Heilung  von 
einem  Lungenleiden  gesucht  hatte,  gestorben.  Gleich  nach 
seinem  Tode  wandte  sich  der  Oberpräsident  Flottwell 
an  den  Justizminister  von  Muehler  mit  der  Bitte,  die  eigen- 
tümlichen Verhältnisse  der  Provinz  bei  Ernennung  des 
Nachfolgers  mitzuberücksichtigen.  von  Muehler  setzte 
sich  mit  dem  zweiten  Justizminister  v.  Kamptz  in  Ver- 
bindung, und  beider  Wahl  fiel  auf  den  Vizepräsidenten 
des  Königl.  Appellationsgerichts  zu  Breslau,  v.  Frankenberg- 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  ProT.  Posen.    Jahi-g.  XVIII.  6 


66  Karl  Martell. 

Ludwigsdorf.  Zur  Vorbereitung  für  die  nachzusuchende 
Königliche  Bestätigung  wandte  sich  von  Muehler  an  den 
Generalleutnant  von  Lottum,  Mitglied  des  Staatsrats. 
„Ich  habe",  so  schrieb  er  demselben,  „die  Überzeugung, 
dass  im  ganzen  Lande  kein  zweiter  geeigneter  Mann 
aufzutreiben  ist.  Er  bringt  ein  grosses  Opfer.  Die  Beru- 
fung zum  Chefpräsidenten  in  Breslau  könnte  ihm  seiner 
Zeit  kaum  entgehen.  Er  wird  keine  papierene  Kontrolle 
führen,  sondern  mit  eigenen  Augen  sehen.  Es  wird 
übrigens  viel  geschehen  müssen,  um  den  gräulichen 
Zustand  zu  beseitigen,  der  überall  herrschen  soll."  von 
Lottum  meldete  dann  später  die  Ernennung  von  Franken- 
bergs dem  Oberpräsidenten  Flottwell  und  drückte  die 
Hoffnung  aus,  dass  sich  zwischen  diesem  und  dem  neuen 
Präsidenten  des  Oberappellationsgerichts  ein  recht  voll- 
kommenes Einverständnis  bilden  möge.  Diese  Hoffnung 
ist  voll  und  ganz  in  Erfüllung  gegangen.  Nach  voll- 
zogener Bestätigung  gratulierten  unter  anderen  Würden- 
trägern auch  der  Justizminister  von  Muehler  und  der  seit 
dem  Eintritte  Flottwells  in  die  Provinz  nach  Berlin  ver- 
zogene Statthalter  des  Grossherzogtums,  Fürst  Anton 
Radziwill.  Ersterer  schrieb  u.  a.:  „Finden  Sie,  dass  das 
dortige  Verfahren  in  Civilsachen,  also  die  Verbindung 
des  schriftlichen  und  mündlichen  Verfahrens  verdient  in 
die  alten  Provinzen  eingeführt  zu  werden,  so  werde  ich 
Ihnen  geeignete  Leute  schicken,  die  sich  darin  einarbeiten 
sollen."  Und  weiter:  „ein  sehr  grosser  Übelstand  in  der 
Provinz  ist,  dass  die  Beamten  so  viel  die  Weinhäuser 
besuchen.  Das  werden  Sie  als  etwas  Unanständiges  ganz 
untersagen  müssen.  Übrigens  scheint  es  mir  notwendig, 
das  Polnische  allmählich  aus  den  Gerichten  zu  verdrängen, 
so  dass  in  20  Jahren  nur  Deutsch  verhandelt  werden 
braucht.  Doch  das  sind  alles  Ideen,  die  Sie  zu  etwas 
Brauchbarem  werden  verarbeiten  müssen." 

Aus  einer  ganz  anderen  Tonart  klang  das  Glück- 
wunschschreiben des  vormaligen  Statthalters  vom  21.  Juli 
1832.  Die  Kenntnis  der  polnischen  Sprache,  schrieb  er, 
ist  bei  der  hohen  Stellung,  welche  Sie  bekleiden,  weniger 


Gerichts-Organisation  für  die  Provinz  Posen.  67 

notwendig.  Ich  zweifele  nicht,  dass  bei  der  Unparteilich- 
keit, welche  Sie  auszeichnet,  dies  ein  Grund  mehr  für 
Sie  sein  wird,  darauf  zu  achten,  dass  einem  jeden  Unter- 
tan des  Königs  in  dieser  Provinz  in  der  Sprache  wird 
Recht  gesprochen  werde,  die  er  versteht. 

So  wurde  v.  Frankenbergs  Eintritt  in  die  Provinz  mit 
entgegengesetzten  Erwartungen  begleitet  Dem  Justiz- 
minister  lag  vor  allem  an  Verbesserung  der  Rechtspflege, 
mochte  auch  dabei  eine  sprachliche  Zurückdrängung  des 
Polnischen  im  Gerichtsgebrauch  stattfinden.  Der  Statt- 
halter hatte  kein  Verständnis  für  die  Notwendigkeit  einer 
Verbesserung.  Ihm  kam  es  auf  Erhaltung  der  Herrschaft 
der  polnischen  Sprache  in  den  Gerichten  an. 

Aus  dem  obigen  Schreiben  von  Muehlers  können 
wir  entnehmen,  dass  er  nicht,  wie  sein  Vorgänger  von 
Kircheisen  im  Jahre  1821,  auf  dem  Standpunkte  stand, 
dem  mündlichen  Verfahren  im  Prozesse  weitere  Ver- 
breitung zu  unterbinden.  Er  ist  vielmehr  der  Fortbildung 
des  mündlichen  Verfahrens  geneigt.  Was  die  Klage  des 
Ministers  über  den  schlechten  Zustand  der  Rechtspflege 
und  des  ungehörigen  Verhaltens  der  Justizbeamten  in  der 
Provinz  angeht,  so  schildert  auch  der  kommandierende 
General  von  Grolmann  in  seiner  Denkschrift  vom 
25.  März  1832  beides  mit  schwarzen  Farben1). 


*)  v.  Conrady:  Leben  und  Wirken  des  kommandierenden  Gene- 
rals v.  Grolmann  Bd.  III  S.  289.  Dieser  Punkt  —  nämlich  das 
Justizofficiantentum  ist  der  schadhafteste  in  der  Provinz,  wenig- 
stens was  die  Friedens-  und  Landgerichte  betrifft  ....  Es  werden 
hier  mehr  polnische  und  polemisierte  deutsche  Officianten  angestellt 
als  in  den  anderen  Zweigen  der  Verwaltung,  und  man  kann  sagen, 
dass  sich  die  ganze  Gerechtigkeitspflege  in  polnischen  Händen 
befindet Die  Polen  bemühten  sich  die  Beamten  herabzuwürdi- 
gen und  sie  durch  Luxus,  Spiel  und  Trunk  in  ihre  Netze  zu  bringen, 
und  leider  ist  ihnen  dies  grösstenteils  gelungen.  Es  ist  ganz  gewöhn- 
lich, dass  der  Pole,  der  einen  Prozess  hat,  den  Tag  vor  dem  Ter- 
mine in  die  Stadt  kommt,  seinen  Richter  zum  Gastmahl  einladet,  wo 
der  Wein  fliesst,  und  Spiel  und  andere  Vergnügungen  zur  Ent- 
würdigung des  Richters  angewandt  werden;  ein  solches  Bachanal 
heisst  in  der  dortigen*  Kunstsprache  der  Vortermin. 

6* 


68  Karl  Martell. 

v.  Frankenberg  trat  sein  neues  Amt  im  Sommer 
1832  an.  Die  erste  Tätigkeit  des  neuen  Präsidenten 
bestand  darin,  dass  er,  wie  der  Justizminister  richtige 
gemutmasst  hatte,  sich  mit  eigenen  Augen  über  den 
Zustand  der  Gerichte  unterrichtete.  Da  fand  er  nun,  dass 
die  70  Friedens-,  die  4  Landgerichte  und  die  7  Inquisi- 
toriate  allerdings  viel  zu  wünschen  übrig  Hessen.  Mit 
schnellem  Blicke  erkannte  er  auch  die  Wurzel  des  Übels 
im  Einzelrichtertum.  Gleich  sein  erster  Generalbericht 
für  das  Jahr  1832  regt  eine  Umformung  der  Gerichte  an. 

Mit  der  Verfassung  vom    9  F°b   V      berichtete  er,  „kann 

ich  mich  nicht  einverstanden  erklären."  Die  Friedens- 
gerichte als  Vergleichsbehörden,  wie  sie  gedacht  waren, 
bewähren  sich  nicht.  Es  herrscht  grosse,  nicht  abzu- 
stellende Unordnnng.  Diese  ist  besonders  gross  im  Hypo- 
thekenwesen. Schon  sind  54000  unregulierte  Hypotheken- 
Folien  vorhanden  und  mit  der  fortschreitenden  Regulie- 
rung der  gutsherrlich-bäuerlichen  Verhältnisse  ist  eine 
Vermehrung  der  anzulegenden  Folien  notwendig  ver- 
bunden. Zwar  ist  seit  1829  der  wechselnde  Instanzen- 
zug unter  den  Landgerichten  beseitigt.  Doch  ist  dies 
ohne  Einfluss  auf  die  Nachteile,  die  das  Einzelrichtertum 
mit  sich  bringt.  Unter  diesen  Umständen  liegt  es  nahe, 
die  Friedensrichter  zu  kollegialen  Behörden  zusammen- 
zuziehen und  für  jeden  der  26  Landratskreise  (die  etwa 
40,000  Seelen  im  Durchschnitte  haben)  ein  Kollegialgericht 
zu  schaffen,  welches  man,  so  schlägt  er  im  Oktober  1833 
vor,  Kreisgericht  benennen  mag.  Diesen  kann  dann  das 
ganze  Hypothekenwesen  einschliesslich  der  Buchführung 
über  die  Domänen  und  adligen  Güter  übertragen  werden. 
Die  Konzentration  der  Folien  über  diese  Güter  bei  den 
Landgerichten  in  Posen  und  Bromberg  ist  von  Übel. 
Diese  Güter,  1065  beim  Landgericht  Posen  und  565  beim 
Landgerichte  Bromberg,  haben  bis  auf  29  regulierte  Folien. 
Durch  die  Zusammenfassung  der  Folien  dieser  Güter 
entsteht  eine  durch  nichts  gerechtfertigte  Konzentration 
des  Kreditwesens  in  beiden  Städten.  Der  grosse  Johannis- 


Gerichts-Organisation  für  die  Provinz  Posen.  69 

termin  in  Posen  schlägt  für  viele  Besitzer  zum  Unsegen 
aus.  Die  Ordnung  des  Kreditwesens  muss  dezentralisiert 
werden,  und  es  wird  mit  der  Zuteilung  der  Hypotheken- 
blätter an  die  neuzuschaffenden  Kollegialgerichte  die 
Regelung  der  Kreditbedürfnisse  auf  die  Kreisstädte  ange- 
bahnt werden  müssen.  In  demselben  Berichte  nimmt 
v.  Frankenberg  auch  gleich  die  Besprechung  des  Kosten- 
punktes auf.  Er  berechnet  den  Jahresetat  eines  Kolle- 
gialgerichts im  Durchschnitt  auf  etwa  13000  Taler  und  weist 
darauf  hin,  dass  der  Verbrauch  dieser  Summe  bei  der 
Armut  der  Städte  in  der  Provinz  immerhin  ins  Gewicht 
falle.  Den  gesamten  Etat  für  die  Justiz  berechnet  er 
im  Falle  der  Einrichtung  derselben  nach  seinem  Projekte 
auf  393  °°°  Taler  und  kommt  so  dahin,  dem  Minister 
vorzustellen,  dass  der  neue  Etat  sich  dem  bestehenden 
gegenüber  noch  um  2000  Taler  niedriger  stellen  würde. 
Übrigens,  so  bemerkt  er,  kann  auf  den  Kostenpunkt 
keine  Rücksicht  genommen  werden  angesichts  der  zu 
erwartenden  Vorteile  und  der  Betrachtung,  dass  die  Justiz- 
pflege in  dieser  Provinz  mit  geringeren  Kosten  als  in 
den  älteren  Provinzen  bestritten  wird. 

Aber  mit  diesen  Vorschlägen  fand  der  neue  Präsident 
im  Ministerium  keinen  Anklang.  Das  ist  leicht  erklärlich. 
War  doch  damals  im  übrigen  Preussen  die  Gerichts- 
organisation vornehmlich  auf  Patrimonialrichtern  als 
Einzelrichtern  aufgebaut 

Es  ist  nun  ungemein  reizvoll,  den  Kampf  zu  be- 
trachten, den  von  Frankenberg  führen  musste,  ehe  es 
gelang,  seinen  Gedanken  zum  gesetzgeberischen  Ausdrucke 
zu  bringen.  Darin  zwar  war  auch  der  Justizminister  von 
Muehler  mit  von  Frankenberg  einig,  wie  aus  dem  vor- 
gedachten Glückwunschschreiben  erhellt,  dass  die  von 
Schoenermark  in  den  Jahren  1816/17  ins  Leben  gerufene 
Organisation,  wie  gewaltig  auch  die  Verbesserung  den  frü- 
heren Verhältnissen  gegenüber  gewesen  war,  einer  Um- 
formung bedürfe.  Dieser  Ansicht  schloss  sich  auch  das 
Staatsministeriura  an,  und  es  ist  schon  der  regen  Anteil- 
nahme  des   Kronprinzen   an    den   Beratungen    über   die 


70  Karl  Martell. 

Reformvorschläge  gedacht  Aber  der  Justizminister  be- 
vorzugte entsprechend  der  Verwaltung  der  Rechtspflege 
in  den  altländischen  Provinzen  das  Einzelrichtertum.  In 
seinem  Votum  vom  3.  Februar  1833  sprach  er  sich  daher 
für  eine  Vermehrung  der  Friedensgerichte  aus  und  wollte 
durch  Neuschaffung  von  zwei  oder  drei  Oberlandesgerichten 
eine  verstärkte  Aufsicht  über  die  Untergerichte  herbeiführen. 
Namentlich  der  Kostenpunkt  schien  ihm  bedenklich.  Er 
hielt  von  Frankenbergs  Etatsansätze  für  viel  zu  niedrig, 
meinte,  dass  sein  Plan  zahlreiche  Bauten  notwendig  machen, 
würde,  und  warf  das  Bedenken  auf,  dass  viele  Beamte 
in  den  Kreisstädten  nicht  die  geeigneten  Wohnungen 
finden  würden. 

Damals  war  infolge  der  Unruhen,  die  der  Aufstand 
der  Polen  jenseits  der  Grenze  im  Jahre  1830  auch  für 
die  Provinz  Posen  zur  Folge  gehabt  hatte,  eine  besondere 
Immediatkommission  aus  den  Ministern  der  Finanzen,  der 
Polizei  und  Justiz  bestellt,  welche  unter  Zuziehung  des 
kommandierenden  Generals  von  Grolmann  und  des  Ober- 
präsidenten Flottwell  Vorschläge  über  die  Reform  der 
allgemeinen  Staatsverwaltung  in  der  Provinz  aufstellen 
sollte.  An  diese  Kommission  gingen  von  Frankenbergs 
Vorschläge  mit  dem  Gutachten  des  Justizministers^ 
v.  Frankenberg  suchte  den  Oberpräsidenten  für  seinen  Plan 
zu  gewinnen.  Am  1.  März  1833  schrieb  er  ihm  nach 
Berlin.  Ich  bin  mit  der  Organisation  von  1816  nicht  ein- 
verstanden. Damals  hätte  es  so  nahe  gelegen,  die  Ge- 
richte zusammenzuziehen.  Dazu  ist  es  auch  noch  nicht 
zu  spät  So  wie  es  jetzt  ist,  kann  es  nicht  bleiben.  Der 
unregulierte  Zustand  der  Hypothekenbücher  führt  un- 
geheure Verluste  herbei.  Auch  das  Prozessverfahren  wird 
viel  wirksamer  durch  Erweiterung  des  Prinzips  der  Mündlich- 
keit ausgestaltet  werden  müssen.  Übrigens  werden  aber  alle 
Verbesserungsvorschläge  ohne  Erfolg  bleiben,  wenn  es  bei 
der  Bestimmung  verbleibt,  dass  ganze  Aktenstücke  polnisch 
geführt  werden.  Diese  Akten  können  garnicht  kontrolliert 
werden.  Die  Regierung  hat  alles  getan,  um  polnische 
junge  Leute  zum  Studium  aufzumuntern  und  um  deutsche 


Gerichts-Organisation  für  die  Provinz  Posen.  71 

junge  Leute  zum  Erlernen  der  polnischen  Sprache  zu 
drängen.  Es  ist  aber  die  Erfahrung  gemacht,  dass  der- 
jenige Teil  der  Einwohner,  welcher  der  polnischen  Sprache 
zugehört,  zwar  schreiend  den  Gebrauch  der  polnischen 
Sprache  bei  den  Gerichten  verlangt  und  sich  auf  die 
Wiener  Kongressverhandlungen  zu  berufen  pflegt,  selbst 
aber  nichts  dafür  tut,  dass  in  der  Nation  die  Neigung  für 
den  Staatsdienst  wächst  Der  Adel  hält  es  unter  seiner 
Würde,  sich  dem  Unbehaglichen  der  Erlernung  des 
Dienstes  und  ernster  Anstrengung  zu  unterwerfen.  So 
wie  bisher  geht  es  mit  dem  Gebrauch  der  polnischen 
Sprache  bei  den  Gerichten  nicht  weiter.  Ich  habe  schon 
wiederholt  vorgestellt,  dass  der  Zuruf  des  Königs  an  die 
Bewohner  der  Provinz  nur  den  Gebrauch  der  polnischen 
Sprache  neben  der  deutschen  verheisst,  die  Bestimmungen 
der  Verordnimg  vom  9.  Februar  181 7  aber  darüber  hinaus 
zu  einer  vollständigen  Verdrängung  der  deutschen  Sprache 
in  vielen  Angelegenheiten  geführt  haben. 

Trotz  dieses  Appells  an  Flottwell  und  obwohl  von 
Frankenberg  auch  versucht  hatte,  den  kommandierenden 
General  von  Grolmann  für  seinen  Plan  zu  erwärmen, 
schloss  sich  doch  die  Immediatkommission  unter  Ablehnung 
der  von  Frankenberg'schen  Pläne  in  der  Sitzung  vom 
16.  März  1833  dem  Gutachten  des  Ministers  an.  Dabei 
kam  im  Schosse  der  Kommission  jetzt  auch  der  Vor- 
schlag zu  Tage,  dem  Friedensrichter  einen  wissenschaftlich 
vorgebildeten  Aktuar  zur  Seite  zu  setzen,  so  dass  dieser 
den  Friedensrichter  jederzeit  zu  vertreten  in  der  Lage 
wäre.  Ferner  sprach  sich  die  Kommission  für  Erweiterung 
der  Zuständigkeit  der  Friedensgerichte  und  für  ihre  Ver- 
mehrung aus  und  befürwortete  die  Überführung  der 
Hypothekenblätter  der  Domänen  und  adligen  Güter  an 
das  Oberlandesgericht. 

Als  jetzt  auch  das  Plenum  des  Staatsministeriums 
am  30.  April  1833  sich  für  die  Vorschläge  des  Justiz- 
ministers aussprach,  schien  von  Frankenberg  mit  seinem 
Vorschlage  endgültig  unterlegen  zu  sein.  Denn  es  schien 
wenig  wahrscheinlich,  dass  der  König  gegen  die  überein- 


72  Karl  Martell. 

stimmenden  Gutachten  seiner  obersten  Ra  tgeber  entscheiden 
werde. 

v.  Frankenberg  selbst  gab  seine  Sache  noch  nicht 
verloren.  Er  wandte  sich  in  drei  Briefen  vom  25.  April 
2.  Juni  und  7.  Juli  1833  an  seinen  alten  Freund,  den  Ge- 
heimen Staatsrat  Staegemann,  in  dessen  Hand  die 
wichtigsten  Angelegenheiten  dieser  Provinz  behufs  Vor- 
bereitung der  Königlichen  Entschliessung  zusammen 
liefen.  „Mein  Antrag",  schrieb  er  ihm,  „20 — 25  kleine 
Kollegiatgerichte  zu  schaffen,  hat  leider  keinen  Anklang 
gefunden.  Die  Theoretiker  der  heutigen  Zeit  gehen 
davon  aus,  dass  die  Gerichtspflege  mehr  dem  Einzelnen 
als  Kollegien  anvertraut  werden  muss.  Aber  ich  habe 
in  meiner  früheren  Stellung  und  vornehmlich  hier  aus 
der  Praxis  heraus  das  Unerträgliche  dieser  Verfassung 
kennen  gelernt.  Ich  habe  einen  Zustand  gänzlicher  Er- 
schlaffung und  grenzenloser  Verschleppung  vorgefunden, 
den  ich  nur  für  kurze  Zeit  habe  beseitigen  können. 
Insbesondere  das  Hypothekenwesen  und  das  Kriminal- 
wesen liegt  ganz  im  Argen.  Übrigens  sind  auch  die 
Beamten  vielfach  untauglich.  Unter  denen,  die  entfernt 
werden  müssen,  sind  zahlreich  gerade  diejenigen,  welche 
allein  aus  Rücksicht  auf  die  Sprache  angestellt  sind.  Ich 
muss  mich  auch  ganz  entschieden  gegen  die  Idee  aus- 
sprechen, die  sachliche  Kompetenz  der  Friedensgerichte 
zu  erweitern.  Bleibt  es  bei  Friedensgerichten,  so  muss 
deren  Zahl  erheblich  vermehrt,  es  darf  aber  ihre  Zu- 
ständigkeit nicht  erweitert  werden.  Dann  muss  aber  auch 
eine  lebendige,  tätige  Aufsicht  vorhanden  sein  und  solche 
kann,  selbst  wenn  die  Oberlandesgerichte  vermehrt  werden, 
durch  dieselben  nicht  geübt  werden. 

Es  ist  eine  sehr  delikate  Sache,,  wenn  man  mit 
seinem  vorgesetzten  Minister  über  Grundsätze  nicht  ein- 
verstanden ist.  Er  ist  immer  sehr  freundlich  gegen  mich. 
Ich  will  aber  der  Pflicht  und  meiner  Überzeugung,  selbst 
wenn  dieselbe  reiferem  Urteil  sich  beugen  muss,  folgen. 
Übrigens  ist  der  Oberpräsident  ganz  mit  mir  einver- 
standen,  und    auch    der  vortragende  Rat  im  Ministerium 


Gerichts-Organisation  für  die  Provinz  Posen.  73 

stimmt  jetzt  ganz  mit  mir  überein  und  bedauert  nur,  sich 
nicht  gleich  anfänglich  meinen  Vorschlägen  angeschlossen 
zu  haben.  Leider  verzögert  man  im  Ministerium  diese 
so  äusserst  wichtige  Sache.  Jetzt  im  Juli  ist  erst  das 
Protokoll  über  die  Sitzung  des  Staatsministeriums  vom 
30.  April  1833  ins  Bureau  gekommen  und  sind  dadurch 
zwei  kostbare  Monate  verloren  gegangen.  In  der  Ver- 
messenheit meiner  geheimsten  Gedanken  scheint  es  mir 
fast,  dass  unsere  regierenden  Häupter  zwar  einen  grossen 
Respekt  vor  Geldbewilligungen,  aber  keine  Achtung  vor 
Zeitverlust  haben." 

Und  dem  Justizminister  selbst  trägt  er  in  wieder- 
holten Berichten1)  vor:  „Gerade  die  Zusammenziehung 
der  Einzelrichter  zu  kleinen  kollegialen  Behörden  stützt 
die  einzelnen,  weckt  den  Ehrgeiz,  gewährleistet  eine  gute 
Aufsicht  und  eine  sachgemässe  Verteilung  der  Geschäfte 
nach  der  Arbeitskraft  der  einzelnen  Richter.  Dabei 
werden  die  kleinen  in  den  Kreisstädten  zusammen- 
gezogenen Gerichte  diesen  Städten  selbst  aufhelfen.  Sie 
werden  dazu  beitragen,  dieselben  in  Flor  zu  bringen  und 
in  denselben  einen  guten  Geist  zu  verbreiten.  Wenn 
mir  entgegengehalten  wird,  dass  die  Friedensgerichte 
sich  bewährt  haben,  so  muss  ich  demgegenüber  auf 
meiner  entgegengesetzten  Meinung  verharren.  Ich  habe 
die  einsichtsvollsten  Mitglieder  des  mir  unterstehenden 
Gerichtshofes  befragt.  Dieselben  sind  alle  meiner  Mei- 
nung. Das  Projekt  des  Ministers  erwartet  zu  viel  von  den 
Friedensrichtern.  Eine  Jurisdiktion  über  10  bis  15000 
Seelen  können  sie  nicht  leisten.  Und  dann  hebe  ich 
immer  wieder  hervor:  Der  alleinstehende  Friedensrichter 
wird  der  Gefahr  der  leichteren  Zugänglichkeit,  die  hier 
immer  gross  war,  ausgesetzt  bleiben.  Die  mehreren  Ober- 
gerichte, die  als  Zwischenglieder  zwischen  den  Frie- 
densrichtern und  dem  Oberappellationsgerichte  gedacht 
sind,  werden  eine  sachgemässe  Aufsicht  auf  keinen  Fall 
leisten  können." 


*)  Vom  16.  März,  3.  April,  3.  und  6.  Juli  1833. 


74  Karl  Martell. 

So  gingen  nun  das  Votum  des  Justizministers,  die 
Beschlüsse  der  Immediatkommission  und  des  Staats- 
ministeriums und  das  entgegengesetzte  Gutachten  des 
Präsidenten  v.  Frankenberg  in  das  Königliche  Kabinet  zur 
Entscheidung  der  Vorfrage,  ob  die  Untergerichte  aus 
Einzelrichtern  bestehen  sollten  oder  —  die  kleineren 
Sachen,  die  Bagatellsachen  natürlich  ausgenommen  — 
kollegialen  Behörden  anzuvertrauen  seien. 

Es  ist  ein  hohes  Verdienst  und  zeigt  von  dem 
ernsten  Willen  einer  gründlichen  eigenen  Prüfung,  dass 
der  König  nun  nicht  kurzweg  dem  Votum  seiner  höchsten 
Ratgeber  folgte,  dass  er  vielmehr  noch  weitere  Erörterung 
forderte.  „Ehe  ich  mich  entscheide",  erklärte  der  König 
in  seiner  Ordre  vom  10.  August  1833,  „möchte  ich 
wissen,  ob  mit  dem  Präsidenten  Flottwell  in  Ver- 
bindung getreten  ist  Dies  ist  um  so  notwendiger  bei 
den  eigentümlichen  Verhältnissen  der  Provinz,  den  po- 
litischen Ereignissen  der  jüngsten  Zeit,  bei  der  grossen 
Zahl  der  erforderlichen  einzeln  stehenden  Richter,  die 
nicht  ohne  den  erheblichsten  Einfluss  auf  die  Verwaltimg, 
namentlich  in  politischer  Beziehung  und  insonderheit 
dann  bleiben  wird,  wenn  die  Richter  aus  den  Ein- 
geborenen polnischer  Abkunft  bestellt  werden.  In  dieser 
Hinsicht  scheint  die  von  dem  Präsidenten  v.  Frankenberg 
vorgeschlagene   Einrichtimg   den  Vorzug   zu  verdienen.*4 

Mit  dieser  Ordre  hatte  der  Präsident  v.  Frankenberg 
den  höheren  Instanzen  gegenüber  obgesiegt,  und  nicht 
mit  Unrecht  giebt  der  Künstler,  welcher  das  Bildnis  des 
Präsidenten  für  das  Geschäftszimmer  des  Oberlandes- 
gerichtspräsidenten gemalt  hat,  dem  Dargestellten  die 
Kabinets-Ordre  vom  10.  August  1833  in  die  Hand. 
Sobald  v.  Frankenberg  von  der  Königlichen  Ent- 
Schliessung in  Kenntnis  gesetzt  war,  schrieb  er  wieder 
d  d.  Carlsbad  den  3.  September  1833  an  den  Ober- 
präsidenten Flottwell:  „Infolge  der  Königlichen  Er- 
schliessung werden  Sie  angefragt  werden.  Die  beiden 
vortragenden  Räte  im  Ministerium,  die  diese  Angelegenheit 
bearbeiten,   freuen   sich   über   die  Wendung   der   Sache. 


Gerichts-Organisation  für  die  Provinz  Posen.  75 

Selbst  der  Minister  ist  nicht  abgeneigt,  auf  meinen  Vor- 
schlag einzugehen.  Er  hat  nur  noch  Bedenken  wegen 
des  Kostenpunktes  und  wegen  einer  ungerechtfertigten 
Belastung  der  Kreiseingesessenen  durch  die  weite  Entfernung 
derselben  vom  Gerichtsorte.  Aber  in  ersterer  Beziehung 
treffen  seine  Bedenken  nicht  zu.  Und  in  letzterer  wird 
man  den  Eingesessenen  durch  Gerichtskommissionen  und 
Gerichtstage  entgegen  kommen  können.  Kommt  es  zur 
kollegialen  Verfassung,  so  wird  man  den  neuen  Gerichten 
auch  die  Führung  der  Hypothekenbücher  über  die  Do- 
mänen und  adligen  Güter,  also  über  alle  in  ihrem  Be- 
zirke liegenden  Besitzungen  übertragen  können.  So 
kommt  vor  allem  Einheit  in  die  neue  Schöpfung,  und  es 
eröffnet  sich  die  Aussicht,  mit  diesen  Gerichten  auch  die 
Strafsachen  später  verbinden  zu  können.  Dann  ist  auch 
eine  sachgemässe  Aufsicht  durch  die  Vorsitzenden  der 
Kollegien  und  durch  das  Oberappellationsgericht  gewähr- 
leistet Die  Richter  werden  unter  ständiger  Aufsicht 
bleiben  und  werden  in  den  kleinen  Städten  ferner  nicht 
untergehen.  Sie  werden  auch  in  politischer  Hinsicht  be- 
aufsichtigt werden  können.  Kurz,  ich  hoffe,  durch  eine 
Reform  nach  meinen  Vorschlägen  wird  der  Rechtsgang 
und  wird  das  materielle  Recht  gewinnen." 

Der  der  Königlichen  Ordre  gemäss  zum  Berichte 
aufgeforderte  Oberpräsident  Flottwell  stellte  sich  mit 
grösster  Entschiedenheit  völlig  auf  v.  Frankenbergs  Seite. 
Er  erklärte  Einzelrichter  geradezu  für  gefährlich,  weil  die 
Vermögensangelegenheiten  der  Untertanen  der  Willkür, 
Trägheit,  Sorglosigkeit  des  Einzelrichters  zu  sehr  preis- 
gegeben seien,  ein  Schaden  nicht  rechtzeitig  abgewehrt 
und  Ersatz  nicht  erlangt  werden  könne.  Auch  er  wies 
darauf  hin,  dass  der  Beamte  und  der  Richter  nach  Lage 
der  Dinge  auf  eine  Gesellschaft  angewiesen  sei,,  die  oft  der 
polnischen  Nationalität  angehöre,  und  dass  es  für  den  einzeln 
stehenden  Richter  schwer  sei,  auf  die  Dauer  sich  dem 
Einflüsse  derselben  zu  entziehen.  Auch  er  erklärte  die 
Kontrolle  des  Einzelrichters  durch  das  Oberappellations- 
gericht oder   durch   ein  Oberlandesgericht  für  eine  leere 


76  Karl  Martell. 

Form.  Dabei  trat  er  scharf  für  das  Prinzip  ein,  dass  alle 
Untertanen  demselben  Richter  unterworfen  seien.  „Der 
politische  und  moralische  Einfluss  des  Prinzips,  dass  alle 
Menschen  vor  demselben  Gerichte  ihren  Gerichtsstand 
haben",  schreibt  er  „ist  überall  wesentlich  kulturfördernd, 
namentlich  aber  hier,  wo  es,  wie  in  allen  slavischen 
Landen,  nur  Herren  und  Knechte  gibt.  In  einem  solchen 
Lande  kann  es  nicht  genug  Einrichtungen  zur  Förderung 
sittlicher  und  geistiger  Bildung  und  zur  Belebung  einer 
zweckmässigen  Tätigkeit  der  unteren  Staatsbehörden 
geben..  In  dieser  Richtung  werden  kleine  Kollegial- 
gerichte ganz  anders  wirken,  als  Einzelrichter."  Im  wei- 
teren Verlaufe  des  Berichts  spricht  er  sich,  ähnlich  wie 
der  Präsident  v.  Frankenberg,  dagegen  aus,  dass  dem 
Oberappellationsgerichte  die  dritte  Instanz  genommen 
und  diese  nach  Berlin  an  das  Geh.  Obertribunal  über- 
tragen werde,  und  er  motiviert  sein  Votum  ebenso  wie 
v.  Frankenberg  damit,  dass  die  Rechtsstreitigkeiten  viel- 
fach auf  polnische  Akten  und  Urkunden  zurückgingen 
und  von  diesen  Urkunden  der  polnischen  Sprache 
kundige  Richter  selbst  Einsicht  nehmen  müssten.  Für 
den  Fall,  dass  seinem  Votum  zuwider  es  bei  Einrichtung 
der  Friedensgerichte  verbleiben  sollte,  schlägt  er  die 
Errichtung  von  vier  Oberlandesgerichten  mit  dem  Sitze  in 
Posen,  Bromberg,  Meseritz  und  Krotoschin  vor.  Aus 
diesem  Berichte  atmet  das  volle,  lebendige  Interesse, 
welches  der  Oberpräsident  allen  kulturfördernden  Be- 
strebungen entgegen  bringt,  geht  hervor,  wie  sehr  ihm  vor 
allem  die  Hebung  des  Bildungs-  und  des  Wohlstandes  der 
Bevölkerung  am  Herzen  lag  und  wie  er  von  v.  Franken- 
bergs Plane  eine  Förderung  dieser  Bestrebungen*  erhofft. 
Seine  Ausführungen  decken  sich  mit  denen  des  Prä- 
sidenten v.  Frankenberg  durchweg,  übertreffen  sie  aber 
an  Schärfe  des  Ausdrucks.  In  Anerkennung  der  hohen 
Bedeutung  von  Frankenbergs,  beantragte  er  damals  in 
diesem  Berichte,  demselben  als  einem  Kommissar  des 
Justizministers  den  Rang  eines  Oberpräsidenten  zu 
verleihen. 


Gerichts-Organisation  für  die  Provinz  Posen.  77 

Den  ihm  vom  Oberpräsidenten  in  Abschrift  mitge- 
teilten Bericht  benutzt  hierauf  v.  Frankenberg  zu  einem  wei- 
teren kräftigen  Vorstoss.  „Ich  bitte"  schrieb  er  dem  Minister, 
„jetzt  meinem  Projekte  keinen  Anstand  mehr  zu  geben. 
Ich  überzeuge  mich  immer  mehr  von  den  materiellen 
und  formellen  Gebrechen  der  hiesigen  Justizverfassung. 
Den  neuen  Gerichten  bitte  ich  den  Namen  Kreisgerichte 
zu  geben  und  ihrer  Zuständigkeit  alle  Eingesessenen  ohne 
Rücksicht  auf  ihre  Person  zu  unterwerfen."  Einig  mit 
Flottwell  darin,  dass  es  auf  die  Hebung  des  Kulturzustandes 
in  der  Provinz  ankomme,  weist  auch  er  von  neuem 
Kollegialgerichten  in  dieser  Hinsicht  einen  grossen  Einfluss 
zu  und  betont  mit  dem  Oberpräsidenten,  dass  schon  aus 
diesem  Umstände  der  Staat  für  die  Justiz  keine  Unkosten 
scheuen  dürfe.  Mit  Rücksicht  auf  die  Armut  der  Provinz 
warnt  er,  die  Sporteltaxe  gelegentlich  der  Reorganisation 
zu  erhöhen  und  teilt  dem  Minister  die  diesem  wahrscheinlich 
wenig  erfreuliche  gewesene  Tatsache  mit,  dass  zur  Zeit  ein 
Sportelrückstand  von  617,000  Talern  vorhanden  sei,  von 
welchem  höchstens  ein  Drittel  einziehbar  sein  würde.  Auch 
er  bittet,  dem  Oberappellationsgerichte  die  III.  Instanz  zu 
belassen  oder  die  Abtrennung  der  III.  Instanz  wenigstens  so 
lange  hinauszuschieben,  bis  eine  Verminderung  von  in 
polnischer  Sprache  geführten  Akten  und  aufgenommenen 
Urkunden  ersichtlich  sei. 

Jetzt  beschloss  nun  auch  das  Staatsministerium  in 
seiner  Sitzimg  vom  5.  November  1833,  im  Grossherzogtum 
Posen,  wie  es  noch  immer  offiziell  hiess,  26  Untergerichte 
als  Kollegialgerichte  L  Instanz  einzuführen.  Aber  wiederum 
wurden  in  einem  sehr  wichtigen  Punkte  Anstände  erhoben. 
Obwohl* nun  schon  seit  dem  Jahre  1809  in  der  Provinz 
derselbe  persönliche  Gerichtsstand  für  alle  Kreisein- 
gesessenen bestand,  unterbreitete  das  Staatsministerium 
die  Entschliessung  darüber,  ob  für  Beamte  und  Adlige 
der  eximierte  Gerichtsstand  einzuführen  sei,  der  König- 
lichen Entschliessung.  Sobald  v.  Frankenberg  diesen  An- 
stand erfuhr,  wandte  er  sich  wieder  an  seine  Verbindungen. 
Am    15.  November  1833  bat   er  den   Generaladjutanten 


78  Karl  Martell. 

von  Witzleben,  sich  bei  seiner  Majestät  gegen  die  Ein- 
führung des  eximierten  Gerichtsstandes  auszusprechen. 
„Es  bedarf,"  schreibt  er  ihm,  „der  Abgrenzung  der  Zu- 
ständigkeiten der  Gerichte  nach  Sachen,  nicht  nach 
Personen."  Auf  seine  Veranlassung  sprach  sich  denn  auch 
der  kommandierende  General  v.  Grolmann  in  demselben 
Sinne  aus.  Dies  zeigte  v.  Frankenberg  wiederum  seinem 
guten  Freunde  Staegemann  an  und  diesem  gegenüber 
äusserte  er  sich  auch  vertraulich  über  die  Ministerkonferenz 
vom  9.  Dezember  1833,  indem  er  ihm  schreibt:  „Das 
Protokoll  über  diese  Sitzimg  ist  so  seicht  abgefasst,  dass 
ich  die  Gründe,  welche  der  Einführung  der  Exemption  ent- 
gegen stehen,  vor  der  allerhöchsten  Person  nicht  unerwähnt 
lassen  möchte." 

v.  Frankenbergs  Bestrebungen  konnten  nicht  unbe- 
kannt bleiben.  Namentlich  unter  den  Richtern  der  Provinz 
entwickelte  sich  ein  lebhafter  Meinungsaustausch  über  die 
in  Vorschlag  gebrachte  Reform.  Auch  der  Provinziallandtag 
zog  die  in  Aussicht  stehende  Reorganisation  in  den 
Kreis  seiner  Erörterungen.  In  seinem  Beschlüsse  vom 
8.  Februar  1834  sprach  sich  der  Landtag  für  kollegiale  Unter- 
gerichte, gegen  die  Einführung  des  eximierten  Gerichts- 
standes und  gegen  die  Übertragung  der  III.  Instanz  von 
dem  Oberappellationsgericht  auf  das  Geh.  Ober-Tribunal 
aus.  Beweglich  tönt  dabei  die  Klage  der  Ständever- 
sammlung: „Die  übrigen  Provinzen  erfreuen  sich  seit 
40  Jahren  derselben  Justizverfassung.  Hier  hat  in  derselben 
Zeit  fünfmal  ein  gänzlicher  Umsturz  derselben  stattgefunden. 
Hierdurch  haben  viele  aus  den  alten  polnischen  Zeiten 
herrührende  Rechtsangelegenheiten  durch  den  ganzen 
Zeitraum  hindurch  nicht  beendet  werden  können." 

Viel  zu  lange  für  v.  Frankenbergs  Feuereifer  Hess 
die  endgültige  Entschliessung  des  Königs  auf  sich  warten. 
Schon  im  März  1834  erklärt  er  dem  Justizminister,  dass 
mit  Unruhe  in  der  Provinz  auf  die  bevorstehende  Ver- 
änderung gewartet  werde.  Er  selbst  fühle  sich  durch  die 
Ungewissheit  überall  gelähmt  und  könne  nur  mit  provi- 
sorischen Massregeln   aushelfen.     Und    obwohl   er  seine 


Gerichts-Organisation  für  die  Provinz  Posen.  79 

Kollegialverfassung  noch  nicht  unter  Dach  hatte,  unter- 
breitet er  bereits  dem  Minister  den  Gedanken,  die  In- 
quisitoriate  aufzuheben  und  mit  den  neu  zu  schaffenden 
Kollegialgerichten  zu  verbinden.  Endlich,  nachdem  in- 
zwischen v.  Frankenberg  noch  einmal  unterm  20.  April 
den  Minister  um  baldige  Entschliessung  gebeten  hatte, 
erging  unter  dem  16.  Juni  1834  die  Verordnung  über  die 
Einrichtung  der  Justizbehörden  im  Grossherzogtum  Posen. 
Dieselbe  gliederte  die  für  die  Provinz  in  Frage  kommenden 
Gerichtsbehörden  in  26  Land-  und  Stadtgerichte  je  für 
einen  Landrats-Kreis,  belässt  es  bei  den  Inquisitoriaten, 
verordnet,  dass  an  entfernten  Orten  der  Kreise  Gerichts- 
tage abgehalten  werden,  erhebt  also  in  diesen  Richtungen 
v.  Frankenbergs  Vorschläge  zum  Gesetz.  Sodann  wird 
neben  dem  Oberlandesgericht  in  Posen  ein  zweites  Ober- 
landesgericht in  Bromberg  bestellt,  das  Fortbestehen  des 
Oberappellationsgerichts  angeordnet,  das  Geh.  Ober- 
Tribunal  in  Berlin  aber  als  III.  Instanz  für  Revisions-  und 
Nichtigkeitssachen  bestellt.  Die  letzte  Bestimmung  zeigt 
schon,  dass  die  Provinzialbehörden  mit  ihrem  Vorschlage, 
die  HI.  Instanz  bei  dem  Oberappellationsgericht  zu  belassen, 
nicht  völlig  durchgedrungen  waren.  Dies  galt  auch  von  dem 
weiteren  die  Hypothekenbücher  der  adligen  Güter  und  der 
Domänen  betreffenden  Antrage.  Während  v.  Frankenberg 
die  Führung  der  Hypothekenbücher  über  diese  Güter  den 
Land-  und  Stadtgerichten  zugewiesen  wissen  wollte,  über- 
trug die  Verordnung  diese  Führung  den  Oberlandes- 
gerichten in  Posen  und  Bromberg.  So  gingen  nun  die 
Grundbücher  über  die  1065  adligen  Güter  des  Regierungs- 
bezirkes Posen  und  über  die  565  adligen  Güter  und 
Domänen  des  Regierungsbezirkes  Bromberg  von  den 
Landgerichten  zu  Posen  und  Bromberg  auf  die  Ober- 
landesgerichte über.  Daraus  ergab  sich  nun  auch,  dass 
beide  Obergerichte  den  dinglichen  Gerichtsstand  für  diese 
Güter  bildeten,  und  ihnen  die  Instruktion  und  Entscheidung 
in  I.  Instanz  in  allen  Prozessen  zufiel,  in  welchen  der 
dingliche  Gerichtsstand  eintrat.  Ihnen  fiel  denn 
auch    die    Bearbeitung   aller  Vormundschafts-,    Nachlass-, 


80  Karl  Martell. 

Konkurs-  und  Subhastationssachen  zu,  wenn  ein  solch  adliges 
Gut  einen  Teil  des  Nachlasses  oder  der  Versteigerungs- 
masse ausmachte.  Dem  persönlichen  Gerichtsstande  der 
Oberlandesgerichte  wurde  die  Instruktion  und  Entscheidung 
aller  Prozesse,  die  einen  Streitgegenstand  über  500  Taler 
betrafen  und  die  Bearbeitung  aller  Vormundschafts-  und 
Nachlasssachen  überwiesen,  wenn  der  Nachlass  2500  Taler 
oder  mehr  betrug.  Ihnen  fiel  die  Entscheidung  in  I.  Instanz 
zu,  wenn  ein  Inquisitoriat  die  Untersuchung  geführt  hatte, 
und  in  II.  Instanz,  wenn  das  Erkenntnis  I.  Instanz  voa 
einem  Land-  und  Stadtgericht  ergangen  war.  Dem  Ober- 
appellationsgerichte wurde  die  IL  Instanz  in  Civilsachen  und 
in  denjenigen  Strafsachen  zugewiesen,  welche  in  I.  Instanz 
von  den  Oberlandesgerichten  entschieden  waren.  Dadurch 
nun,  dass  den  kollegial  eingerichteten  Land-  und  Stadt- 
gerichten die  gesamte  den  Oberlandesgerichten  nicht 
vorbehaltene  Gerichtsbarkeit  überwiesen  wurde,  sie  also 
alle  Prozesse  bis  500  Taler,  sofern  nicht  der  dingliche 
Gerichtsstand  in  Frage  kam,  zu  übernehmen  hatten,, 
und  dadurch,  dass  sie  in  Strafsachen  die  nicht  den 
Inquisitoriaten  vorbehaltenen  wichtigeren  Untersuchungen 
zu  führen  und  in  diesen  Sachen  die  Entscheidung  zu  treffen 
hatten,  d.  h.  sie  auch  in  Strafsachen  für  den  weitaus 
überwiegenden  Teil  der  Straftaten  zuständig  waren,  kam 
die  gewünschte  Einheit  in  die  gesamte  Schöpfimg.  Es 
war  in  Wirklichkeit  die  Abgrenzung  der  Zuständigkeit 
nach  dem  Werte  des  Streitgegenstandes  oder  dem  Werte 
des  zu  schützenden  Gutes  erfolgt,  und  die  im  altländischen 
Rechte  vorhandene  Trennung  nach  Personen  im  Wesent- 
lichen überwunden,  somit  den  andern  Provinzen  gegen- 
über ein  gewaltiger  Fortschritt  auf  dem  Wege  neuzeitlicher 
Rechtsentwickelung  erzielt.  Der  volle  Durchbruch  des 
v.  Frankenberg  vertretenen  Gedankens  erfolgte  dann 
erst  15  Jahre  später  im  Sturm  der  Verfassungskämpfe. 
Erst  das  Gesetz  vom  2.  Januar  1849  ü^er  die  Aufhebung 
der  Patrimonialgerichtsbarkeit  und  des  eximierten  Gerichts- 
standes, sowie  über  die  anderweite  Organisation  der  Gerichte 
brachte  v.  Frankenbergs  Plan  völlig  zu  Ehren.    Damals  im. 


Gerichts-Organisation  für  die  Provinz  Posen.  8l 

Jahre  1834  brachte  der  Gesetzgeber  den  Land-  und  Stadt- 
gerichten noch  nicht  völliges  Vertrauen  entgegen.  Noch  war 
die  Zeit  nicht  gekommen,  in  der  für  sämtliche  Richter  der 
Nachweis  derselben  Befähigung,  das  Bestehen  derselben 
Prüfung  gefordert  wurde.    Vielmehr  beschränkte  die  Ver- 
ordnung das  Bestehen  der  dritten  richterlichen  Prüfung  auf 
die    Mitglieder    der   Oberlandesgerichte  und    des    Ober- 
appellationsgerichts und  begnügte  sich   für  die  Mitglieder 
der  Land-  und  Stadtgerichte,  sowie  der  Inquisitoriate  mit 
der  Qualification,  wie  sie  für  die  übrigen  Untergerichte  der 
Monarchie    gefordert   wurde.     Das   mündliche  Verfahren 
in  Civilprozesssachen,  wie  es  seit  der  auf  Schoenermarks 
Vorschlägen  beruhenden  Verordnung  vom  9.  Februar  1817 
in  Übung  war,  wurde  durch  die  neue  Gerichtsorganisation 
in  der  Hauptsache  garnicht  berührt    Es  hatte  inzwischen 
allgemeinere  Anerkennung  gefunden,  sodass  der  Gesetz- 
geber sich  veranlasst  gesehen  hatte,  nach  ihrem  Vorbilde 
in   der  Verordnung  vom   1.  Juni  1833  ein  summarisches 
Verfahren  für  die  andern  Teile  der  Monarchie  einzuführen, 
in  welchem  die  Allg.  Ger.  Ordnung  Kraft  hatte.    Nur  be- 
züglich des  Bagatell-  und  Mandatsprozesses  und  hinsichtlich 
der  Injuriensachen  wurde  das  geltende  Prozessverfahren  jetzt 
den  Vorschriften  der  gedachten  Verordnung  unterworfen. 
Aber  dem   Drängen    von   Frankenbergs  und   Flottwells 
gemäss  enthielt  die  neue  Verordnung  eine  tiefgreifende  Be- 
stimmung   hinsichtlich    des    Gebrauches    der    polnischen 
Sprache.  Indem  sie  bestimmte :  Wenn  eine  Verhandlung  in 
polnischer  Sprache  aufgenommen  oder  eine  Verfügung  in 
solcher  Sprache   erlassen  ist,   oder   eine  Vorstellung  in 
derselben   zu   den  Akten   kommen  soll,   muss   derselben 
eine  deutsche  Übersetzung  zur  Seite  stehen,  wofür  jedoch 
keine  besonderen  Kosten  erhoben  werden  dürfen,  gab  sie 
zu  dem  sich   bald  einbürgernden  Gebrauche  Anlass,  die 
Verhandelnden  zu  befragen,   ob  sie   auf  Abfassimg  eines 
polnischen  Nebenprotokolls  Wert  legen  oder  auf  dessen 
Anfertigung  verzichten  wollten. 

v.  Frankenberg  begnügte  sich  nicht  damit,  dass  das 
Gesetz  publiziert   wurde.    In    umfangreicher    Darstellung 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XVIII.  6 


82  Karl  MartelL 

legte  er  in  der  Instruktion  vom  3.  Oktober  1835.  die 
Hauptgedanken  der  Organisation  dar  und  bahnte  die 
Entscheidung  einer  Reihe  von  Zweifelsfragen  an.  Dann 
sorgte  er  für  neue  Instruktionen  für  die  Sekretariate  und 
Exekutiv-Inspektionen,  für  ein  neues  Reglement  betreffend 
das  Depositalwesen  vom  7.  März  1835  und  endlich  durch 
umfangreiche,  eingehende  Verfügungen  für  den  glatten 
Übergang  der  Geschäfte  von  den  sich  auflösenden 
auf  die  neu  sich  bildenden  Behörden.  Nicht  das 
kleinste  Verdienst  war  es,  dass  es  v.  Frankenberg  gelang, 
einen  ziemlich  grossen  Baufonds  für  die  Provinz  flüssig 
zu  machen.  100  000  Taler,  in  dem  damals  armen  Preussen 
eine  gewaltige  Summe,  bewilligte  der  König  zur  Erbauung 
neuer  Kreisgerichte  und  stellte  diesen  Fonds  nicht 
dem  Minister,  sondern  dem  Präsidenten  des  Ober- 
Appellationsgerichts  zur  Verfügung.  Natürlich  musste  der 
preussischen  Staatspraxis  entsprechend  der  Präsident 
die  Städte,  die  zum  Sitze  der  neuen  Behörden  aus- 
gesucht wurden,  zu  Beitragsleistungen  für  die  Bauten  zu 
bewegen  suchen.  Dabei  Hess  er  sich  aber  von  der 
Leistungsfähigkeit  der  Städte  •  mitleiten.  „Mich  hat", 
schreibt  er  dem  Regierungspräsidenten  in  Bromberg, 
„die  Rücksicht  nicht  verlassen,  dass  es  nicht  in  der  Ab- 
sicht der  Staatsregierung  liegen  kann,  von  den  Städten 
dieser  Provinz,  welche  zum  Teil  sehr  arm  sind,  un- 
verhältnismässige Opfer  zu  begehren." 

Und  nun  begann  eine  emsige  Bautätigkeit  in  der 
Provinz.  Es  war  für  den  südlichen  Teil  der  Provinz 
etwas  Neues,  dass  der  Staat  zu  derselben  Zeit  in  vielen 
Städten  als  Bauherr  auftrat.  Mochten  auch  eine  Anzahl 
früherer  Gebäude  für  Friedens-  und  Landgerichte  den 
neuen  Verhältnissen  entsprechend  eingerichtet  werden 
können,  immerhin  mussten  8  Landgerichtsgebäude  und 
die  zu  denselben  gehörigen  Nebenräumlichkeiten  und 
Gefängnisse  völlig  neu  erbaut  werden.  Dies  Bauen  des 
Staates  regte  denn  auch  die  Privatbautätigkeit  an,  und  sie 
schuf  alsbald  für  die  vielen  neu  zuziehenden  Beamten 
die  erforderlichen    Wohnungen.    Je    nach    Fertigstellung 


Gerichts-Organisation  für  die  Provinz  Posen.  83 

der  Bauten  traten  dann  die  einzelnen  Landgerichte  ins 
Leben,  als  eines  der  ersten  das  Land-  und  Stadtgericht 
in  Posen  am  6.  Juni  1835.  Sehr  schnell  änderte  der 
Minister  v.  Muehler  seine  bisherige  Zurückhaltung  gegen- 
über den  neuen  Kollegialgerichten.  Schon  am  21.  Mai  1835 
erkannte  er  ihre  Zweckmässigkeit  an.  Bald  drang  auch 
■der  Ruf  der  neuen  Schöpfung  in  die  andern  östlichen 
Provinzen.  Schon  im  Jahre  1835  baten  das  Oberlandes- 
gericht in  Marienwerder,  dann  das  in  Breslau,  Ratibor, 
Glogau,  Insterburg  um  Mitteilung  der  zu  der  Verordnung 
vom  16.  Juni  1834  erlassenen  Instruktionen,  zum  Teil 
mit  dem  ausdrücklichen  Bemerken,  dass  die  durch  die 
Verordnung  ins  Leben  gesetzte  Verfassung  auch  in  ihren 
Bezirken  einzuführen  beabsichtigt  werde.  Auch  v.  Franken- 
berg selbst  war  mit  dem  Geschaffenen  zufrieden.  „Mit 
Zaghaftigkeit",  schreibt  er  in  seinem  Jahresberichte  für  1835, 
„ging  ich  daran,  eine  Verfassung  umzugestalten,  die  seit 
15  Jahren  1200  Beamten  Beschäftigung,  Ausbildung  und 
Unterhalt  gewährt  hatte.  Jetzt  steht  das  Werk,  das  zu 
den  Unmöglichkeiten  gezählt  wurde,  vollendet  da  und 
wird  reichliche  Früchte  tragen,  sowohl  für  den  Verkehr, 
die  Wohlfahrt  und  Sicherheit,  als  auch  für  die  Civilisation 
einer  grossen  Bevölkerung,  in  der  sich  unter  den  Be- 
schwernissen vieler  Wechselfälle  und  einer  rein  aristo- 
kratischen Verfassung  nicht  einmal  ein  Mittelstand  ent- 
wickeln konnte.  Das  Werk,  welches  die  jetzige  Generation 
in  Bewunderung  für  Ew.  Excellenz  Tatkraft  anerkennt", 
—  so  lehnt  er  seine  Vaterschaft  der  neuen  Schöpfung  ehr- 
erbietig ab  —  „wird  später  geschichtlich  in  seinen  Glanz- 
punkten hervortreten.  Eine  günstige  Folge  der  neuen 
Organisation  ist  die  Beschleunigung  und  gründliche  Be- 
arbeitung der  Prozesse  und  ,die  schnell  fortschreitende 
Anlegung  der  Hypothekenfolien.  Im  Laufe  von  i1/*  Jahren 
sind  14  000  neue  Blätter  angelegt,  und  ist  jetzt  nur  noch 
ein  Bestand  von  40000  unregulierten  Folien  vorhanden. 
Insbesondere  für  die  Strafrechtspflege  ist  ein  neuer  Stern 
aufgegangen,  und  man  wird  zur  Aufhebung  der  Inquisi- 
toriate  und    deren   Verbindung   mit    den    Landgerichten 


84  Karl  Martell. 

schreiten  können."  Dies  ist  denn  auch  durch  die  Kabinets- 
Ordre  vom  12.  Januar  1837  geschehen.  Und  im  Jahre  1836 
berichtet  er:  „Die  neue  Verfassung  hat  sich  bewährt  leb 
bin  in  drei  Oberlandesgerichtsbezirken  alt  geworden,  bin 
selbst  Patrimonialherr  und  kann  mir  daher  ein  Urteil  er- 
lauben. Ohne  Vorliebe  darf  ich  versichern,  dass  bei  einer 
Vergleichung  der  hiesigen  Rechtspflege  mit  der  in  den 
älteren  Provinzen  des  Reichs,  wo  noch  das  Patrimonial- 
gerichtswesen  die  Oberhand  hat,  der  hiesigen  kaum  wird 
der  Vorzug  versagt  bleiben  können.  Die  Beamten  werde» 
besser.  Die  alten  verderblichen  Gewohnheiten  des  Trunkes 
sind  im  Abnehmen.  Überall  macht  sich  reger  Fleiss  be- 
merkbar. Die  Anlegung  der  Hypothekenfolien  schreitet 
schnell  vorwärts.  Die  Strafsachen  werden  gut  und  schnell 
bearbeitet  Bei  den  Straftaten  tritt  besonders  das  Ver- 
brechen der  Widersetzlichkeit  und  der  Beamtenbeleidigung: 
hervor.  Das  kann  aber  in  einer  Gegend  nicht  Wunder 
nehmen,  in  welcher  seit  jeher  unter  den  höheren  Ständen 
die  Neigimg  zur  Gewalttätigkeit  vorhanden  war.  Eine 
Verminderung  der  Verbrechen  wird  sich  übrigens  nur 
von  der  Zunahme  der  Kultur,  der  notwendigen  Ver- 
besserung der  katholischen  Geistlichkeit,  der  Umgestaltung 
des  Judentums,  der  besseren  Verteilung  des  Grundbesitzes 
und  der  Entwöhnung  von  dem  übermässigen  Genüsse 
erhitzender  Getränke  erwarten  lassen." 

Und  wiederum  ein  Jahr  später  lässt  er  sich  dahin 
aus:  „Der  Sinn,  welcher  den  preussischen  Justizbeamtent 
auszeichnet,  war  früher  hier  fast  untergegangen.  Das. 
Ganze  war  nicht  dazu  angetan,  vaterländische  Sitte  und 
Liebe  zu  der  Verfassung  des  Staates  zu  erhalten  und  zu 
erwecken,  dessen  erste  Grundpfeiler  sich  in  einem  ge- 
ordneten Rechtszustande  finden.  Es  fehlte  den  Beamten  der 
feste  Zusammenhalt  In  ihrer  Vereinzelung  unterlagen  sie 
äusseren  Eindrücken.  Die  Revolution  im  Nachbarreiche 
hatte  schlechten  Einfluss  geübt  Jetzt,  nach  kaum  drei- 
jährigem Bestehen  der  neuen  Organisation,  zeigt  sich 
überall  eine  Besserung.  Ich  hoffe,  dass  diese  Provinz, 
nicht    mehr    gegen    andere    zurücktritt,    vielleicht    schon: 


Gerichts-Organisation  für  die  Provinz  Posen.  85 

hervortritt  Es  ist  ein  anderer  Geist  in  die  Verwaltung 
gekommen.  Es  ist  eine  redliche  und  unabhängige  Rechts- 
pflege hergestellt,  diese  Zierde  unserer  vaterländischem 
Verfassung,  welche  die  Anhänglichkeit  an  Thron  und 
Vaterland  in  den  Herzen  begründet  Die  neue  Organisation 
wird  segensreiche  Folgen  haben,  auf  Bildung,  Gesittung  und 
Sprache  mächtig  einwirken  durch  das  acht  preussische 
Prinzip  gewissenhafter,  keine  Persönlichkeit  kennender 
Redlichkeit  Sie  wird  Vertrauen,  die  Anhänglichkeit  für 
den  Thron  und  die  vaterländische  Verfassung  begründen 

und  befestigen.  In  dem  Generalberichte  vom  ÜÜ'  1™*™  XqÜ!I 
0  20.  Januar  1839 

stellt  er  besonders  den  segensreichen  Einfluss,  welchen 
die  Organisation  auf  die  persönliche  Führung  der  Richter 
und  Beamten  gehabt  hat,  den  früheren  Verhältnissen  gegen- 
über: „Ich  fand  1832  unerhörte  Geschäftsunordnungen, 
grenzenlose  Verschleppungen,  Unwissenheit,  gefährdete 
Integrität  der  Richter  und  Trunkenheit  vieler  Beamten 
vor.  Ein  grosser  Teil  der  Richter  war  mangels  genügender 
Aufsicht  moralisch  und  wissenschaftlich  untergegangen. 
Die  Rechtsverwaltung  hatte  in  den  unteren  Instanzen 
den  Charakter  der  Willkür  angenommen.  Jetzt  ist  ein  ganz 
anderes  Bild  da  Der  Tempel  der  Themis  ist  wieder  eine 
Stätte  des  Vertrauens  geworden.  Übrigens  haben  die  in  der 
Provinz  amtierenden  Richter  eine  schwierige  Stellung. 
Ihre  Versuche,  in  freundschaftliche  Beziehungen  zu  den 
i>enachbarten  polnischen  Gutsbesitzern  zu  treten,  haben 
fast  überall  fehlgeschlagen.  Mangels  anderer,  zum  Ver- 
kehre geeigneter  Personen  sind  sie  fast  ganz  auf  sich 
selbst  angewiesen.11  „Die  katholische  Frage,  so  hebt  er 
einige  Jahre  später,  als  das  Verfahren  gegen  den  Erz- 
bischof Dunin  schwebte,  hervor,  hat  diese  Trennung  von 
Neuem  befestigt 

Ich  kann  nur  die  Vorsehung  preisen  —  führt  er 
weiterhin  aus  —  für  das  viele  Gute,  das  sie  hier  gedeihen 
liess.  Ein  tiefbegründetes  Dankgefühl  erfüllt  mich  für  die 
hiesigen  Beamten,  welche  sich  allen  drückenden  An- 
ordnungen willig  fügten  und  Grosses  vollbrachten.     Den 


86  Karl  Martell. 

Beamten  gebührt  mehr  als  gewöhnliche  Anerkennung^ 
Die  Gerichte  sind  wahrhaft  bemüht,  gewissenhafte  und 
prompte  Justiz  zu  üben.  Das  Pflichtbewusstsein  und  das. 
Bewusstsein  des  Zweckes  ihrer  Existenz  hat  bei  aller* 
Gerichtsbehörden  eine  feste  Begründung  erfahren." 

Und  einige  Jahre  später,  nachdem  mit  dem  Re- 
gierungsantritte König  Friedrich  Wilhelms  IV.  und  der  Ab- 
berufung des  Ober-Präsidenten  Flottwell  eine  neue 
Politik  für  die  Provinz  inauguriert  war,  drückt  der 
Präsident  im  Berichte  für  das  Jahr  1843  wiederum  seine 
Freude  über  den  Erfolg  der  Organisation  aus.  „Bei  einer 
Vergleichung  mit  den  Gerichtsbehörden  anderer  De- 
partements, zu  welcher  ich  im  vergangenen  Jahre  Ge- 
legenheit hatte,  verweile  ich  gern  bei  der  musterhaften 
Ordnung,  die  sich  bei  den  hiesigen  Gerichten  befestigt 
hat  Richter  und  Beamte  tun  durchaus  ihre  Pflicht. 
Ihre  ausseramtliche  Führung  ist  gut  und  sittlich,  und  dies 
ist  umsomehr  anzuerkennen",  setzt  er  im  folgenden. 
Jahre  zu,  „als  fast  alle  Beamten  mit  den  Drangsalen  des. 
Lebens  zu  kämpfen  haben,  Wohnungen,  Lebensmittel,. 
Schulen  schlecht  und  teuer  sind." 

War  von  Frankenberg  mit  seiner  Schöpfung  zu- 
frieden, so  noch  weit  mehr  das  unmittelbar  von  derselben 
betroffene  Beamtentum  und  vor  allem  die  Einwohnerschaft 
der  Provinz  selbst  Durch  seine  Organisation  ist  auch 
ein  im  preussischen  Sinne  denkendes  und  arbeitendes 
Justizbeamtentum  herangezogen  und  dieses  hat  nicht 
zum  wenigsten  dazu  beigetragen,  polnisch  -  nationalem 
Sondergeist  zu  bekämpfen  und  zurückzudrängen.  Reichlich 
sind  auch  die  Hoffnungen  in  Erfüllung  gegangen,  die  mit 
der  Gerichts-Verfassung  für  die  Rechtssicherheit,  den 
Wohlstand  und  die  Beförderung  von  Kultur  und  Sitte  in 
der  Provinz  verknüpft  wurden.  Die  Zeiten  der  kollegialen 
Gerichtsverfassung,  der  Kreisgerichtsverfassung,  stehen  bei 
vielen  Einwohnern  der  Provinz  noch  heute  in  guter  Er- 
innerung. 


Eustachius  Trepka. 

Ein  Prediger  des  Evangeliums  in  Posen. 

Von 
Lic.  Dr.  Theodor  Wotschke. 


'ie  Nachrichten  über  diesen  protestantischen 
Theologen  und  Schriftsteller  und  Posener 
evangelischen  Prediger  fliessen  in  der  Literatur 
sehr  spärlich.  Der  gründliche  Durchforscher  der  Posener 
Archive  und  Geschichtsschreiber  der  Posener  evan- 
gelischen Gemeinde  Lukaszewicz  vermag  in  seinen  Nach- 
richten über  die  Dissidenten  in  der  Stadt  Posen1)  über 
ihn  nur  mitzuteilen:  „Wengierski  zählt  ihn  unter  die 
ersten  Reformatoren  Posens.  Aus  Posen  ging  er  nach 
Lithauen  und  von  dort  nach  Königsberg".  Werners  Ge- 
schichte der  evangelischen  Parochien  unserer  Provinz8) 
weiss  aus  den  Beiträgen  zur  Reformationsgeschichte  von 
Friese8)  dem  nur  hinzuzufügen,  dass  Trepka  der  Verfasser 
einer  polnischen  Postille  sei.  Besser  unterrichtet  zeigt 
sich  Joh.  Sembrzycki  in  seiner  Abhandlung:  die  Reise 
des  Vergerius  nach  Polen  1556 — T5574),  wie  es  scheint, 
auf  Grund  des  Artikels  „Trepka"  in  der  polnischen  Ency- 
klopädie  von  Sobieszczanski.    Aber   die   Irrtümer   dieses 

*)  Darmstadt  1843,  S.  92. 
*)  Posen  1898,  S.  276. 
8)  n,  1,  S.  69. 

*)  In  der  Altpreussischen  Monatsschrift  Königsberg  1890,  S.  513, 
über  Trepka  siehe  S.  551—554« 


88  Lic.  Dr.  Theodor  Wotschke. 

Artikels  hat  er  trotz  seiner  grossen  Kenntnis  der  pol- 
nischen Reformationsgeschichte  nicht  berichtigen  können, 
im  Anschluss  an  WiSniewski x)  auch  Trepka  mit  dem 
Lycker  Superintendenten  Johann  Maletius  verwechselt 
und  ihn,  den  Freund  Seklucyans,  zu  seinem  Gegner 
und  Kritiker  gemacht.  Unabhängig  von  Sembrzycki 
werden  im  Archiv  für  die  Geschichte  des  deutschen 
Buchhandels2)  über  Trepka  einige  wenige  Nachrichten 
aus  den  Schätzen  des  Königsberger  Archivs  gegeben. 
Auf  Studien  in  demselben  Archive  beruht  auch  die 
folgende  Skizze. 

Eustachius  oder  Ostaphy,  wie  er  sich  kleinrussisch 
auch  zu  schreiben  pflegte,  Trepka  ist  der  Spross  einer 
weitverbreiteten,  noch  heute  blühenden  polnischen  Adels- 
familie. Ein  Trepka  war  1526  der  Gesandte  des  jugendlichen 
Königs  Ludwig  von  Ungarn  nach  Krakau,  um  freilich 
vergebens  seines  Oheims  König  Sigismunds  Hilfe  gegen 
den  Erbfeind  der  Christenheit  zu  erbitten;  er  starb  noch 
in  demselben  Jahre  auf  Mohacz  blutiger  Walstatt  den 
Heldentod3).  Und  als  1767  der  evangelisch  -  polnische 
Adel  sich  aufraffte,  um  die  auf  dem  Warschauer  Reichs- 
tage im  verflossenen  Jahre  gegen  die  Evangelischen  er- 
lassenen Gesetze  zu  stürzen,  gehörten  die  Trepka  zu  den 
ersten  Familien,  welche  zur  Thorner  Conföderation  zu- 
sammentraten. 

Wahrscheinlich  um  das  Jahr  1510  ist  Eustachius  ge- 
boren. Seine  wissenschaftliche  Ausbildung  erhielt  er  auf 
der  Lubranskischen  Hochschule  in  Posen.  Von  seinen 
Lehrern  hat  der  Leipziger  Christoph  Hegendorff  den 
grössten  Einfluss  auf  ihn  ausgeübt  Nicht  nur  führte  er 
ihn  in  die  humanistischen  Wissenschaften  ein,  erschloss 
er  ihm  besonders  die  Kenntnis  der  griechischen  Sprache, 
vor  allem  gewann  er  sein  Herz  für  die  Reformation  und 
gab  dadurch  seinem  Denken,  seiner  Arbeit,  seinem  Leben 
die  bestimmte  Richtung.    Auf  seine  Empfehlung  hin  nahm 

l)  Historya  literatury  polskiej  VI,  S.  557. 

*)  Leipzig  1896,  S.  58. 

8)  Vergl.  Sarnicias,  Annales,  über  VII  c,  X. 


Eustachius  Trepka.  89 

Andreas  Gorka  ihn  als  Hofmeister  seiner  Söhne  Lukas, 
Andreas  und  Stanislaus  in  sein  Haus.  Verschiedene 
Reisen  mit  seinen  Schülern  führten  Trepka  auch  ins 
Ausland.  1542  finden  wir  ihn  in  Wittenberg1),  wo 
er  im  Juli  unter  dem  Rektorate  des  sprachenkundigen 
Hebraisten  Matthäus  Aurogallus  inskribiert  wurde.  Nach  ^  !f 
seiner  Rückkehr  nahm  er  sich  der  verwaisten  evan- 
gelischen Gemeinde  in  Posen,  die  ihren  treuen  Seklu- 
cyan  schon  1541  hatte  müssen  scheiden  sehen  und  nur 
im  September  und  Oktober  1543  noch  wenige  Wochen 
von  ihm  Gottes  Wort  hatte  hören  können,  auf  das 
redlichste  an.  Er  vermochte  es  um  so  eher,  als  er 
seine  Präceptorstelle  aufgab  und  in  ein  wenig  arbeits- 
reiches Sekretäramt  bei  dem  General  von  Gross- 
polen aufrückte.  Sein  Nachfolger  in  der  Hofmeister- 
stelle war  der  Hirschberger  Jakob  Kuchler8),   der   später 

*)  Album  Academ.  Viteberg.  cd.  Förstemann  S.  199.  Etwas 
Näheres  über  sein  Wittenberger  Studium  habe  ich  leider  nicht  er- 
mitteln können. 

*)  Er  schickt  unter  anderem  wahrscheinlich  in  den  ersten  Tagen 
des  Januar  1549  folgenden  Stossseufzer  aus  seinen  schulmeister- 
lichen Nöten  an  den  herzoglichen  Rat  Balthasar  Gans,  Edlen  zu 
Putlitz,  nach  Königsberg:  „Was  meyne  Person  belangend,  wil  ich 
euch  nicht  bergen,  das  ich  noch  immerzu  bey  dem  Hern  von  Posen 
sneyn  Aufenthaldt  hab  vnd  noch  seiner  Gnaden  Söne  vnder  meyner 
Disciplin  hab,  weyl  aber  die  jungen  Hern  nu  fast  gewachsen  sonder- 
liche Lust  fortmehr  zum  studiren  nicht  haben,  sich  auch  nicht 
ganz  regiren  lassen,  wil  meyner  Gelegenheit  seynn,  mich  nicht 
ferner  allhyr  auffzuhalden,  den  ich  merke,  das  es  meinen  Studien 
nicht  zutreglich  vnd  nützlich  mich  allhy  im  Landt  zu  Polen  bey 
diesem  Hoffleben  lenger  eynzulassen,  darumb  wo  mir  irgent  eyn 
andere  erliche  Condition  vorhanden  stysse,  wer  ich  nicht  vbel  ge- 
sinnt dieselbe  anzunehmen.  Derhalben  ist  meyn  gantz  freuntliche 
Bitt,  ihr  wolt  neben  anderen  ewren  gutten  Freunden  mir  hirin 
beholffen  seyn,  ob  ich  irgend  im  Landt  zu  Preussen  in  eyner  fryen 
Stadt  Dienst  bekommen  mochte,  wil  auch    davon   mit   dem   Hern 

Doctor  Sabino  mich  vnderreden Ich  habe  stets  im  Willen 

gehabt,  das  ich  mich  wiederumb  ken  Leypzigk  oder  ken  Witten- 
bergk  begeben  wolt,  mich  hat  aber  der  Vnfride  in  diesem  Vor- 
nehmen bisher  verhindert"  Als  Kuchler  am  aß.  Januar  1549  ein 
carmen  gratulatorium  auf  Herzog  Albrechts  Hochzeit  nach  Königs- 
berg schickte,  klagt  er  gleichfalls,  „dass  er  mit  den  jungen  Herren 


9°  Lic.  Dr.  Theodor  Wotschke. 

gleichfalls  als  Sekretär  noch  über  ein  Jahrzehnt  im 
Gorkaschen  Hause  blieb  und  Trepka  in  seiner  reforma- 
torischen Arbeit  kräftig  unterstützte.  Lukaszewicz  und 
die,  welche  ihm  gefolgt  sind,  lassen  Herzog  Albrecht 
gelegentlich  einer  Reise  von  Posen  nach  Preussen  1545 
Trepka  auf  Gorkas  Empfehlung  mit  nach  Königsberg* 
nehmen  und  diesen  von  dort  später  nach  Lithauen  über- 
siedeln. Dies  ist  nicht  richtig.  Nachdem  in  den  letzten 
Tagen  des  Jahres  1545  Albrecht  auf  der  Heimkehr  von 
seiner  Reise  nach  Deutschland  Posen  ohne  Trepka  verlassen 
hatte,  sah  er  die  Mauern  dieser  Stadt  nicht  wieder^ 
Vermutlich  hat  Lukaszewicz  nur  aus  dem  Er- 
scheinungsort der  Trepkaschen  Schriften  auf  einen, 
längeren  Aufenthalt  in  Königsberg  geschlossen,  und 
die  Widmung  der  Trepkaschen  polnischen  Über- 
setzung von  Ochinos  Tragödie  von  der  Messe  an  den 
Fürsten  Nikolaus  Czarny  Radziwill  liess  ihn  an  eine 
Tätigkeit  Trepkas  in  Lithauen  denken. 

Nur  Posen  ist  das  kirchlich-reformatorische  Arbeitsfeld 
Trepkas  gewesen.  Des  Tages  arbeitete  er  in  der  Gorkaschen 
Kanzlei,  des  Abends  sammelte  er  hin  und  her  in  den  Bürger- 
häusern eine  Schar  heilsdürstender  Seelen  um  sich,  und 
des  Sonntags  hielt  er  im  Gorkaschen,  gelegentlich  auch  im 
Tomickischen  Palaste  öffentlichen  Gottesdienst.  Andreas. 
Gorka  war  ihm  in  herzlicher  Freundschaft  verbunden,, 
und  die  evangelische  Gemeinde  sah  zu  ihrem  begabten 
Prediger  und  treuen  Seelsorger  mit  Verehrung  empor.. 
Über  seinen  Einfluss  bei  der  Aufnahme  der  böhmischen 
Brüder  habe  ich  nichts  Positives  ermitteln  können,  wie 
überhaupt  für  seine  zweifellos  nicht  ungünstige  Stellung 
zu  den  Brüdern  kein  sicheres  Zeugnis  vorliegt.  Im» 
Dezember  1549  schickt  ihn  Gorka  mit  einem  besonderen 
Auftrage  zum  Herzog  Albrecht  Das  Credenzschreiben, 
welches  Gnesen  den  10.  Dezember  datiert  ist,  sagt  über 

gross  Müh  vnd  Arbeit  vnd  allerley  molestias  habe".  Er  bittet 
Balthasar  Gans  sein  Gedicht  vom  Rektor  der  Universitftt  Sabinus 
durchsehen  zu  lassen,  alsdann  es  in  seinem  Namen  dem  Herzog 
zu  aberreichen,  dainit  dieser  ihn  in  seinen  Dienst  nehme. 


Eustachius  Trepka.  91 

diese  Mission  leider  nichts  Näheres1).  Wir  sind  deshalb- 
auf  Vermutungen  angewiesen.  Gedrängt  von  der  Geist- 
lichkeit hatte  König  Sigismund  August  sich  gegen  die 
Aufnahme  der  böhmischen  Brüder  ausgesprochen,  als 
Albrecht  und  Gorka  zu  den  Beisetzungsfeierlichkeiten  des 
alten  Königs  in  den  ersten  Tagen  des  August  in  Krakau 
weilten.  Die  Nichtachtung  seines  Wortes  musste  ihn  er- 
zürnen, und  er  hatte  mit  seinem  Unwillen  nicht  zurück- 
gehalten. Am  29.  Juli  1549  schreibt  deshalb  Albrecht  an 
ihn:  „Eure  Königl.  Ma1  schreiben,  das  ich  Rom.  Keys, 
vnnd  Königl.  Ma*  widerwertige  in  meinem  Land  nicht 
leiden  solle,  Nhun  weiss  ich  mich  solcher  gnädigen 
Warnung  vnnd  was  ich  darauff  geantworteth  woll  zu  er- 
innern, binn  auch  derselben  biss  dahero  nachkommen, 
vnnd  ist  meines  Wissens  niemant  inn  meinem  fürstentumt* 
der  hochgenanten  Keys,  vnd  Königl.  Ma*  widrigk  vnnd 
feindlich.  Dann  ob  ich  woll  vonn  Rom.  Königl.  Ma*  aus 
Bohemen  des  Glaubens  halbenn  arme  einfeltige  vertriebene 
Leuth  inn  meynen  Stetlein  sich  niederzulassenn  vergunnt,  so- 
seint  doch  dieselbenn  jrer  Königl.  Ma*  feintlich  nicht  ent- 
gegen, seint  auch  von  jrer  Königl.  Ma1  aus  Bohemen  ver- 
trieben, vor  welchenn  jre  Königl.  Ma*  sich  nicht  zu  be- 
sorgen. Ich  wolt  auch  jnen  keinesweges  etwas  wider  jre 
Königl.  Ma1  furzunhemen  gestatten".  Auch  Gorka  hatte 
wegen  Aufnahme  der  Brüder,  vor  allem  aber  wegen  seines. 
Einspruchs  gegen  des  Königs  Vermählung  mit  Barbara. 
Radziwill2),  die  volle  königliche  Ungnade  erfahren  und  sich 


J)  „Dedi  mandata  huic  nobüi  Eustachio  Trepka,  secretario  meo, 
at  nomine  meo  ad  111*»  D«»  V«*»»  verba  faceret.  Ad  cuius- 
sermonem  at  benignam  mentem  adferat  et  ea,  quae  proferet,  a  me 
profecta  credat,  plurimam  rogo  et  oro,  quod  V**»  niam  D«» 
factoram  minime  dubito.  - 

2)  Mittwoch  den  ai.  November  1548  schreibt  der  herzogliche 
Rat  Ahasverns  Brandt  vom  Petrikauer  Reichstage:  „Im  montage 
seint  die  schtende  vnd  bott  alleine  ane  den  Konig  bey  einander  ge- 
wesen. Die  schtimmen,  höre  ich,  sollen  vast  alle  dahin  gangen  sein, 
das  man  das  verheiraten  des  Königs  nicht  lobe,  bis  auf  den  von  Posen,, 
der  solle  mit  seinen  hefftichen  worten  dem  vas  den  boden  gar  aus- 
gestossenn  haben,  gesagt,  es  were  nicht  genüg,  das  mans  nicht  lobe 


-92  Lic.  Dr.  Theodor  Wotschke. 

deshalb  gewiss  mit  Herzog  Albrecht  verständigen  wollen. 
Auch  mögen  in  Fortsetzung  der  Verhandlungen  des  ver- 
gangenen Jahres,  da  auf  die  Mahnung  des  Königs  von 
Frankreich  der  deutsche  Fürstenbund  durch  Herzog 
Albrecht  den  polnischen  König  für  eine  Koalition  gegen 
Karl  V.  zu  gewinnen  gesucht  hatte *),  Graf  Gorka  und 
Herzog  Albrecht  sich  über  weitere  Massnahmen,  am 
Krakauer  Hofe  gegen  den  Kaiser  Stimmung  zu  machen, 
geeinigt  haben.  Albrecht  weihte  Trepka  in  die  grosse 
Politik  ein,  gab  ihm  Briefe  seines  Krakauer  Bericht- 
erstatters Ludovicus  Montius  aus  Mantua  zu  lesen  und 
entliess  ihn  mit  dem  Auftrage,  den  Inhalt  dieser  Briefe  dem 
General  von  Grosspolen  mitzuteilen  und  die  Antwort,  die 
dieser  vom  Könige  erhalten  würde,  ihm  sofort  zuzusenden. 
Am  15.  Dezember  verpflichtet  sich  Trepka  in  einem 
Schreiben  von  seiner  Herberge  aus,  alle  Aufträge  auf  das 
gewissenhafteste  zu  erfüllen.2) 

und  herummer  ginge  wie  der  hundt  vmb  den  breyen,  sunder  es 
were  öffentlichen  am  tage,  das  nicht  allein  sie  in  irem  mittel,  die 
öffentlichen  stehen,  das  es  nicht  zu  loben,  sunder  die  burger  vnd 
pauern  verschtunden  es,  das  es  ein  grosser  merklicher  verterb  des 
ganzen  Königreiches,  darumb  weren  sie  alle  schuldig  darzu  zuthun, 
den  schaden  vnd  nachteil  zu  wenden,  sollte  an  im  auch  kein  mangel 

geschpürt  werden Dan  dis  seint  ire  argumenta,  der  Konigk 

habe  sich  ane  wissen  vnd  willen  der  eitern  auch  des  gantzen  reichs  zu 
verderb  vnd  vndergang  der  Cron  vorheiratet,  weichs  er  als  publica 
persona  vermöge  irer  schtatuta  nicht   thun  könne,    so  sey  es  mit 

buberey  vnd  zeberey  zugangen Der  von  Posen  solle  in 

vorgehendem  tage  auch  offendich  vorm  Konige  gesagt  haben,  wie 
er  verschtendiget,  so  hätte  sie  Kon.  Maj4*  schände  halber  nicht 
nehmen  dürffen,  het  wol  ires  gleichen  vberkommen,  reichtums  halber 
das  nette  auch  ein  mas,  schtammes  vnd  nahmens  halber  were  auch 
-res  gleichen  zu  vberkommen  gewesen,  was  zucht,  tugend  vnd 
erbarkeyt  anginge,  die  were  da,  wie  er  bericht,  sere  wenigk.a 

*)  Vergl.  Kiewning:  Herzog  Albrechts  von  Preussen  Anteil 
am  Fürstenbunde  gegen  Karl  V.    Königsberg  1889,  S.  17  ff. 

*)  Gewiss  wird  Trepka  auch  Auftrage  an  Gorka  erhalten 
.haben  für  den  Empfang  von  Herzog  Albrechts  Braut,  der  Prinzessin 
Anna  Maria  von  Braunschweig  und  Lauenburg,  der  frommen,  treff- 
lichen Herzogin  Elisabeth  Tochter.  In  Begleitung  ihrer  Vettern,  der 
Jifarkgrafen  Johann  und  Wilhelm  von  Brandenburg,  ihres  Stiefvaters, 


Eustachius  Trepka.  93: 

1551  sehen  wir  Trepka  an  seines  Herrn  Kranken- 
lager, und  sein  tröstlicher  Zuspruch  aus  Gottes  Wort  macht 
am  3.  Dezember  das  Sterbebett  zu  einer  Siegesstätte  und 
zu  einem  Zeugnis  evangelischer  Heilsgewissheit  Wie  dem. 
Vater  diente  Trepka  hinfort  den  Söhnen,  seinen  ehemaligen» 
Schülern.  Am  16.  Dezember  1552  sendet  ihn  Graf  Luka& 
von  Samter  aus  nach  Königsberg,  um  ein  Darlehn  von 
1000  Talern  dem  Herzoge  zurückzuzahlen. 

Schon  seit  Jahren  war  Herzog  Albrecht  bemüht,  ge- 
bildete evangelische  Polen  nach  Preussen  zu  ziehen,  um« 
die  heilige  Schrift,  evangelische  Lehr-  und  Erbauungs- 
bücher von  ihnen  ins  Polnische  übertragen  zu  lassen.  Als 
im  Juni  1553  der  Gorka'sche  Kanzler  Matthias  Poley1)  ii* 

des  Grafen  Poppo  von  Henneberg,  und  vieler  Edelleute  traf  sie  am. 
23.  Januar  1550  in  Zielenzig  unfern  der  polnischen  Grenze  ein.  Am. 
folgenden  Tage  war  sie  in  Meseritz  und  reiste  nach  Posen  weiter.. 
Drei  Tage  dauerten  hier  die  ihr  zu  Ehren  von  Gorka  veranstalteten 
Festlichkeiten.  Am  5.  Februar  war  sie  an  der  preussischen  Grenze 
angelangt  und  wurde  von  dem  greisen  samländischen  Bischof. 
Georg  von  Polentz  empfangen. 

2)  Nach  Lasicius :  Historiae  de  origine  et  rebus  gestis  fratrum. 
Bohemicorum  liber  octavus  (1570  geschrieben,  1649  von  Arnos 
Comenius  herausgegeben)  S.  241  hat  Poley,  der  aus  Schweidnitz 
stammte,  frühef  in  Böhmen  gelebt,  ist  dann  nach  Polen  gegangen- 
und  in  die  Dienste  des  Andreas  Gorka  getreten.  Ob  er  1540  vom 
diesem  nach  Wittenberg  gesandt  worden  ist,  um  Luthers  Ansicht 
über  die  böhmischen  Brüder  einzuholen,  und  1548  dorthin  die.  drei 
Söhne  Gorkas  begleitet  hat,  wie  Lasitius  berichtet,  ist  fraglich. 
Nach  der  Matrikel  hat  er  1538  in  Wittenberg  studiert,  und  ist  sein- 
Sohn  Christoph  am  10.  Mai  1554  zugleich  mit  dem  Grafen  Stanislaus 
Gorka  ins  Album  der  Universität  eingetragen.  Ich  habe  ferner  ge- 
funden, dass  er  1554  durch  Trepka  den  Herzog  Albrecht  gebeten- 
hat,  ihn  unter  seine  Räte  aufzunehmen.  Am  28.  November  ant- 
wortet dieser  ablehnend.  Posen,  den  17.  März  1561  berichtet  Poley 
dem  Herzog:  „Gnedigster  Herr,  jnn  Vnderthenigkeitt  gebe  jeh 
E.  F.  G.  hiermit  zu  wissen,  dass  der  Botte,  welchen  E.  F.  G.  ahn? 
den  Herrn  von  Rosenbergk  abgesand  gehabtt,  allhier  zu  Posen 
seinen  Geist  jnn  grosser  Gedultt  aufgegeben  vnd  jn  freiem  Felde1 
(dar  jme  des  Antichristi  Haiungken,  dieweill  ehr  von  Kunigsbergk 
gewest  vnd  für  einen  Lutteiischen  Kettzer  gehalten,  aufs  Geweitte 
nicht  annehmen  wolten)  begraben  worden."  Am  25.  Mai  erhält  er 
die  Antwort:    Wir  lesen,   das  vnser  Diener  vnd  Bothe  von  dem. 


*94  Lic-  Dr-  Theodor  Wotschke. 

Königsberg  weilte  und  Albrecht  von  seiner  Absicht,  die 
Reformation  in  Polen  durch  gute  polnische  Schriften 
fördern  zu  wollen,  zu  ihm  sprach,  lenkte  er  des  Herzogs 
Aufmerksamkeit  auf  seinen  Freund  Trepka.  Die  Vor- 
bereitungen zur  Reise  nach  Krakau  hinderten  Albrecht, 
-der  Berufung  Trepkas  näher  zu  treten.  Als  er  aber  einige 
Wochen  später  im  August  Matthias  Poley  bei  den  Hochzeits- 
feierlichkeiten in  Krakau  wieder  traf,  gab  er  ihm  den 
Auftrag,  seinen  Freund  für  seine  Dienste  zu  gewinnen. 
Um  nicht  der  Posener  Gemeinde  ihren  Seelsorger  zu  ent- 
ziehen, wollte  er  eventuell  mit  einem  ferneren  Wohnen 
Trepkas  in  Posen  einverstanden  sein.  Nach  seiner  Rückkehr 
richtete  Poley  seinen  Auftrag  aus,  und  mit  Freuden  ging 
Trepka  auf  das  Anerbieten  ein.  Am  17.  September 
.schreibt  er  dem  Herzog:  „Der  edle  Matthias  Poley,  der 
♦erlauchten  Grafen  Gorka  Kanzler,  hat  mir  bei  seiner 
Rückkehr  aus  Krakau  E.  F.  G.  Aufträge  überbracht  und 
mitgeteilt,  dass  es  E.  F.  G.  gleichgiltig  wäre,  ob  ich  in 
Königsberg  oder  Posen  wohnhaft  meine  Dienste  leiste. 
Habe  ich  auch  nichts  vorzuschreiben  oder  zu  bestimmen, 
sondern  einzig  die  Befehle  E.  F.  G.  auszuführen,  so  denke 
ich  doch  das  letzte,  wenn  E.  F.  G.  Güte  es  erlaubt,  vorziehen 
zu  müssen,  nämlich  dass  ich  in  Posen  lebe  und  hier 
meine  Dienste  leiste.  Für  einen  hohen  Vorzug  erachte 
ich  es,  zu  E.  F.  G.  Schutzbefohlenen  und  Beamten  zu  ge- 
hören, und  ich  möchte  kein  Bedenken  tragen,  dieses  Glück 
jenem  vorzuziehen,  welches  die  Königin  von  Saba  von 
der  Dienerschaft  König  Salomos  rühmt,  dass  sie  um  einen 
-solchen  König  sein  und  seine  Weissheit  hören  könne. 
Weiss  ich  doch,  dass  E.  F.  G.,  die  mich  zu  Ihren  Diensten 
erwählen,  der  vortrefflichste,  weiseste  und  frömmste  Fürst 
der   Christenheit   ist,    dessen  Milch   und  Brust,    wie  der 

lieben  Gott  auss  dieser  Vergengkligkeit  abgefordert,  auch  das  die 
Geistlichen  jnen  aufs  geweyhete  zu  begraben  nicht  gestadten  wollen. 
Vnd  weil  es  denn  der  almechtige  Gott  mit  vnserm  Bothen  also  ge- 
schickt, das  er  von  dieser  Welt  abgeschieden,  können  wir  dawider 
nicht,  sonder  müssens  seiner  Almacht  bevelen  und  hinstellen.  Hören 
aber  gerne,  das  er  ein  selig  Ende  genohmen  vnd  hoffen,  dass  ime 
.zu  seliger  Auferstehung  dis  Begräbniss  kein  hinderung  thun  solle/ 


Eostachius  Trepka.  95 

Prophet  sagt,1)  einen  grossen  Teil  der  zerstreuten,  alternden 
heimatlos  umherirrenden  Kirche  ernähren.  Ferner  erachte 
ich  es  für  die  grösste  Güte,  dass  E.  F.  G.  mir  edelmütig 
ein  Jahrgeld  bewilligen,  und  vermag  ich  meinen  Dank 
dafür  nicht  in  Worte  zu  fassen.  Aber  ich  verspreche 
E.  F.  G.  Treue,  Eifer,  Dienstbeflissenheit  in  jeder  An- 
gelegenheit Sollte  ich  einmal  lässig  sein  und  E.  F.  G. 
Erwartung  nicht  entsprechen,  so  möge  E.  F.  G.  in  Betracht 
ziehen,  dass  ich  als  Mensch  tausend  Unfällen  und  Ver- 
sehen unterworfen  und  ein  armer  schwacher  Sohn  Adams 
bin.  Die  Aufträge  E.  F.  G.  auszuführen  bin  ich  bereit 
und  erwarte  E.  F.  G.  Anordnungen.  Da  ich  aber  oft  mich  der 
Hin-  und  Rückreise  nach  Königsberg  werde  unterziehen 
müssen,  und  dies  mein  Jahrgeld  beeinträchtigen  würde, 
falls  mir  nicht  von  E.  F.  G.  weitere  Vergünstigungen  ge- 
währt werden,  so  bitte  ich  E.  F.  G.  inständig,  mir  gnädigst 
zu  den  ioo  Gulden  noch  20  Gulden  zuzulegen.  Bei 
solchem  Einkommen  könnte  ich  ohne  Schaden  meinerseits 
mich  der  Reisen  unterziehen.  Ich  hege  die  festeste 
Hoffnung,  E.  F.  G.  werden  in  Ihrer  ausserordentlichen 
Güte  und  hochberühmten  und  allbekannten  Freigebigkeit 
diese  Bitte  mir  nicht  versagen.  Gott  der  Herr,  der  Vater 
unseres  Heilandes  und  Erlösers,  welcher  den  Königen 
Heil  gewährt  und  der  Fürsten  Beschlüsse  lenkt,  möge 
auch  über  E.  F.  G.  seine  Hand  breiten,  sie  unversehrt 
und  in  voller  Kraft  seiner  Kirche  und  dem  Staate  er- 
halten." Schon  unter  dem  7.  Oktober  antwortet  ihm  der 
Herzog  in  einem  freundlichen  gnädigen  Handschreiben. 
In  der  beigelegten  Bestallung  verpflichtet  er  ihn,  er  solle 
in  Posen  lebend  alles,  was  ihm  zu  dem  Zwecke  über- 
geben würde,  in  gutes  Polnisch  übertragen,  damit  es  in 
Königsberg  gedruckt  werden  könne.  Zur  Korrektur  der 
Schriften  soll  er  in  Königsberg  selbst  gegenwärtig  sein. 
Ferner  soll  er  alle  ehrenwerten  Dienste  in  Rat  und  Tat  leisten, 
wie  es  einem  Edelmanne  und  getreuen  Diener  gebühre, 
Nutzen  fördern,  Schaden  verhüten  und,  was  er  Wissens- 
wertes erfahren,  nicht  verbergen.  Für  diesen  Dienst,  der 
i)  Vgl.  Jes.  60,  16. 


96  Lic.  Dr.  Theodor  Wotschke. 

beiderseits  auf  halbjährliche  Kündigung  steht,  soll  er 
jährlich  zu  Michaelis  120  Gulden  aus  der  herzoglichen 
Rentkammer  in  Königsberg  gezahlt  erhalten.  Weiter  ver- 
sichert ihm  der  Herzog,  dass  er  gern  das  Jahrgeld  er- 
höht  habe,  damit  er  ohne  Einbusse  nach  Königsberg* 
reisen  könne.  „Haben  wir  die  Treue,  den  Eifer,  die 
Sorgfalt  unser  Diener  erkannt,  so  halten  wir  mit  unserer 
Gnade  nicht  zurück.  Wir  möchten,  dass  Ihr  Euch  hiervon 
überzeugt,  wie  auch  wir  uns  hinwiederum  von  Euch  alles 
Guten  versichern." 

Dieses  Jahrgeld  sicherte  Trepka  eine  freiere  un- 
abhängigere Stellung,  wenn  er  auch  aus  dem  Dienst  der 
Gorka  noch  nicht  ganz  schied,  und  liess  ihn  seine  Kräfte 
fast  ganz  seiner  Gemeinde  und  seinen  evangelischen  Lands- 
leuten überhaupt  widmen.  Oft  unternahm  er  Reisen  i» 
unserer  Provinz  und  suchte  die  zerstreuten  Bekenner  zu 
stärken  und  zu  sammeln.  Diese  Tätigkeit  führte  ihn  be- 
sonders mit  Stanislaus  Ostrorog  zusammen,  der  allmählich 
seinen  Glaubensgenossen  den  verstorbenen  Andreas  Gorka 
ersetzte  und  der  Schutzherr  der  Lutheraner  wurde,  wie 
sein  Bruder  Jakob  der  Beschützer  der  böhmischen  Brüder. 
Das  freundliche  Einvernehmen  zwischen  diesen  beide» 
reformatorischen  Kirchen  war  einer  Verstimmung  ge- 
wichen, und  diese  verschärfte  sich  von  Jahr  zu  Jahr.  Es. 
kam  zu  offnen  Zwistigkeiten  und,  um  eine  Verständigung* 
anzubahnen,  sandte  deshalb  Stanislaus  Ostrorog  im  Au- 
gust 1554  Trepka  zu  Herzog  Albrecht1),  in  dessen  Lande 
Lutheraner  und  Brüder  friedlich  zusammen  wohnten. 
Zugleich  sollte  er  in  Königsberg  auch  Rat  und  Hülfe 
gegen  den  Italiener  Francesco  Stancaro  erbitten,  der  mit 
seiner  christologischen  Häresie,  mit  seinen  Schmähungen 
und  Verdächtigungen  Melanchthons2),  gegen  den  er  von 
Scharfenort  aus  schrieb,  die  lutherische  Kirche  aufs  tiefste 
beunruhigte  und  indirekt  den  Übergang  vieler  polnischer 
Magnaten  zu  den  böhmischen  Brüdern  veranlasste. 

*)  Der  Credenzbrief  ist  Grätz,  den  5.  August  datiert. 
2)  Vergleiche  Melanchthons  Brief  an  den  Pfarrer  von  Schwiebus 
vom  16.  April  1554.    Corp.  Refor.  Vm,  6.267. 


Eustachius  Trepka.  97 

Als  Trepka  im  September  nach  Posen  zurückkehrte, 
traf  er  noch  rechtzeitig  ein,  um  am  18.  September  des 
Bischofs  Izbinski  erfolgloses  Ketzergericht  an  Paul  Organista, 
dem  Apotheker  Jakob  und  der  Nonne  Praxeda  mit 
anzusehen.  Er  schreibt  hierüber  noch  an  demselben 
Tage  nach  Königsberg:  „Als  heute  einige  Posener  Bürger 
vom  Posener  Bischöfe  schädlicher  Ketzerei  schuldig 
erkannt  und  dem  weltlichen  Gerichte  überwiesen  wurden 
und  sie  schon  ihr  Vermögen,  ihren  guten  Namen,  ihr 
Leben  zu  verlieren  glaubten,  sind  sie  von  vielen  Grafen, 
Baronen,  Senatoren  und  Adligen  fast  mit  Gewalt  befreit 
worden.  Viel  wurde  gegen  den  Bischof  und  in  sata- 
nicissimum  carnalium  ordinem  mit  grösstem  Freimut  ge- 
sprochen, und  der  Rechtsfall  dem  Reichstag  überwiesen, 
kurz  die  Grafen  Gorka  und  Ostrorog,  die  vier  Senatoren 
und  die  grosse  Schaar  von  Baronen  und  Edlen,  die 
niemand  zählen  konnte  *),  gingen  aus  dem  ganzen  Handel 
als  Sieger  hervor.  Der  Edle  Melchior  aus  Böhmen  wird 
E.  F.  G.  dies  alles  ausführlicher  erzählen,  als  ich  es  aus 
Mangel  an  Zeit  vermag*.  Bezüglich  seiner  Mission  schreibt 
er:  „Hier  sind  alle  des  Lobes  über  E.  F.  G.  voll,  weil 
E.  F.  G.  als  ein  christlicher  und  wahrhaft  guter  Fürst 
mit  höchstem  Eifer  für  die  Ehre  Christi  wirken  und,  ohne 
Mühen  und  Kosten  zu  scheuen,  die  unglücklicher  Weise 
auch  hier  ausgebrochenen,  langwierigen  und  durch  Hass 
verschärften  Religionsstreitigkeiten  beilegen  und  die  aus* 
fallende  Sprache  der  Prediger  zügeln.  Alle  flehen,  es 
möchte  von  Erfolg  und  Bestand  sein.  Auch  die  Unseren, 
der  Adel  und  die  Bürger,  welche  ihre  Bestrebungen 
E.  F.  G.  empfehlen,  fördern  kräftig  die  Sache  der  Re- 
ligion/ Leider  hören  wir  nichts  Näheres  über  das 
Friedenswerk;  eine  Einigung  ist  jedenfalls  nicht  erfolgt. 
Als  im  Februar  1555  die  Lutheraner  eine  Synode  in 
Posen  abhielten,  standen  die  Brüder  und  die  wenigen 
Anhänger  Calvins   abseits  und  suchten  im  März  in  Go- 

1)  Leider  werden  keine  Namen  genannt  Wengierski  lasst 
nur  Lukas  Gorka  und  Stanislaus  Ostrorog  an  dem  Rettungswerke 
beteiligt  sein. 

Zeitschrift  der  Hist  Ges.  für  die  Pror.  Posen.    Jaarf .  XVIIL  7 


98  Lic.  Dr.  Theodor  Wotschkc. 

luchow  bei  Pleschen  mit  den  Kleinpolen  zusammen  zu 
gehen.  Und  doch  wäre  eine  Union  der  Evangelischen 
angesichts  ihrer  fortgesetzten  Verfolgungen  von  Seiten 
der  römischen  Kirche  so  nötig  gewesen.  Am  26.  De- 
zember hatte  Herzog  Albrecht  an  Stanislaus  Ostrorog 
geschrieben  und  um  neue  Zeitungen  gebeten,  besonders 
auch  um  Mitteilung,  ob  näheres  über  die  Pläne  der  Hie- 
rarchie, über  deren  Vorhaben  in  Preussen  die  ver- 
schiedensten Gerüchte  in  Umlauf  wären,  bekannt  sei. 
An  seiner  Stelle  antwortet  Trepka1)  und  zwar  erst  am 
13.  Februar.  Ich  vermute,  dass  diese  Verzögerung  ihre 
besondere  Ursache  hatte  und  Trepka  jener  Bote  der 
evangelischen  Gemeinden  unserer  Provinz  war,  den  wir 
in  der  letzten  Woche  des  Januar  1555  bei  Melanchthon 
sehen,  und  der  dessen  Rat  für  den  Kampf  gegen  Francesco 
Stancaro  und  in  anderen  Fragen,  mit  denen  sich  die  Po- 
sener  Synode  im  Februar  beschäftigen  sollte,  einzuholen 
hatte8).  Kurz  vor  Beginn  der  Synode  erst  zurückgekehrt, 
antwortete  er  am  13.  Februar  in  Ostrorogs  Namen,  und 
diese  Verschiebung  hat  wohl  zur  Folge,  dass  wir  anstatt 
der  erbetenen  Auskunft  einen  allgemeineren  Bericht  er- 
halten. »Der  erlauchte  Graf  Stanislaus  von  Ostrorog, 
Kastellan  von  Meseritz8),   hat  diesen   Brief   an  E.  F.  G. 

i)  Ende  Oktober  1554  war  Trepka  in  Scharfenort,  wenigstens 
zeigt  ein  von  dort  den  30.  Oktober  datiertes  Ostrorogsches  Dank- 
schreiben für  übersandte  Falken  an  Albrecht  seine  Handschrift 
Ein  Brief  Trepkas  vom  19.  Dezember  1554  nach  Königsberg  hat 
für  uns  kein  weiteres  Interesse.  Schon  am  4.  Mai  hatte  Herzog 
Albrecht  die  Grafen  Gorka  um  drei  leichte  Pferde  und  einen  Wagen 
gebeten,  wie  ihn  die  Polen  bei  schnellen  Reisen  zu  gebrauchen 
pflegten.  Die  Besorgung  hatte  sich  verzögert,  weil  Lukas  und 
Andreas  Gorka  nach  Lithauen  gereist  waren.  Am  19.  Dezember 
erfolgte  sie  endlich  durch  Trepka  im  Auftrage  der  Gorka. 

2)  Von  einem  acervus  quaestionum  spricht  Melanchthon  in 
seinem  Briefe  vom  28.  Januar  an  Fabricius.    Corp.  Ref.  VIII  S.  419. 

*)  Castellanus  Miedzirzecensis  heisst  es.  Bis  1557  ist  aber 
Nikolaus  Myczkowski,  der  seinem  Bruder  Stanislaus  gefolgt  war,  Ka- 
stellan von  Meseritz  gewesen.  Das  Königliche  Edikt,  welches  nach 
dem  Tode  des  Nikolaus  Myczkowski  die  Starostei  Meseritz  Stanislaus 
Ostrorog  überträgt,  ist  erst  Wilna,  Ostern  1557  datiert.  Vielleicht 
hat  Trepka  in  der  Eile  Meseritz  mit  Birnbaum  verwechselt. 


Eustachius  Trcpka.  99 

zu  schreiben  mir  übertragen,  und  ohne  Pflichtverletzung 
kann  ich  mich  dieser  Aufgabe  nicht  entziehen,  teils  wegen 
seiner  herrlichen  Charaktereigenschaften,  teils  wegen  der 
Wohltaten,  mit  denen  er  uns,  die  wir  auf  j^de  Weise  die 
reinere  christliche  Lehre  zu  fördern  suchen,  erfreut  So- 
bald als  möglich  werde  ich  den  Brief  durch  einen  eigenen 
Boten  E.  F.  G.  zusenden.  Hier  ist  der  erlauchte  Herr 
Ostrorog  voll  der  grössten  Ergebenheit  gegen  E,  F,  G., 
in  allen  Versammlungen  des  Adels  spricht  er  mit  den 
grössten  Lobeserhebungen  von  E.  F.  G.  und  schätzt 
E.  F.  G.  höher  denn  die  anderen  Fürsten  unseres  Zeit- 
alters. Im  Notfalle  ist  er  bereit  für  E.  F.  G.  sein 
Vermögen  einzusetzen  und  sein  Blut  zu  vergiessen,  er 
verdient  es,  dass  E.  F.  G.  ihm  hinwiederum  gnädiges 
Wohlwollen  zuwenden.  Die  an  uns  Briefe  vom  Hofe 
sandten,  hoffen,  dass  Kön.  Majestät  nach  dem  Osterfeste 
den  Reichstag  zu  Petrikau  halten  werden.1)  Wollte  er 
uns  doch  einigen  Nutzen  bringen,  bis  jetzt  haben  wir  es 
durch  kein  Flehen  erreichen  können.  Ich  denke  von 
unseren  Reichstagen,  wie  einst  der  Grieche  Gregor  von 
Nazianz  von  den  Synoden  der  Bischöfe,  noch  habe  er 
von  ihnen  niemals  einen  guten  und  erwünschten  Ausgang 
gesehen.  Je  zahlreichere  und  erbittertere  Gegner  das  reine 
Evangelium  findet,  um  so  kräftiger  erhebt  und  breitet  es 
sich  durch  Gottes  Gnade  aus,  und  des  Hilarius  Wort  be- 
wahrheitet sich:  „Verfolgungen  schwächen  nicht  die  Kirche, 
sondern  stärken  sie."  In  diesen  Tagen  hat  der  Sohn  einer 
berühmten  Familie,  der  angesehene  Kanonikus  Lutomirski2), 


*)  Am  a8.  April  begann  der  Reichstag.  Die  evangelischen 
Magnaten  verlangten  völlige  Religionsfreiheit,  im  besonderen  das 
Recht,  beliebig  Geistliche  anstellen  zu  können,  die  Aufhebung  der 
bischöflichen  Jurisdiktion  und  ein  Nationalkonzil  unter  dem  Vorsitze 
des  Königs  zur  Schlichtung  der  Religionstreitigkeiten.  Nach  wochen- 
langen Verhandlungen  kam  man  unter  dem  Proteste  der  Bischöfe 
fiberein,  dass  der  König  eine  allgemeine  Landessynode  berufe;  die 
bischöfliche  Jurisdiktion  sollte  bis  dahin  suspendiert  und  die  Ein- 
tracht gewahrt  werden. 

*)  In  Wittenberg,  wo  er  (vergl.  Album  Akademicum  Vite- 
bergense  S.  168)  unter   dem  Rektorat   des  Professors  der  Medizin 

7* 


IOO  Lic.  Dr.  Theodor  Wotschke. 

der  Kön.  Majestät  Sekretär,  dem  Antichrist  und  seinem 
Betrug  für  immer  entsagt,  dies  Babel  und  Sodom  ver- 
wünscht und  sich  Christo  und  seiner  Lehre  von  ganzem 
Herzen  zugewandt  Ihn  predigt  er  auch  —  vergebens 
knirschen  die  Häupter  der  Hierarchie  —  freimütig  und 
bekennt  ihn  mit  Worten  und  Schriften  öffentlich  vor 
Königen  und  Magnaten.  Schon  wurde  er  auch  von 
Pharisäern,  Sadduzäern  und  den  übrigen  Dienern  des 
Fleisches  offen  und  im  geheimen  angegriffen,  aber  der 
Herr,  welcher  seine  Kirche  in  seinem  Schifflein  leitet  und 
in  seiner  Hand  hält,  stand  ihm  wunderbar  bei  und  erhielt 
ihn  zum  Staunen  der  Schwankenden  unverletzt  In  der 
Verteidigung  der  reinen  Lehre  lässt  er  es  an  Festigkeit  und 
Ausdauer  in  nichts  fehlen,  sondern  strebt  vorwärts  mit 
Paulus  durch  gute  und  böse  Gerüchte  und  erfüllt  seinen 
Beruf.  Obwohl  er  auf  Gott  vertraut  und  nicht  auf  mensch- 
lichen Schutz,  so  wird  er  doch  auch  von  diesem  nicht 
verlassen  sein.  Der  erlauchte  Palatin  von  Wilna  Radziwill, 
die  Herren  Ostrorog  und  sehr  viele  andere  Senatoren 
bieten  ihm  ihren  Einfluss  und  Dienst  für  alle  Fälle  an. 
Wir  halten  gegenwärtig  eine  Synode,  um  bezüglich  der 
Übereinstimmung  in  Lehre  und  Ceremonien  in  unseren 
Kirchen  zu  beraten  und  flehen  zu  Gott,  dessen  Sache 
es  gilt,  dass  er  uns  erkennen  lasse,  was  zu  seiner 
Ehre  und  der  Kirchen  Eintracht  dient  Unser  Herr  Jesus 
Christus,  welcher  Königen  und  Fürsten  Heil  gewährt,, 
möge  auch  E.  F.  G.  unversehrt  und  im  vollsten  Glücke 
erhalten,  und  wie  er  und  der  Vater  eins  sind,  möge  auch 
E.  F.  G.  mit  allen  den  Ihrigen  eines  Sinnes  sein.1*  Seinem 
Briefe  legte  Trepka  ein  Huldigungsschreiben  seines 
Freundes,  des  bekannten  Posener  Arztes  Stanislaus  Niger> 


Augustin  Schürf,  Bruders  des  bekannten  Rechtsgelehrten  Hieronymur 
Schürf,  1537  als  Student  inskribiert  wurde,  erhielt  er  die  ersten  re- 
formatorischen  Anregungen.  Mit  Trepka  war  er  befreundet  und 
stand  mit  ihm  in  Briefwechsel.  Als  er  sich  später  den  reformierten- 
Kleinpolen  zuwandte,  erkaltete  die  Freundschaft  und  erlosch,  als 
Trepka  1558  in  Posen  Lutomirskis  Schwiegervater  Joh.  a  Lasko  ent- 
gegentrat. 


Eustachius  Trepka.  UM 

bei.    der    eins    der   treusten   Glieder   der    evangelischen 
Gemeinde  war1). 

Schon  im  Jahre  1554  hatte  Trepka  seiner  Bestallung 
gemäss  mit  der  Übertragimg  evangelischer  Schriften  be- 
gonnen. Unter  den  deutschen  Reformatoren  stand  der 
Schwabe  Brenz  dem  Herzog  Albrecht  mit  am  nächsten. 
Als  er  1548  auf  der  Flucht  vor  den  spanischen  Schergen 
Karls  V.  heimatlos  umherirrte,  hatte  der  Herzog  ihm 
durch  den  treuen  Veit  Dietrich  in  Nürnberg,  Luthers 
ehemaligen  Famulus,  eine  Zufluchtsstätte  in  Preussen  an- 
geboten und  ihm  Winter  1550/51  sogar  das  Bistum  Sam- 
land  zugesichert  Gern  las  er  in  seinen  Schriften,  beson- 
ders schätzte  er  die  grosse  Brenzsche  Katechismusaus- 
legung, die  er  auch  in  seine  Silberbibliothek  d.  h.  in  die 
Zahl  der  zu  seinem  persönlichen  Gebrauch  in  Silber  ge- 
bundenen Bücher  aufgenommen  hatte.  Und  in  der  Tat  ist 
dieses  Buch  des  Württemberger  Reformators  die  gediegenste 
Katechismuserläuterung  des  16.  Jahrhunderts'  und  noch 
heute  von  Wert8).  Ihre  Übertragung  ins  Polnische  war 
Trepkas  erste  Aufgabe.  Daneben  arbeitete  er  aber  auch 
an  der  Herausgabe  der  polnischen  Postille  des  Pinczower 
Rektors  Gregor  Orsatius,  der  später  leider  in  die  Netze 
des  Stankarus  geriet  und  mit  seinen  reichen  Gaben  der 
evangelischen  Kirche  verloren  ging.  Im  Spätsommer  1555 
waren  die  polnischen  Manuskripte  fertig  gestellt  und  nach 
Königsberg  gesandt;  aber  die  Drucklegung  verzögerte  sich, 


l)  In  welcher  Gunst  dieser  Niger  beim  Könige  stand,  zeigen 
zwei  Eintragungen  im  Posener  Grodbuch  vom  Jahre  1557,  nach 
denen  der  Konig  ihn  durch  ein  Mandat  vom  15.  März  1549  von 
allen  Abgaben  befreit  und  durch  eine  Urkunde  vom  Sonntag  Jubilate 
1556  ihm  ein  Haus  schenkt  Am  21.  September  1557  wurde  er  in 
den  Rat  der  Stadt  Posen  und  im  folgenden  Jahre  zum  zweiten 
Burgermeister  gewählt  Als  am  ai.  September  1567  die  Stadtwahlen 
trotz  aller  Anstrengungen  der  Gegner  mit  einem  völligen  Siege  der 
Evangelischen  endeten,  ward  er  erster  Bürgermeister.  L.  Cwilinski: 
Leben  und  Schriften  des  Stanislaus  Niger  Chroscicwski,  eines  Posener 
Humanisten  und  Arztes  des  16.  Jahrhunderts,  Lemberg  1900,  schweigt 
von  Nigers  religiöser  Richtung  vollständig. 

*)  Vergleiche  Wotschke:  Brenz  als  Katechet,  Wittenberg  rooo. 


102  Lic.  Dr.  Theodor  Wotschke. 

weil  man  nicht  ohne  den  Verfasser  an  den  Satz  gehen 
wollte.  Im  Auftrage  des  Herzogs  schrieb  deshalb  unter 
dem  16.  Dezember  ein  unserem  Trepka  befreundeter  her- 
zoglicher Rat  an  ihn  und  bat  ihn,  möglichst  bald  nach 
Königsberg  zu  kommen  oder  einen  geeigneten  tüchtigen 
Stellvertreter  zu  senden.  Das  Interesse  der  wieder  auf- 
blühenden Kirche  fordere,  dass  vor  allem  der  Brenzsche 
Katechismus  möglichst  schnell  zur  Ausgabe  gelange» 
Noch  ehe  das  Schreiben  in  Posen  eintraf,  hatte  Trepka 
die  Stadt  verlassen  und  die  Reise  nach  Königsberg  an- 
getreten1). Einige  Jünglinge,  unter  ihnen  der  Sohn  des 
wohlhabenden  evangelischen  Posener  Bürgers  Matthias 
Woliniecz2),  begleiteten  ihn,  teils  um  in  Königsberg  zu 
studieren,  teils  um  bei  der  Drucklegung  in  der  Daub- 
mannschen  Offizin  behülflich  zu  sein.  Wie  gewöhnlich 
stieg  er  bei  seinem  Freunde  Seklucyan  ab.  Sogleich 
Hess  er  mit  dem  Druck  des  Katechismus  beginnen, 
aber  unerwartet  sah  er  sich  plötzlich  den  grössten 
Anfeindungen  ausgesetzt  und  seiner  Arbeit  die 
verschiedensten  Hindernisse  in  den  Weg  ge- 
legt Fünf  Jahre  -spaltete  bereits  der  unselige  Osian- 
dersche  Streit  Königsberg  in  zwei  feindliche  Heerlager 
und  erbittert  wie  in  den  ersten  Tagen  standen  sich  die 
feindlichen  Parteien  gegenüber.  Mit  kleinlichen  Waffen 
wurde  auf  beiden  Seiten  gekämpft.  In  seinem  von  Herzog 
Albrecht  erbetenen  theologischen  Gutachten  über  Oslanders 
Rechtfertigungslehre  hatte  Brenz  sich  nicht  ungünstig 
über  seines  alten  Freundes  Standpunkt  ausgesprochen  und 
dadurch  die  erbitterste  Feindschaft  der  Antiosiandristen 
sich  zugezogen.  Sie  verdächtigten  die  Orthodoxie  dieses 
treusten    Schülers    Luthers    und    schmähten    besonders 


2)  Der  Empfehlungsbrief  des  Grafen  Lukas  Gorka  ist  Posen 
den  9.  Dez.  1555  datiert. 

*)  Woliniecz  war  Schöffe  in  Posen  und  hat  als  solcher  am 
2.  Juni  1540  neben  dem  Probst  Jakob  von  Obornik  im  Auftrage  des 
Rats  das  Schreiben  unterzeichnet,  welches  den  der  Reformation 
günstig  gesonnenen  polnischen  Prediger  Stanislaus  von  Przebislaw 
an  die  Pfarrkirche  Maria  Magdalena  rief. 


Eustachius  Trepka.  103 

seinen  weit  verbreiteten  und  viel  begehrten  Katechismus 
ohne  jede  Berechtigung  ein  schismatisches  Buch1).  Es  zu 
unterdrücken  galt  in  den  Augen  dieser  Eiferer  als  ein 
gutes  Werk.  Schon  ehe  Trepka  nach  Königsberg  kam, 
war  er  ihnen  verhasst,  als  er  endlich  eingetroffen  war, 
Hessen  sie  ihn  und  seine  Gehülfen  bei  jeder  Gelegenheit 
ihre  Feindschaft  fühlen;  letztere,  welche  mit  dem  Gesinde 
des  Burggrafen  Christoph  von  Kreytzen  beköstigt  werden 
sollten,  wurden  geradezu  aus  dem  Schlosse  vertrieben. 
Am  13.  Februar  1556  sieht  sich  deshalb  Trepka  zu 
folgendem  Schreiben  an  den  Herzog  genötigt:  „Wie  un- 
würdig einige  von  dem  Beamten  E.  F.  G.  meine  Schreiber, 
die  in  der  Druckerei  E.  F.  G.  dienen  und  bei  dem  Burg- 
grafen freien  Tisch  erhalten  sollten,  behandelt  haben,  mit 
wie  heftigen  und  schmähenden  Reden  sie  mich  in  meiner 
Abwesenheit  und  obwohl  ich  ihnen  imbekannt  war,  ver- 
folgt haben,  möge  E.  F.  G.  lieber  von  dem  vortrefflichen 
Arzte  Andreas  Aurifaber  *)  vernehmen,  als  dass  ich  E.  F.  G. 
belästige.  Wenn  nicht  die  Ausgabe  des  Katechismus, 
welche  ich  betreibe,  mich  gehindert  hätte,  wäre  ich  selbst, 
um  Klage  zu  führen,  zu  E.  F.  G.  geeilt.  Ich  wundere  mich, 
dass  hier  einige  uns,  die  wir  in  E.  F.  G.  Dienst  stehen 
und  gegen  E.  F.  G.  voll  Ergebenheit  und  Treue  sind,  mit 
solchem  Hasse  begegnen.  Sobald  E.  F.  G.  befehlen,  werde 
ich  an  die  Ausgabe  der  Postille  herantreten,  und  wenn 
es  E.  F.  G.  gefällt,  mich  an  die  Bibelübersetzung  machen. 
Wenn  ich  nur  einen  deutschen  Gelehrten  zum  Mitarbeiter 
hätte,  könnte  sie  über  Erwarten  schnell  erscheinen." 
Seinem  Briefe,  der  wohl  einen  Tag  liegen  geblieben 
ist,  legt  er  ein  Probeexemplar  der  Postille  bei  und 
gibt  ihm  den  Nachtrag:  „Das  Format  der  Postille 
und  ihre  ersten  Exemplare  sah  bereits  der   vortreffliche 


*)  VergL  Wotschke,  Brenz  als  Katechet  S.  61  ff. 

2)  Andreas  Aurifaber,  Herzog  Albrechts  einflussreicher  Leib- 
arzt und  Professor  der  Medizin,  war  der  entschiedenste  Anhänger 
Oslanders,  dessen  Tochter  Agnes  er  in  zweiter  Ehe  zur  Frau  hatte. 
Dezember  1559  sollte  er  in  politischer  Mission  zum  Könige  Sigismund 
August  nach  Wilna  reisen,  als  er  plötzlich  starb. 


I<H  Lic.  Dr.  Theodor  Wotschke. 

Doktor  Aurifaber.  Ihren  Druck  werde  ich  fortsetzen, 
wenn  es  E.  F.  G.  befehlen.  Ich  wohne  und  habe  die 
Beköstigung  bei  Seklucyan  und  lebe  sehr  einfach,  um 
nicht  E.  F.  G.  grosse  Kosten  zu  verursachen.  Deshalb  ist 
es  mir  sehr  unangenehm,  dass  meine  Gehülfen  auf  dem 
Schlosse  schlecht  behandelt  und  vertrieben  jetzt  am  Tische 
Seklucyans  speisen,  welcher  bereits  ohne  Mittel  ist  und 
um  Ersatz  für  den  täglichen  Aufwand  bittet" 

Schon  am  16.  Februar  antwortet  der  Herzog  mit 
dem  Ausdruck  des  Bedauerns  über  die  Anfeindungen, 
den  Burggrafen  habe  er  bereits  angewiesen,  20  oder  30 
Mark  an  Seklucyan  zu  zahlen.  In  Bezug  auf  die  Postille 
schreibt  er:  „Das  gesandte  Probeexemplar  hat  uns  ge- 
fallen, wenigstens  was  den  Druck  (caracteres)  betrifft,  das 
Papier  scheint  uns  aber  zu  schmal  gewählt  zu  sein. 
Beim  Zusammenbinden  und  Beschneiden  der  Blätter  zur 
Quartform  seitens  des  Buchbinders  ist  kaum  ein  finger- 
breiter Rand  geblieben.  Entweder  muss  das  Papier  etwas 
länger  und  breiter  gewählt  werden,  oder  falls  solches  in 
grösserem  Format  nicht  zu  haben  ist,  müssen  einige 
Zeilen  entfernt  werden.  Aber  über  dieses  und  anderes 
nächstens  mündlich  das  weitere." 

Das  Interesse  des  Herzogs  für  die  Postille,  wohl  auch 
die  Machenschaften  der  Antiosiandristen  bewirkten,  dass 
der  erst  bis  zur  Hälfte  gediehene  Druck  des  Brenzschen 
Katechismus  unterbrochen  wurde l)  und  die  Postille  an 
erster  Stelle  zur  Ausgabe  gelangte.  Leider  scheint  sie 
heut  bis  auf  das  letzte  Exemplar  verschollen  zu  sein; 
meine  Anfragen  bei  den  verschiedensten  Bibliotheken 
waren  erfolglos,  und  die  Bibliographien  geben  auch  keine 
sicheren  Nachrichten.  Nach  der  Vorrede  des  bekannten 
Thorner  Pfarrers  und  gründlichen  Kenners  der  evangelisch- 

*)  Am  25.  April  schreibt  Seklucyan  in  dem  Brief,  den  er 
anlässlich  der  Zurückstellung  seiner  Postille  an  den  Herzog  ge- 
richtet hat:  111»«  v»  Cels.d°  nollam  trahens  rationem  neque  laborum 
meorum  neque  sumptuum  neque  senectutis  et  meritis  meis  iussit 
obici  alium  nescio  qualem  librum  concionum  et  prelo  exprimendum 
priori  Hbro  catechismi  Brentii  nondum  ad  mediam  partem  absoluta, 


Eustachius  Trepka.  105 

polnischen  Literatur  Oloff  zur  Dombrowskischen  Postille 
(Leipzig  1728)  muss  sie  auf  dem  Titelblatt  oder  in  der 
Vorrede  neben  Ostaphus  Trepka  seinen  jüngeren  Mit- 
arbeiter und  Posener  Freund  Sebastian  Woliniecz  als 
Herausgeber  genannt  haben. 

Sogleich  nach  der  Postille  erfolgte  der  weitere  Druck 
des  polnischen  Brenzschen  Katechismus;  bereits  am  3.  Juni 
kann  der  Herzog  Albrecht  seine  Fertigstellung  nach 
Württemberg  melden *).  Er  ist  in  Quartformat  erschienen 
und  trägt  den  Titel:  (Btoedpfimw  |  Äfo  xtft  pipelna  nrmha  | 
«jrjesriaiteha  prjes  JANA  BREN  |  CIVSZA  |  ptsma  JOro- 
xochxtqo  ApoM  |  fktego  {nieftona^  htonj  mojeff  bobqc  mala 
Cublia  |  nafmaf*  Äboroxim  io  mffgsiho  m  fobte  bofia  \  izqpm 
jaunera,  co  xtfi  aoxqoxvtwx  w  |  panshtm  fbrute  qlowitkowx  \ 
nrfebjwc  potx\eba% 

DrwJtoroano  xo  firoleruru  JOrughim  |  prje  *  Sana  Daabmana» 
Äohu  |  JOanshtrgo  MDLVI.  Die  Ostaphi  Trepka  unterzeich- 
nete Vorrede  ist  Königsberg,  Himmelfahrt  1556  datiert;  ge- 
widmet ist  die  Übersetzung  dem  Herzog  Albrecht.  Die 
Vorrede  und  der  vorgedruckte  kleine  Brenzsche  Kate- 
chismus sind  unpaginiert,  der  grosse  zählt  CCCXCV  Blätter. 

So  lange  Trepka  in  Königsberg  weilte,  vermittelte  er 
auch  die  Korrespondenz  und  alle  Verhandlungen  zwischen 
Albrecht  und  Stanislaus  Ostrorog.  Aus  Grätz  schreibt 
letzterer  am  31.  März  1556:  „Das  Weitere  übermittle  ich 
meinem  treuen  Freunde  Herrn  Eustach  Trepka,  welcher 
in  meinem  Namen  mit  E.  F.  G.  hierüber  konferieren  wird", 


*)  J.  Voigt:  Briefwechsel  der  berühmtesten  Gelehrten  des  Zeit- 
alters der  Reformation  mit  Herzog  Albrecht    Königsberg  1841  S.  56. 

*)  „Catechismus  d.  i.  vollständige  christliche  Lehre  durch  Joh. 
Brenz  aus  den  prophetischen  und  apostolischen  Schriften  zusammen 
getragen,  welche  man  kleine  Bibel  nennen  kann.  Denn  sie  enthält 
alles,  was  einem  im  Worte  Gottes  lebenden  Menschen  zu  wissen 
nötig  ist.44  Die  Übersetzungen  dieses  ursprünglich  lateinisch  ge- 
schriebenen Katechismus  ins  Mittel-  und  Niederdeutsche,  ins  Nieder- 
landische, Italienische  und  Französische  habe  ich  in  meiner  Licentiaten- 
schrift  »»Brenz  als  Katechet"  Wittenberg  1899  S.  22  ff.  namhaft  ge- 
macht   Die  polnische  Übersetzung  war  mir  damals  entgangen. 


IOÖ  Lic.  Dr.  Theodor  Wotschke. 

und  in  seiner  Antwort  vom  14.  April  verweist  auch 
Albrecht    auf  die  Trepka  mündlich  gegebene  Erklärung. 

Endlich  konnte  Trepka  heimkehren;  drei  oder  vier 
grosse  Frachtwagen  seiner  Bücher  brachte  er  zum  Verkauf 
nach  Posen  mit  sich  und  hier,  wo  man  sie  längst  erwartet 
hatte,  wo  man  ihre  Gediegenheit  durch  ihren  Heraus- 
geber gewährleistet  wusste,  fanden  sie  reissenden  Absatz; 
bald  waren  sie  vergriffen,  ohne  dass  auch  nur  im 
entferntesten  die  Nachfrage  gedeckt  war,  und  Trepka 
musste  um  eine  weitere  und  grössere  Sendung  die 
Daubmannsche  Druckerei  ersuchen.  Das  Domkapitel 
glaubte  dieser  Verbreitung  evangelischer  Schriften  nicht 
ruhig  zusehen  zu  dürfen;  in  der  Sitzung  am  8.  Juni  be- 
schäftigte es  sich  mit  Trepka1),  wagte  aber  nicht,  irgend 
welche  Massregeln  wider  ihn  zu  ergreifen. 

In  den  ersten  Tagen  des  Juli  hatte  Trepka  die 
Freude,  den  kampfesfrohen  Gegner  der  römischen  Kirche, 
den  ehemaligen  päpstlichen  Legaten  und  Bischof  von 
Capo  dlstria,  Paulus  Petrus  Vergerius,  der  auf  seiner 
Reise  nach  Königsberg  und  Wilna  zum  Fürsten  Nikolaus 
Radziwill  den  Weg  durch  unsere  Provinz  nahm2),  in 
Posen  begrüssen  zu  können.  So  gut  es  bei  der  Kürze 
der  Zeit  möglich  war,  weihte  er  ihn  in  die  polnischen 
Verhältnisse  ein,  Hess  sich  von  ihm  auch  zu  gemeinsamer 
Arbeit  in  Königsberg  gewinnen,  im  besonderen  zur 
Übersetzung  der  Streitschriften,  mit  denen  Verger  von 
dort  aus  der  polnisch-katholischen  Kirche  entgegenzutreten 


!)  Acta  Xu  fol.  a8.  „De  Trepka,  cive  Posnaniensi,  qui  novos 
libros  pestiferos  cerebri  sui  vendere  praesumit  Posnaniae  etc.,  super 
quo  mandata  regia  sunt.44  Wie  mir  Herr  Domkapitular  Dr.  Jedzink 
mitzuteilen  die  Gate  hatte,  findet  sich  in  den  Akten  des  Domkapitels 
kein  weiteres  Protokoll  über  jene  Sitzung. 

2)  Auch  1559  gelegentlich  seiner  zweiten  Reise  nach  Königsberg 
und  Wilna  hatte  Verger  den  Weg  über  Posen  geplant.  In  Gross- 
Polen  auf  den  Edelsitzen  der  Ostrorog,  Gorka  und  des  Raphael 
Leszczynski  gedachte  er  einen  Teil  des  Winters  zuzubringen.  Da 
er  aber  zuvor  noch  den  Herzog  von  Mecklenburg  besuchte,  änderte 
er  seinen  Plan  und  reiste  über  Stettin  (25.  Nov.),  Danzig,  Marien- 
burg (10.  Dez.)  nach  Königsberg. 


Eustachius  Trepka.  107 

gedachte.  Am  liebsten  hätte  Trepka  seinen  neuen  Freund 
sogleich  nach  Preussen  begleitet,  allein  die  Krankheit, 
dann  der  Tod  seines  Schwiegervaters  hielten  ihn  zurück. 
Während  Verger  schon  am  11.  Juli,  am  34.  Tage  nach 
seinem  Aufbruch  von  Stuttgart,  in  Königsberg  eintraf, 
finden  wir  Trepka  noch  am  28.  Juli  in  Posen.  Durch  einen 
gewissen  Broniowski,  der  in  Preussen  Kriegsdienste 
zu  nehmen  gedachte,  schickte  er  das  Manuskript  des 
zweiten  Teils  der  Postille,  der  die  Predigten  für  die 
Heiligentage  enthielt,  dem  Herzoge.  In  seinem  Begleit- 
schreiben drückt  er  unter  anderem  seine  Verwunderung 
aus,  dass  ihm  die  Katechismen,  welche  so  sehnsüchtig 
erwartet  und  fort  und  fort  begehrt  würden,  noch  nicht 
gesandt  seien.  Die  Verzögerung  seines  Kommens  bitte 
er  mit  Rücksicht  auf  den  Trauerfall  zu  entschuldigen; 
bald  hoffe  er  erledigt  zu  haben,  was  ihn  noch  fest  halte, 
und  die  Reise  antreten  zu  können.  Sehnsüchtig  erwartete 
ihn  Verger  in  Königsberg.  Durch  Sabinus,  der  als  bran- 
denburgischer Gesandter  auf  der  Rückreise  von  Wilna 
nach  Berlin  einige  Tage  in  Königsberg  weilte  und  von  dort 
am  25.  Juli  nach  Posen  aufbrach1),  liess  Verger  Trepka 
bitten,  seine  Reise  nach  Preussen  möglichst  zu  be- 
schleunigen. Um  den  15.  August,  wo  wir  Sabinus  in 
Posen  begegnen,  wird  er  seinen  Auftrag  ausgerichtet 
haben.  Näher  traten  sich  beide  Männer  indessen  nicht. 
Sabinus  der  Humanist,  der  ohne  die  Gunst  der  Grossen 
und  ihre  Ehrengeschenke  nicht  leben  konnte,  weilte  mehr 
im  bischöflichen  Palaste,  als  in  Trepkas  Hause.  Die  tiefe 
Verstimmung,  die  sich  des  Posener  Predigers  hierüber 
bemächtigte,  sollte  im  März  nächsten  Jahres  zu  Frank- 
furt a.  d.  Oder  zum  Ausbruch  kommen. 

In  Königsberg   wartete   seiner   ein  herber  Schmerz; 
sein    jüngerer  Freund   aus    Posen    Sebastian   Woliniecz, 


!)  Sabinus  kürzte  seinen  Königsberger  Aufenthalt  ab,  um 
einige  Tage  den  Bischof  Hosius  in  Heilsberg  besuchen  zu  können. 
Derselbe  gab  ihm  einen  Brief  an  seinen  Posener  Berichterstatter 
Stephan  Mikanus  mit.  Vergleiche  Hosii  Epistolae  II,  1657.  Sabini 
Poemata.   1563   S.  189  f. 


Io8  Lic.  Dr.  Theodor  Wotschkc. 

uns  als  Mitarbeiter  bei  der  Herausgabe  der  Postille  des 
Orsatius  bekannt,  wurde  mit  einem  anderen  Polen 
in  einem  Streite  erstochen.  Den  näheren  Hergang  kennen 
wir  nicht;  es  scheinen  aber  die  beiden  nicht  ganz  schuld- 
los an  ihrem  Tode  gewesen  zu  sein.  Denn  obwohl 
Trepka  alles  versuchte,  um  eine  strenge  Bestrafung  der 
Täter  zu  erwirken,  auf  seinen  Anlass  am  22.  September 
und  sonst  des  öfteren  Lukas  Gorka  in  dieser  Sache  an 
Albrecht  schrieb,  desgleichen  am  23.  September  der  Rat 
der  Stadt  Posen,  endlich  am  24.  Dezember  sogar  der 
König1),  wurden  die  Täter  freigesprochen.  Trepka  Hess 
aber  nichts  unversucht,  um  eine  Wiederaufnahme  des 
Prozesses  zu  erreichen,  und  schliesslich  erklärten  sich 
die  Mörder  bereit,  „Vergelt"  an  den  Vater  des  getöteten 
Sebastian  zu  zahlen. 

Wie  wenig  indessen  die  Trauer  um  den  Freund 
Trepkas  Tätigkeit  hat  beeinträchtigen  können,  zeigt  ein 
Blick  auf  seine  literarischen  Arbeiten  in  jenen  Monaten. 
Im  September  hatte  Verger  seine  Streitschrift:  „De  Gregorio 
papa  eius  nominis  primo,  quem  cognomento  Magnum 
appellant  et  inter  praeeipuos  recclesiae  Romanae  doctores 
annumerant,"  fertig  gestellt,  und  sofort  übertrug  sie  Trepka 
ins  Polnische.  Ich  vermag  allerdings  kein  polnisches 
Exemplar  dieses  Buches  nachzuweisen,  aber  in  der  la- 
teinischen, Oktober  1556  bei  Daubmann  erschienenen 
Ausgabe  heisst  es  in  der  Ansprache  an  den  Leser,  das 
Buch  sei  zugänglich  gemacht  „tarn  Italis  quam  Germanis,. 
Gallis  etiam  atque  adeo  Polonis  ac  Sclavis  ipsis.  Eam 
Italice  F.  Niger,  Germanice  Jacobus  Andreas  Fabri,  Gallice 


l)  Der  gebeugte  Vater  Matthias  Woliniecz  reiste  von  Posen 
nach  Warschau,  um  durch  den  König  eine  Verurteilung  der  Mörder 
seines  Sohnes  zu  erreichen.  In  seinem  Bittgesuch  vom  ia.  Dezem- 
ber 1556  giebt  er  eine  kurze  Schilderung  des  Vorgangs :  Sebastianus 
Woliniecz,  filius  meus,  Illmo  D.  Principi  Prussiae  in  libris  corri- 
gendis,  qui  Regiomonti  iussu  Suae  1111»**  Cel«»s  exeudebantur, 
profitebatur  ac  dum  ibi  commoratur  diutius  et  hospitium  in  civitate 
habet,  quattuor  Germani,  genus  nominl  nostro  infestissimum,  eum. 
in  hospitio  proprio  aggrediuntur  et  crudelem  in  modum  confossum 
trueidant  una  cum  nobili  quodam  Pilieczki,  qui  ibidem  habitavit. 


Eustachius  Trepka.  109 

F.  Hotomanus,  Polonice  Dominus  Eustachius  Trepka, 
Sclavice1)  vero  Primus  Truberus  vertit,  singulari  pietate 
atque  eruditione  viria. 

In  wie  weit  Trepka  an  des  Vergerius  anderer  Schrift 
Duae  Epistolae  bezw.  an  den  den  Briefen  folgenden 
Epigrammen  und  Gedichten  als  Mitarbeiter  beteiligt  ist, 
lässt  sich  nicht  genau  feststellen,  da  überhaupt  der  Anteil 
der  verschiedenen  Freunde  Vergers  an  diesem  Büchlein 
im  einzelnen  ungewiss  ist  Zweifellos  ist  aber  von  Trepka 
das  Begleitwort  an  den  redlichen  christlichen  Leser  am 
Schluss  der  beiden  Briefe,  welches  unter  dem  Pseudonym 
Eustathius  Theophilus  geschrieben  ist.  In  der  dann  fol- 
genden Elegie  „de  sacrosancti  Evangelii  in  ditionis  regis 
Poloniae  post  revelatum  Antichristum  origine,  progressu 
et  incremento"  hat  sein  Freund  Andreas  Tricesius,  der  Ende 
September  mit  einem  Briefe  Nikolaus  Radziwills  an  Herzog 
Albrecht  von  Wilna  nach  Königsberg  gekommen  war, 
ihm  ein  Denkmal  gesetzt  in  den  Versen: 

„Hunc  sequitur  merito  Constantis2)  nomine  dictus 
TREPCA  meus,  nitido  nobilis  eloquio. 
Promovet  hie  patrio  scriptis  sermone  libellis 
Egregiae  fidei  dogmata  pura  sacrae". 
In  Königsberg  hatte  Verger  ferner  die  schöne  christ- 
liche  Kinderlehre   des    evangelischen   Spaniers   Juan   de 
Valdes  ins   Lateinische    übersetzt   und    unter   dem   Titel 
„Lac  spiritualea    herausgegeben;   es   zeugt   von  Trepkas 
Bemühung  um  eine  christliche  Unterweisung  seines  Volkes, 
dass    er   dieses   wertvolle   Büchlein    sofort   ins  Polnische 
übertrug3).     „Upomimk,  ktonj  Wergerms  Safnemn  pemu  | 

*)  D.  i.  slovenisch.  Primus  Trüber,  der  Reformator  Krains, 
ist  bekannt  als  Begründer  der  slovenischen  Literatur.  Seine  Bibel- 
übersetzungen, Katechismen,  Lehr-  und  Gesangbücher  sind  die  ersten 
slovenischen  Druckschriften.  Wie  die  evangelisch-polnischen  Er- 
bauungsbücher des  16.  Jahrhunderts  sind  sie  fast  sämtlich  der  Ver- 
folgungswut der  Jesuiten  zum  Opfer  gefallen.  Kaum  dass  hier  wie  dort 
einige  Unica  von  der  ehemals  blühenden  Literatur  heut  noch  zeugen. 

*)  Nur  hier  wird  Trepka  der  Vorname  Constans  beigelegt. 

*)  Einen  Neudruck  dieser  polnischen  Übersetzung  Trepkas 
bieten  Böhmer:  Instruccion  *Tisttana  para  los  mnos  por  Jean  de  Valdes. 


HO  Lic.  Dr.  Theodor  Wotschke. 

Äiholcuonri  QsrüMontQo  JOana:  Mxkolnia  Äabjhmla,  ftrtqj^cta 
m  ®ltcr  9  «Pmußroicjn  Woitmobtf  WxizmhxtQo  tc.  Stpxotüx 
ptertDlfemn  poflal  II  ©hra>  HL  (Andenken,  welches  Ver- 
gerius  dem  hohen  Herrn  Nikolaus,  dem  ersten  Sohne  des 
durchlauchtigen  Herrn  Nikolaus  Radziwill,  Fürsten  von 
Olika  und  Nieswiei,  Wojewoden  von  Wilna  etc.  gesandt 
hat)  Auf  der  Rückseite  folgt  dann  der  eigentliche  Titel : 
Atlieko  Dtutjonm*.  01a  hannunta  9  ttJ^djoroama  Clpiesaan- 
fbtfdf  Dftateh  |  Im  dpaale  fioahUi  (Geistliche  Milch.  Zur 
Ernährung  und  Erziehung  christlicher  Kindlein  zum  Lobe 
Gottes).  Das  Büchlein  umfasst  nur  24  unpaginierte  Blätter 
in  klein  Octav,  hinten  Ätyrifmol  |  Älesanier  3Utgq&e&g  |  ro 
firokrcen  flrnshgm,  Koku  pmwhtego  1556«  Auf  dem  dritt- 
und  vorletzten  Blatte  befindet  sich  ein  Nachwort  Trepkas: 
Do  tego  hio  btt\xt  qtbL  ©(loplfti  ©repha*  In  demselben  heisst 
es1):  „So  reiche  und  kostbare  göttliche  Speisen  besorgt  dir 
Vergerius,  der  Mann  Gottes  und  Diener  Christi,  (um  dessen 
willen  er  Vermögen  und  Würden  verlassen  hat  und  lieber 
mit  Moses  arm  und  niedrig  in  der  Kirche  des  Herrn  sein 
wollte,  denn  in  gottlosen  Palästen  wohnen  und  an  allen 
Sachen  Überfluss  haben)  mit  grossem  Bemühen  und  Fleiss. 
Daher  gebührt  und  ziemt  es  dir,  ihm  alle  Dankbarkeit 
zu  erweisen  und  alle  seine  gottesfürchtigen  und  christlichen 
Unternehmungen  Gott  mit  innigen  Bitten  zu  empfehlen". 
Als  Verger  in  der  zweiten  Hälfte  des  Monats  Oktober 
zur  zweiten  Reise  nach  Wilna  zum  Fürsten  Radziwill 
sich  anschickte,  verliess  auch  Trepka  Königsberg,  um 
zu  seiner  Gemeinde  zurückzukehren.  Das  Letzte,  was 
wir  aus  Preussen  von  ihm  hören,  ist,  dass  er  am 
14.  Oktober  Herzog  Albrecht  bestimmt,  wie  dem 
Zborowski  in  Adelnau,  dem  Tomicki  in  Rogasen,  dem 
Joh.  Krotowski  in  Inowrazlaw  und  den  Brüdern  Ostrorog 
auch  den  drei  Grafen  Gorka  Jagdfalken  zu  senden.  In 
Posen  arbeitete  er  den  Winter  über  fleissig  an  der  pol- 
nischen   Übersetzung  der  Postille    des    Reformators    von 

En  ocho  lengnas.     Bonn  und  London  1881  und  J.  Kariowicz  in  den 
Prace  filologiczne  I,  S.  403—33,  Warschau  1886. 
*)  Ich  citiere  nach  Sembrzycki  S.  553. 


Eustachius  Trepka.  III 

Calenberg-Göttingen  Antonius  Corvinus,  welche  zu  den 
begehrtesten  Erbauungsbüchern  des  16.  Jahrhunderts  ge- 
hörte und  Trepka  von  Herzog  Albrecht  besonders  warm 
anempfohlen  war.  Am  17.  Januar  1557  erhält  er  die 
Aufforderung,  zur  Drucklegung  der  Obersetzung  nach 
Königsberg  zu  kommen.  Allein  unmöglich  konnte  er  jetzt 
Posen  verlassen,  wo  täglich  des  Vergerius  Ankunft  zu 
erwarten  stand.  Kursierte  doch  schon  am  12.  Dezember 
in  der  Stadt  das  Gerücht,  Verger  werde  am  folgenden 
Tage  in  Posen  eintreffen1).  Sein  Kommen  verzögerte  sich; 
wohl  brach  er  bald  nach  dem  15.  Januar  von  Soldau8), 
wo  er  während  des  Warschauer  Reichstages  geweilt 
hatte,  auf,  aber  anstatt  direkt  nach  Posen  sich  zu  wenden, 
reiste  er  über  Warschau  und  Krakau.  Hier,  im  Hause  des 
Kastellans  von  Biecz  Johann  Bonar,  aber  auch  in  dem  drei 
Meilen  entfernten  Jwanowice  traf  er  mit  Joh.  a  Lasco  und 
Lismanino  zusammen,  disputierte  mit  jenem,  versicherte 
diesen  des  Wohlwollens  und  der  Unterstützung  Herzog 
Albrechts,  setzte  dann,  wohl  an  demselben  Tage,  an  dem  Laski 
und  Utenhoven  nach  Wilna  aufbrachen,  also  am  23.  Februar 
seine  Reise  fort  und  traf  endlich,  nachdem  er  noch  einige 
Tage  in  Goluchow  bei  Pleschen  bei  Raphael  Leszczynski 8) 
geweilt  hatte,  in  Posen  ein.  Im  Palaste  der  Gorka,  also 
an  der  gottesdienstlichen   Stätte    der    evangelischen    Ge- 

l)  Der  Arzt  Stephan  Micanus  schreibt  aus  Posen  an  Hosius 
am  12.  Dez.:  „Vergerium  cras  habebimus  hie,  de  quo  si  venerit 
statim  R*m  D°*m  V«»  faciam  certiorem.    Ep.  Hosii  II  p.  77. 

*)  Die  Stadt  Jaldow,  welche  Gindely :  Geschichte  d.  böhm. 
Brüder  I,  401  als  den  Aufenthaltsort  Vergers  nennt,  ist  mit  Soldau 
identisch.  Wie  mir  der  Gelehrte  der  Brüdergemeinde  Herr  Pastor 
Joseph  Müller  mitteilte,  wird  im  polnischen  Totenbuch  der 
böhmischen  Brüder  der  Ort  Dzialdow  genannt. 

*)  Raphael  Leszczynski,  der  reichste  evangelische  Magnat 
unserer  Provinz,  zu  dessen  Schuldnern  selbst  Herzog  Albrecht  ge- 
hörte, scheint  Verger.  damals  in  seine  Dienste  zu  ziehen  versucht 
und  ihm  Goluchow  als  Wohnort  angeboten  zu  haben.  1560  schreibt 
dieser  nämlich  an  die  Brüder,  als  er  sie  um  Aufnahme  in  ihre 
Unität  ersuchte:  „Magnificus  D.  Raphael  Lenczewsky  obtulit  mihi 
ante  paueos  annos  satis  luculentam  conditionem".  Fontes  Rerum 
Austriacarum  2.  Abt.  XIX,  255. 


112  Lic.  Dr.  Theodor  Wotschke. 

meinde,  dann  aber  auch  einer  Einladung  Stanislaus 
Ostrorogs  folgend  in  Grätz1)  versammelten  sich  evan- 
gelische Magnaten  unserer  Provinz,  einige  Geistliche  und 
die  vornehmsten  Gemeindeglieder,  unter  ihnen  der  Arzt 
Stanislaus  Niger,  um  mit  dem  gewandten,  weitschauenden 
Italiener  über  den  Ausbau  der  Kirche  und  einer  Union 
mit  den  böhmischen  Brüdern  zu  beraten.  Aufs  wärmste 
empfahl  Vergerius  eine  Verbindung  mit  diesen,  die  er  im 
vergangenen  Dezember  und  Januar  in  Soldau  kennen 
und  schätzen  gelernt  hatte  und  deren  Glaubensbekenntnis 
er  auch  in  Tübingen  neu  herauszugeben  gedachte,  ohne 
indessen  bei  den  Lutheranern  grossen  Anklang  zu  finden. 
Aber  ebenso  entschieden  sprach  er  sich  auch  gegen  die 
dogmatische  Richtung  der  Kleinpolen,  im  besonderen  gegen 
die  ihres  gegenwärtigen  geistigen  Führers  Joh.  a  Lasko 
aus2).    Da  er  wusste,  dass  nichts  so  sehr  eint  als    tätige 

*)  In  Grätz  arbeitete  Trepka  mit  Lutomirski,  der  in  den  fol- 
genden Wochen  in  unserer  Provinz  für  eine  zu  gründende  evan- 
gelische Schule  und  für  den  geächteten  Lismanino  kollektierte, 
einige  Religionsartikel  aus.  Stephan  Mikanus  schreibt  Posen  den 
23.  Mai  an  Hosius:  „Articulos  novatorum  in  hac  praeterita  quadra- 
gesima  consutos  in  oppido  magnifici  Stanislai  Ostrorog  nomine 
Grodzysko  Rev01*«  D«"  Vr*e  mitto  videndos.  Interfuit  his  consuendis 
et  Lutomyrski  et  Trepka,  sicut  didici.  Hoc  tempore  habitat  Trepka 
Regiomonte  nescio  quid  in  S.  Paulum  ruminans  non  contentus 
prioribus,  quorum  plaustra  huc  allata  fuerunt".  Hosii  Epist.  II, 
Nro.  1765. 

*)  In  seiner  warm  geschriebenen  Biographie  des  Joh.  a  Lasko 
spricht  Dalton  S.  522  ff.  von  einer  unterminierenden  gefährlichen 
Tätigkeit  des  Verger  in  Polen.  Die  objektive  Geschichtsschreibung, 
die  Licht  und  Schatten  bei  dem  Polen  Laski  wie  bei  dem  Italiener 
Verger  wahrnimmt,  muss  anders  urteilen.  Wer  unterminiert?  Dert 
welcher  wie  Laski  ernten  will,  wo  er  nicht  gesäet  hat,  eine  dreissig- 
jährige  reformatorische  Entwicklung  seinen  eigenen  theologischen 
Anschauungen  zu  lieb  in  andere  Bahnen  zu  zwängen  versucht  und 
den  Führer  der  Gegner  Stanislaus  Ostrorog  von  seinen  Freunden 
mit  Bekehrungsbriefen  überschüttet  werden  lässt,  oder  der,  welcher 
wie  Verger  die  bisherige  gedeihliche  Entwicklung  der  Reformation 
in  Polen  in  ihrer  alten  Richtlinie  weiter  zu  fördern  unternimmt? 
Eins  hat  Lasko  erreicht;  die  anfänglich  durch  Vermittlung  der 
Krakauer  deutschen  Bürger  von  den  Strassburger  Theologen  Hedio 
und  Bucer  beeinflussten  Kleinpolen    haben  sich  nicht    den    Witten- 


Eustachius  Trepka.  113 

Liebe,  und  gegenseitiges  Dienen  die  Gegensätze  mildert 
und  endlich  aufhebt,  interessierte  er  die  lutherischen 
Magnaten  für  den  Märtyrer  der  Brüdergemeinde,  ihren 
Senior  Augusta,  der  nun  schon  neun  Jahre  in  schwerer 
Kerkerhaft  schmachtete,  und  bewog  die  Gorka  und 
Stanislaus  Ostrorog  zugleich  mit  einigen  Herren  vom 
polnischen  Brüderadel,  einen  Gesandten  an  seinen 
Herzog  Christoph  von  Württemberg  abzuordern,  damit  er 
sich  für  den  armen  Augusta  bei  dem  böhmischen  Könige 
verwende.  Noch  für  einen  anderen  Plan  gewann  er  die 
Grossen  -in  -Posen.  Wie  schon  dem  Fürsten  Nikolaus 
Radziwill  in  Wilna  stellte  er  ihnen  vor,  welchen  Vorteil 
es  für  die  Reformation  in  Polen  bedeuten,  und  welche 
Aussicht  auf  Gewinnung  des  Königs  sich  eröffnen  würde, 
falls  eine  offizielle  Gesandtschaft  der  deutschen  evangelischen 
Fürsten  bei  Sigismund  August  für  das  Evangelium  ein- 
treten würde.  Er  scheint  hierbei  die  Nebenabsicht  gehabt 
zu  haben,  die  polnisch-evangelische  Kirche  fest  mit  der 
deutschen  lutherischen  zu  verbinden,  auch  an  sich  als 
künftigen  Gesandten  mag  er  im  stillen  gedacht  haben. 
Denn  der  unermüdliche  Mann,  den  ein  rastloser  Taten- 
drang erfüllte,  kannte  nichts  Schöneres,  als  von  einem 
Unternehmen  zum  andern  zu  eilen.  Auch  diesem  Vor- 
schlage stimmten  die  Magnaten  bei  und  beschlossen  durch 
Vergerius  Herzog  Christoph  und  Pfalzgraf  Ottheinrich  zu 
bitten,  die  Initiative  zu  ergreifen1).  Um  eine  Kirchen- 
bergern,  sondern  in  den  Jahren  1556  und  1557  endgültig  den 
Schweizern  zugewandt.  Ob  dies  aber  von  Segen  für  die  refor- 
matorische Kirche  in  Polen  gewesen  ist? 

*)  Leider  fehlt  folgendes  wichtiges  Akten-Faszikel,  welches 
zweifellos  auch  über  die  Posener  Verhandlung  Auf schluss  geben  würde, 
schon  seit  vielen  Jahren  im  Stuttgarter  Königl.  Staatsarchiv:  „Schriften, 
betreffend  die  ev.  Lehre  in  Polen;  wie  mehrere  polnische  Herren, 
insonderheit  Fürst  Radziwill  auf  Anleitung  des  Vergerius  an  Pfalz- 
graf Ottheinrich  und  Herzog  Christoph  geschrieben  und  gebeten, 
eine  Legation  an  den  König  von  Polen  abzufertigen,  damit  er  die 
Augsb.  Confession  in  seinem  Reiche  gestatten  möchte,  welches  nach 
gehabten  Deliberationen  beide  Fürsten  bewilligt  und  neben  andern 
auch  den  Vergerius  dahin  zu  schicken  vorgeschlagen,  womit  sichs 
jedoch  wegen   allerhand    Hindernisse   verzogen,    bis   inmittelst  ein 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  for  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XVIII.  8 


114  Lic-  Dr-  Theodor  Wotschke. 

Ordnung  zu  entwerfen,  konnte  der  Polemiker  Vergerius 
sich  selbst  nicht  für  geeignet  halten;  nach  langen  Ver- 
handlungen kam  man  endlich  überein,  Melanchthon  nach 
Polen  einzuladen  und  Um  zu  bitten,  wenigstens  für  kurze 
Zeit  nach  Posen  zu  kommen  und  seine  Kraft  der  polnisch- 
evangelischen Kirche  zu  widmen.  Trepka  ward  die 
Aufgabe,  die  Einladung  seinem  verehrten  alten  Lehrer 
zu  überbringen.  Mit  Vergerius  reiste  er  ab  *),  in  Meseritz 
begrüssten  sie  die  evangelischen  Seelsorger  der  Stadt 
Martin  Fechner  und  den  schon  halb  blinden  Gurge  (Georg 
Träger),  dann  ging  es  über  Frankfurt,  wo  sie  Melanchthons 
Schwiegersohn  Sabinus  wiedertrafen  und  aus  Unwillen 
über  seinen  fortgesetzten  Verkehr  mit  den  Gegnern  der 
Reformation  seine  Differenz  mit  dem  Senate  der  Königs- 
berger Universität  zur  Sprache  gebracht  zu  haben  scheinen  ^ 
nach  Wittenberg.  Trepka  übermittelte  Melanchthon  die 
Wünsche  und  Bitten  der  Posener  Lutheraner.  Wie  hatten 


Calvinist  Laski  eingedrungen  und  endlich  die  Sache  auf  einen 
Reichstag  verschoben  worden  1556/59  Nro.  1—78".  Aber  durch 
andere  Nachrichten  wissen  wir,  dass  im  April  1557,  als  noch  der 
Brüderbote  Rokyta  in  Stuttgart  weilte,  die  Sendung  einer  Gesandt- 
schaft tatsachlich  beschlossen  und  Vergerius,  der  auf  seiner  Rück- 
reise nach  Württemberg  verschiedene  Fürstenhöfe  besucht  und  für 
die  Gesandtschaft  Stimmung  gemacht  hatte,  für  sie  in  Aussicht 
genommen  wurde.  Am  28.  Dez.  1557  schreibt  er  von  Tübingen 
nach  Posen  an  Rokyta:  Bellum  Livonicum  impedivit,  quominus  venerim 
cum  legatione,  cui  te  praesente  destinabar.  Principes  adhuc  sunt  in 
eadem  sententia  et  credo  eos  missuros.  AHein  im  folgenden  Jahre 
zerschlug  sich  der  Plan  infolge  der  Bedenken  Maximilians  von 
Böhmen.  Vergl.  Schott  und  Kausler :  Briefwechsel  zwischen  Christoph 
von  Württemberg  und  Vergerius.    Tübingen  1875,  160  ff. 

*)  Wahrscheinlich  am  12.  März;  wenigstens  ist  ein  dem  Herzog 
Christoph  am  19.  April  eingehändigtes  Schreiben  des  Grafen  Lukas 
Gorka  Posen,  den  12.  März  datiert,  und  es  ist  fast  selbstverständlich, 
Vergerius  als  den  Überbringer  des  Briefes  anzusehen.  Der  Posener 
Brüdergeistliche  Rokyta,  welcher  das  Bittgesuch  der  polnischen 
Magnaten  für  den  Senior  Augusta  Herzog  Christoph  überbrachte, 
reiste  über  Prerau  in  Mähren,  da  er  noch  Aufträge  des  Seniors 
Johann  Cerny  (Nigranus)  einzuholen  hatte. 

*)  Vergl.  Toppen:  die  Gründung  der  Universität  zu  Königs- 
berg 1844  S.  288. 


Eustachius  Trepka.  115 

sich  die  Verhältnisse  in  den  letzten   20  Jahren  geändert,. 
seitdem   Krzycki,   wie    Cochläus   schreibt,    „durch  grosse 
Versprechungen,   Geschenke  und  Briefe  voll  Schmeichel- 
worten* Melanchthon  nach  Plozk  und  Gnesen  zu  locker* 
versucht  hatte!  Als  evangelischer  Theologe  erhielt  er  von 
evangelischen  Edelleuten  die  ehrenvolle  Einladung,  dorthia 
zur  Organisation   der   evangelischen  Kirche  zu  kommen, 
wohin  ihn  als  Verleugner  seiner  Überzeugung   einst  der 
römische  Bischof  zu   führen  gedacht  hatte.    Wir  können 
es    verstehen,    dass    der    alternde    durch    Streitigkeitea 
ermüdete  Reformator,   auf  dessen  Schultern  ohnehin  eine 
übergrosse  Arbeits-  und  Sorgenlast  ruhte,  den  Ruf  nach 
Posen  ablehnte1).    In  längeren  Gesprächen  entwickelte  er 
aber  seinem  früheren  Schüler  seine  Ansichten  über  eine 
Kirchenordnung  für  die  polnischen   Gemeinden,   übergab 
ihm  verschiedene   Bücher,   die  sie  als  Norm   gebrauchen 
sollten,  vor  allem  wohl  das  Augsburger  Bekenntnis,   die 
sächsische  Kirchenordnung  und  das  Examen  Ordinandorum~ 
In  einem  Palmsonntag,  den  20.  März  datierten  Briefe   an 
die  drei  Grafen  Gorka2),  den  er  Trepka  einhändigte,  gab 
er  gleichfalls  kurz  die  Richtlinien  für  eine  reformatorische 
Kirchenordnung  an  und  verwies   auf   die   Trepka   über- 
gebenen  Schriften  und  die  mündlich  ihm  erteilte  Belehrung. 
Am   folgenden  Tage,   dem   Montage   in   der  Charwocher 
trennte  sich  Trepka  von  Verger8),  der  die  folgenden  Tage 

l)  Noch  einmal  richtete  in  den  folgenden  Monaten  ein  evan- 
gelischer Magnat  unserer  Provinz,  der  allerdings  mehr  zu  den 
böhmischen  Brüdern  sich  hielt,  Raphael  Leszczynski,  der  Schüler 
Hegendorfs,  an  Melanchthon  die  Bitte,  nach  Polen  zu  kommen. 
Vergl.  Lukaszewicz :  Geschichte  der  Kirchen  helv.  Bekenntnisses  in» 
Kleinpolen,  Posen  1853  S.  176.  Auch  auf  der  Brüdersynode  zu  Leipnik 
in  Mahren  (27.  Okt.  1558)  machten  die  kleinpolnischen  Abgeordneten: 
den  Vorschlag,  Melanchthon  zn  berufen. 

*)  Der  Brief  steht  ohne  Adresse  und  unter  falschem  Datum 
im  Corpus  Reformatorum  Bd.  IX  S.  781.  Richtig  ediert  hat  ihn 
Kefrzynski  in  der  Altpreussischen  Monatsschrift  VI  S.  273.  Auch 
haben  ihn  die  Herausgeber  der  Briefe  des  Hosius,  Hipler  und 
Zakrzewski  im  Anhange  zum  zweiten  Bande  abgedruckt 

*)  Da  Ch.  H.  Sixt  in  seiner  Biographie  des  Vergerius  über 
seine   Rückreise    aus    Königsberg   nichts  zu    berichten    weiss,    ihn 

8« 


\ 


Il6  Lic.  Dr.  Theodor  Wotschke. 

noch    benutzte,    um    freilich   vergebens    eine    Verständi- 
gung zwischen  Melanchthon  und  Flacius  herbeizuführen, 
und    reiste    nach    Posen    zurück.     Nachdem    er   an   die 
Grafen  Gorka   Melanchtons  Aufträge   ausgerichtet  hatte, 
eilte   er  nach   Scharfenort  zu    Stanislaus   Ostrorog    und 
von  dort  nach  Königsberg,  um  endlich  dem  Rufe  Herzog 
Albrechts  Folge   zu  leisten1).    In  der  zweiten  Hälfte  des 
Monats  April  und  im  Mai  erfolgte  der  Druck  des  zweiten 
Bandes  der  Postille  des  Orsatius   sowie  der  von  Trepka 
selbst  verfassten  Streitschrift   gegen  die  römische  Kirche, 
-fiftqsht  o  tgm  |"h|b  |  ro;t(ü>  poqqttk  sloroo  boje  |  a  ktora  |  teft 
nego   powaptosc  j  tt$  o   tgm  iaho  o   |   paptejadj  o  ©ijcodj 
«roteitjdj  |  tj  o  con  |  ctliurij  öfterjtc  mamtj  |  rjecftj  |  ttjdj  qafonu 
barfopotr  |  jebnr  |  ftlpjfij  ieß  prjtjban  |  poqetlj©okbrorofir>friola 
a  |  jborn   bojtgo  |  oh   pocjqthu  |  striata  |  aöjbo   ttjdj  |  qasoni 
(Bücher,   woher  das   Wort  Gottes  seinen  Anfang  nahm 
und  welches  sein  Wert  ist,  auch  was  wir  von  den  Päpsten, 
heiligen  Vätern  und  Conzilien  halten  sollen,  Dinge,  die  dieser 
Zeit  not  tun.    Auch  ist  eine  Aufzählung  von  Doktoren  der 
Kirche  und  Gemeinde  Gottes  von  Anfang  der  Welt  bis  heute 
hinzugefügt.)   Gedruckt  in  Quart,  alphabetische  Paginierung 
bis  Xiiij;     hinten  Ba  rofhajamm  a  |  nahlabem  3ego.    Wieset 
üitqt  |  da   flntfjktego    ©Jlaplfg    ®repha    prjelojtl  |  A   San 
Daubmanmctsnal  wfirolewaiiprufktm  toua  ?&].  ÄatpxMDLVII. 
{Auf  Befehl   und   Kosten    Sr.   Gnaden   des   preussischen 
Fürsten   herausgegeben   von  Ostaphus  Trepka,    gedruckt 
bei  Daubmann    in  Königsberg  am  22.   Mai   1557).     Das 
Buch  ist   „dem  edlen   und    hochmächtigen   Herrn  Lukas 
von  Gorka"   gewidmet.     Ende  Juni  kehrte  Trepka  nach 
Posen   zurück.      Seine  Schrift,   von  der  er  viele  hundert 
Exemplare    verkaufte,    eins    dem    Bischof    Hosius    über- 
Seite 419  auch  schon  Mitte  Januar  in  Stuttgart  eintreffen  lässt,  auch 
Schott  und  Kausler:  „Briefwechsel  Herzog  Christophs  mit  Verger" 
das  Datum  seiner  Rückkehr  nicht  kennen,  bemerke  ich,  dass  Verger 
am  18.  oder  19.  April  in  Stuttgart  eingetroffen  sein  muss;  am  letzteren 
Tage  überreichte  er  nämlich  dem  Herzofe  Christoph  die  Briefe  des 
Grafen  Lukas  Gorka  und  Stanislaus  Ostrorog. 

!)  Der  Empfehlungsbrief  des  Stanislaus  Ostrorog  für  Trepka 
anöden  Herzog  ist  Ostrorog  (Scharfenort),  den  12.  April  1557  datiert 


Eustachins  Trepka.  II 7 

sandte,  machte  ungeheures  Aufsehen  in  der  Stadt  wie  in 
der  ganzen  Provinz.  Wie  der  ermländische  Bischof  am 
21.  Juni  dem  Königl.  Sekretär  Stanislaus  Karnkowski 
schreibt1),  ist  es  die  Tendenz  des  Buches  nachzuweisen, 
dass  bis  zur  Reformation  die  Polen  überhaupt  keine 
Christen  gewesen  seien,  und  seit  600  Jahren  die  polnische 
Kirche  nur  eine  Summe  äusserlicher  leerer  Formen  ge- 
wesen sei.  In  der  Beweisführung  zeigt  sich  Trepka  als 
scharfer  Denker  von  einem  reichen  dogmengeschichtlichen 
Wissen  und  als  Polemiker  deckt  er  rückhaltlos  die  Schäden 
auf,  an  denen  das  römische  Kirchenwesen  krankte. 

Nur  kurze  Zeit  währte  diesmal  sein  Posener  Auf- 
enthalt; die  Ausgabe  der  polnischen  Postille  des  Corvinus 
erheischte  seine  Gegenwart  in  Königsberg2).  Dort  schreibt 
er  am  14.  August,  an  dem  Tage,  da  Chrysostomus  aus 
seinem  Bistum  Constantinopel  vertrieben  ward  und  starb, 
die  Vorrede  zu  dem  Buche,  das  er  seinem  Gönner  „dem 
hochedlen  Herrn  Stanislaus  Ostrorog,  Castellan  von 
Meseritz,"  widmete.  JHrrofja  qestf  JCtofKll*  |  Co  tefl  fiajama 
na  Gptftoü)  |  SSToittzQo  JOarola  j  Äntomego  ©oruhta  m\xtta  [ 
hto  I  ra  ma  btjc  ipt}Vbana  bo  VOioxty  qzm  prjefcttm  j 
Ärfarhif|o  |  was  ^(KUe  nuftmoneif  9  ipt}tio\ontxj  |  (Erster 
Teil  der  Postille,  nämlich  Predigten  über  die  Episteln  des 
heiligen  Paulus  von  Antonius  Corvinus,  welcher  dem 
anderen  Teil,  der  vorher  aus  der  Postille  des  Orsacius  ge- 
fertigt und  ausgelegt  ist,  hinzugefügt  werden  soll).  Dra> 
komtmo  td  firokrocu  flrttfhtm  prfts  |  3aaa  JDcmbmcma  Koka 
Pmwktcgo  |  1557.    Fol.    CCXI  Blätter. 

Im  Herbste  1557  wollte  Laski,  um  die  Lutheraner 
zu  sich  herüberzuziehen,  in  unserer  Provinz  ein  Colloquium 
halten.    Schon  auf  der  Versammlung  zu  Wlodzislaw  am 

l)  Stanislai  Hosii  epistolae  Xu  Nro.  1785. 

*)  Der  gelehrte  Bachdrucker  Bernhard  Wojewodka  schreibt  am 
25.  März  1547  an  Herzog  Albrecht,  dass  er  die  Übersetzung  der 
Postille  des  Corvinus  abgeschlossen  habe.  Hat  nun  Trepka  eine 
neue  Übersetzung  geliefert  oder  die  des  Wojewodka  herausgegeben? 
Leider  nennt  Wojewodka  in  seinem  Briefe  nicht  den  Vornamen  des. 
Corvinus.  Sollte  er  vielleicht  ein  Buch  des  Krakauer  Predigers. 
W.  Corvin  Neoforensis  übersetzt  haben? 


Il8  Lic.  Dr.  Theodor  Wotschke. 

17.  Juni  ward  es  geplant,  auf  der  Synode  zu  Pinczow 
am  16.  August  weiter  erwogen  und  Goluchow  bei  Pleschen 
als  Ort  der  Zusammenkunft  in  Aussicht  genommen;  noch 
Tron  dieser  Synode  aus  schrieb  Laski  an  Stanislaus  Ostrorog, 
um  ihn  zu  dem  Colloquium  einzuladen.  Herzog  Albrecht 
befürchtete  eine  Schädigung  der  lutherischen  Kirche  und 
.•suchte  die  polnischen  Magnaten  in  ihrem  Luthertum  zu 
stärken  und  an  dem  Augsburger  Bekenntnis  fest  zu  halten. 
Trepka  ward  die  Aufgabe,  die  Mission  auszurichten.  Am 
30.  November  schreibt  er  seinem  herzoglichen  Herrn: 
„Mit  welcher  Sorgfalt  ich  die  Aufträge  E.  F.  G.  ausgeführt 
und  der  mir  übertragenen  Mission  nachgekommen  bin, 
brauche  ich  nicht  zu  erwähnen,  da  ich  hierüber  bereits 
E.  F.  G.  Leibarzt  Andrea  Aurifaber  berichtet  habe,  welcher 
zweifellos  E.  F.  G.  hiervon  in  Kenntnis  gesetzt  haben 
wird.  Die  erlauchten  und  edlen  Magnaten,  welche  der 
Augsburger  Confession  zugetan  sind,  haben  mit  der  ge- 
ziemenden Ehrerbietung  E.  F.  G.  Ermahnung  gehört  und 
ihr  zu  gehorchen  zugesagt.  Auch  zur  Verbreitung  und 
zum  Verkauf  der  Bücher  versprechen  sie  E.  F.  G.  ihre 
Dienste.  Dass  Daubmann  die  Bücher  solange  in  seiner 
Druckerei  behält  und  um  ihre  Verbreitung  sich  nicht 
müht,  wundert  mich  sehr.  Hier  verlangen  viele  sehn- 
süchtig nach  ihnen ;  Reussen  und  das  Krakauer  Land  be- 
gehren Postillen  und  Katechismen,  welche  bis  jetzt  dort- 
hin noch  nicht  gelangt  sind. 

Dass  ich  bis  dahin  nach  Königsberg  noch  nicht 
zurückgekehrt  bin,  bitte  ich  nicht  als  Nachlässigkeit  zu 
erklären,  sondern  meinem  kränklichen  Befinden  zuzuschrei- 
ben. So  sehr  hat  mich  dieses  geschwächt  und  fühle  ich 
mich  angegriffen,  dass  ich  das  Haus  nicht  verlasse  und 
beständig  mit  Ärzten  zu  tun  habe  und  Arzneien  gebrauche. 
Möge  E.  F.  G.  mir  aus  diesem  Grunde  Ihr  Wohlwollen 
nicht  entziehen,  sondern  Ihre  Gnade  mir  auch  fernerhin 
bewahren  und  mich  zu  Ihren  treuesten  und  ergebensten 
Dienern  zählen.  Niemals  werde  ich  die  Erwartung  E.  F.  G. 
täuschen,  wenn  auch  vielleicht  von  Missgünstigen  Übles 
über  mich  berichtet  wird;  nie  werde  ich  meinen  Neidern 


! 


Eustachius  Trepka.  119 

in  Treue  und  Aufrichtigkeit  gegen  E.  F.  G.  nachstehen. 
Sobald  ich  durch  Gottes  Gnade  wiederhergestellt  sein 
werde,  werde  ich  nicht  versäumen,  zu  E.  F.  G.  zu  eilen 
und  mich  der  Übersetzung  widmen,  welche  E.  F.  G  be- 
stimmen werden.  Eine  Übersetzung  der  heiligen  Schrift 
würde  E.  F.  G.  den  höchsten  Ruhm  und  nicht  geringen 
Vorteil  bringen;  wider  Erwarten  schnell  könnte  sie  fertig 
gestellt  und  gedruckt  werden,  falls  ich  nur  einen  gelehrten 
Mitarbeiter  hätte.  Aber  ich  dränge  meine  Ansicht  nicht 
auf,  sondern  unterwerfe  mich  dem  Urteil  und  dem  Auf- 
trage E.  F.  G.  und  der  Königsberger  Universität.  Caprinus1) 

I  *)  Über  diesen  Posener  Magister  der  freien  Künste  und  Freund 

1  Trepkas  habe  ich  in  der  Literatur  nirgends  eine  Nachricht  gefunden, 
es  liegt  mir  aber  sein  allerdings  fast  inhaltsloser  Briefwechsel  mit 
Herzog  Albrecht  vor.  Gewiss  ist  er  wie  Gregorius  Paulus  Lehrer 
an  der  Pfarrschule  von  Maria  Magdalena  oder  an  dem  Lubranski'schen 
Gymnasium  gewesen,  das  erst  seit  1562  eine  Statte  der  Gegen- 
reformation wurde.  Als  Trepka  Ende  März  1558  nach  Königsberg 
ging,  empfahl  Caprinus  sich  und  seine  Studien  dem  Herzog  Albrecht 
und   bat    um    eine   Unterstützung.     Durch  Trepka   erhielt  er  (das 

1  herzogliche  Schreiben  ist  Königsberg,  den  aa.  April  datiert)  10  Gulden 
überwiesen.  Am  8.  April  des  folgenden  Jahres  sendet  er  von  Posen 

i  dem  Herzog  sein  polnisch  geschriebenes  Buch  Prognosis,  meldet 
ihm  seinen  Entschluss,  seiner  Studien  wegen  nach  Italien  reisen  zu 
wollen,  und  bittet  um  Empfehlungen  an  fromme  und  gelehrte 
Manner.  Als  am  5.  Mai  Georg  Sabinus  im  Auftrage  des  Kurfürsten 
von  Brandenburg  über  Posen  nach  Königsberg  reiste,  benutzte  Caprinus 
die  Gelegenheit,  eine  erneute  Bitte  an  den  Herzog  zu  richten.  Am 
27.  Mai  antwortet  ihm  dieser,  er  habe  ihm  als  Reisestipendium 
50  Taler  bewilligt,  welche  er  von  dem  Thorner  Kaufmann  Bernhard 
Bolmann  sich  könne  auszahlen  lassen;  Gelehrte  der  freien  Künste 
in  Italien  aber,  denen  er  ihn  empfehlen  könne,  seien  ihm  nicht 
bekannt  Er  möge  ihm  die  nennen,  an  welche  er  Empfehlungsbriefe 
haben  möchte.  Anfang  des  Jahres  1560  muss  Caprinus  geklagt 
haben,  dass  ihm  das  bewilligte  Geld  noch  nicht  ausgezahlt  sei;  denn 
am  28.  Februar  drückt  ihm  Albrecht  deshalb  sein  Bedauern  aus,  er 
habe  an  Bolmann  eine  neue  Anweisung  geschickt  und  sende  ihm 
zur  Reise  nach  Italien,  zur  Fortsetzung  und  Vollendung  seiner 
Studien  seine  Glückwünsche. 

Nachtrag:  Nach  der  Frankfurter  Universitätsmatrikel  (Publi- 
kationen aus  den  Staatsarchiven  Bd.  32)  S.  113  stammte  Caprinus 
aus  Buk.  Er  studierte  in  Krakau,  erwarb  dort  die  Magisterwürde 
und  wandte  sich  dann  nach  Frankfurt  a.  d.  Oder,  wo  er  im  Sommer- 


. 


120  Lic.  Dr.  Theodor  Wotschke. 

hatte  an  £.  F.  G.  seine  Prognostika  gesandt,  an  ihrer 
Übergabe  zweifelt  er  nicht  und  bittet,  dass  ihm  einige 
schon  gedruckte  Exemplare  derselben  geschickt  werden 
und  E.  F.  G.  seine  Arbeit  gnädig  beachten.  Der  edle 
Herr  Stanislaus  Ostrorog  entbietet  E.  F.  G.  seinen  freu- 
digsten Gehorsam  und  verspricht  jeden  Dienst  bei  jed- 
weder Gelegenheit  und  bittet,  seiner  mit  Wohlwollen  und 
Güte  zu  gedenken.  In  der  Förderung  der  Religion  ist 
er  eifrig  und  voll  Ausdauer.  Die  Ermahnungen  E.  F.  G. 
schätzt  er  hoch  und  lässt  sich  nicht  von  jedem  Winde 
der  Lehre  treiben.  Aus  der  Rentkammer  E.  F.  G.  erhalte 
ich  noch  die  Hälfte  meiner  Besoldung,  nämlich  ioo  Mark. 
Ich  bitte  inständig,  sie  meinem  Diener,  den  ich  sende, 
aushändigen  zu  lassen;  durch  Arzneikosten  und  sonstige 
Ausgaben  von  allem  entblösst,  werde  ich  es  als  eine  grosse 
Wohltat  betrachten.  Gott,  den  ewigen  Vater  unseres 
Herrn  und  Erlösers  Jesu  Christi,  bitte  ich  von  ganzem 
Herzen,  dass  dies  neue  Jahr  für  E.  F.  G.  glücklich  und 
segensreich  anbreche  und  daraus  für  die  Kirchen,  die 
Schulen  und  die  grosse  Zahl  der  Armen  und  Landes- 
vertriebenen, die  durch  E.  F.  G.  Güte  unterhalten  werden, 
Segen  fliesse.  Posen,  am  Tage  des  heil.  Andreas  1557.* 
Tatsächlich  ist  auch  die  geplante  Synode  in  Goluchow 
nicht  zustande  gekommen.  Trotz  seiner  Krankheit  hätte 
der  unermüdliche  und  für  seine  kirchlichen  Pläne  zu 
jedem  Opfer  bereite  Laski  sie  wohl  abgehalten,  wenn 
sie  bei  der  ablehnenden  Haltung  der  Lutheraner  — 
Stanislaus  Ostrorog  unternahm,  um  allem  zu  entgehen, 
eine  Badereise  —  nicht  von  vornherein  aussichtslos  er- 
schienen wäre.  Laski  aber  erkannte  die  Bedeutung  des 
Herzogs  Albrecht  für  das  grosspolnische  Luthertum,  dass 
er  ohne  ihn  dieses  zu  sich  herüberzuziehen  nicht  hoffen 
dürfte,  und  suchte  nun  ihn  für  sich  und  seine  reformierten 
Anschauungen  zu  gewinnen.    Seinen  Plan   teilte   er  den 

semester  1550  immatrikuliert  wurde.  Estreicher  führt  in  seiner  Biblio- 
graphie XIV,  53  von  ihm  das  Buch  an:  Iudicium  astrologicum, 
Cracoviae  1542.  Laut  der  Krakau  den  27.  September  1542  datierten. 
Vorrede  ist  es  dem  Bischof  Samuel  Maciejowski  gewidmet. 


Eustachius  Trepka.  121 

ihm  befreundeten  Grosspolen  mit;  mit  Raphael  Leszczynski 
hatte  er  in  Goluchow  am  18.  März  1558  und  in  den 
folgenden  Tagen  eine  persönliche  Besprechung  und  über- 
gab ihm  die  Bekenntnisschrift  der  kleinpolnischen  Ge- 
meinden, damit  er  sie  in  Grosspolen  umlaufen  Hesse  und 
besonders  den  Lutheranern  zur  Annahme  empfehle.  Am 
23.  März  berichtet  er  von  Konin1)  aus,  wo  er  bei  seinem 
Freunde,  dem  Pfarrer  Stanislaus  Lutomirski,  seinem 
späteren  Schwiegersohne,  weilte,  Melanchthon  von  seinem 
Vorhaben  und  bittet  ihn  zugleich  aufs  dringendste,  seine 
Arbeit  zu  unterstützen,  besonders  an  den  Meseritzer 
Castellan  Stanislaus  Ostrorog  zu  schreiben;  denn  viel  ver- 
möge sein  Wort  bei  ihm,  und  alle  Lutheraner9)  Polens 
würden  jenem  Magnaten  folgen8).  Natürlich  war  Laskis 
Unternehmen  nicht  verborgen  geblieben,  vielleicht  auch,  dass 
direkt  Einladungen  zum  Königsberger  Colloquium  ergangen 
waren,  kurz,  in  denselben  Tagen,  da  Laski  von  Goluchow 
aufbrach,  reiste  Trepka  in  Ostrorogs  Auftrag  nach 
Preussen4).  Über  seine  Beteiligung  am  Colloquium  der 
Königsberger  Theologen  mit  Laski  am  14.  April  und 
seiner  Mitarbeit  an  der  Responsio  Ministrorum  in  Ecclesiis 
Prutenicis  ad  scriptum  de  coena  Domini  exhibitum  ipsis 


i)  VergL:  Dalton  Lasciana,  Berlin  1898  S.  361. 

*)  Sie  standen  auch  nnter  dem  Einfluss  der  in  den  Sommer- 
monaten 1557  in  unserer  Provinz  allenthalben  verbreiteten  Schrift 
des  Hamburger  Eiferers  für  die  genuine  lutherische  Abendmähls- 
lehre Joachim  Westphal :  Justa  def ensio  adversus  insignia  mendacia 
Ioaunis  a  Lasco,  quae  in  epistola  ad  Serenissimum  Poloniae  Regem 
contra  Sazonicas  ecclesias  spersit,  cuius  exemplar,  ut  aequus  lector  rei 
veritatem  facilius  quam  ex  antithesi  colligere  possit,  Westphali  scripta 
sub  finem  adiecimus.    Argentorati  1557. 

*)  Ob  Melanchthon  der  Bitte  nachgekommen  sein  mag,  weiss 
ich  nicht  Für  die  Geschichte  unserer  evangelischen  Provinzial- 
fcirche  ist  es  tief  zu  bedauern,  dass  von  dem  Briefwechsel  Me- 
lanchthons  mit  Stanislaus  Ostrorog  noch  nichts  aufgefunden  bezw. 
veröffentlicht  worden  ist  Wie  wir  aus  gleichzeitigen  Nachrichten 
entnehmen,  behandelt  er  wichtige  Fragen  der  Kirchenordnung  und 
unterrichtet  über  die  weite  Verbreitung  des  Angsburgischen  Be- 
kenntnisses in  Polen. 

4)  Sein  Credenzbrief  ist  Gratz,  den  21.  März  datiert 


122  Lic.  Dr.  Theodor  Wotschkc. 

a  Reverendo  et  Maghifico  viro  D.  I.  a  Lasco  die  XV 
Aprilis  1558 l)  habe  ich  nichts  ermitteln  können.  Jeden- 
falls war  Trepka,  als  er  sieben  Tage  nach  Laski  Königsberg 
verliess,  im  Besitze  dieser  responsio.  Ausserdem  führte 
er  mit  sich  die  Antwort,  welche  der  Herzog  auf  die 
Laskische  Denkschrift  über  die  Förderung  der  Re- 
formation in  Polen  erteilt  hatte.  Das  überreichte  pol* 
nische  Bekenntnis,  das  zur  weiteren  Prüfung  erst  an 
deutsche  Theologen  gesandt  werden  müsse,  würde  viele 
neue  Streitigkeiten  erregen,  könne  auch  zu  dem  bevor- 
stehenden Reichstage  noch  nicht  aus  Deutschland  zurück 
sein«  Das  beste  und  allein  richtige  sei  die  Annahme  der 
Augsburger  Confession,  die  von  den  Päpstlern  oft  be- 
stritten, aber  noch  nie  widerlegt  sei.  Er  müsse  dies  zur 
Vorbedingung  weiterer  Unterstützungen  machen,  werde 
auch  nur  in  diesem  Falle  seine  Theologen  nach  Posen 
zum  Colloquium  senden,  da  sonst  ihre  Beteiligung  ganz 
nutzlos  wäre.  Um  des  lieben  Friedens  willen  und  infolge 
der  Hochachtung  und  Wertschätzung,  deren  sich  trotz 
der  Verschiedenheit  der  religiösen  Anschauungen  Laski 
beim  Herzoge  erfreute,  wollte  dieser  anfänglich  seine 
zurückweisende  Antwort  nicht  in  weitere  Kreise  dringen 
lassen  und  befahl  seinen  Räten,  sie  geheim  zu  halten. 
Da  kam  die  Kunde  nach  Königsberg,  Laski  habe  in 
Danzig  das  Gerücht  verbreitet,  er  habe  mit  dem  Herzoge 
eine  Einigung  erzielt  und  ihn  für  seine  Sakramentslehre 
gewonnen,  auch  Briefe  dieses  Inhalts  an  den  Fürsten 
Nikolaus  Radziwill  und  den  Krakauer  Burggrafen  Bonar 
gesandt  Zur  Berichtigung  dieses  irreführenden  Gerüchts 
liess  der  Herzog  jetzt  Trepka  ein  Exemplar  seiner 
Antwort  einhändigen,  jedoch  mit  dem  Auftrage,  sie 
keinem  grösseren  Kreise  zugänglich  zu  machen. 


*)  Die  angünstige  Meinung,  die  Dalton  von  allen  Gegnern 
Laskis  hegt,  lftsst  ihn  vermuten,  dass  dessen  Lehrschreiben  über 
das  heilige  Abendmahl  von  den  preussischen  Theologen  unerwidert 
und  unwiderlegt  geblieben  sei.  Die  Antwort  findet  sich  im  Königs- 
berger und  Herrnhuter  Archiv. 


Enstachius  Trepka.  123 

Trotz   des   Königsberger  Misserfolges  gab  Laski  es 
nicht  auf,    die  grosspolnischen  Lutheraner  zur  Annahme 
seines   Bekenntnisses    zu  bewegen.    Vielleicht  hoffte  er„ 
durch  die  Überlegenheit  seines  Geistes  die  Posener  Pre- 
diger   leichter    zu    seiner  Ansicht  zu    bekehren    als    die 
preussischen  Professoren,  vielleicht  auch  dass  sein  Bekennt- 
nis, welches  seit  Ende  März  in  unserer  Provinz  kursierte,. 
manche  Zustimmung  gefunden  hatte.    An  welchem  Tage 
des  Mai  das  Colloquium  in  Posen  gehalten  wurde,  verraten 
die  Quellen  nicht;   jedenfalls  sah  Trepka,  durch  Laskis 
Dialektik  in  die  Enge  getrieben   sich  veranlasst,   auf  die 
Responsio     der    preussischen    Theologen    und    Herzog 
Albrechts   Antwort    auf   die  Denkschrift  zurückzugreifen,. 
seinen    Gegner    als   von   den   Königsberger  Professoren 
widerlegt  und   von  dem  Herzoge  zurückgewiesen  hinzu- 
stellen.   In  mehreren    Exemplaren    Hess    er    die    beiden 
Schriften  unter  den  polnisch-evangelischen  Magnaten  umlau- 
fen.    Laski  sah   sein  Unternehmen  gescheitert1)  und  zog 
sich  enttäuscht,   dazu   von   seinem    alten  Leiden  gequält^ 
nach  Lenschitz  zurück.    Von  hier  schrieb  er  am  1.  Juni 
an    den    Herzog  und    beklagte    sich  bitter  über  Trepka 
und    sein    Vorgehen.    In   Insterburg    erreichte  der  Brief 
den  Fürsten,  der  darauf  am  26.  Juni  folgendes  unwillige 
Schreiben  an  Trepka  sandte:     „Der   hochwürdige   Herr 
Joh.  a  Lasko  hat  in  diesen  Tagen  an  uns  geschrieben  und 
uns  mitgeteilt,  dass  über  20  Exemplare  unserer  Antwort 
auf    die   Denkschrift,   welche   er    uns  neulich  in  Königs- 
berg überreicht  hat,  in  Posen  verbreitet  seien.     Da  wir 
niemandem  dieses  Ortes  unsere  Antwort  übergeben  haben 
als  dir,  so  vermuten  wir,  dass  sie  von  dir  ausgegangen  sind. 
Dass  du  in  dieser  Angelegenheit  nicht  klüger  und   vor- 
sichtiger  gehandelt  hast,  wundert    uns  sehr,  zumal  wir 
nur   unter   dieser   Bedingung  dir   ein   Exemplar   unserer 


l)  Vergcr  berichtet  am  5.  August  von  Tübingen  aus  dem 
Herzog  Christoph:  Ex  Polonia  habeo  literas  nempe  ab  ipsomet 
d.  Stanislao  Ostrorogo,  qui  scribit  dominum  a  Lascho  fuisse  in 
maiori  Polonia  et  fere  nihil  obtinuisse,  tantum  seruisse  discordiam- 
Schott  und  Kausler:  Briefwechsel  S.  181. 


124  Uc-  Dr.  Theodor  Wotschke. 

Antwort  eingehändigt  haben,  dass  sie  nicht  weit  und 
breit  unter  die  Leute  komme.  Du  wirst  dafür  sorgen, 
dass  unsere  Antwort  wie  die  Schrift  unserer  Theologen 
nicht  noch  anderen  in  die  Hände  gelangen."  Dieser 
herzogliche  Brief  kreuzte  sich  mit  folgendem  Berichte 
des  Posener  Theologen  vom  29.  Juni:  „E.  F.  G.  fromme, 
kluge  und  massvolle  Antwort,  welche  Laski  bei  seinem 
Fortgang  aus  Königsberg  erhielt,  haben  hier  alle  die 
Unsrigen  gut  geheissen,  auch  mit  grosser  Freude  gelesen 
und  ihre  Entschlüsse  nach  derselben  gerichtet  Ausserdem 
billigen  sie  die  Schrift  der  Theologen  E.  F.  G.,  durch 
welche  die  Argumente  Laskis  in  der  Abendmahlslehre 
glücklich  und  einfach  zurückgewiesen  werden.  Nichts- 
destoweniger fordert  Laski  den  Zwinglianismus  und  hat 
in  unserer  Sprache  ein  Bekenntnis  herausgegeben,  das 
ganz  den  Züricher  und  Genfer  Geist  atmet  Infolgedessen 
ist  grössere  Feindschaft,  Streit  und  Zwietracht  und  Meinungs- 
verschiedenheit unter  unseren  Pastoren  und  Theologen  aus- 
gebrochen, der  Fortschritt  des  Evangeliumus  wird  gehindert, 
grösseren  Hass  gegen  das  Evangelium  bekunden  die 
Gegner,  freuen  sich  und  verachten  uns* *).  Und  als  Trepka 
den  herzoglichen  Brief  erhalten  hatte,  antwortete  er  am 
6.  August:  »Herr  von  Laski  wagt  zu  behaupten,  dass 
hier  mehr  als  20  Exemplare  der  Antwort  verbreitet  und 
unter  die  Leute  gekommen  seien,  während  doch  nur  die 
Bekenner  der  Augsburger  Konfession,  nämlich  die  Gorka, 
Stanislaus    Ostrorog,    Kaczkowski2)    und    einige   Diener 


1)  Weiterhin  berichtet  er  im  Briefe  von  dem  Wirken  des 
kurbrandenburgischen  Gesandten  Georg  Sabinus  und  des  preussischen 
geheimen  Agenten  Horatius  Curio  im  Interesse  der  Mitbelehnung 
Joachims  II.  mit  Preussen.  Vergl.  hierzu  Paul  Karge:  ,  Kurbrandenburg 
und  Polen.  Die  polnische  Nachfolge  and  preassische  Mitbelehnung 
154S— 63*,  in  den  Forschungen  zur  Brandenburgischen  und  Preussichen 
Geschichte.    XI.  8. 103  ff. 

2)  Es  ist  Kaspar  Kaczkowski,  Andreas  Gorkas  Feldhauptmann, 
der  treue  Anhänger  der  Reformation,  der  in  den  Sommermonaten 
1546  in  unserer  Provinz  Hilfstruppen  sammelte,  um  sie  den  deutschen 
protestantischen  Fürsten  in  ihrem  Kampfe  wider  Karl  V.  zuzufahren. 
Nach  Andreas  Gorkas  Tode  1551  ward  er  Vormund  der  drei  jungen 


Enstachins  Trepka.  125 

E.  F.  G.  sie  gesehen,  gelesen  und  mit  grosser  Freude 
begrüsst  und  die  Widerlegung  der  Sakramentslehre  Laskis 
gebilligt  haben.  Aber  veröffentlicht  ist  sie  nicht  worden, 
denn  ich  beachte  aufs  strengste  E.  F.  G.  Aufträge.  Ent- 
weder hat  Herr  von  Laski  in  Hyperbeln  gesprochen,  oder 
ich  habe  gegen  meinen  Auftrag  gehandelt;  in  diesem  Falle 
entziehe  ich  mich  keiner  Strafe,  im  anderen  bitte  ich  E.  F.  G. 
füssfällig,  mich  nicht  ohne  Verhör  der  Unvorsichtigkeit 
und  des  Vertrauensbruchs  schuldig  zu  erachten.  Falls 
meinem  Briefe  nicht  wie  dem  Laskis  Glauben  beigemessen 
wird,  will  ich  mich  in  Königsberg  rechtfertigen,  wenn 
El  F.  G.  es  befehlen.  Wohl  wäre  es  von  dem  höchsten 
Werte  gewesen,  E  F.  G.  Antwort  wie  auch  die  Schrift 
der  Theologen  über  das  heil.  Abendmahl  zu  veröffentlichen,, 
zumal  hier  bei  uns,  da  einige  von  den  Anhängern  Laskis 
viele  zu  überreden  suchen,  sie  hätten  E.  F.  G.  als  An- 
hänger und  Förderer  ihrer  Ansicht  u.  s.  w." 

Der  Streit  mit  Laski  hat  Trepkas  literarischer 
Tätigkeit  keinen  Eintrag  tun  können.  Schon  im  Winter 
1557/58  sehen  wir  einige  polemische  Schriften  des  ehe- 
maligen Kapuziner-Generals  Bernardino  Ochino  in  seinen 
Händen,  und  im  Sommer  ist  er  mit  ihrer  Obersetzung  und 
Drucklegung  beschäftigt  Wir  sind  überrascht,  in  den 
Händen  des  Posener  Theologen  die  Bücher  eines  so 
fernwohnenden  Mannes  zu  finden.  Die  italienischen  Ein- 
flüsse beschränkten  sich  doch  auf  Kleinpolen  und  waren  in 
Posen  wenig  zu  spüren.  Ich  vermutete  anfänglich,  dass 
Trepka  auch  diese  Schriften  von  den  preussischen  Theo- 
logen empfangen  habe,  zumal  der  Königsberger  Hofprediger 
Funk  die  Obersetzung  einer  Predigt  Ochinos  der  Herzogin 

Grafen  und  Hess  als  solcher  am  7.  Juli  1553  einen  Schuldbrief  des 
Kurfürsten  von  Brandenburg  Joachim  II.  über  45000  Taler  in  das 
Posener  Stadtbuch  eintragen.  Ihm  und  seinen  beiden  Brüdern  hat 
Andreas  Trzycieski  in  dem  Ruhmeskranze,  den  er  in  seiner  Elegie 
den  evangelischen  Geschlechtern  Polens  geflochten,  ein  ehrenvolles- 
Blatt  gewidmet: 

Atque  adeo  iuvenum  GORCANA  est  quisquis  in  aula, 
Quae  semper  magnis  splendet  adaueta  bonis, 

Sic  et  KACKOVÜ  Martis  tria  fulmina  fratres. 


196  Lic.  Dr.  Theodor  Wotschke. 

Anna  Maria  gewidmet  hat.  Allein  eine  andere  Erklärung 
liegt  viel  näher.  Seit  Anfang  August  1557  weilte  der 
ehemalige  Minoritenprovinziai  von  Polen  und  Beicht- 
vater der  Königin  Bona  Francesco  Lismanino  in  unserer 
Provinz,  wo  er  in  Tomice  (unfern  Buk,  Kreis  Posen-West) 
bei  Johann  Toraicki  eine  Zufluchtsstätte  gefunden  hatte. 
Stanislaus  Ostrorog  bot  dem  um  des  Evangeliums  willen 
Geächteten  auf  seinen  Gütern  eine  Wohnung  an,  doch 
«r  zog  es  vor,  in  Tomice  zu  bleiben1).  Natürlich  ist  er 
aber  trotzdem  des  öfteren  mit  Stanislaus  Ostrorog  und 
Trepka  zusammengekommen,  ja  als  Trepka  Ende  März 
nach  Preussen  zog,  nahm  er  einen  Brief  Lismaninos  nach 
Königsberg  mit,  und  Ostrorog  empfahl  ihn  der  Gunst  des 
Herzogs.  Lismanino  aber  stand  in  enger  Verbindung  mit 
Ochino.  Als  er  Sommer  1555  in  Zürich  weilte,  hatte  er 
ihn  näher  kennen  gelernt,  Ochinos  „Prediche*  sollen  ihn 
nach  einer  Nachricht  sogar  zum  endgültigen  Bruche  mit 
.Rom  geführt  haben8).  Nach  seiner  Rückkehr  nach  Polen 
blieb  er  im  Briefwechsel  mit  dem  hochberühmten  Italiener, 
und  unter  dem  28.  November  1555  widmete  dieser  ihm 
sogar  seinen  „Dialogo  dei  Purgatorio."  Gewiss  wird  Trepka 
-durch  Lismanino  die  verschiedensten  Schriften  Ochinos 
«erhalten  haben;  welche  unter  ihnen  konnte  aber  grösseren 
Eindruck  auf  ihn  machen  als  die  Tragödie  oder  der  Dialog 
von  der  angemassten  Herrschaft  des  Bischofs  zu  Rom? 
„Sie  ist*1,  sagt  der  Biograph  Ochinos,  „eine  polemische 
Schrift  gegen  das  Papsttum,  so  wuchtig  und  so  in  sich 
geschlossen,  dabei  so  meisterhaft  in  der  Anlage  und  so 
vorzüglich    in    der    Ausführung,    dass    sie    den    hervor- 


1)  Vcrgl.  den  Brief  Joh.  Tomickis  an  Cerwenka,  Tomice,  den 
11.  September  1557  datiert,  bei  Gindely:  Geschichte  der  böhmischen 
Brüder  I,  S.  590. 

2)  Lismanino,  der  am  ag.  Dezember  1556  Georg  Israel  in  Iwa- 
nowice seine  Bekehrungsgeschichte  erzählte,  erwähnt  freilich  Ochino 
nicht.  Die  heimliche  Lektüre  der  Schriften  Luthers  hätte  ihm  die 
Irrlehren  Roms  gezeigt,  noch  klarer  habe  er  sie  aus  Calvins  In- 
stitutionen erkannt,  aber  erst  das  Bekenntnis  der  böhmischen  Brüder 
habe  ihn  aus  dem  Kloster  getrieben. 


Eustachius  Trepka.  127 

ragendsten  Erzeugnissen  der  deutschen  Reformations- 
literatur ebenbürtig  zur  Seite  tritt  Der  Eingang  des 
ersten  Gespräches  ist  dramatisch  grossartig  und  erinnert 
an  Hiob  und  Faust  Lucifer  hat  seine  lieben  treuen 
Brüder  in  der  Holle  versammelt  Obwohl  ich  weiss,  redet 
er  sie  an,  dass  eure  Arbeit  in  der  Welt  schwierig  und 
wichtig  ist,  so  habe  ich  euch  doch  hierher  berufen,  um 
euch  eine  bedeutungsvolle  Mitteilung  zu  machen.  Ihr 
wisst,  wie  Gott,  unser  Feind,  es  uns  unmöglich  zu  machen 
sucht,  die  Menschen  zu  beherrschen;  ihr  wisst,  dass  er 
sogar  seinen  Sohn  in  die  Welt  gesandt,  um  unser  Reich 
zu  zerstören.  So  will  ich  denn  auch  meinen  Sohn  in  die 
Welt  senden,  auf  dass  die  Menschen  mit  List  bezwungen 
werden.  Er  soll  ein  neues  Reich  errichten,  ein  Reich  des 
Aberglaubens  und  des  Götzendienstes,  des  Irrtums  und 
der  Falschheit,  kurz  ein  Reich,  in  welchem  alle  Schlechtig- 
keiten geschehen,  —  und  doch  sollen  die  Christen  glauben, 
dass  es  ein  geistliches  Reich  sei,  heilig  und  gut" 1). 

Der  Druck  dieser  scharf  polemischen  Schrift  brauchte 
nicht  mehr  in  Königsberg  zu  erfolgen.  Der  Böhme  Au- 
gezdecki,  der  Seklucyans  spätere  polnische  Schriften  zu 
drucken  pflegte  und  auch,  wie  wir  sahen,  Trepkas  Über- 
setzung der  Christlichen  Kinderlehre  Juan  de  Valdes  her- 
ausgegeben hatte,  muss  Ende  1556  oder  Anfang  1557 
mit  seiner  vorzüglichen  Druckerei  Königsberg  verlassen 
haben  und  nach  Mähren  zurückgezogen  sein.  Sommer 
1558  druckte  er  in  Prossnitz  die  Erklärung  der  Brüder 
gegen  Adalbert  von  Pernstein.  Da  er  aber  in  den  Län- 
dern Kaiser  Ferdinands  sich  nicht  sicher  fühlte,  begab 
er  sich  noch  in  demselben  Sommer  nach  Posen,  wo  ihn 
Lucas  Gorka  freundlich  aufnahm,  ihn  in  seine  Dienste 
zog8)  und  in  seinem  Schlosse  zu  Samter  seine  Druckerei 


*)  K.  Benrath:  Bemardino  Ochino  von  Siena.  Leipzig  1875. 
S.  217  ff. 

*)  »Typographus  meus,  quem  in  arce  alui  et  alo  hodie  adhuc" 
schreibt  von  ihm  Lucas  Gorka  in  einem  Samter,  Pfingsten  1561  da- 
tierten Briefe  an  den  Senior  der  hämischen  Brüder  Joh.  Cerny,  und 


laß  Lic.  Dr.  Theodor  Wötschkc. 

aufstellen  lies«.  Als  Graf  Andreas  Gorka  seine  Hochzeit 
feierte,  druckte  Augezdeclri  am  20.  Oktober  hier  das 
Hochzeitsgedicht  Die  durch  ihn  veröffentlichte  polnische 
Obersetzung  Trepkas  hat  den  Titel:  fimwrbhm  ©kina 
*  £esti  rntia  barbp  urptugo  i  farogo-  ©  fttirrfdjnoirf  pa- 
»tfshfef  trab  toff^itbint  toiatem  kr^firimtskhm  trageWa 
knotodrtoibta  sumM  krjfsdcmshW  barfcp  potrfebttft  papfefkie 
fallt  okafttfqcei  t  bnrjqcei  petita.  *  Sjamütarfai^  1558  in  801). 
Gewidmet  hat  Trepka  diese  Arbeit  dem  Hort  des  Evan- 
geliums In  Lithauen,  dem  edlen  Nikolaus  RadziwilL 

Noch  eine  andere  Schrift  Ochinos  hat  Trepka  im 
Spätsommer  1558  übersetzt,  die  gleichfalls  Nikolaus 
Radziwill  gewidmet  ist,  die  aber  erst  zwei  Jahre  nach  seinem 
Tode  1560  in  Pinczow  erschien,  unter  dem  Titel  Vroiefopr 
0  Jtofttr  (Tragödie  von  der  Messe).  Ich  kenne  das  Buch 
nicht,  finde  auch  unter  den  Werken  Ochinos  keine  Schrift 
dieses  Titels.  Vermutlich  hat  Trepka  den  zweiten  Teil 
der  Dispute  di  M.  Bernardino  Ochino  da  Siena  intorno 
alla  presenza  del  Corpo  di  Giesu  Christo  nel  Sacramento 
della  Cena,  der  sechs  Abhandlungen  gegen  die  Messe 
enthält,  polnisch  herausgegeben.  Den  Sätzen,  welche 
Benrath  S.  279  als  Probe  mitteilt9),   entspricht  ganz  der 


Angezdecki  nennt  in  einer  dem  böhmischen  Kanzional  vom  Jahre 
1561  beigedruckten  Zuschrift  den  Grafen  seinen  gnädigen  Herrn 
und  Wohltäter,  der  ihn  mit  seinen  Geholfen  und  seinem  Gesinde 
treulich  versorgt  habe.  Wahrscheinlich  1564  nach  dem  Tode  Kaiser 
Ferdinands  hat  Angezdecki  Samter  verlassen  and  ist  nach  seiner  ahen 
Heimat  Leitomischl  zurückgekehrt 

*)  Bernhard  Ochin  von  Siena,  der  hochgelehrte  und  würdige 
Mann:  Von  der  päpstlichen  Herrschaft  über  die  ganze  christliche 
Welt.  Eine  interessante  Tragödie  der  christlichen  Lehre  sehr  not- 
wendig, um  die  päpstliche  Lüge  darzutun  und  zu  zerstören. 
Samter  1558.  Ich  kenne  leider  nur  den  Titel  dieses  Buches,  das  als 
Unicum  in  der  Krasinskischen  Bibliothek  zu  Warschau  sich  befindet, 
und  vermag  deshalb  nicht  zu  sagen,  ob  und  inwieweit  Trepka  die 
Tragödie,  die  auf  englische  Verhältnisse  im  7.,  8.  und  9.  Gespräche 
Bezug  nimmt,  modifiziert  haben  mag. 

*)  „Kaum  ist  die  Messe  aus  satanischem  Samen  und  aus  dem 
Schosse  der  römischen  Kirche  geboren,   so  stellt  ein  Astrolog  ihr 


Eustachius  Trcpka.  129 

Titel  „&ratt)tya  0  JUjnj".  Wahrscheinlich  hat  Lelio  So- 
zini,  der  Sommer  1558  von  Zürich  nach  Polen  reiste, 
das  Manuskript  oder  Buch  der  Abhandlung  Ochinos 
Lismanino  und  Trepka  überbracht1). 

Das  Auftreten  Laslris  in  Grosspolen  und  die  Zu- 
stimmung, die  sein  Glaubensbekenntnis  selbst  bei  einem 
Teile  der  Lutheraner  gefunden  hatte,  zeigte  die  Notwendig- 
keit eines  engeren  Zusammenschlusses  der  einzelnen 
Gemeinden  und  einer  festen  Organisierung  der  lutherischen 
Kirche;  vor  allem  musste  endlich  auch  bezüglich  der 
Ceremonien  und  der  Formen  des  Gottesdienste?  eine 
Ordnung  getroffen  werden.  Man  erkannte  die  Notwendig- 
keit, der  Mahnung  zu  folgen,  die  Melanchthon  im  ver- 
gangenen Jahre  in  seinem  Briefe  an  die  Grafen  Gorka 
ausgesprochen  hatte:  „Ich  wünschte,  dass  fromme  und 
einsichtsvolle  Männer  bezüglich  der  Ceremonien  sich  be- 
rieten und  nicht  anstössige  oder  lächerliche  auswählten, 
in  einer  und  derselben  Gegend  keine  grosse  Verschieden- 
heit der  Riten  herrschen  Hessen  und  über  ihre  Bedeutung 
das  Volk  belehrten,  damit  nicht  die  Meinung  von  der 
Heilsnotwendigkeit  der  Ceremonien  fortbestehe."  Am  12. 
und  13.  September  traten  in  Posen  unter  dem  Vorsitz  des 
Stanislaus  Ostrorog  viele   lutherische   Magnaten  und  (20 


die  Nativität.  Sie  wird  mehr  einnehmen  an  Geld  und  Kostbarkeiten, 
als  alle  Fürsten  der  Erde  zusammengenommen,  und  wenn  sie  nicht 
zahllose  Faulenzer  zu  ernähren  hätte,  so  würde  sie  bald  alle  Schätze 
der  Erde  ansammeln.  Sie  wird  den  Ruhm  aller  andern  mensch- 
lichen Einrichtungen  verdunkeln,  ja  selbst  den  Ruhm  des  Evan- 
geliums und  des  Reiches  Christi.  Aber  ihr  Ende  wird  ein  jämmer- 
liches sein,  und  ihr  Tod  wird  mit  dem  Untergange  des  ganzen 
Papsttums  zusammenfallen.  • 

x)  Ich  habe  mich  hier  J.  Lukaszewicz  angeschlossen,  der  in 
seiner  Geschichte  der  reformierten  Kirchen  in  Lithauen  S.  9  Anm.  9 
die  Tragödie  von  der  Messe  von  Trepka  übersetzt  und  von  ihm  dem 
Fürsten  Radziwill  gewidmet  sein  lässt  Nachträglich  finde  ich  bei 
Jocher:  Obraz  my  N  9759  den  vollständigen  Titel  des  Buches  und 
einen  Teil  der  Vorrede  abgedruckt  Demnach  ist  die  Übersetzung 
von  Lismanino  herausgegeben  und  von  diesem  dem  Fürsten 
Radziwill  gewidmet. 

Zeitschrift  der  Hisl.  Ges.  für  die  Pror.  Posen.    Jahrg.  XVIII.  9 


130  Lic.  Dr.  Theodor  Wotschke. 

polnisch  sprechende?)  Pastoren  zu  einer  Synode  zusammen. 
Zuerst  ward  über  ein  Glaubensbekenntnis  verhandelt.  Einige 
Geistliche,  vor  allem  wohl  der  Meseritzer  Petrus  Lanzki1) 
und  der  Kurniker  Martin  Czechowicz,  neigten  sich  Calvin 
und  Laski  zu,  aber  den  Beweisgründen  der  Königsberger 
Theologen  gegen  die  reformierte  Abendmahlslehre,  mit 
weichen  Trepka  gegen  sie  argumentierte,  konnten  sie  sich 
nicht  entziehen,  und  schliesslich  ward  einstimmig  und 
feierlich  die  Augsburger  Konfession  als  Glaubensbekenntnis 
angenommen.  Dann  schritt  man  zur  Beratung  über  eine 
Kirchenordnung.  Man  erkannte  die  Notwendigkeit  einer 
einheitlichen  Form  des  Gottesdienstes  und  einer  Gleich- 
heit der  Ceremonien  in  den  verschiedenen  Gemeinden, 
und  dass  die  neue  Kirchen-Ordnung  zugleich  in  deutscher 
und  polnischer  Sprache  herausgegeben  werden  müsste, 
aber  zu  einer  wirklichen  Verständigung  über  einzelne 
Fragen  kam  es  nicht.  Da  lenkte  Trepka  das  Augenmerk 
der  Synode  auf  die  Kirchen-Ordnung,  an  welcher  man 
damals  in  Preussen  arbeitete,  und  deren  Entwurf  von  den 
Theologen  zu  Wittenberg,  Tübingen  und  Strassburg 
bereits  für  christlich,  der  heiligen  Schrift  und  der  Augs- 
burgischen Konfession  gemäss  erklärt  war.  Auch  von 
dem  Segen  einer  engen  Verbindung  der  grosspolnischen 
Kirche  mit  der  preussischen  sprach  er.  Seine  Aus- 
führungen fanden  Anklang;  man  beschloss,  die  Einführung 
der  preussischen  Kirchen-Ordnung  in  Aussicht  zu  nehmen 
und  den  Herzog  Albrecht  um  Übersendung  besonders 
polnischer    Exemplare    derselben    zu    bitten.    Nach    Be- 


*)  Trotz  seines  Studiums  an  der  lutherischen  Universität 
Frankfurt  a.  d.  Oder  im  Jahre  1542  war  Lanzki  in  Kleinpolcn  ein 
entschiedener  Anhänger  Calvins  geworden.  In  Meseritz  setzte  ihn 
noch  der  Starost  Nicolaus  Myskowski  neben  den  beiden  lutherisch 
gerichteten  Predigern  Fcchner  und  Träger  zum  Stadtpfarrer  ein. 
Sein  reformiertes  Bekenntnis  brachte  ihn  bald  in  Gegensatz  zu 
seiner  lutherischen  Gemeinde  und  er  sah  sich  Anfang  des  Jahres 
1560  veranlasst,  sein  Amt  aufzugeben  und  durch  Stanisiaus  Ostrorogs 
Vermittlung  Johann  Caper  als  seinen  Nachfolger  einzusetzen.  Ver- 
dienste hat  sich  Lanzki  in  Meseritz  um  die  Schule  erworben. 


Eustachins  Trepka.  131 

endigung  der  Synode  am  14.  September  schrieb  ihr  Vor- 
sitzender, am  folgenden  Tage  auch  Trepka  an  den 
Herzog 1). 

Am  6.  Oktober  schickte  er  im  Auftrage  Ostrorogs 
Herzog  Albrecht  einen  Brief  des  Vergerius  aus  Tübingen 
und  berichtete  über  eine  der  Reformation  freundliche 
Äusserung  des  Krakauer  Bischofs.  Es  sollte  sein  letzter 
Brief  sein.  Schon  im  Herbst  des  vergangenen  Jahres  war  er 
fort  und  fort  kränklich  gewesen.  Die  vielen  Reisen  scheinen 
seine  Kräfte  aufgerieben  zu  haben.  Nachdem  er  einige 
Tage  über  Schmerzen  in  der  Seite  geklagt  hatte,  machte 
am  17.  Oktober  ein  Schlaganfall  seinem  tätigen,  arbeits- 
reichen Leben  ein  Ende.  Trauernd  standen  die  Witwe 
und  fünf  unerzogene  Kinder  an  dem  Totenbette  ihres  Er- 
nährers, die  evangelischen  Bürger  Posens  an  der  Bahre 
ihres  treuen  Pastors.  In  die  Vorbereitungen  zur  Hoch- 
zeitsfeier des  Grafen  Andreas  Gorka  fiel  mit  der  Trauer- 
kunde ein  düsterer  Schatten.  Tief  war  der  Eindruck,  den 
sie  in  der  ganzen  Stadt  machte  und  den  der  Brief  des 
Niger  deutlich  wiederspiegelt;  auf  der  einen  Seite  die 
dumpfe  Trauer  der  evangelischen  Gemeinde,  die  sich 
ihres  selbstlosen,  hochbegabten  Predigers  beraubt  sah,  auf 
der  anderen  die  triumphierende  Freude  der  Gegner,  die 
in  dem  plötzlichen  Tode  ein  Gottesurteil  erblickten  und 
das  Ende  der  Reformation  in  Posen  herbeigekommen 
wähnten.  Am  19.  Oktober  erhielt  Stanislaus  Ostrorog  in 
Birnbaum  die  Todesnachricht.  Noch  an  demselben  Tage 
schreibt  er  nach  Königsberg  und   bittet  den  Herzog  um 


x)  Hier  sei  noch  mitgeteilt,  dass  der  Protest  der  preussischen 
Stände  gegen  die  osiandrisch  gescholtene  Kirchen-Ordnung  vom 
Jahre  1558  und  die  kirchlichen  Wirren  inPreussen  die  Übertragung 
der  Kirchen-Ordnung  ins  Polnische  und  ihre  Drucklegung  verzögerten. 
Erst  am  14.  August  1560  konnte  Herzog  Albrecht  Stanislaus  Ostrorogs 
Bitte  erfüllen.  Das  Buch,  das  er  ihm  sandte,  trug  den  Titel:  Uftawa 
olbo  porptf  fiosttelmj,  ioko  fc  w  Xtejhvf*  Vruöktm  0  noucjantetn  n  cere- 
vumiamf,  9  0  tmtemi  rjeqaml  ktore  ku  pomnof\txda  tj  farijowanta  nrjejm 
^Laftwb^itqMeqo,  n  porjabhu  fcobregü  sotqetme  jadjoroana  fnotou  pqeijqatnj 
9  na  tarofc*  nny&amj.  ttoku  nur.  flan,  M.  D.  LX.  Hinten  JOrahonxmo  tu 
foolnoca  ytauhtm  u  Sana  JDanbmana  lt.  P-  1560. 

9* 


132  Lic.  Dr.  Theodor  Wotschke. 

Aufträge,  falls  er  aus  dem  Nachlass  Trepkas  etwaige 
Geheimpapiere  zurück  haben  wolle1),  dann  eilt  er  zum 
Begräbnis  nach  Posen.  Gern  hätten  die  Grafen  Gorka 
ihren  heimgegangenen  Lehrer  und  Seelsorger  in  ihrer 
Familiengruft  im  Dom  beisetzen  lassen;  da  es  nicht 
möglich  war,  erbat  sich  Stanislaus  Ostrorog  den  Leichnam, 
und  in  der  Grätzer  Pfarrkirche  ward  er  zur  letzten  Ruhe 
bestattet 

Ob  Trepka  eine  offizielle  Stellung  an  der  Spitze 
unserer  Kirche  gehabt,  etwa  das  Amt  eines  Seniors  der 
grosspolnischen  lutherischen  Kirche  bekleidet  hat  wie  der 
Meseritzer  Johann  Caper  im  sechsten  Jahrzehnt  des  Re- 
formationsjahrhunderts, vermag  ich  nicht  zu  sagen,  jeden- 
falls ist  er  aber  seiner  Zeit  der  einflussreichste  und  be- 
deutendste, der  gelehrteste  und  kenntnisreichste  evan- 
gelische Pastor  unserer  Provinz  gewesen,  dem  nicht  ein- 
mal ein  Georg  Israel  von  der  böhmischen  Brüdergemeinde 
als  ebenbürtig  zur  Seite  gestellt  werden  kann.  Nur  die 
Gleichgültigkeit  unserer  Provinzialkirche  gegen  ihre 
eigene  Geschichte  hat  ihn  so  ganz  der  Vergessenheit 
anheimfallen  lassen,  während  er  es  verdient,  als  einer 
ihrer  Väter  gewürdigt  zu  werden.  In  ihrem  Mangel  an 
jeglichem  historischen  Sinn  hat  sie  die  Zeit  fast  jede 
Spur  ihrer  ältesten  Geschichte  verwischen  lassen  und  es 
dadurch  verschuldet,  dass  die  vorliegende  Biographie  von 
allem,  was  der  Verbindung  Trepkas  mit  Königsberg  fern 
steht,  fast  nichts  zu  berichten  weiss.  Sein  seelsorgerisches 
Wirken  in  Posen,  seine  Bemühung  um  den  Aufbau  seiner 
Gemeinde,  sein  Bestreben,  durch  Synoden  die  einzelnen 
lutherischen  Gemeinden  Grosspolens  zu  sammeln,  sein 
Briefwechsel   und  Gedankenaustausch   mit  evangelischen 


l)  Non  sine  magno  animi  dolore  111™»«  V*"*  Cefrem  certiorem 
facio,  pium  et  ernditum  virum  Eustachium  Trepkam  diem  sunm  obiisse 
idque  repentino.  Ut  autem  eius  mors  omnibus  piis  magnum  dolorem, 
ita  hostibuß  Evangelii  summam  laetitiam  et  voluptatem  attulit. 
Hoc  111«»»«  V»*e  Celni  pro  meo  officio  significandum  duxi,  ut  si  vel 
literarum  et  aliarum  rcrum  111«*«  V»*  Cel«"«  penes  ipsum  fuisset^ 
repeti  curaret  etc. 


Eustachis  Trepka.  I33 

Theologen  Deutschlands  und  Polens  wird  wohl  nie  mehr 
-näher  erschlossen  werden  können. 

In  treuer  Fürsorge  nahm  sich  Herzog  Albrecht  der 
armen  Witwe  und  ihrer  Kinder  an.  Gelegendich  hören 
wir,  dass  er  für  sie  am  14.  Juni  1559  an  Stanislaus 
Ostrorog  100  Taler  sendet,  eine  nicht  unbeträchtliche 
Summe  für  jene  Zeit  Februar  1560  reist  die  Witwe  in 
Begleitung  des  Gorkaschen  Kanzlers  Mathias  Poley  nach 
Königsberg,  um  ihren  ältesten  Sohn  Andreas  dem  Herzog, 
der  für  seine  Erziehung  zu  sorgen  versprochen  hatte,  zu 
übergeben. 

Am  25.  Juni  1566  bittet  Lukas  Gorka,  Andreas 
Trepka,  den  Sohn  des  frommen  Eustachius  Trepka,  seines 
geliebten  Herrn  und  Vaters  seligen  wohlgeachten  Dieners, 
den  der  Herzog  zur  Ehre  Gottes,  zur  Tugend  und  allen 
Sitten  bis  auf  den  heutigen  Tag  habe  erziehen  lassen, 
nun,  nachdem  er  das  Fundament  ziemlich  begriffen,  den 
Edelknaben  des  Erbherzoges  Albrecht  Friedrich  ein- 
zuordnen, damit  er  seine  Studien  fortsetzen  könne. 

Schliesslich  haben  wir  noch  eines  Rechtsstreites  zu 
gedenken.  Im  Auftrage  des  Herzogs  hatte  Trepka  die 
oben  genannten  Bücher  ins  Polnische  übertragen  und 
hierfür  sein  Jahrgehalt  bezogen.  Mit  dem  Verleger  seiner 
Übersetzungen  Daubmann  war  er  dann  in  Geschäfts* 
Verbindung  getreten,  hatte  von  ihm  seine  eigenen  Schriften 
in  mehreren  tausend  Exemplaren  bezogen,  an  Buchhändler 
in  Posen  und  Polen  überhaupt  weitergegeben,  viele  auch 
selbst  verkauft  und  verschenkt.  Da  Trepka  mit  der  Be- 
gleichung seines  Schuldkontos  zögerte  —  er  hatte  im 
ganzen  nur  100  Mark  von  seinem  Jahrgehalt  dem  Drucker 
aus  der  herzoglichen  Rentkammer  zahlen  lassen  —  wandte 
sich  dieser  an  den  Herzog,  der  seit  dem  Juni  1558  in 
verschiedenen  Briefen  Trepka  mahnt,  Daubmann  zu  be- 
friedigen. Das  Geld,  welches  er  noch  schulde,  schreibt 
dieser  darauf  am  17.  September,  würden  die  Buchhändler, 
die  von  ihm  Schriften  bezogen  hätten,  zahlen.  Über  dem 
Streit  ist  er  dann  gestorben.  Sobald  Daubmann  von 
Königsberg  sich  losreissen  konnte,  Ende  November,  reiste 


134  Lic  Dr.  Theodor  Wotschke. 

er  nach  Posen,  Krakau,  Tarnow  u.  s.  w.,  teils  um  selbst 
Bücher  zu  verkaufen,  teils  um  von  den  dortigen  Buch- 
händlern das  Geld  für  die  Schriften,  die  sie  durch  Trepka 
bezogen  hatten,  einzukassieren.  Letzteres  glückte  ihm  trotz 
der  Empfehlungsbriefe,  die  er  vom  Herzog  an  Lukas  Gorka, 
den  Kastellan  von  Krakau  Johann  Tarnowski  und  Polens 
Grosskanzler  empfangen  hatte,  nicht  an  allen  Orten.  Er  ver- 
langte deshalb  von  der  Witwe  die  Begleichung  der  Schuld. 
In  ihrer  Ratlosigkeit  wandte  diese  sich  an  den  Herzog. 
Dieser  setzte,  als  sie  Februar  1560  nach  Königsberg  ge- 
kommen war,  eine  Kommission  ein,  der  die  Räte  Wenzel 
Schack  und  Balthasar  Gans  präsidierten,  in  der  ein  Eustachius 
Libas  und  der  Königsberger  Stadtsekretär  Barthel  Richau 
das  Interesse  Daubmanns,  der  polnische  Prediger  Johann 
Seklucyan  und  ein  nicht  näher  genannter  Verwandter 
Trepkas  das  Interesse  der  Frau  Anna  vertraten.  %Ihre 
Arbeit  war  aber  vergebens,  da  die  Witwe  es  bezweifelte, 
dass  ihr  Mann  wirklich  soviel  Bücher  bezogen  habe  und 
einen  sicheren  Beweis  für  die  Schuld,  die  Daubmann  auf 
273  Mark  berechnete,  verlangte.  Es  war  nicht  leicht,  diesen 
Beweis  zu  erbringen,  da  der  Diener  des  Druckers,  dem 
der  Transport  der  Bücher  nach  Posen  anvertraut  war, 
Königsberg  verlassen  und  nach  dem  fernen  Hof  im  heu- 
tigen Bayern  übergesiedelt  war.  Der  unermüdlich  tätige' 
Daubmann  liess  aber  durch  den  Rat  dieser  Stadt  seinen 
früheren  Gehilfen  eidlich  vernehmen  und  überreichte  die 
eidliche  beglaubigte  Aussage  dem  Posener  Magistrate. 
Albrecht  selbst  verwandte  sich  am  20.  Oktober  1562  in 
einer  Fürsprache  für  seinen  Drucker  bei  Lukas  Gorka 
und  dem  Posener  Rate;  letzterem  schrieb  er,  dass  sein 
Untertan  bereit  wäre,  die  etwa  noch  nicht  verkauften 
Bücher,  „wo  sie  zu  ihren  vorigen  Würden  und  wieder  zu 
verhandeln  tüchtig  sein  würden1*,  zurückzunehmen.  Da 
starb  auch  Frau  Anna.  Die  letzte  Nachricht  über  den 
Streit  ist  ein  Brief  des  Herzogs  vom  7.  Januar  1564  an 
den  Posener  Rat,  die  Erben  Trepkas  endlich  zur  Zahlung 
der  erwiesenen  Schuld  an  Daubmann  veranlassen  zu 
wollen. 


Eustachius  Trepka.  135 

Beilagen: 
1.  Eustachius  Trepka  —  Alberto  seniori  duci  Prussiae. 

Illnstrißsiroe  princeps  et  domine  domine  longe  cle- 
mentissime.  Deditissimum  obsequium  V1"*  111."1*"  Cd.*1 
defero.  Petunt  nostrae  ecclesiae  a  Vrft  111111*  Celne  libellos 
polonicos  reformationis  et  caeremoniarum,  quibus  utuntur 
ecclesiae  dicionis  V™e  Hl"1**  Celnis.  Volunt  enim  omnia 
sua  ad  eorum  exempla  et  praescriptum  attemperare. 
Quare  rogo,  ne  haec  ipsis  denegentur,  sed  per  hunc  vere- 
darium,  quem  illustrissimus  dominus  Ostrorog  isthuc 
mittit,  suppeditentur.  —  Erant  hie  aliquot  ministri,  qui  in 
sententiam  Calvini  et  Lascanam  in  causa  sacramentaria 
propendebant,  sed  gratia  deo  scripto  theologorum  V™e 
111"1*"  Cd™,  quo  Lascana  argumenta  refelluntur,  revocati 
et  confirmati  sunt  —  Debentur  mihi  ex  thesauro  V™ 
111"**  Cel01»  reliquiae  stipendii,  hoc  est,  quinquaginta  floreni 
pro  festo  divo  Michaeli  sacro.  Rogo  itaque,  ut  mihi  extra- 
dantur  et  hinc  cursori  seu  alicui,  qui  certo  ad  me  per- 
feret,  committantur,  quod  V™1  IUmÄm  Celnem  confido  serio 
esse  demandaturam  et  meae  tenuitatis  oeconomiaeque 
benignam  rationem  esse  habituram.  Daubmanus  hactenus 
mihi  debitum  non  solvit  neque  de  eo  mecum  composuit 
Dominus  Deus  Vram  IllmWB  Celnem  salvam  et  florentem 
diutissime  servet  Dat.  Posnaniae  die  15.  Septembris 
anno  1558.  Deditissimus  servus  et  beneficiarius  Eustachius 
Trepka. 

2.  Eustachius  Trepka  —  Alberto  seniori  prineipi  Prussiae. 

Illustrissime  princeps,  domine  domine  clementissime. 
Nolo  Vram  Hl01*111  Celnem  longa  scriptione  obstrepere,  tan- 
tum  idem  ago  et  flagito,  quod  per  litteras,  quas  dedi  ma- 
gnifici  domini  Ostrorog  veredario,  egi,  rogoque  diligenter 
et  obsecro,  ut  dimidium  stipendii  mei,  quod  mihi  pro  feriis 
Michaeli  sacris  debetur,  huic  Ioanni  Czarlinski,  illustris 
d.  Lucae  a  Gorca  palatini  Lencicnensis  servitori,  detur, 
qui  bona  fide  curabit  ad  me  perferendum.  Sanctissimus 
seu    sathanicissimus   papa,    angelus   abyssi   et    rex   locu- 


136  Lic.  Dr.  Theodor  Wotschke. 

starum,  mittit  ad  comicia  nostra  carnalem  cardinalem  de 
Pisis,  qui  prorsus  more  Davi  perturbabit  omnia  et  motus 
aliquos  excitabit  atque  evangelium  eiusque  professores 
cum  toto  raso  et  vecto  satellicio  (quod  in  verba  papae 
iuravit)  opprimere  conabitur,  sed  qui  habitat  in  ooelis  irri- 
debit  eos  et  Ahitophelonum  consilia  dissipabit.  Dolendum 
est  nostros  tantopere  dissidere  et  contra  tarn  infestos 
hostes  dei,  imperii  et  omnium  regnorum  coniunctis  viri- 
bus et  consentientibus  animis  et  sententiis  seriores  non 
agere.  Profecto  vereor,  ne  in  tanta  animorum  exacerba- 
tione et  dogmatum  varietate  succumbamus.  Dominus 
Deus  Vrftm  Hl«»»  Celnem  ecclesiae  salvam  et  florentem  diu 
servet  Dat.  Posnaniae  iy.Septembris  1558.  Deditissimus 
servus  Eustachius  Trepka. 

Nachtrag  I.  Illustrissimus  dominus  Lucas  comes 
a  Gorca,  palatinus  Lencicnensis,  nunc  equis  indiget.  Quare 
magno  beneficio  eum  affecerit  et  multum  rebus  eius 
prospexerit,  si  eum  equo  uno  aut  altero  iuverit,  quod  dili- 
gentissime  promerebitur. 

Nachtrag  IL  Quod  responsionem,  quam  d.  a  Lasco 
a  Vrt  11101*  Celne  retulit,  et  scriptum,  quo  opiniones  eius 
de  sacramento  refelluntur,  non  divulgavi,  sed  tantum  ea 
legenda  quibusdam  nostris,  praesertim  vero  illustribus 
d.  Gorkanis  et  Ostrorogis  et  nonnullis  ministris  commu- 
nicavi,  satis  prolixe  videor  mihi  antea  ostendisse,  si  Por- 
phirius  litteras  reddidit  Et  Daubmani  impudenciam  et 
malevolentiam  velim  retundi,  qui  cum  mihi  centum  marcas 
debeat,  me  nescio  cuius  debiti  reum  agit.  Habet  hie 
libros  aeeipietque,  quando  libuerit,  peeuniam  etiam,  quam 
illi  debent  bibliopolae  pro  libris,  quae  non  excedit  summam 
40  florenorum,  me  adiutore  extorquebit  neque  unius  oboli 
iniuria  afficietur,  quod  ideo  herum  atque  iterum  scribo, 
ne  me  Vra  Illmft  Celdo  talem  existimet,  qualem  me  invidi 
et  malevoli  apud  Vram  Mmam  Celncm  pingunt. 

3.  Trepkas  Witwe  an  Herzog  Albrecht. 
Durchlauchtigster    hochgeborener    Fürst,    gnedigster 
Herr.  Ewern  F.  G.  seind  mein  elendes  betrübtes  vnd  armes 


Eostachins  Trepka.  137 

Gebett  gegen  den  Almechtigen  vmb  E.  F.  G.  langwieriges 
Leben  vnd  gutte  Gesundheitt  jn  tifster  Demut  zuvor. 

Gnedigster  Fürst  vnd  Her#  jch  betrübtes  Weib  füge 
E.  F.  G.  jn  hechstem  Elende  zu  wissen,  das  E.  F.  G. 
vnderthänigster  Diner  vnd  mein  geliebster  Eheman 
Eustacbius  Trepka  den  Montag  für  2  Ure,  welcher  gewest 
der  17.  Tag  des  Monats  Octobris,  nach  dem  ehr  ettliche 
Tage  die  lingken  Seitten  geklagt*,  doch  nicht  lagerhaft 
worden,  vmb  23  Uhr  gantz  vnuorgesehens  seine  Sehle 
Gott  aufgegeben  vnd  durch  den  leiblichen  Tod  von  dieser 
Weld  abgesondertt  worden,  mich  mit  fünf  kleinen  Kindern 
]nn  grossem  Betrübtnis  hinder  sich  vorlassen.  Des  Leib 
wir  aus  Vorsehung  seiner  G.  des  Hern  Stentzlawen  von 
Ostrorogk  vnd  auch  jrer  G.  der  Grafen  von  Gorka  Be- 
willigung, nachdem  die  Feinde  Christi  jme  alhier  zu 
Posen  keine  Stelle  vergönnen  wollen,  zu  Grätz  zur 
Erden  bestatten  lassen.  Da  aber  nicht  mir  betrübten 
alleine,  sonder  viell  hoen  Personen  der  Cron  woll  wissend 
mein  geliebster  Eheman  seliger,  für  den  auch  E.  F.  G 
Gnad  vnd  Gunst  gehabtt,  der  jch  samptt  meinen  armen 
Kinderlin  mit  genossen,  so  gelangtt  ahn  E.  F.  G.  nach- 
mals meine  demuttigste  Bitte,  E.  F.  G.  geruhen  mich  be- 
trübtes Weib  vnd  meine  arme  Kinderlin  jnn  fürstlichen 
Gnaden  zu  ehrhalten  vnd  vnsser  gnedigster  Fürst  vnd 
Herr  zu  sein  vnd  zuuorbleiben,  dafür  werden  E.  F.  G. 
Belonung  von  Gott  empfahen,  jch  aber  sampt  meinen 
Kinderlin  wollen  die  Zeitt  vnseres  Lebens  vmb  E.  F.  G. 
langwirige  Gesundheitt  vnd  glügkliches  Regiment  den 
Almechtigen  zu  bitten  nicht  vnderlassen,  jn  welcher 
E.  E.  G.  Gnad  vnd  Gunst  jch  mich  vnd  sie  ehrgebe 
Dat.  Posen,  den  21.  tag  des  Monats  Octobris  Anno  1558. 
Ewer  F.  G.  vnderthenigste  Dinerin  Anna,  Eustachii  Trepka 
arme  vorlassene  Widfraw. 


4.  Der  Arzt  Stanislaus  Niger  an  Herzog  Albrecht. 

Post    subiectissimam    servitiorum    commendationem 
incolumitatem  et  foelicia  omnia. 


138  Lic.  Dr.  Theodor  Wotschkc. 

Illustrissime  ac  prudentissime  prineeps.  Trepcius 
ille  pius  ac  optimus  ecclesiae  minister  puriorisque  eius 
doctrinae  interpres  ex  hac  misera  et  fragili  vita  ad  im- 
mortalem  illam  et  aeternam  hora  vigesima  tertia  die  deeima 
septima  mensis  huius  concessit,  cuius  mors  praematura  et 
inopina  adeo  hie  pios  omnes  percelluit,  ut  prae  stupore 
vix  tandem  ad  se  multi  redierint  et  sese  recollegerint 
admirati  scilicet  in  tarn  hominem  temperatum,  sobrium, 
pacatum  et  modestum  tarn  atrox  genus  morbi  citra  ullam 
procathorticam  causam  reeidisse.  Non  sine  igitur  singulare 
divino  iudicio  hoc  ipsum  evenisse  autumant,  sed  utrimque 
tandem  sal,  ego  arcanum  hac  in  re  dei  iudicium  non 
scrutabor,  naturales  autem  mortis  huius  causas  et  si 
pressius  ex  animo  circumspicio,  nondum  tarnen  mihi 
opinanti  satisfacio,  praeeipue  cum  praesens  utpote  tum 
illustris  domini  ab  Ostrorog  negotiis  agendis  Posnania 
evocatus  non  adfuerim.  Sentio  tarnen  primum  ab 
imkr]\f)ta  prostratum,  tandem  änofdtj^la  necatum  esse,  qui 
morbi,  cum  raro  modestis  aeeidant  hominibus,  sentire  et  opi- 
nari  cum  multis  cogor  fatis  Trepcium  fidissimum  servitorem 
nobis  ereptum  esse.  Luget  igitur  tota  ecclesia,  quod 
tarn  diligenti  et  docto  ministro  orbata  sit,  non  quod  desperet 
defuturos  sibi  operarios,  sed  tarnen  cum  videat,  hie  tepere 
multos  in  promovenda  doctrina  Christi,  dolet  ereptum  sibi 
virum,  qui  in  sola  Christi  causa  ferendus  erat,  cum  in 
aliis  friguisse  videretur.  Dolent  illustres  comites  a  Gorca, 
scribam  ademptum  sibi,  qui  expediendarum  litterarum  ad 
cuiusvis  statum  et  condicionem  hominum  admirandus 
artifex  habebatur.  Quanto  cum  dolore  coneutiatur  dominus 
meus  ab  Ostrorog  ex  litteris,  quas  meis  adiunetas  Tuae 
III™*"  Cel111  mitto,  facile  cognoscet.  Sed  cum  haec  rerum 
humanarum  sit  conditio,  ut  nihil  stabile  ac  firmum  hie 
nobis  polliceri  possimus,  ferendum  alioqui,  quod  divinitus 
nobis  aeeidit.  Quia  tarnen  ego  non  ignoraverim,  apud 
Tuam  111*111  Celnem  Trepcium  magni  factum  fuisse,  non 
dubito  hanc  officiosam  animi  mei  erga  te  voluntatem 
Tuam  Ulftm  Celnem  boni  consulturam  esse,  qua  Uli  mortem 
illius  viri  praematuram  et  subitam  (intra  enim  unius  horae 


Eustachius  Trcpka.  139 

spatium  interiit)  aperio,  cuius  Celsitudini  me  dedo  et 
subicio.  Dat  Posnaniae,  21.  Octobris  anno  a  nato 
Christo  1558.  Vr»e  ül"1**  Celni  deditissimus  S.  N.  doctor 
medicus. 

Das  Siegel  des  Briefes  zeigt  im  Wappenschild  einen 
Schwan,  darüber  die  Buchstaben  S.  N. 

Beilage:  In  tanto  animi  mei  maerore  vel  potius  stupore 
debitus  eram  uxoris  Trepcii  meminisse,  quae,  cum 
luctuosissima  mulier  sit,  inops  omnino  omnium  est  Precatur 
itaque,  ne  Vn  Illm*  Cel*0  se  deserat,  sed  omnino  in  tutelam 
et  patrocinium  suscipere  dignaretur  suum.  Reliquit  ille 
iberos  parvulos  quinque,  opes  vero  nullas.  Quia  autem  credit 
V«m  iumam  Celem  non  mutaturam  suam  erga  olim  fida 
servitia  Trepcii  benevolentiam,  ideo  sese  et  liberos  suos 
Uli  humillime  et  devotissime  sub  tutelam  commendat 


5.    Albertus  -  Stanislao  Nigro,  Doctori  Posnaniensi. 

Salutem  ac  benevolentiam  nostram.  Eximie  ac  praeclare 
nobis  dilecte.  Accepimus  litteras  vestras,  quibus  obitus 
nobilis  et  pii  viri  Eustachii  Trepca  fideliter  nobis  dilecti 
immaturus  commemoratur.  Etsi  autem  casus  iste  impro- 
visus  eius  viri,  qui  ecclesiae  Christi,  rei  publicae,  si  vita 
suppeditasset,  utiliter  servire  potuisset,  non  mediocrem 
nobis  dolorem  attulit,  tarnen  litterae  vestrae  ideo  nobis 
gratae  fuerunt,  quod  totius  quasi  actus  plenam  et  diligentem 
explicationem  etquomorbigenereTuti  existimatis,  interemptus 
sit,  continebant  Feramus  igitur,  quod  deo  et  fatis  visum 
est  quodque  mutari  non  potest,  toleranter  Deumque  ro- 
gemus,  ut  eius  loco  alios  operarios  in  vineum  suum  ex- 
tendat  et  non  modo  huius  pii  viri  manibus  sit  propicius 
molemque  faxit  quietem,  sed  nobis  etiam  exinde  omnibus 
suo  cuique  tempori  foelicem  vitae  exitum  in  viva  et  con- 
stanti  fide  ad  dominum  servatorem  et  mediatorem  nostrum 
Jesum  Christum  clementissime  concedat  Quod  ad  relictam 
Trepka  viduam  pupillosque  attinet,  habebitur  eorum,  quoad 
recte  fieri  poterit,  ratio;   propter   enim  mariti  ex  parvulis 


140  Lic.  Dr.  Theodor  Wotschkc. 

pietatem  ac  servitia  erunt  nobis  commendati.    Bene   feli- 
citerque  valeatis.    Dat.  Regiomonti  VI.  Novembris. 

6.  An  des  Trepken  nachgelassene  Witwe. 

Wir  haben  euer  Schreiben  bekommen  vnd  daraus 
eures  lieben  Ehegaten  tödlichen  Abgang,  der  sich  vnver- 
sehens  ganz  plözlich  zugetragen,  mitleidlich  verstanden. 
Tragen  mit  euch  dieses  geschwinden  Falles  vnd  vorzeitigen 
Todts  auch  gemeiner  Christenheit  halben  ein  gnedigs 
Mitleiden.  Dann  einmahl  euer  lieber  Eheman  von  dem 
lieben  Gott  dermassen  begnadet  gewesen,  dass  er  gemeiner 
Christenheit,  wenn  ime  lenger  zu  leben  vergont,  nützlich 
vnd  fruchtbarlich  hat  dienen  mögen.  Dieweil  wir  aber  auch 
wissen,  das  aller  Menschen  Leben  vnd  Wesen  in  des 
allmechtigen  Gottes  Handt  stehet  vnd  das  ein  jeder,  wenn 
inn  Gott  aus  disem  vergenglichen  Leben  vnd  Jammerthal 
Tuffet,  vnvorzüglich  fort  muss,  so  zweifeln  wir  gar  nicht, 
das  also  sein  Stündlein  kommen  sey,  darin  Gott  ihn  ab- 
gefordert, der  auch  seiner  Sehlen  vnd  unser  aller,  wenn 
wir  zu  seiner  Zeit  gefordert  werden,  gnedig  vnd  barm- 
herzig zusein  geruhe.  Souii  euer  Bitt  anlanget,  wollen 
wir  euch  sampt  euren  Kindern  in  gnedigem  Beuelich  zu 
halten  nicht  nachlassen.     Dat.  7.  Novembris  1558. 

7.  Trepkas  Witwe  —  an  Herzog  Albrecht 

Gnedigster  Fürst  vnd  Herr.  Demnach  E.F.G.nuhemer 
für  lengst  meines  lieben  Ehemans  Eustachii  Trepka  todtlichs 
Abgangs  berichtet,  welcher  mich  mit  funff  kleinen  Kindern 
hinder  sich  elend  vorlassen,  so  habe  ich  in  Ehrwegung 
der  hoen  Gnade,  welche  gedachter  mein  Ehemann  bei 
E.  F.  G.  zu  ider  Zeitt  miltiglich  empfunden,  diese  Hoffnung 
geschepfet,  es  werden  E.  F.  G.  nach  gegen  mir  vnd  seinen 
vorlassenen  kleinen  vnehrtzogenen  Kindern  der  zu  üben 
nicht  vnderlassen.  Und  geiangtt  ahn  E.  F.  G.  mein 
demuttigste  Biette,  dieselbe  geruhe  mein  vnd  meiner 
armen  Kinderlein  gnedigster  Fürst  vnndHerr  zu  sein  vnd 
aus  fürstlichen  Gnaden  mir  armen  verlassenen  gnedigste 


Eustachius  Trepka.  141 

Hülfe  ires  Gefallens  betzeigen,  damit  ich  sie  zur  Ehre 
Gottes,  Ehrbarheit  vnd  Thugend  desto  mehr  vnd  volkom- 
licher  zuehrtzien  haben  mochte.  Der  liebe  Gott,  ein. 
milder  Vergelder  aller  Guttathen,  wird  E.  F.  G.  dasjenige, 
so  dieselbe  bei  mir  armen  vnd  meinen  Kinderlein  thun  werden, 
hier  vnd  dort  reichlich  vorgelden,  meine  Kinderlein  aber 
sampt  mir  wollen  für  E.  F.  G.  langes  Leben  vnd  allerseits 
glüglkhen  Zustand  den  Allmechtigen  hertzlich  vnd  trew~ 
lieh  zu  bitten  die  Zeitt  vnsers  Lebens  nicht  vorgessen. 
In  tiefster  Demutt  bittend  mein  vnd  meiner  armen  Kinder- 
lein  gnedigster  Herr  zuuorbleiben.  Dat.  Posenn,  den 
29.  Aprilis  Anno  1559.  E.  F.  G.  arme  Dienerin  Anna 
Eustachii  Trepka  vorlassene  Wittfraw. 

8.  An  Frau  Anna  Eustachii  Trepka  seligen  verlassenett 
Witwe  zu  Posen,  den  7.  Juni  1559. 
Wir  haben  euer  Schreiben  Posen,  den  29.  Aprilis 
datirt  bekommen,  Inhalts  lesende  eingenohmen  vnd  da- 
raus verstanden,  wess  ir  eures  gotseligen  Mannes  todt- 
liehen  Abganges,  derhalben  irer  5  kleinen  vnerzogenei* 
Kinderiein  halben,  so  er  hinter  ime  verlassen,  schreiben 
vnd  bitten  thut  Nun  ist  vnss  solch  Abgang  eures- 
Mannes,  wie  wir  auch  deshiebeuor,  alsbaldt  wir  desselben 
abgang  erfahren,  durch  vnser  Schreiben  berichtet,  ganz: 
mitleidich,  vnd  ist  nicht  ohne,  wir  eurem  Manne  mit  allen 
Gnaden  zugethan  gewesen.  Damit  ir  nun  gleichwof 
spuren  vnd  befunden  muget,  das  wir  solche  vnsere  gnä- 
dige Gewogenheit  auch  an  euren  Kindern  scheinen  zu 
lassen  nicht  vergessen,  seint  wir  in  Gnaden  gewilligt, 
euren  ehesten  Sohn,  so  fern  ir  vnss  denselben  zuschicken 
woltet,  an  vnseren  Hof  zunehmen  vnd  inen  mit  aller 
Notturf ft  zu  unterhalten,  auch  zur  Ehre  Gottes  erziehen 
zulassen,  vff  das  er  künftig  euch  vnd  den  euren  trostlich 
und  nutzlich  sein  möge.  Wess  wir  aber  itzo  euch  zu 
Gnaden  thun,  werdet  ir  von  dem  Herrn  Ostrorogk,  der 
vnss  eurethalben   auch   fleissig  angelanget,   vernehmen  *)► 

s)  Stanislaus    Ostrorog    hatte    Herzog   Albrecht    im   Juni    in. 
Königsberg  besucht,  dei  Herzog  aber  bei  Ostrorogs  plötzlicher  Ab- 


142  Lic.  Dr.  Theodor  Wotschke. 

9.  Witwe  Anna  —  Herzog  Albrecht 

Illustrissime  princeps  et  domine  domine  clemen- 
tissime.  Ill0***8  V™  Cel"1*  pedes  manusque  summa  cum 
reverentia  exosculor. 

Quod  111**  Wn  Celdo  tantum  clementiae  in  filium 
meum  exserit,  gratias  dignas  agere  nunquam  possum. 
Sed  aeternum  patrem  domini  nostri  Jesu  Christi  arden- 
tibus  votis  precor,  et  quoad  vixero,  precabor,  ut  III1»0 
Vrac  Celnis  filio  vicissim  eiusmodi  tutores  et  patronos  lar- 
giatur,  cuiusmodi  MmMa  Vrtm  Celncm  meo  orphano  filio 
dare  dignatus  est.  Nam  ego  misera  orphana  et  omnibus 
contumeliis  et  iniuriis  exposita  vidua  tantum  abest,  ut 
meis  filiis  et  filiabus  consiüere  possim,  ut  vix  misereque 
me  ipsam  parce  et  duriter  victum  quaerendo  sustentare 
queam.  Hoc  tantum  ab  IUma  Vra  Celne  demisse  et  suppli- 
citer  contendo,  ut  111™*  V™  Ceido  candidam,  praeclaram  et 
vere  paternam  illam  suam  clementiam  ergo  filium  meum 
conservare  dignetur.  Ego  Deum  perpetuis  precibus  fati- 
gabo,  ut  Hlm*m  V™*  Celncm  una  cum  filio  eiusdem  diu 
salvam  et  superstitem  conservet  et  tueatur.  Dat  Posna- 
niae  Calendis  Februarii  1562.  Ulmac  Vrae  Celni8  manci- 
pium  Anna  vidua,  olim  uxor  Trepcae. 

Das  Siegel  an  den  Briefen  Trepkas  und  seiner 
Gattin  zeigt  eine  Streitaxt  im  Wappenschilde  und  da- 
rüber die  Buchstaben  E  T. 

10.  Albertus  —  Lucae  comiti  a  Gorka.   20.  Oktober  1562. 

Ioannes  Daubman  typographus  noster  exhibito 
supplici  libello  nunc  et  antea  quoque  aliquoties  subiec- 
tissime  nobis  exposuit,  Eustachii  Trepka,  civis  Posna- 
niensis,  relictam  viduam  pro  libris  in  Polonica  et  aliis 
etiam  unguis  scriptis,  quos  dictus  Trepka  eo  accepti, 
marcas  prutenicas  273  debere.  Cumque  de  solutione  post 
mariti  obitu  saepenumero  a  creditore   admonita  fuit,    pri- 

reisc  vergessen,  ihm  Geld  für  Trepkas  Witwe  nach  Posen  mitzu- 
geben. Am  14.  Juni  sendet  er  deshalb  einen  Eilboten  mit  100  Talern 
dem  Grafen  nach. 


Eustachius  Trepka.  143 

mum  debiti  convinci,  cum  id  negaret,  voluit.  Cum 
antem  servitor  typographi,  per  quem  libri  Uli  Posnaniam 
deportati  sunt,  in  civitate  Hoff  interea  temporis  conse- 
disset,  petiit  nos  humillime,  ut  ea  de  re  ad  senatum  eius 
civitatem,  qui  testimonium  gestae  rei  ab  eo  requireret, 
scriberemus,  quod  nos,  cum  aequum  nobis  petere  vide- 
retur,  denegare  ei  non  potuimus.  Habet  igitur  eius  rei 
praefatae  senatus  evidens  testimonium,  ut  eo  debito  nisi 
solutione  facta  nulla  fallacia  se  liberare  vidua  possit 
Unicum  hoc  hac  in  re  restare  videtur,  ut  ad  solutionem 
faciendam  serio  adigatur,  quod  cum  quam  primum  fieri 
actori  multis  de  causis  praesertim  vero  propter  rem  fami- 
liärem valde  sit  necesse,  isque  literis  nostris  intercessoriis 
se  apud  Mag.*™  Vnm  iuvari  obnixe  rogaverit  Mag^V™1 
amanter  petimus,  ut  eum,  cum  quod  iustam  causam  foveat 
tum  etiam  quod  nos  pro  eo  intercedamus,  quo  tanto  fa- 
cilius  id,  quod  iure  sibi  debetur,  consequeretur,  benigne 
sibi  commodatum  habere  et  negotium  eius  apud  senatum 
Posnaniensem  promovere  velit. 

11.  Albertus  —  senatui   Posnaniensi   VII.   Januarii   1564. 

Certiores  redditi  sumus  a  praesentium  exhibitore  ty- 
pographo  nostro  Ioanne  Daubmanno,  quid  vos  anno  su- 
periore  ad  negotium  ipsius,  quod  habet  cum  relicta  et 
nunc  defuncta  vidua  Eustachii  Trepka,  responderitis.  Cum 
autem  responsum  id  tale  fuerit,  ut  ipse  debitum  suum 
consequi  non  potuerit,  ideoque  qua  ratione  hoc  negotium 
inter  dictam  viduam  et  typographum  nostrum  actum  sit, 
perscribendum  vobis  esse  existimamus.  Constituti  primum 
fuerunt  utrimque  arbitri,  qui  causam  hanc  amicabili  tracta- 
tione  componerent,  consiliarii  nostri  Wencezlaus  Schack 
et  Gans  secretarii  nostri  una  cum  aliis  ad  illam  trans- 
actionem  deputatis,  nempe  cum  Bartholomaeo  Richaw, 
secretario  civitatis  nostrae  Regiomontanae,  et  Eustachio 
Libas  a  parte  typographi  nostri,  Ioannes  Seclutianus  vero 
concionatur  polonicus  et  N.,  affinis  viduae  civis  Posna- 
niensis,  a  parte  altera.    Frustra  autem  ista  tractatio  tentata 


144  Lic.  Dr.  Theodor  Wotschkc. 

fuit;  ipsa  enim  vidua  dubitans  maritum  suum  tot  libros 
aeeepisse  postulavit  ab  ipso  typographo  nostro,  ut  a  ser- 
vitore  suo,  qui  istos  libros  marito  suo  tradidisset,  eius  rei 
testimonium  aliquod  sufficiens  afferat,  reeipitque,  quidquid 
is  suo  iuramento  enuntiasset  se  marito  Trepka  tradidisse, 
id  se  bona  fide  soluturam  esse.  Cum  itaque  istud  ser- 
vitoris  sui  testimonium  non  levibus  sane  impensis  (quod 
is  multis  ab  hinc  miliaribus  consederit)  typographo  nostro 
fuerit  petendum,  solutio  tarnen  non  sine  magno  ipsius 
detrimento  longius  differtur,  ideirco  clementer  gratioseque 
petimus,  velitis  haeredibus  de  iure  serio  iniungere,  ut 
typographo  nostro  citra  longiorem  proerastinationem  ex: 
sententia  testimonii  satisfaciant  Facturi  rem  iustitiae 
convenientem  et  a  nobis  gratia  clementiaque  nostra  com- 
pensandam. 


Einige  Mitteilungen 
über  die  Pilze  unserer  Provinz. 

Eine  Skizze. 

Von 
Fritz  Pfuhl  in  Posen. 

^it  ihren  geheimnisvollen  Fäden  umspinnt  die 
Sage  im  Waldesdunkel  des  Farnkrautes  rätsel- 
haftes Wesen.  Wie  unendlich  ist  die  Zahl 
seiner  winzigen  Samen,  aber  keine  Blüte,  der  sie  doch 
sonst  ihre  Entstehung  verdanken,  verrät  sich  dem  Auge 
des  Sterblichen.  Doch  der  Mund  des  Volkes  erzählt  dem, 
der  es  glauben  will,  dass  zur  Zeit  der  Sonnenwende,  in 
der  Johannisnacht,  wenn  die  Natur  strotzt  in  der  Voll- 
kraft ihres  Schaffens,  dem  von  Glück  begünstigten  Men- 
schenkinde die  Blüte  sich  zeigt,  und  wer  des  Augenblicks 
Gunst  und  Gelegenheit  zu  ergreifen  versteht,  erlangt  mit 
ihr  einen  Talisman  von  nie  versiegender  Kraft. 

Wohl  weiss  das  elegante  Blattgefieder  des  Farns  die 
Sage  auf  sich  zu  lenken  —  das  ungeschickte  Pflanzen- 
wesen dicht  daneben  versteht  es  nicht,  obgleich  es  viel 
mehr  dazu  berechtigt  wäre,  denn  in  welcher  Menge 
kommt  diese  absonderliche  Pflanze  hier  im  Walde  vor  — 
wie  reichlich  muss  sie  sich  vermehren,  und  sie  zeigt  nicht 
einmal  den  braunen  Staub,  der  die  Farnwedel  unterseits 
bedeckt.  Es  ist  das  ein  Pilz:  auf  dickem  Stiele  ein  kreis- 
runder Hut  Die  Zierlichkeit  der  Form,  die  Pracht  der 
Blüten,  womit  sonst  liebreich  sorgend  Flora  ihre  Wesen 
schmückt,  suchen  wir  vergeblich.  Die  schlechte  Behandlung, 
welche  diesem  Geschlechte  der  Pflanzen  ihre  Schutzgöttin 


Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  fOr  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XVIII. 


10 


146  Fritz  Pfuhl. 

angedeihen  lässt,beeinflusst  denn  natürlich  auch  die  Priester, 
welche  das  Heiligtum  dieser  Göttin  zu  pflegen  und  zu  ver- 
sehen haben,  —  auch  die  Botaniker  wollen  meist  nichts 
mit  diesen  absonderlichen  Gesellen  zu  tun  haben. 

So  ganz  vernachlässigt  sind  die  Pilze  denn  aber  doch 
nicht,  sehen  wir  sie  uns  nur  mal  genauer  an.  Wie  aben- 
teuerlich schon  sind  diese  Pflanzenwesen  manchmalgestaltet: 
Proteus  selbst  scheint  an  der  Wiege  dieses  Geschlechts 
Gevatter  gestanden  zu  haben.  Da  sieht  die  eine  Art  wie 
eine  Keule  aus,  genau  wie  ein  Hasenohr  eine  andere, 
wonach  sie  dann  auch  benannt  ist,  der  Erdstern  liegt  mit 
10,  mit  20  Strahlen  dem  Erdboden  an,  ein  Hirschgeweih 
im  Kleinen  täuscht  uns  eine  andere  Form  vor,  bei  jener 
endlich  glauben  wir  ein  Gänseei  auf  dem  Waldboden 
liegen  zu  sehen:  wieder  ist  es  ein  Pilz! 

Auch  eine  Art  von  Blütenflor  können  die  Pilze 
hervorzaubern.  Mit  leuchtendem  Gelb  bedeckt  der 
schlaffe  Trichterling  in  Scharen  den  Boden  des  feuchten 
Waldgrundes  im  Cybinatale  bei  Malta,  dicht  daneben 
stehen  einzelne  in  zartes  Rosa  gekleidete  Pilze*  —  eine 
Art  des  Helmlings,  —  und  die  vielen  hellgrünen  Pilze 
geben  sich  die  grösste  Mühe,  auch  den  Duft  der  Blüten 
vorzuzaubern.  In  Anerkennung  dieser  freundlichen  Absicht 
nennt  der  Botaniker  sie  denn  auch  Clitocybe  odora,  d.  h. 
den  duftenden  Trichterling;  doch  schiessen  sie  dabei  nun 
wieder  über  das  Ziel  hinaus,  denn  der  Geruch  ist  zu 
kräftig,  etwa  an  Anis  erinnernd,  Blütenduft  ist  so  stark 
nicht,  weshalb  denn  ein  anderer  namengebender  Botaniker 
die  Art  Clitocybe  anisata  genannt  hat  Übrigens  ist  ge- 
rade diese  Sorte  von  Parfüm  bei  den  Pilzen  sehr  beliebt; 
an  den  alten  Weidenbäumen  vor  dem  Eichwaldtor  z.  B. 
wachsen  wieder  andere  Anispilze,  weisslich  gefärbt,  von 
klumpiger  Gestalt  Noch  kräftiger  jedoch  kann  das 
duftende  Prinzip  zum  Ausdruck  gebracht  werden:  unter 
dem  Namen  Musseron  wird  ein  kleiner  Pilz  mit  horn- 
artigem,  dunkelbraunem  Stiel  und  schmutzig-weissem 
Hute  auf  den  Wochenmarkt  gebracht  und  in  Mengen 
gekauft,   denn   die  Hausfrauen   wenden  ihn  mit  Vorliebe 


Einige  Mitteilungen  über  die  Pilze  unserer  Provinz.        147 

an,  um  manchen  Fleischspeisen  und  Saucen  einen 
kräftigen  Geschmack  zu  verleihen.  Der  erinnert  sehr 
an  denjenigen,  welchen  die  Arten  der  Blütenpflanze 
„Lauch*  wozu  Schnittlauch,  Knoblauch,  die  Zwiebel  und 
andere  kulinarischen  Gewächse  von  erschütterndem 
Dufte  gehören,  aufweist,  und  deshalb  nennt  man  den 
Musseron  auch  Lauchpilz.  Doch  wissen  die  Pilze  hin- 
sichtlich des  Duftes  sich  auch  in  sehr  dezenten  Grenzen 
zu  halten.  Ein  Spaziergang  durch  das  Schillingsglacis 
lässt  im  Oktober,  November  robuste  Pilze  mit  grossem, 
kräftigem  Hute  von  schwach  rötlich-grauer  Farbe  be- 
merken. Zu  dem  selbstbewussten,  markigen  Auftreten 
stimmt  denn  auch  so  recht  der  Gattungsname  „Ritterling11. 
Dieser  Pilz,  der  übrigens  auch  auf  dem  Markte  erscheint, 
besitzt  einen  sehr  angenehmen,  zarten  Duft  nach  Orangen- 
blüten; andere  wieder  wollen  Veilchen  herausriechen  und 
haben  die  Pflanze  danach  den  Veilchen-Ritterling  benannt 
Doch  die  Pilze  täuschen  nicht  nur  die  Blüten  der  be- 
vorzugten Kinder  der  Flora  in  Duft  und  Farbe  vor.  Mehr! 
Wie  den  Blüten,  so  dienen  auch  sie  der  Vermehrung,  sor- 
gen auch  sie  dafür,  dass  das  bittere  Gesetz  der  Ver- 
gänglichkeit, welches  alles  Lebende  beherrscht,  —  wenn 
auch  nicht  aufgehoben  —  so  doch  gemildert  wird.  Sie 
entwickeln  Fortpflanzungskörper,  und  in  welcher 
ungeheuren  Menge!  Bringe  man  von  einem  Spazier- 
gange irgend  einen  Pilz  mit  nach  Hause,  lege  ihn  mit 
der  Unterseite  seines  Hutes  auf  ein  Stück  blaues 
Papier,  z.  B.  auf  einen  Aktendeckel.  Nach  einigen 
Stunden  macht  sich  nun  auf  dem  blauen  Untergrunde 
ein  Fleck  bemerkbar:  weiss  oder  braun  oder  rosa,  viel- 
leicht auch  schwarz  oder  violett,  je  nach  der  Art  des 
Pilzes  —  ein  Fleck,  der  aus  einem  ausserordentlich  feinen 
Pulver  besteht.  Und  wenn  nun  die  Unvollkommenheit 
des  menschlichen  Auges  durch  das  Mikroskop  ausge- 
glichen wird,  so  wird  durch  eine  200-  oder  300-fache 
Vergrösserung  dieser  Staub  in  ganz  winzige  Körperchen 
aufgelöst,  von  kugeliger  oder  länglicher  Gestalt,  nur  we- 
nige  p  lang  und  breit     /*  ist  nämlich   das   Normalmass 


148  Fritz  Pfuhl. 

für  mikroskopische  Messungen.  Was  dem  Geographen 
das  km  ist,  dem  Astronomen  sein  Lichtjahr,  d.  h.  eine 
Strecke  von  365  X  24  X  60  X  6°  X  3°°  °°°  km,  nämlich 
der  Weg  eines  Lichtstrahles  während  eines  Jahres,  —  das 

ist  dem  Mikroskopiker  das  f*}  d.  h.  eines  Millimeters. 

Sieht  man  sich  nun  den  Sporenfleck  auf  dem  blauen 
Papier  genauer  an,  so  bemerkt  man  eine  eigentümliche 
Figur:  grade  Linien,  welche  von  der  Mitte  strahlenförmig 
ausgehen  —  das  Spiegelbild  der  unteren  Fläche  des  Hutes, 
an  der  sich  speichenartig  gestellte  Blätter  befinden.  Am 
Rande  derselben  müssen  sich  also  jene  Körperchen  ab- 
gesondert haben,  an  ganz  feinen  Stielchen  sassen  sie. 
Sporen  nennt  man  diese  Fortpflanzungs-Gebilde,  nicht 
Samen,  weil  sie  sich  nämlich  ohne  Zutun  von  Blüten  ent- 
wickelt haben,  wie  ja  auch  der  Farn  und  der  Schachtel- 
halm Sporen  entwickeln.  Doch  wir  ahnen  nicht,  was  für 
Kopfzerbrechen  dem  Botaniker  diese  Sporenbildung  der 
Pilze  bereitet  hat  und  noch  immer  bereitet  Überall  sonst 
nämlich,  wo  eine  Pflanze  Fortpflanzungskörper  hervorbringt 
—  einige  wenige  Ausnahmen  kommen  dabei  nicht  in  Be- 
tracht —  da  sind  es  immer  zweierlei  Gebilde,  welche  dies 
bewirken,  also  z.  B.  der  Blütenstaub  einerseits,  andrer- 
seits die  Samenanlagen.  Bei  den  Pilzen  nun,  welche 
unsere  Aufmerksamkeit  auf  sich  ziehen,  ist  derartiges  noch 
nicht  beobachtet  worden,  trotz  all'  der  Mühe,  welche  man 
sich  gegeben  hat,  auch  diese  Sonderlinge  in  das  allgemein 
gültige  Schema  hineinzuzwängen :  sie  sind  eben 
„Kryptogamen"   in  des  Wortes  eigentlichster  Bedeutung. 

Nach  der  Farbe  der  Sporen,  welche  von  den  Blättern 
abgesondert  werden,  stellt  der  Botaniker  Gruppen, 
Gattungen  her,  ein  sehr  „künstliches"  Merkmal,  ein  Not- 
behelf zunächst,  aber  die  Wissenschaft  hat  es  auf  diesem 
Gebiete  eben  noch  nicht  weiter  gebracht,  für  verwandt- 
schaftliche Beziehungen  triftigere  Gründe  aufzufinden. 
Jedenfalls  jedoch  bietet  die  Sporenfarbe  ein  ganz  prak- 
tisches Hilfsmittel,  sich  in  der  Fülle  der  Formen 
zurechtzufinden.    So  sondert  ein  weisses  Sporenpulver  ab 


Einige  Mitteilungen  über  die  Pilze  unserer  Provinz.        149 

der  Ritterling,  von  dem  schon  die  Rede  war,  ein  solches 
von  rosa  Farbe  der  Pflaumenpilz,  ein  guter  Speisepilz,  der 
bei  uns  zwar  nicht  auf  den  Markt  zu  kommen  scheint, 
von  bräunlich-gelber  Farbe  ist  es  bei  dem  in  der  Provinz 
so  hoch  geschätzten  Reizker,  von  violetter  beim  Cham- 
pignon und  von  brauner  beim  Krämpelpilz,  der  in  den 
Wäldern  der  Provinz  in  grosser  Menge  vorkommt,  haufen- 
weise auf  dem  Markte  erscheint  und  trotz  seines  matschigen, 
schmutzig  braunen  Aussehens  gern  gekauft  wird;  schwarz 
endlich  sind  die  Sporen  des  Tintenpilzes.  Warum  gerade 
das  Blau  von  den  Pilzsporen  vermieden  wird,  hat  die 
Wissenschaft  noch  nicht  ergründet,  sie  weist  uns  da  nur 
auf  entsprechende  Fälle  in  anderen  Verwandtschaftskreisen 
hin.  Auch  unter  den  so  vielen  Pflanzen  unserer  Provinz, 
welche  zu  den  Doldengewächsen  und  zu  den  Kreuzblütlern 
gehören,  gibt  es  wohl  Arten,  welche  mit  weisser,  mit 
gelber,  mit  rosa  und  roter  Farbe  blühen,  aber  nicht  eine 
einzige  zeigt  eine  blaue  Blüte.  Warum  gibt  es  unter 
den  recht  zahlreichen  einheimischen  Veilchenarten  solche 
mit  weisser,  mit  gelber,  mit  blauer  und  violetter  Blüte, 
während  das  Rot  vermieden  wird?  Und  wer  gar  mal  eine 
blaue  Lilie  finden  sollte,  den  beglückt  die  Sage  mit  dem 
höchsten  Gute,  —  Zufriedenheit  soll  ihm  schon  auf  Erden 
zu  teil  werden. 

Aber  wie  konnte  nur  bei  der  Aufzählung  der  Bei- 
spiele für  die  Sporenfarbe  der  wohlschmeckenden  wohl- 
schmeckendster, der  Edelpilz  an  sich,  der  Herren- 
pilz, der  Steinpilz  vergessen  werden?  Doch  sehen  wir 
uns  den  Hut  auf  seiner  unteren  Seite  an  und  wir  merken, 
er  gehört  einer  andern  Verwandtschaftsreihe  an,  er  zeigt 
dort  statt  der  Blätter  ganz  andere  Gebilde,  an  denen  sich 
die  bräunlichen  Sporen  absondern:  zarte,  dicht  gedrängte 
Röhren.  Und  der  Habichtsschwamm,  der  im  Hochsommer 
niemals  auf  dem  Pilzmarkte  fehlt,  zeigt  an  jener  Stelle 
stumpfe  Stacheln,  und  der  Pfefferling,  auch  Hähnchen, 
auch  Eierschwamm  genannt,  besitzt  Falten,  an  denen  sich 
die  weissen  Sporen  absondern.  Andere  Pilze,  welche 
auch  geschätzte  Vertreter  auf  den  Posener  Markt  senden, 


150  Fritz  Pfuhl. 

verzichten  auf  den  Hut,  der  gegen  Regen  und  heisse 
Sonnenstrahlen  für  die  Nachkommenschaft  ein  vorzügliches 
Schutzmittel  abgibt.1  So  sondert  an  zweigartigen  Veräste- 
lungen die  Sporen  der  Ziegenbart  ab,  welcher  in  sehr 
verschiedenen  Formen  in  der  Provinz  heimisch  ist.  Gar 
seltsam  aber  macht  es  ein  Pilz,  welcher  z.  B.  im  Walde 
von  Krummfliess  und  auf  dem  Annaberge  häufig  ist  Die 
Hülle  eines  weissen  länglichen  Sackes  —  der  sieht  genau 
so  aus  wie  ein  Gänseei,  und  Hexenei  wird  er  genannt  — 
reisst  auf,  und  daraus  erhebt  sich  eine  etwa  20  cm  hohe 
Säule  mit  einem  ganz  eigenartigen  Kapital,  welches  un- 
gefähr an  orientalische  Motive  erinnert.  Es  bedeckt  sich 
mit  zähem  Schleim,  in  welchem  die  Sporen  eingebettet 
sind.  Der  grässliche  Aasgeruch  lockt  allerhand  Fliegen- 
geschmeiss  heran,  welches  nun  die  Sporen  verbreitet, 
während  sonst  meist  der  Wind  dieses  Geschäft  den 
Pilzen  leisten  muss.  Die  Boviste,  welche  auch  wie  weisse 
Eier  auf  dem  Boden  der  Kieferwälder  z.  B.  liegen,  sondern 
die  Sporen  in  ihrem  Innern  ab;  durch  Bersten  des 
kugeligen  Gebildes  treten  sie  ins  Freie.  In  welch  unend- 
licher Menge  das  der  Fall  sein  muss,  lässt  der  Riesen- 
Bovist  ahnen,  der  die  Grösse  eines  Kürbisses  erreicht, 
und  dessen  Inneres  gefüllt  ist  mit  diesen  winzigen,  nur 
4V2  /*  grossen  Sporen.  Drei  Pfund  fast  wog  ein  noch 
nicht  völlig  entwickeltes  Exemplar,  welches  im  Kreise 
Schrimm  das  Licht  der  Welt  erblickt  hatte.  Wolken  von 
Sporen  verbreitet  es  durch  die  Luft;  jedes  einzelne 
Stäubchen  kann  wieder  einen  Riesen-Bovist  hervorbringen, 
tut  es  aber  glücklicher  Weise  nicht,  denn  sonst  würde 
binnen  weniger  Jahre  die  ganze  Erdoberfläche  aus  nichts 
anderem  als  aus  Riesen-Bovisten  bestehen. 

Es  ist  ein  das  gesamte  Reich  des  Lebens  beherrschen- 
des Gesetz:  ist  die  Existenz  einer  Art  irgend  wie  be- 
droht —  einer  Art,  denn  das  Einzelwesen  spielt  im 
Ratschluss  der  Natur  eine  gar  geringe  Rolle,  —  so  ist  die 
Vermehrung  eine  überaus  bedeutende.  Die  Taube,  welche 
hoch  oben  im  schützenden  Gipfel  des  Baumes  ihr  Nest 
anlegt,   sichert  das  Fortbestehen  ihrer  Art  schon  durch 


Einige  Mitteilungen  über  die  Pilze  unserer  Provinz.        151 

ein  Gelege  von  zwei  Eiern;  das  Rebhuhn  aber,  dessen 
Nest  in  der  Furche  des  Feldes  so  vielen  Gefahren  aus- 
gesetzt ist,  fühlt  sich  durch  jenes  Naturgesetz  zu  einem 
Gelege  von  einer  ganzen  Mandel  Eier  veranlasst.  Welche 
Unmenge  von  Eiern  befindet  sich  im  Rogen  des  Herings, 
des  Hechts  oder  des  Karpfens;  der  Stichling  jedoch  kommt 
mit  viel  weniger  aus,  denn  der  baut  ein  Nest  zwischen 
Wasserpflanzen  und  schützt  heldenhaft  seine  Nachkommen- 
schaft selbst  gegen  den  grimmigen  Zahn  des  Hechts. 

Bei  den  Pilzen  nun  muss  wegen  der  ungeheueren 
Anzahl  von  Sporen,  welche  das  Einzelwesen  hervorbringt, 
irgendwo  ein  locus  minoris  resistentiae  gegen  das  eherne 
Gesetz  der  Vergänglichkeit  vorhanden  sein.  Wo  aber 
befindet  sich  diese  schwache  Stelle?  Vielleicht  schützen 
sie  nicht  hinreichend  ihre  Nachkommenschaft,  wie  der 
Stichling  das  in  so  aufopfernder  Weise  tut?  Doch  nein 
—  da  kann  der  Mangel  nicht  gesucht  werden.  Auf  der 
Unterseite  des  Hutes  sind  die  Sporen  gegen  alle  möglichen 
schädlichen  Einflüsse  der  Witterung  sicher  geborgen. 
Sind  die  Sporen  noch  jung,  also  besonders  empfindlich, 
so  ist  der  Hut  wie  ein  Regenschirm  nach  unten  geklappt, 
und  manche  Pilze,  wie  z.  B.  der  Champignon,  der  schon 
aus  kulinarischen  Gründen  seine  Art  reichlich  fortzu- 
pfanzen  hat,  verbinden  in  der  Jugend  den  Rand  des  Hutes 
noch  durch  eine  Haut,  den  Schleier,  mit  dem  Stiele. 
Beim  Ausbreiten  des  Hutes  reisst  dann  der  Schleier  und 
bleibt  als  „Ring"  am  Stiele  sitzen.  Die  Trüffel,  die  in 
der  Provinz  jedoch  nicht  heimisch  ist,  birgt  sogar  unter 
der  Erde  ihre  Nachkommenschaft,  und  ebenso  machen 
es  manche  andere  Pilze,  welche  trotz  ihres  widerlichen 
Geruches  auf  die  Märkte  der  Provinz  gebracht  werden. 

Für  den  Schutz  der  Nachkommenschaft  ist  bei  den 
Pilzen  also  in  umsichtiger  Weise  gesorgt,  hier  kann  der 
locus  minoris  resistentiae  sich  nicht  befinden,  wo  aber 
befindet  er  sich  dann  ?  Nun,  Fragen,  welche  man  an  die 
Natur  richtet,  beantwortet  man  durch  Beobachtungen, 
oder  wenn  die  Natur  uns  die  Antwort  in  widerspenstiger 
Weise  vorenthalten  will,  dann  stellt  man   einen  Versuch 


152  Fritz   Pfuhl. 

an  —  hier  also  mit  dem  Vermehrungskörper  einer  Pflanze, 
welche  sich  hinsichtlich  der  Menge  der  Nachkommen- 
schaft in  viel  engeren  Grenzen  hält. 

Lassen  wir  auf  feuchter  Erde  ein  Weizenkorn  keimen : 
aus  dem  einen  Ende  entwickelt  sich  das  junge  Pflänzchen 
mit  seinen  Würzelchen  und  einem  grünen  Laubblatte. 
Aber  der  grösste  Teil  des  Weizenkorns  wurde  dabei  (wie 
es  scheint)  gar  nicht  in  Anspruch  genommen.  Je  weiter 
nun  aber  die  Entwickelung  der  jungen  Pflanze  fort- 
schreitet, umso  mehr  lässt  sich  jener  andere,  scheinbar 
überflüssige  Teil  zusammendrücken  —  er  hat  also  dem 
jungen  Wesen  für  die  ersten,  schlimmen  Tage  des  Lebens 
Nahrung  geliefert,  bis  die  neue  Pflanze  selbständig  für 
ihr  Weiterkommen  sorgen  kann.  Solch  einen  Nahrungs- 
vorrat, man  nennt  ihn  ,,Eiweiss"  nach  dem  Nahrungsstoff 
für  das  werdende  Vögelchen,  einen  solchen  Vorrat  enthält 
ein  jeder  Same:  Roggen,  Hafer,  Hanf,  Erbse,  Bohne,  Linse. 
Und  die  Pilzspore?  Nun,  bei  dieser  winzigen  Kleinheit 
von  vielleicht  nur  2/1000  eines  Millimeters,  wodurch  die 
Verbreitung  allerdings  sehr  begünstigt  wird,  kann  ein 
Eiweiss  nicht  mit  auf  den  Lebensweg  gegeben  werden. 
Vom  ersten  Augenblick  an  muss  das  Piizpflänzchen  also 
für  sich  selbst  sorgen,  und  wieviel  junge  Existenzen 
werden  da  wohl  untergehen. 

Aus  diesem  Grunde  schon  ist  eine  reichliche  Ver- 
mehrung erforderlich,  erforderlich  noch  wegen  einer 
anderen  Absonderlichkeit  der  Pilze: 

Wenn  der  Winter  im  gleichem  Tanze  der  Hören 
wieder  dem  Frühling  weicht,  dann  kleidet  sich  Baum  und 
Strauch  und  Kraut  in  liebliches  Grün.  Dieses  herrliche, 
langersehnte  Kleid,  mit  dem  das  Zauberwort  des  Lenzes 
die  Erde  schmückt,  hat  aber  nicht  nur  den  ästhetischen 
Zweck,  des  Menschen  Herz  zu  erfreuen,  es  hat  eine  gar 
reale  Aufgabe  zu  erfüllen:  es  muss  Rohstoffe  für  die 
Nahrung  der  Pflanze  aufnehmen  und  sie  bereiten.  In 
einem  einzigen  Laubblatte  des  Veilchens,  der  Tulpe,  des 
Maiglöckchens  befinden  sich  Millionen  kleiner,  sehr  kleiner 
Körnchen   von   grüner    Farbe;   der  Physiologe  nennt  sie 


Einige  Mitteilungen  über  die  Pilze  unserer  Provinz.        153 

„Chlorophyllkörner".  Die  nehmen  aus  der  Luft  die  Kohlen- 
säure auf,  und  in  geheimnissvoller  Weise  —  das  „Wie" 
hat  die  Wissenschaft  noch  immer  nicht  ergründet  —  be- 
reiten sie  daraus  den  Pflanzen  notwendige  Nahrung.  Die 
Kraft  und  das  Vermögen  dazu  gibt  ihnen  das  Licht,  das 
Licht  der  alierhaltenden  Sonne. 

Und  die  Pilze?  Nun,  wie  es  auch  unter  den  Menschen 
Sonderlinge  gibt,  denen  der  Frühling  vergeblich  winkt, 
vergeblich  die  hohe  Offenbarung  der  Wiedergeburt 
predigt  —  so  auch  die  Pilze.  Sie  hassen  das  herrliche 
Grün,  mit  dem  die  Natur  sich  jetzt  schmückt,  und  wenn 
sie  ja  mal  versehentlich  grüne  Töne  annehmen,  so  sind 
diese  doch  ganz  unähnlich  denen  des  Blattgrüns,  „freudig 
grün"  sind  sie  nie.  Darum  auch  sind  sie  verflucht.  Der 
Fluch  der  Natur  lastet  auf  ihnen :  niemals  dürfen  sie  sich 
selbständigen  Daseins  erfreuen,  wie  die  anderen  Pflanzen, 
welche  aus  Wasser,  Luft  und  Erde  sich  rechtschaffen  die 
Nahrung  bilden,  in  Ewigkeit  sind  sie  dazu  bestimmt,  Kost- 
gänger zu  sein  bei  anderen  Lebewesen.  Und  so  ergibt 
sich  denn  für  den  Botaniker  die  Definition  für  die  Pilze :  Es 
sind  Pflanzen,  welche  sich  1)  ohne  Entwickelung  von 
Blüten  durch  Sporen  vermehren,  2)  kein  Blattgrün  be- 
sitzen, demnach  sich  von  unorganischer  Nahrung  nicht 
ernähren  können,  sondern  auf  lebende  oder  vermodernde 
Pflanzen  oder  Tiere  angewiesen  sind. 

Wie  viele  Millionen  von  Sporen  trägt  der  Wind, 
gleichgültig  um  das  Schicksal  seiner  Schutzbefohlenen, 
auf  einen  Boden,  wo  sich  keine  organischen  Stoffe  be- 
finden: dort  müssen  sie  zu  Grunde  gehen.  Das  Fort- 
bestehen der  Art,  worauf  es  der  Natur  nur  anzukommen 
scheint,  gegen  das  Einzelwesen  ist  sie  herzlos,  kann  also 
nur  gesichert  werden,  wenn  die  Sporen  in  unendlicher 
Zahl  gebildet  werden. 

Wegen  dieser  Ernährung  durch  Kostgängerei  brauchen 
die  Pilze  aber  auch  das  Licht  nicht,  weiches  den  Pflanzen 
mit  grünen  Teilen  die  Kraft  verleiht,  den  unorganischen 
Stoff  zu  bemeistern.  Ja  sie  hassen  es  und  fliehen  es: 
unter  der  Erdoberfläche  kriechen  die  zarten,  feinen  Fäden 


154  Fritz  Pfuhl. 

der  Pilzpflanze  —  Mycel  nennt  sie  die  Botanik  —  umher, 
vermodernde  Stoffe  aufzunehmen  und  in  lebende  Substanz 
wieder  umzusetzen.  Sind  diese  verbraucht,  dann  ist  es 
mit  ihrem  Dasein  hier  an  dieser  Stelle  vorbei,  sie  müssen 
weiterziehen,  um  neue  Nahrung  zu  finden  —  fahrendes 
Volk,  das  wird  nicht  sehr  geachtet  Die  Fruchtkörper, 
die  Sporenträger,  d.  h.  den  Teil,  den  der  Mund  des 
Volkes  „Pilz"  nennt,  treibt  die  Pflanze  in  periodischen 
Zwischenräumen  nach  oben.  Tritt  keine  Störung  ein, 
durch  Steine  z.  B.,  welche  sich  in  der  Erde  befinden, 
oder  durch  Wurzeln,  so  rückt  das  Mycel  unterirdisch 
in  immer  weiterem  Kreise  vor,  in  Kreisen  bringt  es 
die  Fruchtkörper  hervor,  welche  bald  wieder  nach  Aus- 
streuen der  Sporen  zu  Grunde  gehen,  den  Boden 
düngen  und  einen  üppigen  Graswuchs  in  immer  weiteren 
Kreisen  veranlassen.  Eine  sehr  auffallende  Erscheinung, 
welche  seit  alters  die  sagenbildende  Volksseele  be- 
schäftigt hat:  dort  führen  die  Elfen  den  nächüichen  Reihn  — 
und  Elfentanzplatz,  Feenringe,  Hexenringe  nennt  man 
diese  Pilzkreise.  Schon  manchmal  ist  darauf  hingewiesen, 
wie  viel  Naturbeobachtung  sich  in  Shakespeares  Dramen 
zeigt.  Die  eben  erwähnte  aus  der  Physiologie  der  Pilze 
hervorgehende  Tatsache  ist  ihm  schon  bekannt,  wie  aus  fol- 
gender Stelle  (Sturm  V)  hervorgeht 

Ihr  Elfen  .  .  .  halbe  Zwerge,  die  ihr 
Bei  Mondschein  grüne,  saure  Ringlein  macht, 
Wovon  das  Schaf  nicht  frisst,  die  ihr  zur  Kurzweil 
Die  nächt'gen  Pilze  macht  .  .  . 
In  unserer  Provinz   scheinen   die  Hexenringe  selten 
zu  sein.    In   den  Waldungen   zwischen   Marienberg  und 
dem   Gurkasee    wächst    solch    ein    Pilz,    der    zu    diesen 
magischen  Spielen  Neigung  zeigt.    Ein  Trichterling  ist  es, 
Clitocybe  vibecina  sagt  die  Botanik,  bei  uns  ist  er  häufig, 
im  benachbarten  Schlesien  scheint  er  zu  fehlen. 

Weil  nun  bei  den  Pilzen  die  eigentliche  Pflanze,  d.  h. 
das  Wesen,  welches  die  Ernährung  besorgt,  sich  unter 
der  Erde  befindet,  so  können  die  Sporenträger  auch  in 
so  kurzer  Zeit  hervorspriessen,  wie  ja  auch  beim  Kirsch- 


Einige  Mitteilungen  über  die  Pilze  unserer  Provinz.         155 

bäum  sich  die  Blüten,  die  schon  längst  vorher  angelegt 
sind,  so  schnell  entfalten  können.  „Wie  die  Pilze  aus  der 
Erde  wachsen",  ist  ja  zum  geflügelten  Wort  geworden. 

Staunend  erzählte  mir  mal  ein  bekannter  Herr  sein 
Erlebnis,  welches  ihm  in  irgend  einer  kleinen  Stadt  der 
Provinz  auf  einer  Revisionsreise  passiert  war.  Im  Gast* 
hause,  wo  er  abgestiegen,  war  gerade  grosses  Scheuerfest 
gewesen,  und  die  Dielen  noch  etwas  feucht.  Am  andern 
Morgen,  er  traute  seinen  Augen  kaum,  war  der  Fussboden 
bedeckt  mit  in  geraden  Reihen  aufmarschierten  Pilzenr 
von  der  Höhe  eines  Fingers.  Sie  waren  alle  über  Nacht 
aus  den  Ritzen  der  Dielen  hervorgewachsen.  Hätten 
übrigens  meinem  Bekannten  seine  dienstlichen  Pflichten 
nur  noch  einige  Zeit  zu  weiterer  Beobachtung  gegönnt,  dann 
hätte  er  auch  wahrnehmen  können,  von  welch'  vergänglicher 
Art  diese  Pilzherrlichkeit  ist:  wie  bald  schwindet  Schön- 
heit und  Gestalt  Diese  eben  noch  so  stramm  dastehenden 
Hüte  wären  in  wenigen  Stunden  zu  schwarzer  Tinte  zer- 
flossen; die  Sporen  sind  nämlich  schwarz.  Deshalb 
spielte  der  Pilz  früher  als  Kulturträger  eine  Rolle,  da  man 
ihn  zur  Herstellung  einer  Schreibtinte  benutzte.  Den 
„Haus-Tintenpilz"  nennt  man  diesen  Pilz,  der  sich  in 
den  Wohnräumen  der  Menschen  solche  überraschenden 
Scherze  erlaubt 

Aber  nicht  nur  aus  dem  Vermodernden  nimmt  das 
Pilzmycel  seine  Nahrung,  auch  das  Lebende  greift  der 
Pilz  an,  besonders  dann,  wenn  es  sich  Blossen  giebt 
Wie  oft  schon  sind  uns  beim  Besuchen  eines  Waldes 
an  den  Baumstämmen  in  grösserer  oder  geringerer  Höhe 
konsolartige  Auswüchse  aufgefallen.  Es  sind  dies  die 
Sporenträger  von  Pilzen  —  Verwandten  des  Steinpilzes,, 
unterseits  wie  dieser  mit  zarten  Röhren  bekleidet  — r 
welche  die  Mycelfäden  tief  in  den  Holzkörper  hineinschicken. 
Zu  Nutz  und  Frommen  des  Waldbaumes  dient  das  natürlich 
nicht,  und  so  mancher  kraftstrotzende  Stamm,  ein  Stolz 
des  Forstmannes,  ist  diesem  Feinde  schon  erlegen.  Die 
besonders  grossen  Auswüchse,  die  im  Eichwalde  z.  B.  be- 
obachtet  werden   können,   werden    durch   den   unechten 


156  Fritz  Pfuhl. 

Feuerschwamm  gebildet.  Doch  auch  der  echte  Feuer- 
schwamm,  den  Linn6  1755  Ochroporus  fomentarius  ge- 
nannt hat,  findet  sich  ab  und  zu,  z.  B.  in  auffallender 
Menge  in  den  ausgedehnten  Waldungen  nördlich  von 
Radojewo.  Der  Pilz  war  früher  mal  ein  Kulturträger 
ersten  Ranges.  Machte  er  doch  Prometheus  die  Palme 
streitig;  zwar  gab  er  das  Feuer  den  Menschen 
nicht,  aber  er  ermöglichte  es  ihnen  doch,  den  Funken  in 
einer  für  die  damalige  Zeit  bequemen  Weise  aufzufangen. 
Das  Innere  dieses  hartrindigen  Pilzes  besteht  aus  einem 
weichen,  porösen  Stoffe,  der  durch  Klopfen  erheblich  noch 
an  Weichheit  gewinnt  Als  Feuerschwamm,  Zündschwamm 
oder  Zunder  wurde  er  früher  in  grosser  Menge,  heute 
nur  noch  sehr  spärlich,  in  den  Handel  gebracht  —  die 
Botanik  wird  verdrängt  durch  die  Chemie  — ,  er  hat  dem 
Schwefel  und  Phosphor  weichen  müssen.  Übrigens  heisst 
fomentum  nicht  nur  Zunder,  sondern  auch  Umschlag  für 
Wunden,  und  noch  heute  wird  der  Feuerschwamm  zum 
:Stillen  des  Blutes  benutzt. 

Es  erfordert  jedoch  nicht  erst  einen  weiten  Ausflug 
in  einen  hochstämmigen  Wald,  um  den  Kampf  zwischen 
lebender  Pflanze  und  Pilz  beobachten  zu  können.  In 
Scharen  sitzen  da  an  manchen  Bäumen  unserer  Plätze 
und  Promenaden  honiggelbe  Pilze,  welche  an  ihren  Blättern 
weisse  Sporen  absondern.  Besonders  im  Winter  machen 
sie  sich  bemerkbar:  der  tut  ihnen  nichts;  wie  sie  sich 
denn  überhaupt  des  üppigsten  Daseins  erfreuen,  wohl 
infolge  der  von  ihnen  befolgten  Lebensregel :  Fuss  warm, 
Kopf  kühl.  Denn  nur  den  unteren  Teil  ihres  Stieles  um- 
hüllen sie  mit  einem  dunkelbraunen  Filz,  woraufhin  ihnen 
denn  auch  der  Botaniker  den  Namen  velutipes  „Fuss  mit 
Hülle  versehen"  gegeben  hat.  Zu  deutsch  heisst  der  Pilz 
„Rübling".  Mit  Recht,  denn  eine  unter  günstigen  Ver- 
hältnissen sehr  bedeutende  rübenartige  Verlängerung  des 
Stieles  lässt  sich  manchmal  bis  tief  in  das  Innere  des 
morschen  Baumes  verfolgen. 

Ferner:  Die  gelben  und  braunen  und  schwarzen 
Flecken  auf  Blättern,  an  Stengeln,  an  Blüten  oder  Früchten 


Einige  Mitteilungen  über  die  Pilze  unserer  Provinz.        157 

bei  den  verschiedensten  Pflanzen  werden  meist  durch 
Pilze  veranlasst,  die  sich  aus  dem  lebenden  Wesen  die 
Nahrung  holen,  welche  sie  nicht  der  Luft  entnehmen  können. 
Und  somit  sind  es  denn  auch  trotz  ihrer  vom  Champignon,, 
vom  Feuerschwamm,  vom  Steinpilz  so  sehr  abweichenden 
Gestalt  Pilze;  denn  sie  fügen  sich  der  Definition,  sie  ver- 
mehren sich  durch  Sporen,  und  sind  Kostgänger  bei 
anderen  Lebewesen.  Der  Flugbrand  und  der  Rost  des  Ge- 
treides, gefürchtete  Krankheiten  der  Kartoffelpflanze  und 
des  Weinstocks  werden  durch  Pilzmycel  hervorgebracht 

Aber  auch  den  Herrn  der  Schöpfung,  den  Menschen, 
verschonen  die  Pilze  nicht  Wie  gar  manchmal  schon  ist 
die  Unsitte  yerhängnisvoll  geworden,  die  Ähren  von 
Gräsern,  von  der  Gerste  z.  B.,  in  den  Mund  zu  nehmen.. 
Die  scharfen  Grannen  verletzen  die  Schleimhaut  der 
Lippen,  und  die  Sporen  des  Strahlenpilzes,  „Actinomyces" 
sagt  der  Botaniker  und  der  Mediziner,  können  nun  in 
den  Körper  eindringen,  wo  sie  —  zuweilen  erst  nach 
langen  Monaten  —  fürchterliche  Verheerungen  durch  das 
weithin  sich  verzweigende  Mycel  anrichten.  Und  nun  der 
Cholera-,  der  Typhus-,  der  Schwindsuchtspilz  und  das 
andere  pathogene  Pilzgesindel !  Sind  denn  das  aber  auch 
Pilze?  Gewiss!  Denn  auch  sie  sind  der  Definition  unter- 
worfen :  erstens,  von  Mineralstoffen  allein  können  sie  sich 
nicht  ernähren  und  zweitens,  vermehren  sie  sich  nicht 
durch  Blüten  — ,  wenn  nur  zugegeben  wird,  dass  es  sich 
dabei  um  Pflanzen  handelt  Da  ist  wieder  solche 
Achillesferse  der  Wissenschaft:  sie  ist  nicht  im  Stande, 
zwischen  Tier  und  Pflanze  zu  unterscheiden  und  wird  in 
manchen  Fällen  auch  nie  im  Stande  sein,  eine  scharfe 
Grenze  zwischen  Tierpflanzen  und  Pflanzentieren  zu  ziehen. 
So  hat  Linnes  Ausspruch:  Natura  non  facit  saltus,  die  Natur 
macht  keinen  Sprung,  auch  heute  noch  Gültigkeit,  ja  mit  noch 
weit  mehr  Recht  als  zu  der  Zeit,  wo  das  Wort  entstand. 

Doch  nicht  nur  diese  winzigen  Pilze,  welche  im 
Blute  der  Menschen  und  Tiere  ihr  Unwesen  treiben,  ent- 
wickeln lebengefährdende  Gifte,  auch  die  grossen  Pilz- 
körper, welche  der  Volksmund  Schwämme  nennt,  leisten 


158  Fritz  Pfuhl. 

<iarin  ganz  hervorragendes.  Nun  ja,  so  hört  man  oft, 
•das  sieht  man  ihnen  doch  auch  gleich  an,  die  gütige, 
fürsorgliche  Natur  hat  ihnen  doch  das  Kainszeichen 
<ier  Nichtswürdigkeit  aufgeprägt:  ein  Pilz,  der  so 
grünspanig  aussieht,  der  mit  solchem  missfarbigen 
Schleim  bedeckt  ist,  das  ist  gewiss  einer  der  schlimmsten. 
Doch  nein,  dieser  Pilz,  welcher  im  Eichwalde,  im  Cybina- 
grunde  z.  B.  in  Menge  vorkommt,  ist  ein  ganz  harmloses 
Wesen,  ein  sehr  naher  Verwandter  des  Champignons. 
Aber  nicht  weit  entfernt,  unter  den  Kiefern,  macht  sich 
ein  anderer  Pilz  sehr  auffallend  bemerkbar.  Er  liebt  es, 
sich  in  weiss  zu  kleiden,  weiss  der  Stiel,  weiss  der  Hut, 
zuweilen  auch  etwas  gelblich  oder  grünlich,  weiss  meist 
auch  der  Ring  am  Stiel;  und  wenn  man  den  Hut  um- 
dreht, dann  lächelt  uns  auch  dort  die  Farbe  der  Un- 
schuld mit  der  grössten  Harmlosigkeit  entgegen.  Und 
<loch !  es  ist  das  der  giftigste  Pilz,  den  unsere  Provinz  birgt, 
es  ist  wahrscheinlich  der  Pilz,  der  in  jedem  Jahre  seine 
Opfer  fordert,  und  der  oft  schon  das  Glück  einer  Familie 
jäh  zerstört  hat  Gift-Wulstling  nennt  man  ihn;  sein 
Stiel  bildet  nämlich  dicht  am  Erdboden  oder  innerhalb 
der  Erde  eine  meist  sehr  auffallende  knollige  An- 
schwellung. Er  ist  wohl  vielfach  mit  dem  Champignon 
verwechselt  worden ;  dieser  zeigt  aber  bereits  in  dem 
jungen  Zustande,  in  welchem  der  Hut  mit  dem  Stiel 
durch  den  Schleier  verbunden  ist,  schwach  rötliche 
Blätter  (ganz  kleine  Exemplare  kommen  für  die  Küche 
nicht  in  Betracht)  später  werden  sie  braunviolet  Es 
wurde  eben  bemerkt,  dass  der  Gift-Wulstling  „wahr- 
scheinlich" die  meisten  Opfer  in  unserer  Provinz  fordert 
Es  ist  nämlich  ganz  überraschend,  wie  wenig  sicher  man 
unterrichtet  ist  über  die  Art  der  Pilze,  welche  den  Ver- 
giftungsfall hervorgerufen  hat,  z.  B.  schon  deshalb,  weil 
Pilze  kennen  nicht  Jedermanns  Sache  ist.  Daher  kommt 
es  denn  auch,  dass  die  Pilzbücher  bei  nicht  wenigen 
Arten  den  so  unsichern  Zusatz  „verdächtig"  machen. 

Die     Hausfrau     aber     beherzige:     nicht     ein 
silberner    Löffel    und    auch    nicht    eine    Zwiebel, 


Einige  Mitteilungen  Über  die  Pilze  unserer  Provinz.        159 

welche  zusammen  mit  den  Pilzen  gekocht  werden, 
können  das  Vorhandensein  von  Gift  verraten. 
Einzig  und  allein  die  Kenntnis  der  Pilze  schützt 
vor  der  Vergiftungsgefahr,  und  nur  die  Pilze  darf 
die  Hausfrau  in  den  Kochtopf  bringen  lassen,  die 
sie  kennt 

In  der  Zeitschrift  der  naturwissenschaftlichen  Abteilung 
der  Deutschen  Gesellschaft  wurde  mal  eine  kurze  Auf- 
zählung der  Merkmale  für  die  giftigsten  Pilze,  welche  in 
unserer  Provinz  Leben  und  Gesundheit  bedrohen,  veröffent- 
licht   Diese  mag  an  dieser  Stelle  wiedergegeben  werden. 

Man  hüte  sich  vor  Pilzen,  welche 

A.  keinen  Hut  haben,  sondern 

i.1)  knollenförmig   sind;    sie   sind   schädlich   oder    übel- 
schmeckend, — 

B.  einen  Hut  haben  und 

2.  auf  der  Unterseite  des  Hutes  Röhren  mit  roter 
Mündung  besitzen;  sie  sind  giftig,  — 

C  auf  der  Unterseite    des  Hutes   speichenartig  gestellte 
Blätter  zeigen  und 

3.  beim  Zerbrechen  oder  Zerschneiden  des  Hutes  einen 
Milchsaft  austreten  lassen,  der  anders  als  gelbrot 
gefärbt  ist,  denn  unter  diesen  befinden  sich  mehrere 
giftige  Sorten,  — 

4.  Blätter  haben,  die  in  der  Mehrzahl  vom  Rande 
bis  vollständig  zum  Stiel  gehen,  von  denen  also 
mehrere  immittelbar  benachbarte  gleich  lang 
sind;  das  sind  die  Täublinge  oder  Reizker,  von  denen 
mehrere  Arten  stark  giftig  sind,  — 

5.*)  am  weissen   (zuweilen  im   oberen  Teile  schwach 
gelblichen)  Stiel  eine  ringförmige  Haut,  den  Ring, 

*)  Der  so  beliebte  Champignon  (und  einige  andere  Pilze) 
besitzt  im  Jugendzustande  eine  knollenartige  Gestalt,  da  der  Hut 
dann  noch  nicht  ausgebreitet,  sondern  dem  Stiel  eng  angedrückt  ist 
Beim  Durchbrechen  machen  sich  jedoch  die  Blatter  auf  der  Unter- 
seite des  Hutes  schon  bemerkbar,  und  äusserlich  ist  die  Grenze 
zwischen  dem  Stiel  und  dem  angedrückten  Hute  zu  erkennen. 

*)  Einige  harmlose  Pilzsorten,  welche  häufig  auf  den  Markt 
gebracht  werden,   besitzen  ebenfalls   einen  mit  einem  Ringe  ver- 


160  Fritz  Pfuhl. 

tragen    und   am   Hute    weisse    (zuweilen    schwach 

gelbliche)    Blätter    besitzen,   denn    diese    Pilze    sind 

überaus  giftig. 

So  scheint  denn  wirklich  das  Geschlecht  der  Pilze 
von  der  Natur  mit  einem  Fluche  belastet  zu  sein,  bestimmt 
dazu,  das  Leben  zu  bedrohen  und  zu  bekämpfen.  Aber 
so  scheint  es  nur;  der  Fluch  verwandelt  sich  in  Segen 
für  den,  der  da  sehen  kann.  Unendlich  ist  der  Segen, 
den  die  Pilze  allem,  was  da  existiert,  bringen;  wäre  doch 
das  Leben  auf  der  Erde  nicht  möglich  ohne  sie,  es 
müsste  erlöschen,  erstickt  würde  es  unter  Haufen  von 
Leichen.  Das  tote  und  abgestorbene  wird  durch  die 
Pilze  wieder  hineingezogen  in  den  lebendigen  ^  Wirbel 
der  Metamorphosen,  sie  bewirken,  dass,  was  irgendwo 
auf  der  Erde  verwest,  wieder  auferstehen  muss.  Wo 
der  Eskimo  mit  Schnee  sein  Renntier  tränkt,  wo  die 
Sonnenstrahlen  senkrecht  scheinen  und  das  Wasser  der 
Cisterne  aufzusaugen  streben,  schaffen  die  Pilze,  die 
grossen  und  die  kleinen,  für  den  Kreislauf  in  der  Natur. 
Verkannt  und  unterschätzt,  verachtet  sogar  und  verab- 
scheut, ein  Opfer  der  äussern  Erscheinimg,  fühlen  sie  sich 
getragen  durch  die  Bedeutung  ihres  Wesens  und  ihres 
Wertes.  Im  Besitze  uralter  Weltweisheit  —  reicht  doch 
ihr  Stammbaum  viel,  viel  weiter  zurück  in  der  Ahnen- 
reihe der  Formen  als  der  der  prangenden  Rose  oder  der 
prunkenden  Lilie  — ,  haben  sie  sich  zu  der  philosophischen 
Erkenntnis  durchgekämpft: 

Die  Tat  ist  alles,  nichts  der  Ruhm. 


sehenen  Stiel:  der  Schirmling,  der  Hallimasch  und  der 
Champignon.  Der  Stiel  des  Schirmlings  ist  jedoch  mit  gran- 
braunen Schuppen  bedeckt  (oder  doch  bräunlich  gefärbt),  ist  also 
nicht  weiss,  und  ebensowenig  ist  der  des  Hallimasch  weiss  gefärbt, 
sondern  er  zeigt  mehr  oder  weniger  eine  bräunliche  Färbung,  wie 
auch  seine  Blätter  nicht  rein  weiss  gefärbt  sind.  Auch  der  Champignon 
unterscheidet  sich  mindestens  durch  seine  Blätter,  welche  in  der 
Jugend  schwach  rötlich,  später  mehr  oder  weniger  tief  violettbraun 
gefärbt  sind,  leicht  von  den  unter  5)  charakterisierten  Giftpilzen. 


Von  Arbeiten,  welche  in  früheren  Jahrgängen  der  Zeitschrift  der 
Historischen  Gesellschaft  für  die  Provinz  Posen  veröffentlicht  wurden, 
sind  folgende  auch  im  Sonder-Abdruck  erschienen  und  durch  den  Vor- 
stand der  Gesellschaft  oder  die  Buchhandlungen  zu  nachstehenden 
Preisen  zu  beziehen : 
R.  Jonas:    Ein  Deutsches  Handwerkerspiel,  nach  einer  hand-       M 

schriftlichen  Überlieferung  aus   dem  Kgl.  Staats-Archiv  zu 

Posen  herausgegeben.  53  Seiten,  1885 1,00 

A.  Warschauer:    Die  Chronik  der  Stadtschreiber  von  Posen. 

XLV  und  r7i  Seiten.  1888 5,00 

R.  Roepell:  J.  J.  Rousseaus  Betrachtungen  über  die  polnische 

Verfassung.    24  Seiten.    1888 0,80 

E.  Hoff  mann:  Hundertjährige  Arbeit  auf  Gebieten   des  Ver- 

kehrswesens i.  d.  deutschen  Ostmark.  Mit  1  Karte.  26  S.  1890.      1,20 
Fr.  Schwanz:  Die  Provinz  Posen  als  Schauplatz  des  sieben- 
jährigen Krieges.    52  Seiten.    1890 1,20 

M.    Bebe  im -Seh  warzbach  :    Das  V.  Armeekorps  im  histo- 
rischen Volksliede  des  Krieges   1870  71.     24  Seiten.    1891.      0,50 
R.    Roepell:     Das    Interregnum,    Wahl    und    Krönung    von 

Stanislaw  August  Poniatowski.    173  Seiten.    1892 1,50 

Ph    Bloch:     Die   General-Privilegien    der  polnischen   Juden- 
schaft.    120  Seiten.     1892 2,5p 

M.  Kirmis:  Handbuch  der  poln.  Münzkunde.  XI  u.  268  S.  1892.  6,o<> 
J.  Landsberger:  Beiträge  zur  Statistik  Posens.  30  S.  1803.  0,60 
Will  iam  BarMow  v.  Guenther.  Ein  Lebensbild.  18  S.  1804.  j,oo 
A.  Warschauer:  I  >ie  Poseuer  Gold>chmiedfamilic  Kamyn.   26 

Seiten.     Mit  6  Tafeln   Abbildungen.      1894 t.so 

G.  Adler:  Das  gros^poln.  Fleischergewerbe  vor 300  Jahren.  rBgi.  2,80, 
11.  Kiewning:  Seidenbau  und  Seidenindustrie  im  Xetzedistrikt 

von   1773  bis   1805.     1896 r»5°t. 

H.    Klein  Wächter :     Die    Inschrift    einer    Po<ener  Messing- 
schüssel.    16  Seiten.     Mit  einer  Tafel  Abbildungen.    1897.       1, — 
G.  K 11  oll:     Der  Feldzug  gegen  den   polnischen    Aufstand   im 

Jahre   1794.     126  Seiten.     1898 3, — 

F.  Guradze:  Der  Bauer  in  Posen.    I.  Theil  {  1772— 1815).     100 

Seiten.      1808 1,50 

J.  Kohte:  Da<  Bauernhaus  in  der  Provinz  Posen     Mit  2  Tafeln 

und  5  Abbildungen.     16  S.     1809 *,— 

J.  KvaCala,     D.   F.  Jablotisky   und  G rosspolen    154  S.      iqoi.       1,50 
R.  Prümers,  Tagebuch  Adam  Samuel  Hanmanns,  Pfarrers  zu 
I.i-sa  i.   P.  über   seine  Kollektenreise    durch   Deutschland, 
die  Niederlande,  Kimland   und  Frankreich    in    den  Jahren 
1057—165,9.     279  S.    JQOl 3,— 

G.  Minde-Pouet,  Kunstpflege  in   Posen.     80  S     iqoj    .        .       j,20 
G.    Beider:    Über    Friedrichs  des  Großen  burle-ke^  Helden- 
gedicht „La  guerre  dc>  eonfedereX     52  S.      1903.    .    .  L.20    '< 

Ausserdem  erschienen  im  Verlage  d.  Historischen  Gesellschaf:: 
A.  Warschauer:  Stadtbuch  von  Posen.     I.  Band:     Die  mittel- 
alterliche Magi-trat-liste.     Die  fdtesten  Protokollbücher  und 
Rechnungen.     Posen    1802.     Roy.   8".    108  u.  527  S.    (I.   Bd. 

dei"  Sonderveröl lentliehunirent .    .     12, — 

O.  Knoop:  Sauen  u.  Erzählungen  a.  d.  Prov.  Po-en.  Posen  1803 

Roy.   8°.     303  S.     (II.    Bd.   der  Sonderveroffentlichungen).      7,00 

gebunden      8,00 
Das   Jahr   170.5.     Urkunden   und  Aktenstücke  zur  Geschichte 
de»*  <  h'gani^ation    Südpreussens.     Mit   4    Portraits      Guter 
(\vv  Redaktion  von  Dr.  R.  Prümer.-.    Posen    1895.    Roy  8". 
X  u.  840  S.  (III.  Bd.  der  Sonderveröffentlichungen».     .    .    .  12, — 


H.ahuchdruekinei   W.    [»rekrr  \-  Co.,  I'« 


Zeitschrift 


der 


Historischen  Gesellschaft 

für  die 

Provinz  Posen, 

zugleich 

Zeitschrift  der  Historischen  Gesellschaft  für 
den  Netzedistrikt  zu  Bromberg. 


Herausgegeben 

von 

Dr.  Rodgero  Prümers. 


«: 


Achtzehnter  Jahrgang.       *       er       *       ©       Zweiter  Halbband. 


JL(llOL 


\ 


Alle  Rechte  vorbehalten. 


Ober  Friedrichs  des  Grossen  burleskes  Heldengedicht 
„La  guerre  des  confederes". 

Von 
Q.  Peiser. 

'on  jenen  Adelsverbindungen,  welche  durch  das 
wundersame  Staatsrecht  der  polnischen  Republik 
geradezu  legalisiert  waren,  hat  keine  so  tiefe 
Spuren  in  der  Geschichte  Polens  und  Europas  überhaupt 
hinterlassen,  wie  die  Konföderation  von  Bar.  Am 
24.  Februar  1768  hatte  ein  ausserordentlicher  Reichstag, 
russischer  Gewalt  nachgebend,  die  Gleichstellung  der 
polnischen  Dissidenten,  das  heisst  der  Protestanten,  Re- 
formierten und  nicht  linierten  Griechen,  mit  den  römischen 
Katholiken  ausgesprochen.  Die  Männer,  die  sich  fünf 
Tage  darauf  in  dem  kleinen  podolischen  Orte  Bar  kon- 
föderierten, entfesselten  den  religiösen  Fanatismus  zur 
Wiederherstellung  der  Vorrechte  der  katholischen  Kirche. 
Ihr  Endziel  aber  war  die  Beseitigung  des  Königs  Stanislaus 
August,  der  seit  1764  als  russischer  Vasall  in  Warschau 
residierte,  und  die  Abschüttelung  des  russischen  Joches 
überhaupt1).  In  dem  jahrelangen  Kampfe,  der  sich  nun 
entspann  und  das  unglückliche  Land  allen  Greueln  eines 
Guerillakrieges  überlieferte,  war  die  öffentliche  Meinimg 
Europas,  soweit  sie  im  Banne  der  Aufklärung  stand,  auf 


*)  vgl.  u.  A.  Beer:    Die  erste  Teilung  Polens.    Wien  1873.    I 
S.  226  ff. 

Prowe :  Polen  in  den  Jahren  1766— 1768.  Berlin  1870.  S.  56  ff. 
Ruiniere:  Historie  de  l'anarchie  de  Pologne  II  S.  504.  ff. 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XYIÜ.  11 


162  G.  Peiser. 

Seite  der  Russen.  Der  Wortführer  der  Partei,  Voltaire, 
gab  auch  hier  den  Ton  an,  indem  er  die  Kaiserin 
Katharina  als  die  Vorfechterin  religiöser  Toleranz  feierte 
und  die  Konföderierten  als  Narren  verhöhnte  oder  als 
Verbrecher  brandmarkte1).  Niemand  aber  hat  ein  härteres 
Verdammungsürteil  über  die  Konföderierten  von  Bar  aus- 
gesprochen als  Friedrich  der  Grosse,  der  sie  in  seinem 
komischen  Epos :  „La  guerre  des  confed6r6s"  dem  Spotte 
und  der  Verachtung  preisgab. 

Nur  einige  Vertraute  Friedrichs  haben  zu  seinen 
Lebzeiten  das  Werk  kennen  gelernt  Am  18.  November 
1771  schickte  er  Voltaire  als  „Probe"  die  beiden  ersten 
Gesänge.  In  dem  Begleitbriefe2)  spricht  er  sich  zugleich 
über  die  Umstände,  unter  denen  das  Werk  entstanden 
ist,  des  Näheren  aus.  Er  habe  einen  sehr  heftigen  Gicht- 
anfall gehabt;  Hände  und  Füsse  seien  ihm  wie  geknebelt 
gewesen.  „Kaum  aber  hatte  ich  die  Bewegungsfähigkeit 
meiner  rechten  Hand  wiedererlangt,  als  mir  der  Gedanke 
kam,  Papier  zu  bekritzeln,  nicht  um  das  Publikum  und 
Europa,  welches  seine  Augen  sehr  offen  hält,  aufzuklären 
und  zu  unterrichten,  sondern  um  mich  zu  amüsieren. 
Nicht  die  Siege  Katharinas  habe  ich  besungen3),  sondern 
die  Torheiten  der  Konföderierten;  der  Scherz  passt  besser 
für  einen  Rekonvalescenten  als  die  Herbheit  des 
majestätischen  Stils.  Die  Unterwerfung  der  Moldau, 
Walachei  und  Tartarei  müssen  in  einem  andern  Tone 
besungen  werden  als  die  Dummheiten  eines  Potocki, 
Krasinski,  Oginski  und  jener  ganzen  imbecilen  Menge, 
deren   Name    auf    ki    endigt"    Das    Werk    sei    bereits 


*)  Voltaire  an  Friedrich  vom  18.  Oktober  und  6.  Dezember  177 1. 
und  15.  Februar  1775.    (Oeuvres  XXIII  229,  233  und  354.) 

Vgl.  Janssen:  Zur  Genesis  der  ersten  Teilung  Polens.  Frei- 
burg 1865,  S.  98. 

Arnold:  Geschichte  der  deutschen  Polenliteratur.  Halle  1900 
I  S.  59. 

2)  Oeuvres  de  Fr.  !e  Gr.  XXIII  S.  232. 

3)  Voltaire  hatte  die  russischen  Siege  im  Türkenkriege  in 
mehreren  Oden  gefeiert. 


/-  /* 


Friedrichs  d.  Gr.  „La  guerre  des  confedeYeV4.  163 


völlig  fertig;  die  fünfwöchentliche  Krankheit  habe  ihm 
Zeit  gelassen,  ganz  gemächlich  zu  reimen  und  zu 
verbessern l). 

Ähnlich  äussert  er  sich  in  dem  Schreiben,  mit  welchem 
er  d'Alembert  am  30.  November  1771  die  beiden  ersten 
Gesänge  übersandte2).  Er  rühmt  die  natürliche  Heiterkeit 
<Jer  Franzosen,  die  mit  einem  Liedchen,  einem  Bonmot  sich 
allen  Missmut  hinwegzuscherzen  wüssten.  Er  mache  es  bei 
seinem  Gichtleiden  ebenso.  Kaum  sei  er  seine  grossen 
Schmerzen  los  geworden,  so  habe  er  sich  über  die  pol- 
nischen Konföderierten  lustig  gemacht  Es  habe  ihn  amü- 
siert, sie  nach  dem  Leben  zu  zeichnen.  Beim  Lesen  bittet 
er  d'Alembert  zu  bedenken,  dass  es  Verse  eines  Kranken, 
eines  Sechzigjährigen  seien,  und  dass  sie  als  Heilmittel 
gegen  seine  Schmerzen  hätten  dienen  sollen. 

War  somit  die  Absicht  des  königlichen  Autors  ur- 
sprünglich nur  darauf  gerichtet,  sich  in  seinen  Schmerzen 
zu  zerstreuen,  so  ist  ihm  doch  später  der  Gedanke  ge- 
kommen, sein  Werk  auch  politisch  zu  verwerten. 

Im  Jahre  1773  übersandte  er  es  dem  Grafen  Solms, 
seinem  Gesandten  in  Petersburg,  mit  dem  Auftrage,  es 
die  Kaiserin,  den  Minister  Panin,  den  Fürsten  Repnin  und 
andere  hervorragende  Persönlichkeiten  des  Petersburger 
Hofes  lesen  zu  lassen.  Man  kann  nicht  daran  zweifeln, 
dass  er  damals  überhaupt  den  Gedanken  gehabt  hat,  die 
Schrift  dem  Publikum  zu  übergeben.  Es  waren,  wie  be- 
stimmt versichert  wird,  lediglich  die  Vorstellungen  des 
Grafen  Solms,  welche  den  König  zu  dem  Entschlüsse  ge- 


*)  Friedrichs  Dichtung  hat  Voltaire  zur  Abfassung  seines 
Dramas  „Les  lois  de  Minos"  angeregt,  (s.  Voltaires  Brief  an 
Friedrich  vom  8.  Dezember  1772.  Oeuvres  XXIII  S.  260.)  König 
Teucer  ist  kein  Anderer  als  Poniatowski ;  auch  die  Grossen  in  Kreta 
haben  das  Recht  des  liberum  veto.  Als  Teucer  dem  Hohepriester 
eine  Kriegsgefangene  entreisst,  die  dieser  Jupiter  opfern  will,  kommt 
es  zum  Konflikt  Im  Kampfe  siegreich,  zerstört  der  König  das 
Heiligtum  zu  Gortyna,  wo  die  Menschenopfer  dargebracht  werden, 
und  erlangt  die  höchste  Gewalt  im  Lande. 

2)  Oeuvres  XXIV  S.  611. 


164  G.    Peiscr. 

bracht  haben,  von  einer  Veröffentlichung  Abstand  zu 
nehmen.  Friedrich  billigte,  wie  es  heisst,  die  Gründe 
seines  Gesandten,  lobte  dessen  Eifer  und  liess  sich  das 
Manuskript  zurückschicken.  Welcher  Art  diese  Vor- 
stellungen gewesen  sind,  erhellt  aus  einem  Briefe  Friedrichs 
vom  2.  März  1775 *).  Er  lehnt  hier  die  Aufforderung 
Voltaires,  das  Werk  im  Drucke  erscheinen  zu  lassen,  mit 
der  Begründung  ab:  „Es  ist  darin  von  vielen  Personea 
die  Rede,  die  noch  leben,  und  ich  darf  und  will  niemanden 
verletzen.11 

An  diesem  Entschlüsse  hat  er  denn  auch  für  die 
Folgezeit  festgehalten.  Als  eine  Abschrift  —  man  sagt: 
durch  eine  Indiskretion  Voltaires  —  Beaumarchais  in  die 
Hände  fiel,  der  sie  einem  Hamburger  Buchhändler  ver- 
kaufte, hat  Friedrich  den  Druck  inhibieren  lassen,  übrigens 
nicht,  ohne  dem  Buchhändler  seine  Kosten  zu  erstatten  a). 
So  ist  denn  das  Werk  erst  nach  dem  Tode  Friedrichs, 
als  Supplement  zu  seinen  Oeuvres  posthumes,  veröffent- 
licht worden8). 

Die  Dichtung  hat  bisher  eine  eingehende  Würdigung 
nicht  erfahren.  Das  vernichtende  Urteil,  das  Friedrich 
von  Raumer  im  Jahre  1832  über  das  Epos  gefällt  hat4), 
—  er  nennt  es  weniger  komisch  als  frivol  und  eines  so 
grossen  Geistes,  wie  Friedrich  war,  unwürdig  —  hat 
Johannes  Janssen  nur  eben  wiederholt 5).  Auch  Arnold  6) 
hat  in  seinem  vortrefflichen  Werke  „  Geschichte  der 
deutschen  Polenliteratur"  der  Schrift  nur  eine  kurze  Be- 
sprechung widmen  können.    So  mag  denn  der  Versuch 


i)  Oeuvres  XXIII  S.  360. 

2)  Denina:  La  Prusse  littdraire  sous  Frddäric  IL  Berlin  179a 
t.  IL  S.  80  und 

Denina:  Essai  sur  la  vie  et  le  regne  de  Fr6d6ric  II.  Berlin  1788. 
SS.  341  u.  420. 

3)  Auf  dieser  Edition  beruht  —  da  das  Manuskript  nicht  mehr  vor- 
handen ist  —  auch  die  Ausgabe  von  1850:  Oeuvres  XIV  S.  213 — 273. 

4)  Raumer.    Polens  Untergang.    Historisches  Jahrbuch  Bd.  m. 
S.  466. 

5)  Zur  Genesis  der  ersten  Teilung  Polens.    S.  98  fg. 
«)  I  S.  62. 


Friedrichs  d.  Gr.  „La  guerre  des  confedeYeV'.  165 

nicht  ungerechtfertigt  erscheinen,  einmal  den  Gedanken- 
gang des  Gedichtes  ausführlicher  darzulegen,  seine 
historischen  Angaben  auf  ihren  Wert  zu  prüfen  und  wo- 
möglich seine  Bedeutung  in  das  rechte  Licht  zu  setzen. 
Wie  in  seiner  schriftstellerischen  Tätigkeit  über- 
haupt, so  folgt  Friedrich  auch  in  seinem  „Konföderations- 
kriege" den  Spuren  Voltaires,  der  seiner  Zeit  als  der 
Meister  des  komischen  Epos  galt  Schon  einmal  hatte  er 
dies  Gebiet  betreten.  In  seinem  burlesken  Heldengedichte 
das  „Palladium*  hatte  er  die  Pucelle  nachgeahmt.  Das 
Werk,  das  ebenfalls  nicht  für  die  Öffentlichkeit  bestimmt 
war,  behandelte  ein  Abenteuer  seines  Vorlesers  Darget, 
der  im  Jahre  1745  an  Stelle  seines  damaligen  Herrn,  des 
französischen  Gesandten  Valori,  von  den  Österreichern 
gefangen  genommen  worden  war.  Bei  seinem  zweiten 
Versuche  schwebte  Friedrich  offenbar  der  Gedanke  vor, 
ein  Werk  im  Stile  von  Voltaires  „Guerre  civile  de 
Genöve"  *)  zu  verfassen.  Mit  funkensprühendem  Witze 
hat  hier  der  Schlossherr  von  Ferney  die  Parteikämpfe 
seiner  Nachbarn,  die  Intoleranz  der  Genfer  Prädikanten, 
die  Herrschsucht  des  städtischen  Patriziats  und  eine  da- 
durch hervorgerufene  Erhebung  der  unteren  Stände  ge- 
schildert Daneben  hat  er  die  Schwächen  seines  alten 
Gegners  Jean  Jacques  Rousseau,  insbesondere  seinen 
Wankelmut  in  religiösen  Dingen,  zur  Zielscheibe  seines 
rücksichtslosen  Spottes  gemacht.  Friedrichs  Werk  be- 
gegnet sich  mit  dem  seines  Lehrmeisters  hauptsächlich 
in  der  allgemeinen  Tendenz,  die  Unduldsamkeit  der 
Priester  zu  geissein.  Doch  finden  sich  auch  hie  und  da 
direkte  Anlehnungen,  auf  die  wir  an  den  betreffenden 
Stellen  hinweisen  werden.  Die  Leichtigkeit  und  Anmut, 
mit  der  Voltaire  Vers  und  Reim  behandelt  —  es  sind  die 
üblichen  sfüssigen  Jamben,  bei  denen  die  Reime  künst- 
lich verschlungen  sind  —  vermag  der  Nachahmer  natür- 
lich nicht  zu  erreichen.    Wie  hätte  das  auch  bei  einem 


*)  Oeuvres  completes  de  Voltaire  (Garnier  freres)  1877.  t  IX 
s-  515—552. 


166  G.  Peiser. 

Werke  möglich  sein  können,  das  unter  solchen  Umständen 
verfasst  ist!  Es  gleicht  einem  leicht  gezimmerten  Ge- 
bäude, das  überall  die  Spuren  der  Eile  zeigt,  in  der  der 
Baumeister  es  aufgeführt  hat  Die  Ungleichheit  des  Stils 
erklärt  Friedrich  einmal  —  natürlich  mit  einer  gewissen 
Übertreibung  —  damit,  dass  er  keinen  festen  Plan  haber 
sondern  seiner  Feder  freien  Lauf  lasse  und  niederschreiber 
was  ihm  gerade  einfalle  1). 

Schon  die  Widmungsepistel,  die  dem  Werke  voran- 
geht, —  sie  ist  in  vierfüssigen  Jamben  abgefasst  —  kenn- 
zeichnet den  Geist,  der  in  der  Dichtung  überhaupt  herrscht. 

Voltaire  hatte  einst  seinen  Mahomet  dem  Papste 
Benedikt  XIV.  übersandt,  „dem  Oberhaupte  der  wahren 
Religion  eine  Schrift  gegen  den  Stifter  einer  falschen  und 
barbarischen*  und  vom  Papste,  „le  bonhomme  Lambertini,* 
wie  er  ihn  zum  Danke  nennt,  ein  heiteres  Antwortschreiben 
erhalten. 

Auch  Friedrich  widmet  sein  Werk  dem  regierenden 
Papste.  Es  war  Clemens  XIV.  aus  dem  Hause  Ganganelli, 
derselbe,  der  im  Jahre  1772  den  Jesuitenorden  aufge- 
hoben hat  Aber  im  Gegensatze  zu  Voltaires  Widmung, 
die  demütig  und  devot  abgefasst  ist,  war  die  Friedrichs 
durchaus  nicht  geeignet,  in  die  Hände  des  Adressaten  zu 
gelangen:  „Da  ich  ja  doch  als  Ketzer  ein  für  alle  Mal 
exkommuniziert  bin,"  schreibt  er  an  Voltaire,  „habe  ich 
den  Blitzen  des  Vatikans  Trotz  geboten41  a).  Die  Epistel 
ist  die  höhnischste  Satire,  die  man  sich  überhaupt 
denken  kann. 

„O  Stellvertreter  Gottes"  (vice  Dieu)  —  redet  er 
den  Papst  an  —  „heiliger  Lotse  des  Schiffleins,  das  einst 
Petrus,  der  glaubenseifrige  Apostat,  führte,  aber  noch 
ohne  ein  Chorhemd  zu  tragen,  ich  bringe  Dir  ein  heiliges 
Werk,  worin  Deine  Kirche  gut  geschildert  ist.  Mit  frommem 
Stifte  zeichne  ich  Deine  Hierarchie  vom  Prälaten  mit 
Krummstab  und  Bischofsmütze  bis  herab  zum  niedrigsten 
Priester,  ihre  Politik,  ihre  Grundsätze,  ihre  Scheinheiligkeit,, 

*)p.  »44. 

2)  18.  November  1771.  Oeuvres  XXffl  S.  232. 


Friedrichs  d.  Gr.  „La  guerre  des  confederes".  167 

ihren  erhabenen  Eifer  für  den  Irrtum,  für  seine  Heiligen, 
für  Dich/  Das  Werk,  bei  dem  er  keinen  andern  Ruhm 
als  den  eines  glaubenseifrigen  Christen  gesucht  habe,  sei 
so  verdienstlich,  dass  er  hoffe,  dafür  in  seiner  letzten 
Stunde  den  gleichen  Ablass  zu  erhalten,  wie  er  beim 
Jubiläum  des  Papstes  gespendet  werde  *).  „Gib  ihn  mir, 
ich  habe  ihn  nötig;  denn  Sanssouci  ist  weit  entfernt  von 
Rom.11  Die  Beichte  des  Dichters  sei  in  dem  Gedichte 
selbst  enthalten ;  wenn  der  Papst  es  lese,  werde  er  daraus 
ohne  Mühe  Friedrichs  Sünden  kennen  lernen.  Demütig 
nenne  er  sie  alle;  denn  er  wisse,  dass  dem  Teufel  ver- 
fallen sei,  wer  nicht  dem  Charon2)  sein  Glaubensbe- 
kenntnis überreiche.  Der  Papst  werde  sich  vielleicht 
darüber  lustig  machen,  dass  der  Dichter  hier  Charon 
nenne,  also  Mythologie  und  Theologie  durcheinanderwerfe. 
Aber  das  könne  ihm  leicht  begegnen;  denn  sein  Gehirn 
sei  halb  heidnisch,  und  die  Fabel  eines  Ovid  gelte  ihm 
ebensoviel  wie  die  eines  Apostels. 

An  den  Stufen  des  päpstlichen  Thrones  hingestreckt8) 
wiederhole  er  seine  Bitte  um  Absolution.  Wenn  er  sie 
erlange,  werde  er  demnächst  dem  Papste  —  „in  Babylon" 
schiebt  er  spöttisch  ein  —  den  heiligen  Sporn  küssen. 
„Und  nun,  meine  Verse,  marschiert  los  und  zeigt  eure 
Karrikatur.  Der  heilige  Vater,  der  verständig  ist,  segnet 
eure  Schelle  und  schützt  euch  vor  Verbrennung." 

Mit  homerischer  Feierlichkeit  eröffnet  Friedrich  nun- 
mehr den  ersten  Gesang  seines  Werkes:  „Ich  will  die 
Taten  der  Krieger  besingen,  welche  Polen  bewundert. 
Aber  —  fährt  er  fort  —  diese  grossen  Helden  haben 
oft  Disteln  statt  Lorbeeren  gepflückt.  Kein  Hektor,  kein 
Achilles    war    unter    diesen  Bastarden   der   bürgerlichen 


*)  Das  vorhergehende  Jahr  war  ein  solches  Jubeljahr  gewesen. 

2)  s.  Guerre  civile  de  Geneve  S.  533,  wo  Rousseau  mit  Charon, 
Beine  Freundin  mit  Megära  verglichen  wird. 

*)  Je  me  prosterne  aux  pieds  du  tröne,  oü  siege  le  divin  magot 
S.  215.  Vgl.  Guerre  civile  de  Geneve  S.  533,  wo  Rousseau  eben- 
falls als  Magot  (Ölgötze)  verspottet  wird. 


168  G.    Peiser. 

Zwietracht.    Hochmütig    bei    ihren  Debatten,    waren    sie 
nicht  schwer  zu  besiegen.* 

Von  Stolz  trunken,  von  Fanatismus  verblendet,  hätten 
die  Palatine  den  Bürgerkrieg  heraufbeschworen,  der  den 
Untergang  Polens  angekündigt  habe.  „Möge  jedes  auf- 
geklärte Volk*,  mahnt  er,  „daraus  lernen,  die  polnischen 
Possen  und  die  Zwietracht  zu  verachten!* 

Wie  Homer  die  Muse,  so  ruft  Friedrich  nun  die 
Göttin  der  Torheit  an,  ihn  zum  Gesänge  zu  begeistern. 
„Du  stiftest  Narren  und  Toren  zu  Dummheiten  an,  ver- 
schönerst die  Geschichte  und  lieferst  uns  dadurch  Stoff 
zu  Bonmots.  Lass  die  Schellen  deiner  Narrenkappe  er- 
klingen und  erzähle  mir,  wie  du  die  Köpfe  der  polnischen 
Magnaten  verwirren  konntest!  Man  sagt  freilich,  ich 
glaube  aus  Bosheit,  dass  die  Arbeit  schon  vorher  getan 
war,  und  dass  du  dabei  nicht  soviel  Mühe  hattest  Der 
Boden  war  für  deine  Saat  so  geeignet,  dass  alles,  was 
du  damals  sätest,  herrlich  aufging.  Höret  nun,  wie  die 
Verwirrung  begann!" 

Nach  dieser  Einleitung  beginnt  die  eigentliche  Dar- 
stellung. Sie  nimmt  ihren  Ausgangspunkt  vom  Tode 
König  Augusts  III.  von  Polen  am  5.  Oktober  1763.  Welchen 
Stoff  für  Friedrichs  Satire  bot  dieser  König,  seine  geistlose 
Schönheit,  seine  Unzertrennlichkeit  von  seiner  Frau,  die  man 
als  die  hässlichste  Fürstin  ihres  Jahrhunderts  bezeichnete1) ! 
Der  Dichter  führt  sogar  Augusts  III.  Tod  auf  diese  blinde 
Ergebenheit  zurück.  „Dieser  vortreffliche  König",  sagt 
er,  „der  niemals  einen  Gedanken  gehabt  hat,  ging  in  die 
dunkle  Nacht,  um  dort  seine  Gemahlin  wiederzufinden,  die 
ihm  im  Tode  vorangegangen  war".  Tisiphone  nennt  Friedrich 
sie  mit  dem  Namen  einer  der  Furien,  ihr  reizendes  Gesicht 
sei  der  Meduse  getreu  nachgebildet  gewesen. 

Die  Verwirrung,  die  in  Polen  während  des  Inter- 
regnums eintrat,  wo  es  von  Thronkandidaten  wimmelte9), 

i)  Ruiniere  I  S.  176. 

2)  Roepell :  Das  Interregnum,  Wahl  und  Krönung  von  Stanislaus 
August  Poniatowski.  Jahrgang  VI  dieser  Zeitschrift.  S.  255—342 
und  VII  S.  1— 115. 


Friedrichs  d.  Gr.  „La  guerre  des  conf6d6r6s".  169 

wird  nun  ganz  ergötzlich  geschildert  Offenbar  hat 
Friedrich  dabei  jene  Scene  aus  der  Guerre  civile  de 
Genfeve  vorgeschwebt,  wo  die  Genfer  Aufrührer  sich  bei 
der  Göttin  Inconstance  Rat  holen.  „Um  Augusts  III. 
Stelle  würdig  auszufüllen*,  —  erzählt  der  Dichter  — 
„brauchen  die  Polen  einen  neuen  König.  Immer  eigennützig 
wollen  sie  in  ihrer  Habsucht  einen  Verschwender  wählen ; 
nicht  bloss  einen  durchlöcherten  Korb  (wie  die  Franzosen 
einen  solchen  nennen),  sondern  ein  wahres  Danaidenfass1). 
Eines  Morgens  erfährt  man  durch  den  niederrheinischen 
Courier,  den  Hornbläser,  der  der  Fama  als  Stallmeister 
folgt8),  dass  die  Göttin  Sottise  sich  auf  die  Reise  begeben 
habe.  Es  lässt  ihr  keine  Ruhe,  dass  sie  schon  so  lange 
nicht  mehr  die  Länder  besucht  hat,  welche  der  Gross- 
türke knechtet,  und  die,  welche  der  Pole,  ihr  Lieblingskind, 
bewohnt  Mit  Vergnügen  sieht  sie,  dass  Polen  noch  in 
demselben  Zustande  ist  wie  bei  der  Schöpfimg:  roh, 
stupid  und  ohne  Unterricht  —  Starosten,  Juden,  Leibeigene, 
betrunkene  Palatine,  —  alles  Lebende  ohne  Scham.  Ich 
erkenne  mein  Volk,  ruft  sie  entzückt  und  segnet  es;  dann 
schüttelt  sie  ihr  Kleid,  und  alsbald  senkt  sich  ein  dichter 


l)  Die  gleiche  Auffassung  findet  sich  in  einem  Briefe  Friedrichs 
an  d'AJembert  vom  26.  Januar  177a  (Oeuvres  XXTV  S.  617).  Ihr 
Hass  gegen  diesen  Fürsten  (Stanislaus  Poniatowski)  rührt  einzig  davon 
her,  dass  er  nicht  reich  genug  ist,  um  ihnen  soviel  Jahrgelder  zu- 
zuwenden, als  ihre  Habsucht  wünschte;  darum  würden  sie  lieber 
einen  fremden  Prinzen  auf  dem  Throne  sehen,  der  von  seinem  Privat- 
eigentum ihre  Habsucht  unterstützen  könnte. 
*)  S.  219. 

Tout  juste  alors  on  apprit  un  matin 

Par  le  corneur  qui  suit  la  Renommee 

Son  ecuyer  le  Courrier  du  Bas-Rhin. 


Vgl  Guerre  civile  de  Geneve.  S.  540. 

Comme  il  parlait,  passa  la  R6nomm6e 

Son  ecuyer,  1'  astrologue  de  Liege, 
De  son  chapitre  obtint  le  privilege, 
D'accompagner  l'errante  d6ite\ 


17°  G.  Peiser. 

Nebel  auf  das  Land  herab.  Eine  Verwirrung  entsteht, 
wie  beim  Turmbau  zu  Babel.  So  erscheinen  die  Polen 
auf  dem  Reichstage,  wo  ihr  Geschrei  einen  neuen  König 
wählte'". 

Hören  wir  nun,  wie  der  Dichter  die  Wahl  Stanislaus 
Poniatowskis  erzählt! 

„Jeder  Deputierte  nennt  einen  andern  Namen.  Die 
Verwirrung  würde  schliesslich  ganz  Polen  im  Unordnung 
gestürzt  und  seine  Vernichtung  herbeigeführt  haben,  wenn 
nicht  Katharina,  Polens  erhabene  nordische  Nachbarin, 
in  ihrer  Güte  seinen  Untergang  verhindert  hätte.  Die 
Weichsel  sieht  an  ihren  Ufern  eine  erlauchte  Gesandt- 
schaft russischer  Helden  ankommen;  man  feiert  sie  mit 
Bällen  und  Serenaden.  In  ihrem  Namen  empfiehlt  Repnin 
der  Versammlung,  einen  Einheimischen  zu  wählen.  „Warum 
wollt  ihr  euch  einen  König  aus  der  Fremde  holen?  Warum 
soll  nicht  ein  Starost,  ein  Pole  das  Scepter  tragen  und  euch  als 
König  beweisen  können,  dass  ihr  mit  Recht  ihn  gewählt 
habt?"  Aber  er  predigt  tauben  Ohren.  Da  bedient  er  sich, 
um  seine  Rede  der  verblendeten  Menge  besser  zu 
erklären,  des  Advokaten  der  Könige,  des  groben  Ge- 
schützes1). Kaum  schiesst  es,  so  rufen  alle  Palatine  ein- 
stimmig Poniatowski  aus ;  es  ist  der  König,  den  Katharina 
ihnen  mit  vollem  Rechte  durch  eine  Kanone  bezeichnet  hat". 

Wir  müssen  bei  dieser  Stelle,  die  ich  fast  wörtlich 
herüber  genommen  habe,  einen  Augenblick  verweilen, 
weil  sie  für  die  in  dem  Gedichte  herrschende  Auffassung 
überaus  charakteristisch  ist 

Der  Fürst  Repnin,  der  uns  in  dieser  burlesken  Scene 
entgegentritt,  war  von  Katharina  im  Dezember  1763 a) 
als  ausserordentlicher  Gesandter  nach  Warschau  geschickt 
worden,  um  die  Wahl  ihres  Günstlings  durchzusetzen. 
Er  und  Poniatowski  kannten  sich  von  den  lustigen  Peters- 


*)  Wohl  eine  Anspielung  auf  die  bekannte  Inschrift  der  Kanonen 
Ludwigs  XIV.:  Ultima  ratio  regum.  Auch  Friedrich  II.  hat  übrigens 
1742  auf  seinen  Kanonen  die  Worte  anbringen  lassen:  Ultima  ratio 
regis.    Vgl.  Oeuvres  XI  S.  134  und  Anm. 

*)  Roepell  S.  284. 


Friedrichs  d.  Gr.  „La  guerre  des  confedereV.  171 

burger  Tagen  her.  Auf  die  freundliche  Aufnahme,  die  er 
bei  dessen  Parteigenossen  fand  *),  beziehen  sich  wohl  die 
Worte  bal  et  s6r6nade.  Auf  dem  sogenannten  Konvo- 
kations-Reichstage  vom  7.  Mai  1764  wurde,  mehr  durch 
Einschüchterung  als  durch  Gewalt,  unter  dem  Drucke  der 
russischen  Truppen,  die  sich  in  und  bei  Warschau  befanden, 
jeder  Widerstand  gebrochen.  Die  einmütige  Wahl  Ponia- 
towskis  erfolgte  am  7.  September  auf  dem  Wahlreichstage. 
Friedrich  hat  beide  Reichstage  in  einen  zusammengezogen 
und  auch  den  Gewaltakt  Repnins  auf  den  Wahlreichstag 
verlegt  Dass  Repnin  Kanonen  gegen  den  Sitzungssaal 
habe  richten  oder  wohl  gar  habe  feuern  lassen,  ist  sonst 
nicht  überliefert;  dagegen  hat  er  bei  der  Gründung  der 
Konföderation  von  Radom  sich  tatsächlich  dieses  brutalen 
Mittels  bedient2). 

Friedrich  hat  die  Wahl  Poniatowskis  noch  in  einem 
andern  Werke  dargestellt  und  zwar  in  seinen  Anfang  1775 
verfassten  „M6moires  depuis  la  paix  de  Hubertusbourg 
jusqu'  ä  la  fin  du  partage  de  Pologne"3).  Auch  hier  sind 
die  Vorgänge  ungenau  erzählt.  Er  hält  zwar  richtig  die 
<irei  Reichstage  auseinander,  welche  zur  Einsetzung  eines 
neuen  Königs  erforderlich  waren,  —  ausser  den  beiden 
schon  genannten  fand  noch  ein  Krönungsreichstag  statt  — , 
bezeichnet  aber  irrtümlich  schon  den  ersten  als  Wahl- 
reichstag. Die  Bedrohung  der  polnischen  Deputierten 
durch  Repnins  Kanonen  erzählt  er  an  einer  anderen  Stelle, 
wo  sie  aber  ebensowenig  beglaubigt  ist :  bei  der  Tagung 
«des  Reichstages  von  17674).  —  Vor  allem  aber  tritt  in 
den  Memoiren  eine  ganz  andere  Auffassung  zu  Tage. 
Während  in  dem  Gedichte  alles  das  Werk  Repnins,  seiner 
Helden  und  der  Kaiserin  ist,  wird  in  den  Memoiren  ganz 
richtig  auf  die  sehr  starke  Einwirkung  auch  des  preussischen 


!)  Rulhiere  H  S.  148. 
*)  Rulhiere  II  S.  396  fg. 

*)  Oeuvres  VI  S.  14.   Vgl.  Preuss:   Die   erste  Teilung   Polens 
und  die  Memoiren  Friedrichs  des  Grossen.    Kap.  II  §  IL 
*)  Memoiren  S.  20. 


172  G.   Pciscr. 

Gesandten  zu  Gunsten  Poniatowskis  hingewiesen1).  „Der 
erlauchte  Gesandte"  wird  in  den  Memoiren  als  brutaler, 
hitziger  und  anmassender  Mensch  geschildert2).  Katharina 
selbst  erscheint  unbeugsam  entschlossen,  ihren  Willen*  auch 
wo  Friedrich  zur  Mässigung  rät,  in  Polen  durchzusetzen; 
in  dem  Gedichte  dagegen  ist  sie  die  gütige  Fürstin,  der 
nur  das  Wohl  des  Nachbarreiches  am  Herzen  liegt.  Es. 
ist  dies  die  Auffassung,  in  der  sie  zu  erscheinen  liebte; 
pflegte  sie  doch  in  ihren  öffentlichen  Äusserungen  gern  zu 
betonen,  dass  Gerechtigkeit  und  Menschenfreundlichkeit 
allein  die  Triebfedern  ihrer  Handlungen  seien8). 

Kurz:  die  Darstellung  in  dem  Gedichte  zeigt  er- 
sichtlich das  Bestreben,  das  Auftreten  der  Russen  bei 
der  Wahl  Poniatowskis  in  möglichst  günstiges  Licht  zu 
setzen. 

Fahren  wir  nun  in  der  Analyse  des  Fridericianischen 
Epos  fort! 

Der  Dichter  wendet  sich  zur  Schilderung  der  Oppo- 
sition des  katholischen  Klerus  gegen  den  neuen  König. 
Wieder  setzt  er  den  epischen  Apparat  in  Bewegung, 
und  diesmal  ist  es  der  Teufel,  der  auf  der  Bildfläche 
erscheint.  „Polen  hätte  in  der  Wahl  Stanislaus  Augusts 
geeinigt,  glücklich  und  ohne  Parteikampf  der  Segnungen 
eines  ewigen  Friedens  sich  erfreuen  können,  wenn  nicht  der 
Teufel  diesen  Augenblick  für  geeignet  gehalten  hätte,  eine 
grosse  Rolle  in  der  Welt  zu  spielen.  Ihr  kennt  seine 
Schliche;  er  ist  immer  tätig  und  voll  verderblicher  Pläne".. 
Um  seine  Ziele  zu  erreichen,  bediene  er  sich  der  Mönche 
und  Priester,  die,  wie  Friedrich  im  Stile  Voltaires  sagt, 
seine  zahlreiche  Familie  bilden.  Auf  der  Kanzel  sprächen 
sie  den  Namen  Beelzebubs  nur  mit  Schaudern  aus,  ins- 
geheim   aber    bedecke    sich    ihre    Seele    mit    schwarzer 


*)  S.  14:   les  f ortes  recommandations  et  l'appui  des  ambassa- 
deurs  russes  et  prussiens. 
2)  Memoiren  S.  20. 
»)  Ruiniere  II  S.  151. 


Friedrichs  d.  Gr.  „La  gaerre  des  confede*r£s".  173 

Sünde.  Ihr  Mund  fliesse  von  Liebe  über,  doch  sie  ver- 
stünden meisterhaft,  Komplotte  und  Intriguen  anzustiften. 

Schon  auf  dem  Wahlreichstage  beginnt  der  Teufel 
sein  Spiel1).  Er  hüllt  sich  in  das  Gewand  eines  Jesuiten 
und  nimmt  die  demütige,  unterwürfige  Miene  eines  heiligen 
Antonius  oder  eines  Anachoreten  an.  „Die  Arme  hat  er 
auf  der  Brust  gekreuzt;  mit  seinem  schiefen  Kopf,  mit 
seinem  wohlberechneten  Mienenspiel  musste  man  ihn  für 
-den  heiligsten  aller  Jesuiten  halten."  So  tritt  er  vor  den 
Bischof  von  Kiew,  der  als  ein  konfuser  Kopf,  als  eitel,  fana- 
lisch und  geckenhaft  bezeichnet  wird.  Er  hält  den  Besucher 
für  seinen  ehemaligen  Beichtvater  und  umarmt  ihn  herz- 
lich. Aber  der  falsche  Jesuit  bricht  sofort  in  bittere 
Klagen  aus:  „ Welcher  Schmerz  für  einen  Polen,  für 
•einen  glaubenseifrigen  Bürger,  dass  die  schismatischen 
Russen  uns  mit  despotischer  Hand  einen  König  geben"! 
Das  Wort  „Schisma"  verfehlt  seine  Wirkung  auf  den 
Bischof  nicht  Er  gerät  in  grosse  Aufregung  und  ver- 
wünscht den  Senat,  die  Russen  und  die  „erhabene" 
Wahlversammlung.  „Poniatowski",  ruft  er,  „ist  nicht  mehr 
mein  König.  Gib  mir  meine  Schwüre  und  meinen 
«Glauben  wieder4'.  —  „Schreien  genügt  nicht",  meint  der 
Teufel  „Um  Throne  zu  stürzen,  braucht  man  ein  zahl- 
reiches Gefolge".  —  „Bin  ich  nicht",  entgegnet  ihm 
der  Bischof,  „der  Herr  der  Domherren,  Mönche  und 
Priester?  Diese  heiligen  Werkzeuge  wollen  wir  benutzen, 
um  das  Volk  aufzureizen".  Der  Teufel  durchwandert  nun 
die  Parochien  und  Klöster  und  führt  in  kurzem  eine 
grosse  geistliche  Versammlung  in  den  Salon  des  Bischofs. 

„Meine  lieben  Kinder,  wahre  Stützen  der  Kirche"  — 
so  beginnt  der  Bischof  seine  Ansprache  —  „die  Zeit  ist  ge- 
kommen, wo  der  ganze  Klerus  einen  Schimpf  rächen 
muss,  über  den  Gott  sich  entrüstet.  Ein  Schismatiker, 
ein  elender  Russe  macht  zu  unserm  König  einen  Habe- 
nichts von  Starosten,  der  im  Herzen  selbst  ein  halber 
Grieche  ist  und  uns  mit  seinem  ruchlosen   Glauben   be- 


*)  Or,  6coutez  commcnt  notre  ennerai  adroitement  gut  troubler 
cette  dtete.    (8.  222). 


174  G.  Peiser. 

flecken  wird."  Er  erinnert  sie  an  das  Beispiel  der  Leviten, 
welche  'sich  nicht  gescheut  hätten,  ihre  eignen  Brüder 
umzubringen;  sie  sollten  wie  diese  handeln  und  bedenken, 
dass  sie  Gott  bei  seiner  Rache  dienten,  wenn  sie  hier 
unten  sein  Haus  reinigten.  „Schaudert,  wenn  man  euch  das 
Wort  Schisma  nennt!  Denn  Ketzerei  ist  gleichbedeutend 
mit  Atheismus".  Christus  habe  sie  an  seine  Stelle  gesetzt, 
indem  er  ihnen  die  Gabe  verliehen,  das  gemeine  Volk 
nach  ihrem  Gefallen  zu  leiten.  Ihre  Hand  teile  Strafen» 
oder  Gnaden  aus  durch  die  Absolution.  „Die  Herzen  der 
Menge  sind  in  eurer  Gewalt;  euch  kommt  es  also  zu, 
ihre  Pflicht  zu  regeln.  Möge  unverzüglich  eure  Stimme 
sie  aufreizen  gegen  die  Russen  und  gegen  diesen  Schma- 
rotzerkönig, den  wider  unsern  Willen  unsere  Nachbarn 
uns  aufzwingen"1)! 

Der  Klerus  setzt  sich  nun  im  Beichstuhl  fest  und 
träufelt  unvermerkt  den  Gläubigen  der  Weisung  des 
Bischofs  gemäss  das  höllische  Gift  der  Unzufriedenheit 
ein.  Durch  diesen  Kanal  verbreitet  es  sich  im  ganzen 
Lande  und  reizt  die  friedliche  Bevölkerung  zur  Empörung. 
Keine  der  Plagen  des  alten  Orients,  sagt  der  Dichter, 
habe  jemals  in  so  kurzer  Zeit  solch  reissende  Fortschritte 
gemacht,  wie  diese  Predigt,  welche  den  Untergang  des 
Staates  vorbereitete.  Lachend  kehrt  jetzt  der  Teufel  in 
die  Unterwelt  zurück.  „Der  Hof  aber  hält  sich  für  voll- 
kommen sicher,  amüsiert  sich  bei  Tische  und  berauscht 
sich  in  Freude*. 

Der  Bischof  von  Kiew,  der  in  dieser  Scene  geschildert 
wird,  ist  Joseph  Andreas  Zahiski,  der  zusammen  mit 
Softyk,  dem  Bischof  von  Krakau,  auf  dem  Reichstage  von 
1767  in  vorderster  Reihe  gegen  die  Gleichberechtigung 
der  Dissidenten  gekämpft  hat  Es  mag  also  nicht  unge- 
rechtfertigt erscheinen,  wenn  Friedrich  ihn  als  den  Führer 
der  geistlichen  Opposition  bezeichnet,  der  freilich  wieder 
von  den  Jesuiten  vorwärts  geschoben  wird   Aber  Friedrich 

1)  Ein  Gegenstück  zu  dieser  Ansprache  ist,  wenn  ich  nicht 
irre,  die  Rede,  die  Voltaire  dem  Hohepriester  Phares  in  seinem 
Drama  „Les  lois  de  Minos"  (Akt  I  Scene  II)  in  den  Mund  legt 


Friedrichs  d.  Gr.  „La  guerre  des  confedereV*.  175 

lässt  nur  die  eine  Seite  seines  Wesens  hervortreten, 
seinen  starren  Glaubenseifer.  Seiner  umfassenden  ge- 
lehrten Bildung,  seiner  unermüdlich  eifrigen  Förderung 
aller  wissenschaftlichen  Bestrebungen  in  Polen  gedenkt 
er  nicht  Ich  möchte,  um  ein  richtiges  Bild  von  Zahiski 
zu  geben,  das  unparteiische  Urteil  eines  anderen  deutschen 
Zeitgenossen  anführen.  Er  bezeichnet  ihn  als  einen  Mann 
von  „vortrefflichen  Eigenschaften,  grosser  Gelehrsamkeit, 
wiewohl  vielleicht  allzugrossem  Eifer.  Er  ist  gottesfürchtig- 
katholisch,  ein  grosser  Freund  der  Wissenschaften,  ein 
steifer  Anhänger  der  allgemeinen  Uneinigkeit,  welche,  wie 
die  Polen  sagen,  die  einzige  Quelle  aller  besonderen 
Einigkeit  sei,  eine  starke  Stütze  und  Pfeiler  aller  polnischen 
Gesetze  1).a 

Drei  Vorwürfe  sind  es,  welche  der  Dichter  den 
Bischof  gegen  den  König  erheben  lässt:  dass  er  ein  un- 
bedeutender Starost  sei,  ein  russischer  Vasall  und  dass 
er  im  Herzen  dem  Schisma  zuneige.  Auf  das  Dritte,  das 
religiöse  Motiv  wird  das  Schwergewicht  gelegt.  Der  Dissi- 
denten wird  dabei  nicht  ausdrücklich  Erwähnung  getan, 
obwohl  nur  sie  gemeint  sein  können,  wenn  von  den  er- 
mordeten Brüdern  der  Leviten  die  Rede  ist. 

Erst  am  Anfang  des  folgenden  Gesanges  wird  die 
Dissidentenfrage  berührt,  aber  in  einer  Weise,  welche 
wiederum  für  die  in  dem  Gedichte  vorwaltende  Tendenz 
sehr  bezeichnend  ist. 

„Ist  es  schicklich",  —  mit  dieser  Frage  eröffnet 
Friedrich  den  zweiten  Gesang  —  „einen  stupiden  Menschen 
zu  täuschen,  mit  dem  ein  Betrüger  machen  kann,  was  er 
will?  Welche  Ehre  kann  es  also  für  einen  Parteiführer 
sein,  ein  Volk  zu  verführen,  das  in  tiefer  Dummheit  ver- 
sunken ist  und  sich  nie  im  Leben  die  Mühe  gegeben  hat 
nachzudenken?    Ich  würde  mich  schämen,  wenn  ich  der 


*)  Geschichte  des  gegenwärtigen  Krieges  zwischen  Russland, 
Polen  und  der  ottomanischen  Pforte.  Sechster  Teil.  Frankfurt  und 
Leipzig  1771  S.  39. 

Vgl.  auch  Janocki:  Lexikon  derer  itzlebenden  Gelehrten  in 
Polen.  II  S.  33  fg. 


176  G.  Peiser. 

Lüge  meine  Fortschritte  zu  verdanken  hätte.  Aber  so 
zart  empfindlich  sind  weder  Priester  noch  Teufel" 

Die  Gemüter,  heisst  es  weiter,  sind  durch  die  Prälaten 
und  Beichtväter  so  gut  vorbereitet,  dass  die  Unruhe  die 
Revolution  ankündigt  „Aber  Katharina  denkt  in  ihrem 
Palaste  nur  an  Frieden;  ihr  edles  Herz  ist  von  Wohl- 
wollen erfüllt  Sie  predigt  den  Polen  Toleranz.  „Seid 
einig,"  sagt  sie  ihnen,  „und  duldet  eure  dissidentischen 
Brüder!"  Diese  Worte  versetzen  die  Priester  in  Wut 
Ihre  Entrüstung  macht  sich  in  wildem  Geschrei,  in 
Seufzern  und  Klagen  Luft  Sie  jammern:  „Es  ist  um 
das  Vaterland  geschehen."  Die  Magnaten,  Starosten  und 
das  niedere  Volk,  von  diesem  Gaukelspiel  aufgeregt  und 
plötzlich  von  heiligem  Fanatismus  erfüllt,  rufen  wie  sie: 
„Lasst  uns  das  Schisma  ausrotten!"  Jeder  Pole  müsse 
sich  konföderieren,  wenn  er  nicht  sein  Seelenheil  verlieren 
wolle." 

Wenn  man  diese  Darstellung  liest,  so  muss  man 
glauben,  dass  Katharina  für  die  Dissidenten  lediglich  die 
religiöse  Toleranz  gefordert  habe,  und  zwar  in  der  Absicht, 
dadurch  die  Einigkeit  unter  den  Polen  wiederherzustellen ; 
ihre  Einmischung  habe  jedoch  den  religiösen  Fanatismus 
nur  noch  mehr  erregt,  der  sich  dann  in  der  Erhebimg  von 
1768  gewaltsam  entlud.  Von  anderen  als  religiösen  Motiven 
ist  hier  überhaupt  nicht  die  Rede *). 


*)  Ähnlich  äussert  sich  Friedrich  über  die  Beweggründe  der 
Konföderation  von  Bar  in  dem  Schreiben  an  d'Alembert  vom 
26.  Januar  177a  (Oeuvres  XXIV  S.  617),  welches  die  Sendung  des 
dritten  und  vierten  Gesanges  begleitete.  d'Alembert  hatte  erwähnt, 
dass  einige  Philosophen  'die  Konföderierten  bemitleideten,  in  der 
gutmütigen  Voraussetzung,  dass  diese  nur  für  die  Freiheit  ihres 
Vaterlandes  stritten. 

»Ich  sehe  aus  Ihrer  Antwort,*  erwidert  Friedrich,  „dass  es 
viele  Dinge  gibt,  die  durch  die  Ferne  gewinnen,  dazu  dürfte  auch 
wohl  die  polnische  Konföderation  gehören.  Wir  als  Nachbarn  dieser 
rohen  Nation  kennen  die  Individuen  sowohl  wie  die  Häupter  der 
Partei  und  halten  sie  höchstens  des  Auspfeifens  wert.  Diese  Kon- 
föderation dankt  ihren  Ursprung  dem  Fanatismus.41 


Friedrichs  d.  Gr.  „La  guerre  des  confederes".  177 

Will  man  aber  den  wahren  Sachverhalt  kennen 
lernen,  so  braucht  man  wiederum  nur  zu  Friedrichs 
Memoiren  zu  greifen. 

Hier  wird  das  ganze  Auftreten  der  Russen  in  Polen 
seit  1764  beleuchtet  und  offen  als  Despotismus  gezeichnet. 
(S.  17).  „Soviel  Akte  der  Souveränität,  welche  eine 
fremde  Macht  in  Polen  ausübte,"  —  heisst  es  ein  ander- 
mal —  (S.  20)  „reizten  schliesslich  alle  Gemüter  zum 
Aufstand.  Der  Stolz,  die  Härte  und  der  Hochmut  des 
"Fürsten  Repnin  waren  nicht  geeignet,  sie  wieder  zu 
besänftigen.11 

Auch  die  Dissidentenfrage  erscheint  hier  in  ganz 
anderem  Lichte.  Als  den  „Keim  aller  Wirren  und  Kriege, 
•die  daraus  folgten*,  bezeichnet  Friedrich  den  Antrag  der 
Russen,  den  Dissidenten  nicht  nur  religiöse  Duldung, 
sondern  auch  Zulassung  zu  allen  Ämtern  zu  gewähren 
*(S.  16).  Mit  unverhohlener  Missbilligung  schildert  er  die 
brutalen  Gewaltakte,  durch  welche  die  Russen  auf  dem 
Reichstage  von  1767  ihren  Willen  durchsetzten  (S.  20). 
In  seiner  Dichtung  dagegen  gleitet  er,  wie  wir  sahen, 
mit  wenigen  Worten  über  die  Dissidentenfrage  hinweg, 
und  was  er  sagt,  gestaltet  sich  zu  einer  Huldigung  für 
die  edle  wohlwollende  und  tolerante  Fürstin  —  wiederum 
iganz  im  Stile  ihrer  eigenen  Auslassungen.  Hatte  sie  doch 
ihr  Eintreten  für  die  Dissidenten  damit  begründet,  dass 
sie  sich  aus  Liebe  zu  Freiheit  und  Gleichheit  der  Unter- 
drückten annehmen  müsse1). 

Die  Gründung  der  Konföderation  von  Bar,  die  Ver- 
handlungen ihrer  Häupter  und  die  Wahl  der  Anführer 
werden  nun  vom  Dichter  in  kleinen  Abschnitten  erzählt 
Er  verfährt  dabei  mit  solcher  Freiheit,  hält  sich  so  wenig 
.an  die  chronologische  Ordnung,  dass  es  schwer  ist,  in 
seiner  Darstellung  die  wirklichen  Begebenheiten  zu  er- 
kennen. 


*)  Beer  L  S.  ap5. 

Zeitschrift  der  Hirt.  Ges.  für  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XVIII.  IS 


178  G.  Peiscr. 

Zuerst  wird  eine  grosse  Anzahl  Herren  des  hohen  l> 
und  niederen  Adels  zusammengeführt  Unter  den  Führern 
werden  namentlich  erwähnt  Michael  Krasinski,  der  General- 
marschall der  Konföderation,  ein  Potocki  und  ein 
Malachowski,  die,  wie  Friedrich  boshaft  hinzufügt,  obgleich 
Helden,  noch  niemals  in  ihrem  Leben  ein  Lager  oder 
einen  Kampf  gesehen  hätten.  Krasinski  fordert  die  An- 
wesenden auf,  ihre  Husaren  zu  sammeln.  Jeder  Pole,  der 
die  Taufe  empfangen  habe,  müsse  sich  morgen  auf  dem 
Schlachtfelde  einfinden.  Potocki  fragt,  woher  man  Geld 
und  Nahrung  für  eine  solche  Menge  nehmen  wolle 
Krasinski  errinnert  ihn  an  die  schon  von  Jan  Sobieski 
befolgte  Methode,  zu  plündern  oder  richtiger  gesagt:  „auf 
Kredit  zu  leben",  und  jubelnd  stimmen  ihm  alle  bei. 

Dass  diese  Zusammenkunft  fingiert  ist,  geht  schon. 
daraus  hervor,  dass  Friedrich  auch  den  Bischof  von  Kiew 
an  ihr  teilnehmen  lässt  Er  spendet  den  Anwesenden  für 
alle  Sünden,  die  sie  in  diesem  Gott  wohlgefälligen  Kampfe 
begehen  würden,  im  voraus  völlige  Absolution. 

Bischof  Zahiski  war  jedoch,  als  die  Konförderation 
sich  bildete,  bereits  seit  mehreren  Monaten  Gefangener 
der  Russen.  Nachdem  er  am  12.  Oktober  1767  auf  dem; 
Reichstage  in  einer  heftigen  Rede  gegen  die  Dissidenten 
aufgetreten,  war  er  in  der  Nacht  darauf  von  Repnin  ver- 
haftet und  mit  Soltyk,  dem  Bischof  von  Krakau,  und  zwei 
weltlichen  Grossen  nach  Kaluga  gebracht  worden9). 

Ebensowenig  begründet  wie  diese  Rede  in  Bar  ist,, 
was  Friedrich  zur  Charakterisierung  des  Bischofs  hinzu- 
fügt: Er  habe  keine  Bibliothek  besessen,  aber  dafür  ein_ 
Gemälde  der  Bartholomäusnacht 


*)  Friedrich  bezeichnet  den  Hochadel  hier  als  Towargis: 
(Towarzisz)  (Genossen).  Diesen  Namen  führte  ein  adliges  Korps 
der  schweren  polnischen  Kavallerie,  in  dem  jeder  den  Rang  eines 
Offiziers  hatte.  Sonst  finden  sich  in  dem  Gedichte  nur  noch  zwei, 
polnische  Worte:  pachotek  (Diener)   und  pancernys  (Panzerreiter).. 

2)  Herrmann:  Geschichte  des  rassischen  Staates  V  S.  443. 

In  seinen  Memoiren  gibt  Friedrich  irrig  an,  die  Gefangenen; 
seien  über  Moskau  nach  Sibirien  gebracht  worden. 


Friedrichs  d.  Gr.  „La  guerre  des  confedeYeV1.  179' 

Niemand  hat  diesen  Vorwurf  weniger  verdient  als 
Zahiski,  der  unter  Aufopferung  seines  Vermögens  eine 
grosse  öffentliche  Bibliothek  in  Warschau  errichtet  hat1). 
Er  war  geradezu  ein  Büchernarr  und  ging  in  seiner 
Sammelwut  so  weit,  dass  man  ihn  in  den  Warschauer 
Salons  als  Zahiski  la  bibliothgque  verspottete.  Auch 
d'Alembert  hat  übrigens  an  dieser  Stelle  Anstoss  ge- 
nommen und  bei  Friedrich  angefragt,  ob  sie  auf  Tatsachen 
beruhe  oder  eine  blosse  poetische  Fiktion  sei3).  Friedrichs 
Antwort  ist  für  die  Beurteilung  des  Gedichtes  von  hohem 
Wert  Ein  Gedicht  sei  doch  keine  geometrische  De- 
monstration —  erwidert  er  etwas  spöttisch  — ;  er  habe 
geglaubt,  hier  seiner  Phantasie  freien  Spielraum  lassen 
zu  dürfen8). 

Die  Palatine  —  heisst  es  mm  in  dem  Gedichte 
weiter  —  begeben  sich  aus  Furcht  vor  Vergewaltigung^ 
sämtlich  fort,  um  unter  sich  zu  beraten  und  Anführer  zu 
wählen*).  Aber  von  all  diesen  Magnaten  will  sich  keiner 
selbst  der  Gefahr  aussetzen.  Ihrer  Anschauung  gibt 
Radziwill  unumwunden  Ausdruck:  „Ein  Palatin  regiert^ 
aber  der  Krieg  geht  uns  nichts  an.  Ahmen  wir  Gott 
nach;  wenn  er  einen  Staat  strafen  will,  schickt  er  einen 
untergeordneten  Engel,  der  mit  einer  Handbewegung  ein 
Volk  in  den  Staub  wirft  Hüten  wir  uns  also,  das  Un- 
gemach des  Krieges  auf  uns  selbst  zu  nehmen!  Schicken 
wir  unsere  Diener  und  Vasallen  aus  und  stellen  wir  einen 
verwegenen  Haudegen  an  ihre  Spitze.0 

Dieser  knappen  Darstellung  liegt  wohl  die  Tatsache 
zu  Grunde,  dass  die  Häupter  der  Konföderation  seit  Ende 
1768  ihrer   Sicherheit    halber    ihre    Beratungen    auf    der 

i)  Janocki,  Band  II  8.  33.  ^ 

*)  Oeuvres  XXIV  S.  614  fg. 
•)  26.  Januar  1772.    Oeuvres  XXIV  8.  617. 
*)    Choisir  des  chefs  pour  mener  leur  poulleux, 
Faits  pour  guider  la  masse  ptebelenne, 
Dont  ils  voulaient  opprimer  la  prussienne. 
So  die  Ausgabe  der  Akademie  von  1850.   Aber  statt  prussienne 
ist  wohl  russienne  zu  lesen,  was   allein   hier   einen   Sinn   gibt  — 
Friedrich  übersetzt  „rassisch"  abwechselnd  mit  russe  und  russien. 

12* 


180  G.  Peiser. 

«österreichischen  Grenze  abhielten.  Im  August  1769  erschien 
in  Teschen  auch  Fürst  Karl  Radziwill,  der  vielberufene 
panie  kochanku  (er  hatte  die  Konföderationsakte  im  Früh- 
jahr unterzeichnet  x>)  und  erklärte  in  einer  Anwandlung 
von  Enthusiasmus,  er  wolle  nach  Polen  zurückkehren  und 
dort  in  den  Reihen  der  Konföderierten  mitkämpfen.  Die 
übrigen  Magnaten  stellten  ihm  jedoch  vor,  dass  dies  seiner 
nicht  würdig  sei,  und  dass  man  von  ihm  andere  Leistungen 
erwarte  als  die  eines  gemeinen  Soldaten.  So  liess  er 
sich   denn  bald  von  seinem  Vorhaben  abbringen  *). 

Während  nun  die  meisten  Palatine  (fährt  der  Dichter 
fort)  auf  Reisen  gehen,  versammeln  sich  die  Häupter 
der  Partei  in  Eperies  an  der  ungarischen  Grenze  und 
bilden  dort  mit  „grossem  Pomp"8)  den  Generalrat  der 
Konföderation,  um  von  ferne  die  Bewegung  zu  leiten, 
die  Russen  zu  verjagen  und  den  guten  König  zu  entthronen. 
Pulawski  und  Zaremba  werden  unter  Trompetenschall 
zu  Anführern  ausgerufen.  Wiederum  tritt  der  Bischof  von 
Kiew  in  Aktion;  er  heftet  seinen  Weihwedel  an  eine 
Kreuzesstange  —  wohl  eine  Anspielung  auf  die  Haupt- 
standarte der  Konföderierten,  die  mit  einem  Kruzifix  ge- 
schmückt war4). 

Friedrich  nennt  den  Vornamen  Pulawskis  nicht,  und 
es  könnte  daher  auf  den  ersten  Blick  fraglich  erscheinen, 
von  welchem  der  Pulawski  hier  die  Rede  ist,  ob  von 
Joseph,  dem   Mitbegründer  der  Konföderation   und  dem 


i)  Ruiniere  m  S.  1» 

*)  Herrmann:  Geschichte  des  russischen  Staats  V  S.  467. 

*)  Dass  Friedrich  nicht  mit  Unrecht  das  Gebahren  der  Mit- 
glieder des  Generalrats  als  pomphaft  bezeichnet,  geht  aus  dem  Be- 
richte des  Obersten  Dumouriez  hervor,  der  im  Juli  1770  im  Auf- 
trage der  französischen  Regierung  nach  Eperies  kam.  Anstatt 
patriotischer  Staatsmänner  und  Krieger  fand  er  —  wie  er  meldet 
—  eine  Gesellschaft  grosser  Herren  mit  asiatischen  Manieren  vor, 
die  obgleich  auf  fremden  Boden,  gleichsam  im  Exil  lebend,  sich 
keine  ihrer  gewöhnlichen  Vergnügungen  versagten :  prachtige  Feste, 
stundenlange  Mahlzeiten,  Tanz  und  Pharaospiel  schienen  sie  einzig 
-zu  beschäftigen.    (S.  Raumer  hist.  Jahrbuch  m  S.  441.) 

*)  Beer  I  S.  aa6. 


Friedrichs  d.  Gr.  „La  guerre  des  confederes".  181 

Verfasser  ihrer  ersten  Manifeste,  oder  von  seinem  Sohne 
Kasimir,  der  später  als  der  bedeutendste  Führer  der  Kon- 
föderierten hervortrat  Da  aber  Joseph  Pulawski  schon 
Ende  1768  oder  Anfang  1769  im  Kerker  zu  Konstantinopel 
starb,  —  sein  eigener  Genosse  Joachim  Potocki  hatte  ihn 
den  türkischen  Verbündeten  verdächtig  gemacht  — *),  und 
Friedrich  überhaupt  nur  einen  Pulawski  erwähnt,  so 
kann  nicht  zweifelhaft  sein,  dass  auch  hier  schon 
Kasimir  gemeint  ist. 

Pulawski  kommt  bei  Friedrich  noch  weit  schlechter 
fort  als.Zaluski.  Hören  wir,  wie  bereits  sein  erstes  Auf- 
treten geschildert   ist!9) 

Er  und  Zaremba  durchstreifen  jedes  Gehölz,  halten 
jeden,  der  ihnen  begegnet,  an  und  fragen  ihn,  wo  die 
Feinde  sind.  Plaudernd  kommen  sie  an  offenes  Gelände 
und  stossen  dort  auf  die  russischen  Truppen,  die  von 
Drewitz  befehligt  werden.  Wenn  ein  grosser  Heiliger, 
sagt  Friedrich,  den  Teufel  sieht,  besprengt  er  sich 
schnell  mit  etwas  Weihwasser  und  flieht  rasch,  sein 
Pater  noster  hersagend.  So  geht  es  auch  unsern  beiden 
Helden.  Bleichen  Antlitzes  sagt  Zaremba:  „Siehe  unsere 
Soldaten  an!  Die  meisten  haben  nur  mit  Eisen  be- 
schlagene Stöcke;  nur  wenige  besitzen  Flinten  und  alte 
Säbel.  Wie  sollen  wir  da  dem  Feinde  trotzen?11  — 
„Auch  ich  fürchte,  dass  es  uns  schlecht  gehen  wird", 
antwortet  Pulawski.  „Es  ist,  denke  ich,  der  Wille  des 
Schicksals,  dass  heute  kein  Blut  vergossen  werde,  sondern 
dass  unser  hitziger  Mut  für  ein  anderes  Mal  aufgespart 
werde.a  Das  grobe  Geschütz  der  Russen  entlädt  sich. 
Fluchend  und  schreiend  suchen  die  Konföderierten  das 
Weite  und  denken  in  ihrem  Schrecken,  dass  ihnen  die 
russischen  Kanonen  wieder  einen  neuen  König  verkünden. 
Nun  werfen  sich  die  Kosaken  auf  die  Polen;  aber  sie 
machen  nicht  so  schnell  Gefangene,  wie  sie  denken; 
„denn   ein  Pole,    dem   man   auf   den   Fersen   ist,    kann 


l)  Ruttiiere  III  8.  121.     Beer  I  S.  242. 

*)  S.  230:  il  faut  voir  comme  il  (Pulawski)  va  debuter. 


182  G.  Peiser. 

ebenso  schnell  reiten,  wie  er  trinkt u  Sie  jagen  davon 
wie  einst  die  Parther  vor  Krassus,  nur  mit  dem  Unter- 
schiede, spottet  Friedrich,  dass  die  Flucht  der  Polen 
keine  verstellte  ist;  sie  fliehen  wirklich  —  freilich  nicht 
aus  Furcht  oder  Feigheit,  sondern  einzig  aus  Liebe  zu 
ihrem  anarchischen  Vaterlande,  für  das  sie  das  nächste 
Mal  glücklicher  zu  kämpfen  hoffen. 

Die  Schilderung  des  Kampfes  ist,  wie  man  sieht,  so 
allgemein  gehalten,  dass  schwer  zu  entscheiden  ist, 
welches  von  den  zahllosen  Gefechten,  in  die  sich  der 
Konföderationskrieg  auflöste,  hier  erzählt  ist.  In  der  Aus- 
gabe der  Akademie  ist  an  einen  Sieg  des  Obersten  Drewitz 
am  i.  August  1770  gedacht.  Aber  wenn  es  auch  Friedrich, 
wie  wir  nun  schon  wissen,  mit  der  Chronologie  durchaus 
nicht  genau  nimmt,  so  würde  er  doch  wohl  kaum  so  weit 
gegangen  sein,  dies  Treffen  als  das  erste  Auftreten 
Pulawskis  zu  bezeichnen.  Vielleicht  ist  hier  das  Gefecht 
bei  Radom  im  April  1769  gemeint,  wo  Drewitz  den  Kon- 
föderierten eine  schwere  Niederlage  bereitet  hat  Der  Sieg 
der  Russen  erscheint  in  gleichzeitigen  Berichten  als  eine 
Schlächterei *),  wie  denn  überhaupt  Drewitz  seinen  Namen 
durch  Handlungen  wilder  Grausamkeit  gebrandmarkt  hat  *). 
Einem  Lauffeuer  gleich  —  wird  erzählt  —  habe  sich  die 
Kunde  von  dieser  Schlacht  durch  ganz  Polen  verbreitet 
und  überall  Entsetzen  erregt  Doch  möchte  ich  es  auch 
nicht  für  unmöglich  halten,  dass  Friedrich  hier  überhaupt 
nicht  an  ein  bestimmtes  Ereignis  gedacht  hat,  sondern 
nur  das  unzweifelhafte  Übergewicht  der  russischen  Waffen 
im  ersten  Abschnitt  des  Konföderationskrieges  hat  dar- 
stellen wollen.  Kein  Name  aber  war  geeigneter,  diese 
Überlegenheit  darzutun,  als  der  des  Drewitz,  der  sich  den 
Polen  von  Beginn  des  Krieges  an  furchtbar  machte. 
Den  Russen  erschien  er  als  eine  Art  von  Heros,  und 
es  entspricht  der  Auffassung,  die  wir  schon  früher  in 
dem  Gedichte  hervortreten   sahen,    dass   auch    Friedrich 


*)  Bei  Herrmann  V  S.  463. 
2)  Rulhiere  H  S.  145    fg. 


Friedrichs  d.  Gr.  „La  guerrc  des  confedäreV1,  183 

Ihn  in  dieser  Beleuchtung  zeigt,  während  er  für  die 
Führer  der  Konföderation  nur  Worte  der  Missachtung 
übrig  hat 

Zaremba  mag  diese  Geringschätzung  verdient  haben, 
—  er  hat  sich  später  selbst  durch  feige  Unterwerfung 
entehrt *)  —  nicht  aber  Kasimir  Pulawski.  Kühn  und  ver- 
wegen im  Kampfe,  listig  und  verschlagen,  wenn  es  galt, 
der  feindlichen  Übermacht  auszuweichen,  von  seinen  Leuten 
enthusiastisch  verehrt,  aber  unfähig,  sich  einem  andern 
unterzuordnen,  war  er  der  echte  Typus  eines  Freischaren- 
führers8). 

Auch  bei  Friedrich  fehlt  ihm  übrigens  der  Schimmer 
der  Romantik  nicht  ganz;  in  den  Armen  der  Liebe  lässt 
-er  ihn  jedes  Missgeschick  vergessen.  Wie  er  seine  Geliebte 
raubt,  schildert  Friedrich  in  einer  Scene,  von  der  ich  nicht 
weiss,  ob  ihr  irgend  etwas  Tatsächliches  zu  Grunde  hegt. 

Nachdem  die  Konföderierten  Drewitz  entronnen  sind» 
kommen  sie  an  eine  grosse  Burg  und  machen  sich  als- 
bald daran,  sie  auszuplündern.  Der  Schlossherr  beschwört 
sie,  ihn,  der  ein  eifriger  Katholik  sei,  doch  nicht  wie 
einen  Dissidenten  zu  behandeln.  Seine  Gattin  und  seine 
Kinder  suchen  durch  Tränen  die  Konföderierten  zu 
rühren;  aber  vergebens.  „Pulawski  würde  in  seiner  Wut 
über  seine  Niederlage  sogar  seinen  eigenen  Vater  und 
seine  Grossmutter  ausgeraubt  haben,  wenn  er  ihnen 
unterwegs  begegnet  wäre."  Er  erklärt,  auch  die  junge, 
schöne  Schlossherrin  mitnehmen  zu  wollen,  damit  sie  ihn 
über  seine  Niederlage  tröste.  Der  verzweifelte  Gatte 
leistet  Widerstand;  aber  seine  Bauern  werden  von  den 
Konföderierten  geschlagen,  und  Pulawski  schleppt  seine 
Beute  in  die  Berge,  wo  er  vor  plötzlichen  Überfällen 
sicher  ist 

Nachdem  Friedrich  an  diesem  Beispiel  den  Jammer 
des  Konföderationskrieges  geschildert  hat,  in  dem  es  für 
niemanden  mehr  Sicherheit  der  Person  oder  des  Eigen- 


i)  Rulhfere  IV  S.  247. 
»)  Rulhtere  IV  S.  106. 


184  G.  P eiser. 

tums  gab,  apostrophiert  er  den  König.  Die  Freunde  der 
Aufklärung  hatten  sonst  nur  Augen  für  die  liebenswür- 
digen Seiten  des  schwachen  Fürsten,  den  sie  zu  ihren. 
Parteigängern  zählten.  Hier  jedoch  blitzt  der  Widerwille 
des  grossen  Königs  gegen  den  Mann  auf,  der  allezeit  ein 
Spielball  in  den  Händen  ränkesüchtiger  Geliebten  war1): 
„Aber  Du,  mein  König,  um  dessentwillen  sich  alle  herum- 
schlagen, was  tust  du,  mein  gütiger  Stanislaus?  Betest 
du  an  deinem  Hofe,  fern  von  jeder  Schlacht,  irgend- 
welche jugendlichen  Reize  an?  Auf  Bällen  und  beim 
Spiel  verbringst  du  deine  Tage  und  lassest  dem  Schicksal 
ruhig  seinen  Lauf,  wie  es  Drewitz  und  dem  lieben  Gott 
gefällt!"  —  So  schliesst  der  zweite  Gesang,  in  welchem 
die  erste  Phase  des  Konföderationskrieges,  die  Erhebung 
und  ihr  anfänglicher  Misserfolg  geschildert  ist 

Schon  im  Herbste  1768  schien  die  Konföderation 
ihrem  Erlöschen  nahe;  nicht  nur  in  Podolien,  von  wo  sie 
ausgegangen  war,  auch  in  den  westlichen  Teilen  Polens 
waren  die  Russen  ihrer  beinahe  Herr  geworden.  Da  trat 
ein  Ereignis  ein,  welches  den  Mut  der  Konföderierten 
von  neuem  belebte.  Am  4.  Oktober  1768  erklärten  die 
Türken  den  Russen  den  Krieg. 

Dem  Ausbruch  dieses  Krieges  ist  der  dritte  Gesang 
unseres  Epos  gewidmet  Wir  hören  jedoch  nichts  von 
den  politischen  Erwägungen  der  Pforte,  welche  nicht 
gleichgültig  zusehen  konnte,  wie  das  Nachbarreich  in 
einen  russischen  Vasallenstaat  verwandelt  wurde,  nichts 
von  dem  unmittelbaren  Anlass  zur  Kriegserklärung:  der 
Verfolgung  geschlagener  Konföderierter  auf  türkisches 
Gebiet  Alles  ist  scharfe  und  rücksichtslose  Satire  gegen 
die  katholische  Kirche,  die  sich  mit  dem  Halbmond 
verbindet 

Schon  die  allgemeinen  Betrachtungen,  mit  denen  der 
dritte  Gesang  eröffnet  wird,  gipfeln  in  einer  Spitze  gegert 
den  Papst 


*)  Vgl.  über  den  Hof  Stanislaus  Augusts :  Ruiniere  m  S.  301- 


Friedrichs  d.  Gr.  „La  guerre  des  confed^reV.  185 

Die  Schulweisheit  sage,  die  Menschen  seien  ver- 
nünftige Wesen1).  Aber  sie  lüge;  die  Welt  sei  ein  Haufe 
von  Narren.  In  manchem  grossen  Staate  würde  ein 
Aretino  den  reichsten  Stoff  für  seine  Satire  finden.  Er 
—  Friedrich  —  hüte  sich  freilich  sorgfältig  vor  solchen 
Schilderungen,  weil  er  den  Zorn  der  Mächtigen  fürchte. 
Wenn  es  sich  aber  um  Staaten  handle,  die  ein  Abtrünniger 
des  Hippokrates  leite,  —  Papst  Clemens  XIV.  war  der 
Sohn  eines  Arztes  —  wer  könne  da  seinen  Ernst  be- 
wahren? Wenn  der  Dichter  lange  genug  den  Menschen 
anatomisch  studiert  habe,  sage  er  oft:  „Seitdem  Peking 
in  Rom  ist,  ist  der  gesunde  Menschenverstand  nicht  mehr 
so  gesund,  wie  viele  Leute  sich  den  Anschein  geben,  zu 
glauben".  Die  Schilderung  des  Verhaltens  der  römischen 
Curie  im  Konföderationskriege  werde  den  Beweis  für 
diese  Behauptung  erbringen. 

Der  Fortschritt  der  Erzählung  wird  von  dem  Dichter 
wieder  an  den  Namen  des  Drewitz  geknüpft 

„Die  Fama",  heisst  es,  „welche  das,  was  sie  weiss, 
und  das,  was  sie  nicht  weiss,  austrompetet,  verkündet 
überall  das  burleske  Abenteuer  Pulawskis,  der  durch  eine 
einzige  Kanone  in  die  Flucht  geschlagen  worden  ist  Das 
Gerücht  wächst,  jeder  fügt  beim  Wiedererzählen  etwas 
hinzu,  und  bald  spricht  man  in  der  ganzen  Welt  in  Prosa 
und  in  Versen  von  der  glänzenden  und  denkwürdigen 
Waffentat  des  Drewitz,  die  alle  Erwartungen  übertroffen 
habe.  Die  Kunde  davon  dringt  schliesslich  auch  zu  den 
Ohren  der  Sottise.  Der  Palast,  den  sie  bewohnt,  ist  die 
katholische  Kirche". 

Man  kann  sich  nach  einem  solchen  Leitsatze  schon 
denken,  was  uns  in  der  breiten  Schilderung  des  Hof- 
staates der  Sottise,  die  nun  folgt,  erwartet!  Auch  hier 
hat  Friedrich,  wenn  ich  nicht  irre,  eine  Voltairesche  Stelle 


*)  S.  235:   Qu'   on    est  heureux,   quand   on   est  raisonable! 
L'£cole  dit  que  nous  le  sommes  tous. 
Vgl.  Guerre  civile  de  Geneve  S.  525,  wo  der  philosophische  Apotheker 
seine    Ansprache    an    die    Aufrührer    mit    den    Worten    beginnt: 
Messieurs  ....  vous  etes  ne"s  tous  sages. 


186  G.  Peiser. 

vorgeschwebt1);  aber  er  hat  sie  zu  einem  ganz  masslosen 
Angriff  auf  Papst  und  Kirche  umgewandelt 

Die  Gestalten  der  Inkonsequenz  und  der  Unvernunft 
werden  uns  vorgeführt.  Neben  ihnen  steht  der  tolle  Aber- 
glaube, dem  die  Augen  verbunden  sind,  die  Leichtgläubig- 
keit, die  sich  von  Lügen  und  Fabeln  nährt,  und  der 
Schrecken,  der  den  Teufel  erfunden  hat.  In  ihrer  Mitte  ist 
der  Thron  der  Sottise  errichtet.  Ihr  Auge  ist  stair,  ihr 
Mund  weit  geöffnet;  entzückt  betrachtet  sie  ihr  edler 
Hofstaat,  der  sich  unaufhörlich  hin  und  her  wiegt2).  „Sie 
ist  es"  fährt  Friedrich  fort,  „die  einst  die  Macht  und  den 
Ruhm  der  Päpste  gegründet  hat.  Ihr  habt  ihr  zu  danken, 
Bonifaz,  stolzer  Gregor,  dass  die  Könige  eure  Befehle, 
eure  dreisten  Bullen  entgegennahmen". 

Als  die  Göttin  hört,  dass  die  Konföderierten,  „ihre 
lieben  Kinder",  ohne  Hoffnung,  ohne  Hilfe  und  ohne  Asyl 
sind,  erbleicht  sie  und  bricht  in  zornige  Klagen  aus: 
„Hund  von  einem  Russen,  willst  du  meine  geliebten  Polen 
vernichten?*  Aber  sie  fasst  sich  bald  wieder;  die  Russen 
sollten  nicht  zu  früh  triumphieren:  sie  werde  ihren  Kindern 
am  Nil,  am  Pontus,  an  den  Ufern  des  Euphrat  einen  Ver- 
teidiger suchen. 

Unverzüglich  macht  sie  sich  auf  die  Reise  nach  Ungarn 
und  steigt  im  Schlosse  Eperies  nieder,  wo,  wie  wir  wissen,, 
der  Generalrat  der  Konföderation  seinen  Sitz  aufgeschlagen 
hat  Sie  findet  die  Palatine  in  wilder  Verzweiflung;  sie 
beklagen  das  Unglück  ihres  Vaterlandes  und  ihrer  Re- 
ligion. „Was  soll  aus  der  Kirche  werden?"  jammern  sie, 
„die  Hölle  ist  losgelassen  und  will  ihr  durch  einen  schis- 
matischen Arm  ihre  einzige  Stütze,  die  Verfolgung,  nehmen 


*)  Vgl.  Guerre  civilc  de  Geneve,   S.  528  den    kleinen  Excurs 
über  die  Macht  der  Inconstance. 

2)  S.  237.    Et  dandinant  sans  cesse  sur  la  plante 

De  ses  deux  pieds  sa  noble  cour  l'enchante. 
Vgl.  Guerre  civile  de  Geneve  S.  528,  wo  die  Genfer  Aufrührer  der 
Göttin  Inkonstanze  für  ihre  Ratschlage  danken:   On  s'agenouille,  or 
tourne  ä  son  autel,  La  d£ite\  tournant  comme  eux  sans  cesse    .   .    . 


Friedrichs  d.  Gr.  „La  guerre  des  confedtfreV.  187* 

Russische  Heilige  wird  künftig  das  Volk  verehren,  und 
unsere  Prälaten  werden  nichts  mehr  zu  essen  haben". 
Tief  gerührt  tritt  die  Sottise  unter  sie.  Sie  schlägt  ihnen 
vor,  sich  an  die  Türken  .zu  wenden,  damit  sie  die  Kirche 
verteidigen.  „Muhamed",  sagt  sie,  „liebte  das  Christentum^. 
wie  jeder  weiss,  der  den  Koran  kennt,  und  Mustapha, 
dieser  edelmütige  Sultan,  schaudert  vor  dem  Schisma  und 
verflucht  die  Russen".  Die  Palatine  rufen  Beifall,  und 
die  Prälaten  danken  ihr  knieend  für  ihren  klugen  Rat.. 
Die  Sottise  aber  entzieht  sich  allen  Dankesbeteuerungen 
und  verschwindet  in  einem  dichten  Nebel.  Sie  eilt  dem 
Gesandten  der  Konföderation  nach  Konstantinopel  voraus, 
wo  man  sie  seit  langer  Zeit  kennt ;  denn  Mustapha  richtet 
sich  in  allen  Stücken  nach  ihr. 

Der  Dichter  lässt  Michael  Krasinski  —  er  und 
Joachim  Potocki  waren  die  Unterhändler  der  Konföderierten, 
bei  der  Pforte  —  sein  Hilfegesuch  unmittelbar  im  Namen 
des  Papstes  vorbringen. 

Der  christliche  Mufti  habe  geruht,  ihn  an  die  Pforte 
zu  senden,  um  ihren  mächtigen  Beistand  zu  erflehen. 
Wären  die  Russen  erst  mit  den  Polen  fertig,  so  würde 
die  Reihe  bald  an  die  Türken  kommen.  Jetzt  wollten  die 
Russen  die  heilige  Jungfrau  von  ihren  Altären  verdrängen 
und  russische  Heilige  an  ihre  Stelle  setzen;  bald  würden 
sie  auch  Muhamed  aus  Mekka  zu  verjagen  suchen.  „Unter- 
stützt also,  noch  ist  es  Zeit,  den  heiligen  Vater!  Wenn 
die  päpstlichen  Schlüssel  und  der  Halbmond  sich  vereinigen, 
werden  sie  überall  Schrecken  erregen,  und  mit  eurer 
Hilfe  wird  die  Kirche  triumphieren". 

Der  ganze  Di  van  stimmt  diesen  Gründen  gewichtig 
bei,  und  unverzüglich  wird  der  heilige  Krieg  beschlossen. 
Die  gewaltigen  Rüstungen  der  Türken  für  den  Feld- 
zug des  nächsten  Jahres — denn  erst  am  26.  März  1769  wurde 
in  Konstantinopel  die  Fahne  des  Propheten  entrollt1)  — 
werden  anschaulich  geschildert  Von  Ägypten,  aus  dem 
Herzen  Asiens,  von  den  Ufern  des  Pontus  und  aus  Arabien 


*)  Herrmann  V  S.  609. 


188  G.  Pciscr. 

strömen  die  Völker  zusammen.  Mit  ihnen  vereinigen  sich 
<lie  schwarzen  Bogenschützen  Libyens,  die  Bostandschi, 
Janitscharen  imd  Spahis.  Das  gewaltige  Heer  —  seine 
Zahl  wurde  auf  300000  angegeben  —  wälzt  sich  unter 
Führung  des  Grossveziers,  ohne  Widerstand  zu  finden, 
bis  an  die  Ufer  des  Dnjestr. 

Die  Nachricht,  dass  der  Halbmond  sich  im  Felde 
zeige,  übt  auf  die  Konföderierten  eine  gewaltige  Wirkung 
aus.  Mut  und  Zuversicht  kehren  ihnen  zurück.  Pulawski 
fühlt  sich  bereits  als  Sieger  und  sagt  die  Vernichtung  des 
Drewitz  voraus.  König  Stanislaus  aber  gerät  dadurch  in 
grösste  Bedrängnis  (auch  ihm  hatten  die  Türken  auf 
Betreiben  Krasinskis  und  Potockis  im  Frühjahr  den  Krieg 
erklärt1).,^  ist  in  Warschau  eingeschlossen" — die  Haupt- 
stadtwurde unaufhörlich  von  Konföderierten  umschwärmt — a) 
„und  weiss  nicht,  ob  er  noch  König  ist,  und  wie  er  den 
gordischen  Knoten,  den  der  Verrat  geschürzt  hat,  ent- 
wirren soll.  In  seiner  Not  nimmt  er  zu  Katharina  seine 
Zuflucht,  und  die  tapferen  Russen  kommen  ihm  alsbald 
zu  Hilfe." 

Jetzt  erst,  meint  der  Dichter,  hätten  die  eigentlichen 
Kämpfe  begonnen.  Es  habe  sich  nicht  mehr  um  die  tollen 
Prahlereien,  um  den  Mummenschanz  eines  Pulawski,  sondern 
um  Helden,  denen  wirkliche  Soldaten  folgten,  gehandelt 
Aus  dem  kleinen  Funken,  den  der  falsche  Glaubenseifer 
entzündet,  sei  allmählich  ein  grosser  Brand  entstanden. 

Die  Konföderierten  vereinigen  sich  mit  ihren  tür- 
kischen Verbündeten  nicht  Sie  überlassen  ihnen  die 
Aufgabe,  die  polnischen  Streitigkeiten  zum  Austrag  zu 
bringen,  und  operieren  selbständig.  Jeder  Trupp  wählt 
eine  andere  Strasse,  und  Mord  und  Verwüstung  bezeichnen 
den  Weg,  den  sie  nehmen.  Die  Sottise  aber  sieht  aus 
Himmelshöhen  freundlich  auf  ihr  Treiben  herab  und 
spendet  ihnen  ihren  Segen. 

Am  Schlüsse  des  Gesanges  tritt  der  Dichter  selbst 
vor  sein  Auditorium.    Er  ist  des  trockenen  Tones,  den  er 

i)  Herrmann  V   S.  611. 
*)  Beer  I   S.  242. 


Friedrichs  d.  Gr.  „La  guerre  des  coni6d€r6s".  189 

zuletzt  angeschlagen,  satt:  „Ich  Schwätzer,  dem  die  Gicht 
alle  zehn  Finger  knebelt,  muss  ich  nicht  über  die  Aus- 
geburten meiner  dichterischen  Phantasie  erröten  ?  Meine 
Schmerzen  sind  die  Strafe  dafür,  dass  ich  euch  im  Stile 
der  Zeitungen  ebenso  törichtes  Zeug  wie  diese  erzähle. 
Morgen  aber  werde  ich  zu  eurer  Unterhaltung  etwas 
bringen,  woran  ihr  Freude  haben  werdet".  So  werden 
wir  auf  den  Inhalt  des  nächsten  Gesanges  vorbereitet,  in 
dem  Friedrichs  Satire  ihren  Höhepunkt  erreicht 

Die  Launenhaftigkeit  des  Schicksals  ist  das  Thema, 
welches  in  der  Einleitung  zum  4.  Gesänge  behandelt 
wird.  Wer  wüsste  nicht  schon,  wie  bunt  das  Bild  des 
Lebens  sei  durch  den  raschen  Wechsel  des  Glückes? 
Welche  Lehre  könne  man  also  daraus  ziehen,  wenn 
Fortunas  Gunst  auch  einmal  einem  Dummkopf  lächle? 
Nur  eben  die,  dass  es  auf  die  Dauer  langweilig  sei,  immer 
wieder  zu  hören,  dass  rohe  und  niedriggesinnte  Kriegs- 
knechte, denen  tausend  andere  Narren  folgten,  auch  im 
Kampfe  feige  seien  und  von  Misserfolg  zu  Misserfolg 
taumelten.  Es  habe  daher  nicht  viel  zu  bedeuten,  wenn 
ein  sarmatischer  Räuber  sich  für  einen  Augenblick  eines 
Vorteils  rühmen  könne. 

Damit  kehrt  die  Erzählung  zu  Kasimir  Pulawski 
zurück.  Er  ist  von  seinen  letzten  Erfolgen  berauscht; 
stolz  streicht  er  seinen  schmutzigen  Schnurrbart,  wenn 
er  an  den  Sieg  über  die  Bauern  und  an  die  reizende 
Frau  denkt,  die  er  dem  Schlossherrn  entführt  hat  Aber 
weit  und  breit  ist  das  Land  verwüstet  und  alles  Vieh 
fortgetrieben.  Allmählich  beginnen  die  Konföderierten 
selbst  Not  zu  leiden.  Da  schlägt  Zaremba,  müde  die  Ebene 
zu  durchstreichen,  vor,  sich  in  dem  Kloster  Czenstochau 
festzusetzen.  „Wir  brauchen*,  sagt  er,  „einen  befestigten 
Ort,  wo  wir  unserer  Haut  sicher  sind,  und  wohin  wir 
aus  weiter  Nachbarschaft  unsere  Beute  zusammenbringen 
können.  In  Czenstochau  wird  die  heilige  Jungfrau  sich 
und  uns  schützen  und  die  Angriffe  der  Kosaken  zu 
Schanden  machen."  Der  Vorschlag  wird  gebilligt  und 
alsbald  der  Marsch  angetreten. 


^9°  G.  Peiser. 

Dicke  Mönche  kommen  ihnen  zur  Begrüssung  ent- 
gegen; man  sitzt  im  Refektorium  nieder  und  trinkt  den 
Klosterwein.  Aber  als  der  Rausch  ihre  Sinne  verwirrt 
hat,  bricht  um  die  Geliebte  Pulawskis  Streit  aus;  jeder 
will  sie  in  seine  Arme  ziehen.  Wütend  reisst  Pulawski 
-seinen  Säbel  aus  der  Scheide  und  haut  auf  die  Mönche 
ein.  Da  stürzt  bleich  und  verstört  ein  Knecht  herein  und 
ruft  sie  zu  den  Waffen:  die  Russen  sind  im  Anmarsch; 
sie  werden  von  Drewitz  geführt,  der  immer  auf  der 
Lauer  und  von  allem,  was  vorgeht,  unterrichtet  ist.  Er 
iennt  seine  Leute  und  weiss  genau,  dass  man  im  Refek- 
torium trinkt  und  in  den  Gassen  sich  schlägt  In  einem 
Augenblick  ist  die  Festung  umzingelt  und  eng  einge- 
schlossen. Die  Streitenden  lassen  Pulawskis  Geliebte 
fahren  und  stieben  auseinander;  in  einem  Winkel  der 
Festung  hocken  sie  nieder  und  wagen  nicht,  auch  nur 
die  Nasenspitze  über  die  Mauer  zu  stecken,  aus  Furcht, 
dass  man  sie  ihnen  abschneide. 

Fast  ohne  Übergang  werden  wir  hier  aus  dem  Früh- 
jahr 1769  in  den  Winter  1770  geführt.  Der  burlesken 
Klosterscene,  die  Friedrich  schildert,  liegt  villeicht  der 
Widerstand  zu  Grunde,  den  die  Mönche  bei  der  Besetzung 
ihres  Klosters  geleistet  haben.  Czenstochau  war  stark 
befestigt  und  durch  eine  Garnison  geschützt;  so  hofften 
die  Mönche,  gleichsam  neutral  bleiben  und  sich  sowohl 
der  Russen  wie  der  Konföderierten  erwehren  zu  können. 
Nur  durch  einen  Handstreich  gelang  es  Pulawski, 
Czenstochaus  sich  zu  bemächtigen1). 

Bei  der  Beschreibung  des  nächtlichen  Sturmes,  die 
nun  folgt,  hat  Friedrich  vielleicht  an  einen  Bericht  Benoits, 
seines  Gesandten  in  Warschau,  vom  16.  Januar  177 1  *) 
gedacht  „Nach  dem  Rapport  des  Obersten  Drewitz  — 
meldet  Benoit  —  hat  dieser,  nachdem  er  seine  Bomben 
verbraucht,  in  der  Nacht  vom  8.  auf  den  9.  einen  Sturm 
versucht;  dabei  zeigten  sich  jedoch  die  Leitern  um  einige 


i)  Ruiniere  IV  S.  102  fg. 

a)  Geh.  St.  A.  Berlin  Rep.  9.    Nr.  27. 


Friedrichs  d.  Gr.  „La  guerre  des  confedeYeV.  191 

Toisen  zu  kurz,  so  dass  alle  Anstrengungen,  den  Platz 
zu  ersteigen,  fruchtlos  waren." 

Was  hat  nun  aber  Friedrichs  Satire,  die  auch  in 
religiösen  Dingen  vor  nichts  zurückschreckt,  aus  diesen 
wenigen  Worten  gemacht! 

„Wird  die  heilige  Jungfrau,"  fragt  der  Dichter 
emphatisch,  „dulden,  dass  ruchlose  Schismatiker  ihr 
Heiligtum  erstürmen,  sie  beschimpfen  und  daraus  ver- 
treiben?" Maria,  die  Königin  des  Himmels,  weiss  genau, 
was  Drewitz  beabsichtigt;  entschlossen,  sein  Vorhaben  zu 
vereiteln,  bittet  sie  Christus  um  seinen  Beistand.  Mit  den 
Werkzeugen,  die  einst  Joseph  gebraucht  habe,  möge  er 
seiner  Mutter  helfen,  die  Russen  abzuwehren.  Christus 
nimmt  Hobel  und  Säge,  und  beide  schweben  hernieder. 
Es  ist  dunkle  Nacht,  und  Drewitz  nähert  sich  mit  seinen 
Soldaten,  welche  Sturmleitern  tragen,  der  Festung.  Aber 
Christus  sägt  die  Leitern  durch,  und  als  sie  angelegt 
werden,  reichen  sie  kaum  bis  zu  halber  Höhe.  Zu  gleicher 
Zeit  kommt  ein  so  lebhaftes  Feuer  von  den  Schanzen, 
dass  Drewitz  sich  zurückziehen  muss.  Pulawski  glaubt 
in  seiner  Einfalt,  dass  die  Rettung  Czenstochaus  sein  Werk 
sei;  aber  die  Mönche  erfahren  bald  durch  Inspiration 
den  wahren  Sachverhalt,  und  in  kurzem  erzählen  sich 
alle  Frommen  im  Lande,  dass  die  Jungfrau  für  ihr  Heilig- 
tum ein  Wunder  getan  habe.  Auch  die  Konföderierten 
halten  jetzt  für  ratsam  zu  verkündigen,  dass  Gott  selbst 
für  sie  streite,  und  Pulawskis  Geliebte  zündet  der  Jung- 
frau eine  Kerze  an,  weil  sie  sie  vor  den  Russen  bewahrt 
habe. 

Noch  sind  die  Konföderierten  voll  Freude  über  ihren 
wunderbaren  Erfolg,  da  kommt  vom  türkischen  Kriegs- 
schauplatz eine  Nachricht,  die  sie  aus  allen  Himmeln 
stürzt.  Der  Grossvezier  und  sein  gewaltiges  Heer  sind 
von  Galizin  geschlagen  worden;  die  Russen  haben  einen 
vollständigen  Sieg  davongetragen.  Mit  einem  Schlag  ist 
die  Situation  gänzlich  verändert. 

Es  ist  der  Sieg  des  Fürsten  Alexander  Michailowitsch 
Galizin  bei   Chocim    am    18.  September   1769,   der   hier 


192  G.  Pciser. 

berührt  wird.  Bei  dem  Versuche  des  Grossveziers^ 
Moldawandschi  Ali  Pascha,  sein  Heer  über  den  Dnjestr 
nach  Podolien  zu  führen,  riss  der  hochgehende  Strom 
die  leichtgebaute  Brücke  fort  10 — 12000  Türken,  welche 
den  Fluss  bereits  überschritten  hatten,  waren  dadurch  von 
den  übrigen  abgeschnitten  und  wurden  von  den  Russen 
mit  leichter  Mühe  niedergemetzelt.  Der  osmanischen 
Hauptarmee  aber,  die  den  Untergang  ihrer  Brüder  nicht 
hatte  verhindern  können,  bemächtigte  sich  ein  so  panischer 
Schrecken,  dass  sie  in  wilder  Flucht  der  Donau  zueilte 
und  auch  jenseits  derselben  nur  zum  kleinsten  Teil  wieder 
gesammelt  werden  konnte  *). 

Natürlich  weiss  Friedrich  ganz  genau,  dass  die 
Nachricht  von  dieser  Niederlage  längst  nach  Polen  ge- 
drungen war,  ehe  Pulawski  sich  in  Czenstochau  festsetzte. 
Wenn  er  Galizins  Sieg  trotzdem  erst  jetzt  erzählt,  so 
mag  die  Rücksicht  auf  eine  —  ich  möchte  sagen:  drama- 
tische Wirkung  ihn  dazu  veranlasst  haben.  Er  will  uns 
die  Konföderation,  die  durch  den  Ausbruch  des  Türken- 
krieges in  eine  neue,  glücklichere  Phase  trat,  erst  in  ihrem 
höchsten  Triumphe  zeigen,  ehe  er  den  Rückschlag 
schildert,  der  mit  der  Schlacht  bei  Chocim  begann. 

Friedrich  verweilt  bei  der  Beschreibung  des  russischen 
Sieges  nicht.  Die  Versuchung  dazu  weist  er  mit  ähnlichen 
Worten  zurück,  wie  in  jenem  Briefe  an  Voltaire  vom 
18.  November  1771,  der  die  Sendung  der  beiden  ersten 
Gesänge  begleitete.  „Verstünde  ich,  die  Trompete  zu  hand- 
haben (d.  h.  im  Stile  des  ernsten  Epos  zu  schreiben),  so 
würde  ich  diesen  Galizin  feiern,  den  Sieger  über  die 
Türken.  Aber  ich  bin  nicht  so  dreist,  mit  meiner  scharfen 
Pfeife  das  schöne  Solo  einer  so  herrlichen  Waffentat  vor- 
tragen zu  wollen.  Nur  das  Lächerliche  gehört  zu  meiner 
Kompetenz/ 

Er  wendet  sich  also  sofort  der  Schilderung  des  ge- 
waltigen Eindrucks  zu,  den  der  russische  Sieg  in  ganz 
Europa    hervorgerufen    habe.     Alle,  welche    den  Russen 


i)  Vgl.  Herrmann  V  S.  612. 


Friedrichs  d.  Gr.  „La  guerre  des  confedlrts".  193 

günstig  gewesen  seien,  hätten  sich  gefreut,  dass  die 
Feinde  der  Künste  und  Wissenschaften  bei  Chocim 
ihren  Lohn  empfangen  hätten.  Die  Gegner  der  Russen 
aber  seien  ganz  bestürzt  gewesen.  Sie  hätten  das  Gleich- 
gewicht, welches  erforderte,  dass  Mustapha  unabhängig 
und  frei  sei,  für  bedroht  gehalten  und  ihn  im  Geiste 
schon  aus  seinem  Serail  vertrieben  gesehen,  —  offenbar 
eine  spöttische  Anspielung  auf  den  Fürsten  Kaunitz,  zu 
dessen  politischen  Axiomen  es  gehörte,  dass  das  Gleich- 
gewicht der  Mächte  im  Osten  um  keinen  Preis  gestört 
werden  dürfe. 

Nun  vergleiche  man  aber  damit  wiederum  Friedrichs 
Memoiren! 

Wie  weit  ist  doch  der.  Ton,  den  er  hier  (S.  26)  an- 
schlägt, von  der  Bewunderung  entfernt,  die  er  in  dem 
Gedichte  zur  Schau  trägt!  „Die  Generäle  Katharinas", 
spottet  er,  „verstanden  kaum  die  Grundbegriffe  der  Lager- 
kunde und  Taktik,  aber  die  Generäle  des  Sultans  waren 
noch  unwissender  und  unter  Blinden  ist  der  Einäugige 
König." 

Den  grossen  Eindruck  der  Schlacht  leugnet  er  natür- 
lich auch  in  den  Memoiren  nicht,  gibt  aber  unumwunden 
zu,  dass  die  raschen  Erfolge  der  Russen  Preussen  nicht 
weniger  beunruhigt  hätten  als  Österreich  und  die  übrigen 
europäischen  Mächte:  Preussen  hätte  fürchten  müssen,  dass 
sein  Verbündeter  zu  mächtig  werden  und  ihm  mit  der 
Zeit  ebenso  Gesetze  vorschreiben  würde  wie  den  Polen. 
Der  in  der  Dichtung  herrschenden  Tendenz  entspricht 
es,  dass  in  ihr  solche  Besorgnisse  weit  zurücktreten,  und 
nur  die  reine,  ungemischte  Freude  über  den  russischen 
Sieg  zum  Ausdruck  kommt. 

Vor  allem  schwelgt  der  Dichter  in  der  Schilderung 
der  Bestürzung,  welche  die  türkische  Niederlage  bei  dem 
Papste  und  bei  den  Konföderierten  hervorruft  Der  ganze 
Rest  des  Gesanges  ist  ihr  gewidmet. 

In  den  Mauern  Roms  —  erzählt  Friedrich  —  herrscht 
Klage  und  Verzweiflung:  der  Papst  ist  so  entsetzt,  als  wenn 
der  Blitz  den  Vatikan  in  Flammen  gesetzt  hätte.  Er  sieht  in 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XVIII.  18 


194  G-  Peiscr. 

der  Niederlage  der  Türken  die  Hand  des  Teufels  und 
lässt  gleich  am  folgenden  Tage  Prozessionen  veranstalten 
und  an  allen  Altären  für  die  Sache  seiner  Verbündeten 
beten.  Selbst  der  plötzliche  Tod  Clemens'  XÜL  wird  von 
dem  Spötter  auf  den  Schreck  über  die  Unglücksbotschaft 
zurückgeführt,  obwohl  der  Papst  schon  einige  Monate  früher 
—  am  2.  Februar  1769  —  gestorben  ist 

Nicht  minder  drastisch  ist  die  Trauer  der  Polen  ge- 
schildert „Wieviel  Tränen  vergossen  die  armen  Kon- 
föderierten! Ihren  Händen  droht  die  Waffe  zu  entsinken. 
Einst,  klagen  sie,  waren  die  Türken  unsern  Ahnen 
furchtbar;  aber  als  sie  unsere  Bundesgenossen  wurden, 
haben  die  Russen  sie  zerstreut,  wie  der  Wind  den  Sand 
verweht  Die  Palatine  in  Eperies  sind  ganz  ratlos.  Der 
Erfolg  Pulawskis  ist  aus  ihrem  Gedächtnis  wie  weg- 
gewischt; kummervoll  fragt  einer  den  andern:  „Was  können 
wir  nun  noch  tun?  Was  bleibt  uns  übrig?*  Doch  keiner 
weiss  Antwort  zu  geben." 

König  Stanislaus  dagegen,  zu  dem  die  Erzählung  nun 
zurückkehrt,  ist  über  die  plötzliche  Wendung  der  Dinge 
hoch  erfreut  Er  ist  ruhig  in  Warschau  geblieben  und 
sagt  jetzt  vergnügt:  „Man  schlägt  sich  vortrefflich  für 
mich  an  den  Ufern  des  Dnjestr  und  in  der  Moldau;  diese 
guten  Russen  lassen  für  mich  ihr  Leben.  So  bin  ich  König 
und  werde  es  bleiben!" 

Als  Friedrich  diese  Zeilen  schrieb,  war  die  Liebe 
Katharinas  zu  Poniatowski  längst  einem  Gefühle  der 
Missachtung  gewichen.  Sie  hatte  ihn  aufgefordert,  sich 
zu  der  Armee  zu  begeben,  die  gegen  die  Türken 
auszog;  aber  wie  hätte  der  genusssüchtige  Mann  sich 
plötzlich  in  einen  Kriegshelden  verwandeln  können?  In 
cynischer  Selbstverspottung  fragte  er  den  russischen  Ge- 
sandten mit  einem  Citat  aus  Boileau:  „Ist  dir  ein  Gott 
bekannt,  der  solch  ein  Wunder  tut1)? 

Der  Hinweis  auf  dieses  jämmerliche  Scheinkönigtum 
bildet  den  —  freilich  etwas  sprunghaften  —  Übergang  zu 

*)  „Connais  —  tu  un  dieu,  qui  fasse  tel  prodigc?"  Rulhi&re  HI 
S.  128. 


Friedrichs  d.  Gr.  „La  guerrc  des  confederes".  195 

den  Betrachtungen,  welche  den  folgenden  Gesang  einleiten. 
Es  sind  melancholische  Reflexionen  über  das  vermeintliche 
Glück  der  Fürsten,  wie  sie  Friedrich  in  den  Jahren  zu- 
nehmender Vereinsamung  nicht  selten  aussprach1). 

„Wenn  von  einem  Fürsten  die  Rede  ist,  wünscht  ein 
jeder:  „Wäre  ich  doch  an  seiner  Steile !a  Armer  Tor! 
Wenn  du  es  wärest,  würdest  du  bald  erkennen,  wie  sehr 
der  Glanz  dich  getäuscht  hat  %  .  Was  wäre  denn  dein 
Vorteil,  wenn  man  eines  Tages  dein  Haupt  mit  einer 
Krone  beschwerte?  Würdest  du  darum  fetter  oder  besser 
genährt  sein,  ein  tüchtigerer  Zecher  oder  ein  rüstigerer  Ehe- 
mann? Würdest  du  darum  gesünder  sein?  Freund,  glaube 
mir,  die  Menschen  sind  gleich!  In  jedem  Stande  erfährt 
man  in  richtiger  Mischimg  den  Wechsel  des  Guten  und 
Bösen.  Was  liegt  also  an  der  Maske,  die  du  trägst, 
wenn  das  Schicksal  treulos  seine  Woltaten  in  Heim- 
suchungen verwandelt?  Freude  und  Tränen  sind  immer 
die  gleichen". 

Glücklich  preist  der  Dichter  den,  dem  ein  bescheidenes 
Los  zuteil  geworden.  Wer  kenne  ihn,  wer  wisse,  dass 
er  atme;  das  Dunkel  seines  Standes  schütze  ihn  vor  bös- 
willigem Neid.  Niemand  zerfleische  ihn  in  spöttischen 
Versen.  Aber  die  Regenten  eines  grossen  Staates 
seien  gute  und  schmackhafte  Bissen;  wie  Raben 
stürzten  sich  auf  sie  die  tintenklecksenden  Satiriker. 
„Ein   König  ärgert  sich  darüber,   und   verwünscht   diese 


*)  Vgl.  z.  B.  die  poetische  Epistel  an  d'Alembert  vom  22.  Ok- 
iober 1776.  Oeuvres  XTV  S.  113,  welche  den  gleichen  Gedanken 
folgendermassen  variiert:  „Als  ich  König  wurde,  wollte  ich  meinen 
Namen  unsterblich  machen,  ohne  zu  bedenken,  dass  die  Menge,  die 
im  Schmutze  verdummt  ist,  Lob  und  Tadel  nach  Willkür  spendet. 
Arbeit  und  Sorgen  füllten  mein  Leben  aus.  Die  Kunst  des  Regierens 
wurde  mein  vornehmstes  Studium.  Ich  glaubte,  dass  ein  Genie,  wenn 
es  seine  Anstrengungen  verdoppelte,  wenn  es  alle  Möglichkeiten 
kombinierte,  das  Schicksal  meistern  könnte.  Aber  dieser  Rang, 
diese  Macht  hindern  sie,  dass  wir  Menschen  bleiben,  Sklaven  des 
Schicksals?  Ob  wir  in  Purpur  gehüllt  sind  oder  in  grobes  Tuch, 
das  Unglück  verschont  uns  nicht.  Der  eine  weint  auf  dem  Throne, 
der  andere  in  seiner  Hütte". 

18* 


196  G.  Peiser. 

Hallunken.  Du  in  deiner  Hütte  lachst  bei  Tische 
darüber;  du  kennst  deine  wahren  Freunde.  Verwandte 
und  Nachbarn  lieben  dich  ohne  Hintergedanken.  Aber 
ein  König  ist  von  unterwürfigen  Höflingen  umgeben,  deren 
falscher  Eifer  ihn  belästigt;  sie  lieben  ihn  nicht,  sie  beten 

nur  sein  Glück  an Höre  also  nicht  auf  die 

Sirenenstimme,  die  dich  nur  gegen  das  allen  Menschen 
gemeinsame  Schicksal  erbittern  will,  wenn  sie  dir  den 
Prunk  der  Welt  verführerisch  schildert!  Mache  es  wie 
Odysseus,  setze  ruhig  deinen  Weg  fort!" 

Jetzt  erst  kehrt  Friedrich  zu  dem  Ausgangspunkte 
seiner  Betrachtungen  zurück,  aber  nur,  um  neuen  Spott 
über  das  Haupt  des  armen  Stanislaus  zu  ergiessen. 
„Wenn  Dir"  —  redet  er  den  Leser  an  —  „meine  Aus- 
führungen  übertrieben  erscheinen,  so  richte  die  prüfenden 
Blicke  auf  Stanislaus,  den  traurigen  König  von  Polen 
Wie  leidet  er  unter  Verdriesslichkeiten,  wie  wird  er  von 
Arbeit  erdrückt!  Kann  man  ihn  in  Wahrheit  glücklich 
nennen?" 

So  hatte  Friedrich  geschrieben,  als  ihm  am  13.  November 
eine  Depesche  Benoits  überreicht  wurde,  welche,  in 
frühester  Morgenstunde  des  4.  November  abgefasst,  ein 
Ereignis  meldete,  das  den  König  in  die  grösste  Erregung 
versetzen  musste.  Als  Stanislaus  August  am  Abend  des 
dritten  November  von  einem  Besuche  seines  Oheims  nach 
seinem  Palais  zurückkehrte,  war  sein  Wagen  von  iz 
bis  15  Verschworenen  überfallen,  ein  Haiduk  nieder- 
gestreckt, der  König  selbst  aus  dem  Wagen  gerissen  und 
in  wilder  Eile  aus  Warschau  herausgebracht  worden.  Man  ge- 
dachte, ihn  nach  Czenstochau  zu  führen,  wo  er  ein  willen- 
loses Werkzeug  in  den  Händen  der  Konföderierten 
gewesen  wäre.  —  Wie  sehr  wäre  die  Lage  der  Dinge  in 
Polen  verändert  worden,  wenn  dieser  Anschlag 
gelungen  wäre! 

Aber  schon  um  acht  Uhr  morgens  konnte  der  Ge- 
sandte seiner  Depesche  die  Nachschrift  hinzufügen,  dass 
der  König  sich  wunderbarerweise  wieder  in  seinem 
Schlosse  eingefunden  habe.    Durch  eine  Verkettung  merk- 


Friedrichs  d.  Gr.  „La  guerre  des  confcderes".  I97 

würdiger  Umstände  war  er  schliesslich  in  einem  Walde 
unweit  Warschau  mit  einem  der  Verschworenen,  Namens 
Kosinski1),  allein  zurückgeblieben.  An  diesem  erprobte 
er  seine  hinreissende  Beredsamkeit,  und  es  gelang  ihm, 
Kosinski  zu  bewegen,  ihn  nach  Warschau  zurückzubringen9). 

Friedrichs  Werk  war  soeben  vollendet;  aber  un- 
möglich konnte  er  an  einem  Ereignis,  das  in  ganz  Europa 
das  grösste  Aufsehen  erregte,  stillschweigend  vorbei- 
gehen8). Er  schob  daher  an  dieser  Stelle  einige  Worte 
ein:  „Von  seinem  Herde  entführt  ihn  in  der  Nacht  ein 
barbarischer  Mörder,  und  mit  seltenem  Glück  entzieht  er 
sich  dem  Arm   des  Rasenden.11 

Dann  aber  verfällt  er  sofort  wieder  in  seinen  alten 
Ton.  n  Ach  guter  König,  ich  muss  mich  selbst  anklagen« 
dass  ich  dich  manchmal  zu  hart  behandelt  habe.  Ich 
bin  ganz  zerknirscht;  meine  unverschämte  Muse  hat  dich 
mit  ihrem  beissenden  Stile  zerfleischt  Ich  will  mich 
sofort  auf  den  Weg  nach  Czenstochau  machen,  um  dort 
Kirchenbusse  zu  tun.* 

Der  Dichter  nimmt  nun  den  Faden  seiner  Erzählung 
wieder  auf.  „Dieser  gute  König  auf  seinem  wenig  festen 
Throne  ist  noch  nicht  am  Ende  seiner  Leiden  angelangt; 
denn  die  Palatine  in  Eperies  denken  nur  an  den  Ruin 
ihres  Vaterlandes.*  Augenblicklich  sind  sie  freilich  in 
arger  Not;  denn  die  Niederlage  der  Türken  in  der  Moldau, 
ihre  Flucht  und  die  lange  Untätigkeit,  die  darauf  folgt, 
hat  sie  ihrer  festesten  Stütze  beraubt  Da  erhebt  sich 
unter  ihnen  der  Bischof  von  Krakau,  als  wenn  er  plötzlich 
aus  dem  Schlafe  aufführe,  und  schlägt  vor,  wiederum  die 
Hilfe  der  Sottise  anzurufen. 

Wir  erwähnten  schon,  dass  Kajetan  Sottyk,  der 
Bischof  von  Krakau,  seit  Oktober  1767  zusammen  mit 
Zaluski  in  russischer  Haft  war.    Er  kann  also  nicht  in 


*)  8chiller  hat  diesem  Manne  in  seinen  „RAubern*  ein  Denkmal 
gesetzt 

*)  s.  Herrmann  V  S.  503. 

*)  Friedrich  an  Voltaire  vom  ia.  Januar  177a.  (Oeuvres  XXÜI 
S.  234. 


198  G.  Peiscr. 

Eperies  gewesen  sein.  Es  mag  auffallend  erscheinen,  dass 
der  Dichter  aus  dem  gesamten  polnischen  Episkopat  nur 
eben  die  beiden  Männer  heraushebt,  welche  an  der 
Konföderation  teilzunehmen  faktisch  verhindert  waren. 
Aber  wenn  es  ihm,  wie  wir  sahen,  bei  einem  Werke  "dieser 
Art  auf  historische  Treue  im  einzelnen  überhaupt  nicht 
ankam,  Welche  geeigneteren  Repräsentanten  der  religiösen 
Intoleranz,  die  er  geissein  wollte,  konnte  er  finden  als 
diese  beiden,  deren  heftige  Opposition  gegen  die  Dissiden- 
ten ein  so  hartes  Schicksal  über  sie  heraufbeschworen 
hätte?  Sohyk  wird  übrigens  in  dem  Gedichte  etwas 
besser  behandelt  als  Zahiski,  wie  er  denn  auch  von  den 
Russen  eine  Zeit  lang  milder  beurteilt  wurde  als  dieser1). 
Friedrich  tadelt  zwar  auch  seinen  religiösen  Fanatismus, 
nennt  ihn  aber  sonst  einen  Biedermann« 

Es^folgt  nun  eine  köstliche  Scene:  die  Verhandlungen 
der  Konföderierten  mit  der  Sottise.  Wem  wehte,  wenn 
er  sie  liest,  daraus  nicht  der  Geist  entgegen,  aus  dem 
Lessing  die  Gestalt  seines  Riccaut  de.  la  Marliniöre  schuf! 
Eine  starke  nationale  Empfindung  kommt  darin  zu 
glücklichstem  Ausdruck. 

Durch  das  inbrünstige  Gebet  der  Palatine  herbei- 
gerufen, erscheint  die  Göttin  und  nimmt  unter  ihnen 
Platz.  Sie  tröstet  die  Verzweifelten:  „Ich  will,  dass  das 
Schicksal  euch  endlich  begünstige.  Ich  werde  an  eure 
Spitze  einen  tapferen  Krieger  stellen,  der.  diese  hoch- 
mütigen Russen  ausrotten  wird.  Noch  besitze  ich  fromme 
Anhänger.  Ich  habe  den  vortrefflichen  Soubise  und  hundert 
andere  Helden,  die  von  den  Franzosen  verehrt  werden, 
Rossbach  und  Krefeld  verkünden  ihren  Ruhm;  Velling:- 
hausen  *)  und  Minden  und  hundert  andere  Orte  sind  die 
Zeugen,  die  ihren  Ruf  begründen,  dessen  «Widerhall  sich 
bis. zum  Himmel  erhebt." 

Aber  der  Vorschlag  der  Sottise  findet  zunächst  den 
lebhaftesten  Widerspruch.    „Das    ist   ein    Schimpf,    eine 

*)  s.  Beer  II  S.  ai6. 

")  Hier  wurde  Brogtie  Am  15.  Juli  1761  von  Ferdinand  voa 
Braunschweig  geschlagen. 


Friedrichs  d.  Gr.  „La  guerre  des  confederes".  199 

Beleidigung",  braust  Pulawski  auf.  Zaremba  brummt 
zwischen  den  Zähnen:  „Ich  will  keinen  Franzosen  zum 
Kommandanten.0  —  „Heiliger  Rochus,  koste  es,  was  es 
wolle,  ich  werde  nicht  dulden,  dass  diese  Franzosen  allein 
über  die  bettelhaften  Dissidenten  und  den  König  trium- 
phieren", ruft  zornig  Oginski.  Er  hat,  sagt  der  Dichter, 
aus  der  Ferne  alles  gehört  —  eine  Andeutung  davon^ 
dass  der  Grossfeldherr  von  Lithauen  sich  damals  noch 
nicht  öffentlich  für  die  Sache  der  Konföderierten  erklärt 
hatte.  —  Doch  die  Sottise  weist  alle  Einwendungen  der 
Polen  kategorisch  zurück,  indem  sie  ihnen  mit  einem 
Citat  aus  einem  Werke  des  Jesuiten  Dominique  Bouhours 
die  Inferiorität  aller  Völker  gegenüber  den  Franzosen  zu 
Gemüte  führt. 

„Polen",  sagt  sie,  „katholisches  Volk,  solltet  ihr  noch 
niemals  den  guten  Pater  Bouhours  gelesen  haben?  Dieser 
Bouhours  war  ein  grosses  Orakel,  und  er  sagt  ganz 
richtig:  es  sei  ein  .wahres  Wunder,  aber  in  der  Tat  noch 
niemals  da  gewesen,  dass  ein  armer  Sterblicher  ausser- 
halb Frankreichs  Esprit  besessen  habe.  Paris  ist  die  un- 
geheure Vorratskammer  davon.  Suchen  wir  also  dort  Esprit 
und  Helden,  an  denen  es  uns  fehlt,  um  unser  Schicksal 
zu  verbessern!"  *)  Solchen  Gründen  vermögen  die  Kon- 
föderierten nicht  zu  widerstehen,  und  es  wird  beschlossen, 
Wielochorski  nach  Paris  zu  entsenden,  damit  er  von  dort 
„den  Phönix  der  Krieger*  hole. 

Die  Verhandlungen  des  bevollmächtigten  Gesandten 
der  konföderierten  Republik  mit  dem  Herzog  von  Choiseul 


*)  Vgl.  damit  die  hübsche  Stelle  in  dem  Schreiben  an 
d'Alembert,  wo  Friedrich  den  seiner  Zeit  von  den  Franzosen  ge- 
feierten Kritiker  und  Biographen  —  Dominique  Bouhours  lebte  von 
1626—1702  —  folgendermassen  abfertigt:  „Wir  Deutsche  haben 
nach  dem  treffenden  Urteil  des  guten  Pater  Bouhours  kaum  eine 
Anlage. zur  Poesie,  am  wenigsten  zum  Heldengedicht  Wir  besitzen 
nur  den  groben  Instinkt  des  gesunden  Menschenverstandes,  und 
unser  Pegasus  hat  keine  Flügel.  Ich  könnte  Ihnen  sagen,  was  van 
Haren  Voltaire  antwortete,  als  dieser  dessen  Leonidas  lobte:  „Meine 
Verse  sind  gut,  denn  ich  habe  gar  keine  Phantasie.41  (Oeuvres  XXIV 
S.  624.) 


aoo  G.  Peiser. 

geben  Friedrich  Gelegenheit,  ein  Charakterbild  des 
mächtigen  Mannes  zu  zeichnen.  Es  stimmt  mit  dem  in 
den  Memoiren  (S.  21)  entworfenen  durchaus  übereilt. 
„Er  geizt  nach  Lorbeern,  wie  er  sie  in  Avignon  und 
Korsika  gepflückt  hat*  —  die  päpstliche  Stadt  und  die 
von  den  Genuesen  abgetretene  Insel  waren  kurz  zuvor 
dem  französischen  Reiche  einverleibt  worden.  „Er  ist 
der  Urheber  aller  Intriguen,  ein  Narr,  aber  voll  Esprit; 
ganz  den  Vergnügungen  hingegeben,  lenkt  er  doch  alles 
in  Frankreich  nach  seinem  Willen.* 

Choiseul  klagt  dem  polnischen  Gesandten  sein  Leid 
Ober  das  Missgeschick  der  Türken.  „Welche  Unverschämt- 
heit*, sagt  er,  „dass  ein  Galizin,  ohne  mit  mir  vorher 
davon  zu  sprechen,  ohne  von  mir  dazu  Erlaubnis  zu 
haben,  unsere  Verbündeten,  den  Grossvezier  und  sein 
Heer,  vorn  und  hinten  schlägt!*  Er  habe  sich  daher  ent- 
schlossen, den  Baron  Viomenil  nach  Polen  zu  senden;  der 
werde  den  prahlerischen  Hochmut  der  Russen  nieder- 
schlagen. Wielochorski  bittet  noch  recht  viel  gute 
Louisd'or  hinzuzufügen;  denn  die  polnischen  Helden  seien 
arm.  Auch  darein  willigt  ChoiseuL  Er  ist  voll  Hoffnung 
auf  einen  guten  Erfolg:  „Möge  die  Welt  zerrüttet  werden", 
ruft  er  aus,  „desto  heller  wird  der  Ruhm  Choiseuls  und  der 
Franzosen  erstrahlen!"  „Viomenil  —  heisst  es  in  dem 
Gedichte  weiter  —  reist  ab,  und  Bataillone  von  Gaffern 
folgen  ihm,  Toren,  die,  ohne  zu  wissen  warum,  bei  Lands- 
kron  für  ihren  König  kämpfen  wollen.* 

Diese  Worte  enthalten  eine  tatsächliche  Unrichtigkeit 
Der  Baron  Viomenil  ist  erst  im  Herbste  1771  nach  Polen 
gekommen,  also  mehrere  Monate  nach  dem  am  24.  De- 
zember 1770  erfolgten  Sturze  des  Herzogs  von  ChoiseuL 
Nicht  er,  sondern  der  Oberst  Dumouriez  —  es  ist  der* 
selbe,  der  später  in  den  Koalitionskriegen  so  bedeutend 
hervortrat  ■*—  hätte  hier  genannt  werden  müssen.  Er 
war  es,  der  die  Schlacht  bei  Landskron  am  22.  Juni  1771 
verloren  hat  Aber  wie  der  Dichter  die  Bischöfe  von 
Kiew  und  Krakau,  auch  nachdem  sie  von  dem  Schauplatze 
ihrer  Tätigkeit  gewaltsam  entfernt  sind,    noch   eine  so 


Friedrichs  d.  Gr.  „La  guerre  des  conf€der6s".  201 

hervorragende  Rolle  spielen  lässt,  so  scheut  er  sich  nicht, 
den  Baron  Viomenil,  dessen  Wirksamkeit  in  Polen  zur 
Zeit  der  Abfassung  des  Gedichtes  eben  erst  begann,  dadurch 
lächerlich  zu  machen,  dass  er  ihn  schon  in  die  unglück- 
liche Affäre  von  Landskron  mitverwickelt 

Die  Situation  selbst  ist  richtig  gezeichnet  Bei  der 
ohnmächtigen  Schwäche  Frankreichs  ausser  stände,  den 
Russen  direkt  den  Krieg  zu  erklären,  zettelte  Choiseul 
überall  in  Europa  Intriguen  gegen  sie  an  und  unterstützte 
die  Konföderierten  durch  Subsidien  und  Entsendung 
französischer  Offiziere  und  Artilleristen. 

Ehe  Friedrich  jedoch  das  Auftreten  der  Franzosen 
in  Polen  schildert,  erzählt  er  zwei  selbständige  Aktionen 
der  Konföderierten.  Auf  die  chronologische  Ordnimg 
wird  dabei  wiederum  keinerlei  Rücksicht  genommen; 
Ereignisse,  die  neun  Monate  auseinanderliegen,  werden  als 
gleichzeitige  behandelt 

Friedrich  beginnt  mit  der  Schilderhebung  des  Grafen 
Oginski. 

Wir  haben  den  Grossfeldherrn  von  Lithauen  schon 
bei  den  letzten  Beratungen  in  Eperies  kennen  gelernt 
Die  Worte,  die  ihm  dabei  in  den  Mund  gelegt  werden, 
verrieten  die  eifersüchtige  Besorgnis,  dass  die  Franzosen 
allein  mit  den  Russen  fertig  werden  könnten.  Dieses  ganz 
unhistorische  Motiv  schiebt  ihm  denn  auch  Friedrich  bei 
seiner  Erhebung  gegen  die  Russen  im  September  1771  unter 

Graf  Oginski  gehörte  zu  den  Männern,  die  sich  nach 
dem  Tode  König  Augusts  IQ.  Hoffnung  auf  die  polnische 
Krone  gemacht  hatten.  Er  besass  angenehme  Talente 
wie  Poniatowski,  malte,  dichtete  und  komponierte,  hatte 
aber  doch  auch  wirkliche  Verdienste  aufzuweisen,  nament- 
lich um  seine  lithauische  Heimat,  in  der  er  fast  wie  ein 
Souverän  auftrat  So  hatte  er  unter  anderem  den  Bau 
eines  Kanals  unternommen,  der  die  Ostsee  mit  dem 
schwarzen  Meere  verbinden  sollte1).  Zum  Kriegshelden 
war  freilich  auch  er  nicht  geschaffen.    Von  sanftem,  fast 


*)  Rulhiere  II  S.  120. 


202  G.  Peiser. 

schüchternem  Charakter,  wurde  er  einzig  und  allein  durch 
das  Drängen  seiner  Freunde  bewogen,  sich  schliesslich 
den  Konföderierten  anzuschliessen.  Nur  diese  Seite  seines 
Wesens  tritt  in  unserm  Epos  hervor  und  gibt  Friedrich 
Veranlassung,   ihn  mit  Spott  und  Hohn  zu  überschütten. 

Oginski  —  erzählt  er  —  versammelt '„die  Blüte  der  pol- 
nischen Bettlerschaft"  und  feuert  sie  in  prahlerischer  Rede 
an:  seine  Wünsche  seien  erhört;  auf  ihn  seien  alle  Blicke 
gerichtet;  seine  Taten  würden  den  Ruhm  der  alten  Helden 
verdunkeln  und  zu  nichte  machen. 

Dann  aber  bricht  der  Dichter  ab,  um  zunächst  den 
Anschlag  der  Konföderierten  auf  Krakau  im  Januar  177 1 
zu  erzählen. 

Auch  Pulawski  und  „der  tapfere  Zaremba,  der 
niemals  für  einen  Wassertrinker  galt",  —  berichtet  er  — 
operieren  ganz  auf  eigene  Faust,  ohne  die  Ankunft  der 
Franzosen  abzuwarten.  Wie  Don  Quixote,  der  irrende 
Ritter,  ziehen  sie  auf  grosse  Abenteuer  aus.  Pulawski 
sucht  Krakau  zu  überrumpeln,  wird  aber  durch  das  Feuer 
der  Russen  zurückgetrieben.  Fliehend  deklamiert  er: 
„Der  Pole  ist  tapfer,  wenn  man  nicht  auf  ihn  schiesst. 
Das  unharmonische  Pfeifen  der  Kugeln  hat  mir  brutaler- 
weise mein  Spiel  verdorben".  Um  sein  Missgeschick  voll 
zu  machen,  verliert  er  dabei  auch  seine  Standarte,  welche 
als  Trophäe  nach  Petersburg  gebracht  wird.  Mars,  die 
Russen  und  die  Liebe  verwünschend,  verbirgt  er  seine 
Schande  in  irgend  einem  Walde1). 

Der  Dichter  kehrt  nun  wieder  zu  Oginski  zurück. 
Am  6.  September  1771  überfiel  dieser,  der  bis  dahin  den 
Schein    der   Neutralität    gewahrt    hatte,    unerwartet    bei 


*)  Vgl.  den  Bericht  Benoits  an  den  König  vom  23.  Ja- 
nuar 1771.  (B.  A.): 

Nach  dem  unglücklichen  Anschlage  des  Obersten  Drewitz  auf 
Czenstochau  hätten  die  Konföderierten  sich  in  den  Kopf  gesetzt,  sie 
könnten  sich  Krakaus  bemächtigen.  Sie  hätten  infolgedessen  die 
Stadt  angegriffen,  aber  der  Oberst  Ebschelwitz,  der  die  dortige 
Garnison  befehligte,  habe  sie  bald  wieder  nach  Hause  geschickt 
nachdem  er  ihnen  einige  100  Mann  getötet. 


Friedrichs  d.  Gr.  „La  guerre  des  confedeY6s".  203 

Redcycza  ein  Bataillon  des  Obersten  Albutschew  und 
nahm  es  grösstenteils  gefangen1). 

Friedrich  verschweigt  den  Vorfall  nicht,  hat  aber 
selbst  für  die  geschlagenen  Russen  ein  lobendes  Beiwort, 
während  er  das  Verdienst  Oginskis  so  viel  wie  möglich 
verkleinert. 

Nicht  weit  von  dem  Orte,  wo  seine  Truppe  lagert, 
(erzählt  er)  zieht  eine  starke  Abteilung  tapferer  Russen 
vorüber,  ohne  zu  ahnen,  dass  Oginski  in  der  Nähe  ist 
Sie  werden  überfallen  und  zerstreut.  Obwohl  Oginski 
also  seinen  Erfolg  nur  einem  glücklichen  Zufall  verdankt, 
vergleicht  sich  in  seinem  Siegesrausch  „das  Tier  mit  dem 
ersten  der  Cäsaren". 

Man  kann  sich  nach  diesen  Worten  denken,  mit 
welchem  Behagen  der  gänzliche  Zusammenbruch  des 
Unternehmens  geschildert  wird,  der  schon  wenige  Tage 
darauf  erfolgte. 

Suworow  (erzählt  der  Dichter)  hört  in  Grodno  von 
dem  Unglück  seiner  Waffenbrüder  und  beschliesst,  sie 
sofort  zu  rächen.  Oginski  selbst  gibt  ihm  Gelegenheit 
dazu.  Er  führt  seine  Truppen  in  ein  Dorf,  wo  sie  plündern 
und  sich  betrinken.  Man  denkt  nicht  daran,  Posten  auf- 
zustellen; als  die  Nacht  kommt,  liegen  alle  in  süsser 
Ruh,  sorglos,  ohne  jede  Bewachung.  Da  erscheint  Su- 
worow; im  Dunkel  der  Nacht  hat  er  sich  den  Eingang 
in  das  Dorf  gebahnt  Die  Konföderierten,  noch  vom  vorigen 
Tage  betrunken,  werden  mit  Knutenhieben  aus  dem 
Schlafe  geweckt  In  einem  Augenblick  sind  alle  ge- 
fangen; nur  einer  entkommt,  „der  erste  der  Cäsaren." 

Es  ist  der  meisterhaft  ausgeführte  Überfall  von 
Stolowice  in  der  Nacht  vom  22723.  September,  der  hier, 
von  schmückendem  Beiwerk  abgesehen,  im  wesentlichen 
richtig  geschildert  wird.  In  einem  Briefe  Oginskis,  der 
uns   erhalten  ist2),   wird   allerdings  auch  über  Verräterei 


*)  Herrmann  V  S.  499. 

*)  Lcttres  particulieres  du  Baron  de  Viomenil  S.  168.  Vgl. 
Friedrich  von  Smitt:  Suworow  und  Polens  Untergang.  Leipzig  und 
Heidelberg  1853.    S.  85  fg. 


204  G.  Peiser. 

geklagt.  Aber  die  Hauptschuld  misst  auch  er  seinen 
eigenen  Truppenftihrern  bei,  welche  nicht  einmal  Patrouillen 
auszuschicken  für  nötig  gehalten  hätten. 

„Auf  solche  Weise  also,*  lässtder  Dichter  denfliehenden 
Oginski  wehklagen,  „bin  ich  diesen  französischen  Hunden 
zuvorgekommen,  die  bald  da  sein  werden.  Man  hätte 
mich  wie  ein  Huhn  gepackt,  wenn  ich  nicht  so  vor- 
treffliche Sporen  hätte.  In  Schutt  und  Trümmer  sinkt 
die  Republik." 

„Und  inzwischen"  —  heisst  es  weiter  (die  Ereignisse 
lagen  freilich  schon  ein  Jahr  zurück)  —  „lassen  die  Russen 
auch  die  Türken  zweimal  ihre  schwere  Hand  fühlen,  so 
dass  sie  über  die  Donau  zurückweichen."  Dem  Plane 
des  Werkes  gemäss,  werden  auch  diese  neuen  Erfolge 
der  Russen  auf  dem  türkischen  Kriegsschauplatze  nur 
eben  berührt  Gemeint  sind  die  Schlachten  vom  18.  Juli  1770, 
wo  der  Tartarenchan,  und  vom  1.  August  desselben 
Jahres,  wo  der  Grossvezier  selbst  so  empfindlich  ge- 
schlagen wurde,  dass  er  über  die  Donau  flüchten  musste1). 

„Tröste  dich  also  über  dein  Missgeschick,  tapferer 
Oginski,"  schliesst  der  fünfte  Gesang,  „denn  ein  Unglück 
kommt  selten  allein." 

Mit  grellen  Farben  wird  in  der  Einleitung  zum 
sechsten  Gesänge  nochmals  die  unglückliche  Lage  der 
Konföderierten  geschildert:  Oginski  flüchtig,  die  Türken 
geschlagen,  Zaremba  und  Pulawski  mutlos.  Nur  die  Liebe 
vermag  den  letzteren  noch  einigermassen  über  seine 
Niederlagen  zu  trösten,  wie  ja  die  grössten  Helden  — 
sagt  Friedrich;  er  erinnert  an  den  Prinzen  Eugen  und 
den  Grafen  von  Sachsen  —  allezeit  nach  Frauenliebe 
nicht  weniger  als  nach  Lorbeern  gestrebt  hätten. 

In  Sack  und  Asche  betet  der  Dichter  für  die  Sache 
der  Konföderation,  damit  „das  in  Tränen  gebadete  Polen 
nicht  den  nordischen  Barbaren  unterliege."  Nur  ein 
Hoffnungsschimmer  bleibt  den  Konföderierten  noch:  die 
Hilfe  der  Franzosen. 


*)  Herrmann  V  S.  625  ffg. 


Friedrichs  d.  Gr.  „La  guerre  des  confed£rös".  205 

In  einer  ergötzlichen  Scene  wird  geschildert,  wie  sie 
daherkommen:  in  grossem  Zuge,  mit  viel  Lärm  und 
Geschrei.  Sie  rühmen  sich  laut  der  Heldentaten,  die  sie 
schon  vollbracht  haben.  Aber  während  ihre  Erzählungen 
sonst  grossen  Eindruck  auf  jeden  machen,  der  sie  ihnen 
glaubt,  merken  sie  hier  bald,  dass  das  nicht  möglich  ist; 
denn  die  Polen  verstehen  ihre  Sprache  nicht  Sie  hätten 
nun  eigentlich  mit  ihrem  Geschwätz  aufhören  müssen; 
„aber  Franzosen*  —  meint  der  Dichter  —  „ist  das  sehr 
unangenehm;  ihre  Zunge  ging  weiter  wie  eine  klappernde 
Windmühle."  So  verstreichen  einige  Tage;  die  Fransosen 
schwatzen,  die  Polen  schütteln  die  Köpfe  oder  antworten 
in  „ihrer  harten  Sprache,  die  niemand  versteht." 

Erst  finden  die  Franzosen  die  Sache  höchst  spass- 
haft;  dann  aber  reisst  ihnen  die  Geduld.  Einer  macht 
den  Vorschlag,  nach  Hause  zurückzukehren;  für  solche 
Kerle  brauche  man  sich  nicht  Gefahren  auszusetzen.  „In 
diesem  verwünschten  Lande,"  ruft  ein  anderer,  „gibt  es 
weder  Mädchen  noch  Kredit  Mögen  sich  diese  Bettler 
hier  allein  herumschlagen!"  Er  rät,  zu  den  Türken  zu 
gehen;  sie  würden  nicht  mit  Ehren  geizen,  und  jeder 
werde  seinen  eigenen  Harem  haben.  Alle  stimmen  ihm 
bei  und  wollen  sich  schon,  „nur  leicht  beschwert  von 
ihrem  Bettelsack,"  auf  den  Weg  machen,  da  eilt  zum 
Glück  Viomenil  herbei,  und  seinen  Vorstellungen  gelingt 
es,  die  aufgeregten  Gemüter  zu  beruhigen. 

Während  ihr  Mentor  noch  auf  sie  einredet  —  heisst 
es  weiter  —  hört  man  draussen,  vor  den  Toren  von 
Landskron,  das  Getöse  einer  Schlacht  Dort  ist  Branicki 
der  Führer  der  königlichen  Truppen,  mit  den  Russen 
unter  Düring,  Bibikow  und  Drewitz  zusammengeraten. 
Die  Polen  werden  geschlagen  und  fliehen  so  schnell,  dass 
sie  den  Verfolgern  bald  aus  den  Augen  kommen.  Die 
Franzosen  eilen  ihnen  zu  Hilfe.  Sie  werfen  sich  auf 
ihre  Pferde  und  stürzen  den  Russen  entgegen.  Wider- 
willig folgt  ihnen  die  Hauptmacht  der  Polen.  Als  Drewitz 
sie  sieht,  ruft  er:  „Das  sind  Hasen,  mit  denen  ich  mein 
Spiel  treibe"  und  lässt  einige  Kanonen  lösen.    Schrecken 


2o6  G.  Pciser. 

ergreift  die  Polen.  „Der  Donnerton  der  Kanonen  ist  ihnen 
um  so  unsympathischer,  da  das  Echo  der  Berge  ihn 
wiederholt"  Vergebens  sucht  Viomenil  sie  zu  beruhigen. 
Sie  rufen:  „Vorwärts  auf  die  Russen!1*  konzentrieren  sich 
aber  immer  weiter  rückwärts.  Die  Kosaken  greifen  nun 
ihre  gelichteten  Reihen  an  und  jagen  sie  in  wilde  Flucht. 
Wer  von  den  Franzosen  den  Polen  nicht  folgen  will,  fällt 
den  Russen  in  die  Hände.  „Ihr  Los,"  sagt  Friedrich, 
„wird  das  der  Gefangenen  sein;  sie  werden  Sibirien 
bevölkern,  wo  es  bis  dahin  weder  Esprit  noch  Galanterie 
gab.  Dort  werden  sie  Zobeltiere  jagen,  um  euch,  Bojaren 
der  Kaiserin,  mit  Pelzen  zu  versehen!1*  Viomenil  selbst 
entkommt  nur  mit  grösster  Mühe  und  flüchtet  sich  in  die 
Karpathen,  wo  er  Russen  und  Polen  verwünscht  Pulawski 
und  Zaremba  nehmen  ihr  Unglück  weniger  tragisch;  sie 
gleichen  (meint  der  Dichter)  Sternen,  die  einen  kurzen 
Augenblick  verdunkelt  sind.  „Sie  ertränken  ihren  Schmerz 
im  Wein  und  morgen  werden  sie  die  Niederlage  vergessen 
haben." 

Man  kann  die  dichterische  Freiheit  nicht  weiter 
treiben,  als  in  diesem  Schlachtbericht  geschieht  Dass 
nicht  Viomenil,  sondern  Dumouriez  am  22.  Juni  1771  vor 
Landskron  befehligt  hat,  wissen  wir  schon;  die  polnischen 
Krontruppen  haben  an  dem  Kampfe  überhaupt  nicht  teil- 
genommen. Ihr  Befehlshaber,  der  General  Franz  Branicki, 
stand  überdies  auf  Seite  der  Russen.  Vielleicht  ist  Friedrich 
hier  eine  Verwechselung  mit  dem  greisen  Krongross- 
feldherrn  Johann  Branicki  untergelaufen,  der  die  Sache 
der  Konföderierten  unterstützte.  Auch  Pulawski  und 
Zaremba  haben  bei  Landskron  nicht  mitgekämpft  Der 
erstere  hatte  Dumouriez,  der  ihn  dorthin  beorderte,  die 
trotzige  Antwort  gesandt:  er  brauche  den  Befehlen  eines 
Fremden  nicht  zu  gehorchen,  Dumouriez  könne  ja,  wenn 
er  wolle,  sich  ihm  anschliessend 

Auf  russischer  Seite  ist  Drewitz  richtig  genannt^ 
irrig  Bibikow  und  Düring.  Dagegen  fehlt  der  Name 
des  Mannes,  dessen  überlegene  Taktik  den  Sieg  entschied,, 
der  Name   Suworows.     Was   den  Verlauf  der  Schlacht 


Friedrichs  d.  Gr.  „La  gucrrc  des  confedereV*.  207 

selbst  betrifft,  —  wir  haben  darüber  einen  Brief  Dumouriez' 
und  den  Bericht  Suworows  *)  —  so  ist  richtig,  dass  die 
vorschnelle  Flucht  der  Polen  auch  die  Franzosen  mit- 
fortriss;  in  kaum  einer  halben  Stunde  war  der  Sieg  ent- 
schieden. In  den  Einzelheiten  aber  hat  Friedrich  seiner 
Phantasie  vollständig  die  Zügel  schiessen  lassen. 

Ganz  frei  erfunden  ist  das  possenhafte  Nachspiel 
der  Schlacht;  es  soll  lediglich  die  Don  Quixoterie  Oginskis 
noch  einmal  in  helles  Licht  setzen. 

Von  Stolowice  war  dieser  über  die  Grenze  geflohen 
und  hatte  sich  zuerst  in  Danzig  und  dann  in  Königsberg  in 
Sicherheit  gebracht1).  Der  Dichter  aber  lässt  ihn,  nach- 
dem Lithauen  von  Suworow  unterworfen  ist,  nach  Lands- 
kron  gehen.  Still  und  traurig  kommt  er  dort  an;  sein 
prahlerisches  Wesen  scheint  ganz  von  ihm  gewichen. 
Als  er  aber  hört,  dass  die  Franzosen  auch  nicht 
glücklicher  gekämpft  haben  wie  er,  kehrt  sein  Selbst- 
vertrauen zurück.  Er  führt  die  Konföderierten,  die  ihm 
nur  seufzend  folgen,  nochmals  den  Russen  entgegen«  Von 
ferne  sieht  man  eine  gewaltige  Staubwolke  heranziehen  — , 
offenbar  Truppen,  die  in  guter  Ordnung  langsam  vor- 
rücken. Mit  wildem  Ungestüm  stürzt  sich  Oginski  auf 
sie.  Aber  der  vermeintliche  Feind  erweist  sich  als  eine 
Hammelheerde,  die  von  einem  Händler  zu  Markte  ge- 
trieben wird.  Beim 'Heransprengen  der  Polen  stiebt  sie 
auseinander;  die  besten  Stücke  aber  werden  erbeutet, 
und  froh,  wenigstens  an  diesem  Tage  gesiegt  zu  haben, 
kehren  die  Konföderierten  nach  Landskron  zurück. 

Wie  nach  der  Schlacht  von  Chocim,  folgt  nun 
auch  jetzt  eine  Darstellung  des  Eindrucks,  welchen  die 
Unglücksbotschaften  vom  Kriegsschauplatze  in  Rom 
hervorrufen. 

„Ist  es  nicht  genug",  hört  man  die  Kirche  klagen, 
„dass  die  Encyklopädisten,  die  ungläubigen  oder  deistischen 
Philosophen  unsere  Mauern  untergraben,  von.  denen  einst 
Luther  schon   ein   grosses   Stück  zum  Einsturz  gebracht 

*)  Lettres  de  Viomenil  S.  18  und  153.    v.  Smitt  S.  75. 
»)  Rulhiere  IV  S.  aa& 


208  G.  Peiser. 

hat?  Die  Russen  suchen  sie  noch  zu  überbieten,  und 
die  Vernunft  wird  zum  Schrecken  der  Papisten  ihren 
Einzug  in  Rom  halten,  und  die  Köpfe  unserer  Nepoten 
aufklären." 

„Dem  Papste",  fährt  Friedrich  fort,  (die  Verhandlungen 
über  die  Aufhebung  des  Jesuitenordens  waren  bereits  in 
vollem  Gange)  „war  damals  noch  nicht  bekannt,  dass  der 
Teufel  die  Gestalt  des  heiligen  Ignatius  entlehnt  hatte,  um 
die  Verwirrung  anzurichten.  Hätte  der  heilige  Vater  das 
gleich  erfahren,  so  wäre  es  sofort  mit  den  Jesuiten  ganz  und 
gar  aus  gewesen.  Aber  der  heilige  Xaver,  der  dieses 
Schicksal  befürchtete,  verhinderte  listig,  dass  Seine  Heilig- 
keit damals  davon  unterrichtet  wurde.  Mein  Leser  freilich 
kennt  den  ganzen  Ursprung  dieser  wunderbaren  Begeben- 
heiten besser  und  weiss,  dass  der  böse  Geist,  die  Jungfrau 
und  die  Sottise  die  Urheber  dieses  Wirrwarrs  sind." 

Noch  einmal  schildert  Friedrich  nun  das  Kriegs- 
elend in  Polen,  wo  überall  Bauern,  Herren  und  Geistliche 
ausgeplündert  würden,  um  sich  dann  mit  einem  überaus 
schmeichelhaften  Appell  an  dieKaiserinKatharina  zuwenden. 

„Es  wäre  um  diesen  grossen  Staat  geschehen  ge- 
wesen, wenn  Mord  und  Kampf  noch  länger  angedauert 
hätten.  Aber  Vernunft  und  Philosophie  haben  noch  er- 
habene Parteigänger.  Ihre  Stimme  wird  bei  den  Scythen, 
im  Innern  Russlands,  von  der  angebeteten  und  gesegneten 
Fürstin  auf  der  Höhe  ihres  Thrones  vernommen..  Ihre 
grosse  Seele  ist  gerührt  von  den  Leiden,  welche  die  Welt 
erduldet."  Sie  ruft  den  Frieden  vom  Himmel  herab,  und 
um  Katharinas  Willen  verlässt  er  sogleich  die  Götter. 
Zuerst  versöhnt  er  Katharina  und  Mustapha.  Dann  kommt 
er  zu  „dem  Herrn  Sarmaten,  der  zwar  immer  geschlagen, 
aber  doch  noch  voll  eitler  Hoffnungen  ist,"  und  redet  die 
Palatine  also  an:  „öffnet  eure  Augen,  der  Teufel  treibt 
mit  euch  sein  Spiel.  Denn  ihr  habt  euren  mächtigen 
Nachbarn,  ohne  euch  etwas  dabei  zu  denken,  lange  Zeit 
den  Tisch  gedeckt.  Jetzt  werdet  ihr  geruhen,  es  ganz  in 
Ordnung  zu  finden,  wenn  diese  Nachbarn  sich  den 
Kuchen  teilen.     Das  sind  die  Früchte  eurer  Narrheit  und 


Friedrichs  d.  Gr.  „La  guerre  des  confedereV*.  209 

eurer  Komplotte,  ihr  Toren!  Tröstet  euch  über  diesen 
Frieden,  wie  er  Besiegten  diktiert  wird,  in  den  Armen 
des  Bacchus  !€l 

Sich  dann  zu  den  einzelnen  Häuptern  der  Kon- 
föderation wendend,  gewährt  der  Friedensgott  Pulawski 
freien  Abzug1).  Nur  soll  ihm  seine  Geliebte  genommen 
und  ihrem  Gemahl  zurückgegeben  werden.  Über  den 
Bischof  von  Kiew  verhängt  er  die  Strafe,  die  er  nun  schon 
seit  vier  Jahren  erduldete;  er  soll  in  Smolensk  über  die 
Grenzen  von  Staat  und  Kirche  nachdenken,  d.  h.  noch 
weiter  in  russischer  Haft  bleiben.  Zaremba  wird  wie  ein 
gemeiner  Verbrecher  behandelt:  er  soll  auf  die  Galeere 
gebracht  werden.  Oginski  erhält  den  Rat,  sich  künftig 
auf  seine  musikalischen  Neigungen  zu  beschränken:  „Lege 
die  Feldbinde  ab,  die  sich  nur  für  Söhne  des  Mars  eignet; 
ahme  nicht  mehr  den  ersten  der  Cäsaren  nach,  sondern 
spiele  mir  wie  David  auf  der  Harfe \u 

Es  ist  ein  Zukunftsbild,  welches  Friedrich  am  Schlüsse 
seines  Werkes,  den  Ereignissen  vorauseilend,  entrollt  Im 
Geiste  sieht  er  die  beiden  Ziele,  denen  seine  Politik  damals 
zustrebte,  schon  erreicht  „Als  Prophet",  schreibt  er  an 
d'Alembert,  „verkündige  ich  Ihnen  den  Frieden,  obwohl 
er  noch  nicht  abgeschlossen  ist*9).  Auf  die  Herbeiführung 
dieses  Friedens  war  seit  der  türkischen  Kriegserklärung 
Friedrichs  Diplomatie  unablässig  gerichtet  gewesen. 
Was  ihm  die  Beilegung  des  russisch-türkischen  Krieges 
so  wünschenswert  machte,  war  nicht  allein  der  Umstand, 
«lass  er  —  dem  Allianzvertrage  von  1764  gemäss  —  jähr- 
lich 480000  Taler  Subsidien  an   Russland  zahlen  musste, 


l)  „Pulawski,  vous  allez" In  der  Tat  hat  er, 

als  die  militärischen  Cooperationen  der  drei  benachbarten  Reiche 
die  Fortsetzung  des  Kampfes  unmöglich  machten,  sich  im  April  1772 
ans  Czenstochau  entfernt  und  ist  ins  Ausland  gegangen.  Für  die 
Freiheit  Nordamerikas  kämpfend,  ist  er  später  bei  Savannah  ge- 
fallen.   (Herrmann  V   S.  521.) 

*)  Oeuvres  XXIV  S.  642.  In  Wahrheit  hat  sich  der  russisch- 
türkische  Krieg,  durch  Waffenstillstand  und  Friedensunterhandlungen 
freilich  lange  unterbrochen,  bis  in  das  Jahr  1774  fortgeschleppt. 

Zeitschrift  der  Hist.  Oes.  für  die  Prov.  Posen.  Jahrg.  XVIII.  14 


210  G.  Pciscr. 

sondern  vor  allem  die  Befürchtung,  dass  ^Österreich  für 
die  Pforte  mit  den  Waffen  eintreten,  und  Preussen  dadurch 
genötigt  sein  würde,  Russland  auch  militärische  Bundes* 
hilfe  zu  leisten1).  Wie  atmete  er  daher  auf,  als  am 
5.  September  1771  Maria  Theresia  in  einem  unbewachten 
Augenblick  dem  preussischen  Gesandten  unzweideutig 
zu  erkennen  gab,  dass  von  ihrer  Seite  kein  Krieg  zu 
befürchten  sei2)!  Eine  wesentliche  Vorbedingung  für  den 
Friedensschluss  schien  ihm  erfüllt,  wenn  die  Pforte  sich 
ihrer  Isolierung  deutlich  bewusst  wurde. 

Aber  was  noch  mehr  geeignet  war,  Friedrich  mit 
freudiger  Zuversicht  zu  erfüllen:  Die  Politik  hatte  einen 
Weg  gefunden,  die  widerstrebenden  Interessen  Öster- 
reichs und  Russlands  zu  vereinigen  und  zugleich  Preussen 
einen  entsprechenden  Machtzuwachs  zu  gewähren. 

Die  Teilung  Polens  wird,  —  neun  Monate  vor  der 
Unterzeichnung  des  Petersburger  Traktats — in  der  Rede 
des  Friedensgottes  bereits  offen  angekündigt8);  sie  wird 
hier  als  die  natürliche  Folge  der  Torheit  der  Polen,, 
welche  geradezu  das  Ausland  dazu  herausgefordert  hätten, 
aber  auch  als  notwendige  Voraussetzung  für  die  Pacifika- 
tion  des  Landes  bezeichnet 

Seit  der  Rückkehr  des  Prinzen  Heinrich  von  seiner 
denkwürdigen  russischen  Reise,  also  seit  dem  Februar  1771, 
waren  die  Verhandlungen  Über  die  Teilung  in  vollem 
Fluss,  zunächst  zwischen  Berlin  und  Petersburg4).  Wie 
Friedrich  aber  gerade  in  jenen  Tagen,  da  er  die  Ab- 
fassung seines  Werkes  begann,  die  politische  Lage  über- 
haupt auffasste,  geht  aus  seiner  Antwort  auf  ein  Schreiben 
des   Ministers    Finkenstein     vom    8.  Oktober  1771    mit 


*)  Der  Inhalt  des  Vertrages  bei  Reinhold  Koser:  König 
Friedrich  der  Grosse  S.  437;  vgl.  S.  455. 

2)  Beer  II  S.  107. 

3)  Natürlich  ist  der  Gesang,  der  diese  Stelle  enthält,  Voltaire 
und  d'Alembert  erst  geraume  Zeit  spater  übersandt  worden^ 
ersterem  am  16.,  letzterem  am  17.  September  1772. 

<)  Koser  S.  466. 


Friedrichs  d.  Gr.  „La  gucrrc  des  confed6r6s".  21 X 

voller  Klarheit  hervor.  Man  möchte  die  Worte  als  Vor- 
rede zu  Friedrichs  Epos  bezeichnen.  „Die  Briefe  aus 
Petersburg  sind  so  günstig  als  möglich;  die  aus  Wien  zeigen 
mehr  schlechte  Laune,  als  den  vorbedachten  Entschluss 
zu  schaden;  ich  glaube,  dass  die  Kaiserin-Königin  sich 
schliesslich  so  weit  besänftigen  lassen  wird,  dass  sie  aus 
Liebe  zum  Frieden,  und  um  das  Gleichgewicht  der  Mächte 
zu  erhalten,  ein  Stück  Polen  anzunehmen  geruhen  wird. 
Diese  Teilung  wird  wahrscheinlich  das  Ende  aller  dieser 
Wirren  sein*1)- 

Diese  Situation  muss  man  sich  gegenwärtig  halten, 
wenn  man  Friedrichs  Dichtung  richtig  verstehen  will. 
Nicht  für  seine  Auffassung  von  der  polnischen  Nation  ist 
sie  von  wesentlicher  Bedeutung  (wer  kennt  nicht  die  Miss- 
achtung, die  er  für  die  Polen  überhaupt  empfand!)  — 
auch  nicht  als  Quelle  für  den  Konföderationskrieg  —  wir 
haben  im  einzelnen  nachgewiesen,  mit  welcher  Freiheit 
die  Ereignisse  behandelt,  wie  einseitig  und  nicht  selten 
ungerecht  die  polnischen  Führer  beurteilt  werden.  Der 
Wert  der  Schrift  liegt,  von  dem  hohen  literarischen  Interesse, 
das  sie  gewährt,  abgesehen,  darin,  dass  sie  die  Stellung 
Friedrichs  des  Grossen  zu  Russland  im  Herbste  1771  vor- 
trefflich illustriert  Sie  ist  ein  heftiger  Angriff  auf  die 
katholische  Welt,  die  den  Männern  von  Bar  die  lebhaftesten 
Sympathien  entgegenbrachte,  aber  zugleich  ein  Dokument 
der  engen  Verbindimg  zwischen  den  beiden  Kabinetten, 
welche  damals  gemeinsam  eine  so  grosse  politische  Aktion 
vorbereiteten.  Mag  es  sich  um  die  Kaiserin  selbst  oder 
die  russischen  Führer,  um  die  Wahl  Poniatowskis  oder 
um   die   Dissidentenfrage,    um    die    Schlachten  mit   den 


*)  Bei  Beer  II S.  146.  Les  lettres  deP6tersbourg  sont  aussi  favora- 
bles  que  possibles,  celle  de  Vienne  montrent  plus  de  mauvaise  humeur 
que  de  Dessein  prlmlditl  de  nuire,  et  je  crois  qu'  allafin  l'imperatrisse 
reine  se  laissera  radoucir  au  point  de  Vouloir  bien  pour  l'amour  de 
la  paix  et  de  la  Bailance  des  Pouvoirs  aeeepter  un  morceau  de  la. 
Pollogne,  ce  partage  sera  Probablement  la  fin  de  tout  ces  troubles. 
An  Finkenstein  auf  der  Rückseite  eines  Schreibens  desselben  von* 
8.  Oktober  1771.  (B.  A.). 


212  G.  Peiser. 

Türken  oder  die  Gefechte  mit  den  Polen  handeln,  überall 
wird  die  Darstellung  von  dieser  Hinneigung  zu  Russland 
auf   das  stärkste  beeinflusst 

Man  begreift  es,  dass  der  König  später  auf  den  Ge- 
danken gekommen  ist,  sein  Epos  der  Kaiserin  und  den 
leitenden  Männern  am  Petersburger  Hofe  zur  Lektüre  zu 
übersenden,  versteht  aber  andererseits  auch,  dass  er  einige 
Jahre  darauf,  in  seinen  Memoiren,  eine  ganz  andere,  ob- 
jektivere Auffassung  zum  Ausdruck  gebracht  hat 


Francesco  Lismanino. 

Von 
Theodor  Wotschke. 

)  elegentlich  meiner  Forschungen  auf  dem  Gebiete 
der  Reformationsgeschichte  der  Provinz  Posen 
ist  mir  reiches  handschriftliches  Material  über 
diesen  ehemaligen  Minoritenprovinzial  und  Beichtvater  der 
Königin  Bona  Sforza  und  späteren  kleinpolnischen  pro- 
testantischen Theologen  in  die  Hände  gefallen.  Es  schien 
mir  um  so  zweckmässiger,  dieses  zu  einer  Biographie  zu- 
sammenzustellen, als  die  Literatur  eine  solche  bisher 
noch  nicht  bietet,  und  man  bezüglich  Lismaninos  noch 
immer  auf  Lubieniecki1)  und  die  wenigen  Daten  bei  Sand2) 
angewiesen  ist  Der  gelehrte  Königsberger  Konsistorialrat 
und  Oberbibliothekar  Samuel  Bock8)  wollte  in  seinem  Werke 
über  die  Antitrinitanier  ausführlicher  über  LismaninosLeben 
und  Schriften  berichten,  aber  wie  sein  gross  angelegtes 
Werk  unvollendet  geblieben  ist,  so  hat  er  auch  diesen 
Vorsatz  nicht  ausgeführt.  Dies  ist  um  so  mehr  zu  bedauern, 
als  Bock  über  ein  grosses  jetzt  verloren  gegangenes  hand- 


^LubienieciusiHistoria  reformationis  Polonicae.  Freistadii  1685. 
Da  Lubieniecki  eine  Reformationsgeschichte  des  Sekretärs  Laskis  und 
Lismaninos  Stanislaus  Budzinski  im  Mannskript  vorlag,  gibt  er 
allenthalben  sichere  Nachrichten  und  ist  seine  Arbeit  eine  vorzügliche 
reformationsgeschichtliche  Quelle. 

2)  Sandius:  Bibliotheca  Anti-Trinitariorum.  Freistadii  1884.  S.  34  f. 

8)  Fr.  Samuel  Bock:  Bibliotheca  Antitrinitariorum  maxime 
Socmianorum.  Königsberg  und  Leipzig  1774.  Bd.  I  S.  436  „vitam 
Lismanini  in  hist  Socin.  Polon.  et  Pruss.  fuse  exposituri  sumus". 
Im  vierten  Bande  seines  Werkes  wollte  er  dies  unter  Benutzung 
seiner  schon  1754  erschienenen  historia  Socinianismi  Prussici  tun,  aber 
Aber  den  zweiten  Band  ist  das  Werk  überhaupt  nicht  hinausgekommen. 


214  Theodor  Wotschkc. 

schriftliches  Material,  vor  allem  über  die  Synodalakten  der 
Socinianer  verfügte  und  sichere  Auskunft  hätte  geben 
können,  ob  Lismanino  mit  Recht  den  Antitrinitariern  zu- 
zurechnen ist.  Salig1)  sagt:  „Man  setzt  Lismaninum  nebst 
Ochino  in  die  Klasse  der  Socinianer;  von  dem  Letzteren 
bin  ich  gewiss  versichert,  dass  er  kein  Socinianer  gewesen*. 
Ich  hoffe  den  Nachweis  führen  zu  können,  dass  auch 
Lismanino  zu  unrecht  den  Antitrinitariern  zugezählt  wird. 
Francesco  ist  1504  von  griechischen  Eltern  auf  Korcyra 
geboren.  Seine  frühste  Kindheit  verlebte  er  in  Italien,  und 
wie  viele  Bürger  dieses  Landes  in  jener  Zeit  in  Polen  eine 
neue  Heimat  suchten,  so  zogen  auch  seine  Eltern  gewiss 
noch  vor  1515  mit  ihm  nach  Krakau2).  Welche  Beweg- 
gründe ihn  hier  Mitte  der  zwanziger  Jahre  bestimmten,  in 
ein  Franziskanerkloster  einzutreten,  wissen  wir  nicht;  der 
Schritt  ist  schwer  verständlich,  da  Lismanino  damals  schon, 
wie  er  am  29.  Dezember  1556  Georg  Israel  erzählte,  in- 
folge der  heimlichen  Lektüre  der  Schriften  Luthers  an 
den  Lehren  der  römischen  Kirche  irre  geworden  sein  will. 
Schnell  stieg  er  zu  Ehren  und  Würden  empor.  Er  wurde 
Beichtvater  der  Königin  Bona,  die  als  Tochter  des  Herzogs 
Sforza  von  Mailand  die  Italiener  sehr  begünstigte,  und 
durch  ihrenEinfluss  1540  Provinzial  aller  polnischen  Franzis- 
kaner- und  Klarissenklöster;  auch  erhielt  er  die  reichen  Ein- 
künfte der  Pfründe  Czechow  im  Krakauer  Palatinat  über- 
wiesen. Seine  einflussreiche  Stellung  führte  ihn  mit  allen 
kirchlichen  und  weltlichen  Würdenträgern  Polens  zu- 
sammen;  mit  verschiedenen  war  er  eng  befreundet,  mit 


*)  Salig:  Historie  der  Augsburgischen  Konfession.  Halle  1733. 
II  572. 

*)  In  der  Widmung  des  Buches  Traiedya  o  Mszey  an  Fürst 
Nikolaus  Radziwill  1560  berichtet  Lismanino,  dass  er  obwohl  ein  Sohn 
<ies  fernen  Phaakenlandes  seit  seiner  Jugend  in  Polen  gelebt  habe 
und  deshalb  die  polnische  Sprache  beherrsche.  Bischof  Zebrzy- 
dowski  schreibt  in  einem  Krakau,  den  93.  Januar  1552,  datierten 
Briefe  über  Lismanino:  „singulariter  eum  semper  complexus  fui  eiusque 
dignitatem  et  fortunas  habui  carissimas,  iam  inde  cum  paene 
a  pueris  nos  inter  nos  familiarissime  amaremus,  iisdem  studiis 
operam  daremus*. 


Francesco  Lismanino.  215 

den  meisten  stand  er  im  Briefwechsel.  Einige  Schreiben  des 
Leslauer  und  späteren  Krakauer  Bischofs  Andreas  Zebrzy- 
dowski  an  ihn  hat  Wislocki  in  der  Briefsammlung  dieses 
Bischofs  veröffentlicht1).  Sie  sind  wenig  inhaltsreich  und 
bieten  für  ein  Lebensbild  Lismaninos  nur  untergeordnete 
Züge.  Wir  entnehmen  ihnen,  dass  Lismanino  Ende  1547  von 
Krakau  nach  Grosspolen  gereist  war  und  bei  der  Rück* 
kehr  Anfang  März  1548  seinen  Freund  Zebrzydowski  in 
Wolborz,  einem  Städtchen  unweit  Petrikau,  auf  einige 
Stunden  besucht  hat,  um  die  kurz  zuvor  brieflich  aus- 
gesprochene Bitte  um  Gewährung  eines  Darlehns  mündlich 
zu  erneuern2).  Am  1.  April  starb  König  Sigismund, 
und  als  zu  den  Begräbnisfeierlichkeiten  am  26.  Juli  auch 
Herzog  Albrecht  von  Preussen  in  Krakaus  Mauern  weilte, 
hatte  er  wie  sein  Hofprediger  Johann  Funk  mit  Lismanino 
verschiedene  Unterredungen.  Neben  politischen  Fragen 
betrafen  sie  auch  religiöse,  denn  trotz  seines  hohen  kirch- 
lichen Amtes  war  Lismanino  mit  der  Kirche  innerlich 
zerfallen.  Der  Zweifel,  der  seit  den  zwanziger  Jahren 
sein  Herz  zerriss,  war  zur  Ueberzeugung  ausgereift,  dass 
der  Kirche  eine  Reformation  an  Haupt  und  Gliedern 
dringend  not  tue,  und  dass  der  Wittenberger  Mönch  mit 
seinem  Zurückgehen  auf  die  heilige  Schrift  die  wahren 
Richtlinien  für  sie  gegeben  habe.  Ein  Kreis  humanistisch 
gebildeter  Männer  in  Krakau,  die  der  Reformation  teils 
freundlich  gesonnen,  teils  ihr  von  ganzem  Herzen  schon 
ergeben  waren,  hatte  ihn  in  seiner  Ueberzeugung  bestärkt 
und  allmählich  zu  tieferer  evangelischer  Erkenntnis  geführt. 
Der  gelehrte  Johann  Trzycieski  und  sein  Sohn  Andreas, 
der  Drucker  Bernhard  Wojewodka,  der  Grodschreiber 
Jakob  Przyluski,  der  Edelmann  Iwan  Karminski  auf  Alexan- 
drowice  unfern  Krakaus  und  der  bekannte  Andreas  Fricius 
Modrzewski  waren  seine  nächsten  Freunde  und  Vertrauten, 
mit  denen  er  Glaubensfragen  besprach.  Die  literarischen 
humanistischen  Studien,  die  sie  zusammen  trieben,  waren 


*)  Epistolarum    libri  Andreae  Zebrzydowski.     Acta  hist.   res 
gcstas  Poloniae  illustrantia  I.    Cracoviae  1878. 
*)  a.  a.  O.  N.  354  und  356. 


2i6  Theodor  Wotschke. 

der  Deckmantel  für  religiöse  Diskussionen,  für  ihr  Studium 
der  Bibel  und  der  deutsch-protestantischen  Schriften,  Be- 
sonders BernhardWoje  wodka,  in  den  humanistischen  Wissen- 
schaften ein  Schüler  des  Erasmus,  in  Glaubensfragen  Luther 
unbedingt  ergeben,  den  Herzog  Albrecht  gern  nach  Königs- 
berg gezogen  hätte,  und  der  fleissig  an  der  Uebersetzung 
evangelischer  Schriften  ins  Polnische  arbeitete1),  und  Andreas 
Trzycieski,  der  schon  1528  als  ein  überzeugter  Anhänger 
Luthers  galt2)  und  im  August  i544demDrangeseinesHerzens 
gefolgt  war  und  in  Wittenberg  zu  den  Füssen  Luthers 
und  Melanchthons  weiterstudiert  hatte8),  wurden  Lis- 
manino  Wegführer  zur  evangelischen  Erkenntnis.  In  Be- 
zug auf  die  spätere  theologische  Richtung  Lismaninos  ist 
zu  bemerken,  dass  die  reformatorisch  Gesinnten  in  Krakau 
bei  aller  Wertschätzung  Luthers  keine  Lutheraner  waren. 
Um  1450  waren  viele  deutsche  Familien,  ich  nenne  die 
Boner,  Bethmann,  Schilling,  Vetter,  Hos,  aus  dem  Elsass 
nach  Krakau  eingewandert  und  hatten  hier  die  zurück- 
gehende deutsche  Bürgerschaft  gestärkt;  mit  der  Heimat 
unterhielten  sie,  vor  allen  der  Verwalter  der  königlichen 
Münze  Jobst  Ludwig  Dietz,  enge  Verbindung,  und  sehr 
zahlreich  waren  deshalb  neben  den  Büchern  der  Witten- 
berger die  Schriften  der  Strassburger  Theologen  in  Krakau 
verbreitet  Hierzu  kommen  die  Bücher  Zwingiis,  Bullingers, 
Calvins  und  anderer  Schweizer,  die  besonders  flüchtige 
um  ihres  Glaubenswillen  verfolgte  Italiener  nach  Klein- 
polen brachten.  Unter  den  reformatorisch  gesinnten  Geist- 
lichen Krakaus  waren  Lismaninos  Freunde  die  Kanoniker 
Jakob  Uchanski  und  Adam  Drzewicki,  die  Franziskaner- 
mönche  Stanislaus  Opoczno,   Albert   Kozalowski,  Johann 

*)  Nach  seinem  vorzeitigen  Tode,  er  ertrank  Juli  1554  beim 
Baden,  Hess  seine  Witwe  durch  den  Krakauer  Stanislaus  Wysnowski 
die  polnischen  Manuskripte  der  Pinczower  Synode  am  26.  April  1556 
überreichen.    Dalton:  Lasciana.    Berlin  1898  S.  415. 

2)  Vergleiche  den  Brief  des  Vizekanzlers  Tomicki  an  Johann 
Zambocki.    Tomiciana  Bd.  X. 

*)  Album  Academicum  Viteberg.  ed.  Förstemann.  Einen  Brief 
von  ihm  an  Melanchthon  Krakau,  den  12.  August  1546,  bietet  die 
Zeitschrift  für  Kirchengeschichte  Xu,  194. 


Francesco  Lismanino.  217 

Szoldra,  vor  allen  aber  der  Prediger  der  italienischen 
Fremdengemeinde  Hieronymus.  Natürlich  konnte  die 
reformatorische  Gesinnung  des  Minoritenprovinzials  nicht 
ganz  verborgen  bleiben,  ein  Verwandter  Iwan  Karminskis, 
der  Kanoniker  Georg  Podlodowski,  schöpfte  Verdacht  und 
teilte  seine  Vermutungen  dem  Krakauer  Bischof  Samuel 
Maciejowski  mit,  der  einst  durch  Lismaninos  Fürsprache 
bei  der  Königin  Bona  zur  Krakauer  Bischofswürde  empor- 
gestiegen war,  jetzt  aber  dem  Ankläger  seines  ehemaligen 
Fürsprechers  ein  geneigtes  Ohr  lieh.  Unter  dem  Scheine 
xier  Freundschaft  näherte  er  sich  Lismanino,  besuchte  ihn 
häufig,  um  in  seiner  Wohnung  nach  verbotenen  ketzerischen 
Schriften  auszuschauen.  Aber  von  seinen  Freunden  Jakob 
Przyluski  und  dem  Marschall  des  Bischofs  Stanislaus 
Bojanowski  gewarnt,  war  Lismanino  auf  der  Hut,  und  die 
heimlich  forschenden  Augen  des  Bischofs  fanden  nur  die 
Werke  der  mittelalterlichen  Scholastiker.  Einmal  hätte 
<ler  Bischof  bei  einem  unerwarteten  Besuche  fast  seinen 
Zweck  erreicht,  evangelische  Bücher  lagen  aufgeschlagen  auf 
-dem  Tische,  und  kaum  hatte  Lismaninos  Sekretär  Budzinski 
Zeit,  sie  in  dem  Ofen  zu  verstecken.  Maciejowski,  der  Ver- 
flacht geschöpft  hatte,  durchsuchte  alle  Winkel  der  Wohnung, 
aber  an  dem  Ofen  ging  er  arglos  vorüber1). 

Ende  1549  reiste  Lismanino  in  Angelegenheiten  seines 
Ordens  nach  Venedig,  und  hier  traf  ihn  im  folgenden 
Frühjahr  der  Auftrag  der  Königin  Bona,  nach  Rom  zu 
gehen,  um  in  ihrem  Namen  Giovanni  Maria  del  Monte, 
-der  aus  dem  Conklave  am  7.  Februar  als  Julius  III.  hervor- 
gegangen war,  zu  seinem  Pontifikate  zu  beglückwünschen. 
Maciejowski  schrieb  an  den  Papst,  unterrichtete  ihn  von 
dem  Verdachte,  der  auf  dem  Minoritenprovinzial  ruhte, 
und  bat,  ihn  vor  die  Inquisition  zu  stellen  und  in  einem 
italienischen  Kerker  zu  verschliessen,  jedenfalls  ihn  aber 
Aach  Polen  nicht  zurückziehen   zu  lassen.    Wir  wissen 


*)  VergL  hierzu  und  zu  dem  Folgenden  Lubieniecki  S.  24  und 
'WengierakL  Am  ia.  Mai  1548  schreibt  Stanislaus  Bojanowski  „de 
Teügione,  quid  sit  sperandum,  nescio,  sunt  bona  et  mala  signa.  Epi- 
scopum  Cracoviensem  metuo,  nos  feeimus  quae  possumus". 


218  Theodor  Wotschke. 

nicht,  wodurch  des  Bischofs  fein  gesponnener  Plan  zu- 
nichte wurde.  Als  Lismanino  im  Winter  ungehindert 
zurückkehrte  und  unterwegs  in  Villach  Stanislaus  Czarn- 
kowski,  dem  späteren  Posener  Bischof,  begegnete,  be- 
richtete ihm  dieser  von  Maciejowskis  Uriasbriefe  und 
seinem  am  26.  Oktober  erfolgten  Tode.  Lismanino  eilte 
nach  Warschau,  wo  die  Königin-Mutter  ihren  Hof  hielt 
und  erstattete  über  seine  Reise  nach  Rom  Bericht.  Könige 
Sigismund  August  war  über  seiner  Ehe  mit  Barbara  Rad- 
ziwill  mit  seiner  Mutter  zerfallen,  jetzt  suchte  er  durch 
ihres  Beichtvaters  Vermittelung  eine  Aussöhnung.  Gern 
ging  Lismanino  auf  seine  Wünsche  ein,  und  dreimal  führte 
ihn  das  Friedenswerk  im  Januar,  Februar  und  März  nach 
Krakau  zu  persönlicher  Verhandlung  mit  dem  Könige1), 
Als  Bona  Sforza  am  8.  Mai  ihre  Augen  schloss,  verlor  er 
eine  hohe  Gönnerin,  aber  auch  der  junge  König  hatte  ihn  in 
jenen  Verhandlungen  schätzen  gelernt  und  seine  volle  Gunst 
ihm  zugewandt,  sogar  durch  den  Kanzler  Johann  Ocieski  ihm 
das  erste  frei  werdende  Bistum  in  Aussicht  gestellt 

Die  italienische  Reise  hatte  das  Gerücht  von  seiner 
Hinneigung  zum  Protestantismus  nicht  verstummen  lassen,, 
vielmehr  gewann  es  neue  Nahrung,  da  er  in  Venedig  mit 
verschiedenen  der  Ketzerei  Verdächtigen  in  Verkehr  ge- 
standen hatte2).     Man  erzählte  sich,  er  wolle  nach  Venedig 


l)  Auch  die  Königin-Mutter  muss  sich  um  eine  Aussöhnung 
bemüht  haben,  denn  am  10.  April  1550  schreibt  Stanislaus  Bojanowski 
aus  Krakau:  „Huc  nuper  magna  omnium  admiratione  mater  nuntiun» 
tnisit,  per  quem  nostrae  Barbarae  honorem  reginalem  defert, 
dignitatem  hanc  gratulatur,  omnia  fausta  et  felicia  precatur  seque 
in  gratiam  dominae  et  filiae  carissimae  commendat  Legatus  fuit 
griseus  monachus,  natione  graecus,  franciscanorum,  ut  vocant,  minister» 
qui  latius  loqutus  est  inter  cetera:  Testatur  Sua  Maiestas  reginalis 
deum,  se  hoc  ex  animo  et  sincero  corde  facere,  et  ego  sum  in  hoc 
testis  conscientiae  Suae  Maiestatis,  quia  confessor  est". 

*)  Leider  ist  Lismaninos  Verbindung  mit  den  evangelisch  Ge- 
sinnten Italiens  im  einzelnen  noch  nicht  klar  gestellt  Comba  „I  nostri 
Protestantin  1897  und  Cantu  „Eretici  d'Italia  II,  501  widmen  ihm  nur 
wenige  Zeilen,  Benrath  erwähnt  in  der  Realencyklopädie  Bd.  IX,  534 
nur  seine  Beziehungen  zu  dem  Guardian  des  Franziskanerklosters 
in  Belluno  Giulio  Maresio.  . 


Francesco  Lismanino.  219» 

übersiedeln,  dort  die  Kutte  abwerfen  und  in  den  Ehestand 
treten,  in  Polen  suche  er  nur  noch  Klostergut  an  sich  zu: 
bringen,,  um  für  die  Zukunft  sorgenfrei  leben  zu  können1)* 
Da  über  Oberitalien  damals  die  Tage  der  Reaktion  und 
Ketzerverfolgung  hereingebrochen  waren,  trägt  dieses 
Gerücht  unverkennbar  den  Stempel  der  Verleumdung. 
Es  fand  aber  Glauben  und  einen  gewissen  Anhalt  an 
einem  ärgerlichen  Streite,  in  den  Lismanino  mit  den 
Klarissinnen  des  Klosters  St  Andrea  zu  Krakau  ver- 
wickelt wurde.  Nach  einer  Eintragung  in  den  Akten  des. 
Krakauer  Kapitels  unter  dem  12.  und  13.  Februar  1551 
hatte  er  mit  den  Nonnen  über  vermögensrechtliche  Fragen 
sich  entzweit  und  über  die  seinen  Anordnungen  Wider- 
strebenden die  kirchliche  Zensur  verhängt  Da  die 
Klarissinnen  aber  bei  dem  Könige  sich  beschwerten,  auch 
mit  einer  Appellation  an  den  päpstlichen  Stuhl  drohten,, 
hielt  Lismanino  auf  Rat  seiner  Freunde  es  für  das  Bester 
den.  Streit  gütlich  beizulegen  und  den  Nonnen,  die  durch 
des  Bischofs  Andreas  Zebrzydowski  Vermitdung  um  Ver- 
zeihung baten,  ihren  Ungehorsam  nachzusehen2). 

Hatten  Lismaninos  Neider  und  kirchliche  Gegner  ge- 
hofft, der  Streit  mit  dem  Klarissenkloster  würde  den 
König  dem  Provinzial  entfremden,  so  hatten  sie  sich  ge- 
irrt; Sigismund  August  zog  ihn  in  seine  unmittelbare 
Nähe  und  machte  ihn  zu  seinem  vertrauten  Berater.  Als. 
er  ihm  in  den  Verhandlimgen,  die  seiner  Verehelichung 
mit  Katharina,  König  Ferdinands  von  Österreich  Tochter, 
seiner  dritten  Gemahlin,  vorangingen,  wertvolle  Dienste 
geleistet  hatte,  erfuhr  sein  Einfluss  eine  weitere  Festigung 
und  Steigerung.  Offen  sprach  der  König,  der  seit  Jahren 
im  Grunde  seines  Herzens  der  Reformation  nicht  un- 
freundlich gegenüberstand,  mit  ihm  über  die  religiösen 
Wirren  und  zweimal  in  der  Woche,  des  Dienstags  und 
Freitags,  Hess  er  sich  nach  der  Tafel  von  ihm  sogar 
aus    Calvins'  Institutionen    vorlesen.    Die   Hochzeit    des- 


*)  Acta  historica  res  gestas  Poloniae  illustrantia  I,  488. 
2)  Vergl.  Zebrzydowskis  Briefe  an  Lismanino  vom  2.  März: 
und  6.  August  1551  Nr.  592  u.  675  bei  WislockL 


SSO  Theodor  Wottchke. 

Königs  im  Juli  1553  und  eine  schwere  Erkrankung 
Lismaninos  zwangen  die  religiösen  Besprechungen  für 
einige  Monate  auszusetzen;  als  sie  auf  Wunsch  des 
Königs  wieder  anhoben,  griff  Sigismund  August  einen 
von  Lismanino  gelegentlich  hingeworfenen  Gedanken  auf. 
Er  beschloss  eine  grössere  Bibliothek  einzurichten  und 
<lie  Bücher  durch  Lismanino  im  Auslande  kaufen  zu  lassen. 
Die  Gelehrten  in  Italien,  der  Schweiz,  Frankreich  und 
Deutschland  sollte  er  aufsuchen,  über  die  religiösen 
Fragen  und  kirchlichen  Verhältnisse  in  den  einzelnen 
Ländern  sich  genau  unterrichten,  ihre  Einrichtungen 
studieren  und  dem  Könige  über  alles  eingehenden  Bericht 
erstatten.  Lismanino  lenkte  seine  Schritte  zuerst  nach  Prerau 
in  Mahren,  das  nach  den  Verfolgungen  des  Jahres  1548 
der  Sitz  des  Brüderseniors  geworden  war,  um  jene  Märtyrer- 
kirche kennen  zu  lernen,  die  in  den  letzten  Jahren  auf 
den  grosspolnischen  Adel  solche  Anziehungskraft  ausgeübt 
hatte.  Mehrere  Wochen  weilte  er  inmitten  der  Brüder 
und  schloss  sich  einigen  von  ihnen  wie  dem  Matthias 
Braunski  und  dem  alten  Bruder  Daniel  naher  an.  Ihre 
kirchlichen  Einrichtungen,  ihre  strenge  Zucht,  ihre  Pflege 
<Ies  praktischen  Christentums  nötigten  ihm  solche  An- 
erkennung ab,  dass,  wie  er  spater  äusserte,  nur  die  Un- 
kenntnis der  böhmischen  Sprache  ihn  abgehalten  habe, 
in  Mahren  sich  dauernd  niederzulassen1).  Von  Prerau 
ging  er  nach  Venedig  und  nach  einem  halbjahrigen  Aufent- 
halte nach  Padua  und  Mailand.  Hier  brachten  ihn 
einige  reformationsfreundliche  Äusserungen  in  Verdacht, 
Mönche  zeigten  ihn  beim  Stadtprafekten  an,  er  wurde 
verhaftet,  sein  Gepäck  durchsucht,  und  nur  die  Geleit- 
briefe des  polnischen  Königs  retteten  ihn  vor  Inquisition 
und  Kerkerstrafe.  Von  Italiens  gefahrlichem  Boden 
wandte  er  ach  nach  der  Schweiz;  Zürich,  Bern,  Basel 
und  andere  Städte  suchte  er  auf  und  ging  dann  für 
einige  Wochen  nach  Paris  und  Lyon.  Nach  seiner 
Rückkehr   nahm    er    seinen   Wohnsitz    in   Zürich,    wo 


l)  Vergi  im  Archiv  *u  Herrenhut  Folianf  X  BL  24. 


Francesco  Lismanino.  221 

er  den  Geistlichen  der  Stadt  und  Professoren  der  Universität 
näher  trat,  mit  Rudolf  Gualter  (Walter),  Theodor  Bibliander, 
Konrad  Pellikan,  besonders  aber  mit  Bullinger  und  Johann 
Wolph  ein  herzliches  Freundschaftsbündnis  schloss.  Die 
Beobachtung,  dass  er  in  Ausführung  des  Königlichen  Auf- 
trages sich  säumig  zeigte,  bestimmte  diese  beiden  letzten, 
ihn  nachdrücklich  an  seine  Pflicht  zu  erinnern.  Da  von 
den  Schweizer  Theologen  vor  allen  Calvin  beim  polnischen 
Könige  in  Gunst  stand,  auch  persönlicheBeziehungen  zu  ihm 
hatte  —  1549  hatte  er  ihm  seine  Erklärung  des  Hebräer- 
briefes gewidmet  —  drangen  sie  in  Lismanino,  nach  Genf  zu 
reisen  und  den  grossen  Theologen  um  einen  Brief  an 
Sigismund  August  zu  bitten.  Mit  Empfehlungen1)  an 
Calvin  entliessen  sie  ihn  November  1554-  Gern  kam  der 
Reformator  der  Aufforderung  Lismaninos  nach,  am  5.  De- 
zember schrieb  er  dem  Könige  jenen  Brief2),  in  dem  er 
ihm  ans  Herz  legt,  der  erkannten  Wahrheit  zu  folgen  und 
das  Werk  der  Reformation  in  seinen  Landen  zu  fördern. 
Im  persönlichen  Verkehre  zeigte  er  grosses  Interesse  für 
Lismanino,  den  er  als  ein  Werkzeug  Gottes  zur  Aus- 
breitung des  Evangeliums  in  Polen  ansah,  auf  seine  An- 
regung ward  er  von  der  Universität  zum  Doktor  der 
Theologie  promoviert,  auch  bestimmte  er  ihn,  durch  eine 
Heirat  seine  Trennimg  von  Rom  öffentlich  zu  besiegeln. 
Vergebens  ward  Lismanino  von  seinem  Amanuensis  Stanis- 
laus  Budzinski,  der  die  Ungnade  des  Königs  fürchtete,  ge- 
warnt, gegen  Weihnachten  schloss  er  mit  Claudia,  der 
Tochter  einer  vornehmen  französischen  Familie,  den  Ehe- 
bund. Seinen  anfänglichen  Plan,  längere  Zeit  in  Genf 
zu  bleiben,  gab  er  angeblich  aus  Gesundheitsrücksichten  auf. 
Wahrscheinlich  aber  fühlte  er  wie  die  meisten  Italiener 
von  Calvins  strengem  Geiste  sich  mehr  zurückgestossen,  als 
angezogen.  Die  Bücher,  die  er  für  die  königliche  Biblio- 
thek angekauft  hatte,  sandte  er  mit  seinem  Sekretär 
nach   Polen,   zugleich    übergab    er    ihm    ein    Schreiben 


*)  Vergl.  Calvins  Antwort  vom  26.  Dezember.    Opera  CalvinL 
XV,  N.  2069  und  2070. 

2)  Opera  Calvini  XV,  N.  2057. 


-2212  Theodor  Wotschke. 

an  den  Superintendenten  der  kleinpolnischen  Kirche 
Felix  Cruciger,  in  dem  er  seinen  Uebertritt  zur  Reformation 
anzeigte,  ferner  Briefe  verschiedener  Theologen  für  den 
König  Sigismund  August,  darunter  einen  aus  der  Feder  Cal- 
vins vom  9.  Februar  1555  *).  Unter  demselben  Tage  empfahl 
<der  Reformator  Lismanino  an  Bullinger8)  und  überreichte 
ihm  eine  Abschrift  seines  letzten  Briefes  an  den  polnischen 
König  für  die  Züricher  zur  Kenntnisnahme.  Am  13.  Fe- 
bruar konnte  er  ihm  noch  einige  Schreiben  an  Nikolaus 
Radziwill8),  den  Palatin  von  Sendomir  Nikolaus  Jordan 
Spytko  und  andere  polnische  Magnaten  zur  Beförderung 
-einhändigen,  dann  muss  Lismanino  mit  seiner  Gattin  Genf 
verlassen  haben.  Am  24.  Februar  fügt  Calvin  seinem 
Briefe  an  Bullinger  in  einer  Nachschrift  einen  kurzen 
Gruss  an  den  Freund  aus  Polen  bei,  und  am  3.  März 
konnte  dieser  dessen  Ankunft  in  Zürich  nach  Genf  melden; 
das  ihm  eingehändigte  Schreiben  habe  er  von  ihm  er- 
halten4). 

Die  schönsten  Monate  seines  Lebens  hoben  jetzt  für 
Lismanino  an,  im  fleissigen  Studium  an  der  Universität 
und  im  freundschaftlichen  Verkehr  mit  Professoren  und 
Pastoren,  auch  mit  Lelio  Sozini6),  der  seit  1554  in  Zürich 
weilte,  erwuchs  ihm  Tag  für  Tag  neue  Anregung  und 
neuer  Gewinn.  Noch  sollte  derselbe  sich  steigern,  als  am 
12.  Mai  die  armen  italienischen  Flüchtlinge  aus  Locarno 
in  Zürich  eintrafen,  um  hier  in  der  evangelischen  Stadt 
eine  Zufluchtsstätte  zu  suchen,  und  als  der  Rat  zum  Prediger 
der   italienischen    Fremdengemeinde   Bernardino   Ochino 


*)  Lubicniecius  S.  47  „Litteras  ad  regem  Calvinus  V.  idus 
Februarii  1555  dedit,  quas  iam  dudum  editas  omittimus."  Ich  habe 
-den  Brief  nirgends  gefunden,  auch  die  Herausgeber  der  Werke 
Calvins  konnten  ihn  nicht  ermitteln. 

*)  O.  C.  XV,  N.  21 10. 

8)  O.  C.  XV,  N.  2113. 

*)  O.  C.  XV,  N.  2132. 

6)  Bereits  im  Jahre  155t  auf  einer  Reise  von  Wittenberg  nach 
Polen  hatte  Sozini  in  Krakau  Lismanino  kennen  gelernt,  nach  Lubie- 
niecki  S.  40  wäre  er  auch  damals  schon  ihm  freundschaftlich  nahe 
getreten. 


Francesco  Lismanino.  223 

aus  Basel  berief,  und  derselbe  am  23.  Juni  sein  Amt  über- 
nahm. Schon  lange  hatte  Lismanino  gewünscht,  den  ehe- 
maligen Generalvikar  der  Kapuziner  persönlich  kennen  zu 
lernen,  dessen  hinreissende  Beredsamkeit  einst  ganz  Italien 
bewundert,  und  dessen  „Predige*  auf  ihn  einen  tiefen  Ein- 
druck gemacht  hatten,  nun  konnte  er  täglich  mit  dem 
geistesmächtigen  Manne,  der  gleich  ihm  Würden  und 
Ehren  um  des  Glaubens  willen  geopfert  hatte,  verkehren. 
Durch  ihn  trat  er  auch  in  Verbindung  mit  den  Häuptern 
der  aus  Locarno  flüchtigen  Evangelischen,  mit  dem  Arzte 
Taddeo  Duno,  dem  Uebersetzer  vieler  Schriften  Ochinos 
ins  Lateinische,  und  dem  Kaufmann  und  Presbyter 
Guarnerio  Castiglione.  Doch  nicht  nur  seiner  eigenen 
Weiterbildimg  lebte  er,  auch  als  Lehrer  war  er  tätig,  indem 
er  die  Studien  junger  Polen,  die  in  seinem  Hause  wohnten, 
—  von  ihnen  sind  uns  die  Brüder  Nikolaus  und  Albert 
Dluski,  Neffen  des  Meseritzer  Starosten  Nikolaus  Mysz- 
kowski,  mit  Namen  bekannt,  —  leitete  und  förderte. 

Unterdessen  hatte  in  der  Heimat  nach  der  einleitenden 
Besprechung  zu  Chrencice  im  Hause  Philipowskis  zwischen 
Cruciger  und  Israel  am  18.  März  und  nach  dem  Kolloquium 
zu  Goluchow  bei  Pleschen  am  25. — 27.  März  die  Synode 
der  Kleinpolen  und  böhmischen  Brüder  zu  Koschminek 
vom  24.  August  und  den  folgenden  Tagen  eine  Union 
beider  reformatorischer  Richtungen  beschlossen,  indem  die 
Kleinpolen  das  Bekenntnis  der  böhmischen  Brüder  an- 
nahmen sowie  zur  Einführung  ihrer  Liturgie  sich  verstanden. 
Auf  der  Septembersynode  zu  Pinczow,  welche  sich  mit 
verschiedenen  dogmatischen  Lehrstreitigkeiten  befasste, 
ward  der  Brief  Lismaninos  an  Cruciger  verlesen  und,  obwohl 
der  ehrgeizige  Stanislaus  Sarnicki  es  zu  hindern  suchte, 
der  Beschluss  gefasst,  den  ehemaligen  Minoritenprovinzial 
nach  Polen  zurückzurufen  und  ihn  für  die  neben  Crucigers 
erster  Superintendentur  neuzuschaffende  zweite  Super- 
intendentur  in  Aussicht  zu  nehmen.  Im  Auftrage  der 
versammelten  Geistlichen  und  Edelleute  schrieb  Cruciger 
an  ihn:  „Dem  würdigen  Vater,  durch  Glauben  und  Wandel 
trefflichen   Francesco  Lismanino,   der   heiligen  Theologie 


224  Theodor  Wotschke. 

Doktor,  unserm  in  Christo  geliebten  Bruder  Gnade  und 
Friede  durch  Christum  Jesum.  Da  wir  deine  hervorragende 
Tüchtigkeit  und  genaue  Kenntnis  jedes  Faches  der  Künste 
und  Wissenschaften  von  vielen  Seiten  preisen  hörten  und 
dich  als  einen  sehr  einflussreichen  und  hochangesehenen 
Mann  kannten,  hat  es  uns  ausserordentlich  gefreut,  als 
wir  aus  deinem  Briefe  ersahen,  dass  du  das  Reich  des 
Antichristen  samt  den  hohen  Ehren,  die  du  in  ihm 
genössest,  verlassen  und  dem  armen  verachteten  Jesus 
Christus  und  seiner  fast  auf  dem  ganzen  Erdkreise  ge- 
schmähten Kirche  zu  folgen  vorgezogen  hast  Durch  diesen 
frommen  und  heiligen  Entschluss  hast  du  dir  die  höchste 
Achtimg  erworben.  Was  könnte  uns  und  der  ganzen 
Kirche  Christi  erwünschter,  in  einem  solchen  Wirrsal  aller 
Verhältnisse  segensreicher  sein,  als  dass  solche  Männer 
sich  lossagen  von  den  Geschworenen  des  römischen 
Pontifex,  jenes  Antichristen,  welche  sie  als  Führer  und 
Vorkämpfer  haben  möchten,  um  den  Wiederaufbau  des 
heiligen  Tempels  und  der  verwüsteten  Stadt  Jerusalem  zu 
hindern.  Was  mögen  jenen  jetzt  für  Gedanken  kommen, 
wo  sie  wider  alle  Erwartung  und  Vermutung  diese  auf 
unserer  Seite  sehen  und  durch  feierliches  Bekenntnis  uns 
so  verbunden,  dass  sie  hinfort  die  Waffen  ergreifen  und 
wider  sie  kämpfen  möchten.  Mag  der  Satan  knirschen, 
mögen  alle  seine  betörten  Helfershelfer  in  Zorn  und  Un- 
willen sich  ergehen,  glücklich  vorwärts  schreiten  wird  des 
Tempels  und  der  Stadt  Erbauung,  Jesus  Christus  wird 
seine  nach  dem  Bilde  der  ersten  apostolischen  Gemeinde 
erneuerte  Kirche  über  den  ganzen  Erdkreis  ausbreiten 
und  erleuchten.  Nicht  werden  ihr  auch  fehlen  Männer 
wie  einst  Cyrus  und  Darius,  die  mit  ihrer  Gnade  und 
Unterstützung  auch  in  dieser  letzten  Zeit  dieses  heilige 
Werk  fördern  nach  des  Jesaja  Wort:  „Könige  sollen  deine 
Pfleger  und  Fürstinnen  deine  Säugammen  sein"1).  Wie 
wir  diese  Gnade  des  gütigen  Gottes  dankbar  preisen,, 
und  uns  ihrer  freuen,  so  wünschen  wir  dir  Glück,   dass 


*)  Jcs.  49,  23. 


Francesco  Lismanino.  225 

du  von  jener  Gemeinschaft  verlorener  Menschen  dich 
befreit  und  ganz  Christo  Jesu  und  dem  Dienste  seiner 
Kirche  geweiht  hast,  lieber  im  Hause  Gottes  arm  als  in 
den  Palästen  der  Gottlosen  an  Macht  und  Schätzen 
reich  sein  willst  Zugleich  mahnen  und  bitten  wir  dich, 
da  du  dich  unserem  Vaterlande,  in  dem  du  aufgewachsen 
und  erzogen  bist,  in  dem  du  durch  die  Gunst  aller  die 
höchste  Auszeichnung  gefunden  hast,  aufs  höchste  für  ver- 
pflichtet hältst,  mit  deinen  hohen  Gaben  und  deiner  tiefen 
Kenntnis  der  himmlischen  Lehre  nicht  Fremde,  sondern  uns, 
deine  Landsgenossen  und  Freunde,  zu  lehren  und  zu 
unterstützen  in  unserem  christlichen  Kampfe.  Wimderbar 
ist,  wie  du  nach  deiner  Rückkehr  erkennen  wirst,  jene  Liebe 
und  Verehrung,  welche  alle  Frommen  immer  für  dich 
gehabt  haben,  jetzt  nach  deiner  Lossage  vom  Papsttume 
noch  gestiegen,  dass  du  nichts  missen  wirst.  Als  unseren 
lieben  Vater  und  Lehrer  wollen  wir  dich  schätzen  und 
verehren,  ja  damit  du  unsere  Zuneigung  deutlicher  erkennst, 
haben  wir  einen  der  Geistlichen  unserer  Kirche  an  dich 
abzuordnen  beschlossen,  damit  er  dich  in  feierlicher  Ein- 
adung  zu  uns  zurückrufe  und  dein  Führer  sei  auf  der 
weiten  Reise.  Inzwischen  lass  uns  und  unsere  Kirchen 
dir  empfohlen  sein,  die  gelehrten  und  frommen  Männer, 
mit  denen  du  jetzt  verkehrst,  rege  an,  dass  sie  bei 
gegebener  Gelegenheit  uns  mit  Rat  und  Tat  unterstützen 
und  Gott,  unseren  Vater  durch  Jesum  Christum,  bitten,  das 
Werk,  das  er  bei  uns  angefangen,  nach  seiner  wunder- 
baren Gnade  und  Barmherzigkeit  durch  seinen  heiligen 
Geist  zu  kräftigen  und  zu  fördern  zum  Preise  seines 
Namens  und  zum  gemeinen  Segen  der  Kirche.  Lebe 
wohl.  Vom  Pinczower  Convent  im  Jahre  des  Heils  1555. 
Felix  Cruciger  aus  Szczebrzeszin,  Superintendent  der  in 
Polen  wiedergeborenen  Kirche  Gottes  im  Namen  aller 
Geistlichen  und  der  gläubigen  Herren." 

Ausser  Cruciger  sandten  noch  der  Graf  Johann  von 
Tarnow,  Jordan  Spytkow,  Iwan  Karminski,  die  verwitwete 
Edelfrau  Agnes  Dluski  Briefe  an  Lismanino  und  Calvin, 
und    unter    dem    15.  September   der   Pinczower    Pastor 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XVIII.  15 


226  Theodor  Wotschke. 

Alexander  Vitrellinus1).  Dieser  erstattete  über  die  kirch- 
liche Lage  Bericht  und  gedachte  der  dogmatischen  Kämpfe, 
die  wie  der  Osiandrische  Streit  von  Deutschland  bis  nach 
Polen  ihre  Wellen  schlugen  oder  wie  die  antitrinitarischen 
Bestrebungen  hier  primär  entstanden  waren.  Lismaninos 
Amanuensis  Stanislaus  Budzinski,  welcher  des  Königs 
Antwort  den  Schweizer  Theologen  überbringen  sollte  und 
wahrscheinlich  an  der  Pinczower  Synode  teilgenommen 
hatte,  empfing  die  zahlreichen  Briefe,  dazu  in  Krakau  noch 
ein  Schreiben  des  Universitätsprofessors  Hieronymus 
Mazza,  eines  Italieners,  des  Franziskanermönches  Johann 
Szoldra  und  des  neuen  Minoritenprovinzials  Stanislaus 
Petrejus  an  Lismanino.  Unmittelbar  vor  dem  2.  November 
muss  der  Bote  in  Zürich  eingetroffen  sein,  denn  in  einer  Nach- 
schrift seines  Briefes  von  diesem  Tage  an  Calvin8)  setzt 
Bullinger  diesen  von  den  angekommenen  polnischen 
Schreiben,  über  die  er  aber  noch  nichts  Näheres  mitteilen 
könne,  in  Kenntnis.  Lismanino  war  hoch  erfreut  über  die 
Nachrichten,  die  ungnädige  Antwort  des  Königs  liess  er 
sich  wenig  anfechten,  da  sie,  wie  er  meinte,  der  wahren 
Gesinnung  des  Königs  nicht  entspräche  und  nur  mit 
Rücksicht  auf  die  Bischöfe  so  abweisend  ausgefallen  sei. 
Dem  Rufe  der  kleinpolnischen  Kirche  beschloss  er,  wenn 
auch  mit  schwerem  Herzen,  da  'seine  Frau  Claudia  ihrer 
ersten  Niederkunft  entgegen  sah,  sofort  zu  folgen  und 
berichtete  hierüber  am  11.  November  der  Pinczower 
Synode.  „Ich  habe  euren  Brief,  geliebte  Brüder  in  Christo, 
als  Zeichen  eurer  Liebe  zu  mir  und  eurer  Freude  über 
meine  Bekehrung  empfangen.  Ich  freue  mich,  solche 
Freunde  in  Christo  gefunden  zu  haben,  noch  mehr  aber, 
dass,  was  ich  für  Polen  mit  allem  Flehen  erbeten  habe, 
jetzt  eingetreten  ist,  dass  der  reinen  Lehre  und  heiligen 
Kirche  feste  Fundamente  jetzt  gelegt  werden,  auf  denen 
hoffentlich  binnen  kurzem  der  prächtigste  Bau  zu  errichten 
ist     Dass   ihr  mich  gleichsam  als  Meister  diesem  hohen 

*)  O.  C.  XV,  N.  2350.     Die  Herausgeber  der  Briefe  Calvins 
lesen  fälschlich  Vitzellinus. 
2)  O.  C.  XV,  N.  2340. 


Francesco  Lismanino.  227 

Werke  vorstellen  wollt  und  mich,  euer  Vater  und  Lehrer 
zu  sein,  für  würdig  erachtet,  darin  gewährt  ihr  mir  mehr, 
als  ich  beanspruchen  kann,  und  legt  mir  eine  Last  auf, 
der  ich,  wie  ich  fürchte,  nicht  gewachsen  bin.  Sehe  ich 
doch,  welche  Anstrengungen,  welche  Bemühungen  die 
Papisten  machen,  um  euer  frommes  Vorhaben  zu  hindern. 
Sie  werden  mit  offener  Gewalttat  das  Haus  Gottes  zu 
erschüttern  und  mit  verdeckten  Minen  die  Mauern  seiner 
heiligen  Stadt  zu  unterwühlen  suchen.  Sie  werden  wider 
euch  die  Fürsten  aufregen,  das  Volk  aufhetzen,  Aufstände 
und  Kriege  hervorrufen.  Wollen  sie  nicht  alles  lieber  als 
eine  Abstellung  der  Irrlehren  und  Missbräuche?  Sie 
werden  die  Schar  der  Sophisten  zusammenrufen,  welche 
dem  Balaam  gleich  um  Goldes  willen  dem  Volke  Gottes 
fluchen.  Einige  werden  missdeutete  Stellen  der  heiligen 
Schrift  wider  euch  vorbringen,  andere  mit  Zeugnissen  der 
Väter  kämpfen,  die  dritten  mit  jener  sophistischen  und 
scholastischen  Theologie  die  Wahrheit  zu  verdunkeln 
suchen.  Ich  weise  den  Kampf  wider  sie  nicht  zurück, 
aber  halte  mich  nicht  für  stark  genug,  in  der  ersten 
Schlachtreihe  zu  kämpfen  und  ihre  Pfeile  zurückzuweisen. 
Darum  mahne  ich  euch,  Umschau  zu  halten  und  nicht 
einen,  sondern  mehrere  in  der  heiligen  Schrift  bewanderte, 
fromme,  erfahrene,  theologisch  gebildete  Männer  als 
Führer  zu  erwählen,  welche  an  der  Spitze  der  Kirchen 
stehen  und  den  Angriff  der  Papisten  tatkräftig  zurück- 
weisen können;  mir  ist  es  genug,  ein  einfacher  Kämpfer 
im  Heere  Christi  zu  sein.  Damit  es  jedoch  nicht  scheine, 
als  ob  ich  die  Mühe  für  euch  fliehe,  habe  ich  beschlossen, 
die  von  mir  bereits  aufgesuchten  Kirchen  zu  Bern,  Lausanne 
und  Genf  wieder  anzugehen,  über  die  Form  der  Lehre 
der  Verfassung  und  Zeremonien  sowie  über  die  Verwaltung 
der  Sakramente  im  einzelnen  mich  zu  unterrichten.  Mit 
den  Dienern  Christi  in  jenen  Kirchen  will  ich  mich  be- 
sprechen, mich  von  ihnen  beraten  lassen,  um  so  kenntnis- 
reicher zu  euch  zu  kommen.  Mein  ganzes  ferneres  Leben 
bin  ich  bereit  der  Kirche  Christi  bei  euch  zu  weihen,  und 
ihr   sollt   in  mir  nicht  Glaubensfestigkeit,  noch  Eifer  für 

15 # 


228  Theodor  Wotschke. 

eure  Kirche,  noch  Liebe  zu  euch  allen  vermissen.  Das 
Amt,  das  ihr  mir  anbietet,  weise  ich  zurück  nicht  meinet- 
sondern  euretwegen,  damit  ihr  durch  eine  geeignetere 
Besetzung  dieses  Amtes  euer  und  der  Kirche  Interesse 
besser  wahrnehmt  Gott  der  Vater  unseres  Herrn  Jesu 
Christi  möge  die  Gaben  seines  Geistes  unter  euch  mehrea 
und  das  heilige  Werk  zum  Preise  seines  Namens  bei  euch 
vollenden.  Amen.  Zürich,  den  n.  November  1555.  Francesco 
Lismanino,  der  wiedergeborenen  Kirche  Gottes  in  Polen. 
Diener  mit  eigener  Hand*. 

Da  Stanislaus  Budzinski,  um  den  Brief1)  König  Sigis- 
mund  Augusts  Calvin  zu  überreichen,  nach  Genf  geeilt  war, 
erhielt  ein  anderer  Bote  dies  Schreiben  zur  Beförderung- 
nach  Polen,  und  Bullinger  sowie  der  Arzt  Konrad  Gessner, 
der  dem  Könige  seine  Dienste  für  den  Ankauf  von  Büchern, 
anbot,  übergaben  ihm  ihre  vom  12.  November  datierten 
Briefe  an  Sigismund  August2).  Auch  sonst  mag  der  Bote 
noch  verschiedene  Schreiben  nach  Polen  mitgenommen, 
haben ;  von  einem  Briefe  Lismaninos  an  den  ref ormations- 
freundlichen  Chelmer  Bischof  und  den  Provinzial  Stanislaus 
Petrejusin  Krakau  hören  wir  gelegentlich  in  diesen  Tagen8). 

Vier  Wochen  mussten  genügen,  die  Fäden  zu  lösen, 
die  Lismanino  an  Zürich  banden,  und  die  Vorkehrungen, 
zur  weiten  Reise  zu  treffen.  Seine  Frau  stellte  er  unter 
den  Schutz  seiner  Freunde,  für  ihren  Unterhalt  hinterlegte 
er  500  Goldgulden  bei  dem  Wechsler  Pellizarius,  einem 
Italiener.  Die  Studenten  Dluski  empfahl  er  seinen  Be- 
kannten, sonderlich  Bullinger  und  Wolph4).  Schwer  wurde 
ihm  der  Abschied  von  Ochino,  auch  dieser  sah  weh- 
mütig seinen  Freund  scheiden.  Ihm  zur  Ehre  wich  er  von 
seiner  Gewohnheit,  seine  Schriften  ohne  Widmung  aus- 
gehen zu  lassen,  ab  und  eignete  ihm  unter  dem  28.  No- 


x)  Der  Brief  ist  verloren  gegangen,  von  ihm  spricht  Utcnhowcn 
in  seinem  Schreiben  an  Bullinger  vom  9.  März  1556.  O.  C  XVI 
N.  azo?. 

/  2)  Lubieniecius  S.  47  und  Wengierski  S.  127. 


s)  O.  C.  XVI,  N.  2350. 
*)  O.  C.  XVI,  N.  2731. 


/ 


Francesco  Lismanino.  229 

vember  sein  Gespräch  vom  Fegefeuer1)  zu.  Sie  beide 
hätten  in  einem  römischen  Mönchsorden  fast  dieselbe 
hohe  Stellung  eingenommen,  hätten  sie  aufgegeben,  um 
Christi  Jünger  zu  werden,  nun  möge  er  hinziehen  und  in 
<iem  neuen  Wirkungskreise  die  Kirche  des  Herrn  bauen. 
Die  gewünschten  Gutachten  über  das  Bekenntnis  der 
höhmischen  Brüder  und  über  die  mit  ihnen  eingegangene 
Union  und  die  erbetene  Auskunft  über  einzelne  dogma- 
tische Fragen  holte  Lismanino,  wie  er  Cruciger  geschrieben 
hatte,  persönlich  ein.  Am  3.  Dezember  schrieb  ihm  Wolph, 
am  4.  Bullinger  und  Ochino  einen  warmen  Empfehlungs- 
brief an  den  Genfer  Theologen.  Über  Milden,  wo  er  bei 
Franziskus  Pontanus2)  vorsprach,  Bern,  wo  er  Joh  Haller 
und  Wolf  gang  Muskulus8)  besuchte,  ihnen  von  Polen  und 
seinen  Hoffnungen  erzählte  und  bezüglich  des  Bekennt- 
nisses der  böhmischen  Brüder  um  ihr  Urteil  bat,  und  über 
Biel,  wo  wir  ihn  bei  Ambrosius  Blarer4)  sehen,  erfolgte 
seine  Reise.  Am  24.  Dezember  schrieb  Calvin  in  Be- 
antwortung des  ihm  schon  von  Budzinski  überreichten 
königlichen  Schreibens  an  Sigismund  August;  über  Lis- 
manino sagt  er  zum  Schluss  seines  Briefes:  „Da  der  treff- 
liche Mann  und  treue  Diener  Christi  mich  um  Rat  bat, 
mahnte  ich  ihn  unbedenklich,  sich  sofort  nach  Polen  zu 
begeben,  falls  seine  Tätigkeit  dort  nötig  wäre,  wenigstens 
stimmte  ich  seinem  frommen  Vorsatze  gern  zu.  Ich  fürchte 
nicht,  dass  Euer  Majestät  als  unzeitig  die  Rückkehr  des 
missfallen  könnte,  dessen  Gegenwart  irf  vielen  Beziehungen 
Segen  bringen  wird.  Falls  es  nicht  rätlich  erscheinen 
sollte,  für  ihn  sofort  nach  seiner  Ankunft  öffentlich  einzu- 
treten, so  muss  ich  doch  um  des  heiligen  Namens  Christi 
willen  Euer  Majestät  bitten  und  beschwören,  ihm,  .der  den 
rechten  Weg  geht,   wenigstens    auf  andere  Weise  freie 

*)  Ich  kenne  nur  die  von  Taddeo  Duno  aus  dem  Italienischen 
ins  Lateinische  besorgte  Übersetzung:  Bernardini  Ochini  Senensis 
viri  doctissfani  de  Purgatorio  dialogus.    Tiguri  apud  Gesneros. 

2)  Sein  Gutachten  vom  13.  Dezember  im  Herrenhuter  Archiv. 

*)  Ihre  Briefe  vom  14.  und  15.  Dezember  O.  C.  XV,  N.  3358 
und  2359. 

*)  Sein  Brief  vom  24.  Dezember  an  Gualter  O.  C.  XV,  N.  1361. 


230  Theodor  Wotschke. 

Bahn  zu  schaffen/  In  einer  Zuschrift  an  den  Genfer 
Reformator  hatte  Lismanino  gebeten,  ausser  an  den  König 
noch  an  den  Fürsten  Nikolaus  Radziwill,  an  den  Palatin 
von  Sendomir  Jordan  Spytko,  an  den  Krakauer  Kastellan 
Grafen  Johann  von  Tarnow,  an  den  Krakauer  Palatin 
Grafen  Stanislaus  von  Tenczin,  an  die  Edelfrau  Agnes 
Dluska  und  ihren  Bruder  den  Meseritzer  Starosten  und 
Kastellan  von  Woinicz  Nikolaus  Myszkowski,  an  den 
Kastellan  von  Biecz  Johann  Bonar  und  Iwan  Karminski  zu 
schreiben,  ferner  auch  an  den  Superintendenten  Felix  Cru- 
ciger,  den  Pinczower  Pfarrer  Alexander  Vitrellinus,  den 
Bischof  Jakob  Uchanski,  den  Gelehrten  Andreas  Trzy- 
cieski  und  an  die  Edelleute  Stanislaus  Lasocki,  Hiero- 
nymus  Philipowski,  Hieronymus  Ossolinski  und  an  Martin 
Zborowski,  den  Palatin  von  Kaiisch  und  Starosten  von 
Adelnau1).  Ob  Calvin  in  allem  dem  Wunsche  Lismaninos 
entsprochen  haben  mag,  ist  zweifelhaft;  mehr  Briefe  hat 
er  jedenfalls  am  29.  Dezember  an  die  Häupter  der  Re- 
formation in  Polen  geschrieben,  als  wir  in  seinen  Werken 
verzeichnet  finden2),  da  einige,  deren  Namen  uns  unter 
den  Adressaten  nicht  begegnen,  im  folgenden  Jahre  Antwort- 
schreibennach Genf  sandten.  Für  diepolnischeKircheempfing 
Lismanino  ein  leider  verloren  gegangenes  Gutachten  über 
die  Union  mit  den  böhmischen  Brüdern  und  am  Tage 
seiner  Abreise  noch  folgendes  kurzes  Billet  zugeschickt:8) 
„Was  ich  neulich  mit  dir  besprach,  hielt  ich  für  gut,  in 
diesem  Schreiben  kurz  zusammenzufassen.  Solltest  du 
auf  deiner  Reise  Pietro  Martire  Vermigli  und  Johann  Laski 
besuchen,  so  grüsse  sie  in  meinem  Namen.  In  ihrer  freund- 
lichen Weise  werden  sie  dich  aufnehmen,  als  wenn  du 
Briefe  von  mir  brächtest  Einer  besonderen  Empfehlung 
bedarf  es  nicht.  Hätte  ich  hoffen  dürfen,  du  würdest  deine 
Schritte  nach  Wittenberg  lenken,  so  hätte  ich  an  Philipp 
Melanchthon  geschrieben.  Da  bei  der  ungünstigen  Jahres- 
zeit dir  der  Umweg  beschwerlich   sein  würde,   will  ich 

i)  O.  C.  XV,  N.  2350. 

8)  O.  C.  XV,  N.  2365-2373. 

«)  O.  C.  XV,  N.  2373b. 


Francesco  Lismanino.  231 

dich  nicht  unnötig  mit  Briefen  belästigen.  Sollte  wider 
Erwarten  eine  günstige  Gelegenheit,  ihn  zu  besuchen, 
sich  dir  bieten,  so  wird  er  den  Stand  unserer  Verhältnisse 
und  den  Zweck  deiner  Reise  aus  deiner  Erzählung  am 
besten  erfahren.  Sobald  du  Polen,  wohin  dich  der  Herr 
bald  unversehrt  führen  möge,  betreten  hast,  entbiete  allen, 
welche  dem  reinen  Gottesdienst  sich  zuneigen,  meine 
herzlichen  Wünsche  für  ihr  Glück  und  Wohlergehen,  in 
erster  Linie  aber  jenen  Edelleuten,  von  deren  tugend- 
haftem Wandel  und  heiligen  Bestrebungen  du  besonders 
zu  mir  gesprochen  hast  Bezüglich  des  Sendschreibens 
liess  mich  nicht  nur  der  Zeitmangel,  sondern  auch  der 
Umstand,  dass  ich  in  der  Wahl  des  Stoffes  haften  blieb,  nach 
deinem  Weggange  meine  Absicht  hinausschieben,  bis  ich 
besser  über  den  Stand  der  Kirche  unterrichtet  sein  werde, 
was  durch  dich  leicht  geschehen  kann,  sobald  du  nach 
Polen  gekommen  bist  Unsere  Brüder,  welche  das  Evan- 
gelium predigen,  gehen  gewiss  den  anderen  mit  gebüh- 
rendem Eifer  voran;  ich  unterlasse  es  deshalb,  jetzt  ein 
Mahnwort  an  sie  zu  richten.  Meinen  sie  meiner  Arbeit 
zu  bedürfen,  so  setze  sie  von  meiner  Bereitwilligkeit  in 
Kenntnis;  meiner  Schwachheit  eingedenk,  wage  ich  nicht, 
meinen  Rat  frei  heraus  anzubieten11. 

Am  letzten  Dezember  war  Lismanino  bereits  in 
Lausanne,  wo  er  das  Gutachten  der  dortigen  Geistlichen, 
des  Peter  Viret,  Johann  Ribittus,  Theodor  Beza,  Eustachius 
Quercetanus,  Maturinus  Corderius  u.  s.  w.  empfing1),  am 
1.  Januar  sandte  ihm  Beza,  von  dem  er  sich  nicht  hatte 
personlich  verabschieden  können,  schriftlich  die  herzlichsten 
Glückwünsche  nach,  von  demselben  Tage  ist  das  Gut- 
achten Wilhelm  Farels  in  Neuenburg  datiert.  Nach 
Zürich  zurückgekehrt,  scheint  Lismanino  noch  14  Tage 
bei  seiner  Frau  geweilt  zu  haben,  dann  brach  er  mit  dem 
Gutachten  der  Züricher  und  einem  besonderen  Schreiben 


*)  Die  folgenden  Gutachten  and  Briefe  sind  z.  T.  noch  an 
gedruckt,  handschriftlich  finden  sie  sich  im  10.  Foliant  der  Lissaer 
Handschriften  im  Brüderarchiv  zu  Herrenhut. 


232  Theodor  Wotschke. 

Bullingers  an  Alex.  Vitrellinus  nach  Polen  auf l).  Anfang 
Februar  sehen  wir  ihn  in  Basel,  wo  er  Simon  Sulzer, 
Celio  Secundo  Curione,  den  gelehrten  Sonderling  Borr- 
haus  (Cellarius)  aufsuchte,  zufällig  auch  Pietro  Paolo 
Vergerio  traf,  dem  er  versprechen  musste,  nicht  an  Stutt- 
gart vorüberzuziehen.  Mit  einer  Empfehlung  an  Marbach 
entliess  ihn  Sulzer  am  4.  Februar2),  am  8.  traf  er  bei 
jenem  in  Strassburg  ein  8),  besuchte  nach  Calvins  Mahnung 
Pietro  Martire  Vermigli,  aber  auch  den  Rektor  der  be- 
rühmten, von  polnischen  Studenten  besonders  gern  be- 
suchten Schule,  Johann  Sturm,  und  Girolamo  Zanchi 
aus  Bergamo,  der  nach  mancherlei  Wechselfällen  seit 
zwei  Jahren  in  Strassburg  die  Professur  der  Theologie 
inne  hatte.  Nachdem  Lismanino  ihnen  die  Briefe  aus 
Polen  vorgelegt,  auch  mündlich  ausführlich  Bericht  er- 
stattet hatte,  erhielt  er  am  ^4.  von  Vermigli 4),  am  15.  von 
Sturm,  am  18.  von  Zanchi5)  ein  Schreiben  an  die  klein- 
polnischen Gemeinden,  an  diesem  letzten  Tage  auch  das 
gemeinsame    Gutachten    der    Strassburger.    Vier    Tage 


*)  Exemplum  litterarum  ecclesiae  Tigurinae  ad  ecclesias 
Poloniacas.  Apud  Danielem  Lancicium  Pinczoviac  1559  in  8.  Auch 
Fueslin:  Epistolae  reformatorum  ecclesiae  helVeticae  S.  359. 

2)  O.  C.  XVI,  N.  2384. 

8)  In  Marbachs  Tagebuch  lesen  wir  unter  dem  8.  Februar  1557 : 
„Ist  hierher  kommen  D.  Franc.  Lysmaninus  Corcyranus  profecturus 
in  Poloniam.Ä 

4)  Petri  Martyris  Florentini  Prof.  Theol.  in  Argentinensi  schola 
epistola  ad  sanctam  Dei  ecclesiam  Polonicam  1556.  Argentinae  14. 
Februarii.  Vergl.  Exemplum  litterarum  ecclesiae  Tigurinae.  Pinczoviae 
1559,  wo  der  Brief  an  fünfter  und  letzter  Stelle  steht,  ausserdem 
findet  er  sich  Martyr:  Loci  communes  S.  1109.  Vermigli  beantwortet 
die  ihm  im  Auftrage  der  Kleinpolen  von  Lismanino  vorgelegten 
Fragen,  ob  Christus  auch  nach  seiner  göttlichen  Natur  gelitten  habe, 
ob  er  Mittler  sei  nach  seiner  göttlichen  Natur  oder  nach  seiner 
menschlichen,  in  wie  fern  er  zugleich  Sohn  Gottes  und  des  Menschen 
Sohn  zu  nennen  sei,  wie  es  sich  mit  Osianders  Ansicht  von  der 
wesentlichen  Gerechtigkeit  verhalte,  und  ob  Servet  mit  Recht  hin- 
gerichtet worden  sei.  Zum  Schluss  mahnt  er  zur  schnelleren  Durch- 
führung der  Reformation. 

5)  Zanchius:  Epistolarum  libri  duo.    Hanoviae  1609  S.  19. 


Francesco  Lismanino.  233 

später1)  sehen  wir  ihn  seinem  Versprechen  gemäss  in 
Stuttgart  bei  Vergerio,  der  ihn  Brenz  zuführte  und  diesem 
ein  Exemplar  der  Brüderkonfession  überreichte2).  Der 
strenge  Schüler  Luthers  zeigte  sich  durch  ihre  Fassung 
der  Abendmahlslehre  befriedigt  und  liess  sich  gern  von 
Lismanino  über  die  kirchlichen  Verhältnisse  in  Kleinpolen 
unterrichten,  zum  Schluss  mahnte  er  ihn,  auf  Annahme 
des  lutherischen  Lehrtypus  hinzuwirken.  Am  folgenden 
Tage  sandte  er  ihm  noch  folgende  Zeilen  zu.  „Gestern 
habe  ich  gehört,  dass  du  geradenwegs  nach  Polen  gehen 
und  dort  an  der  Erneuerung  der  Kirche  arbeiten  willst 
Angenehm  wäre  es  mir  gewesen,  mit  dir  noch  ausführ- 
lich über  viele  Fragen  zu  sprechen,  aber  da  ich  heute 
abreisen  muss,  will  ich  wenigstens  diesen  Brief  als  Zeichen 
meines  Flehens  senden,  das  ich  für  die  polnische  Kirche 
zu  Gott  emporschicke.  Polen  hat  eine  treffliche  Regierung 
und  viele  andere  grosse  Gnadengaben  Gottes  aufzuweisen, 


l)  Zu  derselben  Zeit  richtete  der  päpstliche  Legat  Lipomani, 
Bischof  von  Verona,  aus  Lowicz  am  ai.  Februar  sein  bekanntes 
Schreiben  an  den  Fürsten  Nikolaus  Radziwill,  in  dem  er  dem  in 
Polen  verbreiteten  Gerüchte  Ausdruck  giebt,  Radziwill  habe  einen 
Boten  nach  Genf  und  Basel  geschickt,  um  neben  Calvin  und  Laski 
auch  Lismanino  nach  Polen  zu  rufen.  Radziwill  antwortete:  quod 
rev.  dorn,  tua  Calvinum,  Laskyum  Lismaniumque  arcessendos 
misisse  me  pro  comperto  habeat,  fallitur  quidem  in  eo,  sed  tarnen 
hoc  illi  certum  esse  volo,  sie  me  nunc  istorum  doctissimorum 
virorum  videndorum  desiderio  teneri,  ut  si  scirem  me  eos  posse  in 
mea  postulata  aliquo  modo  pertrahere,  in  eo  vel  praeeipue  non 
servitoris  tantum  mittendi  laborem  conferendum,  sed  etiam  omnes 
opes  facultatesque  meas  esse  mihi  ezpendendas  putarem.  Vergl. 
Duae  Epistolae.  Regiomonti  1556,  auch  bei  Gerdes:  Scrinium 
antiquarium  HI,  330. 

*)  Brenz  an  Vergerio:  Inspezi  confessionem  Valdensium 
praesertim  capita  de  coena  domini  et  de  caelibatu.  Optarim  quidem, 
ut  non  essent  tarn  duri  ezactores  caelibatus  semel  promissi.  Sed  in 
coena  domini  nihil  habeo,  quod  reprehendam.  Reliqua  capita  mihi 
hoc  tempore  variis  negotiis  obruto  et  ad  profectionem  accineto  non 
lieuit  percurrere.  Cum  dominus  Franciscus  ad  Poloniam  venerit  et 
ad  te  de  statu  ecclesiarum  scripserit,  licebit  de  his  rebus  copiose 
conferre.    Bene  et  feliciter  vale.    Lissaer  Handschriften  Foliant  X 

BL74- 


234  Theodor  Wotschke. 

aber  das  ist  die  grösste  Gottesgnade,  dass  in  ihm  Gottes 
Sohn  den  Thron  seines  himmlischen  Reiches  neu  auf- 
richtet Jener  Ort,  da  der  Patriarch  Jakob  eine  Leiter 
von  der  Erde  zum  Himmel  reichen  sah,  wurde  einst 
Gottes  Haus  und  eine  Pforte  des  Himmels  genannt  Auch 
Polen  kommen  diese  Namen  zu,  da  dort  Gottes  Sohn 
sein  Haus  hat,  in  dem  er  wohnt,  und  aufgetan  ist  die 
Tür,  durch  welche  man  zum  Himmel  eingehen  kann.  Zu 
sorgen  gilts,  dass  wir  diese  Gottesgnade  dankbar  an- 
erkennen und  daran  arbeiten,  dass  das  neue  Licht  nicht 
durch  die  Finsternis  falscher  Lehren  verdunkelt  wird. 
Wenn  nicht  auf  andere  Weise  so  werde  ich  doch  durch 
mein  Gebet  euch,  so  weit  ich  es  vermag,  unterstützen. 
Lebe  wohl,  würdiger  Vater."  Stuttgart,  den  23.  Februar  1556 l). 

Bei  Herzog  Christoph  von  Württemberg  erhielt  Lis- 
manino  eine  Audienz.  Mit  hohem  Interesse  nahm  der 
Fürst  den  Bericht  über  die  Fortschritte  der  Reformation 
in  Polen  entgegen,  über  die  Begeisterung  der  Edelleute 
für  sie,  über  ihr  Verlangen  nach  dem  lauteren  Wort  und 
nach  Freiheit  von  der  hierarchischen  Bevormundung.  Er 
versprach  die  evangelische  Bewegung  in  Polen  zu  fördern, 
falls  sich  ihm  eine  Gelegenheit  dazu  bieten  würde,  und  * 
entliess  Lismanino  mit  dem  Ausdruck  seines  gnädigen 
Wohlwollens2).  Ueber  acht  Tage  weilte  dieser  dann  noch 
als  Gastfreund  bei  Vergerio,  den  er  durch  seine  Berichte 
so  für  Polen  interessierte,  dass  dieser  Italiener  dort  gleich- 
falls für  die  Reformation  zu  wirken  beschloss  und  im 
folgenden  Sommer  tatsächlich  nach  Preussen  und  Lithauen 
aufbrach. 

Gern  hätte  Lismanino  Melanchthon  aufgesucht,  aber 
der  Umweg  über  Wittenberg  war  zu  weit,  die  Reise  zur 
Winterszeit  zu  beschwerlich,  dazu  erhielt  er  eine  neue 
Einladung  nach  Polen,  welche  am  24.  Januar  die  Synode 
zu  Secymin  erlassen  hatte  und  die  ihn  seine  Reise  be- 
schleunigen  Hess.    Durch   Bayern,  Böhmen,  Mähren    zog 

*)  Lissacr  Handschriften  im  Herrenhuter  Brüderarchiv 
Foliant  X  Bl.  74  b. 

2)  Fontes  rcrum  Austriacarum  2.  Abt.  XEX.    S.  221    und  334. 


Francesco  Lismanino.  235 

er  direkt  nach  Kleinpolen,  noch  in  den  letzten  Tagen  des 
März  scheint  er  die  Grenze  seines  zweiten  Vaterlandes 
überschritten  zu  haben.  Bei  der  Ungewissheit,  wie  der 
König  sich  zu  seiner  Rückkehr  stellen  würde,  wagte  er 
nicht,  tiefer  nach  Polen  hineinzuziehen  und  den  von  der 
Secyminer  Synode  ihm  zugewiesenen  Wohnsitz1)  in  Baiisch 
bei  Johann  Bonar  aufzusuchen.  Er  begab  sich  zu  seinem 
alten  Freunde  Iwan  Karminski  in  Alexandrowice,  dem  er 
den  Brief  Calvins  für  ihn  überreichte2).  Seine  alten 
Verbindungen  mit  Krakau,  das  nur  7  km  entfernt  war, 
seine  Bekanntschaft  mit  den  Franziskanermönchen  gaben 
ihm  reiche  Gelegenheit,  im  evangelischen  Sinn  auf  Alt- 
gläubige einzuwirken.  Im  besonderen  sehen  wir  ihn  be- 
müht, einige  Minoriten  der  Reformation  zuzuführen.  Am 
15.  April  schreibt  er  davon  Calvin8)  und  bittet  diesen, 
ihm  Petrus  Statorius  aus  Diedenhofen,  den  er  in  Genf 
zur  Mitarbeit  gewonnen  hatte,  zu  senden.  Auch  nach 
Zürich,  wo  seine  Frau  und  Bullinger  sehnsüchtig  auf 
Nachrichten  von  ihm  warteten,  schickte  er  Briefe.  Der 
Synode,  welche  8  Tage  später  in  Pinczow  stattfand  und  die 
Union  mit  den  böhmischen  Brüdern  weiter  führen  sollte, 
blieb  er  mit  schwerem  Herzen  fern.  So  sehr  es  ihn  hin- 
zog zu  den  Männern,  die  ihn  heimgerufen  und  für  ein  so 
ehrenvolles  Amt  gewählt  hatten,  so  gern  er  den  Brüdern 
mündlich  von  der  Anteilnahme,  den  Wünschen  und  Ge- 
beten der  Schweizer  berichtet  hätte,  er  meinte  bei  der 
Ungewissheit   über   des  Königs  Stellung  zu  seiner  Rück- 


l)  Dal  ton:  Lasciana  S.  404. 

*)  Vor  dem  5.  April  hat  er  bereits  die  von  Vergerio  für  Herzog 
Albrecht  empfangenen  Briefe  zur  Beförderung  weitergegeben.  Denn 
unter  diesem  Datum  schreibt  aus  Wola  bei  Krakau  Jost  Ludwig 
Dietz,  der  Sohn  des  bekannten  Krakauer  Ratsherrn  und  Verwalters 
der  königlichen  Münze  gleichen  Namens,  an  den  Herzog  von 
Preussen.  „Herr  Petrus  Paulus  Vergerius,  so  etwan  im  Babstumb 
ein  bischoff  gewesen,  jetzt  aber  ein  warer  nachuolger  Jesu  Christi 
vnd  seines  heiligen  worts  ist,  hatt  an  mich  disen  Beutel  mit  Briefen 
gesandt  in  begeren,  diese  an  £.  F.  D.  zu  senden.  Damit  dann 
seinem  begeren  genug  geschehe,   send  ich  E.  F.  D.  diese  hierbey." 

*)  O.  C.  XVI,  N.  2431. 


23^  Theodor  Wotschke. 

kehr  dies  Opfer  bringen  zu  müssen,  um  das  Geschick 
der  evangelischen  Gemeinden  nicht  mit  dem  seinen  zu 
verflechten  und  den  Zorn  des  Königs  auf  sie  herab- 
zuziehen. Seinem  Gastfreunde  Karninski  übergab  er  die 
Briefe  der  Schweizer,  um  sie  der  Synode  vorzulegen,  und 
zwei  junge  Franziskanermönche,  Valentinus  und  Alexius, 
die  er  für  die  neue  Lehre  gewonnen  hatte,  empfahl  er  der 
Fürsorge  der  Versammlung.  Ueber  seine  Reise  unter- 
richtete er  in  einem  längeren  Briefe,  erzählte  von  den 
mündlichen  Zusagen  der  Theologen,  und  um  zu  verhüten,, 
dass  die  Kleinpolen  sich  nicht  den  Böhmen  ganz  in  die 
Hand  gaben,  schloss  er  mit  der  Aufforderung,  Calvin  zur 
Reformierung  der  Kirchen  zu  berufen  und  kein  Bekenntnis 
ohne  Urteil  der  Schweizer  und  seine  und  Vermiglis  vor- 
angegangene Prüfung  annehmen1).  Nach  vielen  und  langen 
Verhandlungen  entschied  man  im  Sinne  seines  Schreibens, 
man  beschloss  die  Berufung  Calvins,  überwies  die 
böhmische  Konfession  Lismanino  zur  Durchsicht  und 
ordnete  ihm  zur  Hilfe  den  Baccaiar  und  Pelsnizaer 
Pfarrer  Gregorius  Pauli  bei.  Am  i.  Mai  schloss  die 
Synode  und  am  folgenden  Tage  schrieben  die  Geistlichen 
wie  die  Edelleute  an  Calvin  und  baten  ihn,  auf  einige 
Monate  zum  Ausbau  der  Kirche  nach  Polen  zu  kommen8). 
Lismanino  erhielt  den  Auftrag,  ihm  ausführlicher  über  die 
polnischen  Verhältnisse  zu  berichten.  Wie  so  viele  Briefe,, 
ist  leider  auch   dies  Schreiben  Lismaninos   verloren   ge- 

l)  Lukaszewicz :  „Geschichte  der  böhmischen  Brüder"  übersetzt 
von  Fischer.  Grätz  1877.  S.  34.  Ich  weiss  nicht,  wie  an  anderer 
Stelle,  in  seiner  Geschichte  der  reformierten  Kirche  in  Lithauen 
Leipzig  1848,  II  S.  70  Lukaszewicz  Lismanino  an  der  Synode  kann 
teilnehmen  lassen.  Er  soll  auf  ihr  den  Antrag  gestellt  haben,  den 
Antitrinitarier  Gonesius  aus  der  Kirchengemeinschaft  auszuschliessen 
und  dem  Krakauer  Bischof  anzuzeigen,  dass  dieser  Ketzer  niemals 
einer  der  ihrigen  gewesen  sei.  Das  Protokoll  der  Synode  weiss 
von  einem  solchen  Antrage,  überhaupt  von  der  Teilnahme  Lisma- 
ninos an  den  Verhandlungen  nichts.    Vergl.  Lasciana  S.  409  ff. 

*)  O.  C.  XVI,  N.  2445.  Calvin  beantwortet  die  Einladung  am 
8.  März  1557  (N.  2602).  Er  hatte  sie  erst  auf  seiner  Rückreise  von 
der  Frankfurter  Herbstmesse  in  Zürich  vorgefunden  und  dann  die 
Antwort  so  lange  hinausgeschoben,  weil  ihm  ein  Bote 'fehlte. 


Francesco  Lismanino.  237 

gangen,  aber  wenige  Wochen  später  muss  es  bereits  in 
Calvins  Händen  gewesen  sein,  denn  da  weiss  er  Johann 
Laski  zu  schreiben,  Lismanino  hätte  ihn  von  seiner  Berufung 
nach  Polen  in  Kenntnis  gesetzt1). 

Kaum  hatten  die  Bischöfe  die  Rückkehr  des  ver- 
hassten  abtrünnigen  Minoritenprovinzials  erfahren,  als  sie 
in  den  König  drangen,  ihn  aus  Polen  zu  verbannen. 
Seinen  Unwillen  gegen  seinen  ehemaligen  Vertrauten,  der 
ihn  selbst  durch  seinen  Übertritt  blossgestellt  hatte,  wussten 
sie  geschickt  zu  steigern,  und  so  erliess  der  haltlose 
Sigismund  August  in  der  Tat  im  Mai  eine  Achtserklärung 
wider  Lismanino.  Die  Evangelischen,  welche  dieselbe 
bei  der  früheren  Gunst  des  Königs  sich  nicht  erklären 
konnten,  glaubten  in  derselben  einen  betrügerischen  Akt 
der  Bischöfe,  im  besonderen  des  Erzbischofs,  der  des 
Königs  Siegel  führte,  zu  sehen.  Der  Missbrauch  desselben 
bei  der  Sochaczewer  Tragödie  durch  den  Bischof  und 
Vicekanzler  Johann  Przerembski  im  Dienste  der 
Hierarchie  gab  ihrem  falschen  Verdachte  eine 
gewisse  Berechtigung.  Vergebens  suchten  die  evan- 
gelischen Magnaten  die  Aufhebung  der  Acht  zu 
erwirken  oder  wenigstens  ihre  Publizierung  zu  hinter- 
treiben. Im  Krakauer  Distrikte  veröffentlichte  sie  trotz  aller 
Vorstellungen  und  Bitten  der  Kanzler  Johann  Ocieski 2).  Bei 
seinem  Freunde  Karminski  fühlte  sich  Lismanino  nicht 
mehr  sicher,  und  nachdem  er  an  die  evangelischen  Magnaten 
geschrieben  und  ihnen  sein  trauriges  Los,  geächtet  und 
heimatlos  zu  sein,  in  beweglichen  Worten  geschildert 
hatte,  verliess  er  Alexandrowice  und  eilte  zu  Johann 
Bonar.  Einige  Wochen  weilte  er  bei  diesem,  dann  scheint 
er  auf  den  Schlössern  anderer  Magnaten  bald  kürzere, 
bald  längere  Zeit  gelebt  zu  haben.  Im  September  sehen 
wir  ihn  in  Secymin  bei  dem  Superintendenten  Felix  Cru- 
ciger.    Die   freie  Zeit  benutzt   er   zur  Aufstellung  eines 


i)  O.  C.  XVI,  N.  2465. 

2)  Vcrgl.  seinen  Brief  an  Hosias  vom  9.  Juni  1556.     Hosii 
Epistolae.    Krakau  1886.    II,  S.  1615. 


238  Theodor  Wotschke. 

Glaubensbekenntnisses1).  Von  den  verschiedenen  Briefen, 
die  er  in  den  Sommermonaten  nach  der  Schweiz  sandte, 
ist  uns  nur  folgendes  kurzes  Billet  an  Wolfgang  Muskulus 
überkommen2).  „Wie  willkommen  dein  glaubensvoller  und 
feinsinniger  Brief  war,  wirst  du  aus  der  Antwort  der 
Kirchen  ersehen.  Der  erlauchte  Palatin  von  Wilna  Niko- 
laus Radziwill  hat  noch  nicht  zurückgeschrieben,  aber  von 
Tag  zu  Tag  erwarte  ich  von  ihm  einen  Brief  für  dich. 
Ich  halte  seit  meiner  Aechtung  in  der  Stille  (in  heremo) 
mich  verborgen,  bis  ich  ein  Ende  sehe  etwa  Ende  Sep- 
tember. Ich  sende  dir  einen  Brief  des  Ruthenen  Stanis- 
laus  Orzechowski,  in  welchem  er  Berge  von  Schmähungen 
auf  Zwingli  und  Calvin  häuft8).  Die  Tragödie,  welche 
soeben  der  päpstliche  Legat  mit  den  Geschorenen  und 
Geweihten  dieses  Reiches  aufführt,  erhellt  aus  diesem 
Briefe4).  Deine  Frömmigkeit,  mein  Vater  Muskulus,  wird 
dich  diesem  Sophisten  antworten  lassen^  die  ganze  Kirche 
bittet  dich  darum.  Grüsse  von  mir  Haller  und  die  übrigen 
Diener  der  Kirche,  gleichsam  deine  Familie.  Gott  möge 
dich  recht  lange  erhalten.  Aus  Zürich  wird  man  dir  ein 
Exemplar  des  Briefes  des  päpstlichen  Legaten  an  den 
Palatin  von  Wilna  und  die  Antwort  desselben  zugehen 
lassen5).  Johann  Laski  ist  von  der  Kirche  zurückgerufen 
und  wird  gegen  Ende  Oktober  kommen.  Aus  der  Ver- 
borgenheit (ex  heremo),  den  17.  August  1556.* 

*)  Alle  Versuche,  dieses  Bekenntnisses  habhaft  zu  werden, 
waren  vergebens;  gedruckt  ist  es  nie  worden. 

*)  O.  C.  XVI,  N.  2509. 

8)  Korzeniowski:  Orichoviana,  Cracoviae  1891,  bietet  den  Brief 
nicht 

*)  Der  Legat  und  die  Bischöfe  suchten  einen  Wunderbeweis 
für  die  römische  Lehre  von  der  Wandlung  des  Abendmahlssakra- 
ments. Juden  in  Sochaczow  (Masovien)  wurden  beschuldigt  eine 
Hostie  gekauft,  mit  Nadeln  durchstochen  und  das  angeblich  heraus- 
geflossene Blut  aufgefangen  und  zu  ihren  Riten  gebraucht  zu  haben. 
Die  Juden  wurden  zu  Tode  gemartert. 

6)  Vergl.  Duae  Epistolae  altera  Lipomani,  altera  vero  Dlmi  D. 
Radivili.  Regiomonti  1556.  Da  der  Druck  der  beiden  Briefe  erst 
vom  1.  Oktober  datiert  ist,  müssen  sie  schon  vorher  handschriftlich 
verbreitet  gewesen  sein. 


Francesco  Lismanino.  239 

Von  den  verschiedensten  Edeileuten  erhielt  Lismanino 
Beileidsschreiben.  Lubieniecki1)  hatte  noch  vor  sich  liegen 
den  Brief  des  Czechower  Kastellans  Nikolaus  Lutomirski 
vom  11.  Juli,  des  Kastellans  von  Zawichost  und  Palatins 
von  Sendomir  Stanislaus  von  Tarnow  vom  10.,  des  Spytko 
Jordan  vom  12.  September  und  des  Nikolaus  Mysz- 
kowski  vom  25.  September.  Aus  Grosspolen  hatten  am 
9.  August  Stanislaus  und  Jakob  Ostrorog  geschrieben. 
Einen  Brief  des  Grafen  Johann  von  Tarnow,  des  ersten 
weltlichen  Würdenträgers  Polens,  aus  dem  Juli  teilt  Lubie- 
niecki mit,  und  ich  gebe  ihn  hier  deutsch  wieder.  „Schon 
drei  Briefe,  wie  Deine  Hochwürden  schreiben,  habe  ich 
seit  Ihrer  Rückkehr  empfangen.  Den  ersten  habe  ich 
sogleich  nach  dem  Empfang  durch  den  Überbringer,  Deiner 
Hochwürden  Diener,  beantwortet.  Den  zweiten  habe  ich 
aus  keinem  anderen  Grunde  unbeantwortet  gelassen,  als 
weil  ich  hoffte,  mit  Deiner  Hochwürden  auf  dem  Reichs- 
tage oder  wo  sich  sonst  eine  Gelegenheit  bieten  würde, 
zusammenzutreffen  und  so  besser  und  bequemer  als  durch 
Briefe  jegliche  Frage  besprechen  und  erörtern  zu  können. 
Dass  es  dazu  nicht  kam,  bedaure  ich  sehr.  Auf  das  letzte 
Schreiben,  welches  mir  Herr  Lasocki  in  Deiner  Hoch- 
würden Namen  übergab,  in  dem  Deine  Hochwürden  mir 
den  augenblicklichen  Stand  Ihrer  Verhältnisse  dartun  und 
zugleich  mitteilen,  dass  Sie  wider  Ihr  und  mein  Erwarten 
durch  ein  königliches  Dekret  aus  dem  Lande  gewiesen 
sind,  antworte  ich  also.  Tief  wie  die  eines  Freundes, 
schmerzt  mich  Deiner  Hochwürden  Heimsuchung;  aber  da 
viele  Edikte  jetzt  vorschnell  und  ohne  Befragen  der  Sena- 
toren erlassen  werden,  wundere  ich  mich  nicht,  dass  durch 
die  Treibereien  gewisser  Menschen  auch  dies  geschehen 
ist.  Ist  es  doch  bekannt,  dass  durch  die  Intriguen  derer, 
die  sich  geistlich  nennen,  die  bei  Königl.  Maj.  gross  An- 
sehen und  viel  Einfluss  besitzen  und  Feder  wie  Siegel 
des  Königs  in  Händen  haben,  dieses  geschehen  und  solch 
Unwille  wider  D.  H.  erregt  ist,  nicht  aber  auf  meinen  oder 


*)  Lubicniecius  S.  66  ff. 


240  Theodor  Wotschkc. 

eines  anderen  Senatoren  Sprach  hin.  Auch  in  der  Acht- 
erklärung, welche  mir  Deine  Hochwürden  in  Abschrift 
gesandt  haben,  ist  verschiedenes  merklich  schroffer  und  ge- 
hässiger gefasst,  als  es  dem  Herzen  des  Königs  entspricht. 
Aber  haben  Deine  H.  solche  Heimsuchung  auch  nicht  er- 
wartet noch  verdient,  so  werden  Sie  als  einer,  der  schon 
viel  erfahren,  doch  gewiss  erkannt  haben,  dass  alle  diese 
Leiden  und  Heimsuchungen,  und  was  sonst  ob  der  För- 
derung der  Ehre  Gottes  zustösst,  tapfer  und  standhaft  zu 
ertragen  sind,  und  sich  dies  auch  zum  Vorsatz  gemacht  haben. 
Gern  will  ich  Deiner  Hochwürden  helfen,  soweit  ich  helfen 
kann,  und  Ihr  «nein  Wohlwollen,  das  ich  schon  viele 
Jahre  zu  Ihr  hege,  bezeugen,  wie  es  Deine  Hochwürden 
ausführlicher  aus  dem  Bericht  des  Herrn  Lasocki  ersehen 
werden.  Ich  habe  ihm  einiges  anvertraut,  das  er  in 
meinem  Namen  D.  H.  mitteilen  soll    Sie  lebe  wohl". 

An  den  König  wandten  sich  die  Magnaten  und 
suchten  halb  bittend,  halb  trotzend,  ihn  zur  Aufhebung 
der  Acht  oder  wenigstens  zu  ihrer  Suspension  zu  be- 
stimmen, damit  Lismanino  auf  dem  Reichstage  vor  den 
versammelten  Ständen  sich  rechtfertigen  könnte.  Wahr- 
scheinlich suchten  sie  in  Verbindung  damit  ein  grösseres 
Religionsgespräch  zu  erreichen,  zu  dem  auch  Vergerio 
von  Königsberg  oder  Wilna  herbeigezogen  werden  sollte. 
So  schrieb  Myszkowski:  „Gnädigster  Fürst  und  Herr!  Ich 
habe  von  dem  frommen  und  gelehrten  Doktor  Lismanino 
einen  Brief  und  sein  Glaubensbekenntnis  empfangen,  zu- 
gleich auch  eine  Abschrift  des  Mandats,  durch  welches 
er  auf  Geheiss  E.  K.  M.  aus  unserem  Reiche  verbannt  ist 
In  einem  Schreiben  führt  er  zuerst  Beschwerde  über  die 
verleumderische  Denunziation  bei  E.  K.  M.,  seinem 
gnädigsten  Herrn,  und  über  das  Unrecht,  dass  ihm  in 
diesem  Reiche  wider  alles  Recht  angetan  sei.  Dann  fleht 
er,  ich  möchte  zugleich  mit  anderen  Senatoren  des  Reichs 
E.  K.  M.  bitten,  diese  Acht,  welche  nicht  rechtmässig, 
sondern  im  geheimen  von  seinen  Widersachern  erzwungen 
sei,  zurückzunehmen.  Ich  wundere  mich  sehr  und  be- 
daure  es,  dass  E.  K.  M.  auf  Grund  falscher  Information 


Francesco  Lismanino.  24 1 

diesen  Mann,  den   Sie  als  Mönch  so  hoch  schätzten  und 
als  einen  kenntnisreichen,  erfahrenen  Mann  auszeichneten, 
jetzt  als  Landstreicher  und  Sakramentierer  aus  dem  Reiche 
hat  weisen  lassen.    Dass  E.  K.  M.   dies   verfügt  haben 
sollten,  weil  er  einem  neuen  Leben  sich  zugewandt  hat, 
kann  ich  nicht  glauben,  denn  gerade  durch   diese  seine 
Tat  hat  er  uns  allen  seine  hohe  Tugend  zu  erkennen 
gegeben.    Mit  dem  Scheine  erheuchelten  Glaubens  wollte 
er  E.  K.  M.  und  andere  nicht  täuschen,  sondern  uns  allen 
ein    lebendiges   Beispiel    wahrer    Sittlichkeit    sein,    auch 
wenn  es  bei  den  Kindern  dieser  Welt,  welche  viel  An- 
nehmlichkeiten den  Massstab  eines  guten  Glaubens  sein 
lassen,  weniger  Nutzen   und   Ruhm   brächte.    Aber    ich 
meine,  dass  nicht  dies  ihm  bei  E.  K.  M.  geschadet  hat, 
sondern  die  verleumderischen   Anzeigen  seiner  Gegner. 
Es  ist  allen  bekannt,  dass  dieser  Lismanino  kein  Land- 
streicher ist,  sondern  mit  vielen  Fürsten,  vor  allem  mit 
E.  K.  M.  in  den  besten  Formen  verkehrt  hat,  auch  nicht 
ungebeten  wie  ein  Landstreicher  ist  er  zu  uns  gekommen, 
sondern  ersehnt,  ja  rechtmässig  von  vielen  gerufen,  auch 
geschickt   von   jenen    bedeutenden  Männern    auf  Grund 
der  Bitte  unserer  Landsleute,  die  in  zweifelhaften  Fragen 
seinen  Rat  hören  möchten.    Durch  eine  wahrhaft  göttliche 
Fügung  ist  es   geschehen,   dass   die  Unsern   sich   einen 
solchen  Lehrer  erwählten,  welcher  E.  K.  M.  aufs  tiefste 
ergeben  ist    Was  aber  die  Anklage  auf  Sakramentiererei 
betrifft,  so  zeigt  sein  Bekenntnis,  in  dem  er  hinreichend 
deutlich  seinen  Glauben  über  das  Mahl  des  Herrn  dar- 
legt,   dass    es    sich    hier   um    eine  Verleumdung   seiner 
Gegner  handelt    Mit  diesem  Bekenntnis  steht  das  Mandat 
-der  Achtserklärung   in  völligem   Widerspruch.    Da    also 
E.  K.  M.  aus   seinem  Glaubensbekenntnis   und   aus  dem 
Zeugnis  Ihrer  Räte  hinreichend  und  deutlich  die  Unschuld 
dieses  frommen  Mannes  erkennen,  bitte  ich,  falls  man  für 
einen  Unschuldigen  bitten  darf,  dass  E.  K.  M.,  nun  besser 
Von  Ihren  Räten  über  den  Glauben,  das  Leben  und  die 
Unschuld  dieses  Mannes  unterrichtet,  die  Ächtung  zurück- 
.ziehen.   Nicht  ihm  allein,  sondern  allen  jenen  hervorragen- 

ZeiUchrift  der  Hist  Ges.  für  die  Pror.  Posen.    Jahrg.  XVHI.  16 


242  Theodor  Wotschke. 

den  Männern,  die  ihn  hierher  gesandt,  und  zu  denen  die 
Unsern  oft  der  Studien  wegen,  oder  um  Land  und  Leute 
kennen  zu  lernen  reisen,  ist  eine  Unbill  zugefügt.  Daher 
müssen  wir  sorgen,  uns  durch  Ungerechtigkeit  bei  jenen 
fremden  Völkern  nicht  in  Verruf  zu  bringen,  was  offen- 
bar leicht  durch  diesen  Mann  geschehen  kann.  Wie  die 
Briefe  jener  Gelehrten  zeigen,  steht  er  bei  ihnen  in  hoher 
Achtimg  und  Gunst.  Ich  bin  gewiss,  dass  E.  K.  M.  gern 
das  tun  werden,  was  Sie  zur  Ehre  unseres  Staates  für  nützlich 
erachten,  dass  wir  von  Fremden  nicht  der  Ungerechtigkeit 
geziehen  werden.  Gott  der  Herr  möge  E.  K.  M.  durch 
seinen  Sohn  segnen  und  Sie  uns  recht  lange  und  glücklich 
erhalten.  Ihrer  Gnade  empfehle  ich  mich  auf  das  Ehrer- 
bietigste. Euer  K.  M.  ergebenster  Diener  Nikolaus 
Myszkowski  von  Mirow,  Kastellan  von  Woinicz,  Auschitz, 
Zator  und  Starost  von  Meseritz"1).  Vom  folgenden  Tage 
ist  das  Bittschreiben  Bonars  datiert. 

„E.  K.  M.  zu  verehren  und  Ihren  Gesetzen  und 
Edikten  ehrerbietig  mit  allem  Fleisse  zu  gehorchen, 
habe  ich  mich  von  Jugend  auf  bemüht  und  um  so  lieber 
tue  ich  es  jetzt,  wo  das  reifere  Alter  Einsicht  und  Urteil 
bringt  Deshalb  übernehme  ich  die  Aufgabe  der  Für- 
sprache bei  E.  K.  M.  für  den  hochgelehrten  und  ehren- 
werten Doktor  Lismanino  um  so  freimütiger,  damit  ich 
meiner  Pflicht  gegen  E.  K.  M.  genüge  und  einem  un- 
schuldigen Freund  auf  ehrenhafte  Weise  helfe,  da  E.  K.  M. 
Unschuldigen  niemals  Gnade  versagen  können.  E.  K.  M.. 
mögen  also  verzeihen,  wenn  ich  mit  ergebener  Bitte 
und  aufrichtigem  Herzen  flehe,  die  Aechtung  durch  ein 
neues  Edikt  zu  widerrufen  und  aufzuheben,  zumal  da 
diese  meine  flehentliche  Bitte  E.  M.  früherem  Edikte  in 
keiner  Weise  widersteht.  Ich  hoffe,  dass  diese  Für- 
sprache mir  in  keiner  Weise  als  ein  Vergehen  angerechnet 
werden    wird,  und   ich  vertraue  auf  E.  K.  M.  Gnade,   zvt 

rll.-l    .  \<u(<^ 

...J^jpies^m  Myszkowski,  dem  Grafen  Lucas :  Gorka  und 
Stariislaus*  Ostrorog  ~  widmete  der  Frankfurter  Professor  Andrea» 
Muskulus  als  den  Häuptern  der  Evangelischen  Grosspolens  unter 
dem  16.  April  1556  seine  catechesis  sanetorum  patrura. 


Francesco  Lismanino.  243: 

der  ich  bittend  meine  Zuflucht  nehme,  indem  ich  zugleich 
mit  wenigen  Worten  die  Gründe  meines  Unterfangens 
klarlege.  Seit  vielen  Jahren  bin  ich  mit  Doktor  Lismanino 
aufs  engste  befreundet,  dem  auch  E.  K.  M.  und  alle  Edlen 
unseres  Reiches  stets,  wie  ich  bezeugen  kann,  unge- 
wöhnliche Ehren  erwiesen.  Nach  seiner  Rückkehr  nach 
Polen  nahm  ich  ihn  in  Bezeugung  der  alten  Freundschaft 
bei  mir  auf.  Mit  diesem  Liebesdienst  meinte  ich  nichts 
Unrechtes  getan  zu  haben.  Da,  als  er  als  Freund  in 
meinem  Hause  weilte,  kam  das  Gerücht,  E.  K.  M.  hätten 
ihn  durch  ein  Edikt  des  Landes  verwiesen.  Von  den 
meisten  wurde  es  angezweifelt,  aber  alle  Ungewissheit 
nahm  E.  K.  M.  Ueberschrift  Obwohl  es  mir  schwer 
war,  von  einem  teuren  Freunde  auf  diese  Weise  mich 
zu  trennen,  und  es  christlicher  Frömmigkeit  und  Sitt- 
lichkeit widerspricht,  besiegte  diesen  Schmerz  der  Be- 
fehl E.  K.  M.,  den  ich  vorbehaltlich  meiner  Pficht  gegen 
Gott  niemals  übertreten  will,  auch  wenn  es  das 
Leben  kosten  sollte.  Der  Grund  aber,  weshalb  ich  jetzt 
an  E.  K.  M.  schreibe,  ist  der:  Mir  ist  ein  Brief  jenes 
Mannes  überbracht,  indem  er  bitter  klagt,  ohne  Verhör 
verurteilt  zu  sein  und,  da  das  Gerücht  hiervon  schon  zu 
anderen  Völkern  gedrungen  sei,  mich  ersucht,  E.  K.  M.  zu 
bitten,  ihn  nach  Ihrer  königlichen  Gnade  und  Ge- 
rechtigkeit von  dieser  Aechtung  zu  befreien,  da  er  bereit 
ist,  auf  dem  Reichstage  und  in  Gegenwart  E.  K.  M.  den 
Erweis  seiner  Unschuld  und  seines  Glaubens,  dessen  Be- 
kenntnis er  bereits  veröffentlicht  hat,  zu  liefern  und  die 
Verleumdungen  Missgünstiger  zu  entkräften.  Inständig* 
bitte  ich,  E.  K.  M.  möchten  diesen  Mann  nicht  ungehört  ver- 
urteilen, wie  es  die  Ehre  E.  K.  M.  und  das  Interesse  des 
unschuldigen  Mannes  erfordert  In  freundschaftlichem 
Mitgefühl  würde  auch  ich  an  dieser  Gnade  teilhaben. 
Überdies  beschwöre  ich  E.  K.  M.,  nicht  um  meiner  Bitten, 
sondern  um  Ihrer  grossen  Gerechtigkeit,  Güte,  angeborenen 
Frömmigkeit  und  Gnade  willen,  diesen  frommen  und 
gläubigen  Mann  von  der  Acht  zu  befreien;  wie  ich  es 
erhoffe,  so  erflehe  ich  es  auch  von  dem  Höchsten.    Der- 


^44  Theodor  Wotschkc. 

selbe  möge  E.  K.  M.  gesund  und  glücklich  und  bei  langer 
Regierung  erhalten.  Balicz,  den  16.  Sept  1556.  E.  K.  M. 
-ergebenster  Diener  Johann  Bonar  von  Balicz,  Kastellan 
^von  Biecz." 

Am  15.  September  schrieb  auch  der  Superintendent 
<ler  kleinpolnischen  evangelischen  Kirche  Felix  Cruciger 
an  den  König  und  bat  für  Lismanino.  Ich  übergehe 
diesen  Brief,  indem  ich  auf  Lubieniecki  verweise,  und 
teile  ein  Schreiben  Crucigers  mit,  das  er  am  folgenden 
Tage  an  Herzog  Albrecht  von  Preussen  richtete  und  das 
noch  nicht  veröffentlicht  ist  „Da  der  Herr  über  seine 
Kirche  immer  mit  wunderbarer  Weisheit  und  Güte  wachtf 
müssen  auch  alle  Frommen  darauf  achten,  dass  sie  jenen 
Schutz,  den  der  himmlische  Vater  zur  Verbreitimg  seiner 
Kirche  darbietet,  nicht  verschmähen  oder  durch  Lässigkeit 
^übersehen.  Wenn  je  ein  Volk  Gottes  Gegenwart  bei  der 
♦Gründimg  seiner  Kirche  mitten  unter  Feinden  und  in 
ihrem  Ausbau  wahrgenommen  hat,  so  können  wir  es  von 
uns  sagen.  Je  heftiger  der  Satan  mit  seinen  Künsten 
♦die  Kirche  angreift,  je  tapferere  Vorkämpfer  seines  Namens 
und  seiner  Ehre,  deren  Dienste  wir  in  der  Bedrängnis 
gebrauchen  können,  erweckt  uns  der  Herr.  Und  solchen 
Segen  und  Gnade  göttlichen  Erbarmens  sehen  wir  nicht 
jiur  in  der  Heimat  uns  zuteil  werden,  sondern  auch  in 
fremden  Ländern,  deren  Fürsten  er  uns  geneigt  macht 
und  durch  das  feste  Band  frommer  Liebe  uns  verbindet* 
"Vor  allen  hat,  um  von  den  anderen  zu  schweigen,  Deine 
Erlauchteste  Hoheit  fromme  Unterstützung  und  freund- 
liche Hülfe  uns  angeboten,  als  ich  in  Koschminek  eine 
Synode  mit  den  böhmischen  Brüdern  abhielt;  wir  er- 
kannten, unsere  Kirche  müsse  Gott  angenehm  sein,  dass 
■er  ihr  einen  solchen  Beschützer  gesandt  hat  Bei  unserer 
Ergebenheit  und  Verehrung  bitten  wir  Deine  Erlauchteste 
Hoheit,  Ihren  Schutz  unserer  Kirche  jetzt  gewähren  zu 
wollen.  Gewiss  hat  Deine  Hoheit  schon  längst  ver 
nommen,  dass  der  hochwürdige  Francesco  Lismanino,  in 
Christo  unser  werter  Bruder,  in  unserm  Lande  geächtet 
ist,  weil  er  der  treuste  Pfleger  des  Glaubens  und  sein  Ver- 


Francesco  Lismanino.  245 

teidiger  ist    Da  er  durch  die  Missgunst  und    den  Hass* 
der   Pharisäer   verurteilt    ist,    sorgen  wir,  er  möchte  uns 
verlassen,    obwohl    seine    Arbeit   unserer  Kirche  höchst 
notwendig  ist,   hoffen   aber  noch,    wenn   der   Trug  der 
Verleumder,  durch  den  unser  Bruder  geächtet,  aufgedeckt 
ist,  werde  Sr.  K.  M.  Herz  sich  wandeln  und  die  Acht  zu- 
rücknehmen.   Bis  dahin  waren  wir  guter  Zuversicht,  aber 
da  es  noch  jetzt  zweifelhaft  ist,  bitten  wir  Deine  Hoheit 
bei  K.  M.  in  unserem  und  unseres  teuren  Bruders  Namen 
sich  zu  verwenden,  dass  bei  uns  bleiben  dürfe  der  Mann,, 
der  durch  Frömmigkeit  und  Gelehrsamkeit  ausgezeichnet 
ist     und    der,    wie   wir   vertrauen,    unserer   Kirche  von: 
grösstem   Segen    sein    wird.     Erlauchtester   Fürst,  thue 
kund   den  Reichtum  Deiner  Frömmigkeit  zum  Segen  und 
Heil  der  Herde  Christi,  da  kaum  ein  Sterblicher  das  Herz 
Sr.  M.  hierzu  geneigt  machen    kann,    falls   nicht   Deiner 
Hoheit  Fürsprache   ihn  unterstützt.    Durch  diese  Gunst- 
bezeugung wird  Deine  Hoheit  uns  so  verpflichten,   dass 
ein  jeder  von  uns,  soweit  es  nicht  dem  Glauben  und  dem 
Dienste   gegen   unseren  König  zuwider  ist,  Ihr  in  Treu 
und  Gehorsam  verbunden    ist.    Der    Herr    möge    Deine 
Erlauchteste  Hoheit  mit  seiner  mächtigen  Hand  schützen 
mit  aller  Weisheit  ausrüsten    und  mit  den  Gaben  seines- 
heiligen    Geistes     zur     Ehre     seines     Namens     segnen. 
Secymin,  den  16.  September  1556. u 

Cruciger  übergab  seinen  Brief  zur  Beförderung- 
nach  Königsberg  Johann  Luzinski,  der  am  26.  April 
seine  Dienste  der  Kirche  zur  Verfügung  gestellt  hatte 
und  von  der  Pinczower  Synode  dem  Superintendenten 
überwiesen  war.  Lismanino  selbst  händigte  ihm  noch 
folgendes  Schreiben  ein.  „Ich  erinnere  mich,  wie  Deine 
Erlauchteste  Hoheit  einst  beim  Begräbnis  des  Königs 
Sigismund  mich  freundlich  zu  begrüssen  und  wiederum 
nach  drei  Jahren  zu  besuchen  geruht  haben.  Damals 
sprach  Sie  mit  mir  über  religiöse  und  andere  wichtige 
Fragen  und  gab  mir  viele  Zeichen  Ihres  Wohlwollens. 
Ich  war  verwundert,  was  einen  so  hohen  Fürsten  zur 
Unterredung    mit     einem     unbekannten     Manne     veran- 


246  Theodor  Wotschkc. 

lasst  haben  mochte,  aber  da  ich  D.  E.  H.  Frömmigkeit 
wahrnahm,  wandte  sich  mein  Erstaunen  einer  anderen 
Richtimg  zu;  habe  ich  doch  erkannt,  dass  es  die  Weise 
dieser  heiligen  Tugend  ist,  ihre  Schützlinge  durch  Freund- 
lichkeit und  Milde  auszuzeichnen.  Ihres  Lismanino  hatte 
trotz  der  langen  Zwischenzeit  Sie  nicht  vergessen,  als  Sie 
im  vergangenen  Jahre  zu  Warschau  im  Gespräch  mit  dem 
grossmächtigen  Palatin  von  Krakau  und  dem  Kastellan 
von  Biecz  meiner  in  ehrenvoller  Weise  Erwähnung  tat. 
Deutlich  konnte  ich  ersehen,  wie  wert  mich  D.  H.  achtet 
nicht  wegen  meiner  Verdienste  und  Würdigkeit,  sondern 
wegen  Ihrer  ausserordentlichen  Güte  gegen  alle  Frommen. 
Und  wenn  schon  das  Bisherige  in  mir  den  sichersten 
Glauben  von  D.  H.  Gnade  gegen  mich  erweckte,  so  hat 
-der  Brief  des  Pietro  Paolo  Vergerio  mich  gleichsam  auf 
den  Gipfel  der  Hoffnung  gehoben,  so  dass  ein  Zweifel 
an  ihr  jetzt  Sünde  wäre.  Um  angesichts  solcher  Zeichen 
gnädigster  Huld  nicht  undankbar  zu  scheinen,  grüsse  ich 
mit  diesem  Briefe  D.  H.  und  biete  Ihr  meine  aufrichtigsten 
Dienste  an,  dass,  falls  Sie  sich  ihrer  einmal  bedienen 
wolle,  Sie  sich  von  meinem  freudigen  Gehorsam  überzeuge. 
Ferner  sage  ich  D.  H.  Dank  für  die  Liebe,  mit  der  Sie 
•die  in  Polen  neugeborene  Kirche  umfasst;  von  ihr  gerufen 
bin  ich  hierher  gekommen  und  will  ihr  jetzt  dienen  und 
sie  fördern,  soweit  Gott  seinen  Segen  giebt.  Um  Deine 
Hoheit  nicht  zu  belästigen,  breche  ich  hier  ab;  alles 
weitere,  was  ich  D.  H.  unterbreiten  möchte,  habe  ich  dem 
Boten  unserer  Kirche,  dem  edlen  Joh.  Luczinski  anvertraut, 
welcher  D.  H.  sorgfältig  Bericht  erstatten  wird.  Alles 
Glück  und  Wohlergehen  wünsche  ich  D.  H.  von  Herzen 
und  flehe  zu  Gott,  dass  Sie  sich  wohl  und  gesund  be- 
finden möge.  Aus  der  Verborgenheit  (ex  heremo),  den 
16.  Sept.  1556 l). 

Wenige  Tage,  nachdem  Luczinski  mit  den  Briefen 
nach  Königsberg  abgeordnet  war,  brach  Cruciger  von 
Secymin  zu  dem  für  den  25.  September  angesetzten 
Predigerkonvent  in  Iwanowice  auf.    In  Krakau  besuchte 

l)  Aus  dem  KönigL  Staatsarchiv  in  Königsberg. 


Francesco  Lismanino.  247 

er  Joh.  Bonar  und  bestimmte  ihn,  am  22.  Sept  gleichfalls 
ein  Bittschreiben  für  Lismanino  an  Herzog  Albrecht  zu 
senden1)-  Nach  dem  Konvente,  auf  dem  Lismanino  ein 
Jahrgeld  bewilligt,  ihm  und  seiner  Familie  —  seine  Frau 
und  sein  Söhnchen  sollten  aus  Zürich  nach  Polen  ihm 
folgen  —  ein  Zufluchtsort  zugewiesen  wurde,  sandte  Lis- 
manino seinen  Amanuensis  Stanislaus  Budzinski  mit  neuen 
Nachrichten,  seinem  Glaubensbekenntnisse  und  seiner  Apo- 
logie zu  demselben  sowie  mit  dem  Briefe  Bonars  nach 
Königsberg.  Gewiss  übergab  er  ihm  auch  ein  Schreiben  an 
Vergerio,  der  seit  dem  26.  Juli  in  Königsberg  bezw.  in 
Wilna  weilte  und  von  dort  ihm  schon  Nachrichten  hatte 
zukommen  lassen.  Nach  der  herzlichen  Begegnung  beider 
Männer  in  Basel  und  Stuttgart  verstehen  wir  es,  dass 
Vergerio  auf  seiner  Rückreise  von  Wilna  kaum  die 
Nachricht  von  der  Anwesenheit  St  Budzinskis  in  Königs- 
berg erhalten  hatte,  als  er  auch  schon  am  16.  November 
von  Taplack  aus  den  Herzog  bittet2),  den  Boten  bis  zu 
seiner  am  nächsten  Tage  erfolgenden  Ankunft  zurück- 
zuhalten. Die  Briefe,  die  er  ihm  nach  Secymin  mit- 
gegeben hat  und  unter  denen  sich  auch  ein  Schreiben  des 
Fürsten  Nikolaus  Radziwill  befunden  haben  muss,  an  den 
Lismanino  wie  an  die  anderen  Magnaten  sich  gewandt 
hatte,  und  zu  dem  in  den  Sommermonaten  sein  alter 
Freund  Andreas  Trzycieski  geeilt  war8),  konnte  ich  nicht 
ermitteln.  Herzog  Albrecht  hatte  schon  am  13.  November 
Briefe  an  Lismanino,  den  König,  den  Superintendenten 
Cruciger  und  den  Palatin  Bonar  schreiben  lassen.  Indem  ich 
bezüglich  der  beiden  letzten  auf  den  Anhang  verweise*), 
gebe  ich  die  ersten  hier  deutsch  wieder.    „Würdiger,  Be- 


*)  Siehe  Anhang  Nr.  1. 

*)  Sixt:  Petrus  Paulus  Vergerius.  Braunschweig  1855.  S.  534 
Beilage  II  druckt  den  Brief  ab. 

•)  So  konnte  von  Wilna  der  reformatorisch  gesinnte  königliche 
Sekretär  Trojan  Provano  unter  dem  22.  August  einen  Brief  Lis- 
maninos  nach  Königsberg  senden. 

4)  Anhang  Nr.  2  und  3. 


248  Theodor  Wotschkc. 

sonderer,  hoch  Geliebter!  Angenehm  und  erfreulich  war  uns 
Euer  Hoch  würden  Schreiben,  weil  es  unseres  vertrauten  Zwie- 
gesprächs in  Krakau  gedachte  und  wir  aus  ihm  E.  H.  Ge- 
sundheit entnahmen  und  Ihre  durch  Gottes  wunderbare 
Vorsehung  zum  Bau  der  Kirche  Christi  erfolgte  Berufung 
nach  Polen.  Was  den  ersten  Teil  des  Briefes  betrifft, 
in  dem  Euer  Hochwürden  rühmen,  dass  wir  in  Krakau  Sie 
zu  besuchen,  mit  unserer  Huld  zu  umfassen  und  über 
verschiedene  Fragen  mit  Ihr  zu  sprechen  geruht  haben, 
und  was  Sie  ausserdem  in  langer  Lobrede  von  unseres 
Namens  Ruhm  und  Ehre  und  unserer  hohen  Gunst  gegen 
alle  Frommen  urteilt,  dieses  alles  ist  wohl  ein  Ausfluss 
E.  H.  Liebe  zu  uns.  Wenn  Zeichen  des  Wohlwollens 
gegen  E.  H.  von  uns  kund  geworden  sind,  wenn  wir  durch 
unsere  Huld  gegen  fromme  Diener  Christi  und  durch  ihre 
Beschützimg,  so  weit  es  uns  möglich  ist,  unserem  Namen 
einen  guten  Klang  gegeben  haben,  so  schreiben  wir  dies 
nicht  unseren  Kräften  zu,  sondern  bekennen,  dass  es  auf 
Antrieb  des  heiligen  Geistes  geschehen  ist  und  noch  ge- 
schieht. Deshalb  hätten  E.  H.  uns  weniger  zu  danken 
brauchen,  weil  wir^uns  nicht  erinnern,  etwas  so  dankens- 
wertes E.  H.  erwiesen  und  immer  nur  unserer  Pflicht 
genügt  haben.  In  dieser  Haltung  bewahre  uns  der  Herr 
bis  zu  unseres  Lebens  letzter  Stunde.  Aus  dem  zweiten 
Teil  des  Briefes  ersehen  wir,  dass  E.  H.  nach  Polen 
gerufen  sind,  um  die  auflebende  Kirche  zu  erbauen. 
Wir  wünschen  E.  H.  einen  glücklichen  und  gesegneten 
Anfang  und  gedeihlichen  Fortschritt  Ihrer  Arbeit  und  bitten 
den  Vater  unseres  Herrn  Jesu  Christi,  er  möge  E.  H. 
Arbeit  segnen  und  Sie  mit  seinem  Geiste  leiten,  dass  Sie 
viel  Frucht  schaffen  und  den  Ruhm  des  göttlichen  Namens 
mehren,  die  Lehre  des  lauteren  Evangeliums  ausbreiten  der 
Krone  Polen  und  der  ihr  angegliederten  Provinzen  zum 
Heil,  E.  H.  zur  Ehre.  Den  ersten  Teil  der  Apologie  E.  H^ 
die  uns  nicht  durch  den  ehrbaren  Joh.  Luzinski,  sondern 
durch  einen  Diener  E.  H.  zugleich  mit  dem  Glaubens- 
bekenntnis überreicht  worden  ist,  haben  wir  gelesen  und 
können  ihn  nur  billigen,  obwohl  wir  nicht  das  Recht,  ein 


Francesco  Lismanino.  249 

Urteil  zu  fällen,  uns  anmassen;  wir  bekennen  nämlich 
dass  wir  in  der  heiligen  Schrift  nicht  so  bewandert  sind. 
Dasselbe  gilt  von  E.  H.  Glaubensbekenntnis,  aber  wegen 
<ier  Missverständnisse,  welche  durch  Briefe  zu  entstehen 
pflegen,  möchten  wir  lieber  mündlich  als  schriftlich  mit 
E.  H.  hierüber  verhandeln.  Es  hat  dieses  Bekenntnis  E.  H. 
Ariele  Belegstellen  aus  der  heiligen  Schrift  und  Zeugnisse, 
der  gelehrtesten  Männer,  aber  uns,  die  wir  noch  an  der 
Schwelle  der  Erkenntnis  der  heiligen  Schrift  stehen,  will 
-es  scheinen,  dass  das  Göttliche  nicht  sowohl  durch  die 
"Schärfe  des  Verstandes  erforscht  und  bis  ins  Innerste  er- 
kannt, sondern  in  jener  einfachen,  von  unserem  Meister 
Christus  selbst  uns  gezeigten  Weise  angeeignet  werden 
muss.  Der  geistliche  Vorwitz  pflegt  dem  armen,  un- 
wissenden niederen  Volke  die  dichteste  Finsternis  zu 
bringen.  Wir  möchten  dies  nicht  so  verstanden  wissen, 
als  ob  wir  überhaupt  ein  Durchforschen  der  Schrift  ab- 
lehnen, da  unser  Heiland  Christus  selbst  uns  das  gebietet; 
unsere  Ansicht  ist,  dass  bei  Erbauung  der  Kirche  der  ein- 
fachsten Glaubensregel  gefolgt  werden  muss,  nur  dass  dieses 
Einfache  alles  umschliesst,  was  zum  Heil  der  Seelen 
nötig  ist  Dass  E.  H.  auch  den  zweiten  Teil  der  Apologie 
fertig  stellen  und  uns  zuschicken,  ist  unser  gnädiges  Begehren, 
denn  alle  Arbeiten  E.  H.,  die  uns  überreicht  werden,  sind 
uns  angenehm.  Der  würdige  Vergerio  hat  bei  uns  E.  H. 
ehrenvoll  gedacht  und  uns  über  E.  H.  derzeitige  Lage,  die 
wir  bedauern,  Vortrag  gehalten.  Da  uns  E.  H.  Unschuld 
bekannt  ist,  wollten  wir  für  Sie  eintreten,  und  Vergerio 
-spornte  unseren  Eifer  noch  an.  Wir  schrieben  also  an 
Königliche  Majestät,  unseren  gnädigsten  Herrn  und  teuren 
Bruder  und  an  einige  Senatoren  des  Reiches  für  E.  H. 
Empfehlungsbriefe,  von  denen  wir  Abschriften  einge- 
schlossen mitschicken.  Gott  gebe,  dass  unsere  Bitten 
nicht  vergeblich  sind,  sondern  das  fromme  Herz  Sr.  Maj. 
rühren,  dass  S.  Majestät  unter  Gottes  Beistande  Christum, 
der  vor  der  Tür  des  Reiches  Polen  steht  und  seine  Gnade 
-väterlich  anbietet,  mit  offenen  Armen,  wie  man  zu  sagen 
pflegt,   aufnimmt  und  das  Wüten  und  Toben  des  Satan 


250  Theodor  Wotschke. 

verachtet     Dies  zu  erzielen,    wollen   wir  keinen  Eifer, 
nichts,  was  wir  vermögen,  missen  lassen". 

Das  Schreiben  an  den  König  hatte  folgenden  Wortlaut: 
„Durchlauchtigster     König,     gnädigster     Herr     und 
teuerster  Bruder!  Von  vielen  angesehenen  Männern  Gross- 
und Kleinpolens  ist  mir  mitgeteilt  worden,  dass  einer  der 
ersten  Führer  der  Kirche  Christi,   Francesco  Lismanino, 
durch  ein  Dekret  E.  M.  aus  Polen  verwiesen  sei  besonders 
aus  dem  Grunde,    weil  er  einer  der  eifrigsten  Verehrer 
und  Verteidiger  des  wahren  Glaubens  ist  Diese  Ächtung 
schrieben    sie    nicht    sowohl    einem  Unwillen    der  Kön~ 
Majestät  wider  diesen  Mann  zu,   als  jenen,  welche  die  in 
Polen   auflebende  Kirche   mit  ihrem  Hass  verfolgen.    Ja 
sie  sind  überzeugt,  dass  Kön.  Maj.  ein  frommer  Anhänger 
der  rechtgläubigen  Lehre   von  Christo  sei   und  fromme 
Lehrer  nicht  verurteilt  sehen  möchte.    Deshalb  meinen 
sie,   dass  jenes   Edikt  E.  K.  M.   von   denen,   die  jenem 
Manne  nicht  wohl  wollen,  abgezwungen  sei,  was  ich  um 
so  lieber  hörte,  als  ich  an  E.  K.  M.  Glauben  nicht  zweifele. 
In  Mitleid  über  das  Los  jenes  Lismanino  und  in  christ- 
licher Liebe  schreibe  ich  für  jenen  diesen  Brief  und  bitte 
E.  K.  M.  untertänigst  und  inständig,  diesen  angesehenen 
Mann  von  der  Acht  zu  befreien  und  in  die  königliche 
Gunst  wieder  aufzunehmen.    Zu  beklagen  wäre  es  schon, 
wenn  einer  ohne  das  gesetzliche  Verhör,  noch  mehr  wenn? 
er,  ohne  überführt  zu  sein,  verurteilt  würde.    Gewiss  sind 
E.   K.   M.   durch   die   Machenschaften    derer,    denen   die 
Wahrheit  des  Evangeliums  verhasst  ist,  bestimmt  worden, 
da  E.  K.  M.  es  sich  angelegentlichst  zur  Gewohnheit  ge- 
macht haben,  dem  Beispiel  jenes  Königs  Alexander  des 
Grossen   zu   folgen   und   das   eine  Ohr  dem  Kläger,  das 
andere   dem  Beklagten   zu  leihen.    Daher  bin  ich  über- 
zeugt, dass  diese  Gnade  auch  dem  Lismanino  nicht  ver- 
schlossen sein  wird.    Wenn  nämlich  dies  recht  und  billig- 
ist in  Fragen  des  Privats-  und  des  Staatsrechts,  wie  viel 
jnehr  dort,  wo  es  sich  um  die  Ehre  Christi  und  das  Heil 
der  Seelen  handelt.    Endlich  wissen  E.  K.  M.  aus  Zeug- 
nissen der  Schrift,  dass  mächtige  Könige  und  Fürsten  von: 


Francesco  Lismanino.  251. 

Gott  an  die  Spitze  grosser  Staaten  gestellt  sind  und  durch 
göttliche  Vorsehung    in   diesen  letzten  Zeiten   der   Welt 
bewahrt  werden,  dass  sie  der  Kirche  Christi,  die  hier  und 
da    einer    harten    Knechtschaft    unterworfen    ist,   Wohn- 
sitze   bieten,    sie    selbst   aber,    Konige    und   Königinnen, 
hre  Nährväter    und   Nährmütter    seien.     Deshalb    hoffe 
ich   umso   zuversichtlicher,   E.  K.   M.  werden  nicht   ge- 
statten, Glieder  Christi  zu  schädigen,  wie  die  es  tun,  welche 
nicht  allein  den  nahenden  und  anklopfenden  Christus  nicht 
aufnehmen,  den  Segen  bringenden  nicht  umfassen,  sondern 
wider   ihn  wüten,  für  die  Kirchen  nicht  sorgen,  das  Ein- 
jtreten  für  sie  als  ihrer  unwürdig  ansehen  und  höher  als. 
<las  Ewige  das  Vergängliche  achten.    Dass  E.  K.  M.  dies. 
fern   liegt,   freut  mich,   und  ich   bitte  Gott,  den  Ewigen, 
in  heissem  Flehen,  E.  K.  M.  in   dieser  Gesinnung  zu  er- 
halten. Einen  klaren  Erweis  hierfür  werden  Sie  geben,  wenn 
Sie  die,  welche  Gott  zur  Erbauung,  zur  Verbreitung  und 
zur  Förderung  seiner  Kirche  erweckt,  beschützen,  sie  nicht 
auf  Grund  einer  versteckten  Einflüsterung  ungehört  und 
unüberführt   ächten   und  verurteilen  lassen  würden.    Ich 
habe   hier  die   beste  Hoffnung,   so  dass  ich  diese  meine 
Bitte  für  den  berühmten  Diener  Christi  Francesco  Lisma- 
nino für  nicht  vergeblich  ansehe  und  E.  K.  Majestät  nicht 
für  unwillig  halte,  dass  ich  im  Eifer  christlicher  Liebe  die 
Unschuld   dieses   guten   Mannes   verteidige.    Auf  Grund 
des  Gebotes  Christi  meine  ich  hierzu  verpflichtet  zu  sein; 
auch  E.  K.  M.  werden  ihm,  wie  ich  glaube,  gnädiger  ge- 
sinnt sein,  wenn  Sie  der  gehorsamen  und  eifrigen  Dienste,, 
welche   jener  Lismanino   mit  aller  seiner  Kraft  E.  K.  M. 
erlauchtesten  Mutter  treu  erwiesen  hat,  sich  erinnern.    Auch 
bei  E.  K.  M.  scheint  er  in  nicht  geringer  Gunst  gestanden 
zu  haben.    Deshalb  bitte  ich  E.  K.  M.  wieder  und  immer 
wieder,  die  Acht  aufzuheben,  oder  wenn  dies  nicht  tunlich 
ist,   sie  für  die  Zeit  wenigstens   zu,  suspendieren,  damit 
jener  treffliche  Mann  seine  Unschuld  beweisen  und  sicher 
in  E.  K.  M.  Lande  leben  kann.    E.  K.  M.  werden  dafür  bei 
ihren   Untertanen  Beifall,   bei   den   auswärtigen  Völkern, 
welche   den  Namen  Christi   bekennen,  Ruhm   und  Ehre 


~2$2  Theodor  Wotschkc. 

ernten.  In  der  zukünftigen  Welt  werden  Sie  mit  den  frommen 
Vätern,  und  allen,  welche  um  die  Erbauung  der  Kirche 
sich  gemüht  und  furchtlos  Christum  vor  der  Welt  bekannt 
haben,  grossen  Lohn  empfangen.  Ich  aber  werde  durch 
ständigen  Eifer  und  Dienstbeflissenheit  jeder  Art  gegen 
E.  K.  Majestät  dies  zu  verdienen  suchen.  Königsberg, 
<len  13.  Nov.  1556"  x). 

In  den  beiden  letzten  Monaten  des  Jahres  1556  lebte 
Lismanino  verborgen  in  Iwanowice  drei  Meilen  von 
Krakau  im  Hause  der  frommen  Agnes  Dluska,  deren 
Söhne  in  Zürich  unter  seiner  Leitung  studiert  hatten. 
Sein  und  seiner  Freunde  Hoffnung  auf  eine  baldige  Auf- 
hebung der  Acht  sollte  nicht  in  Erfüllung  gehen,  aber  es 
scheint,  dass  das  allgemeine  Eintreten  der  evangelischen 
Herren  für  ihn  eine  Vollstreckung  der  Acht  nicht  mehr 
befürchten  liess  und  so  seine  Lage  gleichwohl  eine  ge- 
sichertere wurde.  Nur  so  können  wir  es  verstehen,  dass 
auf  dem  Colloquium  zu  Chrencice  im  Hause  Philipowskis 
für  den  28.  Dezember  ein  Konvent  in  Lismaninos  Wohn- 
ort Iwanowice  in  Aussicht  genommen  wurde,  zu  dem  man 
auch,  freilich  vergebens,  Johann  Laski2),  der  seit  einigen 
Tagen  auf  Schloss  Rabstein  bei  Johann  Bonar  weilte, 
erwartete.  Es  war  das  erste  Mal,  dass  Lismanino  sich  in 
der  Mitte  der  kleinpolnischen  Geistlichen  sah,  einige  lernte 


x)  Aus  dem  Königlichen  Staatsarchiv  in  Königsberg. 

*)  Laski  an  die  Züricher  Geistlichen,  Breslau,  den  28.  November 
1556.  „Lismaninus  recte  valet  causamque  eius  publice  coram  rege 
adversus  episcopos  actam  esse  iam  puto.  Tot  enim  patronos  habet, 
ut  non  dubitem  Uli  fuisse  liberum  publice  et  libere  causam  suam 
agere.  Sed  rei  successum  nondum  audire  potuL"  O.  C.  XVI N.,  2555. 
Vergleiche  auch  aus  einem  Schreiben  des  Adelnauer  Starosten  Martin 
Zborowski  Warschau,  den  12.  Dezember  an  Herzog  Albrecht. 
„Allatae  nunc  erant  literae  m»*e  Cls«"«  Vr«  ex  quibus  intellexi 
Franciscum  Lismaninum  ad  religionis  verae  christianae  fidei  venturum 
seu  declinatum,  ut  illi  ad  S.  R.  M*«»  quodam  iuvamine  essem.  Non 
praetermittam,  quin  illi  nostro  iuvamine  interessem,  attamen  cum  ad 
religionis  disputandi  principium  venerit,  aliquoties  de  illo  S.  R.  M*  signi- 
ficaveram  ac  literas  intercessorias  scripseram,  non  tantum  S.  R.  M* 
verum  etiam  magnifico  castellano  Cracoviensi  a  Tarnow,  qui  etiam 
pollicitus  est  illi  coram  R.  Mtc  iuvamine  esse". 


Francesco  Lismanino.  25$ 

er  jetzt  erst  kennen,  vor  allem  machte  er  die  Bekannt- 
schaft des  Brüdergeistlichen  Georg  Israel.  Nach  den 
kurzen  Verhandlungen,  die  am  Abend  des  28.  Dezember 
durch  die  Nachricht  von  der  Erkrankung  Laskis,  zu  dem 
die  Kleinpolen  alsbald  eilten,  einen  jähen  Abbruch  fanden, 
besuchte  Israel  Lismanino,  und  in  angeregter  Unterhaltung 
besprachen  sie  verschiedene  Fragen.  Lismanino  erzählte 
von  seinem  theologischen  Entwicklungsgang  und  von  den 
Eindrücken,  die  er  vor  drei  Jahren  in  Prerau  er- 
halten. Da  Israel  den  Massstab  der  geförderten  Brüder- 
gemeinden an  die  Kleinpolen  anlegte  und  deshalb  von 
den  kleinpolnischen  Verhältnissen  wenig  befriedigt  war, 
entschuldigte  Lismanino  die  Geistlichen.  Sie  hätten  den  red- 
lichsten Willen,  aber  ihre  geistliche  Erkenntnis  sei  nicht  sehr 
tief,  ihr  Verständnis  der  Schrift  noch  unzureichend  und  ihre 
praktische  Vorbildung  für  das  Amt  mangelhaft  Auch  des 
Superintendenten  Cruciger  theologische  Bildung  sei  lücken- 
haft, dazu  fehle  ihm  die  so  notwendige  Gabe  der  Leitung. 
Er  nicht  minder  wie  die  Geistlichen  brauchten  einen  tüch- 
tigen Lehrer,  daran  knüpfte  er  die  Mahnung,  Israel  möchte 
in  Iwanowice  bleiben  und  den  kleinpolnischen  Geistlichen 
der  ersehnte  Lehrer  werden1).  Gewiss  wird  Israel,  dem 
wir  den  Bericht  über  dies  Gespräch  verdanken,  zu  viel 
aus  den  Worten  Lismaninos  herausgehört  haben,  denn 
sollte  dieser  so  ganz  von  sich  und  Laski  haben  absehen 
können,  dass  er  Israel  den  Kleinpolen  zum  Lehrer 
wünschte?  Sein  Brief  an  die  Pinczower  Aprilsynode  des 
Jahres  1556  wie  seine  ganze  fernere  Stellung  zeigt,  dass 
er  keineswegs  für  die  Brüder  so  eingenommen  war,  viel- 
mehr den  Schweizer  Lehrtypus  in  Kleinpolen  zur  Geltung 
bringen  wollte. 

Nur  in  den  Abendstunden  des  28.  Dezember  weilten 
Lismanino  und  Israel  im  Hause  der  Edelfrau  Dluska  zu- 
sammen, da  dieser  die  Einladung  zu  fernerem  Bleiben 
ablehnen  und  im  Auftrage  der  Senioren  zu  den  Brüder- 
gemeinden nach  Preussen  reisen  musste.    Über  Secymin 

*)  Herrenhuter  Brüderarchiv.  Lissaer  Handschriften  Foliant  X„ 
Blatt  24. 


t254  Theodor  Wotschke. 

ging  er  nach  Petrikau.  Hier  schloss  er  sich  am  i.  Januar 
Krakauer  Fuhrleuten  an  und  traf  mit  diesen  am  6.  Januar 
in  Thorn  ein.  Dort  blieb  er  vier  Tage  und  konferierte 
mit  den  Brüdern  Philipenski  und  Studenski,  mit  Marchek 
und  Rokyta,  dann  folgte  er  den  Bitten  Mucheks  nach 
Soldau,  wo  seit  den  Dezembertagen  Vergerio  weilte l),  um 
dem  Warschauer  Reichstage  nahe  zu  sein.  Wir  können 
uns  denken,  welch  Interesse  dieser  an  dem  hervorragen- 
den Brüdergeistlichen  fand,  wie  er  am  13.  und  14.  Januar 
nicht  nur  von  den  Brüdern,  von  ihrer  Geschichte  und 
Verfassung  sich  erzählen  Hess,  sondern  ihn  auch  über 
Lismanino  ausfragte.  Hoffte  er  doch  schon  in  der  nächsten 
Woche  ihn  wiederzusehen,  auch  hatte  er  bereits  nach 
Königsberg  um  Briefe  für  Lismanino  an  die  evangelischen 
Magnaten  geschrieben.  Am  16.  des  Monats  sandte  sie  Herzog 
Albrecht  ab,  damit  sie  Vergerio  mit  nach  Krakau  und  Gross- 
polen nehmen  könnte;  sie  waren  an  den  Krakauer  Palatin 
Grafen  Stanislaus  von  Tenczin,  den  Grafen  von  Tarnow,  an 
die  Brüder  Jakob  und  Stanislaus  Ostrorog,  an  den  Rogasener 
Starosten  und  Erbherren  von  Tomice  Johann  Tomicki,  an 
den  Kalischer  Palatin  und  Adelnauer  Starosten  Martin  Zbo- 
rowski  und  an  die  beiden  Kanzlerjohann  Oczieski  und 
Przerembski  gerichtet  und  hatten  den  gleichen  Wortlaut: 
„Grossmächtiger  und  Hochgeborener,  lieber  Freund ! 
Es  ist  uns  berichtet,  dass  der  durch  Frömmigkeit  und 
Bildung  ausgezeichnete  Francesco  Lismanino  wegen  seines 
Bekenntnisses  zur  evangelischen  Wahrheit  durch  den 
Hass  und  die  Missgunst  einiger,  die  ihn  bei  der  Königl. 
Majestät  verdächtigt  haben,  in  Polen  geächtet  sei.  Da 
christliche  Frömmigkeit,  Angefochtenen  zu  helfen,  gebietet 
müssen  wir  diesen  unschuldigen  trefflichen  Mann  zu 
schützen  suchen.  Wir  haben  deshalb  an  Kön.  Maj.  ge- 
schrieben und  sie  gebeten,  den  Mann,  der  nicht  gehört, 
viel  weniger  überführt  ist,  der  Acht  gnädig  zu  entheben 
oder  sie  wenigstens  für  gewisse  Zeit  zu  suspendieren, 
dass  er  seine  Unschuld  zeigen  könne.  Um  S.  K.  M.  Herz 
zu  erweichen,  glauben  wir  die  Unterstützung  und  das 
Ansehen    Euer   Grossmächtigkeit    und    einiger  Räte  des 


Francesco  Lismanino.  255 

Reichs  mit  unseren  Bitten  vereinigen  zu  müssen.  Wenn 
daher  E.  Grossm.  irgendwie  uns  gewogen  ist,  oder  die 
-.Kirche  Christi  zu  bauen  sich  schon  bemüht  haben,  so 
bitten  wir  Sie  dringend  zum  Segen  und  Dank  der  Herde 
Christi  für  diesen  Lismanino,  Ihren  Bruder,  bei  S.  K.  M. 
Fürsprache  einzulegen  und  zu  helfen,  dass  Christus,  der  an 
Polens  Tür  geklopft,  mit  offenen  Armen  aufgenommen 
werde,  den  Trug  und  das  Toben  des  Satan,  jenen  zu  ver- 
drängen, aber  unschädlich  zu  machen,  ohne  Scheu  vor  den 
Verfolgungen  und  Anfeindungen,  welche  meistens  das 
Loos  der  Verteidiger  der  Ehre  Gottes  sind.  Euer  Gross- 
mächtigkeit ist  nicht  verborgen,  was  die  Christo  schuldig 
sind,  welche  seinen  Namen  bekennen.  Wenn  in  bürger- 
lichen und  weltlichen  Dingen  wir  keine  Arbeit  scheuen 
und  uns  Sorgen  und  Mühen  machen,  wie  viel  mehr  sind 
wir  es  Christo  und  dem  Glauben  schuldig;  und  da- 
raus fliesst  kein  ungewisser  und  vergänglicher  Vorteil, 
sondern  ewige  Belohnung  in  der  künftigen  Welt  Aus- 
führlicher würden  wir  noch  schreiben,  wäre  uns  E.  Grossm. 
Frömmigkeit  nicht  bekannt.  Daher  haben  wir  das  Ver- 
trauen, Euer  Grossm.  werden  auf  Grund  des  Gebotes 
Christi  und  unserer  Bitten  bei  der  Königl.  Maj.  alles  ver- 
suchen, dass  genannter  Lismanino  seine  Freiheit  wieder 
erhalte,  in  Polen  sicher  und  unangefochten  leben  und  mit 
seinen  Gaben  den  heilsdürstenden  Seelen  dienen  oder 
wenigstens  seine  Unschuld  dartun  könne.  Eure  Grossm. 
wird  dies  Werk  der  Barmherzigkeit,  das  Gott  genehm 
ist  und  Ihr  und  Ihren  Nachkommen  bei  der  ganzen 
Christenheit  unsterblichen  Ruhm  erwirbt,  ausführen;  wir 
aber  werden  durch  besondere  Zuneigung  und  Liebe  E. 
Grossm.  es  entgelten.  Königsberg,  den  16.  Januar  i557al). 

*)  Am  20.  November  hatte  Albrecht  an  Nikolaus  Radziwill  ge- 
schrieben: „Intelleximus  tarn  ex  d.  Vergerio,  quam  litteris  quoque 
Ultis  V***,  quo  consilio  addueta  cupiat  a  nobis  eundem  Vcrgerium 
in  castellanum  quoddam  ditionis  nostrae  ducatui  Mazoviae  finitimum 
mitti,  quod  nos  pro  honore  divino  et  ecclesiae  Christi  salute  non 
gravatim  facturi  sumus.  Constituimus  itaque  eum  Soldavium  mittere 
atque  ipsi  volente  deo  nos  eo  conferre.  Is  autem  locus  a  Varsovia 
innere  tridui  saltem  distat". 


256  Theodor  Wotschkc. 

An  Lismanino  scheint  der  Herzog  keinen  Brief  mit- 
gegeben zu  haben,  aber  mündlich  konnte  Vergerio  ihm 
berichten,  welchen  Anteil  Albrecht  an  seiner  Lage  nähme,, 
und  wie  gern  er  ihm  in  seinem  Lande  eine  Zufluchts- 
stätte gewähren  würde.  In  Krakau  im  Hause  Johann 
Bonars2),  vielleicht  auch  im  nahen  Iwanowice  sahen 
sich  Anfang  Februar  die  beiden  wieder;  eine  wehmütige 
Begegnimg  nach  den  erwartungsfrohen  Tagen  von  Basel 
und  Stuttgart  Dem  hoffnungsvollen  Ausblick,  mit  dem 
sie  damals  in  die  Zukunft  schauten,  war  Enttäuschung 
auf  Enttäuschimg  gefolgt,  statt  des  erträumten  grossen 
Wirkungskreises  hatte  Lismanino  Acht  und  Verfolgung^ 
gefunden.  Es  wäre  Undank  gewesen,  hätte  er  seinen 
Landsmann,  der  in  Königsberg  und  Wilna  nach  Kräften 
für  ihn  gewirkt  hatte,  nicht  von  ganzem  Herzen  will- 
kommen geheissen  und  ihn  vor  den  kleinpolnischen 
Herren  gerühmt  als  treuen  Freund  und  tapferen  Streiter 
Christi.  Laski  freilich  und  sein  Famulus  Utenhove  sahen 
mit  Ärger  und  Verdruss  auf  ihre  herzlichen  Beziehungen 
und  wollten  sich  Lismaninos  Freundschaft  zu  dem 
Lutheraner  Vergerio  nur  daraus  erklären,  dass  dieser 
ihm  gegenüber  mit  seiner  wahren  Ansicht  über  das 
heilige  Abendmahl  zurückgehalten  habe8). 

Nach  einiger  Zeit  verliess  vielleicht  auf  Grund  eines 
Beschlusses  der  Predigerversammlung  zu  Chrencice  am 
9.  März  1557,  die  ihre  Verpflichtung,  für  den  Geächteten 

*)  Aus  dem  Königlichen  Staatsarchiv  in  Königsberg. 

*)  Am  19.  Februar  schreibt  das  Krakauer  Kapitel  seinem 
Bischof:  „confluxerunt  nunc  huc  ad  nos  omnes  passim  novatores  et 
haeretici  habentes  secum  quosdam  Vergerios,  Joannem  Laski  et  alios 
eius  farinae  homines,  qui  in  domo  D*1  Biecensis  conciliabula  sua 
peragunt".  Hosius  berichtet  dem  Legaten  Lipomani  (II,  1724)  ,venit 
manipulus  haereticorum  Cracoviam,  duo  Vergerii  fratres,  Joannes 
a  L&sko,  Carolus  Utenhovius  tum  et  Lismaninus". 

8)  In  seinem  Briefe  an  Calvin  (Krakau,  den  19.  Februar  1557) 
erwähnt  Utcnhovcn  Lismanino  und  Vergerio  mit  keinem  Worte.  In. 
der  Nachschrift  zum  Briefe  seines  Famulus  mag  Laski  bei  den  „falsL 
fratres"  in  augenblicklicher  Verstimmung  auch  an  Lismanino  gedacht 
haben.  Wie  unwillig  Utenhovcn  über  Lismaninos  Freundschaft  mit 
Vergerio   war,   zeigt  sein  Brief  an  Bullinger,    von    dem  dieser  ihm 


Francesco  Lismanino.  257 

zu  sorgen,  anerkannte1),  Lismanino  Iwanowice  und  begab 
sich  zu  Herrn  Lasocki  nach  Pelznica;  hier  suchte  ihn 
Petrus  Statorius  auf,  der  mit  Briefen  und  Büchern  aus  der 
Schweiz  gekommen  war2),  aber  sein  Lehramt  wegen 
Kränklichkeit  nicht  antreten  konnte,  hier  in  Pelznica  nahm 
Lismanino  an  dem  Konvente  teil,  welcher  am  10.  Mai  im  Hause 
seines  Gastfreundes  stattfand  und  der  ihm  die  Kosten 
der  Berufung  des  Statorius  in  Höhe  von  32  Gulden  zu 
erstatten  versprach.  Hier  erhielt  er  am  Abend  des  15. 
Juni  auch  den  Besuch  der  Brüderboten  Wenzel  Cech 
und  Johann  Lorenz,  welche  am  8.  Juni  von  den  Senioren 
in  Prerau  zur  Synode  nach  Wlodzislaw  abgeordert  waren 
und  zwei  Tage  nach  ihrem  Beginn  auf  ihr  eintrafen 
Lismaninos  Aufenthalt  in  Prerau  bot  einen  willkommenen 
Anknüpfungspunkt  für  das  Gespräch,  zuletzt  erzählte  er  den 
Brüdern  von  seiner  Ächtung  und  den  mit  ihr  verbundenen 
Leiden  und  überreichte  ihnen  schliesslich  sein  Glaubens- 
bekenntnis zur  Beurteilung.  „Sie  möchten  Irriges  und 
Ueberflüssiges  ausstreichen,  was  fehlt  beifügen,  Schlechtes 
verbessern  und  das  Verbesserte  ihm  wieder  zustellen. 
Auch  ihren  Namen  und  ihren  calculum  möchten  sie  dar- 
zugeben und  unterschreiben,  wie  auch  die  übrigen  getan; 
er  würde  das  gern  und  dankbar  annehmen418).  Am 
folgenden  Tage  liess  er  sie  allein  nach  dem  nahen  Wlo- 
dzislaw ziehen  und  nahm  an  der  Synode,  die  am  18.  ge- 
schlossen wurde,  nicht  teil,  aber  unmittelbar  darauf  sehen 


am  24.  Juni  1558  durch  Lelio  Sozini  eine  Abschrift  nach  Krakau 
zurücksandte,  als  Vergerio  zu  seiner  Rechtfertigung  gegen  die  wieder 
ihn  erhobenen  Verdächtigungen  jenes  bekannte  ausführliche  Schreiben 
vom  j.  Januar  1558  an  Stanislaus  Ostrorog  gerichtet  hatte.  Vergl. 
Ecclesiae  Londino-Batavae  Archivum  II  Cantabrigiae  1889.    S.  91. 

*)  Dalton:  Lasciana.    S.  430. 

*)  Nachdem  Lismanino  in  seinem  Schreiben  an  Calvin  vom 
15.  April  1556  diesen  gebeten  hatte,  Statorius  nach  Polen  zu  senden, 
war  dieser  nach  einigem  Zögern  auf  Calvins  Drängen  nach  Polen  auf- 
gebrochen. Aber  da  in  Zürich  Lismaninos  Gattin  Claudia  und  der  Geld- 
wechsler Pellizarius  nur  auf  eine  schriftliche  Anweisung  Lismaninos 
hin  ihm  Geld  zur  Reise  geben  wollten,  unterbrach  er  dieselbe  Anfang 
Juli  1556.   Vergl.  seinen  Brief  an  Calvin  vom  10.  Juli,  O.  C.  XVI,  N.  2436. 

*)  Herrenhuter  Brüderarchiv.    Lissaer  Folianten    X,  Bl.  97  b. 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XVIII.  17 


258  Theodor  Wotschke. 

wir  ihn  mit  Laski,  Cruciger  und  anderen  kleinpoinischen 
Geistlichen  zusammen  kommen  und  seine  Lage  beraten 
Da  sie  nicht  mehr  hofften,  dass  der  König  in  nächster 
Zeit  in  Gegensatz  zu  den  Bischöfen  treten  und  die  Acht 
aufheben  würde,  hielten  sie  es  für  das  Beste,  wenn  Lis- 
manino  für  einige  Zeit  Polen  verliesse.  Der  König  selbst 
scheint  in  einem  vertraulichen  Briefe  an  Lismanino  dies 
empfohlen  zu  haben.  Den  Gedanken  nach  Königsberg 
zu  gehen,  gab  er  in  Uebereinstimmung  mit  seinen  Freunden 
auf,  schickte  aber  dem  Herzog  Albrecht  zum  Erweis  seiner 
Dankbarkeit  einige  Predigten  und  folgendes  Schreiben: 
„Da  Deine  Hoheit  mir  soviel  Beweise  von  Huld 
und  Güte  gegeben  haben,  wie  der  Brief  zeigt,  den 
Deine  Hoheit  an  mich  zu  richten  geruht  haben,  und  die 
Worte  des  bekannten  Pietro  Paolo  Vergerio,  so  würde 
ich  undankbar  sein,  nicht  bloss  schwach  und  unhöflich, 
wollte  ich  bei  meinem  Weggange  aus  Polen  nach  der 
Schweiz  solche  Gnade,  Güte  und  Huld  D.  H.  gegen  mich 
mit  Schweigen  übergehen.  Nichts,  was  meine  Pflicht  und 
Schuldigkeit  ist  und  von  mir  erwartet  werden  darf,  will 
ich  versäumen.  Kann  ich  auch  mit  allem  meinen  Dank 
D.  H.  Gnade  nicht  gut  machen,  so  brennt  doch  in  mir 
die  Glut  der  Dankbarkeit;  je  weniger  ich  sie  durch  Worte 
zum  Ausdruck  bringen  kann,  um  so  mehr  brennt  das 
innere  Feuer,  das  D.  H.  gewiss  nicht  weniger  angenehm 
ist,  als  wenn  es  in  einem  grossen  Wortschwall  sich  er- 
giessen  würde.  Dass  D.  H.  in  Sachen  meiner  Acht  aus 
freien  Stücken  so  gütig  und  freundlich  bei  der  Königl. 
Majestät  und  den  ersten  Magnaten  Polens  sich  zu  ver- 
wenden geruht  haben,  erkenne  ich  dankbar  an  und 
wünsche,  dass  der  Himmel  mir  Gelegenheit  gebe,  diese 
dankbare  Gesinnung  durch  einen  Dienst  zu  bezeugen. 
Nicht  wirkungslos  sind  Deiner  Erlauchten  Hoheit  Briefe 
gewesen  und  nicht  ohne  Frucht;  ist  diese  bis  jetzt  auch 
noch  nicht  an  den  Tag  getreten,  so  hoffe  ich  doch  zu- 
versichtlich, dass  sie  zur  Ehre  Gottes  bald  zur  Erschei- 
nung kommen  wird.  So  pflegt  der  allweise  Schöpfer  und 
Regierer  alles  zu  seiner  Zeit  wider  alles  menschliche  Er- 


Francesco  Lismanino.  259 

warten  zu  seiner  Ehre  und  zum  Heile  der  Seinen  zu 
lenken.  Da  ich,  um  S.  Königl.  Maj.  zu  gehorchen,  zum 
Wanderstab  greifen  muss  und  Paolo  Vergerio  im  Namen 
Deiner  Hoheit  an  Deiner  Hoheit  Hofe  gastliche  Aufnahme 
und  sichere  Zuflucht  mir  mehr  als  einmal  angeboten  hat, 
dachte  ich,  die  Gnade  und  Güte  eines  so  freundlichen 
Fürsten  anzunehmen;  schätze,  verehre,  bewundere  ich 
doch  seine  herrlichen  Geistesgaben  so,  dass  mir  nichts 
erwünschter  sein  kann,  als  bei  ihm  den  Rest  meiner  Tage 
zuzubringen.  Aber  dem  Drucke  der  Not  musste  auch  der 
Widerstrebende  gehorchen,  wiewohl  sein  Herz  Deiner 
Hoheit  Huld  zu  geniessen  ersehnte.  Sollten  jedoch  D.  H. 
meine  Arbeit  in  irgend  einer  Beziehung  brauchen,  so  mögen 
Sie  es  mir  schriftlich  anzeigen,  mit  Zurücksetzung  von  allem, 
das  mich  fernhalten  könnte,  werde  ich  sobald  wie  möglich 
D.  H.  gnädigem  Willen  gehorchen.  Neulich  fielen  mir 
einige  Predigten  eines,  wie  ich  urteile,  hochgelehrten  und 
mit  den  Gaben  des  heiligen  Geistes  gesegneten  Mannes 
in  die  Hände.  Da  sie  nach  Inhalt  und  Form  einem  Fürsten 
wohl  gefallen  können,  schicke  ich  sie D.  E.H.  um  so  lieber,  als 
ich  weiss,  dass  solche  Schriften  Ihr  von  allen,  welche 
Frömmigkeit  und  wahren  Glauben  atmen,  am  liebsten 
sind.  Sollte  dieses  Schriftchen,  das  ich  mit  aufrichtigem 
Herzen  sende,  D.  E.  H.  gefallen,  so  werde  ich  mich  be- 
mühen, dass  Sie  von  derselben  Feder  bald  noch  mehr 
Homilien  erhalte.  Aus  der  Verborgenheit,  den  20.  Juni  1557.* 
Für  die  Schweizer  Theologen  erhielt  Lismanino  nicht 
nur  verschiedene  Schreiben  eingehändigt,  so  einen  Brief 
Crucigers1)  und  Utenhovens2),  sondern  auch  den  münd- 

1)  Er  war  an  Calvin  gerichtet  und  ist  verloren  gegangen.  Cal- 
vins Antwort  findet  sich  O.  C.  XVI,  N.  2745. 

2)  Er  ist  datiert  Wlodzislaw,  den  23.  Juni  1557.  „Reliqua  ex 
Lismanino  facile  cognoscetis,  cuius  fata  sie  ferunt,  ut  aliquamdiu 
adhuc  peregrinari  ab  hoc  regno  cogatur  nulla  sane  culpa  sua,  sed 
Satanac  et  adversariorum  Christi  nimia  rabie,  quam  xrcx  omni  ex 
parte  sustinere  nequit.  Ipse  interim  summam  erga  D.  Lismaninum, 
quem  interea  ad  vestram  ecclesiam  prae  omnibus  totius  Germaniae 
ecclesiis  cupit  divertcre,  semper  dcclaravit  ac  etiam  nunc  declarat 
benevolentiam.«    O.  C.  XVI,  N.  2652. 

17* 


260  Theodor  Wotschke. 

«liehen  Auftrag,  über  die  Union  mit  den  böhmischen  Brü- 
dern, der  Laski  widerstrebte,  von  neuem  zu  konferieren. 
Ende  Juni  brach  er  von  Pelznica  auf;  da  der  Sommer  ein 
bequemes  Reisen  ermöglichte,  ihn  auch  nichts  zu  beson- 
derer Eile  trieb,   beschloss  er  den  weiten  Umweg  über 
Wittenberg  nicht  zu  scheuen,   um   Philipp  Melanchthon 
kennen  zu  lernen.    Er  wählte  nicht  den  Weg  über  Breslau,, 
den   Laski  vor  acht   Monaten   gekommen  war,   sondern, 
durch   Grosspolen,   um    hier  die   Edelleute   aufzusuchen, 
welche  Herzog  Albrecht  durch  seinen  Brief  vom  16.  Januar 
und  durch  Vergerio  im  März  für  ihn  erwärmt,  bei  denen 
auch   Lutomirski    in   den   vergangenen  Monaten   für  ihn 
[  Geld  zur  Reise  nach  der  Schweiz  gesammelt  hatte1).  Im 
Juli  durchreiste  er  die  Provinz  Posen,  als  ihm   plötzlich 
die  Nachricht  wurde,  dass  der  König  die  Acht  suspen- 
diert habe.  Mit  dem  Königlichen  Mandate  hierüber  wurden 
ihm  neue  Briefe  für  die  Schweizer  von  Utenhoven  u.  s.  w. 
überreicht2).    Unfern  Buk  in  Tomice  auf  dem  Erbgute  des 
Rogasener  Starosten  Johann  Tomicki  rastete  er  einige  Tage ; 
hier  fand  ihn  der  Schlossherr,  als  er  am  5.  August  von  einer 
Reise  heimkehrte.  Gerne  gewährte  er  dem  Glaubensbruder 
Gastfreundschaft.     Lismanino   nahm   sie  dankbar  an  und 
blieb  in  Tomice,   auch  als  Stanislaus  Ostrorog  aus  Grätz 
herüber   kam   und   ihm   auf   seinen  Gütern    in  Neustadt, 

1)  Im  Brüderbericht  Ober  die  Synode  zu  Wlodzislaw  heisst 
es :  „Mit  Felix  wurde  besonders  über  Lutomirski  gesprochen,  warum 
und  ob  mit  ihrem  Willen  er  von  den  Herren  in  Grosspolen  Geld 
gebettelt  hätte.  Er  antwortete,  mit  ihrem  Willen  habe  er  zu  keinem 
anderen  Bedürfnis  gesammelt,  als  zur  Reiseunterstützung  des  Doktor 
Lismanino,  der  nach  Zürich  reisen  soll,  da  er  von  dem  Könige  aus- 
gewiesen ist  Hier  wurde  ihm  gesagt,  dass  sie  da  eine  grosse  und 
für  sie  und  für  die  Herren  gefährliche  Sache  auf  sich  genommen 
hätten.  Sie  hätten  das  ohne  Wissen  der  Brüder  nicht  tun  sollen. 
Er  bekannte  sich  schuldig  und  versprach  es  nicht  wieder  zu  tun.* 
Herrenhuter  Archiv.    Foliant  X,  Bl.  100. 

2)  Deshalb  widersprachen   sich   in   Bezug  auf  Lismaninos  Ge- 
schick die  Briefe,  welche  am  14.  Oktober  in  Genf  überreicht  wurden 
Die  Differenz,  auf  welche  die  Herausgeber  der  Briefe  (O.  C.  XVI,  N.  2745. 
Anm.  3)  hingewiesen  haben,  löst  sich,  sobald  das  verschiedene  Datum 
der  Schreiben  beachtet  wird. 


Francesco  Lismanino.  261 

Birnbaum,  Meseritz  oder  Grätz  einen  Wohnort  anbot.  Nicht 
nur  Dankbarkeit  gegen  Tomicki,  der  ihm  zuerst  Gastfreund- 
schaft erwiesen  hatte,  Hess  ihn  die  Einladung  ablehnen.  Graf 
Stanislaus  Ostrorog  war  überzeugter  Lutheraner  und  durch 
sein  charaktervolles  edles  Wesen,  seine  Dienstwilligkeit  und 
Opferfreudigkeit  für  die  Kirche,  nicht  minder  durch  sein 
politisches  Geschick  und  seine  Familienverbindungen  in 
den  letzten  Jahren  der  Führer  seiner  Glaubensbrüder  in 
Gross-Polen  geworden,  Lismanino  aber  hing  dem  Schweizer^  «yL 
Lehrjtypns  an  und  hatte  in  WlodzSlaw  und  Pelznica  Auf- 
träge erhalten,  die  kleinpolnische  Kirche  noch  fester  mit 
der  schweizer  zu  verknüpfen,  ihre  Union  mit  der  Brüder- 
unität  aber,  deren  Bekenntnis  Luther  gut  geheissen  hatte, 
möglichst  zu  lösen.  Am  8.  August  gab  er  die  empfangenen 
Briefe  zur  Beförderung  nach  der  Schweiz  weiter,  an 
seine  Frau  schrieb  er  nach  Zürich  und  Hess  durch  sie 
den  dortigen  Theologen  einige  Exemplare  der  Brüder- 
konfession, in  denen  er  die  dunklen  ihm  verdächtigen 
Stellen  angemerkt  hatte,  überreichen1).  Vier  Wochen 
später  schickte  er  seinen  Famulus  Stanislaus  Budzinski 
nach  Zürich,  dass  er  seine  Frau  und  sein  Söhnchen  zu 
ihm  nach  Polen  brächte  und  gab  für  BuUinger  folgende 
Zeilen  mit: 

„Die  Apologie  der  Waldenser,  welche  ich  Dir  jetzt 
schicke,  bedarf  der  Verbesserung  und  Prüfung  eurer  Kirchen 
Deshalb  bitte  ich  Dich  und  aUe  Deine  Glaubensbrüder  im 
Namen  aUer  Frommen  hierselbst,  dass  Ihr  ernstlich  uns 
eure  Unterstützung  leiht,  damit  das  Hindernis,  welches 
der  Satan  dem  Ausbau  der  Kirche  in  den  Weg  legt,  be- 
seitigt werden  kann.  Ich  habe  die  Stellen,  welche  der 
Prüfung  bedürfen,  der  Sicherheit  wegen  niedergeschrieben 
und  dem  Stanislaus2)  übergeben.  Die  Anhänger  der  Augs- 
burger Konfession  verwerfen  die  Lehre  der  Waldenser 
auch  gegen  die  Lehre  Laskis  verhalten  sie  sich  ablehnend. 

*)  Auskunft  hierüber  gibt  der  Brief  Tomickis  an  Ccrwcnka  vom 

14.  Sept.  1556.    Hcrrenhuter  Archiv.    Lissaer  Folianten  X,  Bl.  177. 

*)  Die   Herausgeber  der  Briefe  Calvins   denken   fälschlich  an 

Stanislaus  Ostrorog,   es    ist  natürlich  der  Bote  Stanislaus  Budzinski. 


262  Theodor  Wotschkc. 

Laski  wiederum  pflichtet  den  Waldensern  nicht  in  allenr 
bei,  stimmt  auch  nicht  mit  den  Anhängern  der  Augsburger 
Konfession  überein,  wie  aus  dem  Buche  „Purgatio  mini- 
strorum  in  ecclesiis1)  erhellt  Die  Waldenser  aber  werden 
von  ihrem  Bekenntnis  und  ihrer  Apologie  nicht  abgehen, 
falls  nicht  das  Urteil  der  ersten  Theologen  der  Kirche 
Gottes,  gefällt  auf  Grund  des  göttlichen  Wortes,  ihnen  vor- 
gelegt wird.  Zu  ihnen  halten  sich  die  ersten  Magnaten 
und  viele  vom  Adel,  sie  denken  und  leben  so  nach  ihrer 
Regel,  dass  sie  lieber  in  die  Verbannung  gehen  würden, 
als  dass  sie  sich  des  Dienstes  fremder  Geistlichen  bedienten 
Mir  scheint  es  sehr  dienlich  zu  sein,  wenn  sobald  als 
möglich  das  Urteil  eurer  Kirchen  ihnen  vorgelegt  werden 
könnte.  Deshalb  schicke  ich  mehrere  Exemplare  der 
Apologie  und  zwei,  in  denen  auch  die  Konfession  steht 
Tomice,  den  8.  Sept  1557*. 

Von  den  Verhandlungen  der  Pinczower  Synode  vom 
10. — 17.  August  und  von  der  Absicht  der  Kleinpolen,  mit 
den  Brüdern  und  Lutheranern  in  Grosspolen  eine  gemeinsame 
Synode  in  Goluchow  zu  halten,  ward  Lismanino  in  Tomice 
wohl  nicht  nur  durch  den  Brief  Laskis  an  Stanislaus 
Ostrorog  unterrichtet,  durch  seine  Hand  mögen  in  jenen 
Tagen  all  die  Fäden  gegangen  sein,  die  von  Kleinpolen 
aus  gesponnen  wurden,  um  die  Lutheraner  in  der  heutigen 
Provinz  Posen  zur  reformierten  Kirche  hinüberzuziehen. 
Peter  Lanski,  der  nach  Meseritz  zog,  um  dort  sein  Pfarr- 
amt anzutreten,  scheint  ihm  mündliche  Aufträge  gebracht 
zu  haben.  Aus  Prerau  in  Mähren  schrieb  ihm  Lasocki 
von  der  Geneigtheit  der  Böhmen,  zum  15.  Oktober  Ab- 
geordnete nach  Grosspolen  zu  senden2).  Die  geplante 
Synode  kam  nicht  zustande,  als  aber  die  Brüdergesandten 
Georg  Israel,  Paul  Drzewicki,  Joh.  Laurentius  und  Joh. 
Rokyta  Ende  Oktober  und  im  November  die  Gemeinden 
in  Grosspolen  visitierten,  kamen  sie  auch  nach  Tomice  und 


*)  Purgatio  ministrorum  in  ecclesiis  peregrinorum  FrancofortL 
Basileae  1556,  die  Rechtfertigungsschrift  Laskis  über  die  Frankfurter 
Kämpfe. 

2)  Vergl.  den  Brief  Tomickis  an  Czerwenka  vom  14.  Sept.  1557. 


Francesco  Lismanino.  263 

stritten  hier  in  Gegenwart  des  Schlosshern  mit  Lismanino 
in  längerer  Debatte  über  ihre  Apologie.  Lismanino  sagte 
ihnen  frei  heraus,  das  er  ihre  Schriften  zur  Prüfimg  nach 
der  Schweiz  gesandt  hätte,  und  versprach,  die  Antwort 
der  Theologen  ihnen  zugehen  zu  lassen.  Und  als  die 
Brüder  in  ihn  drangen,  ihre  eben  gegebenen  Darlegungen 
und  Erklärungen  der  dunklen  Stellen  in  ihrem  Glaubens- 
bekenntnis gleichfalls  nach  der  Schweiz  zu  senden,  er- 
klärte sich  Lismanino  dazu  bereit,  falls  ihm  die' Brüder 
dieselben  noch  schriftlich  zusenden  würden1). 

Unterdessen  war  Anfang  Oktober  Stanislaus  Bu- 
dzinski  in  Zürich  eingetroffen,  hatte  die  Briefe  an 
Bullinger  und  Joh.  Wolph  abgegeben  und  war  von  diesen 
am  6.  Oktober  mit  dem  Studenten  Albert  Dluski  nach 
Genf  abgeordert  worden2).  Am  14.  traf  er  daselbst  ein 
und  am  24.  antwortete  Calvin  im  Verein  mit  neun  anderen 
Genfer  Pastoren,  am  25.  Bullinger,  am  26.  Pierre  Viret  in 
Lausanne  und  am  28.  Wolfgang  Muskulus  auf  die  Briefe  Lis- 
maninos3).  Sie  weisen  sämtlich  das  Brüderbekenntnis 
zurück,  Bullinger  und  besonders  Calvin  setzen  sich  dabei 
eingehender  mit  der  Lehre  der  Brüder  vom  heiligen  Abend- 
mahl auseinander.  Sie  tadeln  die  undeutliche  Fassung 
des  Lehrstückes,  das  bald  eine  Realpräsenz  des  Leibes 
und  Blutes  Christi  im  Sakrament  anzunehmen  scheine, 
bald  die  Einsetzungsworte  symbolisch  deute. 

An  Stanislaus  Budzinski,  der  die  Gutachten  nach 
Polen  trug  und  unter  vielen  Briefen  auch  ein  Schreiben 
Bullingers  an  Utenhoven  vom  6.  November4)  erhielt, 
schloss  sich  in  Zürich  Lismaninos  Gattin  Claudia  mit 
ihrem  Söhnchen  Paul  an.  Die  Winterzeit  verzögerte  die 
Reise,  so  dass  sie  erst  um  Neujahr  nach  Stuttgart  ge- 
kommen zu  sein  scheinen,  wo  Vergerio  gewiss  ihnen 
seine  Briefe,  an  Georg  Israel  und  Johann  Rokyta  vom  28., 


1)  Einen  Bericht  über  das  Gespräch  zu  Tomicc  gibt  ein  altes 
Manuskript  in  der  Raczynskischen  Bibliothek  zu  Posen. 

2)  O.  C.  XVI,  N.  2730  und  2731. 
2)  O.  C.  XVI,  N.  2744—2747. 

4)  Ecclesiae  Londino-Batavae  Archivum.  Cantabrigiae  1889.  H,  73. 


Kl 


264  Theodor  Wotschke. 

an  die  Brüdergemeinde  in  Soldau  vom  31.  Dezember 
und  an  den  Grafen  Stanislaus  Ostrorog  vom  1.  Januar 
zur  Beförderung  mitgegeben  hat.  In  Tomice  trafen  sie, 
von  Lismanino  sehnsüchtig  erwartet,  erst  Mitte  März  ein. 
Von  den  Büchern,  die  sie  aus  Zürich  mitgebracht  hatten, 
übergab  Lismanino  einige  Schriften  seines  Freundes 
Bernhardino  Ochino  an  den  Posener  Prediger  Eustachius 
Trepka  mit  der  Bitte,  sie  ins  Polnische  zu  übertragen  *). 
Von  seinem  Verkehre  mit  diesem  und  anderen  evan- 
gelischen Pfarrern  der  Provinz  Posen  wissen  wir  leider 
nichts  Näheres,  vermuten  können  wir  nur  aus  ver- 
schiedenen Anzeichen,  dass  er  recht  rege  gewesen  sein 
wird.  Auch  den  Italienern,  die  in  Posen  lebten,  mag 
Lismanino  näher  getreten  sein,  vor  allem  wohl  dem 
genialen  Baumeister  Giovanni  Battista  di  Quadro  und  dem 
Secretär  des  Grafen  Lucas  Gorka  Paolo  Guthzon. 

Als  im  März  Laski  nach  Grosspolen  kam  und  von 
hier  behufs  eines  theologischen  Colloquiums  zu  Herzog 
Albrecht  weiterreiste,  als  auch  Eustachius  Trepka  im 
Auftrage  Stanislaus  Ostrorogs  als  Vertreter  der  gross- 
polnischen lutherischen  Gemeinden  nach  Preussen  eilte, 
hatte  Lismanino  anfangs  die  Absicht,  sich  ihnen  anzu- 
schliessen.  Schon  hatte  Stanislaus  Ostrorog  in  dem 
nahen  Grätz  für  ihn  am  21.  März  einen  Empfehlungsbrief 
geschrieben,  als  ihn  noch  in  letzter  Stunde  eine  Ver- 
schlimmerung in  dem  Befinden  seiner  Frau  den  Plan 
aufgeben  Hess.  Folgenden  Brief  sandte  er  aber  durch 
Trepka  an  den  Herzog. 

„Der  achte  Monat  ist  es  jetzt,  wenn  ich  nicht  irre, 
dass  ich  nach  Deutschlands  linksrheinischen  Gegenden 
zurückwandern  zu  müssen  meinte,  und  damals  gedachte 
ich     Deiner    Erlauchtesten    Hoheit,     welche     in     einem 


l)  In  meiner  Arbeit  über  Eustachius  Trepka  (s.  o.  S.  126) 
habe  ich  es  nur  als  eine  Vermutung  ausgesprochen,  dass  Trepka 
die  Schrift  Ochinos  von  der  päpstlichen  Obrigkeit  von  Lismanino 
erhalten  habe,  es  ist  aber  keine  blosse  Vermutung,  denn 
Lismanino  bezeugte  es  selbst  in  der  Vorrede  zur  Traiedya 
o  Mszey. 


Francesco  Lismanino.  265 

gnädigen  Schreiben  mir  Ihr  Wohlwollen  bezeugt,  mich 
auch  gütig  an  Ihren  Hof  zu  kommen  eingeladen  hatte. 
Diesem  Rufe  zu  folgen  hat  Vergerio  in  einem  Briefe  und  in 
einer  freundschaftlichen  Unterredung  mir  warm  empfohlen 
und  auch  sonst  des  öfteren  mich  ernstlich  gemahnt,  D, 
E.  H.  aufzusuchen.  Aber  da  ich  D.  E.  H.  Briefe  zu  'ge- 
horchen und  des  Vergerio  Rat  zu  befolgen  beschlossen 
hatte,  verhinderte  plötzlich  der  Kriegssturm  mein  Vor- 
haben, da  unter  dem  Lärm  der  Waffen  mir  bei  D.  E.  H. 
keine  Zufluchtsstätte  zu  sein  schien.  Um  damals  nicht 
durch  Fortgang  ohne  Abschied  den  Vorwurf  der  Undank- 
barkeit mir  zuzuziehen,  richtete  ich  einen  Brief  an  D.  E. 
Hoheit  und  schickte  einige  Homilien  eines  frommen  und 
gelehrten  Mannes  zum  Buche  Daniel  als  Zeichen  meiner 
Ergebenheit  gegen  D.  E.  H.  in  dem  Gedanken,  mich 
endlich  geraden  Weges  zu  den  Meinigen  zu  begeben. 
Aber  wider  mein  und  aller  Erwarten  ist  meine  Abreise 
durch  wirklich  göttliche  Vorsehung  verhindert  worden. 
Nicht  nur  ward  die  Kriegsfackel  gelöscht,  auch  die 
Königliche  Majestät  wurde  nach  ihrer  angeborenen  Huld 
milder  gesinnt  und  gewährte  mir  freien  Aufenthalt  in 
ihrem  Reiche.  Wenn  ich  einst  geächtet  und  durch  weite 
Länderstrecken  getrennt  D.  E.  H.  aufzusuchen  beschlossen 
habe,  so  sehe  ich  jetzt,  frei  geworden  und  durch  keine 
so  grosse  Entfernung  mehr  getrennt,  keinen  Hinderungs- 
grund für  meinen  Plan,  zumal  ich  aus  D.  E.  H.  Briefe  an 
Vergerio,  in  dem  Sie  zu  schreiben  geruht,  „dem  Francesco 
Lismanino  öffnen  wir  unser  Herzogtum  und,  wenn  er 
kommt,  soll  er  mit  den  Seinigen  nicht  hungern  und 
dürsten,"  ferner  auch  aus  dem,  was  der  Edelmann 
Klaudius  von  Gran  val  Gallus1)  erzählt  hat,  von  D.  E. 
H.  gnädigem  Herzen  gegen  mich  und  meine  Familie  aufs 
Beste  unterrichtet  bin.  Und  in  der  Tat  hatte  ich  vor 
wenigen  Tagen  die  Absicht,  mit  dem  Rate  D.  E.  H.,  dem 
ehrenwerten  Trepka,  und  dem  ausgezeichneten  Herrn 
Joh.  Laski  zu  reisen,  aber  die   Krankheit   meiner   Gattin, 

!)  Näheres  konnte  ich  über  diesen  !  Edelmann  und   seine  Be- 
gegnung mit  Lismanino  leider  nicht  ermitteln. 


f, 


266  Theodor  Wotschke. 

welche  schon  im  zweiten  Jahre  an  einer  procidentia 
matricis  leidet,  zwang  mich  die  Reise  so  lange  aufzu- 
schieben, bis  meine  Frau  durch  die  Bemühung  einer  er- 
fahrenen Frau  wieder  hergestellt  ist.  Die  Behandlung 
eines  Arztes  weisen  Frauen  bei  Leiden  dieser  Art  zurück. 
Lebe  wohl,  erlauchtester  Fürst.  Der  Herr  Jesus  über- 
schütte D.  E.  H.  mit  Segen  aller  Art.  Tomice,  den 
21.  März  1558* *). 

Was  zwischen  dem  Herzog  Albrecht,  Trepka  und 
Laski  über  Lismanino  verhandelt  wurde,  entzieht  sich 
unserer  Kenntnis.  Als  Trepka  am  22.  April  von  Königs- 
berg aufbrach,  erhielt  er  für  Lismanino  folgendes  inhalts- 
leeres Schreiben: 

„Würdiger,  aufrichtig  Geliebter!  Euren  den  21.  März 
geschriebenen  Brief  haben  wir  empfangen  und  beantworten 
ihn,  da  wir  uns  zur  Reise  anschicken,  in  Kürze.  Wir  be- 
dauern Euer  Hochwürden,  dass  Sie  durch  Widerwärtig- 
keiten und  Unannehmlichkeiten  behindert  waren,  zu  uns  zu 
kommen  und  wünschen,  dass  Gott  der  Herr  Euer  Hoch- 
würden von  diesen  Hindernissen  befreie.  Von  uns  mögen 
E.  H.  die  Überzeugung  haben,  dass  wir  gegen  Sie  dieselbe 
Gesinnung  hegen,  wie  ehedem,  was  wir  auch  durch  die 
That,  soweit  es  unsere  Verhältnisse  erlauben,  bezeugen 
werden.  Wir  stellen  es  ganz  E.  H.  Belieben  anheim,  uns 
zu  besuchen112). 

Die  Sommermonate  blieb  Lismanino  noch  in  Tomice, 
nur  zeitweise  scheint  er  nach  Grätz  zu  Stanislaus  Ostrorog 
übergesiedelt  zu  sein8).  Wie  Laski,  Utenhoven,  sehen  wir 
auch  ihn  aufs  eifrigste  bemüht,  den  edlen  Magnaten  für 
die  reformierte  Prägung  der  evangelischen  Erkenntnis  zu 
gewinnen.  Als  Laskis  Famulus  Sebastian  Pech  mit  vier 
polnischen  Jünglingen  aus  edlen  Familien  im  August  durch 
Grosspolen  zog,  um  sie  der  weltberühmten  Sturmschen 


*)  Königliches  Staatsarchiv  in  Königsberg. 

?)  Königliches  Staatsarchiv  in  Königsberg. 

3)  Als  Johann  Tomicki  von  Tomice  aus  am  3.  Nov.  1557  ein 
Dankschreiben  für  übersandte  Falken  an  Herzog  Albrecht  richtet, 
erwähnt  er  seinen  Gastfreund  mit  keinem  Wort. 


Francesco  Lismanino.  267 

Schule  in  Strassburg  zuzuführen,  gab  Lismanino  ihm  nicht 
nur  in  Ostrorogs  Namen  einen  Empfehlungsbrief  für  den 
jungen  Studenten  Christoph  Bradzki  an  Girolamo  Zanchi 
mit,  sondern  bat  diesen  auch,  durch  einen  Brief  im  re- 
formierten Sinne  auf  Ostrorog  einzuwirken;  eine  ähnliche 
Aufforderung  richtete  er  durch  Johann  Luzinski,  der  am 
7.  September  von  der  Wlodzislawer  Synode  für  die  Söhne  der 
Edelfrau  Dluska  nach  Genf  abgeordert  war,  auch  an  Calvin. 
Allein  die  Posener  Septembersynode  —  ob  sich  Lismanino 
an  ihr  beteiligt  hat,  ist  ungewiss  — ,  auf  der  unter  Ostro- 
rogs und  Trepkas  Leitung  die  Vorstösse  der  Reformierten 
zurückgewiesen  und  die  Augsburger  Konfession  feierlich 
bekannt  wurde,  musste  ihm  das  Vergebliche  aller  Be- 
mühungen in  dieser  Richtung  zeigen  und  ihm  das  Posener 
Land  verleiden.  Dazu  kam  die  Nachricht,  dass  sein  Freund 
Lelio  Sozini  in  Kleinpolen  eingetroffen  sei.  Im  Herbst 
verliess  er  deshalb  nach  ^jährigem  Aufenthalte  unsere 
Provinz.  Als  am  28.  Oktober  und  28.  November  Bullinger 
an  Utenhoven  schreibt,  vermutet  er  ihn  bereits  in  dessen 
und  Laskis  Nähe;  seinen  Schreiben  fügt  er  Grüsse  an 
Lismanino  und  Sozini  bei1).  Gern  wüssten  wir  etwas 
Näheres  über  den  Gedankenaustausch  der  beiden  Italiener, 
von  denen  der  letztere  durch  die  seinem  Neffen  einge- 
flösste  Geistesrichtung  einer  Theologenschule,  ja  einer  Kirche 
den  Namen  hat  leihen  müssen,  aber  ich  kenne  hier  keine 
andere  Nachricht,  als  das  Bruchstück  jenes  italienischen 
Briefes,  den  Lismanino  von  Pelznica  aus  am  10.  März  1559 
an  Wolph  in  Zürich  richtete.  „Über  den  Stand  der  Re- 
ligion wird  unser  Lelio,  der  in  Wahrheit  ein  zweites  Füll- 


l)  Schon  am  1.  Dezember  1567  schrieb  für  Sozini  Melanchthon  In 
Worms  Empfehlungsbriefe  an  den  König  von  Polen,  an  König  Maxi- 
milian und  seinen  evangelischen  Hofprediger  Pfauser.  Am  22.  Mai 
1558  empfiehlt  ihn  Calvin  an  Nikolaus  Radziwill,  am  25.  Juni  Bnl. 
linger  an  Laski;  in  der  zweiten  Hälfte  des  Juli  ist  Sozini  bereits  in 
Tübingen,  wo  er  mit  Verger  und  Paul  Scalich  zusammentrifft. 
Dieser  gibt  ihm  am  27.  Juli  einen  Empfehlungsbrief  an  König  Maxi- 
milian, den  er  in  Graz  überreicht;  er  wird  vom  Könige  dort  am 
21.  September  an  Nikolaus  Radziwill  weiterempfohlen.  Den  noch 
ungedruckten  Empfehlungsbrief  bewahrt  die  Raczynskische  Bibliothek 


2Ö8  Theodor  Wotschke. 

horn  (?)  ist,  berichten  nicht  nur,  was  man  thut,  sondern 
vermöge  seines  Scharfsinnes  auch  (Du  kennst  den  Mann),, 
was  man  denkt.  Er  ist  bei  allen  Verhandlungen  zugegen 
gewesen  und  hat  mit  vielen  Grossen  so  freundschaftlich 
verkehrt,  dass  er  über  alles  unterrichtet  ist" 

Auch  den  Arzt  Georg  Blandrata,  der  Frühjahr  1558 
Genf  verlassen  hatte,  nach  Kleinpolen  gekommen  und  von 
Laski  ehrenvoll  aufgenommen  war,  traf  Lismanino  bei 
seiner  Rückkehr  in  derMitte  seiner  kleinpolnischen  Freunde. 
Zweifellos  kannten  sich  beide  Männer  seit  den  vierziger 
Jahren,  da  Blandrata  Leibarzt  der  Königin  Bona  gewesen 
war,  jetzt  wusste  dieser  durch  sein  gewinnendes,  liebens- 
würdiges, fesselndes  Wesen  wie  schon  Laski  sich  Lismanino 
um  so  mehr  zum  Freunde  zu  machen,  da  er  ihn  hoffen 
liess,  ihn  von  seinem  epileptischen  Leiden,  das  ihn  seit 
seiner  Kindheit  quälte,  in  den  beiden  letzten  Jahren  be- 
sonders schwer  heimgesucht,  und  nur  im  letzten  Sommer 
ganz  vorübergehend  eine  Besserung  gezeigt  hatte,  zu  be- 
freien1). Wohl  erhielt  er  Januar  1559  durch  Johann  Luzinski 
ein  Schreiben  Calvins  vom  19.  November  des  vergangenen 
Jahres  eingehändigt,  in  dem  der  Genfer  Reformator  ihn 
vor  dem  Monstrum  Blandrata,  das  mit  Schlangenklugheit 
unter  dem  Schein  der  Aufrichtigkeit  blasphemisch  anti- 
trinitarische  Lehre  verfechte,  warnte,  aber  seine  vorgefasste 
günstige  Meinung  über  seinen  italienischen  Landsmann  liess 
er  sich  nicht  mehr  nehmen.  Er  bat  i  *m  um  näheren  Bericht 
über  seine  Verhandlungen  mitCalviü  und  seine  theologischen 
Anschauungen  und  konnte  nichts  Häretisches  in  ihnen 
finden,  meinte  vielmehr,  nur  die  kirchliche  Formulierung 
des  trinitarischen  Dogmas,  nicht  der  Lehrsatz  selbst  wecke 
in  ihm  Bedenken.  Die  Worte  der  Verehrung  und  An- 
erkennung, in  denen  Blandrata  von  Calvin  sprach,  gaben 

!)  VergLCalvin-Lismanino  19. Nov.  1558(0.0. XVII, N.  3981).  „Mor- 
bus tuus  nos  sollicitos  tenuit,  quo  nunc  hilarius  sanitatem  tibi  redditam 
gratulor"  und  was  Sebastian  Pech  Vcrmigli  erzählte  und  dieser  am 
10.  April  1559  nach  Genf  berichtete:  „Significavit  medicum  Blandratam 
sese  in  amicitiam  N.  N.  insinuasse  praetextu  medicinam  faciendi  eius 
inveterato  morbo  .  .  .  Literas  ad  N.  N.  dedi,  quibus  hominem  suis 
coloribus  pinxi,  eius  ingenium  et  errorcs  prodidi*.  O.  C.  XVII,  N.  304a. 


Francesco  Lismanino.  269 

ihm  die  Ueberzeugung,  dass  der  Reformator  vorschnell 
über  seinen  Landsmann  abgeurteilt  habe,  und  dass  es  nur 
eines  Einlenkens  von  ihm  bedürfe,  um  den  Zwiespalt  auf- 
zuheben und  das  Fortwuchern  anticalvinischer  Tendenzen 
zu  verhindern.  In  seinem  Auftrage  schrieb  deshalb  am 
1.  Februar  Petrus  Statorius  aus  Pinczow  an  Calvin,  wahr- 
scheinlich auch  er  selbst  durch  Sebastian  Pech  nach  Genf 
und  bat  den  Reformator  um  einige  freundliche  verbindliche 
Zeilen  an  Blandrata.  Als  im  Sommer  Vermigli,  der  durch 
Pech  von  der  ehrenvollen  Aufnahme  Blandratas  in  Klein- 
polen gehört  hatte,  einen  neuen  Warnungsruf  an  Lisma- 
nino richtete,  war  seine  Freundschaft  und  Zuneigung  schon 
so  tief  gegründet,  dass  sie  durch  die  Bedenken  der  alten 
Freunde  nicht  mehr  entwurzelt  werden  konnte. 

Am  13.  März  wohnte  Lismanino  der  Synode  in 
Pinczow  bei  und  wurde  hier  nebst  Laski,  Cruciger,  Gregorius 
Paulus,  Lutomirski  und  Sarnicki  zur  Kommission  gewählt, 
welche  die  confessio  fidei  catholicae  des  Bischofs  Hosius 
durchsehen  und  widerlegen  sollte.  Als  Tag  der  ge- 
meinsamen Prüfung  wurde  der  29.  März,  als  Ort  der  Zu- 
sammenkunft Dembiany  unfern  Pinczow  bestimmt1).  Da  im 
folgenden  Sommer  der  König  die  Acht  ganz  aufhob,  konnte 
Lismanino  endlich  eine  feste  Beschäftigung  und  einen 
ständigen  Wohnsitz  erhalten.  Als  Superintendent  war 
er  vor  zwei  Jahren  berufen,  und  man  dachte  damals 
daran,  ihn  neben  Cruciger  zu  stellen  und  ihm  die  Auf- 
sicht über  sämtliche  kleinpolnische  Geistlichen  zu  über- 
tragen. Die  wachsende  nationale  Empfindlichkeit  gegen 
die  Fremden,  besonders  gegen  die  Italiener  Hess  dies  jetzt 
nicht  zur  Ausführung  kommen,  doch  wurde  ihm  die  In- 
spektion über  die  Kirchen  des  Pinczower  Distriktes  über- 
wiesen, und  die  Pinczower  Schule  ihm  unterstellt.  Als 
Wohnung  erhielt  er  dasErdgeschoss  des  Pinczower  Klosters, 
in  dem  Johann  Laski  das  erste  Stockwerk  inne  hatte. 
Die  Schule,  welche  bis  dahin  in  diesen  nicht  sehr  grossen 
Räumen  untergebracht  war,  ward  nach  der  Kirche  verlegt 


1)  Sand:  Bibliotheca  S.  193.    Dalton:  Lasciana. 


270  Theodor  Wotschke. 

Anstelle  der  Besoldung  gewährte  der  Grundherr  Nikolaus 
Olesnicki  Lismanino  die  Nutzniessung  eines  Teiles  des 
früheren  Klosterackers1). 

Nur  kurz  sollten  die  Wochen  ruhiger,  ungestörter 
Arbeit  in  der  Gemeinde  und  Schule  zu  Pinczow  sein, 
kaum  hatte  sie  begonnen,  so  wurde  Lismanino  in  einen 
Streit  hineingerissen,  der  sein  ganzes  ferneres  Leben  ver- 
bittern, ihm  Mühe  und  Verdruss,  Verleumdungen  und  An- 
feindungen sonder  Zahl  bringen  sollte.  Wohl  noch  im  Mai 
1559  war  Francesco  Stancaro2)  aus  Siebenbürgen  nach 
Polen  zurückgekehrt  und  hatte  den  Pinczower  Drucker 
Daniel  aus  Lenschitz  veranlasst,  seine  Schrift  wider  Me- 
lanchthon  zu  drucken.  Die  Wlodzislawer  Generalsynode 
hatte  am  29.  Juni  Daniel  deshalb  zur  Rechenschaft  ge- 
zogen, Grund  genug  für  den  zornwütigen  Stancaro,  um 
mit  wüsten  Schimpfereien  über  die  Synode  und  ihre  Wort- 
führer Laski  und   Lismanino   herzufallen8).     Sein  gross- 

l)  Ecclesiae  Londino-Batavac  Archivuni  II,  S.  118. 

*)  Leider  besitzen  wir  noch  keine  Biographie  dieses  händel- 
süchtigen Italieners;  so  unsympathisch  er  ist,  wäre  eine  gründliche 
Erforschung  seines  Lebens  und  Wirkens  im  Interesse  der  polnischen 
Reformationsgeschichte  dringend  zu  wünschen.  Ich  will  hier  auf 
eine  Schrift  Stancaros  und  auf  eine  aus  der  Feder  eines  seiner 
Anhänger  aufmerksam  machen,  deren  Stancaro  einmal  gelegentlich 
gedenkt.  „Quod  cum  animadvertissem,  coepi  ministrorum  primates 
partim  ore  partim  epistolis  admonere,  ut  ab  incoepto  nefario  de- 
sisterent,  ut  in  historia  de  autoribus  controversiae  in  causa  religionis 
in  Polonia  ortae  descripsi.  Utinam  et  quidam  generosus  nobilis,  cui 
haec  omnia  perspecta  sunt,  librum  suum  in  lingua  Polonica  scriptum 
in  lucem  ederet  Ille  enim  totam  causam  diligentissime  et  fidelissime 
descripsit  et  causam  meam  iustificat.  Fraudes  praeterea,  imposturas, 
maliciam,  nequitiam  et  calumnias,  quibus  haereses  in  Polonia  planta 
verunt,  succincte  complexus  est;  nam  omnes  illorum  technas  novit" 

3)  Petrus  Statorius:  „Brevis  Apologia  ad  diluendas  Stancari 
cuiusdam  calumnias,  quibus  ipsum  privatim  Statorium,  publice  autem 
universam  Christi  ecclesiam  obruere  conatus  est"  nach  Sand  1560 
erschienen:  „Quid  de  Stancaro  dicam!  cum  arrogantissime  et  impu- 
dentissime  synodum  Vladislaviensem  te  (sit  honor  auribus)  percacare 
professus  es?  cum  ecclesiarum  nostrarum  superintendentem  canem 
vocares,  cum  clarissimos  viros  d.  Ioannem  a  Lasco  et  Franciscum 
Lismaninum  principes  sacerdotum  nominares  dignosque  esse  diceres, 
qui  anserum  gregibus  praeficiantur". 


Francesco  Lismanino.  271 

sprecherisches  Wesen,  sein  sicheres  Auftreten,  die  Plero- 
phorie  seiner  Sprache  gewannen  ihm  in  den  Kreisen  des 
Adels  und  der  Geistlichen  verschiedene  Anhänger.  Es 
war  nicht  sowohl  die  positive  Seite  seiner  Lehre,  dass 
Christus  nur  nach  seiner  Menschheit  unser  Mittler  sei, 
welche  Beifall  fand,  als  seine  Kritik  des  entgegenstehenden 
recipierten  Dogmas,  das  er  arianisch,  eutychianisch,  apol- 
linaristisch  und  manichäisch  schmähte.  Schon  waren  die 
kleinpolnischen  Gemeinden  von  Unitariern  beunruhigt,  die 
Pinczower  Synode  am  25.  April  1559  hatte  sich  gezwungen 
gesehen,  zum  Schutz  gegen  die  um  sich  greifende  anti- 
trinitarische  Häresie  für  die  Geistlichen  ein  Glaubens- 
examen anzuordnen1),  und  nun  dieser  neue  Zwist!  Vor 
allem  galt  es  zwischen  Stancaro  und  der  Kirche  die  Grenz- 
linien zu  ziehen  und  deshalb  ein  Glaubensbekenntnis  über 
die  Mittlerschaft  Christi  aufzustellen.  Laski  und  Lismanino 
arbeiteten  es  aus,  und  der  Synode  zu  Pinczow  sollte  es 
-zur  Annahme  vorgelegt  werden.  Am  7.  August  trat  sie 
zusammen,  am  folgenden  Tage  stellte  sich  Stancaro  ein 
und  forderte  zur  öffentlichen  Disputation  heraus.  In  die 
Kirche,  wo  die  Synode  tagte,  liess  er  einen  Tisch  stellen, 
legte  auf  ihn  die  mitgebrachten  Bücher  der  Kirchenväter, 
stellte  sich  hinter  dieselben  und  reizte  mit  Wort  und 
Mienen  die  Anwesenden  zum  Wortgefechte.  Mit  Rück- 
sicht auf  das  Staatsgesetz,  das  eine  öffentliche  Disputation 
von  der  Erlaubnis  des  Königs  abhängig  machte,  in  Er- 
wägung, dass  die  Lehre  Stancaros  bereits  von  Melanchthon 
verurteilt  sei  und  dass  eine  Disputation  ohne  sichere 
schriftliche,  vorher  bekannt  gegebene  Grundlage  ergebnis- 
los sein  würde,  ward  sie  abgelehnt  Die  Kleinpolen  ver- 
lasen ihr  Glaubensbekenntnis  und  forderten  Stancaro  auf, 
gleichfalls  eine  Konfession  aufzustellen.  Er  weigerte  sich 
dessen,  überreichte  aber  schliesslich  der  Synode  seine 
Streitschriften  wider  Melanchthon.  Mit  Berücksichtigung 
derselben  wurde  durch  Laski  und  Lismanino  das  vorher 
ausgearbeitete  Bekenntnis  entweder  noch   einmal  durchs 


')  Dalton:  Lasciana  S.  473  und  Sand:  Bibliotheca  184. 


272  Theodor  Wotschke. 

gesehen,  an  verschiedenen  Stellen  gekürzt  oder  ein  ganr 
neues  kürzeres  Bekenntnis  aufgestellt,  das  am  19.  August 
unter  Beigabe  der  Briefe  und  Gutachten  Pietro  Martires 
sowie  der  Lausanner  und  Züricher  Kirche,  welche  Lisma- 
nino  im  April  1556  überbracht  hatte,  veröffentlicht  wurde l). 
Durch  sein  herausforderndes  grosssprecherisches  Wesen 
wusste  aber  Stancaro  am  folgenden  Tage  die  Synode  wider 
ihre  Absicht  zu  einer  Disputation  zu  zwingen;  neben 
anderen  scheint  auch  Lismanino  gegen  ihn  das  Wort  er- 
griffen, aber  gegen  den  zornwütigen  sich  heiser  schreienden 
Mann  nicht  glücklich  gestritten  zu  haben.  Natürlich  führte 
das  Wortgefecht  zu  keinem  Ergebnis.  Lismanino  erhielt 
den  Auftrag,  im  Namen  der  Kleinpolen  an  Melanchthon 
und  Georg  Major  nach  Wittenberg,  sowie  an  die  Schweizer 
Bullinger,  Martire  Vermigli,  Calvin  und  Beza2)  zu  schreiben, 
ihnen  von  Stancaros  Auftreten  zu  berichten  und  ihr  Urteil 
über  seine  Lehre  und  ihren  Rat  betreffs  des  Kampfes  wider 
ihn  einzuholen.  Der  bewährte  Bote  Sebastian  Pech,  der 
erst  vor  wenigen  Wochen  aus  der  Schweiz  zurückgekehrt 
war,  sollte  die  Briefe  überbringen.  Leider  haben  sie  sich, 
die  eine  wertvolle  Quelle  für  die  Verhandlungen  in  Pin- 
czow  und  gewiss  auch  für  den  theologischen  Standpunkt 
Lismaninos  sein  würden,  nicht  erhalten.  Stancaro  gelange 
es  durch  seine  Anhänger  eine  Abschrift  des  Briefes  an 
Melanchthon  in  die  Hand  zu  bekommen,  und  da  er  sich 
darin  den  alten  Schurken  aus  Mantua,  seine  Lehre  eine 
greuliche  Missgeburt  genannt  fand8),  verfolgte  er  Lisma- 


i)  O.  C.  XVII,  N.  3098.  Petrus  Statorius  am  20.  August  an  Calvin : 
„Heri  infrequenti  coetu  confessionem  fidei  nostrae  de  mediatore  scripta 
edidimus  confirmatam  verbo  dei  primum,  deinde  vctustissimorum 
patrum  sententiis,  postremo  conciliis  et  Tigurinae  Lausannensisque 
ecclesiae  ac  d.  Petri  Martyris  litcris,  quas  ante  triennium  Lismaninus 
attulerat." 

2)  Wengierski:  Systema  ecclesiarum  Slavonicarum  S.  84. 

3)  „Franciscus  Lysmaninus  superintendens  tunc  in  Pinczov  con» 
stitutus  ad  Melanchthonem  de  actis  Pinczoviae  celebratis  scribens  sie 
ait  inter  caetera:  Is  igitur  nuntius  cum  fideliter  tum  sedulo  referet 
omnia  (eius  litterae  sunt  apud  me),  quae  cum  tuo  illo  veteri  mastige 
Mantuano  (de   me  Stancaro  intelligit!)    hie  egimus,  cum  in   nostras 


Francesco  Lismanino.  273 

nino  fortan  mit  dem  unversöhnlichsten   Hass,   den  nicht 
einmal  dessen  trauriges  Lebensende  mildern  konnte. 

Die  zweite  Synode  gegen  Stancaro  am  20.  September 
zu  Pinczow  beschloss  eine  Neubearbeitung  der  Konfession1)' 
über  den  Mittler  und  übertrug  sie  Laski  und  Lismanino. 
Da  jener  Pinczow  verlassen  und  nach  dem  nahen  Dembiany 
gezogen  war,  sollte  auch  dieser  sich  dorthin  begeben. 
Gern  hätten  sie  die  Antwort  der  Schweizer  bei  ihrer 
Arbeit  zur  Hand  gehabt;  da  sie  sich  aber  verzögerte,  — 
am  7.  Dezember  war  Sebastian  Pech  auf  der  Rückreise 
noch  in  Frankfurt  a.  M.  —  stellten  sie  das  Bekenntnis  fertig, 
ohne  der  Schweizer  Gutachten  abzuwarten.  Da  Laski 
fort  und  fort  kränkelte,  fiel  der  grössere  Teil  der  Arbeit 
Lismanino  zu,  durch  ihn  mag  auch  jener  Einfluss  Blandratas, 
der  in  dem  Bekenntnis  sich  bemerkbar  macht,  vermittelt 
sein2).  Dass  Christus  nach  seiner  göttlichen  Natur  Mittler 
sei,  wird  durch  die  Erwägung  zu  erweisen  gesucht,  dass 
er  von  Ewigkeit  her  Mittler  sei,  schon  vor  seiner  Mensch- 


ecclesias  illud  suum  de  Carneo  Mediatore  portentum  invehere  ma- 
nibus  pedibusque  niteretur."  Vergl.  Stancarus:  Libri  duo,  quorum 
primus  est  apologia  S.  h.     Im  Corpus  Reformatorum  fehlt  der  Brief. 

*)  Leider  ist  uns  keine  der  Konfessionen  erhalten;  nach  Sar- 
nicki (O.  C.  XDC,  Nr.  3877)  wäre  das  Bekenntnis,  welches  1561  zuPinczow 
gedruckt  wurde,  aus  der  Hand  Laskis.  Vorausgesetzt  dass  es  wirklich 
nur  dessen  Werk  war,  welche  Gestalt  der  oft  geänderten  Konfession 
stellte  es  dar?  Vergl.  Stancarus :  De  Trinitate  et  Mediatore.  Cracoviae 
in  officina  Scharffenbergiana  1562.  S.  Eiiij :  „Bullingerus  et  Martyr,  cum 
approbent  Pinczovianorum  confessionem  de  trinitate  et  incamatione 
et  de  mediatore  Christo  domino,  notam  haereticorum  nunquam  fugere 
potuerunt,  sive  enim  illam  longam  confessionem,  quam  8.  August* 
in  synodo  illa  ter  maledicta  Pinczoviani  ad  8  horas  legerunt  sive  illam 
parvam  (multas  confessiones  scripserunt  et  impresserunt  Pinczoviani, 
ut  in  historia  scribo),  quam  tribus  baccalaureis  dederunt,  ad  Helvetios, 
id  est  Tigurinos,  miserunt. 

2)  Allerdings  hat  Blandrata  im  Herbst  1559  nicht  inmitten  seiner 
kleinpolnischen  Freunde  geweilt,  sondern  am  Kranken-  und  Sterbe- 
bette der  Königin  Isabella  von  Ungarn.  In  der  Blandrata -Literatur 
nirgends  verzeichnet  finde  ich  zwei  mir  vorliegende  Briefe  Blandratas 
über  die  Krankheit  der  Königin  und  ein  Prognostikon  aus  seiner 
Hand;  in  letzterem  trägt  ein  Kapitel  die  Überschrift  „Aliquot 
serenissimae  reginae  Ungariae  mortis  portenta". 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XVIII.  18 


274  Theodor  Wotschkc. 

werdung  die  Erhörung  der  Gebete  vermittelt  habe,  eine 
Argumentation,  deren  Gentile,  Blandrata  und  andere 
Antitrinitarier  schon  vor  zwei  Jahren  in  Genf  sich  be- 
dient hatten,  um  die  Minorität  des  Sohnes  darzutun,  da 
im  Wesen  des  Mittlers  liege,  dass  er  weniger  als  der 
Vater  sei,  und  die  im  folgenden  Sommer  Calvin  deshalb 
aus  dem  kleinpolnischen  Bekenntnis  entfernt  wissen 
wollte1).  In  Verbindung  mit  Laski  veranlasste  Lismanino 
noch  im  Herbst  den  Druck  zweier  antistancarischer 
Schriften,  der  des  Philipp  Melanchthon  und  des  Klausen- 
burger  Predigers  Kaspar  HeltaL  Am  8.  Januar  1561  starb 
Laski.  Sein  Tod  gab  Lismanino  die  fahrende  Stellung  in 
der  kleinpolnischen  evangelischen  Kirche,  seinen  Namen 
bringen  die  Synodalprotokolle  an  erster  Stelle,  auf  der 
Januarsynode  zu  Pinczow  wird  ihm,  dem  theologisch  am 
besten  geschulten,   die  Konfession  des  Parteigängers  des 


l)  Calvin  an  Lusinski  in  Krakau  unter  dem  9.  Juni  1560  (O.  C. 
XVII,  Nr.  3208).  „Porro  nostra  responsio  vos  commonefaciet  nobis  non 
probari,  quod  de  aeterno  Christi  sacerdotio  scribitis,  ac  si  prineipio 
careret,  quando  sacerdos  non  minus  quam  reconciliator  creatus  est. 
Quare  si  nostro  consilio  obtemperatis,  aliquid  in  ea  parte  mutandum 
erit,  ne  ansam  calumniandi  in  de  hostis  arripiat*.  Lismanino  ist  dem 
Wunsche  Calvins  nur  z.  T.  nachgekommen;  vergl.  Stancarus:  De 
trinitate  S.  Q.  „Pinczoviani  in  confessione  parva,  quam  dederunt 
tribus  baccalaureis,  aperte  profitentur  haec  de  mediatore:  „Quod 
quemadmodum  sacerdotium  Christi  neque  prineipium  neque  finem 
habet  ullum  ac  proinde  sacrificium  quoque  eins,  quod  ad  vim  effi- 
catiamque  illius  salutarem  attinet.  Estque  aeternum  prorsus  sine 
prineipio  et  fine  et  officium  eiusdem  ipsius  mediatoris  nostri44.  In 
confessione  vero  illa  magna  et  longa,  quam  hoc  anno  1561  Pinczoviae 
aediderunt,  sie  scribunt  pagina  prima:  „Quemadmodum  autem 
officio  hoc  ab  ipso  mox  mundi  initio  funetus  est  filius  Dei,  ita  et 
nunc  et  saeculi  usque  consumationem  in  eo  ipso  mediatoris  officio 
perstat44.  Hie  dieunt  filium  Dei  mediatorem  fuisse  tantum  ab  initio 
mundi  et  futurum  quoque  usque  ad  finem  saeculi,  non  autem  ex 
aeterno,  hoc  est,  sine  prineipio  et  sine  fine44.  Die  Züricher  haben 
dagegen  der  ersten  kleinpolnischen  Konfession  voll  zugestimmt: 
„facile  intelligitis  nobis  displicere  non  posse  confessionem  iiiam 
vestram  missam  ad  nos  de  mediatore  scriptam.  Pergite  sie  docere 
ecclesias  vestrae  fidei  creditas  ac  Stancarum  cum  seetariis  similibus 
avertere  ab  eis". 


Francesco  Lismanino.  275 

Stancaro  Gregor  Orsatius  übergeben,  er  vertritt  diesem 
und  dem  Peripatetiker  Christoph  Przechadzka  aus  Lem- 
berg  gegenüber  die  kirchliche  Lehre,  in  seine  Hände  wird 
die  Geldsammlung  für  Laskis  Witwe  gelegt  Zu  der 
Grabrede,  welche  Petrus  Statorius  zur  Beisetzungsfeier 
Laskis  am  29.  Januar  hielt,  und  die  bald  darauf  durch 
den  Drucker  Daniel  veröffentlicht  wurde,  schrieb  er  das 
Vorwort,  auch  besorgte  er  die  Drucklegung  des  kürzeren 
Bekenntnisses  vom  Mittler1).  Ferner  veröffentlichte  er  eine 
polnische  Übersetzimg  der  italienischen  Streitschrift  seines 
Freundes  Ochino  wider  die  römische  Messe.  Sie  führt  den 
Titel2)  Bernardyna  Ochina  z  Seny:  Traiedy  a  o  Mszey,  z  kthorey 
kazdy  snadnie  wyrozumiec  mo£e,  pocz^tek  y  wszelaka, 
iey  sprawQ:  y  co  o  prawdziwey  wieczerzey  Panskiey 
wtasnie  kaidy  wiedzied  ma.  Drukowano  w  Pinczowie 
w  Drukarni  Danielowey.  Roku  15608).  Wie  das  Pinczow, 
den  6.  Februar  1560  datierte  Vorwort  zeigt,  hat  Lismanino 
die  Übersetzung  seinem  hohen  Gönner  Nikolaus  Radziwill 
zum  Dank  für  die  ihm  erwiesene  Huld  gewidmet.  Die 
Unterschrift  seines  vierjährigen  Söhnchens  Paul  tragen 
18  lateinische  Verse,  welche  sich  an  den  polnischen 
Leser  wenden. 

Im  Februar,  als  Lismanino  an  die  Ausgabe  dieser 
polnischen  Übersetzimg  die  letzte  Feile  anlegte,  traf 
Sebastian  Pech  mit  den  Briefen  der  Schweizer  in  Pinczow 
ein.  Sie  waren  sehr  kurz  gehalten,  da  Bullinger  wie  die 
anderen  Theologen  den  reizbaren  Stancaro  kannten  und 
in  der  Hoffnung  auf  eine  noch  mögliche  friedliche  Schlich- 
tung des  Streites  den  Riss  nicht  grösser  machen  wollten. 


*)  Bock  I,  913.  In  clarissimi  viri  dn.  Joannis  a  Lasco  Poloniae 
baronis  obitum  funebris  oratio  conscripta  et  habita  a  Petro  Statorio. 
Impressa  Pinczoviae  in  officina  Dan.  Lancicü.  A.  1560.  Pracfixa  est 
brevis  dcdicatio  scripta  a  Franc.    Lismanino. 

*)  Ich  kenne  das  Buch  nur  aus  Jocher:  „Obraz",  Wilna  1840 
HI  Nr.  9759,  der  auch  einen  Teil  der  Widmung  abdruckt. 

8)  Bernardino  Ochino  von  Siena:  Tragödie  von  der  Messe, 
aus  welcher  jeder  ihre  Entstehung  und  ihren  Inhalt  lernen  kann, 
und  was  vom  heiligen  Abendmahl  jeder  wissen  muss.  Im  Bache 
<üe  genauere  Angabe.    Gedruckt  in  Pinczow,  den  11.  April  1560. 

18* 


276  Theodor  Wotschke. 

Als  Lismanino  sie  in  Kleinpolen  unter  den  Geistlichen 
und  Herren  verbreiten  Hess,  verdächtigte  ihn  Stancaro- 
als  Fälscher1),  da  die  Schweizer  anders  geantwortet,  vor 
allem  über  diese,  hochwichtige  Frage  sich  ausführlicher 
ausgelassen  haben  würden.  Lismanino  und  Cruciger  sahen 
sich  veranlasst,  sofort  eine  neue  Gesandtschaft  —  Silnicki  *) 
und  einige  andere  polnische  Edelleute,  die  sich  freiwillig 
der  Kirche  zur  Verfügung  stellten  —  nach  der  Schweiz 
zu  senden;  sie  sollte  die  kleinpolnische  Konfession  über- 
reichen, um  ihre  Beurteilung  und  um  ausführlichere  Be- 
weise wider  Stancaro  bitten.  Statorius  gab  heimlich 
den  Boten  einen  leider  nicht  mehr  erhaltenen  Brief  an 
Calvin  mit,  in  dem  er  sein  für  Blandrata  eintretendes 
Schreiben  vom  1.  Februar  vorigen  Jahres  entschuldigte, 
Lismanino  für  dasselbe  verantwortlich  machte  und  dadurch 
die  Verstimmung,  die  den  Genfer  Reformator  seit  dem 
Berichte  des  Sebastian  Pech,  April  1559,  wider  diesen 
beherrschte,  steigerte.  Am  27.  Mai8)  antwortet  im  Namen 
der  Züricher  Martire,    auf  den    sich  Stancaro  besonders 


*)  Lusinski,  Krakau,  den  14.  März  1560  an  Calvin :  „hie  vestra 
opera  erit  opus,  ut  nos  contra  hunc  virulentum  hominem  iuvetis,  sed 
amplioribus  scriptis,  quam  nunc  per  Sebastianum  fecistis,  qui  non 
credit  a  vobis  illa  scripta  exivisse  et  mirabiliter  cälumniatur,  quasi 
nos  vestro  nomine  illa  edidissemus.  Quid,  inquit,  illi  boni  viri  tarn 
breviter  scriberent?" 

2)  Da  sein  Name  in  der  polnischen  Reformationsgeschichte 
ganz  unbekannt  ist,  erwähne  ich,  dass  er  als  Stanislaus  Nicolai 
Szylnyeszki  dioc.  Cracov.  am  21.  Oktober  1544  an  der  Krakauer 
Universität  immatrikuliert  worden  ist.  Sein  Bruder  führte  die  Re- 
formation in  Potok  in  Kleinpolen  ein. 

3)  So  Jocher  II  Nr.  3337  bei  Beschreibung  des  Buches :  Epistolae 
duae  ad  ecclesias  polonicas  Jesu  Christi  evangelium  amplexas  scriptae 
a  Tigurinae  ecclesiae  ministris  de  negotio  Stancariano  etc.  Tigurini 
apud  Ch.  Froschover  1561.  Nach  Haller  wären  die  Boten  aber  erst 
am  1.  Juni,  am  Sonnabend  vor  Pfingsten,  nach  Zürich  gekommen. 
O.C.XVTI  Nr.  321 1  Anm.  „Calendis  Junii,  quae  erat  vigilia  Pentecostes, 
venerum  huc  quidam  Poloni  nobiles  afferentes  nobis  a  domino  Fran- 
cisco Lysmanino  et  aliis  ex  Polonia  literas  et  scripta  quaedam  contra 
Franc.  Stancarum  Mantuanum  ecclesias  Polonias  novo  dogmate  tur- 
bulantem.    Petebant  illi  nostrum  calculum". 


Francesco  Lismanino.  277 

berufen  hatte,  durch  einen  Brief  an  Felix  Cruciger,  am 
9.  Juni  die  Genfer,  letztere  nicht  nur  durch  Briefe,  sondern 
auch  durch  eine  längere  dogmatische  Abhandlung.  Unbe- 
kannte Gründe  verzögerten  die  Abreise  Silnickis  um 
einige  Wochen,  sodass  er  Ende  Juni  in  Genf  noch  mit 
dem  Brüderboten  Herbert,  der  Calvin  um  Änderung  seiner 
von  Laski  und  Lismanino  vor  drei  Jahren  erbetenen  und 
erhaltenen  ungünstigen  Beurteilung  der  Brüderkonfession 
bitten  sollte,  zusammentraf. 

Unterdessen  war  auf  dem  Seniorenkonvent  zu  Wlod- 
zislaw  am  28.  Mai  von  den  Kleinpolen  eine  Generalsynode 
zu  Xions  in  Kleinpolen  für  den  15.  September  beschlossen 
und  am  13.  Juni  die  Einladung  dazu  an  die  Brüder  in 
Böhmen,  an  die  Lutheraner  in  Grosspolen,  an  die  kujawische, 
lithauische  und  russische  evangelische  Kirche  abgegangen. 
Die  beiden  Gesandten  der  böhmischen  Brüder  Johann 
Lorenz  und  Johann  Rokyta  reichten  Lismanino  sein 
Glaubensbekenntnis,  welches  er  am  15.  Juni  1557  zu 
Pelznica  Wenzel  Cech  und  eben  diesem  Lorenz  für  die 
Senioren  zur  Durchsicht  gegeben  hatte,  zurück.  Cerwenka 
hatte  ein  kurzes  zustimmendes  Urteil  darunter  gesetzt 
und  die  Konfession  mit  seinem  Namen  unterzeichnet. 
Wie  schon  die  Abgeordneten  für  die  nicht  zustande  ge- 
kommene Synode  zu  Goluchow  Oktober  1557  die  Wei- 
sung erhalten  hatten,  so  baten  auch  jetzt  die  Brüder 
Lismanino,  die  Verzögerung  der  Prüfung  und  der  Zustel- 
lung entschuldigen  zu  wollen1).  Die  Synode  gab  Lisma- 
ninos  Stellung  an  der  Spitze  der  Kirche  eine  offizielle 
Geltung,  indem  sie  ihn  am  15.  September  neben  Bland- 
rata  zum  Senior  wählte,  während  Felix  Cruciger  die 
Bischofs-  oder  Superintendentenwürde  vorbehalten  blieb. 
Auch  seine  pekuniär  drückende  Lage  suchte  man  ab- 
zustellen. Von  den  vier  Jahren,  da  er  in  Polen  unter 
den  Evangelischen  lebte,  hatte  er  nur  in  den  letzten  Mo- 
naten   die   bescheidenen  Einkünfte   eines  Teils  des  Pin- 


*)    Vergl.   hierzu  und  zu  dem  Folgenden  Lissaer  Foliant  X 
Bl.  151  ff. 


278  Theodor  Wotschke. 

czower  Klosterackers  gehabt,  sonst  von  freien  Spende» 
und  dem,  was  befreundete  Edelleute  ihm  liehen,  leben 
müssen.  Da  er  zudem  von  der  Zeit  seiner  hohen  und 
ertragreichen  hierarchischen  Stellung  ein  behagliches 
Leben  gewöhnt  war,  war  er  tief  in  Schulden  geraten y 
man  schätzte  sie  auf  1000  Gulden.  Schon  die  Pinczower 
Synode  hatte  am  6.  Mai  1560  mit  der  pekuniären  Lage 
Lismaninos  sich  beschäftigt  und  Georg  Blandrata  nach 
Wilna  abgeordert,  um  für  ihn  die  Unterstützung  Radziwills 
zu  erbitten.  Derselbe  erklärte  sich  auch  durch  Briefe 
und  mündliche  Zusage,  die  Blandrata  Montag,  den  16. 
September  übermittelte,  bereit,  ihm  ein  Jahrgeld  von  100 
Gulden  zu  zahlen.  Da  die  Kleinpolen  ihn  aber  zugleich 
um  Unterstützung  ihres  Pinczower  Gymnasiums  angegan- 
gen hatten,  knüpfte  er  an  das  Jahrgeld  die  Bedingung, 
dass  Lismanino  das  theologische  Lehramt  an  der  Schule 
übernehme.  Als  Zeichen  seines  Dankes  für  die  Widmung 
der  Tragödie  der  Messe  sandte  er  60  Gulden.  Natürlich 
genügte  dies  bei  den  zerrütteten  Vermögensverhältnissen 
in  keiner  Weise.  Am  folgenden  Tage  Hess  Lismanino 
deshalb  der  Synode  eine  Bittschrift  zugehen,  die  sein 
alter  Freund  Andreas  Trzycieski  der  Versammlung  vorlas. 
In  ihr  führte  er  aus,  er  sei  auf  allgemeinen  Beschluss  aus  der 
Schweiz  für  die  polnische  Kirche  berufen,  lebe  schon  über 
vier  Jahre  in  Polen  und  habe  weder  eine  ordentliche  Woh- 
nung noch  ein  ausreichendes  Einkommen  erhalten,  trotz  aller 
Versprechungen  sei  bisher  wenig  für  ihn  getan.  Seine 
Schuldenlast  sei  deshalb  nicht  klein,  und  er  wisse  nicht,, 
wovon  er  leben  solle;  für  die  Zukunft  bitte  er  um  or- 
dentliche Versorgung,  für  den  Augenblick  um  Vorschuss. 
Aus  den  langen  Reden,  die  im  Anschluss  an  diese  Bitt- 
schrift von  den  anwesenden  Herren  gehalten  wurden,, 
konnte  Lismanino  die  alte  Wahrheit  ersehen,  dass 
auch  die  Freundeshand  sich  nur  widerwillig  dem  Hilfe- 
suchenden öffnet.  Man  fragte,  wer  im  Namen  der  ganzen 
Kirche  ihn  gerufen  habe,  und  die  Geistlichen,  vor  allem 
Cruciger,  schwiegen  und  wagten  nicht,  für  den  Bruder 
einzutreten.     „Wenn   ihr   ihn   gerufen   habt,    so  helft  ihr 


Francesco  Lisraanino.  279 

ihm  mit  eurem  Gelde",  herrschten  die  Edelleute  die 
Geistlichen  an,  sammelten  aber  schliesslich  unter  sich. 
Des  Stancaro  Freund  H.  Ossolinski  hatte  am  unwilligsten 
gesprochen,  als  er  nun  20  Gulden  reichte,  bemerkte  einer 
der  Edelleute:  „Das  gibt  er  nicht  gerne".  Da  sprang  der 
reizbare  herrische  Schlachzize  auf  und  griff  unter  einem 
Fluch  nach  dem  Schwert,  und  nur  mit  Mühe  konnten 
seine  Freunde  ihn  beschwichtigen.  Die  Sammlung,  zu 
der  die  Geistlichen  und  die  beiden  Brüderboten  auch 
beisteuerten,  ergab  161  Taler. 

Noch  vor  der  Synode  war  Silnicki  mit  den  Briefen 
der  Schweizer  und  der  dogmatischen  Abhandlung  Calvins 
wider  Stancaro  in  Kleinpolen  eingetroffen.  Lismanino 
hatte  für  ihre  Verbreitung  gesorgt,  und  auf  der  Synode 
Hess  Cruciger  sie  verlesen,  auch  berichtete  Silnicki  der 
Versammlung  von  seiner  Reise;  einem  eventuellen  Rufe 
der  Edelleute  nach  Polen  zur  Bekämpfung  Stancaros 
würden  Martire,  Viret  und  Beza  Folge  leisten.  Die  Herren 
scheuten  indessen  die  Kosten  und  sprachen  sich  über 
Silnickis  Versuch,  Schweizer  Theologen  nach  Kleinpolen 
zu  ziehen,  wenig  erfreut  aus.  Da  Stancaro  wieder  die 
freche  Lüge  aussprengte,  Briefe  und  Schriften  seien 
von  Petrus  Statorius  und  Blandrata  gefälscht1),  den  Genfer 
Theologen  von  neuem  für  sich  in  Anspruch  nahm  und 
aus  seinen  Schriften  Beweisstellen  für  seine  Lehre  zusam- 
mentrug, da  auch  seine  Patrone  ihn  nicht  fallen  lassen 
wollten,  sondern  in  Verbindung  mit  ihm  seinen  Schüler 
Christoph  Przechadzkamit dem  Beinamen  „der  Peripatetiker" 
aus  Lemberg  nach  Genf  abzuordern  beschlossen,  wandten 

x)  Stancarus:  DeTrinitate  S.  Lij:  „Sero  intellexi,  Calvine,  doctri- 
nam  meam  a  te  in  priori  tuo  ad  Polonos  scripto  damnatam  esse. 
Fatcor  quidem  me  illud  scriptum  anno  superiore  a  Pinczovianis 
aeditum  legisse  atqne  hoc,  quod  nunc  scribis,  vidisse,  sed  tarnen  a  te 
profectum  non  credidisse.  Imo  constanter  quibusdam  doctis  affir- 
mabam  illud  scriptum  non  esse  tuum  sed  Petri  Galli  et  Blandratae. 
Diccbam  enim  Calvinum  virum  doctum  tot  blasphemias,  tot  errores, 
tot  contradictiones,  tot  consequentias  falsas  et  demum  Arianam  et 
Eutychianam  haereses  scribere  non  potuisse,  sed  hoc  a  praedictis 
Pinczovianis  sub  nomine  Calvini  fictum  esse  et  aeditum  esse". 


a8o  Theodor  Wotschke. 

sich  auch  die  kleinpolnischen  Theologen  von  neuem  an  die 
Schweizer  und  baten  um  ihre  Hülfe.  Vom  i.  October 
ist  der  Brief  des  Gregorius  Pauli  datiert1),  um  dieselbe 
Zeit  schrieb  '  auch  Lismanino  2).  Merkurius  Gallus,  der 
die  Briefe  in  Krakau  erhielt,  reiste  durch  Grosspolen, 
Anfang  Dezember  sehen  wir  ihn  in  Posen,  am  4. 
Dezember  in  Scharfenort  (Ostrorog),  wo  ihm  Johann 
Laurentius  ein  Schreiben  mitgab8).  Am  3.  Januar 
traf  Gallus  in  Zürich  ein,  wo  Bullinger  augenblicklich 
viel  beschäftigt  die  Briefe  nicht  lesen  konnte  und  in 
Übereinstimmung  mit  Martire  sie  sofort  nach  Genf  tragen 
Hess4).  Am  1.  Februar  schrieb  Calvin  seinem  Züricher 
Freunde  voll  Verdruss  über  die  neuen  Anfragen  und 
über  die  anerkennenden  Worte,  die  Lismanino  in  seinem 
Schreiben  für  Blandrata  gehabt  hatte6).  Da  die  Antwort, 
die  er  mündlich  dem  Przechadzka  gab,  am  26.  Februar 
schriftlich  an  Stadnicki  sandte 6),  in  Verbindung  mit  seiner 
vorjährigen  Schrift  ihm  für  diesen  unfruchtbaren  scho- 
lastischen Streit  ausreichend  schien,  schickten  nur  die 
Züricher,  die  durch  Christoph  Thretius  neue  Briefe  aus 
Polen  erhalten  hatten,  ein  Sendschreiben  wider  Stancaro. 
In  ihrem  Auftrage  verfasste  es  im  März  Martire  und 
noch  in  demselben  Monat  liess  er  es  mit  seinem  Briefe 
von  27.  Mai  1560  auch  im  Druck  ausgehen7). 


*)  O.  C.  XVIII  Nr.  3255.  Über  des  Gregorius  Pauli  Aufenthalt 
in  Posen  und  seine  Lehrtätigkeit  an  der  Pfarrschule  von  Maria 
Magdalena  1549/50  vergleiche  meinen  Aufsatz  im  Dezemberhefte  der 
Historischen  Monatsblätter  für  die  Provinz  Posen.  Posen  1903  S.  177  ff. 

2)  Der  Brief  ist  verloren  gegangen. 

3)  O.  C.  XVIH  Nr.  3260. 
*)    O.  C.  XVHI  Nr.  3309. 

6)  O.  C.  XVIII  Nr.  3332. 

*)  O.  C.  XVT1I  Nr.  3347.  Ende  Februar  muss  auch  der  Brief  an 
Stancaro  geschrieben  sein,  den  die  Herausgeber  der  Briefe  Calvins 
an  das  Ende  des  Jahres  1561  (O.  C.  XIX  Nr.  3684)  gesetzt  haben. 

7)  Epistolae  duae  ad  ecclesias  polonicas  Jesu  Christi  evan- 
gelium  amplexas  de  negotio  Stancariano  et  mediatore  Dei  et  homi- 
num  Jesu  Christo,  an  hie  seeundum  humanam  naturam  dumtaxat  an 
seeundum  utramque  mediator  sit.    Tigurini  apud  Froschover  1561. 


Francesco  Lismanino.  281 

Die  Synode   von   Xions   hatten   die  Geistlichen   am 
19.  September  mit  Erbitterung  gegen  Lismanino  verlassen. 
Er,  der  Fremde,  war  durch  den  Einfluss  der  Herren  Senior 
geworden,    mit   seinem  Unterstützungsgesuch  war   er  der 
Anlass  gewesen,  dass  sie  öffentlich  von  den  Edelleuten  ge- 
tadelt worden  waren.  Auf  der  Pinczower  Synode  September 
1555   hatte    sich   der  ehrgeizige  St,  Sarnicki   gegen  seine 
Berufung  ausgesprochen,  damals  war   er  allein  geblieben, 
jetzt   hörte  man   viele  Worte  des  Unmuts   und   des  Ver- 
drusses über  die  Italiener,  vor  allem  auch  über  Lismanino. 
Am  24.  Januar  1561,  am  Vorabend  der  Synode  zu  Pinczow, 
als  die  Geistlichen   unter  Crucigers  Vorsitz    sich  versam- 
melten,  kam    die   Missstimmung  zum   Ausbruch.     Durch 
Cruciger,  der  auf  das  Verdienst,  welches  sich  gerade   die 
Fremden  um  die  Reformation  in  Kleinpolen  erworben,  hin- 
wies, wurden   die  Gegensätze   noch   einmal  ausgeglichen, 
und  ein  Antrag   angenommen,  in  dem   man  Gott  dankte, 
dass  er  fromme  und  erleuchtete  Männer   nach  Polen  ge- 
sandt habe,  aber  dagegen  Verwahrung  einlegte,   dass  sie 
vor  den  Einheimischen  einen  Vorrang  hätten;  auch  sollten 
sie  nicht,  dies  scheint  gegen   den  zweiten  Senior,    gegen 
Blandrata,  gerichtet  zu  sein,  früher  in  die  Kirchengemein- 
schaft aufgenommen  werden,  bevor  sie  nicht  ein  Glaubens- 
bekenntnis abgelegt   hätten1).    Immerhin   war   Lismanino 
schwer  gekränkt;  bei   allen  Opfern,  die  er  in  Polen  hatte 
bringen  müssen,  sollte  er  noch  Missgunst  ernten!    Er  be- 
schloss  deshalb,  die  Vertrauensfrage  zu  stellen  und  zugleich 
auch  eine  endgültige  Regelung  seiner  Gehaltsverhältnisse 
herbeizuführen.  An  die  Synode  wandte  ersieh  mit  folgenden 
Worten:  „Edle  Herren  und  liebe  Brüder.  Oftmals  habe  ich 
euer  Wohlwollen  gegen  mich  erfahren,  besonders,  als  ich  durch 
euren  Brief  zur  Leitung  der  Kirche,  welche  der  Herr  unter 
euch  aufgerichtet  hat,   aus   der  Schweiz   gerufen   wurde. 
Wiewohl  ich  nicht  meinte,  viel  Hilfe   bringen  zu  können, 
bin  ich  doch,  um  meinen  Glaubenseifer  zu  bezeugen  und 
eurer  Liebe  gegen  mich  zu  entsprechen,  gekommen,  wohl 


l)  Lasciana  S.  528. 


282  Theodor  Wotschkc. 

mit  banger  Hoffnung,  doch  mit  der  Freudigkeit,  die  das 
Reich  Gottes  fordert.  Welche  Hindernisse  nach  meiner 
Rückkehr  meine  Krankheit  und  meine  Ächtung,  die  mich 
zwang,  wie  ein  Begrabener  verborgen  zu  leben,  mir 
brachten,  wisst  ihr.  Nicht  um  meinetwillen  sind 'mir  die 
Heimsuchungen  schmerzlich  gewesen,  sondern  weil  sie 
von  dem  Amte,  zu  dem  ich  berufen  war,  mich  fernhielten- 
In  meiner  Ächtung  haben  in  Gross-  und  Kleinpolen  ver- 
schiedene Edelleute  sich  meiner  väterlich  angenommen 
und  mich  durch  ihre  Güte  für  immer  zu  Dank  verpflichtet. 
Auf  den  Synoden  ist  jetzt  öfters  und  besonders  gelegent- 
lich des  Leichenbegängnisses  des  Herrn  Laski  von  einem 
Jahrgeld  für  mich  gesprochen  worden,  und  ich  habe  auf 
einen  festen  Beschluss  hierin  gewartet.  Auf  zwiefache 
Weise  könnte  mir  geholfen  werden,  durch  die  freundliche 
Opferwilligkeit  eines  Einzelnen  oder  durch  eine  allgemeine 
Sammlung.  Aber  es  scheint  mir  nicht  richtig,  dass  wer 
seine  Mühe  und  Arbeit  der  Gesamtheit  widmet,  von  einem 
Einzelnen  unterhalten  werde.  Auch  den  zweiten  Weg, 
mir  zu  helfen,  halte  ich  für  bedenklich  und  bei  dem 
Widerspruch  vieler  für  nachteilig.  Gleichwohl  hätte  ich 
auf  eine  Art  mir  helfen  lassen,  aber  ich  glaubte,  dass 
meine  Arbeit  der  Kirche  nicht  so  segenbringend  sein  wirdT 
wie  zu  wünschen  wäre.  Meine  unsichere  Lage  habe  ich 
so  lange  ertragen,  als  ich  noch  Hoffnung  auf  eine  Ver- 
sorgung oder  eine  Anstellung  hatte,  die  der  Kirche  und  mir 
nicht  zum  Nachteil  sein  würde.  Da  aber  alle  Aussicht 
geschwunden  ist,  bitte  ich  unter  dem  Drucke  der  Not  mir 
zu  erlauben,  für  mich  zu  sorgen,  zumal  da  mein  Alter 
einen  längeren  Verzug  nicht  zu  gestatten  scheint  Ich 
ersuche  euch,  edle  Herren,  herzlich,  meine  Bitte  um  Ent- 
lassung brüderlich  anzunehmen  und  überzeugt  zu  sein,  dass 
ich  stets  wieder  zur  Verfügung  stehen  werde,  dieser  Kirche 
mit  meiner  ganzen  Kraft  zu  dienen."  Aber  gerade  jetzt^ 
wo  es  galt,  die  gegen  Blandrata  erhobenen  Beschuldigungen 
zu  prüfen  und  zu  entscheiden,  ob  er  noch  ein  Glied  der 
Kirche  sei  oder  zu  den  Antitrinitariern  gehöre,  wo  der 
Streit  mit  Stancaro  noch  nicht  beendet  war,   wo  es  galt- 


Francesco  Lismanino.  283. 

die  Briefe  der  Schweizer  herauszugeben,  die  eigene  Kon- 
fession noch  einmal  zu  übersehen,  wo  auch  die  Errichtung 
einer  Schule  von  Bonar  in  Xions  geplant  wurde,  konnte 
man  seiner  nicht  entbehren.  Er  erhielt  daher  die  Antwort, 
die  Kirche  erkenne  den  Segen,  mit  dem  er  arbeite,  art 
und  bitte  ihn,  wenigstens  bis  zur  Synode  nach  Ostern  zu 
bleiben.  Inzwischen  würden  die  Senioren  in  allen  Diö- 
zesen für  den  Gotteskasten  sammeln  lassen,  damit  er  aus 
ihm  versorgt  werden  könnte.  Mit  dieser  neuen  Vertröstung 
war  Lismanino  wenig  zufrieden,  aber  den  erneuten  Bitten 
der  Synodalen  konnte  er  nicht  widerstehen,  zumal  man 
ihm  einige  Wochen  Urlaub  zur  Ordnung  seiner  Verhält- 
nisse gewährte. 

Allein  diesen  Urlaub  anzutreten,  fehlte  ihm  jetzt  die 
freie  Zeit.  Auf  den  16.  Februar  war  die  Zusammenkunft 
in  Xions  angesetzt,  welche  über  die  Errichtung  eines 
evangelischen  Gymnasiums  zu  beraten  hatte.  Ferner  musste 
das  Bekenntnis,  welches  auf  Radziwills  Veranlassung  Bland- 
rata  überreicht  hatte,  durchgesehen  und  geprüft  werden. 
Auf  der  Synode  zu  Pinczow  hatten  nebst  Lismanino 
noch  Cruciger,  Lutomirski,  Sarnicki,  Gregorius  Pauli, 
Krowicki  mit  dem  italienischen  Arzte  verhandelt,  sie  werden 
auch  jetzt  neben  Lismanino  an  der  Prüfung  seines  Bekennt- 
nisses beteiligt  gewesen  sein.  Von  ihm  wie  von  den 
Versicherungen,  die  Blandrata  noch  mündlich  gab,  fanden 
sie  sich  alle  voll  befriedigt,  und  Cruciger  schrieb  davon 
am  13.  März  dem  Fürsten  Radziwill,  am  15.  Mai  berich- 
tete auch  Lismanino  gemäss  dem  Beschlüsse  der  Pin- 
czower  Synode  vom  25.  Januar  dies  nach  der  Schweiz.. 
Er  halte  Blandrata  für  rechtgläubig  und  für  einen  höchst 
bedeutenden  Mann,  er  bitte  Calvin,  ihm,  der  nur  mit 
Worten  der  Hochachtung  von  ihm  spreche,  ihm  selbst 
auch  ein  werter  Freund  geworden  sei,  seine  Zunei- 
gung wieder  zuzuwenden.  Da  ein  besonderer  Bote  ihm 
nicht  zur  Verfügung  stand,  schickte  er  den  Brief 
durch  Kaufleute  über  Nürnberg;  auch  ein  Schreiben 
für  seinen  Freund  Wolph  in  Zürich  übergab  er  ihnen. 
zur  Bestellung. 


284  Theodor  Wotschkc. 

Die  folgenden  Monate  zwangen  Lismanino,  wieder 
seine  ganze  Kraft  dem  Streite  mit  Stancaro  zu  widmen. 
Anfang  Mai  kam  Christoph  Przechadzka  von  seiner 
Reise  nach  Genf  zurück  und  übergab  Stadnicki  den  Brief 
Calvins  wie  auch  das  längere  dogmatische  Schreiben 
Martires  wider  Stancaro.  Seine  alte  Taktik,  die  Pin- 
czower  der  Fälschung  zu  verdächtigen,  konnte  der  italie- 
nische Zänker  nicht  fortsetzen,  er  suchte  darum  die  Schriften 
der  Schweizer  zu  widerlegen  und  schrieb  im  Mai  und 
Juni:  „Castigationes  quorundam  locorum  prioris  epistolae 
ministrorum  Tigurinae  ecclesiae  ad  ecclesias  Polonicas, 
scriptae  Tiguri  1560  27.  Maii,  impressae  autem  1561  mense 
Martio",  ferner  „Castigationes  quorundam  locorum  poste- 
rioris  epistolae  ministrorum  Tigurinae  ecclesiae  ad  ecclesias 
Polonicas  scriptae  et  impressae  Tiguri  anno  1561*  und 
schliesslich  „de  trinitate  et  incarnatione  atque  mediatore 
adversus  I.  Calvinum*  mit  einem  Anhange  „Admonitio  ad 
lectorem  de  libris  Calvini"  x).  In  diesen  Schriften  klagte 
er  die  Schweizer  der  arianischen,  eutychianischen,  apol- 
linaristischen,  timotheischen 2),  akephalischen3),  theo- 
dosianischen  und  gajanitischen 4)  Häresie  an,  weil  sie 
Christum  auch  nach  seiner  göttlichen  Natur  Mittler  sein 
liessen  und  dadurch  eine  persönliche  Tätigkeit  in  der 
Trinität  statuierten.  Seine  Controversschriften,  die  er 
in  vielen  Abschriften  verbreiten  Hess,  parallelisierten  die 
Wirkung  der  Briefe  der  Schweizer  Theologen  und  ihrer 
dogmatischen  Gutachten  vollständig,  und  die  Pinczower 
mussten  nach  neuen  Beweisgründen  wider  Stancaro  sich 
umsehen.  Vor  allem  fühlte  sich  dazu  Lismanino  verpflichtet 
Er  hatte  nie  nach  einer  führenden  Stellung  in  der  klein- 
polnischen Kirche  begehrt,  aber  bei  der  allgemeinen  dog- 


1)  Sämtliche   Schriften   erschienen   vereinigt  mit  dem  Buche 
de  Trinitate  1562  in  Krakau. 

2)  Timotheus   Älurus   war   Führer  und   Patriarch  der   Mono- 
physiten  in  Ägypten. 

3)  Akephaler  nannten  sich  die  strengen  Monophysiten  in  Ägypten. 

4)  Theodosius  und  Gajanas  waren  Führer  zweier  monophysi- 
tischer  Richtungen  der  Severianer  und  Julianisten. 


Francesco  Lismanino.  285 

malischen  Verwirrung,  die  die  Schriften  des  Mantuaners. 
erregten,  bei  der  Ratlosigkeit,  die  sich  der  führenden  kirch- 
lichen Kreise  bemächtigte,  hielt  er  es  für  seine  Pflicht,  als 
der  theologisch  und  dogmatisch  noch  am  besten  geschulte 
den  Kampf  wider  Stancaro  mit  aller  Kraft  aufzunehmen 
und  durchzukämpfen.  Von  den  Schreiben  der  Schweizer 
fand  er  sich  wenig  befriedigt.  Calvins  und  Martires 
Anschauungen,  dass  das  Wesen  des  Mittlers  eine 
gewisse  Inferiorität  nicht  in  sich  schliesse  x),  ver- 
mochte er  nicht,  sich  zu  eigen  zu  machen.  Sodann  hatten 
sie  die  göttliche  Natur  an  sich  vom  Mittleramte  ausge- 
schlossen, sie  nur  insoweit  beteiligt  sein  lassen,  um  die 
Vollkommenheit  des  von  der  menschlichen  Natur  gelei- 
steten Gehorsams  zu  sichern.  Sie  wiesen  es  also  zurück, 
dass  Christus  vor  seiner  Menschwerdung  als  zweite  Person 
der  Trinität  Mittler  gewesen  sei,  selbst  Martire,  der  dem 
kleinpolnischen  Bekenntnis  anfänglich  zugestimmt  hatte, 
behauptete  jetzt  unter  dem  Einfluss  Calvins  nur  eine 
ideelle  Mittlerschaft  Christi  vor  seiner  Fleischwerdung  in 
dem  Gedanken  Gottes,  sofern  er  von  Ewigkeit  dazu 
bestimmt  war,  Mensch  zu  werden  und  die  Erlösung  zu 
vollbringen  2).  Denn  da  der  Logos  mit  dem  Vater  gleichen 
Wesens,  gleicher  Macht  und  Würde  sei,  habe  er  als  solcher 
nicht  vermitteln  können.  Stancaro,  der  diesem  Argumente 
natürlich  beipflichtete,  antwortete:  „O  ihr  gelehrten  Dok- 
toren! Wenn  die  göttliche  Natur  nicht  vor  der  Incarnation 
Mittlerin  sein  kann,  dann  auch  nach  der  Incarnation  nicht. 
Gebt  ihr  doch  zu,  dass  sie  unveränderlich  ist  und  immer 


r)  Es  war  eine  der  Hauptthesen  Stancaros:  „semper  ille, 
qui  rogat,  quatenus  rogat,  minor  est  eo,  qui  rogatur".  Eine  gewisse 
Inferiorität  wollte  Lismanino  zugestehen,  aber  wohl  gemerkt,  nur 
eine  inferioritas  quoad  causam,  nicht  quoad  naturam,  wie  sie  Erasmus 
in  seinem  Briefe  an  Jakob  Sturm  ausgesprochen.  Vergl.  Lubie- 
niecki  S.  122. 

2)  Martire :    „Dicimus  Christo  non  convenire  ante  incarnationem 
mediatorem  fuisse,  quatenus  est  eiusdem  essentiae  parisque  potestatis 
ac  dignitatis  cum  patre.    At  si  eum  spectemus,  quatenus  olim  apatre 
mittendus  erat,   ut    homo   fieret,   etiam  tum   hoc   respectu   adhibito~ 
mediator  fuit". 


286  Theodor  Wotschke. 

und  ständig  ihre  Eigenheit  bewahrt".  Im  Gegensatze  zu 
♦den  Schweizern  meinte  Lismanino  einige  Nebengedanken 
Stancaros  als  berechtigt  anerkennen,  um  so  schärfer  aber 
seine  Grundanschauung,  die  strenge  Fassung  der  Trinitäts- 
lehre,  die  zum  Sabellianismus  hinneigte,  bekämpfen  zu 
müssen.  Fasste  jener  den  Augustinischen  Kanon  „opera 
ad  extra  sunt  indivisa"  so  scharf,  dass  er  die  Proprietäten 
der  drei  Personen  aufhob,  und  nicht  Raum  blieb  für  eine 
^Mittlerschaft  des  Logos,  so  suchte  er  die  realen  Unterschiede 
der  Personen  in  der  Gottheit  zu  betonen  und  unter  Fest- 
haltung der  kirchlichen  Trinitätslehre  noch  eine  gewisse 
Präeminenz  des  Vaters  darzutun.  Den  Boden  des  Nicänums 
wollte  er  nicht  verlassen,  er  ist  von  ihm  in  der  Tat  auch 
nicht  abgewichen,  wenn  er  dem  Vater  als  dem  airtov  eine 
Verschiedenheit  vor  dem  Sohne  als  dem  alxiawv  zuerkennt 
Den  Vorwurf  arianischer  Häresie  von  Seiten  Stancaros 
fürchtete  er  nicht,  waren  doch  auch  Philipp  Melanchthon  x) 
und  die  Schweizer  dem  nicht  entgangen;  dass  bei  der 
schon  herrschenden  Besorgnis,  vor  dem  Arianismus  ihn 
auch  andere  darob  der  Hinneigung  zu  den  Antitrini- 
tariern  anklagen  könnten,  übersah  er  nicht,  hoffte  aber 
•durch  gleichzeitiges  Betonen  aller  athanasianischen  und 
nicänischen  Formeln  alle  auftauchenden  Bedenken  ent- 
kräften zu  können.  Anfänglich  fand  er  bei  den  kleinpol- 
nischen Geistlichen  den  grössten  Beifall,  aber  schon  auf  der 
Synode  zu  Xions  am  i.  und  2.  September  1561  widersprach 
ihm  sein  alter  Gegner  Sarnicki  und  machte  sich  den  Vor- 
wurf des  gemeinsamen  Feindes  Stancaro  zu  eigen,  ver- 
dächtigte ihn  auch  am  1.  September  in  seinem  Schreiben 
an    Calvin2).    Da   Rede    und    Gegenrede    zu   Xions    zu 


*)  Eine  Schrift  Stancaros  trägt  den  Titel :  collatio  doctrinae  Arii 
etPh.Melanchthonis.  Eine  Aufzählung  angeblicher  Ketzereien  Melanch- 
thons  schliesst  er  mit  den  Worten:  „haec  et  plures  aliae  Arianae  et 
Trideitarum  blasphemiae  sunt  in  his  et  aliis  epistolis  ad  consiliarios 
principis  marchionis  Ioachimi  secundi  et  in  libris  Melanchthonis,  ut 
in  meo  ad  versus  eos  libro  aedito  demonstro". 

2)  Auch  Lismanino  schrieb  am  1.  September  einen  leider  ver- 
loren gegangenen    Brief  an   Calvin.     Dies   Schreiben    nahm  Martin 


Francesco  Lismanino.  287 

keinem  Ergebnis  führten,  ward  eine  neue  Synode  für  den 
16.  September  zu  Krakau  l)  und  als  diese  fruchtlos  verlief, 
eine  zweite  auf  den  22.  September  in  Wlodzislaw  anberaumt 
Um  jeder  Missdeutung  seiner  Lehre  vorzubeugen  und 
der  dogmatischen  Auseinandersetzung  eine  sichere  Grund- 
lage zu  geben,  schrieb  Lismanino  am  10.  September  seinen 
bekannten  Lehrbrief  an  seinen  alten  Freund  Iwan  Kar- 
minski2). Wie  schon  die  mündlich  vorgetragene  dogma- 
tische Ausführung  ward  er  von  der  Mehrzahl  der 
Pastoren,  die  nun  den  alten  Zänker  aus  Mantua  für  wider- 
legt erachteten,  freudig  begrüsst.  Am  anerkennendsten 
sprach  sich  wohl  der  Pfarrer  von  Chrencice  Jakob  SylvTus 
über  ihn  aus,  der  ihn  auch  mit  Begeisterung  unterschrieb8). 
Aber  Sarnicki  gab  seinen  Widerspruch  nicht  auf,  er  be- 
stimmte den  Grundherrn  von  Pinczow  in  der  zweiten 
Sitzung  der  Wlodzislawer  Synode  am  23.  September 
in  einer  herrischen  an  Ausfällen  reichen  Rede  den 
Antrag  zu  stellen,  Lismanino  ob  dieses  Briefes  und 
der  darin  ausgesprochenen  Lehrsätze  einen  Verweis  zu 
erteilen.    Johann  Bonar  trat  aber  für  seinen  alten  Freund 


Czechowicz,  der  im  Auftrag  Radziwills  nach  der  Schweiz  reiste, 
um  zwischen  Calvin  und  Blandrata  eine  Versöhnung  herbeizuführen, 
nach  Genf  mit. 

*)  Vergl.  Sand  S.  185. 

*)  Lubieniecki  bringt  den  Brief  S.  119 — 126  seiner  Reforma- 
tionsgeschichte, lässt  ihn  aber  irrtümlich  vom  10.  Dezember  1561 
datiert  sein.  Mit  Bock  I  S.  437  und  Dalton,  Lasciana  S.  550  von  zwei 
Briefen  Lismaninos  an  Karminski  zu  sprechen,  ist  unrichtig. 

3)  Lismaninus:  Brevis  Explicatio  de  Trinitate  S.  e2  „Jacobus 
Silvias  epistolam  sie  approbavit,  ut  sua  manu  peculiariter  in  haec 
verba  subscripserit.  Sicut  Psaltes  cum  exsultatione  dicebat :  Laetor, 
com  mihi  dieunt,  eamus  ad  domum  Domini,  ita  et  ego  plurimum  lae- 
tatus  sum,  postquam  haec  aliquoties  relegi  et  flexis  genibus  gratias 
■cgi  pastori  et  curatori  ecclesiae  nostrae  Jesu  Christi,  qui  non  sinit 
nos  erroribus  conquassari,  sed  liberalius  ad  nos  transvibrat  radios 
suae  lucis.  Hac  via  iam  video  penitus  miserum  coneidisse  Stan- 
carum,  in  quo  ego  conspicio  tres  ingentes  errores:  primum  Sabellii, 
quia  in  aretum  personas  essentiae  divinae  contrahit,  seeundum 
Nestorii,  quia  duos  Christos  facit  in  mediatione,  terlium  quod  careat 
societate  ecclesiae  Christi". 


288  Theodor  Wotschke. 

und  Schützling  ein  und  verteidigte  ihn  wider  den  Vorwurf 
der  Häresie;  Lismanino  selbst  beteuerte,  dass  er  dem  Worte 
Gottes  gemäss  lehre  und  in  allem  mit  der  rechtgläubigen 
schweizerischen  Kirche  übereinstimme.  In  einer  längeren 
Ausführung  ging  er  dann  weiter  auf  die  dogmatischen 
Formeln  ein  und  zeigte,  wie  sie  alle  dunkel  und  schwer- 
verständlich seien  und  wie  selbst  anerkannten  Kirchen- 
lehrern wie  dem  magister  sententiarum  der  Vorwurf 
falscher  Lehre  nicht  erspart  geblieben  sei;  auch  auf  einige 
freie  Aeusserungen  Luthers  scheint  er  hingewiesen  zu 
haben.  Er  sprach  so  gut,  dass  der  Vorstoss  seiner  Gegner 
missglückte.  Die  meisten  waren  von  den  erhaltenen  Er- 
klärungen befriedigt,  doch  erbat  sich  die  Synode  eine  Ab- 
schrift des  Briefes,  um  ihn  noch  einmal  durchzusehen, 
ihn  zur  Prüfung  auch  den  befreundeten  Kirchen  in  der 
Schweiz,  Böhmen  und  Lithauen  zu  senden.  Im  weiteren 
Verlauf  der  Sitzung  brachte  Lismanino  wiederum  seine 
gedrückte  materielle  Lage  zur  Sprache  und  bat  um  Ent- 
lassung, damit  er  für  seinen  Lebensabend  sich  eine  sichere 
Versorgung  suchen  könne.  Die  Synode  drückte  ihm 
darauf  ihre  Teilnahme  und  brüderliche  Liebe  aus  und  er- 
klärte trotz  der  Einwendungen  Sarnickis1),  seine  Dienste 
nicht  missen  zu  können.  Aus  dem  Gotteskasten  sollte  er 
fortan  ein  Gehalt  von  200  Gulden  gezahlt  erhalten,  auch 
versprachen  die  Herren,  seine  Schulden  bei  der  Edelfrau 
Dluska  in  Höhe  von  87  Goldstücken  auf  sich  zu  nehmen  *). 
Die  Niederlage,  die  Sarnicki  gegen  Lismanino  in 
Wlodzislaw  erlitten  hatte,  dämpfte  seinen  Kampfeseifer 
keineswegs.  Unter  den  Geistlichen  suchte  er  im  geheimen 
gegen  seinen  Gegner  Stimmung  zu  machen  und  es  gelang 
ihm  auch,  verschiedene  auf  seine  Seite  zu  ziehen,  indem 
er  geschickt  die  nationale  Empfindlichkeit  gegen  den 
Fremden  auszunützen  verstand.  Vor  allen  wusste  er  Jakob 
Sylvius,  der  noch  vor  wenigen  Wochen  zu  den  grössten 
Lobrednern  Lismaninos  gehört  hatte,  zu  gewinnen.  Beide 
und  zwei  andere  mir  mit  Namen  nicht  bekannte  kleinpol- 


l)  Dalton:  Lasciana  S.  553. 


Francesco  Lismanino.  289 

nische  Geistliche  Hessen  in  den  folgenden  Monaten  vier 
Streitschriften  wider  Lismanino  ausgehen  und  übersandten 
sie  den  geistlichen  und  weltlichen  Senioren *).  Auch 
von  der  Schweiz  her  zog  sich  ein  Gewölk  wider  Lisma- 
nino zusammen.  Sein  Brief  vom  15.  Mai  an  Calvin  mit 
dem  günstigen  Urteil  über  Blandrata  war  in  Zürich  bei 
Wolph  verschiedene  Wochen  liegen  geblieben.  Am  28.  Sep- 
tember wollte  ihn  dieser  nach  Genf  weiter  befördern,  als 
Martin  Czechowicz  mit  dem  Schreiben  Radziwills  vom 
14.  Juli  und  den  Briefen  der  Kleinpolen  vom  Anfang  Septem- 
ber bei  ihm  eintraf  und  nach  dreitägiger  Rast  nach  Genf 
weiterzog.  Anfang  Oktober  erhielt  Calvin  also  die  ver- 
schiedenen Briefe  aus  Polen  eingehändigt  Schon  lange 
war  er,  wie  wir  wissen,  mit  Lismanino  nicht  zufrieden. 
Dass  auf  der  Synode  zu  Xions  im  September  1560  der 
Streit  mit  Stancaro  nicht  auf  Grund  seines  durch  Silnicki 


*)  Interim  quatuor  diversorum  autorum  libelli  parvo  temporis 
intervailo  in  publicum  exiere,  quorum  sane  duo  erant  anonymi,  alii 
antem  duo  a  duobus  (utinam  fratribus)  ad  ecclesiarum  Minoris  Polo- 
niae  seniores  missi,  adscripta  quidem  habebant  autorum  nomma,  sed 
nos  ab  iis  referendis  abstinuimus,  at  hac  nostra  civili  christianaqac 
modestia  victi  denique  resipiscant  ac  meliorem  ad  mentem  redeant. 
Verum  enimvero  satis  constat  epistolae  nostrae  sententiam  synodi 
seniorum  utriusque  ordinis  ministrorum  pariter  ac  nobilium  iudicio 
foisse  comprobatam,  id  quod  ex  actis  synodi  Pinczoviae  quarto  nonas 
Aprilis  anno  MDLXII  celebratae  pro  comperto  haben  omnino  potest 
Nam  haec  ibi  ad  verbum  leguntur:  Oblatus  est  libellus  a  quodam 
fratrc  editus  et  ipsius  manu  scriptus,  qui  fit  commentarius  contra 
epistolam  privatam  D.  Lismanini  ad  G.  D.  Charninski  Iwan  absente 
autore,  at  hbello  lecto  responderetur  persona  relicta.  Ex  quibus  vide- 
licet  epistola  atquc  huius  modi  libello  a  D.  Alexandrino  Vitrelino 
pastore  Goslicensi  in  Corona  omnium  seniorum,  ministrorum  ac  no- 
biHnm  alta  voce  pronnnciatis  cognovemnt  fratres  magnis  iniuriis  et 
fttfriinniis  D.  Lismaninum  affectum  esse.  Ule  enim  omnia,  quae  sibi 
ipsi  obiciebatur,  tum  epistola  ipsa  tum  voce  reputabat  nee  errores  sibi 
hnpactos  cognoscebat.  Altenas  autem  libelli  ad  synodum  Xiaznensem 
missi  criminationes  cum  in  ipsa  synodo  libelli  eius  autore  vel  saltem 
assertore  praesente  coeptae  essent  legi,  confestim js  publice  confessus 
est,  se  antea  Lysmaninum  non  intellexisse  ob  idque  ei  talem  iniu- 
riam  intulisse.  Quo  factum  est,  ut  ab  ipsius  libelli  lectione  statim 
cessatum  nee  ulterius  progredi  permissum  sit. 

Zeitschrift  der  Hi«t.  Ges.  für  die  Pro*.  Posen.    Jahrf.  XVni.  10 


390  Theodor  Wotschkc. 

erteilten  Gutachtens  durch  endgültige  Verwerfung  des 
Mantuaners  erledigt,  dass  der  von  ihm  zurückgewiesene 
Blandrata  zum  Senior  gewählt  war,  mass  er  ihm  als  Schuld 
bei  und  als  er  nun  gar  in  seinen  Briefen  vom  15.  Mai  und 
1.  September  die  nach  seinem  Empfinden  gebieterisch  aus- 
gesprochene Mahnung  fand,  sich  mit  Blandrata  auszusöhnen, 
da  loderte  in  dem  reizbaren  Franzosen  der  Zorn  auf.  Auch 
in  seinen  Briefen  an  den  Fürsten  Radziwiil,  an  Cruciger 
-und  die  Wilnaer  Geistlichen  weist  er  jede  Aussöhnung 
mit  dem  „portentum  Blandrata"  zurück,  aber  schroff  ant- 
wortet er  am  9,  Oktober  doch  nur  seinem  ehemaligen 
Freunde.  „Ich  weiss  nicht,  weshalb  du  so  ängstlich  um 
eine  Aussöhnung  mit  Blandrata  dich  bemühst  Dir  scheint 
er  ein  bedeutender  Mann  zu  sein.  Behalte  dein  Urteil, 
aber  lass  mir  auch  das  meine.  Du  nennst  ihn  aufrichtig 
ich  kenne  keinen  verschlageneren  und  unredlicheren  Mann. 
Du  willst  keinen  Vorwurf  der  Häresie  wider  ihn  erheben, 
aber  bei  uns  ist  er  mehr  als  hinreichend  der  Ketzerei 
überführt  worden.  Wollte  ich  dir  folgen,  ich  würde  mich 
dem  Gespött  der  Kinder  aussetzen.  Wie  kommst  du  zu 
der  Zuversicht,  ich  könnte  dir  zu  Liebe  nicht  nur  leicht- 
sinnig und  trügerisch  handeln,  sondern  durch  schimpfliche 
Lüge  auch  dem  Satan  Tür  und  Tor  öffnen?  Unsere 
Freundschaft  möchte  ich  ungetrübt  erhalten,  aber  nicht 
unter  dieser  Bedingung.  Beharrst  du  in  deiner  Ansicht, 
so  suche  dir  andere  Freunde,  die  dir  zu  Gefallen  Wahrheit 
und  Kirche  verraten.  Sobald  du  dich  selbst  wiedergefunden 
hast,  wird  deine  Frömmigkeit  und  Einsicht  dich  die  Irr- 
lehren bekämpfen  lassen.  Durch  mich  soll  unser  Freund- 
schaftsbund nicht  verletzt  werden,  wenn  du  mich  nur  nicht 
in  meiner  Pflicht  irre  machen  wolltest"1). 

Noch  rechtzeitig  zur  Krakauer  Synode,  welche  auf 
den  10.  Dezember  angesetzt  war,  traf  Czechowicz  mit 
diesem  und  anderen  Briefen  Calvins  in  Kleinpolen  ein. 
Sarnicki   und   wahrscheinlich   Sylvius*)   erschienen  nicht 

i)  O.  C.  XVIII  Nr.  356a 

*)  Deshalb  brechen  bei  dieser  Synode  die  von  Jakob  Sylvius 
niedergeschriebenen  Synodalprotokolle  ab;  vergL  Lasciana  S.  554. 


Francesco  Lismanino.  291 

zum  Convente;  jener  war  unter  dem  Vorwand  einer  Reise 
nach  Reussen  über  Böhmen  nach  Italien  gegangen,  wo  er 
irr  Padua  mit  Christoph  Tretius  aus  Krakau  zusammentraf 
und  ihn  für  sich  gewann,  doch  hatte  er  der  Synode  seine 
Streitschrift  wider  Lismanino  übersandt  Dies  wie  die 
Briefe  Calvins  bewirkten,  dass  die  Verhandlungen  sich 
ausschliesslich  um  Blandrata  und  Lismanino  drehten.  Es 
ist  richtig,  dass  dieser  in  seiner  Ansprache,  die  er  nach 
Verlesung  der  Sarnickischen  Schrift  an  die  Synodalen 
richtete,  wie  Lubieniecki  bezeugt,  die  Worte  „trinitas,  hy* 
postasis,  communicatio  idiomatum"  scholastisch  und  lom- 
bardisch, der  heiligen  Schrift  unbekannt  nannte,  nur  darf 
ihm  hierbei  keine  arianische  und  antitrinitarische  Tendenz 
untergeschoben  werden.  Unter  dem  fruchtlosen,  dogma- 
tischen Streite,  der  in  ein  Gebiet  hineinführte,  in  dem  jede 
klare  Vorstellung  aufhörte  und  in  dem  die  Formel  herrschte, 
regte  sich  natürlich  die  Sehnsucht  nach  den  ersten  Zeiten 
-der  Kirche,  da  man  von  den  dogmatischen  Spitzfindig- 
keiten noch  nichts  wusste.  Auf  Stanislaus  Lasockis  Antrag 
ward  die  Orthodoxie  Lismaninos  anerkannt  und  seinen 
■Gegnern  ein  Verweis  erteilt.  Am  13.  Dezember  schrieben 
•die  Synodalen  an  Calvin  und  Bullinger  und  bekannten  sich 
einschliesslich  Blandratas  zu  dem  athanasianischen  opoov* 
•ato*,  in  dem  Briefe  an  den  Genfer  Reformator  vergassen  sie 
nicht,  auch  dem  Bedauern  Ausdruck  zu  geben,  dass  er 
sich  von  dem  hinter  dem  Rücken  der  kleinpolnischen  Geist- 
lichkeit von  Sarnicki  am  ersten  September  geschriebenen 
Briefe  habe  einnehmen  lassen  und4seinen  Verdächtigungen 
Gehör  schenken  können.  Am  14.  Dezember  antwortete 
ihm  Lismanino  auch  noch  in  einem  besonderen  Schreiben, 
-dem  letzten,  das  zwischen  ihnen  gewechselt  wurde.  „Was 
ich  schon  so  oft  geschrieben  habe,  wiederhole  ich,  bei  Gott 
schwöre  ich  es,  dass  ich  nie  dir  feind  sein  und  der  Kirche 
■Gottes  einen  Schaden  zufügen  wollte.  Dein  Ansehen  und 
•der  Kirchen  Friede  gelten  mir  mehr  als  hundert  Blandrata. 
Auf  alle  Weise  habe  ich  diesen  in  seiner  Pflicht  zurück- 
gehalten. Nicht  kindische  Liebe  zu  ihm  hat  mich  geblendet, 
wie  du  schreibst,   sondern  der  reife  und  geklärte   Eifer, 

\9* 


292  Theodor  Wotschke. 

mit  dem  ich  dir  und  der  Kirche  Gottes  diene,  hat  mich 
bestimmt,  mit  Blandrata  nicht  anders  zu  verfahren.  Könnte 
ich  alles  dem  Papier  anvertrauen  und  offen  zu  dir  sprechen,, 
du  würdest  ein  Wörtchen  Lismaninos  höher  stellen  als 
lange  Schreiben  jenes  Mannes,  der  unter  dem  erlogenen 
Titel  eines  Krakauer  Pastors1)  durch  Martin  Czechowicz  dir 
und  Bullinger  geschrieben  hat  Du  meinst,  durch  meine 
Fürsprache  sei  Blandrata  von  den  Kirchen  aufgenommen 
worden,  während  er  schon  vor  meiner  Rückkehr  aus  Gross- 
polen von  Laski,  der  ihn  auch  dem  Wilnaer  Palatin 
empfahl,  zu  kirchlichen  Beratungen  hinzugezogen  wurde  *).. 
Zum  Senior  ist  Blandrata  gewählt  worden.  Aber  dadurch 
sind  ihm  Fesseln,  nicht  Ehren,  Banden,  nicht  Würden,  Lasten,, 
nicht  Auszeichnungen  geworden.  Unsere  fromme  List 
nenne  keinen  Schimpf  für  dich,  den  wir  lieben  und  ver- 
ehren. Blandrata  hatte  einen  Ruf  von  dem  Könige  von 
Siebenbürgen  erhalten,  desgleichen  einen  von  dem  Wil- 
naer Palatin.  Ein  grosses  Jahrgeld  und  hohe  Gunst  boten 
ihm  beide.  Was  hätte  Blandrata  dort  nicht  tun,  lehren, 
schreiben  können?  Alles  hätte  ihm  freigestanden  und  an 
Wortkünsteleien  hätte  es  ihm  nicht  gefehlt  Hier  hatLis- 
manino  in  Sorge  und  nicht  in  kindischer  Furcht,  da  er 
vieles  sah,  was  er  nicht  dem  Papier  anvertrauen  kann, 
dahin  gewirkt,  dass  Blandrata  mit  unsichtbaren  Stricken 
festgehalten  wurde.  Ich  habe  ihn  dazu  vermocht,  öffent- 
lich auf  der  Generalsynode  die  servetianische  Ruch- 
losigkeit, den  arianischen  Wahnsinn,  die  sabellianische  Tor- 
heit, des  Stancaro  Raserei  zu  verdammen,  ferner  das 
apostolische  Symbol,  auch  das  nicänische  und  die  übrigenr 
die  mit  ihm  verbunden  sind,  anzuerkennen,  schliesslich,  um 


*)  Stanislaus  Sarnicki. 

*)  Am  7.  November  1558  hat  Laski  Blandratas  Bekenntnis  ge- 
billigt und  ihn  in  die  Kirchengemeinschaft  aufgenommen.  In  Gemein- 
schaft mit  Lelio  Sozini  wird  Blandrata  darauf  Radziwill  aufgesucht 
haben«  Krakau,  den  4.  Januar  1559  schreibt  der  lithauische  Magnat 
in  Beantwortung  des  ihm  von  Sozini  überreichten  Empfehlungsbriefes 
an  König  Maximilian.  Vergl.  J.  Szujski:  Jagiellonki  Polskie  w  XVI  wieku« 
V.  Krakau  1878  S.  144. 


Francesco  Lismanino.  293 

ja  keinen  Verdächtigungen  Raum  zu  lassen,  das  athana- 
sianische  als  Glaubensform  gelten  zu  lassen  und  sich 
allem  zu  unterwerfen,  was  unsere  kleinpolnische  Kirche  als 
<iem  Worte  Gottes  gemäss  vorschreibt.  Doch  um  zu  dem 
zu  kommen,  was  mir  in  deinem  Schreiben  am  wenigsten 
gefällt.  Es  tut  mir  wehe,  lieber  Calvin,  dass  du  meinen 
Brief  nur  so  obenhin  gelesen  hast  Wo  habe  ich  gesagt,' 
dass  Blandrata  bei  euch  recht  gehandelt  habe?  Denkst 
du,  ich  bin  so  töricht  und  leichtfertig,  dass  ich  über  Blan- 
dratas  Auftreten  in  Genf  befinden  will?  Hier  bei  uns  ist 
kein  Trug,  keine  Täuschung,  keine  Häresie  an  ihm  offen- 
bar geworden.  Bei  uns,  wohl  gemerkt,  sage  ich.  Ist  er 
einst  anders  gewesen,  konnte  er  sich  nicht  ändern?  Dem 
umgewandelten  Blandrata  habe  ich  dich  gebeten  die 
Hand  zu  reichen!  Heisst  das  dich  dem  Gespött  der  Kinder 
aussetzen,  dich  für  schmeichlerischen  und  kriechenden 
Geistes  halten,  so  dass  du  mir  zuliebe  leichtfertig  und  unwahr 
handeln  sollst,  ja  heisst  das  Wege  angeben,  um  Wahr- 
heit und  Kirche  zu  verraten"  u.  s.  w.?  Da  er  von  den 
Verdächtigungen  Sarnickis  bei  Calvin  zu  wenig  wusste, 
war  eine  freundschaftliche  Stellung  zu  Blandrata  für 
ihn  so  ausschliesslich  der  Grund  ihrer  Entzweiung,  dass 
er  nur  in  einem  kurzen  Nachtrag  nebenbei  der  Kämpfe 
der  letzten  Monate  gedenkt;  er  legt  eine  Abschrift  seines 
Briefes  an  Iwan  Karminski  bei  und  bittet  den  Genfer 
Reformator  um  sein  Urteil  und  Gutachten  über  ihn. 

In  den  folgenden  Monaten  sah  sich  Lismanino  von 
seinem  alten  epileptischen  Leiden,  das  schon  während 
der  Krakauer  Synode  neu  hervorgebrochen  war  l)9  schwer 
heimgesucht.  Gleichwohl  beteiligte  er  sich  an  den  Vor- 
arbeiten zur  Synode  in  Xions,  welche  für  den  10.  März 
anberaumt  war.  Schon  am  4.  Februar  hatte  Cruciger 
Einladungsschreiben  ergehen  lassen,  unter  anderen  auch 
an  Georg  Israel2),  und  am  23.  desselben  Monats  schrieb 

i)  An  Calvin  musste  Lismanino  am  14.  Dezember  schreiben : 
„in  mediis  cruciatibus  ezcitatis  a  vetere  meo  carnifice  calcnlo  consti- 
tatns  haec  scripsi". 

*)    Den  Brief  besitzt  die  Raczynskische  Bibliothek  in  Posen. 


294  Theodor  Wotschke. 

wegen  dieser  Synode  auch  Lismanino  an  Czechowicz, 
dem  er  zugleich  eine  Abschrift  sämtlicher  Briefe  schickte,, 
die  im  Dezember  des  vorigen  Jahres  nach  der  Schweiz 
gesandt  waren1). 

In  Xions  erreichte  es  zwar  Sarnickis  Freund  und 
Parteigenosse  Jakob  Sylvius,  dass  ein  Teil  seiner  Schrift 
wider  Lismanino  verlesen  wurde,  aber  seine  Aus- 
führungen fanden  keinen  Anklang.  Als  Lismanino  seine 
Ansicht  verteidigte  und  wider  ihn  sprach,  bekannte 
Sylvius,  die  angefochtene  Lehre  nicht  recht  erfasst  zu 
haben  und  liess  sich,  freilich  nur  vorübergehend,  zum- 
Widerruf  bewegen2). 

Da   die   grosse  Synode    zu   Pinczow  vom  2.  April 
1562  auf  Lismaninos  Antrag  bestimmte,  dass  die  Prediger 
von  allen  philosophischen  und  scholastischen  Termini  wie 
Trinität    und  Wesen    absehen   sollten   und  dies  als  Hin- 
neigung zum   Arianismus  gedeutet   werden   könnte,  ver- 
weise ich  auf   die   folgende    Generalsynode  zu  Pinczow 
vom  18.  August   und  das  von  Lismanino  entworfene  und 
von   der  Versammlung  am   20.  August   approbierte   und 
unterschriebene   Bekenntnis.    Es  steht  durchaus  auf  dem 
Boden   der   kirchlichen  Lehre  und  erkennt  die  drei  öku- 
menischen Symbole  als  Normen    des    Glaubens  an,   daa 
nicänische   hat   es  vollständig  in  sich  aufgenommen.  Lis- 
manino hatte  von  den  Schweizern    auf  seine  Briefe  vom 
Dezember   des    vergangenen  Jahres  noch  keine  Antwort 
erhalten,  er  bestimmte  deshalb  die  Synode,  das  Bekennt- 
nis diesmal  an  die  Strassburger  Professoren  zur  Prüfung- 
zu  senden8).    Am  21.  September  kamen  sie  der  Auffor- 


*)    Vergleiche  Lubieniecki,  S.  129. 

*)  Lismanino  am  23.  November  1563  an  Wolph:  „Sylvius  ixt 
synodo  publice  fassus  est,  se  non  intellezisse  me,  et  agnovit  suum 
errorem.  Tandem  reversus  ad  vomitum  sparsit  libellum  famosum 
similem  et  turpiorem  priori  libello  a  se  subscripto  et  alten  libello 
a  Sarnicio  relicto  senioribus  (qui  libelli  sunt  apud  me),  cum  proficisce» 
retur  in  Italiam". 

*)  Er  sagt  in  seiner  explicatio  de  trinitate  S.  fa  „Confessio» 
de  sancta  Trinitate  in  synodo  Pinczoviensi  edita  et  typis  ezcussa  et  ad 


Francesco  Lismanino.  295 

derung  nach  und  Lismanino  hatte  die  Freude,  dass  der 
hervorragende  Theologe  Girolamo  Zanchi,  der  infolge 
der  augenblicklichen  Überhäufung  der  Strassburger  Ge- 
lehrten mit  anderen  Arbeiten  allein  antwortete,  nicht  nur 
dem  Bekenntnis  ungeteilten  Beifall  zollte,  sondern  auch 
für  seine  im  Streite  wider  Stancaro  geprägte,  von  Calvin 
abgelehnte  These  eintrat,  dass  Christus  schon  vor  seiner 
Menschwerdung  Mitder  gewesen  sei. 

Die  Genugtuung,  fast  sämtliche  kleinpolnische 
Geistliche  für  sich  zu  haben  und  seine  Lehrweise  von 
einem  der  schärfsten  reformierten  Denker  gebilligt  zu 
sehen,  wurde  Lismanino  getrübt  durch  eine  stete  Ver- 
schlimmerung seines  epileptischen  Leidens,  das  ihn  Herbst 
und  Winter  1562/63  an  das  Bett  fesselte,  und  durch  seine 
traurige  pekuniäre  Lage,  da  trotz  aller  Versprechungen 
der  Synoden  wohl  aus  Mangel  an  Mitteln  ihm  kein  Jahr- 
geld gezahlt  wurde.  Er  hätte  wohl  geradezu  Not  leiden 
müssen,  wenn  sich  nicht  einige  Herren,  besonders  Hier. 
Filipowski,  seiner  angenommen  hätten,  auch  Blandrata 
gewährte  ihm  von  seinen  hohen  Einkünften,  die  er  als 
gesuchter  Arzt  hatte,  eine  Unterstützimg.  Verschiedendich 
dachte  er  daran,  den  Einladungen  des  Fürsten  der  Wa- 
lachei Heraklid  Basilikus,  der  in  Polen  für  das  refor- 
mierte Bekenntnis  gewonnen  war  und  in  enger  Verbin- 
dung mit  den  evangelischen  Herren  Kleinpolens  stand, 
zu  folgen1),  allein  er  glaubte,  nicht  ohne  Einwilligung  des 
Königs  Polen  verlassen  zu  dürfen.  Zu  der  bedrängten 
äusseren  Lage  kam  noch  ein  innerer  Schmerz.  Musste 
er  doch  sehen,  wie  einige  seiner  Anhänger  und  Schüler, 
vor  allen  Gregorius  Pauli  und  Georg  Schomann,  seinen 
Lehrsatz  von  der  Präeminenz  des  Vaters  arianisch  weiter 
bildeten,  die  von  ihm  ängsdich  festgehaltenen  nicänischen 
Formeln  aufgaben  und  den  Boden  der  Kirchenlehre  ver- 
liessen.    Noch   auf  der  Pinczower  Synode  hatten  sie  am 

omnes  ecclesias  reformatas  transmissa  est",  doch  scheint  das  Bekenntnis 
allgemein  nur  an  die  polnischen  Gemeinden  gesandt  zu  sein. 

*)    Vergl.   die  Briefe  Sarnickis  an  Tretius  vom  6.  Oktober 
1962  und  34.  April  1563.  O.  C.  XIX,  Nr.  3845  und  3938. 


296  Theodor  Wotschkc. 

20.  August  sein  Glaubensbekenntnis  unterschrieben,  dann 
aber  nicht  nur  in  ihren  Predigten  gemäss  der  Synode 
vom  2.  April  die  dogmatischen  Termini,  die  das  Geheimnis 
der  Trinität  und  das  Verhältnis  der  drei  Personen  der 
Gottheit  zu  einander  umschlossen,  vermieden,  sondern  sie 
auch  als  unbiblisch  und  unwahr  verworfen.  Sollte  seine 
im  Kampf  wider  Stancaro  geprägte  Lehrweise  wider  sein 
Wollen  dem  Antitrinitarismus  die  Wege  bahnen,  und  ein 
Sarnicki  recht  haben,  der  ihn  selbst  der  Häresie  an- 
klagte? Trotz  der  gewissenhaftesten  Selbstprüfung  war 
Lismanino  sich  keiner  Heterodoxie  bewusst  und  auch  auf 
seine  theologische  Tätigkeit  wollte  er  keinen  Vorwurf  fallen 
lassen.  Nach  Kräften  trat  er  dem  um  sich  greifenden 
Arianismus  entgegen,  mit  seinen  italienischen  Landsleuten 
Alciati  und  Gentile,  die  in  den  Wintermonaten  nach  Pin- 
czow  gekommen  und  hier  ihre  verderbliche  Tätigkeit 
fortzusetzen  suchten,  hatte  er  aufgeregte  heftige  Aus- 
einandersetzungen1), desgleichen  mit  Gregorius  Pauli  in 
Krakau,  dem  er  nicht  minder  scharf  begegnete  als  Sar- 
nicki9). Zur  Festigung  der  Kirchenlehre  im  Kreise  der 
Pinczovvianer  und  zu  seiner  eigenen  Rechtfertigung  gegen- 
über allen  Angriffen,  die  Sarnicki,  Sylvius  und  Genossen 
noch  jetzt  wider  ihn  richteten  und  in  denen  sie  ihn  den 
Vater  der  Häresie  in  Polen  nannten,  schrieb  er  von 
seinem  Krankenlager  aus  die  Schrift:  „Brevis  explicatio 
doctrinae   de   sanctissima   Trinitate".  Es   ist  keine  selbst- 


l)  Lismanino  spricht  des  öfteren  von  seinen  Kämpfen  mit 
Alciati  und  Gentile,  besonders  scharf  wird  der  Streit  auf  der  Synode 
zu  Pinczow  am  4.  November  1562  gewesen  sein,  als  Gentile  seinen 
Satz  verfocht : .  „Deum  creavisse  in  latitudine  aeternitatis  spiritum 
quendam  excellentissimum,  qui  postea  in  plenitudine  temporis  in- 
carnatus  est'4. 

*)  „Inter  Lismaninum  et  Gregorium  gliscere  inimicitias,  ita 
quod  inter  eos  volant  acerbiores  litterae.  Lismaninum  Gregorius 
accusat  levitatis,  Gregorius  vicissim  ab  eodem  accusatur  temeritatis. 
Hie  ideo,  quod  ante  tempus  progressus  est  in  eo  dogmate  tarn  longe, 
ille  vero  quod  quum  per  manus  ab  eo  hoc  dogma  aeeeperit,  ab  eo- 
dem se  veluti  deseri  conqueritur"  schreibt  der  Gegner  Sarnicki 
am  24.  April  1563,  O.  C.  XIX  Nr.  3938. 


Francesco  Lismanino.  297 

ständige  schöpferische  Arbeit,  sondern  eine  Wiedergabe, 
meist  wörtliche  Übersetzung  einiger  dogmatischer  Briefe 
des  Kirchenvaters  Basilius  und  seiner  Predigt  über 
Joh.  1,1,  ferner  ein  Abdruck  dessen,  was  der  Aquinate  nach 
Hilarius  und  Ambrosius  über  die  Trinität  im  ersten  Teile 
seiner  Summa  qu.  31  in  der  Antwort  zum  zweiten  Ar- 
tikel bietet,  des  neunten  Kapitels  aus  Augustins  Buche  de 
fide  et  symbolo  und  schliesslich  der  Erklärung,  die  Hi- 
larius in  seinem  vierten  Buche  über  die  Trinität  zu  Dt. 
32  giebt  Auch  die  Bekenntnisse  der  Krakauer  und  Pin- 
czower  Synode  vom  13.  Dezember  1561  bezw.  20.  August 
1562  hat  er  seiner  kompilatorischen  Arbeit  einverleibt. 
Am  1.  März  1563  war  sie  fertig  gestellt,  wenigstens  ist 
von  diesem  Tage  in  dem  Manuskript  die  Widmung  an 
den  König  datiert1),  während  freilich  das  Vorwort  an  den 
Leser  den  Vermerk  „Pinczoviae  Calendis  Januarii  1563" 
trägt.  Nach  der  Sitte  jener  Zeit  hat  Francesco  Negri 
aus  Bassano  dem  Buche  ein  Carmen  von  40  Versen  bei- 
gegeben. 

Virentibus  ex  pratis  trium  praedivitum 
Dominorum  odoros  flosculos 

Collegit  Lysmaninus  docta  praeditus 
Pietate,  lector  candide  u.  s.  w. 
Wie  einst  sein  Glaubensbekenntnis  vom  Jahre  1556 
sandte  Lismanino  seine  Schrift2)  an  den  König  und  an 
seine  Bekannten  und  bat  um  ihr  Urteil  und  ihre  Unter- 
schrift8), vor  allem  schickte  er  sie  am  15.  März  mit  fol- 
gendem Briefe  an  Herzog  Albrecht  nach  Königsberg. 

*)  Die  gedruckte  Ausgabe  hat  dagegen  als  Datum  der  Wid- 
mung, wie  Sand  S.  35  richtig  angibt,  Cracoviae  Calendis  Junii 
MDLXIII. 

*)  Sie  ist  jener  Cento,  von  dem  Lubieniecki  S.  168  spricht. 
Nur  da  er  die  Schrift  nicht  kannte,  konnte  er  ihr  eine  halbarianische 
Tendenz  zuschreiben. 

*)  So  antwortet  ihm  der  königliche  Sekretär  Andreas  Fricius 
Modrzewski  in  einem  Petrikau,  den  26.  März  1563  datierten  Schrei- 
ben. „Librum,  quem  misisti  de  Trinitate  divina,  legi  cursim,  ut  scilicet 
potui  in  meis  occupationibus.  Quantum  animadvertere  potui,  nihil 
in  eo  vidi,  quod  non  ad  hunc  diem  audiverim  dici  et  praedicari  in 


298  Theodor  Wotschke. 

„Unter  den  reformierten  Kirchen  Kleinpolens  herrschte 
solange  wahrer  Friede  und  Eintracht,  als  Francesco  Stan- 
caro  aus  Mantua,  dieser  Sklave  des  Ehrgeizes  und  Sohn 
der  Zwietracht,  fern  von  ihnen  weilte.  Aber  als  dieser 
sich  bei  ihnen  einfand  und  die  Gemeinden  mit  seinen 
falschen  und  gottlosen  Lehren  zu  verwirren  begann,  haben 
Verdächtigungen,  Streitigkeiten  und  mehr  als  Vatini- 
anischer1)  Hass  unter  ihnen  angehoben.  Da  ich  sehnlichst 
wünschte,  in  meinem  Alter  den  Rest  meines  Lebens  ruhig 
und  still  zu  verleben,  wollte  ich,  um  solchen  Zwistigkeiten 
zu  entgehen,  mit  den  Meinigen  zu  E.  F.  G.  eilen.  Habe 
ich  doch  die  feste  Überzeugung,  in  Königsberg  Ruhe  zu 
finden,  da  E.  F.  G.  in  einem  Briefe  an  Vergerio,  und  in 
zwei  Schreiben  an  mich  gnädigst  mich  einluden  mit  den 
Worten:  ,Dem  Francesco  Lismanino  bieten  wir  eine 
Zuflucht  in  unserem  Herzogtum  an;  falls  er  kommt,  soll 
er  mit  den  Seinigen  nicht  hungern  und  dürsten",  um 
ganz  zu  schweigen  von  jenem  Briefe  E  F.  G.,  in  dem 
Sie  nach  Kenntnis  meiner  Aechtung  und  nach  Lesen 
meines  Glaubensbekenntnisses  mich  zur  Sündhaftigkeit 
mahnten,  oder  von  jenem  anderen,  in  dem  Sie  mich  nicht 
nur  Sr.  KönigL  Majestät  empfahlen,  sondern  auch  mein  Inter- 
esse aufs  beste  vertraten,  oder  schliesslich  jenem  dritten, 
der  an  die  meisten  Senatoren  Polens  gerichtet  war  und 
mir  ihre  Gunst  zuwandte.  Aber  da  ich  schon  reisen 
wollte,  hielten  mich  zwei  Generalsynoden  fest  Denn 
durch  einen  ehrenvollen  Beschluss  ward  mir  ein  Jahrgeld 
zur  Bestreitung  der  Lebensbedürfnisse  bewilligt,  und 
meine  Schulden,  durch  die  ich  bedrückt  wurde  und  noch 
bedrückt  werde,  sollten  bezahlt  werden.  Aber  als  ich 
dies  erwartete,  geschah  es  infolge  des  wütenden  Geschreis 
Stancaros  und  der  Missgunst  einiger  aus  unserer  Kirche, 
dass  das  Zugesicherte   mir   nicht   gegeben   wurde    noch 

ecclesia.    Ego  vero  non  vidi,  in  quo  aristarchum,  ut  tu  vis,  me  agere 
oporteret  in  hoc  libro  tuo,  quem  ex  veterum  scriptis  collegisti". 

l)  Vatinius,  ein  Anhänger  Cäsars,  den  Cicero  seiner  Verbrechen 
wegen  so  fürchtete  und  hasste,  dass  odium  Vatinianum  und  crirainfc 
Vatiniana  sprichwörtlich  gebraucht  wurden. 


Francesco  Lismanino.  299 

gegeben  wird.  Weil  ich  kein  Ende  der  Zwistigkeit  hier 
sehe,  noch  das  Versprochene  mir  gehalten  wird,  hatte  ich 
wieder  den  Entschluss  gefasst,  mit  den  Meinigen  zu 
E.  F.  G.  zu  kommen.  Aber  da  ich  mich  zum  zweiten 
Male  zur  Reise  rüstete,  überfiel  mich  eine  Krankheit 
plötzlich  so  heftig,  dass  ich  ein  ganzes  Jahr  an  das  Bett 
gefesselt  wurde.  Meine  Reise  musste  ich  aufgeben  und 
sah  mich  in  solche  Not  gestürzt,  dass  ich  sogar,  um 
meinem  und  der  Meinen  Mangel  abzuhelfen,  die  mir  so 
notwendigen  Pferde  verkaufen  musste.  Selbst  zur  Ver- 
steigerung meiner  Bibliothek  wäre  ich  geschritten,  wenn 
ein  Leben  ohne  Bücher  mir  nicht  zu  trostlos  und  öde 
gewesen  wäre.  Da  ich  auch  jetzt  noch  nicht  reisen  kann  und 
-die  Not  nicht  länger  zu  ertragen  vermag,  sende  ich  diesen 
Brief  E.  F.  G.,  um  meine  Lage  anzuzeigen  und  flehentlich 
zu  bitten,  dass  E.  F.  G.  das  schon  begonnene  Hilfewerk 
für  mich  jetzt  zu  Ende  führen,  nämlich  bei  der  Kgl.  Majestät 
mir  die  Anweisung  eines  Jahrgeldes,  das  für  mich  und 
meine  Familie  ausreicht,  erwirken  mögen.  Bei  Sr.  Majestä 
Wohltätigkeit  gegen  alle  und  ihrem  Wohlwollen  gegen 
mich  hoffe  ich  leicht  dieses  zu  erhalten,  falls  ich  hierin  nur 
E.  F.  G.  bei  Sr.  Majestät,  die  E.  F.  G.  nichts  abzuschlagen 
pflegen,  zum  Fürsprecher  habe.  Ich  verdiene  wohl  keinen 
Vorwurf,  dass  ich  in  dieser  wichtigen  und  für  meine 
Familie  so  notwendigen  Frage  mich  an  E.  F.  G.  wende, 
da  es,  wie  jener  Denker  sagt,  „von  Liebe  zeugt,  dem 
alles  verdanken  zu  wollen,  dem  man  schon  viel  verdankt.* 
Damit  mir  des  Stancaros  Verleumdung  nicht  schaden 
kann,  sende  ich  E.  F.  G.  meine  Ansicht  über  die  heiligste 
Dreieinigkeit,  die  ich  nicht  meinem  Gehirn  entnommen 
habe,  sondern  erstlich  dem  Worte  Gottes,  dann  dem 
apostolischen,  dem  nicäno-konstantinopolitanischen  und 
dem  sogenannten  athanasianischen  Symbol,  endlich  den 
rechtgläubigen  Vätern,  einem  Justin,  Irenäus,  Hilarius, 
Athanasius,  Basilius,  Gregor  von  Nazianz,  Ambrosius, 
Augustin,  Cyrill  und  anderen  von  ihnen.  Da  auf  der 
einen  Seite  Stancaro,  auf  der  anderen  einige  Einfältige 
aus  unserer  Kirche  über  diese  Lehre  von  der  Dreieinigkeit 


3PO  Theodor  Wotschkc. 

die  Papisten  wider  uns  zu  erregen  und  aufzureizen  suchen, 
habe  ich  mir  erlaubt  E.  F.  G.  zu  schreiben1),  wie  Thomas 
von  Aquino,  der  erste  der  Scholastiker,  diese  Lehre  dar- 
legt Und  um  nicht  ohne  Leitung  in  den  Kampf  zu 
treten,  folge  ich  bei  der  Entwicklung  dieses  Glaubens- 
artikels besonders  Basilius  dem  Grossen.  Dieses  Basilius 
Lehre  habe  ich  auch  übersetzt  und  schicke  sie,  dass 
E.  F.  G.,  bevor  Sie  an  Se.  Kgl.  Majestät  meinetwegen 
schreiben,  erkennen,  ob  Lismanino  es  mit  Arius  hält,  wie 
Stancaro  verleumderisch  behauptet  oder  nicht,  oder  ob 
er  es  mit  Sabellius  hält,  welchem  dieser  Stancaro  tat- 
sächlich, mag  auch  in  Worten  ein  Unterschied  sein,  so 
folgt,  dass  er  in  der  Lehre  vom  Mittler  gegen  alle  refor- 
matorischen Kirchen  albernes  Geschwätz  vorbringt.  Da 
er  nämlich  bei  den  rechtgläubigen  Vätern  liest,  Vater, 
Sohn  und  heiliger  Geist  sei  ein  Gott,  so  versteht  er  dies 
nicht,  wie  das  athanasianische  Symbol  es  erklärt,  von  der 
einen  Essenz,  damit  die  Substanz  der  drei  göttlichen 
Personen  nicht  geschieden  werde,  sondern  er  wähnt, 
ein  Gott  bezeichne  einen  einzigen  Gott,  einen  einzelnen 
Gott  oder  alleinigen  Gott,  (unicum  deum  vel  singularem 
deum  vel  solitarium  deum),  wie  auch  Sabellius  mit 
der  philosophischen  Lehre  von  dem  einen  Gott  es  hielt. 
Doch  dies  ist  E.  F.  G.  von  den  gelehrten  Professoren  der 
Theologie  an  Ihrer  Universität,  meine  ich,  ganz  bekannt 
Trotzdem  möchte  es,  bevor  ich  den  Stancaro  lasse,  nicht 
überflüssig  sein  zu  zeigen,  durch  welchen  Trugschluss 
jener  seine  Irrlehre  vom  Mittler  verteidigt  „Wie  kann*, 
fragt  er,  „ Christus  als  Gott  Mittler  sein,  da  nur  ein  Gott 
ist  Würden  doch  dann  auch  Gott  der  Vater  und  der 
heilige  Geist  in  gleicher  Weise  Mittler  sein?"  Wie 
töricht  sprichst  du,  Stancaro!  Merkst  Du  nicht,  dass 
du  bei  dem  Worte  „ein"  gedankenlos  verfährst,  da  du 
es  fassest  und  deutest  in  der  Weise  des  Sabellius?  Auch 
wir  bekennen,  dass  Vater,  Sohn    und    heiliger  Geist    ein 


1)  In  dem  Schreiben  vom  19.  März  heisst  es:    „habe    ich  mir 
erlaubt  meiner  Konfession  einzureihen". 


Francesco  Lismanino.  301 

Gott  ist,  d.  h.  von  einer  göttlicheil  Natur,  einer  Gottheit, 
einer  Macht,  einer  Majestät,  einer  Ehre,  aber  nicht  von 
einer  Person.  Ist  doch,  wie  Hilarius  und  Ambrosius 
sprechen,  allerdings  ein  Gott,  nur  nicht  der  Person,  sondern 
der  ununterschiedenen  Natur  nach.  Doch  will  ich  lieber, 
dass  E.  F.  G.  Basilius  den  Grossen,  Augustin  und  Thomas 
von  Aquino  hierüber  hören,  als  weniges  stückweise  von 
mir.  Des  Basilius,  Augustin  und  Aquinaten  hier  nieder- 
gelegte Lehre  habe  ich  auch  nach  Petrikau  dem  Könige 
und  den  meisten  Mitgliedern  des  Reichstages  geschickt 
um  allen  zu  zeigen,  dass  ich  über  die  heilige  Dreieinigkeit 
recht  und  ökumenisch  denke,  Stancaro  aber  sozusagen 
sabellianisiert.  E.  F.  G.  würden  mir  und  allen  gläubigen 
Pfarrern  und  Herren,  welche  in  diesem  Artikel  mit  mir 
eins  sind,  ein  angenehmes  Werk  tun,  wenn  Sie,  was  hier 
aus  Basilius,  Augustin  und  dem  Aquinaten  zusammengetragen 
ist,  den  Doktoren  der  Universität  zur  Prüfung  vorlegen 
und  mich  ihr  Urteil  wissen  Hessen.  Gott,  der  Lenker 
aller  menschlichen  Dinge,  möge  E.  F.  G.  lange  unversehrt 
und  glücklich  erhalten. 

Pinczow,  den  15.  März  1563. 

Vier  Tage  nach  Abgang  dieses  Briefes  fand  Lisma- 
nino in  einem  gewissen  Lucas  Mundius  Martinides  einen 
sicheren  Boten,  der  in  eigenen  Geschäften  nach  Königs- 
berg reisen  wollte.  Er  gab  ihm,  abgesehen  von  münd- 
lichen Aufträgen  noch  ein  Schreiben  mit,  das  mit  dem 
eben  mitgeteilten  vom  15.  März  wörtlich  übereinstimmte, 
nur  zum  Schluss  noch  die  Bitte  enthielt,  das  Bekenntnis 
in  Königsberg  drucken  zu  lassen.  Am  4.  Mai  antwortete 
der  Herzog:  „Zwei  Schreiben  desselben  Inhalts  und  Wort- 
lautes, aber  zu  verschiedenen  Zeiten  geschrieben,  haben 
wir  von  euch  erhalten.  Zu  unserem  Schmerze  lesen  wir, 
dass  Stancaro  in  den  reformatorischen  Kirchen  Polens 
Zwistigkeiten  erregt  hat.  Da  angesichts  der  Verbreitung 
des  göttlichen  Ruhms  und  des  Bekenntnisses  der  reinen 
evangelischen  Lehre  der  Satan  seiner  Werkzeuge  sich 
bedient,  um  das  Zunehmen  der  Ehre  Christi  und  der  Er- 
kenntnis des  ewigen  Heils  zu  hindern,  so  ist  es  uns  kei- 


Theodor  Wotschke. 

neswegs  befremdend,  wenn  auch  in  euren  Kirchen  jener 
Tausendkünstler  den  Samen  des  göttlichen  Wortes  durch 
eingesätes  Unkraut  zu  vernichten  sucht.  Unsere  Hoffnung^ 
steht  bei  dem  Herrn,  welcher  seinen  Ruhm  nicht  wird 
erlöschen  lassen,  und  deshalb  bitten  wir  ihn,  das  Licht 
seines  Evangeliums  durch  solche  vom  Ehrgeiz  eingegebenen 
Irrlehren  und  törichten  Meinungen  nicht  verdunkeln  zu. 
lassen,  vielmehr  seine  dem  Schifflein  Petri  gleich  von  den 
Wellen  Drang  leidende  Kirche  in  dieser  letzten  Zeit  vor 
solchen  satanischen  Stürmen  zu  bewahren  und  zu  schützen. 
Weil  wir  euch  huldreich  und  gnädig  gesinnt  sind,  schicken 
wir  euch  zum  Erweis  unserer  Gnade  durch  den  Überbringer 
dieses  Briefes  Lucas  Mundius  ioo  polnische  Gulden  zum 
Geschenk  und  bitten  in  Gnaden,  diese  geringe  Gabe 
freundlich  anzunehmen  und  euch  von  uns  zu  jeder  Zeit 
aller  fürstlichen  Huld,  soweit  es  unsere  Verhältnisse  ge- 
statten, zu  versehen.  Einen  Empfehlungsbrief  an  S.  K.  M. 
haben  wir  für  euch  schreiben  lassen;  er  wird  durch  einen 
eigenen  Boten  Sr.  K.  M.  überbracht  werden  und  soll  Sr.K.  ML 
Antwort  euch  zugesandt  werden.  Die  Schrift  über  die 
Trinität  haben  wir  unseren  Theologen  zur  Prüfung  vor- 
gelegt, sie  berichteten  uns,  dass  ihr  richtig  und  ökumenisch 
in  jenem  Lehrpunkte  dächtet,  doch  rieten  sie  dringend  ab, 
die  Schrift  in  unserem  Herzogtume  drucken  zu  lassen;  ein- 
mal, dass  auf  des  Satans  Antrieb  nicht  streitsüchtige 
Geister  aus  jener  Schrift  sich  Stoff  zum  Streite  nähmen 
und  die  Flammen  des  Stancarischen  Irrtums  emporzüngeln 
Hessen,  sodann  ist  in  jener  Schrift  nicht  der  ganze  Text 
des  nieänischen  Symbols  zitiert,  und  sie  wüssten  nicht, 
weshalb  es  unterblieben  sei1).  Sollte  die  Schrift  durch 
den  Druck  veröffentlicht  werden,  so  müsste  der  Text  voll- 
ständig hineingeschrieben  werden.  Aber  für  besser  er- 
achten sie  es,  wenn  die  Ausgabe  der  Schrift  durch  euch 
zu  Basel,  Wittenberg  oder  anderswo  erfolge.  So,  meinen 
sie,  würde  sie  mit  grösserer   Beachtung  und  Geltung  in 

*)  Lismanino  hatte  das  nieänische  Symbol  in  die  Konfession 
aufgenommen,  nicht  das  nic&no-konstantinopolitanische;  vergl.  Bei- 
lage IX. 


Francesco  Lisraanino.  303 

die  Oeffentlichkeit  treten,  als  wenn  sie  in  unserer  typo- 
graphischen Offizin  gedruckt  würde.  Den  Lucas  Mundius 
haben  wir  wegen  eurer  Fürsprache  uns  empfohlen  sein 
lassen  und  unterstützen  mit  Wärme  durch  unseren  Brief 
sein  Geschäft  bei  S.  K.  M.  Gott  gebe,  dass  unsere  Für- 
sprache euch  und  diesem  guten  Manne  viel  nütze*. 

Noch  vor  Empfang  dieses  Briefes  hatte  Lismanino 
durch  Francesco  Negri  wieder  einmal  an  den  Schweizer 
Theologen  geschrieben,  der  ihm  trotz  aller  Verdächti- 
gungen Sarnickis  die  alte  Freundschaft  bewahrt  hatte,  an 
Johann  Wolph  in  Zürich,  ihm  einige  kleine  Fortschritte 
der  evangelischen  Erkenntnis  in  Polen  gemeldet  und  zu- 
gleich über  Calvins  und  Bullingers  Kälte  ihm  gegenüber 
geklagt1).  Als  Mundius  aus  Königsberg  in  Pinczow  ein- 
traf, reiste  Lismanino  alsbald  nach  Krakau,  wohl  um  die 
Fürsprache  des  Herzogs  beim  Könige  noch  durch  münd- 
liche Bitten  zu  unterstützen2).  Von  der  Landeshauptstadt 
fuhr  er  nach  Mordy  in  Podiasien.  Obwohl  durch  Alter 
und  Krankheit  geschwächt,  legte  er  die  40  Meilen  in 
wenigen  Tagen  zurück  und  nahm  am  9.  Juni  an  der 
Synode  teil,  zu  der  Fürst  Radziwill  nach  der  erfolglosen 
Märzsynode  zu  Pinczow  eingeladen  hatte.  Die  Versamm- 
lung stellte  ihm  folgendes  Zeugnis  über  seine  Rechtgläu- 
bigkeit aus.  „Gnade  und  Friede  von  Gott  dem  Vater  und 
unserm  Herrn  Jesus  Christus.  Hochmögende  Herren  und 
andere  Glieder,  Geliebte  in  dem  Sohne  Gottes!  Weil 
sich  hier   der  Doktor  Francesco  Lismanino   bei  uns   ein- 


*)  Vergl.  Wolphs  Antwort  vom  23.  August  1563  O.  C.  XX 
Nr.  4011. 

*)  Krakau,  den  1.  Juni  1563  ist  in  der  gedruckten  Ausgabe  der 
Explicatio  doctrinae  de  Trinitate  die  Widmung  an  den  König  datiert. 
Diese  Angabe,  die  Sand  S.  35  gibt,  ist  richtig ;  irrtümlich  behauptet 
er  aber,  die  explicatio  sei  von  Gregorius  Pauli  und  dreissig  Geist- 
lichen einschliesslich  des  Superintendenten  Cniciger  unterschrieben 
worden.  Die  Unterschriften  beziehen  sich  auf  das  von  Lismanino 
mitgeteilte  Bekenntnis  der  Pinczower  Augustsynode  1562;  vergl.  Bei- 
lage IX.  Die  explicatio  Lismaninos  hätte  Gregorius  Pauli  bei  seiner 
hn  Herbst  156a  anhebenden  Hinneigung  zum  Arianismus  nicht  mehr 
unterschrieben. 


304  Theodor  Wotschke. 

gefunden,  so  haben  wir  ihn  gern  bei  unseren  Unter- 
redungen gesehen  und  haben  gern  seine  Meinung  über 
diese  Glaubensstreitpunkte  gehört.  Dabei  hatte  er  uns 
auch  seine  Leiden  geklagt  und  sich  über  einige  Leute 
beschwert,  die  ihn  bei  Ew.  Liebden  in  den  Verdacht  ge- 
bracht, als  wäre  er  ein  Arianer,  weshalb  ihm  auch  die 
versprochene  Versorgung  vorenthalten  sei.  Nachdem  wir 
sein  mündliches  und  schriftliches  Glaubensbekenntnis  sorg- 
fältig geprüft,  haben  wir  uns  überzeugt  und  bekunden  es 
sämtlich  durch  dieses  Schreiben,  dass  er  niemals  und  in 
keiner  Beziehung  ein  Arianer  war.  Wir  bitten  daher 
Eure  Grossmächtigkeit,  Ihr  wollet  wieder  dieselbe  gute 
Meinung  von  ihm  haben  wie  ehedem  und  ihn  in  die  alte 
Gnade  aufnehmen,  die  er  einst  von  E.  Grossm.  erfahren, 
auch  ihm  die  Versorgung  geben,  die  ihm  von  Euer  Grossm. 
zugesagt  worden.  Damit  werden  E.  Grossm.  ein  Gott 
wohlgefälliges,  uns  Ihren  Brüdern  aber  erfreuliches  Werk 
tun.  Wir  vertrauen  darauf  und  empfehlen  uns  gehorsamst 
dem  Wohlwollen  E.  Grossm.  und  Ihrer  brüderlichen  Liebe. 
Gegeben  auf  der  Synode  in  Mordy,  am  9.  Juni  1563  *). 

Von  Mordy  reiste  Lismanino  trotz  der  heissen  Som- 
mertage weiter  nach  Wilna  zum  Fürsten  Radziwill.  Ehren- 
voll wurde  er  von  diesem  aufgenommen  und  die  acht 
Tage,  die  er  bei  ihm  weilte  und  in  denen  er  sich  von  den 

x)  Nach  Lubieniecki  S.  167  wäre  diese  Synode  freilich  selbst 
nicht  mehr  rechtgläubig  gewesen.  Doch  möchte  ich  bezweifeln,  dass 
er  hierin  recht  unterrichtet  war.  Nach  ihm  hätte  man  auf  der  Synode 
43  Teilnehmer  gezählt,  das  Empfehlungsschreiben  für  Lismanino  haben 
aber  nur  16  unterzeichnet;  nämlich:  Martinus  Crovitius  in  dieta 
synodo  Mordensi  electus  superintendens  ecclesiarum  Podlassensium. 
Simon  Zacius  minister.  Przeczlaus  Gnoienski  praesidens  synodi  Mor- 
densis.  Caspar  Irzikovic  ordinis  equestris.  Stanislaus  Chlevicki  or- 
dinis  equestris.  Nicolaus  Vedrogovius  minister  ecclesiae  Vilnensis. 
Jacobus  Calnovius  minister.  Adamus  Petri  minister  Sydloviensis. 
Nicolaus  Jacobi  minister  Sobianensis.  Thomas  Falconius  illustrissimi 
prineipis  palatini  Vilnensis  concionator.  Ioannes  minister  Kieyda- 
nensis.  Andreas  Czarnovius  minister.  Ioannes  Falconius  minister 
ecclesiae  Mordensis,  praesentis  synodi  scriba.  Valentin us  Prosso vius 
minister.  Hieronymus  Piekarius  Albensis  ecclesiae  minister.  Ioannes 
Kazanovius  in  diocesi  Lublinensi  minister. 


Francesco  Lismanino.  305 

Anstrengungen  der  Reise  und  einem  heftigen  epilepti- 
schen Anfall  erholte,  benutzte  er,  um  einen  längeren  Brief 
an  Bullinger  zu  schreiben.  Er  berichtete  ihm  die  Ereig- 
nisse der  letzten  Wochen  und  bat,  ihn  nicht  ungehört  zu 
verurteilen.  Er  habe  stets  die  kirchliche  Lehre  von  der 
Dreieinigkeit  bekannt,  sei  dem  Gentile  entgegengetreten 
und  stets  bemüht  gewesen,  die  Irrenden  zurechtzulegen. 
Auch  den  König  durfte  er  in  Wilna  begrüssen,  zweimal 
ward  ihm  eine  Audienz  gewährt,  und  wie  in  alter  Zeit 
unterhielt  er  sich  mit  dem  Herrscher  über  Glaubensfragen. 
Auf  seine  Bitte,  nach  der  Walachei  zum  Fürsten  Heraklid l) 
reisen  zu  dürfen,  erhielt  er  eine  huldvolle  Antwort.  Mit 
dem  königlichen  Hofe  wahrscheinlich  zog  Lismanino  darauf 
nach  Kauen  (Kowno),  wohin  Herzog  Albrecht  geeilt  war, 
um  mit  dem  König  zusammenzutreffen  und  mit  ihm  über 
Bekämpfung  der  Moskowiter  zu  beraten.  Vom  4.  Juli 
an  sehen  wir  Lismanino  in  der  Umgebung  des  Herzogs, 
der  ihn  in  jeder  Weise  auszeichnete,  für  ihn  zum  Könige 
sprach,  am  6.  Juli  ihm  einen  Empfehlungsbrief  an  den 
Fürsten  der  Walachei,  am  11.  an  den  König  und  am  12.  Juli 
an  mehrere  polnische  Magnaten  schrieb,  an  die  drei  Grafen 
Gorka,  die  beiden  Brüder  Ostrorog,  an  den  Rogasener 
Starosten  Johann  Tomicki,  den  Schlossherrn  von  Golu- 
chow  bei  Pleschen  Raphaei  Leszczynski  und  Nikolaus 
Olesnicki.  Nach  diesen  Briefen  zu  urteilen,  muss  Lis- 
lüanino  durch  Posen  nach  Pinczow  und  Krakau  zurück- 
gereist sein.  Hier  traf  er  die  Vorbereitungen  zur  Über- 
siedlung nach  der  Walachei,  als  Anfang  September  ihm 
die  Nachricht  von  der  Gefangennahme  des  Fürsten  Hera- 
klid durch  die  Türken  gebracht  wurde.  Er  beschloss  nun, 
nach  Königsberg  sich  zu  wenden.     Wieder  reiste  er  über 


l)  Aus  der  Walachei  vertrieben  war  Heraklid  durch  klein-- 
polnische  evangelische  Ede Heute,  vor  allem  durch  Albrecht  Laski, 
denSohn  des  Hieronymus  und  Neffen  des  Reformators  Johannes  Laski, 
-durch  Stanislaus  Lasocki  und  Hieronymus  Philipowski,  der  die1 
Witwe  des  Meseritzer  Starosten  Nikolaus  Myszkowski  Sophie,  die 
Wohltäterin  des  Meseritzer  Predigers  Georg  Träger,  geheiratet  hatte,1 
^wieder  in  sein  Fürstentum  eingesetzt  worden. 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  fttr  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XVIII.  20 


306  Theodor  Wotschke. 

Wilna  und  von  dort  mit  einem  Empfehlungsbrief  des  Für- 
sten Radziwill  nach  Preussen.  Noch  vor  dem  13.  Oktober 
traf  er  in  Königsberg  ein,  am  23.  November  sehen  wir  ihn 
von  hier  einen  längeren  Bericht  über  sein  Ergehen  an 
Johann  Wolph  in  Zürich  senden 1).  Herzog  Albrecht 
nahm  ihn  in  die  Zahl  seiner  Räte  auf,  der  König  und 
Fürst  Radziwill  hatten  ihm  ein  Jahrgeld  bewilligt,  so  dass 
er  frei  von  Sorgen  leben  und  den  grössten  Teil  seiner 
Schulden  in  Polen  bezahlen  konnte.  Es  ist  wohl  erklärlich, 
dass  er  sich  in  Königsberg  eng  an  die  Günstlinge  des 
Herzogs,  an  seinen  Hofprediger  Funk2)  und  den  Aben- 
teurer Paul  Skalich  anschloss;  ausserdem  trat  er  dem  pol- 
nischen Prediger  Johann  Seklucyan  näher  und  dem  jungen 
herzoglichen  Rat  Friedrich  Kanitz.  Seine  explicatio  liess  er 
1565  in  Wittenberg  drucken  und  verteilte  500  Abzüge  an 
seine  Freunde  und  Bekannten.  Das  Exemplar,  welches  er- 
dem  Erbherzoge  Albrecht  Friedrich  zueignete,  besitzt  mit 
Widmung  von  seiner  Hand  die  Kurniker  Bibliothek;  sein 
Vorhaben  dagegen,  die  kleinpolnischen  Synodalprotokolle 
zu  veröffendichen,  hat  er  leider  nicht  ausgeführt8).  Ver- 
schiedene Reisen  in  Sorge  um  sein  Jahrgeld  und  im  Auf- 
trage des  Herzogs  führten  ihn  1564  und  1565  zurück  nach 
Lithauen  zum  Könige4),  zum  Fürsten  Radziwill  und   dem 


*)  O.  C.  XX  Nr.  4045. 

a)  In  Funks  Hause,  das  der  Herzog  für  ihn  gekauft  hatte, 
wohnte  Lismanino.  Wie  Skalich  unterschrieb  auch  Funk  seine 
explicatio:  „Ego,  Johannes  Funccius,  perlegi  has  superiores  paginas 
a  doctissimo  d.  d.  Francisco  Lysmanino  e  patribus  orthodoxis  pie 
collcctas,  probo  doctrinam  in  eis  comprehensam  et  d.  d.  Lysmanini 
conatus  atque  in  eius  rei  testimonium  manu  propria  haec  subscripsi. 
In  nova  domo  Boruss.     13  die  Jul.  1565*. 

*)  In  dem  Vorwort  zu  seiner  explicatio  spricht  er  von  seinem 
Vorhaben:  „synodalia  acta  in  lucem  brevi  per  nos  edenda  modo 
ecclesiarum  Poloniae  Minoris  auetoritas  comprobaverit". 

«)  Die  ihm  vom  Herzog  an  den  König  aufgetragene  Mission 
scheint  er  nicht  erledigt  zu  haben.  Am  9.  September  1565  schreibt 
der  Herzog  an  Joh.  Maczinski :  „Misimus  non  ita  pridem  venerabilem 
Fr.  Lismaninum,  consiliarium  nostrum,  ad  So***  R>«n  M*«b  in  qui- 
busdam  negoiriis  nostris,  quae  praefatus  Lismaninus  propter  certas 
causas  et  rationes  expedire  et  ad  suum  debitum  finem  perducere 


Francesco  Lismanino.  3°7 

Marschall  Gregor  Chodkiewicz  *),  nach  Kleinpolen  ist  er 
aber  nicht  mehr  gekommen.  Die  Erinnerung  an  seine 
letzten  Lebensjahre  in  Königsberg  konnte  hier  so  völlig 
erlöschen,  dass  Sand  und  Lubieniecki  seinen  Tod  in  das 
Jahr  1563  fallen  lassen.  In  den  trinitarischen  Streit,  der 
nach  seinem  Abgange  erst  recht  entbrannte,  suchte  er 
mit  der  Formel  „pater,  filius  et  Spiritus  sunt  unus  deus", 
die  zwischen  den  sabellianisierenden  Gedanken  eines 
Stancaro  und  den  im  Jahre  1563  sich  immer  deutlicher 
dem  Arianismus  zuwendenden  Ansichten  eines  Gregorius 
Pauli  die  kirchliche  Mitte  halten  will,  von  Königs- 
berg aus  einzugreifen.  Von  ihm  bestimmt  schrieb  am 
6.  Juli  1564  Radziwill  an  Calvin,  trug  ihm  diese  Formel  vor 
und  bat  um  sein  Urteil;  allein  der  Brief  traf  den  Genfer 
Reformator  nicht  mehr  unter  den  Lebenden.  Eine  Aus- 
söhnung zwischen  diesem  und  Lismanino  hat  nicht  statt- 
gefunden. Zwei  Jahre  später,  Frühjahr  1566,  fand 
Lismaninos  bewegtes  Leben  seinen  traurigen  Abschluss. 
Bereits  im  Herbst  1564,  als  wieder  einmal  die  Pest  in  Königs- 
berg wütete,  fühlte  sich  Lismanino  so  schwach  und  ange- 
griffen, dass  er  seine  Sterbestunde  nahe  wähnte;  am 
29.  Oktober  schrieb  er  damals  sein  Testament.  Den  Be- 
mühungen des  Königsberger  Arztes  Severinus  gelang  es 
ihn  wiederherzustellen,  im  folgenden  Jahre  konnte  Lismanino, 
sogar  noch  der  beschwerlichen,  anstrengenden  Reise  nach 
Lithauen  sich  unterziehen.  Freilich  sein  altes  epileptisches 
Leiden  konnte  auch  in  Königsberg  nicht  gehoben  werden» 


cessavit,  quemadmodum  G*s  V™  ex  ipso  latius  intelliget.  Cum  itaquc 
saepe  commemoratus  Lismaninus  huius  negotii  instructionem  a  nobis 
Uli  debitam  apud  se  ad  hoc  usque  tempus  retineat,  statuimus,  ut  hoc 
genas  officiumque  legationis  ad  exitum  suum  debitum  perducendum 
G*»ti  V*»*  imponeremus.  Contendimus  enim  a  G**1«  V»,  quae  prae- 
fatam  instructionem  a  Fr.  Lismanino  ad  se  recipere  et  secundum 
tenorem  eiusdem  omnia  apud  S«™»  R**»  M**»  tractare  velit".  Auf 
die  Lismanino  erteilte  Mission  beziehen  sich  zwei  längere  Schreiben 
Jon.  Maczinskis  vom  ai.  Oktober  und  99.  November  1565. 

*)  Dun  schreibt  Herzog  Albrecht  wohl  in  Antwort  auf  einen 
durch  Lismaninos  Hand  erhaltenen  Brief  am  19.  Oktober  1565:  quod 
Mag**«  V™  consiliarium  nostrum  Lismaninum  carum  habet,  gaudemus"» 


308  Theodor  Wotschke. 

vielmehr  kehrte  es  in  immer  häufigeren  und  schwereren 
Anfällen  wieder.  Dies  Gebrechen  war  in  den  schönen 
drei  letzten  Jahren,  die  er  am  Hofe  des  gütigen  Hohen- 
zollernfürsten  verleben  durfte,  neben  der  Sorge  um  die 
kleinpolnische  Kirche  das  einzige,  das  seinen  Lebensabend 
trübte,  es  hat  ihm  auch  ein  jähes  schreckliches  Ende  ge- 
bracht Während  eines  Anfalls  Ende  April  oder  Anfang 
Mai  1566 l)  stürzte  er  in  einen  Brunnen  und  kam  darin  um2). 
Das  Schriftstück  aus  Lismaninos  Hand,  welches  am 
unmittelbarsten  zu  uns  spricht  und  einen  tiefen  Einblick 
in  Herz  und  Gemüt  gewährt,  sein  Testament,  zeigt  ihn, 
und  seine  Briefe  verstärken  diesen  Eindruck,  als  einen 
edlen,  lauteren,  gewissenhaften  Menschen  mit  frommem 
und  treuem,  dankbarem  und  liebewarmem  Herzen.  Seine 
häufigen  Anträge  auf  Unterstützung  und  Tilgung  seiner 
Schulden  können  sein  Bild  nicht  trüben.  Infolge  der 
Ächtung  und  der  späteren  allzugeringen  Einkünfte,  die 
der  ihm  überwiesene  Teil  des  Pinczower  Klosterackers 
abwarf,  war  er  in  die  drückendste  Not  gekommen,  und 
gerade  seine  rechtliche  Natur,  die  keinem  Gläubiger 
etwas  schuldig  bleiben  wollte,  zwang  ihn,  die  Kirche  fort 
und  fort  an  die  durch  seine  Berufung  übernommenen 
Pflichten  zu  erinnern.  Wenn  wir  bedenken,  in  welchem 
Überfluss  er  einst  als  Minoritenprovinzial  gelebt,  wie 
er  mit  klarem  Blick  über  alle  Folgen  seines 
Übertritts  zur  Reformation  von  der  alten  Kirche  sich 
losgesagt     hat,     und    wie    die     Not     später     sein     tag- 


1)  Der  Brief,  den  Stanislaus  Latkowski  Nürnberg,  den  5.  Mai  1566 
in  italienischer  Sprache  an  Lismanino  richtete,  traf  ihn  nicht  mehr 
am  Leben.  Bereits  am  7.  Mai  konnte  der  Gnesener  Erzbischof 
Uchanski  an  Hosius  schreiben:  „Lismanini  tristem  exitum  varie 
haeretici  interpretantur".  Vergl.  Wierzbowski:  Uchansciana  III 
Warschau  1890  S.  128. 

2)  Nach  Sand  wäre  der  Unfall  eine  Folge  seines  Schmerzes 
über  eheliche  Untreue  seiner  Gattin  gewesen.  Ich  habe  diese  Nach- 
richt nicht  bestätigt  gefanden.  Mit  Behagen  verweilt  Stancaro  bei 
dem  traurigen  Ende  seines  Gegners,  aber  schweigt,  was  er  gewiss 
sich  nicht  hätte  entgehen  lassen,  von  der  angeblichen  Ursache  des 
epileptischen  Anfalls. 


Francesco  Lismanino.  309 

licher  Gast    ward,    so    kann     kein  Vorwurf    des  Eigen- 
nutzes oder   der  Geldliebe   wider  ihn    laut  werden. 

Ein  bedeutender  Theologe  ist  Lismanino  nicht  ge- 
wesen. Seine  Gaben  waren  nicht  gross,  sein  Wissen  nicht 
tief,  sein  Denken  nicht  selbständig,  vor  allem  seine  Ge- 
wandtheit im  Disputieren  nur  beschränkt,  und  er  hat  selbst 
die  Schranken  seines  Könnens  stets  anerkannt  und  sich 
nicht  für  geeignet  gehalten,  das  erste  Amt  in  der  Kirche 
zu  bekleiden.  Es  war  sein  Unglück,  nach  Laskis  Tode  trotz 
der  Superintendentur  Crucigers  durch  die  Verhältnisse  tat- 
sächlich an  die  Spitze  der  kleinpolnischen  Gemeinden  ge- 
stellt zu  werden,  sein  Unglück,  in  dem  leidenschaftlichen 
Stancaro  einen  Gegner  zu  haben,  der  sich  wohl  widerlegen, 
aber  nicht  zum  Schweigen  bringen  Hess,  der  durch  seinen 
erdrückenden  Wortschwall  und  durch  sein  sicheres  Auf- 
treten viele  Edelleute  zu  gewinnen  verstand.  Im  Kampfe 
wider  ihn  hat  Lismanino  im  Sommer  1561  seine  Lehre  von 
der  Präeminenz  des  Vaters  gebildet,  vielleicht  ist  er  hier 
wie  bei  der  in  dem  kürzeren  Bekenntnis  gegen  Stankaro  nie- 
dergelegten Auffassung  von  der  Ewigkeit  des  Mittleramtes 
Christi  von  Blandrata  beeinflusst  worden,  und  gewiss 
hat  diese  These  dem  Eindringen  arianischer  Lehren  in 
den  Kreis  der  Pinczowianer  das  Tor  geöffnet.  Der  Vor- 
wurf wird  ihm  auch  nicht  erspart  bleiben  können,  dass 
er  nicht  immer  vorsichtig  in  der  Formulierung  seiner 
Gedanken  gewesen  ist *),  aber  wir  haben  keinen  Grund  an 
der  inneren  Wahrhaftigkeit  seines  verschiedentlich  aus- 
gesprochenen orthodoxen  Bekenntnisses  zu  zweifeln. 
Die  Königsberger  Professoren  haben  ihn  als  recht- 
gläubig anerkannt,  —  einem  Arianer  hätte  Herzog  Al- 
brecht nimmer  eine  Zufluchtsstätte  gewährt,  —  und  ein 
Blick  in  seine  explicatio  de  trinitate,  ein  Hinweis  auf 
die  von  ihm  ausgeschriebenen  Kirchenväter  zwingt  auch 
uns  heute  dazu.  Die  von  ihm  zum  Zwecke  der  Abweisung 
des   stancarischen    Sabellianismus,    zur    Festhaltung   der 

l)  VergL  in  Beilage  XV :  Unus  deus  de  patre,  filio  et  spiritu 
sancto  dictus  non  tollat  eminentiam  patris  illius  ingeniti,  qui  solus 
est  unus  ille  verns  deus  pater. 


310  Theodor  Wotschke. 

realen  Unterschiede  in  dem  einem  göttlichen  Wesen  be- 
tonte Präeminenz  des  Vaters  ist  nur  die  auch  von  Atha- 
nasius  und  derKirchenlehre  zugegebene  Verschiedenheit  der 
mqxi)  von  dem  yervrj^a  und  möglich  bei  qualitativer  und 
gradueller  Gleichheit  des  Sohnes  mit  dem  Vater. 

Be  ilage  n. 
I. 
Johann  Bonar  —  Herzog  Albrecht. 
Neminem,  Illme  Princeps,  dubitare  arbitror,  quanta  sit 
in  Christi  causa  conservanda  pietas,  virtus,  constantia  et 
fides  Illmae  Celsnis  Tuae.  Nemo  non  fatetur,  Ulmam  Celsncm 
Tuam  suscipere  eos  in  fidem  patrocinarique,  qui  pietatis 
Christianae  propagandae  sunt  Studiosi,  ita  ut  genus  hoc 
bonitati  s  magnanimitatisque  in  IllmaCelsne  Tua  minime  deside- 
ratur,  quae  si  in  aliis  principibus  elucet,  in  Ulm*  Celsne  tarnen 
Tualongesplendetillustrior.  Quumigitur  praestantissimus  vir 
doctor  Lismaninus  Corcyraeus,  sacrae  theologiae  prof  essor,  qui 
illucescentis  evangelii  profectum  et  ut  ii,  qui  religionis  aliquo 
studio  tanguntur,  ab  eo  informarentur,  esset  a  multis  rena- 
scentis  ecclesiae  Christi  ministris  huc  vocatus,  ob  repu- 
diatam  abominationem  papisticam  sit  eius  farinae  homini- 
bus  adeo  exosus,  ut  usque  eo  invaluit  illorum  furor,  quo 
nullus  i  11  i  sit  magis  in  regno  hoc  locus  et,  cum  neminem 
habeat,  qui  talibus  furiis  pro  eo  patrocinium  suum  apponat, 
ad  Illmae  Celsm*  Tuae  fidem  supplex  profugit  obnixe 
rogans,  ut  illum  in  clientelam  suam  suscipiat,  non  dubitans, 
se  ex  Illma  Celsne  Tua  non^tantum  iustum  sed  etiam  stre- 
nuum  defensorem  habiturum.  Cum  autem  me  quoque 
unum  esse  non  nego,  qui  cognoscendi  verbi  Dei  verita- 
tisque  evangelicae  cupiditate  maxima  tangor,  continere  non 
potui,  quin  pro  tanto  viro  partes  meas  ad  Ulmam  Celsnem 
Tuam  interponerem  cum  ob  zelum,  quo  erga  purum  evan- 
gelii verbum  et  erga  sincerum  dei  cultum  aestuor,  tum 
ob  singularem  amorem,  quo  erga  illum  rapior.  Commendo 
itaque  hunc  ipsum  ornatissimum  virum  Illmae  Cels^i  Tuae 
et  tanto  magis,  quanto  ille  sibi  maiora  de  eadem  pollicetur, 
qua  spe  frustrari  illum  quominus  patiatur  summopere  peto. 


Francesco  Lismanino  31 1 

Est  equidem  iustura  et  maxime  consentaneum  Iiimae  Celsni 
Tuae,  nee  aures  nee  animum  a  tarn  iusto  patrocinio  aver- 
tere,  praesertim  ubi  de  tanta  re  agitur,  nempe  quo  modo 
dei  gloriae  constet  incolumitas,  quomodo  suam  dignitateuu 
veritas  retineat,  quo  modo  regnum  Christi  sartum  tectumque 
inter  nos  maneat.  Unde  habitura  est  Ulma  Celsd°  tua 
a  deo  opt  max.  locupletissimam  remunerationem,  a  me 
vero  una  cum  nominato  viro  indefessam  reserviendi  cupi- 
ditatem;  cum  his  dominus  noster  Jesus  Christus  protegat 
ac  tueatur  Illmam  Celsnem  Tuam  eamque  regat  ac  gubernet 
suo  saneto  spiritu.  Cracoviae  XXII.  Septembr.  anno  sa- 
lutis  humanae  1556.  Illmae  Cels*«  Tuae  deditissimus  ser- 
vitor  Joannes  Bonar  de  Balicze,  castellanus  Biecensis, 
manu  propria. 

II. 
Herzog  Albrecht  —  Johann  Bonar. 
Magnifice  et  generöse  singulariter  nobis  dilecte.  Lit- 
teras  Magtiae  Vrae  XXII  Septembris  Cracoviae  datas  acce- 
pimus,  quarum  exordio,  quod  tanta  nostri  deprecatione 
utitur,  illud  omnino  ex  singulari  Magtiac  in  nos  Vrae  amore, 
quo  a  multis  nos  annis  prosecuta  est,  proficisci  arbitramur, 
vellemus  quidem  nos  per  omnia,  quae  Christo  eiusque 
ecclesiae  debemus,  praestare  posse.  Quia  vero  humanam 
imbecillitatem  cum  aliis  libenter  agnoseimus,  eam  nobis 
laudem  non  arrogamus  neque  virium  est  nostrarum,  si  quid 
in  Propaganda  veritate  evangelica  impendimus,  sed  spiritui 
id  saneto  reverenter  adscribimus  ac  deum  aeternum  pre- 
camur,  ut  cognitionem  sui  in  nobis  adaugeat  et  ad  extrema 
vitae  nostrae  tempora  conservet.  Clarissimum  virum  Fran- 
ciscum  Lismaninum  a  regno  Poloniae  proscriptum  esse 
dolemus  ac  facile  credimus,  quorum  id  instinetu  factum 
esse.  Fuit  autem  eadem  omnium  temporum  renascentis 
ecclesiae  conditio,  semper  enim  illam  satanae  furores  impu- 
gnaverunt.  Sed  cum  delere  eam  nequiverint,  non  dubitan- 
dum  est,  quin  deus  et  hanc  in  Polonia  eluscentem  veri- 
tatem  sit  propugnaturus.  In  quo  promovendo  si  quid  cari- 
tatis  christianae  impendi  a  nobis  potest,  nihil  sane,  quoad 
possumus,  desiderari  in  nobis  patiemur.    Itaque  eo  promp- 


312  Theodor  Wotschkc. 

tiores  fuimus  ad  interponendas  apud  S.  R.  Mt«n  et  plerosque 
regni  senatores  pro  eodem  Lismanino  preces  nostras.  Faxit 
deus,  ut  quod  oramus,  exorasse  nos  gaudere  possimusr 
siquidem  in  amplificando  Christi  regno  debitores  esse  nos 
agnoseimus.  In  quo  ut  ipse  Christus  suo  spiritu  saneto 
conatus  nostros  gubernet,  votis  ardentibus  precamur  exop- 
tamusque,  ut  Magtiam  Vram  in  ea  mente,  quam  aperta 
ei  lux  evangelica  excitavit,  perseverare  et  incrementa  sumere 
faciat.  Petimus  amice,  ut  crebrius  ad  nos  scribat  statumque 
ecclesiae  istic  locorum  nobis  communicet.  Regiomonte 
13.  Novembris  1556. 

111. 

Albertus  dux  Prussiae  —  Felici  Crucigero  superinten* 
denti  renascentis  ecclesiae  Christi  in  Minori  Polonia. 

Ea  quae  Rma  Dtio  Vra  de  statu  renascentis  in  Polo* 
niae  regno  ecclesiae  deque  veritatis  hostibus  in  oppugnanda 
ea  ac  proscripto  clarissimo  viro  Francisco  Lismanino  ad 
nos  scripsit,  illa  ex  litteris,  quas  omnium  ministrorum  et 
nobilium  veram  religionem  in  Minori  Polonia  amplecten- 
tium  nomine  ad  nos  dedit,  probe  intelleximus.  Ac  im* 
primis  gratulamur  inclito  Poloniae  regno,  quod  deus  opL 
max.  veram  sui  invocationem  illi  patefecit  veritatisque  lucem 
accendit.  Is  ea  omnia  ad  ecclesiae  suae  propagationem 
diuturna  esse  velit,  ut  cum  mu  Itarum  animarum  salute  et 
honore  eius  regni  perpetuo  coniuneta  sint  atque  in  largam 
latamque  messem  aecrescant.  Quo  autem  maiore  nos  höc 
nuncium  gaudio  affecit,  eo  tristius  nobis  aeeidit,  quod  cla- 
rissimum  virum  Franciscum  Lismaninum  proscriptum  esse 
intelleximus.  Non  possumus  itaque  non  vehementer  piis 
omnibus  et  toti  communitati  vestrae  hoc  nomine  condo- 
lere,  quia  vero  ex  omnibus  temporibus  surgentis  ecclesiae 
facies  est,  ut  suis  illam  satan  machinationibus  infestare  et 
aggredi  non  cessaverit,  moderatius  dolori  indulgendunx 
esse  existimamus.  Namque  et  ipse  Christus,  doctor  nosterr 
persecutionibus  subiectum  iri  ecclesiam  suam  praedixit,  id- 
circo  eo  minus  frangi  nos  animo  convenit  Quo  enim  vehe- 
mentius  hostes  evangelii  veritatem   supprimere   conantur^ 


Francesco  Lismanino.  313 

eo  fortius  illam  exsurgere  Rmae  Dni  Vrac  obscurum  non  est. 
Ac  facile  quidem  credimus,  S.  R.  Mtcm  in  proscribendo 
Lismanino  ab  eius  farinae  hominibus,  quibus  invisa  est  lux 
evangelica,  pertractam  fuisse.  Quia  vero  nobis  oranino  per- 
suademus  S.  R.  Mtcm  orthodoxam  de  Christo  doctrinam 
pie  amplecti,  eo  promptiores  sumus  ad  interponendas  apud 
illam  et  plerosque  regni  consiliarios  preces  nostras  pro 
eodem  Lismanino.  Tanta  autem  ad  nos  Rmae  Dnis  Vrae 
obtestatione  eiusdem  intercessionis  nostrae  opus  non  fuisset, 
cum  quod  ex  pietate  hoc  officium  afflictis  ecclesiae  Christi 
ministris  debemus,  tum  quod  eundem  Lismaninum  iam 
pridem  benevolentia  et  favore  nostro  complexum  carinii 
habemus.  Itaque  et  laboranti  ad  subveniendum  eo  pro- 
cliniores  sumus,  peroptamus  autem,  utintercessioillumnostra 
plurimum  commendet  et  pristinae  ipsum  libertati  restituat . . 
Regiomonte  XIII  Novembris  1556. 

IV. 
Joh.  Ocieski  cancellarius  —  Alberto  duci  Prussiae. 
Ulme  et  excolendissime  princeps.  Si  cui  unquam 
cuperem  ex  animo  obsequi  et  studiose  gratificari,  certe  id 
comprimis  Iilmae  Celni  Vrae  praestare  fuerit  mihi  iucun- 
dissimum,  quandoquidem  ea  me  semper  gratia  et  benigni- 
tate  prosequatur,  quam  ego  hactenus  me  demeruisse  non 
existimo  multumque  Uli  me  debere  fateor,  neque  est 
quicquam  eiusmodi,  quod  non  pro  voluntate  Iilmae  Celni  Vrae 
libenter  efficerem,  si  modo  in  mea  id  esset  potestate. 
Caeterum  quod  proximis  literis  suis  Franc.  Lismanini  negotio 
ut  curarem,  mihi  iniunxit,  etsi  is  professione  sua  reiecta 
in  regnum  hoc  liberum  a  nullo  magistratu  vocatus  venire 
ausus  fuerit  et  ad  res  novandas  praesentemque  rei  publicae 
statum  perturbandum  spectare  dicebatur,  facilius  tarnen 
veniam  illi  et  clementiam  S.  R.  Mtis  in  gratiam  Iilmae. 
Celnis  Vrac  impetrassem,  si  re  integra  mihi  id  commisisset. 
Sed  cum  iam  instantibus  iis,  quibus  curae  est,  ne  quid  in 
veteri  ritu  religionis  innovetur,  edictis  et  diplomatibus 
S.  R.  Mtis  publice  proscriptus  sit,  non  videre  se  dicit  Mtas, 
qua  ratione  possit  integra  dignitate  sua  ea,  quae  semel  de 


314  Theodor  Wotschke. 

illo  statuit,  revocare.  Quam  ob  rem  si  minus  hoc  in 
negotio  Dlmae  Celni  Vrae  satisfacere  potui,  non  id  negli- 
gentiae  meae  ascribat,  sed  rem  omnem  pro  ratione  tem- 
porum  aequi  bonique  consulere  dignetur.  Quibuscunque 
autem  aliis  in  rebus  promptam  et  addietam  volimtatem 
meam  illi  declarare  potuero,  nihil  est,  quod  fecero  üben* 
tius Varssoviae  13.  Dezember  1556  *). 


Johannes  Tomicki  —  Matthiae  Czerwenka  fratri  in 
Christo  carissimo  et  multis  modis  honorandissimo  inPrzerow. 

Quinta  die  Augusti,  cum  domum  redii,  reperi,  docto- 
rem  Lismaninum,  qui  accedente  voluntate  regia  apud  me 
manere  constituit  oetavaque  die  eiusdem  mensis  pro  uxore 
in  Tigurim  misit  misitque  ad  illas  ecclesias  exemplaria 
confessionis  nostrae  aliquot.  Etsi  d.  Stanislaus  ab  Ostrorog 
obtulerat  illi  apud  se  mansionem,  verum  ille  non  alibi  ani- 
mum  quam  apud  me  manendi  declaravit  Acquievi  volun- 
tati  illius,  sed  tarnen  scire  volens,  utrum  aliquid  aliud  in 
animo  haberet  causa  religionis,  quam  nos  ut  sentimus  vel 
profitemur,  dixi  me  nolle,  ut  quis  mihi  conscientiam  verbo 
dei  iam  lustratam  denuo  turbet.  Ille  apud  me  manens,  ne 
cum  aliquibus  tractet  vel  Ulis  consulat  contra  unitatem 
fratrum,  me  talia  non  posse   boni  consulere  respondit,   se 


J)  Indessen  hat  gerade  der  Kanzler  Ocieski  die  Aufhebung 
der  Acht  zu  hindern  und  die  Reformation  in  Polen  zu  unterdrücken 
gesucht.  Vergl.  hierzu  den  Bericht  des  preussischen  Gesandten 
vom  Warschauer  Reichstage,  den  2.  Januar  1557.  „In  der  Religion 
sachen,  do  hauen  die  gestlichen  durch  die  beden  Cantzler  grobe  hunde- 
har  ein  (d.  h.  betrogen,  da  durch  einen  Einschlag  von  Hundehaaren 
minderwertige  wollene  Stoffe  hergestellt  wurden),  der  eine  wirtt 
mit  geistlichen  guttern,  der  andere  mit  gelde  vberwunden.  Man 
gibt  itzundt  für,  das  nimant  als  die  vom  adel  für  ire  person  freyhait 
haben  sollen  vnd  im  geheim  zu  glauben,  wie  es  zuuorantworten, 
sunst  ire  vnderthanen  vnd  alle  Kirchen  sollen  im  vorigen  bebst- 
liehen  schtande  bleyben.  Do  widder  fechten  die  landsbotten  vnd 
seint  doch  gleichwol  auch  tzweytrechtig  gemacht.  Den  hern  von 
Tarnow  haben  die  Cantzler  auch  auft  einen  weg  bracht,  das  er 
weder  fisch  noch  flaisch  wurde*. 


Francesco  Lismanino.  315 

talem  nunquam  ex  natura  neque  ex  aliqua  re  alia  habere, 
ut   banc   provinciam  in    se    sumat,   ut    sit    iudex    harum 
rerum.      Ceterum    dixit    se   non  esse   aliquem  ministrum 
ut  tuam  conscientiam  ego  regam.    Imo  aliud  non  curo,  nisi 
ut  omnes  unanimes  sint   cum  fratribus,  verum  si   quid  in 
conf essione  fratrum  contra  verbum  purum  dei  ostensum  esse 
potent,  scio  illos  ita  modestos  esse,  ut  bono  animo  suscipiant 
et  meliora  videntes  Ulis  acquiescant,  quae  omnia  conferre 
vult  cum  fratre  Georgio1)  et  Rokytha,  legitque  diligenter  con- 
fessionem  et  annotat  loca   sibi  dubia.    Haecque  mihi   de- 
monstravit  primum  in  confessione  de  poenitentia,  ubi  scri- 
ptum est  de  confessione,  quod  consilio  ad  ministros  adeant 
coetus.    Non  ita,  inquit,  intelligere  debent  nisi  de  peccatis, 
dubiis  aut  articulis,   sed,   inquit,   de  his,   quae  sciret  esse 
iam  certa  vel  vera  peccata  et  occulta  sunt,  non  esse  opus, 
omnino  illa   coram   ministro   enumerare.    Ille  in   apologia 
folio  37>eprehendit  sententiam  hanc,  quae  ita  incipit:  „sub 
haec  dicimus,   cum  in  his,  quae   salutis  sunt,   adhortamur 
etc".     Volunt,  inquit,  fratres  non  nisi  illos  pro  christianis, 
qui  sunt  in  unitate  illorum,   habere  et  curam  illorum   illis* 
esse,  de  exteris  autem  nulla  illorum  cura  ut  sit,  citantque 
verba  Pauli,  quae  ita  interpretari  non  possunt   Nam  Paulus,, 
inquit,   exteros   non  christianos  appellat,   sed  ethnicos   et 
paganos.    Sed  cum  vult  ea  conferre  cum  nostris,  parum  me 
haec  movent,  scio  enim  Uli  adiutore   domino  fieri   satis  a 
nostris.    Nunc  autem  quid  in  synodo  Pinczoviensi2)  consti- 
tutum sit  et  a  domino  Lasocky  procul  dubio  sit  et  ex  hoc 
exemplari  a  domino  Lasky  domino  Stanislao  ab  Ostrorog 
misso  intelliget    Nomina   horum   seniorum   hie   descripta 
habet:  d.  Ossolynsky,  d.  Lasocki,   d.  PhUipowsky,   d.  Lu- 
kowsky,  d.  Rabsky,  d.  Zarski.   Scripsit  litteras  ex  Przerow 
Lismanino  d.  Lasocky,   pridie  Galli  velle  aliquos   ad  nos 
in  Maiorem  Poloniam  venire  veüeque  nobiscum  aliquae  de 
religione  traetare  una  cum  d.  Lasky,  sed   neque  de   tem- 
pore neque  de  loco  nihil  praesertim  ab  Ulis  seimus,  quod 


*)  Georg  Israel. 

*)  Synode  in  Pinczow  vom  10  -17.  August  1557. 


316  Theodor  Wotschke. 

magis  non  omnes  adesse  posse  intelligo,  si  tarnen  ex  deo 
illorum  cura  erit,  facile  res  suas  agent.  Rogo,  Dtio  Vra  me 
una  cum  familia  mea  in  orationibus  non  praetermittat,  cui 
nos  commendamus  valereque  quam  diutissime  ex  animo 
cupimus.  Datum  in  Thomice  14.  die  Septembr.  1557. 
Vester  ex  animo  frater  et  amicus  Johannes  de  Thomice, 
castellanus  Rogocensis,  manu  propria  scriptum. 

VI. 
Stanislaus  ab  Ostrorog  —  Alberto  duci  Prussiae. 
Dedi  in  mandatis  nobili  Eustachio  Trepka,  ut  quae- 
dam  meo  nomine  ad  Illmam  Celsnem  Vram  referret,  quem 
ut  benigne  audiat,  fidem  habeat  ac  tantum  sibi  de  me, 
quantum  ex  eo  intelliget,  persuadeat,  plurimum  rogo.  Cae- 
terum  cum  intelligerem,  Franciscum  Lismaninum  singularis 
cum  eruditionis  tum  prudentiae  hominem  ad  Illmam  Celsnem 
Vram  proficisci  in  animo  habere  ac  a  me,  ut  per  meas 
litteras  ad  Illmam  Celsnem  Vram  faciliorem  aditum  haberet, 
eontendere,  ei  hac  in  parte  deesse  nolui,  tametsi  omnibus 
aliquo  vel  eruditionis  vel  virtutis  encomio  commendatis 
aulam  Illmae  Celnis  Vrae  semper  patere  minime  ignorarem. 
Itaque  ab  Illma  Celsne  Vra  peto,  ut  virum  Optimum  et  propter 
religionem  vagum  proiectumque  sua  gratia  et  humanitate, 
ubi  advenerit,  complectatur.  Quod  Illmam  Celsdinem  Vramf 
quo  studio  erga   puriorem   religionem   eiusque   assertores 

ducitur,    facturam  omnino   confido Ex  Grodzizko 

21.  Martii  1558. 

VII. 

Albertus  dux  Prussiae  —  Stanislao  ab  Ostrorog. 

Magnifice  et  generöse,  amice  nobis  singulariter  dilecte. 
Nobilis  Eustachius  Trepka  servitor  noster  litteris  Magtiae 
Vrae  nobis  exhibitis  quaedam  illius  nomine  retulit,  ad  eaf 
quid  a  nobis  responsum  sit,  ex  ipso  Magtia  Vra  intellectura 
est,  cui  ut  fidem  referenti  habeat,  amice  contendimus.  Quod 
.ad  Lismanini  commendationem  attinet,  latere  Magtiam  Vram 
nolumus,  fuisse  apud  nos  reverendum  ac  generosum  Ioan- 
nem  a  Lasco,  qui  inter  cetera  et  ipsius  quoque  Lismanini 


Francesco  Lismanino.  317' 

nomine  nobiscum  egit;  ei  quid  responsum  dedimus,  partim 
ex  eiusdem  Eustachii  Trepka  relatione,  partim  ex  response^ 
nostro,  quod   scriptum   ei   dedimus,   cognoscet    Cupimus 
autem,  ut  Magtia  Vra  per  omnia  de  nobis  sibi  amici  prin- 
cipis  benevolentiam  polliceatur,  ut  quidem  nihil  eorum,  quae 
recte  a  nobis  praestari  potenmt  et  quantum  rationes  nostrae 
ferent,    passuri   simus    in    nobis   desiderari,    sie   sane    ut. 
Magtia  Vra  se  et  magni  a  nobis  fieri  et  postulata  quoque 
illius  plurimum  valere  apud  nos  experiatur,  sicut  latius  haec 
ab  ipso  Eustachio  Magtia  Vra  intellectura  est.  Quam  feliciter 
valere  exoptamus.    Dat.  Regiomonte  22.  Aprilis  1558. 


VIII. 
Epistola    synodi    seniorum     utriusque     ordinis     MDLXI 
XIÜ  Decembr.     Cracoviae  celebratae  ad  clarissimum  virum 
d.  Heinricum  Bullingerum  ecclesiae  Tigurinae  pastorem. 

Quod  eam  curam  nostri  habes,  clarissime  et  inte- 
gerrime  vir,  non  possumus  tibi  summas  non  agere  gratias, 
non  aliunde  enim  hanc  nasci  credimus,  quam  ex  illo  amore, 
quem  summum  semper  testati  estis  in  vestris  ad  nos. 
scriptis.  Optamus  autem,  ut  quem  admodum  hueusque  de 
nobis  optima  sperabatis  et  nos  quoque  de  vobis  credidi- 
mus,  ita  in  posterum  eandem  fidem  illaesam  permanere, 
ne  scilicet  quorumlibet  hominum  privatorum  litteris  vel 
delationibus  de  nobis  credatis.  Sunt  enim  plerique,  ut 
nunc  sunt  tempora,  qui  nihil  aliud  quam  traducendi  et 
condemnandi  occasionem  quaerunt,  laudem  ex  aliorum 
infamia  venantur  et  quasi  vigilantiae  speciem  prae  se  ferunt, 
cum  ad  quaslibet  suspiciones  vel  rumusculos  omnes  ex- 
citent  et  classicum  canant. 

Loquimur  autem  hie  de  nostris  quibusdam,  qui  eccle- 
sias  nostras  turbare  annituntur  et  quaerunt  occasiones 
traducendi.  De  nobis  vero,  ne  quid  dubitetis,  sie  breviter 
babete.  Credere  nos  et  adorare  sanetam  trinitatem,  hoc 
est  patrem,  filium  et  spiritum  sanetum  agnoseimus.  Patrem 
verum  deum  esse,  Christum  quoque  filium  dei  esse  verum 
deum,  spiritum  quoque  sanetum  esse  verum  deum,  plura- 


3X8  Theodor  Wotschke. 

litatem  deorum  detestamur,  unum  esse  deum,  non  persona 
sed  indifferent!  natura  credimus. 

Contra  Arium  credimus  opoovounr  filium  patri,  contra 
Servetum  credimus  aeternum  ex  aeterno  patre  genitum 
filium,  omnipotentem  ex  omnipotenti  perfectum  ex  perfecto 
»etc.  Verbum  quoque  suo  tempore  factum  hominem  non 
mutata  natura  verbi  in  carnem,  sed  carne  in  unam  hypo- 
stasim  unita.  Propter  puritatem  et  simplicitatem  apostolico 
symbolo  contenti  sumus.  Sed  ne  calumnientur  nos  hostes, 
etiam  Nicaenum  cum  Athanasü  symbolo  contra  haereticos 
•emergentes  reeipimus.  Caeterum  ut  via  falsis  rumoribus 
de  nostris  ecclesiis  praecludi  possit,  in  posterum  rogamus, 
ne  cuiusque  delationibus  vel  etiam  scriptis  credatis,  nisi 
literis  publicis  ab  istis  senioribus  vel  illorum  plerisque 
subscriptis.  Itaque  obtestamur  te  tuosque  symmistas,  ne 
•quid  de  nobis  mali  suspicemini,  sed  nos  agnoscatis  pro 
fratribus  vestris  amantissimis,  qui  ut  a  vobis  in  doctrinae 
evangelicae  puritate  non  medioeriter  adiuti  sumus,  ita 
vobiscum  eam  retenturos  esse  et  defensuros  contra  omnes 
omnium  errores  certo  vobis  persuadeatis.  Bene  vale,  vir 
clarissime.  Dominus  te  servet  ecclesiae  suae  fidelem 
ministrum.  Cracoviae  ex  synodo  seniorum  XIII.  Decembr. 
anno  MDLXI1). 

IX. 

Confessio  de  saneta  trinitate  contra  eos,  qui  ecclesias 
Minoris  Poloniae  Arianismi  et  pluralitatis  deorum  aecusant, 
edita  Pinczoviae  in  synodo  seniorum  et  ministrorum  XX 
(bei  Zanchi  fälschlich  XXII)  Augusti  anno  domini  MDLXII. 

Da  das  Bekenntnis  bei  Zanchi  (VIII,  80)  sich  abge- 
druckt findet,  übergehe  ich  es  hier  und  drucke  nur  das 
ihm    von    Lismanino    später    mit   Rücksicht   auf  Herzog 


i)  Bullingcr  war  natürlich  durch  diesen  Brief  and  das  Glaubens- 
bekenntnis völlig  befriedigt  Am  28.  Februar  156a  schreibt  er  seinem 
Genfer  Freunde  „mitto  litteras,  quas  aeeepi  ex  Polonia,  mittunt  ad 
me  confessionem,  quam  si  faciunt  animo  sincero,  congratulor  eis. 
Ac  nisi  existimavissem  similem  ad  te  quoque  missam,  meam  iilam 
communieavissem  tecum". 


Francesco  Lismanino.  319 

Albrechts  Erinnerung  vom  9.  Mai  1563  beigegebene 
Scholion  ab. 

Qui  existimant  non  recitari  totum  symbolum  Nicae- 
num,  sciant  verba  illa:  „Dominumque  vivificantem  etc." 
addita  fuisse  in  synodo  Constantinopolitana  adversus  Mace- 
donium,  qui  negabat  divinitatem  Spiritus  saneti.  In  Nicaeno 
autem  symbolo  huiusmodi  non  haberi,  quae  tarnen  nos 
etiam  ut  necessaria  suseipimus  et  approbamus. 

Da  bei  Zanchi  nur  zwei  Unterschriften  sich  finden, 
teile  ich  sämtliche  mit: 

Felix  Cruciger,  superintendens  ecclesiarum  in  Minori 
Polonia. 

Franciscus  Lysmaninus. 

Stanislaus  Lutomirski,  Pinczoviensis  tractus  senior. 

Gregorius  Paulus,  senior  in  diocesi  Cracoviensi.  ' 

Paulus  Gilovius,  senior  districtus  Zatoriensis  et  Oswie- 
ciniensis  ducatus. 

Jacobus,  ecclesiarum  submontanarum  senior. 

Stanislaus  Paclesius,  ecclesiarum  sortis  suae  in  terra 
Lublinensi  superintendens. 

Martinus  Crovitius,  ecclesiarum  Lublinensium  sibi 
commissarum  superintendens. 

Alexander  Vitrelinus,  Bitomiensis  minister  evangelü. 

Stanislaus  Wisniovius,  minister  coetus  Vieliciensis. 

Melchior  Polipovius,  minister  in  Lukow. 

Joannes  Checiny,  minister  in  Rogow. 

Joannes  a  Pokrziwnica,  minister  in  Krzczeczicze. 

Jacobus  Sigismundus,  minister  Pinczoviensis. 

Joannes  Siekierzinski,  verbi  dei  minister  in  Pelsnicza. 

Christophorus  Milvius  in  Gory,  verbi  dei  minister. 

Michael,  minister  Ruski  Krosney. 

Tiburtius  Borisovius  in  Sieklika  minister. 

Stanislaus  Moicius,  minister  in  Naglovice. 

Bartolomaeus  Luczicki. 

Matias  Lovicius,  minister  in  Jastrzebia. 

Matias  Albinus,  minister  in  Iwanowice. 

Stanislaus  Cristinius  Wiedimensis,  verbi  dei  minister. 

Stanislaus  Bodzecinius,  minister  in  Bobova. 


320  Theodor  Wotschkc. 

Martinus  Laskowius,  minister  in  Sobolow. 
Matias  Niegoslawski,  minister  in  Tarnowa. 
Tomas  ex  parva  Kazimierza. 
Albertus  Episcopius,  minister  verbi  dei. 
Adam,  minister  ecclesiae  dei  in  Gieraltowice. 
Georgius  Schommanus  scriba. 

X. 

Nachtrag  zur  explicatio  doctrinae  de  trinitate:  Si 
quisquam  est,  qui  meliora  adferat  aut  nostra  pie  corrigat, 
is  et  scribat  et  corrigat,  et  dominus  illi  pro  nobis  retribuet. 
Nulla  namque  dueimur  invidentia,  quoniam  neque  per 
contentionen  neque  per  inanis  gloriae  Studium  ad  colligenda 
ista  accessimus,  sed  fratribus  prodessemus  nosque  in  hoc 
praeeipuo  religionis  christianae  articulo  recte  sentire  testa- 
remur.    Franciscus  Lysmaninus. 

XI. 
Albertus  dux  Prussiae  —  prineipi  Moldaviae. 
Illustris  et  magnifice  prineeps,  amice  nobis  singu- 
lariter  dilecte.  Dum  hie  Caunae,  in  oppido  Lithuaniae, 
quo  ad  S.  R.  Mtem  Poloniae  profecti  sumus,  aliquot  dies 
commoramur,  aliquoties  nos  invisit  Franciscus  Lysmaninus 
Corcyraeus,  cum  quo  inter  tumultuosa  haec  negotia,  quae 
Caunae  nobis  efficienda  fuerunt,  multis  de  rebus  fami- 
liariter  sermones  contulimus.  Inter  cetera  vero  intellexi- 
mus,  Illtatem  Vram  aliquoties  per  litteras  eum  ad  se  invitasse, 
quod  autem  IUtatis  Vrae  voluntati  non  citius  et  ante  hoc 
tempus  satisfecerit,  id  nullam  aliam  ob  causam,  nisi  quod 
S.  R.  Mtem  de  impetranda  eam  provectionem  venia  nullibi 
quam  tunc  Caunae  commodius  maioreque  cum  oportuni- 
täte  convenire  potuerit,  factum  esse  Dltas  Vra  sibi  persua- 
deat.  Quandoquidem  autem  nunc  permissu  S.  R.  Mtis  iter 
ingressurus  et  ad  Illtatem  Vram  profecturus  sit,  noluimus 
committere,  ut  amicus  hie  noster  ab  annis  plurimis,  cum 
monasticam  adhuc  agens  vitam  cucullo  indutus  esset, 
nobis  et  notus  et  familiaris  absque  literis  ad  Illtatem  Vram 
nostris  perveniret    Illtatem  itaque  Vram  maiorem  in  modum 


Francesco  Lismanino.  321 

pro  mutua  nostra  amicitia  rogamus,  ut  dictum  hunc  Lis- 
maninum,  cui  alias  Ultatem-  Vram  optime  cupere  non  est 
dubium,  etiam  nostri  causa,  quo  ad  priorem  istam  ac 
veterem  benevolentiam  propter  commendationem  hanc 
nostram,  qua  tarnen  minime  opus  esse  arbitramur,  novi  aliquid 
accessisse  intelligit,  favore  complecti  eique  benignam  se 
praebere  dignetur.  Hoc  modo  Illtas  Vra  beneficia  sua 
praeclare  positura  est,  et  nos,  quicquid  benevolentiae  ami- 
citiaeque  ab  Illtate  Vra  in  eum  collatum  fuerit,  non  secus, 
ac  si  nobis  id  factum  esset,  accipiemus  et  paribus  id 
studiis  vicissim  Illtati  Vrae  rependere  conabimur.  Quam 
diu  feliciterque  valere  exoptamus  et  ut  per  occasionem 
literis  suis  nos  invisat  petimus.   Dat.  Caunae  VI.  Julii  15631). 

XII. 
Albertus  dux  Prussiae — Regi  Poloniae. 
Serenissime  rex.  Dubium  mihi  plane  nullum  est, 
S.  R.  Mtem  eorum,  quae  de  doctore  Francisco  Lismanino 
Corcyraeo  cum  S.  R.  V.  Mte  hie  Caunae  collocutus  sum, 
datique  ad  intercessionem  pro  ipso  meam  responsi  (quod 
prolixius  hie  repeti  operae  pretium  non  esse  dueo)  nee 
non  annexae  regiae  benignaeque  pollicitationis  suae,  quod 
S.  R.  V.  Mtas  in  notis  illius  negotiis  clementer  cum  eo  actura 
esset,  adhuc  esse  memorem.  Inductus  igitur  hoc  clemen- 
tissimo  S.  R.  V.  Mtis  responso  ipse  Franciscus  in  istis  negotiis 
suis  ad  S.  R.  V.  Mtem  proficiscitur.  Cum  autem  interea 
temporis,  dum  hie  Caunae  commoror,  ex  conversatione 
cum  ipso  et  habitis  mutuo  colloquiis  tantum  mihi  depre- 
hendisse  videar,  secus  eum  S.  R.  V.  M*i ,  quam  decebat, 
depictum  est,  non  possum  facere,  quin  ei  ad  S.  R.  M*«n 
Vram  iter  ingredienti  litteras  hasce  commendatitias  com- 
municem.  Scram  itaque  R.  V.  Mtem  etiam  atque  etiam  enixe 
humiliter  peto,  ut  se  pro  clementi  sua  pollicitatione  beni- 

l)  Bei  dieser  Gelegenheit  bemerke  ich,  dass  schon  am  18.  März 
1563  Herzog  Albrecht  dem  nach  der  Moldau  und  Walachei  reisenden 
Wittcnberger  Professor  Justus  Jonas,  einem  Sohne  des  bekannten 
Freundes  Luthers,  einen  Empfehlungsbrief  an  den  Fürsten  Heraklid 
Basilikus  mitgab. 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  fQr  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XVIII.  ar 


322  Theodor  Wotschke. 

gnissimum  clementissimumque  ipsi  dominum  ac  regem 
etiam  mea  causa  praebere  clementer  dignetur.  Confes- 
siones  quidem  a  norma  ac  regula  verbi  divini  non  dissi- 
dentes  ex  aequo  se  recepturum  et  approbaturum,  omnes 
a  sacris  vero  literis  discrepantes  repudiaturum  esse  con- 
stanter  asserit,  subscribere  autem  ulli  ideo  veretur  et 
recusat,  quod  in  confessione  sua  propria  et  quidem  a 
multis  aliis  subscriptione  approbata  non  levem  postea 
in  gravissimo  de  trinitate  titulo  errorem  deprehenderit1). 
Quare  S.  R.  V.  Mtem  iterum  submisse  peto,  ut  ratione 
horum  clementer  habita  commendatum  eum  sibi  esse  sinat 
ac  gratia  porro  sua  atque  benevolentia  complectatur.  Fac- 
tura  S.  R.  V.  Mtas  rem  mihi  gratissimam,  quam  ego  debitis 
meis  officiis  subdite  promereri  enitar.  Ipse  vero  Franciscus 
non  prius  pro  hoc  S.  R.  V.  Mtis  beneficio  gratus  esse  quam 
vivere  desinet  Deinde  et  haec  S.  R.  V.  Mtem  subdite  celare 
non  possum  rumorem  de  obitu  illius  viri,  de  quo  cum 
S.  R.  Mte  Vra  in  conclavi  meo  hie  Caunae  sermones  con- 
tuli,  subinde  augeri  et  pro  certo  haberi,  duas  vero  ot> 
causas  id  occiütari.  Atque  S.  R.  V.  Mtem  in  serös  annos 
Christo  omnipotenti  salvam,  felicem  atque  florentem  con- 
servari  ac  hostibus  suis  omnibus  modis  superiorem  esse 
ardentibus  votis  exopto.     Caunae  XL  Jiüii  1563. 

XIII. 
Albertus  dux  Prussiae — Lucae,  Andreae  et  Stanislao 
Gorka,  Jacobo  et  Stanislao  ab  Ostrorog,  Johanni  Tomitzki,. 
Raphaeli  Lieskinski  et  Nicoiao  Olyesnienski. 


1)  Leider  vermag  ich  nicht  zu  sagen,  worauf  sich  diese  Worte- 
beziehen  mögen,  einem  Zweifel  an  der  dogmatisch  korrekten  Theologie 
Lismaninos  können  sie  jedenfalls  nicht  Vorschub  leisten.  Vergl.  auch 
folgendes  Urteil  aus  römischem  Munde.  Am  17.  August  schreibt 
der  königliche  Sekretär  Andreas  Patricius  an  den  Kardinal  Hosius 
von  Grodno  aus:  „Misit  ad  me  Fr.  Lismaninus  libellum  confessionis 
suae  de  trinitate,  quam  mitto  Ili«*«  D»"  V»*,  ut  videat,  an  inter 
haereticos  in  hoc  quidem  articulo  sit  habendus.  Ipse  enim  Trideistae 
appellationem  modis  omnibus  repudiat.  Conatus  sum  hominem  in. 
hoc  genere  ad  confessionem  concilii  Tridentini  revocare14. 


Francesco  Lismanino.  323 

Magnifici  ac  generosi,  singulariter  nobis  dilecti.  Cum 
ex  praesentiarum  exhibitore  Francisco  Lysmanino,  amico 
nostro  perveteri,  qui  Caunae  nobiscum  erat,  intelligamus, 
eum  Magtiac  Vrae  et  notum  et  familiärem  esse  ac  eandem 
nunc  invisere  constituisse,  noluimus  committere,  quin  ad 
contestandam  benevolentiam  ac  favorem  nostrum,  quo 
eum  ab  annis  hinc  multis  complectimur,  commendatione 
eum  nostra  ad  Magtiam  Vram  prosequamur.  Quamobrem 
Magtiam  Vram  amanter  rogamus,  ut  hunc  communem 
amicum  nostrum  iam  ante  Magtiae  Vrac  satis  commenda- 
tum  propter  nos  eo  commendatiorem  sibi  habere  velit, 
ita  ut  benevolentiam  Magtiae  Vrae  erga  ipsum  non  parum 
incrementi  et  virium  ab  hisce  literis  nostris  accepisse  ex- 
periatur.  Caunae  XII.  Julii  1563. 

XIV. 
Lismaninus  —  Friderico  a  Canicze. 
Magnifice  domine.  Cum  solet  dici,  melius  est  prae- 
venire  quam  praeveniri,  et  in  dubiis  tutior  via  est  adhi- 
benda,  videns  me  non  posse  liberari  a  tussi  et  catarro 
febrili,  qui  morbi  me  molestant  in  quattuor  septimanis, 
scripsi  testamentum  meum,  quod  bis  inclusum  mitto  et 
per  iilum  amorem  filialem,  quo  me  nihil  tale  meritum  hac- 
tenus  Magtia  Tua  prosecuta  est,  obtestor,  ut,  ubi  audiverit, 
me  ex  hac  valle  misera  emigrasse  ad  illam  beatam  vitam, 
coram  illmo  duci,  domino  clementissimo,  aperiat  et  legat 
omniaque  curaret  exsequenda  iuxta  meam  voluntatem. 
Dat  ex  aedibus  illustrissimi  principis  XXX.  Octobris  1564. 

Franc.  Lismaninus  languens. 

XV. 

Lismaninos  letzter  Wille. 

Anno  1564  die  29.  Octobris  Regiomonti  in  aedibus 
illustrissimi  principis  a  venerabili  magistro  Functio  emptis. 

Decumbens  ex  tussi  et  catarro  febrili  ego  Fr.  Lis- 
maninus Corcyraeus  sexagenarius  sanus  mente  manu  mea 
propria  haec  annotavi  habitura  vim  et  valorem  mei  ultimi 
testamenti,  cuius  executores  constituo  illustrem  d.  Paulum 

21* 


324  Theodor  Wotschkc. 

Scalichium  et  generosos  dominos  Fridericum  a  Canicze  et 
Joannen)  Maczinski1),  qui  hactenus  me  filiali  amore  sunt 
prosecuti.  Haeredem  meum  nomino  Paulum  Lismaninum 
puerum  novennem,  quem  mihi  peperit  nobilis  femina 
Claudia  Galla,  mea  uxor  legitima  in  primaria  Helvetiorum 
urbe  Tiguro. 

Inprimis  confiteor  me  hactenus  sensisse  et  per  de 
gratiam  usque  ad  extremum  huius  vitae  corporalis  mo- 
mentum  sensurum  de  vera  religione  non  ex  hominum 
commentis  sed  ex  sacrosaneta  scriptum  canonica  veteris 
et  novi  testamenti,  quam  agnosco  et  reverenter  amplector 
pro  ipsissimo  verbo  dei,  cuius  particulares  methodos  sem- 
per  iudicavi:  decalogum,  symbolum  fideit  quod  apostolicum 
nominatur,  cuius  veluti  explicationes  adversus  haereticos 
sunt  reliqua  omnia  symbola,  et  oratio  dominica.  Has 
tres  methodos  adeo  necessarias  esse  pronuncio  universae 
dei  ecclesiae,  ut  sine  harum  cognitione  constanter  con- 
firmem  neminem  tamquam  membrum  ecclesiae  dei  con- 
numerandum.  Has  vero  amplecti  et  eis  firmiter  credere  non 
est  virium  humanarum  sed  merum  dei  donum,  qui  salvat 
misericorditer  et   punit  iuste,  quoscumque  salvat  et  punit. 

Scio  me  proposuisse  duo  scripta  ad  declarandam 
meam  sententiam  de  religione,  uni  subscripserunt  multi 
pastores  ecclesiarum  Minoris  Poloniae  et  reverendus 
Matthias  Cervonka2),  fratrum  Boemorum  senior,  nee  non 
clarissimus  ille  vir  dei  Joannes  a  Lasco.  Alten  de  con- 
troversiis  super  doctrina  Trinitatis  subscripserunt  theologi 


1 )  Joh.  Maczynski  war  Sekretär  des  Nikolaus  Radziwill  in  Wilna 
und  ist  bekannt  als  Herausgeber  eines  lateinisch-polnischen  Wörter- 
buches, das  nach  den  ersten  lateinisch  -  deutschen  Wörterbüchern 
jener  Zeit,  dem  des  Strassburger  Dasypodius  und  des  Züricher  Frisius, 
gearbeitet  war.  Ich  vermute,  dass  das  Lexikon  nicht  ohne  Mithülfe 
Lismanlnos  entstanden  ist.  Li tterarhis torisch  beachtenswert  ist,  dass 
Maczinski  durch  sein  Wörterbuch  den  Druck  eines  noch  grösseren 
lateinisch -deutsch -polnischen  Lexikons,  das  der  Lycker  Pfarrer 
Hieronimus  Maletius  und  Johann  Radomski  ausgearbeitet  hatten, 
verhindert  hat. 

*)  So  schreiben  auch  die  kleinpolnischen  Synodalprotokolle 
den  Namen  des  Seniors  der  Brüderunität. 


Francesco  Lismanino.  325 

Regiomontani  et  ministri  ecclesiarum  Podlasensium.  Eidem 
sententiae  contentae  in  utroque  scripto  et  nunc  constanter 
adhaereo.  Semper  tarnen  hac  adbibita  cautione:  „errare 
possum,  haereticus  esse  non  possum".  Rogo  omnes  pios, 
ut  cum  iudicio  perlegant  collectanea  illa  de  trinitate  et 
praesertim  illum  locum  d.  Hilarii,  quo  manifeste  ex  d. 
Paulo  probat  illam  propositionem,  quoties  nomen  dei  ab- 
solute ponitur  in  scriptura,  de  patre  intelligitur,  non  potest 
universaliter  verificari,  si  Moses  in  Dt.  32  et  Esaias 
aliquoties  nomen  dei  absolute  positum  de  filio  dei  intel- 
ligunt,  quod  ex  d.  Paulo  d.  Hilarius  manifeste  ostendit 
imo  demonstrat. 

Hortor  etiam  pics  fratres,  ut  considerent,  quod  diffe- 
rant  inter  se  haec  phrases.  Pater  filius  et  spiritus  sanctus 
est  unus,  quae  est  Sabelliana.  Pater  filius  et  spiritus 
sanctus  sunt  unus  deus,  quae  est  catholica  et  in  usu  apud 
veteres  patres  et  apud  d.  Bernardinum  Ochinum,  qua 
nulla  quaternitas  declaratur  nee  unum  individuum  con- 
flatum  ex  tribus,  sed  patrem,  filium  et  spiritum  esse  unius 
deitatis,  quod  et  vos  fatemini. 

Discedite  ab  illa  regula  obliqua,  si  non  sunt  unus 
simpliciter  neque  cum  adiuneto  (?),  et  omnia  erunt  dilueida. 
Quod  vero  unus  deus  de  patre,  filio  et  spiritu  saneto 
dictus  non  tollat  eminentiam  patris  illius  ingeniti,  qui  solus 
est  unus  ille  verus  deus  pater,  in  dictis  collectaneis  de- 
claravimus,  quae  si  data  fuissent  in  lucem  (parcat  deus 
illis,  qui  impediverunt),  sedassent  proeul  dubio  tantam 
rabiem. 

Secundo.  Quemadmodum  coram  tota  ecclesia  agnosco 
me  peccatorem  super  omnes  homines  partim  actu  partim 
affectu,  ita  firmiter  credo  misericordiae  dei  patris  exhi- 
bitae  mihi  per  mortem  sui  filii,  quem  credo  mihi  natum, 
mortuum,  resuscitatum  et  omnia  munera  a  patre  iniuneta 
mihi  peregisse,  omnia  peccata  mea  deleta,  obliterata  et 
remissa  nullis  meis  meritis  sed  pura  et  mera  gratia  sua 
permagna.  Discedo  itaque  ex  hac  valle  misera  laetissi- 
mus  vehens  mecum  omnia  merita  Christi  filii  dei,  veri 
dei    et    hominis,    quem    magis  mihi  proprium  esse  credo 


3^6  Theodor  Wotschkc. 

•quam  meam  animam,    cum    ipse    sit  meae  animae  anima 
«t  vita. 

Corpus  meum  ubicunque  et  quocunque  depositum  et 
sepultum  credo  in  tremendo  illo  die  refricari  et  ita  suscita- 
tum  et  rursum  animae  meae  unitum  perpetuo  fruiturum 
bona  illa,  quae  oculus  non  vidit  nee  auris  audivit. 

Tertio.  Exbonis  mihigratiadei  concessis  tarn li bris  quam 

alia  supellectili  et  peeunia  volo,  ut  satisfiat  meis  creditoribus: 

Domino  Laurentio  Normando  Genevae   debeo   coro- 

natos  solis  88. 
Domino  Sebastiano  Ungaro  bibliopolae,  fuit  servitor 
d.  Ioan.  a  Lasco,  satisfiat  iuxta  meum  chyrographum, 
quod  Uli  dedi. 
Domino  Bartholomaeo  Italo  spathario  et  inauratori 
Cracoviae  habitanti  restituenda  omnia,  quae  mihi 
proficiscenti  in  Valachiam  dederat,  si  hactenus 
non  sunt  ei  reddita  a  domino  Francisco  Dino  Flo- 
rentino, cive  et  mercatore  Vilnensi,  apud  quem 
reliqui  discedens  Vilna  in  deposito,  ut  aut  ven- 
derentur  iuxta  commissionem  praedicti  d.  Bartho- 
lomaei  aut  remitterentur  in  suas  manus  Cracoviam. 
Erant  autem  32  globuli  ferrei  deaurati  pro  una 
colephka  pretii  16  aureorum  ungaricalium,  item 
phalerae  unius  equi  olosericae  nigrae  cum  globulis 
sericis  deauratis  pretii  10  talerorum.  Apud  me 
vero  est  ensis  cum  papulo  deaurato  pretii  10 
aureorum,  item  unä  clava  ferrea  deaurata  pretii 
2  talerorum  et  pro  altera  simili  donata  a  me 
doctori  Boruski  dentur  Uli  taleri  duo. 
Domino  Symoni  Rotemberg,  civi  et  pharmacopolae 
Cracoviensi,  satisfiat  iuxta  registrum  pharmacorum 
mihi  datorum  iuxta  eius  conscientiam. 
Domino  Sebastiano  Lupi  (?)  pro  generosis  dominis 
Soderinis  satisfiat  iuxta  iUorum  libros;  extatin  meo 
scriniolo  summa  illius  debiti. 
fDomino  Georgio  Pipna,  civi  et  pharmacopolae  Cra- 
coviensi meo  veteri  amico,  satisfiat  pro  oleo  et  paucis 
aliis  reculis. 


Francesco  Lismanino.  327 

Generoso  domino  Hieronymo  Philipowski,  meo  sin- 
gulari  amico  et  benefactori,  reddantur  floreni  40,  quos 
mutuo  dedi  in  necessitates  uxoris  meae  discedentis  Pin- 
czovia  in  Prussiam.  Item  dentur  dominationi  suae  floreni 
30,  quos  mihi  in  extrema  inopia  constituto  miserat  Pels- 
niciis,  quos  ego  aeger  in  Piotrokovicze  restitueram  Uli,  sed 
optimus  vir  habens  rationem  meae  inopiae  rursum  miserat 
Pinczoviam,  simulque  eidem  habeo  gratias  pro  omnibus 
officiis  et  beneficiis,  quibus  me  affecit,  quae  sunt  innu- 
raera.  Item  si  excellentissimus  d.  Blandrata  non  revocavit 
donationem  mihi  factam  100  florenorum  annuorum,  genero- 
sus  dominus  prospere  satisfaciat,  ut  promisit  100  vero 
floreni,  quos  scripsit  se  exposuisse  in  necessitates  meas  et 
meae  uxoris,  computentur  loco  100  florenorum,  quos  mihi 
tenet,  de  quibus  etiam  nunc  coram  deo  affirmo  me  iuste 
repetiisse  ab  eo  et  in  suo  chirographo  manu  sua  fecisse 
prope  cuique  certum  (?).  Quod  si  noluerit  acquiescere  huic 
meo  testimonio,  committatur  dictum  debitum  100  flore- 
norum eius  conscientiae,  ut  pro  officiis  erga  me  praestitis 
tarn  ipsi  quam  generoso  eius  fratri  d.  Troiano  pervarie 
ago  et  habeo  gratias,  si  alia  debita  essent,  quorum  non 
memini,  persolvenda. 

Dominis  vero  doctoribus  medicis  Jacobo  persolvantur 
pharmaca,quae  faciunt  summam  florenorum  26,  exceptis,  quae 
accepi  in  hac  aegritudine  ultima,  Severino  vero  dentur  taleri 
duo  cum  medio,  item  grossi  42,  item  grossi  38  ratione  prioris 
debiti  contracti  in  thermis;  caeterum  in  Signum  grati  animi, 
quod  me  Caunae  semel,  hie  vero  ter  a  gravissimis  morbis 
curaverit,  volo,  ut  donetur  illi  anulus  pretii  10  talerorum, 
quo  erit  mnemosimon  meae  christianae  amicitiae. 

Itaque  domino  Joanni  Daubmanno  ffipographo  dabuntur 
taleri  10  circa  finem  Novembris  anni  1565.  Ipse  vero 
ostendet  se  doeuisse  artem  typographicam  Matthiae  et 
Georgio,  Polonis^  meis  servitoribuSj  iuxta  contractum, 
cuius  unffllTex  mahu~meäTiä5et  ipse,  alterum  ex  manu 
sua  est  in  meo  scriniolo.  Debet  enim  eos  docere  com- 
ponere  et  aliud,  quod  nunc  non  suecurrit  fundere  nostris 
litteris,  et  iustificare  ad  instrumentum ;  si  itaque  stetit  pro- 


328  Theodor  Wotschke. 

missis,  dentur  Uli  taleri  10  et  ipse  det  illis  litteras,  ut 
possint  exercere  artem,  ubi  voluerint,  et  quod  iuxta 
contractum  debebant  mihi  restituere  taleros  20  dicto 
Matthias  et  Georgius,  totum  hoc  illis  dono  nee  volo, 
ut  possint  retineri  a  d.  Daubmanno  ratione  dictorum  20  ta- 
leroriun. 

Item  volo,  ut  dicto  Matthiae,  meo  servitori,  dentur 
taleri  10,  ut  possit  se  conferre  in  patriam. 

Item  Georgio  dentur  taleri  4.  Item  Joachimo,  Pome- 
rano  meo  servitori,  dentur  taleri  10,  cui  etiam  dono  Cale- 
pinum  Latinum ;  Latino  -  Germanicum  vero,  quem  com- 
modatum  habet  a  me,  restituat  Paulo  meo  filio.  Volo 
etiam,  ut  habeat  lodicem  ex  lana  alba,  qua  se  tegit  noctu. 

Quattuor.  Ubi  satis  factum  fuerit  omnibus  meis 
creditoribus  et  servitoribus,  inter  quos  numero  et  Barba- 
ram  virginem  Pinczoviensem,  quae  venit  huc  cum  mea 
coniuge,  cui  dono  florenos  polonicos  10  et  2  vestes  ex 
panno  bono,  cum  nupserit;  item  Jacobum  Lithuanum,  cui 
volo,  ut  ex  integro  numerentur  illi  marcae  10  in  feriis 
divi  Johannis  baptistae  proxime  venturis  anni  1565  non 
computando,  quae  aeeepit  ad  calceos,  imo  si  uxorem 
duxerit,  volo  ut  donetur  illi  marcae  quoque  ultra  Stipen- 
dium annuum,  ubi,  inquam,  istis  omnibus  satisfactum  fuerit, 
legatur  contractus  matrimonialis  inter  me  et  nobilem  foemi- 
nam  Claudiam  meam  coniugem  et  iuxta  tenorem  dicti 
contractus  tractetur  a  dominis  meis  executoribus.  Debetur 
illi  fruetus  tertiae  partis  omnium  bonorum,  modo  caveatur 
haeredi  de  conservanda  tertia  parte.  Ceterum  tarn  ipsam 
quam  filium  commendo  pietati  et  clementiae  serenissimi 
regis,  domini  mei  clementissimi  ac  illustrissimorum  prin- 
cipum  d.  d.  ducis  Prussiae  et  palatini  Vilnensis,  ducis 
Olicensis  et  Niczviensensis,  quorum  beneficientia  hactenus 
et  ego  et  ipsi  viximus.  Supplicent  mei  executores,  ut 
beneficia  mihi  collata  extendantur  ad  vitam  uxoris  et  filiu 
Item  mille  illi  floreni  a  serenissimo  rege  mihi  promissir 
quae  res  nota  est  illustrissimo  palatino  Vilnensi  et  gene- 
roso  domino  Joanni  Maczinski,  relevarent  hanc  desolataro 
familiolam.    Ex    his    posset  meae  coniugi    dari    viaticum 


Francesco  Lisraanino.  329 

sufficiens,  si  vdlet  redire  in  Galliam.  Si  beneficia  mihi  ad 
vitam  concessa  extenderentur  ad  vitam  uxoris  et  filii  aut 
tan  tum  filii,  volo  ut  meae  uxori  praeter  fructum  partis 
tertiae,  quae  illi  debetur  ad  vitam,  et  totae  alius  summae 
concedatur  illi  petenti  secundas  nuptias  pars  tertia  ad 
vitam.  Si  vero  in  prima  viduitate  perseveraverit,  habebit 
medietatem,  ut  honeste  et  liberabiter  se  sustentet.  Filius 
vero  Paulus  fruetur  beneficio  illustrissimi  principis,  qui 
dignatus  est  illum  non  visum  suscipere  pro  se  et  suis 
haeredibus  et  successoribus  in  curam  paternam,  ut  patet 
ex  meo  bestallung,  quod  est  in  meo  scriniolo. 

Libri  mei  omnes,  qui  sunt  Pinczoviae  apud  Optimum 
virum  d.  Savinum  Saracini  Italum,  et  reliqua  supellex  ven- 
dantur.  Meae  uxori  dentur  lecti,  stragula  necessaria  et  ex 
reliqua  supellectili  linea,  quantum  opus  fuerit  Vestes 
omnes,  quas  habet,  volo  non  computentur,  sed  libere  Ulis 
utatur  et  fruatur. 

Quinto.  In  fine  Novembris  proxime  venturi  deben- 
tur  mihi  ex  aerario  illustrissimi  principis  floreni  150,  ex 
quibus  cancellaria  debet  habere  thaleros  10  propter  meum 
bestallung,  si  nondum  accepit;  illustrissimo  vero  principi 
debeo  restituere  florenos  polonicos  15,  quos  dedit  pro 
accersendo  Martino  Mzresta  Bresta,  is  vero  abiit  Argen- 
tinum,  nee  data  est  illa  peeunia  principis. 

Pensio  mea taleri  videlicet    150  minus   florenos 

10  est  in  manibus  illustrissimi  principis  palatini  Vilnensis, 
quam  benigne  promisit  se  missurum,  ubi  pestis  cessaverit 
Restabit  etiain  pensio  unius  trimestris.  Calendis  enim  Au- 
gusti  ineipit  tempus  pensionis.  In  feriis  etiam  nativitatis 
Christi  exegit  generosus  d.  Maczinski  ex  vectigalium  Bre- 
stensium  praefectis  pensionem  regiam  florenos  videlicet  100, 
et  quoniam  dicti  praefecti  retinuerunt  literas  ad  se  magni- 
fici  thesaurarii  Lithuaniae  Ruthensis,  d.  Maczinsky  pro- 
raittit  se  impetraturum  a  magnifico  d.  thesaurario  alteras 
similes,  modo  mittantur  illi  originales  literae  regiae,  quibus 
concessa  est  mihi  dieta  pensio.  Praedictae  autem  literae 
originales  regiae  sunt  in  meo  scriniolo,  quae  debebunt  mitti, 
sed  per  certum  nuntium. 


33°  Theodor  Wotschkc. 

Ex  dicta  summa  accipiet  generosus  d.  Caniczius,  ut 
satisfiat  typographo  Wittebergensi  pro  collectaneorum 
exemplaribus  500,  quae  domini  executores  distribuant  piis 
fratribus,  ut  in  his  controversiis  videant  veritatem.  Domino 
Ioanni  Secluciano  *),  amico  sincero  ac  de  ecclesia  Christi 
polonica  optime  merito  et  erga  me  officiosissimo,  dono 
lagoenam  stanneam  deauratam  novam,  quam  per  eius  coniu- 
gem  optimam  foeminam  Tn  nuncfinis  praeteritis  emi  uno 
auro  ungarico. 

Si  quid  omisi,  supplebunt  domini  exsecutores,  quos 
oro  atque  obsecro,  ut  in  hoc  opere  pio  exsequendo  et  in 
adimplenda  hac  mea  ultima  voluntate  ostendant,  se  animo, 
non  tantum  verbo,  se  voluisse  dici  meos  filios;  essent  illis 
iniuriis,  si   aliis  haec   committerem.    Iterum  atque  iterum 


*)  Ich  benutze  die  Gelegenheit,  um  zwei  Empfehlungsbriefe 
Herzog  Albrechts  für  Seklucyan  an  den  König  von  Polen  mitzu- 
teilen. Am  17.  April  1561  schrieb  er:  „Ioan.  Seclucianus  retulit  mihi,  S. 
R.  V.  M*«»  ad  intercessionem  meam  fratri  illius  in  proximis  Petri- 
coviensibus  comitiis  Privilegium  unius  mansi  clementer  promisisse. 
Cum  autem  eius  privilegii  literas  adhuc  non  consecutus  sit,  petivit 
commendatione  denuo  mea  se  iuvari"  —  und  am  30.  Dezember  1566 
„Cum  Ioan.  Seclutianus  in  quibusdam  negotiis  suis  her  ad  S.  R.  V.  M*«n 
institueret,  oro  S.  R.  V.  Mtem  perquam  enixe,  velit  se  huic  Seclu- 
ciano, propterea  quod  S.  R.  V.  Mti,  antequam  in  ditionem 
meam  se  conferret,  per  septennium  ut  ipse  refert,  servierit,  de- 
mentem praebere".  Herrn  Rektor  Koch  in  Eydtkuhnen  verdanke  ich 
die  Kenntnis  eines  Briefes  Merlins  an  den  Truchsess  von  Lithauen 
Nicolaus  Dorohostajski  vom  30.  Juli  1569,  in  dem  einer  Zusammen- 
kunft polnischer  Edelleute  im  Hause  Seklucyans  gedacht  wird:  „Audi  vi 
V™  Magn^ae  ministrum,  qui  ea,  quae  superiori  anno  aeeiderunt  in 
aedibus  d.  Seclutiani,  mihi  denuo  ad  animum  revoeavit.  Acmemini 
hac  de  re  actionem  apud  me  eo  tempore  institutam  praesentibus  qui- 
busdam Poloniae  nobilibus  et  totum  negotium  per  transactionem  ita 
compositum  esse,  ut  sperarem  in  posterum  nullam  iuste  controver- 
siam  orturam  esse.  Nunc  etsi  praeter  spem  aliquod  incommodi 
aeeidit,  tarnen  rem  omnem  ad  eum  deduximus  finem,  ut  citra  utrius- 
que  iniuriam  et  iacturam  nominis  et  existimationis  suae  negotium 
totum  denuo  sit  transactum,  sicut  ex  literis  d.  Seclutiani  Mag***  yn  plane 
intelliget".  Leider  vermag  ich  nicht  anzugeben,  auf  welche  Verhand- 
lungen dieser  Brief  Bezug  nimmt.  Jedenfalls  zeigt  er  uns  die  enge 
Verbindung,  in  der  Seklucyan  bis  in  sein  Greisenalter  hinein  mit  der 
polnischen  Kirche  gestanden  hat. 


Francesco  Lismanino.  331 

vobis,  domini  executores,  et  per  vos  illustrissimis  princi- 
pibus,  inprimis  S.  Mti  Riae  meam  coniugem  peregrinam 
et  filium  parvulum  unicum  ex  familia  vetustissima  com- 
mendo.  Ipse  vero  ad  divinum  illum  beatorum  virorum 
coetum  proficiscor  patriarcharum,  prophetarum  et  aposto 
lorum,  quorum  doctrinam  secutus  contemptis  Pharaonicis 
honoribus  et  opibus  discessi  ex  Aegypto,  ut  in  terra  pro- 
missionis  illis  conviverem  unaque  fruerer  beata  illa  triade, 
hoc  est,  unico  illo  vero  deo  patre  ingenito  et  unico  illo  uni- 
geniti  dei  filio,  deo  vero  et  vero  homine,  et  unico  illo  spi- 
ritu  paracleto  illustratore  et  vivificatore  nostrarum  mentium. 
Franciscus  Lismaninus  manu  propria. 

XVI. 
Albertus — Lismanino  consiliario  nostro. 
Literas    vestras,    quibus  R.    Mtem    negotia    vestra 
clementer   expedisse   significatis,    intelleximus.     Optamus 
proinde,  ut  omni  cura,  diligentia,  sedulitate,  qua  negotium 
praefatum  ad  optatum  finem  perducatur,  urgeatis  et  efficiatis. 
Intercessiones  petitas  hie  vobis    simul  mittimus.    Joannes 
Maczinski    quoque    Stipendialis   vester    iam    est,    ut   eas 
per  commoditatem  et  post  collationem  inter   nos   habitam 
atque  conclusionem  ei  tradatis.    Equum,  quem  vobis  trans- 
mitti  petiistis,   en   habetis.     Ad   archiepiscopum,   amicum 
nostrum  singularem,    quia   vocamini,  non  refragamur   vos 
proficisci.    In  dies  tarnen   adventum   vestrum  postulamus.. 
11.  Aprilis  1565. 

XVII. 

Albertus  dux  Prussiae  —  Joanni  Maczinski  S.  R.  Mtis 

Poloniae  aulico. 

Non  dubitamus  audivisse  Gtatem  Vram  de  obitu  Franc. 

Lismanini.    Quia  vero   post   mortem    ipsius    testamentum 

manu  eius  propria  scriptum  nobis  exhibitum   est,    cogno- 

vimus  Gtatem  Vram  cum  d.  Scalichio  et  Friderico  a  Kanitz 

pro  exsecutoribus  eiusdem  testamenti  scriptum   et    nomi- 

natum   esse.    Quam  ob   rem   aliter   faciendum   esse  non 

putavimus,    quam   ut  verum   eius    testamenti   exemplum 


332  Theodor  Wotschke. 

Gtati  Vrac  mitteremus.  Cum  autem  executio  testamentaria 
praesentiam  omnium  exsecutorum  requirat,  scire  a  Gtate 
Vra  cupimus,  quonam  tempore  integrum  Gtati  Vrac  sit, 
munus  hoc  exsecutorium  cum  collegis  suis  hie  obire,  ut 
de  certo  Gtis  Vrae  adventu  eo  temporius  d.  Scalichium 
et  Fridericum  Canitium  certiores  facere  possimus;  vel  si 
Gtas  Vra  vacare  executioni  hie  non  possit,  an  totum  hoc 
negotium  collegis  suis  executoribus  dandum  censeat. 
Cuperemus  autem  eam  executionem  primo  quoque  tem- 
pore confieri,  propterea  quod  Lismanini  viduam  de  migra- 
tione  in  patriam  cogitare  intelligimus.  Idcirco  clementer 
cupimus,  ut  G^as  Vra  suam  nobis  sententiam  perscribat 
simulque  de  pensione  regia  ac  mille  florenis,  quorum  in 
testamento  fit  mentio,  et  si  quid  apud  alios  ex  cre- 
dito  istic  Lismanino  competat  aut  competere  posse 
videatur,  perquirat,  ut  eo  facilior  testamenti  exsecutio 
fieri  possit.  Postulamus  quoque,  ut  Gtas  Vra  locum  nobis 
certum  assignet,  quo  literae  nostrae  porro  ad  Gtatem  Vranr 
scribendae  a  nobis  mitti  debeant.    Dat.  XIX.  Julii  1566. 


I 


\ 


Von  Arbeiten,  welche  in  früheren  Jahrgängen  der  Zeitschrift  der 
Historischen  Gesellschaft  für  die  Provinz  Posen  veröffentlicht  wurden, 
sind  folgende  auch  im  Sonder-Abdruck  erschienen  und  durch  den  Vor- 
stand der  Gesellschaft  oder  die  Buchhandlungen  zu  nachstehenden 
Preisen  zu  beziehen: 

R.  Jonas:    Ein  Deutsches  Handwerkerspiel,  nach  einer  hand-       *.# 
'schriftlichen  Überlieferung  aus   dem  Kgl.  Staats-Archiv  zu 

Posen  herausgegeben.  53  Seiten.  1885 1,00 

A.  Warschauer:    Die  Chronik  der  Stadtschreiber  von  Posen. 

XLV  und  171  Seiten.  1888 5,00 

R.  Roepell:  J.  J.  Rousseaus  Betrachtungen  über  die  polnische 

Verfassung.    24  Seiten.    1888 0,80 

E.  Hoff  mann:  Hundertjährige  Arbeit  auf  Gebieten  des  Ver- 

kehrswesens i.  d.  deutschen  Ostmark.  Mit  1  Karte.  26  S.  1890.      1,20 

Fr.  Schwartz:  Die  Provinz  Posen  als  Schauplatz  des  sieben- 
jährigen Krieges.    52  Seiten.    1890 1,20 

M.  Beheim-Schwarzbach:  Das  V.  Armeekorps  im  histo- 
rischen Volksliede  des  Krieges  1870  71.     24  Seiten.    180 1.      0,50 

R.    Roepell:     Das    Interregnum,    Wahl    und    Krönung    von 

Stani>law  August  Poniatowski.    J73  Seiten.    1892 1.50 

Ph.  Bloch:  Die  General-Privilegien  der  polnischen  Juden- 
schaft.    120  Seiten.     1892 2,50 

M.  Kirmis:     Handbuch  der  polnischen  Münzkunde.  XI  u.  268 

Seiten.     1892 6,00 

J.  Landsberger:   Beiträge  zur  Statistik  Posens.   30  S.    1893.      0,60 

William  Barstow  v.  Guenther.   Ein  Lebensbild.  18  S.  189.^.      1,00 

A.  W  a r s  c  h  a u  e r :  Die  Posener  Goldsehmiedfamilie'Kamyn.   26 

Seiten.     Mit  6  Taieln  Abbildungen.     1894 1,50 

G.    Adler:      Das     grosspolnische     Fleischergewerbe     vor 

300  Jahren.     1894. 2>8o 

H.  K  i  e  w  n  i  n  g :  Seidenbau  und  Seidenindustrie  im  Netzedistrikt 

von  1773  bis  1805.     1896 1,50 

H.    Kleinwächter:     Die    Inschrift    einer   Posener  Messing- 

schü^sel.     16  Seiten.     Mit  einer  Tafel  Abbildungen    1897.      1, — 

G.  Knoll:     Der  Feldzug  gegen  den   polnischen  Aufstand  im 

Jahre  1794.     126  Seiten.     1898 3, — 

F.  Guradze:  Der  Bauer  in  Posen.    I.  Theil  (J772— 1815).    too 

Seiten.     1898 1,50 

J.  Kohte:  Das  Bauernhaus  in  der  Provinz  Posen     Mit  2  Tafeln 

und  5  Abbildungen.     16  S.     1899 1,— 

J.  Kvacala,     D.  E.  Jablonsky  und  Grosspolen    [54  S.     1901.      1,50 
R.  Prümers,  Tagebuch  Adam  Samuel  Hartmanns,  Pfarrers  zu 
Li>sa  i.  P.  über  seine  Kollektenreise   durch  Deutschland, 
die  Niederlande,  England  und  Frankreich  in   den  Jahren 
1657—1659.     279  S.   T901 3,— 

G.  Minde-Pouet,  Kunstpflege  in  Posen.     80  S.  1902    .    .    .      1,20 
Ausserdem  erschienen  im  Verlage  d.  Historischen  Gesellschaft : 

A.  Warschauer:  Stadtbuch  von  Posen.  1.  Band:  Die  mittel- 
alterliche Magi^tratsliste.  Die  ältesten  Protokollbücher  und 
Rechnungen.  Posen  1892.  Roy.  S{\  198  u.  527  S.  (I.  Bd. 
der  Sonderveröffentlichungen) 12, — 

O.  Knoop  :  Sagen  u.  Erzählungen  a.  d.  Prov.  Po>en.  Posen  1893 

Roy.  8°.     363  S.     (II.   Bd.  der  Sonderveröffentlichungen).      7,00 

gebunden      8,00 

Das  Jahr  1793.  Urkunden  und  Aktenstücke  zur  Geschichte 
der  Organisation  Südpreussens.  Mit  4  Portraits.  Unter 
der  Redaktion  von  Dr.  R.  Prümers.  Posen  T895.  R°y  8°. 
X  u    840  S.  (III.  Bd.  der  Sonderveröffentlichungen).    .    .    .  12, — 


Hofbuchdruck.erei  W.  Decker  &  Co.,  Posen. 


Zeitschrift 


(  (j\  der 

Historischen  Gesellschaft 

für  die 

Provinz  Posen, 

zugleich 

Zeitschrift  der  Historischen  Gesellschaft  für 
den  Netzedistrikt  zu  Bromberg. 


Heraus^  ('neben 


liC/UUj 


Alle  Rechte  vorbehalten. 


Zeitsehrift 


der 


j"listorisehen  Gesellschaft 

für  die 

Provinz.  Posen, 

zugleich 

Zeitsehrift  der  Historisehen  Gesellschaft 


für  den 


fietzedistrikt  zu  Bromberg. 


Herausgegeben 


Dr.   Hodgero  prümers. 


Neunzehnter  Jahrgang. 


Eigentum  der  Gesellschaft.  —  Vertrieb  durch  Joseph  Jolowicz. 
Posen  1904. 


Inhalts-Verzeichnis. 


»♦♦  •  — 


Seite 

1.  Die  Epochen  der  Posener  Landesgeschichte.    Von  Archivrat 

Prof.  Dr.  Adolf  Warschauer  zu  Posen 1 

2.  Zur  Geschichte  des  Buchdrucks  und  Buchhandels  in  Lissa. 

Von  Pastor  Wilhelm  Bickerich  zu  Lissa 29 

3.  Zehn  Posener  Leichenpredigten  der  Marienkirchenbibliothek 

zu  Frankfurt  a. 0.  Von  Amtsgerichtsrat  Arno  Bötticher 
zu  Prankfurt  a.  0 61 

4.  Der  Streit  der  Schuhmacherge werke  zuMeseritz  und  Schwerin 

im    siebzehnten   Jährhundert.    Von  t  Referendar    Karl 

Andersch  zu  Schwerin  a.  W 7fr 

6.  Des  Landgrafen  Friedrich  von  Hessen  Todesritt  von  Posen 
nach  Kosten.  Von  Bibliothekar  der  Raczynski'schen 
Bibliothek,  Prof.  Dr.  Oswald  Collmann  zu  Posen  ...     91 

6.  Der  grosse  Brand  von  Posen  am  16.  April  1803.     Von  Ar- 

chivdirektor,   Geh.  Archivrat  Prof.  Dr.   Rodgero  Prü- 
mers zu  Posen 119 

7.  Das  preussische   Friedensprojekt  von  1712  und  König  Sta- 

nislaus   Leszczynski.       Von   Archivassistent  Dr.    Kurt 
Schottmtiller  zu  Posen 177 

8.  Geschichte  Fraustadts  im  Mittelalter.    Von  Gymnasial-Ober- 

lehrer  Dr.  Hugo  Moritz  zu  Posen 195 

9.  Aus  bewegter  Zeit.     Tagebuchblätter  und  Briefe   aus   der 

Zeit    der    polnischen    Unruhen   1793    und   1794.      Zu- 
sammengestellt und  bearbeitet  von  Oberleutnant  Ernst 

von  Schönfeldt  zu  Stade 246 

10.  Bin  Wahlkonflikt  im  Kreise  Kröben  1826.      Von  Dr.  Man- 
fred Laubert  zu  Frankfurt  a.  0 299 


Oie  Epochen  der  Posener  Landesgeschichte. 

Antrittsvorlesung,  gehalten  am  7.  November  1903  an  der  Kgl.  Akademie 

zu  Posen. 

Von 
Adolf  Warschauer. 

'n  keinem  Teile  des  deutschen  Vaterlandes  dürfte  es 
klarer  und  einleuchtender  sein,  welche  Wichtigkeit 
die  Geschichte  des  Landes  für  das  Leben  der 
Gegenwart  hat  als  in  der  Provinz  Posen.  Gespenstergleich 
ragen  die  Mächte  der  Vergangenheit  in  unser  heutiges 
Dasein  hinein  und  wirken  bestimmend  auf  das  Denken 
und  Handeln  der  Menschen  und  Nationalitäten.  Aus  dem 
historischen  Rechte  werden  Ansprüche  hergeleitet  und 
bekämpft,  und  die  Leidenschaften  entzünden  sich  an  der 
Auffassung  von  Tatsachen,  über  die  schon  Jahrhunderte 
hinweggegangen  sind.  Erniedrigt  zu  einer  Dienerin  der 
Politik  hat  die  strenge  Muse  der  Geschichte  sich  hier 
unendlich  häufig  misshandeln  lassen  müssen.  Kaum 
irgendwo  ist  das  schöne  Wort  Renans  mehr  zur  Geltung 
gekommen  als  hier:  dass  die  Wahrheit  nicht  für  den 
leidenschaftlichen  Menschen  geschaffen,  sondern  denjenigen 
Geistern  vorbehalten  sei,  welche  ohne  vorgefasste  Meinung 
mit  einer  absoluten  Freiheit  und  ohne  Hintergedanken  auf 
ihre  Erforschung  zu  wirken  suchen. 

Glücklicherweise  hat  es  unter  den  beiden  Nationalitäten, 
die  unsere  Provinz  bewohnen,  an  solchen  objektiven  Geistern 
nicht  gefehlt  Besonders  seit  der  Gründung  der  Historischen 
Gesellschaft  für  die  Provinz  Posen  im  Jahre  1885  datiert 
ein  Aufschwung  heimischer  Geschichtsforschung,  die  in 
mühsamer  Arbeit   die  einzelnen   Tatsachen   der  Landes- 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XIX.  1 


2  Adolf  Warschauer. 

geschichte  aus  den  ursprünglichen  Quellen  herausarbeitet 
und  uns  bereits  jetzt  in  den  Stand  setzt,  den  grossen  Gang 
der  historischen  Entwicklung  des  Landes  als  eine  ge- 
schlossene Folge  von  Ursachen  und  Wirkungen  wissen- 
schaftlich zu  erkennen,  und  uns  den  Versuch  wagen  lässt, 
in  grossen  Zügen  die  Ideen  an  uns  vorüberziehen  zu  lassen, 
die  die  Geschichte  unserer  Heimat  epochemachend  be- 
herrscht haben. 

Wenn  wir  zunächst  einen  Blick  auf  die  Natur  und 
Weltlage  der  Provinz  werfen,  die  wir  bewohnen,  so  wissen 
wir,  dass  das  Land,  vom  Meere  durch  fremde  Landstriche 
getrennt,  und  ohne  nennenswerte  Metall-  und  Kohlen- 
schätze des  Bodens  in  wirtschaftlicher  Beziehung  auf 
Ackerbau,  Viehzucht  und  Waldwirtschaft  hingewiesen  ist. 
Nur  eine  einzige  Industrie,  die  Tuchmacherei,  brachte  es, 
belebt  durch  die  mit  grossem  Eifer  betriebene  Schafzucht, 
zeitweise  zu  einer  wirklichen  Blüte.  Das  wirtschaftliche 
Übergewicht  der  Bodenkultur  hat  dann  auch  in  der 
politischen  Geschichte  des  Landes  seine  tiefe  und  teilweise 
verderbliche  Wirkung  ausgeübt.  Die  geographische  Lage 
zeigt  uns  die  Provinz  wie  einen  Keil  zwischen  die  Ost- 
marken des  deutschen  Reiches  eingeschoben.  Nach  dem 
Westen  weist  auch  ihr  Flussgebiet,  welches  nur  in  seinem 
nordöstlichsten  Teile  noch  an  dem  Stromgebiet  des 
eigentlichen  polnischen  Flusses,  der  Weichsel,  teil  nimmt. 
So  ist  das  Land  gleichsam  schon  von  der  Natur  zum 
Grenzgebiet  zwischen  deutschem  und  polnischem  Volkstum 
bestimmt,  lag  zu  allen  Zeiten  geistigen  und  wirtschaftlichen 
Anregungen  von  Deutschland  offen  und  nahm  immer 
wieder  deutsche  Elemente  in  seine  Bevölkerung  auf.  In 
einer  entlegenen  Zeit,  in  dem  i.  und  2.  Jahrhundert  unserer 
Zeitrechnung,  war  es  noch  vollständig  von  germanischen 
Stämmen  bewohnt  Der  ältere  Plinius  nennt  die  Weichsel 
einen  Fluss  Germaniens,  und  Ptolemäus  erwähnt  unter 
den  Städten  auf  der  Ostgrenze  Germaniens  eine  Stadt 
namens  Kalisia,  und  zu  dem  gleichen  volkswissenschaft- 
lichen Ergebnisse  führen  die  Funde,  die  wir  der  Erde 
entnehmen.      Aber    noch    in    den    ersten    Jahrhunderten 


iifvti-fi» 


Die  Epochen  der  Posener  Landesgeschichte.  3 

unserer  Zeitrechnung  wurden  die  germanischen  Stämme 
durch  die  von  Osten  heranrückenden  Slaven  nach  Westen 
weiter  geschoben,  und  die  in  späteren  Jahrhunderten  zu- 
rückflutende deutsche  Volkswelle  hat  nicht  so  wie  Bran- 
denburg, Schlesien,  Pommern  und  Preussen  auch  die 
Provinz  Posen  dem  Deutschtum  wieder  vollständig  zurück- 
gewinnen können. 

Die  schriftlichen  Nachrichten  über  unsere  Provinz 
beginnen  etwa  um  das  Jahr  950  n.  Chr.  Wir  sehen 
also  jetzt  ungefähr  auf  ein  volles  Jahrtausend  gesicherter 
geschichtlicher  Überlieferung  zurück.  Überblicken  wir 
die  Fülle  historischer  Ereignisse,  die  in  ihrer  Gesamtheit 
diese  tausendjährige  Geschichte  darstellen,  so  dürfen  wir 
sie  in  sechs  Perioden  gliedern,  die,  zeitlich  von  ver- 
schiedener Ausdehnung,  regelmässig  durch  Tatsachen 
von  epochemachender,  einschneidender,  die  Entwicklung 
in  irgend  einem  Hauptmoment  umbiegender  Wirkung 
von  einander  geschieden  sind. 

Die  älteste  dieser  sechs  Perioden,  die  bis  zum  Jahre 
1138  währt,  können  wir  als  diejenige  bezeichnen,  in  der 
unsere  Provinz  den  geistlichen  und  weltlichen 
Mittelpunkt  des  entstehenden  polnischen 
Reiches  bildete.  Zwei  grosse  Ideen  beherrschten 
die  Zeit:  die  Einführung  und  erste  Organisation  des 
Christentums  und  der  ursprüngliche  Ausbau  des  staatlichen 
Organismus  nach  Innen  und  Aussen,  und  beide  fanden 
ihre  Brennpunkte  in  der  heutigen  Provinz  Posen,  dem 
alten  Grosspolen.  Der  erste  Fürst  des  Landes,  von  dem 
die  Geschichte  erzählt,  Mieczyslaus  I.  (t  992)  vom  Stamme 
der  Piasten  war  noch  Heide.  Er  wird  Freund  und  Ge- 
treuer des  deutschen  Kaisers  genannt,  erschien  als  Vasall 
auf  den  deutschen  Reichstagen  und  zahlte  dem  Kaiser 
Tribut.  Durch  diese  politische  Verbindung  wurde  sein 
Reich  zweifellos  auch  den  kulturellen  Einflüssen  Deutsch- 
lands und  somit  auch  den  Einwirkungen  des  Christentums 
erschlossen.  Deutsche  Glaubensboten  mögen  vielfach  das 
Land  durchzogen  und  den  Samen  des  Christentums  aus- 
gestreut haben,  wir  wissen,  dass  der  Fürst  zu  den  Wohl- 
ig 


4  Adolf  Warschauer. 

tätern  des  Klosters  Fulda  gehört  hat  965  heiratete  er 
eine  christliche  Prinzessin  und  trat  selbst  zum  Christen- 
tum über.  Kurz  darauf  wurde  auch  ein  Bistum  im  Lande 
errichtet  Sein  Sitz  war  Posen,  und  es  umfasste  das  ganze 
Gebiet  des  Fürsten.  Es  kam  unter  den  Verband  des  Erz- 
bistums Magdeburg.  Der  kriegsgewaltige  Sohn  des 
Mieczyslaus,  Boleslaus  Chrobry,  der  sein  Reich  durch  die 
Unterwerfung  des  westlichen  Russlands,  des  heutigen 
Galiziens,  Pommerns,  Böhmens  und  der  Landschaften 
zwischen  Oder  und  Elbe  erweiterte,  und  dessen  energie- 
volle Bedeutung  uns  ebenso  durch  die  übelwollende  Be- 
urteilung der  deutschen  Chronisten  als  die  schwärmerische 
Verehrung  der  Seinigen  bewiesen  wird,  wusste  dem 
christlichen  Gedanken  in  seinem  Lande  neue  Schwung- 
kraft zu  verleihen.  Zu  seiner  Zeit  erlitt  der  h.  Adalbert 
bei  seinem  Bekehrungswerke  unter  den  heidnischen 
Preussen  den  Märtyrertod.  In  richtiger  Schätzung  des 
grossen  idealen  Wertes,  den  die  Reliquien  dieses  die 
damalige  Welt  mit  seinem  asketischen  Ruhme  füllenden 
Heiligen,  des  Freundes  des  deutschen  Kaisers,  haben 
musste,  erwarb  Boleslaus  den  Körper  von  den  Preussen, 
indem  er  ihn  mit  Gold  aufwog,  und  barg  ihn  in  seinem 
Lande,  in  seiner  Hauptstadt  Gnesen.  Bald  erstrahlte  sein 
Grab  im  Glänze  von  tausend  Wundern,  mit  dem  heiligen 
Staube  besass  das  Land  eine  der  grössten  Kostbarkeiten, 
f  die  die  damalige  Welt  kannte,  zog  er  doch  sogar  den 
1  deutschen  Kaiser  Otto  III.  in  die  damals  noch  weltentlegene 
#  Öde.  Der  Gegensatz  zwischen  dem  staatsklugen  Polen- 
herzog und  seinem  schwärmerischen  hohen  Gaste  kommt 
l"  klar  zum  Ausdruck,  wenn  man  erfährt,  dass  der  Kaiser 
als  das  wertvollste  Geschenk  aus  Gnesen  einen  Arm- 
knochen des  Heiligen  mitnahm,  der  Herzog  aber  dem 
Kaiser  die  Lockerung  seines  Lehnverhältnisses  zum 
deutschen  Reich,  vor  allem  aber  eine  neue,  völlig  selb- 
/t  ständige  Organisation  der  Kirche  seines  Landes  verdankte. 
Die  polnische  Kirche  wurde  von  dem  Erzbistum  Magdeburg 
gelöst  und  für  sie  ein  eigenes  Erzbistum  in  Gnesen  ein- 
gesetzt, dessen  erster  Erzbischof  der  Bruder  des  h.  Adalbert» 


Die  Epochen  der  Posener  Landesgeschichte.  5 

Gaudentius,  war.  Das  ganze  Land  wurde  dann  in  4  Bis- 
tümer geteilt,  die  dem  Erzbistum  Gnesen  unterstellt 
wurden.  Auch  die  ältesten  Klöster  des  Landes,  Mogilno, 
Tremessen,  Lubin  sind  in  dieser  Periode  entstanden. 
Freilich  hatten  die  vier  Jahrzehnte  von  der  Einführung  des 
Christentums  bis  zum  Tode  des  Boleslaus  Chrobry  im 
Jahre  1025  noch  immer  nicht  genügt,  den  Christenglauben 
fest  in  die  Seele  des  Volkes  zu  pflanzen.  Unter  den 
schwachen  Nachfolgern  des  Boleslaus  Chrobry  brach  eine 
furchtbare  Reaktion  des  Heidentums  los,  welche  die  ganze 
junge  Pflanzung  vernichtete.  Die  Kirchen  und  Klöster  wurden 
zerstört,  die  Geistlichen  vertrieben,  das  Erzbistum  und  die 
Bistümer  gingen  ein.  Erst  den  letzten  Fürsten  dieser 
Epoche,  Wladislaus  Hermann  und  seinem  Sohn  Boleslaus 
Schiefmund,  dem  Besieger  der  Pommern,  gelang  es  wieder, 
dieser  rückläufigen  Bewegung  Herr  zu  werden  und  nun- 
mehr endgültig  die  Herrschaft  des  christlichen  Glaubens 
im  Lande  wieder  aufzurichten. 

Dem  Boleslaus  Chrobry  schreibt  die  Überlieferung 
auch  die  zweite  grosse  historische  Tat  dieser  Periode, 
den  Ausbau  der  staatlichen  Organisation  zu,  obwohl 
gewiss  schon  Geschlechter  vor  ihm  daran  gearbeitet 
haben.  In  merkwürdiger  Weise  ähnelt  die  Staatsverfassung 
der  des  merovingisch-fränkischen  Reiches.  Man  will  sogar 
aus  dem  Namen  des  Fürstengeschlechtes  Piast,  der  etwa 
dasselbe  bedeutet  wie  Major  domus,  auf  eine  ähnliche  in 
der  vorhistorischen  Zeit  geschehene  Verdrängung  eines 
alten  Herrscherhauses  durch  ein  junges  emporstrebendes 
Geschlecht,  ganz  wie  im  Merovingischen  Reiche,  schliessen. 
Die  fürstliche  Gewalt  war  vollkommen  unumschränkt,  ihr 
waren  gleichmässig  alle  Stände:  Sklaven,  Hörige,  freie 
Leute,  die  Geistlichkeit  und  der  Adel  unterworfen.  Der 
Idee  nach  war  der  Fürst  der  einzige  Grundeigentümer, 
der  einzige  Richter  und  Gesetzgeber.  Die  polnische  Ver- 
fassung also,  die,  wie  man  ja  weiss,  in  der  Folge  die 
zügelloseste  wurde,  die  es  je  gegeben  hat,  ging  von 
einer  vollständigen  Alleinherrschaft  aus.  Die  Beamten  des 
Königs  hiessen  Grafen,  später  Kastellane,  und  verwalteten 


6  Adolf  Warschauer. 

von  ihren  aus  Holz  gebauten  Burgen  aus  je  ein  kleines 
Gebiet,  ganz  wie  die  Grafen  im  fränkischen  Reiche.  Auch 
das  System  der  Lasten  und  Abgaben,  das  auf  den  Unter- 
tanen für  den  Staat  und  den  Fürsten  lag,  entsprach  ganz 
dem  im  fränkischen  Reiche.  Im  übrigen  war  das  Land 
noch  dünn  bevölkert,  ungeheure  Strecken  waren  mit 
Sumpf  bedeckt  und  mit  Wald  bestanden.  Die  haupt- 
sächlichste Beschäftigung  war  die  Viehzucht,  der  Acker- 
bau aber  doch  schon  eingeführt  Handwerk  und  Industrie 
standen  auf  der  niedrigsten  Stufe.  Als  Städte  werden  von 
den  ältesten  Quellen  in  dem  Gebiete  der  heutigen  Provinz 
Posen  nur  vier  Orte  bezeichnet :  Posen,  Gnesen,  Krusch- 
witz  und  Inowrazlaw;  aber  auch  diese  entbehrten  jeder  Spur 
eines  kommunalen  Lebens. 

Mit  dem  Tode  des  Boleslaus  Schiefmund  im  Jahre 
1138  schliesst  diese  erste  Periode  unserer  Landesgeschichte. 
Dieser  Fürst  teilte  nämlich  sein  Reich  unter  seine  Söhne, 
und  obwohl  er  dem  ältesten  eine  Art  von  Oberhoheit 
über  die  andern  anvertraute,  so  war  doch  der  fast  un- 
mittelbare Erfolg  die  Spaltung  des  Reiches  in  mehrere 
unabhängige  Länder.  Unsere  Provinz  hörte  damit  auf, 
der  Mittelpunkt  eines  grösseren  Reiches  zu  sein  und  trat 
in  eine  zweite  anderthalb  Jahrhunderte  dauernde  Periode, 
diejenige  ihrer  politischen  Selbständigkeit 
als  besonderes  Herzogtum.  Keine  Periode  war 
für  die  geschichtliche  Entwicklung  des  Landes  von 
grösserer  Bedeutung  als  diese,  denn  in  ihr  erfuhr  1.  die 
gesellschaftliche  und  staatliche  Ordnung  die  grösste  Um- 
gestaltung und  wurden  2.  unter  dem  Einfluss  der 
deutschen  Einwanderung  die  meisten  Klöster  und  noch 
heute  bestehenden  Städte  und  Dörfer  gegründet  Höchstens 
kann  noch  das  19.  Jahrhundert  sich  an  Fruchtbarkeit  der 
kulturellen  Aussaat  und  Schnelligkeit  ihres  Emporblühens 
mit  dem  13.  vergleichen. 

Es  sind  im  ganzen  sechs  Fürsten,  welche  in  dieser 
Periode  teils  neben  teils  nach  einander  unser  Land 
beherrscht  haben:  interessante,  durch  die  Überlieferung 
in  ihrer  Persönlichkeit,  ja  sogar  in  ihrem  Äussern  scharf 


Die  Epochen  der  Posener  Landesgeschichte.  7 

umrissene  Gestalten,  deren  Charakterisierung  im  einzelnen 
hier  jedoch  zu  weit  führen  würde.  In  langdauernden 
Kämpfen  mit  den  schlesischen,  brandenburgischen  und 
pommerschen  Grenznachbarn  mussten  die  Grenzen  des 
Landes  geschützt  werden,  dazu  kamen  innere  Kämpfe 
zwischen  den  einzelnen  Teilfürsten,  deren  kleine  Gebiete 
durch  Erbteilungen  sich  immer  mehr  zersplitterten.  Die 
Folge  war,  dass  die  früher  unumschränkte  fürstliche 
Macht  nicht  mehr  aufrecht  erhalten  werden  konnte.  Die 
beiden  ältesten  der  erwähnten  sechs  Fürsten  Mieszko  der 
Alte  und  sein  Sohn  Wladislaus  Laskonogi  hielten  noch 
an  ihren  alten  Rechten  fest,  ihre  Nachfolger  aber  gaben  sie 
preis.  Zuerst  trat  in  Grosspolen  die  Kirche  mit  ihren 
Ansprüchen  hervor.  Die  Schatten  Sauls  und  Samuels, 
Heinrichs  IV.  und  Gregors  VII.  steigen  vor  uns  empor, 
wenn  wir  die  Geschichte  des  Kampfes  zwischen  dem 
grosspolnischen  Fürsten  Wladislaus  Laskonogi  und  dem 
Gnesener  Erzbischof  Heinrich  Ketlitz  verfolgen.  Die 
Kirche  bestritt  dem  Herzog  das  Recht,  die  Bistümer  und 
kirchlichen  Pfründen  zu  besetzen,  sie  verlangte  die  Be- 
freiung der  Geistlichkeit  von  dem  landesherrlichen  Gericht, 
sie  verwehrte  dem  Fürsten  jeden  Eingriff  in  ihre  freie 
Verfügung  über  das  kirchliche  Vermögen  und  endlich  — 
und  dies  war  das  Schärfste  —  sie  verlangte  für  die 
Hörigen  auf  ihrem  grossen  Landbesitz  Freiheit  von  staat- 
lichen Steuern  und  Frohnden  und  die  Gewalt,  über 
sie  zu  Gericht  zu  sitzen.  Der  Kampf  wurde  mit  un- 
erhörter Heftigkeit  geführt.  Es  kam  so  weit,  das  der 
Erzbischof  seinen  Landesherrn  in  den  Bann  tat,  hierauf 
aber  1206  von  ihm  aus  dem  Lande  getrieben  wurde.  Er 
ging  nach  Rom,  und  der  Papst  Innocenz  III.  hat  es  an 
seiner  Hülfe  nicht  fehlen  lassen.  An  zwölf  Tagen,  vom 
4.  bis  16.  Januar  1207,  schleuderte  er  gegen  Wladislaus 
Laskonogi  nicht  weniger  als  etwa  20  Bullen,  in  denen  er 
alle  seine  Übergriffe  und  die  Ansprüche  der  Kirche  auf- 
zählte. Obwohl  in  den  späteren  Stadien  des  Kampfes 
der  Erzbischof  wieder  zurückkehren  durfte,  so  verharrte 
doch  Wladislaus  Laskonogi  bis  zu  seinem  Tode  auf  seinem 


8  Adolf  Warschauer. 

Standpunkt  Er  fuhr  fort,  seine  fürstlichen  Rechte  auf  das 
Kirchenvermögen  geltend  zu  machen,  ohne  sich  vor  dem 
Rufe  als  Kirchenräuber  zu  fürchten;  obwohl  er  sonst  als 
freigebig  und  gütig  galt,  hat  er  keiner  Kirche  ein  Freiheits- 
privilegium  verliehen,  er  blieb  „der  Verfolger  und  Be- 
kämpf er  der  kirchlichen  Freiheit",  der  hartnäckige  Ver- 
treter einer  Zeit,  die  nicht  nur  mit  ihm,  sondern  bereits 
zu  seinen  Lebzeiten  ihr  Ende  erreicht  hatte.  Denn  sein 
Nachfolger  und  Neffe  Wladislaus  Odonicz,  der  seinen 
Oheim  fortgesetzt  bekämpft  und  sich  hierbei  auf  die 
Hülfe  der  Kirche  gestützt  hatte,  gab  die  Rechte  des 
Staates  mit  vollen  Händen  hin.  Zwar  vermied  auch  er 
es,  wie  seine  Mitfürsten,  durch  ganz  allgemeine  Gesetze 
die  Kirche  von  der  staatlichen  Gerichts-  und  Verwaltungs- 
hoheit zu  entheben,  aber  er  genehmigte  den  einzelnen 
Kirchen,  Klöstern  und  Bistümern  ihre  dahin  gehenden 
Wünsche.  Das  Ergebnis  war,  dass  schon  gegen  die 
Mitte  des  13.  Jahrhunderts  nicht  nur  die  Geistlichkeit 
selbst,  sondern  auch  ihre  Hintersassen  von  den  Abgaben 
an  den  Staat  und  der  Gerichtsbarkeit  des  Fürsten  befreit 
waren.  Freilich  hatten  hiervon  die  Hörigen  der  Kirche 
keinen  Vorteil,  denn  sie  hatten  ihre  Frohnden  und  Steuern 
wie  bisher  zu  leisten  und  zu  zahlen,  aber  nicht  an  den 
Fürsten,  sondern  an  die  Kirche.  —  Diesem  ersten  Ein- 
bruch in  die  fürstliche  Vollgewalt  von  Seiten  der  Kirche 
folgte  bald  ein  zweiter  von  Seiten  des  Adels,  denn  es 
war  ja  naturgemäss,  dass  durch  die  Befreiung  der  Kirche 
von  den  staatlichen  Verpflichtungen  die  Hörigen  der 
andern  Grundherrn  die  Lasten  mit  übernehmen  mussten, 
und  dass  unter  dieser  stärkeren  Heranziehung  zu  Abgaben 
und  Frohnden  besonders  die  Untertanen  des  Adels  und 
somit  mittelbar  der  Adel  selbst  schwer  zu  leiden  hatten. 
In  ihren  Kämpfen  auf  die  Stimmung  der  kriegerischen 
Mitglieder  dieses  Standes  angewiesen,  gaben  die  Fürsten 
auch  hier  nach,  und  so  gelangte  der  Adel  nach  und  nach  zu 
denselben  Freiheiten  wie  die  Kirche.  In  ihrem  weiteren 
Fortgang  führten  diese  Befreiungen  zur  Ausbildung  der 
sog.  Patrimonialherrschaft   der  geistlichen  und  weltlichen 


Die  Epochen  der  Posener  Landesgeschichte.  9 

Grundherrn  über  ihre  Hintersassen,  eine  Entwicklung, 
wie  sie  in  ähnlicher  Weise  fast  in  allen  Ländern  Europas 
zu  beobachten  ist. 

Was  aber  diese  Periode  so  besonders  wichtig  macht, 
ist  die  deutsche  Einwanderung.  Es  ergossen  sich  im  13.  Jahr- 
hundert so  grosse  deutsche  Auswanderermassen  in  unser 
Land,  ebenso  wie  in  andere  östliche  Landschaften,  dass 
man  von  einer  zweiten  deutschen  Völkerwanderung 
gesprochen  hat.  Die  trüben  staatlichen  und  wirtschaft- 
lichen Verhältnisse  während  der  letzten  Hohenstaufen  und 
des  Interregnums  in  Deutschland  trieben  die  Menschen 
zu  vielen  Tausenden  in  den  damals  noch  dünn  bevöl- 
kerten Osten.  Es  waren  nicht  etwa  Abenteurer,  die  aus- 
zogen, um  sich  irgendwo  und  irgendwie  mühelos  Reich- 
tümer zu  sammeln  und  mit  ihnen  in  die  Heimat  zurück- 
zukehren, nein  sie  zogen  von  dannen,  gewöhnlich  in 
grösseren  Trupps  unter  selbstgewählten  Führern,  willens, 
in  der  Fremde  sich  eine  neue  Heimat  zu  suchen  und  mit 
dem  Bewusstsein,  dass  sie  sich  diese  nur  durch  ange- 
strengte Arbeit  würden  erwerben  können.  In  der  Fremde 
gaben  sie  auch  weder  ihre  Nationalität  noch  ihre  Sprache, 
noch  ihr  Recht  auf.  Als  Träger  einer  höheren  Kultur 
waren  sie  in  der  Lage,  wohin  sie  auch  kamen,  die  Bedin- 
gungen anzugeben,  unter  denen  sie  bleiben  wollten,  und 
sie  Hessen  sich  regelmässig  eine  völlige  Befreiung  von 
den  Vorschriften,  Lasten  und  Frohnden  des  polnischen 
Rechts  und  die  Erlaubnis,  nach  deutschem  Recht  leben 
zu  dürfen,  versprechen.  Für  uns  moderne  Menschen 
ist  es  interessant  zu  beobachten,  wie  wenig  der  nationale 
Gegensatz  in  jener  Zeit  Geltung  hatte,  oder  wie  er  doch 
gegen  die  wirtschaftlichen  Motive  vollkommen  in  den 
Hintergrund  trat.  Die  Deutschen  wurden  überall  mit  Be- 
geisterung aufgenommen,  willig  erkannte  man  ihre  Über- 
legenheit an  und  lernte  von  ihnen,  und  sie  selbst  nahmen 
freie  Polen,  wenn  sie  sich  mit  ihnen  zusammen  ansiedeln 
wollten,  gern  in  ihre  Reihen  auf.  Ein  polnischer  Chronist, 
der  von  der  Zeit  dieser  ersten  deutschen  Einwanderung 
berichtet,   unterbricht   einmal  den   Lauf  seiner  trockenen 


IO  Adolf  Warschauer. 

Erzählung  mit  dem  pathetischen  Ausruf:  „Wer  sieht  nicht, 
wie  wackere  Männer  die  Deutschen  sind?4  Für  die  sla- 
vischen  Grundherrn  lag  der  Hauptreiz  zu  ihrer  Auf- 
nahme darin,  dass  man  in  bisher  unergiebigen  Land- 
strichen durch  die  Kolonisten  schnell  neue  Werte  schaffen 
konnte  und  in  ihnen  eine  geldkräftigere  Bevölkerungs- 
klasse hatte,  als  es  die  sla vischen  Hörigen  waren.  Wenn  die 
deutsche  Hufe  zu  30,  die  polnische  zu  15  Morgen  gerechnet 
wurde,  so  hat  man  daraus  wohl  mit  Recht  geschlossen, 
dass  in  jener  Zeit  der  ersten  Berührung  der  deutschen 
und  slavischen  Landwirtschaft  die  erstere  mit  Hülfe  ihrer 
besseren  Geräte  und  grösseren  Erfahrung  das  doppelte 
in  gleicher  Zeit  leisten  konnte.  Auch  gehörten  zum  Roden 
der  Wälder  und  zum  Austrocknen  der  Sümpfe  technische 
Kenntnisse,  die  die  deutschen  Ansiedler  mitbrachten. 

Wir  können  drei  zeitlich  auf  einander  folgende 
Schichten  der  deutschen  Einwanderung  unterscheiden:  die 
Geisdichen,  besonders  die  CistercTerisermönche,  die  Er- 
bauer der  Klöster,  die  Bauern  und  zuletzt  die  Bürger, 
die  Städtegründer.  Die  Einwanderung  der  Geistlichen 
begann  schon  vor  der  eigentlichen  grossen  Wanderung, 
ja  sie  geht  schon  bis  in  die  Zeit  der  Einführung 
des  Christentums  im  Lande  zurück.  In  unserer  Periode 
aber  gewann  sie  eine  besondere  Bedeutung  für  die  wirt- 
schaftliche Landeskultur.  Besonders  galt  dies  von  dem 
Mönchsorden  der  Cistercienser,  den  der  älteste  Fürst 
dieser  Periode  Mieszko  der  Alte  zuerst  in  das  Land  zog, 
indem  er  das  Kloster  Altenberge  bei  Köln  bewog,  in 
seinem  Lande  zwei  Töchterklöster  Lqd  und  Lekno  an- 
zulegen, und  sich  verpflichtete,  dass  auch  in  Zukunft  nur 
Kölner  Bürgersöhne  dort  Aufnahme  finden  sollten.  Grade 
in  seiner  Tätigkeit  für  die  Landeskultur  unterschied  sich 
der  Orden  der  Cistercienser  von  dem  älteren  Orden  der 
Benediktiner,  dem  die  bereits  bestehenden  älteren  Klöster 
des  Landes  angehörten.  Sie  gaben  nicht,  wie  diese,  in 
beschaulicher  Ruhe  sich  geistlichen  Übungen,  der  Seel- 
sorge und  gelehrten  Studien  hin,  sondern  sie  schlugen 
ihren  Sitz   in   unwirtlichen  Einöden  und  dichten  Wäldern 


Die  Epochen  der  Posener  Landesgeschichte.  II 

auf  und  kultivierten  sie  durch  deutsche  von  ihnen  ange- 
siedelte Bauern  unter  ihrer  sachverständigen  Leitung.  Auf 
den  jährlich  stattfindenden  Generalkapiteln  des  Ordens 
in  Citeaux  in  Frankreich  tauschten  die  Brüder  ihre 
wechselseitigen  Erfahrungen  aus,  und  wie  sie  die  Samen 
und  Reiser  der  Nutzpflanzen  von  Land  zu  Land 
trugen,  wurden  sie  für  die  Völker,  unter  denen  sie  sich 
ansiedelten,  selbstlose  Lehrer  der  Bodenbestellung  und, 
wenn  es  sich  so  fügte,  durch  ihre  gefüllten  Scheuern 
Retter  bei  Misswachs  und  Hungersnot.  An  ihnen  hatten 
die  deutschen  Bauern,  die  etwa  seit  1210  in  das  Land 
strömten,  den  besten  Rückhalt.  Jede  Cisterciensergründung 
jener  Zeit — und  es  entstanden  ausser  den  schon  genannten 
Klöstern  noch  die  Klöster  Priment,  Biesen,  Paradies, 
Owinsk,  Korono  wo,  war  ein  Kolonisationsunternehmen 
grossen  Stils.  Bei  der  Gründung  eines  jeden  Klosters 
setzte  der  Stifter  als  selbstverständlich  voraus,  das  es 
„neue  Menschen  herbeirufen  werde".  Die  andern  Orden, 
so  wie  die  Weltgeistlichkeit  und  endlich  auch  der  Adel 
folgten  für  ihre  Besitzungen  dem  von  den  Cisterciensern 
gegebenem  Beispiel,  ja  die  Fürsten  schenkten  sogar  aus- 
wärtigen deutschen  Klöstern  weite  Landstrecken  in  Gross- 
polen, um  sie  zu  kolonisieren.  So  gab  Wladislaus  Odonicz 
dem  Cistercienserkloster  Leubus  in  Schlesien  bei  Nakel 
ein  ungeheures  Gelände,  in  „welchem  seit  Menschen- 
gedenken keine  Kultur  gewesen",  um  dort  deutsche  Ein- 
wohner anzusiedeln.  —  Seit  dem  Jahre  1240  etwa  begann 
dann  auch  die  Einwanderung  des  deutschen  Bürgerstandes. 
Diesen  Teil  des  Kolonisationswerks  nahmen  die  Fürsten 
selbst  in  die  Hand.  Hatte  sich  eine  genügende  Menge 
Deutscher  angesammelt,  um  eine  Stadt  zu  gründen,  so 
verhandelten  sie  durch  einen  Bevollmächtigten  mit  dem 
Fürsten  um  Hergabe  des  Grund  und  Bodens  und  über  die 
Bedingungen  der  Ansiedlung.  Ihr  Bevollmächtigter  hiess 
der  Stadtgründer  (locator),  der  Vertrag,  den  er  in  ihrem 
Namen  mit  dem  Fürsten  abschloss,  die  Gründungsurkunde, 
und  eine  Anzahl  von  Städten  in  unserer  Provinz  ist  in 
der  glücklichen  Lage,  diese  Gründungsurkunde  noch  heute 


12  Adolf  Warschauer. 

zu  besitzen.  Der  wichtigste  Inhalt  dieser  Verträge  ist 
immer  die  Enthebung  vom  polnischen  und  die  Verleihung 
des  deutschen  (Magdeburgischen)  Rechts,  ausserdem  die 
Festsetzung  des  zu  zahlenden  Grundzinses,  die  Verleihung 
von  Zollfreiheit,  eines  Jahrmarktes  u.  s.  w.  Die  neue 
Stadt  wurde  dann  nach  einem  durchaus  feststehenden 
Plane  gebaut.  Die  Mitte  bildete  ein  viereckiger  Marktplatz, 
auf  dem  das  Rathaus  errichtet  wurde.  Vom  Markte  aus 
gingen  die  Strassen.  Das  Ganze  wurde  mit  Wall  und  Graben 
umschlossen.  Stand  schon  eine  polnische  Ansiedlung  da, 
so  kümmerte  man  sich  um  diese  grundsätzlich  nicht, 
sondern  baute  die  deutsche  Stadt  daneben;  selbst 
bei  Posen  und  Gnesen  geschah  dies.  Die  älteste  so  ent- 
standene Stadt  in  unserer  Provinz  scheint  Gnesen  gewesen 
zu  sein  (vor  1243),  man  scheint  eben  gewillt  gewesen  zu  sein, 
der  alten  Landeshauptstadt  durch  Ansiedlung  deutscher 
Bürger  wieder  zur  Blüte  zu  verhelfen.  Die  Kolonialstadt 
Posen  wurde  1253  gegründet.  Im  ganzen  verdanken 
etwa  60  Städte  dieser  Periode  ihre  Entstehung.  In  der 
zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  unternahmen  es  auch 
schon  Klöster  und  etwas  später  auch  adlige  Grossgrund- 
besitzer, Städte  mit  deutschen  Kolonisten  anzulegen. 

Was  das  Land  dieser  ganzen  Kolonisationsarbeit 
verdankt,  kann  kaum  hoch  genug  angeschlagen  werden. 
Mit  Zauberschnelle  lichteten  sich  die  Wälder  und  wurden 
die  Sümpfe  ausgetrocknet,  erhoben  sich  Klöster,  Dörfer 
und  Städte;  Handel  und  Handwerk  blühten  empor: 
Bürgerfleiss  und  Bürgerfreiheit,  früher  im  Lande  ganz  un- 
bekannt, hatten  ihren  Einzug  gehalten. 

Mit  den  Deutschen  scheinen  auch  die  Juden  in 
grosser  Menge  eingewandert  zu  sein  und  sich  mit  ihnen 
in  den  neu  erbauten  Städten  niedergelassen  zu  haben. 
Den  Fürsten  waren  sie  willkommen,  weil  sie  Geld  in  das 
Land  brachten  und  für  den  Schatz  beliebig  besteuert 
werden  konnten.  Einer  der  Fürsten  dieser  Periode  f 
Boleslaus  der  Fromme,  gab  ihnen  1264  ein  Privilegium, 
das  ihre   gesellschaftlichen    und    rechtlichen  Verhältnisse 


Die  Epochen  der  Posener  Landesgeschichte.  13 

regelte.  Noch  5  Jahrhunderte  später  konnte  man  an 
ihrem  Idiom  ihre  deutsche  Abstammung  erkennen. 

E  i  n  Stand  aber  ist  nicht  mit  den  Deutschen  in  unser 
Land  eingewandert,  nämlich  der  deutsche  Adel,  die  Ritter. 
Während  in  den  Nachbarländern  Pommern,  Preussen  und 
Schlesien  ganze  Länderstrecken  an  zugewanderte  deutsche 
Rittergeschlechter  zu  Lehen  vergeben  wurden,  vermieden 
dies  die  polnischen  Herzöge  durchaus,  vielleicht  weil  das 
Lehnswesen  dem  polnischen  Staatsrecht  vollkommen 
fremd  war.  So  blieb  der  vornehmste  weltliche  Stand  fast 
ganz  polnisch,  und  grade  hier  stehen  wir  vor  einer  der 
wichtigsten  Ursachen,  weshalb  unsere  Provinz  nicht 
wie  die  Nachbarländer  durch  die  mittelalterliche  deutsche 
Einwanderung  vollständig  germanisiert  worden  ist 

Diese  zweite  Periode  unserer  Landesgeschichte 
endigt  mit  dem  Tode  des  letzten  selbständigen  Fürsten 
von  Grosspolen  Przemislaus  IL,  der  im  Jahre  1296  durch 
Meuchelmord  fiel,  ohne  männliche  Nachkommen  zu  hinter- 
lassen. Das  nächstverwandte  Mitglied  der  kleinpolnischen 
Linie  Wladislaus  Lokietek  vereinigte  Grosspolen  mit 
seinem  Stammlande  und  war  so  wieder  im  Stande,  ein 
grosses  polnisches  Reich  zu  errichten.  So  wurde  unsere 
Provinz  wieder  ein  Teil  eines  grösseren  politischen 
Ganzen,  wie  sie  es  in  der  ersten  Periode  gewesen  war. 
Aber  sie  war  nicht  mehr,  wie  damals,  der  Mittelpunkt  des 
Staates,  vielmehr  verschob  sich  der  Schwerpunkt  der 
politischen  Bedeutung  auf  die  kleinpolnische  Hälfte,  und 
Krakau  wurde  nunmehr  die  Hauptstadt  des  Reiches  und 
blieb  dies  auch,  als  mit  dem  Sohne  des  Wladislaus  Lokietek, 
Kasimir  dem  Grossen,  das  piastische  Herrscherhaus  aus- 
starb und  nach  einer  langen  von  inneren  Kämpfen  er- 
füllten Zwischenzeit  im  Jahre  1386  das  litthauische  Ge- 
schlecht der  Jagiellonen  zur  Herrschaft  kam,  unter  dem 
Polen  zu  seiner  höchsten  politischen  Bedeutung  empor- 
stieg. Für  unsere  Provinz  bildet  diese  Zeit  der  letzten 
Piasten  und  ersten  Jagiellonen  eine  einheitliche,  die  dritte 
Periode  ihrer  Geschichte,  die  man  als  diejenige  der 
Ausbildung    ihrer    provinzialen    Stellung 


14  Adolf  Warschauer. 

im  polnischen  Reiche  bezeichnen  kann,  und  die 
das  14.  und  15.  Jahrhundert,  also  die  letzten  beiden  Jahr- 
hunderte des  Mittelalters,  umfasst. 

Auch  der  Hauptinhalt  dieser  Periode  erschöpft  sich 
in  zwei  Ketten  von  Tatsachen:  die  eine  ist  die  mit  der 
geänderten  politischen  Stellung  des  Landes  in  Verbindung 
stehende  Umbildung  seiner  Verfassung,  die  andere  ist  der 
in  Folge  der  Kriege  mit  dem  Deutschen  Orden  zum  Ent- 
stehen gelangende  nationale  Gegensatz  zwischen  Deutschen 
und  Polen,  der  die  gesellschaftliche  und  kulturelle  Ent- 
wickelung  des  Landes  in  dieser  Periode  wesentlich  be- 
einflusste. 

Grosspolen  war,  wie  wir  bereits  erwähnt  haben, 
wieder  ein  Teil  des  polnischen  Reiches  geworden,  aber 
seine  politische  Selbständigkeit  gab  es  darum  doch  nicht 
auf,  seine  Vereinigung  mit  Kleinpolen  war  kaum 
mehr  als  eine  Personalunion  und  ist  dies  im  gewissem 
Sinne  bis  zum  Untergang  des  polnischen  Reichs  geblieben. 
In  diesem  Verhältnis  liegt  die  tiefste  Wurzel  für  das  Ver- 
ständnis der  späteren  polnischen  Verfassung,  die  man 
so  ziemlich  als  das  widersinnigste  Rechtsgebilde  anzusehen 
gewohnt  ist,  die  aber  der  Ausdruck  einer  ganz  folge- 
richtigen politischen  Entwicklung  ist. 

Grosspolen  behielt  sein  eigenes  Recht  und  bekam 
unter  Kasimir  dem  Grossen  ein  eigenes  Gesetzbuch.  Die 
Landesämter  durften  nur  mit  Eingesessenen  besetzt 
werden.  Als  mit  dem  Aussterben  der  Piasten  das  Reich 
zu  einem  Wahlkönigtum  wurde,  und  Adel  und  Geistlich- 
keit als  Preis  für  die  zu  vergebende  Krone  sich  einen 
wesentlichen  Anteil  an  der  Gesetzgebung  und  Recht- 
sprechung ausbedingten,  wählte  jeder  Landesteil  seinen 
König  besonders,  und  nur  durch  Vereinbarung  fiel  die 
Wahl  auf  dieselbe  Persönlichkeit.  In  demselben  Geiste 
bildeten  sich  die  verfassungsmässigen  Formen  aus,  in 
denen  jeder  Landesteil  besonders  seinen  politischen  Willen 
kundgab,  Grosspolen  hielt  seine  besonderen  Landtage 
gewöhnlich  in  Schroda  ab  und  gab  sich  hier  seine  Sonder- 
gesetze,    Sollten  Gesetze  für  das  ganze  Reich  zu  Stande 


^ 


Die  Epochen  der  Posener  Landesgeschichte.  15 

kommen,  so  konnte  dies  nur  durch  Verhandlungen  der 
verschiedenen  Landtage  unter  sich  geschehen.  Erst  gegen 
Ende  des  15.  Jahrhunderts  wurden  die  Landtage  der 
beiden  Reichshälften  in  eine  höhere  Einheit,  den  polnischen 
Reichstag,  zusammengefasst,  zu  dem  jeder  Landtag  von 
ihm  gewählte  Abgeordnete  schickte.  Freilich  gab  durch 
diese  Vereinigung  Grosspolen  ebensowenig  wie  Kleinpolen 
das  Recht  seiner  Selbstbestimmung  auf,  denn  die  Land- 
tage versahen  ihre  Abgeordneten  mit  Instruktionen,  und 
von  ihnen  durfte  keiner  abweichen.  So  gab  es  im  pol- 
nischen Reichstag  keine  Abstimmung,  sondern  nur  eine 
Einigung,  und  giltige  Beschlüsse  konnten  nur  zu  Stande 
kommen,  wenn  eine  solche  erzielt  wurde.  Dieser  durch 
die  geschichtliche  Entwickelung  erklärbare  Konföderations- 
charakter des  Staates  wurde  niemals  überwunden  und  hat 
zu  seinem  späteren  Untergang  wesentlich  beigetragen. 
Vorläufig  aber  lagen  diese  unheilvollen  Wirkungen 
noch  in  weiter  Ferne.  Nachdem  das  Land  durch  die 
Einfälle  des  Deutschen  Ordens,  der  durch  die  Besetzung 
von  Pommerellen  mit  Polen  in  Konflikt  geraten  war,  unter 
Wladislaus  Lokietek  furchtbar  gelitten  hatte,  gelang  es 
ihm,  unter  Wladislaus  Jagiello  dieses  gefährlichen  Feindes 
Herr  zu  werden.  In  der  Schlacht  "bei  Tannenberg  (1410) 
haben  die  Polen  und  Litthauer  die  Blüte  der  deutschen 
Ritterschaft  niedergeschlagen  und  nach  langem  Kampfe  im 
Jahre  1466  die  Abtretung  von  Pommerellen  erzwungen 
Grosspolen  hatte  hierdurch  den  lang  ersehnten  Ausgang 
nach  der  Meeresküste  erhalten  und  war  vor  weiteren  An- 
feindungen eines  Grenznachbarn,  der  anderthalb  Jahr- 
hunderte mit  Schrecken  und  Zerstörung  gedroht  hatte, 
gesichert.  Aber  es  hat  teuer  dafür  bezahlt.  Von  den 
blutgetränkten  preussischen  Schlachtfeldern  hatten  die 
Polen  den  Deutschenhass  mit  heimgebracht,  und  die 
Furie  der  nationalen  Zwietracht  erhob  in  unserem  Lande 
zum  ersten  Male  ihr  wutblickendes  Haupt.  Der  letzte 
Piast,  Kasimir  der  Grosse,  hat  die  deutsche  Einwanderung 
noch  begünstigt  und  gefördert,  und  zahlreiche  Städte  und 
Dörfer  verdanken  seiner  friedlichen  Regierung   ihre   Ent- 


)fvU 


l6  Adolf  Warschauer. 

stehung.  Unter  Wladislaus  Jagiello  hörte  die  deutsche 
Einwanderung  nicht  nur  vollständig  auf,  sondern  die 
Polen  fingen  an,  die  unter  ihnen  lebenden  Deutschen  mit 
feindlichen  Augen  zu  betrachten.  Es  fehlte  nicht  an 
allerlei  Verdächtigungen,  die  sie  der  Verbindung  mit  dem 
Landesfeinde  beschuldigten.  So  wurde  der  ganze  Rat 
der  Stadt  Posen  1453  abgesetzt,  weil  gegen  ihn  die 
wahnsinnige  Anklage  erhoben  wurde,  an  vier  aufeinander 
folgenden  Nächten  durch  Geld  von  den  Feinden  be- 
stochen die  Stadt  ihnen  geöffnet  zu  haben.  So  wuchs 
Hass  und  Misstrauen  zwischen  dem  polnischen  Adel  und 
dem  deutschen  Bürgertum  empor  und  verdichtete  sich 
alsbald  zu  gesetzgeberischen  Massregeln.  Es  war  dies 
um  so  folgenschwerer,  als  es  ja  gerade  die  Zeit  war,  in 
der  die  Grundlagen  der  polnischen  Verfassung  sich  auf- 
bauten. Die  Städter  wurden  von  allen  höheren  militärischen 
und  staatlichen  Ämtern  ausgeschlossen.  Der  Ankauf  von 
Landgütern  wurde  ihnen  untersagt  und  —  was  das  wich- 
tigste war  —  sie  wurden  von  der  Teilnahme  an  den 
Landtagen,  in  denen  die  gesetzgeberische  Gewalt  lag, 
ferngehalten,  so  dass  sie  allmälig  die  Fühlung  mit  dem 
politischen  Leben  der  Nation  verloren  und  Gesetzen 
unterworfen  wurden,  an  deren  Zustandekommen  sie  selbst 
keinen  Teil  hatten.  Der  im  Jahre  1496  von  dem  Reichstage 
gefasste  Beschluss,  der  dem  Adel  völlige  Zollfreiheit  für 
alle  von  und  nach  seinen  Wohnsitzen  geführten  Erzeug- 
nisse und  Waren  zubilligte,  war  der  erste  Schritt  auf  dem 
später  immer  abschüssiger  werdenden  Pfade  der  rück- 
sichtslosen Interessenpolitik,  durch  welche  der  Adel  den 
wirtschaftlichen  Wohlstand  der  Städte  vernichtete. 
Diesem  nationalen  Ansturm  hat  nur  das  deutsche  Bürger- 
tum in  den  Städten  an  der  schlesischen  und  branden- 
burgischen Grenze  Stand  gehalten,  sonst  begannen  sich 
die  grosspolnischen  deutschen  Bürger  im  15.  Jahrhundert 
zu  polonisieren,  sie  übersetzten  vielfach  ihre  deutschen 
Namen  in's  polnische,  in  den  Protokollbüchern  der  städti- 
schen Behörden  begann  die  deutsche  Sprache  zu  ver- 
schwinden,  und  auf   den  Hauptkanzeln   der  Pfarrkirchen 


Die  Epochen  der  Posener  Landesgeschichte.  17 

machten  die  deutschen  Prediger  den  polnischen  Platz. 
Bestehen  blieb  jedoch  die  deutsche  Rechtsverfassung  der 
Städte,  und  es  ist  merkwürdig  zu  beobachten,  wie  manche 
Formen  hier  noch  lange  treu  bewahrt  wurden,  die  in 
Deutschland  schon  ^lange  zerbröckelt  waren.  Noch 
weniger  widerstandsfähig  zeigte  sich  der  deutsche  Bauer. 
Die  freiheitlichen  Einrichtungen  des  deutschen  Rechts, 
die  noch  unter  Kasimir  dem  Grossen  in*  voller  Blüte 
standen,  verschwanden  im  15.  Jahrhundert  unter  der  Land- 
bevölkerung nach  und  nach.  Am  Ende  des  Mittelalters 
war  der  polnische  und  der  Nachkomme  des  eingewanderten 
deutschen  Bauern  schon  eine  gleichmässige  Masse  ge- 
worden, der  das  Recht  der  Freizügigkeit  genommen  und 
die  in  ihren  Leistungen  und  Frohnden  dem  Grundherrn 
vollkommen  Preis  gegeben  war. 

Ebenso  wie  für  fast  alle  Kulturländer  Europas  beginnt 
mit  dem  16.  Jahrhundert  auch  für  unsere  Heimat  eine 
neue  Epoche:  die  der  Reformation,  nicht  unvorbereitet 
allerdings  auch  bei  uns:  hat  doch  schon  im  15.  Jahrhundert 
ein  Sohn  unserer  Provinz,  der  Meseritzer  Kastellan  Johann 
Ostrorög,  eine  Schrift,  Monumentum,  ausgehen  lassen,  die  an 
Kühnheit  und  Unabhängigkeit  der  Gedanken  unter  den 
sog.  vorreformatorischen  Schriften  ihres  Gleichen  sucht. 
Der  von  Luther  ausgestreute  Same  ging  in  Grosspolen 
schnell  und  kräftig  auf.  Mit  einer  sonst  nicht  wieder  be- 
obachteten Schnelligkeit  änderten  sich  die  Auffassungen 
und  Ideen  der  Menschen.  Fast  plötzlich  sehen  wir  die 
wirtschaftlichen  und  nationalen  Interessen,  die  das 
15.  Jahrhundert  beherrscht  hatten,  in  den  Hintergrund 
treten  und  Fragen  religiöser,  idealer  und  übersinnlicher 
Natur  ihre  Stelle  einnehmen.  Nicht  nur  die  höheren 
Stände,  sondern  auch  die  Handwerker  und  Bauern  er- 
örterten die  religiösen  Probleme  mit  Leidenschaft  und 
Verständnis.  Unter  diesem  Einflüsse  überbrückte  sich  die 
Kluft,  die  sich  unter  der  Nachwirkung  der  Preussenkriege 
in  unserer  Provinz  aufgetan  hatte,  wieder.  Willig  nahm 
das  Land  wieder  die  von  Deutschland  aus  einströmenden 
Anregungen    auf.      Nicht    nur    die    deutsch    gebliebenen 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Pror.  Posen.    Jahrg.  XIX.  2 


18  Adolf  Warschauer. 

Städte  im  Westen  unserer  Provinz  und  die  Reste  der 
deutschen  Einwanderung  in  der  bürgerlichen  Bevölkerung 
überhaupt,  sondern  auch  der  polnische  Adel  und  Bürger 
Hessen  sich  von  den  reformatorischen  Ideen  beeinflussen. 
1540  gab  es  in  Posen  schon  eine  polnische  und  eine 
deutsche  lutherische  Gemeinde.  Der  Erbe  der  Ordens- 
macht, der  Herzog  Albrecht  von  Preussen,  wurde  für  den 
grosspolnischen  Adel  Freund  und  Berater  in  geistlichen 
Dingen.  In  Wittenberg  studierten  in  manchen  Semestern 
50—60  grosspolnische  adlige  Studenten,  und  1554  war 
einer  dieser  jungen  Edelleute,  der  spätere  Posener  Woiwode 
Stanislaus  Görka,  Rektor  dieser  Universität.  Danzig  und 
Regensburg  trieben  schon  in  den  zwanziger  Jahren  einen 
regen  Handel  mit  den  Schriften  Luthers  und  anderer 
Reformatoren  in  unser  Land,  für  die  nur  polnisch 
sprechende  Bevölkerung  wurden  sie  übersetzt  und  in  ganzen 
Wagenladungen  verkauft.  Allerdings  gewann  seit  dem 
Ende  der  vierziger  Jahre  neben  dieser  von  Deutschland 
ausgehenden  religiösen  Bewegung  die  aus  dem  böhmischen 
Slaventum  entsprossene  Sekte  der  Böhmischen  Brüder, 
deren  Glaubensbekenntnis  dem  Calvinismus  nahe  stand, 
in  Grosspolen  besonders  unter  dem  Adel  Anhänger,  aber 
beide  Bekenntnisse  wirkten  doch  einträchtig  zusammen 
und  vereinigten  sich  sogar  1570  in  dem  Vergleich  von 
Sendomir  zu  einem  freundlichen  Bunde.  Es  ist  auch 
deutlich  erkennbar,  dass  diejenigen  Einflüsse,  welche  sich 
im  15.  Jahrhundert  zu  Ungunsten  des  Verhältnisses  der 
verschiedenen  Stände  entwickelt  hatten,  zwar  noch  fort- 
dauerten und  in  ihrer  unheilvollen  Kraft  für  die  Zukunft 
nicht  ertötet  waren,  aber  durch  die  eigenartigen  Ver- 
hältnisse gerade  dieser  Periode  in  ihrer  Wirksamkeit  viel- 
fach aufgehoben  wurden.  Die  gleiche  Überzeugung  in 
religiösen  Dingen  und  die  gleiche  Gefahr  erzeugte  zeit- 
weise eine  Solidarität  zwischen  Adel  und  Bürgertum,  die 
vorher  nicht  vorhanden  war.  Um  einen  Posener  Schuh- 
macher aus  der  Gewalt  des  Bischofs  von  Posen  zu  be- 
freien, bewaffnete  sich  1554  ein  Teil  des  grosspolnischen 
Adels.    Der  Segen    dieses  Friedens   von   innen,   der  mit 


Die  Epochen  der  Posener  Landesgeschichte.  19 

einer  langen  Friedenszeit  nach  aussen  hin  zusammenfiel, 
dazu  die  weise  Wirtschaftspolitik  der  beiden  letzten 
Jagiellonen,  Sigismunds  I.  und  Sigismund  Augusts  wirkten 
zusammen,  um  das  16.  Jahrhundert  zu  einer  Blütezeit  [| 
sowohl  der  Landwirtschaft  als  der  bürgerlichen  Gewerbe, 
ja  sogar  des  Kunsthandwerks  und  der  Kunst,  wo  deutscher 
und  italienischer  Einfluss  zusammenwirkten,  zu  gestalten 
Nun  erfolgte  ja  gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts,' 
wie  in  den  andern  Kulturländern,  so  auch  hier,  die  Re- 
aktion des  durch  das  Tridentiner  Konzil  und  die 
Schöpfung  des  Jesuitenordens  innerlich  gekräftigten 
Katholizismus  gegen  die  religiösen  Neuerungen,  und  sie 
hatte  hier  zu  Lande  völlig  gewonnenes  Spiel,  als  nach 
dem  Aussterben  der  Jagiellonen  den  polnischen  Thron 
der  Tesuitenzögling  Sigismund  III.  aus  dem  Geschlechte 
der  Wasa  bestieg.  lÖbeFTn  ganz  eigentümlicher  Weise 
hat  gerade  diese  allgemeine  Reaktion,  die  ja  über  Deutsch- 
land die  Schrecken  des  30jährigen  Krieges  gebracht  hat,  * 
in  unsere  Provinz  wieder  unzählige  deutsche  Einwanderer- 
massen geworfen,  deren  Mächtigkeit  derjenigen  des 
13.  Jahrhunderts  nicht  allzusehr  nachstand.  Besonders 
dicht  war  die  Einwanderung  aus  Schlesien,  wo  20  Jahre 
hindurch  die  kaiserlichen  und  schwedischen  Heere  ein- 
ander in  der  Aussaugung  des  Landes  ablösten  und  die 
katholische  Reaktion  so  heftig  wütete,  dass  man  Dragoner 
zu  Zwangsbekehrungen  abkommandierte.  Während  dieser 
Zeit  nun  genoss  unsere  Provinz  noch  den  tiefsten  Frieden. 
Dazu  kam,  dass  der  Sohn  Sigismunds  III.,  Wladislaus  IV., 
dem  Vater  ganz  ungleich  einer  der  tolerantesten  Fürsten 
seiner  Zeit  war,  ein  edler  Schwärmer,  der  einmal  sogar 
den  Versuch  gemacht  hat,  die  katholische  und  evangelische 
Religion  in  ein  Bekenntnis  zu  vereinigen.  Man  konnte 
deshalb  in  Grosspolen  die  Flüchtlinge  ohne  Schwierigkeit 
aufnehmen  und  tat  es  nicht  nur  aus  Gründen  der 
Menschlichkeit  und  Duldung,  vielmehr  sahen  die  Grund- 
herrn in  dem  Zuzug  der  betriebsamen  Neuankömmlinge 
ebenso  ein  Mittel,  sich  Einnahmequellen  zu  verschaffen, 
wie    es    ihre    Vorfahren    vor    vier    Jahrhunderten    getan 


20  Adolf  Warschauer. 

hatten.  Sie  warteten  denn  auch  nicht,  bis  die  Einwanderer 
kamen,  sondern  verbreiteten  gedruckte  Aufrufe,  in  denen 
sie  zur  Einwanderung  in  ihre  Güter  aufforderten  und  den 
Protestanten  freie  Religionsübung  zusicherten,  und  zwar 
taten  dies  nicht  nur  Protestanten,  sondern  auch  eifrige 
Katholiken.  Durch  diesen  Zuzug  gewann  das  deutsche 
Bürgertum  in  den  Städten  wieder  neue  Kraft,  vielfach 
wurden  neben  die  alten  Städte  neue  Stadtteile  gebaut,  und 
eine  grosse  Anzahl  neuer  Städte  konnte  wieder  gegründet 
werden,  so  im  Jahre  1638  allein  fünf  Städte:  Rawitsch, 
Obersitzko,  Kahme,  Schwersenz  und  Bojanowo.  Es  ist 
merkwürdig,  wie  man  bei  diesen  Städtegründungen  ohne 
weiteres  an  das  mittelalterliche  Beispiel  anknüpfte,  dessen 
Andenken  noch  keineswegs  verschollen  war.  In  dem 
Gründungsprivilegium  von  Rawitsch  heisst  es  ausdrück- 
lich, dass  die  Fremden  in  derselben  Weise  die  Stadt  er- 
bauen sollten,  wie  die  Deutschen  früher  die  Städte  Posen, 
Krakau  und  Lemberg  erbaut  hatten.  Besonders  zahlreich 
waren  die  eingewanderten  Tuchmacher,  die  diese  Industrie 
in  Grosspolen  wieder  zu  neuer  Blüte  brachten.  Damals 
wurden  Rawitsch,  Lissa,  Schönlanke,  Meseritz  zu  Mittel- 
punkten der  Tuchindustrie  für  den  ganzen  polnischen  und 
russischen  Handel  und  versorgten  sogar  einen  Teil  von 
Asien  mit  ihren  Produkten. 

Wie  im  Mittelalter  ging  auch  in  dieser  Periode 
Hand  in  Hand  mit  der  bürgerlichen  eine  bäuerliche  Ein- 
wanderung aus  den  benachbarten  deutschen  Provinzen, 
und  wie  damals  schuf  sie  auch  nunmehr  wieder  eine 
Schicht  freier  Bauern  unter  der  zur  vollkommenen 
Hörigkeit  und  ungemessener  Frohndienstpflicht  herab- 
gesunkenen Landbevölkerung.  Schon  Ende  des  16.  Jahr- 
hunderts begann  wieder  die  Ansiedlung  deutscher  Bauern 
auf  bestimmte  Kontrakte  und  mit  gemessenen  Verpflich- 
tungen, und  zwar  in  der  Nähe  von  Bromberg  und  Schulitz. 
Man  nannte  die  Ansiedlungen  Holländereien  im  An- 
schluss  an  Kolonien  ähnlicher  Art  im  Westen  von 
Deutschland  und  in  der  Nähe  von  Danzig,  wirklich  be- 
teiligt aber  haben  sich  Holländer  nur  in  der  ältesten  Zeit, 


Die  Epochen  der  Posener  Landesgeschichte. 


21 


und   zwar  gerade  im  Netzedistrikt,   wo   es   sich   vielfach 
um  Austrocknung  von  Sümpfen  handelte. 

Diese  ganze  deutsche  Einwanderung  in  der  ersten 
Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  hat  die  Lücken  wieder  aus- 
gefüllt, die  das  15.  Jahrhundert  durch  die  Entnationali- 
sierung unter  der  deutschen  Bevölkerung  des  Landes  ge- 
rissen hatte.  Die  Schicksale  dieser  Einwanderer  aber  unter- 
schieden sich  wesentlich  von  derjenigen  des  Mittelalters. 
Die  unruhigen  von  inneren  und  äusseren  Kriegen  erfüllten 
Zeiten  und  die  vielfachen  religiösen  Unbilden,  denen  sie 
später  ausgesetzt  waren,  haben  ihnen  manche  Prüfungen 
gebracht.  Sie  blieben  Fremde  in  der  neuen  Heimat  und 
zeigten  keine  Neigung  sich  zu  polonisieren.  Dem  Charakter 
jener  Zeit  entsprechend,  in  der  der  religiöse  Gedanke 
den  politischen  überwog,  zeigten  sie  gelegentlich 
Sympathien  für  die  glaubensverwandten  schwedischen  und 
brandenburgischen  Herrscher,  und  sie  spielten  eine  nicht 
unwesentliche  Rolle  in  der  von  dieser  Zeit  an  beginnenden 
Geschichte   der  Auflösung   des  polnischen  Staatswesens. 

Diese  an  fruchtbaren  Keimen  und  Ansätzen  so  reiche 
vierte  Periode  unserer  Landesgeschichte  bricht  jäh  1655  in 
dem  Jahre,  in  dem  die  Schweden  zum  ersten  Male  in 
Grosspolen  einfielen,  ab.  Die  120  Jahre,  die  nun  bis  zur 
Teilung  des  Reiches  folgten,  bilden  den  traurigsten  Ab- 
schnitt unserer  heimatlichen  Geschichte.  Unendlich  war 
das  Leid,  welches  äussere  Feinde,  schlimmer  aber  noch 
dasjenige,  welches  die  inneren  Zustände  des  polnischen 
Staates  dem  Lande  antaten.  Zwei  grosse  Kriege,  der 
schwedische  von  1655 — 57  und  der  nordische  von  169& 
bis  170g  brachten  alle  Schrecken  der  Verheerung  über 
unsere  Heimat.  Dem  letzten  Kriege  folgte  in  den  Jahren 
1709/10  die  Pest  auf  dem  letzten  grossen  Zuge,  den 
sie  durch  Europa  antrat  Sie  hat  in  unserer  Provinz 
vielleicht  ein  viertel  aller  Menschen  hinweggerafft.  In  die 
Zeit  zwischen  den  beiden  grossen  Kriegen  fielen  die  bür- 
gerlichen Unruhen  und  Kämpfe,  die  durch  den  Plan  des 
Königs  Johann  Kasimir,  den  Thronfolger  bei  seinen  Leb- 
zeiten zu  ernennen,  verursacht  und  meist  auf  dem  Bo'den 


I  c  „ 


1  • 


22  Adolf  Warschauer. 

Grosspolens  ausgekämpft  wurden.  In  den  Tagen  jener 
Wirren  hat  der  erwähnte  König  das  prophetische  Wort 
gesprochen:  er  sehe  voraus,  dass  der  Staat  geteilt  werden 
würde,  Russland  würde  sich  Reussens  und  Litthauens, 
Brandenburg  Preussens  und  Grosspolens,  Österreich 
Kleinpolens  bemächtigen,  wenn  die  Gefahr  der  Königs- 
wahlen nicht  würde  beseitigt  werden  können.  Tatsächlich 
hat  jede  Königswahl  in  Polen  nicht  nur  zu  inneren  Un- 
ruhen geführt,  sondern  auch  die  Gefahr  eines  europäischen 
Krieges  heraufbeschworen.  Selbst  die  Regierungszeit 
Johann  Sobieskis,  die  durch  die  Siege  über  die  Türken 
einen  gewissen  Glanz  erhielt,  konnte  dem  ärgsten  Feinde 
seiner  Nation,  ihrer  Verfassung,  nicht  im  geringsten  Ab- 
bruch tun.  Der  schon  früher  erwähnte  konföderative 
Charakter  des  Staates  hatte  sich  so  verschärft,  dass  jeder 
einzelne  Landbote  durch  sein  Veto  den  Reichstag  zer- 
reissen  konnte,  und  da  ein  Teil  des  Adels  fortgesetzt  im 
Solde  auswärtiger  Staaten  stand,  so  wurde  die  Zerreissung 
der  Reichstage  die  Regel.  In  ganz  Europa  erregten  die 
Verhältnisse  Polens  Staunen  und  Abscheu.  In  der  Zeit 
von  1718 — 64  kamen  überhaupt  nur  3  Reichstage  zu 
Stande.  Von  der  Rechtspflege  urteilte  der  Reichstag  von 
1726  selbst,  dass  auf  dem  Tribunale  nicht  die  Gerechtig- 
keit, sondern  das  Verbrechen  herrsche.  Wenn,  wie  es 
1747  vorkam,  die  Konstituierung  des  Reichstribunals  im 
Parteigezänk  verhindert  wurde,  so  ruhte  mit  der  Ver- 
waltung auch  die  Rechtspflege  und  jede  staatliche  Auto- 
rität hörte  überhaupt  auf.  Kamen  Gesetze  zu  stände,  so 
hatten  sie  gewöhnlich  nur  den  Zweck,  dem  Adel  auf 
Kosten  der  andern  Stände  bessere  Lebensbedingungen 
zu  schaffen.  Die  zügellose  Agrarpolitik  des  polnischen 
Reichstages  hatte  auch  nicht  das  geringste  Verständnis 
für  den  unlösbaren  Zusammenhang  aller  Erwerbszweige 
zur  Erhaltung  des  nationalen  Wohlstands.  So  wollte  der 
Reichstag  den  einheimischen  Kaufleuten  verbieten,  Waren 
über  die  Grenze  zu  führen,  um  die  Preise  im  Inlande 
zu  verbilligen.  Als  um  die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  die 
Entdeckung  der  Peruanischen  Silberminen  die  Preise  aller 


Die  Epochen  der  Posener  Landesgeschichte.  23 

Waren  in  ganz  Europa  in  die  Höhe  trieb,  glaubte  der 
Adel  in  Polen  sich  durch  das  törichte  Gesetz  helfen  zu 
können,  das  dem  einheimischen  Kaufmann  7%,  dem 
Fremden  5%,  dem  Juden  3%  als  Höchstgewinn  für  seine 
Waren  vorschrieb.  Bessere  Industrieerzeugnisse  wurden 
überhaupt  nicht  mehr  im  Lande  hergestellt.  Man  be- 
rechnete, dass  Polen  für  seine  Rohprodukte,  wenn  sie 
verarbeitet  in's  Land  zurückkehrten,  den  dreifachen  Preis 
zahlte,  als  es  dafür  erhalten  hatte.  Um  gegen  den  unter- 
tänigen Bauern  völlig  freie  Hand  zu  haben,  schaffte  der 
Adel  einfach  jedes  Recht  für  ihn  ab,  so  dass  es  für  den 
Bauern  überhaupt  keine  Möglichkeit  gab,  gegen  seinen 
Herrn  irgendwie  aufzutreten.  Ein  polnischer  Dichter  jener 
Zeit  aus  unserer  Provinz  nennt  die  Unfreiheit  der  Bauern 
schwerer  als  die  der  heidnischen  Sklaven.  Man  wollte 
bemerken,  dass  die  Bauern,  um  ihr  Elend  nicht  fort- 
zupflanzen, sich  weigerten,  Kinder  zu  zeugen.  Mit  Ver- 
wunderung erzählt  ein  vornehmer  Pole,  der  nach  Berlin- 
reiste,  wie  er  jenseits  der  Grenze  Dörfer  mit  schmucken 
Häusern,  je  einer  Kirche  und  Schule  angetroffen,  und  dass 
der  verstorbene  König  in  seinem  Testamente  das  Wohl 
der  Bauern  seinem  Sohne  besonders  ans  Herz  gelegt  habe. 
Nun  hatte  freilich  Grosspolen  in  der  ersten  Hälfte 
des  17.  Jahrhunderts  durch  die  grosse  deutsche  Einwan- 
derung neue  Kräfte  in  sich  aufgenommen,  die  durch  die 
traurigen  öffentlichen  Verhältnisse  nicht  so  leicht  zu 
ertöten  waren.  Denkenden  Köpfen  entging  es  nicht,  dass 
fast  alles,  was  an  bürgerlicher  und  bäuerlicher  Betrieb- 
samkeit Lebenskraft  im  Lande  hatte,  nicht  der  alten 
eingesessenen  polnischen,  sondern  der  protestantisch 
deutschen  Bevölkerung  angehörte.  Der  Posener  Woiwode 
Stephan  Garczynski  hat  im  Jahre  1751  eine  sehr  interes- 
sante Schrift  über  die  Anatomie  des  polnischen  Staates 
geschrieben  und  sich  hierüber  ganz  unverblümt  aus- 
gesprochen: die  dissidentischen  Städte  wachsen,  die  katho- 
lischen aber  fallen.  Welcher  Unterschied,  fragt  er,  sei 
wohl  zwischen  Kosten,  das  doch  das  Haupt  eines  Kreises 
und  Sitz  eines  Grodgerichts  sei,  und  den  benachbarten  pro- 


24  Adolf  Warschauer. 

testantischen  Städten  Lissa,  Schmiegel,  Bojanowo  und 
Rawitsch ;  zwischen  Dolzig,  einer  bischöflichen  Stadt,  und 
Punitz.  Das  protestantische  Moschin  liege  ungünstig  und 
das  katholische  Bromberg  ausgezeichnet,  und  doch  stehe 
Bromberg  schlechter  da  als  Moschin.  Bei  den  Dissidenten 
wachse  eben  auch  Kleines  durch  gute  Ordnung,  bei  den 
Katholiken  aber  gehe  durch  Unordnung  auch  das  Grösste  zu 
Grunde.  Einen  ähnlichen  Unterschied  findet  er  zwischen 
der  Lage  der  protestantischen  Bauern  und  der  polnischen 
Kmethen.  Er  berechnet  den  kontraktmässigen  Zins  der 
ersteren  auf  jährlich  10 — 12  Taler,  den  Wert  der  Frohn- 
dienste  der  Kmethen  aber  auf  etwa  81  Taler.  „Was  nützt 
es,"  meint  er,  „unter  solchen  Umständen  in  den  Kirchen 
vor  den  heiligen  Altären  um  Erhöhung  der  katholischen 
Kirche  zu  bitten?4 

Aber  zwischen  diesem  wirtschaftlich  kräftigsten  Teil 
der  Bevölkerung  unserer  Provinz  und  den  eingesessenen 
katholischen  Polen  hatte  sich  durch  die  Parteinahme  für 
und  gegen  die  protestantischen  Schweden  in  den  beiden 
grossen  Kriegen  eine  weite  und  unüberbrückbare  Kluft 
aufgetan.  Der  Gegensatz  war  freilich  kein  nationaler, 
sondern  durchaus  nur  ein  religiöser,  die  gegenseitige  Er- 
bitterung aber  doch  nicht  weniger  gross.  Im  Jahre  171 7 
wurde  die  Zerstörung  aller  seit  1674  besonders  unter  dem 
Schutze  der  Schweden  errichteten  Gotteshäuser  be- 
schlossen. Kurze  Zeit  darauf  erfolgte  die  Ausstossung 
des  letzten  protestantischen  Landboten  aus  dem  Reichstag 
und  1733  der  Ausschluss  der  Evangelischen  von  der 
Teilnahme  an  allen  gesetzgeberischen  Körperschaften 
Gerichten  und  Ämtern.  Das  sog.  Thorner  Blutbad  von 
1724  zeigte,  dass  der  Fanatismus  auch  bis  zum  Blutver- 
giessen  gehen  konnte. 

Schwer,  wie  die  Schuld,  die  das  polnische  Staatswesen 
auf  sich  geladen  hatte,  war  dann  auch  die  Sühne.  Schon 
im  siebenjährigen  Kriege  zeigte  es  sich,  dass  Polen  auf- 
gehört hatte,  eine  politische  Macht  zu  sein.  Friedrich  der 
Grosse  und  Katharina  von  Russland  führten  ihren  Krieg, 
wo  es  ihnen  nötig  schien,  auf  dem  Boden  unserer  Provinz 


Die  Epochen  der  Posener  Landesgeschichte.  25 

und  verproviantierten  sich  hier,  vielfach  ohne  für  die  Lie- 
ferungen zu  bezahlen.  Als  der  Fürst  Sulkowski  Friedrich 
dem  Grossen  verdächtig  schien,  Hess  er  ihn  in  Reisen  ^fX**** 
ohne  Weiteres  mit  seinem  ganzen  Hofstaate  aufheben  und 
nach  Glogau  bringen.  Die  Kaiserin  Katharina  aber  nahm, 
als  sie  ihren  früheren  Liebhaber  Stanislaus  August  Po- 
niatowski  1764  zum  König  von  Polen  gemacht  hatte,  eine 
Art  von  Oberhoheitsrecht  über  Polen  in  Anspruch,  und 
als  ein  Teil  der  Nation  sich  dagegen  empörte,  da  traten 
jene  chaotischen  vier  Jahre  lang  dauernden  Wirren  und 
Bürgerkämpfe  der  Konföderation  von  Radom  und  Bar  ein, 
die  den  Boden  unserer  Heimat  mit  Blut  durchtränkten  . 
und  in  denen  Polen  zu  Grunde  gegangen  ist.  j 

In  den  Jahren  1772 — 75  nahm  Friedrich  der  Grosse 
den  Netzedistrikt  in  Besitz  und  1793  sein  Nachfolger  den 
Rest  der  heutigen  Provinz  Posen.  In  der  Zwischenzeit  hat 
der  unglückliche  polnische  Staat  zwar  versucht,  durch  einige 
organisatorische  Massregeln  die  alten  Zustände  zu  bessern, 
aber  das  Schicksal  hat  eine  andere  Hand,  als  diejenige, 
welche  dem  Lande  die  Wunden  geschlagen  hatte,  bestellt, 
sie  wieder  zu  heilen. 

Mit  der  preussischen  Besitznahme,  die  die  sechste  noch 
bis  in  unsere  Tage  dauernde  Periode  unserer  Landes- 
geschichte einleitet,  beginnt  wieder  die  positive  Arbeit 
für  das  Wohl  und  das  Gedeihen  des  Landes.  Zum  vierten 
Male  in  seiner  Geschichte  wurde  das  Land  deutschen 
Einflüssen  rückhaltslos  geöffnet.  Was  zunächst  Friedrich 
der  Grosse  für  den  Netzedistrikt  geleistet  hat,  ist  aller 
Welt  bekannt  Ist  es  doch,  als  ob  er  das  Land,  dass  ihm 
keinen  Tropfen  Blut  gekostet  hat,  sich  hätte  nachträglich 
durch  seine  Arbeit  moralisch  erobern  wollen.  Denn  der 
Netzedistrikt  war  das  Lieblingskind  seines  Alters;  wie 
der  Faust  der  Goetheschen  Dichtung  hat  er  sein  reiches 
Leben  damit  geschlossen,  eine  Einöde  in  fruchtbares 
Gefilde  zu  verwandeln.  Und  wenn  auch  freilich  in  seinen 
beiden  Nachfolgern  sein  Geist  und  seine  Tatkraft  nicht 
fortlebte,  so  haben  doch  auch  sie  in  ehrlicher  Arbeit  ihm 
nachgetrachtet.    Die  Napoleonischen  Wirren  haben  diese 


26  Adolf  Warschauer. 

Bestrebungen  nur  für  einige  Jahre  unterbrechen  können. 
Die  preussischen  Beamten  haben  ruhig  1815  da  wieder 
angefangen,  wo  sie  1806  aufgehört  haben.  Vor  allem  zog 
mit  der  preussischen  Herrschaft  Recht,  Ordnung  und 
Sicherheit  in  das  Land  ein,  das  die  Segnungen  einer 
geordneten  Staatsleitung  schon  mehr  als  ein  Jahrhundert 
hindurch  entbehrt  hatte.  Der  Bauer  wurde  durch  die 
geniale  Stein-Hardenbergsche  Gesetzgebung  zum  freien 
Grundbesitzer,  von  den  Städten  kann  man  wohl  das 
Wort  des  Tacitus  anwenden,  dass  Preussen  sie  als 
hölzerne  übernommen  und  sie  zu  steinernen  gemacht  hat, 
denn  bei  der  Besitznahme  waren  Ziegelhäuser  in  den 
Städten  noch  eine  Seltenheit.  Handel,  Gewerbe  und 
Industrie  wurden  von  Grund  aus  neu  eingerichtet,  wenn 
es  auch  freilich  trotz  aller  Anstrengungen  nicht  gelang, 
die  Tuchindustrie  im  Lande  zu  halten.  Die  Tendenzen 
des  13.  Jahrhunderts,  aus  Deutschland  neue  Arbeitskräfte 
in  das  Land  zu  bringen,  sind  wieder  aufgelebt,  und  wie 
im  16.  Jahrhundert  überflutet  jetzt  wieder  ein  starker 
Strom  deutschen  geistigen  Lebens  befruchtend  das  Land. 
Wenn  wir  das  Verhältnis  unserer  polnischen  Mit- 
bürger zu  dieser  deutschen  Kulturarbeit  betrachten,  so 
müssen  wir  diesen  ganzen  Zeitraum  in  zwei  Perioden 
sondern,  deren  Grenze  das  Jahr  1830,  der  Ausbruch  der 
Revolution  in  Russisch-Polen  bildet.  Vor  dem  genannten 
Jahre  haben  die  Polen  gern,  willig  und  dankbar  die  dem 
Lande  von  der  preussischen  Regierung  entgegen  ge- 
brachten Wohltaten  angenommen  und  beantworteten  sie 
mit  einem  gewissen  preussischen  Patriotismus.  Als  aber 
in  den  ersten  Jahrzehnten  des  19.  Jahrhunderts  in  ganz 
Europa  die  grosse  Nationalitätsidee  zum  Durchbruch  kam 
als  eine  Reaktion  gegen  die  völkeruntereinander  wirbelnde 
Willkür  Napoleons  I.,  da  sind  auch,  wenngleich  spät,  die 
Polen  von  ihr  ergriffen  worden.  Seitdem  hat  sich  in 
unserer  Provinz  der  nationale  Gegensatz  verschärft  und 
zu  dein  politischen  Kampfe  geführt,  in  dem  wir  noch  heute 
stehen,  und  dessen  einzelne  Phasen  zu  beobachten  hier 
nicht  unsere  Aufgabe  sein  kann. 


Die  Epochen  der  Posener  Landesgeschichte. 


27 


Man  hat  vielfach  die  Geschichte   die    Lehrmeisterin 
der  Menschheit  genannt   Man  kann  ihr  diese  Aufgabe  in 
falschem  so  wie  auch  im  richtigen  Sinne  zuweisen.     Wer 
den  Gang  der  Zukunft  Zug  um  Zug  aus    den  Tatsachen 
der  Vergangenheit  ablesen  will,  der  wird  leicht  in  die  Irre 
gehen  und  in  die  Irre  führen.    Nur  der  Vorwitz  eines  un- 
besonnenen Schülers  wagt  es,  mit  unheiligen  Händen  den 
Schleier  der  Zukunft  zu  heben.    Richtig  aber  ist  es,  dass 
auch  die  Geschichte  der  Menschheit   gewissen   Gesetzen 
folgt  und  dass  der  Geschichtsfreund,  der  es  versucht  hat, 
sich  mit  ihnen  vertraut  zu   machen,   mit  klareren  Augen 
in  die  Erscheinungen  seiner  Zeit  wird  sehen  können,  als 
derjenige,  der  nur  diese  kennt  und  dem  das  Heutige  der 
alleinige   Massstab   für  das    Gestrige    und    das   Morgige 
bildet.    Und  so  werden  auch  wir,  nachdem  wir  die  Haupt- 
ideen,   welche    die  ^tausendjährige    Geschichte    unserer 
Heimat  in  den  verschiedenen  Perioden  beherrscht  haben, 
kurz  haben  an  uns  vorübergehen  lassen,   vielleicht  durch 
zwei  Erwägungen  zu   einer  gewissen  Zuversicht   für   die 
Beurteilung    der    jetzigen    schwierigen    Verhältnisse    in 
unserer  Provinz  gelangen.     Zunächst   werden   wir  nicht 
annehmen  dürfen,   dass  die  scharfe,   feindliche  Scheidung 
der  Nationalitäten  in  unserer  Provinz  eine  immerdauernde 
sein  werde.     Wie  wir   gesehen   haben,   hat   die  Provinz 
eine    ähnliche    Zeit    des    Nationalitäten-Gegensatzes    im 
15.  Jahrhundert  bereits  durchgemacht;  damals  ist  er  durch 
das  Emporsteigen   der   religiösen   Idee    der   Reformation 
verdrängt  worden.     Alle  leitenden  historischen  Ideen  ge- 
hören eben   nur   gewissen  Zeiten    an,    sie   verschwinden 
und  machen  andern  Platz,  sie  folgen  hierin  dem  ehernen 
Gesetze  der  Vergänglichkeit,   von  dem  alles  Menschliche 
gelenkt  wird.    Und  auch    wir   können   wohl  jetzt   schon 
sagen,  dass  auch  für  uns  moderne  Menschen  im  Dämmer 
der    Zukunft    neue    Ideen    heraufziehen,    von    denen    es 
scheinen  will,  als  ob  sie  die  jetzt  noch  feindlich  einander 
gegenüber   stehenden  Nationen    zur  friedlichen    gemein- 
samen Arbeit  einigen  werden.    Und  wenn  dies  geschieht, 
dann  können    wir   auf   Grund   der   Lehren   unserer   Ge- 


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28  Adolf  Warschauer. 

schichte  ein  Zweites  erwarten:  dann  werden  unsere 
polnischen  Mitbürger,  wie  zu  allen  Zeiten,  in  denen  der 
nationale  Gegensatz  durch  andere  Ideen  zurückgedrängt 
wurde,  willig  deutsche  wirtschaftliche  und  geistige  Über- 
legenheit anerkennen  und  die  Interessen  ihrer  mit  uns 
gemeinsamen  Heimat  ihren  unerfüllbaren  nationalen 
Tendenzen  voranstellen.  Den  Deutschen  aber  können 
die  Lehren  der  Geschichte  in  dem  Bewustsein  stärken, 
dass  er  dazu  berufen  scheint,  immer  wieder  neue  Kultur- 
elemente in  dieses  Land  zu  tragen  und  dass  gerade  in 
seiner  positiven  Arbeit  das  Heil  des  Landes  ruht  Und 
wir  können  mit  Befriedigung  sagen,  dass  gerade  die  letzte 
Zeit  sich  mehr  und  mehr  mit  diesem  fruchtbaren  Gedanken 
erfüllt  hat,  und  dass  die  deutsche  Arbeit  unbeirrt  von  dem 
nationalen  Gegensatz  heute  auf  den  Wegen  wandelt,  die 
die  alte  Überlieferung  der  Geschichte  des  Landes  ihr 
vorgezeichnet  hat,  und  so  wird  gewiss  auch  die  Hoffnung 
nicht  trügen,  dass,  wenn  auch  nicht  unsere  Generation, 
so  doch  unsere  Söhne  und  Enkel  den  Samen,  den  diese 
Arbeit  in  das  Land  geworfen,  in  Frieden  werden  auf- 
gehen sehen. 


Zur  Geschichte  des  Buchdrucks 
und  Buchhandels  in  Lissa. 

Von 
Wilhelm  Bickerich. 

p  jener  Blütezeit,  die  durch  den  starken  Zustrom 
von  Flüchtlingen  aus  Böhmen  (1628)  und  Schlesien 
1629 — 30)  im  dreissigjährigen  Kriege  herbeigeführt  wurde 
und  bis  zur  Zerstörung  der  Stadt  im  schwedisch -pol- 
nischen Kriege  reichte,  hat  Lissa  zwei  Buchdruckereien 
in  seinen  Mauern  beherbergt.  Die  eine,  jedenfalls  die 
älteste  Buchdruckerei  Lissas,  hatte  bereits  eine  ehr- 
würdige Geschichte  hinter  sich,  als  sie  nach  Lissa  kam. 
In  seiner  Historia  Revelationum1)  erwähnt  Comenius  bei 
einer  Schilderung  der  späteren  Geschicke  der  Seherin 
Christina  Poniatowska,  dass  deren  Gatten,  dem  neu- 
ordinierten Daniel  Vetter,  die  Fürsorge  für  die  aus 
Mähren  nach  Lissa  überführte  kirchliche  Buch- 
druckerei übertragen  worden  sei.  Die  Buchdruckerei 
der  Unität  im  SchJoss  von  Kralic  bei  Willimowitz  in 
Mähren  hatte  ihr  Johann  der  ältere  von  Zerotin  mit 
grossem  Kostenaufwand  angelegt2).  In  ihr  ist  u.  a.  die 
berühmte  Kralitzer  Bibelübersetzung,  eine  Übersetzung 
aus   dem   Grundtext    mit   fortlaufendem    Kommentar,    in 


1)  S.  133.  Vgl.  Monatshefte  der  Comeniusgeseilschaft  1893. 
S.  40  ff.:  Vettero  jam  conjugato  nobiscumque  habitaturo  cessit  typo- 
graphei  ecclesiastici  (e  Moravia  huc  translati)  cura  ad  libros  bonos, 
pro  tempore  hoc  necessarios,  in  lucem  promovendum.  Qua  in  re 
industriosum  ille  se praestitit. 

2)  Nach  Ball,  Schulwesen  der  Böhm.  Brüder,  S.  79  hatte  Z. 
eine  altere  Buchdruckerei  von  Namiest  nach  Kralic  verlegt. 


30  Wilhelm  Bickerich. 

sechs  starken  Bänden  1579 — 1593  erschienen,  jenes 
klassische  Meisterwerk  der  böhmischen  Sprache,  das 
recht  eigentlich  die  böhmische  Schriftsprache  geschaffen 
und  somit  für  Böhmen  die  gleiche  Bedeutung  gehabt  hat 
wie  für  Deutschland  die  Übersetzung  Luthers.  „So  lange 
die  böhmische  Sprache  noch  gesprochen  wird,"  sagt 
Gindely1),  „so  lange  kann  das  Andenken  an  diese  gross- 
artige Arbeit  nicht  erlöschen".  Verfasst  ist  diese  Über- 
setzung durch  eine  von  der  Unitätsleitung  bestellte 
Kommission,  der  acht  Gelehrte  der  Unität  angehörten, 
darunter  um  seiner  hebräischen  Kenntnisse  willen  Lucas 
Helic,  der  Sohn  eines  getauften  Juden  aus  Posen.  Die 
Kralitzer  Druckerei  war  Eigentum  der  Unität,  diese  be- 
stellte stets  einen  ihrer  Priester  zum  Leiter.  Zur  Zeit 
jener  Bibelübersetzung,  die  in  schöner  Lateinschrift  und 
auf  festem  Papier  gedruckt  ist,  stand  die  Druckerei  in 
Kralic  unter  der  Leitung  des  Bruders  Zacharias  Solinus 
(Priester  seit  1581,  f  8.  März  1596  in  Kralic)2);  durch 
seine  Geschicklichkeit  hatten  ihre  Leistungen  eine  früher 
nie  erreichte  Höhe  erstiegen.  Aus  dieser  Zeit  stammen 
auch  die  prunkvoll  ausgestatteten  mit  schönen  Rand- 
arabesken versehenen,  teilweise  auf  Pergament  gedruckten 
böhmischen  Gesangbücher  der  Unität  Auf  einer  Ver- 
sammlung der  Priester  und  Diakonen  aus  Böhmen  und 
Mähren  in  Leipnik  am  16.  Juli  1592  wurde  erwogen, 
dass  die  Kralitzer  Druckerei  für  den  Fall  des  Ablebens 
des  Bruders  Solinus  ohne  geeignete  Leitung  sei,  es  solle 
daher  auf  die  Heranbildimg  eines  tüchtigen  Nachfolgers 
früh  genug  bedacht  genommen  werden;  drei  aus  den 
Brüderpriestern,  nämlich  Polacek,  Elam  und  Valenta 
wurden  in  Vorschlag  gebracht8).  Die  Wahl  scheint  auf 
den  Konsenior  Wenzel  Elam   gefallen  zu  sein,   den   Re- 


*)  Geschichte  der  Böhmischen  Brüder  S.  309.  —  Näheres  über 
die  Kralitzer  Bibel  bietet  Czerwenka,  Geschichte  der  evangelischen 
Kirche  in  Böhmen  S.  500  ff. 

2)  Totenbuch  der  Geistlichkeit  der  Böhmischen  Brüder  ed. 
Fiedler  8.  290. 

3)  Czerwenka  a.  a.  O.  S.  499. 


Zur  Geschichte  des  Buchdrucks  und  Buchhandels  in  Lissa.       31 

genvolscius1)  als  typographiae  administrator  bezeichnet, 
und  der  1622  in  Namiest  gestorben  ist,  also  ihr  Ende  im 
mährischen  Vaterlande  erlebt  hat  Über  die  Überführung 
der  Druckerei  nach  Lissa  haben  wir  keine  näheren 
Nachrichten,  vielleicht  hat  Karl  von  Zerotin  sie  bei  seiner 
Übersiedlung  nach  Breslau  bis  dahin  mitgenommen  und 
von  dort  aus  gelegentlich  weiter  nach  Lissa  gesendet. 
Inwieweit  sie  bei  dem  Transport  gelitten  hat,  wissen  wir 
auch  nicht,  doch  zeigen  ihre  späteren  zahlreichen  und 
teilweise  sehr  ansehnlichen  Veröffentlichungen,  insbe- 
sondere das  deutsche  Gesangbuch,  dass  sie  jedenfalls 
wieder  in  einen  würdigen,  wenn  auch,  wie  wir  sehen 
werden,  den  Ansprüchen  der  in  der  Unität  geleisteten 
Geistesarbeit  nicht  zureichenden  Zustand  versetzt  worden 
ist.  Vielleicht  sind  mit  ihr  dabei  die  Reste  derjenigen 
Druckerei  vereinigt  worden,  welche  die  polnische  Unität 
einst  in  Samter  besessen  hat.  Dort  ist  im  Jahre  1561 
das  polnische  Gesangbuch  der  Brüder,  Kancyonal  braci 
czeskich,  gedruckt  worden,  zu  dem  der  berühmte  böhmische 
Senior  Blahoslaw  55  Lieder  geliefert,  auch  das  Register 
angefertigt  hat2),  ausserdem  Wawrzynca  Krzyszkow- 
skiego  rozmowa  czterech  bratöw  Waldenskich  o  pe- 
wnoSci  zbawienia  (Gespräch  von  4  Waldensischen  Brü- 
dern über  die  Gewissheit  der  Erlösung)8).  Der  Aus- 
druck des  Regenvolscius4)  lässt  es  freilich  nicht  sicher 
erscheinen,  ob  wirklich  auch  diese  Druckerei  nach  Lissa 
überführt  worden  ist.  Wenn  dies  geschehen  ist,  dann 
spätestens  1620,  da  in  diesem  Jahre  der  Gottesdienst  der 


*)  Systeraa  historico-chronologicum  ecclesiarum  Slavonicarum 
S.  339- 

*)  Gindely  a.  a.  O.  II  472.  —  Werncr-Steffani  (siehe  unten) 
gibt  als  Jahreszahl  1569  an. 

*)  Werner-Steffani,  Geschichte  der  evang.  Parochien  in  der 
Provinz  Posen  S.  327  nach  Raczynski  „Wspomnienia  Wielk.a 

4)  a.  a.  O.  S.  118.  Typographia  Unit.  Fratr.  Maj.  Pol.  in  usus 
ecclesiarum  et  scholarum  ad  recudendos  pios  libellos  erecta  fuit 
olim  Szamotuly,  tandem  Lesnae. 


32  Wilhelm  Bickerich. 

Brüder  in  Samter  ganz  aufgehoben  worden  ist,  nachdem 
ihnen  die  Pfarrkirche  schon  1594  genommen  war1). 

Die  frühesten  Lissaer  Drucke,  welche  uns  bekannt 
sind,  wohl  die  ersten,  die  aus  der  neuerrichteten  Unitäts- 
druckerei  hervorgegangen  sind,  datieren  aus  den  Jahren 
1630 — 32  und  stammen  meist  aus  der  Feder  des  Comenius2) . 
Es  sind  dies  folgende: 

1.  Praxis  pietatis  To  jest  O  Cwiceni  se  w  Poboz- 
nosti  praw6.  Böhmische  Übersetzung  eines  englischen 
Erbauungsbuches  des  Lewis  Bayly,  bishop  of  Bangor,  an- 
gefertigt durch  Comenius.  Der  erste  Teil  erschien  Lissa  1630, 
der  zweite  1631  (spätere  Ausgabe  1640). 

2.  J.  A.  Comenii  Janua  linguarum  reserata.  Lissa 
im  Anfang  des  J.  1631. 

3.  Historie  o  umuceni  srmti päna  nasseho  Jezise 

Krista  w  Lesne  1631,    eine   Harmonie  der  Leidens-  und 
der  Auferstehungsgeschichte,  angefertigt  von  Comenius. 

4.  Ratio  disciplinae  ordinisque  ecclesiastici  in  Uni- 
täte  fratrum  Bohemorum,  die  Kirchenordnung  der  Unität, 
wie  sie  bereits  auf  der  Synode  in  Zeravic  in  Mähren  1616 
festgestellt  worden  war  und  in  Lissa  1632  gedruckt  worden 
ist  Auf  der  Synode  zu  Lissa  1632  lag  das  Buch  schon 
halbgedruckt  vor  und  ist  noch  in  demselben  Jahre  fertig- 
gestellt worden.  Comenius  hat  eine  kleine  Schrift  über 
den  Unterschied  der  kath.  und  evang.  Konfession  bei- 
gefügt. 

Leiter  der  Druckerei  in  dieser  Zeit  seit  der  Über- 
führung nach  Lissa,  vermutlich  wohl  schon  seit  dem  Tode 
Elams  bis  zum  Jahre  1632  und  damit  der  erste  Drucker 
Lissas  ist  der  Unitätspriester  Mathäus  Krokocinsky  ge- 
wesen, über  den  uns  nichts  weiter  bekannt  ist,  als  dass 
er  wohl  im  Jahre  1632  gestorben  ist.  Unter  den  Dekrety 
der  Synode  der  böhmischen  Exulanten  vom  6.  Oktober  1632 


i)  Kohte,  Kunstdenkmäler  III  S.  48. 

a)  Vergl.  zum  Folgenden  die  Bibliographie  von  Kvacala,  Leben 
des  Comenius  Anhang  II  und  Jos.  Müller  in  den  Monatsheften  der 
Comcniusgesellschaft  1892  S.  19  ff. 


Zur  Geschichte  des  Buchdrucks  und  Buchhandels  in  Lissa.       33 

zu  Lissa  findet  sich  nämlich  folgender  Beschluss1),  der 
zugleich  zeigt,  welchen  Wert  die  Unität  noch  im  Exil  auf 
ihre  Druckerei  legte:  „Da  Gott  der  Herr  in  den  ver- 
gangenen Tagen  Br.  Mathäus  Krokocinsky,  den  Buch- 
drucker, aus  der  Welt  genommen,  so  wurde  zum  Im- 
pressor  derselben  Druckerei  Br.  Daniel  Vetter  erwählt,  so 
dass  er  von  diesem  Augenblick  an  die  Fürsorge  für  die- 
selbe übernehmen,  alles  unter  Rechnimg  und  Register 
bringen  und,  wie  es  notwendig  ist,  um  diesen  Schatz  der 
Unität  sorgen  solle,  was  er  auch  auf  sich  nahm.  In- 
zwischen wurden  ihm  zur  Vollendung  der  Unitätsordnung 
(d.  i.  der  obengenannten  Ratio  disciplinae)  und  dessen,  was 
mehr  nötig  sei,  die  Söhne  Krokocinskys  als  Hilfsarbeiter 
belassen.  Welche  Aufgabe  ihnen  eigentlich  zufalle,  das 
zu  bestimmen  und  zu  unterscheiden,  vertraute  man  dem 
Br.  Mathäus  Prokop  in  Lissa  mit  seinen  Hilfsgenossen." 
Hiernach  hatte  der  Senior  Mathäus  Prokop,  „ein 
Mann  von  geradem  aufrichtigem  Herzen  und  ausge- 
zeichnetem Urteil",  wie  ihn  Regen volscius2)  nennt,  die 
Oberaufsicht  über  die  Druckerei  zu  führen  ganz  im  Ein- 
klang mit  der  Kirchenordnung3)  der  Unität,  die  unter  den 
Pflichten  der  Senioren  nennt:  „Die  Fürsorge  für  die 
Druckerei  der  Unität  liegt  allen  (d.  i.  Senioren)  gleich- 
massig  ob,  die  Aufsicht  (inspectio)  aber  einem,  der  ganz 
in  der  Nähe  wohnt."  Nach  dem  Tode4)  des  Prokop 
hat  wohl  Comenius  als  der  einzige  am  Ort  wohnende 
Senior  der  böhmischen  (nicht  polnischen)  Unität,  zumal  er 
zugleich  deren  Notarius  war,  die  Aufsicht  geführt. 


J)  Cindely,  Dekrety  Jednoty  Bratrskö,  Prag  1865  S.  282.  Die 
obige  deutsche  Übersetzung  verdanke  ich  der  Güte  des  Herrn 
Privatdozenten  Dr.  Jaroslav  Bidlo  zu  Prag,  auf  dessen  für  die  Kirchen- 
geschichte unserer  Provinz  bedeutsames  Werk,  das  hoffentlich  bald 
in  deutscher  Übersetzung  erscheinen  wird,  ich  bei  diesem  Anlass 
hinweisen  möchte:  Jednota  Bratrskä  v  prvnim  vyhnanstvi,  die 
Brüder-Unität  im  Exil,  Teil  II  Prag  1903  (von  1561— 1572). 

*)  a.  a.  (X  S.  322. 

8)  ed.  Buddeus  S.  17. 

*)  16.  Febr.  1636  zu  Lissa. 

Zeilschrift  der  Hist.  Ges.  fttr  die  Ptoy.  Posen.    Jahrg.  XIX.  3 


34  Wilhelm  Bickerich. 

Der  neue  Drucker,  Daniel  Vetter,  entstammte  einem 
alten  Unitätsgeschlecht,  das  eigentlich  den  Namen  Strejc 
(Stregiciüs)  führte1).  Drei  ältere  Brüder  hatten  bereits  im 
Dienst  der  Unität  gestanden  und  waren  früh  gestorben. 
Sogar  ihr  Vater  schon  —  bei  der  Hochschätzung,  welche 
das  Coeiibat  in  der  alten  Unität  genoss,  war  dies  ein 
damals  noch  seltener  Fall  von  Fortpflanzung  des  geist- 
lichen Amtes  in  einer  Familie  —  Georg  Strejc  war  ein 
um  die  Unität  sehr  verdienter  Consenior  gewesen2).  Zwar 
hat  er  ihr  auch  einmal  Ärgernis  bereitet  und  auf  der 
Versamnüung'in  Leipnik8)  1591  eine  Rüge  erhalten,  einmal 
weil  er  sich  eigenmächtig  ohne  Erlaubnis  der  Senioren  ver- 
heiratet, sodann  weil  er  in  Streitigkeiten  mit  den  Lutheranern 
den  damals  noch  gefürchteten  Schein  des  Kalvinismus  auf  die 
Unität  gebracht  hatte.  Doch  war  er  auf  der  andern  Seite  einer 
ihrergelehrtesten,  tüchtigsten  und  eifrigsten  Arbeiter.  So  hatte 
er  die  Maximilian  II.  überreichte  Konfession  mitverfasst,  hatte 
Lieder  gedichtet4)  und  die  Psalmen  in  böhmischer  Sprache 
nach  französischen  Melodien  sangbar  gemacht,  auch  Cal- 
vins Hauptwerk  ins  böhmische  übertragen,  vor  allem  aber 
war  er  einer  der  hauptsächlichsten  Mitarbeiter  an  der 
Kralitzer  Bibelübersetzung.  Vielleicht  ist  der  letztere  Um- 
stand mitbestimmend  gewesen  für  die  spätere  (1632)  Be- 
stimmung seines  Sohnes  Daniel  zum  Leiter  der  Druckerei 
in  Lissa.  Dieser  hatte,  als  er  nach  Lissa  kam,  bereits 
ein  bewegtes  Leben  hinter  sich.  In  der  kurzen  Zeit  des 
Winterkönigtums  war  er  Hofmeister  des  böhmischen 
Kronprinzen  gewesen  und  hatte  sich  dann  nach  Holland 
begeben,  von  wo  aus  er  grosse  Reisen  gemacht  haben 
muss.  Wenigstens  hat  er  in  Gemeinschaft  mit  dem 
Mähren  Joh.  Salmon  eine  Beschreibung  der  Insel  Island 
und    zwar    auf    Grund    eigener    Kenntnis    und    Durch- 


1)  Vgl.  Regenvolscius  a.  a.  O.  S.  327  ff. 

2)  t  1599  in  Zidlohovice. 

»)  Gindely,  Geschichte  der  böhmischen  Brüder  II  S.  325. 
*)  Wackernagel,  das  deutsche  Kirchenlied  IV  S.  459  ff.  bringt 
7  Lieder  von  Georg  Strejc  zum  Abdruck. 


Zur  Geschichte  des  Buchdrucks  und  Buchhandels  in  Lissa.       35 

Wanderung  herausgegeben1).  In  Lissa  gelang  ihm,  worum 
sich  etliche  vor  ihm  vergebens  gemüht  hatten,  die  Hand 
Christina  Poniatowskas,  der  Pflegetochter  des  Comenius, 
zum  ehelichen  Bunde  zu  gewinnen.  Bezüglich  der  inter- 
essanten Geschicke  dieser  berühmten  Seherin,  die  Co- 
menius durch  eine  merkwürdige  Verkettung  von  Umständen 
i.  J.  1627  im  Schioss  zu  Branna  bei  Hohenelbe  in  Nord- 
böhmen kennen  gelernt  hatte,  wie  auch  ihres  Vaters, 
eines  den  Leszczynski  verwandten  polnischen  Edelmannes, 
können  wir  hier  nur  auf  die  einschlägigen  Schilderungen 
Kvacalas2)  verweisen.  Gerade  zu  der  Zeit,  da  unter  dem 
Eindruck  der  Siegeszüge  Gustav  Adolphs  ihr  prophe- 
tisches Ansehen  unter  den  Exulanten  seinen  Höhepunkt 
erreicht  hatte,  und  auf  derselben  Synode  in  Lissa,  auf  der 
ihr  Erwählter  die  pastorale  Ordination  empfangen  hatte, 
wurde  sie  ihm  feierlich  vor  versammelter  Synode  tamquam 
pupilla  ecclesiae8)  angetraut,  sodass  das  übliche  Abschieds- 
mahl der  Synodalen  sich  zugleich  zum  Hochzeitsmahl  ge- 
staltete. Nach  Comenius  ist  sie  eine  wackere  Hausfrau 
geworden,  die  ihrem  Gatten  in  i2Jähriger  glücklicher  Ehe 
treu  verbunden  war.4)  Dan.  Vetter  wurde  wohl  auch  in  be- 
sonderer Rücksicht  auf  seine  Heirat  und  sein  Verhältnis  zu 
Comenius,  mit  dem  er  in  einem  Hause  gewohnt  zu  haben 
scheint5),  nicht  zu  einer  auswärtigen  Gemeinde  entsandt, 
sondern  zum  Leiter  der  Druckerei  bestellt,  in  welchem 
Amt  er  grossen  Eifer  bewies.  Allerdings  hatte  er  mit 
Schwierigkeiten  im  Zustand  der  Druckerei,  insonderheit 
einem  Mangel  an  Lettern  zu  kämpfen.  So  schreibt  Co- 
menius an  den  Pastor  Niclassius  in  Danzig  in  einem 
Briefe,  darin  er  die  Ausgabe  verschiedener  seiner  Schriften 


*)  Regenvolscius  a.  a.  O.  S.  337. 

2)  Leben  des  Comenius  und  „des  Comenius  Aufenthalt  in  Lissa", 
Zeitschrift  der  Hist  Gesellschaft  Posen,  Jhrg.  VIIL  Über  Ponia- 
towski  vgl.  Regenvolscius  a.  a.  O.  S.  335. 

*)  Doch  wohl  einfach  in  Bezug  auf  ihre  Verwaisung  mit 
„Mündel*  zu  übersetzen,  nicht,  wie  Kvacala  meint,  „Augenstern". 

*)  f  Juni  1644  anscheinend  an  Schwindsucht. 

5)  nobiscumque  habitaturo  .  .  Comenius,  Historia  revel.  S.  133. 


36  Wilhelm  Bickerich. 

ankündigt1):  „Es  war  der  Wunsch  des  edlen  Schutzherrn, 
dass  jenes  alles  hier  in  Lissa  gedruckt  werde.  Indessen  weil 
wir  an  einen  Mangel  an  Typen  leiden,  und  mein  Sinn  dahin 
steht,  das  dem  Hünefeldt  (einem  Drucker  in  Danzig,  der  1633 
für  Polen  Privilegium  auf  die  Janua  linguarum  erhielt)  ge- 
gebene Wort  zu  halten,  werde  ich  ihm  jene  wichtigeren 
Werke  zum  Abdruck  übersenden,  während  etliche  kleinere, 
insbesondere  meine  deutschen  Schriften  für  das  niedere 
Volk,  unserer  Druckerei  vorbehalten  bleiben."  Bei  den 
letzten  Worten  hat  Comenius  gewiss  an  das  „Informa- 
torium  der  Mutterschule"  gedacht,  das  1633  zuerst  in 
Lissa  erschienen  ist  Ausser  mit  Andres  Hünefeldt2)  hat 
Comenius  von  auswärtigen  Druckern  und  Verlegern  be- 
sonders mit  Gottfried  Gross  in  Leipzig  und  Wolfgang, 
später  Michael  Endter  in  Nürnberg  in  Verbindung  ge- 
standen, bis  er  nach  der  Übersiedlung  nach  Amsterdam 
dortige  Buchhändler  bevorzugte.  Doch  scheint  es  Vetter 
gelungen  zu  sein,  Abhilfe  für  die  Lissaer  Druckerei  zu 
schaffen.  So  erschien  bei  ihm  i.  J.  1639  die  sechste  Aus- 
gabe des  deutschen  Gesangbuchs  der  Unität  (mit  360 
Liedern  böhmischer  und  155  deutscher  Verfasser)  in  Quart 
unter  dem  Titel:  „Kirchengesänge,  darinnen  die  Haupt- 
artikel des  christlichen  Glaubens  kurz  verfasset  und  aus- 
gelegt sind,  jetzt  aber  von  newem  durchsehen  und  ge- 
mehret Anno  MDCXXXIX"8),  während  hinten  steht: 
„Gedruckt  zur  Lissaw  in  Gross  Pohlen  durch  Danielem 
Vetterum*.  Bereits  1634  waren  die  seit  1639  stets  dem 
Gesangbuch  beigefügten  Lobwasserschen  Psalmen  von 
Vetter  gedruckt  worden.  Ebenso  sind  später  auch  grössere 
und  wichtigere  Werke  des  Comenius  von  wissenschaft- 
lichem Charakter  zuerst  in  Lissa  bei  Vetter  erschienen, 
so  1649  Linguarum  methodus  novissima  samt  neuer  Be- 
arbeitung des  Vestibulum  und  der  Janua.  Ein  Empfehlungs- 

*)  Korrespondence  Komenskeho  ed.  Patera  S.   19. 
2)  Einen  interessanten  Briefwechsel  mit  ihm  enthält  die  Kor- 
respondence Komenskeho  ed.  Kvalala  II  S.  169  ff. 

8)  Ein  Exempl.  in  der  Bibl.  der  Johanneskirche  in  Lissa. 


Zur  Geschichte  des  Buchdrucks  und  Buchhandels  in  Lissa.       37. 


schreiben  des  Petrus  Colborius1)  in  Leipzig  sagt  von 
diesen  Büchern,  dass  sie  „in  8vo  zur  Polnischen  Lissa  bey 
H.  Daniel  Vettero  gedrucket  und  hier  (in  Leipzig)  bei  den 
Grossischen  Erben  zu  finden  seyen",  und  fordert  zum 
Schluss  auf,  „wer  Erinnerungen  an  diesen  Büchern  zu 
machen  habe,  der  wolle  sie  entweder  durch  einen  öffent- 
lichen Druck  oder  durch  geheime  Schrift  ins  Werk  setzen 
und  die  Schrift  nach  der  Polnischen  Lissa  an  den  Buch- 
drucker, H.  Daniel  Vettern,  durch  welchen  sie  weiter  an 
H.  Comenium  bestellet  werden  wird,  unbeschwert  über- 
senden". Im  gleichen  Jahre  1648  erschien  auch  in  Lissa 
der  von  Comenius  herausgegebene  Auszug  aus  Johannis 
Lasitii  Historia.  Von  anderen  Schriften  des  Comenius 
sind  noch  folgende  zuerst  in  Lissa  und  zwar  —  ausge- 
nommen zwei  mit  entgegenstehender  Angabe  —  jedenr 
falls  in  der  Kirchenoffizin  oder  bei  Vetter  gedruckt  worden : 
i-  1633  Centrum  securitatis,  eine  böhmische  Erbau- 
ungsschrift. 

2.  1634  „zur  Pestzeit"  o  Syrobe  (Von  der  Ver- 
waisung), desgl. 

3.  1635  Na  spis  proti  .  .  .  und 

4.  1637  Cesta  pokoje,  böhmische  Streitschriften 
gegen  Samuel  Martinius  in  Pirna. 

5.  1637  De  sermonis  latini  studio. 

6.  1638  Die  Frage  ob  Christus  sich  selbst  aufer- 
wecket:  Gegen  den  Socinianer  Scheffer. 

7.  1638  Conatuum  pansophicorum  dilucidatio  .  .  . 
zunächst  nur  zur  Mitteilung  an  Freunde  gedruckt. 

8.  1649  O  Wymitani  ....  Däbelstvi  (Von  der 
Austreibung  eines  stummen  und  jedes  anderen 
Teufels)  Predigt  in  Lissa  1649  über  das  Evan- 
gelium am  Sonntag  Oculi. 

9.  1650  Kssafft  Umirajici  Matky  (Testament  der  ster- 
benden Mutter). 

10.  1655  Boj  s  Bohem  Modlitbämi . . .  (Gebetskampf 
mit  Gott)  Predigt  in  Kriegsgefahr  über  Ps.  31  1—6, 
am  24.  Sept  1655. 

*)  Korrespondence  Komensk£ho  ed.  Kvadala  S.  140  u.  143. 


38  Wilhelm  Bickerich. 

ii.  1655  Hystorya  o  tezkych  protivenstvlch  Cyrkve 
Ceske,  die  böhmische  Ausgabe  der  Historia 
persecutionum. 

12.  1656  Januar.    Evigila  Polonia. 

13.  1656  Enoch.    Predigt  am  9.  Januar  1656. 

14.  Matuzal6m,  Predigt  beim  Begräbnisdes  Conseniors 
Wenzel  Lochar  am  25.  Januar  1656. 

Hingegen  trägt  die  Leichenpredigt  des  Comenius  auf 
den  Grafen  Raphael  Leszczynski  „Spiegel  gutter  Obrig- 
keit 1636"  die  Aufschrift:  „Gedruckt  zur  Polnischen  Lissa 
durch  Wigandum  Funck,"  über  dessen  Druckerei  unten 
näher  berichtet  werden  wird.  Ebenso  hat  er  1649  typis 
Funccianis  eine  Metaphysik  auf  nur  5  Blättern  heraus- 
gegeben, die  schon  1678  so  selten  geworden  war,  dass 
sich  auch  unter  den  Verwandten  des  Comenius  kein 
Exemplar  mehr  fand1).  Vermutlich  haben  zu  den  be- 
treffenden Zeiten  die  Kräfte  der  ihm  am  nächsten 
stehenden  Kirchendruckerei  nicht  ausgereicht,  so  dass  er 
die  des  lutherischen  Funck  in  Anspruch  nahm. 

Natürlich  war  aber  auch  abgesehen  von  den  offiziellen 
Aufgaben  für  die  Kirche  (Gesangbuch,  Kirchenordnung) 
Comenius  nicht  der  einzige  Autor,  der  die  Druckerei 
benutzte.  Neben  ihm  ragen  unter  den  damaligen  Schrift- 
stellern der  Unität  besonders  3  hervor:  Johann  Jonston, 
Johann  Bythner  und  Georg  Vechner.  Johann  Jonston,  der 
berühmte  Arzt  und  Polyhistor,  liess  seine  Werke,  auch  die 
für  den  Gebrauch  des  Lissaer  Gymnasiums  bestimmte 
Historia  civilis  et  ecclesiastica,  meist  nicht  in  Lissa  erscheinen 
sondern  in  Leyden  (dort  1633  die  erste  und  1638  die  zweite 
Ausgabe  der  genannten  Historia),  Jena,  Brieg,  Breslau, 
Frankfurt  a.  M.  Von  Lissaer  Ausgaben  seiner  zahlreichen 
und  die  verschiedensten  Gegenstände  behandelnden 
Schriften  sind  mir  nur  folgende  und  diese  auch  nur  aus 
einer  Handschrift  der  Breslauer  Stadtbibliothek8)  bekannt 
geworden: 


1)  Korrespondence  Komenskeho  ed.  Kva&ria  II  S.  158. 

*)  Der  Titel  lautet:  „Jonstoniana  derer  Jonston  auss  Schottland." 


Zur  Geschiebte  des  Buchdrucks  und  Buchhandels  in  Lissa.       39 

Joh.  Jonstoni,  Poloni,  Philosophi  et  Medici  Lesnensis 
Horae  Subcisivae  seu  rerum  toto  orbe  ab  universi  exortu 
gestamm  idea.  Lesnae  1639.  Dedic.  IUustrissimo  Comitum 
Leszcziniorum  utriusque  ordinis  pari  Andreae  Abbati 
Premetensi,  nominato  episcopo  Wendensi,  et  Johanni 
Palatinidae  Brestensi  Cujaviensi. 

Ejusdem  Horarum  subeisivarum  pars  seeunda 
„Historiae  Monarchiarum  orientalium  seu  rerum  ab  excidio 
regni  Judaici  ad  finem  monarchiae  Macedonicae  gestamm 
ideam  libris  III  exhibens.  Lesnae  1639.  Dedic.  111.  Heroi 
Boguslao  Comiti  in  Leszno,  Palatinidae  Belzensi."  Der 
Drucker  ist  nicht  aufgeführt,  wahrscheinlich  war  es  Vetter, 
Johann  Bythner1)  (1602 — 1675),  Sohn  des  ref.  Seniors  von 
Kleinpolen  Bartholomäus  B.,  Pfarrer  in  Mielencin,  Dembnica, 
Karmin  und  Schokken,  Senior  der  Unität  in  Grosspolen, 
bekannt  als  Vertreter  der  ref.  Partei  auf  dem  Thorner 
Religionsgespräch,  hat  i.  J.  1655  seine  selten  gewordene 
„Postylle  .  .  .  w  Lesznie  u  Daniela  Vetterusa"  drucken 
lassen.  —  Georg  Vechner2)  (1590 — 1647),  Doktor  der 
Theologie,  aus  Freystadt  in  Schlesien,  war  einer  der 
bedeutendsten  Professoren  an  dem  berühmten  Beuthener 
Gymnasium,  nach  dessen  Aufhebung  er  1628  nach  Lissa 
kam  und  dort  i.  J.  1639  die  Ordination  zum  Predigtdienst 
der  Unität  empfing.  Ohne  ein  bestimmtes  Amt  an  einer 
Gemeinde  zu  bekleiden,  vielmehr  immer  noch  auf  Wieder- 
herstellung der  Beuthener  Anstalt  hoffend,  hat  er  als 
Privatmann  in  Lissa  gelebt,  offenbar  häufig,  besonders 
zur  Festzeit,  der  deutschen  Gemeinde  der  Unität  gepredigt, 
vor  allem  aber  ist  er  ebenso  wie  sein  Bruder  David  als 
Mitarbeiter  des  Comenius  bei  Durchsicht  der  Schriften 
desselben  tätig  gewesen8),  bis  er  im  Jahre  1646  die 
Berufimg  zum  Pastor,  Superintendenten  und  Direktor  des 
Gymnasiums  in  Brieg  annahm,  welche  Stellung  er  nur  ein 
Jahr  hat  bekleiden  dürfen.    Eine  Reihe  von  theologischen 

*)  Regenvolscias  a.  a.  O.  S.  392. 

3)  EbendortS.117  0.380,  vgLKlopsch,  Geschichte  des  berühmten 
Sehönaichschen  Gymnasiums  zu  Beuthen  S.  113  ff. 

*)  Ball,  das  Schulwesen  der  böhmischen  Brüder  S.  212. 


40  Wilhelm  Bickerich. 

Untersuchungen  in  lateinischer  Sprache  und  deutschen  Pre- 
digten1) zeugen  von  gründlicher  Gelehrsamkeit,  scharfer 
Denkart  und  warmer,  milder  Frömmigkeit  So  stammen  aus 
seiner  Lissaer  Zeit  und  sind  meist  entweder  ausdrücklich 
oder  doch  wahrscheinlich  bei  Dan.  Vetter  gedruckt  (2  bei 
Funck)  folgende  Schriften: 

1636  Regia  animi  Professio,  eine  Erklärung  des  101  sten 

Psalmes.    Typis  Funccian.  8. 
1639  Sinus  Abrahae  ad  Luc.  16.  22.  8.  2te  Aufl.  1646 
exofficinaTypographicaDanielisVetteri,Gymnasii 
Typographi.    3te  Aufl.  ohne  Druckort  1678. 

1639  Der  Anfang  des  Evangelii  Johannis  von  dem 
Worte,  das  da  Gott  war  und  Fleisch  worden  ist 
Lissa  8  (später:  Holmiae  et  Upsaliae). 

1640  Austeritas  Christi  erga  matrem  . . .  Joh.  2,4  in  8. 
(Neue  Ausgabe  Kopenhagen  1737). 

1640  Der  hochnachdenkliche  und  sehr  bewegliche 
Warnungs-Spruch  Jesu  Christi  von  der  Sünde 
der  Lästerung  wider  den  heiligen  Geist 
Pfingstpredigt,  den  Senioren  der  Unität  (darunter 
Comenius)  gewidmet. 

1640  Dreyfache  Straffung  oder  Überweisung  der  Welt 
Joh.  16,5 — 15.  Predigt  an  Cantate . .  bei  Funck. 

1643  Synodalische  Erinnerungspredigt  bei  Zusammen- 
kunft der  vereinigten  evangelischen  Brüderschaft 
zu  Lissa  in  Grosspolen,  über  Joh.  16,  7  in  4. 

1644  2*6koip  seu  Palus  Pauli  (Pfahl  im  Fleisch)  .  .  . 
ad  II  Cor.  12,7;  8  (bei  Vetter). 

Auch  2  Leichenreden,  die  er  in  Lissa  1641  und  1644 
dem  Büchsen-  und  Pulvermacher  Martin  Zugehör  und 
(1641)  dessen  Ehegattin  gehalten  hat,  sind  gedruckt 
worden,  die  2te  (bei  Funck)  unter  dem  Titel:  „Ob  das 
Pulver-  und  Büchsenmachen  bei  einem  Christen  auch  ver- 
antwortlich sei2)? 


l)  Ein  Sammelband  befindet  sich  in  der  Bibliothek  der  Kreuz- 
kirche zu  Lissa,  die  übrigen  nach  Klopsch  a.  a.  O.  S.  321  ff. 

*)  Die  erste  ist  erhalten  in  der  Bibliothek  der  Johanniskirche 
in  Lissa  —  beigefügt  ist  eine  Reihe  von  Gedichten  verschiedener 


Zur  Geschichte  des  Buchdrucks  und  Buchhandels  in  Lissa.       41 

Überhaupt  sind  nach  der  Sitte  der  Zeit  bereits  damals, 
wie  später  noch  mehr,  auch  in  der  Unität  eine  Fülle  von 
Gelegenheitsreden  im  Druck  veröffentlicht  worden.  Ein 
Verzeichnis  von  „Predigten  der  Brüder  aus  der  Unität" 
im  Archiv  der  Lissaer  Johanniskirche1)  hat  uns  auch  aus 
der  Zeit  1633 — 1656  eine  Reihe  von  Titeln  aufbewahrt,  so 
eine  polnische  Leichenrede  auf  Nikolaus  Latalski  vom  Senior 
Daniel  Mikolajewski  (1633)  desgl.  auf  Andreas  Firley,  auf 
den  Woiwoden  von  Sendomir  Pandlowski  (1650),  auf  den 
Senior  Thomas  Wengierski  (1653).  Ferner  „Klage  Jesu  über 
Jerusalem  und  Deutschland  durch  Martinum  Gertichium, 
Seelsorger  der  deutschen  Gemeinde  der  B.  C.  in  der  alten 
Kirche  in  Lissa"  (1637,  Boguslaw  Leszczynski,  Johann 
Schlichting  und  dem  Senat  in  Lissa  gewidmet),  Reden 
bei  der  Eheschliessung  des  Nikolaus  Latalski  mit  einer 
Broniewska  durch  Jan  Bythner  und  Michael  Hesperus 
(Pastor  in  Schokken)  1641,  Nagrobek  (Grabmal)  Balthasara 
van  Metteren  Grafa  van  Luick  przez  Daniela  Kalaiego 
past  Szczepanowskiego  (1654)  —  letztere  beiden  nach 
ausdrücklicher  Angabe  bei  Dan.  Vetter  in  Lissa  gedruckt 
Besondere  Hervorhebung  verdient  die  Sammlung  latei- 
nischer Klagelieder  von  den  Professores  et  Praeceptores 
des  aufgehobenen  Beuthener  Gymnasiums  anlässlich  der 
Beisetzung  des  unglücklichen  Freiherrn  Johannes  von 
Schoenaich2)  in  der  alten  d.  i.  ref.  Kirche  in  Lissa  1642.  4 
(bei  Dan.  Vetter),  die  letzte  öffentliche  Kundgebung  der 
berühmten  Lehranstalt. 

Dem  letzten  Jahrzehnt  der  Vetterschen  Druckerei 
entstammt  noch  eine  kleine  aber  bedeutsame  Schrift 
amtlichen  Gepräges,  nämlich:  „General-  und  Special- 
Bekäntnüss . . .  von  den  Evangelischen  Reformierten  Kirchen 
im  Königreich  Pohlen  . . .  durch  Ihre  Delegaten  auff  dem 
Colloquio  zu  Thorn  im  Jahre  Christi  1645  verfasset  und 
tibergeben  ....    Dem  gemeinen  Mann  zum   besten   auss 

Verfasser,  darunter  von  Joh.  und  Samuel  Heermann,  Joh.  Jonston. 
der  Dichterin  Anna  Memorata. 

l)  A  I  17. 

*)  Der  vollständige  Titel  bei  Klopsch  a.  a.  O.  S.  193  ff. 


42  Wilhelm  Bickerich. 

dem  Lateinischen  . . .  übersetzt . . .  Gedruckt  zu  Lissa  bey 
Daniel  Vettern  1650".  Die  Veröffentlichung  dieser  Über- 
setzung des  Thorner  Bekenntnisses  in  der  Unitätsdruckerei 
zu  Lissa  ist  wohl  mit  ein  Beweis  für  die  anderwärts  näher 
zu  begründende  These,  dass  die  Verschmelzung  der  Unität 
in  Grosspolen  mit  der  reformierten  Kirche  wesentlich  aus 
dem  Thorner  Religionsgespräch  herstammt 

Ob  die  Druckerei  im  Laufe  der  Zeit  in  Vetters  Eigen- 
tum übergegangen   ist,   mag    dahingestellt    bleiben.     Die 
spätere  Ausdrucksweise:  ex  officina  Danielis  Vetteri  Gym- 
nasii  Typographi  scheint  darauf   hinzudeuten.    Jedenfalls 
hat  sie  i.  J.  1656  in   der  Zerstörung  Lissas  ihr  Ende  er- 
reicht   „Dieses  Vetteri  Officin  ist  im  ersten  Brande  zer- 
schmolzen, und  sind  viel  nützliche  Schriften  und  Dokumente 
zugleich  mit  in  die  Luft   geflogen  und  verbrannt**,   heisst 
es  in  einem  etwa  aus  dem  Jahre  1750  stammenden  Blatt: 
„Von  der  Lissnischen  Buchdruckerey"1),  das  sonst  wenig 
Kenntnis  von  dem  Umfang  und  Ursprung  der  Vetterschen 
Druckerei   verrät     Comenius  erwähnt   in   dem   Brief  an 
den  Buchhändler  Montanus,  dass  sein  kostbares  Lexikon 
der    böhmischen    Sprache,    das  nach   30jähriger   Arbeit 
endlich    im    Jahre    1656    zum    Druck    befördert     wurde, 
mitsamt  der  Druckerei  und  der  ganzen  Stadt  Lissa  in  dem 
unverhofften   Brande  untergangen  sei.     Doch  findet  sich 
merkwürdigerweise  noch  in  den  späteren  Protokollen  des 
reformierten    Presbyteriums    die    Erwähnung    einer    im 
Eigentum  der  Kirche  befindlichen  Buchdruckerei,  woraus 
wohl  zu  schliessen  ist,  dass  Reste  der  Vetterschen  Offizin 
gerettet  und  lange  Zeit  verwahrt  worden  sind.    Es  heisst 
da  unter  dem  8.  Dec.  1682:  „1.  Wurde  deliberieret  wegen 
des  Cancionals,  wie,  wo  und  wann  es  zu  drucken.    Man 
kunnte  aber  auff  keinen  Schluss  kommen.    Und  hat  man 
es  auff  künftige  Session  aufgeschoben.    (Das  Gesangbuch 
ist  im  Jahre   1694  in  8ter  Ausgabe  erschienen.)     2.  Die 
Buchdruckerey  soll  dem  Buchdrucker,  so  er  das  Gesangbuch 

l)  Im  Besitz  der  Raczynskischen  Bibliothek  zu  Posen,  sowie 
des  Herrn  Buchdruckereibesitzer  Schmädicke  in  Lissa,  der  es  im 
„Lissaer  Anzeiger"  1900  veröffentlicht  hat 


Zur  Geschichte  des  Buchdrucks  und  Buchhandels  in  Lissa.       43 

drucken  wird,  für  80  Rtth.  gelassen  werden."  Vielleicht 
hat  der  unten  zu  nennende  Michael  Bück  die  Reste  der 
Kirchendruckerei  hernach  noch  käuflich  erworben. 

Vetter  selbst  hat  sich  nach  Schlesien  gerettet  und 
hat,  in  Brieg  wohnend,  das  Hirtenamt  an  den  in  Schlesien 
zerstreuten  Böhmen  übernommen  und  trotz  vielfacher 
Kränklichkeit  mindestens  bis  zum  Jahre  1669  versehen, 
wie  ein  Brief  des  greisen  Comenius  an  Bythner  vom 
6.  Febr.  1669  beweist1).  Im  Jahre  1662  wurde  er  noch  von 
Comenius  zum  Consenior  vorgeschlagen,  während  derselbe 
früher  gegen  seine  Wahl  zu  diesem  Amte  eine  gewisse 
puerilitas,  die  ihm  anhaftete,  geltend  gemacht  hatte.  Aus 
der  Ehe  mit  Christina  Poniatowska  sind  3  Töchter  und 
2  Söhne  hervorgegangen;  von  den  letzteren  ist  der  jüngere 
Georg2)  im  Jahre  1667  Pfarrer  der  Unitätsgemeinde 
in  Nassenhuben  bei  Danzig  als  Nachfolger  und  auf 
Vorschlag  des  Petrus  Figulus,  des  Schwiegersohnes  des 
Comenius,  geworden. 

Gleichzeitig  mit  Vetter  oder  der  Unitätsdruckerei 
bestand  die  Offizin  von  Wigand  Funck,  den  das  schon 
erwähnte  Blatt  vom  Jahre  1750  irrtümlich  für  den  ersten 
Buchdrucker  Lissas  hält,  und  von  dem  es  berichtet:  „Zu 
gleicher  Zeit  war  in  Glogau  Joachim  Funcke  —  der  Name 
lautet  richtig  Funck  —  Buchdrucker,  welcher  mutmasslich 
ein  Bruder  oder  Anverwandter  unsers  Lissaischen  Funckes 
mag  gewesen  seyn."  In  der  von  ihm  selbst  verfassten 
Vorrede  zu  dem  bei  ihm  erschienenen  Lobgesang  Joh.Heer- 
manns  auf  die  Buchdruckerkunst  anlässlich  ihres  200  jäh- 
rigen Jubiläums  1640  spricht  Wigand  Funck  von  seiner 
„geringen,  defekten  und  durchplünderten  Druck  erey"  und 
dem  „bitteren  exilium",  darein  er  den  Ehrenruhm  der 
Buchdruckerkunst  für  seine  Person  mitnehmen  wolle. 
Hieraus  ist  zu  schliessen,  dass  er  zu  den  aus  Schlesien 
vertriebenen  Glaubensflüchtigen  gehört  hat,  wie  denn 
seine  Druckerei  für  die   lutherische  Kirche  in  Lissa   und 


1)  Korrespondence  K.  ed.  Patera  S.  193,  276  und  254. 
*)  Schnaase,  die  böhmischen  Brüder  in  Danzig  S.  155. 


V 


44  Wilhelm  Bickerich. 

Umgebung  eine  ähnliche  Bedeutung  gehabt  zu  haben 
scheint  als  die  sog.  Vettersche  Offizin  für  die  Unität,  nur 
mit  dem  Unterschied,  dass  die  letztere  direktes  Eigentum 
des  kirchlichen  Verbandes  war.  Jene  Vorrede  zeigt 
zugleich  eine  sehr  würdige  und  edle  Auffassung  seiner 
Kunst.  Er  widmet  das  Büchlein  „Georgio  Bawmann1), 
Gregorio  Rietschen  und  Henningio  Köhlern,  vornehmen 
Bürgern  und  Buchdruckern  in  Bresslaw  und  Leipzig",  in 
Erwiderung  einer  Jubiläumsschrift  von  Gregor  Rietsch,2) 
preist  „die  edle  Kunst,  welche  warlich  in  diesen  letzten 
Zeiten,  da  so  viel  Rotten  und  Secten  im  Schwange  gehen, 
die  getreweste  Dienerin  aller  Menschen  ist,  welche  uns 
die  H.  Schrift  und  nebenst  derselben  viel  schöner  geist- 
reicher Bücher  als  hellescheinende  Liechter  vorleget*4,  weiter- 
hin die  Vorsehung  Gottes,  der,  ehe  er  das  „hochheilige 
Werk  der  recht-christlichen  Reformation  vorgenommen, 
zuvor  Ihm  eine  solche  Werckstadt  erfunden,  durch  welche 
sein  heiliges  und  auss  der  Finsternis  hervorgesuchtes 
seeligmachendes  Wort  mit  kräfftiger  Gewalt  möchte  er- 
hallen und  erschallen",  und  kann  die  Betrachtung  nicht 
zurückhalten,  wie  es  geworden  wäre,  wenn  solche  Kunst  schon 
zu  Davids  oder  Salomos  Zeiten  gewesen  wäre,  und  wieviel 
„herrlicher  Predigten  unsres  Erlösers  und  seiner  Apostel 
wir  entraten  müssen",  darum,  weil  jene  Kunst  damals  noch 
gefehlt  hat.  Betrübt  darüber,  dass  „dieses  hochherrliche 
Werck  ....  von  vielen  nur  zu  des  Teuffels  Wegen  und 
zu  allerhand  Lügen  und  Schandpossen  gebraucht  wird,4* 
schliesst  er  mit  dem  Vorsatz:  „Doch  wer  böse  ist,  der 
sey  immerhin  böse.  Wir  wollen  uns  mühen,  dass  wir  der 
göttlichen  Warheit  und  dieser  Kunst  Würdigkeit  nach- 
jagen, hiegegen  mögen  alle  Hudler  und  Sudler  an  jenem 
Tage  vnn  diesem  ihrem  bösen  Vornehmen  Rechenschafft 
geben".     Als  ein  Mann  von  Bildung  zeigt  sich  Funck  auch, 

!>  G.  Baumann  war  Inhaber  der  hochangesehenen,  1538  von 
Andreas  Winkler  gegründeten  Stadtbuchdruckerei  in  Breslau.  Bei 
ihm  sind  viele  Werke  Joh.  Heermanns  erschienen.  Vgl.  Lorck, 
Handbuch  der  Geschichte  der  Buchdruckerkunst,  I  S.  145. 

q  Bedeutender  Verleger  in  Leipzig  1624— 1643  vgl.  Lorck  S.  147 


Zur  Geschichte  des  Buchdrucks  und  Buchhandels  in  Lissa.       45 

wenn  er  bei  dem  Tode  des  ältesten  Sohnes  des  Statt- 
halters Schlichting  1639  zu  einer  bei  ihm  gedruckten 
Sammlung  von  Trostgedichten  (darunter  Beiträge  von 
J.  Heermann,  Martin  Opitz  und  Comenius)  auch  selbst 
ein  deutsches  Gedicht  beisteuert1). 

In  welchem  Masse  die  Funcksche  Druckerei  zu 
kirchlich-erbaulichen  Zwecken  der  neugegründeten  luthe- 
rischen Gemeinde  in  Lissa  benutzt  wurde,  ergibt  sich 
aus  mehreren  Sammelbänden  von  Gelegenheitsreden, 
die  sich  in  der  Bibliothek  teils  der  dortigen  Kreuzkirche 
teils  der  Stadtbibliothek  in  Breslau  befinden  und  die 
Jahre  1635 — 1655  umfassen.  Es  sind  daraus  folgende 
besonders  hervorzuheben: 

1.  „Initiatio  Templi  Novo-Lesnensis  Einweyhung  der 
New  Lissawschen  Kirchen"  von  Michael  Maronius,  dem 
ersten  Geistlichen  der  Gemeinde,  ein  Jahr  nach  der  am 
I.  Advent  1635  erfolgten  Einweihung  herausgegeben. 

2.  Heptas  sacrarum,  eine  Erbauungsschrift  von  dem- 
selben Maronius. 

3.  Die  bei  des  Maronius  Tod  (1642)  von  seinem 
Diakonus  Albinus  gehaltene  Leichenrede. 

4.  Die  Antrittspredigt  des  neuen  Geistlichen  Joh. 
Holfeld  (1642). 

5.  Bonus  pastor  gregis  Christi,  Leichenrede  auf  Joh. 
Heermann  gehalten  von  Joh.  Holfeld  (1647). 

Ausserdem  sind  in  den  genannten  Bänden  noch 
eine  lange  Reihe  von  Reden  anlässlich  von  Todesfällen 
teils  in  den  angesehenen  lutherischen  Bürgerfamilien  wie 
z.  B.  Stange,  Wäber,  Knappe,  Polluge,  Liehren,  Henniges, 
Biberstein,  Rehner,  Jander,  Heintze,  Jacob  von  Augspurg 
(Apotheker,  aus  Olmütz  gekommen),  Heyssig,  Curtius, 
teils  in  Familien  des  schlesischen  Adels  z.  B.  von  Nie- 
belschütz,  von  Dyherrn  (letztere  Rede  ist  allerdings  bei 
Daniel  Vetter  gedruckt).  Auch  eine  Reihe  Fraustädter, 
mehrere  in  der  schlesischen  Nachbarschaft  z.  B.  vom 
Pfarrer   Arnhold    in   Gr.   Tschirne   gehaltene   Reden,   ja 


1)  Monatshefte  der  Comenius-Gesellschaft  1903  S.  36. 


46  Wilhelm  Bickerich. 

sogar  solche  aus  Brieg  (bei  der  Beerdigung  des  Landes- 
hauptmanns Melchior  von  Senitz  1644)  unc*  Crossen 
(Pastor  Kolckwitz)  sind  bei  Funck  in  Lissa  gedruckt 
Besondere  Erwähnung  gebührt  noch  der  „Christlichen 
Valet  und  Letz-Predigt",  welche  Joh.  Mende  nach  Auf- 
hebung des  evangelischen  Gottesdienstes  in  Guhrau  zu 
Alten-Guhrau  am  25.  November  1637  unter  freiem  Himmel 
gehalten  und  noch  im  gleichen  Jahr  in  Lissa  zum  Druck 
befördert  hat1). 

Von  bedeutenderen  Autoren  scheint  ausser  der  ge- 
legentlichen Benutzung  durch  Comenius  und  Vechner 
nur  Johannes  Heermann  sich  der  Funckschen  Druckerei 
bedient  zu  haben.  Dieser  berühmte  Liederdichter  hatte 
wegen  anhaltender  Kränklichkeit  sein  Pfarramt  in  Koben 
(bei  Rauten  in  Schlesien)  aufgeben  müssen  und  war  seit 
Oktober  1638  nach  Lissa  übergesiedelt,  wo  ihm  Graf 
Boguslaw  Leszczynski  eine  Baustelle  geschenkt  hatte. 
Die  Mehrzahl  seiner  Liedersammlungen  und  Trostschriften, 
auch  soweit  sie  in  der  Lissaer  Zeit  verfasst  sind,  hat 
freilich  auch  Joh.  Heermann  auswärts,  namentlich  in 
Breslau  (sein  Nachlass  ward  hingegen  in  Nürnberg  ver- 
öffentlicht), erscheinen  lassen,  sei  es,  weil  dies  für  den 
Absatz  günstiger  war,  sei  es,  weil  die  Kräfte  der  Funckschen 
Druckerei  nicht  zureichten.  In  letzterer  sind  gedruckt 
und  verlegt  ausser  dem  schon  erwähnten  „Ehrenruhm 
der  edlen  Buchdruckerkunst"  (1640)  noch  folgende  Schriften 
Heermanns:2) 

1.  In  Not  bet  allzeit.     1641.  4. 

2.  Sechserley  Sonntags-Andachten.    1641. 

3.  Bawgedanken  oder    Fünfferley  Häuser.    1642.    4. 

4.  Parma,  contra  mortis  arma  (der  dritte  Teil  seiner 
Leichenpredigten).    1644. 


1)  Ehrhardt,  Kirchen-  und  Predigergeschichte  des  Fürstentums 
Gros-Glogau  1783  S.  264  und  S.  293,  desgleichen  des  Fürstentums 
Crossen  S.  676. 

2)  Mit  Ausnahme  von  Nr.  3 — 4  im  Besitz  der  Stadtbibliothek 
zu  Breslau. 


Zur  Geschichte  des  Buchdrucks  und  Buchhandels  in  Lissa.       47 

5.  Dormitoria  (der  vierte  Teil  seiner  Leichen- 
predigten).   1644. 

6.  Anagrammata,  Literatis  quibus  patria  est  Coebe- 
nium  scripta  et  inscripta...  Ohne  Jahreszahl.  4.  (Von 
Wackernagel  nicht  aufgeführt). 

Miterwähnt  sei  hier  eine  von  dem  Notarius  in  Herrn- 
stadt Caspar  Hofman  verfasste  und  bei  Funck  in  Lissa 
erschienene  kleine  Lobschrift  in  Anagrammen  „Triga 
theologica"  auf  das  theologische  Dreigespann  Joh.  Heer- 
mann, Vincenz  Stephani,  den  ersten  evang.  Pastor  in  Ra- 
witsch,  und  Christophorus  Albinus,  Diakonus  in  Lissa, 
ohne  Jahreszahl. 

Über  die  späteren  Geschicke  Funcks  und  seiner 
Druckerei  fehlen  uns  sichere  Nachrichten.  Nach  jenem 
schon  erwähnten  alten  Blatt  „Von  der  Lissnischen  Buch- 
druckerey"  wäre  anzunehmen,  dass  er  seine  Offizin  an 
einen  gewissen  Johann  Kuntze  um  1652  verkauft  hätte, 
denn  es  heisst  dort:  „Herr  Johann  Kuntze,  von  1652 
bis  1662,  muss  die  Druckerey  notwendig  eigentümlich 
besessen  haben,  denn  er  ist  mit  derselben  hernach  von 
Lissa  nach  Steinau  gezogen,  allwo  er  seine  Offizin 
eröffnet,  muss  sie  aber  nicht  lange  behauptet  haben,  denn 
es  hat  bald  ein  anderer  Buchdrucker  Nahmens  Rösner 
ihm  in  Steinau  succedirt."  Vermutlich  bei  ihm  ist  die 
Leichenrede  Albrecht  Güntzels  „der  wohlthätige  Jojadaa 
auf  den  Bürgermeister  Philipp  Held  sen.  1655  erschienen1). 

Sollte  die  Zerstörung  Lissas  am  29.  April  1656 
nicht  auch  der  Funck-Kuntzeschen  Druckerei  den  Unter- 
gang gebracht  haben,  so  war  sie  jedenfalls  die  Ursache 
ihrer  Verlegung.  Die  Stadt  hat  damals  sowohl  in  ihrem 
materiellen  Wohlstand  wie  in  ihrem  geistigen  Leben 
einen  Schlag  erhalten,  von  dem  sie  sich  erst  unter 
preussischer  Herrschaft  langsam  und  vielleicht  bis  heute 
nicht  ganz  erholt  hat  Der  Brand  Lissas,  dieser  Zierde 
Grosspolens,  durch  die  Polen  selbst  herbeigeführt,  war 
wie    ein    Signal   zu    den    kommenden    Stürmen  und  be- 


2)  Werncr-Steffani  a.  a.  O.  S.  197. 


48  Wilhelm  Bickcrich. 

leuchtete  grell  die  ganze  Unsicherheit,  in  der  evangelischer 
Glaube  und  deutscher  Bürgersinn  im  polnischen  Reiche 
sich  befanden.  Kein  Wunder,  dass  nicht  wenige  der 
geflüchteten  Bewohner  den  Mut  zur  Rückkehr  verloren 
und  in  der  Fremde  ansässig  wurden.  Immerhin  erlebte 
die  Stadt  durch  den  Fleiss  und  die  Tatkraft  derer,  die 
langsam  sich  wieder  in  ihren  Trümmern  gesammelt 
hatten,  eine  wachsende  Nachblüte,  die  freilich  auch  kaum 
ein  halbes  Jahrhundert  währen  sollte.  Zunächst  musste 
die  Stadt  einer  Druckerei  entbehren,  und  man  benutzte 
in  dieser  Zeit  benachbarte  schlesische  Offizinen.  So  ist 
die  Leichenrede,  welche  Joachim  Gülich,  reform.  Prediger  in 
Lissa,  dort  dem  am  14.  Juli  1664  verstorbenen  schlesischen 
Kartographen  und  Notarius  Jonas  Scultetus1)  gehalten 
hat,  unter  dem  Titel  Mors  justorum  bei  Johann  Kuntze 
in  Steinau  gedruckt.  Um  1670  erhielt  Lissa  auch 
wieder  eine  Druckerei  durch  Michael  Bück,  über  dessen 
Herkunft  wir  nichts  wissen.  Dieser,  „ein  sehr  fleissiger, 
akkurater  und  berühmter  Mann,  schaffte  seine  Druckerei 
aus  Holland  an",  wie  jenes  alte  Blatt  sagt  Gegen  Ende 
des  17  ten  Jahrhunderts  hatte  die  Verbreitung  holländischer 
Ausgaben  in  Deutschland  den  Sinn  für  schöne  Drucke 
geweckt,  und  man  fing  an,  sich  Matrizen  aus  Holland 
kommen  zu  lassen2).  So  scheint  Bucks  Druckerei  auf 
der  Höhe  der  Zeit  gestanden  zu  haben.  Anfänglich  hatte 
er  Gottfried  Güntzel  zum  Kompagnon,  der  aber  bald  die 
Offizin  in  Oels  von  seinem  dortigen  Eidam  Johann  Seyfert 
annahm,  um  auch  diese  1686  an  Bockshammer  zu  ver- 
kaufen und  dann  in  die  Baumannsche  Druckerei  in  Breslau 
einzutreten.  Auch  Bück  drohte  einmal  Konkurrenz,  doch 
wurde  sie  durch  die  Obrigkeit  abgewehrt,  denn  die 
Stadt  konnte  nicht  mehr  wie  in  ihrer  Blütezeit  zwei  Druk- 
kereien  beschäftigen.    Jenes  Blatt   sagt  darüber:    „Nach- 


*)  Über  ihn  Klopsen  a.  a.  O.  S.  287  ff.  Danach  sind  des  Scul- 
tetus Landkarten  unter  dem  Titel  „Mappa  Silesiaca"  ohne  Jahres- 
zahl in  Amsterdam  bei  Petrus  Schenk  und  Gerhard  Valk  erschienen. 

2)  Lorck,  Handbuch  der  Geschichte  der  Buchdruckerkunst  I, 
S.  161. 


Zur  Geschichte  des  Buchdrucks  und  Buchhandels  in  Lissa.       49 

gehends  bekam  Johann  Christoph  Wilde,  ein  guter  Freund 
Herrn  Michael  Bucks,  da  er  sähe,  dass  Bück  viel  Arbeit 
hatte,  Appetit,  sich  auch  in  Lissa  mit  seiner  Buchdruckerei 
zu  setzen,  allein  weil  sich  beide  dadurch  ruiniert  hätten, 
haben  es  Se.  Excell.  Graf  Boguslaus  und  Raphael 
Leszczynski  durchaus  nicht  erlaubt,  daher  wandte  sich 
Wilde  in  die  Königliche  Stadt  Fraustadt  und  eröffnete 
darin  seine  Offizin;  er  musste  sich  aber  wegen  einer 
Streitigkeit,  woran  er  gar  keinen  Anteil  hatte,  nach 
Schlichtingsheim  begeben,  ward  auch  von  dem  Herrn 
Baron  von  Schlichting,  als  einem  sonderbaren  Gönner  der 
Buchdruckerkunst,  mit  vieler  Freude  aufgenommen  und 
mit  herrlicher  Freiheit  begnadet.  Unser  Bück,  welcher  in 
grossen  Gnaden  bei  seiner  Gnädigsten  Erb-Herrschaft 
stand  und  von  deroselben  auf  alle  ersinnliche  Art  und 
Weise  in  seiner  Kunst  gefördert  und  oft  deswegen  auch 
sogar  durch  mündliche  Nachfrage  begnadigt  wurde,  bekam 
von  Sr.  Excell.  Graf  Boguslaw  und  Raphael  Leszczynski 
ein  herrliches  Privilegium,  kraft  dessen  sich  auf  den  ganzen 
Provinzen  Sr.  Excellenz  kein  Buchdrucker  setzen  durfte, 
mit  zugleich  beigesetzter  Konfirmation,  ferner  einen  Buch- 
laden zu  führen,  welches  Privilegium  man  schriftlich  nebst 
eigenhändiger  Unterschrift  und  Siegel  in  Händen  hat." 
Hiernach  hat  Bück  „einen  Buchladen"  d.  h.  eine  Sorti- 
mentsbuchhandlung in  Lissa  geführt,  wie  sie  damals  mehr 
und  mehr  aufkamen.  Die  Trennung  von  Buchdruck,  Buch- 
verlag und  Buchhandel,  wie  sie  sich  schon  seit  dem  Ende 
des  15.  Jahrhundert  angebahnt  hat,  ist  an  kleineren  Plätzen 
erst  spät  durchgedrungen,  in  Lissa  erst  im  19.  Jahr- 
hundert. Bucks  eigener  Verlag  ist  freilich  kaum  umfang- 
reich gewesen,  bot  vielmehr  meist  erbauliche  Gelegenheits- 
schriften, wie  Leichen-  und  Hochzeitspredigten  und  ent- 
sprechende Gedichte  auf  Ereignisse  in  den  angesehenen 
Bürgerfamilien  von  Lissa,  auch  von  Fraustadt,  bezüglich, 
ganz  ähnlich  wie  früher  zu  den  Zeiten  von  Daniel  Vetter 
und  Funck,  nur  dass  die  Reden  noch  länger,  schwülstiger 
sind,  und  der  Druck  meist  in  Folio,  nicht  in  Quart  erfolgt 
ist.    Aus   den  in  den  Kirchenbibliotheken   zu   Lissa   und 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XIX.  4 


50  Wilhelm  Bickerich. 

im  Posener  Staatsarchiv  (Depositum  der  Johanniskirche) 
aufbewahrten  Schriften  dieser  Art  verdienen  vielleicht  die 
Leichenreden  auf  den  (luth.)  Pastor  Samuel  Hentschel 
(t  5.  Febr.  1690),  sowie  auf  den  Kaufherrn  und  Bürger- 
meister Gottfr.  Held  jun.  (t  24.  Sept  1692)  und  den  Se- 
kretär und  Notar  der  Stadt  Christ  Hölcher  (t  19.  Febr.  1693) 
eine  Hervorhebung,  während  Adam  Sam.  Hartmanns 
Predigten1)  anlässlich  des  Todes  des  Seniors  J.  Bythner 
und  des  Konrektors  Daniel  Gleinig  beide  1689  bei  Joh. 
Christoph  Wild  in  Fraustadt  erschienen  sind.  An  Schriften 
von  allgemeinerer  Abzweckung  und  Bedeutung  sind 
aus  Bucks  Verlag  vor  allem  die  Lieder  von  Abraham 
von  Kiesel  (geb.  1635  in  Fraustadt,  f  1702  in  Jauer, 
Pfarrer  in  Ulbersdorf,  Zedlitz,  Driebitz  und  Jauer)  zu 
nennen,  die  unter  dem  Titel  „Vergiss  mein  nicht  oder 
Jesus-süsse  Andachten"  zuerst  im  Jahre  1675  bei  Bück 
erschienen  sind,  sowie  desselben  Schrift2):  „Zwei  Diskurse 
vom  Alter  des  Glases  und  der  Mohren  ihrer  Schwärze** 
aus  dem  gleichen  Jahre,  ferner  die  achte  Ausgabe  des  deut- 
schen Gesangbuches  der  Unität  1694 8),  sowie  „Biblisches 
Spruch-Büchlein,  der  lieben,  evangelisch-lutherischer  Schule 
zugetanen  Jugend  in  Lissa  zu  Nutz,  nach  denen  Buchstaben 
im  A  B  C  von  Johann  Benjamin  Kretschmer,  alldort  ver- 
ordneten Lehrer,  in  etliche  Ordnungen  eingeteilet",  während 
Sam.  Hentschel,  Prediger  der  Kreuzkirche  in  Lissa,  seine 
„Kleine  Hauspostille  für  kranke  und  betrübte  Personen, 
absonderlich  diejenigen,  die  am  Gehör  Mangel  haben", 
i.  J.  1690  in  Wittenberg  und  Frankfurt  bei  Schuhmacher 
veröffentlicht  hat.  Ein  politisch-satirisches  Flugblatt4)  an- 
lässlich der  Wahl  August  des  Starken  zum  König  von 
Polen  mit  dem  Titel  „die  unglückliche  Witwe,  aber  nun 
glücklich-vermählte  Krön  Pohlen"  trägt  ohne  Angabe  des 


*)  Erwähnt  in  Werner-Steffani,   Geschichte  der  evang.  Paro- 
chieen  S.  188. 

«)  S.  J.  Ehrhardt  a.  a.  O.  S.  253. 

3)  Nach  der  Vorrede  zur  zehnten  Ausgabe,  Lissa  1760. 

4)  in  der  Bibliothek  der  Johanniskirche  zu  Lissa. 


Zur  Geschichte  des  Buchdrucks  und  Buchhandels  in  Lissa.       51 

Druckers  die  Aufschrift:   „Gedruckt  zur  polnischen  Lissa 
im  Jahre  1697." 

Bück  starb  im  Jahre  1701  im  Alter  von  85  Jahren 
und  erhielt  einen  würdigen  Nachfolger  in  Benjamin 
Friedrich  Held.  Die  Familie  Held,  zu  den  Guhrauer  Exu- 
lanten gehörig,  war  in  Lissa  schnell  zu  grossem  Ansehen 
gelangt  und  hatte  in  der  Blütezeit  der  Stadt  ihr  in  Philipp 
Held  dem  älteren  einen  sehr  verdienten  Bürgermeister 
gestellt  B.  F.  Held  war  ein  Enkel  dieses  Bürgermeisters 
und  Sohn  eines  luth.  Konrektors,  „ein  Mann  von  alter 
deutscher  Treue  und  Redlichkeit",  wie  ihm  sein  Nachfolger 
Presser  in  dem  erwähnten  Blatt  bezeugt.  Nachdem  er  bei 
Bück  in  Lissa  die  Kunst  erlernt,  hat  er  im  Jahre  1696  am 
26.  August  in  der  Baumannschen  Druckerei  „sein  Postulat  ver- 
schenkt", d.  h.  unter  den  üblichen,  mit  einem  guten  Schmaus 
endenden  Feierlichkeiten1)  die  Lossprechung  zum  Gesellen 
erlangt,  und  zwar  zugleich  mit  Heinrich  Adolphi,  späterem 
Buchdrucker  in  Greifswald,  dann  in  Freystadt,  und  mit 
Johann  Christoph  Wätzold,  späterem  Drucker  in  Liegnitz. 
Unter  seiner  Leitung  behielt  die  Druckerei  denselben  Cha- 
rakter wie  unter  seinem  Vorgänger.  In  die  Reihe  der 
Gelegenheitsschriften  —  darunter  Reden  und  Gedichte 
anlässlich  des  Todes  des  reform.  Pastors  Joachim  Gülich 
(t  1703  Okt.  27,  einstiger  Gegner  von  Dan.  Ernst  Jablonski) 
und  des  Grafen  Raphael  Leszczynski  (f  1703)  —  fügen 
sich  jetzt  auch  kleine  Festprogramme  und  Einladungen 
des  Gymnasiums  (z.  B.  zur  Rektoratsrede  Samuel  Arnolds, 
zum  150  jährigen  Jubiläum  der  Anstalt,  zu  Aufführungen 
der  Schüler  u.  dergl.)  ein,  wie  Held  auch  besonders  die 
Schulbücher  für  die  Lissaer  Anstalt  gedruckt  und  verlegt 
hat  Bei  ihm  erschien  ferner  1706  ein  Gebetbuch  Samuel 
Arnolds  unter  dem  Titel  „Heilige  Übungen  eines  bätenden 
Christen",  eine  Übersetzung  und  Zusammenstellung  polni- 
scher und  englischer  Gebete,  die  heute  noch  in  Lissa  mehrfach 
gebraucht   wird.    Doch    nahm   sein  Besitz   ein   schnelles 


l)   Eine    Beschreibung    dieser    auch     Deposition    genannten 
Handlung  z.  B.  bei  Lorck  a.  a.  O.  S.  165. 


52  Wilhelm  Bickcrich. 

Ende.  Am  29.  Juli  1707  wurde  Lissa  zum  zweitenmal, 
diesmal  durch  ein  russisches  Streifkorps,  eingeäschert.  Es 
gelang  Held,  wenigstens  einen  Teil  seiner  Typen  nach 
Tschirnau  zu  retten,  während  die  Presse  und  die  ganze 
übrige  Offizin  in  Lissa  verbrannte;  er  selbst  begab  sich  nach 
Breslau,  wo  er  „in  der  berühmten  Baumannschen,  itzo  Herrn 
Grasses  Buchdruckerey  seine  Kunst  als  ein  Mitglied  dortiger 
Gesellschaft  fortsetzte,  auch  allda  des  Lissaischen  Stadtkochs 
und  Konditors  hinterlassene  Tochter,  die  sich  in  Breslau 
ebenfalls  aufhielt,  heyrathete".  Witwer  geworden  und  an 
Taubheit  leidend  ist  er  dann  i.  J.  1741  wieder  nach  Lissa 
zurückgekehrt,  um  sich  zur  Ruhe  zu  setzen.  Dort  ist  er 
auch  am  14.  Febr.  i744amSchlagfluss,  71  Jahie  alt,  gestorben. 

Von  1707 — 17 16  hat  die  zum  zweitenmal  so  schwer 
betroffene  Stadt  eine  Druckerei  entbehrt  In  dieser  Zeit 
nahm  man  im  Bedarfsfalle  seine  Zuflucht  zu  der  Offizin 
in  Schlichtingsheim,  deren  Begründung  durch  Johann 
Christoph  Wild  oben  erzählt  ist.  Als  deren  Inhaber  er- 
scheint 17 18  Johann  Gottfried  Haase  und  später  (1739) 
Gottfried  Börner;  sie  hat  noch  1745  bestanden,  wie  die 
in  ihr  gedruckte  kleine  Festschrift:  „Hundertjährige  Jubel- 
Freude  der  Evangelischen  Kirchen  in  der  Stadt  Schlichtings- 
heim1)" beweist.  Diese  Druckerei  hatte  grossen  Ruf  und 
diente  den  Evangelischen  bis  tief  nach  Schlesien  hinein, 
wo  sie  damals  unter  hartem  Druck  standen,  z.  B.  auch 
denen  in  der  Stadt  Glogau,  wie  vielfach  Titel  von  Schriften 
zeigen,  die  Ehrhardt  in  seiner  Presbyterologie  des  evan- 
gelischen Schlesiens  anführt  Kein  Wunder,  dass  sie  auch 
von  Lissa  aus  noch  nach  1716  benutzt  wurde.  Für  unsere 
Provinzialgeschichte  kommen  aus  dem  Verlag  in  Schlichtings- 
heim, abgesehen  von  einer  Reihe  von  Gelegenheitsschriften, 
Leichenreden  und  dergL  folgende  Werke  in  Betracht: 

1693  „Singularia  quaedam  Polonica",  eine  kleine  Ge- 
schichte des  polnischen  Reiches,  verfasst  von  Nicolaus 
de  Chwalkowo  Chwalkowski. 


*)  Ueberfeld,  Nachrichten  über  die  evgl.  Kirche  in  Schlichtings- 
heim S.  74. 


Zur  Geschichte  des  Buchdrucks  und  Buchhandels  in  Lissa.       53 

1739  „Frommer  Christen  seufzende  Seele  und  sin- 
gender Mund",  Gebetslieder  zu  den  Evangelien  und 
Episteln  (nach  der  Vorrede  früher  schon  unter  dem  Titel 
„Gebet  und  Singelust"  erschienen),  von  Zacharias  Herr- 
mann1),  luth.  Pastor  in  Lissa  und  Senior  der  Augsburger  Kon- 
fession in  Grosspolen  (1643 — I7I6)»  der  neben  Herberger, 
Heermann  und  Kiesel  zu  den  namhaften  evangelischen 
Kirchenliederdichtern  unserer  Provinz  zählt  Auch  das 
„Enchiridion",  ein  Katechismus  und  Gebetbüchlein  für  die 
reform.  Gemeinde  in  Lissa,  1713,  ist  vermuüich  in  Schlichtings- 
heim  gedruckt 

Im  Jahre  1716  kam  Michael  Lorenz  Presser  auf  schrift- 
liches Ersuchen  des  Magistrats  nach  Lissa  und  beschaute  die  in 
Tschirnau  verwahrten  Lettern  aus  der  Held  sehen  Druckerei, 
die  aber  „in  grösster  Konfusion  alle  unter  einander  in 
Fässer  geworfen  waren,  so  dass  man  wenig  oder  nichts 
betrachten  konnte".  Dennoch  kaufte  er  die  Typen  und 
brachte  nach  eigener  Versicherung  über  8  Wochen  zu, 
ehe  er  eine  kleine  Ordnung  treffen  konnte.  „Wie  abge- 
nutzt und  schlecht  diese  Lettern  ausgesehen,  kann  die  erste 
Arbeit  auf  die  Tit  Eydner  und  Rudolphische  und  auf 
die  Tit  Kosiorowski  und  Trajanische  Hochzeit  be- 
zeugen. Er  hat  sich  alsobald  angelegen  sein  lassen,  die 
Druckerei  zu  bessern,  sodass  von  den  ehemaligen  Typen 
sehr  wenige  noch  vorhanden  sind".  Aus  Thüringen 
stammend,  1675  in  Leubingen  als  Sohn  des  Leinwebers 
Johann  Pr.  geboren,  hatte  er  in  Eisenach  bei  Johann 
Caspar  Bachmann  die  Kunst  erlernt,  am  30.  März  1701  in 
Bremen  bei  Hermann  Brauer  „postuliert",  dann  in  „Bremen, 
Rudolstadt,  Oldenburg,  Hamburg,  Kiel,  Rostock,  Greifs- 
wald, Stettin,  Stralsund,  Weissenfeis,  Zittau,  Dresden  und 
Läuban  konditioniert",  somit  anscheinend  reiche  Erfahrungen 
gesammelt.  In  der  Tat  zeigen  die  Drucke  der  Offizin, 
unter  seiner  und  seiner  Söhne  Leitung  bei  Einführung 
kleinerer  Schriftgattung  Klarheit  und  Regelmässigkeit,  auch 


x)  Ober  ihn  und  seine  Lieder  vgl.  Evangelisches  Jahrbuch  für 
die  Provinz  Posen  1862,  S.  113  ff. 


54  Wilhelm  Bickerich. 

wendet  er  mannigfache  Verzierungen  zu  Anfang  und 
Schluss  der  Bücher  und  ihrer  einzelnen  Teile  an;  in  seinen 
Gesangbüchern  ist  der  Anfangsbuchstabe  bei  jedem  Liede 
in  grossem  verziertem  Druck  ausgeführt.  Unter  dem 
26.  März  1744  bestätigt  ihm  der  Reichsgraf  Alexander 
Joseph  von  Sulkowski  das  einst  Bück  gewährte  Privileg. 
Vorher  hat  er  zeitweilig  eine  Konkurrenz  an  dem  Ver- 
leger Joh.  Gottfr.  Cundisius  gehabt,  bei  dem  1739  unter 
dem  Titel  „Andächtiges  Seelen -Vergnügen"  ein  Gesang- 
und  Gebetbuch  der  luth.  Kirche  mit  Vorrede  des  General- 
seniors Thomas  herausgekommen  ist.  Bald  nach  1750  ist 
M.  L.  Presser  gestorben  und  die  Druckerei  in  die  Hände 
seiner  Söhne  Samuel  Gottlieb  (geb.  1720)  und  Michael 
Lorenz  (geb.  1726)  übergegangen,  von  denen  der  erste 
1740  in  Lauban  bei  Nicolaus  Schill  postuliert  und  dann 
schon  zu  Lebzeiten  des  Vaters  die  Leitung  der  Lissaer 
Druckerei  übernommen  hatte,  während  der  jüngere  1750 
in  Glogau  bei  Wolfgang  Michael  Schweickhardt  postuliert 
und  dann  in  der  Hofbuchdruckerei  von  Gäbert  in  Berlin 
konditioniert  hatte.  Aus  der  Presserschen  Offizin  sind 
folgende  Schriften  allgemeiner  Bedeutung  hervorgegangen: 

1729  eine  neue  Auflage  des  Enchiridion  oder  des 
Katechismus  für  die  reform.  Gemeinde.  Nach  dem  im  Archiv 
der  Gemeinde  vorhandenen  Vertrag  vom  3.  Mai  1729  hat  das 
Presbyterium  den  Katechismus  in  eigenen  Verlag  genommen 
und  den  Drucker  verpflichtet,  „keine  Exemplaria  zum 
Nachtheil  der  Kirche  vor  sich  zu  drucken,  viel  weniger 
dergleichen  zu  verkauffen".  Das  zu  einer  Auflage  von 
2000  Stück  in  Querduodezformat  erforderliche  Papier  von 
6  Ballen  hat  die  Gemeinde  auf  eigene  Kosten  angeschafft 
und  zwar  zum  Preise  von  7  rtt  pro  Ballen,  wovon  jedoch 
6  rtt.  nach  beendetem  Druck  von  dem  Druckerlohn 
decourtiret  werden  sollten.  Dieser  Druckerlohn  betrug 
für  das  erste  Hundert  Exemplare  1  rtt.  pro  Bogen,  für  das 
zweite  und  dritte  Hundert  ebenso  Va  rtt-  und  für  die 
übrigen  Hunderte  bis  zur  verabredeten  Vollzahl  Vs  rtt 
pro  Bogen. 

1748  das  Gebetbuch  Sam.  Arnolds  in  neuer  Auflage. 


Zur  Geschichte  des  Buchdrucks  und  Buchhandels  in  Lissa.       55 

1750  Honor  cum  gloria  seu  Panegyris,  eine  dem 
Grafen  A.  J.  Sulkowski  und  dem  Palatin  Petrus  Sapieha 
anlässlich  der  Vermählung  des  letzteren  mit  der  Komtesse 
Johanna  Sulkowska  gewidmete  Lobrede  auf  die  beider- 
seitigen Geschlechter,  verfasst  von  Valentin  S.  K.  Wenda, 
Professor  der  Philosophie  „in  Aula  Rydzynensi"  d.  h.  in 
der  Piaristenschule  zu  Reisen. 

1750  Primitiae  phisico-medicae  ab  iis,  qui  in  Polonia 
et  extra  eam  medicinam  faciunt,  collatae,  Vol.  I.  Die  späteren 
Bände  dieser  physikalisch-medizinischen  Zeitschrift  sind 
1750  und  1753  in  Züllichau  erschienen.  Als  Herausgeber 
nennt  sich  Gottlob  Ephraim  Herrmann,  Arzt  in  Bojanowo 
(t  1780),  doch  war  die  eigentliche  Seele  dieses  Unter- 
nehmens Ernst  Jeremias  Neifeld1)  (geb.  18.  Januar  1721  in 
Zduny),  seit  1745  Arzt  und  Provinzialphysikus  für  die 
Sulkowskischen  Güter  in  Lissa. 

1751  Joh.  Gottfr.  Axts  Analecta  Freystadiensia 
(Chronik  von  Freystadt),  herausgegeben  von  seinem  Eidam 
G.  Foerster. 

1756    Foerster,    G.,  Einige   gesammelte  Nachrichten 

von  der  Erbauung  und  den  .  .  .  Schicksalen  der 

Stadt  Lissa  in  Grosspolen. 

1760  die  zehnte  und  letzte  Ausgabe  des  deutschen 
Gesangbuchs  der  böhmischen  Brüder  und  zwar  unter  dem 
Titel:  „Gesangbuch  zum  Gebrauch  der  ref.  Gemeinde 
in  Lissa  und  der  übrigen  deutschen  Gemeinden  der  Unität. 
Neue  vermehrte  Auflage". 

1767  „Vermehrte  Sammlung  geistlicher  Lieder  zum 
Gebrauch  der  evang.  luth.  Gemeinde  zu  Lissa,  herausge- 
geben von  Joh.  Caspar  Langner"  dazu  im  Anhang  ein 
Gebetbuch  —  anscheinend  im  Selbstverlag  der  luth.  Ge- 
meinde, aber  mit  dem  Vermerk  „gedruckt  mit  Presserischen 
Schriften". 

1769  Neue  Ausgabe  des  Enchiridion  (s.  oben). 


*)  Ober  ihn  berichtet  näheres  sein  Schwiegersohn  Konsistorialrat 
D.  Georg  Christian  Arnold  zu  Warschau  in  der  Schrift:  „Physiker 
in  Lissa  nach  Jonstons  Tode  (1675 — 1775)-    Warschau  1821". 


56  Wilhelm  Bickerich. 

1771  „Paedia  grammaticae  oder  Kurzer  Unterricht 
der  Gründe  zur  Lateinischen  Sprache.  Nach  der  Lehrart 
Joh.  Rhenii  zum  Gebrauche  des  Lissnischen  Gymnasii, 
zuerst  verfertigt  von  J.  S.  Ch.  Jetzt  aber  verbessert  und 
mit  verschiedenen  Zusätzen  vermehrt,  von  neuem  aufge- 
legt". Nach  der  Vorrede  konnte  das  Buch  auf  einen  langen 
Gebrauch  im  Lissaer  Gymnasium  zurücksehen.  Verfasser 
ist  jedenfalls  Johann  Serenius  Chodowiecki,  1691 — 1702 
Conrektor  und  Rektor  am  Lissaer  Gymnasium. 

1777  Powinosci  przystQpuj^cych  do  stolu  bozego 
(Pflichten  betr.  heilige  Kommunionsfeier). 

Es  ist  bezeichnend  für  den  tiefen  Stand  des  geistigen 
Lebens  Lissas  im  18.  Jahrhundert,  dass  kein  Mann  von 
Ansehen  und  Ruf  in  ihm  die  Feder  geführt  hat,  und  kein 
Werk  in  dieser  Zeit  aus  seinen  Mauern  gegangen  ist,  das 
eine  mehr  als  lokale  Bedeutung  gehabt  und  über  die 
Grenzen  der  Stadt  oder  höchstens  der  nächsten  mit  ihr 
zusammenhängenden  kirchlichen  Verbände  hinaus  gewirkt 
hätte.  Der  einzige  Schriftsteller,  der  hierfür  in  Betracht 
käme,  der  oben  genannte  Arzt  Neifeld,  liess  seine  zahl- 
reichen Abhandlungen  „von  der  Absonderung  der  Säfte", 
„von  Altwasser  Sauerbrunnen",  „von  der  goldenen  Ader1', 
„Ratio  medendi  morbis  circuli  sanguinei"  meist  in  Züllichau, 
Glogau  und  Breslau  erscheinen.  Um  so  mehr  blühte  die 
Gelegenheitsschrift  zu  persönlichen  und  familiären  Zwecken 
mit  ihrer  oft  recht  überschwänglichen  und  fragwürdigen 
Lobrednerei.  Unter  den  Drucken  dieser  Art,  wie  sie  in 
grosser  Fülle  (ein  starker  Sammelband  befindet  sich  in 
der  Bibliothek  der  Johanniskirche)  aus  der  Presserschen 
Zeit  vorhanden  sind,  tritt  die  kirchliche  Rede  seit  etwa 
1720  mehr  zurück,  um  kürzeren  oder  längeren  Glück- 
wunsch- oder  Trauergedichten,  sei  es  in  deutscher,  sei 
es  in  lateinischer  oder  polnischer  Sprache  Platz  zu  machen. 
Doch  sind  unter  den  noch  gedruckten  kirchlichen  Reden 
zu  nennen  die  mit  grossem  Holzschnitt  (P.  Busch  sculpsit 
Berolini  1741)  geschmückte  Leichenrede  auf  den  Kauf- 
herrn Joh.  Jacobsen  in  Lissa  (1741)  und  die  bei  dem 
Begräbnis    des    Fürstordinaten    August    Sulkowski   vom 


Zur  Geschichte  des  Buchdrucks  und  Buchhandels  in  Lissa.       57 

Rektor  der  Piaristenschule  zu  Reisen  am  28.  Januar  1786 
gehaltene  Gedenkrede  unter  dem  Titel:  Mowa  miana 
na  pogrzebie  ....  Augusta  Sulkowskiego  ....  przez 
Atanazego  Jozefa  Pomorzkantta  (im  Besitz  des  Lissaer 
Gymnasiums). 

Streitigkeiten,  welche  in  der  Unität  i.  J.  1778  über 
die  Verwendung  der  Collektengelder  ausbrachen,  ihren 
tieferen  Grund  in  einem  Zwiespalt  zwischen  dem  polnischen 
Adel  und  der  deutschen  Bürgerschaft  hatten,  aber  durch 
persönliche  Eifersüchteleien  und  Ränke  noch  stark  ver- 
bittert wurden,  führten  zu  folgenden  Druckschriften, 
die  beide  ohne  Angabe  des  Druckortes,  vermutlich  aber 
in   Lissa   erschienen    sind: 

„Rechtfertigimg  des  Königl.  Pohln.  und  der  durchl. 
Republique  Armee  bestellten  General- Stabs -Medici  A.  E. 
Wolff  wegen  der  durch  ihn  seit  etwa  zwey  Jahre  ver- 
walteten Collektengelder  für  die  Evangelisch-Reformirten 
Kirchen   in   Gross-Pohlen.    Im  Juli  1778"  und 

„Abgenötigte  Antwort  des  Königl.  Pohl.  Hofraths 
und  des  Evangelisch-Reformirten  Presbyterii  zu  Lissa  in 
Gross-Pohlen  Mitgliedes  Herrn  Samuel  Gottfried  Leissners 
auf  die  wider  ihn  von  ....  Abraham  Emanuel  Wolff .... 
ausgestreuten  Anschuldigungen.    Im  August  1778." 

Erwähnenswert  aus  der  Presserschen  Zeit  dürfte  noch 
sein,  dass  in  dem  kleinen  Schwetzkau,  dicht  bei  Lissa, 
um  1784  eine  Druckerei  bestanden  haben  muss.  Wenigstens 
trägt  eine  Schrift  „Erläuterung  zu  dem  18.  Teil  des  Magazins 
für  die  Historie  und  Geographie  von  Büsching",  welche 
die  Bemühungen  des  Generalleutnants  v.  d.  Goltz  für  die 
Dissidenten  in  Polen  vom  luth.  Standpunkt  aus  verteidigt, 
den  Vermerk,  „Gedruckt  zu  Schwetzko  in  Gross-Polen  1784". 

Nach  dem  Tode  Samuel  Gottlieb  Pressers,  der  seit 
1770  als  alleiniger  Inhaber  der  Druckerei  erscheint,  hat 
seine  Witwe  dieselbe  fortgeführt  und  sie  dann  vor  ihrem 
wohl  1795  erfolgten  Tode  der  luth.  Kreuzkirche  vermacht, 
auch  ein  Zeichen,  wie  damals  die  Kirche  noch  ganz  im 
Mittelpunkt  des  geistigen  Lebens  der  Stadt  stand.  Doch 
ist  anzunehmen,  dass  die  Druckerei  bei  dem  vierten  grossen 


58  Wilhelm  Bickcrich. 

Brande  Lissas  am  2.  Juni  1790  auch  wesentlich  gelitten 
hat,  zumal  nur  9  Bürgerhäuser  damals  stehen  geblieben 
sind.  Immerhin  hat  die  Kreuzkirche  die  Druckerei  über- 
nommen und  an  den  Buchdrucker  Karl  Wilhelm  Mehwald 
verpachtet,  wie  ein  vom  Magistrat  zu  Lissa  ausgefertigtes 
Kautionsinstrument  vom  5.  Januar  1796  bezeugt,  in  dem  der 
Goldschmied  Joh.  Gottlob  Cundisius  sich  mit  seinem  Grund- 
stückfür Mehwald  verbürgt.  Bei  diesem  ist  i798des Comenius 
Januae  latinitatis  vestibulum  in  einer  editio  novissima, 
revisa  et  aucta  mit  der  Vorrede  vom  4.  Jan.  1633  erschienen, 
wohl  für  den  Gebrauch  am  Lissaer  Gymnasium,  an  dem  an- 
scheinend das  Vestibulum  an  zwei  Jahrhunderte  als  Schul- 
buch benutzt  worden  ist.  Weitere  Werke  aus  Mehwalds 
Verlag  sind  mir  nicht  bekannt  geworden,  ebensowenig,  wie 
lange  die  Druckerei  noch  im  Besitz  der  Kreuzkirche  be- 
standen hat.  Offenbar  hat  sie  nur  einen  bescheidenen 
Wirkungskreis  gehabt,  wie  dies  bei  den  traurigen  Zuständen 
in  der  schwergeprüften  Stadt  nicht  anders  möglich  war. 
Nachdem  sich  Lissa  unter  dem  Schutz  und  der  Für- 
sorge der  preussischen  Herrschaft  wieder  etwas  erholt  hatte, 
kam  auch  das  geistige  Leben  der  Stadt  von  neuem  in  Fluss. 
Ein  Zeichen  hierfür  war  die  im  Januar  1826  erfolgte 
Gründung  der  Güntherschen  Buchhandlung  in  Lissa,  wohl 
der  ältesten  unter  den  bestehenden  deutschen  Buch- 
handlungen unserer  Provinz.  Die  Firma  wurde  zunächst 
als  eine  Filiale  der  1790  eröffneten  neuen  Güntherschen 
Buchhandlung  in  Glogau  gegründet,  aber  bereits  am 
1.  Januar  1832  durch  eine  Auseinandersetzung  der  Brüder 
Günther  selbständig  gemacht,  wobei  die  Lissaer  Firma 
ihrem  bisherigen  Leiter  Ernst  Wilhelm  Günther  verblieb, 
während  die  Glogauer  Handlung  seinem  Bruder  Fritz  ge- 
fiel und  später  an  C.  Flemming  überging.  Der  Gründer 
des  Geschäfts,  ein  umsichtiger  weitblickender  Mann,  fügte 
bald  der  Sortimentsbuchhandlung  einen  ziemlich  umfang- 
reichen Verlag  und  eine  eigene  Buchdruckerei  hinzu,  in 
der  auch  Steindruck  ausgeführt  wurde.  Letztere  besteht 
noch  heute  als  die  Buchdruckerei  des  Lissaer  Tageblatts, 
der  Firma  O.  Eisermann  gehörig.    Von  1840 — 1849  besass 


Zur  Geschichte  des  Bachdrucks  und  Buchhandels  in  Lissa.       59 

Günther  eine  Filiale  in  Gnesen.  Seit  den  dreissiger  Jahren 
gab  er  die  erste  Zeitung  Lissas  unter  dem  Titel  „Gemein- 
nütziges Wochenblatt  für  das  Grossherzogtum  Posen" 
heraus.  Die  bei  ihm  1842  und  1844  zuerst  erschienenen, 
noch  jetzt  in  Gebrauch  befindlichen  kath.  Gebet-  und  Ge- 
sangbücher für  die  Erzdiözese  Posen  und  Gnesen,  das 
polnische  vom  Erzbischof  von  Dunin  unter  dem  Titel 
Ksi^ika  do  Naboienstwa  1842,  das  deutsche  von  Stanislaus 
Chr.  Vinc.  Sydow,  stellten  bei  ihrer  Einführung  derartige 
Anforderungen  an  die  Druckerei,  dass  deren  Personal 
vermehrt  wurde,  und  dass  auch  die  Buchbinder  in  Lissa 
damals  zahlreiche  Gehilfen  neu  einstellen  mussten.  Günthers 
Verlag  war  besonders  reich  an  polnischen  Publikationen, 
darunter  zwei  Zeitschriften,  Przyjaciel  ludu  1834 — 1850  und 
Szköika  niedzielna  (Sonntagsschule,  für  Landleute)  1837 — 53, 
ferner  Dlugosz,  Dzieje  Polskie  przet.  p.  Bornemann  Gustawa 
2  tomy.  1841,  Mala  Encyklopedya  Polska,  przez  S.  P. 
Tom  I  1841,  Tom  II  1847  (kleine  poln.  Encyklopädie)  und 
eine  lange  Reihe  von  Schriften  zu  praktischem  Gebrauch 
in  Kirche  oder  Schule  oder  einschlägige  Tagesfragen  be- 
handelnd. Wesentlich  denselben  Charakter  trug  sein  Verlag 
auch  nach  der  deutschen  Seite,  darunter  war  der  erste 
Versuch  einer  historischen  Zeitschrift  für  die  Provinz  unter 
dem  Titel:  „Provinzialblätter  für  das  Grossherzogtum  Po- 
sen", die  leider  nur  einen  Jahrgang  (1846)  erlebt  haben, 
ferner  Katechismen  von  Pflug  (1827)  und  Soyaux  (1828), 
von  denen  der  letztere  mit  stark  rationalistischem  Gepräge 
unter  dem  Namen  „Rawitscher  Katechismus1*  bekannt  und 
im  Süden  der  Provinz  verbreitet  war,  des  Direktors  J.  Chr. 
von  Stöphasius  „Beiträge  zur  praktischen  Pädagogik  und 
Homiletik"  (1827),  sowie  „Neun  Kanzelvorträge,  zum  Besten 
der  Elementarschulen  in  Lissa  herausgegeben"  (1829),  Pre- 
digten von  Soyaux  (1828)  u.  a.  In  Lissa,  aber  nicht  bei 
Günther,  sondern  „in  Kommission  bei  E.  Löwenthal"  er- 
schien 1834  „Glaubensbekenntnis  eines  protestantischen 
Laien  an  seine  katholischen  Kinder  und  Freunde",  lehr- 
reich für  die  damals  in  Laienkreisen  gegenüber  dem 
Wiedererwachen  des    konfessionellen   Bewustseins    herr- 


6o  Wilhelm  Bickerich. 

sehenden  Stimmungen.  Besondere  Erwähnung  verdienen 
auch  die  zahlreichen  Schriften  desBataill.  Arztes  a.D.Dr.Joh. 
Metzig  in  Lissa,  der  als  Polenfreund  und  Kandidat  für  das  Ab- 
geordnetenhaus unermüdlich  für  Stiftung  einer  polnischen 
Universität  und  Gleichberechtigung  beider  Sprachen  in  den 
betreffenden  Provinzen  agitierte.  Von  den  15  mir  bekanntge- 
wordenen Schriften  Dr.  Metzigs  sind  die  ersten  aus  den  Jahren 
1848 — 1849  bei  Günther  in  Lissa  erschienen,  die  späteren 
hingegen  in  Hamburg,  Berlin  und  Posen. 

Bei  dem  am  28.  März  1860  erfolgtem  Tode  Ernst 
Günthers  konnte  der  Verlagskatalog  10  Oktav-Seiten 
deutsche  und  14  Oktav-Seiten  polnische  Schriften  ver- 
zeichnen. Der  Verlag  wurde  später  (1866)  von  dem 
Schwiegersohn  Günthers,  C.  Alberts,  zuerst  nach  Breslau, 
dann  am  1.  Januar  1871  nach  Leipzig  überführt.  Die 
Sortimentsbuchhandlung  dehnte  sich  unter  der  Leitung  des 
anderen  Schwiegersohnes,  Friedrich  Ebbecke,  in  Zweig- 
geschäften nach  Bromberg  und  Posen  aus.  Das  Stamm- 
geschäft in  Lissa  ist  seit  1894  im  Besitz  des  Herrn  Oskar 
Eulitz,  der  in  rastloser  Mühewaltung  wieder  einen  ansehn- 
lichen Verlag  besonders  für  pädagogische  Schriften  und  für 
Landkarten  geschaffen  hat  und  ihn  zu  einer  Posener  Lehr- 
mittel-Anstalt in  grossem  Stil  auszubauen  sucht.  Neben 
dieser  Buchhandlung  besitzt  Lissa  zur  Zeit  noch  2  Sortiments- 
geschäfte, ferner  4  Druckereien,  in  denen  ausser  dem  amt- 
lichen Kreisblatt  zwei  Tageszeitungen,  der  „Lissaer  Anzeiger" 
(seit  1880)  und  das  „Lissaer  Tageblatt"  (seit  1884),  erscheinen. 

Wie  in  der  Geschichte  grosser  Länder,  so  zeigt  es  sich 
auch  in  dem  Entwicklungsgang  einer  Stadt  wie  Lissa,  dass 
Buchdruck  und  Buchhandel  die  Gradmesser  des  geistigen 
Lebens  sind,  das  mit  ihnen  steigt  und  fällt.  Darum  behält 
zumal  für  die  Bürger  Lissas  die  Mahnung  ihr  Recht,  mit  der 
einst  ihr  edler  Mitbürger  Johannes  Heermann  seinen,,  Ehren- 
Ruhm  der  edlen  Buchdrucker-Kunst"  geschlossen  hat: 

Und  Du,  wer  Du  auch  seist,  halt  alle  die  in  Ehren, 
Die  Gottes  Ehr*  und  Ruhm  durch  diese  Kunst  vermehren, 
Das  werte  Drucker- Volk.    Wer  sie  nicht  lieben  will, 
Der  ist  nit  liebenswert  und  hält  von  Gott  nicht  viel 


Zehn  Posener  Leichenpredigten 

der 

Marienkirchen-Bibliothek  zu  Frankfurt  a.  d.  O. 

Von 
Arno  Bottichen 

^eichenpredigten  befinden  sich  —  bis  vor  kurzem 
fast  versteckt  und  wenig  beachtet  —  in  Privat- 
und  Bibliothekbesitz.  Sie  an  das  Tageslicht  ge- 
zogen und  grösserer  Beachtung  und  Verwertung  em- 
pfohlen zu  haben,  ist  das  Verdienst  der  Genealogie,  der 
Familienforschung,  weil  die  Leichenpredigten  einen  Ab- 
schnitt mit  Angaben  über  den  Lebensgang  des  Verstor- 
benen und  über  die  Vorfahren  desselben  enthalten.  Wohl 
die  bekannteste  und  grösste  Sammlung  von  Leichen- 
predigten haben  die  fürstlich  und  gräflich  Stolbergschen 
Bibliotheken  und  Archive  in  Stolberg  und  Wernigerode; 
sie  ist  aber  schwer  zu  benutzen,  da  zu  ihr  nur  ein  hand- 
schriftliches Verzeichnis  an  Ort  und  Stelle  vorhanden  ist. 
Im  Interesse  allgemeiner  Nutzbarmachung  haben  erst  1898 
Dr.  Edmund  Lange  ein  alphabetisch  geordnetes  Ver- 
zeichnis der  in  der  Greifswalder  Universitätsbibliothek 
befindlichen,  unter  dem  Namen  Vitae  Pomeranorum  zu 
einer  Sammlung  von  190  Bänden  vereinigten  Leichen- 
predigten in  den  „Baltischen  Studien"  und  1902  Gymnasial- 
professor Nohl  ein  ebenso  geordnetes  Verzeichnis  der  etwa 
2500  Leichenpredigten  in  der  Bibliothek  des  grauen  Klosters 
in  Berlin  in  der  Vierteyahrsschrift  des  Berliner  Vereins 
„Herold"  veröffentlicht.  Und  der  Verfasser  dieses  Aufsatzes 
hat  ein  gleiches  Verzeichnis  zu  den  etwa  1000  Leichenpre- 
digten der  alten  Marienkirchenbibliothek  zu  Frankfurt  a.  O. 
angefertigt,  das  ebenfalls  in  der  genannten  Vierteljahrsschrift 


02  Arno   Bötticher. 

erscheinen  wird;  er  hat  dadurch  lediglich  sein  durch  län- 
gere als  zwanzigjährige  Beschäftigung  mit  der  eigenen 
Familiengeschichte  gewonnenes  und  behaltenes  allgemeines 
Interesse  für  Familienforschung  betätigen  wollen  und 
hatte  bereits  vorher  versucht,  dieses  Interesse  durch  einen 
in  der  Berliner  Zeitschrift  „Die  Woche"  (1902  Nr.  31) 
unter  der  fragenden  Überschrift  „Woher  stamme  ich?4* 
veröffentlichten  Aufsatz  in  weitere  Kreise  zu  tragen. 

Von  der  Familiengeschichte  lässt  sich  die  Orts- 
geschichte nicht  trennen.  Leichenpredigten  sind  daher 
auch  eine  Quelle  der  Ortsgeschichte,  oft  auch  der  all- 
gemeinen Geschichte  und  nicht  weniger  des  allgemeinen 
und  theologischen  Geschmacks.  Von  diesen  Gesichts- 
punkten aus  ist  es  vielleicht  nicht  unangebracht,  an  dieser 
Stelle  von  den  Leichenpredigten  zu  erzählen  und  Aus- 
züge aus  ihnen  zu  bringen,  die  von  Personen  handeln, 
die  in  der  Provinz  Posen  geboren  oder  gestorben  sind, 
oder  dort  gewohnt  oder  sich  aufgehalten  haben.  Dass 
in  Frankfurt  sich  solche  Leichenpredigten  befinden,  erklärt 
sich  dadurch,  dass  es  üblich  war,  sie  nicht  nur  drucken 
zu  lassen,  sondern  auch  unter  Verwandten  und  Bekannten 
und  Pastoren  auszutauschen,  und  dass  grade  letztere  es  wohl 
waren,  die  die  Leichenpredigten  nach  und  nach  selbst 
sammelten  und  den  öffentlichen  Büchersammlungen, 
Bibliotheken  zuführten,  und  dass  grade  die  Marienbiblio- 
thek in  Frankfurt,  die  sich  noch  jetzt  „Haupt-  und  Han- 
delsstadt" nennt  und  damals  noch  durch  Universität  und 
Messe  viele  und  weitreichende  Beziehungen  besass,  Leichen- 
predigten aus  den  Gegenden  von  Strassburg  und  Kolmar 
i.  E.  bis  Königsberg  i.  Pr.,  von  Stralsund  bis  Nürnberg 
und  von  Hamburg  bis  Brieg  besitzt. 

Zum  besseren  Verständnis  der  nachfolgenden  Aus- 
züge noch  einige  Worte  über  Bedeutung  und  allgemeinen 
Inhalt  der  Leichenpredigten. 

Die  Leichenpredigten  bilden  eine  eigenartige  Lite- 
ratur aus  der  Zeit  der  beiden  Jahrhunderte  nach  der 
Reformation;  sie  sind  auch  eine  Errungenschaft  der  Re- 
formation  selbst,   die   in  den  Mittelpunkt  jeder  bis  dahin 


Zehn  Posener  Leichenpredigten.  63 

fast  ausschliesslich  liturgisch  gestalteten,  kirchlichen  oder 
gottesdienstlichen  oder  religiösen  Feier  die  erklärende 
und  belehrende  priesterliche  Rede1)  setzte.  Damit  soll  aber 
nicht  gesagt  sein,  dass  es  nicht  auch  katholische  Leichen- 
predigten gibt;  sie  gehören  aber  meist  einer  späteren 
Zeit  an;  z.  B.  hat  die  Bibliothek  des  historischen  Vereins 
in  Marienwerder  Leichen  predigten  eines  um  1720  leben- 
den Jesuiten  Heintze.  Die  Leichenpredigten  bestehen  in 
der  Regel  aus  Anfangs-  oder  Schlussgebeten  oder  aus 
einem  von  beiden  und  aus  vier  verschieden  geordneten 
Teilen:  der  eigentlichen  (Kanzel-)  Predigt,  den  Per- 
sonalien des  Verstorbenen  (Personalia,  Lebenslauf,  Cur- 
riculum  vitae,  Ehrengedächtnis,  Ehrensäule,  Memoria  pie 
defuhcti;  Danck-  und  Grab-Mahl  Prosopographie),  der 
Abdankunksrede  (Stand-,  Trauer-  oder  Trostrede,  Pa- 
rentatio)  und  den  Nachrufen  (Epicedien),  die  den  Ver- 
storbenen die  Berufsgenossen  (bei  Professoren  und  Stu- 
denten auch  die  Tischgenossen),  Bekannte,  Freunde, 
Gönner  und  (meistens  an  letzter  Stelle)  die  Verwandten 
in  neuen  und  alten  Sprachen  und  in  den  verschiedensten 
dichterischen  Formen  gewidmet  haben.  Ihre  Eigenart 
hängt  auch  mit  jener  Zeit  des  Humanismus  zusammen, 
als  deutsche  Gelehrte  aus  Italien,  wo  durch  glänzende 
Höfe  und  reiche  Städte  Kunst  und  Wissenschaft  gefördert 
wurden,  Liebe  und  Begeisterung  für  das  künstlerische 
und  wissenschaftliche  Altertum  nach  Deutschland  gebracht 
hatten,  und  zeigt  sich  insbesondere  in  der  Überladung 
mit  Zitaten  aus  alten  Schriftstellern  und  mit  altsprachlichen 
Ausdrücken  und  in  der  Latinisierung  und  Gräzisierung 
der  Eigennamen  durch  Anhängung  von  Endungen  oder 
durch  vollständige  Übersetzung  (z.  B.  Textor- Weber, 
Faber-Schmied,  Gynaecopolis-Fraustadt). 

Die  nun  folgenden  Auszüge  der  Leichenpredigten  sind 
der  Zeitfolge  der  Sterbejahre  nach  geordnet  und  beginnen 
jedes  Mal  mit  einer  verkürzten,  sonst  wörtlichen  Wieder- 
gabe des  so  charakteristischen  Titels.  Auch  andere  Stellen 


x)  praedicare,  öffentlich  ausrufen,  verkünden,  erklären. 


64  Arno  Bottichen 

sind  wörtlich  wiedergegeben  nicht  nur  zur  Darstellung 
damaligen  Stils  und  damaliger  Orthographie,  sondern 
auch,  weil  das  in  ihnen  Erzählte  erst  durch  wörtliche 
Wiedergabe  die  rechte  Bedeutung  und  Würdigung  erhält 

1. 

Christliche  Leichvermanung  bey  dem  Adelichen  Begräbniss 
der  Edlen  ....  Frauen  Hedwig  geborene  Gladissen  aus  dem 
Hause  Gladisgorb  von  Reusen,  des  Edlen  ....  Junckern  Johannsen 
von  C  zweck,  Erbgesessenen  vor  der  Sc  hieve  .  .  .  Ehegemals,  Ge- 
halten Auff  der  seeligen  Frauen  selbst  eigene  anordnung  und  ihres 
hochgeliebten  Junckern  bitt  aus  dem  Edlen  Trostsprfichlin  Joh.  am 
19.  cap.  .  .  .  Durch  Valerium  Herbergern  liebhabern  und  Diener 
Jesu  Christi  in  Frauenstad.  Gedruckt  zur  Liegnitz  durch  Nicol. 
Schneider  A.  C.  1602. 

2. 

Hertz-schmachten  und  Hertz-Trost  Assaphs  und  aller  Kinder 
Gottes  auss  dem  LXXm  Psalm  v.  25.  26  Bey  Volckreicher  Leich- 
bestattung der  weiland  Wol  Erbaren  Viel  Ehr,  Sitt-  und  Tugend- 
reichen Frauen  Dorothea  Elisabetha  geborene  Rot  hin  des  Wol 
Ehrenvesten,  Vor  Achtbaren  und  Hochgelahrten  Herrn  M.  Gothofredi 
Textoris  p.  t.  wolverordneten  Rectoris  der  Schulen  zu  Fr  au  Stadt 
Hertzgeliebten  Ehegattin:  Welche  im  Jahr  Christi  1653  den  21.  Novembr. 
umb  XI  Uhr  zu  Mittage  sanfft  und  Seelig  eingeschlaffen  und  den 
28.  ejusd.  in  Ihr  Ruhkämmerlein  ansehlich  vergleitet  worden. 
Einfältig  betrachtet  und  auff  Begehr  zu  Papier  gebracht  durch 
Johannem  Heynium  Prediger  bey  dem  Kripplein  Christi  daselbst 
Gedruckt  zur  Pol  Lissa  durch  Wigandum  Funck. 

Die  Verstorbene  war  geboren  am  22.  Dezember  1628  und  die 
Tochter  des  „Vornehmen  Bürgers  und  Handelsmanns  Stephan  Rothe, 
dessen  .  .  .  Leben  so  wol  zur  Freystadt  alss  zu  Posen,  wo  Er  3. 
Jahr,  und  alhier  zu  Fraustadt,  wo  Er  10.  Jahr  alss  Exul,  Innwohner 
und  Bürger  gelebt,  zur  Genüge  bekannt  ist*  Die  Mutter  war  die 
Tochter  des  Syndikus  Kasper  John  in  Freistadt  In  Freistadt  war 
auch  der  Grossvater  Samuel  Rothe  Prokonsul  und  Notarius.  Die 
Eltern  liessen  sich  Erziehung  und  Ausbildung  der  Tochter  sehr  an- 
gelegen sein,  „wolwissende,  das  an  gutter  Aufferziehung  auch  bey 
dem  Weiblichen  Geschlecht  nach  des  Chrysostomus  Meynung  so 
viel  gelegen,  dass,  wenn  sie  recht  unterwiesen  sind,  sie  nicht  allein 
erhalten  werden,  sondern  auch  die  Männer,  welche  Sie  heyraten 
sollen,  und  nicht  die  Männer  allein,  sondern  auch  die  Kinder  und 
Kindeskinder. u  Sie  heiratete  1649  ihren  [unterlassenen  Ehemann 
Textor,  starb  aber  schon  nach  vierjähriger  Ehe  und  hat  Kinder  nicht 
hinterlassen.  Sie  war  eine  „Taberna  morborum,  zugleich  aber  auch 
ein  Exemplum  patientiae."  Gegen  ihre  Leiden  half  auch  nichts  das 
„warme  Bad  in  Hirschberg"   und  die  Wissenschaft  und  Kunst  des 


Zehn  Posener  Leichenpredigten.  65 

Fraustädter  Physic.  Ord.  Procons.  und  Scholarcha  Adam  Henning  und 
des  Fürstlich  Liegnitz'schen  Leibarztes  Wolf  gang  Gast.  Die  Stand- 
rede hält  Andreas  Gryphius.  Nachrufe  sind  der  Leichenpredigt 
nicht  beigegeben.  Die  Verstorbene  hatte  einen  Bruder  Samuel, 
der  damals  Student  war. 

Der  Name  Textor  war  ein  sehr  verbreiteter;  nach  anderen 
Leichenpredigten  stirbt  1643  in  Gross-Kauer  in  Schlesien  der 
Prediger  Gottfried  Textor,  der  1594  als  Sohn  des  Predigers 
Zacharias  Textor  in  Bertzdorf  geboren  war  und  vier  Söhne: 
Zacharias,  Pfarrer  zu  Mose,  Gottfried,  Kand.  d.  Theol.,  Konstantin 
und  Benjamin  hinterliess,  und  stirbt  1684  die  Ehefrau  des  Kaiser- 
lichen Regierungsrats  Gottfried  Textor  auf  M  e  r  s  i  n  e  im  Fürstentum 
Wohlau;  letzterer  ist  wohl  derselbe,  der  1668  einen  Stations-Sermon 
auf  die  Freifrau  Esther  von  Canitz  geb.  Freiin  von  Schönaich  auf 
Urskau    hält. 

3. 

Christliche  und  Schriftmässige  Seelen-Sorge  Hess  den  Worten 
Davids  Psalm  31  v.  6  und  Christi  unseres  Heylandes  Luc.  23  v.  46  . .  . 
Bey  Christlicher  und  Volckreicher  Sepultur  des  weiland  Ehrenvesten 
und  Wolbenahmbten  Hei  ren  Sigismund  L  ü  b  i  s  c  h ,  gewesenen  fürneh- 
men Bürgers  und  Handelsmannes  in  der  Gräfflichen  Stadt  Lissa, 
Welcher  in  dem  HERREN  Selig  verschieden  den  ig.  Januarii  und 
hernach  den  29.  Januarii  in  Jahr  Christi  1655  in  sein  Ruhebettlein 
auff  dem  Pfarr-Kirchhoff  daselbsten  ist  eingesencket  worden  .  .  . 
dargestellet  .  .  .  von  M.  Alberte  Günzelio  bey  «der  Evangelischen 
Gemeine  der  Augsp.  Confession  dieser  zeit  Pastore  in  Lissa.  Ge- 
druckt zur  Pol.  Lissa  durch  Wigandum  Funck. 

Der  Verstorbene  war  geboren  1584  am  15.  Mai  und  der  Sohn 
des  aus  Ol  mutz  stammenden  Wenzel  Lübisch,  damals  Hofeschreiber 
zu  Bansen  im  Fürstentum  Glogau,  dann  in  G 1  o g a u  selbst,  und  der 
Dorothea  Härtel.  Er  besuchte  die  Schule  zunächst  in  Glogau  und 
dann  in  Fr  ei  Stadt,  wo  er  beim  StadtphysicusKaspar  Fierling  unter- 
gebracht war,  und  war  darauf  in  Glogau  beim  Rechtsgelehrten 
Johann  Franke  und  beim  Stadtschreiber  Peter  Ladislaus 
Schreiber  und  beim  Hans  Balthasar  von  Pusch  auf  Gross- 
schwein  und  Gräditz  Schreiber  und  Amtmann.  161 1  heiratete  er 
die  Witwe  Rosine  Neutzling,  geb.  Goltz  in  Räuden  Fürstenthum 
Wohlau.  „Als  Er  nun  zum  Räuden  biss  ins  dritte  Jahr  sesshafft 
gewesen,  hat  Er  sich  von  dar  nach  Stein  au  begeben,  in  Meinung 
seine  Nahrung  und  Handel  desto  besser  fortzustellen,  allwo  er  auch 
6  Jahr  in  guttem  Wohlstande,  hernacher  aber  bey  schwerer  Krieges- 
Einquartierung,  Contribution  und  Plünderung  in  die  18  Jahr  ge- 
wohnet. Ob  auch  gleich  An.  1632  die  Stadt  Steina  durch  die 
Soldaten  in  Brand  gestecket  und  zu  gründe  verterbet,  hat  er  sich 
doch  nicht  ohne  seinen  grossen  Schaden  noch  zwey  Jahr  alldar  auff- 
gehalten;  Worauf f  Er  endlich  genothdränget  worden,  sich  in  die  Cron 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XIX.  5 


66  Arno  Böttichcr. 

Pohlen  zu  begeben,  da  er  Anfänglich  zum  Reisen  in  die  6  Jahr  ge- 
wohnet, hernacher  aber  An.  1640  alihier  in  Lissa  sich  gesetzet,  weil 
Ihm  vornehmlich  dieser  Ort  wegen  gutter  Kirchen  und  Regiments- 
Ordnung  wolgef allen,  welches  Er  unterschiedlicher  gegen  Fremden 
und  Einheymischen  ohne  Heucheley  hochgerühmt. *  Von  seinen 
zwei  Söhnen  und  fünf  Töchtern  überlebten  ihn  nur  drei  Töchter 
Elisabeth,  Sabine  und  Rosine,  die  mit  dem  Ratsverwandten  und 
Handelsmann  Christoph  Schröer  in  Steinau  und  den  Bürgern  und 
Handelsmännern  Johann  Thlanen  und  Abraham  Urban  in  Lissa 
verheiratet  waren.  Auch  seine  Frau  war  schon  vor  ihm  gestorben. 
Eine  Standrede  unter  dem  Titel  „ Ehren-Säule a  hält  ihm  Kaspar 
Heuschel  Theolog.  Cultor. 

4- 

Der  wolthätige  Jojade  Auss  den  Worten  der  wunderschönen 
Grabschrifft  so  der  Heilige  Geist  demselben  gleichsam  selbst  ge- 
stellet hat,  2  Chron.  24  v.  15  16  ...  .  Bey  christlicher,  Adell-  und 
Volckreicher  Sepultur  des  weiland  ....  Herrn  Philippi  Hei  des 
gewesenen  Wolverordneten  auch  Hochverdienten  Bürgermeisters  in 
der  Gräfflichen  Stadt  Lissa,  Welcher  ....  den  9.  Martij  ver- 
schieden und  den  ...  18.  Martij  im  Jahr  des  HERREN  1655  da- 
selbsten  in  der  Kirche  Augsp.  Confession  in  sein  darzu  bereitetes 
Schlaff-  und  Ruhe-Kämmerlein  Christlich  ist  beygesetzet  worden, .  .  . 
dargestellet  und  allen  Frommen  Regenten  zum  Exempel  gewiesen  .  .  . 
von  M.  Alberto  Günzelio  bey  der  Evangelischen  Gemeine  der 
Augsp.  Confession  dieser  zeit  Pastore  in  Lissa.  Gedruckt  zur  Pol. 
Lissa  durch  Wigandum  Funck. 

Der  Verstorbene  war  geboren  1589  in  Guhrau,  wo  sein 
Vater  Senior  der  Fleischhauer  und  sein  Grossvater  Stadt- 
vogt gewesen  war;  seine  Mutter  war  die  Tochter  des  dortigen 
Bürgermeisters  Jähner.  „Schon  sobald  er  nur  hat  reden  können, 
wurde  er  in  die  damals  zum  Guraw  sehr  wolbestellte  Schule  gethan, 
darinnen  Er  zwar  nur  biss  zum  13.  Jahr  seines  Alters  verblieben, 
aber  in  solcher  zeit  dermassen  proficiret,  dass  Er  nicht  allein  seine 
Fundamenta  Pietatis  sondern  auch  einen  ziemlichen  Anfang  Latinitatis 
geleget  und  sonderlich  eine  perfection  Arithmetices  et  Musices 
davon  getragen,  welches  letztere  Ihme  denn  sonderlich  so  lieb  und 
angenehm  gewesen,  dass  Er  nicht  alleine  seine  besondere  Lust  an 
der  Music  gehabet  und  alle  seine  liebe  Söhne  für  alle  andern  selbige 
erlernen  lassen,  Sondern  hat  auch  Selbsten  wie  zum  Guraw  also 
auch  hier  in  Lissa  dem  Choro  Musico  persönlichen  beygewohnet 
und  denselbigen  mit  seiner  von  Gott  verliehenen  schönen,  hellen 
und  klaren  Alt-Stimme  freiwillig  zieren  helffen.«  Den  Eltern  gehorsam 
verliess  er  die  Studien  um  ein  Handwerk  zu  lernen  und  wählte  das 
„löbliche  Tuchmacher-Handwerk",  das  er  bei  den  Meistern  Georg 
Schade  und  Kaspar  Goldammer  in  Guhrau  erlernte  und  in  dem  er 
sich  zwei  Jahre  von  1606  an  auf  der  Wanderschaft  in  Thorn  und 


Zehn  Posener  Leichenpredigten.  67 

In  Preussen  vervollkomnete.  Schon  in  Guhrau  hatte  er  „unter- 
schiedene Ehrenämpter  mit  Ruhn  und  Lobe  verwaltet.  Ob  Ihnen 
nun  zwar  zur  zeit  dero  Anno  1628  ergangene  Bäpstischen  Reformation 
mehr  Dignitäten  angetragen  worden,  hat  Er  doch  viel  lieber  alle 
seine  unfahrenden  Gütter  und  stattliche  Nahrung  in  Stiche  gelassen, 
als  dem  vielfaltigen  Begehr  nach  zu  einer  andern  Religion  sich 
accomodiren  wollen.  In  erwegung  dessen  hat  Er  sich  noch  selbiges 
Jahr  von  dannen  weg  und  anhero  nach  Lissa  gewendet,  doch  solcher 
gestalt,  dass  man  Ihn  (wie  noch  etlichen  wenigen  beschehen)  mit  guttem 
schriftlichen  Testimonio  dimittiret  und  weg  ziehen  lassen. u  Nach- 
■dem  er  das  Bürgerrecht  in  Lissa  erbeten  und  erhalten  hatte,  folgten 
ihm  bald  nicht  nur  sein  (nach  Namen  und  Stand  nicht  besonders 
bezeichneter)  Bruder,  sondern  auch  andere  Freunde  und  Bürger 
von  Guhrau.  Er  machte  sich  auch  sesshaft  und  kauffte  sein  „itziges 
{doch  damahls  nicht  so  gebawtes)  Hauss."  „Anno  1631  hat  Ihn  der 
Hoch-  und  Wolgeborene  Fürst  und  Herr  Herr  Raphael  Graff  zu  der 
Lissa,  Woiwoda  zu  Belss,  des  Fürstenthumbs  Czattoriscko  in  Reussen, 
und  der  Herrschafften  Romanowa,  Wlodowa,  Boronowa  etc.  Erb- 
Herr,  zum  Regierenden  Bürger-Meister  constituiret  und  durch  den 
Wolgeborenen  Herrn  Herrn  Johann  George  Schlichting  von 
Bauchwitz,  der  Königlichen  Maytt  in  Polen  und  Schweden  Obersten 
Land-Richter  Frawstädtischen  Kreysses,  dero  Maytt.  und  dero  König- 
reich Zollgefälle  General- Administratorem,  Unter-Hauptmann  zu 
Kaiisch,  vollmächtigen  Stadthalter  der  Graffschafft  Lissa,  wie  auch 
in  Reissen,  Saborowa  und  Demmitsch,  auff  Schlichtingsheim,  Gurschen, 
Ottendorff,  Wirtzenssky,  unsern  Gnädigsten  Herrn,  confirmiren  und 
installiren  lassen."  Zu  diesem  Amte  ist  er  dann  wiederholt,  zu- 
nächst nach  drei  Jahren  durch  „unsern  Gnädigsten  Erb-Herrn  den  Hoch- 
Wolgeborenen  Graffen  und  Herrn  Herrn  Boguslav  Leszinski,  dero 
Königlichen  Maytt.  in  Pohlen  und  Schweden  Obersten  Reichs- 
Schatz-Meister,  Generain  in  Gross-Pohlen,  Hauptmann  auff  Sembor, 
Meseritz,  Ostera,  Osieck  etc.,  auff  Lissa,  Radczimin,  Przigodzitz, 
Reissen,  .Saborowa  und  Demmitsch  Erbherrn-,  erwählet  worden, 
welches  „hohe  Ampt  Er  doch  vielmehr  mit  thränenden  Augen  als 
vermeinter  Frewde"  versehen. 

Die  letzten  Jahre  seines  Lebens  war  er  sehr  leidend.  Er 
hatte  drei  Mal  geheiratet:  1609  Hedwig  Nieschelck,  Wittwe  des 
Handelsmanns  Hempel  in  Guhrau,  1696  Dorothea  Köler,  Wittwe 
des  Handelsmanns  Wäber  in  Guhrau,  1644  Anna  Reinhold,  Wittwe 
des  Oberpfarrers  Melchior  Maronius  in  Lissa.  Die  letzte  Ehe  war 
kinderlos;  aus  den  beiden  anderen  Ehen  hatte  er  fünf  und  drei 
Kinder,  von  denen  sieben  ihn  überlebten,  vier  Söhne:  Philipp, 
Abraham,  Friedrich,  Gottfried,  die  Bürger  und  Tuchmacher  in  Lissa 
waren,  und  drei  Töchter:  Katharina,  Regina  und  Dorothea,  die  in 
Lissa  an  den  Bäckermeister  Friedrich  Teichmann,  Tuchmacher 
Kaspar  Hänning  und  Ratsverwandten,  Kirchenältesten  und  Han- 
delsmann David  Hänning  verheiratet  waren. 


68  Arno  Bottichen 

5- 

Imvap  novroßQoiofa  Periclitantium  ac  Percuntium  in  Aquis  Idcar 
Regula,  Solatium.  Der  ins  Meer  gesunkene  Jonas  alss  ein  Ebenbild, 
Regul  und  Trost  derer  im  Wasser-Gefahr-Ausstehenden  und  Unter- 
gehenden, Nach  den  Geistreichen  Worten  seines  Gebethes  C  II 
v.  3—9 ....  bey  angestallten  Leich-Begängnüs  des  Wailand .... 
Hr.  Jacobi  Rudolphi.  Ihrer  Königl.  Mayt  in  Schweden  hochver- 
ordneten Secretarii,  Welcher  den  3.  December  1660  auff  den  Schwe- 
dischen See-Küsten  nebst  andern  Schiff-bruch  erlitten  und  erbärmlich 
jedoch  Selig  untergegangen.  In  der  Kirchen  Augsburgischer  Con- 
fession  in  Lissa  am  Sonntag  Judica  1661  betrachtet.  .  .  von  Jeremia 
Gerlachio  Pastore  in  Schlichtingsheim.  Zur  Ols  druckts  Jo- 
hann Seyffert. 

Der  Verstorbene  war  geboren  am  23.  Juli  1624  in  Thorn; 
die  Eltern  waren  der  Kantor  Jacob  Rudolph  und  Anne  Gesner, 
Tochter  eines  dortigen  Predigers.  Den  Vater  verlor  er  noch  im  Ge- 
burtsjahr durch  die  Pest  Er  besuchte  das  „berühmbte  Gymnasium" 
in  Thorn  und  dann  die  Universität  Königsberg.  „Weil  Er  aber 
als  ein  Studiosus  Juris  den  Statum  Curiae  Poloniae  zu  begreifen  sehr 
begierig  war,  als  hat  Er  sich  auf  Rath  gutter  Freunde  nach  Posen 
in  Gross  Pohlen  begeben  und  allda  nicht  allein  bey  der  Cantzelley 
seine  nützlichen  Verrichtungen,  sondern  auch  bey  Ihrer  Gross- 
mächtigen Gnaden  des  Seeligen  Herrn  Wojewoden  Posnanski  Hoch- 
adlichen  Kindern  die  Information  auf  sich  genommen  und  mit  grossem 
Ruhm  verrichtet."  1645  machte  er  im  Gefolge  des  „Herren 
Kostka,  Starosta  Lippinsky"  die  Gesandschaft  mit,  als  der  König 
„die  annoch  regierende  Königin  aus  Franckreich  abgeholet.a  Dann 
hat  er  sich  vier  Jahre  lang  bey  Ihrer  Gnaden  dem  Hochwohlgebo- 
renen  Herrn,  Herrn  Johann  Georg  von  Schlichting  aus  Buko- 
wiec,  Königlich  Fraustädtischen  Landrichter  und  Administratoren  der 
Graffschaft  Lissa,  vor  einem  Secretarium  gebrauchen  lassen . . .  und 
sich  so  wol  verhalten,  dass  Er  hierrauff  zu  einem  Bedienten  in 
der  Land  -  Kantzelley  und  Königlichen  Einnehmer  der  Zollgefälle  zur 
Fraustadt  constituirt  worden.  1652  heiratete  er  Susanne  Dlugosch, 
die  Tochter  eines  Ratsverwandten  und  Handelsmannes  in  Lissa. 
Er  legte  seine  Ämter  nieder  und  pachtete  die  Güter  Reisen  und 
Dommitsch.  „Nach  dem  unverhofften  Feindlichen  Schwedischen 
Einfall  in  diese  liebe  Cron"  liess  er  sich  verleiten,  Secretarius  und 
Translator  bei  dem  General  Wittenberg  und  dann  beim  Könige  von 
Schweden  selbst  zu  werden.  „Welchen  Dienst  Er  hernach  gar  gerne 
wieder  quittirt  hätte,  wenn  nur  die  offt  begehrte  Dimission  wäre 
zu  erlangen  gewesen.'1  Von  diesem  Dienst  wurde  er  erst  durch 
einen  frühen  Tod  befreit.  Bettlägerig  krank  ging  er  auf  der  Rück- 
reise von  Schweden  im  Gefolge  des  Grafen  von  Schlippenbach 
„destinirten  Schwedischen  Legati  nach  Pohlen"  mit  dem  Schiff  bei 
heftigem  Sturmwetter  unter.  Der  Unfall  ist  sehr  eingehend,   lebhaft 


Zehn  Posener  Leichenpredigten.  69 

und  anschaulich  beschrieben.  Er  hinterliess  einen  Sohn  und  eine 
Tochter. 

6. 

Speculum  Aeternitatis  Ein  Spiegel  der  Ewigkeit,  darinnen  die 
Triumphirende  Kirche  gezeiget  wird,  Aus  der  Offenbarung  Joh.  cap.VII. 

Bey  volckreichen  Begräbnisse  des  Weiland Herrn  Samuelis  Kal- 

denbachii  Med.  D.  dieser  Stadt  und  des  Schwibusischen  Krayses 
wolbestalten  PhysiciOrdinarii  und  berühmten  Practici,  welcher  im  Jahre 

Christi   1664  den  23.  October  N.  S.   zu  Meseritz   in  Pohlen 

verschieden  und  den  26.  October  auff  unsern  Gottes-Acker . .  bey- 
gesetzet  worden.  Dargestellet . . .  von  M.  Johanne  Rollio  Pfarren  der 
Augsb.  Confess.  zugethanen  Gemeine  daselbst.  Frankfurt  Gedruckt 
bei  Johann  Ernsten  Acad.  Typogr. 

Der  Verstorbene  war  geboren  am  20.  Oktober  1634  in  Me- 
seritz, wo  sein  Vater  Johann  Kaldenbach  Bürger  und  Schuhmacher 
war;  auch  seine  Mutter  Anna  Gärtner  scheint  eine  Einheimische  ge- 
wesen zu  sein.  Er  besuchte  die  Stadtschule  und  die  Schulen  in 
Stettin,  wo  er  aber  „in  Ermangelung  eines  bequemen  Hospitii"  nur 
kurze  Zeit  blieb,  in  Pyritz  und  Frankfurt  und  von  1652  ab  auch 
die  Universität  in  Frankfurt,  wo  er  als  Schüler  Hospitium  beim 
Apotheker  und  Consul  Adam  Seile  und  als  Student  „Tisch  und 
Stube"  beim  Professor  Ursinus  hatte.  Das  theologische  Studium 
vertauschte  er  bald  mit  dem  medicinischen,  weil  er  „darzu  unge- 
schickt wegen  der  geschwinden  Sprache  befunden."  1660  wurde  ihm, 
nachdem  er  de  peste  solemniter  disputiret,  der  Gradus  Doctoris  con- 
feriret;  noch  in  demselben  Jahre  heiratete  er,  nachdem  er  sich  als 
Arzt  in  Landsberg  a.  d.  Warthe  niedergelassen  hatte,  Anna  Eli- 
sabeth Polisius,  die  Tochter  des  Frankfurter  Universitätsprofessors. 
Ex  amore  patriae  ac  suorum  siedelte  er  aber  bald  nach  Meseritz 
über,  wo  er  gleich  Physicus  Ordinarius  und  1663  auch  „Medicus 
Ordinarius  der  Herren  Stände  des  Schwibusischen  Kreyses"  wurde. 
Er  erlag  schon  früh  einem  Leiden,  das  ihn  bereits  in  Pyritz  be- 
fallen und  gegen  das  er  vergeblich  die  Hilfe  des  Dr.  Gail  in  Star- 
gard  angerufen  hatte.  Die  Standrede  hält  der  aus  Fraustadt  stam- 
mende Diakon  Christian  Besold  in  Meseritz.  Einen  Nachruf  in  la- 
teinischen Hexametern  widmet  ihm  der  Rektor  der  Frankfurter 
Schule  M.  Johannes  Moller.  Er  hinterlies  einen  Sohn  Melchior 
Benjamin.  Die  Leichenpredigt  ist  auch  gewidmet  einem  Mathäus 
Hoffmann  Jurisconsulto,  Ihrer  Königl.  Maj.  in  Pohlen  Secretario, 
Fürnehmen  Freysassen,  wie  auch  Raths -Herrn  in  Meseritz. 

Seine  Frau  folgte  ihm  schon  nach  zwei  Jahren  nach ;  sie  starb 
in  Frankfurt;  die  Leichenpredigt  hielt  der  dortige  Prediger  Johann 
Christian  Lud  ecke. 

7- 
Jesus  der  von  Edom  und  Bezra  mit  röthlichen  Kleidern  kom- 
mende Kelter-Tretter   Auss  dem  LXIII   Cap.   Esaiae  dargestellet  in 


70  Arno  Bötticher. 

einer  Christi.  Leich-  und  Ehren-Predigt  der ....  Frauen  Christinen 
Lindner  in  geborenen  £  der  in  Tit  Herrn  M.  Abraham  Lindners 
Treu-verdienten  Rectoris  der  Stadt-Schulen  bezw.  Kripplein  Christi 
in  der  Königlichen  Fraustadt  gewesenen  Hertz-  und  Ehe-Liebsten. . . . 
von  Georg  Schramm  P.  daselbst.  Gedruckt  zu  Lissa  durch  Mi- 
chael Bücken  1673. 

Die  Verstorbene  war  geboren  am  24.  Juli  1639.  Ihr  Vater  war 
der  M.  Michael  Eder,  Prediger  und  Scholaren  in  Fraustadt;  die  Mutter 
war  Barbara  Juliane  Vechner,  Tochter  des  Bürgers  und  Handels- 
mannes Georg  Vechner  in  Fraustadt,  dessen  Onkel  Johannes  Vechner 
Diakon  in  Fraustadt  gewesen  war.  1655  verheiratete  sie  sich.  Ihr 
Leben  verlief  äusserlich  ruhig.  Sie  litt  an  Ohnmächten,  von  denen 
auch  der  „Hochgelehrte  Herr  Gotdieb  Georg  Schramm  Medicinae  D. 
und  vornehmer  berühmter  Practicus  allhier,  Ihr  geehrtester  H.  Ge- 
vatter* sie  nicht  befreien  konnte.  Sie  starb  am  12.  März  1672  und 
hinterliess  sechs  Kinder,  darunter  die  Söhne  Christian  und  Johann 
Ernst  Eine  Trauerrede  mit  dem  Titel  „Gottliebender  Christen 
Bluttrünstiges  Streit-Gemählde"  hält  M.  Johannes  Lehmann,  Diakon 
in  Fraustadt  Beigegeben  ist  ein  einstimmiger  Cantus,  Nachrufe  von 
dem  aus  Fraustadt  stammenden  Johannes  Rohrmann,  Konrektor 
in  Fraustadt,  ihrem  Sohne  Johann  Ernst  und  von  einem  Johannes 
Grätz  und  einige  Gedichte  zur  Feier  der  zweiten  Heirat  des 
Wittwers  mit  Katharine  Ludwig,  Tochter  „Domini  Friderici  Ludo- 
vici  Deputati  Regii  in  Urbe  Regia  Gynaecopoli,"  unter  ihnen  eins 
von  Pastor  David  Gottfried  Arnhold  in  Neu-Bojanowo. 

8. 

Das  Königliche  Priesterthum  Nach  der  Würde  und  dem 
Ruhm  Auss  der  Würde  und  dem  Ruhm  Auss  der  Offenbahrung 
S.  Johannis  Cap.  I  vers.  5.  6.  Bey  Christlich  -  Priesterlicher  Be- 
Erdigung  des  weiland  ....  Herrn  M.  David  Grotkens  Treu- 
verdienten  Seelen-Hirtens  Alt-D  r  i  b  i  t  z  e  r  Heerden.  In  einer  Leichen- 
predigt den  25.  Junii  des  1674  Jahres  erkläret  ....  von  David 
Kiesel,  Pfarren  in  Schlichtingsheim.  In  der  Hoch-Greffl.  Stadt 
Lissa  gedruckt  durch  Michael  Bücken  1675. 

Der  Verstorbene  war  geboren  am  12.  Dezember  1624  in 
Frau  Stadt,  wo  sein  Vater  Bürger,  Kaufmann  und  Ältester  des 
Schuhmacher- Hand werks  war;  seine  Mutter  war  Dorothea  geb. 
Kuntzendorff.  Bis  zum  19.  Jahre  besuchte  er  Schola  Patriae,, 
dann  das  „damahls  florirende  Gymnasium"  in  Thorn,  wo  er  „vom 
Diakon  und  Professor  Logices  Michael  Brikner  an  den  Tisch  und 
Information  genommen"  wurde.  Nach  „abgelegter  gebräuchlicher 
Valediction*  ging  er  auf  die  Universität  Königsberg.  Dort  blieb  er 
bis  nach  Beendigung  des  dreissigj ährigen  Krieges.  1649  ging  er  nach 
Leipzig  und  dann  nach  Wittenberg,  wo  er  am  22.  April  165a 
in  Magistrum  Philosophiae  promoviret  1652  erhielt  er  die  schon 
längst  durch  Tod  des  Pastors  Kaspar  Baum  an  n  erledigte  Pfarre 


Zehn  Posener  Leichenpredigten.  71 

in  Alt-Dribitz,  nachdem  er  in  Liegnitz  nach  gehaltenem  Examine 
vom  Konsistorium  ordinirt  worden  war.  Dieser  Gemeinde  hat  er 
dann  treu  bis  an  seinen  Tod  gedient;  für  sie  schrieb  er  auch  eine 
„deutliche  und  dem  gemeinen  Mann  leichte  Erklärung0  des 
lutherischen  Katechismus  nach  Art  des  später  eingeführten  Frank- 
furter Katechismus.  Ausserdem  war  er  der  Verfasser  einer  Schrift 
über  die  „Ordnung  der  Christlichen  Glaubens- Artikel",  eines  Gebet- 
buches und  vieler  bei  seinem  Tode  noch  ungedruckter  Kirchen- 
lieder. 1652  hatte  er  sich  in  Rawitsch  mit  Anne  Albinus, 
Tochter  des  verstorbenen  Diakonen  Christoph  Albinus  in  Lissa 
verlobt,  mit  der  er  noch  in  demselben  Jahre  in  Fraustadt  getraut 
wurde.  1670  starb  seine  Frau,  und  1672  heiratete  er  Eva  Marie 
Fuchs  in  Schli cht ings heim,  Tochter  des  verstorbenen  Pastors 
in  Salzbrunn.  Er  hinterliess  aus  erster  Ehe  drei  16,  14  und 
12  Jahre  alte  Kinder  Gottlob,  Elisabeth  und  Dorothea  und  aus 
zweiter  Ehe  ein  einjährigss  Kind  David;  Gottlob  befand  sich  damals 
bei  einem  Vatersbruder  in  Fraustadt  Nachrufe  widmen  ihm 
Pastor  Abraham  Kiesel,  Prediger  Gottfried  Bleyel  in  Albersdorf 
und  Samuel  Reiche  „Schlicht.  Seh.  R." 

9. 

Coelestis  Fidelium  Ecclessiae  Doctorum  Gloria  Treuer  Kirchen- 
Lehrer    Himmlische   Ehre   und    Herrlichkeit  Auss   dem    Propheten 

Daniel  am  X1I1.  Cap.  v.  2.  3 Bey  dem  .  .  .  Leich-Begängnis 

des  ....  Herrn  M.  Johannes  Rollii,  Gewesenen  Wohlverordneten, 
Treufleissigen  Pastoris  der  Evangelischen  Gemeine  zu  Meseritz  in 
Gross-Pohlen  und  Con-Senioris  der  vereinigten  Kirchen  unveränderter 
Augspurgischen  Confession,  Welcher  am  Tage  Lucae  des  Evangelisten 
d.  18.  October  N.  St.  Anno  1678  .  .  .  diese  arge  Welt  gesegnet  .  .  . 
erklähret  von  M.  Jacobo  Saurio  Sverino-Pol.  itzo  P.  im  Ampt-Lago. 
In  Guben  gedruckt  bey  Christoph  Grubern. 

Der  Verstorbene  war  geboren  1628  inGross-Glogau,  wo 
sein  Vater  Jacob  Konrektor  und  sein  Grossvater  Hans  Bürger 
und  Riemer  war;  die  Mutter  hiess  Ursula  Buchner,  deren  Vater 
Buchhändler  zuerst  in  Glogau,  dann  in  Fraustadt  war.  „Weil  aber 
bald  die  Reformation  erfolget,  haben  seine  liebe  Eltern  mit  Ihm 
dass  Exilium  im  halben  Jahr  seines  Alters  bauen  müssen.  Als  nun 
sein  seeliger  Hr.  Vater  gnädige  Demission  von  dem  (Tit.)  Hr.  Hr. 
Graff  von  Dohnau  zu  Gr.  Glogau  erhalten,  hat  er  sich  in  solchem 
Exilio  nach  Steinau  an  der  Oder  begeben.*1  Dort  wurde  der 
Vater  zuerst  Kantor  und  „hernach  wegen  seines  fleisses  und 
Dexterität  im  Dociren  anno  1631  zum  Ludimoderatore  erhoben  und 
befestiget"  und,  da  er  die  Stadtschule  immer  mehr  zu  Ansehen  und 
Ehren  brachte,  deren  Director  und  Inspector.  Der  Vater  hatte  auch 
den  Sohn  so  gut  unterrichtet,  dass  dieser  schon  1645  auf  die 
Universität  Frankfurt  gehen  konnte.  1647  ging  er  nicht  nach 
Wittenberg,  wo  die   „vornehmen  Theologi  als  Doct.  Martini,  Röber 


72  Arno  Bottichen 

und  Lyferus  allbcrcit  schwach  waren  und  hernachen  im  Herrn  ent- 
schließen, sondern  nach  Leipzig,  wo  er  zwei  Jahre  blieb.  Dann 
war  er  ein  Jahr  lang  Informator  oder  Ephorus  der  Söhne  des  Amts- 
Kastners  in  Cottbus  und  ein  weiteres  Jahr  „bei  seiner  Mutter  in 
Fraustadta  (der  Vater  war  schon  1645  gestorben),  wo  er  Privat- 
studien trieb  und  sich  im  Predigen  übte.  1651  ging  er  noch  einmal 
nach  Frankfurt  und  promovirte  dort  Er  war  kurze  Zeit  Rektor 
inWrietzen  an  der  Oder  und  wurde  dann  vom  Bürgermeister 
Gebier  „wegen  der  treuen  und  gutten  Meriten  des  Vaters"  nach 
Meseritz  gerufen,  wo  er  zunächst  Substitut  und,  nachdem  er  in 
Cüstrin  ordinirt  war,  Nachfolger  des  Predigers  Daniel  Haltsius 
wurde.  1653  heiratete  er  Barbara  Chrysander,  Tochter  des 
Bürgermeisters  Kaspar  Chrysander  in  Meseritz.  1666  war  nicht  nur 
für  die  Stadt,  die  durch  einen  grossen  Brand  innerhalb  der  Ring- 
mauer bis  auf  wenige  Häuser  zerstört  wurde,  ein  Unglücksjahr; 
Rollius  verlor  in  diesem  Jahre  zwei  Kinder  durch  den  Tod,  darunter 
einen  sechs  Wochen  alten  Knaben,  den  in  der  Wiege  liegend  die 
Eltern  aus  Stadt  und  Brand  getragen  und  gerettet  hatten.  Schon 
vorher  hatte  die  Familie  nicht  nur  wegen  des  Schwedischen  Krieges 
und  wegen  der  Pest,  sondern  auch  weil  man  Rollius  selbst  nach 
dem  Leben  trachtete,  nach  Crossen  in  das  Exilium  gehen  müssen. 
Von  längerer  Krankheit,  in  der  ihn  der  Stadtphysicus  Jacob 
Theisner  in  Meseritz  und  der  Stadtphysicus  Johann  Joachim 
Cöler  aus  Zu  11  ic  hau  behandelten,  wurde  er  durch  einen  Schlag- 
anfall erlöst.  Er  hinterliess  drei  Söhne  Theodor,  Johannes  und 
Samuel,  von  denen  die  beiden  älteren  Theologie  und  Medizin 
studierten,  und  eine  Tochter,  Anna  Barbara,  welche  mit  dem 
Prediger  Elias  Feige  inBretz  verheiratet  war;  er  hatte  auch  einen 
Bruder  Theodor,  der  „Medic.  D.  und  Pract.  Pro-Consul  der  Stadt 
Hayn*  war.  Ausserdem  sind  noch  genannt,  jedoch  ohne  Angabe 
der  Beziehung  zum  Verstorbenen:  Jacob  Kunze  1,  Königl.  Poln. 
Sekretair  und  Ratsverwandter  in  Meseritz,  und  Martin  Winter,  Rats- 
verwandter und  Handelsmann  in  Fraustadt  Die  Abdankungsrede 
hält  David  Rosenberg,  Prediger  der  Gemeinde  Bauchwitz  und 
Lagowitz.  Der  Rede  sind  zahlreiche  Nachrufe  beigegeben;  von 
den  Verfassern  sind  zu  nennen:  Pastor  und  "  Rektor  Ägidius 
Strauch;  Johannes  Herde,  Archidiakon  in  Breslau;  Simon  Weisse, 
Prediger  in  Thorn;  Samuel  Schelgvigivs,  in  Athenaeo  Gedan. 
S.  S.  Theol.  P.  P.  extraord.  et  Philos.  primae  ac  Pract  ord.  itemque 
Bibliothecarius;  Rektor  Andreas  Kleemann  in  Guben;  Pastor 
Daniel  Greve  in  Kalzig;  Pastor  Andreas  Wenzel  in 
Schwe inert;  Georgius  Chilek  Teschin:  Pastor  olim  in  Einsiedel 
Hungarus,  p.  n.  ab  Exilio  Rector  Birnbaum;  Pastor  und  Inspektor 
Lüdeke  in  Frankfurt;  Adam  Seile,  Pastor  in  Züllichau; 
Kaspar  Genge,  Diakon  in  Crossen;  Kaspar  Magirus,  Pastor  in 
Kuniu;    Johannes    Redwitz,    Notar     in    Fraustadt;     Michael 


Zehn  Posencr  Leichenpredigten.  73 

Liefmann,  jetzo  nach  seinem  Ungarischen  Exilio  Ober-Pfarr  in 
Birnbaum  und  der  vereinigten  Augspurgischen  Kirchen  in  Gross- 
Pohlen  Con-Senior;  Melchior  Benjamin  Kaldenbach  Philiater  und 
Zacharias  Hansel,  Nachfolger  des  verstorbenen  Rollius. 

10. 

Das  Herrliche  Erb-  und  Lehn-Gut  treuer  Kämpffer  Jesu  Christi. 
Unter  dem  Bilde  des  von  Gott  belehnten  und  Himmlisch  gekrönten 
Samuels.  Nach  Anleitung  der  schönen  Abschieds-Worte  des  H.  Apo- 
stels Paulus  2.  Tim.  4  V.  6 — 8. . .  bey . . .  Leichbestattung  des  weyland . . . 
Herrn  Samuel  Lehmanns,  Hoch-verdienten  Bürgermeisters  und 
Rathsverwandten  bey  der  Königl.  Stad  Meseritz...  wie  auch  Aren- 
datoris  der  beyden  Starostay  Dorf f schaff ten  R  o  g  s  e  n  und  B  e  y  t  e  1 . . . 
betrachtet...  am  25.  maji  Anno  1679  von  M.  Zacharia  Hensel, 
Wratislav.  Sil.  Evangelischer  Kirchen  zu  Meseritz  in  Gross  Pohlen 
Ober-Pfarrern  und  Inspector.  Guben  gedruckt  bey  Christoph 
Grubern. 

Der  Verstorbene  war  geboren  zu  Meseritz  am  16.  Februar 
1626.  Vater  und  Grossvater  waren  die  Bürger  und  Kürschner  Georg 
und  Matthäus  Lehmann  in  Meseritz;  der  Vater  war  zugleich  Arenda- 
tor  zu  S  c  h  a  r  t  z  i  g.  Die  Mutter  war  die  Bürgerstochter  Anna  Krieger 
aus  Reppen.  Bei  seiner  Taufe  wurde  er  „mit  dem  schönem 
Nahmen  Samuel  in  das  Stammbuch  des  Lebens  eingezeichnet, 
alssbald  wurde  er  in  den  elenden  und  schmertzensvollen  Weysen- 
stand  gesetzet."  Seine  Vormünder  Bürgermeister  Valentin  Böttchen 
und  Bürger  und  Stadtaltester  Christian  Kintzel  „hielten  Ihn  in 
guter  Disciplin  und  Chrisdichen  Tugenden."  12  Jahre  alt  kam  er 
auf  die  Schule  in  Posen;  er  hat  „sich  fleissig  in  der  Polnischen 
Sprache  geübet,  dass  er  dieselbe  im  reden  und  schreiben  recht- 
fertig gebrauchen  könne."  Er  neigte  aber  mehr  zum  Handwerk  als 
zum  Studium  und  ergriff  das  Handwerk  seiner  Vätter,  das  er  beim 
Kürschner  und  Rauchhändler  Heinrich  Hancke  in  Posen  vier  Jahre 
lang  erlernte.  Dieser  hätte  ihn  gern  auch  noch  länger  behalten; 
aber  „ein  edles  Gemüthe,  sagt  Seneca,  hat  nicht  genung  in  seiner 
Vater-Stad  zu  bleiben,  er  sucht  auch  anders  wo  sein  Glück  und  wil 
wo  möglich  der  gantzen  Welt  sich  zu  treuen  Diensten  darstellen. 
Zu  dem  Ende  hat  der  seelige  Herr  Bürgermeister  nach  Warschau 
sich  erhoben  und  zu  Hofe  bei  Ihre  Königl.  Maj.  Vladislav  IV  einen 
Winter  über  sich  aufgehalten.  Nach  dem  Ihnen  aber  das  wüste 
Hof-Leben  kein  Vergnügen  geben  können,  hat  Ihn  das  Verlangen 
frembde  örter  und  Sitten  zu  sehen  in  andere  Länder  geführet. u 
Er  ging  nach  Thorn  und  Danzig  und  von  da  zur  See  nach 
Lübeck  und  Hamburg.  „Und  wie  er  ferner  seine  Reise  in 
Holland  fortzusetzen  willens  gewesen,  ist  Ihm,  wie  gar  offters 
geschehn,  das  Unglück  dermassen  nahe  getreten,  dass  er  gar 
wenige  Hoffnung  seines  Lebens  übrig  behalten.  Nicht  allein 
hatte    den  Seligen    der   grausame  Seesturm   befallen,    dass  er  dem 


74  Arno  Bottichen 

Tode  schon  gleichsam  im  Rachen  gestecket,  sondern  ward  auch 
von  denen  aus  der  Vestung  Stade  kommenden  Schweden  feind- 
lich angefallen  and  gefänglich  mit  seinen  anderen  Reisegefehrten 
eingebracht,  darauf  Er  nicht  allein  von  dem  Commendanten  Kriege- 
dienste anzunehmen  gezwungen,  sondern  auch  mit  ziemlichen  Un- 
gemach ein  gantzes  Jahr  darinnen  behalten  worden. u  Er  setzte 
seine  Reise  nach  GlQckstadt,  Friesland  und  Amsterdam  fort 
und  ging  dann  über  Schweden  nach  Reval  und  Riga.  In  „Wilde 
in  Littauen"  machte  er  den  Einzug  König  Wladislaus  IV.  und 
dessen  Gemahlin  mit  und  ging  dann  im  Gefolge  der  verwitweten 
Königin  nach  Warschau,  wo  er  beim  Königl.  Sekretär  und  „der 
Preussischen  Staute  wolbestallten  Agenten41  Elias  Hoff  mann  blieb. 
1649  ging  er  zur  Krönung  des  Königs  Johann  Kasimir  als  Be- 
diensteter des  Grosskanzlers  Ossolinsky  nach  Kr a kau,  von  wo  er 
in  Gesellschaft  des  Notars  Christian  Jacob i  aus  Fraustadt  nach 
Haus  zurückkehrte.  Auf  Rat  und  Zureden  der  Verwandten  und 
Freunde  unterliess  er  die  Rückkehr  nach  Krakau  in  den 
Ossolinskyschen  Dienst;  er  nahm  vielmehr  „die  väterlichen  Güter 
in  Besitzung."  Am  16.  November  1649  wurde  er  mit  Elisabeth 
Jacobi,  Witwe  des  Stadtschreibers  Adam  Schwartzrock  in 
Meseritz  getraut.  Als  ihm  diese  1677  starb,  heiratete  er,  „weil  seine 
weitdäufftige  Wirthschafft  bey  diesen  dranckseligen  Zeiten  länger 
unfern  zu  bleiben,  Ihm  nicht  zugeben  wollen"  Hedwig  Gebhardt, 
die  Wittwe  des  Ratsverwandten,  Kirch-  und  Handelsmanns  Georg 
Walter  aus  Rawitsch.  „Seine  öffentlichen  Ehren-Ämpter  be- 
treffend ist  Er  wegen  seiner  Geschicklichkeit  von  E.  E.  W.  Rath 
allhier  Anno  1651  zum  Ackerältesten  gesetzet,  folgendes  Anno  1653 
in  den  Gerichts-Stuhl  befordert,  wie  denn  auch  Anno  1657  von 
Ihro  Hochgräfliche  Gnaden  Herrn  Lelsczynski  damahligen  Cron- 
Schatzmeister  als  unseren  gnädigen  Herrn  Starosten  in  den  Raths- 
Stand  erhoben  und  zugleich  wegen  seiner  Activität  zum  Bürger- 
meister dieser  Stadt  verordnet  worden.  Und  wiewohl  Er  dieses 
beschwerliche  Ampt  insonderheit  wegen  der  damaligen  Schwedischen 
Unruhe  von  sich  abzulehnen  zu  dero  Hoch-Gräflichen  Gnaden  biss 
nach  Br esslau  gereiset,  mit  demütigst  abgelegter  Supplication  Ihn 
hiermit  zu  verschönen,  hat  sich  es  doch  nicht  anders  wollen  thun 
lassen,  als  dass  Er  solch  mühsames  Ämpt  seinen  Schultern  müsste 
gehorsamst  aufbürden  lassen;  welchem  Er  auch  auffs  rühmlichste 
vorgestanden  und  desswegen  nachgehends  zum  öfftern  mit  selbigen 
beleget  worden."  Er  starb  anscheinend  an  der  Gelbsucht  und  hinter- 
Hess  Söhne  und  Töchter,  die  aber  nicht  namentlich  genannt  sind. 


Der  Streit 
der  Schuhmachergewerke  zu  Meseritz  und  Schwerin 

im  siebzehnten  Jahrhundert. 

Von 
Karl  Andersch. 

;n  Zacherts  Chronik  der  Stadt  Meseritz1)  wird  unter 
den  „innerlichen  Stadt-Prozessen  und  Streitigkeiten" 
auch  eines  Prozesses  gedacht,  welchen  das  Meseritzer 
Schuhmachergewerk  mit  dem  Schweriner  Gewerk  führte, 
und  darüber  folgendermassen  berichtet:  Anno  1673  ent- 
stand ein  Streit  zwischen  dem  Gewerk  der  Schuhmacher 
und  einem  E.  Rath.  Es  hatte  dieses  Gewerke  bereits  zu- 
vor einen  Prozess  mit  den  Schuhmachern  in  Schwerin  ge- 
führet, dass  es  ihnen  nicht  freystehen  solte,  weder  am 
Jahrmarkte  noch  Wochenmarkte  ihre  Schuhe  in  Meseritz 
zu  verkaufen.  Das  Schwerinsche  Gewerk  aber  hat  sich 
allezeit  in  diesem  Stücke  dem  Meseritzischen  stark  wider- 
setzet, so  dass,  da  die  Sache  bey  einem  E.  Magistrat 
beyder  Städte  nicht  konnte  abgetan  werden,  sie  endlich 
vor  den  Hof  gelangte.  Hierzu  gab  zufälliger  Weise  Ge- 
legenheit Mich.  Kaldenbach,  Mitmeister  dieses  Gewerkes. 
Er   stund    im  eignen  Prozess  zu  Hofe  mit  einem  E.  Rath 


*)  Zacherts  Chronik  der  Stadt  Meseritz.  Nach  der  Original- 
handschrift herausgegeben  von  Adolf  Warschauer,  Posen  I883,  S.  82, 
83.  Ober  die  Person  des  Verfassers  vgl.  daselbst  Einleitung,  S.  2, 3, 
und  Dr.  Danysz,  die  katholische  Pfarrkirche  und  der  Magistrat  in 
Meseritz  von  der  Reformation  bis  1744,  nach  dem  Archiv  der 
katholischen  Pfarrkirche  dargestellt.  (Wissenschaftliche  Beigabe  zu 
dem  Jahresbericht  des  Königlichen  Gymnasiums  zu  Meseritz 
für  1885  (86),  S.  4,  5- 


76  Karl  Andcrsch. 

und  reisete  oft  nach  Warschau.  Sie  committirten  ihm  des 
Gewerkes  Klagen,  dass  ein  E.  Rath  demselben  nicht  nach 
Schuldigkeit  assistirte,  sondern  ihre  Privilegien  zu  kränken 
und  zu  rächen  suchte.  Der  Rath  ward  deshalb  citirt  und 
erschien  zugleich  mit  denen  Schweriner  Schuhmachern. 
Jene  bewiesen  ihre  Unschuld,  diese  wandten  vor,  Meseritz 
und  Schwerin  wäre  eine  Starostey,  und  weil  sie  denen 
Meseritzern  nicht  wehreten,  auf  ihre  Jahrmärkte  zu  kommen, 
so  würde  ihnen  auch  zugesprochen  werden,  deren  Me- 
seritzer  Jahrmärkte  zu  besuchen.  Mittlerweile  gingen  aller- 
hand Insolentien  unter  beyden  Gewerken  vor.  Als  die 
Schweriner  auf  den  Meseritzer  Jahrmarkt  kamen  und  ihre 
Schuhe  auslegten,  platzten  die  Meseritzer  zu  und  nahmen 
ihnen  die  Schuhe  und  trugen  sie  auf  die  Probstey,  welches 
aber  ohne  Schläge  nicht  abging. 

Desselben  Prozesses  wird  auch  von  Wuttke1)  ge- 
legentlich seiner  geschichtlichen  Nachrichten  über  Schwerin, 
unter  Hinweisung  auf  Zachert2)  Erwähnung  getan.  Diese 
Schilderung  ist  ungenau.  Lediglich  eine  wortgetreue  Ab- 
schrift derselben  bringt  Wilhelm  Schulz  in  einem  Aufsatze 
„Schwerin  a.  W.  in  Wort  und  Bild"8)  —  allerdings  ohne 
Quellenangabe. 

Eine  ausführlichere  Darstellung  dieser,  verschiedene 
Jahrzehnte  hindurch  währenden  Streitigkeiten  beider  Ge- 
werke    befindet     sich    in     einem     Protokollbuche4)    der 


J)  Städtebuch  des  Landes  Posen,  von  Heinrich  Wuttke.  Leipzig 
1864,  S.  450. 

2)  Welcher  jedoch  fälschlich  „Zappert"  citirt  wird. 

3)  In  Nr.  10  vom  8.  März  1896  der  „Familienblätter,  Sonntags- 
beilage der  Posener  Zeitung". 

4)  Dasselbe  enthält,  in  4  to,  128  Blätter;  42  Seiten  sind  un- 
beschrieben, eine  ganze  Anzahl  nur  teilweise  beschrieben.  Es  ist 
dem  Gewerk  vom  Meister  Georg  Schwarzschuster  1651  geschenkt, 
in  diesem  Jahre  auch  die  erste  Eintragung  bewirkt  worden.  Es  ent- 
hält, ohne  dass  bei  den  Eintragungen  die  chronologische  Reihenfolge 
innegehalten  wird,  von  verschiedener  Hand  ein  Meisterverzeichnis 
aus  dem  Jahre  1652,  ein  Verzeichnis  der  verstorbenen  Meister  von 
1653  bis  1710  vollständig,  ein  Verzeichnis  der  Handwerksmeister 
und  sonstigen  Innungsbeamten  von  1620  bis  1824,   verschiedene  die 


Der  Streit  der  Schuhmachergewerke  zu  Meseritz  u.  Schwerin.       77 

Schweriner  Schuhmacherinnung;  sie  rührt  von  einem 
Schweriner  Gewerksmitgliede  her,  welches  wiederholt  zur 
Beilegung  des  Streits  mitgewirkt  hat,  und  dürfte,  indem 
sie  Kunde  gibt  einerseits  von  einem  hartnäckig,  und  zwar 
nicht  immer  mit  lauteren  Mitteln  geführten  gewerblichen 
Konkurrenzkampfe  damaliger  Zeit,  andrerseits  von  der 
zähen  Ausdauer  beim  Geltendmachen  und  bei  der  Ver- 
folgung wohl  erworbener  Rechte,  auch  sonst  nach  anderen 
Richtungen  hin  des  Interessanten  manches  enthält,  wohl 
der  Mitteilung  wert  sein. 

Verfasser  ist,  wie  die  Einleitung  ergibt,  der  Meister 
Simon  Gaull,  „Rathssverwandter  wie  auch  des  Löblichen 
Gewerks  der  Schuster  geschworener  Handtwerks  Meister441); 
da  er  als  solcher  von  1678  bis  1682  fungirte,  ist  in  diese 
Zeit  die  Niederschrift  der  Darstellung  zu  verlegen,  welche 
nebst  Einleitung  folgendermassen  lautet2): 

Weil  es  den  ein  löblicher  Gebrauch  und  ein  altes 
Recht  ist,  auff  das  man,  was  denckwürdig  ist,  in  Schriefften 
verfasset  (wird)8),  auff  das  die  Nachkommenden  auch 
Wissendtschafft  davon  haben  mögen,  alss  hat  ess  H.  Simon 
Gaull,  Rathssverwandter,  wie  auch  des  löblichen  Gewerks 

Innung  angehende  innere  Angelegenheiten,  insbesondere  Kaufver- 
träge, versehen  mit  den  Unterschriften  der  Kontrahenten,  Innungs- 
beamten und  der  als  Beisitzer  deputirten  Magistratspersonen,  Ver- 
zeichnisse über  Einnahme  und  Ausgabe,  beginnend  1775,  endlich  die 
unten  wiedergegebene  Darstellung.  Dieselbe  nimmt  dort  etwas  über 
13  Seiten  ein.    Die  Handschrift  ist  durchaus  leserlich. 

*)  Die  Handwerksmeister  (Vorsteher  der  Gewerke  oder  In- 
nungen) wurden  vom  Magistrate  eingesetzt  und  hatten  ihm  einen 
Eid  zu  leisten.  —  Simon  Gaull  ist  in  dem  bereits  genannten  „Ver- 
ceichniss,  welche  Meister  in  diesem  1652.  Jahr  seindt  vorhanden  ge- 
wesen", enthalten;  ausserdem  bringt  das  Protokollbuch  folgende  No- 
tizen über  seine  Person:  „Anno  1678  ist  H.  Simon  Gaull  Rathsver- 
wandter  tzum  Handtwerksmeister  verordnet  worden  undt  vier  Jahr 
lang  verwaltet",  und  „Anno  1683  ist  H.  Simon  Gaull  in  dem  Herrn 
selig  eingeschlaffen". 

2)  Die  Orthographie  des  Verfassers  ist  durchweg  beibehalten, 
die  Interpunction  jedoch  de9  besseren  Verständnisses  halber  viel- 
fach ergänzt. 

3)  Steht  im  Text. 


78  Karl  Andersch. 

der  Schuster  geschworener  Handtwerks  Meister,  (es)1)  vor 
gut  angesehen,  das  es  möchte  in  Schriefften  verfasset 
werden,  wie  es  sich  mit  dem  Process,  welches  das  Ge- 
werck  der  Schuster  von  Schwerin  mit  den  Gewerck  der 
Schuster  in  Meeseritz  (geführt  hat)2),  verlauf fen  hat;  weil 
er  auch  gute  Wissendschafft  darvon  hat  und  er  auch  stetz 
hat  reysen  müssen;  welcher  Rechts-Process  über  elff- 
hundert  Floren  gekostet  hat,  und  solches  aufgeschrieben  hat 
Anf englich  weil  Meseritz  undt  Schwerin  eine  Sta- 
rostey  ist  undt  die  beyde  Stete  vor  Zeiten  undt  vor  langen 
Jahren  zusammen  auff  die  Jahrmarkte  gezogen  sindt;  weil 
aber  Anno  1590  Schwerin  von  zwey  böse  Buben  ist  in 
die  Asche  geleget  worden8),  —  darvor  sie  auch  ihr  Lohn 
empfangen  haben  — ,  haben  sie  solche  Zeit  in  Acht  ge- 
nommen, weil  ihnen  damahlss  unser  Gewerck  hat  nicht 
kund  Wiederstand  thun,  hat  das  Gewerck  zu  Meseritz 
ihre  Privilegie  bei  dem  Könige  Sigismundo4)  Anno  1592 
confirmiren  lassen  und  haben  damals  diesen  Punct  per 
Appendix  hinanschreiben  lassen,  das  das  Gewerck  der 
Schuster  nicht  solten  ihre  Wahren  von  Schwerin  in  Mee- 


*)  Steht  im  Text. 

«)  Fehlt  im  Text. 

*)  Nach  einer  vorliegenden  handschriftlichen  Chronik  der 
Stadt  Schwerin,  welche  von  den  verstorbenen  ehemaligen  Schweriner 
Bürgern  Karl  Becker  und  Erasmus  Lassen  auf  Grund  von  Akten - 
material,  privatschriftlichen  Aufzeichnungen  und  eigenen  Erlebnissen 
in  den  vierziger  Jahren  zusammengestellt  ist,  4  to,  409  Seiten,  brannte 
am  31.  März  1590  die  ganze  Stadt  Schwerin  ab.  Ein  Zollbeamter 
(Zöllner)  Sebastian  Trzebinski  war  mit  einem  Tischler  David  Fitzer 
in  Streit  geraten  und  gab  letzterem  eine  Ohrfeige.  Hiertiber  er- 
bittert ging  Fitzer  nach  Hause  und  beredete  seinen  Gesellen  Gregor 
Kautzen,  ihm  bei  der  geplanten  Brandstiftung  behilflich  zu  sein.  Sie 
steckten  einen  dürren  Reisighaufen  beim  Zöllner  in  Brand,  das 
Feuer  nahm  überhand,  und  es  brannte  die  ganze  Stadt  ab.  —  Nach 
dem  Brande  fiel  der  Verdacht  gleich  auf  den  Tischler,  er  wurde 
festgenommen,  verhört  und  da  er  die  Tat  leugnete,  auf  die  Folter 
gebracht,  wo  er  auch  bald  bekannte,  das  Feuer  aus  Rache  angelegt 
zu  haben.  —  Über  den  vorliegenden  Schuhmacherstreit  enthält  die 
Chronik  nichts. 

4)  Sigismund  III.  regierte  1586 — 1632. 


Der  Streit  der  Schuhmachergewerke  zu  Meseritz  u.  Schwerin.       79 

seritz  mehr  feil  haben  und  verkauf fen;  und  solches  haben 
sie  durch  ein  Schreiben  unter  des  Raths  Insiegel  dem 
Gewerck  zu  Schwerin  absagen  und  verbieten  lassen,  mit 
ihren  Wahren  nicht  mehr  hin  zu  kommen  bey  Verlust  der 
Wahren;  welches  Schreiben  auch  noch  an  itzo  in  der  Ge- 
werksslade vorhanden  ist1). 

Ob  schon  nachmalss  unterschiedliche  Mittel  und 
Wege  sindt  vorgeschlagen  worden,  solches  wiederumb  zu 
erlangen,  hat  es  nicht  fruchten  oder  geschehen  können; 
biss  hernach  Ihr  grossmächtigen  Gnaden  Fürste  Bogoslaus 
Lesszinsky,  der  Cronschatzmeister,  vnser  Staroste  ist 
worden2):  Alda  hat  ein  Gewerck  in  Schwerin  den  wohl- 
gelahrten und  in  Rechten  wolgeübten  H.  Johann  Herrhoff8), 


J)  Jetzt  nicht  mehr  vorhanden. 

2)  Im  Jahre  1633.  Zachert,  a.  a.  O.  S.  21—23,  berichtet  von 
ihm  gelegentlich  der  Aufzählung  der  „Namen  derjenigen  Starosten, 
so  hier  gewesen*4:  „Anno  1633  Boguslaus  de  Leszno  Leszczynski, 
Graf  von  Lissa,  der  Kron-Schatzmeister  und  General  von  Grosspolen. 
Er  kaufte  dem  Czarnikowski  (Boguslaus  o  Czarnikow  Czarnikowski, 
Woiwoda  Kaliski  und  General  von  Grosspolen,  welcher  die  Starostei 
seit  1623  besass,  dieselbe  für  15000  Fl.  ab,  war  reformirt,  fiel  aber 
wegen  seiner  ersten  Gemahlin  ab,  Anna  von  Dönhoff.  Nach  dieser 
heyrathete  er  Catharinam  Joh.  von  Radzivil,  verwittbete  Weiherin, 
Herrn  Weihern  von  Schlochau  Wittwe.  Dieser  Herr  hielt  einen 
sehr  propern  Einzug:  des  ersten  Tages  4  Fahnen  Fussvolk  und  1 
Compagnie  Cavallerie,  des  andern  Tages  die  ganze  Bürgerschaft. 
Von  der  Stadt  ward  er  mit  einem  Präsente  von  1500  Fl.  beschenket" 

3)  Auch  Herhoff,  Heroff  und  Heraff  geschrieben.  In  der 
letzten  Schreibweise  findet  sich  sein  Name  in  zwei  der  von  Sza- 
stecki  veröffentlichten  Schweriner  Urkunden;  dem  Vergleich  der 
Stadt  mit  den  Schweriner  Juden  vom  Jahre  1641,  (ego  Johannes 
Heraff  notarius  Skwirsynensis),  und  der  Urkunde  vom  1.  Mai  1643, 
in  welcher  Bestimmungen  über  die  Wahl  der  Magistratsmitglieder 
getroffen  werden,  (Joannes  Heraff  n.  p.  et  Sverinensis  civis).  Vgl. 
Urkundliches  zur  Geschichte  der  Stadt  Schwerin  an  der  Warthe 
von  J.  Szastecki,  im  Programm  der  höheren  städtischen  Knaben- 
schule, Schwerin  a.  W.  1883,  S.  17,  13.  Von  einer  Episode  aus  dem 
Leben  Herrhoffs  weiss  Zachert,  S.  108, 109,  folgendes  zu  berichten  : 
„Anno  1657  wurde  Schmidt  und  der  Notarius  Joh.  Herrhoff  zu 
Schwerin  auf  den  Landtag  nach  Schroda  geschickt  (Schroda  war 
seit  1631  Sitz  der  regelmässigen  Staatsversammlungen  von  Gross- 
polen   am  Montag    nach  dem  Matthäustage  —  21.  September.     Vgl. 


80  Karl  Andersch. 

Stadtschreiber  in  Schwerin  wie  auch  Notarius  pubL  Ce- 
sariae,  zu  ihren  Advocaten  angenommen,  welcher  zu  Ihr 
Exelent  H.  N.  Schlichting1)  gereyset  vnd  ihn  hierüber 
Rahtss  gepfleget,  welcher  geantwortet  hat,  das  Anno  1635 
bey  Krönimg  des  Königs  Vladislai2)  von  der  gantzen  Adel- 
schafft wehre  gewilliget  und  statuiret  worden,  das  ein 
jeder  mit  seiner  Wahren,  nicht  allein  Chrysten  sondern 
auch  Juden,  sol  es  frey  stehen,  auf  öffentlichen  Jahrmarckt 
ihre  Wahren  feil  haben  undt  zu  verkauffen,  bey  1000  Marck 


Wuttke,  Städtebuch  S.  447).  Als  sie  zurück  reisten  und  bei  Mlodaw 
nah  bei  Posen  kamen,  überfiel  sie  auf  dem  Felde  ein  Edelmann 
Severin  Kqszicki  nebst  zweien  seiner  Unterthanen  aus  diesem  Dorfe 
auf  eine  mörderische  Weise.  Schmidt  und  sein  Kutscher  wurden 
gleich  niedergehauen,  Herhoff  aber  entkam,  obgleich  verwundet,  und 
versteckte  sich  im  Felde.  Den  Wagen,  die  Pferde  und  das  Geld 
behielten  die  Räuber.  Nachdem  aber  der  Notarius  Herhoff  nach 
Hause  gekommen  und  diese  Begebenheit  erzählet  hatte,  liess  der 
Herr  Staroste  Leszczinski  diesen  Kqszicki  aufs  Tribunal  citiren.  Er 
erschien  aber  nicht.  Anno  1658  wolte  er  sich  mit  den  Erben  des 
Erschlagenen  güttlich  vertragen,  schob  die  Schuld  auf  zweyen  seiner 
Unterthanen,  die  er  extradiren  wollte.  Der  Stadt  versprach  er  vor 
seine  Person  2000  Fl.  zur  Strafe  zu  erlegen,  und  dass  er  zugleich 
12  Wochen  in  dem  Thurm  in  Posen  sitzen  wolle.  Dieser  selbst  an- 
gebotene Vertrag  aber  ward  von  Kqszicki  nicht  gehalten,  darauf  er- 
folgte 1663  die  Bannition.  Hierauf  verlor  er  sich  von  seinem  Dorfe, 
ohne  dass  man  weiss,  wo  er  geblieben  ist.  (Dieser  Vorfall  ist  auch 
von  Wuttke,  S.220,  erwähnt). 

*)  Zachert  erwähnt  ihn  unter  den  S.  21 — 23  verzeichneten  Gu- 
bernatoren  des  Schlosses  nicht;  augenscheinlich  ist  daselbst  S.  22 
eine  Lücke  vorhanden.  Es  ist  jedenfalls  der  dort  S.  47  genannte 
Fraustädtische  Landesälteste  Hr.  George  Schlichting,  der,  wie  Zachert 
sich  ausdrückt,  „ein  Mignon  von  dem  Herrn  Starosten  Leszczynski 
war",  und  angeblich  die  beiden  1652  für  die  Meseritzer  evangelische 
Kirche  angeschafften  Glocken,  welche  auf  Betreiben  des  Probstes 
Nochowicz  wieder  abgenommen  werden  mussten,  nach  seinem  Gute 
Schlichtingsheim  geschafft  hat.  Das  „N"  im  Text  bedeutet  wohl  no- 
bilis.  Über  die  Familie  derer  von  Schlichting,  welche  damals  an 
der  Westgrenze  Grosspolens  verschiedene  Güter,  u.  a.  auch  Prittisch, 
besassen  —  ihr  Stammgut  war  Bauchwitz  (Bukowiec)  — ,  und  ener- 
gische Verfechter  der  Reformation  waren,  Agl.  Danysz,  a.  a.  0. 
S.  16.  A. 

2)  Wladislaus  IV.  1632— 1648. 


Der  Streit  der  Schuhmachergewerke  zu  Meseritz  u.  Schwerin.       8l 

Straffe;  welcher  Punkt  zu  finden  ist  in  des  Reichss  Con- 
stitution Anno  1635  am  41  ß'at- 

Alss  aber  ein  Gewerck  von  Schwerin  mit  einem 
Recommendation  Schreiben  Von  einem  E.  E.  W.  W.  Raht 
an  ein  E.  E.  W.  W.  Raht  in  Meeseritz  sind  gezogen, 
bithenlich  angehalten,  dass  sie  möchten  wie  vor  Alters 
die  Jahrmarkte  frey  haben,  ihre  Wahre  zu  verkaufen, 
welches  auch  ein  Gewerck  von  Schwerin  gethan  und  bey 
Hofe  angesucht;  aber  es  ist  limitiret  worden  und  nach 
Posen  gewiesen  worden. 

Da  wier  sie  den  in  Posen  im  adlichen  Recht  an- 
geklaget  haben,  da  haben  wier  das  Lucrum  und  Con- 
tumation  über  sie  erhalten,  undt  wardt  uns  von  unsern 
Advocaten  gerahten,  das  wier  solten  unsere  Wahren 
feil  haben. 

Weil  wir  aber  unser  Herberge  bey  Meister  Sigmundt 
Schmieden  hatten  und  unser  Schustützen  aussetzen,  wie 
gebräuchlich,  nahmen  die  Schuster  unser  Stützen  und 
schmiessen  sie  auf  die  öffentliche  Strasse,  und  wanten 
vor,  das  wier  die  Oberstelle  haben  wolten.  Da  hat  H. 
Mathias  Kintzel1)  die  Protestation,  so  in  Schriefften  ver- 
fasset war,  auff  den  Markte  publice  verlesen.  Nachmahlss 
nahmen  wier  unser  Stützen  vndt  hatten  vor  H.  Christoff 
Bösen  unser  Wahre  feil. 

Da  wier  den  guten  Marckt  hatten,  da  kahmen  aber- 
mahl die  Schuster  undt  nahmen  unser  wahre  allesampt 
und  trugen  sie  in  unsere  Herberge  in  die  Stube  herein, 
da  unss  den  viel  Volck  in  die  Stube  nach  folgeten  und 
kaufften  uns  in  der  Stube  ab. 

Unter  dessen  aber  erhalten  die  Schuster  ein  Decret 
zu  Hofe,  das  wier  nicht  sollten  mehr  zu  Meeseritz  feihl 
haben,   sondern   mit   der  Wurtzel   alda   ausgerottet   sein. 


x)  Nach  dem  Protokollbuche  ist  „Anno  1645  H.  Mathias 
Kintzel  Gerichtassessor  tzum  Handtwerksmeister  verordnet  worden 
vndt  dasselbige  verwaltet  drei  vndt  dreissig  Jahr."  Er  starb  1682. 
Der  hier  in  Rede  stehende  Vorfall  fallt  also  wahrscheinlich  in  das 
Jahr  1645  °der  später,  andrerseits  vor  den  9.  Oktober  1654,  vgl. 
weiter  unten. 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XIX.  6 


82  Karl  Andcrsch. 

Vnd  solches  Decret  spareten  sie,  bis  wier  nach  Meeseritz 
zu  Markte  kamen:  kamen  die  Schuster  allesampt  mit 
ihren  Advocaten,  der  Nahmens  Fritze  hiess,  und  legten 
uns  alda  diesen  Decret  vor  unsern  Advocaten  auf  den  Tisch. 

Alss  aber  vnser  Advocat  diesen  Decret  durchlesen 
hatte,  sprach  er:  „Ich  gebe  meinem  Gnädigsten  Könige 
und  Herrn  seinen  Schriefften  ihren  gebührlichen  Respect", 
und  küsste  ihn  und  legte  den  Decret  auf  sein  Haupt  und 
sprach  weiter:  „Weil  ihr  diesen  Decret  habet  sine  citatinis 
erhalten  und  uns  darzu  nicht  geladen,  als  protestire  ich 
solennissime  dawider*,  und  zu  uns  sprach  er  alssbaldt: 
„Ihr  Schuster  von  Schwerin,  leget  ewer  Wahren  aus  vnd 
verkauftet  sie,  und  so  euch  jemandt  wierd  wollen  Gewalt 
daran  thun,  zahlet  sie  nur;  ihr  werdet  sie  so  theuer  nicht 
verkauften,  alss  sie  euch  bezahlen  solten." 

Da  wolten  die  Meeseritzer  Schuster  gar  aus  der  Haut 
fahren,  das  wir  auf  dieses  Decret  nicht  parieren  wolten.  — 

In  dieser  Zeit  aber  führeten  wir  unser  Recht  zu 
Posen  stetz  fort  und  erhielten  die  Bandition  über  der 
Stadt  Raht  und  Schuster.  Als  aber  ein  E.  E.  W.  W. 
Raht  zu  Meseritz  sahen,  das  wier  hatten  die  Bandition 
über  sie  erhalten,  schlugen  sie  sich  ins  Mittel  vndt 
schrieben  ein  Schreiben  an  den  Raht  bey  uns  und  bähten, 
das  wier  möchten  dahin  kommen,  ob  die  Sache  kunte 
gütlich  gehoben  werden:  Da  den  Titul.  H.  George 
Kintzel,  als  unser  H.  Bürgermeister  und  H.  Johan 
Herhoff,  unser  Advocat,  item  H.  Mathias  Kintzel,  Gerichts- 
assessor und  Handwercks  Meister,  und  Meister  Georg 
Schwartzschuster  und  Simon  Gaull,  des  Gewerckss 
Schreiber  (hinüberreisten1).  Auf  der  Meeseritzer  Seiten 
aber  wahren  der  H.  Bürgermeister  Baltzer  Gabler,  H. 
Mathias  Hoffmann,  H.  Erasmus  Günter  und  H.  Crisander2), 

J)  Fehlt  im  Text. 

2)  Dieselben  werden  von  Zachert  wiederholt  erwähnt.  Von 
Hoffmann  insbesondere,  welcher  S.  R.  M.  Secretarius  war,  berichtet 
Zachert,  dass  er  das  sogenannte  Stadtgut  der  Stadt  als  Legat  hinter- 
liess,  ebenso  seine  „Bibliotheque,  so  aus  juridicis,  philosoph.  et 
historicis  libris  bestund."    S.  29. 


Der  Streit  der  Schuhmacherge werke  zu  Meseritz  u.  Schwerin.       83 

und  Meister  Samuel  Netisch  und  Heinrich  Teubner,  beide  des 
Gewerckss  der  Schuster  Handtwerckss  Meister;  da  uns  den 
im  Anfang  die  Schuster  400  fl.  bahres  Geldes  boten  zu  geben, 
wen  wir  den  Jahrmarkt  in  Meeseritz  wolten  fahren  lassen. 
Aber  wier  wolten  nicht,  sondern  drungen  fest  darauf,  das  wir 
wolten  den  Jahrmarkt  erhalten. 

Endlich  gelanget  es  dahin,  das  wier  mit  Consens 
unsers  H.  Bürgermeisters  ihnen  200  fl.  versprachen  zu 
geben  innerhalb  vier  Wochen,  welches  auch  geschah; 
da  uns  dan  ein  E.  E.  W.  W.  Raht  50  fl.  darzu  verehret 
hat.  Die  Hern  von  Meeseritz  sagten  uns  auch  50  fl.  zu, 
aber  es  hat  sich  so  lange  verzogen,  biss  wir  endlich 
nichtss  bekommen;  welcher  Contract  unter  uns  geschah 
anno  1654  den  9.  Octobris  mitten  in  der  Nacht,  da  den 
die  Obrigkeit  von  beyden  Städten  frölich  darüber  wahren, 
das  auch  H.  Erasmus  Günter,  Bürgermeister1),  mit  diesen 
Worten  herausbrach:  „Haec  est  dies,  quem  fecit  dominus, 
exultemus  et  laetemur  in  ea!"  — 

Nachwahlen  ward  von  beyden  Gewercken  einer  nach 
Posen  geschicken,  alda  diesen  Contract  in  das  Posenische 
Landbuch  einzucorporiren,  da  den  von  uns  gewesen  ist 
Meister  Michael  Säur,  Amptss  Geschworner  inSchwerin, 
und  von  Meseritz  ward  geschickt  Meister  Martin  Hintze. 

Alss  aber  anno  1655  der  schwedische  Krieg  in  Pohlen 
anging,  das  alles  nicht  zum  rechten  Stande  gelangen 
konte,  biss  hernach  anno  1657,  da  wolten  die  Schuster 
zu  Meeseritz  von  keinen  Vertrag  nicht  wissen,  auch  von 
keinem  Gelde  nicht  wissen,  biss  sie  endlich  durch  Schriff- 
ten  und  Zeigen  überwiesen  worden;  da  musten  sie  es 
endlich  gestehen,  Samuel  Matisch  ward  gefraget  im  Raht- 


*)  Nach  der  der  Stadt  Meseritz  von  König  Sigismund  III.  1595 
erteilten  Urkunde,  welche  bei  Zachert,  S.  36  ff.  und  Wuttke,  S.  371, 
K.  28,  abgedruckt  ist,  sollte  es  dem  Starosten  freistehen,  jährlich 
zwei  von  den  acht  lebenslänglichen  Magistratspersonen  zu  Bürger- 
meistern (magistri  civium  oder  proconsules)  zu  wählen,  welche  ab- 
wechselnd halbjährlich  regieren  sollten. 

Im  Verzeichniss  von  1652  (vgl.  oben)  werden  zwei  Meister 
dieses  Namens  aufgeführt;   der  ältere  starb  1663,  der  andere  1687. 


84  Karl  Andersch. 

hause,  wo  er  der  Schwerinischen  Schuster  ihr  Geldt  ge- 
lassen hatte;  antwortet  er:  „ich  habe  mich  in  der  Ein- 
quartirung1)  darmit  gerettet";  undt  nachmahlss,  als  er 
seine  Stelle  vom  Hause  hat  verkauf f et,  hat  er  das  Geldt 
dem  newen  Handwerckssmeister  überantwortet,  nemlich 
Christoff  Sawade.  Da  fraget  der  H.  Bürgermeister:  „Sa- 
wade,  wo  habet  ihr  der  Schweriner  Schuster  ihre  Geld 
gelassen?"  —  Da  hat  er  geantwortet:  „Wier  haben  es 
unsern  Advocaten  Quassnowsky  gegeben. 

Auf  dieses  hat  sie  der  H.  Bürgermeister  mit  Worten 
hart  gestraffet  und  gesaget:  „Seidt  ihr  solche  Leute,  das 
ihr  Geldt  von  den  Schwerinern  nehmet  und  hernach 
wolt  ihr  es  leugnen?  —  Es  haben  auch  beyde  Altmeister 
vor  den  Meseritzer  Stadtbuch  gestanden  nebest  uns, 
nemlich  Samuel  Netisch  und  Lorentz  Fritzsche,  auf  unser 
Seite  H.  Johann  Heroff,  H.  Mathias  Kintzel,  H.  Simon 
Gaull,  und  gebeten,  das  der  Contract  möchte  incorporiret 
werden,  undt  nach  etlicher  Zeit  haben  sie  es  geleugnet, 
auch  vor  den  Meseritzer  Stadtgericht  darüber  geschworen. — 

Nachmals  aber,  alss  solches  vor  E.  E.  W.  W.  Raht 
ist  kommen,  haben  die  H.  des  Rahtss  zu  uns  herüber 
geschrieben.  Weil  aber  H.  Herhoff  und  H.  Mathias  Kintzel 
unpässlich  waren,  ist  H.  Simon  Gaull  und  Michael  Säur, 
Tomas  Kintzel2)  hinübergereiset  und  im  Recht  dagestan- 
den, da  er8)  es  den  ihnen  unter  Augen  gesaget,  das  sie 
von  beyde  Parten,  hat  er  solchen  Vertrag  in  das  Stadt- 
buch einzuschreiben4). 


*)  In  den  Jahren  1656 — 1662,  ferner  1665,  1669,  1670  und  1672 
hatte  Meseritz  wiederholt  und  schwer  unter  den  Durchmärschen 
und  Einquartierungen  schwedischer,  polnischer  und  kaiserlicher 
Truppen  zu  leiden,  das  Nähere  bei  Zachert,  S.  89 — 93. 

2)  Im  Meisterverzeichniss  von  1652  ist  er  nicht  erwähnt;  er 
starb  1675  „den  Sonntag  nach  Judica*. 

8)  Nämlich  der  weiter  unten  erwähnte  Meseritzer  Stadtschreiber 
Jacob  Kintzel. 

4)  Der  Verfasser  ist  hier  aus  der  Construction  gefallen.  Der 
Sinn  ist  wohl  der:  er,  der  Stadtschreiber,  habe  auf  Bitten  beider 
Parteien,  nämlich  der  Meseritzer  und  Schweriner  Gewerksvertreter, 
den  Vertrag  in  das  Stadtbuch  eingeschrieben. 


Der  Streit  der  Schuhmachergewerke  zu  Meseritz  u.  Schwerin.       85 

Auch  hat  ein  E.  E.  W.  W.  Raht  mit  ihrem  Buche 
solches  bewiesen.  Alss  solches  geschehen,  hat  sie  Titul. 
H.  Jacobus  Kintzel1),  alss  damaliger  Stadtschreiber,  der 
solches  geschrieben  hatte,  diese  beyde  Männer  vor  gott- 
lose, gottesvergessene  Leite,  ja  vor  leichtfertige,  meineidige 
Leite  angeklaget,  welche  nicht  würdig  in  der  Stadt  zu 
leiden  weren. 

Nachmahlss  aber,  alss  sie  unterrichtet  worden,  wen 
und  wie  es  geschehen  were,  besonnen  sie  sich,  es  were 
wahr;  es  sindt  aber  diese  beyde  Männer  in  diesem  Jahre 
beyde  in  vier  Wochen  gestorben. 

Nachmahl  wider  sindt  die  Schuster  auffs  new  wider 
uns  rebellisch  gewest,  und  hat  sich  einer  hierzu  brauchen 
lassen,  nemlich  Michel  Kalbach2),  der  ist  mit  den  pol- 
nischen Cantor  ungestümer  Weise  in  unser  Herberge 
eingefallen  und  unser  Wahren  hinweggenommen  und  in 
die  catolische  Kirche8)  getragen  und  hernach  aus  die 
grosse  Kirche  in  die  Hospitahl  Kirche4)  geschleppt. 

Weil  aber  der  H.  Decanus  von  Bendschen5)  die 
Commende  über  die  Spital  Kirche6)  hatte,  ist  H.  Simon 
Gaull  zu  im  geschicket,  aber  nichtss  ausgerichtet 


*)  Derselbe  ist  identisch  mit  dem  von  Zachert  mehrfach 
(S.  25,  52,  63,  82)  erwähnten  Jacob  Kintzel,  Secretarius  S.  R.  M. 
and  Notarius  publicus;  im  Jahre  1674  judex.  Vgl.  auch  Danysz,  a.  a. 
O.  S.  13.  A. 

2)  Jedenfalls  der  von  Zachert  erwähnte  Michael  Kaldenbach; 
vgl.  oben  im  Anfange. 

3)  Nämlich  die  jetzt  noch  existierende  Pfarr-  oder  Schloss- 
kirche. Vgl.  über  diese  Zachert,  S.  24;  Landrichter  Kade,  Gründung 
und  Namen  von  Stadt  und  Schloss  Meseritz,  1894,  S.  15. 

4)  „Die  andere  Kirche  —  sagt  Zachert  S.  24,  25  —  ist  in  der 
Vorstadt,  die  Hospital-  oder  St  Nikolai-Kirche  genannt.  Der  Restau- 
rator ist  Nicolaus  Nochowicz,  Praeposit.  Medericens.  Anno  1609." 
Vgl.  auch  Danysz,  a.  a.  O.  S.  7;  Kade,  a.  a.  O.  S.  15,  16.  Sie  ist 
heute  nicht  mehr  vorhanden.         v 

ö)  Meseritz  gehört  auch  jetzt  zum  Decanat  Bentschen. 

•)  Nach  Danysz,  a.  a.  O.,  wurde  1641  mit  Zustimmung  Wla- 
dislaus  IV.  die  Kirche  in  Kainscht  sammt  der  Filiale  in  Nipter  mit 
der  Nikolaikirche  (Hospitalkirche)  vereinigt,  diese  aber  zu  einer 
Pfarrkirche  erhoben.    Danysz  lässt  es  dahingestellt,  ob  an  der  Ni- 


86  Karl  Andersch. 

Aber  nachmahlss  haben  wier  ihnen  eine  Citation 
vor  dem  H.  Official  zu  erscheinen  gegeben  nach  Posen, 
da  den  uns  H.  Bürgermeister  Jacobus  Arendt  gedienet 
hat,  der1)  den  befohlen,  die  Schuhe  alsbaldt  heraus- 
zugeben; da  den  J.  G.  der  Schlossherr  seine  Calasse 
anspannen  lassen,  auch  selbst  in  Perschon  mitgegangen 
undt  die  Schuhe  auf  der  Calasse  auf  Schloss  führen 
lassen  und  sie  uns  daselbst  wiederumb  zugestelt.  Die 
Schuster  aber  haben  vor  diese  Gewalt  einen  E.  E.  W.  W. 
Raht  in  Meseritz  ioo  fl.  müssen  Strafe  geben.  — 

Zu  der  Zeit  wardt  zu  Meseritz  eine  Commission 
zwischen  dem  Raht  und  der  Gemeine2)  gehalten;  da  uns 


kolaikirche  schon  im  17.  Jahrhundert  Pfarrer  angestellt  wurden; 
nach  Zachert,  S.  39,  hatte  anno  1693  »<he  St.  Nikolaus-Kirche  ihren 
besonderen  Probst". 

i)  Der  Offizial. 

2)  Es  ist  hier  wahrscheinlich  die  katholische  Gemeinde  ge- 
meint. Damals  dauerten  noch  die  Streitigkeiten  zwischen  dem 
Probst  und  dem  wohl  ausschliesslich  evangelischen  Rat  an.  Danysz, 
S.  21,  berichtet  darüber:  1671  wird  (katholischer)  Pfarrer  in  Meseritz 
Casimir  Lewicki.  Wie  seine  Vorgänger  beginnt  auch  Lewicki  seine 
Tätigkeit  mit  Processen.  .  .  .  Auf  seinen  Antrag  ergeht  auch  schon 
1671  ein  Mandat  an  den  Magistrat  wegen  Reparatur  der  Kirche, 
gleichzeitig  wird  auch  eine  Commission  zur  Führung  des  Prozesses 
ernannt.  Der  Prozess,  Über  dessen  Verlauf  wir  nicht  unterrichtet 
sind,  scheint  mehrere  Jahre  gedauert  zu  haben.  .  .  .  Andrerseits 
erwähnt  Zachert,  S.  81,  eine  Commission,  welche  1674  zur  Schlichtung 
eines  Streits  zwischen  dem  Meseritzer  Bürger  David  Hellmann  und 
dem  Rate  eingesetzt  war, .  und  welcher  unter  anderen  auch  die 
beiden  im  Texte  genannten  Äbte  angehörten,  nämlich  „Joh.  Cas. 
Opalinski,  abbas  Bledzensis",  und  „ Malabo wski,  Abt  im  Kloster 
Ober*.  Diese  tagte  vier  Wochen,  und  es  wurden  die  Herren 
Commissarien  alle  Tage  auf  das  Beste  tractiret,  sodass,  wie  Zachert 
mit  einer  gewissen  Wehmuth  bemerkt,  „diese  Commission  sehr  viele 
Bürger  ruinieret"  hat  —  Es  ist  sehr  wohl  möglich,  dass  diese  letzt- 
genannte Commission  anfänglich  zur  Schlichtung  des  Streits  zwischen 
dem  Rat  und  der  katholischen  Gemeide  bezw.  dem  Probst  berufen 
war  und  —  in  Unterbrechungen  —  bereits  seit  167 1  tagte,  und  dass 
sie  nebenbei  noch  andere  gerade  vorhandene  Sachen,  wie  die  An- 
gelegenheit Hellmanns  gegen  den  Rat,  erledigte,  eine  Vermutung, 
welche  durch  die  Darstellung  im  Texte  an  Wahrscheinlichkeit  ge- 
winnt.   —  Unser  Schuh macherprozess,    dessen    Schlussjahr    weder 


Der  Streit  der  Schuhmachergc werke  zu  Meseritz  u.  Schwerin.       87 

den  J.  G.  der  H.  Apt  von  Bleese1)  hies,  unser  Recht 
auch  zu  Meseritz  an  suchen;  aber  der  H.  President  als 
J.  G.  der  H.  Apt  aus  dem  Ober  Kloster  verabschiedete 
uns  nach  Königliche  Hoffgerichte. 

Nach  diesen  haben  sie  uns  eine  Citation  nach  Hoffe 
geleget;  weil  aber  damahl  polnische  Einquartirung  bey 
uns  war,  haben  wir  durch  J.  G.  den  H.  Wojewoden 
seinen  Kosaken  an  unsern  Advocaten,  des  Nahmens  H. 
Johannes  Szadkowsky  geschrieben,  welcher  anstadt  unser 
alda  geantwortet  hat. 

Nachmal  als  wir  wiederumb  zu  Markte  kamen, 
kamen  die  Meseritzer  Schuster  alle  semptlich  unter  unser 
Schue,  als  wier  albereit  ausgehangen  hatten,  undt  kamen 
vor  H.  Simon  Gaullen  Stand  und  sprachen,  aus  was  vor 
Macht  wier  da  feil  hatten,  und  warumb  wir  nicht  zu 
Warschaw  gestanden  wehren. 

H.  Simon  Gaull  aber  beantwortete  ihnen  also:  „Auff 
Befehl  Ihr  Grossmächtige  Gnaden  des  H.  Wojewoden 
haben  wir  feil,  und  das  wir  nicht  perschönlich  gestanden 
haben,  ist  die  Ursach  wegen  der  wirklichen  Einqvartirung; 
aber  unser  Advocat  hat  schon  anstatt  unser  geantwortet. 

Auff  dieses  haben  sie  mit  Ungestüm  unser  Wahren 
herunder  gerissen,  aber  unsere  Meister  haben  sich  tapfer 
gewehret  und  sie  bey  die  Haare  und  Koppe  genommen 


bei  Zachert  noch  im  Text  angegeben  ist,  ist,  wenn  man  die  Zeit- 
angabe Zacherts  mit  der  Textdarstellung  vergleicht,  jedenfalls  im 
Jahre  1674  beendet  worden. 

*)  Biesen,  12  km  SW.  von  Schwerin,  im  jetzigen  Kreise 
Schwerin,  und  Obra,  in  der  Wollsteiner  Gegend,  waren  beide 
Cisterciensenkloster.  Nach  Warminski,  Urkundliche  Geschichte  des 
ehemaligen  Cistercienser-Klosters  zu  Paradies,  Meseritz,  1886  S.  16, 
war  letzteres  im  Jahre  1237  vom  Mutterkloster  Wongrowitz,  Kloster 
Biesen  im  Jahre  1282  vom  Mutterkloster  Dobrilugk  (in  Branden- 
burg) gestiftet  worden;  nach  Wuttke,  a.  a.  O.  S.  270,  letzteres 
bereits  1260.  —  Beide  Klöster  sind  in  Folge  des  Edicts  König 
Friedrich  Wilhelms  III.  vom  30.  October  1810  eingezogen,  die  ehe- 
maligen Biesener  Klostergüter  zur  Kgl.  Domäne  Althöfchen  (ehe- 
malige Residenz  des  Abtes)  und  der  Kgl.  Oberförsterei  Schwerin 
umgewandelt  worden. 


88  Karl  Andersch. 

und  sie  wacker  abgeschlagen;  doch  sind  ihnen  die  Schuhe 
gefolget  (worden)1),  da  sie  sie  den  zu  ihrem  Handtwerck 
getragen. 

Aber  H.  Simon  Gaull  und  Davidt  Säur2)  sind  alss- 
bald  zum  H.  Burgermeister  gegangen  und  wider  solche 
Gewaldt  protestiret  undt  geklaget,  und  seindt  beyde  alss- 
bald  dageblieben  bis  auf  den  3ten  Tag. 

Da  haben  die  Schuster  müssen  auf  Befehl  eines 
E.  E.  W.  W.  Rahts  die  Schuhe  ins  Rahthauss  bringen 
und  unser  Unkosten  zahlen;  auch  sind  unsere  Schuhe  mit 
Ruhm  überantwortet  worden.  Dem  Raht  aber  haben  sie 
müssen  im  puncto  ioo  polnische  Marckt  vor  diese  Gewalt 
Straffe  geben. 

Aber  vier  Wochen  nach  diesem  haben  sie  uns  aber- 
mahl eine  Citation  durch  den  Wozner8)  geleget,  innerhalb  vier 
Wochen  zu  Warschau  vor  dem  Rechte  zu  stehen  bey 
tausend  Ducaten  Straffe  und  bei  Verlust  aller  unser 
Güter;  da  der  H.  Simon  Gaull  ist  von  einem  löblichen 
Gewerck  abgefertiget  worden  und  in  Gottes  Nähme  nach 
Warschaw  gereyset,  alda  durch  göttlicher  Hülfe  und 
Gnade  das  Recht  erhalten,  wie  solches  im  Decret  zu  er- 
sehen ist 

Zu  dieser  Reyse  hat  uns  Ihr  Grossmächtige  Gnaden 
der  H.  General  alss  Grosscantzler,  wie  auch  Ihre  gross- 
mächtigen Gnaden  der  H.  Wojewode  Peter  Obpalynsky 4) 
Recommandation-Schreiben   an   den   H.  Untercantzler  H. 


J)  Steht  im  Text. 

2)  Im  Meisterverzeichniss  von  1652  enthalten;  starb  1676. 

8)  Wozner,  polnisch-deutsche  Form  für  Wozny,  der  Ge- 
richtsbote. 

4)  Petrus  de  Bnin  Opalinski,  General  von  Grosspolen,  war  seit 
1668  Meseritzer  Starost,  als  Nachfolger  Leszczynskis.  Er  war  der 
Bruder  des  damaligen  Abts  von  Biesen,  Johann  Casimir  Opalinski. 
In  dem  erwähnten  Rechtsstreite  zwischen  Hellmann  und  dem 
Meseritzer  Rathe  stand  er,  obwohl  nicht  direkt  beteiligt,  auf  Seite 
des  letzteren,  wahrend  der  Abt  für  Hellmann  Partei  nahm,  sodass, 
wie  Zachert  bemerkt,  „deswegen  unter  denen  beyden  Brüdern 
Opalinski  grosse  Jalusie  entstund. u    Zachert,  S.  14,  82,  144. 


Der  Streit  der  Schuhmachergewerke  zu  Meseritz  u.  Schwerin.       89 

Andraeae  Oltschoffsky  (gegeben)1),  welche  Schrifften  uns 
sehr  zu  Nutze  gekommen  sein. 

Hiermit  schliesst  die  Darstellung  des  Verfassers. 

Das  Decret  des  Kgl.  Hofgerichts  zu  Warschau,  auf 
welches  er  sich  am  Schlüsse  beruft,  ist  nicht  mehr  vor- 
handen, doch  finden  sich  bei  Zachert a)  nähere  Nach- 
richten über  den  Ausgang  des  Prozesses.  Er  berichtet: 
Da  nun  der  Hof  decretirte,  so  verspielten  die  Meseritzer 
Schuhmacher  das  Recht  sowohl  mit  einem  E.  Rat  als 
mit  den  Schwerinern.  Dem  Rate  musste  ein  jeder 
Schuhmacher  10  Thr.  Strafe  erlegen,  darneben  mussten 
sie  den  Schwerinern  vor  die  ihnen  weggenommenen 
und  unter  des  Probstes  Leute  ausgeteilte  Schuhe 
gutkommen  und  sie  bey  ihren  Jahrmarktbesuchungen 
ungekränkt  lassen. 

Mit  dem  erwähnten  königlichen  Decret  ist  der  Streit, 
welcher  so  lange  angedauert,  als  beendet  anzusehen. 
Zwar  wollten,  wie  Zachert  berichtet,  „etliche  Meister, 
sonderlich  die  alten,  mit  den  Schwerinern  aufs  Neue  an- 
setzen4', indem  sie  vorwandten,  ihr  von  Sigismund  III.  er- 
teiltes Privilegium  würde  sie  schützen;  doch  wollten  die 
jungen  Meister  nicht  darin  willigen,  sondern  begaben  sich 
dieses  Rechtes  und  reisten  auf  den  Schweriner  Jahrmarkt, 
während  die  Schweriner  nach  Meseritz  kamen.  „Die 
alten  Meseritzer  Meister  aber,  sagt  Zachert,  wollten  durch- 
aus nicht  nach  Schwerin." 

Im  Laufe  von  wenigen  Jahren  müssen  die  gegen- 
seitigen Beziehungen  sich  jedoch  erheblich  gebessert 
haben,  wie  aus  folgendem  im  Protokollbuche  nieder- 
geschriebenen Beschlüsse  erhellt:  Anno  1681  den  4.  Majy 
hat  ein  löblich  Gewerck  der  Schuhmacher  von  Meeseritz 
bey  den  Gewerck  der  Schuhmacher  in  Schwerin  an- 
gehalten und  gebehten,  weil  der  Jahrmarckt  in  der  Fasten 
alle  Zeit  den  Sonnabend  vor  Judica  gefellig  ist,  das  man 


!)  Fehlt  im  Text. 
*)S.  83. 


90  Karl  Andcrsch. 

ihnen  möchte  zugeben,  das  sie  mit  ihren  Wahren  möchten 
den  Sontag  Judica  feil  haben.  Solches  hat  ihnen  ein 
Gewerck  in  Schwerin  aus  nachtbahrlicher  Freund- 
schaft zugeben;  aber  die  andre  Jahrmarckte  sollen  sie 
alle  Zeit  halten  auf  den  Tag,  wen  der  Jahrmarckt  fellig 
ist  Zu  mehren  Krafft  dessen  ist  solcher  Schein  ihnen 
übergeben  und  mit  des  Gewerckss  Insiegel  corroborieret 
worden  und  mit  der  beyde  Handtwerckssmeister  Unter- 
schrifft  bestetiget 


Des  Landgrafen  Friedrich  von  Hessen 
Todesritt  von  Posen  nach  Kosten. 

Von 
Oswald  Collmann. 


4e  ersten  Jahre  von  Johann  Kasimirs  Regierung 
waren  bekanntlich  mit  blutigen  und  verlust- 
reichen Kriegen  ausgefüllt.  Zwar  wurde  das 
damalige  „Grosspolen",  und  somit  auch  unsere  Provinz 
Posen,  von  den  Kämpfen  mit  den  Kosacken  und  dem  sich 
aus  ihnen  entwickelnden  Kriege  mit  den  Moskowitern 
weniger  als  die  südöstlichen  Teile  des  ausgedehnten  Rei- 
ches berührt,  —  hatte  aber  dafür  in  dem  1655  ausge- 
brochenen schwedischen  Kriege  nicht  nur  den  ersten 
feindlichen  Ansturm,  sondern  auch  alle  Leiden  einer  län- 
geren Okkupation  zu  erdulden. 

Am  21.  Juli  1655  überschritt  der  erste  Teil  des 
schwedischen  Heeres  unter  dem  Feldmarschall  Wittenberg 
bei  Heinrichsdorf  die  polnische  Grenze.  Dort  hatte  das 
grosspolnische  Aufgebot  unter  den  Woiwoden  von  Posen 
und  Kaiisch  Stellung  genommen,  aber  statt  dem  Feind 
mannhaft  entgegen  zu  treten,  schlössen  sie  am  25.  Juli 
die  Kapitulation  von  Usch  ab,  kraft  deren  sie  den  Träger 
der  schwedischen  Krone  Karl  Gustav  als  ihren  König 
und  Herrn  anerkannten  und  ganz  Grosspolen  mit  allen 
festen  Plätzen  den  Schweden  übergaben,  allerdings 
unter  der  Bedingung,  dass  die  Privilegien  des  Adels  und 
der  Geistlichkeit  respektiert,  die  Steuern  nicht  erhöht 
und  nicht  anders  als  in  der  bisherigen  Weise  eingetrieben, 
und  dass  die  Schweden  sich  überhaupt  gegen  die  Be- 
wohner des  Landes  menschlich  und  redlich  benehmen 
würden. 


92  Oswald  Collmann. 

Die  Schweden  drangen  nun  ungehindert  vor,  und 
während  Karl  Gustav  mit  seiner  Hauptmacht  auf  War- 
schau losrückte,  besetzten  seine  Unterfeldberren  den 
grössten  Teil  Grosspolens,  insbesondere  auch  die  Haupt- 
stadt Posen. 

Aber  die  Schweden  hielten  nicht  die  in  dem  Vertrag 
von  Usch  gegebenen  Versprechungen,  sondern  bedrückten 
und  misshandelten  die  Bewohner  des  Landes  so  sehr, 
dass  diese  schliesslich  zu  den  Waffen  griffen.  Die  An- 
fänge dieses  grosspolnischen  Aufstandes  und  seine  ersten 
Erfolge  werden  nun  gewöhnlich,  und  zwar  besonders 
ausführlich  von  Jarochowski1),  folgendermassen  dargestellt: 

„Der  erste  Platz,  an  dem  die  Aufständischen  ihre 
Kräfte  versuchten,  war  die  befestigte  Stadt  Kosten.  In 
dem  dortigen  Schlosse,  dessen  Platzkommandant  der 
Schwager  Karl  Gustavs,  der  hessische  Landgraf  Friedrich, 
war,  befand  sich  eine  Besatzung  von  400  Schweden.  Die 
Bauern  der  umliegenden  Dörfer  mussten  ihnen  Lebens- 
mittel, Futter  und  Holz  liefern.  Die  Abwesenheit  des 
Landgrafen,  der  sich  in  der  Umgegend  mit  Jagen  ver- 
gnügte, benützend,  rückte  eine  Abteilung  des  polnischen 
Adels  unter  der  Führung  des  Starosten  von  Bomst, 
Christoph  Zegocki,  heran  und  schickte  einen  Bauer  mit 
einer  für  die  schwedische  Besatzung  bestimmten  Fuhre 
Reisholz  in  die  Burg.  Das  Schlosstor  wurde  dem  Bauer 
unbedenklich  geöffnet,  aber  mitten  auf  der  Zugbrücke  ging, 
wie  durch  Zufall,  von  dem  Holzwagen  ein  Rad  los,  so 
dass  weder  die  Brücke  aufgezogen,  noch  das  Tor  ge- 
schlossen werden  konnte.  Jetzt  brach  die  polnische 
Schlachta  aus  ihrem  Hinterhalt  hervor,  drang  in  das  Innere 
der  Burg  ein  und  überwältigte  nach  kurzem  Widerstände 
die  Besatzung2).    Als  nun  der  Landgraf  —  ohne  Ahnung 


x)  K.  Jarochowski,  Wielkopolska  w  czasie  pierwszej  wojny 
szwedzkiej . . .  Poznan,  1884.  (Wydanie  drugic). 

2)  Diese  Geschichte  hat  eine  merkwürdige  Ähnlichkeit  mit 
Walter  Scotts  Erzählung  von  der  Eroberung  der  schottischen  Burg 
Linlithgow  (oder  Lithgow)  durch  die  Anhänger  des  Königs  Robert 
Bruce.    Vgl.  W.  Scott,  A  Child's  History  of  Scotland. 


Des  Landgrafen  Friedrich  von  Hessen  Todesritt.  93 

von  dem  Vorgefallenen  —  mit  einigen  Begleitern  zu 
Pferd  von  der  Jagd  zurückkam,  vertrat  ihm  der  Adel 
auf  der  Brücke  den  Weg  und  forderte  ihn  auf  sich 
zu  ergeben.  Aber  der  Landgraf,  statt  sich  der  Über- 
macht zu  fügen,  wollte  sich  widersetzen  und  griff  zur 
Waffe.  Es  fielen  einige  Schüsse,  und  der  Landgraf  sank 
tot  vom  Pferde41. 

Obwohl  die  Einnahme  von  Kosten  durch  2egocki 
auf  den  weiteren  Verlauf  des  Krieges  einen  nennenswerten 
Einfluss  nicht  ausgeübt  hat,  so  muss  doch  der  mora- 
lische Eindruck  dieser  schwedischen  Niederlage,  erhöht 
durch  die  Kunde  von  dem  Tode  eines  dem  König  Karl 
Gustav  so  nahestehenden  hohen  Offiziers,  ein  sehr  starker 
gewesen  sein.  Dies  lässt  sich  u.  a.  auch  aus  einer  Schrift 
erkennen,  die  unter  dem  Titel  „Der  im  schwedischen 
Krieg  von  Chr.  2egocki  durch  die  Verteidigung  der  Re- 
ligion, des  Königs  und  der  Freiheit  gepflückte  Lorbeer- 
kranz"1) im  Jahre  1661  in  Posen  gedruckt  worden  ist 
Es  ist  eine  in  den  üblichen  schwülstigen  Ausdrücken 
verfasste  Lobschrift  auf  die  Tugenden  und  Verdienste 
des  oben  erwähnten  Starosten  von  Bomst  Unter  diesen 
Verdiensten  steht  die  „Besiegung"  des  Landgrafen  von 
Hessen  in  erster  Reihe,  sie  ist  in  den  Augen  des  Ver- 
fassers, Albert  Kasimir  Pilecki,  offenbar  der  höchste 
Ruhmestitel  des  von  ihm  Gefeierten.  So  sagt  er  z.  B. 
mit  Anspielung  auf  den  Habicht  (accipiter)  in  dem  Wap- 
pen der  Zegockis:  „Gewiss,  tapferster  Held,  auch  wenn 
du  die  Kunst,  die  Köpfe  der  Barbaren  unter  die  Füsse 
zu  treten,  nicht  schon  von  den  sehr  kriegerischen  Trä- 
gern des  Habichtwappens  (ab  accipitrinis)  ererbt  hättest, 
so  würdest  du  sie  doch  deinen  Nachkommen  in  dem 
zu  Boden  getretenen  Haupt  des  Landgrafen  von  Hessen 
überliefert  haben"2). 


1)  Laurea  Zegociana  in  hello  suecico  per...  Christophorum 
Zegocki  a  religione,  rege,  libertate  defensis  decerpta. 

2)  „Profecto,  fortissime  heroum,  calcandi  artem  barbarorum 
capita,  si  a  pugnacissimis  olim  non  accepisses  Accipitrinis,  tarnen 
posteris  in  Landsgraf fij  Hassiae  capite  calcato  tradidisses"... 


94  Oswald  Collmann. 

In  dem  Lobe,  welches  der  Menschlichkeit  2egockis 
gespendet  wird,  liegt  sogar  eine  wenn  auch  vielleicht 
unwillkürliche  Anerkennung  der  tapferen  Haltung  seines 
Gegners.  Zur  Erklärung  der  Randbemerkung  „Er  (d.  h. 
Zegocki)  hat  den  Landgrafen  gefragt  ob  er  ihm  das  Le- 
ben schenken  solle"  enthält  nämlich  der  Text  die  Worte: 

„Du  wolltest  dem  Landgrafen  (nur)  sein  Gift,  nicht 
das  Leben  rauben.  Du  hättest  ihm  weiter  zu  leben  gern 
gestattet,  wenn  er  durch  seinen  Widerstand  (obluctans) 
nicht  abgelehnt  hätte,  sich  in  deines  Sieges  Hand  zu 
geben".  —  Und  noch  deutlicher  weiter  unten:  „Er  wäre 
am  Leben  geblieben,  wenn  er  sein  Leben  deiner  Milde 
und  nicht  seinem  Schwert  anheim  gestellt  hätte"1). 

Dies  Lob,  wenn  es  ein  solches  sein  soll,  wird  dann 
freilich  durch  schwere  Beschuldigungen  wieder  aufgewo- 
gen: „Wisset,  ihr  Katholiken,  dass  die  rächende  Strafe 
<ler  Räuber  nicht  ausbleibt,  und  dass  die  Götter  nicht 
säumig  sind  im  Belohnen  der  Tugenden.  Für  das  eine 
möge  der  besiegte  Landgraf,  für  das  andere  der  sieg- 
reiche Zegocki  als  Beweis  dienen"...2)  „Wer  wäre  wohl 
würdiger,  von  der  Burg  der  Königin  (d.  h.  Czenstochau8) 
die  Gold  und  Silber  verprassenden  Schweden  abzuwehren 
als  der  Mann,  der  sie  auch  von  der  Burg  des  Königs  (d.  h. 
Kosten)  vertrieb,  nachdem  er  ihre  Gier  nach  polnischem 
Blut  in  dem  Landgrafen  von  Hessen  ausgelöscht  hatte"  *). 

*)  Virus  Landsgraffio,  non  ivitam  adimere  animus  tibi  erat. 
Non  invitus  ei  vivere  concederes,  dummodo  iile  in  victoriae  tuae 
manus  obluctans  ire  non  negaret.  . . .  Vixisset,  si  clementiae  tuae, 
et  non  gladio,  vitam  suam  coramendasset. 

2)  Discite,  Catholici,  non  claudam  (esse)  poenam  ultricem 
praedonum,  nee  segnes  virtutum  praemiatores  divos  —  utriusque 
documentum  victus  Landsgraf fius  Hassiae,  victor  Christophorus 
.Zegocki. 

8)  Zegocki  war  von  Johann  Kasimir  zum  Kommandanten  der 
dortigen  Schlosswache  ernannt  und  dadurch  mit  der  ehrenvollen 
Aufgabe  betraut  worden,  die  in  Czenstochau  weilende  Königin  Marie 
Louise  zu  beschützen. 

4)  Nam  quis  eo  dignior  ut  a  Castro  reginae  helluones  argem i 
-aurique  Suecos  abigeret,  quam  qui  et  a  Castro  regis,  exstineta  in 
Landsgraffio  Hassiae  cruoris  Polonici  cupidine,  abegit? 


Des  Landgrafen  Friedrich  von  Hessen  Todesritt.  95 

Die  zuletzt  angeführten  beiden  Stellen  der  Schrift 
des  A.  K.  Pilecki  enthalten,  wie  wir  sehen,  neben  dem 
Lob  des  Siegers  schwere  Vorwürfe  für  den  „Besiegten*, 
und  es  drängt  sich  daher  die  Frage  auf:  War  denn  der 
Landgraf  Friedrich  von  Hessen  wirklich  ein  solcher  Wü- 
terich, dass  man  seinen  Tod  als  die  gerechte  Bestrafung 
eines  Räubers  bezeichnen  durfte? 

Nun  —  ein  Heiliger  war  der  Landgraf  sicherlich 
nicht  Dass  er,  als  jüngstes  von  den  13  Kindern  Moritz 
des  Gelehrten,  Landgrafen  von  Hessen-Kassel,  keine  be- 
sonders sorgfältige  Erziehung  erhalten  hat,  wie  sie  gerade 
bei  seinem  Temperament  sehr  nötig  gewesen  wäre,  das 
bezeugt  u.  a.  der  Geschichtschreiber  Hessens,  Chr.  von 
Rommel,  indem  er  von  ihm  sagt:  „In  den  letzten  Jahren 
seines  Vaters  vernachlässigt,  erhielt  er  in  Eschwege  (sei- 
nem Wohnort)  den  Beinamen  „Der  tolle  Fritz"  und  be- 
hielt, wie  sein  (eigener)  Bruder  Ernst  in  seiner  hand- 
schriftlichen Lebensbeschreibung  erzählt,  zeitlebens  ein 
tolles  Wesen" *). 

Andrerseits  müssen  damals  die  Schweden  in  Gross- 
polen überhaupt  und  insbesondere  in  Kosten  übel  ge- 
haust haben.  Dafür  sei  hier  nur  ein  Zeugnis  angeführt: 
In  einem  Aufsatz  über  das  Wappen  der  Stadt  Kosten2) 
macht  der  verstorbene  Posener  Sanitätsrat  Dr.  Klemens 
Köhler  u.  a.  folgende  Mitteilungen:  „In  den  Akten  des 
städtischen  Amts  von  Kosten  findet  sich  nirgends  eine 
Erwähnung  des  Wappens  (der  Stadt)  oder  eines  Ab- 
drucks desselben  in  einem  Siegel.  Der  erste  schwedische 
Krieg,  der  über  die  Stadt  Kosten  grosses  Unglück  und 
Verwüstung  brachte,  verursachte  auch  die  fast  vollständige 
Vernichtung  der  älteren  Akten:  Die  Schweden  ver- 
nichteten oder  konfiscierten  alles,  was  nur  irgend  einen 
Wert  darstellte.  Sogar  die  Haspen  und  Angeln  rissen 
sie  von  den  Türen  ab,  (die  Siegel  von   den  Akten)   — 


*)  v.  Rommel,  Neuere  Geschichte  von  Hessen.  1837.  Bd.  II,  S.  345. 
*)  Köhler,  Herb  miasta  Kosciana  na  piecz^ciach  wyobrazony. 
(„Wiadomosci  numizmatyczno-archeologiczne",  tom  III.) 


96  Oswald  Collmann. 

nicht  etwa,  um  die  polnische  Siegelkunde  kennen  zu 
lernen,  sondern  um  auch  dieser  geringen  Menge  des  zu 
den  Siegeln  verwendeten  Wachses  sich  zu  bemächtigen. 
Zur  Stütze  dieser  Behauptung  führen  wir  eine  Stelle  aus 
dem  Revisionsbericht1)  des  Kostener  Starosten  vom 
Jahre  1661  an:  „Die  Einwohner  wiesen  einige  den  Bürgern 
der  Stadt  verliehene  Privilegien  vor,  aber  die  Schweden 
hatten  sie  zerkratzt  und  die  Siegel  von  ihnen  abgerissen *. 

Wenn  also  der  Landgraf  Friedrich  wirklich  damals 
Platzkommandant  von  Kosten  gewesen  ist,  so  wird  es 
nicht  möglich  sein,  ihn  von  der  Verantwortung  für  diese 
Ausschreitungen  frei  zu  sprechen. 

Aber  ist  es  denn,  wird  man  fragen,  irgendwie 
zweifelhaft,  dass  er  damals  in  Kosten  als  Platzkommandant 
gewaltet  hat?  Für  die  meisten,  welche  in  neuerer  Zeit 
über  diese  Dinge  geschrieben  haben,  für  Moraczewski 
nicht  weniger  als  für  Jarochowski  und  Köhler,  ist  es  im 
Gegenteil  eine  ganz  feststehende  Tatsache.  Sie  stützen 
sich  dabei  auf  keine  geringere  Autorität  als  die  des 
Vespasian  von  Kochowski2),  dem  sie  denn  auch  seine 
Schilderung  jener  Vorgänge  mehr  oder  weniger  wörtlich 
nacherzählt  haben.  Und  daraus  kann  man  ihnen  kaum 
einen  Vorwurf  machen,  denn  Kochowski  hat  damals  selbst 
an  den  Kämpfen  gegen  die  Schweden  als  Soldat  teil- 
genommen. Er  ist  sogar  (1656)  in  einem  Gefecht  in  der 
Nähe  von  Gnesen  verwundet  worden  und  zwar,  wie  er 
im  zweiten  Buch  seiner  „Liryki"  selbst  erzählt,  für  den 
von  ihm  in  der  Gnesener  Kirche  bewiesenen  Skeptizis- 
mus (za  okazane  w  koSciele  gnie&iiefiskim  niedowiarstwo). 
Von  einem  solchen  Manne  darf  man  aber  doch  wohl  er- 
warten, dass  er  diese  Neigung  zur  Kritik  auch  bei  der 
Schilderung  der  Ereignisse  seiner  eigenen  Zeit  betätigt 
haben  wird.  Geben  wir  daher  zunächst  Kochowski 
das  Wort! 


l)  Nach  einer  im  Besitz  des  Verf.  (Dr.  Köhler)  befindlichen 
Handschrift. 

*)  Kochowski,  Vesp.,  Annalium  Poloniae  ab  obitu  Vladislai  IV. 
dimacter  II.  Cracoviae.    1683. 


Des  Landgrafen  Friedrich  von  Hessen  Todesritt.  97 

In  dem  zweiten  Teile  oder  „Climacter",  wie  er  es 
nennt,  seines  Geschichtswerkes  drückt  er  sich  über  jene 
Vorgänge  folgendermassen  aus:  „Nachdem  auf  solche 
Weise  zu  Tyszowce  die  Konföderation  der  Stände  ab- 
geschlossen war,  brach  der  Hass  gegen  den  schädlichen 
„Schutz"  (der  Schweden)  bald  in  offenen  Feindseligkeiten 
aus  .  .  .  und  zwar  zuerst  in  Grosspolen,  wo  die 
schwedischen  Präfekten  in  den  Burgen  und  Städten 
gewalttätig  oder  allzuherrisch  gegen  den  Adel  verfuhren. 
Die  Hauptstadt  Posen  hielt  Claudius  Rholambus  besetzt, 
Kosten  der  Landgraf  von  Hessen  .  .  . ,  es  gab  ebenso 
viele  Herren  wie  Burgen,  und  je  mehr  Herren,  desto  un- 
ersättlichere". .  . 

Nach  Aufzählung  der  dem  Lande  durch  die  Schweden 
auferlegten  Lasten  und  von  ihm  geforderten  Leistungen 
fährt  Kochowski  folgendermassen  fort:  „Zu  diesen  Lasten 
musste  der  Adel  der  Umgegend  beitragen,  wie  es  den 
Präfekten  beliebte,  und  die  Steuern,  die  früher,  wenn 
auch  nur  einer  dagegen  war,  von  den  Landtagen  nicht 
beschlossen  werden  durften  *),  die  wurden  jetzt,  wo  alle 
dagegen  waren,  unter  (dem  Vorwand)  des  „Schutzes" 
erpresst  Die,  welche  sich  des  alten  Zustandes  erinnerten, 
empfanden  solche  Dinge  bitter,  und  zuerst  bekannte  sich 
Peter  Opalifiski,  der  Woiwode  (palatinus)  von  Podlachien, 
offen  als  Feind  der  Schweden,  nachdem  er  durch  sein 
Wort  und  Beispiel  den  Adel  Grosspolens  zu  den  Waffen 
gerufen  hatte.  Nach  ihm  machte  sich  Christoph  2egocki, 
der  Starost  (praefectus)  von  Bomst,  mit  mehr  Kühnheit 
als  Kräften  (majore  ausu  quam  viribus)  an  ein  denk- 
würdiges Unternehmen.  Die  Stadt  Kosten  ist  7  Meilen 
von  Posen  entfernt;  sie  war  mit  einer  Besatzimg  von 
400  Schweden  belegt,  und  hier  hatte  Friedrich,  der  Land- 
graf von  Hessen,  seinen  Wohnsitz  genommen,  (domicilium 
fixerat).  Friedrich  war  durch  die  Ehe  der  Schwestern 
mit  dem  König  Karl  (Gustav)  verschwägert  und  bekleidete 


*)  Das  sogen,  liberum  veto! 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Pro*.  Posen.   Jahr*.  XIX. 


98  Oswald  Co  11  mann. 

in  der  Verwaltung  der  Provinzen  Grosspolens  fast  die 
Stellung  eines  Vizekönigs.  Diesen,  welcher,  wie  man  er- 
fahren hatte,  sich  in  Sicherheit  wiegte,  häufig  in  der  Um- 
gegend mit  einem  Jagdgefolge  umherschweifte  und  sich 
eines  Anschlags  nicht  versah  (incuriosum  doli),  greift 
2egocki  mit  (Hilfe)  folgender  Kriegslist  an .  .  .  ." 

Hierauf  folgt  nun  die  Erzählung  von  der  Eroberung 
Kostens  und  der  Erschliessung  des  Landgrafen  ungefähr 
in  denselben  Ausdrücken,  wie  ich  sie  oben  nach 
Jarochowskis  polnischer  Bearbeitung  wiedergegeben  habe. 

Dieser  Darstellung  haben  sich  dann  noch  zwei  andere 
neuere  Schriftsteller  angeschlossen,  Moraczewski l)  und 
der  bereits  genannte  Dr.  Klemens  Koehler2).  In  einem 
Punkte  jedoch,  nämlich  hinsichtlich  des  Datums,  stimmen 
sie  unter  einander  nicht  überein,  denn  während  Jarochowski 
sagt:  „Der  Anfang  des  Frühjahrs  1656,  genauer  der 
Zeitraum  zwischen  Ostern  und  dem  Feste  des  heiligen 
Stanislaus 8),  ist  der  Augenblick  des  Aufstandes  Gross- 
polens", möchte  Dr.  Köhler  den  Ausbruch  schon  in  die 
Mitte  des  Dezember  1655  verlegen.  Wegen  der  Wichtig- 
keit der  Zeitbestimmung  müssen  wir  auf  diesen  Punkt 
näher  eingehen.  Was  Jarochowski  zu  seiner  Auffassung 
veranlasste,  war  erstens  der  Umstand,  dass  zur  allgemeinen 
bewaffneten  Erhebung  des  grosspolnischen  Adels  eigentlich 
doch  erst  die  am  29.  Dezember  1655  abgeschlossene 
Konföderation  von  Tyszowce  den  Anstoss  gegeben  hat, 
und  zweitens  wohl  auch  die  Wahrnehmung,  dass  Kochowski 
die  Eroberung  Kostens  unter  den  Ereignissen  des  Jahres 
1656  anführt  Jarochowski  übersah,  dass  dies  wahr- 
scheinlich ein  blosser  Zufall  und  aus  der  Anlage  von 
Kochowskis  Geschichtswerk  zu  erklären  ist.  Nachdem  er 
nämlich  im  I.  Buche  des  zweiten  „Climacter*  seines 
Werkes  die  Ereignisse  des  Jahres  1655  berichtet  hat, 
geht  er  im  II.  Buche  dazu  über,  die  wichtigsten  Vorgänge 
von  1656  zu  erzählen.     Zu   diesen  gehört  auch  der  Auf- 

*)  Moraczewski,  Dzieje  rzeczypospolitej  polskiej. 
2)  Koehler,  Krzysztof  icgocki.    Poznan  1897, 
**)  d.  h.  dem  achten  Mai. 


Des  Landgrafen  Friedrich  von  Hessen  Todesritt.  99 

stand  in  Grosspolen,  der  deshalb  erst  hier  im  Zusammen- 
hange erzählt  wird,  obwohl  seine  Anfänge  weiter  zurück- 
reichen. 

Wenn  nun  andrerseits  Dr.  Koehler  sich  für  die 
Mitte  Dezember  des  Jahres  1655  entscheidet1),  so  stützt 
er  sich  dabei  zwar  auf  einen  neueren  Historiker,  Mora- 
czewski,  aber  er  setzt  sich  damit  doch  in  Widerspruch 
zu  einem  Zeitgenossen  des  Landgrafen,  dem  berühmten 
Pufendorf  *),  der  in  ganz  bestimmter  Weise  den  24.  Sep- 
tember 1655  als  den  Todestag  des  unglücklichen  Fürsten 
nennt 

Seine  Ablehnung  des  von  Pufendorf  gegebenen 
Datums  begründet  Dr.  Koehler  in  folgender  Weise:  „Das 
Jahr  1655  . .  .  trug  sich  mit  blutigen  Schriftzügen  in  unsre 
Geschichte  ein . . .  Der  Schwede  rückte  in  die  (ihm  durch 
den  Vertrag  von  Usch)  geöffneten  Städte  und  begann 
furchtbare  Verheerungen.  Im  Rauben  und  Morden  wett- 
eiferten die  Andersgläubigen8)  mit  den  Schweden.  Wer 
konnte,  entwich  nach  Schlesien,  . .  .  um  das  Leben  zu 
retten.  Über  diesen  Zufluss  von  Fremden  in  seinen 
Ländern  besorgt,  erliess  der  (Deutsche)  Kaiser  am 
18.  September  ein  Reskript,  durch  das  er  (von  den  be- 
treffenden Ortsbehörden)  ein  genaues  Verzeichnis  der 
Personen,  ihres  Standes  und  sonstigen  Verhältnisse  ver- 
langte. Es  liefen  denn  auch  aus  den  einzelnen  Ortschaften 
Berichte4)  ein,  und  ihnen  verdanken  wir  die  Kunde, 
dass  unser  Christoph  2egocki  am  29.  September  in 
Grünberg  war.Ä 

„Da  nun*  —  folgert  Dr.  Koehler  —  „der  oben  ange- 
führte amtliche  Bericht  vom  29.  dieses  Monats  die  An- 
wesenheit 2egockis   in  Grünberg  vermerkt,   so  konnte 


*)  Koehler,     Krzysztof    £egocki.     Poznan    1897    (Odbitka    z 
Kurycra  Poznanskiego). 

a)  Pufendorf,  De  rebus  a  Carolo  Gustavo,  Sueciae  rege,  gestis 
commentariorum  libri  VII . . .  Norimbergae,  1696. 

8)  D.  h.  die  Evangelischen. 

4)  Mosbach,    Wiadomosci    do    dziejöw  polskich    z    archiwum 
prowincyi  älqskiej.  Wroclaw,  1860. 

7* 


IOO  Oswald  Collmann. 

er  nicht,  wie  Pufendorf  es  behauptet,  am  24.  September 
in  Kosten  sein." 

Diese  Angaben  sind  freilich  scheinbar  mit  einander 
nicht  zu  vereinigen.  Glücklicherweise  aber  bietet  sich 
uns  ein  ziemlich  einfacher  Ausweg  aus  diesem  Labyrinth 
von  widersprechenden  Behauptungen. 

Es  ist  kein  andrer  als  der  uns  bereits  bekannte  Alb. 
Cas.  Pilecki,  der  uns  den  Ariadnefaden  liefert  Dass  wir 
uns  hier  seiner  Führung  anvertrauen  dürfen,  ergibt  sich 
aus  dem  Umstand,  dass  er  bei  Chr.  2egocki  Hauslehrer 
war,  domesticus  moderator  filii  ejusdem,  wie  er  sich  auf 
dem  Titelblatt  seines  oben  erwähnten  Panegyricus  selbst 
nennt  Daraus  folgt  doch,  dass  er  durchaus  in  der  Lage 
war,  sich  über  jene  Vorgänge  genau  zu  unterrichten,  und 
dass,  in  Anbetracht  der  Bedeutung,  die  er  der  „Besiegung" 
des  Landgrafen  beilegte,  daher  auch  seine  Zeitangaben 
volles  Vertrauen  verdienen.  Nun  drückt  er  sich  darüber 
(Absch.  VIII  des  Panegyricus)  folgendermassen  aus: 

„Legebamus  nos  in  primo  tuo  ad  aeternitatem 
vestibulo,  Christophorum  2egocki . . .  fulminis  et  non 
Caesaris  in  morem  quarto  nonas  Octobres  Costenum 
venisse,  vidisse,  Hassiae  principem  vicisse." 

Und  daneben  am  Rand  steht  noch  überdies:  „Anno 
dni  1655.   4.  Octobr." 

Zu  der  von  Mosbach  mitgeteilten  Tatsache,  dass 
2egocki  noch  am  29.  September  in  Grünberg  war,  steht 
dieses  Datum  nicht  im  Widerspruch;  denn  wenn  er 
Grünberg  etwa  am  30.  September  verlassen  hat,  so  kann 
er  gar  wohl  3  bis  4  Tage  später  vor  Kosten  erschienen  sein. 

Aber  wie  reimt  sich  der  4.  Oktober  mit  dem  von 
Pufendorf  gegebenen  Datum  des  24.  September?  Auf  die 
einfachste  Weise  von  der  Welt,  eine  so  einfache,  dass  man 
eigentlich  nicht  begreift,  wie  Dr.  Koehler,  der  die  Angabe 
des  Pilecki  doch  auch  kannte,  nicht  selbst  auf  diese 
Lösung  gekommen  ist. 

Pufendorf  datiert  noch  nach  dem  alten  Kalender. 
Bekanntlich  fand  der  von  Gregor  XIII.  1582  eingeführte 
und    nach    ihm    benannte   verbesserte  Kalender    in   den 


Des  Landgrafen  Friedrich  von  Hessen  Todesritt.  IOI 

katholischen  Ländern  sehr  bald,  in  Polen  schon  1586, 
Eingang,  während  dagegen  die  evangelischen  deutschen 
Reichsstände  sich  erst  im  Jahre  1700  zur  Annahme  dieser 
Reform  bequemten.  Dass  insbesondere  Pufendorf  noch 
an  dem  alten  Stile  festhält,  ergibt  eine  Vergleichung 
irgend  eines  seiner  Daten  mit  der  heute  dafür  üblichen 
Zeitbestimmimg.  Der  Unterschied  zwischen  dem  alten 
und  dem  neuen  Stil  betrug  damals  10  Tage,  und  so 
finden  wir  denn  z.  B.  die  Schlacht  bei  Warschau,  die 
nach  unserer  jetzigen  Zeitrechnung  am  28.,  29.  u.  30.  Juli 
1656  geschlagen  wurde,  bei  Pufendorf  auf  den  18.,  19.  u.  20. 
verlegt 

Wenn  also  Pufendorf  als  Todestag  des  Landgrafen 
den  24.  September  1655  nennt,  so  ist  das  durchaus  gleich- 
bedeutend mit  dem  4.  Oktober  des  Hauslehrers  Pilecki. 

An  diesem  Tage  also  hat  der  Landgraf  vor  Kosten 
seinen  letzten  Atemzug  getan.  Wann  ist  er  denn  nun 
nach  Kosten  gekommen,  wie  lange  hat  er  dort  seiner 
„Gier  nach  polnischem  Blute*   (Pilecki)   fröhnen  können? 

Darüber  geben  uns  die  polnischen  Quellen  keinen 
Aufschluss.  Dass  er  vorher  einige  Zeit  in  der  Stadt 
Posen  verweilt  hat,  bezeugt  die  Chronik1)  der  hiesigen 
Benediktinerinnen,  nach  der  Jarochowski  folgendes  mitteilt: 

„Vor  Ostern  eben  dieses  Jahres  (1656)  Hessen  die 
Schweden  .  .  .  alle  Priester  und  Ordensleute,  deren  es  in 
Posen  noch  60  gab,  zusammenrufen  Und  vertrieben  sie 
alsbald  sämtlich  aus  der  Stadt  .  .  .  Schon  vorher  war 
auf  Anstiften  von  Posener  Lutheranern  und  Deutschen  in 
dem  Kloster  der  Benediktinerinnen,  die  der  heimlichen 
Aufbewahrung  von  Waffen  beschuldigt  waren,  eine  strenge 
Revision  vorgenommen  worden.  Etwas  später  erfolgte 
durch  eine  Lutheranerin  eine  ähnliche  Denunziation  gegen 
die  Nonnen,  dass  sie  Bewaffnete  (bei  sich)  versteckt 
hielten.  Diesmal  nahm  der  Königliche  Schwager,  der 
hessische    Landgraf    Friedrich    selbst,    mit    dem    Platz- 

l)  Die  Zeitangaben  dieser  Chronik  bedürfen  einer  genaueren 
Prüfung,  die  ich  mir  für  später  vorbehalten  muss.  Vergl.  auch  die 
Anmerkung  %u  Seite  105. 


102  Oswald  Collmann. 

kommandanten  Duderstädt  und  dem  Kommissar  Weismann 
die  Haussuchung  vor,  wenn  auch  allerdings  in  ange- 
messener Weise  (w  przyzwoity  sposöb)  u.  s.  w." 

„Vor  Ostern  1656/  —  „Schon  vorher."  —  „Etwas 
später"  —  mit  solchen  Zeitangaben  ist  nichts  anzufangen. 
Wir  müssen  uns  deshalb,  wenn  wir  über  des  Landgrafen 
Aufenthalt  in  diesem  Lande  etwas  Genaueres  erfahren  wollen, 
nach  einer  anderen  Quelle  umsehen.  Eine  solche  gefunden 
zu  haben,  verdanke  ich  der  gütigen  Unterstützung  der 
Beamten  des  Königlichen  Staatsarchivs  zu  Marburg. 

Dort  befindet  sich  ein  mit  IX  B  2521  signiertes  ge- 
drucktes Heft,  betitelt  „Personalia*,  das  eine  kurze  Lebens- 
beschreibimg des  Landgrafen  enthält  Ein  Teil  dieses 
Heftes  ist  auch  noch  in  einer  gleichzeitigen  Abschrift  vor- 
handen, aus  deren  Begleitsbrief  hervorgeht,  dass  diese 
Personalien  als  Unterlage  gedient  haben  für  den  Geist- 
lichen, der  in  Eschwege  bei  der  endgültigen  Beisetzung 
der  sterblichen  Reste  des  unglücklichen  Fürsten  am 
24.  September  1657  die  Leichenrede  gehalten  hat. 

Die  Zeitangaben  in  diesem  Heft  sind  durchweg  nach 
dem  alten  Kalender  gemacht. 

Danach  war  der  Landgraf  am  9.  Mai  161 7  zu 
Eschwege  geboren.  Von  1631  —  1636  hatte  er  als 
hessischer  Offizier  mehrere  Feldzüge  mitgemacht.  1640 
in  den  schwedischen  Dienst  getreten,  hatte  er  sich  unter 
Torstensohn  in  dem  Treffen  vor  Wolfenbüttel  ausgezeichnet 
und  1642  an  der  Hauptschlacht  bei  Leipzig  teilgenommen. 
Im  Januar  1646  war  er  nach  Schweden  gereist  und  hatte 
sich  im  September  desselben  Jahres  zu  Stockholm  mit 
Eleonore  Katharine,  Tochter  des  Johann  Kasimir,  Pfalz- 
grafen bei  Rhein,  und  Schwester  des  späteren  Schweden- 
königs Karl  Gustav,  vermählt  Von  der  Königin  Christine 
zum  Generalmajor  ernannt,  stand  er  mit  10  Kompagnien 
zu  Pferd,  2  Regimentern  zu  Fuss  und  1500  Musketieren 
in  Westfalen,  als  der  Friede  von  Münster  und  Osnabrück 
seinen  kriegerischen  Taten  vorläufig  ein  Ende  machte. 

Soweit  geht  auch  das  handschriftliche  Exemplar  der 
„Personalia".     Die    weiteren    Ereignisse    seines    Lebens 


Des  Landgrafen  Friedrich  von  Hessen  Todesritt.  103 

werden  dann  in  dem  gedruckten  Bericht  in  folgender 
Weise  erzählt:  .  .  .  „Nachdem  die  jetzige  König].  Majestät 
zu  Schweden,  Ihrer  Fürstl.  Gnaden  Herr  Schwager  König 
Carolus  Gustavus,  anno  1655  mit  deren  Arm6e  nach 
Pohlen  gangen,  haben  Ihre  Fürstl  Gnaden  den  Vorsatz 
gehabt,  sich  zu  Ihrer  Majestät  in  fernere  Kriegsdienste  zu 
begeben,  deswegen  Sie  sich  mit  notwendigen  Leuten  ver- 
sehen, sich  kostbar  mundirt  und  den  3.  Septembris 
allhier  zu  Eschwege,  als  Sie  von  allen  fürstlichen  An- 
gewandten Abschied  genommen,  auf  den  Weg  begeben, 
da  denn  Ihrer  Fürstl.  Gnaden  .  .  .  Frau  Gemahlin  ihren  herz- 
geliebten Herrn  bis  nacher  Weimar  und  Dessau  begleitet, 
allda  Ihre  Fürstl.  Gnaden  völligen  Abschied  genommen 
und  so  forters'  nach  Pommern  und  Pohlen  ihren  Weg 
fortgesetzt". 

„Als  Ihre  Fürstl.  Gnaden  nun  nach  Posen  kommen 
haben  Sie  daselbst  vernommen,  dass  Ihre  KönigL  Majestät 
zu  Schweden  mit  dero  Armee  schon  weit  gegen  Warschau 
verrücket  und  wegen  grosser  Unsicherheit  dieselbe  zu 
erreichen  nicht  vermocht,  Ihr  auch  sich  weiter  fort- 
zubegeben missrathen  worden,  deswegen  Sie  Sonntags 
den  23.  ejusdem  zu  Posen,  nachdem  Sie  dem  öffentlichen 
evangelischen  Gottesdienst  daselbst  selbigen  Morgens  erst 
andächtig  beigewohnt,  sich  uff  gemacht  in  Meinung1)  sich 
wieder  in  Pommern  zu  begeben.  Als  Sie  selbigen  Tags 
3  Meil  Wegs  gereist,  haben  Sie  die  Nacht  bei  einem  Edel- 
mann logirt,  sich  des  Morgens  frühe  nemblich  den  24.  ge- 
dachten Monats  Septembris  uffgemacht,  zuvorderst 
im  Feld  öffentliche  Betstunde  halten  lassen  und  damit 
auf  Costian,  unterwegs  mit  Singung  etlicher  Psalmen  an- 
haltend, fortgereist  und  jezuweilen  Ihre  Sterbensgedanken 
auf  dieser  ganzen  Reise  verspüren  lassen.  Und  als  Sie 
nahe  bei  Costian  kommen,  haben  Sie  Ihren  Secretarium 
und  Sattelknecht  vorangeschickt,  um  dem  schwedischen 
Commandanten  in  Costian  Ihrer  Fürstl.  Gnaden  Beikunft 
anzukündigen,  welche  aber  nicht  wieder  zurückkommen 


*)  D.  h.  in  der  Absicht. 


104  Oswald  Collmann. 

[seind],  dieweil  sich  eben  in  selbiger  Stadt  dieses  Unglück 
begeben,  dass  die  Pohlen  auf  die  schwedische  Garnison 
daselbst  einen  Anschlag  gemacht  und  in  der  vorher- 
gegangenen Nacht  denselben  auch  zu  Werk  gerichtet, 
die  schwedische  Garnison  darin  niedergehauen  und  die 
Stadt  verschlossen.  Dahero  weil  die  Vorangeschickten 
von  den  Pohlen  mit  List  ein-  und  nicht  wieder  heraus- 
gelassen worden,  [hat]  niemand  erfahren  können,  was 
es  in  der  Stadt  vor  eine  Beschaffenheit  habe*. 

„Als  nun  Ihre  Fürstl.  Gnaden  mittags  zwischen  10 
und  ii  Uhren  vor  die  innerste  Pforte  der  Stadt  kommen, 
seind  Sie  abgestiegen,  vermeinend,  bei  guten  Freunden 
zu  sein  und  die  schwedische  Garnison  noch  darin  zu 
finden,  da  dann  unvermuthet  zwei  Schüsse  aus  der  Stadt 
geschehen  und  dadurch  leider  Ihre  Fürstl.  Gnaden  einzig 
und  allein  also  getroffen,  dass  Sie  davon  gefallen  und 
todt  blieben,  und  ob  sich  wohl  die  beiwesenden  Officierer 
und  Bediente  [haben]  betaühen  wollen,  Ihre  Fürstl  Gnaden 
zu  salvieren  und  davon  zu  bringen,  so  seind  aber  zugleich 
die  Pohlen  so  stark  ausgefallen,  und  [haben]  die  Bediente 
samt  der  Convoy  mit  Schiessen  und  grosser  Gewalt  ab- 
getrieben, und  ob  sie  sich  zwar  im  Feld  wider  gesetzt 
und  zu  scharmutziren  angefangen,  [haben  sie]  doch  nichts 
ausrichten  können,  sondern  sich  wiederumb  nacher  Posen 
begeben  müssen  .  .  .  und  haben  danach  Ihre  Fürstl.  Gnaden 
in  dieser  mühseligen  Welt  gelebt  38  Jahre  4  Monate  und 
15  Tage «) 

Mit  dieser  Darstellung  stimmt  auch  der  von  Pufen- 
dorf  —  natürlich  in  viel  kürzerer  Form  —  gegebene  Bericht 
inhaltlich  vollkommen  überein. 

Wir  haben  sonach  für  das  Datum  des  24.  September 
bezw.  4.  Oktober  1655  drei  gewichtige  Zeugnisse: 

1.  Die  Textstelle  nebst  Randbemerkung  des  Haus- 
lehrers Pilecki, 

2.  Die  Aussage  Pufendorfs, 


*)  Gerechnet  vom  9.  Mai  1617  —  24.  September  1655,  wobei 
der  Geburts-  und  der  Sterbetag  nur  als  1  Tag  gerechnet  wurden. 


Des  Landgrafen  Friedrich  von  Hessen  Todesritt.  105 

3.  Die  Angabe  der  „Personalia",  welche,  unter  den 
obwaltenden  Umständen,  fast  den  Wert  einer,  wie  wir 
heute  sagen  würden,  standesamtlichen  Beurkundung  hat 

Wir  sind  nun  an  dem  Punkte  angelangt,  wo  wir  aus 
den  gemachten  Feststellungen  die  erforderlichen  Schlüsse 
ziehen  können. 

1.  Der  Handstreich  des  2egocki  hat  schon  drei 
Monate  vor  dem  Abschluss  der  Konföderation  von  Ty- 
szowce  stattgefunden.  Dass  dadurch  das  Verdienst,  wel- 
ches sich  Chr.  2egocki  damals  um  die  Sache  seines  Va- 
terlandes erworben  hat,  nicht  geschmälert,  sondern,  im 
Gegenteil,  noch  erhöht  wird,  hat  wohl  auch  Pilecki  her- 
ausgefühlt und  deshalb  das  Datum,  welches  er  sonst  bei 
der  Erwähnung  der  Taten  Zegockis  nicht  angegeben  hat, 
gerade  hier  so  nachdrücklich  hervorgehoben. 

2.  Aber  wie  hoch  man  auch  den  moralischen 
Erfolg  anschlagen  mag,  vom  militärischen  Standpunkt  be- 
trachtet war  es  gleichwohl  ein  vorzeitiges  Unternehmen. 
Als  solches  wird  es  eigentlich  schon  durch  Kochowskis 
Bemerkimg  „majore  ausu  quam  viribus"  und  weiter 
durch  den  Umstand  charakterisiert,  dass  2egocki  sich  in 
Kosten  nicht  halten  konnte,  sondern  diese  Stadt  der 
Rache  der  Schweden  so  bald  preisgeben  musste. 

3.  Der  Landgraf  ist  bis  zum  23.  September 
(=  3.  Oktober)  in  Posen  gewesen.  Da  er  am  3.  September 
(=  13.  September)  aus  Eschwege  abgereist  war  und  bis 
Dessau  von  seiner  Gemahlin  begleitet  wurde,  —  was 
nicht  gerade  dazu  beigetragen  haben  wird,  seine  Reise 
zu  beschleunigen  — ,  so  kann  er  kaum  vor  dem  13.  Sep- 
tember (=  23.  September)  nach  Posen  gekommen  sein1). 


x)  Auf  S.  140  und  141  der  Chronik  der  Posener  Benediktinerinnen 
wird  berichtet: 

„Nach  der  Abreise  der  Frau  Äbtissin  und  einiger  Schwestern 
rückten  an  eben  diesem  Tage  der  heil.  Anna  (=  26.  Juli)  gleich 
nach  dem  Mittagessen  die  Schweden  (in  Posen)  ein.  .  .  Am  andern 
Tage  zogen  der  Kommandant,  der  Kommissarius  und  ein  anderer 
älterer  (Mann)  ein*. . .  Einige  Tage  später  (Po  tym  w  kielka  dni)  kamen 
der   königl.    Schwager    und    auch    der    königl.    Sekretär   und    der 


ioö  Oswald  Collmann. 

Er  hat  sich  also  nur  9  bis  10  Tage  in  der  Hauptstadt 
Grosspolens  aufgehalten.  Wie  er  sich  während  dieser  Zeit 
in  Posen  aufgeführt  hat,  darüber  ist  ja  nichts  Genaueres 
bekannt.  Aber  das  Urteil  Jarochowskis,  dass  „diesmal" 
die  Haussuchung  bei  den  Nonnen  „in  angemessener 
Weise"  vorgenommen  wurde,  und  die  Tatsache,  dass  der 
Landgraf  sie  gegen  die  Ausschreitungen  der  schwedischen 
Soldateska  zu  schützen  versprochen  hat,  gestattet  doch 
den  Schluss,  dass  er  im  ganzen  ein  Mann  von  humaner 
Gesinnung  war. 

3.  Am  23.  September  (=  3.  Oktober)  von  Posen 
abgereist,  hat  der  Landgraf  die  Nacht  zum  24.  September 
(=  4.  Oktober)  auf  einem  Edelhof,  vielleicht  in  Bendlewo, 
zugebracht.  Am  andern  Morgen  ist  er  vor  dem  ver- 
schlossenen Tor  von  Kosten  erschossen  worden.  Er  hat 
also  das  Innere  dieser  Stadt  nie  betreten  und  trägt  daher 
auch  keine  Schuld  an  dem,  was  dort  etwa  von  den 
Schweden  verübt  worden  ist. 

Insbesondere  kann  der  nach  Pufendorf  (II,  §  36)  am 
30.  September  (—  10.  Oktober)  unternommene  Rachezug 
der  Schweden  g&gen  Kosten  nicht  auf  sein  Konto  gesetzt 
werden.  Bei  dieser  Gelegenheit  werden  die  Schweden 
dann  auch  die  städtischen  Archive1)  zerstört  haben,  eine 
Handlungsweise,  die  nur  dann  verständlich  wird,  wenn 
man  als  ihren  Beweggrund  nicht  die  Habgier  der 
Schweden,  das  Verlangen  nach  dem  zu  den  Siegeln  ver- 
wendeten  Wachs    annimmt,    sondern    ihre    Rachsucht, 


Kanzler  und  Radziejowski  an  und  konfiszierten  (odebrali)  die  ganze 
Artillerie  der  Stadt  .  .  .* 

Nun  hat  Karl  Gustav  am  15.  August  neuen  Stils  die  polnische 
Grenze  überschritten  und  ist  erst  am  21.  August  in  Gnesen  ein- 
gerückt. Wenn  also  der  Landgraf  wirklich  schon  „einige  Tage" 
nach  dem  26.  Juli  nach  Posen  gekommen  wäre,  dann  hätte  er  doch 
den  Anschluss  an  das  schwedische  Hauptheer  noch  sehr  leicht  er- 
reichen können! 

!)  Die  Angabe  ist  jedenfalls  zum  mindesten  übertrieben,  denn 
das  Königl.  Staats- Archiv  zu  Posen  enthält  eine  ganze  Anzahl  städti- 
scher Vogt-  und  Schöffenbücher,  auch  Originalurkunden  des  16. 
und  17.  Jahrhunderts. 


Des  Landgrafen  Friedrich  von  Hessen  Todesritt.  107 

d.  h.  den  Wunsch,  die  Einwohner  für  die  dem  Chr. 
Zegocki  gewährte  Unterstützung1)  zu  bestrafen. 

4.  Der  Landgraf  hat  sich  auch  vor  Kosten  als  ein 
tapferer  Soldat  benommen.  Dies  bezeugt  nicht  nur  Pi- 
lecki  durch  die  (bereits  oben  angeführten)  Stellen  des 
§  II  seiner  Lobschrift,  es  ergibt  sich  auch  aus  der  kurzen 
Bemerkung  Kochowskis:  „auch  jener  (d.  h.  der  Land- 
graf) greift  zum  Schwert  und  versucht,  den  plötzlichen 
Angriff  abzuwehren"2). 

Diese  Anerkennung  aus  dem  Munde  der  Gegner 
ist  aber  um  so  wertvoller,  weil  späterhin  das  Charakter- 
bild des  Landgrafen  auch  in  dieser  Beziehung  der  schmach- 
vollsten Entstellung  ausgesetzt  gewesen  ist8). 

Dem  aufmerksamen  Leser  werden  sich,  wenn  auch 
hoffentlich  keine  Zweifel  an  der  Richtigkeit  meiner  Schluss- 
folgerungen,  so   doch  vielleicht  noch  einige  Fragen  auf- 


*)  Wenn  Jarochowski  in  seiner  mehrfach  erwähnten  Schrift 
(S.  61)  sagt:  „Als  die  Aufständischen  einige  Tage  nach  diesem 
Treffen  nach  Kaiisch  abrückten,  marschierten  Schweden  von  der 
Posener  Besatzung  nach  Kosten  und  metzelten  die  an  dem  Vorfall 
gänzlich  unschuldigen  Einwohner  des  Städtchens  nieder  („wy- 
rzneji  niewinnych  calkiem  w  tym  wypadku  mieszkancöw  miasteczka), 
so  setzt  er  sich  damit  in  Widerspruch  zu  Kochowski,  der  jene  Un- 
terstützung unumwunden  zugiebt:  Factum  dehinc  ut...  Poloni... 
sine  sanguine  (d.  h.  ohne  eigene  Verluste)  ac  tumultu  oppido  poti- 
rentur,  juvantibus  oppidanis,  qui  praesidiarios  intra  hospitia  com- 
pulsos  ac  dedititios  in  potestate  ac  custodia  retinuerant.  Climacteris 
II  üb.  2,  pg.  103. 

Danach  hatten  die  Kostener  Bürger  die  schwedischen  Sol- 
daten in  ihren  Quartieren  überfallen  und  gefangen  genommen. 

2)    „Corripit  et  ille  ensem,  subitamque  vim  reprimere  tentat". 

*)  Vgl.  Wanda  Dobrzepolska,  Krzysztof  Zegocki  czyli  oswo- 
bodzenie  Kosciana.  Poznan,  1877.  —  In  dieser  „historischen**  (!)  Er- 
zählung von  der  Befreiung  Kostens  wird  der  Landgraf  nicht  nur  als 
ein  Mensch  gekennzeichnet,  der  „ohne  Gefühl,  ohne  Mitleid,  ohne 
jede  edlere  Empfindung,  ohne  Ehre  und  Glauben,  nur  nach  Sättigung 
seiner  schmutzigen  Begierden  und  Leidenschaften  strebte,  der  durch 
seine  Grausamkeit  und  Habgier  selbst  die  schlimmsten  unter  den 
schwedischen  Anführern  überbot",  sondern  er  wird  auch  —  sowohl 
mit  Worten  wie  durch  die  ihm  zugeschriebene  Handlungsweise  — 
als  ein  elender  Feigling  charakterisiert! 


108  Oswald  Collmann. 

drängen,  und  zwar  zunächst  wohl  diese:  Wer  war  denn 
nun  eigentlich  der  Besiegte  von  Kosten?  denn  von  einem 
Siege  über  den  Landgrafen  kann  doch  im  Ernst  nicht 
die  Rede  sein. 

Darüber  gibt  Pufendorf  (II,  §  36)  folgende  Auskunft: 

„Diese  Stadt  (Kosten)  hielten  200  Mann  schwedisches 
Fussvolk  unter  dem  Oberstwachtmeister  (praef ectus  vigilum) 
Forbes  besetzt  Diese  wurden  von  einigen  Abteilungen 
polnischer  Adliger  unversehens  überfallen  und  bis  auf 
den  letzten  Mann  niedergemacht1)".  —  Der  Oberst- 
wachtmeister Forbes  war  also  der  von  2egocki  Besiegte. 

Die  zweite  Frage  dürfte  wohl  so  lauten:  Wie  verhält 
es  sich  eigentlich  mit  den  von  Kochowski  berichteten 
und  ihm  von  anderen  Schriftstellern  nacherzählten  Jagd- 
ausflügen des  Landgrafen? 

Von  diesen  Jagdausflügen  erwähnt  Pufendorf  nichts, 
und  die  Schilderung,  welche  die  „Personalia"  von  dem 
Todesritt  des  Landgrafen  geben,  widerstreitet  direkt  dieser 
Behauptung. 

Gleichwohl  möchte  ich  die  Erzählung  von  der  Jagd  des 
Landgraf  ennichtfür  eine  blosse  „  Jagdgeschichte "  halten.  Der 
junge  Fürst  war,  wie  wir  jetzt  sagen  würden,  ein  grosser 
Sportsmann,  und  so  ist  es  denn  wohl  denkbar,  dass  das  Ge- 
folge, mit  dem  er  von  Posen  her  angeritten  kam,  mehr  einem 
Jagdzuge  glich  als  einer  militärischen  Eskorte.  Daraus  mag 
sich  dann  diese  Überlieferung  gebildet  haben. 

Diese  Auffassung  stützt  sich  auf  eine  Mitteilung 
Rommels,  des  Geschichtschreibers  von  Hessen,  der  in 
Bd.  I  seines  Werkes  sagt:  „ Seiner  in  Eschwege  zurück- 
gebliebenen Gemahlin  und  seinen  drei  noch  unversorgten 
Töchtern  hinterliess  er  zwei  Lehngüter  im  Herzogtum 
Bremen  und  Verden,  die  ihm  von  der  Königin  Christine 
geschenkt  worden  waren,  aber  unter  dem  Nachfolger  Karl 


*)  Aus  dieser  Bemerkung  Pufendorfs  ziehe  ich  den  Schluss, 
dass  in  dem  oben  angeführten  Satze  Kochowskis:  „factum  dehinc 
ut  Poloni . . .  sine  sanguine  ac  tumultu  oppido  potirentur",  der  Aus- 
druck „sine  sanguine"  in  dem  Sinne  von  „ohne  eigene  Verluste- 
verstanden  werden  muss. 


Des  Landgrafen  Friedrich  von  Hessen  Todesritt  109 

Gustavs  durch  eine  schwedische  Reduktionskommission 
ohne  alle  Entschädigung  wieder  eingezogen  wurden; 
ferner  (hinterliess  er)  ein  mit  Diamanten  besetztes  Porträt 
seines  königlichen  Schwagers,  einen  von  englischen 
Pferdeliebhabern  sehr  gerühmten  Marstall  und  eine  treff- 
liche Anzahl  wohl  abgerichteter  Falken/1 

Doch  wir  beschäftigen  uns  hier  schon  mit  dem 
Nachlass  des  Landgrafen  und  haben  ihm  ja  noch  nicht 
einmal  ein  ordentliches  Begräbnis  zu  Teil  werden  lassen! 

In  dieser  Beziehung  ist  es  ihm  leider  noch  recht 
schlecht  ergangen.  „Nach  jenem  Unglück  bei  Kosten 
waren  seine  Begleiter,  unter  denen  sich  auch  ein  Graf 
von  Nassau  befand,  nach  Posen  zurückgeflohen.  Die  von 
Karl  Gustav  zur  Abholung  des  Leichnams  des  Prinzen 
abgesandten  Boten  wurden  (von  den  Polen)  gefangen. 
Man  fand  endlich  —  nach  dem  blutigen  Rachezug  der 
Schweden  gegen  Kosten  —  seinen  in  einer  Leimgrube 
verborgenen  Körper,  welcher  eine  Zeit  lang  zu  Lissa  in 
einer  evangelischen  Kirche  beigesetzt,  erst  nach  zwei 
Jahren  zur  väterlichen  Heimat  zurückgebracht  und  in  der 
Hauptkirche  zu  Eschwege  beerdigt  wurde." 

Dieser  Bericht  Rommels  ist  noch  in  einigen  Punkten 
zu  ergänzen. 

Ende  April  1656  erschienen  die  Polen  vor  Lissa,  um 
die  evangelischen  Einwohner  dieser  Stadt  dafür  zu  züchtigen, 
dass  sie  es  mit  den  Schweden  gehalten  hatten.  Nachdem 
sie  die  schwache  schwedische  Besatzung  zersprengt  hatten, 
drangen  die  Polen  am  28.  April  in  die  Stadt  ein *).  „Diese 
wurde  nicht  geschont,  die  Wohnungen  und  Läden  wurden 
geplündert;  ausserdem  schändete  man  (zbezczeszczono) 
auch  die  in  der  tschechischen  Kirche  (d.  h.  in  der  Kirche 
der  böhmischen  Brüder)  befindliche  Leiche  des  hessischen 
Landgrafen  Friedrich,  eines  schwedischen  Heerführers, 
der  vor  anderthalb  Jahren  (przed  pöltora  rokiem)8)  bei 
Kosten  gefallen  war." 

l)  Karwowski,  Kronika  miasta  Leszna.    Poznan,  1877  pg.  28. 
*)  Wenn  diese  Angabe  richtig  wäre,  müsste  der  schwedisch- 
polnische Krieg  schon  im  Herbst  1654  begonnen  haben. 


HO  Oswald  Collmann. 

Die  Zerstörung  von  Lissa,  welche  unter  den  ob- 
waltenden Umständen  als  ein  Ausbruch  des  religiösen 
Fanatismus  erschien,  erregte  in  der  protestantischen  Welt 
Aufsehen  und  Entrüstung.  Allgemein  bedauerte  man  den 
Untergang  dieses  Sitzes  gelehrter  Bildung.  Für  die  land- 
gräfliche Familie  von  Hessen  verband  sich  mit  diesem 
Bedauern  aber  noch  eine  rein  persönliche  Sorge,  da  sich 
ihren  Gliedern  die  Frage  aufdrängen  musste:  „Was  mag 
aus  der  Leiche  unseres  unglücklichen  Verwandten  ge- 
worden sein?" 

Um  hierüber  Gewissheit  zu  erlangen  und,  wenn 
möglich,  ihre  Überführung  nach  Hessen  in  die  Wege  zu 
leiten,  hat  sich  einer  von  Friedrichs  Brüdern,  der  Land- 
graf Hermann  zu  Rothenburg,  schon  bald  nach  der  Zer- 
störung Lissas  an  eine  in  der  Nähe  des  Kriegsschau- 
platzes lebende  Verwandte  seines  Hauses,  die  Gemahlin 
des  Herzogs  Christian  von  Wohlau1),  gewendet  Ihre 
Antwort  —  datiert  Ohlau,  den  16.  Juni  1656  —  befindet 
sich  bei  den  auf  den  Landgrafen  Friedrich  bezüglichen 
Akten  des  Marburger  Archivs  und  lautet  in  der  Haupt- 
sache wie  folgt: 

„  . . .  Belangend  nun  unsre  liebe  Leiche,  deren  Zu- 
stand Ew.  Fürstl.  Gnaden  von  mir ...  zu  wissen  begehren, 
ist  selbe  ja  Gott  Lob  noch  vorhanden  und  durch  etzliche 
fromme  Leute  von  unseres  Hofpredigers  Herrn  Ursini 
Befreundeten  errettet  worden . . .  Nachdem  diese  ehrliche 
Leute  nichts  als  ihr  kümmerliches  Leben  zur  Beute  be- 
halten, (haben)  sie  sich  deshalb  desperat  gewaget,  durch 
ihre  so  grausam  wütende  Überwinder  durchzustehlen  und 
in  die  in  vollem  Brand  stehende  Kirche  zu  dringen,  den 
lieben  und  so  erbärmlich  zugerichteten,  halb  zerfallenen 
Körper   mit  grosser  Mühe  und  Beschwer  in  einen  neuen 


*)  Christian  war  der  vorletzte  Fürst  aus  dem  Piastischen  Hause 
Liegnitz-Brieg- Wohlau.  Da  seine  beiden  Brüder,  Ludwig  IV.  von 
Liegnitz  und  Georg  III.  von  Brieg,  ohne  männliche  Erben  vor  ihm 
starben,  so  vereinigte  er  (1664)  a^e  drei  Fürstentümer,  um  sie  1672 
seinem  einzigen  Sohn  Georg  Wilhelm  zu  hinterlassen.  Mit  diesem 
letzteren  (f  1675)  erlosch  der  Stamm  der  Piasten. 


Des  Landgrafen  Friedrich  von  Hessen  Todesritt.  III 

Sarg  zu  bringen, worauf  sie  ihn  an  einem  heimlichen 

Ort,  den  niemand  als  4  Personen  wissen,  verwahret,  als 
so  ganz . . .  verarmte  Leute  der  Hoffnung  lebend,  dermal 
einst  einer  dankbaren  Belohnung  zu  gemessen,  welche 
ihre  Treue  und  Gutwilligkeit  auch  allzuwohl  verdienet, 
und  ist  nun  schon  der  gewesene  Lissnische  Stadtvogt1), 
als  der  autor  dieses  guten  Werkes,  bereits  von  uns  hier 
vorangeschicket,  dem  übermorgen, . . ,  meines  Gnädigen 
Herrn  (Gemahls)  Leibdragoner  auf  ein  20  Pferd  folgen 
werden,  die  liebe  Leiche  von  da  in  eins  unsrer  Städt- 
chens, Herrnstadt  genannt,  so  nur  5  Meilen  von  der  Lissa 
lieget,  bei  der  Nacht  zu  bringen,  allwo  sie  hernach . . . 
ohne  einige  weitere  Gefahr  bis  zu  der  Abholung  sein 
kann . . ." 

Dieser  Bericht  wird  noch  durch  ein  anderes  Schrei- 
ben ergänzt,  welches,  aus  Crossen  vom  26.  Juni  1656 
datiert,  von  einem  gewissen  „Ruland,  Pfaff"  an  den  Land- 
grafen Hermann  gerichtet  ist: 

. . .  Ew.  Fürstl.  Gnaden  berichte  (ich)  hiermit  unter- 
thänig,  dass  ich  am  verwichenen  Montag  nachmittag  umb 
2  Uhr  allhier  ankommen  (bin)  und  Ew.  Fürstl.  Gnaden 
Schreiben  sobald  Ihrer  Churfürstl.  Durchlaucht2)  (habe) 
überreichen  lassen.  Folgenden  Dienstag  umb  9  Uhren 
haben  Ihre  Churfürstl.  Durchlaucht  mich  fordern  lassen, 
and  (ich)  habe  (nun),  was  Ew.  Fürstl.  Gnaden  mir  an- 
befohlen, vollends  mündlich  vorgebracht,  worauf  Ihre 
Churfürstl.  Durchlaucht  mir  noch  folgendermassen  be- 
richtet, dass  der  Landrichter,  Herr  Schlichting,  nach  seiner 
Ausflucht  aus  Polnisch  Lissa  allhier  gewesen,  umständlich 
und  ausführlich  berichtet,  dass  er  nach  dem  Brande  er- 
fahren, dass  die  Polen  das  fürstliche  Körper  aus  dem 
Sark  geworfen,  selbiges  ganz  ausgezogen,  den  Sammet, 
womit  der  Sark  bekleidet  (gewesen),  ganz  herausgerissen, 

1)  Johannes  von  Schlichting,  Statthalter  („administrator",  s. 
Comenius,  Lesnae  excidium)  des  Boguslaus  Leszczynski,  des  Grund- 
herrn der  Stadt  Lissa  und  des  sie  umgebenden  Landgebiets.  — 

2)  Elisabeth  Charlotte,  Tochter  Friedrichs  IV.  von  der  Pfalz, 
Witwe  des  Kurfürsten  Georg  Wilhelm  von  Brandenburg. 


112  Oswald  Collmann. 

und  das  Körper  also  liegen  lassen,  worauf  er,  Herr  Schlich- 
tung, etliche  Tage  hernach  zwei  Mann  hineingeschickt, 
das  Körper  wieder  in  den  blossen  Sark  legen  lassen  und 
in  ein  Gewölbe,  welches  er  vor  seine  Kinder  hat  machen 
lassen,  zwei  Ehl  tief  vergraben  und  beisetzen  lassen. 
Dieweil  nun  kein  Mensch  anitzo  in  Lissa,  auch  in  Frau- 
stadt über  4  (?)  Mann  nicht  seind,  auch  uff  6  Meilen  keine 
schwedische  Garnison,  (dieweil)  dass  auch  die  Polen 
stetig  da  herumstreifen,  also  dass  sich  niemand  darumb 
darf  sehen  oder  blicken  lassen,  wird  die  Ablangung1) 
Anstand  haben  müssen,  bis  etwa  die  schwedischen  Völ- 
ker da  herumb  kommen.  Und  weil  vermutlich  Herr 
Schlichting  noch  zu  Cüstrin  sein  soll,  habe  ich  mich  re- 
solviret,  heute  von  hier  und  nach  ihm  zu8)  zu  reisen,  um 
fernerer  Nachricht  bei  selbigem  mich  zu  erholen" 

Zur  Erklärung  dieses  Briefes  dürfte  folgendes  zu 
bemerken  sein.  Nicht  allein  aus  Gründen  des  Gefühls, 
sondern  auch  wegen  der  grossen  Kosten,  die  mit  dem 
Transport  einer  fürstlichen  Leiche  auf  so  weite  Entfernung 
notwendigerweise  verbunden  waren,  musste  den  Ange- 
hörigen vor  allen  Dingen  daran  liegen,  Gewissheit  da- 
rüber zu  erlangen,  ob  die  in  Lissa  befindliche  Leiche 
auch  wirklich  die  des  Landgrafen  Friedrich  war.  Deshalb 
war,  wie  es  scheint,  der  Schreiber  des  obigen  Briefes  von 
dem  Landgrafen  Hermann  abgeschickt  worden,  um  bei 
einem  Augenzeugen  jener  Vorgänge,  wenn  irgend 
möglich  bei  einem  der  Männer,  die  bei  der  Bergung  der 
Leiche  mitgewirkt  hatten,  die  nötigen  Erkundigungen 
einzuziehen.  Wie  wir  aus  einem  der  folgenden  Briefe 
ersehen  werden,  ist  es  dem  Pfarrer  Ruland  damals  nicht 
gelungen,  alle  Zweifel  an  der  Echtheit  der  Lissaer  Leiche 
zu  zerstreuen. 

Inzwischen  waren  von  Ohlau  aus  die  Massregeln 
zur  Abführung  der  Leiche  nach  Herrnstadt  ins  Werk  gesetzt 
worden.     Der  nächste  Brief   der  Fürstin  Luise,   (datiert 


*)    d.  h.  die  Abholung. 
2)    d.  h.  ihm  entgegen. 


Des  Landgrafen  Friedrich  von  Hessen  Todesritt.  113 

Ohlau,  den  28./18.  Juli  1656)  hat  den  Zweck,  dem  Land- 
grafen Hermann  die  Namen  der  bei  der  Rettung  der 
Leiche  beteiligten  Lissaer  und  ihre  Ansprüche  auf  Ent- 
schädigung mitzuteilen.  Zu  dem  Brief  gehören  als  Einlage 
zwei  Blätter  von  schriftkundiger  Hand,  denen  folgendes 
zu  entnehmen  ist:  „Bei  Zerstörung  und  Einäscherung  der 
Stadt  ist  genannte  fürstliche  Leiche  aus  dem  Sarge  zwar 
ausgeworfen  worden  von  den  Polen,  aber  nachfolgends 
wieder  von  gewissen  Personen  eingesarget,  wiederum  in 
die  Kirche  versenket  worden,  welches  .  .  .  mit  grosser 
Gefahr  und  Dransetzung  Leibes  und  Lebens  geschehen 
durch  nachfolgende  Personen:  Die  ersten  waren  Martin 
Woyde,  ein  Zimmermann,  und  dessen  zwei  Brüder,  die 
andern  David  Stock  und  David  Leisnitzer,  alle  beide  Lissler, 
endlich  Melchior  Just,  ein  Schuster,  wie  wohl  etliche  mehr 
dabei  gewesen,  welche  dem  ersten,  Martin  Woyde,  bewusst 
(sind).  Diese  haben  auch  die  .  .  .  Leiche  wieder  aus  der 
Erde  ausgegraben,  als  sie  nacher  Herrnstadt  ist  bei- 
gesetzet und  von  daraus  (d.  h.  von  Lissa  aus)  abgeführet 
worden". 

An  diese  Aufzählung  schliessen  sich  einige  Bitten 
„.  .  .  Weil  die  Geistlichkeit  das  ihre  in  allerwege  gethan, 
.  .  .  dass  ja  derselben  nicht  vergessen  werde,  und  dass 
auch  einmal  die  itzo  zwar  eingeäscherte  reformierte  Kirche 
bedacht  werde.  Dass  sonderlich  oben  genannte  Personen, 
so  ihnen  die  Beförderung  der  landgräflichen  Leiche 
(haben)  angelegen  sein  lassen,  mit  einigem  Gratial  möchten 
begnadet  werden  .  .  .  Sollte  es  aber  Gott  also  dirigieren, 
dass  auch  der  ganzen  reformirten  Cemeine  von  Ihrer  Kgl. 
Majestät  in  Schweden  einige  Gnade  wiederfahren  möchte, 
also  wollen  sie  auch  hiermit  um  gnädige  Intercession 
angehalten  haben,  sich  unterdessen  aller  Gnaden  und 
Vorschubs  getröstende  .  .  ." 

Bezugnehmend  auf  dieses  Schriftstück  sagt  nun  die 
Fürstin  Luise  in  ihrem  Briefe  vom  28./18.  Juli  1656:  .  .  . 
Ew.  Fürstl.  Gnaden  werden  aus  Inliegendem,  welches 
auch  eine  Lissnische  Hand  aufgesetzet,  zu  ersehen  haben, 
was  es  vor  eine  eigentliche  Meinung  und  Beschaffenheit 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Pror.  Posen.    Jahrg.  XIX.  8 


114  Oswald  Collraann. 

mit  bewussten  Leuten  hat  Weil  demnach  zu  ihrem 
Recompens  ein  nicht  geringes  erfordert  werden  würde, 
wollen  Ew.  Fürstliche  Gnaden  mich  gnädigst  vor 
entschuldigt  halten,  dass  vermöge  *)  dero  gnädigem  Befehl 
ich  anitzo  nicht  solches  zu  avanciren  vermag,  weil  auf 
letztvergangene  Johannis,  zur  Befriedigung  meiner 
Creditores,  ich  mich  ziemlich  desboursiret,  unterdessen 
aber,  was  etwa  an  Unkosten  den  guten  Leuten  drauf 
gangen,  und  was  vor  Verehrung2)  wegen  der  Abfuhr  nach 
der  Herrnstadt  (hat)  geschehen  müssen,  habe  ich  schon 
gut  gemacht,  und  ist  solches  nur  um  ein  Dutzend  Dukaten 
zu  thun  gewesen8),  welche  ich  aber  nicht  wieder 
begehre  .  .  ." 

Post  scriptum.  Den  13.  dieses  Stili  novi  seind  Ihre 
Majestät,  meine  gnädigste  Königin*),  Gottlob,  wieder  zu 
Besteigung  dero  Throns  glücklich  nach  WarSaw  angelanget. 
Der  General  Wittenberg  nebst  anderen  vornehmen 
schwedischen  Cavallieres  sind  noch  alleweil  dar6)  im  Arrest, 
dürften  auch  wohl  bis  zu  endlichem  Auschlag  des  Krieges 
dar  verharren.  Die  Weichsel  hat  sich  sehr  ergossen 
und  also  die  grosse  Brücken  fortgeführet,  verhindert  dero- 
wegen,  dass  keine  Partie  zur  andern  kommt,  würde  sonst 
verhoffentlich  ehestens  das  ander  von  diesem  tragödischen 
Lied  zu  hören  sein6)." 

Die  Herzogin  ahnte  sonach  nicht,  dass,  während  sie 
dieses  schrieb,  die  dreitägige  Hauptschlacht  bei  Warschau 
bereits  begonnen  hatte. 

x)  d.  h.  gemäss. 

2)  d.  h.  Trinkgelder. 

3)  d.  h.  es  hat  sich  nicht  billiger  machen  lassen. 

4)  Marie  Louise,  die  Gemahlin  des  Johann  Kasimir. 

5)  d.  h.  dort,  in  Warschau. 

6j  Nicht  sowohl  infolge  dieser  Überschwemmung,  als  „propter 
moras  Brandenburgici  tractatus"  (Pufendorf)  kam  das  schwedisch- 
brandenburgische  Heer  nicht  zeitig  genug,  um  das  von  den  Polen 
unter  Johann  Kasimir  belagerte  Warschau  zu  entsetzen:  am  21.  Juni 
(=1.  Juli  st  n.)  1656  musste  sich  Wittenberg  mit  der  schwedischen 
Besatzung  den  Polen  ergeben.  Er  wurde  mit  den  anderen  hohen 
Offizieren  und  Beamten  nach  Zamosc*  gebracht  und  soll  dort  noch 
vor  dem  Ende  des  Krieges  gestorben  sein. 


Des  Landgrafen  Friedrich  von  Hessen  Todesritt.  115 

Die  Angelegenheit  der  Abführung  der  Leiche  scheint 
dann  wieder  Monate  lang  geruht  zu  haben.  Erst  unter 
dem  22./12.  Februar  1657  macht  Herzog  Christian  von 
Ohlau  dem  Landgrafen  Hermann  bezüglich  der  dortigen 
politischen  Lage  im  allgemeinen  und  des  bei  dem  Transport 
der  Leiche  zu  beobachtenden  Verhaltens  im  besonderen 
folgende  Mitteilungen: 

„Belangende  nun  die  Affaires  in  Preussen  und  Polen, 
so  ist  nicht  ohne1),  dass  selbige  sich  wieder  durch  den 
Marsch  des  Ragotzi  in2)  Polen  ziemlich  verändert  (haben), 
auch  man  deswegen  in  hiesigen  Ohrten8)  von  Ihrer 
Kaiserl.  Majestät  auf  alles4)  genau  Acht  zu  haben  Ordre 
bekommen,  wie  dann  etliche  Regimenter  allbereit,  da5)  es 
not  thun  sollte,  alle  Stunden  in  Bereitschaft  stehen,  um 
die  Grenzen  gegen  Polen  damit  zu  besetzen.  Weilen  aber 
neulicher  Zeit  eine  Botschaft6)  an  Ihre  Kaiserl.  Majestät 
nach  Wien  kommen  (ist),  und  Ihre  Kaiserliche  Majestät 
vor  gewisss  versichert  (hat),  dass  sein  Herr  nicht  das 
Geringste  wieder  sie  zu  tentiren  im  Sinne  hätten7),  sondern 
bloss  die  polnische  Krone,  so  Ihnen  schon  längst  von  den 
Ständen  angeboten  worden,  suchten,  als  halte  ich  davor, 
weil  auch  itzo  alles  stille,  es  werde  dieser  Krieg  gestillet 
sein.  Sonsten  lieget  zu  Grossglogau  nur  ein  Commendant 
namens  Oberst  du  Mers  .  .  .  Zur  Liegnitz  würde  sich 
nur  bei  Sr.  Liebden  meinem  Bruder  Herzog  Ludwigen 
anzugeben8)  sein,  welcher  doch  über  selbigen  Commen- 
danten  zu  gebieten  hat  (und)  schon  in  einem  und  andern 
Ew.  Liebden  abgeschickten  Leuten  beizuraten  wissen 
würde.  Zur  Herrnstadt,  wo  die  fürstliche  Leiche  stehet, 
ist  niemand  von  Soldaten  mehr,  also  würde  es  da  gar  in 
nichts  difficultet  geben,  verlange  nur  nochmals  schleunigen 

A)  d.  h.  so  ist  etwas  Wahres  daran. 

2)  =  nach. 

3)  d.  h.  hierorts. 

4)  d.  h.  auf  alle  Vorgänge  jenseits  der  Grenze. 

5)  =  wofern. 

•)  =  ein  Gesandter. 

*)  Plur.  majestatis:  Ihre  Fürstl.  Gnaden  Georg  IL  R&köczy. 

8)  =  zu  melden. 

8» 


Il6  Oswald  Collmann. 

Bericht,  wenn  und  zu  welcher  Zeit  eigentlich  das  Werk  soll 
vor  die  Hand  genommen  werden,  damit  zu  ein  und 
anderm  ich  zeitliche  Anstalt  machen  könne  .  .  ." 

Endlich,  im  Mai  1657,  erschien,  unter  Führung  eines 
Herrn  von  Boyneburg,  eine  hessische  Abordnung  in  Ohlau, 
um  die  weitere  Beförderung  der  Leiche  zu  übernehmen. 
Aus  diesem  Anlass  hat  dann  die  Herzogin  Luise  noch 
folgendes  an  den  Landgrafen  Hermann  geschrieben:  Ohlau, 
den  15./5.  Mai  1657.  .  .  .  „Ew.  Liebden  thue  ich  hiermit 
unterthänigste  Reverentz  und  bin  über  die  Ankunft  dero 
Abgeordneten  nicht  wenig  erfreut  worden.  Danke  es  dem 
lieben  Gott  von  Herzen,  dass  vermöge  Ew.  Gnaden  treuer 
Sorgfalt  es  doch  nun  endlich  so  weit  gediehen,  dass  die 
liebe  Leiche  zu  ihrem  rechten  Ruhekämmerlein  gelangen 
und  der  hohen  fürstlichen  Interessenten  Gemüther  gleich- 
falls auch  ihre  Beruhigung  darob  überkommen  werden  . . . 
Bitte  darbei  Ew.  Gnaden  demütigst,  Ihnen  um  Gotteswillen 
keine  weiteren  Scrupel  machen  zu  lassen,  als  wenn  es 
etwa  nicht  die  rechte  Leich  sein  sollte,  habe  dessentwegen 
(dem)  Mr.  Boyneburg  alle  möglichen  Assecurationes  gethan, 
welcher  sie  Ew.  Gnaden  hinwiederumb  thuen  wird;  habe 
sonsten  (d.  h.  übrigens)  die  150  Rthlr.  von  ihm  wohl 
empfangen1) .  .  .  Was  sonsten  etwa  hier  unsere  Nouvelles 
seind,  wird  Mr.  Boyenburg  alles  berichten  können;  kann  mir 
einbilden,2)  wie  abgeschmackt,  schlecht  und  butt8)  ihm 
alles  hier  vorkommen  muss.  Wenn  uns  aber  der  liebe 
Gott  nur  den  Frieden  erhalten  wollte,  hätten  wir  ihm 
doch  vor  seiner  uns  erzeigte  Wohlthat  herzlich  zu  danken, 
scheint  ja  aber,  dass  die  Leute  unseres  Hofes  blind  seind 
oder  werden  wollen,  so  augenscheinlich  zu  ihrem  Unter- 
gang zu  rennen;  hoffe  noch  immer  das  Beste,  und  dass 
die  Rechte  des  Herrn  alles  wenden  kann,  anders  würden 
wir  armen  Schlesier  in  Kurzem  scaco  matto  werden.  .  ." 

Die  Versicherungen  der  Herzogin  hinsichtlich  der 
Identität  der  Leiche  scheinen  ihre  beruhigende  Wirkung 

x)  Nämlich  als  „gratial*  für  die  Lissaer  Bürger. 
2)  d.  h.  vorstellen. 
8)  d.  h.  dumm. 


Des  Landgrafen  Friedrich  von  Hessen  Todesritt.  117 

nicht  verfehlt  zu  haben.  Jedenfalls  wurden  die  durch 
Herrn  von  Boyneburg  aus  Herrnstadt  abgeholten  sterb- 
lichen Reste  am  24.  September  1657,  also  genau  zwei 
Jahre  nach  dem  Tode  des  Landgrafen  Friedrich,  in  dem 
Erbbegräbnis  der  Familie  zu  Eschwege  feierlich  beigesetzt. 
Was  endlich  die  in  dem  obigen  Schreiben  ange- 
deutete Befürchtung  anbetrifft,  dass  die  Parteinahme  des 
Kaisers  Leopold  I.  für  Johann  Kasimir  die  Leiden  eines 
Krieges  über  Schlesien  bringen  würde,  so  bewahrheitete 
sie  sich  glücklicherweise  nicht.  Denn  nachdem  Georg  II. 
Räköczy  durch  die  in  Polen  eingedrungenen  kaiserlichen 
Truppen  zurückgetrieben  und  gezwungen  worden  war, 
dem  Bündnis  mit  Schweden  zu  entsagen,  wandte  Karl 
Gustav  seine  Waffen  nicht  gegen  die  österreichischen 
Erblande,  sondern  er  verliess  im  Juli  1657  Polen,  um  sich 
zunächst  auf  Dänemark  zu  stürzen,  das  der  Kaiser  zum 
Krieg  gegen  Schweden  bewogen  -hatte. 


Der  grosse  Brand  von  Posen 
am  15.  April  1803. 

Von 
Rodgero  Prümers. 


^alb  Posen  liegt  in  Asche.  Der  grösste  Teil  der 
Judenstadt  und  Breiten  Strasse,  die  ganze  Grosse 
und  Kleine  Gerberstrasse  und  der  Graben  sind 
niedergebrannt.  Die  Flamme  wütet  noch.  Der  Schaden 
ist  nicht  zu  berechnen. 

Mit  solch  lapidarer  Kürze  meldet  die  Südpreussische 
Zeitung  vom    16.   April  des  J.  1803  das  entsetzliche  Un-* 
glück,   welches   die    Stadt    Posen   durch    den   am   Tage 
vorher  ausgebrochenen  Brand  betroffen  hatte. 

Am  Nachmittage  gegen  4  Uhr  kam  in  einem  kleinen 
nahe  an  der  Stadtmauer  belegenen  und  mit  Schindeln 
gedeckten  Judenhause  x)  Feuer  aus,  das  bald  so  um  sich 
griff,  dass  alle  Anstalten  zum  Löschen  vergeblich  wurden. 

Da,  wo  das  Unglück  seinen  Anfang  nahm,  standen 
eine  Menge  hölzerner  Wohnungen  dicht  in  einander  ge- 
baut, mit  Ecken  und  Winkeln,  die  den  Feuerspritzen  den 
Zugang  schwierig  machten.  Die  Arbeiter  mussten  die 
Spritzen  verlassen,  wegen  des  Menschengedränges  konnte 
man  nicht  einmal  einige  Häuser  niederreissen,  und  so  ver- 
zehrten die  wütenden  Flammen  bis  zum  16.  April  in  der 
Frühe  276  Häuser. 


*)  Wir  folgen  hier  einem  Berichte  der  Posener  Kriegs-  und 
Domänenkammer  vom  16.  April  1803  an  das  General-Direktorium  zu 
Berlin.  Geh.  Staats-Archiv  zu  Berlin;  Gen.  Dir.,  Südpreussen,  Ort- 
schaften Nr.  1645  Vo1-  I. 


120  Rodgero  Prümers. 

Das  ganze  Judenviertel  mit  Ausschluss  der  linken 
Seite  der  Judenstrasse,  die  Dominikanerkirche  mit  ihren 
Türmen,  die  Schustergasse,  die  Grosse  und  Kleine  Ger- 
berstrasse, der  grösste  Teil  der  Breitenstrasse  und  der 
Graben  mit  dem  dort  befindlichen  Hebammeninstitut  lagen 
in  Asche.  Der  Königliche  Holzhof  war  ausgebrannt,  die 
evangelische  Kirche  auf  dem  Graben  jedoch  gerettet 
Wenigstens  2,000,000  Taler  an  Häusern,  Waren  und 
Effekten  hatte  das  Feuer  verzehrt.  Auch  das  Jesuiten- 
Colleg  war  bis  2  Uhr  Nachts  bei  dem  heftigen  Winde 
in  steter  Gefahr,  ein  Raub  der  Flammen  zu  werden;  der 
Kammer-Präsident  von  Haerlem  fing  schon  selbst  an  zu 
räumen,  liess  seine  Sachen  wegschaffen  und  gab  Befehl 
zur  Bergung  der  Kassen,  als  der  Wind  sich  legte  und 
dadurch  eine  günstige  Wendung  eintrat1).  Durch  das 
Wegreissen  einiger  Häuser2)  gelang  es  dann,  das  Jesuiten- 
Colleg  zu  erhalten,  wunderbarerweise  auch  die  Wallischei- 
brücke. 

Die  Kriegs-  und  Domänenkammer  traf  sofort  energi- 
sche Massregeln  für  die  Sicherheit  und  Ordnung  in  der 
unglücklichen  Stadt.  Da  das  noch  immer  andauernde 
Feuer  bei  dem  beständigen  Winde  die  strengste  Aufsicht 
forderte,  zumal  der  grösste  Teil  der  Kanäle  unter  der 
Erde  brannte,  so  überliess  man  die  Sorge  für  das  Löschen, 
wie  auch  die  Räumung  der  Strassen  und  Herstellung 
eines  ungehinderten  Verkehrs  dem  Magistrate. 

Die  innere  Glut  der  Brandstellen  wurde  aber  erst 
zum  Erlöschen  gebracht,  als  seit  dem  20.  April  kaltes  von 
Regen  begleitetes  Wetter  eintrat. 

Die  in  der  Nähe  wohnenden  Domänen-Beamten,  wie 
die  Domänen  wurden  aufgefordert,  schleunigst  Leute  mit 
Eimern  und  sonstigen  Feuerlöschgeräten  sowie  Pferde 
und  Wagen  zu  stellen.  Die  Kammer  selbst  liess  sich  die 
Unterbringung  und  Verpflegung  der  Verunglückten  ange- 

*)  Bericht  des  Kr.  u.  D.  Rats  Nöldechen  vom  16.  April  1803 
ebend.  an  v.  Voss. 

2)  Bericht  von  Haerlems  vom  16.  April  1803  im  Geh.  St.-A.  zu 
Berlin,  Gen.  Dir.,  Südpreussen,  Ortschaften  Nr.  1645  Vol.  I. 


Der  grosse  Brand  von  Posen  am  15.  April  1803.  121 

legen  sein  und  ernannte  hinzu  eine  Kommission,  regte 
auch  allenthalben  in  der  Nachbarschaft  die  Lieferung  der 
nötigsten  Lebensbedürfnisse  an.  Das  Proviantamt  wurde 
veranlasst,  für  die  grosse  Zahl  der  Abgebrannten  Brod 
zu  backen,  das  Militär,  welches  nicht  in  der  Stadt  bleiben 
konnte,  auf  Verlangen  des  General-Majors  v.  Zastrow  in 
den  nächsten  Dörfern  untergebracht 

Dass  sich  die  niedrigen  Leidenschaften  der  Men- 
schen bei  dem  allgemeinen  Unglück  auch  zeigen  würden, 
war  zu  erwarten.  Vieles  wurde  bei  dem  Rettungswerke 
gestohlen,  und  selbst  in  die  Warthe  versenkte  Kisten  und 
Chatouillen  fanden  die  Eigentümer  erbrochen  am  Ufer 
wieder,  ihres  wertvollen  Inhaltes  beraubt.  Die  Polizei  tat 
aber  ihre  Pflicht  Nach  acht  Tagen  hatte  sie  bereits  59 
dieser  schmählichen  Menschen  hinter  Schloss  und  Riegel 
gesetzt.  Ein  Schifferknecht,  der  gestohlene  Sachen  auf 
seinem  Kahne  verheimlichte,  erhielt  auf  öffentlichem  Markte 
20  Kantschuhiebe.  Zwei  Kähne  mit  Diebesbeute  wurden 
einige  Meilen  unterhalb  Posens  angehalten,  die  Schiffer 
nach  der  Stadt  zurückgebracht,  mit  50  Kantschuhieben 
bewillkommt  und  an  den  Untersuchungsrichter  abgeliefert, 
wie  die  Südpreussische  Zeitung  ihren  Lesern  zu  berichten 
wusste.  Aus  ihr  aber  war  diese  Nachricht  in  die  Spener- 
sche  Zeitung  vom  26.  April  übergegangen,  und  da  hatte 
es  der  Minister  v.  Voss  gelesen.  Dies  war  ihm  denn  doch 
zu  arg.  „Dass  —  ergriffene  Schiffer  und  Schifferknechte  — 
schon  vorläufig  und  bevor  sie  noch  an  das  Inquisitoriat  zur 
Untersuchung  und  Strafe  abgeliefert  worden,  mit  20 — 50 
Kantschuhieben  bewillkommnet  worden,  scheint  mir  we- 
nigstens mit  der  preussischen  Justizpflege  ganz  unver- 
ständlich", schreibt  er  erregt  an  den  Justizminister  von 
Goldbeck,  und  dieser  muss  gleicher  Ansicht  gewesen  sein, 
denn  er  forderte  unverzüglich  den  Regierungs-Präsidenten  *) 
von  Götze  zur  Erklärung  auf,  die  bereits  am  6.  Mai  er- 
folgte und  sich  dahin  ausliess,  dass  die  Kantschuhiebe 
und   zwar   10  Rutenhiebe   an  ein  Dienstmädchen  und  20 


x)  d.  h.  den  Chef  der  Justizverwaltung  in  Südpreussen. 


122  Rodgero  Prümers. 

Kantschuhiebe  an  einen  Schiffer,  auf  Grand  einer  summa- 
rischen Untersuchung  und  eines  vom  Stadtgerichte  abge- 
fassten  Erkenntnisses  gegeben  seien.  Die  Posener  Kammer 
hatte  sich  sogar  für  Spiessrutenlaufen  erklärt1). 

Aus  einer  Bekanntmachung  der  oben  erwähnten 
Kommission  erfahren  wir  ferner,  dass  einige  Personen, 
wahrscheinlich  in  wucherischer  Absicht,  ganze  Häuser 
mieteten,  andere  Hauseigentümer  den  Abgebrannten  eine 
ganz  unbillige  Miete  abforderten.  Daher  wurde  für  sämt- 
liche verfügbare  Zimmer  ein  nach  der  bisherigen  Miete 
angemessener  Preis  festgesetzt2). 

Leider  waren  Reibereien  zwischen  der  Kommission 
und  der  Stadtverwaltung  nicht  ganz  zu  vermeiden.  Der 
Stadtdirektor  Bredow  beschwerte  sich,  dass  die  Kom- 
mission nicht  mit  dem  Magistrate  Hand  in  Hand  gehe. 
Sie  ziehe  freiwillige  Gaben  ein  und  verteile  sie,  624  Rtl. 
16  Gr.  unter  474  Familien.  Das  betrage  auf  eine  Familie 
etwa  8  Ggr.  Unmöglich  könne  auch  der  kleinsten  wesentlich 
damit  geholfen  sein,  da  an  Lebensmitteln  vieler  Orten 
zur  Zeit  Überfluss  sei  und  jede  Familie  damit  unentgelt- 
lich reichlich  versehen  werde.  Die  kleine  Barschaft  werde 
seines  Erachtens  für  den  Abgebrannten,  der  sich  über 
sein  Schicksal  noch  nicht  gehörig  gefasst  habe,  eine 
neue  Quelle  des  Verderbens.  Er  vertrinke  sie  in  soge- 
nannter Desperation  und  sei  morgen  noch  übler  dran 
als  heute8). 

Seitens  des  Königs  erging  an  den  Minister  v.  Voss 
der  Befehl,  „sofort  für  die  ersten  dringenden  Bedürfnisse 
der  Abgebrannten  Sorge  zu  tragen,  zunächst  aber  über 
die  Unterstützung  derselben  zum  zweckmässigen  Re- 
tablissement  gutachtlich  zu  berichten"4). 


1)  Geh.  St-A.  zu  Berlin,  Gen.  Dir.,  Südpreussen,  Ortschaften 
Nr.  1645  Vol.  I. 

2)  Südpreussische  Zeitung  Nr.  32  und  33. 
8)  Bericht  vom  23.  April  1803. 

*)  Kab.-Ordre  vom  21.  April  1803  im  Geh.  St.  A.  zu  Berlin, 
Gen.  Dir.,  Südpreussen,  Ortschaften,  Nr.  1645  Vol.  I  (Original). 


Der  grosse  Brand  von  Posen  am  15.  April  1803.  123 

In  Folge  eines  zweiten  königlichen  Schreibens  vom 
28.  April  begab  sich  der  Minister  zwei  Tage  darauf  nach 
Posen.  Wie  er  sagte,  sollte  dort  sein  erstes  Augenmerk 
sein,  „vorzüglich  die  durch  den  Brand  ruinierten  Hand- 
werker zur  Wiederaufnahme  ihrer  darniederliegenden 
Gewerbe  möglichst  in  den  Stand  zu  setzen  und  für  die 
Stadt  zu  conservieren".  Auch  versprach  er,  zur  Abhelfung 
der  augenblicklichen  Bedürfnisse  die  von  dem  Könige  be- 
willigten 10,000  Rtl.1)  nach  den  Umständen,  jedoch  mit 
aller  Sparsamkeit  zu  verwenden.  Weiter  wusste  er  be- 
sonders die  Tätigkeit  des  Bischofs  Ignaz  Raczynski  zu 
rühmen,  der  nicht  nur  auf  dem  Dom  überhaupt,  wie  auch 
in  seinem  Palais  allen  entbehrlichen  Raum  zur  einst- 
weiligen Wohnung  hergegeben,  sondern  auch  die  Geist- 
lichkeit durch  einen  Aufruf  aufgefordert  hatte,  die  Hülfs- 
bedürftigen  in  die  Klöster  aufzunehmen  und  Sammlungen 
zu  veranstalten2). 

Aus  dem  Berichte  der  Posener  Kammer  entnehmen 
wir,  dass  die  Kommission  zunächst  mittelst  eines  Vor- 
schusses von  einigen  hundert  Talern,  später  aber  allein 
aus  den  eingegangenen  milden  Gaben  592  der  ärmsten 
notleidenden  Familien  mit  484  Talern  81/*  Gr.  unter- 
stützte. Die  völlig  erwerbslosen  Abgebrannten  wurden 
-beim  Abbrechen  der  Giebel  und  Schornsteine  und  dem 
Wegräumen  des  Schuttes  gegen  Tagelohn  angestellt 
Dank  des  schon  erwähnten  Entgegenkommens  der  Geist- 
lichkeit waren  in  zwei  Tagen  nahezu  100  Familien  unter 
Obdach  und  derart  untergebracht,    dass  sie  einen  ihrer 


*)  v.  Voss  war  sehr  sparsam  mit  diesen  Geldern  umgegangen. 
Bis  zum  4.  Juli  1803  waren  nur  3550  Rtl.  ausgegeben.  Eine 
Kabinets-Ordre  von  diesem  Tage  genehmigte  die  Verteilung  des 
Restes  an  die  abgebrannten  Subalternbeamten.  Der  Präsident  der 
Regierung  von  Goetze  könne  auf  eventuellen  Antrag  des  Justiz- 
ministers eine  Gratifikation  aus  Justizfonds  erhalten.  Die  Räte  und 
Justiz-Kommissarien  seien  zu  einer  extraordinären  Unterstatzung 
nicht  qualifiziert  Geh.  St.  A.  zu  Berlin,  Gen.  Dir.,  Südpreussen, 
Ortschaften,  Nr.  1645  Vol.  3. 

2)  Geh.  St  A.  zu  Berlin:  Akta  des  Kabinets  König  Friedrich 
Wilhelms  III.    Rep.  89  Nr.  m  Bl.  13. 


124  Rodgero  Prümers. 

Zahl  und  ihrem  Gewerbe  entsprechenden  Raum  hatten. 
Die  von  den  Bürger-Repräsentanten  rekognoszierten  Hand- 
werker erhielten  Unterstützungen  unter  dem  Namen  von 
Vorschüssen  zum  Wiederanfang  ihrer  Gewerbe.  Auf 
solche  Art  waren  94  Handwerker  und  gewerbetreibende 
Familien  bis  zum  3.  Mai  mit  einem  Aufwände  von 
3028  Talern  wieder  in  Tätigkeit  gesetzt  Ausserdem 
erhielten  die  vielen  in  der  Schustergasse  abgebrannten 
Schuster  Vorschüsse  an  Leder  im  Werte  von  5 — 10  Talern, 
auch  wurde  Handwerkszeug,  das  in  Posen  nicht  zu  be- 
schaffen war,  auf  Rechnimg  der  Kommission  verschrieben. 

Sie  gab  am  3.  Mai  ihren  Auftrag  in  die  Hände  der 
Kammer  zurück.  Ihre  Einnahmen  hatten  bis  dahin 
5390  Taler  19  Gr.  10  Pf.,  ihre  Ausgaben  3512  Taler 
8  Gr.  6  Pf.  betragen.  Dazu  kam  aber  noch  der  in  natura 
von  den  Erben  des  ehemaligen  Domherrn  Rogalinski 
überlieferte,  zum  Teil  aus  Pretiosen  bestehende  Nachlass 
desselben,  der  um  Johanni  d.  J.  versteigert  werden  und 
an  die  ärmsten  Abgebrannten  verteilt  werden  sollte. 
Sein  Wert  wurde  auf  1200  Taler  geschätzt. 

Das  waren  natürlich  nur  geringfügige  Summen 
gegenüber  dem  ungeheuren  Feuerschaden.  Eine  sum- 
marische Nach  Weisung1)  beziffert  die  Zahl  der  ab- 
gebrannten Personen  in  der  Breitenstrasse  und  Neben- 
strassen  auf  1542,  auf  dem  Graben  und  der  Gerberstrasse 
auf  1069,  in  der  Judenstadt  auf  2569,  das  sind  im  ganzen 
5180  Personen  mit  einem  materiellen  Schaden  in  Höhe 
von  1528  in  Taler  21  Gr.  Und  wenn  auch  wirklich  der 
angegebene  Schaden  den  wahren  Verlust  um  ein  Drittel 
überstiege,  wie  v.  Voss2)  meint,  so  war  er  doch  immer- 
hin sehr  beträchtlich  und  ohne  staatliche  Beihülfe  nicht 
zu  ersetzen.    In  dieser  Ansicht  musste  ihn  auch  der  Not- 


*)  Geh.  St.  A.  zu  Berlin,  Gen.  Dir.,  Südpreussen  Ortschaften 
Nr.  1645  Vol.  I. 

2)  Geh.  St.  A.  zu  Berlin,  Bericht  des  Ministers  v.  Voss  vom 
12.  Mai  1803  in  den  Akten  des  Kabinets  Friedrich  Wilhelms  III. 
(Rep.  89  Nr.  in  Bl.  15). 


Der  grosse  Brand  von  Posen  am  15.  April  1803.  125 

schrei  bestärken,  den  die  Repräsentanten  der  Bürgerschaft 
an  ihn  richteten1).  Sie  baten  zum  Wiederaufbau  der 
Häuser  und  Werkstätten  um  50  %  Bauhülfsgelder.  Femer 
möchte  jedem  erlaubt  sein,  den  nötigen  Bedarf  an  Dach- 
und  Mauersteinen  sich  selbst  anzuschaffen,  wie  und  wo 
er  es  nur  immer  am  wohlfeilsten  finde,  ohne  verbunden 
zu  sein,  in  diesem  ausserordentlichen  Falle  seinen  Bedarf 
von  den  Ziegeleien  der  Stadtkämmerei  für  einen  höheren 
Preis  zu  decken.  Ferner  möchte  Feldbrand  gestattet 
werden,  wozu  die  Kämmerei  den  notwendigen  Lehm  un- 
entgeltlich hergeben  solle.  Die  Ausfuhr  des  Bauholzes, 
welches  in  der  Provinz  zu  mangeln  anfange,  müsse  auf 
einige  Zeit  verboten  werden.  Die  Brücke  über  den 
Graben  nach  St  Roch,  die  früher  bestanden,  sei  wieder- 
herzustellen. Endlich  führen  sie  aus:  „Dass  die  hiesige 
Stadt  und  Bürgerschaft  durch  die  Juden  schon  viele 
ähnliche  und  zur  Zeit  noch  weit  grössere  Zerstörungen 
erlitten  hat,  beweisen  die  Stadtakten  zur  hinlänglichen 
Überzeugung.  Aus  dieser  gehet  hervor,  wie  im  Jahre 
1447  die  Gärberstrasse,  im  Jahre  1464  das  Dominikaner- 
kloster, im  Jahre  1539  der  grösste  Theil  der  Stadt  mit  dem 
Rathause  und  der  St.  Martin-Vorstadt,  im  Jahre  1590 
ebenfalls  ein  Theil  der  Stadt  durch  das  in  die  Judenstadt 
ausgekommene  Feuer  in  Asche  gelegt  worden  ist  Ausser- 
dem ist  noch  im  Jahre  1633  ein  Theil  und  zuletzt  im 
Jahre  1764  die  ganze  Judenstadt  allein  mit  der  grössten 
Gefahr  der  Bürgerhäuser  in  Flammen  aufgegangen,  als 
welche  Verwüstungen  lediglich  durch  die  unordentliche 
Lebensart  der  Juden  und  ihren  mit  finsterem  Aberglauben 
verknüpften  Gewohnheiten  verursacht  worden  sind.  Da 
nun  der  grösste  Theil  der  hiesigen  Juden  kein  bestirntes 
Gewerbe  treibet,  sondern  die  meisten  als  Faktores  von 
zufälligen  Gewinn  aus  Aufträgen  von  andern,  Schacherey 
und  Facienden  leben,  wozu  sie  eigentlich  nach  Cap.  I 
§  13  des  neuen  Juden-Reglements  gar  nicht  zugelassen, 


*)   Geh.  St  A.  Berlin:   Gen.  Dir.,  Südpreussen,  Ortschaften. 
Nr.  1645  Vol.  1.    Original  vom  4.  Mai  1803. 


I2Ö  Rodgero  Prümers. 

ja  in  solchem  Falle  gar  nicht  geduldet  werden  sollen,  so 
wäre  es  die  grösste  Wohlthat  für  die  hiesige  Stadt,  wenn 
darin  die  Vorschrift  des  Juden-Reglements  in  Erfüllung 
gebracht  und  dabei  auf  Verminderung  der  starken  Zahl 
hiesiger  Juden  Rücksicht  genommen  werden  möchte,  als 
wozu  die  ehemaligen  geistlichen  Städte  die  beste  Gelegen- 
heit darbiethen,  wenn  selbige  in  diese  Städte  vertheilet 
werden  möchten." 

Aus  der  Antwort  des  Ministers  entnehmen  wir,  dass 
die  Bürgerschaft  allerdings  hoffen  dürfe,  „den  nieder- 
gebrannten Teil  der  Stadt  auf  eine  solide,  geräumigere 
und  der  allgemeinen  Sicherheit  entsprechende  Weise 
baldigst"  wieder  hergestellt  und  das  gestörte  Gewerbe 
der  Stadt  von  Neuem  belebt  zu  sehen.  Hierzu  würde 
alles  mögliche  Entgegenkommen  gewährt  werden.  Die 
vorgeschlagene  harte  Massregel  gegen  die  Juden  könne 
aber  nicht  genehmigt  werden.  „Die  Juden  sind  einmal 
Einwohner  und  Unterthanen,  denen  der  Staat  Schutz  wie 
den  übrigen  angedeihen  lässt,  und  es  liegt  ganz  ausser 
den  Grundsätzen  der  Staats- Verfassung,  sie  zu  Verstössen 
und  von  Orten,  wo  ihr  Aufenthalt  mit  den  Gesetzen  nicht 
in  Widerspruche  stehet  und  sie  durch  vorhandene  Ver- 
bindungen sich  am  besten  erhalten  können,  nach  andern, 
wo  sie  diese  Vorteile  erst  mühsam  wieder  erwerben 
müssten,  zu  relegieren."  Wenn  sie  wegen  ihrer  unordent- 
lichen Lebensart  in  Bezug  auf  Feuersgefahr  besonders 
zu  fürchten  seien,  so  würde  es  doch  hart  sein,  sie 
anderen  Orten  aufzudrängen.  Der  Grund  für  die 
häusliche  Unordnung  und  Unreinlichkeit  der  Juden  liege 
aber  ohne  Zweifel  in  dem  beschränkten  Räume,  in 
welchem  sie  zusammengedrängt  gewesen,  und  sie  würden 
gewiss  jene  Fehler  ablegen,  wenn  sie  nicht  in  den 
Grenzen  der  bisherigen  Judenstadt  so  übereng  zusammen- 
gehalten würden,  sondern  man  die  gehegte  Absicht  aus- 
führe, ihnen  beim  Retablissement  Gelegenheit  zu  geben, 
dass  sie  mit  ihren  Wohnungen  sich  in  einem  ihrer  Zahl 
angemessenen  Teile  der  Stadt  ausbreiten  könnten  und 
Ordnung    und   Reinlichkeit    lieben    und    üben    lernten, 


Der  grosse  Brand  von  Posen  am  15.  April  1803.  127 

welches  in  ihrer  bisherigen  Lokalität  unmöglich 
gewesen  sei1). 

Dementsprechend  waren  dann  auch  die  Vorschläge, 
welche  v.  Voss  dem  Könige  unterbreitete:  Aufhebung  der 
zwecklosen  Judenstadt  und  Anweisung  von  Bauplätzen 
für  einen  Teil  der  Bewohner  in  dem  neuen  Stadtteile, 
überhaupt  Weiterauseinanderbauen,  also  Vergrösserung 
der  Grundstücke  und  Verbreiterung  der  Strassen,  soweit 
dies  angängig  war,  ohne  den  Grundstücken  die  nötige 
Tiefe  zu  nehmen,  Aufgaben  der  Grabenvorstadt  für  den 
Bau  von  Wohnhäusern  —  damit  falle  auch  die  Notwen- 
digkeit der  Wiederherstellung  der  Warthebrücke  nach 
St  Roch  —  und  Bewilligung  von  40  %  Bauhülfsgeldern 
mit  536000  Talern,  oder,  wie  die  Abgebrannten 
es  wünschten,  von  50  %  m^  670000  Talern.  Der 
König  bewilligte  50  %•  Ausserdem  verlangte  v.  Voss 
zur  Vergütung  des  Wertes  für  den  Grund  und  Boden, 
der  zu  den  162  zu  verlegenden  Bürgerstellen  nötig  war, 
zur  Bezahlung  einiger  wegen  der  Strassen-Verbreiterung 
in  der  Altstadt  wegzubrechender  Gebäude,  zur  Planierung 
der  neuen  Strassen  und  Pflasterung,  zur  Anlage  öffent- 
licher Brunnen,  zur  Erbauung  einer  massiven  Brücke 
zwischen  Altstadt  und  Graben,  zur  Bauaufsicht  und  zur 
Anschaffimg  einer  Prahmspritze  und  sonstiger  Lösch- 
geräte 100  000  Tlr.  Auch  diese  Forderung  wurde  vom 
Könige  genehmigt2).  Mit  der  Ausarbeitung  der  Pläne 
wurde  der  Kriegs-  und  Domänenrat  Heermann  betraut. 

Vom  15.  Juni  1803  datiert  das  „Reglement  für  den 
Retablissements-Bau  des  am  15.  April  d.  J.  eingeäscherten 
Theils  der  Stadt  Posen  und  deren  gleichzeitige  Erweite- 
rung." Sie  ist  gedruckt  zu  Posen  bei  Decker  &  Comp. 
Hauptgrundsätze  desselben  waren  Massivbau,  Aufg^en 
der  Grabenvorstadt,  Auflösung  des  Judenviertels,  Er- 
weiterung der  Stadtgrenzen. 

^^jeh.  Staats-Archiv  Berlin,  Gen.  Dir.,  Südpreussen,  Ort- 
schaften.   Nr.  1645  Vol.  1. 

2)  Geh.  St.  A.  zu  Berlin,  Gen.  Dir.,  Südpreussen,  Ortschaften. 
Nr.  1645  Vol.  3  Bl.  1. 


128  Rodgero  Prümers. 

Zur  Wiederherstellung  der  abgebrannten  276  Wohn- 
häuser wurden  50  %  Bauhtilfsgelder  bewilligt,  aber  nur 
dann,  wenn  die  Häuser  massiv  nach  zweckmässigen  und 
genehmigten  Anschlägen  errichtet  wurden.  Ausgeschlossen 
von  der  Bauhülfe  waren  Hinter-,  Neben-  und  Wirtschafts- 
gebäude, auch  selbst  nach  der  Strasse  belegene  Be- 
wehrungen. Für  Umwandlung  der  Schindeldächer  in 
Ziegeldächer  wurden  25  %  Hülfsgelder  bewilligt 

Ausserdem  kamen  die  Repräsentanten  der  Bürger- 
schaft noch  mit  der  Bitte,  da  kein  Bürger  auf  seiner  Stelle 
bleibe,  alo  auch  keiner  die  alten  Fundamente  benutzen 
könne,  weshalb  nur  wenige  wegen  der  hohen  Kosten 
bauen  könnten,  noch  30  %  aus  dem  Schulfonds  oder 
ähnlichem  zinsfrei  oder  gegen  geringe  Prozente  auf 
mehrere  Jahre  zu  leihen1).  Das  wurde  nun  freilich 
abgelehnt,  doch  muss  sich  später  das  Ministerium  von  der 
Notwendigkeit  weiterer  Unterstützung  überzeugt  haben, 
da  besondere  Beihilfen  für  schwierige  Bauten,  Fundamente 
und  dergl.  zugesagt  wurden9).  Ja,  es  wurden  endlich  sogar 
50  %  Beihilfe  für  die  Fundamente,  welche  unter  .10'  gingen, 
gewährt tt). 

Um  den  Betrieb  einzelner  Handwerke  von  der  Strassen- 
front  nach  den  Höfen  zu  verlegen,  wurden  z.  B.  den  Bäckern 
und  Schneidern  besondere  Beihilfen  in  Aussicht  gestellt, 
wenn  sie  ihre  Werkstatt  im  Hinter-  oder  Seitengebäude 
einrichteten.  So  erhielten  die  Schmiede  Leitgeber  und  Kunkel 
50  %  der  Kosten  für  Seitengebäude  ersetzt4). 

Die  Aufwendungen6)  der  einzelnen  blieben  immer 
noch  sehr  hoch,  da  der  Kalk  sehr  teuer  war,  und  „öfters 

*)  Eingabe  vom  8.  Juni  1804.    Ebendas.  Nr.  1645,  Vol.  5. 

*)  Ebendas.  Vol.  10.    Verfügung  vom  18.  Januar  1805. 

8)  Kabinets-Ordre  vom  14.  März  1805  Ebendaselbst.  Vol.  10. 

*)  Ebendas.  Vol.  11. 

ß)  Die  Retablissements-Baukommission  berechnete  ein  massives 
Gebäude  von  40'  Tiefe  und  50'  Tiefe  Länge,  a  Etagen  hoch,  mit 
gewölbtem  Souterrain,  die  Plinthe  aVa'  über  der  Erde,  die  I.  Etage  io', 
die  IL  11'  im  Lichten,  mit  ordinärem  Dache  und  doppeltstehendem 
Stuhle  stelle  sich  auf  6314  RtL,  13  Gr.,  3  Pf.,  bei  60'  Länge  auf 
7576  RtL,  11  Gr.,  6   Pf.,  bei  70'  Länge   auf  8807  RtL,  14  Gr.,  9  Pf. 


Der  grosse  Brand  von  Posen  am  15.  April  1803.  129 

der  dritte  Theil  vom  Werthe  der  Materialien  zu  einem 
Gebäude  für  den  Kalk  angewendet  werden  muss."  Auch 
-war  der  Mangel  an  Ziegeln  schuld,  dass  die  Ausführung 
der  Bauten  sich  unliebsam  verzögerte1). 

Die  Strassen  sollten  eine  Breite  von  5,  die  kleineren 
von  4  Ruten  haben.  Die  Plätze  für  die  Wohnhäuser  in 
der  Altstadt  erhielten  durchweg  eine  Front  von  50'  Länge, 
eine  Tiefe  von  40 — 45'.  Die  Häuser  selbst  aber  wurden 
in  der  früheren  Ausdehnung  erbaut,  während  die  Hoftiefe 
sich  nach  dem  verfügbaren  Räume  richtete.  Nur  für  zwer 
Etagen  wurden  Hilfsgelder  bezahlt.  Die  Giebel  durften 
nicht  der  Strasse  zugewandt  sein. 

Unter  solchen  Verhältnissen  reichte  der  verfügbare 
Kaum  in  der  Altstadt  nur  für  114  Häuser  aus;  für  die 
Errichtung  der  übrigen  162  Häuser  musste  anderweitig 
Platz  geschaffen  werden,  und  der  fand  sich  in  vorzüglicher 
Weise  in  der  bereits  seit  1793  im  Entstehen  begriffenen 
Neustadt  Hier  sollten  die  Strassen  jedoch  6  oder  5  Ruten 
breit  sein,  im  übrigen  aber  die  Bestimmungen  für  die 
Altstadt  auch  hier  Anwendung  finden.  Enteignung  der 
erforderlichen  Grundstücke  musste  jeder  sich  gefallen  lassen. 

Da  der  Bauplan  auf  vier  Jahre  angenommen  wurde, 
—  i.  J.  1803  sollten  50  Häuser  fertig  gestellt  werden  — 
schien  es  angebracht,  unter  den  Interessenten  eine  Reihen- 
folge festzusetzen  und  hierin  zunächst  Kaufleute,  Brauer, 
Bäcker  und  alle  diejenigen,  die  zu  ihrem  Gewerbe  vor- 
züglich Raum  und  feuersichere  Werkstätten  nötig  hatten, 
zm  berücksichtigen.  Bei  gleichen  Ansprüchen  entschied 
das  Los.  Allerdings  konnte  jemand  auch  früher  mit  dem 
Bau  beginnen,  durfte  aber  auf  Zahlung  der  Baugelder 
«erst  rechnen,  wenn  die  Reihenfolge  an  ihn  kam.  Ausgezahlt 
wurden  die  Hilfsgelder  zu  je  einem  Drittel  bei  Beginn 
des  Baues,  wenn  das  Haus  unter  Dach  war  und  nach 
Beendigung  und  Abnahme  des  Baues. 

Eine  besondere  Kommission  zur  Ausführung  und 
Beaufsichtigung    dessen    Vorschriften    wurde    eingesetzt 


l)  Ebendas.  Vol.  12. 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XIX. 


13°  Rodgero  Prümers. 

Sie  bestand  aus  dem  Kriegs-  und  Steuerrat  v.  Timroth, 
dem  Stadt-  und  Polizeidirektor  Flesche,  einer  noch  zu 
bestimmenden  Justiz-Person,  dem  Polizei-Inspektor  Tatzler 
und  einem  noch  zu  ernennenden  Bau-Beamten.  Letztere 
Stellung  wurde  dem  Bauinspektor  Triest  mit  dem  Titel 
eines  Oberbaudirektors  und  3  Rthl.  Diäten  neben  seinen 
bisherigen  Bezügen  übertragen1).  Zu  den  Aufgaben  der 
Kommission  gehörte  es,  die  Reinigung  der  Baustellen  von 
Schutt  und  Steinen  zu  besorgen,  die  zu  erweiternden  und 
neu  anzulegenden  Strassen,  Plätze  und  Baustellen  abzu- 
steken  und  anzuweisen,  für  Herbeischaffung  des  Materials 
Sorge  zu  tragen,  es  zu  revidieren  und  jährlich  den  Plan 
für  den  Retablissementsbau  vorzulegen.  Auch  stand  ihr 
die  Untersuchung  und  Entscheidung  aller  vorfallenden 
Streitigkeiten  zu.  Die  Appellation  von  ihrem  Ausspruche 
ging  an  die  Kammer  und  in  weiterer  Instanz  an  das 
Provinzial-Finanz-Departement  Betrafen  die  Streitigkeiten 
aber  blos  jura  privatorum,  „so  sollen  selbige  an  das  ordent- 
liche Gericht  verwiesen  werden,  wobey  jedoch  der  Kom- 
mission und  nicht  dem  Kläger  die  Wahl  des  Fori  frei  stehen 
soll.  Ueber  alle  in  diesem  Reglement  vestgesetzten  Gegen- 
stände soll  aber  gar  kein  Prozess  gestattet  werden". 

Es  war  eine  überaus  schwere  Aufgabe,  die  zu  lösen 
war;  denn  die  Interessen  befanden  sich  in  schärfstem 
Widerstreite.  Jeder  wollte  eine  Baustelle  in  der  Altstadt 
haben,  keiner  hatte  Zutrauen,  dass  er  in  der  Neustadt  auch 
seine  Nahrung  finden  würde.  Sie  müssten  ja  armselige 
Bettler  werden.  Das  drückt  sich  auch  in  der  Taxe  aus  a)r 
die  durch  die  Posener  Kammer  zwei  Jahre  später  vor- 
geschlagen und  vom  Minister  genehmigt  wurde. 

Nach  ihr  galten  die  Grundstücke  auf  der  Altstadt 
für  die  I.  Klasse,  ingleichen  für  die  Breite-,  Gerber-,. 
Grosse  Juden-,  Schlosser-  und  Schuhmacherstrasse 
12  Rthl.  für  die  QR,  in  der  übrigen  Gegend  10  Rthl., 
auf  der  Neustadt  in  der  Wilhelm-   und  Friedrichstrasse,. 


*)  Ebendas.  Vol.  3.  Bestallung  vom  9.  Juli  1903. 
*)  Geh.  St.  A.  Berlin,   Gen.  Dir.,  Südpreussen,  Ortschaften. 
1645.    Vol.  10.    BL  28.    Taxe  vom  2.  März  1805. 


I 


Der  grosse  Brand  von  Posen  am  15.  April  1803.  131 

am  Neuen  Markte1),  Berliner  Strasse,  Magazinstrasse  und 
in  dem  von  der  Berliner  Strasse  nach  dem  Markte 
führenden  Zuge  5  Rthl.,  von  Kuhndorf2)  nach  der  Berliner 
Strasse  und  in  den  Strassen  von  der  Berlinerstrasse 
nach  St  Martin  4  Rthl.,  von  St.  Martin  nach  den 
neuen  Gärten8)  3  Rthl,  in  den  neuen  Gärten  bis  zu  den 
Benediktiner-Nonnengärten  2  Rthl.,  von  da  ab  bis  zum 
Ende  der  Stadt  1  Rthl.  Die  Gegend,  welche  zur  Fischerei 
gehörte  und  nun  zur  Gerberstrasse  gezogen  werden 
sollte,  wurde  dagegen  auf  10  Rthl.  für  die  [JR  geschätzt 

Selbst  die  Verlosung  der  Bauplätze  erwies  sich  als 
nicht  so  einfach,  wie  sie  wohl  gedacht  war.  Der 
Minister  hatte  entschieden,  dass  die  Ouvriers,  Handel 
und  Gastwirtschaft  treibenden  Personen  in  allen  Gegenden 
der  Alt-  und  Neustadt  möglichst  auf  die  passendsten 
Stellen  verteilt,  und  den  Bauenden  die  Vorteile,  welche 
mit  ihren  ehemaligen  Grundstücken  verbunden  gewesen, 
soweit  es  die  Umstände  zuliessen,  wieder  zugewandt 
würden.  Die  Kommission  aber  war  der  Meinung,  nur 
die  Lage  des  abgebrannten  Grundstückes  könne  für  die 
Verlosimg  in  der  Neustadt  massgebend  sein.  Das  Gewerbe 
oder  sonstige  Eigenschaft  des  Eigentümers  sei  gar  nicht 
zu  berücksichtigen,  da  derjenige,  der  von  den  Einkünften 
eines  Hauses  in  der  Breiten  Strasse  gelebt  habe,  ohne 
einen  anderen  Erwerbszweig  gehabt  zu  haben,  die 
gerechtesten  Ansprüche  habe,  um  ein  Grundstück  in 
bester  Lage  der  Neustadt  losen  zu  dürfen.  Hiervon  aus- 
gehend hatte  sie  die  oben  erwähnte  Klassifizierung  vor- 
genommen, und  das  Generaldirektorium  konnte  sich 
diesen  Gründen  nicht  verschliessen4). 

Einen  Vorschlag  aber  lehnte  es  zunächst  doch  ab, 
und  das  war  die  sofortige  Einbeziehung  des  jüdischen 
Begräbnisplatzes  in  den  Bauplan,  obgleich  in  der  Gegend 

*)  Der  jetzige  Königsplatz. 
2)  Die  jetzige  Königstrasse. 
*)  d.  h.  untere  St  Martinstrasse  und  Petriplatz. 
*)  Geh.   St.  A.  Berlin,   Gen.  Dir.,  Südprcnssen,  Ortschaften. 
Nr.  1645.    Vol.  8. 


132  Rodgero  Prömers. 

der   verlängerten    Friedrichstrasse    bis    zum   Königsplatz 
schon   lange   keine  Beerdigung   mehr   stattgefunden.    Im 
Prinzip  freilich  war  die  Enteignung  des  ganzen  Terrains 
schon  vorher    angenommen.    Durch  Kabinets-Ordre  vom 
10.  März  1804  war  festgesetzt,  dass  der  jüdische  Friedhof, 
welcher  etwa  den  Raum  zwischen  der  Theaterstrasse,  Frie- 
drichstrasse und  Wilhelmsplatz  bis  unterhalb  der  Linden- 
Strasse  einnahm,  für  öffentliche  Zwecke  nutzbar  gemacht 
würde1),  trotz  aller  Einwendungen  der  jüdischen  Gemeinde, 
welche  zunächst  religiöse  Bedenken  geltend  machte  und, 
als  hierauf  keine  Rücksicht  genommen  wurde,  wenigstens 
das  Eigentum  des  Platzes  für  sich  retten  und  ihn  selbst 
bebauen    wollte.      Ein    neuer    jüdischer    Begräbnisplatz 
wurde  zwischen  dem  Wege   nach  Buk   und  Stenschewo 
von  den  Bauer    Cinskischen  Erben,  vier  Morgen  gross, 
zum   Preise  von  120   RthL    für  jeden  Morgen  erworben. 
Eines   eigentümlichen  Vorschlages  müssen  wir  hier 
noch    gedenken,     der    von    dem    Maurermeister    Schil- 
dener  ausging.     Er    meinte    nämlich,    „Vorurtheile    und 
Bigotterie   dürfte    die   hiesige  jüdische    Nation    bey    der 
bereits    geschehenen    Aufhebung    des    Begräbnissplatzes 
derselben  in  die  Verlegenheit  setzen,  einen  zweckmässigen 
Gebrauch    von    den    auf    diesen   Gräbern    befindlichen 
Leichensteinen  machen  zu  können,  indem  diese  nicht  der 
Gemeinde,   sondern   denenjenigen  zugehören,  die  solche 
haben  setzen  lassen.  Diese  also  oder  deren  Erben  würden  die 
Steine  nach  sich  nehmen  wollen  —  daraus  Zank  und  Streit 
entstehen  und  eine  grosse  Anzahl  Steine  von  mehreren 
Jahrhunderten    übrig    bleiben,    wozu    sich    keine    recht- 
mässigen Competenten  vorfinden  dürften."  Schildener  will 
nun  auf  dem  alten  Begräbnisplatz  einen  Tempel  für  die 
jüdische  Gemeinde  in  althebräischer  Bauart,  abweichend 
von    allen    bekannten    älteren    Konstruktionen,    erbauen. 
Hierzu  sollen  die  Leichensteine  benutzt  werden  und  zwar 
in  der  Art,  dass  diejenigen,  welche  „mit  einer  hebräischen 


*)  Geh.  Staats-Archiv  zu  Berlin,  Gen.  Dir.,  Südpreussen,  Ort- 
schaften.   Nr.  977. 


Der  grosse  Brand  von  Posen  am  15.  April  1803.  *33 

Inschrift  versehen,  sorgfältig  nach  ihrer  Anciennität  ge- 
ordnet und  selbige  bei  dem  Aufbau  des  Tempels  der- 
gestalt verwandt  würden,  dass  die  Inschriften  die  äusseren 
Wände  des  Tempels  decoriren  müssten,  und  dem 
Vorübergehenden  von  der  Erde  an  bis  in  die  Höhe  die 
Leichensteine  sichtbar  würden  und  überhaupt  ein  schönes 
Ganze  bildeten."  Die  originelle  Idee  konnte  schon  des- 
halb nicht  verwirklicht  werden,  weil  nach  der  Erklärung 
der  jüdischen  Repräsentanten  der  Priesterstamm  über 
keine  Leichengruft  gehen  dürfe,  mithin,  da  der  Tempel 
auf  dem  Begräbnisplatze  errichtet  werden  solle,  die 
Hauptpersonen  nie  in  den  Tempel  kommen  könnten. 
Übrigens  gehörten  die  Leichensteine  nicht  einzelnen 
Personen,  sondern  der  Synagoge,  welche  dieselben  als 
unveräusserliche  Reliquien  betrachten  und  konservieren 
müsse. 

Eine  Kabinets- Ordre1)  vom  1.  Februar  1806  ge- 
nehmigte die  Planierung  des  alten  Beerdigungsplatzes 
und  die  Erhöhung  des  Wilhelm-  und  Königsplatzes, 
sowie  das  Planieren  und  die  Verlängerung  vier  neuer  in 
der  Nähe  liegenden  Strassen  mit  der  gewonnenen  Erde. 
Manchen  Beschränkungen  und  Bevormundungen 
seitens  der  Behörde  waren  die  Bauenden  unterworfen. 
Die  Posener  Kammer  hielt  es  bei  der  Verschiedenheit 
der  Schlosser-  und  Tischlerarbeiten  für  erforderlich,  zur 
Vermeidung  weitläufiger  Untersuchungen  und  etwaiger 
Abänderungen  Muster  für  die  zu  jedem  Bürgerhause 
nötigen  einzelnen  Baustücke  unter  Aufsicht  des  Oberbau- 
direktors Triest  anfertigen  und  auf  dem  Rathause  zur 
öffentlichen  Besichtigung  mit  dem  Bemerken  ausstellen 
zu  lassen,  dass  jeder,  der  sich  nicht  nach  diesen  Modellen 
richte,  keine  Bauvergütigung  oder  wenigstens  nicht  das 
letzte- Drittel  zu  erwarten  habe2). 

Gesuche  um  Vorschüsse   lehnte   das  südpreussische 
Departement  grundsätzlich  ab. 

*)  Ebendort.    (Original). 

2)    Geh.  St.  A.  Berlin,    Gen.  Dir.,    Südpreussen,    Ortschaften 
Nr.  1645  Vol.  8. 


134  Rodgero  Prümers. 

Gegen  die  zu  niedrige  Taxe  der  abzutretenden  Grund- 
stücke wurde  vielfach  Einspruch  erhoben,  doch  fast  immer 
ohne  Erfolg.  So  beklagte  sich  der  Rendant  Riemann  bitter, 
dass  ihm  für  die  ^R  nur  3  Rthl.  zugebilligt  seien,  während 
der  Hypotheken-Registrator  Urban  sein  auf  St.  Martin 
gelegenes  Grundstück,  den  Mäuseberg1),  der  viel  weiter 
von  der  Stadt  entfernt,  für  6708  Rthl.  verkauft  habe. 

Ich  bringe  hier  noch  einige  Einzelheiten,  da  ich  auf 
alles  unmöglich  eingehen  kann. 

Die  Scharfrichterei  war  in  der  Mauergasse  zwischen 
der  Gerberstrasse  und  Büttelgasse  in  einer  mitabgebrannten 
Bastion  gewesen.  Nunmehr  sollte  der  Scharfrichter  Gun- 
dermann einen  Platz  von  3958/4  GR  am  Ende  der  St 
Martinstrasse  in  Erbpacht  erhalten.  Da  hier  aber  die 
Kreuzung  zweier  Hauptstrassen  vorgesehen  war,  so  ent- 
schied man  sich  für  einen  Platz  vor  der  Wilda- Vorstadt, 
nicht  weit  vom  Hochgericht  und  der  Kämmerei-Ziegelei. 
Gundermann  wollte  nun  zwar  nicht  unter  dem  Gericht  — 
es  war  noch  240  Schritte  entfernt  —  wohnen  und  lehnte 
ab,  erhielt  aber  durch  das  General-Direktorium  den  Befehl 
zur  Annahme2). 

Im  nächsten  Jahre  wurde  ein  massiver  Kanal  von 
der  Büttelgasse  bis  zur  Warthe  angelegt8).  Bei  den  Über- 
schwemmungen des  Jahres  1888  noch  machte  er  sich 
dadurch  unliebsam  bemerkbar,  dass  durch  ihn  das  Warthe- 
wasser  bis  auf  den  Alten  Markt  sich  ergoss. 

Bekanntlich  war  das  Hebammeninstitut  auf  dem 
Graben  niedergebrannt.  Um  seine  segensreiche  Tätig- 
keit möglichst  wenig  zu  unterbrechen,  kaufte  die  Regie- 
rung das  von  dem  Brauer  Tschusch ke  neu  erbaute  Nach- 
barhaus. Dieser  selbst  erhielt  einen  Bauplatz  am  Sa- 
piehaplatze,  wozu  sicherlich  seine  Eingabe  an  die  Kammer 
nicht  wenig  beigetragen  hat,  in  der  er  schreibt4): 


*)    In  der  Gegend  des  jetzigen  Stadttheaters. 
2)    Verfügung  vom  7.  Oktober  1803. 

8)  Geh.  St.  A.  Berlin,  Gen.  Dir.,  Südpreussen,  Ortschaften.  Nr. 
1645  Vo1-  7- 

4)  Schreiben  vom  6.  Juni  1804  ebendas.  Vol.  5. 


Der  grosse  Brand  von  Posen  am  15.  April  1803.  135 

„Ueberdem  hat  diese  Anlage  von  Brauerey  auch 
noch  den  Zweck,  dass  sowohl  Berliner  Weiss  Bier,  als 
auch  mehrere  verfeinerte  Biere  darinnen  fabricirt  werden 
können,  woran  Posen  noch  bis  jetzt  Mangel  hat  und  jähr- 
lich wenigstens  an  30,000  Rthl.  ins  Ausland  für  Englische 
und  Porter  Biere  blos  aus  hiesigem  Orte  gesendet  werden, 
die  dem  Staat  verloren  gehen.  Wenn  das  hiesige  Publi- 
kum nur  hier  bessere  und  schmackhaftere  Biere  erhalten 
kann,  so  wird  es  sich  auch  von  den  kostspieligen  theuren 
ausländischen  Bieren  entwöhnen,  mit  hiesigen  weit  wohl- 
feileren sich  begnügen  und  nach  und  nach  die  Einfuhr 
fremder  ausländischer  Biere,  wenngleich  nicht  ganz  ver- 
schwinden, doch  ansehnlich  vermindert  werden". 

1805  wurde  ein  Teil  des  Allerheiligen  Kirchhofes 
zur  Anlegung  einer  Gasse  von  der  Fischerei  nach  der 
Grabenstrasse  durch  die  Kommission  erworben,  im  selben 
Jahre  das  Spritzenhaus  auf  dem  Neuen  Markte  erbaut, 
auf  dessen  Stelle  jetzt  das  Gebäude  der  Provinzial- 
Feuersozietät  steht 

Der  Brand  war  auch  die  Veranlassung  zur  endgültigen 
Aufhebung  eines  Klosters.  Das  Dominikaner-Nonnenkloster^) 
war  mit  abgebrannt  Von  den  vier  noch  vorhandenen 
Nonnen  starb  eine  im  Jahre  1804,  die  übrigen  drei  wurden 
auf  das  Posener  Katharinenkloster2),  das  Posener  Bene- 
diktinerinnenkloster8) und  das  Kloster  zu  Owinsk  verteilt. 
Die  Competenz  von  705  Rthl.  23  Gr.  4  Pf.,  welche  ihnen 
jährlich  zustand,  wurde  ihnen  bis  zu  ihrem  Tode  zuge- 
sichert, der  Grund  und  Boden  aber  zum  Retablissement 
eingezogen. 

Dass  die  Dominikaner,  deren  Kirche  grösstenteils 
abgebrannt  war,  den  Wunsch  hegten,  auf  ihrer  alten 
Stelle  zu  verbleiben,  ist  leicht  begreiflich. 


*)  Das  Kloster  der  Dominikanerinnen  der  dritten  Regel,  ge- 
genüber dem  Dominikaner-Kloster. 

*)  Das  Kloster  der  Katharinerinnen  oder  Dominikanerinnen  auf 
<ler  Wronkerstrasse. 

*)  Das  frühere  Gorkasche  Palais,  Eckhaus  der  Wasser-  und 
Klosterstrasse. 


136  Rodgero  Prümers. 

Schon  am  2.  Mai  suchten  sie  um  die  Erlaubnis 
nach,  ihre  Hauptkirche  und  deren  Nebenkapelle  wieder 
aufzubauen,  da  sie  jetzt  ausser  Stande  seien,  ihre  strengen 
Ordensgesetze  und  den  erforderlichen  Ritus  nach  der 
Andacht  auszuüben,  zugleich  auch  die  christliche  Lehre, 
wie  es  ihre  Gesetze  durchaus  erforderten,  fortzupflanzen. 
Eine  Beihülfe  beanspruchten  sie  nicht,  da  sie  ausser  dem 
baren  Gelde,  welches  der  Konvent  dazu  hergeben  könne, 
einige  Wohltäter  gefunden  hätten1)  und  noch  einige  glaubten 
ausfindig  machen  zu  können. 

Aus  der  am  8.  Mai  stattgefundenen  Verhandlung  er* 
gibt  sich,  dass  es  in  der  Absicht  des  Ministers  v.  Voss 
gelegen  hatte,  sämtliche  Konventualen  in  benachbarte 
Klöster  unterzubringen  und  das  Klostergebäude  selbst  zu 
anderen  Zwecken  zu  bestimmen,  weil  die  Erweiterung 
und  Geradeziehung  der  Strassen  und  die  Wegräumung 
aller  feuergefährlichen  Gebäude  die  nächste  Sorge  sein 
müssten. 

Der  allgemeine  gute  Ruf,  in  welchem  der  Prior 
Clemens  Frazunkiewicz  und  sämtliche  Klostergeistliche 
ständen,  und  das  vorzüglich  gute  Beispiel,  welches 
dieselben  durch  ihre  ausübende  Moralität  dem  Publiko 
gäben,  hätten  aber  den  Minister  bestimmt,  den  sehnlichen 
Wunsch  der  Herren  Dominikaner,  das  Kloster  beizu- 
behalten, zu  gewähren.  Doch  müsste  die  zum  grössten 
Teile  eingestürzte  grosse  Klosterkirche  nebst  der  darin 
angebrachten  S.  Hyacinth-Kapelle  ganz  heruntergerissen 
und  nicht  wieder  aufgebaut  werden.  Dies  ginge  um  so 
eher,  als  beim  Kloster  noch  eine  Kirche  unter  dem 
Namen  St.  Maria-Kapelle,  mit  allem  kirchlichen  Schmuck 
versehen,  vorhanden  sei,  die  gegen  1430  Quadratfuss 
inneren  Raum  enthalte,  auch  in  den  sehr  geräumigen 
Kreuzgängen  des  Klosters,  sowie  dieses  schon  geschehen, 
Altäre    errichtet     und    Andachten     abgehalten     werden 


2)  Der  Magistrat  hatte  sich  erboten,  das  Kloster  wieder  aufzu- 
bauen. Bericht  der  Posener  Kammer  vom  10.  Mai  1803  im  Geh. 
St.  A.  zu  Berlin,  Gen.  Dir.,  Südpreussen,  Ortschaften,  Nr.  1645.  Vol.  2. 


Der  grosse  Brand  von  Posen  am  15.  April  1803.  137 

könnten.  Ferner  müssten  Nebengebäude,  Mauern  und 
Garten  im  Bedarfsfalle  für  das  Retablissement  hergegeben 
werden. 

Der  Prior  wollte  nicht  einwilligen,  dass  die  grosse 
Kirche,  als  ein  Gott  geweihter  Ort,  von  ihrer  Stelle  ge- 
rückt würde,  noch  weniger,  dass  sie  ganz  eingehen  solle. 
Er  bat,  „diese  Erklärung  nicht  als  eine  Widerspänstigkeit 
gegen  die  höchsten  Befehle  oder  als  bösen  Willen,  zur 
Verbesserung  der  Stadt  nicht  beytragen  zu  wollen,  zu 
deuten,  sondern  zu  glauben,  dass  er  in  alles,  was  mit 
seinen  Pflichten  nach  canonischen  Gesetzen  ihm  zu  thun 
und  einzuwilligen  erlaubt  sei,  einwillige11. 

Nachdem  sich  sodann   noch   der  Bischof  Raczynski 
für  die  Erhaltung  der  Kirche  ausgesprochen,  wurde  dies 
durch    eine    Verfügung    des    General- Direktoriums    vom 
22.  Juli  1803  genehmigt,  von  dem  Kirchhofe  und  Garten 
des  Klosters    aber    musste    ein   Teil    zu   Baustellen    ab- 
getreten werden,  wozu  es   sich  übrigens  selbst   erboten 
hatte.     Auch  wurde  das  Kloster  später  noch  verpflichtet, 
eine  passende,  geschmackvolle  Fa?ade  nach  den  Plänen 
des    Ober-Baudirektors    Triest     zu    erbauen.    Die    von 
diesem  entworfenen  Skizzen  aber  fanden  nicht  den  Bei- 
fall des  Dominikaner-Priors,  welcher  durch  den  Hofbau- 
kondukteur Friedrich  andere  Zeichnungen  einsandte,  die, 
wie    Triest   berichtet,    „unter   aller   Critik    schlecht    aus- 
gefallen sind  und  das  Gepräge  gänzlicher  Unbekanntheit 
mit  der  Architektur   verrathen".    Deshalb   sieht   er   sich 
ausser  Stande,  mit  dem  Prior  in  weitere  Unterhandlungen 
treten  zu  können,  „weil  ihm  von  einer  besseren,  einfacheren 
Architektur  einen  Begrif  beizubringen  oder  ihn  von  der 
schlechten  gewählten  Architektur,  die  unter  keine  Ordnung 
gestellt  werden  kann,  zu  überzeugen,  wohl  nichts  meiner 
Seits  helfen  möchte". 

Die  Verhandlungen  zogen  sich  noch  bis  in  das 
nächste  Jahr  hinein  und  endigten  schliesslich  darin,  dass 
im  wesentlichen  nach  den  Plänen  Triest  auf  Kosten  des 
Klosters  gebaut  wurde,  ob  gerade  zum  Vorteil  der  Sache, 
muss  dahin  gestellt  bleiben.  Dehn  es  ist  mindestens  sehr 


138  Rodgero  Prümers. 

fraglich,  ob  man  mit  der  Wahl  Triests  zum  Oberbauleiter 
einen  glücklichen  Griff  getan  hatte.  Etwas  nüchterneres, 
als  die  aus  dem  Retablissementsbau  von  1803 — 1806  her- 
rührenden jetzt  mehr  und  mehr  verschwindenden  zwei- 
stöckigen Häuser  mit  ihrem  Ochsenauge  in  der  Breiten- 
und  Gerberstrasse  kann  man  sich  kaum  vorstellen1),  und 
wie  die  Oberbaudeputation  des  General-Direktoriums  über 
die  Befähigung  des  Triest  dachte,  bringt  ihr  Gutachten 
über  den  vom  ihm  eingereichten  Vorschlag,  nach  welchem 
die  Materialien,  Maurer-  und  Zimmerarbeiten  zu  behandeln 
wären,  zum  unzweideutigen  Ausdruck.  Das  Reglement 
enthielte  nur  Bruchstücke  der  Baukunde,  die  grösstenteils 
aus  dem  Handbuche  der  Baukunst  des  Geheimen  Ober- 
baurats Gilly  wörtlich  abgeschrieben  und  zum  Nachteile 
des  vollständigen  Unterrichts  abgekürzt  seien.  Überdem 
aber  seien  diese  Bruchstücke  derart,  dass  sie  den  Posen- 
schen  Werkmeistern  schon  hinlänglich  bekannt  sein 
müssten,  und  im  Fall  sie  so  unwissend  sein  sollten, 
würde  es  weit  ratsamer  sein,  ihnen  das  Gillysche  Hand- 
buch und  besonders  die  von  dem  Geheimen  Ober-Baurat 
Berson  herausgegebene  Instruktion  für  Bau-  und  Werk- 
meister über  die  Einrichtimg  und  Anlage  der  bürgerlichen 
Wohnhäuser  zukommen  zu  lassen,  worin  sie  nicht  um 
die  im  Triest'schen  Entwürfe  enthaltenen  Bruchstücke 
weit  vollständiger,  sondern  noch  viel  lehrreicher  über  die 
Teile  der  Baukunde  abgehandelt  finden  würden2). 

Auch  zwischen  dem  Kriegs-  und  Domänen-Rat 
Heermann  und  Triest  herrschte  nicht  immer  das  beste 
Einvernehmen.  Heermann  beklagte  sich *)  über  Triest, 
der  sich  als  Oberbaudirektor  seine  Revisionen  nicht  ge- 
fallen lassen  wolle,  sondern  am  liebsten  sähe,  wenn  diese 
nur  durch  das  Oberbaudepartement  geschähen.  Das  sei 
aber  eine  Zurücksetzung  für  ihn,  der  mit  Eifer  für  das 
Retablissement  und  die  Verschönerung  der  Stadt  gearbeitet 


*)  Geh.  St.   A.  Berlin,   Gen.   Dir.,   Südpreussen,   Ortschaften. 
Nr.  1645.    v°l-  IO-    ßl-  79-    Bericht  vom  6.  März  1805. 
*)   Am  30.  Nov.  1803.    Ebendas.  Vol.  4. 


Der  grosse  Brand  von  Posen  am  15.  April  1803.  139 

habe.  Auch  müsse  Triest  wenigstens  die  ersten  Jahre 
ständig  in  Posen  sein,  damit  er  mündlich  mit  ihm  ver- 
handeln könne.  Das  letztere  Verlangen  wurde  erst  im 
Jahre  1805  erfüllt,  als  dem  Triest  die  Assistenz  des  Bau- 
direktors in  der  Posener  Kammer  mit  dem  Wohnsitze  in 
Posen  für  die  Zeit  des  Retablissement  übertragen  wurde x). 
Zugleich  aber  wurde  bestimmt,  dass  eine  Revision  der 
von  Triest  gefertigten  Bauanschläge  fernerhin  nicht  durch 
Heermann  erfolgen  solle,  da  Triest  selbst  technisches  Mit- 
glied der  Kommission  sei.  Vielmehr  habe  die  Fertigung  der 
Anschläge  durch  den  Bauinspektor  Friedrich  zu  erfolgen, 
und  sie  seien  durch  Triest  zu  revidieren2). 

Die  Pflasterungs-Kosten  allein  der  Altstadt  waren 
auf  44393  Rthl.  15  Gr.  2  Pf.  veranschlagt,  ohne  die  Bür- 
gersteige in  Rechnung  zu  ziehen.  Sie  waren  deshalb 
so  hoch,  weil  die  Strassen  des  neuen  Nivellements  wegen 
abgetragen  werden  mussten. 

Es  ist  nicht  genug  hervorzuheben,  mit  welchem 
Eifer  sich  die  zuständigen  Behörden  des  Wiederaufbaues 
der  Stadt  annahmen.  Bis  zum  22.  Oktober  1805  waren 
seitens  des  Staats  zum  Posener  Retablissements-Bau 
bereits  274439  Rthl.  18  Gr.  2  Pf.  gegeben. 

Für  das  Jahr  1806  beantragte  die  Posener  Kammer 
<lie  ungeheure  Summe  von  107350  Rthl.  22  Gr.  5  Pf., 
ungeheuer,  wenn  man  die  damaligen  politischen  Verhält- 
nisse des  preussischen  Staates  in  Rechnung  zieht.  Darum 
darf  es  auch  nicht  Wunder  nehmen,  dass  v.  Voss  am 
11.  Juni  1806  schreibt8),  es  sei  noch  ungewiss,  ob  und 
wie  viel  werde  bewilligt  werden.  Vorläufig  wies  er 
120000  Rthl.  zur  Ausführung  der  bereits  genehmigten 
notwendigsten  Arbeiten,  Strassenpflasterung,  Planierung 
des  jüdischen  Begräbnisplatzes  und  genehmigte  Bauten 
aus  den  bereitesten  Geldern  der  Kriegs-  und  Domänen- 
kasse vorschussweise  an4).    Auf  eine  weitere  Forderung 

*)  Am  20.  Februar  1805.  Ebcndas.  Vol.  10. 

2)  Verfügung  vom  28.  April  1805.    Ebendas.  Vol.  10. 

3)  Das  Etatsjahr  begann  damals  am  1.  Juni. 

4)  Ebendas.  Vol.  15. 


140  Rodgero  Prümers. 

von  20000  Rthl.  erfolgte  aber  die  Antwort1),  dass  „bei 
den  gegenwärtigen  Conjuncturen  nicht  gewillfahrt  werden 
kann*'.  Am  8.  September  wurde  dann  durch  aller- 
.höchstes  Reskript  das  Posensche  Retablissement  einst- 
weilen sistiert2)  und  bestimmt,  dass  „alle  ferneren 
vorschussweisen  Zahlungen  für  Rechnung  des  Re- 
tablissements-Baufonds  unterbleiben  müssen",  an  dem- 
selben Tage,  an  welchem  die  Feldequipage  des  Königs 
bereits  nach  Halle  abging,  weil  der  Krieg  mit  Frankreich 
unvermeidlich  schien.  Sein  unglücklicher  Verlauf  liess  es 
nicht  zu  einer  Wiederaufnahme  der  Arbeiten  und  ihrer 
Vollendung  kommen.  Überblicken  wir  aber  das,  was 
bereits  geleistet  worden  war,  dann  dürfen  wir  gewiss 
aussprechen,  dass  die  preussische  Regierung  mit  der 
Schöpfung  der  Posener  Neustadt  sich  einen  gerechten  An- 
spruch auf  die  Dankbarkeit  der  Posener  Bürger  er- 
worben hat 


*)  Ebendas. 

2)  Ebendas.    Vol.  11  und  Vol.  15 


Der  grosse  Brand  von  Posen  am  15.  April  1803.  I4I 


Anlagen. 


1. 

Bericht  des  Kriegs-  und  Domänenrats  Noeldechen  an  Minister  v.  Voss. 
Posen,  den  16.  April  1803  um  5  Uhr  Nachmittags. 

Ans  denen  Berichten  der  Königl.  Kammer  vom  heutigen  Tage 
werden  Ew.  Hochfreiherrlichen  Excellenz  von  dem  grossen  Unglük 
unterrichtet  sein,  welches  Posen  am  gestrigen  Tage  betroffen  hat. 
Noch  in  diesem  Augenblik  ist  der  Brand  heftig,  indessen  ist  es  doch 
abzusehen,  dass  jetzt  das  Feuer  nicht  weiter  um  sich  greiffen  kann, 
«s  fehlt  jetzt  nicht  an  Spritzen,  an  Wasser  und  Menschen,  um  der 
Flamme  an  allen  Orten  Grenzen  zu  setzen.  Alles  eilet  aus  der  Nach- 
barschaft herbei,  und  es  ist  um  so  weniger  möglich,  dass  das  Feuer 
weiter  um  sich  greiffen  kann,  da  der  heftige  Wind,  der  eigentlich 
<ias  Unglük  so  gross  gemacht  hat,  sich  völlig  gelegt  und  eine  für 
<ien  verschonten  Theil  der  Stadt  glükliche  Wendung  genommen 
hat  Das  Jesuiter  Collegium  war  bis  heute  früh  um  2  Uhr  in  steter 
Gefahr,  ein  Raub  der  Flammen  zu  werden,  der  Herr  Präsident  von 
Haerlem  selbst  fing  schon  an  zu  räumen  und  liess  seine  Effekten 
zu  mir  schaffen;  die  Casse  sollte  soeben  geräumt  werden,  als  der 
Wind  sich  legte,  und  alles  eine  günstigere  Wendung  nahm.  —  Wie 
•die  Brükke  am  Wallascheier  Thore  hat  erhalten  werden  können, 
ist  unbegreiflich,  so  wie  es  nicht  zu  erklären  ist,  wie  die  Flammen 
<ias  Holzverwalter  Haus,  so  der  Assessor  Puppke  bewohnt,  ferner 
das  Haus  des  Regiments  Quartier  Meister  Bötticher  hat  verschonen 
können,  da  der  Holzhof  ganz  abgebrandt  und  der  ganze  Graben 
niedergebrandt  ist  Die  Wilhelmsstrasse  ist  der  Zufluchtsort  der  Un- 
glüklichen,  ich  habe  4  Familien  aufgenommen,  und  noch  mehrere 
haben  ihre  Sachen  bei  mir  deponirt.  Nichts  würde  ich  mit  der  Noth 
und  dem  Jammer  vergleichen  können,  wenn  nicht  der  Ruppiner 
Brand  noch  lebhaft  meinen  Augen  vorschwebte.  Alles  lässt  sich 
für  die  Unglüklichen  von  Ew.  Hochfreiherrlichen  Excellenz  Gnade 
erwarten.  Hochdieselben  allein  können  jetzt  aus  Posen  das  machen, 
was  es  nun  werden  kann;  jetzt  oder  niemals  kann  die  Stadt  er- 
weitert, regelmässiger  gebaut,  und  der  höchst  elenden  Bauart  der 
Judenstadt  abgeholfen  werden. 

Traurig  ist  die  Bemerkung,  dass  selbst  dies  Unglük  schlechte 
Menschen  nicht  abhalten  konnte,  sich  durch  Diebstahl  zu  bereichern, 


142  Rodgero  Prümers. 

und  vielen  ist  das  Wenige,  so  sie  gerettet,  gestohlen  worden.  Glük- 
licherweise  haben  indessen  mehrere  Abgebrandte  ihre  Waaren 
und  Effekten  gerettet,  und  diese  werden  sich  mit  einiger  Unter- 
stützung bald  wieder  retabliren.  Es  würde  einen  Vorwurf  verdienen,, 
wenn  ich  für  die  unglükliche  Stadt  bitten  wollte.  Ew.  Hochfrei- 
herrlichen  Excellenz  Gnade  für  uns  Posener  Einwohner  bürgt  für 
die  bessere  Zukunft,  und  wir  alle  werden  tausendfache  neue  Ver- 
anlassung erhalten,  Ew.  Hochfreiherrlichen  Excellenz  zu  segnen! 

Original  im  Geh.  Staats-Archiv  zu  Berlin,  Gen.  Dir.,  Süd- 
preussen,  Ortschaften  Nr.  1645  Vol.  1. 

11. 

Vorschlag  des  Maurermeisters  Schildener,  auf  dem  alten  jüdischen 
Begräbnissplatze  eine  Synagoge  zu  erbauen  und  deren  Aussenwände 
mit  den  alten  Leichensteinen  zu  bekleiden.  Posen,  den  94-  April  1804- 

Vorurteile  und  Bigotterie  dürfte  die  hiesige  jüdische  Nation 
bey  der  bereits  geschehenen  Aufhebung  des  Begräbnissplatzes  der- 
selben in  die  Verlegenheit  setzen,  einen  zweckmässigen  Gebrauch 
von  den  auf  diesen  Gräbern  befindlichen  Leichensteinen  machen  zu 
können,  indem  diese  Steine  nicht  der  Gemeinde,  sondern  denen- 
jenigen  zugehören,  die  solche  haben  setzen  lassen. 

Diese  also  oder  derer  Erben  würden  diese  Steine  nach  sich 
nehmen  wollen  —  daraus  Zank  und  Streit  entstehen  —  und  eine 
grosse  Anzahl  Steine  von  mehrern  Jahrhunderten  übrig  bleiben, 
wozu  sich  keine  rechtmässigen  Competenten  vorfinden  dürften. 

Diese  Leichensteine  auf  den  neuen  Begräbnissplatz  zu  ver- 
setzen, würde  eines  Teils  bey  deren  grössten  Anzahl  viele  Kosten 
verursachen,  andern  Teils  aber  doch  durch  die  Translokazion  der- 
selben der  Zweck  verfehlt,  dass  sie  zum  Andenken  der  Verstorbe- 
nen gesetzt  wurden,  da  letztere  von  erstem  getrennt  werden. 

Unter  diesen  Umständen  lassen  sich  also  mehrere  Collisionen 
voraussehen,  wenn  überdies  angenommen  wird,  dass  die  Juden- 
schaft diese  Leichensteine  keinen  andern  Religionsverwandten  zum 
Verbauen  käuflich  überlassen  werden,  noch  weniger  aber  selbige 
als  geschätzte  Reliquien  sich  gutwillig  entreissen  lassen  dürften. 

Um  nun  allen  diesen  Hindernissen  vorzubeugen,  alle  Krän- 
kungen der  jüdischen  Religion  zu  vermeiden,  die  Nation  aber  noch 
mehr  in  der  Meinung  zu  bestärken,  dass  bey  dem  Plan,  deren  Kirch- 
hof zu  verlegen,  auch  die  Absicht  zum  Grunde  liegt,  einen  zweck- 
mässigen Gebrauch  von  den  vorhandenen  Leichensteinen  machen 
zu  lassen  und  der  jüdischen  Gemeinde  einen  abermaligen  Beweis 
der  gnädigen  landesväterlichen  Duldung  zugleich  zu  geben,  mache 
ich  den  allerunterthänigsten  Vorschlag,  sämtliche  Steine  in  der  Art 


Der  grosse  Brand  von  Posen  am  15.  April  1803.  14 J 

zu  verbrauchen,  dass  davon  ein  Tempel  oder  Synagoge  für  die 
hiesige  Gemeinde  errichtet  wird. 

Bekanntlich  ist  Sinnlichkeit  der  allgemeine  Hang  der  jüdischen 
Nation,  dieser  würde  nemlich  bey  dieser  Gelegenheit  geschmeichelt, 
wenn  nemlich  sämtliche  Leichensteine,  die  mit  einer  hebräischen 
Inschrift  versehen,  sorgfältig  nach  ihrer  Anciennitaet  geordnet  und 
selbige  bei  dem  durch  sie  zu  bewürkenden  Aufbau  des  Tempels 
dergestalt  verwandt  würden,  dass  die  Inschriften  die  äussern  Wände 
des  Tempels  dekoriren  müssten  und  dem  Vorübergehenden  von 
der  Erde  an  bis  in  die  Höhe  die  Leichensteine  sichtbar  würden 
und  überhaupt  ein  schönes  Ganze  bildeten. 

Bey  dieser  Idee  würde  zugleich  eine  andere  auszuführen 
seyn,  nemlich  der  Tempel  würde  unter  eine  Bauart  zu  errichten 
seyn,  welche  eine  Ausnahme  von  den  bisherigen  machen  müsste, 
so  dass  das  Aeussere  derselben  die  althebräische  Bauart  unter  Ab* 
weichung  von  allen  bekannten  altern  Construktionen  darstellen  würde. 

Wie  und  auf  welche  Art  ich  dieses  aufzuführen  unternehmen 
will,  werde  ich,  sobald  Ew.  Hochfreyherrliche  Excellenz  es  gnädigst 
befehlen,  mittelst  Einreichung  der  diesfälligen  Zeichnung  und  des 
Anschlags  näher  nachweisen.  Noch  nie  hat  sich  eine  Gelegenheit 
ereigenet,  ein  zum  gottesdienstlichen  Gebrauch  bestimmtes  Gebäude 
mit  einem  dergleichen  Memento  mori  einzig  in  seiner  Art  zu 
decoriren,  dass  daraus  Erinnerungen  hervorgehen  und  die  Allegorie 
verbinden,  dass  Unbestand  und  Vergänglichkeit  aller  zu  einem  oder 
andern  Behufe  bestimmten  Gegenstände  das  allgemeine  Loos  ist  — 
und  einen  Anblick  verschaft,  welcher  unter  zweckmässiger  Metamor- 
phose einen  Rückblick  in  die  Vergangenheit  auf  Jahrhunderte  darstellte. 

Durch  Ausführung  dieser  Idee  würde  also  der  Zweck  zu  er- 
reichen seyn,  dass  1.  für  die  Verstorbenen,  denen  die  Leichensteine 
gesetzt  wurden,  das  schönste  Denkmal  errichtet  würde,  2.  die  Stadt 
durch  dieses  in  hebräischer  Art  aufzustellende  Gebäude  eine  auf 
mehrere  Jahrhunderte  dauernde  Zierde  erhält,  3.  Wenn  zum  Wieder- 
aufbau der  abgebrannten  drey  Synagogen  eine  Beihülfe  aus  Königl. 
Casse  erfolgen  sollte,  eine  beträchtliche  Ersparniss  entstehen  dürfte, 
da  die  vorhandene  Menge  der  Steine  zu  diesem  Behuf  hinlänglich 
seyn  dürften. 

Schliesslich  submittire  ich  die  Bestimmung  des  zu  Erbauung 
dieses  Tempels  nötigen  Locals,  indem  ich  meine  unvorgreifliche 
Aeusserung  wage,  dass  wol  der  Ort  des  alten  Begräbnisses  hierzu 
am  passendsten  seyn  dürfte,  da  sowol  die  Transportkosten  für  die 
Steine  erspart,  als  auch  das  Gebäude  auf  dem  hohen  Berge  sich 
vortrefflich  präsentiren  und  mittelst  Terrassirung  des  Berges  und 
Anbringung  steinernen  Treppen  von  4  Seiten  und  Umfassung  des 
Berges  mit  einer  Mauer  von  den  vorhandenen  Steinen  überhaupt 
ein  vortrefliches  Ganze  bilden  müsste.  Sollte  diese  meine  Idee 
nicht  Ew.   Hochfreyherrliche  Excellenz  höchstgnädigen  Beifall    er- 


144 


Rodgero  Prümers. 


halten,  so  bitte  ich  nur  noch,  diesen  ganz  unterthänigsten  Vortrag 
als  nicht  geschehen  gnädigst  zu  betrachten. 

Original   im   Geh.   Staats-Archiv  zu   Berlin,   Gen.   Dir.,  Süd- 
preussen,  Ortschaften  Nr.  977  Vol.  6. 


III. 

Summarische  Nachweisung 
von  den  abgebrandten  Einwohnern  zu  Posen  und  deren  angegebenen 

Verlust. 


Personen 
Zahl. 

Verlust 

Rthlr.      Gr.|Pfe. 

1.    Von   der   Breiten   Strasse   und  Neben 
Strassen 

1542 
1069 

2569 

40S35Ö 
597,095 

S2^.o6a 

9 

12 

2.  Vom  Graben  und  der  Gerber  Strasse  . 

3.  Von  der  Judenstadt 

— 

Summa 

Davon  ein  Drittel  abgezogen 

5180 

1528,111!  21 
509,370,  15 

— 

1018,741 

6 

— 

Original   im   Geh.   Staats-Archiv   zu   Berlin,    Gen.  Dir.,   Süd- 
preussen,  Ortschaften  Nr.  1645  Vol.  1. 

IV. 
Weiterer  Bericht  der  Posener  Kriegs-  und  Domänenkammer  an  das 
General-Direktorium  über  den  Brand  und  ihre  Massnahmen  zur  Lin- 
derung der  Not    Posen,  den  4.  Mal  1803. 

Wenn  mit  uns  das  hiesige  Publicum  bey  dem  am  15^  prt. 
die  hiesige  Stadt  betroffenen  unglücklichen  Brande  vertrauungsvoll 
auf  Ewr.  Königlichen  Majestät  Huld  und  Gnade,  welche  die  hiesige 
Stadt  seit  Allerhöchst  Dero  glorreichen  Besitznahme  derselben  be- 
glückt und  schon,  bis  der  unglückliche  Brand  solchen  zerrüttete,  zu 
dem  sich  vor  allem  Südpreussischen  Städten  auszeichnenden 
blühenden  Wohlstand  erhoben  hat,  seine  gerechten  Hoffnungen 
richtete,  so  finden  wir  uns  zu  den  frohesten  Aussichten  für  die 
Zukunft  berechtigt,  nachdem  Allerhöchst  dieselben  geruhet  haben,  in 
der  Person  Allerhöchst  Dero  hohen  Departements-Chef  Selbst  Sich 
zur  Stelle  von  dem  Umfange  des  die  hiesige  Stadt  durch  gedachten 
Brandt  erlittenen  Unglücks  zu  übe  rzeugen  und  die  Mittel  und  Wege 
zur  Abhelfung  desselben  und  zur  Wiederherstellung  der  Wohlfarth 
so  vieler  verunglückten  Familien  und  desjenigen  Theils  der  Stadt 
welcher  durch  den  Brand  fast  ganz  gänzüch  vernichtet  ist,  ausfindig 
zu   machen.    Indem   wir   diese   Ewr.   Königlichen   Majestät  landes- 


Der  grosse  Brand  von  Posen  am  15.  April  1803.  145 

väterliche  Huld  und  Gnade  dankbar  verehren,  eilen  wir  auf  das  an 
uns  unter  gestrigem  dato  erlassene  allergnädigste  Rescript  unsern 
«ubmissesten  Bericht  allerunterthänigst  zu  erstatten. 

Da  nach  dem  gedachten  allerhöchsten  Rescript  Ewr.  König- 
lichen Majestät  allergnädigste  landesväterliche  Absicht  zuvörderst 
-dahin  gehet,  den  Verunglückten  in  Absicht  ihrer  ersten  dringendsten 
Bedürfnisse  Hülfe  zu  gewähren,  und  Allerhöchst  dieselben  zu  dem 
Ende  unsere  Anzeige  erfordert  haben,  was  von  uns  bis  jetzt  zur 
Unterstützung  der  Verunglückten  geschehen,  ist  so  verfehlen  wir 
nicht  hiermit  allerunterthänigst  anzuzeigen,  dass  wir  des  andern 
Tages  nach  erfolgtem  Brande  sogleich  über  die  zweckmässigsten 
und  schleunigsten  Mittel,  wie  denen  ohne  Obdach,  Lebensmittel  und 
Vermögen  auf  den  Strassen  und  in  den  umliegenden  Feldern 
zerstreut  mit  dem  traurigen  Ueberrest  ihrer  wenigen  aus  den 
Flammen  geretteten  Habe  herumirrenden,  in  der  ersten  Bestürzung 
sich  selbst  nicht  berathenden,  Verunglückten  vorläufig  zu  helfen,  in 
einer  ausserordentlichen  Conferenz  beratschlagten.  Uns  schienen 
für  diesen  Augenblick  Obdach  und  Schutz  wider  den  Hunger  die 
ersten  Bedürfnisse  zu  seyn. 

Das  Personale  des  Magistrats  war  noch  zu  sehr  mit  Tilgung 
der  noch  damals  und  mehrere  Tage  darauf  lodernden  Flammen  und 
mit  Aufrechthaltung  der  öffentlichen  Ruhe  und  Ordnung  beschäftigt, 
als  dass  wir  solchen  von  dieser  gleich  dringend  nötigen  Beschäftigung 
abziehen  konnten,  welches,  wie  der  Erfolg  lehrte,  um  so  nötiger 
war,  als  am  zweiten  und  dritten  Tage  nach  dem  grossen  Brande, 
an  ganz  entgegengesetzten  Gegenden  der  Stadt,  nehmlich  dicht  am 
Wronker  Thore  und  auf  der  Schrodke  neues  Feuer  entstand, 
welches  bey  dem  in  jenen  Tagen  vorhandenen  heftigen  Winde 
noch  grössere  Zerstörung  drohte,  glücklicherweise  aber  durch 
augenblickliche  Veranstaltungen  gleich  gelöscht  wurde. 

Wir  ernannten  daher  zur  schleunigen  Unterbringung  der  Ab- 
gebrandten  und  zu  deren  vorläufigen  Verpflegung  eine  besondere 
Commission  in  der  Person  der  Krieges-  und  Domainen-Räthe  Buch- 
holz und  Hahn  und  des  Assessor,  jetzigen  Stadt  und  Polizey-Director 
Flesch,  forderten  die  benachbarten  Aemter  und  Dominia  zur 
Herbeybringung  der  ersten  Lebensbedürfnisse,  Brodt,  Fleisch  etc. 
auf,  veranstalteten,  da  bey  dem  Brande  selbst  viele  Diebstähle  vor- 
gefallen waren,  sogleich  in  der  Stadt  und  Vorstädten,  so  wie  in  der 
umliegenden  Gegend  Visitationen,  verfügten  sofort  die  Abbrechung 
der  das  Herunterstürzen  drohenden  Giebel  und  Schornsteine  der 
abgebrandten  Häuser,  die  Wiederöfnung  der  versperten  Passagen 
und  Anlegung  interimistischer  Communication  durch  Fähren,  Kähne 
und  Brücken,  verfügten  die  Vermessung  der  Brandstellen  und  unter- 
Hessen  unseres  Erachtens  nichts,  was  nach  Lage  der  Umstände 
nötig  war. 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  fQr  die  Pror.  Posen.    Jahrg.  XIX.  10 


146  Rodgero  Prümers. 

Die  Commission  fing  des  andern  Tages  nach  dem  Feuer 
sogleich  ihre  Geschäfte  mit  Hülfe  eines  ihr  vorläufig  gegebenen, 
hiernächst  aber  sofort  aus  den  eingehenden  Beiträgen  erstatteten 
Vorschusses  von  einigen  Hundert  Thalern  an,  und  unterstützten  da- 
mit, so  wie  durch  die  zu  unsern  und  ihren  öffentlichen  Aufforde- 
rungen eingehenden  Beyträge  592  von  den  ärmsten  nothleidenden 
Familien  in  den  ersten  Tagen;  als  hierauf  Lebensmittel  eingingen, 
auch  von  uns  die  Veranstaltung  getroffen  wurde,  dass  diejenigen 
Abgebrannten,  so  ohne  allen  Erwerb  waren,  beym  Abbrechen  der 
Giebel  und  Schornsteine  und  bey  dem  Hinwegräumen  des  Schuttes 
gegen  Tagelohn  angestellt  worden,  mithin  ihnen  der  Weg  zum  vor- 
läufigen Erwerb  und  Unterhalt  eröfnet  war,  hörten  jene  baare  Geld- 
unterstützungen von  der  Commission  auf,  die  einkommenden 
Victualien  wurden  von  derselben  dem  hiesigen  Magistrat  zugesandt,, 
welcher  sie  vertheilte. 

Mittlerweile  beschäftigte  sich  die  Commission  mit  Unter- 
bringung der  Abgebrandten,  welche  bey  den  ihrigen  und  sonst  kein 
Unterkommen  hatten.  Mit  Hülfe  des  Bischofs  von  Posen,  des 
Officialats,  der  sämmtlichen  Klöster  und  mehrern  Einwohner 
hiesiger  Stadt,  welche  nicht  abgebrandt  waren,  und  welche  die 
beiden  bischöflichen  Palais,  mehrere  Curien,  die  Kloster-Gebäude 
und  ihre  Wohngebäude  mit  einer  lobenswürdigen  Bereitwilligkeit 
einräumten1),  war  es  der  Commission  möglich,  in  zwey  Tagen 
mehrere  Hundert  Familien  unter  Obdach  und  so  unterzubringen, 
dass  solche  einen  zu  ihrem  Gewerbe  und  Familien- Verhältniss 
möglichst  zu  beschaffenden  Raum  hatten.  Unterdes  wurden  die 
eingehenden  Geldbeyträge  gesammelt  und  davon  den  sich  meldenden 
und  von  den  Bürger-Repraesentanten  recognoscirten  verunglückten 
Handwerker  aus  den  Beiträgen  Unterstützungen  unter  dem  Nahmen 
als  Vorschuss  zum  Wiederanfang  ihrer  Gewerbe  gegeben,  welche 
sich  nach  dem  Bedürfniss  und  der  Art  des  Gewerbes  richteten 
und  sich  auf  10  bis  200  Rthr.  bey  den  grösseren  Posten  unter  Ver- 
bürgung einiger  wohlhabender  Einwohner  beliefen.  Auf  diese  Art 
wurden  94  Handwerker  und  gewerbetreibende  Familien  bis  zum 
3ten  hujus  mit  3028  Rth.  in  Thätigkeit  gesetzt,  welche  jetzt  schon 
ihr  Gewerbe  wiederum  treiben. 

Ausserdem  erhielten  die  vielen  in  der  Schustergasse  abge- 
brandten Schuster  Vorschüsse  an  Leder  von  5  bis  10  Rthr.  an  Werth, 
auch  wurde  Handwerkszeug,  so  hier  nicht  zu  haben,  für  Rechnung 
der  Commission  verschrieben. 

Mit  dem  3ten  Mai  c.  wurde  die  Commission  auf  Ewr.  König- 
lichen Majestät  Befehl,  deren  gleichzeitigen  Antrag  aufgehoben,  und 


])  Am  Rande   die  Bemerkung:  Dies   Benehmen    ist  äusserst  lobenswerth   und 
Siebt  einen  sehr  willkommenen  Beweis  von  Menschenfreundlichkeit  und  Duldung. 


Der  grosse  Brand  von  Posen  am  15.  April  1803.  147 

hat  selbige  ihren  Bericht,  Abschluss  und  baaren  Gelder  an  uns  ein- 
gesandt. 

Aus  dem  abschriftlich  allerunterthänigst  angebogenen  Bericht 
derselben,  werden  Allerhöchst  dieselben  zu  ersehen  geruhen,  dass 
ihre  Einnahme  bis  den  3ten  hujus  Mittags  um  1  Uhr  sich  auf  5390. 
19.  10,  ihre  Ausgaben  auf  3512.  8.  6.  belaufen  hat,  und  dass  das 
Residuum  von  1878  Rthr.  11  Gr.  4  Pfg.  an  unsere  Kri'ges-  und 
Domainen-Casse  abgeliefert  ist;  hiezu  kommt  der  in  Natura  der- 
selben von  den  Erben  des  ehemaligen  Dohmherrn  von  Rogalinski 
Überlieferte  zum  Teil  aus  Praetiosis  bestehende  Nachlass  desselben, 
welcher  nach  den  Willen  der  Erben  um  Johann is  d.  J.  veräussert 
und  an  die  ärmsten  Abgebrandten  verteilt  werden  soll  und  etwa 
1200  Rthr.  an  Werth  betragen  kann. 

Die  übrigen  Beiträge,  welche  der  hiesige  Magistrat  an  sich 
und  ad  Depositum  genommen  hat,  sind  aus  der  Summe  noch  nicht 
bekannt. 

Was  den  Plan  der  Commission  anlangt,  so  werden  Ewr. 
Königlichen  Majestät  aus  dem  oballegirten  Bericht  näher  zu  ent- 
nehmen geruhen;  es  besteht  solcher  kürzlich  darin,  dass  ausser 
den  ersten  ausgemittelten  Unterstützungen  an  oberwähnte  592  der 
ärmsten  Familien,  welche  484  Rthr.  8V2  Ggr.  betrugen,  die  Beiträge, 
so  wie  sie  einkamen,  sogleich  dazu  verwandt  worden,  um  nur  erst 
wieder  Handwerker  und  Gewerbe  in  Tätigkeit  zu  setzen  und  die 
Unterstützungen  als  Vorschüsse  hinzugeben1),  weil,  so  lange  als  noch 
Beiträge  einkommen,  keine  Reparation  der  Beiträge  auf  die  Abge- 
brandten gemacht  werden  konnte,  dagegen,  wenn  solche  darauf 
warten  sollten,  der  Werth  der  Wohlthat,  welcher  in  der  schleu- 
nigsten Hülfe  bestand,  verlohren  ging,  dagegen  bey  Erteilung  der 
Vorschüsse  unter  gehöriger  Vorsicht  gleich  geholfen  wird,  und  die 
Absicht,  am  Schluss  aller  Beiträge  eine  Repartition  auf  sämmtliche 
Abgebrandte  zu  machen  uud  die  Gelder  nach  Maassgabe  des  allen- 
falls an  Eidesstatt  angegebenen  Verlustes  nach  pro  Centen  gleich- 
massig  zu  verteilen2),  demnach  ganz  erreicht  werden  kann,  indem 
diejenigen,  welche  Vorschuss  erhalten,  wenn  nach  der  Repartition 
weniger  auf  sie  trift,  den  Vorschuss  in  so  weit  zum  Teil  erstatten 
müssen.  Was  dagegen  die  vorläufig  an  die  592  Familien  ver- 
abreichten 484  Rthr.  8V2  Gr.  Unterstützung  anbetrift,  so  sind  solche 
immer  geringer,  als  nach  den  schon  jetzt  eingegangenen  Beiträgen 
bey  einer  Repartition  auf  sie  treffen  kann. 


*)  Dgl. :    Dies  Benehmen  ist  Äusserst  zweckmässig  und  gut. 

*)  Dgl. :  Etwa  in  einem  Zeitraum  von  8  Wochen  werden  so  ziemlich  die  be- 
deutenden Beytrflge  eingegangen  seyn.  Dann  soll  die  Kammer  durch  den  Magistrat 
einen  Abschluss  und  eine  Repartition  machen  lassen  und  solche  zur  Genehmigung  ein- 
reichen. Das  Wenige,  was  nach  dieser  Zeit  eingehen  dorfte,  kann  hicrnflchst  immer 
noch  nachträglich  vertheilt  werden. 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Pro*.  Posen.    Jahrg.  XIX.  10 


148  Rodgero  Prümers. 

Wir  wünschen  nun,  dass  diese  unsere  Maasregeln  so  wie 
-das  Benehmen  der  Commission  Ewr.  Königl.  Majestät  hohen  Beyfalls 
•sich  erfreuen  möge1),  und  stellen  Allerhöchst  denenselben  aller- 
unterthänigst  anheim,  ob  und  in  wie  fern  Ewr.  Königlichen  Majestät 
nach  gedachtem  Plan  fortgehen  oder  etwa  darin  etwas  abändern  zu. 
lassen  geruhen  wollen. 

Wir  überreichen  nun  hierbey  3  Tableaus,  aus  welchen  Ewr. 
Königlichen  Majestät  huldreichst  zu  entnehmen  geruhen  werden, 
dass  überhaupt  1093  Familien  abgebrandt  sind;  unter  diesen  sind 
797  Handwerker  und  gewerbetreibende  Familien  und  von  diesen 
sind  bereits  94  Familien  mit  Vorschüssen  von  der  Commission 
unterstützt  und  in  Tätigkeit.  Es  bleiben  daher  noch  703  Hand* 
werker  und  gewerbetreibende  Familien  übrig.  Bey  jenen  94  Fa- 
milien ist  nur  auf  das  höchste  Bedürfniss  bey  Anschaffung  des 
Handwerkszeuges,  jedoch  noch  nicht  auf  Vorräthe  an  rohem  Material 
gerechnet;  dennoch  beträgt  diese  Unterstützung  im  Durchschnitt 
auf  jede  32  Rthr.  5  Gr.  i14/^  Pfg.  Nimmt  man  diesen  Durchschnitt 
zum  ohngefähren  Maassstab  zur  Unterstützung  der  übrigen  703,  so 
dass  solche  wenigstens  anfangen  können,  ihre  Gewerbe  zu  betreiben, 
an,  so  ist  hiezu  eine  Summe  von  22645  Rthr.  13  Gr.  8  Pfg.  er- 
forderlich, wodurch  diese  Familien  immer  noch  nicht  für  ihren 
Verlust  entschädigt,  sondern  nur  in  Thätigkeit  gesetzt  werden. 

Diese  Hülfe  wird  die  Eingeschränktheit  unserer  Mittel,  selbst, 
wenn  auch  die  Beyträge,  wie  bisher,  einzukommen  fortfahren2), 
nicht  erlauben,  auch  wird  solche,  selbst  wenn  durch  die  milden 
Beyträge  so  viel  und  noch  mehr  einkommt,  doch  nicht  schnell 
£enug  da  seyn,  um  zur  rechten  Zeit  helfen  zu  können.  Wir  glauben 
daher  solches  wenigstens  zum  Teil  aus  Ewr.  Königlichen  Majestät 
wohltätigen  Händen  erbitten  zu  dürfen,  und  werden  die  milden 
Beyträge  zu  dem  noch  erforderlichen  alsdann  zutreten  können. 

Was  nun  Ewr.  Königlichen  Majestät  bey  dem  Brande  ver- 
unglückte von  uns  ressortirende  Officianten  anbetrifft,  so  über- 
Teichen wir  in  der  Anlage  und  den  dazu  gehörigen  27  Belägen  eine 
Nach  Weisung,  aus  welcher  Allerhöchst  Dieselben  entnehmen  werden: 
dass  29  Officianten  und  deren  Familien  bey  dem  Brande  verunglückt 
sind.    Ewr.  Königlichen  Majestät  werden  ferner  zu   entnehmen  ge- 


l)  Dgl. :  Das  Benehmen  sowohl  der  Cammer  als  der  Commission  ist  sehr 
lobenswerth,  und  gerne  bezeugt  das  Departement  darüber  seinen  Beyfall.  Der  Plan 
kann  auch  dann  verfolgt  und  aus  den  milden  Beytrigen  den  Gewerbtreibenden  Vorschusa 
zur  Fortsetzung  ihrer  Nahrung,  jedoch  mit  der  gehörigen  Vorsicht,  auf  den  Antrag  des 
Magistrats  durch  die  Cammer  bewilligt  werden. 

*)  Dgl. :  Da  bis  jetzt  schon  so  ansehnliche  Beyträge  und  zwar  nur  aus  Posen 
selbst  und  den  umliegenden  Gegenden  eingegangen  sind,  so  ist  es  höchst  wahrschein- 
lich, dass  solche  zur  ersten  nothdQrftigen  Unterstützung  hinreichen  werden.  Sollten 
indessen  Falle  vorkommen,  wo  schleunige  und  bedeutende  Unterstützung  gegeben 
werden  muss,  welche  die  milden  Beytrflge  nicht  herzugeben  vermögen,  so  soll  darübez 
an  das  Departement  berichtet  und  desfalls  der  nöthige  Antrag  gemacht  werden. 


Der  grosse  Brand  von  Posen  am  15.  April  1803.  14^ 

ruhen,  ob  und  wieviel  solche  an  Gehalt  haben,  und  wie  gross  ihr  Verlust 
ist.  Selbiger  beträgt  im  ganzen  24076  Rthr.  5  Ggr.  Wenn  indes 
der  Werth  dreyer  abgebrannten  Gebäude,  welche  mehr  für  den 
Retablissements-Fond  als  hieher  zu  gehören  scheinen,  so  wie  noch 
einige  andere  Schäden,  welche  wir  in  fine  der  Nachweisung  be- 
merkt haben,  von  obiger  Summe  abgehen,  und  dagegen  der  Verlust 
des  in  Ewr.  Königlichen  Majestät  Dienst  beym  Feuer  abwesend 
gewesenen  und  noch  abwesenden  Forstfiscal  Kulau,  welcher  auf 
300  Rthr.  anzunehmen,  hinzugesetzt  wird,  so  verbleibt  der  Verlust 
an  fahrender  Habe  12692  Rthr.  5  Gr.1) 

Dies  ist  ausser  dem  Verlust  von  3  Gebäuden  der  mühsame 
Erwerb  mehrerer  Jahre2).  Ewr.  Königlichen  Majestät  ist  es  nicht 
unbekannt,  wie  schwer  es  Allerhöchst  Dero  Dienern  fällt,  von  dem 
auf  den  Unterhalt  des  Lebens,  besonders  bey  Subalternen,  die  hier 
grösstenteils  vorkommen,  nothdürftig  berechneten  Gehalt  so  viel  zu 
ersparen,  um  sich  nach  und  nach  die  häuslichen  zur  Fortführung 
der  Oeconomie  nötigen  Hausgeräthe,  Meubles,  Kleidungsstücke  u.  s.  w. 
zu  beschaffen.  Ewr.  Königlichen  Majestät  ist  es  ferner  bekannt,  dass 
unter  diesen  Officianten,  so  viel  wir  wissen,  keiner  ist,  welcher  so. 
viel  Vermögen  hätte,  den  Verlust  zu  verschmerzen,  ja  wir  können 
es  nicht  verheelen,  dass  viele  unter  ihnen  sonst  in  einigem  Wohl- 
stande selbst  mit  erborgten  Kleidern,  Hausgeräth,  Meublen,  Betten,, 
auch  zum  Teil  ohne  dieselben  jetzt  sich  behelfen  und  auf  Ewr. 
Königlichen  Majestät  Hülfe  hoffen,  ohne  welche  grösstenteils  ihr 
Loss  sehr  traurig  und  ihre  Zuflucht  die  Contrahirung  von  Schulden 
seyn  würde,  welche  sie  noch  mehr  dirangiren  und  mit  den  Ihrigen 
in  Kummer  und  Nahrungssorgen  versenken  würde. 

Wir  können  Ewr.  Königlichen  Majestät  auch  pflichtmässig 
versichern,  dass  unter  diesen  Officianten  der  grösste  Teil  von  der 
Art  ist,  dass  wir  vorzüglich  Ursach  haben,  mit  ihrem  Benehmen  in 
Dienst,  ihrer  Moralitaet  und  Rechtschaffenheit  zufrieden  zu  seyn 
und  solche  Allerhöchst  Dero  Fürsorge  vorzüglich  zu  empfehlen. 
Wir  enthalten  uns  solche  namentlich  zu  nennen,  um  die  übrigen, 
welche,  wenn  sie  sich  auch  nicht  vorzüglich  auszeichnen,  dennoch 
ihre  Pflicht  erfüllen,  nicht  zu  kränken. 

Wir  glauben  auch  hier  die  Bemerkung  machen  zu  dürfen,, 
ohne  den  Verdacht  der  Parteylichkeit  zu  besorgen,  dass  diese  ab- 
gebrandten  Officianten,  so  wie  sämmtliche  übrige  Officianten  hie- 
selbst  noch  lange  die  Folgen  des  Brandes  empfinden  werden,  indem,. 


')  Dgl.  Nota.    Der  Verlust  soll  seyn 1369a  Rthr. 

Diesem  treten  hinzu  die  ?  Gelder  des  Kipke  mit   .       740    ,t 

Sa.    .  13432  Rthr. 
50  proc.  betrafen:  6716    „ 

*)  Dgl.:  Welche  Vergütigung  den  Officianten  zu  bewilligen  seyn  wird,  hingt 
jron  der  Königlichen  Gnade  ab.  Sobald  sie  Allerhöchst  Selbst  darüber  entschieden, 
haben  werden,  soll  die  Kanuner  nähern  Bescheid  erbalten. 


150  Rodgero  Prümers. 

wie  schon  zum  Teil  der  Fall  ist,  der  Kaufmann  und  Handwerker 
sich  durch  höhere  Preise  für  seinen  Verlust  zu  erholen  suchen  wird, 
dem  besoldeten  Officianten  aber,  bey  den  höher  steigenden  Preisen 
der  Dinge  kein  Weg  offen  stehet,  seine  Einnahme  zu  vermehren, 
vielmehr  derselbe  sein  Auskommen  in  möglichster  Beschränkung 
seiner  Bedürfnisse  suchen  muss. 

Wir  haben  nun  einigen  derselben,  welche  in  der  dringendsten 
Verlegenheit  waren,  Vorschüsse  anweisen  müssen,  welche  nach  an- 
liegender Nachweisung1)  970  Rthr.  betragen.  Diese  würden  von 
den  von  Ewr.  Königlichen  Majestät  huldreichst  zu  bewilligenden 
Unterstützungen  hiernächst  zu  decourtiren  seyn. 

Wir  würden  nun  mit  Hinsicht  auf  die  diesen  Officianten  zu 
Gebote  stehenden  Mitteln  nach  Ewr.  Königlichen  Majestät  Aller- 
höchsten Befehl  uns  erlauben,  dasjenige  quantum,  welches  erforder- 
lich seyn  würde,  um  sie  wiederum  in  Stand  zu  setzen,  ohne  drin- 
gende Sorgen  ihren  Berufsgeschäften  nachzugehen,  vorzuschlagen. 
Wenn  uns  indess  die  besonderen  Vermögens-Umstände,  Connexionen 
und  Verhältnisse  derselben,  wodurch  einige  sich  vielleicht  in  etwas 
helfen  können,  nicht  so  ganz  genau  bekannt  sind,  dass  wir  nicht 
besorgten,  irgend  einem  zu  nahe  zu  treten,  so  müssen  wir,  ob  und 
in  wie  weit  Ewr.  Königlichen  Majestät  solche  nach  Maassgabe  ihres 
Verlustes  zu  unterstützen  geruhen  wollen,  lediglich  Ewr.  Königlichen 
Majestät  Gnade  anheimstellen,  und  werde  selbige  gewiss  jede  Hülfe, 
welche,  zu  ihrem  Emporkommen  beitragen  kann,  dankbar  annehmen. 

Orginal  im  Geh.  Staatsarchiv  zu  Berlin:  General-Direktorium, 
Südpreussen,  Ortschaften  Nr.  1645,  Vol.  1. 

V. 

Eingabe  der  Posener  Bürgerrepräsentanten  an  Minister  v.  Voss  über 
den  Wiederaufbau  der  Stadt.  Posen,  den  4.  Mai  1803. 

Wir  wollen  uns  enthalten,  Ew.  Excellenz  die  traurige  Lage 
unserer  durch  den  schrecklichen  Brand  am  15.  des  v.  M.  so  un- 
glücklich gewordenen  Stadt  zu  schildern  —  die  Ruinen  der  abge- 
brannten Häuser  geben  schon  überzeugende  Beweise  davon  — ,  die 
bis  zur  Verzweifelung  gebrachte  Bürgerschaft  siehet  indessen  in 
der  Person  Ew.  Excellenz  nur  ihren  Retter  —  und  durch  Höchst 
Dero  Ankunft  in  ihren  Mauern  findet  sie  schon  Trost  für  sich  mit 
dem  Bewustseyn,  dass  sie  ganz  ohne  ihre  Schuld  dieses  harte  Loos 
zu  tragen  hat.  —  Sie  ist  überzeugt,  dass  blos  von  der  Gnade  Ew. 


*)  Dgl. :  Die  Nachweisung  besagt  einen  Vorschuss  von  1090  Rthr.,  and  da- 
rüber soll  segleich  auf  die  Extraordinarien-Kasse  in  Berlin  und  zwar  auf  die  10 000  Rthr., 
welche  des  Königs  Majestät  zur  Abheifong  der  dringendsten  Bedarfnisse  der  hiesigen 
Abgebrannten  bewilligt  haben,  angewiesen  and  der  Kammer  davon  zur  Einzahlung 
Nachricht  gegeben  werden. 


Der  grosse  Brand  von  Posen  am  15.  April  1803.  15 1 

Excellenz  ihr  künftiges  Wohl  abhängt,  und  Höchst  dieselben  es  an 
kräftiger  Fürsprache  und  gnädigster  Verwendung  bey  Sr.  König- 
lichen Majestät  nicht  fehlen  lassen  wollen,  um  ihrem  betrübten 
Schicksale  Linderung  zu  verschaffen.  —  Die  verunglückten  Bürger 
wollen  sich  daher  ganz  dem  wohlwollenden  Herzen  Ew.  Excellenz 
überlassen,  da  sie  mit  dem  Verluste  ihrer  Häuser,  ihrer  Werkstätte 
auch  noch  alles  übrige  verlohren  und  nicht  im  Stande  sind,  dem 
Staate  ferner  als  nützliche  Bürger  zu  dienen,  wenn  ihnen  nicht 
durch  allerhöchste  Königl.  Gnade  huldreichst  aufgeholfen,  und  durch 
schleunigste  wirksame  Unterstützung  sie  vor  dem  gänzlichen  Unter- 
gange geschützt  werden  sollten. 

In  dieser  gewissen  Veraussetzung  wagen  wir  es  daher,  Ew. 
Excellenz  unsere  allergehorsamste  Bitte  zu  überreichen,  welche 
dahin  gehet,  den  unglücklichen  Abgebrandten  zum  Wiederaufbau 
ihrer  Häuser  und  Werkstätte  50  Procent  als  Bauhülfsgelder  gnädigst 
zu  bewilligen  und  im  übrigen  die  benöthigten  Vorschüsse  aus 
Königl.  Cassen  zu  bewirken. 

Hiebey  können  wir  uns  zugleich  nicht  enthalten,  noch  fol- 
gende zur  einiger  Erleichterung  und  Beschleunigung  des  Wieder- 
aufbaues der  abgebrandten  Häuser,  und  zur  mehrerer  Sicherheit 
der  Stadt  abzweckende  Gegenstände  der  näheren  Prüfung  Ew.  Ex- 
cellenz allergehorsamst  vorzulegen:  als 

1.  Dass  es  einem  jeden  erlaubt  sey,  den  nöthigen  Bedarf 
von  Dach-  und  Mauersteinen  sich  selbst  zu  verschaffen,  wie  und  wo  er 
es  nur  immer  am  wohlfeilsten  und  beqwemsten  findet,  ohne  verbunden 
zu  seyn,  in  diesem  ausserordentlichen  Falle  solchen  Bedarf  von  den 
Ziegeleyen  der  Stadt  Cämmerey  für  höhere  Preise  zu  nehmen. 

2.  Dass  auch  in  diesem  Falle  Feld  Brände  nachgegeben,  und 
der  benöthigte  Leim  dazu  von  der  Cämmerey  unentgeldlich  her- 
gegeben werde. 

3.  Da  bis  jetzt  schon  das  Bauholz  durch  die  starke  Ausfuhr 
aus  der  Provinz  zu  mangeln  anfängt  und  dadurch  auch  sehr  ver- 
theuert  wird,  so  dürfte  es  sehr  zweckdienlich  seyn,  wenn  die  Aus- 
fuhr des  Kiehnen  Holzes  ins  Ausland  auf  einige  Zeit  nicht  verstattet 
würde. 

4.  Es  hat  Eine  Königl.  Haupt-Nutzholz  Administration  in  den 
Forsten  ohnweit  der  Warthe  starke  Ankäufe  von  Kiehnen  Hölzern 
gemacht,  und  wir  müssen  hiebey  allergehorsamst  bitten,  dass  we- 
nigstens ein  Theil  von  diesen  Hölzern  zum  Wiederaufbau  Posens 
durch  die  Königl.  Administration  abgetreten,  und  von  dem  bereits 
auf  dem  Transport  befindlichen  vorläufig  etwas  allhier  verbleiben 
möchte. 

5.  Da  es  bey  dem  Brande  überzeigend  bewiesen  worden, 
wie  höchst  nothwendig  noch  eine  Brücke  vom  Graben  über  die 
Warthe  nach  St.  Äoch  ist,  so  ergehet  auch  unsere  allergehorsamste 
Bitte  dahin,  bey  dem  neuen  Retablissement  der  Stadt  zugleich  die 


152  Rodgero  Prümers. 

Wiederherstellung  der  Brücke  nach  St.  Roch  gnädigst  zu  berück- 
sichtigen, solche  Brücke  hätte  unstreitig  jetzt  sehr  vieles  beige- 
tragen, und  es  würde  dem  Feuer  unstreitig  mehr  Einhalt  gethan 
worden  seyn,  und  wenigstens  würde  der  Graben  haben  gerettet 
werden  können,  wenn  nicht  die  zur  Rettung  herbeygeeilten  Men- 
schen von  dem  jenseitigen  Ufer  der  Warthe  läre  Zuschauer  dabey 
bleiben  mussten,  da  durch  das  Feuer  am  Walaschayer  Thor  alle 
Verbindung  der  Stadt  mit  dem  jenseitigen  Ufer  der  Warthe  ganz 
abgeschnitten  war. 

6.  Dass  die  hiesige  Stadt  und  Bürgerschaft  durch  die  Juden 
schon  viele  ähnliche  und  zur  Zeit  noch  weit  grössere  Zerstörungen 
erlitten  hat,  beweisen  die  Stadt  Akten  zur  hinlänglichen  Ueber- 
zeugung.  —  Aus  diesen  gehet  hervor,  wie  im  Jahr  1447  die  Gärber- 
strasse, im  Jahr  1464  das  Dominikaner  Kloster,  im  Jahr  1539/ 
der  grösste  Theil  der  Stadt  mit  dem  Rathause  und  der  St  Martin 
Vorstadt,  im  Jahr  1590  ebenfalls  ein  Theil  der  Stadt  durch  das 
in  der  Judenstadt  ausgekommene  Feuer  in  Asche  gelegt  worden  ist« 
Ausserdem  ist  noch  im  Jahre  1633  ein  Theil  und  zuletzt  im  Jahre 
1764  die  ganze  Judenstadt  allein  mit  der  grössten  Gefahr  der  Bürger- 
häuser m  Flammen  aufgegangen,  als  welche  Verwüstungen  lediglich 
durch  die  unordentliche  Lebensart  der  Juden  und  ihren  mit  fin- 
sterem Aberglauben  verknüpften  Gewohnheiten  verursacht  worden 
sind.  Da  nun  der  grösste  Theil  der  hiesigen  Juden  kein  bestirntes 
Gewerbe  treibet,  sondern  die  meisten  als  Factores  von  zufälligen 
Gewinn  aus  Aufträgen  von  andern,  Schacherey  und  Facienden 
leben,  wozu  sie  eigentlich  nach  Cap.  I  §  13  des  neuen  Juden-Regle- 
ments gar  nich  zugelassen,  ja  in  solchem  Falle  gar  nicht  geduldet 
werden  sollen,  so  wäre  es  die  grösste  Wohlthat  für  die  hiesige 
Stadt,  wenn  darin  die  Vorschrift  des  Juden-Reglements  in  Erfüllung 
gebracht  und  dabey  auf  Verminderung  der  starken  Zahl  der  hie- 
sigen Juden  Rücksicht  genommen  werden  möchte,  als  wozu  die 
ehemaligen  geisdichen  Städte  die  beste  Gelegenheit  darbiethen,  wenn 
selbige  in  diese  Städte  vertheilet  werden  möchten. 

Wir  ersterben  ehrfurchtsvoll  Ew.  Excellenz  allergehorsamste 
Diener. 

Die  Representanten  der  hiesiger  Bürgerschaft 

Berger.      Au.      Rose.      Berlach.      Tschuschke. 

Original  im  Geh.  Staatsarchiv  zu  Berlin:  Generaldirektorium, 
Südpreussen. 

VI. 

Immediatbericht  des  Ministers  v.  Voss  über  seine  Reise  nach  Posen 

und  die  dort  getroffenen  Massnahmen.    Berlin,  den  12.  Mai  1803. 

Während  meiner  Anwesenheit  zu  Posen,  von  wo  ich  heute 

hier  zurückgekommen  bin,   habe  ich,  ihrem  Hauptzwecke  gemäss, 

mich  von  allem,  was  das  der  Stadt  widerfahrene  Unglück,  dessen 


Der  grosse  Brand  von  Posen  am  15.  April  1803.  153 

augenblickliche  Milderung  und  wesentliche  Abhelfung  durch  Re- 
tablissements-Bau  angehet,  durch  Augenschein  und  eingezogene 
Details  auf  das  sorgfältigste  unterrichtet. 

Der  geschehene  Schade  erstreckt  sich  auf  1093  Familien 
christlicher  und  jüdischer  Religion,  die  aus  5180  Köpfen  bestehen; 
der  Verlust,  den  sie  an  Waaren,  Mobilien,  Handwerkergeräth  etc. 
erlitten,  ist  von  ihnen  auf  1,528,111  Rthr.  21  Gr.  angegeben  worden. 

Ueberstiege  auch,  wie  ich  nicht  in  Abrede  stellen  mag,  diese 
Angabe  den  wahren  Verlust  vielleicht  um  ein  Drittheil,  so  ist  der 
Schaden  doch  noch  sehr  beträchtlich,  und  es  wird,  um  ihn  zu  er- 
setzen, eine  geraume  Zeit  erforderlich  seyn. 

Schon  bei  meiner  Ankunft  war  für  das  erste  dringendste  Be- 
dürfniss  der  Unglücklichen,  die  alles  verloren  und  sich  nicht  selbst 
helfen  können,  im  Ganzen  gesorgt,  und  es  ist  mir  von  dieser  Seite 
wenig  zu  thun  übrig  geblieben. 

Die  Kammer  hat  sich  bei  der  Fürsorge  für  die  Hülfsbedürftige 
sehr  rühmlich  benommen;  durch  ihre  von  dem  Eifer  einer  beson- 
deren aus  ihrer  Mitte  delegirten  Commission,  der  Menschenfreund- 
lichkeit und  Toleranz  des  Bischofs  und  der  Geistlichkeit,  auch  der 
Klöster,  und  der  Milde  der  Bewohner  der  Stadt  und  der  umliegen- 
den Gegend  unterstützte  Bemühungen  ist  es  ihr  in  den  ersten  Tagen 
nach  dem  Brande  gelungen,  die  ohne  Obdach  und  Erhaltungsmittel 
gewesene  Familien  unterzubringen,  nothdürftig  zu  beköstigen  und, 
in  so  fern  sie  in  Handwerksleuten  bestanden,  zum  Wiederanfang 
des  Gewerbes  zu  befördern,  sonst  aber  auch  andere  Gelegenheiten 
zu  einigem  Verdienste  zu  verschaffen. 

Die  gute  Folgen  hiervon  sind  auch  darin  sehr  sichtbar,  dass 
nirgend  Müssige,  blos  Klagende  und  das  Mitleid  Ansprechende  an- 
zutreffen sind,  vielmehr  die  Verunglückten  in  dankbarer  Anerkennung 
der  Wohlthätigkeit  und  des  Beistandes,  so  sie  erfahren,  auch  ihrer- 
seits thun,  was  sie  vermögen,  um  sich  selbst  zu  helfen. 

Zu  ihrer  Beruhigung  trägt  aber  warlioh  noch  mehr  das  veste 
Vertrauen  in  Euer  Königlichen  Majestät  Gnade  bei,  von  der  sie  sich 
für  das  Retablissement  der  Stadt  gewisse  Unterstützung  versprechen. 

Die  bisher  für  die  Verunglückte  eingekommene  milde  Beiträge 
haben,  ungeachtet  sie  vorzüglich  nur  Einwohnern  von  Posen  selbst 
und  der  nahe  gelegenen  Gegend  zu  danken  gewesen,  die  nicht  un- 
bedeutende Summe  von  etwas  über  7000  Rthr.  und  an  Consum- 
tubilien  (!)  nach  Geldeswerth  von  ungefähr  3000  Rthr.  ausgemacht. 

Zusammengenommen  mit  den  Beweisen  der  Mildthätigkeit, 
welche  noch  zu  erwarten  sind,  werden  sie  zur  ersten  notdürftigsten 
Unterstützung  hoffentlich  ausreichen. 

Aus  den  mir  von  Euer  Königlichen  Majestät  zu  diesem  Behuf 
huldreichst  anvertraueten  10  000  Rthlr.  habe  ich  daher  nur  einigen 
Handwerksleuten,  welche  vor  dem  Brande  ein  bedeutendes  Gewerbe 


154  Rodgero  Prümers. 

gehabt,   und   da  sie   alles   verloren,  zum  Wiederanfang  ein  kleines 
Capital  bedürfen,  und  zwar 

dem  Klempner  Kienemann 200  Rthr. 

„    Satler  Schiffer 500     n 

n    Tuchfabricanten  Hartesz 400     „ 

•    „    Zimmermeister  Rieskiewicz 500     „ 

und  ausserdem  den  beiden  Schlössern  und  Spritzen- 
meistern Wojciechowski  und  Grunwald,  welche,  indem 
sie  als  Sprützenmeister  beim  Feuer  auf  das  rühmlichste 
beschäftigt  gewesen,  ihre  Häuser  und  Habseeligkeiten, 
letztere  mit  einem  Werth  von  1500  Rthr.  verloren 
haben,  einem  jeden  200  Rthr 400     „ 

überhaupt  2000  Rthr. 
als  Vorschuss  angewiesen,  und  ich  schmeichle  mir,  dass  Euer  König- 
lichen Majestät  dieses  allergnädigst  genehmigen  werden. 

Die  übrige  wenige  Personen,  die  sich  bei  mir  um  Hülfe  ge- 
meldet, habe  ich  an  die  bis  jetzt  noch  zum  Teil  zur  Disposition 
vorhandene  und  sich  noch  täglich  mehrende  milde  Beiträge  ver- 
weisen können,  aus  denen  den  Handwerksleuten  auf  Abschlag  der 
bei  der  Distribution  auf  sie  fallenden  Antheilen  kleine  Posten  zur  An- 
schaffung von  Handwerksgeräthen  gegeben  werden. 

Sollten  aber  diese  Vorschüsse  die  Antheile  an  den  milden 
Beiträgen  übersteigen,  so  habe  ich  die  Kammer  instruirt,  davon 
Anzeige  zu  machen  und  gutachtlich  zu  berichten,  ob  von  dem  Mehr- 
betrage der  Vorschuss-Summen  ein  Teil  zurückzuerwarten  oder 
dessen  gänzliche  Erlassung  erforderlich  ist. 

Dasjenige,  was  hierdurch  ausfiele,  würde  ich  dann  von  Euer 
Königlichen  Majestät  Gnade,  auch  wenn  es  die  mir  zuerst  anver- 
traute Summe  der  10  000  Rthlr.  übersteigen  sollte,  zu  erbitten  wagen. 

Von  den  Subaltern  Officianten  der  Cammer  haben  18  und 
einer  von  denen  des  Magistrats  bei  dem  Brande  das  Ihrige  teils 
ganz  verloren,  teils  davon  bedeutend  eingebüsst. 

Ihrem  ersten  Bedürfnisse  ist  durch  Vorschüsse  abgeholfen 
worden,  die  ich  mit  1 050  Rthr.  auf  die  mehrgedachte  10  000  Rthr. 
übernommen  habe. 

Ihr  sonstiger  Verlust  ist  auf  13432  Rthr.  angegeben.  Diesen 
gemildert  zu  sehen,  dürfen  sie  nur  von  Euer  Königlichen  Majestät 
Gnade  hoffen,  da  es  mir  für  ihre  Verhältnisse  nicht  passend  zu  seyn 
scheint,  dass  sie  an  den  einkommenden  milden  Beiträgen  participiren. 

Ich  selbst  halte  mich  überzeugt,  dass  selbst  zum  Besten  des 
Dienstes  ihnen  Hülfe  geleistet  und  die  Sorge,  die  ihren  Muth  jetzt 
unterdrückt,  abgenommen  werden  muss,  ich  wage  daher  für  sie  die 
Hälfte  ihres  Schadens  mit  6716  Rthr.  aus  den  von  Euer  Königlichen 
Majestät    den   Abgebrannten    destinirten    10  000   Rthr.    Hülfsgelder 


Der  grosse  Brand  von  Posen  am  15:  April  1803.  155 

allerunterthänigst  zu  erbitten,  wobei  ihnen  jedoch  die  bereits  an- 
gewiesene   1050  Rthr.  Vorschuss  anzurechnen  seyn  würden. 

Von  diesen  werden  sodann  1284  Rthr.  zur  künftigen  Disposition 
übrig  bleiben. 

Uebrigens  habe  ich  zu  dem  Retablissement  des  abgebrannten 
Teils  der  Stadt  den  Plan  entwerfen  lassen,  und  ich  werde  Euer 
Königlichen  Majestät  solchen  in  wenigen  Tagen  vorlegen,  indem  es 
zu  seiner  gänzlichen  Vollständigkeit  nur  noch  auf  einige  Ver- 
messungen von  Brandstellen,  die  in  diesem  Augenblicke  wegen  des 
darauf  befindlichen  Schuttes  noch  nicht  zugänglich  waren,  und  auf 
Fertigung  einer  zur  gehörigen  Uebersicht  erforderlichen  Zeichnung 
ankommt 

Original  im  Geh.  Staats- Archiv  zu  Berlin:  Acta  des  Cabinets 
König  Friedrich  Wilhelms  EI.    Rep.  89  Nr.  in  Bl.  15. 

Auf  dem  Schriftstücke  der  Vermerk:  Alles  recht  gut  bis  auf  die  in  Antrag  ge- 
brachte fernere  Unterstützung  der  Kammer-Off icianten,  welche  beym  Brande  verlohren 
haben,  die  in  dem  Verhaltnisse  ganz  ungewöhnlich  und  uberdem,  da  auf  die  Officianten 
andrer  Departements  keine  Rücksicht  genommen  worden,  zu  einseitig  ist.  Die  vor- 
geschossenen 1050  Rthl.  können  denselben  erlassen,  im  übrigen  aber  muss  erwartet 
werden,  was  für  sammtliche  Officianten  aus  allen  Classen  wird  geschehen  können. 

VII. 

Vorschläge  des  Ministers  v.  Voss  für  das  Retablissement  der  Stadt 

Posen.    Berlin,  den  20.  Mal  1803. 

Um  bey  Entwerfung  des  Posenschen  Retablissements-Bauplans, 
welche  ich  mir,  wie  ich  in  meinem  allerunterthänigsten  Berichte  vom 
I2ten  d.  M.  vorläufig  angezeigt,  bey  meiner  dortigen  Anwesenheit 
besonders  angelegen  seyn  lassen,  ganz  zweckmässig  zu  verfahren, 
habe  ich  mich  verpflichtet  gehalten,  mein  Augenmerk  zugleich  auf 
solide  Wiederherstellung  des  abgebrandten  Teils  der  Stadt,  dessen 
Auseinanderbau  zu  Verhütung  künftiger  ähnlicher  Unglücksfälle, 
Vermehrung  der  Bequemlichkeit  für  das  Gewerbe,  bessere  Arron- 
«dirung  und  Verschönerung  der  Stadt  zu  wenden. 

Der  Brandschaden  hat  einen  Teil  des  Juden  -  Viertels,  in 
-welchem  das  Feuer  ausgebrochen  ist,  einige  daran  stossende 
Strassen  der  eigentlichen  Stadt,  in  welcher  Gewerbtreibende  aller 
Art  zusammengedrängt  waren  und  die  Vorstadt,  der  Graben  genannt, 
betroffen,  auf  welcher  die  Gebäude  eine  einzelne  lange,  von  einem 
Kanal  durchschnittene  und  vermittelst  einer  hölzernen  Brücke  mit 
der  Stadt  zusammenhängende  Strasse  bildeten. 

Das  Juden-Viertel,  welches  bisher  in  bestimmte  enge  Grenzen 
beschränkt,  mit  mehrenteils  leicht  entzündbaren  Häusern  von  der 
schlechtesten  Construktion,  in  denen  unverhältnissmässig  viel  Fa- 
milien Eigenthum  und  Wohnung,  zum  Teil  in  Hangeboden  und 
Abschlägen   von   wenig   Fuss   hatten,    übersetzt  und  in  dieser  Ver- 


156  Rodgero  Prümers. 

fassung  der  Ordnung  und  Reinlichkeit  ganz  unempfänglich  war» 
hat  schon  zu  verschiedenen  Zeiten  grosse  Feuerschäden,  so  wie 
auch  den  jetzigen,  über  die  Stadt  gebracht.  Religionshass  und 
Fanatismus  haben  die  Grenzen  des  Juden- Viertels  vormals  bestimmt ; 
durch  die  seitdem  gemachte  Fortschritte  in  Aufklärung  und  Toleranz, 
so  wie  durch  die  gemachte  unglückliche  Erfahrung  sind  die  ein- 
sichtsvolleren Einwohner  Posens  auf  deren  Aufhebung  genugsam 
vorbereitet,  und  Pflicht  der  Landes-Polizey  ist  es,  die  jetzige  be- 
queme Gelegenheit  dazu  zu  benutzen.  Nur  die  Besorgniss,  dass 
die  Ausbreitung  der  Juden  über  ihren  bisherigen  Bezirk  dem 
Nahrungsstande  der  Christen  einigen  Eintrag  thun  mögte,  kann 
vielleicht  hie  und  da  noch  einiges  Missvergnügen  über  eine  solche 
Veränderung  erzeugen;  allein  diese  Besorgniss  wird  teils  durch  das 
gegenseitige  Beispiel  der  Städte  in  den  alten  Provinzen  widerlegt, 
teils  kann  solche  den  vielen  guten  Folgen  der  Aufhebung  des  Juden- 
Viertels  nicht  die  Waage  halten  und  von  letzterer  um  so  weniger 
abhalten,  da  sie  zu  den  zweckmässigsten  Mitteln  gehört,  durch 
welche  die  Juden  besser  kontrollirt  werden,  und  mit  der  Zeit  ihre 
Denkungs-  und  Handlungsweise  gebessert  werden  kann. 

Die  mit  abgebrannte  Strassen  der  eigentlichen  Stadt  waren 
eng,  unbequem  und  feuergefährlich,  und  es  ist  nötig,  sie  zu  ver- 
breiten, und  die  darauf  herzustellende  Häuser,  mit  Vermeidung  aller 
Giebelhäuser,  auseinander  zu  bauen. 

Die  Graben  -  Vorstadt  war  eine  dem  Gewerbe  und  der  Kom- 
munikazion  nicht  vorteilhafte  inseif örmige  Anlage  zwischen  dem 
schon  erwähnten  Kanal  und  der  Warthe,  von  der  sie  bei  jedem 
ungewöhnlichen  Wasserstande  durch  Ueberschwemmung  litt;  es  ist 
daher  schon  jetzt  nicht  rathsam,  sie  wieder  herzustellen,  und  wird 
um  so  mehr  unrathsam,  da  Eurer  Königlichen  Majestät  Absicht 
dahin  geht,  das  altländische  Accisesystem  auch  nach  und  nach  in 
Südpreussen  einzuführen.  Ihr  Lokal  wird  künftig  besser  zu  Garten- 
Etablissements,  zum  Packhofe,  zu  dem  darauf  bereits  etablirten 
Holzhofe  und  zu  Kaufmanns- Speichern,  denen  die  Nähe  des  Stroms 
besondere  Bequemlichkeit  gewähren  kann,  zu  benutzen  seyn;  auch 
wird  alsdann  die  sonst  noth wendige  kostbare  Wiederherstellung  und 
Unterhaltung  einer  schon  seit  einiger  Zeit  verfallenen  Brücke  über 
die  Warthe  Behufs  der  Communication  mit  der  jenseits  des  Stroms 
gelegenen  Vorstadt  St  Roch  erspart  werden.  Ich  bin  daher  bei 
Entwerfung    des    Retablissementsplans    davon    ausgegangen,    dass1) 


!)  Am  Rande  der  Vermerk:  „Zu  approbiren,  dagegen  soll  aber  auch  dahin 
gesehen  werden,  das  Judenwesen  in  Posen  auf  den  Fnss  wie  in  den  alten  Landen, 
wenigstens  in  Ansehung  der  einzuschränkenden  Anzahl  derer  Juden,  welche  Häuser 
besitzen  können,  einzurichten,  weil  sonst  allerdings  zu  besorgen  seyn  dürfte,  dass  die 
christlichen  Einwohner  von  ihnen  in  ihrem  Nahrungs-Stande  beeinträchtigt  werden 
würden. 


Der  grosse  Brand  von  Posen  am  15.  April  1803.  157 

die  Juden  nicht  ferner  in  ein  bestimmtes  Viertel  zu  isoliren,  der 
eingeäscherte  Teil  der  eigentlichen  Stadt  zu  erweitern  und  ausein- 
ander zu  bauen,  die  Graben- Vorstadt  mit  den  in  Feuer  aufgegangenen 
Burgerhäusern  nicht  wieder  zu  besetzen,  und  diejenige  Anzahl  der- 
selben, welche  hiernach  nicht  wieder  den  vorigen  Platz  erhalten 
können,  teils  nach  anderen  noch  unbebauten  Stellen  in  der  Stadt, 
teils  nach  einer  neuen  dieser  hinzuzufügenden  Gegend  zu  ver- 
legen sey. 

Die  Zahl  der  abgebrannten  Bürgerhäuser  beläuft  sich  über- 
haupt auf  276;  diese  werden  auch  wieder  herzustellen  seyn. 

Wenn  dem  wieder  zu  bebauenden  Teile  der  Brandstätte  eine 
zweckmässige  Einrichtung  gegeben  werden  soll,  so  werden  die 
darauf  herzustellende  Strassen,  die  grössere  eine  Breite  von  5,  die 
kleinere  von  4  Ruthen,  erhalten  müssen.  Es  wäre  wünschenswerth, 
sie  noch  um  respective  1  Ruthe  mehr  zu  verbreiten;  die  daran 
stossende  noch  bebaute  Strassen  und  die  Notwendigkeit,  den  her- 
zustellenden Strassen  bei  gehöriger  Tiefe  der  Häuser  nicht  zu  viel 
von  dem  nothdürftigen  Hofraume  zu  benehmen,  lassen  solches  aber 
nicht  zu. 

Jeder  neuen  Bürgerstelle  wird  eine  Frontenlänge  von  50  Fuss 
einzugeben  seyn. 

Unter  diesen  Voraussetzungen  können  von  den  eingeäscherten 
376  Wohnhäusern  nur  114  auf  dem  wieder  zu  bebauenden  Teile 
der  Altstadt  Platz  finden;  die  übrige  162  aber  werden  neue  Stellen 
erhalten  müssen. 

Davon  können 

a.  auf  dem  jetzt  wüsten  Sapiehaplatze 7  Stck. 

und  b.  auf  dem  zum  Theile  schon  gut  bebauten  und 
durch  die  noch  hinzuzusetzende  Gebäude  in  eine 
regelmässige  triangulaire  Figur  zu  bringenden 
Platze  bei  der  Bernhardiner  Kirche 4   „ 

zusammen  .    .  11  Stck. 

zu  stehen  kommen.  Die  Bebauung  dieser  in  der  Stadt  belegenen 
Plätze  wird  dieser  zur  Zierde  und  zu  mehrerer  Feuersicherheit 
gereichen.  Der  Bau  der  übrigen  151  Häuser  wird  am  Besten  dazu 
benutzt  werden  können,  der  neuen  Gegend  der  Stadt,  auf  welcher 
die  Wilhelms-  und  einige  andere  neuen  Strassen  schon  angelegt 
sind,  noch  mehr  Ausdehnung  zu  geben,  sie  vollständig  und  regel- 
mässig zu  bebauen  und  dadurch  zu  einer  Vollkommenheit  zu 
erheben,  dass  sie  unter  dem  Nahmen  der  Wilhelmsstadt  ein  wür- 
diges Denkmal  der  landesväterlichen  Huld  der  ersten  Regenten 
aus  dem  königlich  preussischen  Hause  gegen  die  Einwohner  Po- 
sens  werde. 


158  Rodgero  Prümers. 

Zu  diesem  Zwecke  werden  dann 

c.  auf   der   noch   nicht  ganz    bebauten    zweiten 

Seite  der  Wilhelmsstrasse 7  Häuser 

d.  auf  beiden  Seiten  des  Wilhelmsplatzes   ...    8 

e.  auf  der  Berliner  Strasse 31 

f.  auf  einer  neu  durchzuführenden  Strasse *)  vom 
Schauspielhause  bis  St  Martin 6 

g.  auf  der  schon  angelegten  Strasse9}  vom  Schau- 
spielhause nach  Kuhndorff 14 

h.  auf  der  neu  anzulegenden  neuen  Strasse8)  von 
der  Magazinstrasse  nach  der  St.  Martin  Strasse  29 

i.  auf  der  zu  regulirenden  und  zu  verlängernden 
Friedrichstrasse  von   der  Wilhelmsstrasse  ab    6 

k.  auf  der  Strasse4)    von   St  Martin    bis   an  die 

Strasse  zu  den  neuen  Gärten 30 

und  1.  auf  der  zu  verlängernden  Magazinstrasse    .    .  30 


zusammen  .    .  162  Häuser 
zu  errichten  seyn. 

Zur  näheren  Uebersicht  dieses  Plans  lege  ich  einen  Grund- 
Riss  von  dei  Stadt  Posen  bei,  auf  welchem  der  eingeäscherte  Teö 
derselben,  das  darauf  mit  der  gedachten  Strassen -Verbreitung  und 
dem  Häuserauseinanderbau  zu  bewirkende  Retablissement  und  der 
projektirte  weitere  Anbau  der  Wilhelmsstadt  genau  verzeichnet  und 
dargestellt  ist. 

Durch  Ausführung  dieses  Plans  wird  vorzüglich  die  Ausbrei- 
tung entstandener  Feuer  abgewendet,  ausserdem  aber  eine  schon 
mit  gutem  Erfolge  angefangene  Anlage  in  einer  Gegend  zur  Vollen- 
dung geführt,  die  sich  durch  eine  hohe  und  gesunde  Lage  aus- 
zeichnet und  ein  der  künftig  zu  hebenden  Thor-Akzise  vorteilhaftes 
Arrondissement  bewirkt.  Die  dort  anzulegende  Strassen  sind  auf 
die  Breite  von  6  und  respektive  5  Ruthen  berechnet,  die  Bürger- 
stellen, wie  in  der  Altstadt  auf  50  Fuss  Frontenlänge,  die  Tiefe  der 
Häuser  auf  40—45  Fuss,  und  die  Hoftiefe,  welche  in  der  Altstadt  von 
der  Gelegenheit  abhängt,  wenigstens  auf  40  Fuss  angenommen,  mit 
der  Maassgabe,  dass,  wenn  einzelne,  nach  der  Wilhelmstadt  zu  ver- 
legende Bürgerstellen  vormals  mehr  Hofraum  gehabt,  ihnen  ein 
diesem  gleicher  Flächen-Inhalt  zum  Hofe  eingegeben  werden  soll 

Ob  Eure  Königl.  Majestät  diesen  Plan5),  insofern  er  sich  auf 
Veränderung  der  Lokalität   und  Umfang   der   neuen  Bürgerstellen 


J)  Ritterstrasse. 

*)  Theaterstrasse. 

*)  Victoriastrasse. 

<)  St.  Martinstrasse  bis  Petriplatz. 

*)  Am  Rande  der  Vermerk:  Approbirt. 


Der  grosse  Brand  von  Posen  am  15.  April  1803.  159 

erstreckt,  zu  genehmigen  geruhen  wollen,  stelle  ich  Höchstdero- 
Ermessen  und  Entscheidung  in  tiefster  Ehrfurcht  anheim. 

Die  Realisirung  eines  soliden  und  baldigen  Retablissements- 
Baues  kann  aber  überhaupt  ohne  Eurer  Königlichen  Majestät  Unter- 
stützung nicht  erwartet  werden. 

Die  bei  dem  Brande  verunglückte  Eigenthümer  haben  fast 
sämmtlich  alles  das  Ihrige  verlohren;  ihr  Vermögenszustand  kann  nur 
allmählig  mit  ihrem  Gewerbe  wieder  emporkommen.  Uederdem 
haften  auf  den  Grundstücken  vieler  bedeutende  Hypotheken,  die 
ihnen  den  Credit  Behufs  des  Retablissements-Baues  benehmen.  Unter 
diesen  Umständen  ist  ihr  zuversichtliches  Vertrauen  auf  Eurer  König» 
liehen  Majestät  landesväterliche  Huld  und  Milde,  als  einziges  Mitteln 
sie  bei  ihren  Stellen  zu  erhalten  und  ihnen  deren  Wiederbebauung^ 
möglich  zu  machen,  gerichtet. 

Ich  habe  für  den  Wiederbau  der  Häuser  angenommen,  dass 
solche  massiv  von  2  Stockwerken,  und  in  der  Regel  von  40  Fuss 
Tiefe,  aber  nur  mit  eben  der  Hauslänge,  welche  die  abgebrannte 
Wohngebäude,  es  sey  von  den  Strassen  —  oder  insofern  es  Giebel- 
häuser waren,  nach  der  Hofseite  gehabt  haben,  geschehen  solL 
Werden  hierbey  die  50  Fuss  Fronte,  welche  jeder  Bürgerstelle  an- 
zuweisen sind,  nicht  durch  das  Wohnhaus  ausgefüllt,  so  ist  der 
Ueberrest  mit  einem  Thorwege  oder  mit  einer  massiven  Mauer,  die 
künftig  einem  An-  oder  Zwischen-Bau  Platz  machen  können,  oder 
auch  mit  einem  Neben-Gebäude  von  Steinen  und  gefälligem  Ansehen 
zu  besetzen,  sofern  der  Eigenthümer  nicht  etwa  gleich  aus  eigenen 
Mitteln  das  Wohnhaus  auf  die  ganze  Breite  seiner  Stelle  extradiren 
kann  und  will.  Bei  dieser  Bauart  wird  nach  den  beigeschlossenen 
Entwürfen  zu  Normal -Anschlägen  und  Zeichnungen  von  viererley 
Art  zu  einem  einzelnen  Hause  im  Durchschnitt  die  Summe  von 
5000  Rthr.  erforderlich  seyn.  Von  den  abgebrannten  Häusern  sind 
nur  8  bei  der  englichen  Phönix-Societät  versichert  gewesen;  auf 
diese  wird  es  keiner  Bau- Vergütung  bedürfen,  da  die  Versicherungs- 
Summen,  welche  die  Eigenthümer  erhalten,  für  jeden  über  das* 
gedachte  Normal- Anschlags-Quantum  von  5000  Rthr.  betragen.  Die  Zahl 
der  Wohnhäuser,  auf  welche  Bauhülfe  erforderlich,  beläuft  sich  daher 
auf  268  und  das  Normal-Bau-Quantum  für  solche  auf  1,340,000 Rthr. 

Von  Eurer  Königlichen  Majestät  Gnade  wird  es  abhängen,  ob- 
Allerhöchstdieselben  von  dieser  Summe  zur  Beförderung  des  Reta- 
blissementsbaues  40  pro  Cent  mit  536,000  Rthr.  oder  wie  die  Ab- 
gebrannten wünschen  und  schriftlich  bei  mir  nachgesucht  haben,. 
50  pro  Cent  mit  670,000  Rthr.  zu  bewilligen  geruhen  wollen.  Der  in 
ähnlichen  Fällen  übliche  Satz  der  Bauhülfe,  welcher  auch  zuletzt  bey 
Fraustadt  stattgefunden,  ist  zwar  nur  je  40  pro  Cent  gewesen; 
indessen  dürfte  sich  Posen  wegen  der  besonderen  Wichtigkeit  seiner 
Wiedererhebung  vielleicht  nach  Eurer  Königlichen  Majestät  höchstem 


IÖO  Rodgero  Prümers. 

Ermessen  zu  mehrerer  Begünstigung  qualifiziren,  daher  submittire 
ich  allerunterthänigst,  ob  Eure  Königliche  Majestät  die  Abgebrannte 
mit  50  pro  Cent  zu  begnadigen  geruhen  wollen1).  Zugleich  aber 
muss  ich  submissest  auch  noch  dahin  antragen,  dass  Eure  Königliche 
Majestät  a)  zur  Vergütung  des  taxmässigen  Werths  für  den  Grund 
und  Boden,  welcher  zu  den  zu  verlegenden  162  Bürgerstellen  er- 
forderlich ist,  b)  zur  Translokazion  oder  taxmassiger  Bezahlung 
einiger  Behuf«  der  Strassen  -  Erweiterung  in  der.  Altstadt  weg- 
zuschaffenden Gebäude,  c)  zur  Planirung  der  neuen  Strassen, 
d)  zur  Strassenpflasterung  überhaupt,  e)  zu  den  nötigen  öffent- 
lichen Brunnen,  f)  zur  Erbauung  einer  massiven  Kanalbrücke  statt 
der  abgebrannten  hölzernen,  zur  Sicherstellung  der  Kommunikazion 
zwischen  der  Altstadt  und  dem  Graben,  und  zu  den  nötigen  öffent- 
lichen Kanälen,  g)  zu  den  Kosten  für  die  Aufsicht  beim  Retablisse- 
mentsbau  und  zu  anderen  dabey  vorfallenden  Nebenausgaben,  und 
h)  zu  Vermehrung  der  Lösch-Geräthschaften  mit  einer  Prahmspritze, 
die  nach  dem  gemachten  Ueberschlage  erforderliche  Summe  von 
100,000  Rthr.  huldreichst  akkordiren,  wodurch  dann  der  ganze  der 
Stadt  Posen  zu  Hülfe  kommende  Retablissements-Bau-Fonds  bei 
40  pro  Cent  auf  636,000  Rthr.  und  bei  50  pro  Cent  auf  770,000  Rthr. 
zu  stehen  kommen  wird. 

Bei  der  von  Eurer  Königlichen  Majestät  zu  erwartenden  Unter- 
stützung wird  übrigens  das  Retablissement  füglich  innerhalb  vier 
Jahren2)  auszuführen,  und  daher  von  der  Retablissementssumme, 
welche  Eure  Königliche  Majestät  zu  bestimmen  geruhen  werden,  jähr- 
lich ein  Viertel  auf  den  Meliorazionsplan  der  Provinz  zu  brin- 
gen seyn. 

Was  die  übrige,  bei  dem  Retablissementsbau  vorzunehmende 
Regeln8)  betrifft,  so  werden  sie  meines  unvorgreiflichen  Erachtens 
in  Folgenden  bestehen  müssen. 

Niemand,  der  nicht  massiv  bauet  und  sich  in  alle  Anordnungen 
des  Retablissements-Bauplans  willig  fügt,  kann  an  der  Wohlthat  des 
Bau-Benefiz  theilnehmen ;  dieses  erstreckt  sich  auch  in  keinem  Falle 
auf  Hinter-,  Neben-,  Wirtschafts-Gebäude  oder  Befriedigungen,  wenn 
sie  auch  von  Steinen  sind. 

Es  können  zwar  dergleichen  Gebäude  und  Befriedigungen,  wo 
es  der  Raum  erlaubt,  an  die  Strasse  gesetzt  werden,  sie  müssen  aber 
dann  massiv,  von  gefälligem  Ansehen  und  approbirt  seyn. 

*)  Am  Rande  der  Vermerk :  Se.  Majestät  wollen  den  Abgebrannten  50  Proc. 
BauhCÜfsg eider  accordiren  und  zu  den  litt,  a  bis  h  bemerkten  Gegenstanden  100,000  Thx. 
aussetzen. 

*)  Am  Rande  der  Vermerk :  Sr.  Majestät  glauben  nicht,  dass  das  Retablissement  in 
4  Jahren  werde  vollendet  werden  können  und  wollen  daher  die  erforderlichen  770/m  Thl. 
wenigstens  auf  6  Jahre  vertheilen  lassen. 

»)  Am  Rande  der  Vermerk :  werden  sämmtliche  Vorschläge  approbirt  und  wird 
das  darnach  für  die  Commission  zu  entwerfende  Regulativ  zur  Vollziehung  erwartet. 


Der  grosse  Brand  von  Posen  am  15.  April  1803,  161 

Den  Bauenden  ist  es  erlaubt,  mehr  als  zwey  Stockwerk  zu 
bauen,  die  Vergütung  geht  aber  nur  auf  zwei  Etagen. 

Ebenso  ist  es  den  Bauenden  zu  verstatten,  mehr  als  das  Anschlags- 
Quantum,  nicht  aber  weniger  auf  den  Bau  zu  verwenden. 

Die  innere  Einrichtung  der  Gebäude  ist  der  Convenienz  der 
Bauenden,  jedoch  bei  Beobachtung  der  Regeln  der  Feuersicherheit 
und  diesfälhgen  Controlle  zu  überlassen. 

Die  auf  den  Brandstellen  verbliebenen  Steine  werden  den 
vormaligen  Häuser  -  Besitzern  gelassen  und  können  von  denselben 
beim  neuen  Baue  angewendet  werden. 

Den  Bauenden  ist  frey  zu  geben,  Ziegeley-Anlagen  zu  machen 
und  bis  zur  Vollendung  des  Retablissementsbaues  zu  unterhalten; 
sie  müssen  sich  jedoch  der  Revision  der  Steine,  welche  sie  ver- 
fertigen, unterwerfen,  damit  keine  schlechte  und  in  Absicht  des 
Maasses  unrichtige  Steine  gebraucht  werden. 

Ein  jeder  Eigenthümer,  welcher  eine  neue  Bau-  und  Hofstelle 
erhält,  muss,  wenn  diese  grösser  als  seine  vormalige  ist,  für  das 
Uebermaass  taxmässige  Vergütung  an  den  Retablissements-Bau-Fonds 
leisten.  Ist  er  hiezu  nicht  gleich  im  Stande,  so  soll  ihm  Dilazion 
widerfahren,  und  leidliche  Terminalzahlung  von  ihm  angenommen 
werden. 

Eben  so  muss  sich  ein  jeder  Eigenthümer,  welcher  eine  neue 
Bürgerstelle  angewiesen  erhält,  der  verhältnissmässigen  Abgabe- 
Regulirung  unterwerfen;  entstehen  hierdurch  Ueberschüsse,  ausser 
bei  den  Rauchfangsgeldern,  so  fallen  sie  der  Kämmerey  als  neue 
Revenue  anheim. 

Unter  den  Bauenden  ist,  da  das  Retablissement  mehrere 
Jahre  erfordert,  eine  Reihenfolge  zu  reguliren,  und  bei  solcher 
Kaufleuten,  Brauern,  Bäkkern  und  allen  denjenigen,  denen  es  bei 
ihrem  Gewerbe  vorzüglich  auf  Raum  und  feuersichere  Behältnisse 
ankömmt,  der  Vorzug  vor  anderen  zu  geben.  In  der  Concurrenz 
gleichgegründeter  Ansprüche  auf  früheren  Bau  entscheidet  das  Loos. 

Wer  nach  seiner  Reihe  oder  nach  dem  Loose  am  Bauen 
stehet,  muss  sogleich  Zeichnung  und  Anschlag,  wonach  er  bauen 
will,  zu  Revision  und  Festsetzung  einreichen,  zugleich  aber  die 
Mittel  nachweisen,  den  Bau  mit  Hülfe  der  Unterstützungsgelder 
ohne  Unterbrechung  auszuführen.  Kann  er  das  Vermögen  hierzu 
nicht  gleich  darthun,  so  geht  die  Reihe  des  Bauens  auf  den  nächsten 
qualifizirten  Interessenten  des  Bauplans  über. 

Ausser  der  Reihenfolge  des  Bauplans  stehet  denen  zu  bauen 
frei,  die  nicht  auf  Unterstützung  Anspruch  machen.  Auch  diejenige, 
welche  solche  zu  erhalten  wünschen  und  vorschussweise  beschaffen 
können,  kann  der  Bau  zur  Beförderung  des  Retablissements  ausser 
der  Reihe  nachgelassen  werden;  sie  müssen  aber  dann  den  Ersatz 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  ffir  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XIX.  11 


IÖ2  Rodgero  Prümers. 

ihres  Vorschusses  erwarten,   bis  ihre  Reihe  zum  Bauen  planmässig 
eintritt. 

Die  Unterstützungsgelder  sind  den  Bauenden  in  drey  Terminen, 
und  zwar  beim  Anfange  des  Baues,  wenn  das  Haus  unter  Dach  ist, 
und  nach  geschehener  Vollendung  und  Revision  jedesmal  mit  einem 
Dritteile  zu  bezahlen. 

So  wie  die  Bauenden  verbunden  sind,  statt  ihrer  alten  Bürger- 
stellen neue  anzunehmen,  ebenso  sind  die  Eigenthümer  des  Grundes 
und  Bodens,  der  zu  letztern  erforderlich  ist,  verpflichtet,  solche  gegen 
Entschädigung  zum  gemeinen  Besten  abzutreten.  Auch  wenn  dieser 
Grund  und  Boden  streitig  ist,  so  darf  solches  dessen  Abtretung 
nicht  aufhalten.  Die  taxmassige  Entschädigungssumme  ist  aber  dann, 
bis  zu  ausgemachtem  Streite  zwischen  den  Parteien,  gerichtlich 
niederzulegen. 

Die  Entschädigung  für  Ländereien,  welche  zum  Retabüssements- 
bau  zu  überlassen  sind,  geschieht  nach  einer  Taxe,  zu  der  die 
Grundsätze  von  der  Kammer  nach  vorgängiger  Rücksprache  mit 
dem  Magistrat  zu  ermessen  sind.  Die  Bezahlung  der  Entschädigungs- 
gelder wird  sofort  aus  dem  Retablissements-Bau-Fond  geleistet. 

Eigenthümer  von  Gebäuden,  welche  zum  Besten  des  Re- 
tablissementsbaues  und  der  Strassen- Verbreitung  niedergenommen 
werden  müssen,  sind  verbunden,  sich  deren  Translokazion  auf 
Kosten  des  Retablissements-Bau-Fonds  gefallen  zu  lassen,  und  es 
ist  dahin  zu  sehen,  dass  die  Eigenthümer  dabei  in  Absicht  der 
Vorteile  der  Lokalität  nach  Möglichkeit  nicht  verlieren.  Wollen 
selbige  lieber  die  Bezahlung  nach  der  Taxe  dafür  annehmen,  so 
soll  diese  erfolgen. 

Zur  Leitung  der  Retablissements-Bau-Geschäfte  wird  eine 
besondere  Commission  unter  der  Direkzion  der  Kammer  zu  ver- 
ordnen und  zu  solcher  zu  ernennen  seyn: 

i.  Der  Krieges-  und  Steuerrath  von  Timroth, 
a.  Der  Stadt-  und  Polizey-Direktor  Flesche, 

3.  eine  noch  zu  bestimmende  Justiz-Person, 

4.  Der  Polizey-Inspektor  Tatzler  und 

5.  ein  noch  zu  wählender  Bau-Bediente. 

Diese  Commission  erhält  die  besondere  Verpflichtung: 

a.  auf  die  genaueste  Befolgung  des  Retablissementsbauplans 
zu  wachen, 

b.  die  Reinigung  der  Baustellen  zu  besorgen, 

c.  die  Strassen  und  Bürgerstellen  abzustecken  und  anzuweisen, 

d.  für  die  Herbeischaffung  des  Materialienbedarfs  mitzusorgen, 

e.  die  Materialien  in  Absicht  der  Güte  zu  revidiren  und 
schlechte  zu  verwerfen  und 

f.  jährlich  den  Plan  zum  Retablissement  bis  zu  dessen  Vol* 
lendung  zu  entwerfen  und  zur  höhern  Genehmigung  ein- 
zureichen. 


Der  grosse  Brand  von  Posen  am  15.  April  1803.  163 

Die  Commission  hat  ferner  alle  den  Retablissementsbau  be- 
treffende Streitigkeiten  zu  untersuchen  und  von  Polizeiwegen  ohne 
weitläuftige  Förmlichkeiten  nach  den  Umstanden  der  Billigkeit  ge- 
mäss abzumachen. 

Die  höhere  Instanzen  in  dergleichen  Sachen  sind  die  Kammer 
und  das  Provinzial-Finanz-Departement. 

Streitigkeiten,  welche  jura  privatorum  allein  zum  Gegenstande 
haben,  sind  zwar  an  das  ordentliche  Gericht  zu  verweisen ;  indessen 
hat  die  Commission  und  nicht  der  Kläger  das  Forum  zu  wählen. 

Mit  den  Geld-Angelegenheiten  hat  die  Commission  nichts  zu 
thun.  Die  Zahlungen  geschehen  vielmehr  durch  die  Kammer  und 
den  Magistrat,  und  zur  Berechnung  wird  ein  besonderer  Anhang 
zur  extraordinairen  Kämmerei-Bau-Rechnung  gewidmet 

In  Rücksicht  auf  die  Wohlthätigkeit  des  Retablissements-Bau- 
und  Erweiterungs-Planes  und  die  Gnade,  welche  der  Stadt  durch 
<lie  Unterstützung  zu  seiner  Ausführung  widerfährt,  ist  zwar  wohl 
zu  hoffen,  dass  alle,  welche  dabey  speciell  interessiren,  sich  mit 
Willigkeit  in  die  festzusetzende  Prinzipien  fügen  werden.  In- 
dessen ist  es  doch  rathsam,  solche  in  ein  besonderes  Reglement  zu 
fassen  und  diesem  die  Kraft  eines  speciellen  Gesetzes  beizulegen. 
Ich  habe  auch  ein  solches  Reglement  bereits  entworfen,  mich  darüber 
mit  dem  Grosskanzler  von  Goldbeck  in  Correspondenz  gesetzt  und 
bitte  allerunterthänigst  um  die  Erlaubniss,  solches  nach  erfolgter 
höchster  Resoluzion  auf  gegenwärtigen  Bericht  und  nach  geschehener 
Modifikazion  in  Gemässheit  Eurer  Königlichen  Majestät  allergnädigster 
Bestimmungen  zu  Allerhöchstdero  Vollziehung  submissest  vor- 
zulegen. 

Uebrigens  ist  es  sehr  wünschenswerth1),  die  Schindeldächer, 
welche  die  Feuergefährlichkeit  so  sehr  vermehren,  und  auch  bei 
dem  letzten  Brande  zu  Posen  die  weite  Ausbreitung  des  Feuer- 
schadens veranlasst  haben,  gänzlich  aus  dieser  Stadt  zu  entfernen 
und  andern  Orten,  wo  sie  ebenfalls  noch  stattfinden,  hierunter  das 
Beispiel  zu  geben.  Dieses  wird  dadurch  vorzüglich  befördert  wer- 
den, wenn  den  Eigentümern  von  Gebäuden  mit  Schindeldächern 
durch  Unterstützung  der  Reiz  gegeben  wird,  solche  gegen  Ziegel- 
dächer umzutauschen;  denn  die  Kostbarkeit  dieser  ist  unstreitig  der 
Hauptgrund,  der  ihre  Allgemeinheit  hintertreibt 

Jetzt  nach  der  kürzlich  gemachten  traurigen  Erfahrung  von  der 
^Verderblichkeit  der  hölzernen  Dächer  ist  ohne  Zweifel  ein  beson- 
ders günstiger  Zeitpunkt  zu  ihrer  Verminderung,  wenn  dazu  durch 
Bewilligung  eines  Beitrags  zu  den  Kosten  von  Seiten  des  Staats  die 
Hand  geboten  wird. 

Eine  Beihülfe  von  25  pro  Cent  wird  hiezu  genügen,  und  ich 
*wage  es,  diese  für  diejenige  allerunterthänigst  in  Vorschlag  zu  brin- 


J)    Am  Rande  der  Vermerk:    Approbirt. 

11« 


164  Rodgero  Prümers. 

gen,  welche  in  Posen  Ziegeldächer  statt  Schindeldächer  machen 
wollen,  vorausgesetzt,  dass  die  Dachstühle  stark  genug  sind,  um 
jene  zu  tragen.  Nach  dem  Ueberschlage  der  Kammer  wird  der 
Zweck  mit  9000  Rthr.  zu  erreichen  seyn,  und  stelle  Eurer  König- 
lichen Majestät  in  tiefster  Ehrfurcht  anheim,  ob  diese  Summe  inner- 
halb vier  Jahren,  jedesmal  mit  2250  Rthr.,  auf  den  Meliorazions-Plan 
angesetzt  werden  darf. 

Schliesslich  bemerke  ich  noch  allerunterthänigst,  dass  auch  das. 
von  Eurer  Königlichen  Majestät  zur  Errichtung  eines  Hebammen- 
Instituts  im  vorigen  Jahr  erkaufte,  auf  der  Graben-Vorstadt  belegen 
gewesene  Haus,  mit  dessen  Nebengebäuden,  ein  Raub  der  Flammen 
geworden  ist  Der  Wiederaufbau  desselben  wird  ganz  auf  Eurer 
Königlichen  Majestät  Kosten  zu  bewürken  seyn,  die  ich  mir  jedoch,, 
mit  vorgängiger  Vereinigung  mit  dem  Medicinal-Departement,  als- 
dann erst  submissest  in  Antrag  zu  bringen  vorbehalte,  wenn  Riss 
und  Anschlag  von  dem  zu  errichtenden  neuen  Gebäude  aufgenommen 
seyn  werden. 

Original  im  Geh.  Staats- Archiv  zu  Berlin:  Acta  des  Kabinets 
König  Friedrich  Wilhelms  III.  Rep.  89.    Nr.  m  Bl.  16. 

vni. 

Kabinets-Ordre,  betr.  das  Retablissement  der  Stadt  Posen. 
Körblitz,  den  a8.  Mai  1803. 

Mein  lieber  Staatsminister  von  Voss !  Auf  Euern  Bericht  vom 
20.  d.  Mts.  das  Retablissement  des  abgebranndten  Theils  der  Stadt 
Posen  betreffend,  gebe  Ich  Euch  hierdurch  zu  erkennen,  dass 

1.  aus  den  von  Euch  angeführten  erheblichen  Gründen  Ich 
es  genehmigen  will,  dass  die  Juden  nicht  ferner  in  ein  bestimmtes 
Viertel  isolirt  weiden,  überhaupt  aber  der  eingeäscherte  Theil  der 
eigentlichen  Stadt  erweitert  und  auseinander  gebaut,  auch  die 
Grabenvorstadt  mit  den  im  Feuer  aufgegangenen  Bürgerhäusern 
nicht  wieder  besezt,  sondern  diejenige  Anzahl  derselben,  welche 
hiernach  nicht  wieder  den  vorigen  Platz  erhalten,  theils  nach  andern 
noch  unbebauten  Stellen  in  der  Stadt,  theils  nach  einer  neuen  dieser 
hinzufügenden  Gegend  verlegt  werden  kann,  jedoch  müsst  Ihr  nun 
auch,  bey  vorbestimmter  Aufhebung  des  Juden- Viertels,  dahin  sehen,, 
dass  das  Judenwesen  in  Posen  auf  den  Fuss,  wie  in  den  alten 
Landen,  wenigstens  in  Ansehung  der  einzuschränkenden  Anzahl  der 
Juden,  'welche  Häuser  besitzen  können,  eingerichtet  wird,  weil 
sonst  allerdings  zu  besorgen  seyn  dürfte,  dass  die  christlichen  Ein- 
wohner von  ihnen  in  ihrem  Nahrungs-Stande  beeinträchtigt  werden 
würden. 

2.  Ich  es  bey  den  angezeigten  Umständen  zweckmässig  und 
not  h wendig  finde,  dass  von  sämtlichen   abgebrandten  276  Bürger- 


Der  grosse  Brand  von  Posen  am  15.  April  1803.  165 

Häusern  nur  114  auf  den  wieder  zu  bebauenden  Theil  der  Alt- 
stadt Platz  erhalten,  die  übrigen  162  aber  auf  die  von  Euch  ge* 
nannten  in  dem  Euch  nebst  den  Normal- Anschlägen  und  Zeichnungen 
bereits  zurückgesandten  Grundriss  verzeichneten  Stellen  gesezt  und 
sämtliche  Häusser  massiv  von  zwey  Stockwerken  zu  50  Fuss 
Fronten-Länge  und  40  bis  45  Fuss  Tiefe  erbaut,  hiernächst  auch 
<lie  Strassen  in  dem  zu  bebauenden  abgebrandten  Theile  der  Stadt; 
zu  respective  5  und  4  Ruthen,  in  dem  neu  zu  bebauenden 
Theile  aber   zu  respective  6  und  5  Ruthen  breit  angelegt  werden. 

3.  In  Ansehung  der  Unterstützung  zum  Bau  der  abgebrandten 
Häuser  Ich  nach  Abzug  der  acht  in  der  Phönix-Societät  versicherten 
Häuser  zu  den  übrigen  268  Häusern  auf  die  dazu  erforderlichen, 
in  Verhältniss  des  Normal-Anschlags-Quanti  von  5/m  Thalern  für 
ein  Haus,  zu  überhaupt  1,340,000  Thalern  angenommene  Kosten, 
Fünfzig  Prozent  Bauhülfsgelder  mit  670,000  Thalern   und  hiernächst 

a)  zur  Vergütigung  des  taxmässigen  Werthes  für  den  behufs 
der  zu  verlegenden  Bürgerhäuser  abzutretenden  Grund  und  Boden, 

b)  zur  Bezahlung  einiger  Behufs  der  Strassen-Erweiterung 
in  der  Altstadt  wegzuschaffenden  Gebäude, 

c)  zur  Planirung  der  neuen  Strassen, 

d)  zur  Strassenpflasterung  überhaupt, 

e)  zu  den  nöthigen  öffentlichen  Brunnen, 

f)  zu  Erbauung  einer  massiven  Kanal-Brücke  zwischen  der 
Altstadt  und  dem  Graben  und  zu  den  nöthigen  öffentlichen  Kanälen, 

g)  zu  den  Kosten  für  die  Aufsicht  beym  Retablissements-Bau 
und  den  dabey  vorfallenden  Neben- Ausgaben,  und  endlich 

h)  zur  Vermehrung  der  Lösch- Anstalten  mit  einer  Prahmspritze 
noch  überhaupt  die  Summe  von  100,000  Thalern  accordiren  will, 
so  dass  jedoch  die  hiernach  erforderlichen  770,000  Thaler,  da  Ich 
nicht  glaube,  dass  das  Retablissement  in  4  Jahren  wird  vollendet 
werden  können,   auf  wenigstens  6  Jahre    vertheilt  werden  sollen. 

4.  was  die  übrigen  bey  dem  Retablissements-Bau  anzunehmen- 
den Regeln  betriff  Ich  sämtliche  von  Euch  deshalb  gemachten 
Vorschläge,  ingleichen  die  Anordnung  einer  besonderen  Commission 
2tur  Leitung  der  Retablissements-Bau-Geschäfte  in  der  angezeigten 
Art,  approbiren,  und  daher  das  darnach  für  die  Commission  zu  ent- 
wertende Regulativ  zu  seiner  Vollziehung  gewärtigen  will,  so  wie 
Ich  denn  auch 

5.  die  Begünstigung  des  Baues  der  Ziegeldächer  statt  der  bis« 
berigen  Schindeldächer  rathsam  finde,  daher  auch  denjenigen, 
welche  dergleichen  in  Posen  statt  der  Schindeldächer  machen 
wollen,  eine  Beyhülfe  von  25  Procent  bewilligen,  die  zu  dem 
Ende  nöthigen  zu  9000  Thalern  angegebene  Kosten  aber,  inner- 
halb vier  Jahren,  jedesmal  mit  2250  Thalern  auf  den  Meliorations- 
Plan  accordiren,  und  endlich 


l66  Rodgero  Prümers. 

6.  wegen  des  auf  der  Graben- Vorstadt  mit  sämtlichen  Neben- 
gebäuden abgebrandten,  ganz  auf  Meine  Kosten  zu  erbauendem 
Hebammen-Instituts  Eure  weiteren  Anträge,  nach  geschehener  Ver- 
einigung mit  dem  Medicinal-Departement,  unter  Einsendung  des. 
Risses  und  Anschlags  erwarten  will,  so  dass  Ihr  nunmehr  überall 
hiernach  die  weiter  nöthigen  Verfügungen  treffen  könnt.  Ich  bin 
Euer  wohl  affectionirter  König. 

Original  im  Geh.  Staats- Archiv  zu  Berlin,  General-Direktorium, 
Südpreussen,  Ortschaften.    Nr.  1645  Vol.  3  Bl.  1. 

IX. 
Der  Justizminiater  v.  Goldbeck  rät,  vor  Enteignung  der  Grundstücke 
zunächst  in  Güte  mit  den  früheren  Eigentümern  zu  verhandeln. 
Berlin,  den  30.  Juli  1804. 
Ew.  Excellenz  haben  mir  vermittelst  Dero  geehrtestei> 
Schreibens  vom  19t«?  d.  M.  einen  Bericht  der  Posenschen  Krieges- 
und Domainen-Kammer  mitzutheile  geruhet,  um  meine  Meinung: 
über  die  von  den  Referenten  in  Antrag  gebrachte  Declaration  des 
§  9  des  für  Posen  ernannten  Retablissements-Reglements  zu  ver- 
nehmen. Dero  mir  zugleich  eröfnetes  Sentiment  gehet  dahin,  dass, 
da  es  an  sich  gleichgültig  sey,  ob  Grundstücke  von  ihren  bisherigen 
Eigentümern  zur  Erweiterung  der  Strasse  oder  zu  Bauplätzen  für 
die  abgebrannten  Einwohner  abgetreten  werden,  nach  der  Bestim- 
mung des  §  12  verfahren  werden  könne,  ohne  dass  es  einer 
nähern  Erklärung  des  Reglements  bedürfe.  Darin  bin  ich  nun  zwar 
mit  Ew.  Excellenz  vollkommen  einig,  dass  über  eine  Abtretung  von 
der  Art,  wie  der  §  9  solche  annimmt,  ebenfalls  kein  Prozess  oder 
sonstige  Weitläufigkeit  gestattet  werden  kann;  da  indessen  der 
§  9  ausdrücklich  verordnet,  dass  bevor  via  facti  verfahren  wird,  der 
Versuch  gemacht  werden  soll,  die  Abtretung  in  Güte  zu  regulären, 
und  es  doch  eine  unnöthige  und  um  so  drückendere  Härte  scheinen 
möchte,  wenn  dieser  Versuch  ganz  bey  Seite  gesetzt  werden  sollte, 
so  stelle  ich  ergebenst  anheira,  ob  Dieselben  nicht  die  Cammer  an- 
zuweisen geruhen  wollen,  die  gütliche  Verhandlung  mit  dem  Eigen- 
tümer des  abzutretenden  Platzes  der  Reguürung  der  Sache  nach 
den  festgesetzten  Principien  vorangehen  zu  lassen.  Dieser  Versuch 
der  Güte  kann  nur  eine  unbedeutende  Zeit  wegnehmen,  indemv 
wenn  die  Tax-Principien,  wonach  die  Vergütigung  geleistet  wird* 
öffentlich  bekannt  sind,  und  die  abzutretende  Plätze  nach  einem 
gewissen  Maasse  bestimmt  werden,  dieses  Maass  aber  ebenfalls 
seine  Taxe  hat,  beyde  Theile  wissen,  was  sie  respective  zu  er- 
warten und  zu  leisten  haben.  Lässt  der  Eigenthümer,  der  ihm  zu 
machenden  Bedeutungen  ungeachtet,  von  seiner  übertriebenen  Forde- 
rung nicht  ab,  so  werden  die  Verhandlungen  abgebrochen,  und  ihm 
der  Fundus  abgenommen.    Bey  diesem  Verfahren  wird,  bey  einem 


Der  grosse  Brand  von  Posen  am  15.  April  1803.  167 

unbedeutenden  Zeitaufwande,  die  Sache  weniger  gehässig  er- 
scheinen, als  wenn  man  auch  bey  billigen  Eigentümern  mit  deren 
Exmission  den  Anfang  machen  wollte,  ohne  sie  einmal  zu  befragen, 
und  ich  glaube  daher,  dass  diese  Form  um  so  mehr  zu  beobachten 
seyn  dürfte,  als  jeder  Zwang  auch  pro  bono  publico  schon  an  sich 
etwas  Widriges  hat.  Was  nun  die  Berichtigung  des  Besitztitels 
von  den  ihren  bisherigen  Eigentümern  abgenommenen  Baustellen 
anbelangt,  so  habe  ich  der  Posenschen  Regierung  aufgegeben,  nach 
erfordertem  Berichte  des  dortigen  Stadtgerichts  Vorschlage  zu  thun, 
wie  diese  Sache  auf  die  kürzeste  und  sicherste  Art  zu  reguliren 
seyn  dürfte,  nach  deren  Eingang  ich  nicht  ermangeln  werde,  mit 
Ew.  Excellenz  mich  deshalb  näher  zu  concertiren. 

Original  im  Geh.  Staats- Archiv  Berlin :  Gen.  Dir.,  Südpr.,  Ort- 
schaften Nr.  1645  Vol.  7. 

x. 

Die  Kriegs-  und  Domänenkammer  zu  Posen  berichtet  an  das  General- 
Direktorium  Ober  die  Art  der  Verlosung  der  Bauplätze  in  Posen. 
Posen,  den  a8.  August  1804. 
Ew.  Königlichen  Majestät  Südpreuss.  Departements-Chef  haben 
während  dessen  leztern  Anwesenheit  hieselbst  auf  unsern  münd- 
lichen Vortrag  in  Absicht  der  Grundsätze,  welche  bey  Vertheilung 
der  Retablissements-Bauplätze  in  der  hiesigen  Neustadt  beobachtet 
werden  sollen,  zu  bestimmen  geruhet,  dass  er  künftighin,  um  allen 
Beschwerden  so  wie  dem  Schein  von  Partheylichkeit  und  Begünstigung 
möglichst  zu  begegnen,  bey  Verlosung  der  Retablissements-Bau- 
plätze verbleiben,  jedoch  dahin  gesehen  werden  solle,  dass  die 
Ouvriers,  Handel  und  Gastwirthschafttreibenden  Personen  in  allen 
Gegenden  der  Alt-  und  Neu-Stadt  möglichst  vertheilt  werden,  dass 
selbige  die  für  sie  schicklichsten  Stellen  erhalten  und  dass  dem 
Bauenden  nach  Vorschrift  des  Retablissements-Bau-Reglements  die 
Vortheile,  welche  mit  ihren  vormaligen  Grundstücken  verbunden 
gewesen,  so  viel  es  die  Umstände  zulassen,  wieder  zugewandt 
werden.  In  Gemässheit  dieser  Bestimmung  haben  wir  das  dieser- 
halb  Erforderliche  an  die  Retablissements-Bau-Commission  unterm 
14.  Juny  c.  erlassen  und  derselben  zugleich  aufgegeben,  für  die- 
jenigen Personen,  bey  welchen  nach  Bestimmung  des  gedachten 
Reglements  in  Absicht  der  Anweisung  der  Bauplätze  besondere 
Rücksicht  genommen  werden  muss,  besondere  Gassen  der  Ver- 
losung zu  constituiren,  allen  übrigen  Retablissements-Bauenden  aber, 
welche  nicht  individuelle  Umstände  begünstigen,  ihre  Baustellen 
durch  die  allgemeine  Verlosung  ohne  Unterschied  anzuweisen.  Die 
Commission  hat  nun  unterm  18.  d.  M.  dagegen  vorgestellt,  dass  nach 
ihrer  Meinung  nur  die  ehemalige  Lage  des  abgebrannten  Grund- 
stücks   bestimmen    könne,     in    welche    Ciasse     der    Eigenthümer 


l68  Rodgero  Prümers. 

desselben  bey  Verlosung  der  Baustellen  in  der  Neustadt  gelangen 
solle,  und  dass  das  Gewerbe  oder  die  sonstige  Eigenschaft  des 
Eigenthümers  gar  nicht  zu  berücksichtigen  sey,  da  derjenige,  der 
von  den  Einkünften  eines  Hauses  in  der  Breiten  Strasse  gelebt 
habe,  ohne  irgend  einen  andern  Erwerbszweig  gehabt  zu  haben,  die 
gerechtesten  Ansprüche  machen  könne,  dass  er  in  der  besten 
Gegend  der  Neustadt  um  eine  Baustelle  loosen  dürfe.  Dahingegen 
der  Kaufmann  aus  der  entlegenen  Hölzernen  oder  Nassen  Gasse  zu- 
frieden seyn  müsse,  wieder  in  den  entlegenen  Gegenden  der  Neu- 
stadt zu  loosen.  Von  diesem  Gesichtspunkte  ausgegangen  hat  die 
Commission  zwey  Classen  gemacht  und  zur  ersten  Classe  die  Breite 
Strasse,  grosse  Judenstrasse,  Gerbergasse,  Schlosser-  und  Messer- 
schmidsgasse  und  den  Graben,  zur  zweiten  Classe  aber  die  übrigen 
kleinen  Gassen  gerechnet.  In  der  Neustadt  ist  dieselbe  gesonnen, 
die  Interessenten  der  ersten  Classe  in  dem  Theile,  welcher  von  der 
neuen  Berliner  und  Friedrich-Strasse  anfängt,  .bis  inclusive  der 
beiden  nach  St.  Martin  führenden  Strassen  und  in  dem  Theile  der 
Fischerey,  welcher  von  dem  projectirten  freyn  Platze  bis  zur 
Strasse  nach  dem  Carmeliter  Kloster  belegen  ist,  loosen  zu  lassen, 
wo  dann  für  die  zweyte  Classe  der  übrige  Theil  der  neuen  Langen 
Gasse  durch  die  Fischerey  bis  in  die  Neuen  Gärten  und  von  dort 
die  neuen  Communications-Strassen  mit  St.  Martin  verbleiben  würde. 

Damit  keiner  der  Abgebrannten  für  den  andern  praegravirt 
werde,  hält  es  die  Commisssion  für  noth wendig,  dass  jetzt  alle  Ab- 
gebrannte um  ihre  Plätze  auf  einmal  loosen,  damit  ein  jeder  wieder 
ein  Eigenthum  erhält  und  sich  wenigstens  ein  Hinterhaus  bauen 
kann,  um  den  theuren  Miethen  zu  entgehen  und  in  Ruhe  sein  Ge- 
werbe zu  betreiben.  Um  dieses  ausführen  zu  können,  wird  die  Com- 
mission bestimmt  ausmitteln,  was  ein  jeder  von  den  Eigen thümern 
derjenigen  Grundstücke,  welche  in  der  zu  bebauenden  Gegend  be- 
legen sind,  abtreten  muss,  und  hat  dazu  bereits  die  Einleitung  ge- 
troffen, befürchtet  zwar  viele  Widersprüche  von  den  Eigenthümern 
jener  Gegenden,  hoft  jedoch,  dass  sie  zum  Besten  der  hiesigen  Ab- 
gebrannten hierunter  bestens  werde  unterstützt  werden,  damit 
durch  eigensinnige  Widersprüche  einzelner  Eigenthümer  das  Ganze 
nicht  leide. 

Wir  müssen  hierunter  ganz  dem  Sentiment  der  Retablissements- 
Bau-Commission  beitreten  und  submittiren  Ew.  Königl.  Majestät  bey 
Ueberreichung  eines  Situations-Plans  von  der  verlängerten  Friedrichs 
Strasse  bis  zum  neuen  Markte  allerunterthänigst,  ob  nach  dem  An- 
trage der  Commission  nicht  auch  ein  Theil  des  Juden-Begräbniss- 
platzes, welcher  an  dieser  Strasse  belegen  ist,  jetzt  schon  zu  Bau- 
stellen in  der  Art  genommen  werden  dürfte,  als  der  Plan  dieses 
näher  ausweiset.  Diese  Gegend  und  die  Abgebrannten  würden  sehr 
viel   dadurch  gewinnen,   und  da  auf    diesen  Theil   des  Kirchhofes 


Der  grosse  Brand  von  Posen  am  15.  April  1803.  169 

schon  lange  kein  Todter  mehr  beerdigt  worden  ist,  so  würde  auch 
diese  Massregel  nicht  unbillig  seyn,  und  das  durch  keine  Vernunft- 
Gründe  zu  besiegende  Vorurtheil  der  Juden  wohl  keine  Rücksicht 
verdienen. 

Ew.  Königl.  Majestät  allweisesten  Ermessen  stellen  wir  die 
allerhöchste  Entscheidung  wegen  dieser  Vorschlage  submissest  an- 
heim  und  bitten  um  baldige  huldreiche  Resolution  und  Zurückferti- 
gung des  beigehenden  Plans  allerunterthänigst. 

Original  im  Geh.  Staats- Archiv  zu  Berlin:  Gen.  Dir.,  Süd- 
preussen,  Ortschaften  Nr.  1645  Vol.  8. 

Die  Vorschlag«  worden  genehmigt,  jedoch  mit  der  Weisung,  „dass  der  Juden- 
kirchhof vor  der  Hand  noch  nicht  bebauet  werden  sollte". 

XL 

Gutachten  des  Juaticmlnliters  v.  Goldbeck  über  die  Neuregulierung 
des  Hypothekenwesens  in  der  Stadt  Posen.  Berlin,  d.  14*  Dxember  1804. 

Es  ist  nunmehro  der  Bericht  der  Regierung  zu  Posen,  mit  dem 
Gutachten  des  dortigen  Stadtgerichts,  betreffend  die  Regulirung  des 
Hypothekenwesens  von  den  in  der  Stadt  abgebrannten  und  nicht 
an  der  alten  Stelle  zu  retablirenden  Häuser  eingegangen.  Nachdem 
die  Sache  sorgfältig  erwogen  und  mehrere  Neben  Akten  adhibirt 
worden  sind,  gebe  ich  mir  die  Ehre,  Ew.  Fxcellenz  in  den  Original 
Anlagen  den  gedachten  Bericht  nebst  dem  Gutachten  sub  voto  re- 
missionis  mitzuteilen  und  Denenselben  meine  Meinung  zu  eröfnen, 
nach  welchen  Grundsätzen  die  Sache  am  kürzesten  und  sichersten 
zu  reguliren  seyn  dürfte,  wobey  ich  jedoch  des  zu  beobachtenden 
Verfahrens,  in  Rücksicht  dessen  ich  bey  dem  Vorschlagen  des 
Stadtgerichtes  wenig  zu  erinnern  finde,  nur  zum  Teil  gedenken  und 
mich  vorzüglich  nur  auf  Materialia  einlassen  werde. 

Die  zu  etabiirenden  abgebrannten  Häuser  sind  von  f  ünf  erley 
Art:  1,  die  auf  dem  Graben,  welche  nur  auf  eigne  Kosten  des 
Eigenthümers  oder  dessen  Cessionarii  auf  der  alten  Stelle  retablirt 
werden.  2,  diejenigen  der  abgebrannten  Graben  Häuser,  welche 
mit  Königlichen  Bauhülfs  Geldern  in  der  sogenannten  Neustadt  eta- 
blirt  werden.  3,  die  in  der  Altstadt  abgebrannten,  welche  auf  der 
alten  Stelle,  es  sey  auf  dieser  allein  oder  zum  Teil  auch  auf  einem 
anderen  Platze,  wieder  erbaut  werden.  4,  die  auf  der  Altstadt  ab- 
gebrannten, welche  auf  eine  andere  Stelle  der  Altstadt  zu  stehen 
kommen,  und  5,  diejenigen  derselben,  welche  auf  der  Neustadt 
retablirt  werden. 

So  weit  die  abgebrannten  Häuser  von  dem  vorigen  Eigen- 
thümer  ganz  auf  eigne  Kosten  oder  mit  Hülfe  Königlicher  Baugelder 
auf  der  alten  Stelle  retablirt  werden,  hat  die  Sache  kein  Bedenken; 
die  alten  Hypotheken  und  Reallasten  revivisciren  und  ruhen  auf 
dem  neuen  Gebäude,  wie  vorher  auf  dem  alten. 


170  Rodgero  Prümers. 

Schwüriger  aber  sind  die  Fälle  zu  reguliren,  wenn  der  alte 
Eigenthümer  seine  Stelle  verkauft  und  nicht  selbst  bebaut,  und  wenn 
er  das  abgebrannte  Haus  an  einer  andern  Stelle,  sey  es  er  selbst 
oder  sein  Cessionarius,  retablirt. 

Hier  kommen  folgende  Fragen  zu  entscheiden  vor:  1)  Muss 
der  Käufer  der  Brandstelle,  der  sie  bebaut,  für  alle  vorher  auf  der- 
selben gehaftete  Hypotheken  gerecht  werden  ?  und  ruhen  diese  auch 
auf  dem  von  ihm  darauf  erbauten  Hause?  2)  Können  sich  die  Real- 
gläubigen desjenigen,  der  einen  Fundum  in  der  sogenannten  Neustadt 
gutwillig  oder  gezwungen  hergiebt,  damit  darauf  Strassen  angelegt  und 
die  in  der  Altstadt  oder  auf  dem  Graben  abgebrannten  Häuser  re- 
tablirt werden,  wegen  ihrer  ganzen  Forderungen  an  einem  oder 
mehrern  von  denen,  welchen  ein  einzelner  Bauplatz  des  verhafteten 
Fundi  angewiesen  wird  oder  auf  dem  darauf  errichteten  Gebäude 
halten?  welche  Frage  auch  dann  vorkömmt,  wenn  ein  Teil  des 
Bauplatzes  in  der  Altstadt  oder  der  ganze  Platz  eines  Abgebrannten, 
der  sein  Haus  auf  der  Neustadt  retablirt,  andern,  die  in  der  Altstadt 
bauen,  überlassen  will.  3)  Können  die  Realgläubigen  eines  ab- 
gebrannten Haus-Eigenthümers,  der  sein  Haus  auf  einer  neuen  Stelle 
selbst  retablirt,  verlangen,  dass  ihre  Forderungen  auf  das  neue 
Haus  übertragen  werden  oder  können  sie  sich  nur  vi  juris  realis  an 
der  abgebrannten  Stelle  halten? 

Die  analogische  Anwendung  der  Rechte  in  diesem  Falle,  würde 
das  Retablissement  der  Stadt  sehr  aufhalten,  zum  Teil  ganz  vereiteln 
und  eine  völlige  Ungewissheit  und  grosse  Schwürigkeiten  herbei- 
führen, dahero  ich  folgende  Principia  etabliren  würde,  wobey  ich 
davon  ausgehe,  dass  1)  die  Käufer  der  Baustellen  auf  alle  Weise 
sicher  gestellt  werden,  um  ohne  Bedenken  Plätze  zu  acquiriren,  und 
2)  nach  einer  auffallenden  Billigkeit  die  Realgläubiger  dererjenigen 
Grundstücke,  welche  pro  bono  publico  den  Eigentümern  abge- 
zwungen werden,  befriediget  und  sicher  gestellt  werden  müssen. 


Die  Realgläubigen  desjenigen,  welcher  den  abgebrannten  Platz 
selbst  nicht  bebaut,  auch  sein  Haus  nicht  auf  der  Neustadt  auf  einer 
andern  Stelle  retablirt,  sondern  den  alten  Platz  oder  das  Recht, 
Bauhülfsgelder  an  seiner  Stelle  zu  fordern,  an  einen  andern  abtritt 
oder  verkauft,  können  sich  nur  an  dem  Kaufgelde,  welches  der 
Käufer  oder  Cessionarius  erlegt,  halten,  und  ihnen  steht  es  nur  frey, 
binnen  4  Wochen  das  Verkaufsrecht  (!)  auszuüben,  wenn  ihre  For- 
derungen durch  das  Kaufgeld  nicht  vollständig  gedeckt  werden,  und 
sollen  sie  zu  dessen  Ausübung  gerichtlich  aufgefordert  werden,  wenn 
sich  aus  dem  Hypotheken  Buche  ergiebt,  dass  ihre  Forderungen 
nicht  gedeckt  werden. 

Dieses  Recht  steht  nur  denjenigen  Gläubigern  zu,  welche  einen 
Ausfall  leiden. 


Der  grosse  Brand  von  Posen  am  15.  April  1803.  17* 

Wer  ohne  diese  Aufforderung  der  eingetragenen  Gläubiger 
dem  Eigenthümer  Zahlung  für  den  Platz  oder  das  Recht  leistet, 
muss  es  sich  selbst  beimessen,  wenn  er  bey  der  persönlichen  Un- 
sicherheit des  Verkaufers  den  Gläubigern  für  den  Ausfall  ihrer  ein- 
getragenen Forderungen,  soweit  sein  Kaufgeld  reichte,  gerecht 
werden  muss.  Ohne  den  Creditoren  dieses  Verkaufsrecht  (!)  einzu- 
räumen, würden  sie  in  vielen  Fällen  hintergangen  werden. 


Die  Retablissements-Bau-Commission  zahlt  die  principien- 
mässigen  Kaufgelder  für  die  Plätze,  welche  sie  zu  Strassen  oder 
neuen  Baustellen  auf  der  Neustadt  acquirirt,  zum  Deposito  des 
Stadtgerichts,  von  wo  aus  sie  dem  Eigenthümer  ausgehändiget  werden, 
oder  die  Sache  mit  den  Real- Creditoren  nach  dem  Vorschlage  des 
Stadtgerichts  regulirt  wird. 

Dieses  geschieh  et  cum  effectu  einer  gänzlichen  Liberation  des 
Fundi  von  allen  vorher  darauf  gehafteten  Lasten,  so  dass  davon 
keine  auf  die  Commission  oder  die  auf  diesen  Platz  angewiesene 
Baustellen  übergehen. 

(Der  Vorschlag,  dass  die  Commission  den  etwanigen  Ausfall 
der  Real-Schulden  übernehme,  scheint  mir  ganz  unbegründet  zu 
seyn,  da  ich  mit  Gewissheit  voraussetzen  zu  können  glaube,  dass 
diese  Plätze  so  gut  bezahlt  werden,  dass  kein  Gläubiger,  der  vorher 
darauf  Geld  lieh,  einen  höhern  Preis  erwarten  durfte.  Es  würde 
dieses  auch  wahrscheinlich  manchen  Betrug  veranlassen). 

3. 
Eben   so  wie  ad.  2.  wird  es  auch  mit  den  Brandstellen  der 
Altstadt,  die  nicht  mit  eigenen  Häusern  bebaut,  sondern  zu  andern 
abgetreten  werden,  zu  halten  seyn. 


Der  Vorschlag,  dass  die  in  der  Altstadt  und  auf  dem  Graben 
abgebrannten  Hauseigentümer,  welche  Plätze  zum  Bau  in  der 
Neustadt  angewiesen  erhalten,  die  auf  ihren  Brandstellen  haftenden 
Realschulden  und  Lasten  auf  die  an  dem  neuen  Orte  erbauten 
Häuser  mit  herüber  nehmen  sollen,  ist  wohl  nicht  für  rechtlich  be- 
gründet anzunehmen.  Es  ist  ein  blosser  Glücksfall,  dass  Königliche 
Baugelder  gegeben  werden,  und  ein  jeder  Creditor,  welcher  auf 
diese,  in  keiner  Feuer-Casse  versicherte  Häuser  Geld  lieh,  konnte 
nichts  anderes  vorhersehn,  als  dass,  wenn  sie  abbrannten,  ihm  zu 
seiner  Sicherheit  nur  der  Bauplatz  und  die  persönliche- Zahlbarkeit 
des  Eigentümers  übrig  bleibe.  Beyde  Sicherheiten  hat  er  auch 
jetzt.  Indessen  habe  ich,  da  die  Bauhülfsgelder  fürs  allgemeine 
Beste    und    nicht   wegen   der   Person   des    Bauenden    hergegeben 


172  Rodgero  Prümers. 

werden,  (nichts  dagegen,  wenn  gesetzlich  bestimmt  werden  soll)  l), 
dass,  im  Fall  die  Realer editoren  des  abgebrannten  Hauses  darauf  an- 
tragen, ihre  Forderungen  auf  das  in  der  Neustadt  erbaute  Haus 
übertragen  werden,  jedoch  dergestalt,  dass  sie  den  Gläubigern, 
welche  das  Geld  zur  Anschaffung  des  Bauplatzes  und  zum  Bau 
selbst  hergeben,  nachstehen,  also  nur  auf  residuum  Anspruch 
behalten. 

Hieraus  kann  kein  Nachteil  entstehen,  denn  gedeckt  sind  der- 
gleichen Creditoren  immer  nur  bei  solchen  Schuldner,  der  wohl- 
habend und  persönlich  sicher  ist. 

5- 

Was  nun  die  Verfahrungsart  anbetrifft,  so  (fahrt  nach  meiner 
Meinung  der  Vorschlag  des  Stadtgerichtes,  dass  die  Retablissements- 
Bau-Commission  über  die  Plätze,  welche  sie  auf  der  Neustadt  zu 
Strassen  und  neuen  Bauplätzen  acquirirt,  mit  dem  bisherigen  Eigen- 
thümer  förmliche  Verträge  gerichtlich  abschliessen  oder  verlautbare, 
zu  grossen  Weitläuftigkeiten,  und  (ich  halte)1)  ein  Attest  (dieser)  *) 
Commission,  dass  der  zu  beschreibende  und  nach  einer  Nummer 
oder  sonst  genau  zu  bezeichnende  Platz  von  dem  N.  N.  reglements- 
mässig  acquirirt  und  dem  N.  N.  zum  Retablissement  seines  ab- 
gebrannten Hauses  angewiesen,  auch  von  ihm  bezahlt  worden,  (für) 
hinreichend,  um  den  Besitztitel  für  den  neuen  Acquirenten  zu  be- 
richtigen. Hat  er  die  Zahlung  des  Kaufgeldes  für  den  Platz  an  die 
Commission  noch  nicht  geleistet,  so  kann  in  das  Attest  gesetzt 
werden,  dass  dieses  noch  nicht  geschehen  und  ieh?  locus  im 
Hypotheken-Buche  für  die  zu  benennende  Summe  des  Kaufgeldes 
reservirt  werde.  Ich  setze  indessen  hiebey  voraus,  dass,  wie  es 
das  Reglement  vorschreibt,  die  Retablissements- Commission  mit 
einem  Justizbedienten  versehen  sey,  damit  ein  solches  Attest  ge- 
richtlichen fidem  habe. 

(Wenn  Ew.  Excellenz  mit  diesem  Sentiment  einig  seyn  sollten, 
worüber  ich  mir  eine  bald  gefällige  Erklärung  ganz  ergebenst  er- 
bitte; so  würden  diese  Principia,  da  sie  die  Gesetze  abändern,  er- 
weitern und  zum  Teil  neue  Gesetze  sind,  Seiner  Königlichen  Majestät 
zur  Genehmigung  vorzulegen  und  mit  den  aufgestellten  Gründen  zu 
motiviren  seyn,  und  stelle  ich  zugleich  ergebenst  anheim,  ob  Ew.( 
Excellenz  zur  Beschleunigung  der  Sache  diesen  Bericht  gleich  zu 
meiner  Mitzeichnung  geneigt  entwerfen  lassen  wollen. 

Noch  muss  ich  der  Juden  gedenken,  wovon  in  den  anliegen- 
den Berichten  sehr  viel  verhandelt  ist. 

Da  die  Judenstadt  auseinandergerissen  wird,  und  die  für  die 
Juden  zu  retablirenden  Häuser  mit  den  christlichen  vermischt  werden, 


l)  In  Rücksicht  auf  die  Klammer  ist  am  Rande  hinzugefügt :   so  wird  festgesetzt. 

*)  Dfl.:    ist 

*)  Dg-1:    der  Retablissements-Bau- 


Der  grosse  Brand  von  Posen  am  i$.  April  1803.  173 

so  wäre  es  schon  deshalb  und  aus  andern  Gründen  noch  mehr  zu 
wünschen,  dass  das  Hypothekenwesen  aller  Judenhäuser  dem  Stadt- 
Gerichte  übertragen  würde. 

Die  Juden  in  Posen  haben  bekanntlich  ihre  eigene  Juris- 
diction, welche  bey  der  Occupation  anerkannt  worden  ist.  Es  sind 
schon  Versuche  gemacht  worden,  sie  der  Gerichtsbarkeit  des  Stadt- 
gerichts zu  unterwerfen.  Sie  schienen  dazu  einmal  nicht  abgeneigt 
zu  seyn,  wenn  sie  die  500  Rthr.,  welche  sie  zur  Salarirung  des 
Judengerichtes  jährlich  zahlen,  nicht  mehr  erlegen  dürften.  Bey 
dem  geringen  Unterhaltungs-Fonds  des  Stadtgerichtes  konnte  hier- 
auf nicht  entriret  werden,  und  in  der  Folge  verlangten  sie  unmittel- 
bar unter  der  Regierung  zu  stehn  und  leiteten  diesen  Anspruch 
aus  ihrem  Verhältnisse  gegen  den  Woiwoden  zu  Pohlnischen  Zeiten 
her,  welches  aber  keine  Anwendung  leidet. 

Mit  diesem  Antrage  wurden  sie  also  abgewiesen,  und  da  sie 
ausdrücklich  dagegen  protestirten,  dem  Stadt-Gerichte  unterworfen 
zu  werden,  so  wurden  sie  beschieden,  dass  es  bey  der  jetzigen 
Verfassung  bleiben  müsse). 

6. 

Da  (indessen)1)  das  Judengericht  bisher  das  Hypothekenwesen 
der  jüdischen  Grundstücke  noch  gar  nicht  regulirt  hat,  (man  zu 
Pohlnischen  Zeiten  diese  Einrichtung  gar  nicht  kannte)  und  es  sehr 
grosse  Schwierigkeiten  haben  würde,  diesem  Gerichte  das 
Hypothekenwesen  über  die  mit  allen  übrigen  Häusern  der  Stadt 
untereinander  liegenden  Judenhäuser  zu  überlassen,  so  (sentire  ich 
dafür,  dass)2)  solches  dem  Posenschen  Stadtgerichte  übertragen 
(werde),  jedoch  alle  zur  ersten  Uebertragung  erforderliche  Nach- 
richten von  dem  Judengerichte  gesammlet  werden.  Es,  verstehet 
sich,  dass  alsdann  auch  die  Real- Jurisdiction  dem  Stadtgerichte  mit 
zufallen  (muss). 

(Wenn  Ew.  Excellenz  auch  hiemit  einig  seyn  sollten,  so  würde 
auch  hierüber  zugleich  mit  die  Königliche  Genehmigung  einzu- 
hohlen  seyn. 

Endlich  bemerke  ich  in  Ansehung  des  Vorschlages  des 
Stadtgerichtes, 

7- 
dass  zur  Regulirung  des  Hypothekenwesens  der  abgebrannten 
Häuser  aus  seiner  Mitte  eine  besondere  Commission  niedergesetzt 
werde,  wie  mir  dieses  nicht  nötig  zu  seyn  scheinet,  da  das  Re- 
tablissement  der  Stadt  nur  successive  und  vielleicht  erst  in  6  bis 
10  Jahren  geschiehet,  das  Geschäft  also  auch  nur  successive  geschehen 
darf  und  durch  meine  Vorschläge  sehr  simplificirt  werden  wird. 


*)  Dgl. :  Die  Juden  Stadt  auseinander  gebauet  wird  und 
*)  Dgl. :  wird 


174  Rodgero  Prümers. 

8. 

Den  Subalternen  des  Stadtgerichtes  wird  dadurch  zwar  eine 
grössere  Arbeit  gewachsen  (!);  allein  Ew.  Excellenz  werden  auch 
hoffentlich  nicht  abgeneigt  seyn,  ihnen  dafür  eine  angemessene 
ausserordentliche  Remuneration  zu  bewilligen. 

Wenn  die  Haupt-Principia  höchsten  Orts  genehmiget  worden 
sind,  werde  ich  die  Regierung  wegen  des  beobachtenden  Ver- 
fahrens ausführlich  bescheiden.) 

Original  im  Geh.  Staats- Archiv  zu  Berlin:  General-Direkt., 
Südpreussen,  Ortschaften  Nr.  1645  Vol.  9. 

v.  Vom  erklärt  sich  hiermit  einverstanden.  a8/ia.  1804.  Eine  Kabinets-Ordre 
Tom  19.  Januar  1805  regelt  die  Angelegenheit  nach  den  Vorschlagen  Goldbecks. 


Inhalts- Verzeichnis. 


Seite 

i.  Die  Epochen  der  Posener  Landesgeschichte.    Von  Archiv- 
rat Professor  Dr.  Adolf  Warschauer  zu  Posen     .   .        1 

2.  Zur  Geschichte  des  Buchdrucks  und  des  Buchhandels  in 

Lissa.    Von  Pastor  Wilhelm  Bickerich  zu  Lissa  .   .      29 

3.  Zehn  Posener  Leichenpredigten  der  Marienkirchen-Bibliothek 

zu    Frankfurt    a.     O.      Von     Amtsgerichtsrat    Arno 
Bötticher  zu  Frankfurt  a.  0 61 

4.  Der   Streit   der   Schuhmachergewerke    zu   Meseritz    und 

Schwerin  im  17.  Jahrhundert.  Von  f  Referendar  Karl 
Andersch  zu  Schwerin  a.  W 75 

5.  Des  Landgrafen  Friedrich  von  Hessen  Todesritt  von  Posen 

nach  Kosten.    Von  Bibliothekar  Professor  Dr.  Oswald 
Collmann  zu  Posen 91 

6.  Der  grosse  Brand  von   Posen  am   15.  April   1803.    Von 

Archivdirektor  Professor  Dr.  Rodgero  Prümers  zu 
Posen 118 


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Zeitschrift 


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der 


Historischen  Gesellschaft 

für  die 

Provinz  Posen, 

zugleich 

Zeitschrift  der  Historischen  Gesellschaft  für  * 
den  Netzedistrikt  zu  Bromberg. 

Herausgegeben 

Vi  Hl 

Dr.  Rodgero  Prümers. 


Neunzehnter  Jahrgang.  •      •■  «    Zweiter  Kalbband. 


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Alle  Rechte  vorbehalten. 


Preussische  Friedensprojekt  von  1712 
und  König  Stanislaus  Leszczynski. 

Von 
Kurt  Schottmtiller. 

|er  grosse  Geschichtsschreiber  der  preussischen 
Politik  Joh.  Gustav   Droysen  hat   zum   ersten 
Mal  darauf  hingewiesen,   wie   Preussen    durch 
die  unverhältnissmässig  grossen   noch   dazu  vom   Kaiser 
unvergoltenen   militärischen    Opfer    in    dem    ihm    fernen 
spanischen     Erbfolgekriege      in     die     klägliche    Notlage 
geriet,  auf    eine   kraftvolle  Wahrnehmung   seiner  eignen 
dringenden     Interessen      auf      dem       dichtbenachbarten 
nordischen     Kriegsschauplatze    an    seinen     Grenzen    so 
völlig  verzichten  zu  müssen.    Eine    tragische   Schicksals- 
fügung, dass  die  Regimenter,  die  so  tapfer  und  ruhmvoll  für 
die  habsburgische  Hauspolitik  bei  Höchstädt  und  Ouden- 
aarde,  bei  Turin  und  Malplaquet   gefochten   hatten,   noch 
immer  fern  der  Heimat  waren,  die,  wenngleich  friedliches 
Land,  wehrlos  den  rücksichtslosen  Truppendurchzügen  und 
gelegentlichen  Kontributionen  seitens  der  nordischen  Kriegs- 
parteien preisgegeben  blieb.  Ohne  die  nötigen  militärischen 
Kräfte  wäre  allerdings  auch  eine  entschlossenere  Natur  als 
der  erste  Preussenkönig  kaum  in  der  Lage  gewesen,  seine 
Ansprüche  auf  dem  norddeutschen  Kriegsschauplatze,  vor 
allem  in  Pommern,  zur  Geltung  zu  bringen. 

Aus  dieser  Notlage  ist  auch,  wenigstens  zum  Teil, 
die  Neutralität  zu  erklären,  die  Friedrich  I.  im  Allge- 
meinen   hier   beobachtet  hat    Pläne    zur    Beilegung    des 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XIX.  12 


178  Kurt  Schottmüller. 

Krieges  sind  preussischerseits  wohl  mehrfach  erwogen 
worden,  zumal  in  der  Besorgnis  vor  Friedensstörung  im 
eignen  Lande  durch  die  an  den  Grenzen  stehenden 
Truppen  der  kriegführenden  Parteien.  Der  preussische 
Friedenvermittlungsversuch  vom  Jahre  1712  ist  von  Droy- 
sen  bereits  kurz  berührt  worden1);  der  Anteil  des  gross- 
polnischen Theologen  Daniel  Ernst  Jablonski  und  des 
Lissaer  Bürgermeisters  Arnold,  deren  Vermittlung  sich 
die  preussische  Regierung  damals  bediente,  mag  eine  ein- 
gehendere Darstellung  dieses  Planes  im  provinzialge- 
schichtlichen  Interesse  rechtfertigen. 

Den  äusseren  Anstoss  zu  diesem  Vermittlungsaner- 
bieten für  Preussen  hat  wahrscheinlich  wohl  die  Bedro- 
hung und  Heimsuchung  geboten,  der  die  schutzlosen 
Marken  im  Sommer  1711  infolge  der  rücksichtslosen  Durch- 
züge der  Kriegstruppen  preisgegeben  waren.  Zu  diesen 
wurde  die  Erlaubnis  formell  zwar  erbeten,  aber  erst  gar 
nicht  abgewartet,  so  dass  im  August  171 1  12,000  Russen, 
6000  Polen,  6000  Sachsen  auf  dem  Wege  nordwärts  nur 
drei  Meilen  von  Berlin  entfernt  lagerten.  Dass  es  bei 
derartigen  Durchmärschen  nicht  ohne  Unordnung  und 
gelegentliche  Plünderungen  abgegangen  war,  das  hatte 
man  eben  schweigend  und  wehrlos  hinnehmen  müssen. 
In  Berlin  war  wohl  bekannt,  dass  Dänemark  und  vor- 
allem Sachsen  bereits  mit  Unbehagen  und  Mistrauen  das 
wachsende  politische  Uebergewicht  und  den  Ueberraut 
des  russischen  Bundesgenossen  auf  diesem  Kriegsschau- 
platz ertrugen  und  dass  darum  beide  gern  ihren  Frieden 
mit  Schweden  gemacht  hätten.  Den  russischen  Gegner 
liess  man  vor  der  Hand  gänzlich  bei  Seite,  aber  am  wich- 
tigsten war,  wie  sich  denn  Schweden  in  der  Frage  stellen 
würde;  hier  musste  zu  allererst  einmal  sondiert  werden. 
Man  wandte  sich  an  Graf  Wellingk  in  Stade,  den  Gou- 
verneur von  Bremen  und  Verden,  jener  schwedischen 
Besitzungen  im  niedersächsischen  Kreise,  der  einen  Ein- 
fall der  Dänen  in   sein    Gebiet    befürchten    musste    und 


1)    Droysen,  Geschichte  der  preussischen  Politik  IV,  424. 


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Das  prcuss.  Friedensprojekt  v.  1712  u.  König  Stanisl.  Leszczynski.     179 

hoffte,  dass  Preussen  von  Reichswegen  als  Mitdirigent  im 
niedersächsischen  Kreise  ein  Truppenkontigent  gegen  den 
feindlichen  Einfall  aufstellen  werde.  Gleichzeitig  war  es 
Wellingk  wichtig,  Zeit  zu  gewinnen,  dass  Graf  Stenbock 
das  in  Schweden  zusammen  gebrachte  letzte  Heer  nach 
Pommern  hinüberführen  könnte.  So  war  er  denn  zu  Ver- 
handlungen sehr  bereit  und  erhielt  die  Erlaubnis  dazu  in 
einer  von  Karl  XII.  am  8.  März  1712  in  Bender  ausge- 
stellten Vollmacht,  mit  welcher  er  am  11.  Juni  den  Baron 
von  Friesendorf  nach  Berlin  sandte1);  er  selbst  traf  am 
19.  Juni  ein.  Doch  betrat  er  nicht  die  Hauptstadt,  die 
Verhandlungen  wurden  von  Preussen  —  offenbar  um  den 
Argwohn  Russlands  nicht  zu  wecken  —  ganz  geheim  ge- 
führt, und  er  hielt  sich  während  der  Zeit  in  dem  Spandau 
benachbarten  kleinen  Ruhleben  auf.  Dort  hatte  er  bereits 
tags  darauf  mit  Preussens  auswärtigem  Minister  Rüdiger 
von  Ilgen  eine  erste  Besprechung,  über  deren  Inhalt  des 
Ministers  eigenhändige  Aufzeichnung  in  den  Akten2)  uns 
unterrichtet.  Ilgen  setzte  dem  Schweden  auseinander, 
Preussen  sei  jetzt  in  die  Lage  geraten,  die  Herstellung 
der  Ruhe  in  Norden  verlangen  zu  müssen;  man  sei  ge- 
neigt, Schweden  zuallererst  Vorschläge  zu  machen  und 
sich  mit  ihm  im  Geheimen  über  die  Friedensbedingungen 
zu  einigen,  für  welche  die  einzelnen  Gegner  Schwedens 
nach  einander  gewonnen  werden  sollten;  die  etwa 
Widerstrebenden  sollten,  —  sobald  Schweden  sich  mit 
den  andern  verständigt  habe,  zur  Annahme  der  Bedin- 
gungen mit  Waffengewalt  gezwungen  werden,  unter  be- 
waffneter Mitwirkung  Preussens:  „Le  roi  de  Prusse  est 
en  6tat  de  donner  pour  cet  effet  ä  des  conditions  raison- 
nables  un  corps  de  25,000  hommes  et  pourra  meme  V  aug- 
menter considerablement.w  Namentlich  die  letztere  Aussicht 
direkter  Waffenhilfe  war  hier  wohl  für  Wellingk  aus- 
schlaggebend. Denn  unter  ausdrücklicher  Berufung  hier- 
auf erklärte  er  sich  folgenden  Tages  in  einem  offiziellen 

*)    Droysen  a.  a.  O.  S.  421. 

*)    Geheimes  Staatsarchiv  Berlin  Rep.XI.  Schweden  247.ll.  Nr.  51 

18* 


l8o  Kurt  Schottmüller. 

Schreiben  zu  weiteren  Verhandlungen  in  der  begonnenen 
Richtung  bereit.  In  der  Zusammenkunft  am  22.  Juni 
legte  Ugen  dar,  die  Rückführung  des  Königs  Stanislaus 
auf  den  polnischen  Thron  sei  nicht  möglich  ohne 
einen  neuen  blutigen  Krieg  in  Polen,  ohne  eine  völlige 
Umwälzung  der  gegenwärtigen  Verhältnisse;  deshalb 
dürfe  man  nicht,  wie  bisher  schwedischerseits,  diesen 
Punkt  als  die  erste  unerlässliche  Friedensbedingung  hin- 
stellen, wenn  man  wirklich  ernsthaft  den  Frieden  erstrebe; 
allerdings  dürfe  man  auch  nicht  dabei  dem  Ansehen  des 
Königs  von  Schweden  zu  nahe  treten,  nichts  von  ihm 
fordern,  was  seinem  bisherigen  Kriegsruhm  nachteilig  sei 
und  ihn  in  Gegensatz  zu  seinem  bisherigen  Schützling 
Stanislaus  bringe.  Eine  am  folgenden  Tage  Wellingk 
ttbergebene  Denkschrift  unter  dem  Titel  „Pens6es  libres 
sur  les  affaires  du  Nord"  giebt  an,  wie  Ilgen  sich  die 
Lösung  dieses  Problems  gedacht  hat:  nötig  sei  zuerst 
möglichst  schnelle  Verständigung  mit  König  August,  ohne 
dass  Schweden  diesen  als  Polenkönig  anerkennen  müsse 
oder  mit  ihm  direkt  unterhandle ;  Schweden  müsse  Preus- 
sen  die  Einstellung  der  Feindseligkeiten  in  Sachsen  und 
Polen  zusichern  und  solle  dann  durch  Preussens  Vermitt- 
lung alle  durch  August  entrissenen  schwedischen  Provinzen 
zurückerhalten.  Der  Hauptpunkt  war:  Preussen  wird 
den  König  Stanislaus  dazu  bestimmen,  zu  Gun- 
sten des  Friedens  im  Norden  und  besonders  zum 
Heile  seines  unglücklichen  Vaterlandes  auf  den 
polnischen  Thron  freiwillig  während  der  Regie- 
rungszeit König  Augusts  Verzicht  zu  leisten,  nach 
dessen  Ableben  sollten  alle  seine  Ansprüche  aner- 
kannt und  unterstützt  werden.  Dafür  werde  August 
Preussen  gegenüber  sich  verpflichten,  Stanislaus  die  freie 
Wahl  seines  Aufenthaltsortes  in  Polen,  den  Besitz  und 
Genuss  seiner  Güter  sowie  ausserdem  nahmhafte  Geld- 
mittel zum  eignen  und  seiner  Familie  Unterhalt  zu  über- 
lassen. Der  Beitritt  Dänemarks  zu  diesem  Abkommen 
sei  vorgesehen ;  mit  oder  ohne  diesen  Bundesgenossen 
würden    jedenfalls    Preussen,   Schweden    und    Sachsen- 


Das  preuss.  Friedensprojekt  v.  1712  u.  König  Stanisl.  Leszczynski.     18 1 

Polen  diesen  Frieden  verkünden  und  mit  einem  gemein- 
samen Heere  von  60,000  Mann  ihm  Anerkennung  bei 
den  etwa  widerstrebenden  Gegnern  Schwedens  erzwin- 
gen. Auch  Englands  Beitritt  unter  Mitwirkung  seiner 
Flotte  in  der  Ostsee  solle  erbeten  werden.  Auf  diese 
Vorschläge  persönlich  näher  einzugehen,  hat  Wellingk 
vermieden;  sie  erschienen  ihm  doch  zu  folgenschwer. 
Er  beschränkte  sich  darauf,  sie  zur  Mitteilung  an  seinen 
König  entgegenzunehmen. 

Immerhin    war    es    wohl    doch    nicht    ohne    Vor- 
wissen Wellingks,    dass    in    den    ersten    Julitagen    die 
preussische  Regierung  sich   anschickte,  wenigstens  ihrer- 
seits   an  die   Ausführung    ihres  Plans    zu   gehen,    durch 
direkte    Verhandlung    mit    König    Stanislaus,    der    seit 
seiner  Vertreibung  aus  Polen  in  Schweden  eine  Zuflucht 
gefunden    hatte   und   in    Karlskrona  residierte.     Bei    der 
Zweifelhaftigkeit  des   Erfolges    sollte    diese   Anknüpfimg 
natürlich  ganz  im  Geheimen  geschehen,  und  darum  wählte 
Ilgen  zu  dieser  Mission  keinen  Qiplomaten,  sondern  einen 
Privatmann,  mit  dem  Stanislaus  als  Grundherr  seiner  Erb- 
stadt Lissa  seit  langem  in  Beziehungen  stand,  und  dessen 
Reise  zum  Könige  daher  als  durchaus  unauffällig  erschei- 
nen musste.    Der    dazu   Ausersehene  war  Benjamin  Ar- 
nold, Bürgermeister  von  Lissa,  der  bereits  1707  als  Stanis- 
laus* Agent  am  Berliner  Hofe  verhandelt  hatte,   um    eine 
Anleihe  von  50,000  Thalern  für  seinen   König   zu   erlan- 
gen; zur  jetzigen  Reise  war  er  wohl  um  so  mehr  bereit, 
als  er  bei  dieser  Gelegenheit  hoffte,  für  sein  eignes  Dar- 
lehen  von  30,000  Tympfen    von    Stanislaus   eins    seiner 
Güter  bei  Lissa  als  Pfand   zu   erhalten1).    Mit  der   Her- 
beischaffung dieses  Mannes  beauftragte  Ilgen   den    dama- 
ligen Berliner  Hofprediger    Daniel    Ernst    Jablonski,   der 
selbst  Jahre  lang  als  Rektor  und   Prediger  in   Lissa  ge- 
wirkt hatte,  mit  König  Stanislaus  wohl  bekannt   war  und 
als  einer  der  sehr    wenigen    Eingeweihten    dieses   Plans 

l)    Kvacala:  Jablonski  und   Grosspolen    in    dieser   Zeitschrift 
XV.  275. 


I&2  Kurt  Schottmüller. 

neben  Arnold  als  Vermittler  des  Schriftwechsels  heran- 
gezogen wurde;  auch  seine  persönlichen  nahen  Beziehun- 
gen zu  Stanislaus  sollten  für  dessen  Beeinflussung  nutzbar 
gemacht  werden.  Bereits  am  3.  Juli  konnte  Jablonslri 
dem  Minister  die  Ankunft  Arnolds  in  Berlin  anzeigen. 
Aber  es  vergingen  noch  einige  Tage  bis  zu  der  offiziellen 
Auftragserteilimg;  Arnold  richtete  wegen  seiner  Reise 
einige  schriftliche  Anfragen  an  den  Minister  und  bat  zur 
Sicherung  gegen  Gefangenschaft  oder  unliebsamen  länge- 
ren Aufenthalt  unterwegs  um  Beilegung  des  preussischen 
Hofratstitels,  ein  Wunsch,  dem  man  natürlich  nicht  Folge 
gab,  da  sonst  die  Reise  ihres  beabsichtigten  privaten  un- 
auffälligen Charakters  entkleidet  worden  wäre.  Am  8.  Juli 
fand  dann  wohl  die  entscheidende  Besprechung  zwischen 
Minister  und  Bürgermeister  statt;  im  Anschluss  daran  hat 
llgen  gleich  die  Instruktion1)  entworfen,  deren  vier  erste 
Punkte  er  seinem  Gesandten  sofort  in  die  Feder  diktierte, 
um  dann  nachher  noch  fünf  Artikel  mit  Vorschriften  über 
Hin-  und  Rückreise  und  Art  der  Berichterstattung  hinzu- 
zufügen.   Danach  war 

„1.  von  wegen  und  im  Namen  Ihro  Majestät  des 
Königs  in  Preussen  I.  M.  dem  Könige  Stanislao  zu 
remonstriren,  wie  wenig  sich  vor  Selbten  zur  Zeit  noch 
Hoffnung  zeige,  den  Thron  von  Pohlen  via  armorum 
wieder  zu  besteigen,  allermassen  solches  in  dem  in  fran- 
zösischer Sprache  abgefassten  und  dem  schwedischen 
Minister  allhier  copeilich  communicierten  Aufsatz2)  vorge- 
stellet  ist;  dass  dannenhero  Ihro  Majestät  der  König  in 
Preussen  aus  wahrer  Zuneigung  und  umb  völlige  Be- 
ruhigung von  dem  Königreich  Pohlen  und,  wo  Gott  will» 
auch  von  dem  ganzen  Norden  wiederherzustellen,  sich 
offerirten,  alles  diensame  hierzu  beizutragen. 

2.  Aufm  Fall  nun  höchstbesagter  König  Stanislaus 
hieran    Gefallen   fände,   ist    Selbter   zu    versichern,   dass 

1)  Geheimes  Staatsarchiv  Berlin  Rep.  XI.  Schweden  247. 
II.  No.  54. 

2)  Damit  sind  wohl  die  Wellingk  übergebenen  „Pensees  libres 
sur  les  affaires  du  Nord"  gemeint. 


Das  preuss.  Friedensprojekt  v.  1 712  u.  König  Stanisl.  Leszczynski.     183 

1.  M.    der  König  in    Preussen   alles   mögliche    anwenden 
werden,  damit  mehrerwähntem  Könige 

a)  zuförderst  der  Titel  eines  Königes  auch  von  ande- 
ren Potentaten  gegeben  werde, 

b)  dass  Ihre  Majestät  entweder  aus  Pohlen,  Preussen 
oder  Lithauen  etc.  soviel  Revenuen  zugewendet  werden 
sollen,  hiermit  Sie  standesgemäss  leben  konnten. 

c)  Solten  an  schongemeldeten  König  dessen  eigene 
sowohl  als  I.  M.  dero  Gemahlin  und  Königl.  Frau 
Mutter  Erbgüter  wiedergegeben  und  zu  freier  Dispo- 
sition und  Nutzung  eingeräumt  werden.  Und  letzlich 

d)  versprechen  I.  M.  der  König  in  Preussen,  alle  mög- 
liche officia  anzuwenden,  auch  bei  auswärtigen 
Potentaten  sich  dahin  zu  bearbeiten,  dass  an  I.  M. 
den  König  Stanislaus  nach  Absterben  des  Königes 
Augusti  Majestät  die  Succession  von  Pohlen  zuge- 
standen, und  selbter  beim  Thron  mainteniret  werde. 
3.  Wogegen  aber  I.  M.  der  König   Stanislaus   allen 

auf  dem  Polnischen  Thron  habenden  Ansprüchen,  so 
lange  I.  M.  der  König  Augustus  am  Leben  Sich  befinden, 
renunciren  und  Sich  anheischig  machen  würden,  weder 
durch  Sich  noch  auch  durch  S.  M.  den  König  von 
Schweden  vivente  rege  Augusto  Pohlen,  viel  weniger 
Sachsen  zu  beunruhigen;  wie  auch  dass  Ihre  Majestät  den 
König  von  Schweden  dahin  zu  disponiren  trachten  woll- 
ten, damit  Selbter  dieses  vorgeschlagene  Expediens  Sich 
mitgefallen  lasse  als  den  ersten  Schritt  zur  Herstellung 
des  guten  Vernehmens  und  völligen  Friedens  zwischen 
Ihre  und  des  Königs  Augusti  Majestäten." 

Die  anderen  Artikel  besagten,  dass  die  etwa  ge- 
wonnenen Verabredungen  der  Mächte  unter  Garantie  ge- 
stellt werden,  dass  der  Gesandte  schleunig  berichten,  die 
Hinreise  über  Lübeck  antreten  und  seine  Berichte  nach 
Berlin  an  die  Adresse  des  Hofpredigers  Jablonski  senden 
soll.  Betraue  ihn  König  Stanislaus  etwa  mit  einer  Mission 
an  Karl  XII.  nach  Bender,  so  müsse  der  Gesandte  jeden- 
falls den  Weg  dahin  über  Berlin  zwecks  vorherigen  Be- 
richtes dort  nehmen. 


184  Kurt  Schottmüller. 

Aber  als  ob  Ilgen  diese  nüchternen  Darlegungen  nicht 
für  ausreichend  gehalten  habe,  um  König  Stanislaus  zur 
Thronentsagung  zu  überreden,  so  hat  er  auch  noch  Jablonski 
aufgefordert,  in  einem  seinerseits  Arnold  mitgegebenen 
Briefe  an  des  Königs  bekannte  edle  selbstlose  Gesinnung 
zu  appellieren,  damit  er  zum  Heile  ihres  gemeinsamen 
unglücklichen  geliebten  Vaterlandes  Polen  ein  Opfer  bringe 
und  der  heimgesuchten  Vatererde  durch  seinen  Thron- 
verzicht hochherzig  Ruhe,  Frieden  und  Wohlstand  wieder 
gebe.  Dieser  merkwürdige  Brief  des  Jablonski  an  seinen 
ehemaligen  Lissaer  Grundherrn  und  noch  immer  wohl- 
wollenden Gönner  ist  in  einem  vorzüglich  stilisierten  Latein 
geschrieben  und  berührt  durch  seine  persönliche  Wärme, 
freimütige  Aussprache  und  grosssinnige  vornehme  Denk- 
weise sympathisch,  allerdings  ist  er  auch  recht  über- 
schwänglich  und  schwülstig,  wie  es  der  barocke  Geschmack 
des  Zeitalters  eben  erforderte.  Des  Königs  letzte  Ver- 
treibung von  Reich  und  Thron  vor  3  Jahren  charakterisiert 
der  Briefschreiber  als  freiwilliges  Exil  und  setzt  es  eben- 
so wie  den  erbetenen  Thronverzicht  in  Vergleich  mit 
dem  freiwilligen  Opfertod  des  alten  Athenerkönigs  Kodros; 
gegenüber  den  Gesetzen  des  Vaterlandes,  die  eine  Ab- 
dankung etwa  widerraten,  betont  er  den  Grundsatz: 
„Suprema  lex  populi  salus  esto;"  er  vergleicht  Polen  mit 
einem  Schiffe,  das  von  den  täglichen  Stünnen  des  Krieges 
erschüttert  und  zerschlagen  bei  richtiger  Beobachtung  der 
göttlichen  Vorsehung  endlich  in  den  Hafen  des  Friedens 
werde  einlaufen  können,  und  er  fordert  zur  Thronent- 
sagung zum  Schluss  nochmals  auf  durch  einen  starken 
Appell  an  des  Königs  Vaterlandsliebe:  Non  te  ipsum 
tibi  in  memoriam  revoco,  disparem  fortunam,  triste  exilium; 
novi  enim  te  magno  animo,  sed  populos  tuos  cogita  et 
dulcem,  quae  te  sibi  genuit,  terram.  Cogita  immensa  illa 
duodecennis  belli  mala,  fusi  fundendique  cruoris  flumina, 
provincias  spoliatas,  direptas  urbes,  vastatos  agros,  exhaustos 
incolas,  proculcatas  leges,  divina  humana  eversa  omnia, 
Poloniam  in  Polonie  cineribus  sepultam,  patriam  profundo 
malorum  abysso   mersam,    profundiore    (ni    deus   avertat) 


Das  preuss.  Friedensprojekt  v.  1712  u.  König  Stanisl.  Leszczynski.     185 

mergendam,  quod  caput  rei  est,  imminentem  Polonis 
successionem  regni  haereditariam  libertati  electoris  populi 
fatalem  neque  facile,  nisi  te  intervenierte,  averruncandam. 
Haec  te  ut  Poloniae  miseraris  inclamant,  haec,  ut  opem 
feras,  flagitant,  haec  ut  tempori  obseeundando  minus  malum 
ad  tempus,  toleres  quo  majora  evitentur,  deposeunt" 

Am  12.  Juli  ward  zum  Ausweis  und  zur  Empfehlung 
bei  allen  auswärtigen  Behörden  ein  Reise-Pass  ausgefertigt 
„für  den  Benjamin  Arnold,  welcher  mit  Allerhöchster  Sr. 
Königlichen  Majestät  in  Preussen  Permission  in  seinen 
particulier  Angelegenheiten  nach  Lübeck  gehet  und  von 
da  weiter  nach  Schweden  sich  zu  begeben  necessitiret  sein 
dürfte,  "und  ebenso  ward  ihm  ein  besonderes  Empfehlungs- 
schreiben an  den  Magistrat  zu  Lübeck  eingehändigt,  in 
der  Fassimg,  als  erhalte  der  Ueberbringer  es  auf  seinen 
eignen  besondern  Wunsch  von  derpreussischen  Regierung, 
die  Bürgermeister  und  Rat  von  Lübeck  ersuche,  ihm 
bei  Fortsetzung  seiner  Reise  „in  seinen  particulier  Ange- 
legenheiten" nach  Schweden  gute  Beförderung  zu  erweisen. 

Kurz  darauf,  am  13.  Juli,  verliess  der  Gesandte  Berlin 
und  langte  nach  dreitägigem  Unterwegssein  über  Ham- 
burg mit  der  Post  spät  Abends  am  16.  in  Lübeck  an,  wie 
er  in  einem  am  18.  von  dort  geschickten  Briefe  Ilgen 
meldete.  Tagsdarauf  (17.)  an  einem  Sonntagmorgen  gab 
er  noch  vor  dem  Frühgottesdienst  sein  Empfehlungs- 
schreiben ab,  konnte  aber  von  dem  Bürgermeister  Rhode 
keine  Schiffsgelegenheit  nach  Schonen  für  die  allernächste 
Zeit  erfahren.  Nach  zweitägigem  eignen  Suchen  ermittelte 
er  ein  holsteinisches  Schiff,  mit  dem  er  am  19.  Lübeck 
verliess  und  nach  ntägiger  Seefahrt  am  30.  in  Kalmar 
landete.  Zu  Lande  gings  dann  weiter  nach  Karlskrona 
und  Christianstadt.  Noch  bevor  er  letzteren  Ort  erreichte, 
traf  er  mittenwegs  mit  dem  von  ihm  Gesuchten  zusammen, 
kehrte  mit  ihm  nach  Karlskrona  zurück,  wie  er  selbigen 
Tages  noch  nach  Berlin  meldete.  Ueber  seine  Reise,  die 
Begegnung  mit  dem  Könige  Stanislaus,  die  verschiedenen 
Audienzen,  den  endgiltigen  Bescheid  und  die  Heimreise 
hat  Arnold  mündlich  sich  Jablonski  gegenüber  geäussert, 


186  Kurt  Schottmüller. 

dieser  hat  danach  auf  Ilgens  Befehl  einen  eingehenden 
schriftlichen  Bericht  als  Ersatz  für  eine  Schlussrelation  ver- 
fasst  Dieser  Bericht  erschien  wichtig  genug,  um  ihn  in 
der  I.  Anlage  wörtlich  wieder  zu  geben.  Interessant  ist 
zu  bemerken,  wie  der  leichtbestimmbare  König  ursprüng- 
lich den  gehörten  Vorschlägen  durchaus  geneigt  erscheint, 
dann  nach  dem  Bericht  an  die  schwedischen  Staatsmänner 
und  empfangnen  Weisungen  aus  Stockholm  zurückhaltender 
wird,  umfangreichere  Entschädigungen,  wie  die  Abtretung 
der  einen  Reichshälfte  Lithauen  oder  das  Herzogtum  Kur- 
land, auch  Liegnitz,  Brieg  und  Wohlau  fordert,  nach  der 
Rücksprache  mit  dem  herbeigeeilten  Stenbock  noch  vor- 
sichtiger wird  und  im  Absatz  2  seiner  mündlichen  Ant- 
wort geradezu  seinen  eignen  Entschluss  bis  nach  des 
Schwedenkönigs  Entscheidung  zurückstellt  Die  in  Absatz 
4  der  königlichen  Antwort  (in  Anlage  I)  gestellten  Be- 
dingungen: Rücktritt  Sachsens  und  Dänemarks  vom 
russischen  Bündnis,  Räumung  Pommerns  durch  dieSachsen, 
Unterstellung  von  mehreren  Tausend  Mann  sächsischer 
Hilfstruppen  unter  des  Schwedenkönigs  Befehl, 
entsprachen  so  sehr  den  augenblicklichen  Bedürfnissen 
der  militärischen  Lage  Schwedens,  dass  sie  eben  sich 
dadurch  deutlich  als  die  Wünsche  des  Stockholmer 
Kriegsrats,  nicht  als  persönliche  Eingebung  des  Königs 
Stanislaus  erweisen.  Dass  der  Monarch  von  sich  selbst 
aus  einem  Friedensschluss,  auch  auf  Grundlage  der 
preussischen  Vorschläge,  sehr  wohl  geneigt  war,  betont 
seine  mündliche  Erklärung  durchaus,  „dass  er  (da  Gott 
vor  sei)  keine  Vorschläge  oder  Mittel,  Polen  zu  beruhigen, 
verwerfen  wolle !"  Seine  dem  Gesandten  in  französischer 
Sprache  mitgegebene  schriftliche  Antwort  (abgedruckt 
als  Anlage  II)  erscheint  dagegen  als  hochoffiziell  und  durch 
die  schwedischen  Rücksichten  bestimmt;  sie  ist  sehr  aus- 
weichend und  zurückhaltend,  bietet  viel  weniger  Positives 
und  stellt  sich  darum  in  ihrem  vollen  Umfange  von  An- 
fang bis  zu  Ende  als  ein  lediglich  von  Stanislaus  unter- 
schriebenes, schwedisches  Schreiben,  nicht  als  seine  eigene 
Meinungsäusserung    dar.    Er   hat   sehr  wohl   selbst    den 


Das  preuss.  Friedensprojekt  v.  1712  u.  König  Stanisl.  Leszczynski.     187 

grossen  Abstand  zwischen  seinen  mündlichen  Abschieds- 
worten und  dem  offiziellen  schriftlichen  Bescheide  em- 
pfunden  und  deshalb  sich  zu  Arnold  noch  mit  den  Worten 
geäussert,  die  Jablonski  in  einem  Briefe  vom  14.  Sep- 
tember dem  offenbar  wenig  befriedigten  Ilgen  wiedergab : 
man  solle  seinen  mündlichen  Vorstellungen  in  Berlin  nur 
Glauben  beimessen,  denn  „wann  Ihr  nicht  mehr  als 
die  geschriebene  Antwort  nachher  Berlin  mit- 
bringen solltet,  würdet  Ihr  mit  Eurer  Verrichtung 
schlechten  Dank  verdienen!" 

Arnolds  Auftrag  war  damit  erledigt.  Preussen  ver- 
folgte daraufhin  seinen  Plan  weiter,  es  galt  vornehmlich 
Karl  XII.  selbst  günstig  zu  beeinflussen,  von  ihm  selbst 
die  Zustimmung  zu  Stanislaus  Thronentsagung  zu  erlangen. 
Zu  diesem  Zwecke  wurde  sofort  der  preussische  Oberst 
v.  Eosander,  genannt  Göte,  Schwede  von  Geburt,  in  Karls 
Lager  nach  Bender  abgesandt,  um  ihm  das  Projekt  vor- 
zulegen1). Im  November,  als  Stenbock,  in  Pommern  mit 
frischen  Schwedentruppen  gelandet  nach  einigen  Erfolgen 
mit  den  Sachsen  einen  Waffenstillstand  abschloss,  dachte 
man  beiderseits  wohl  ernstlich  an  einen  Frieden  auf  Grund 
der  preussischen  Vorschläge,  so  dass  König  Stanislaus  das 
schwedische  Hauptquartier  verliess,  schleunigst  in  Bender 
selbst  Karls  Zustimmung  zum  Thronverzicht  zu  erbitten. 

Stenbocks  Sieg  bei  Gadebusch  über  die  Dänen  und 
einige  Sachsen  veränderte  die  Sachlage  sehr;  auch  die 
Hoffnungen  auf  Eosanders  Sendung  erwiesen  sich  ganz 
eitel.  Der  Schwedenkönig  war  nicht  zum  Nachgeben  zu 
bewegen;  zumal  seit  der  Kunde  von  Stenbocks  Landimg  in 
Pommern  war  er  entschlossen,  selbst  auf  dem  Kampfplatz 
den  alten  Widersachern  entgegenzutreten.  Schon  im  De- 
zember galt  das  Friedensprojekt  als  gescheitert,  auf  das  König 
Friedrich  so  grosse  Hoffnungen  gesetzt.  Er  hat  die  Ent- 
täuschung nicht  lange  überlebt,  einige  Wochen  darauf  am 
25.  Februar  17 13  ist  er  gestorben  und  hat  den  späten  Friedens- 
schluss  des  Nordischen  Krieges  1721  nicht  mehr  gesehen. 

x)  Droysen.  a.  a.  0.  S.  425. 


188  Kurt  Schottmüller. 


Anhang. 


i. 

Reisebericht1). 

Nachdem  Benjamin  Arnold  den  13.  Juli  von  Berlin  abgegangen 
und  den  19.  zu  Lübeck  ins  Schiff  getreten,  kam  er  den  30.  in 
Callmar  an,  setzte  selbigen  Tages  seine  Reise  nach  Christianstadt 
zu  Lande  fort  und  hatte  das  Glück,  den  1.  August  deu  König 
Stanislaum  hinter  Carlskrone  auf  dem  Wege  nach  diesem  Ort  an- 
zutreffen, allwo  er  ganz  gnädig  empfangen  und  mit  nach  Carlskrone 
zurückzukehren  beordert  worden. 

Als  nun  der  König  daselbst  von  gedachten  Arnolds  habender 
Commission  summarischen  Bericht  eingenommen  und  auf  seine  An- 
frage von  ihm  verstanden,  dass  zu  der  gegenwertigen  entamireten 
Handlung  S.  Königl.  Maj.  in  Preussen  durch  zwo  Ursachen  bewogen 
worden,  als  einesteils  durch  die  wahre  und  gute  Zuneigung,  so  Sie 
vor  den  König  Stanislaum  hegen,  und  andernteils  in  der  Absicht, 
damit  durch  Herstellung  eines  guten  Vernehmens  zwischen  des 
Königes  in  Schweden  und  Königes  Augusti  Mt  Mt.  der  mehr  und 
mehr  anwachsenden  und  gefährlicherweise  eindringenden  Musco- 
witischen  Gewalt  Einhalt  geschehen  möge,  hat  höchst  gedachter 
König,  zumahl  er  das  Gewicht  und  hohe  Nohtwendigkeit  dieses 
letzteren  Punktes  sehr  wohl  einsähe,  alle  ersinnlichen  Marquen  von 
sich  gegeben,  dass  der  geschehene  Vortrag  ihm  sonderlich  ange- 
nehm, und  er  vor  sein  Teil  denselben  zum  verlangten  Endzweck 
zu  fördern  bereit  und  begierig  sey. 

S.  Mt.  fand  aber  nötig,  dem  Reichs-Senat  in  Stockholm  hier- 
von Part  zu  geben,  und  sandten  deswegen  den  Grafen  Rozrazewski, 
als  einen  getreuen  und  zum  Stillschweigen  neuverbundenen  Diener 
dorthin  ab;  schrieben  zugleich  eigenhändig  an  den  Grafen  Hornr 
was  die  Absicht  dieser  Negociation  in  puncto  Moscaus  sey,  und 
declarirten  ihresteils,  dass,  so  viel  ihr  eigen  Interesse  beträfe,  Sie 
diese  Friedenshandlung  keinesweges  schwer  machen,  sondern  auf  alle 
Weise  facilitiren  wollten,  begehrten  zugleich,  dass  der  Graf  Hörn 
sein  und  des  Senats  Gutbefinden  lhro  hierüber  frey  eröffnen 
möchte;  worauf  aber  gedachter  Hörn,  so  viel  Arnolden  wissend, 
in  seiner  Antwort  in  die  Sache  selbst  sich  nicht  eingelassen,  sondern 
vermeldet,  dass  der  Feldmarschall  Steinbock  von  dem  Senat,  um 
dero  Meinung  dem  K.  Stanislao  mündlich  zu  communiciren,  instruirt 
sey;  tiabey  er,  Steinbock,  selbst  durch  Schreiben  ihm  dringendlich 
ersuchte,  dass  Arnold  eher  nicht,  als  bis  nach  Ankunft  gedachten 
Steinbocks  zurück  möchte  spedirt  werden. 


I)  firhnmcs  Staatsarchiv  zu  Berlin  Rrp.  XI  Schweden  247.  II.  Nr.  54. 


_ 


Da>  preuss.  Friedensprojekt  v.  1712  u.  König  Stanisl.  Leszczynski.     189 

Den  2.  August  reisete  der  K.  Stanislaus  von  Carlskrona  ab 
und  kam  d.  3.  auf  dem  unter  Christianstadt  gelegenen  Dorfe,  wo 
S.  Mt  der  Zeit  mit  der  Gemahlin  und  Frau  Mutter  residirte,  an, 
Arnolden  aber  befahlen  Sie,  in  die  Stadt  sich  zu  logiren  und  täglich 
draussen  die  Aufwartung  zu  machen,  womit  auch  den  4.  dito  der 
Anfang  geschähe. 

Wie  nun  bisanher  der  K.  Stanislaus  Ihme  gäntzlich  allein  ge- 
lassen gewesen  und  aus  der  dem  Arnold  aufgegebenen  Commission 
mit  sonst  niemanden  communiciret,  hat  er  die  allergrösste  Neigung, 
die  man  nur  wünschen  können,  bezeuget,  dass  er  die  Nahmens 
S.  Königl.  Mt  in  Preussen  von  Arnolden  gethane  Vorschlage  anzu- 
nehmen bereit  sey;  und  das  mit  solcher  Fermete,  dass,  als  Arnold 
ihme  den  Scrupel  gemacht,  dass  er  itzo  zwar  also  gesinnet  seyr 
wie  aber,  wenn  es  Gott  gefallen  möchte,  die  schwedischen  Waffen 
mit  einem  eclatanten  Siege  zu  segnen?  er  wiederholent  gleich 
wie  mit  einem  Eid-Schwur  bestätiget,  dass  er  seinesteils  auch  so 
dann  gleicher  Neigung  bleiben  wolle. 

Nach  Verlauf  etwa  8  Tagen  liess  sich  K.  Stanislaus  verlauten, 
ob  nicht  die  Sache  dahin  zu  richten  wäre,  dass  K.  Augustus  in 
Pohlen,  und  er  in  Littauen  die  Regierung  fahren  möchte,  bis  beide 
Provintzien  in  dem  Oberlebenden  wieder  vereinigt  würden.  Wobey 
auch  gedacht  worden,  weil  das  Herzogtum  Churland  als  ein  Cron- 
Lehen  auf  dem  Fall  stünde,  ob  solches  nicht  ihme  erblich  zugeordnet 
werden  könnte,  zumahlen  die  Oeconomien  in  Littauen,  derer  nur 
drey  und  sämtlich  ruinirt,  ihme  keinen  süffisanten  Unterhalt  ver- 
schaffen könnten.  Auch  wurde  der  drey  schlesischen  Fürsten- 
tü  miner  Liegnitz,  Brieg  und  Wolau  gedacht,  mit  dem  Zusatz  dass 
er,  Stanislaus,  selbst  dem  K.  Augusto  verschiedene  Mittel  an  die 
Hand  zu  geben  wüsste,  wie  selbige  von  dem  Kayser  zu  überkommen. 
In  diesem  Intervallo  der  Zeit  ist  auch  remarquable,  dass,  als  der 
General  Smigelski  sich  gegen  den  K.  Stanislaum  erboten,  nacher 
Pohlen  zu  gehen  und  seinen  Anhang,  den  er  so  wohl  bey  der 
Littauischen  als  Cron-Arm£e,  auch  unter  dem  Adel  auf  dem  Lande 
habe,  an  sich  zu  ziehen  und  bey  jetziger  Abwesenheit  der  Musco- 
witischen  Truppen  en  faveur  des  K.  Stanislai  eine  nachdrückliche 
Bewegung  zu  machen,  höchst  gedachter  König  solches  nicht  an- 
nehmen wollen,  in  Hoffnung,  dass  vermittelst  der  itztgethanen  Vor- 
schläge die  Ruhe  des  Vaterlandes  ohne  dergleichen  gefährliche 
neue  Motus  könne  hergestellet  werden. 

Auch  hat  währender  dieser  Zeit  der  König  Stanislaus  mit 
Arnolden  oft  überleget,  wer  an  den  König  von  Schweden  nacher 
Bender  abzuschicken  seyn  möchte.  Da  zwar  Arnold,  zufolge  seiner 
von  S.  Königl.  Mt.  in  Preussen  ihm  gegebenen  Instruction  hiezu  sich 
erboten;  es  hat  aber  höchstgedachter  König  vor  nötig  erachtet, 
Arnolden  in  hiesigen  Quartiren  bey-  und  durch  ihn  die  Correspon- 


19°  Kurt  Schottmüller. 

denz  zwischen  S.  Preussischen  Majestät,  und  ihme  zu  unterhalten r 
dagegen  aber  dero  ersten  Kammerherrn  Adlerfeld  mit  anher  abge- 
fertiget,  damit  derselbe  das  nötige  nacher  Bender  überbringe;  wobey 
zugleich  der  H.  Rozrazewski  nach  Berlin  gesandt  worden,  um, 
wann  Arnold  neue  Reise  antreten  müsste,  er  nicht  nur  inzwischen 
die  Correspondenz  führen,  sondern  auch,  wann  mit  dem  K.  Augusto 
in  eine  Negociation  zu  treten  wäre,  er  schon  zur  Hand  seyn  möchte. 

Den  20.  August  ging  der  K.  Stanislaus  nacher  Carlskrona,  um 
dem  Feldmarschall  Steinbock  den  Weg  zu  verkürtzen,  damit  selbter 
nicht  erst  zu  ihm  nacher  Christianstadt  kommen  dörfte,  und  befahl 
Arnolden  dahin  zu  folgen  und  sich  fertig  zu  halten,  von  da  nacher 
Deutschland  zurück  zu  kehren.  Steinbock  langete  in  gedachtem 
Carlskron  d.  24.  Aug.  an,  und  nachdem  der  König  verschiedene 
Stunden  mit  selbigen  conferirt,  beorderte  er  Arnolden  folgenden 
Morgen  um  6  Uhr  bei  ihm  zu  seyn  und  seine  Expedition  zu  em- 
pfangen, wie  dann  auch  geschehen. 

Nun  scheinet  wohl,  dass  Steinbock  dem  K.  Stanislao  dahin 
müsse  Vorstellung  gethan  haben,  dass  er  in  der  vorseyenden  Hand- 
lung nicht  allzu  weit  gehen,  noch  allzu  positive  sich  erklären  möchte,, 
ehe  und  bevor  er  des  K.  v.  Schweden  Meinung  darüber  vernommen. 
Es  hat  aber  jedennoch  höchstgedachter  König  über  die  schrifdiche 
Antwort,  welche  er  dem  Arnold  auf  die  Puncta  seiner  mitgebrachten 
Instruction  erteilet,  seine  über  dem  gantzen  Werk  führende  Ge- 
danken in  folgender  Ordnung  und  mit  folgenden  Worten  annoch 
eröfnet. 

1.  Dass  Arnold  auf  die  allerverbindlichste  Art,  wie  er  nur 
weiss  und  kan,  durch  den  Freyherrn  v.  Dgen  S.  Königl.  Mt.  in 
Preussen  nahmens  Königes  Stanislai  vor  die  in  dem  hochwichtigen 
Negotio,  welches  Selbte  durch  Arnolden  an  Sie  bringen  lassen,, 
bezeugte  Amine  und  gute  Neigung  danken  solle. 

2.  Dass,  weil  des  Königs  Augusti  Art  ihme,  dem  K.  Stanislao 
bekannt,  habe  er  vor  jetzo  in  seiner  Antwort  auf  die  Instruction 
nicht  anders  als  wie  geschehen  sich  expliciren  können.  Den  Ab- 
gang aber  zu  ersetzen,  solle  Arnold  dasjenige  mündlich  hinzu- 
fügen, was  ihme  Stanislao  auf  dem  Herzen  liege;  nehmlich,  dass  er 
(da  Gott  vor  sey)  keine  Vorschläge  oder  Mittel,  Pohlen  zu 
beruhigen,  verwerfen  wolle;  nur,  weil  hierüber  nicht  so  sehr 
mit  ihme  Stanislao,  als  vielmehr  mit  dem  K.  von  Schweden  zuerst 
müsse  negocijret  werden,  als  wünsche  er,  dass  ihme  mehr  Tllicia 
oder  Beweg-Gründe  an  die  Hand  gegeben  werden  möchten,  durch 
wckhe  er  höchstgedachten  König  zum  Frieden  bewegen  könne; 
hauptsächlich  darauf  ankommende,  dass  der  erste  Vortrag,  welcher 
von  diesen  Frieden  ihme  (dem  K.  v.  Schweden)  wird  gethan  werden,, 
ohne  Abbruch  seiner  Ehre  und  seines  Interesse  seyn  möge.  Und 
wann  nun  er,  vermittelst   solcher  Gründe,   den   K.  v.  Schweden  zu 


Bas  preuss.  Friedensprojekt  v.  1 712  u.  König  Stanisl.  Leszczynski.     191 

einem  Frieden  mit  dem  K.  Augusto  vermocht  haben  würde,  so 
-würde  eben  dadurch  er  selbst  vor  seine  Person  gleichfalls  schon 
za  allem  disponirt  seyn.  Weil  nun  das  Werk  notwendig  in  dieser 
Ordnung  gehen  müsse,  als  sey  nötig, 

3.  dass  der  K.  Augustus  vermittelst  eines  authentischen  Instru- 
Hienti  sich  declarire,  worin  die  Essenz  dieses  Tractats  bestehen,  und 
-welches  derselben  Sicherheit  seyn  solle? 

4.  Und  damit  der  K.  Stanislaus,  wie  höchst  geneigt  zu  solcher 
Pacification  er  sey,  bezeugen  möge,  so  wolle  er  selbst  zulängliche 
Wege  an  die  Hand  geben,  wodurch  die  Mediation  S.  Königl. 
Preussischen  Majt  zu  erwünschtem  Effect  gedeyen  möge,  nehmlich 
dass  Seine  Königl.  Majt.  in  Preussen  über  sich  nehmen,  den 
König  Augustum  dahin  zu  vermögen,  (und  dass  dieses  zu  einem 
Praeliminari  diene),  dass  letztgedachte  Majestät  sich  erkläre,  1.) 
Von  der  Alliantz  mit  Moscau  abzustehen.  2.)  etliche  tausend  Mann 
unter  Commando  des  Königs  von  Schweden  zu  geben.  3.)  dero 
Truppen  sofort  aus  Pommern  abzuführen;  weil  zu  befürchten,  falls 
bey  bevorstehender  Bataille  die  sächsischen  Truppen  sich  mit- 
befinden  sollten,  und  Schweden  obsiegte,  dass  hiedurch  die  Frie- 
denshandlung so  viel  schwerer,  wo  nicht  unmöglich  gemacht  werden 
dörfte.  4.)  Dass  endlich  auch  der  König  Augustus  über  sich  nehme, 
den  König  von  Dänemark  von  der  Alliantz  mit  Moscau  abzuführen, 
gleichwie  vermutet  wird,  das  er  Selbten  zu  der  geschehenen  Ruptur 
mit  Schweden  veranlasset  habe. 

5.  Wann  nun  obigem  gemäs  man  sich  erkläret,  so  ist  Adler- 
feld beordert,  Nahmens  des  K.  Stanislai  den  K.  v.  Schweden  dahin 
zu  disponiren,  dass  auch  derselbe  zu  dem  Frieden  sich  geneigt  be- 
zeuge; und  verspricht  K.  Stanislaus  hiebey  alle  möglichste  Officia 
zu  solchem  Ende  bey  dem  K.  von  Schweden  anzuwenden,  wenn 
man  nur,  wie  oben  gedacht,  ihme  zulängliche  Illicia  und  Beweg- 
gründe an  Hand  gäbe,  und  wünschet  höchstgedachter  König,  dass 
man  hierum,  um  sortem  armorum  zu  praeveniren,  möglichst  eile. 

Dieses  würden  also  diejenige  Puncta  seyn,  welche  die  Paci- 
fication zwischen  des  Königs  von  Schweden  und  Königs  August 
Mt  Mt.  betreffen;  welche  Pacification  wohl  die  erste  und  wichtigste 
seyn  wird.  Die  andere,  zwischen  K.  Stanislao  und  K.  Augusto, 
würde  weniger  Schwürigkeit  machen,  und  hätte  desfalls  der  König 
Stanislaus  zu  S.  Königl.  Mt.  in  Preussen  Aequität  und  Aequanimität 
das  allervollkommenste  Vertrauen. 

Mit  dieser  Erklärung  erliess  der  K.  Stanislaus  Arnolden,  ihme 
zur  Beschleunigung  seiner  Rückreise  eine  eigene  Fregatte  von 
30  Stücken  mitgebend,  mit  welcher  er  d.  31.  Augusti  von  Carlskrona 
abgesegelt,  folgenden  Tages  in  Colberg  an  Land  gestiegen,  und 
drauf  d.  4.  Sept.  in  Berlin  angelanget. 

Berlin  d.  6.  Sept.  1712. 


192  Kurt  Schottmüller. 

IL 
Reponce  a  llnatruction  de  Benjamin  Arnold.1) 

Benjamin  Arnold  &  son  retour  ä  Berlin  representera  ä  Sa 
Majeste*  le  roy  de  Prusse  ou  devant  son  ministere  le  sensible  chagrin» 
dont  Sa  Majeste  le  roy  de  Pologne  a  £te  touche  de  voir  Sa  Ma- 
jeste le  roy  de  Prusse  desespere*  au  sujet  de  son  rttablissement 
sur  le  throne.  II  seroit  ais6  de  le  convaincre  du  contraire,  si  on 
vouloit  se  vanter  de  ses  forces,  de  la  considerable  partie  des  Polo- 
nois  que  nul  mauvais  sort  ne  sauroit  obliger  ä  changer  de  senti- 
ment  et  enfin  des  ressources,  avec  les  quelles  la  bienseance  empeche 
d'gclater;  si  le  sort  de  son  regne  n'6toit  point  soümis  ä  la  volonte 
de  dieu;  et  si,  bien  lotn  de  le  faire  consister  dans  l'appui  des 
armes,  Sa  Majeste  Polonoise  ne  mettoit  point  toute  sa  confiance 
dans  la  justice  de  dieu.  Ainsi  la  mesme  espgrance  lui  reste  tou- 
jours  qua  ses  adversaires,  tandis  qu'il  a  les  armes  ä  la  main, 
les  armes  surtout  de  son  allie  accoutumees  ä  des  evenements  plus 
eztraordinaires  qu'il  n'en  faut  pour  son  retablissement.  Sa  Majeste' 
seroit  bien  satisfaite,  si  les  revers  journaliers  de  cette  guerre  pou- 
Voient  desabuser  Sa  Majeste  le  roy  de  Prusse  du  peu  d'espe*rance 
qu'elie  a  du  retour  de  sa  fortune.  Si  l'eloignement  de  Sa  Majeste 
le  roy  de  Suede  a  retenu  jusqu'ä  present  les  affaires  dans  une 
certaine  langueur,  nous  sommes  sur  le  point  de  nous  reveiller  de 
cet  assoupissement,  oü  l'absence  de  ce  prince  nous  a  mis,  et  ce 
grand  dieu,  qui  nous  donne  les  moyens  de  nous  mettre  en  etat, 
de  disputer  la  couronne  de  Pologne,  en  trouvera  assez  pour  la 
faire  obtenir. 

Sa  Majeste  Polonoise  reconnolt  neantmoins  l'affection  sincere 
et  veritable  de  Sa  Majeste  le  roy  de  Prusse,  de  ce  qu'elie  vent 
bien  entremettre  son  autorite  pour  retablir  le  repos  dans  le  roy- 
aume  de  Pologne;  la  republique  ne  sauroit  etre  que  tres  sensible 
un  jour  languissante  qu'elie  est  apres  sa  tranquiilite.  Mais  avant 
que  de  l'entamer  il  faut  considerer,  si  le  calme  de  la  maniere 
propos£e  ne  lui  seroit  pas  plus  dangereux  que  la  tempete,  dont 
eile  est  agit£e.  On  en  a  veu  une  funeste  experience  du  commen- 
cement  du  regne  du  roy  Auguste,  come  ce  royaume  assoupi  de  son 
repos  et  de  sa  tranquiilite  se  trouvoit  sur  le  point  de  sa  perte,  si 
la  puissante  assistance  du  roy  de  Suede  n'avoit  pas  fait  rompre 
les  mesures  prises  pour  sa  ruine.  Le  meme  cas  subsiste  encore  et 
il  v  a  de  plus  ä  craindre,  que  la  chute  de  la  Pologne  ne  cause  pas 
edle  de  ses  voisins.  Si  Sa  Majeste  Polonaise  a  aeeepte  la  couronne, 
cela  n'a  jamais  €t€  en  vue  que  pour  la  tenir  come  en  depost,  afin 
quo  la  poste"rite  n'en  perde  pas  la  possession  et  qu'elie  la  reprenne 
sans  aueune   atteinte.    Ainsi  cela  seroit  mal  la  conserver  que  de  la 

')  Geh.  Staatsarchiv  zu  Berlin  Rep.  XI  Schweden  274.  II.  Nr.  54. 


Das  preuss.  Friedensprojekt  v.  17 12  u.  König  Stanisl.  Leszczynskt.     193 

rendre  k  un  prince,  qui  a  fait  voir,  que  les  loix  et  la  liberte  de 
Pologne  sont  des  bijoux  äpineux  de  cette  couronne,  qui  le  Wessen  t. 

Sa  Majeste  le  roy  de  Pologne  auroit  souhaite,  qu'on  lui  eüt 
represente  des  raisons  veritables  du  salut  de  sa  patrie,  pour  le 
disposer,  d'accepter  des  offres  pareilles;  le  zele,  qu'elle  a  envers 
eile,  auroit  pü  la  rendre  plus  attentive.  Mais  il  est  bien  difficile 
de  mettre  la  derniere  inain  aux  malheurs  irreparables  de  la  Pologne 
en  affermissant  le  mal,  qui  la  tient  par  la  gorge.  Ainsi  pour  faire 
goüter  k  Sa  Majeste  les  dites  raisons  il  faudroit  l'attirer  par  son 
foible,  qui  est  de  lui  faire  voir,  que  la  republique  de  Pologne 
n'aura  aucune  atteinte  dans  ses  etats  ni  dans  ses  immunites;  que 
la  gloire  de  Sa  Majeste  le  roy  de  Suede  son  allte  aura  toute  sa 
satisfaction  et  que  la  negociation  aura  une  plus  grande  sürete  que 
la  derniere  faite  a  Alt-Ranstadt. 

Pour  ce  qui  est  du  titre  du  roy,  Sa  Majeste  le  roi  de  Po- 
logne Pa  acquis  d'un  peuple  electeur  par  le  choix,  qu'il  a  fait  de 
sa  personne.  Elle  a  öte  reconnue  pour  tel  par  toutes  les  puissances 
et  ce  qui  lui  fait  toujours  un  tres  agröable  Souvenir,  par  Sa  Ma- 
jeste" le  roy  de  Prusse  le  premier,  et  meme  par  son  proare  adver- 
saire,  le  roy  Auguste.  Qui  est  ce  qui  voudra  se  donner  an  d6dit 
pour  lui  disputer  ce  titre  la. 

Pour  le  revenu  de  sa  subsistance  ce  n'est  pas  ce  qui  l'a 
jamais  tente,  ni  qui  l'obiigefa  ä  autoriser  la  perte  de  sa  patrie. 

Quant  k  ses  terres  hereditates,  le  roy  Auguste  n'en  sauroit 
pas  fctre  le  maitre  ni  pour  les  retenir  ni  pour  les  rendre;  la  repu- 
blique £tant  la  maltresse  de  son  territoire  en  disposera  et  se 
souviendra  du  moins,  si  le  bon  dieu  ne  la  tire  pas  de  ce  malheur, 
que  sa  liberte  est  ensevelie  dans  les  cendres  du  patrimoine  de  Sa 
Majeste*  Polonoise. 

Quant  ä  la  succession  ä  la  couronne  Sa  Majeste  n'est  nulle- 
ment  si  ennemi  de  la  personne  du  roy  Auguste  pour  qu'elle  attende 
naltre  sa  prosperite  de  son  tombeau;  eile  lui  souhaite  une  heureuse 
et  longue  suite  des  amtees  mais  pas  a  ses  depens. 

Quant  k  ce  qu'il  s'agit  de  renoncer  aux  pretensions  sur  la 
couronne  de  Pologne  pendant  la  vie  du  roy  Auguste,  c'est  une 
affaire,  ä  la  quelle  come  il  est  expliqud  cidessus,  il  faudroit  que 
Sa  Majeste  le  roy  de  Pologne  soit  porte  par  des  motifs  plus 
salutaires  k  la  Pologne,  que  ne  sont  point  ceux,  que  contribueroient 
a  la  souverainete  du  roy  Auguste.  Si  cela  n'est  pas  dans  son  pouvoir 
de  delivrer  la  Pologne  de  son  joug,  du  moins  ne  voudroit  eile  pas 
effacer  les  traces,  qu'elle  a  franchise  aux  bons  patriotes,  pour  qu'en 
les  suivant  ils  puissent  parvenir  k  leur  premier  lustre,  etant 
asseuree,  qu'elle  sert  de  barriere  encore  teile  eloigitee,  qu'elle  est 
pour  empecher  le  roi  Auguste,  k  etouffer  l'apparence  de  la  liberte, 
qui  reste.      Sa  Majeste   offre  tous   ses  Offices  aupres  de  Sa  Majeste 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  fflr  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XIX.  IS 


194  Kurt  Schottmüllcr. 

lc  roy  de  Suede,  pour  le  portcr  ä  la  paix,  pourvcu  qu'il  n'y  ait  riet* 
de  prejudiciable  ä  sa  gloire  et  qu'il  n'y  ait  rien,  qui  le  puisse  rebuter 
ä  entendre  parier  de  la  paix  avec  un  prince,  qui  ne  lui  a  pas 
tenue.  Et  c'est  sur  cette  esperance  que  Sa  Majeste  le  roi  de 
Prasse  fera  attention  aux  justes  remonstrances  de  Sa  Majeste*  le 
roy  de  Pologne  et  qu'eile  trouvera  des  moyens  pour  que  le  roy 
Auguste  se  declare  plus  ouvertement;  qu'eile  envoye  le  sieur 
Adlerfeld,  son  premier  chambellan,  aupres  de  Sa  Majeste  le  roy 
de  Suede,  pour  convenir  avec  eile  du  meine  sentiment  au  sujet  de 
la  tranquilite*  du  nord,  avant  quoy  il  est  impossible,  qu'on  puisse 
dire  quelque  chose  de  decisif,  sur  quoy  s'il  plaira  ä  Sa  Majeste  le 
roy  de  Prusse  de  le  charger  de  ses  commissions,  on  peut  s'attendre- 
de  sa  capacite*  qu'il  saura  bien  representer  l'affaire  ä  Sa  Majeste* 
et  nous  faire  connoltre  ses  sentiments  &  son  retour,  ce  qui  sera 
dans  la  suite  la  regle  de  notre  negociation;  etant  notoire  que  la 
delicatesse  de  l'amitie*  de  ce  prince  vaut  une  couronne  et  qu'on 
ne  sauroit  estre  plus  heureux  que  quand  on  a  son  sort  entre  ses  mains. 

Benjamin  Arnold  retournera  sur  ses  pas  la,  oü  il  trouvera 
alors  Sa  Majeste*  le  roy  de  Pologne,  pour  lui  apprendre  le  contenu 
de  la  depeche  du  sieur  Adlerfeld  et  pour  la  rendre  certaine  de  la 
continuation  de  la  bonne  amitie  et  disposition  de  Sa  Majeste*  le  roy 
de  Prusse  envers  eile. 

Fait  a  Carlscrona  le  25  d'aoust  1712. 

StanislasRoy.  L.  S. 


Geschichte  Fraustadts  im  Mittelalter. 

Von 
Hugo  Moritz. 


Vorbemerkung  über  die  Quellen. 

Die  vorliegende  Arbeit  beabsichtigt,  unter  Heranziehung  aller 
erreichbaren  Quellen  die  Geschichte  der  Stadt  Fraustadt  bis  zum 
Ende  des  T5.  Jahrhunderts  darzustellen;  sind  doch  die  bisherigea 
Darstellungen  von  Wuttke1)  und  Braune2),  von  der  dürftigen 
Zusammenstellung  Neigebaurs  ganz  abgesehen  %  gerade  für  diese  Zeit 
durchaus  unzureichend.  Die  Arbeit  will  damit  zugleich  eine  Ein- 
leitung bilden  zu  der  im  Laufe  des  nächsten  Jahres  zu  erwartenden: 
Publikation  zweier  Fraustädter  Bürger  Chroniken  des  16.  und  17.  Jahr- 
hunderts in  den  Sonderveröffentlichungen  der  Historischen  Gesell- 
schaft für  die  Provinz  Posen. 

Als  Quellenmaterial  kommt  in  erster  Linie  der  ziemlich  um- 
fangreiche Urkundenschatz  der  Stadt  in  Betracht4),  der  zum  weit- 
aus grössten  Teile  als  Depot  der  Stadt  Fraustadt  im  Königlichen 
Staatsarchiv  zu  Posen  aufbewahrt  wird,  während  sich  einige  wenige 
Stücke  im  Besitz  des  Staatsarchivs  und  des  Kaiser-Friedrich- 
Museums  befinden  und  die  ältesten  Privilegien  nach  Warschau  ge- 
langt sind.  Alle  zu  Ende  des  18.  Jahrhunderts  im  Original  oder  in 
Abschriften  und  Grodauszügen  im  Besitz  der  Stadt  befindlichen 
Urkunden,  d.  h.  der  bei  weitem  grösste  Teil  der  in  Betracht  kom- 
menden Urkunden  überhaupt,  finden  sich  übrigens  in  wörtlichen 
Abschriften  in  einem  von  der  1780—83  in  Fraustadt  tagenden  „Kom- 
mission der  guten  Ordnung"  angelegten  und  jetzt  im  Besitze  des 
Posener  Staatsarchivs  befindlichen  Privilegienbuche,  in  ausführlichen 
Regesten  in  dem  von  derselben  Kommission  herausgegebenen  Werke 


')  Stfldtebuch  des  Landes  Posen,  Leipzig  1864;  2.  (Titel)auflage  1877. 

*)  Geschichte  der  Stadt  Fraustadt,  Fraustadt  1889. 

3)  Urkundliche  Nachrichten  Ober  die  frohere  Geschichte  von  Fraustadt  in  Lede- 
bars  AJlg.  Archiv  für  die  Geschichtskunde  d.  preuss.  Staates  XV  (1834)  S.  82—89. 

')  Zum  Folgenden  vgl.:  Warschauer,  die  städtischen  Archive  in  der  Provinz 
Posen,  Leipzig  1901,  S.  43  ff. 

18« 


196  Hugo  Moritz. 

„Stan  miasta  I.  K.  Mci.  Wschowy  l).u  Doch  ist  diese  wichtige  Ver- 
öffentlichung fast  ganz  in  Vergessenheit  geraten  und  weder  in 
Wuttkes  Städtebuch  noch  in  Braunes  Geschichte  von  Fraustadt  be- 
nutzt worden.  Ergänzt  werden  die  erwähnten  Urkundenbestände 
durch  die  Bücher  der  Kronmetrik  in  Warschau2),  aus  denen  mir 
Herr  Dr.  Warschauer  in  dankenswerter  Weise  Regesten  der  ein- 
schlägigen Stücke  zur  Verfügung  gestellt  hat.  Einige  kirchliche 
Urkunden  von  geringerer  Bedeutung  finden  sich  in  dem  auf  dem 
Kgl.  Staatsarchiv  befindlichen  Repertorium  des  Erzbischöflichen 
Konsistorialarchivs  zu  Posen  verzeichnet.  Von  mehreren  derselben 
besitzt  das  Staatsarchiv  auch  ausführliche  Regesten.  Das  Breslauer 
Stadtarchiv  lieferte  einige  wenig  wichtige  Korrespondenzen.  —  Die 
älteren  Urkunden  bis  zum  Jahre  1400  sind,  nachdem  sie  grossen- 
teils  schon  an  anderen  Stellen  gedruckt  waren,  jetzt  sämtlich  im 
Codex  diplomaticus  Maioris  Poloniae8)  vereinigt,  einige  der  ältesten 
in  dem  Codex  diplomaticus  Poloniae  Bd.  IV  (Res  Silesiacae)4)  noch 
•einmal  nach  den  Originalen  gedruckt.  Eine  Anzahl  Urkunden  des 
15.  Jahrhunderts  sind  in  dem  älteren  grosspolnischen  Urkunden- 
buche  von  Raczynski5)   und   in  Wuttkes  Städtebuch  veröffentlicht. 

Neben  den  Urkunden  waren  vor  allem  die  zerstreuten  Er- 
wähnungen schlesischer  und  polnischer  Chronisten  heranzuziehen,  die 
jetzt  —  abgesehen  von  dem  grossen  Werke  des  Dlugosz6) — grössten- 
teils in  den  Scriptores  rerum  Silesiacarum  und  dem  Codex  diplo- 
maticus Silesiae,  sowie  in  den  Scriptores  rerum  Polonicarura  und 
den  Monumenta  Poloniae  historica  vereinigt  sind. 

Die  Grodbücher  von  Fraustadt  (Inscriptiones,  später  auch  Re- 
lationes  und  Resignationes  Wschowenses)  beginnen  erst  mit  dem 
Jahre  1497,  die  Stadtbücher  (Rats-,  später  auch  Schöffen-  bzw.  Vogts- 
bücher) mit  dem  Jahre  1507,  die  Kirchenbücher  erst  gegen  Ende  des  16. 
Jahrhunderts.  Die  Grodbücher  gehören  dem  Posener  Staatsarchiv  an, 
die  Stadtbücher  werden  als  Depot  der  Stadt  dort  aufbewahrt,  die 
Kirchenbücher  befinden  sich  noch  in  den  Händen  der  betreffenden 
Gemeinden.  Für  das  16.  und  17.  Jahrhundert  sind  diese  Bücher 
grösstenteils  durchgesehen  und  die  in  ihnen  vorkommenden  Ab- 
schriften mittelalterlicher  Urkunden  und  sonstigen  einschlägigen 
Stellen  verwertet  worden.  Einzelne  Urkunden  fanden  sich  auch  in 
den  ebenfalls  auf  dem  Posener  Staatsarchiv  befindlichen  Posener 
und  Kostener  Grodbüchern,  die  natürlich  nicht  systematisch  durch- 
gesehen werden  konnten. 

*)  Lissa  1783,  vgl.  Warschauer  a.  a.  O.  S.  48.  —  Alle  Urkunden,  bei  denen  in 
Folgenden  die  Stelle  desStan  augegeben  ist,  finden  sich  also  im  Wortlaut  im  Privilegien - 
Whe.    Für  uns  kommt  nur  der  Band,  der  die  Privilegien  der  Altstadt  enthalt,  in  Betracht. 

-)  Vgl.  Ober  diese  Warschauer,  die  städtischen  Archive  S.  XVII. 

3)  Bd.  1— IV.  Posen  1877— Si  (citiert:  tod.) 

«)  Warschau  1887  (citiert:  Cod.  Pol.) 

D)  Raczynski,  codex  diplomaticus  maioris  Poloniae,  Posen  1840. 

•)  Historiae  Polonicae  libri  ia  Bd.  I— V,  Krakau  1873—78,  Index  1887. 


Geschichte  Fraustadts  im  Mittelalter.         •  igf 

Einige  chronikalische  Notizen  von  der  Hand  des  bekannten 
FrmnstAdter  Predigers  Valerius  Herberger  (f  1627)  finden  sich  in 
einem  Kalendarium  Paul  Ebers  (Wittenberg  1573),  welches  der 
Bibliothek  des  Kripplein  Christi  in  Fraustadt  gehört  und  jetzt  in  der 
Bibliothek  des  Posener  Staatsarchivs  aufbewahrt  wird  (Dep.  Frst. 
448).  Eine  auffallende  Uebereinstimmung  mit  diesen  Notizen,  die 
entweder  auf  direkte  Entlehnung  oder  auf  Benutzung  einer  gemein- 
samen Quelle  zurückgehen  muss,  zeigen  die  Angaben  in  dem  sehr 
seltenen  „Fraustadtischen  Evangelien-Liecht"  des  Paul  Clapius  (Görlitz 
167a)1).  Auch  Lauterbach  in  seinem  „Leben  Valerius  Herbergers" 
(Leipzig  1708,  2.  Aufl.  171 1)  und  in  seinem  .Fraustadtischen  Zion" 
(Leipzig  1711)*)  greift  gelegentlich  auf  die  ältere  Zeit  zurück,  ohne 
jedoch  über  die  von  ihm  benutzten  Angaben  von  Herberger  und 
Clapius  und  die  Mitteilungen  der  schlesischen  und  polnischen  Chro- 
nisten wesentlich  hinauszugehen. 

An  einigen  Stellen  konnten  endlich  die  im  Archiv  der  katho- 
lischen Pfarrkirche  in  Fraustadt  aufbewahrte  Chronik  des  Franzis- 
kaner- oder  Bernhardinerklosters8)  und  die  auf  der  Raczynskischen 
Bibliothek  in  Posen  befindliche  polnische  Geschichte  Fraustadts  von« 
Joseph  Jonemann4)  herangezogen  werden,  wenn  auch  beide  nach 
ihrer  Entstehung  um  die  Wende  des  18.  und  19.  Jahrhunderts  für  die 
älteren  Zeiten  keinen  eigentlichen  Quellenwert  haben  und  die  erstere 
grösstenteils  aus  auch  sonst  bekannten  Urkunden  zusammengesetzt  ist. 

Diese  Beschaffenheit  des  Materials  —  das  Fehlen  einer  zu- 
sammenhängenden Uebertieferung  —  mag  es  entschuldigen,  wenn 
unsere  Darstellung  einen  etwas  fragmentarischen  Charakter  trägt 

Die  wiederholt  benutzten  und  abgekürzt  citierten  Werke  sind,, 
soweit  noch  nicht  angeführt,  folgende: 

(Röpell)— Caro:  Geschichte  Polens  Band  II— V,  Gotha  1863—1886. 

Friedensburg:  Schlesiens  Münzgeschichte  im  Mittelalter,  2.  Bde.  (Cod.  . , 
dipl.  Silesiae  Bd.  12  u.  13.)  Breslau  1887— 88.  —  Nachtrag,  Bd.  23. 

Grünhagen:  Geschichte  Schlesiens  Bd.  I,  Gotha  1884. 

Hupp:  Wappen  und  Siegel  der  deutschen  Städte,  Flecken  und 
Dörfer,  2.  Heft:  Pommern,  Posen  und  Schlesien,  Frankfurt 
a.  M.  1898. 

Kirmis:  Handbuch  der  polnischen  Münzkunde,  Posen  1892  (als  „Ein- 
leitung in  die  polnische  Münzkunde"  zuerst  erschienen  in 
dieser  Zeitschrift  Bd.  IV— VI). 


»)    Ich  kenne  nur  ein  Exemplar  im  Besitze  der  Breslauer  Stadtbibliothek. 

2)    Die  vollen  Titel  s.  bei  Warschauer,  die  städtischen  Archive  S.  57. 

*)  Archivium  conventns  Vschovensis  Fratrum  Minorum  Observanüum....  anno 
domini  1790. 

«)  Drieje  ziemi  Wschowskiey  i  stolecznego  jey  miasta  Wschowy  etc.,  75  Blatt. 
Manuskripte  Nr.  59). 


198  Hugo  Moritz. 

Kirmis:  Beiträge  zur  Wappen-  und  Münzkunde  Grosspolens  1)  Frau- 
stadt, in  Meyers  Zeitschr.  für  Gesch.  u.  Landeskunde  der 
Prov.  Posen  Bd.  III,  Posen  1884. 
—  Münzgeschichte  der  Stadt  Fraustadt  und  Neue  Beitrage  zur 
Münzgeschichte  der  Stadt  Fraustadt  (S.  A.  aus  den  Berliner 
Münzblattern  1885  und  1886). 

Minsberg:  Geschichte  der  Stadt  und  Festung  Gross-Glogau,  2.  Bände, 
Glogau  1853. 

Monatsblätter  =  Historische  Monatsblätter  für  die  Provinz  Pose«, 
Posen  1900  ff. 

Regesten  zur  schlesischen  Geschichte,  hrsg.  von  Grünhagen  (zur  Zeit 
bis  1333)  in  Cod.  dipl.  Silesiae  VII  1  (2  Aufl.  1884),  2,  3,  XVI, 
XVm  und  XXII  (citiert:  Schles.  Regesten  I— VI). 

Schmidt,  Geschichte  des  Deutschtums  im  Lande  Posen  unter  polni- 
scher Herrschaft,  Bromberg  1904. 


I.    Äussere  Geschichte  der  Stadt  bis  zum  endgiltigen 
Anfall  an  Polen. 

Die  Stadt  Fraustadt  ist  nicht  so  alt  oder  wenigstens 
nicht  so  früh  nachweisbar,  wie  man  gewöhnlich  annimmt 
Die  Besiedelung  der  Stätte  mag  allerdings,  wie  Urnen- 
funde zeigen,  in  die  heidnische  Zeit  zurückgehen1).  Die 
ältesten  Nachrichten  über  eine  städtische  Ansiedlung  an 
«dieser  Stelle  sind  dagegen  unbeglaubigt  oder  beruhen  auf 
einem  Irrtum.  Ganz  unbeglaubigt  ist  die  Ueberlieferung, 
dass  die  Stadt  im  Jahre  1150  gegründet  sei2).  Auf  einem 
Irrtum  beruht  die  Angabe  Wuttkes,  dass  Fraustadt  zu 
Anfang  des  13.  Jahrhunderts  bereits  deutschrechtliche 
Stadt  gewesen  sei8),  die  dann  in  andere  lokal-  und  pro- 
vinzialgeschichtliche  Schriften4),  ja  auch  in  Werke  allge- 
meineren Charakters5)   übergegangen  ist    Die  angebliche 


l)  Jonemann  f.  1,  Lauterbach,  Zion  S.  73,  Wuttke  S.  394. 
Besonders  sollen  solche  Funde  nach  Jonemann  in  der  Gegend  der 
früheren  Ziegelei  hinter  dem  Bernhardinerkloster  gemacht  wor- 
den sein. 

*)    Lauterbach,  Zion  S.  62. 

*)    Städtebuch  S.  294. 

l)    Braune  S.  8;  Meyer,  Geschichte  des  Landes  Posen  S.  133. 

=)    Kaemmel,  deutsche  Geschichte  S.  427. 


Geschichte  Fraustadts  im  Mittelalter.  199 

Urkunde  vom  Jahre  1204,  von  der  Wuttke  durch  private 
Mitteilung    Kenntnis    erhielt,    hat    niemals   existiert.    Es 
handelt  sich  höchstwahrscheinlich,  wie  auch  die  Regesten 
zur  schlesischen  Geschichte1)    annehmen,   um   eine    Ver- 
wechslung mit  der  später  zu  erwähnenden  Urkunde  vom 
12.  Dezember  1310  oder  auch  mit  dem  grossen  Privileg 
vom  Jahre  1404,  das  allerdings  beträchtlich  mehr  enthält, 
^ls  jene  Urkunde  von  1204  nach  Wuttke  enthalten  haben 
soll.  Die  älteste  urkundliche  Erwähnung  des  Ortes  dürfen 
wir  wohl  mit  Warschauer2)  in  das  Jahr   1248   setzen,   in 
welchem  uns  Veschow  als  Ausstellungsort  einer  Urkunde 
der  beiden  schlesischen  Herzöge  Boleslaw  und  Heinrich, 
zweier  Söhne  des  bekannten  im    Jahre    1241    bei   Wahl- 
statt im  Kampfe  gegen  die  Mongolen  gefallenen  Herzogs 
Heinrich  II.  des  Frommen  von  Liegnitz,  begegnet8).     Wir 
dürfen  in  Veschow  wohl  mit  Recht  den  polnischen  Namen 
von  Fraustadt    (Wschowa)    erblicken.    Ob  sich  dort   be- 
reits eine  städtische  Ansiedelung  oder  vielleicht   nur  ein 
Schloss  befand,  lässt  die  Fassung  des  Datums   allerdings 
nicht  erkennen.    Als    Stadt   wird    Fraustadt  zum    ersten 
Male  im  Jahre  1273  bezeichnet,  wo  es  in  der  Gründungs- 
urkunde    für    das   benachbarte    Dorf  Pritschen4)   als  „an- 
liegende Stadt"  (civitas  adiacens)  —  freilich  ohne  Namen 
—  erwähnt  wird5).     Der  Name  Fraustadt   begegnet   uns 
erst  in  einer  Urkunde  des  Jahres  12906).    Im  allgemeinen 


*)    I  S.  84  f. 

2)    Die  städtischen  Archive  S.  43. 

»)    Cod.  I  S.  241. 

*)  Nur  in  einem  Transsumpt  von  1447  erhalten,  Wuttke  S. 
12,  besser  Cod.  I  S.  398. 

6)  Daher  die  Zahl  1273  auf  dem  Wappen  am  Rathaus;  Ab- 
bildung desselben  bei  Vossberg,  Wappenbuch  der  Städte  d.  Gross- 
herzogtums Posen,  Berlin  1866,  Tafel  III.  (vgl.  Kirmis,  Beiträge  S. 
330).  Die  in  älteren  Schriften  wiederholt  vorkommende  Angabe,  dass 
Fraustadt  1273  Stadtrecht  erhalten  habe  (z.  B.  Vossberg  S.  8,  Kir- 
mis, Münzgeschichte  S.  1),  geht  jedenfalls  auch  auf  unsere  Urkunde 
.zurück. 

«)  Wuttke  S.  143,  Cod.  II  S.  43,  Cod.  Pol.  IV  S.  1,  Schlesische 
Regesten  HI  S.  132. 


200  Hugo  Moritz. 

können  wir  annehmen,  dass  Fraustadt  kaum  lange  vor  dem 
Jahre  1250  gegründet  sein  wird,  da  erst  um  diese  Zeit 
zahlreichere  schlesische  und  posensche  Städte,  das  benach- 
barte Glogau  z.  B.  ebenso  wie  die  deutsche  Stadt  Posen 
im  Jahre  1253,  gegründet  wurden1). 

Dass  Fraustadt  gleich  als  deutsche  Stadt  angelegt 
wurde,  zeigt  die  bauliche  Anlage  mit  dem  quadratischen 
Marktplatz  und  den  von  den  Ecken  desselben  ausgehenden 
Strassen,  die  in  allen  wesentlichen  Stücken  dem  üblichen 
Plane  der  deutschen  Kolonialstädte  im  Osten8)  entspricht. 
Von  einer  älteren  städtischen  Ansiedlung  slavischen  Ur- 
sprunges, neben  der  die  deutsche  Stadt  erbaut  worden 
wäre,  wie  dies  in  zahlreichen  schlesischen3)  und  auch  in 
manchen  posenschen  Städten  —  man  denke  an  Posen 
selbst  —  der  Fall  war,  finden  wir  nirgends  eine  Spur. 
Dagegen  macht  die  eigenartige  Lage  der  Stadt  zwischen 
den  in  ältester  Zeit  unter  dem  Namen  Pritschen  zu- 
sammengefassten  Dörfern  Ober-  und  Niederpritschen,  die 
sich  westlich  bezw.  östlich  an  die  Stadt  anschliessen  und 
mit  ihrer  Feldflur  das  Stadtgebiet  umfassen,  wahrschein- 
lich, dass  die  Stadt  auf  dem  Gebiete  dieses  im  Jahre 
1273  zu  deutschem  Rechte  ausgesetzten,  aber  jedenfalls 
schon  vorher  bestehenden  Dorfes4)  gegründet  ist  Eine 
Gründungsurkunde  für  Fraustadt  finden  wir  nirgends  er- 
wähnt Jedenfalls  war  eine  solche  im  Jahre  1404  nicht 
mehr  bekannt,  da  die  Stadt  sie  sich  sonst  ohne  Zweifei 
in  dem  später  näher  zu  besprechenden  grossen  Privileg 
hätte  bestätigen  lassen. 

Der  Name  Fraustadt  ist  jedenfalls,  wie  auch  Lauter- 
bach6) annimmt,   von    unserer  lieben  Frau  hergenommen. 


i)    Grünhagen  I  S.  88 

2)  Vergl.  z.  B.  Grünhagen  1  S.  59  f. 

3)  Grünhagen  I  S.  59. 

4)  „villam  nostram",  heisst  es  in  der  Gründnngsurkunde,  „quae 
vulgariter  Priczyn  nuneupatur,  Walthero  eiusdem  villae  contulimus 
iure  theutonico  ....  collocandam." 

5)  Leben  Herbergers  S.  16  f. 


Geschichte  Fraustadts  im  Mittelalter.  201 

Ihr    war  die  Pfarrkirche  ursprünglich  geweiht1).     Ihr  Bild 
zeigt  das  älteste  Stadtsiegel  (an  einer  Urkunde  vom  Jahre 
I3I0)2)«    Die  Erklärung  Wuttkes  (S.  294),  dass  der  Name 
die  Stätte  bezeichne,  „wo  in  unruhigen  Zeiten  die  Weiber 
Schutz  suchten  und  fanden",  ist  wohl  nur  dem  Bestreben 
entsprungen,   den  deutschen  Namen   mit  dem  polnischen 
(Wschowa)   in  Einklang  zu  bringen,   und  erscheint  ziem- 
lich gekünstelt.     Ein  Artikel  über  Fraustadt  in  der  sehr 
seltenen  Wochenschrift  „Südpreussische  Unterhaltungen" 
Posen  1802  (vgl.  diese  Zeitschrift  Bd.  14  S.  264  ff.),  der  im 
allgemeinen  nicht  viel  Neues  bietet,   erwähnt  eine   Sage, 
dass    die  Frauen   sich    einmal    an    der  Verteidigung   der 
Stadt   beteiligt   hätten,   führt   den  Namen  Fraustadt  aber 
selbst  auf  die  Jungfrau  Maria  zurück. 

Als  urkundlich  bezeugte  Namensformen  finden  wir 
1290  Frowenstat,  1310  Vrowenstat  und  Vrowinstat,  1337 
Wrawenstat,  1339  Frowenstat  und  Frowynstat,  1392  Fra- 
winstad,  später  meist  Frawenstadt.  Falsch  sind  die  bei 
polnischen  Geschichtsschreibern  vorkommende,  auf  Un- 
kenntnis des  Deutschen  beruhende  Form  Freystadt8)  und 
die  auf  kirchliche  Tendenzen  zurückgehende  Schreibung 
Fronstadt4),  die  ich  übrigens  in  den  Stadtbüchern  des 
16.  Jahrhunderts  nur  ganz  vereinzelt  einmal5),  in  denen 
des  17.  überhaupt  nicht  gefunden  habe.  Die  griechische 
Obersetzung  Gynaecopolis  findet  sich  in  poetischen  Spiele- 

1)  In  der  Bodenschenkungsurkunde  für  das  Franziskaner-  oder 
Bernhardinerkloster  vom  Jahre  1456  (Archivium  f.  2,  Rel.  Wscho- 
wenses  1670—75  f.  224  b)  nennt  sich  der  Pfarrer  „Benedictes  de 
Costen,  rector  ecclesiae  parochialis  beatae  virg.  Mariae  infra  muros 
Wschowenses".  Der  hlg.  Stanislaus,  dem  die  Kirche  jetzt  geweiht 
ist  (Kohte,  Kunstdenkmäler  d.  Prov.  Posen  IJI  S.  175)  scheint  erst 
später  an  die  Stelle  der  Jungfrau  Maria  getreten  zu  sein,  vielleicht 
als  die  Reliquie  dieses  Heiligen  (Lauterbach,  Zion  S.  17)  dorthin  kam. 

2)  Vgl.  Kirmis,  Beiträge  S.  330  f.  Eine  Abbildung  bei  Saurma, 
Wappenbuch  der  schles.  Städte  Nr.  23.  Ein  Abguss  in  der  Siegel- 
sammlung von  Kirmis  im  Kaiser  Friedrich  Museum  zu  Posen. 

*)  Lauterbach,  Zion  S.  61;  Wuttke  S.  294  Anm.  3. 

*)  Vgl.  Lauterbach,  Herberger  S.  i7,  Wuttke  S.  294  Anm.  3. 

5)  Ratsbuch  1572 — 75  f.  21a. 


2Q2  Hugo  Moritz. 

reien *),  gelegentlich  aber  auch  in  geschäftlichen  Aufzeich- 
nungen2). 

Der  polnische  Name  Wschowa  kommt  vor  dem  im 
Jahre  1343  bzw.  1346  erfolgten  Übergange  der  Stadt 
an  die  Krone  Polen  nur  ganz  vereinzelt  vor.  Sicher  auf 
Fraustadt  zu  beziehen  sind  —  abgesehen  von  dem  schon 
besprochenen  Urkundendatum  von  1248  —  nur  der  in 
einer  Urkunde  Przemysls  von  Grosspolen  1289  a"s  Zeuge 
genannte  Wyerzbyata  castellanus  de  Wschow8)  und  die 
in  einem  aus  dem  Anfange  des  14.  Jahrhunderts  stam- 
menden Einnahmeregister  des  Breslauer  Bistums  zweimal 
vorkommende  Erwähnung  von  „Conradi  villa  (Kursdorf) 
prope  Weschowam4),  sowie  endlich  der  Cunradus  advo- 
catus  de  civitate  Schowa  in  einer  später  näher  zu  be- 
sprechenden Urkunde  für  Seh  wetzkau  vom  Jahre  1333 6). 
Der  Name,  den  schon  Herberger  als  „Festung,  Behältnis, 
Grenzschloss"  deutete6)  und  Wuttke  (S.  294)  genauer  mit 
„Aufbewahrungsort*-  übersetzt,  mag,  wie  Wuttke  vermutet, 
zuerst  von  dem  Schlosse  gegolten  haben  und  dann  auf 
die  Stadt  übergegangen  sein7).  Häufiger  wird  derselbe 
erst  seit  dem  Übergange  der  Stadt  an  Polen.  Urkundlich 
bezeugte  Namensformen  sind  ausser  den  schon  genannten 
besonders  Vschowa,  Wschowa  und  seltener  Schowa. 
Die    aus   dem    15.  Jahrhundert    überlieferte   Form    (pars) 


*)  Ratsbuch  1597 — 1602  f.  46  u.  47. 

2)  S(acrae)  R(omanae)  M(aiestatis)  Commissartorum  protestatio 
Gnyaecopoli  anno  1540  facta    (Stadtarchiv  Breslau  Hs.  O.  20  f.  185). 

3)  Cod.  II  S.  20. 

4)  Cod.  dipl.  Silesiae  XIV  S.  53  u.  161. 

5)  Cod.  II  S.  450.  Die  in  einer  Urkunde  von  1302  vorkommende 
Herrschaft  Weshcowo,  nicht Weschowo  (RaczynskiS.92,  Cod.  II  S.  204), 
an  die  Wuttke  S.  296  denkt,  ist  wohl  Wieszkowo  bei  Kriewen.  Das  als 
Heimat  eines  Saganer  Ratsherrn  erwähnte  Wichow  oder  Wyschow 
in  dem  Landfriedensbündnis  von  1310  (Kirmis,  Beitrage  S.  332,  Cod. 
II  S.  281)  kann  auch  Weichau  bei  Freystadt  bezeichnen. 

6)  Lauterbach,  Herberger  S.  19. 

7)  Auch  in  Herrnstadt  (südöstlich  von  Guhrau)  scheint  die 
Stadt  den  polnischen  Namen  der  Burg  Waiciorz  angenommen  zu 
haben,  Cod.  dipl.  Sil.  XIV  S.  16t  Anm.  269. 


Geschichte  Fraustadts  im  Mittelalter.  303 

Vorschoviensis  *)  ist  eine  blosse  Entstellung;  Uskow, 
\J9ch0via,  Uschohovia  u.  s.  w.a)  sind  willkürliche  Latini- 
sierungen. 

Zur  Zeit   seiner   ersten   Erwähnung   im   Jahre  1248 
geborte  Fraustadt,  wie  aus  der  oben  angeführten  Urkunde 
hervorgeht,  zu  Schlesien.     Im  Jahre  1273   niuss  dagegen 
Pritschen   und   damit   auch  Fraustadt   zu  Grosspolen  ge- 
hört   haben,   da   unter   dem   Aussteller    der   Gründungs- 
urkunde   für   Pritschen,   wie   die  Erwähnung   des  Notars 
Thilo  zeigt8),  unzweifelhaft  mit  Grünhagen4)  undKirmis6) 
Przemysls    IL    von    Grosspolen    und    nicht,   wie  andere 
annehmen6),    der  gleichnamige  Sohn  Conrads  I.  (II.)  von 
Glogau  zu  verstehen  ist7).     Während  dann  die  schon  er- 
wähnte   Aufführung    eines     castellanus     de  Wschow    in 
einer  Urkunde  Przemysls  von  Grosspolen  dafür  zu  sprechen 
scheint,   dass  Fraustadt   im   Jahre  1289   noch   zu  diesem 
Lande  gehörte,  war  es  1290,  wie  die  ebenfalls  schon  an- 
geführte Urkunde   dieses  Jahres  zeigt,  bereits   im  Besitze 
Heinrichs  I.   (III.)   von  Glogau,  jenes   mächtigen  Fürsten,. 
der  bald  darauf  grosse  Stücke  des  Breslauer  Herzogtum* 
an    sich    riss   und    nach   '„der    Ermordung    Przemysls    II 
im  Jahre    1297    als   Herr   eines    bedeutenden  Teils   von 
Grosspolen   mit   Posen,  Gnesen    und  Kaiisch    erscheint0). 
Nach  dem  Tode  Heinrichs  im  Jahre  1309  war  Frau- 
stadt  mit  seinem  Gebiete9)    im  Gemeinbesitz  seiner  fünf 

i)  Cod.  dipl.  Sil.  XV  S.  140. 
s)  Wuttke  S.  294,  Kirmis,  Beiträge  S.  328. 
^  Vgl.  Cod.  I   Nr.  453  mit  Nr.  459.    Siehe  auch  Krzyzanowski, 
diplomy  i  kancellaryja  Przerayslawa  II. 

4)  Schlesische  Regesten  II  Nr.  1432. 

5)  Beiträge  S.  329. 

•)  Wuttke  S.  295  und  nach  ihm  Caro  II   S.  262. 

7)  Danach  wäre  die  Darstellung  älterer  und  neuerer  polnischer 
Geschichtsschreiber,  dass  König  Kasimir  Fraustadt  im  Jahre  1343 
zurückgewonnen  habe,  nicht  so  falsch,  wie  Caro  II  S.  262  Anm.  3 
meint. 

8)  Grünhagen  I  S.  123,  125,  133. 

9)  1307  territorium  Vrowenstatensis,  1312  Wrowihstat  cum* 
suo  districtu,  1337  terra  Vrowenstadt  (Cod.  II  S.  254,  293,  496). 


204  Hugo  Moritz. 

Söhne,  nach  der  Teilung  von  131 2  in  dem  von  Heinrich, 
Johann  und  Primko.  Obgleich  diese  ihr  Gesamtgebiet 
weiter  geteilt  zu  haben  scheinen  —  Heinrich  wird  nach 
Sagan,  Johann  nach  Steinau,  Primko  nach  Glogau  zu- 
benannt1) —  sind  die  Fraustädter  Urkunden  doch  ab- 
wechselnd von  Heinrich  II.  (IV.)  und  Primko  ausgestellt*). 
Nach  des  letzteren  Tode  im  Jahre  1331  kam  Fraustadt 
an  Johann  von  Steinau.  Aber  der  leichtsinnige  und  tief- 
-verschuldete  Fürst  konnte  seinen  Besitz  nicht  behaupten. 
Zuerst  scheint  er  die  Stadt  seinem  Bruder  Konrad  von 
Oels  verpfändet  zu  haben,  dann  überliess  er  sie  am  7.  Juni 
1335  (?)8)  an  seinen  Lehnsherrn,  den  König  Johann  von 
Böhmen,  der  damals  schon  fast  ganz  Schlesien  in  Ab- 
hängigkeit von  sich  gebracht  hatte.  Dieser  versprach, 
Konrad  auszuzahlen  und  Fraustadt  nebst  einer  Reihe  anderer 
Besitzungen  dem  Johann  als  Lehen  auf  Lebenszeit  zurück- 
zugeben. Am  29.  Januar  1336  verzichtete  dieser  jedoch 
auf  sein  ganzes  Fürstentum  Steinau  einschliesslich  der 
StadJ  Fraustadt  gegen  die  Statthalterschaft  des  1331  an  den 
Böhmenherrscher  gekommenen  Glogau4).  Als  er  diese 
noch  vor  Ablauf  eines  Jahres  zurückgab,  scheint  er  einen 
Teil  der  bei  ihrer  Erwerbung  abgetretenen  Besitzungen 
zurückerhalten  zu  haben.  Am  27.  März  1337  verkaufte 
er  nämlich  das  in  dem  damaligen  Vertrage  inbegriffene 
Guhrauische  von  neuem  an  den  König,  indem  er  sich 
lebenslängliche   Belehnung  mit  demselben   und   der  von 

!)  Vgl.  Lux,  Schlesische  Fürstenbüder  187a,  Bogen  26c.  S.  2, 
Grotefend,  Stammtafeln  der  schles.  Fürsten  2.  Aufl.  S.  4,  Minsberg 
Seite  67. 

2)  Die  Annahme  Wuttkes  (S.  295),  dass  die  Stadt  um  das 
Jahr  1322  vorübergehend  im  Besitze  des  Königs  Wladislaw  (Lokietek) 
von  Polen  gewesen  sei,  beruht  auf  der  falschen  Datierung  der  noch 
genauer  zu  besprechenden  Urkunde  über  den  Ankauf  der  Vogtei, 
die  tatsächlich  von  1392  stammt. 

3)  Das  Jahr  ist  nicht  ganz  sicher,  vgl.  Lehns-  und  Besitz- 
urkunden Schlesiens  ....  im  Mittelalter,  herausg.  von  Granhagen 
und  Markgraf  Bd.  I.  S.  139. 

4)  Ueber  den  Anfall  Glogaus  an  König  Johann  s.  Grünhagen, 
Gesch.  Schlesiens  I  S.  145. 


Geschichte  Fraustadts  im  Mittelalter.  205 

Konrad   ausgelösten  Stadt  Fraustadt1)  ausbedang.    Diese 
Abmachung  gelangte  jedoch  nicht  zur  Ausführung.    Viel- 
mehr  verkaufte   Herzog  Johann   kraft  Vertrags   vom  27. 
August  1337  —  mit  nachträglicher  Einwilligung  des  durch 
Ltlben  entschädigten  Böhmenkönigs  vom  25.  März  1338*)  — 
sein  ganzes  Herzogtum  Steinau  einschliesslich  Fraustadts 
an    seine  Brüder  Heinrich   von  Sagan   und  Konrad   von 
Oels,  von  denen  er  es  als  Lehen  auf  Lebenszeit  zurück- 
erhielt.   Fraustadt  scheint  er  dann  bald  wieder  an  Konrad 
von  Oels  verpfändet  zu  haben.    Wenigstens  haben  wir 
eine  vom  27.  Januar  1339  aus  Fraustadt  selbst   datierte 
Urkunde  dieses  Fürsten  für  die  Stadt8),  und  im  Jahre  1341 
wird  Fraustadt  von  Johann  in  einer  Urkunde  für  Heinrich 
von  Sagan  als  verpfändet  bezeichnet4).    Da  fiel  im  Jahre 
1343,    nachdem   schon    zehn    Jahre    vorher    Wladislaus 
Lolrietek  kurz  vor  seinem  Tode  bis  an  das  rechte  Oder- 
ufer  vorgedrungen    war5),    der   Polenkönig    Kasimir   der 
Grosse   in   Schlesien    ein   und  eroberte  Fraustadt6).    Im 
Frühling    1345   erteilte    er   der    Stadt    zwei    Privilegien. 
Im     Sommer      scheint     sie      dann     noch     einmal      in 


1)  una  cum  civitate  Frowenstat  expedita  et  exsoluta  penes 
dominum  ConFadura  Olsnicensem  ducem. 

2)  Die  Angabe  Caros  IL  S.  262,  König  Johann  habe  nur  auf 
Steinau  und  Guhrau  verzichtet,  sich  von  Fraustadt  aber  sofort  huldigen 
lassen,  wird  durch  die  angeführte  Urkunde  widerlegt. 

3)  Vgl.  Wuttke  S.  295. 

*)  Johann  verpflichtet  sich,  jenem  „unse  lant  und  leute,  die  wir 
haben,  und  die  Vrauwenstat,  wen  wir  die  gelosten",  nicht  zu  ent- 
fremden. —  Wuttkes  Erwähnung  einer  von  134 1  datierten  Urkunde 
Kasimirs  von  Polen  für  Fraustadt  beruht  auf  einer  ganz  ungenauen 
Abschrift  der  Urkunde  desselben  Fürsten  vom  23.  Mai  1345  (Cod.  II 
Nr.  1241);  diese  findet  sich  jetzt  im  St.  A.  Posen  und  liegt  beim 
Original  (Fraustadt  A.  12). 

5)  Minsberg  I.  S.  207.  Dass  Fraustadt  dabei  erobert  worden 
sei,  wie  Lauterbach  (Herberger  S.  19)  erzählt,  ist  sonst  nicht  über- 
liefert.   Vergl.  auch  Schles.  Regesten  VI  S.  180. 

^  Czarnkowski  (Mon.  Pol.  Hist.  II  S.  628  f.)  „Kasimirus  rex 
....  anno  domini  1343  congregata  multitudine  armatorum  praedictam 
civitatem  Wschowam  acquisivit  muitosque  captivos  ibidem  cepit".  Bei 
Dlugosz  EIS. 209  ist  die  Erzählung  etwas  weiter  ausgeführt. 


ao6  Hugo  Moritz. 

Konrads  Hände  zurückgekommen  zu  sein.  Am  12.  August 
sah  sich  dieser  jedoch  infolge  der  grossen  im  Kriege 
mit  Polen  erlittenen  Verluste  genötigt,  die  Stadt,  viel- 
leicht auch  nur  den  Anspruch  auf  dieselbe,  nebst  anderen 
Besitzungen  an  den  Böhmenkönig  zu  verkaufen.  Doch 
auch  der  Böhme  konnte  Fraustadt  nicht  behaupten  oder 
wiedergewinnen.  Ende  September  war  die  Stadt,  wie  die 
Urkunden  beweisen,  wieder  in  den  Händen  Kasimirs^ 
und  im  Frieden  von  1346  kam  sie  nebst  ihrem  Gebiete 
endgiltig  an  Polen1),  um  nun  dauernd  bei  diesem  Reiche 
zu  bleiben9).  Das  Fraustädter  Land  nahm  übrigens  inner- 
halb der  Woiwodschaft  Posen,  zu  der  es  geschlagen 
wurde,  bis  zum  Ende  des  polnischen  Reiches  eine  gewisse 
Sonderstellung  ein8).  Zunächst  blieb  es,  wie  wir  noch  genauer 
sehen  werden,  sogar  im  Besitze  des  deutschen  Rechtes. 

Im  Jahre  1383  machten  die  Glogauer  Herzöge,  in- 
dem sie  die  dem  Tode  König  Ludwigs  von  Ungarn 
und  Polen  folgenden  Wirren  benutzten,  noch  einen  Versuch 
zur  Rückgewinnung  Fraustadts.  Sie  wurden  jedoch,  wie 
Dlugosz  erzählt,  durch  die  Bürger  von  den  Mauern  zurück- 
geschlagen, sodass  sie  sich  mit  der  Verwüstung  des  platten 
Landes  begnügen  mussten4). 


!)  Caro  II  S.  273. 

a)  Die  zahlreichen  Besitzverschiebungen  zwischen  den  sehte- 
sischen  Fürsten  und  dem  Böhmenkönig  sehr  unvollständig  bei 
Wuttke  S.  295,  ausführlicher,  aber  nicht  durchweg  richtig,  bei  Mins- 
berg I.  S.  208—16.  Die  meiner  Darstellung  zu  Grunde  liegenden 
Urkunden  von  1312  an  sind  jetzt  sämtlich  vereinigt  in  den  Lehns- 
urkunden I  S.  120 — 166. 

8)  Vergl.  Kirmis,  Beiträge  S.  329  Anm.  11. 

*)  Dlugosz  III  S.  435  f.  —  Czarnkowski  (Mon.  Pol.  Hist.  II  8.  746) 
spricht  nur  beiläufig  von  den  Glogauern,  „qui  pro  tunc  terram 
Wschowensem  devastabant".  Die  Annahme  Wuttkes  (S.  296),  dass 
die  Fraustädter  mit  der  polnischen  Herrschaft  unzufrieden  gewesen 
seien  und  sich  loszureissen  versucht  hätten,  schwebt  ganz  in  der 
Luft.  —  Spätere  Revisionen  der  Grenze  des  Fraustädter  Landes 
gegen  Polen  fanden  nach  Jonemann  f.  21  a  und  f.  4  a  in  den  Jahren  1528 
(vergl.  Inscr.  Wschow.  1526—38  f.  45  a)  und  1597  statt,  lieber  die  erstere 
gibt  es  eine  besondere  Schrift  von  Celichowski  (besprochen  Monats- 
blätter IIS.106.) 


Geschichte  Fraustadts  im  Mittelalter.  207 

Von  dieser  Zeit  an  (schon  1345)  wird,  wie  bereits 
erwähnt  (S.  202),  für  Stadt  und  Land  in  den  königlichen 
Urkunden  wie  in  den  Grodbüchern  und  überhaupt  im 
Lateinischen  und  Polnischen  der  Name  Wschowa  bezw. 
<üstrictus  oder  terra  Wschowensis1)  gebraucht2).  In  den 
Stadtbüchern  und  überhaupt  in  deutschen  Aufzeichnungen 
h>lfeibt    der  Name    Frauenstadt  herrschend. 


II.    Innere  Entwicklung  der  Stadt  unter  schlesischer 
Herrschaft. 

Als  Fraustadt  an  Polen  kam,  war  es  kein  unbedeutender 
Ortmehr.  Dasdeutsche  Rechtunddamitdie Selbstverwaltung 
besass  es  jedenfalls  schon  zur  Zeit  seiner  ersten  Erwähnung 
In  einer  Urkunde  von  13108)  werden  uns  Erbvogt,  Bürger- 
meister und  zwei  Ratsherren  genannt4). 

Im  Jahre  1290  besass  die  Stadt  bereits  15  fränkische 
Hufen  in  dem  benachbarten  Dorfe  Pritschen  bzw.  Neu- 
Pritschen6).  Allerdings  waren  dieselben  unfruchtbar,  so 
dass  der  für  sie  zu  entrichtende  Zins  in  dem  genannten 
Jahre  von  Herzog  Heinrich  I.  (III.)  von  Glogau  um  ein 
Drittel  ermässigt  wurde. 


*)  Bei  Geschichtschreibern  vereinzelt  auch  ducatus  Wschowensis 
<Mon.  Pol.  Hist  II  S.  861),  in  den  Stadtbüchern  zuweilen  Frau- 
städtisches  Weichbild. 

*)  Nur  in  dem  grossen  Privileg  Wladislaw  Jagiellos  von  1404 
heiest  es  „Frawenstat  alias  Wschowa",  weil  die  Stadt  in  den  durch 
dies  Privileg  bestätigten  älteren  Urkunden  den  deutschen  Namen 
führte. 

*)  Wuttke  S.  17,  Cod.  II  S.  280;  besserer  Abdruck  nach  einem 
andern  Original  bei  Kirmis,  Beitrage  S.  333. 

4)  Die  Namen  derselben  lauten  :Stephanus  de  Swenkenvelt  iudex 
haereditarius,  Syfridus  Ramugus  oder  Ramungus  magister  civium, 
Gotfridus  Frederici  (bei  Kirmis  G.  Longus)  und  Gerewicus  de 
Waltersdorf  consules.  —  Im  Jahre  1333  war  ein  gewisser  Nicolaus 
magister  civium  (Cod.  II  S.  450). 

b)  Wuttke  S.  143  liest  (nach  einem  älteren  Druck)  ville,  que 
nunc,  Cod.  II  S.  43  (nach  d.  Original),  que  vuigariter  und  Cod.  Pol.  IV 
S.  1  (ebenfalls  nach  d.  Orig.),  que  Nova  Predsin  nuncupatur. 


208  Hugo  Moritz. 

Das   früh   in  zwei   Dörfer   geteilte    Dorf    Pritschen 
welches  allmählich  ganz  an  die  Stadt  fiel,  erscheint,  wenn 
der  Name  richtig  gedeutet  wird,  als  Pretsino  schon  1210 
unter    den    dem    Kloster    Pforta    zur    Gründung    eines 
Cisterzienserklosters      von     Wladislaus     Odonicz      von 
Kaiisch     geschenkten     Besitzungen1);     doch     muss     es 
dem    Kloster     wieder     verloren     gegangen     sein.      Im 
Jahre     1273     (1.    Oktober)    gab    dann    Przemyslaus    IL 
von    Grosspolen    durch    die    schon    mehrfach    erwähnte 
Urkunde    das    Dorf    mit    50    fränkischen    Hufen    einem 
gewissen  Walther,  der  schon  in  dem  Dorfe  ansässig  ge- 
wesen   zu   sein  scheint2),  zur  Besiedelung    nach  Magde- 
burger Recht.    Die  Rechte  und  Pflichten  der  anzusetzen- 
den  Bauern  und   des   Lokators  wurden   genau   geregelt. 
Ob  sich  diese  Urkunde  auf  das  jetzige  Ober-  oder  Nieder- 
pritschen   bezieht,    bezw.    ob     damals   überhaupt   schon 
eine  solche  Teilung  bestand  und  ob  diese,  wenn  sie  be- 
stand,  nur  örtliche  oder    auch   administrative    Bedeutung 
hatte,  lässt  sich  nicht  mit  Bestimmtheit  ausmachen8).   Das 
Neu -Pritschen   (?)     der  Urkunde  von   1290  ist,  wie  aus 


i)  Cod.  I  S.  64,  vgl.  Schmidt  S.  76. 

2)  Waltero  eiusdem  villac. 

8)  Grünhagen,  Schles.  Regesten  II  S.  204,  der  auch  einige 
Verbesserungsvorschläge  für  den  Text  der  Urkunde  macht,  deutet 
sie  ohne  Angabe  eines  Grundes  auf  Niederpritschen.  Für  dieses 
spräche  vielleicht  die  Bestimmung,  dass  keine  Kirche  gebaut  werden 
soll,  während  Oberpritschen  schon  1345  eine  Kirche  hat.  Die  von 
Grünh.  bezweifelten  Worte  „et  ecclesiam  non  habeant"  stehen  in  der 
Urkunde  d.  h.  in  dem  Transsumpt  von  1447  ganz  deutlich,  passen 
aber  allerdings  nicht  recht  in  den  Zusammenhang  und  sind 
vielleicht  verderbt.  Andererseits  wird  das  Schulzengut,  wie 
wir  später  sehen  werden,  zu  Ende  des  15.  Jahrh.  zu  Oberpritschen 
gerechnet.  Die  Schulzen  dagegen,  die  sich  als  Nachfolger  jenes 
Walther  fühlen,  bezeichnen  sich  stets  nur  als  Erbschulzen  von 
„Pritschen1*.  Auch  sonst  ist  häufig  nur  von  „Pritschen**  die  Rede. 
Die  Teilung  in  Alt-  und  Neu-,  Gross-  und  Klein-,  Ober-  und 
Niederpritschen  scheint  also  trotz  der  räumlichen  Trennung  beider 
Dörfer  durch  die  Stadt  Fraustadt  lange  Zeit  nur  örtliche,  nicht 
administrative  Bedeutung  gehabt  zu  haben.  Besondere  Schulzen  von 
Niederpritschen  begegnen  uns  erst  im  16.  Jahrhundert. 


%  Geschichte  Fraustadts  im  Mittelalter.  209 

einer  Vergleichung  der  Urkunden  von  1367  und  1404*) 
hervorgeht,  das  jetzige  Nieder-Pritschen. 

Im  Jahre  1310  (12.  Dezember)  erkaufte  die  Stadt  von 
Heinrich  IL  (IV.)  für  110  Mark  Königsgroschen  den  nahe- 
gelegenen Wald  sowie  die  Erlaubnis  zur  Erbauung  eines 
Bades  und  zur  Anlage  von  je  vier  neuen  Fleisch-,  Brot- 
und  Schuhbänken2).  1325  (17.  Februar)  wurde  ihr  von 
Herzog  Primko  auf  Grund  einer  gerichtlichen  Verhand- 
lung der  ihr  von  unbekannter  Seite  bestrittene  Besitz  von 
io  Hufen  Weideland,  die  sich  gegen  Rudegeri  villa  (Röhrs- 
dorf) hinzogen,  2  Rossmühlen  und  1  Windmühle8)  be- 
stätigt4). 1339  Hessen  sich  die  Bürger  durch  den  gerade 
anwesenden  Herzog  Konrad  von  Oels  den  Erwerb  der 
gegen  Ulbersdorf  zu  gelegenen  Steinwiese,  die  sie  von 
Lucco  (oder  Lutko)  von  Rakwicz  gekauft  hatten5),  be- 
stätigen. 

In  Bezug  auf  die  Rechtsprechung  hatten  die  Bürger 
1332  (15.  Dezember)  von  Johann  von  Steinau  das  wich- 
tige Recht  erhalten,  dass  alle  Appellationen  vom  Gerichte 
des  Erbvogtes  (de  iudicio  haereditario),  an  wen  sie  auch 


i)  Wuttke  S.  41,  Cod.  III  S.  293.  —  Die  Bedeutung  des 
Namens  Pritschen  ist  auch  Lauterbach  (Zion  S.  173)  unbekannt 
Namensformen :  1210  Pretsino,  1273  Przyczyn,  1290  Predsin,  1326 
Przyczyny,  1327  Pritchinin,  1345  Pricz,  später  gewöhnlich  Priczina 
oder  Pryczyna,  deutsch  Pritschen,  das  Pritschen. 

*)  Wuttke  S.  18,  Cod.  II.  S.  283,  Cod.  dipl.  Pol.  IV.  S.  2; 
Schles.  Regesten  IV  S.  182. 

8)  de  duobus  molendinis,  que  rossemuel  vocantur  vulgariter, 
et  uno  molendino  venti,  quod  wyntmuel  dicitur. 

*)  Regest  nach  älteren  schlechten  Drucken  bei  Wuttke  S.  145, 
neuer  Druck  nach  d.  Orig.  Cod.  IL  S.  378,  danach  Regest  in  Schles. 
Regesten  V.  S.  265. 

»)  Wuttke  S.  23,  Cod.  II  S.  516,  Cod.  Pol.  IV  S.  5  Die  Lage 
der  Steinwiese  (Cod.  Pol.  Steynveze,  Cod.  liest  Steynvere)  ergibt 
sich  aus  einem  um  das  Ende  des  16.  Jahrh.'s  zwischen  Fraustadt 
und  den  Besitzern  von  Ulbersdorf  geführten  Grenzstreite.  —  Das 
Datum  f.  4  post  diem  S.  Vincentii  martiris  wird  von  Wuttke  u.  Cod. 
Pol.  auf  den  27.  Januar,  vom  Cod.  (wohl  richtiger)  auf  den  9.  Juni 
gedeutet. 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XIX.  14 


2IO  Hugo  Moritz. 

gerichtet  seien,  in  Fraustadt  selbst  entschieden  werden 
müssten1). 

Um  Gewalttaten  zu  steuern,  hatte  die  Stadt  schon  1310, 
in  der  unruhigen  Zeit  nach  dem  Tode  Heinrichs  III.  (I),  in  Glogau 
mit  den  anderen  Städten  des  Glogau-Saganer  Landes  Glogau, 
Sagan,  Freistadt,  Steinau,  Sprottau,  Lüben,  Guhrau,  Krassen 
und  Grünberg2)  ein  Bündnis  geschlossen.  Wer  in  einer  der 
Bundesstädte  wegen  einer  Übeltat  —  unvorsätzliche  Ver- 
wundung oder  Tötung  ausgenommen  —  geächtet  war,  sollte 
in  jeder  anderen  zur  Haft  gebracht  werden.  Auslösung  der 
von  Räubern  Gefangenen  wurde  verboten,  gegenseitige  Hilfe 
bei  Gewalttaten  gegen  einen  Bürger  oder  Vogt  einer  der 
Städte  zugesagt;  Mädchenentführung  sollte  dem  Raube 
oder  Diebstahl  gleich  geachtet  werden8). 

Auch  das  Recht,  Kleingeld  zu  münzen,  hat  die  Stadt 
vielleicht  schon  von  den  schlesischen  Herzögen  erhalten4). 
Doch  sind,  wie  Kirmis  das  Ergebnis  seiner  Forschungen 
zusammenfasst5),  „weder  die  Verleihungsurkunde,  noch  Mün- 
zen aus  dieser  Zeit,  noch  urkundliche  Hinweise  auf  eine  in 
Fraustadt  im  14.  Jahrh.  bestehende  Münze   vorhanden"6). 

!)  Wuttke  S.  23,  Cod.  II  S.  449,  Cod.  dipl.  Pol.  IV  S.  4,  Schles. 
Regesten  VI  S.  169.  Das  entsprechende  Recht  hatte  Glogau  1331 
erhalten,  Minsberg  I  S.  201. 

2)  Die  beiden  letzten  Namen  nur  bei  Kirmis. 

*)  Wuttke  S.  17,  Cod.  II  S.  280;  nach  einem  anderen  Original 
Kirmis,  Beiträge  S.  331  ff.  Vgl.  Schles.  Regesten  IV  S.  175  f., 
Grünhagen  I  S.  155. 

4)  Dlugosz  III  S.  210;  dass  Johann  von  Steinau  gemeint  sei, 
ist  nur  eine  Vermutung  von  Kirmis. 

6)  Handbuch    S.  35    (Ztschr.  IV.    S.  346). 

6)  Ganz  ähnlich  Friedensburg,  Schlesiens  Münzgeschichte  im 
Mittelalter  II  S.  204,  206,  210,  der  die  wenigen  wegen  eines  V  auf 
Fraustadt  bezogenen  Münzen  diesem  abspricht  und  die  Nachricht  des 
Dlugosz  für  wahrscheinlich  falsch  erklärt.  —  Neuerdings  hat  Fr. 
einige  Münzen  aus  der  Zeit  Heinrichs  III.  (I.)  von  Glogau  wegen  des 
Buchstabens  V  (Vrowenstat)  und  der  Rose  (des  Abzeichens  der 
Jungfrau  Maria)  für  Fraustadt  in  Anspruch  genommen.  Doch  meint 
er  selbst,  dass  diese  Münzen  eher  fürstlichen  als  städtischen  Ur- 
sprungs seien  (Die  polnischen  Münzen  Heinrichs  III.  und  IV.  von 
Glogau  in  Hist.  Monatsblätter  f.  d.  Prov.  Posen  IV  S.  52  f.,  vgl. 
auch  Cod.  dipl.  Sil.  Bd.  23  S.  47). 


Geschichte  Fraustadts  im  Mittelalter.  211 

Von  fürstlichen  Beamten  erscheint  in  Fraustadt  neben 

dem  schon  genannten  Wyerzbyata  castellanus  de  Wschow 

(S.  202)  von  1289  im  Jahre  1327  in  einer  Urkunde  Primkos 

vom    31.  Oktober1)    ein    Otto   de   Briptitz,   iudex    curiae 

nostrae  Frauenstatensis.    Danach  war  Fraustadt  der  Sitz 

eines    herzoglichen    Gerichtes.    Zuweilen   residierten   die 

Fürsten,   wie   ausser   der  eben  genannten  Urkunde  noch 

die  schon  erwähnte  Konrads  vom  27.  Januar  oder  11.  Juni 

1339  zeigt,  selbst  in  Fraustadt. 


III.    Fraustadt  unter  den  polnischen  Königen. 

Der  Anfall  an  Polen  brachte  Fraustadt  neue  Vorteile. 
Die  Stadt,  die  wohl  unter  der  Herrschaft  des  ewig  geld- 
bedürftigen Johann  von  Steinau  und  den  beständigen  Ver- 
pfändungen schwer  zu  leiden  gehabt  hatte,  scheint  sich  der 
polnischen    Herrschaft    willig    gefügt,   ja    sich   derselben 
schon  während  des  Krieges  eifrig  angeschlossen  zu  haben. 
Zum  Lohn  für  die  bewiesene  Treue,   die  er   in  den  leb- 
haftesten  Ausdrücken   rühmt2),   und  zum  Ersätze  für  die 
im  Kriege   erlittenen  schweren   Schäden  liess  König  Ka- 
simir ihr  schon  1345  grosse  Gunstbeweise  zuteil  werden8). 
Er  wollte  die  Stadt  wohl  als  wichtige  Grenzfestung  mög- 
lichst stärken  und  an  sich  fesseln. 


*)  Cod.  n  S.  416. 

*)  So  sagt  er  in  dem  Zollfreiheitsprivileg  vom  23.  Mai  1345  (Cod. 
II  S.  570),  es  sei  bekannt,  „quo  modo  cives  de  Vschowa  magnam 
nobis  fidelitatem  ostenderunt,  in  qua  sie  (nach  d.  Orig.)  persistentes 
non  modica  dampna  in  rebus  et  in  destruetione  eiusdem  civitatis 
ineurrerunt",  in  der  vom  gleichen  Tage  datierten  Schenkungsurkunde 
über  Pritschen  „considerata  magna  fidelitate  et  constantia  multiplici 
nobis  exhibita  per  nostros  fideles  cives  de  Wschowa". 

8)  Vgl.  Schmidt  S.  150,  196.  Doch  ist  die  Angabe  von  Saurma, 
Wappenbuch  S.  52,  und  Kirniis,  Beiträge  S.  329,  Fraustadt  habe 
unter  den  polnischen  Städten  eine  Ausnahmestellung  eingenommen, 
die  sich  nur  mit  der  von  Danzig,  Elbing  und  Thorn  vergleichen 
Hesse,  stark  übertrieben. 


212  Hugo  Moritz. 

Am  23.  Mai  1345  verlieh  er  den  Fraustädter  Bürgern 
zunächst  vollständige  Zollfreiheit1).  Es  ist  dies  das  grund- 
legende Zollprivileg  Fraustadts,  das  von  den  späteren 
Königen  bald  enger,  bald  weiter  ausgelegt  und  durch  die 
Praxis  zuweilen  unterbrochen,  immer  wieder  bestätigt 
wurde.  Unter  demselben  Datum  erhielt  die  Stadt  das 
Dorf  Pritschen  —  nach  der  Bestätigung  Wladislaus  Ja- 
giellos  von  1404  ist  Oberpritschen  gemeint2)  —  mit  der 
hier  zum  ersten  Male  erwähnten  Kirche  und  dem  zum 
Dorfe  gehörigen  Vorwerk,  sowie  das  Recht,  in  den  um- 
liegenden königlichen  Wäldern  zur  Befestigung  der  Stadt 
(ad  plancandam  civitatem)  oder  anderen  gemeinnützigen 
Zwecken  Holz  zu  schlagen8).  Wir  sehen,  dass  Frau- 
stadt damals  noch  mit  einem  hölzernen  Planken- 
werk befestigt  war4).  Am  26.  September  desselben 
Jahres  übertrug  Kasimir  der  Stadt  den  einst  dem 
Mathias    von    Panwicz    gehörigen,    dann    an    den    König 


1)  Er  befreit  sie  „ab  omnibus  et  singulis  theloneis  seu  guida- 
giis  (ursprünglich  Geleitsgeld)  in  quibuscunque  locis  et  quarumcun- 
que  pcrsonamm  existant  secularium  vel  spiritualium.  Cod.  II. 
S.  570. 

2)  Auf  Oberpritschen  beziehen  sich  "noch  folgende  Urkunden: 
Im  März  1326  (Cod.  schreibt  Idibus,  seine  Vorlage  ultimis  Martii) 
bestätigte  Herzog  Heinrich  v.  Glogau  (Sagan)  die  durch  Lutold  von 
Malewitz  im  Sinne  seines  verstorbenen  Vaters  erfolgte  Oberweisung 
von  5  Hufen  in  Pritschen  an  das  Cistercienserkloster  in  Fehlen 
(Cod.  II  S.  398,  Schles.  Regesten  V  S.  293).  Es  ist  dies  jeden- 
falls der  Kern  der  7  Hufen,  die  Fraustadt  im  16.  Jahrhundert  von 
Priment,  wohin  das  genannte  Kloster  inzwischen  verlegt  war,  kaufte. 
Aus  den  bei  diesem  Kaufe  gepflogenen  Verhandlungen  ergibt  sich» 
dass  es  sich  um  Oberpritschen  handelt.  Am  31.  Oktober  1327  be- 
stätigte Primko  von  Glogau  dem  Hermann  von  Trebitz  (Driebitz  ?) 
die  durch  seinen    (Primkos)    Bruder    Heinrich    erfolgte    Schenkung 

15  Hufen  in  Alt- Pritschen  (Pritchinin  antiquo).  Schlechter  Druck 
bei  Wuttke  S.  21,  besser  im  Cod.  II  S.  416,  vgl.  Schles.  Regesten  VI 
Sk  26.  Wenn  Neu  Pritschen  Nieder-Pritschen  ist  (s.  oben  S.  208  f.), 
un  werden  wir  Alt-  und  Ober-Pritschen  gleich  setzen  müssen. 

3)  Cod.  II  S.  570  nach  einer  Abschrift,  Orig.  St.  A.  Posen  A  12. 
*)  Kohte  III  S.  174. 


Geschichte  Fraustadts  im  Mittelalter.  213 

übergegangenen    Teil    von    Neu-Pritschen    (d.   h.  Nieder- 
Pritschen)   in  Grösse   von  50  Hufen1). 

Am  13.  Mai  1349  bestätigte  er  den  Einwohnern  der 
Stadt  wie  des  Landes  Fraustadt  das  deutsche  Recht9)  mit  dem 
besonderen,  an  das  Privileg  Johanns  von  Steinau  von  1332 
(S.  209  f.)  erinnernden  Zusätze,  dass  sie  in  allen  Rechts- 
streitigkeiten, besonders  in  Angelegenheiten,  die  ihre 
Erbgüter  beträfen,  und  in  Kriminalfällen a)  nur  in  der  Stadt 
Fraustadt  vor  dem  Starosten,  Burggrafen,  Landvogt  oder 
einem  besonderen  Deputierten  und  zwar  nach  deutschem 
Rechte  Rede  zu  stehen  hätten4).  Die  eben  erwähnte  Ur- 
kunde, die  am  31.  März  1388  von  Wladislaw  Jagiello  be- 
stätigt wurde5),  hatte  übrigens  in  erster  Linie  für  das 
Land  Fraustadt  Bedeutung,  dem  sie  in  scharfem  Gegen- 
satze zu  der  sonstigen  auf  innere  Einigung  des  Reiches 
gerichteten  Politik  Kasimirs6)  durch  Belassung  des  deut- 
schen Rechtes  eine  Ausnahmestellung  unter  den  Land- 
schaften Polens  einräumte7).  Für  die  Stadt  war  sie, 
abgesehen  von  den  pekuniären  Vorteilen,  die  dieser  als 
alleinigem  Sitz  der  Rechtsprechung  für  das  ganze  Frau- 
städter Land  aus  der  Steigerung  des  Verkehrs  erwuchsen8), 


i)  Cod.  II  S.  574. 

*)  Er  verspricht,  sie  „circa  omnia  iura  Theutunicalia  et  civi- 
lis ac  consuetudines,  quibus  tempore  aliorum  dueum  seu  prineipum 
ab  anüquo  utebantur",  zu  erhalten. 

3)  pro  causa  seu  causis  hereditariis  atque  capitalibus  et  crimi- 
nalibus,  puta  furti,  sangwinis,  homieidii,  incendii,    et    aliis  universis. 

*)  Wuttke  S.  37,  Cod.  II  S.  614. 

»)  Wuttke  S.  35  (mit  falschem  Datum),  Cod.  III  S.  601.  In  der- 
selben Urkunde  bestätigte  Wladislaus  Jagiello  den  Einwohnern  von 
Stadt  und  Land  Fraustadt  im  allgemeinen  alle  Rechte,  deren  sie  sich 
anter  seinen  Vorfahren  erfreut  hatten. 

«)  Vgl  Schmidt  S.  148  ff. 

0  Vgl.  Schmidt  S.  166,  T96,  aao, 

*)  Von  einer  Steigerung  der  stadtischen  Gerichtsgefälle,  wie 
Schmidt  S.  196  meint,  durfte  kaum  die  Rede  sein,  da  die  Edelleute  und 
«andere  Nichtbürger  zwar  in  der  Stadt,  aber  nicht  vor  dem  städ- 
tischen Gerichte  Recht  zu  nehmen  hatten;  auch  war  die  Vogtei,  der 
die  Gerichtsgcfälle  grösstenteils  zuflössen,  damals  noch  nicht  im 
Besitze  der  Stadt. 


214  Hugo  Moritz. 

wohl     nur    dann    von   Wichtigkeit,    wenn   es    sich   um 

Prozesse   der   Stadt   oder  einzelner  Bürger  gegen  Nicht- 

städter    handelte,    die  nun    auch    in   der  Stadt,  zwar  vor 

einem  königlichen  Beamten,  aber  nach  deutschem  Rechte 

verhandelt  werden  mussten.  Für  Streitigkeiten  der  Bürger 

unter  einander   war   natürlich  das  Stadtgericht  zuständig. 

Im   August   1349    war    König  Kasimir,   wie   das  Datum 

einer  Urkunde  zeigt1),  persönlich  in  Fraustadt  anwesend2). 

Einen  wichtigen  Schritt  vorwärts  tat    die  Stadt   im 

Jahre  1392.     In    diesem   Jahre  (am    27.  November),  nicht, 

wie   bisher   auf   Grund    eines    Lesefehlers    angenommen 

wurde,   bereits    13228)   gelang   es   ihr,   mit  Genehmigung 

Wladislaw  Jagiellos  die  Vogtei   den  derzeitigen  Inhabern 

derselben,   den  Erben  des  Nickil  oder   Nicolaus,    Conrad 

und  Anna4),  mit   allen   Liegenschaften    und   Rechten   für 

40  (nicht  50!)  polnische    Mark   abzukaufen6).     Bei   dieser 

*)  Cod.  Pol.  III  S.  227,  nach  d.  Oberschrift  2.,  nach  dem  Datum 
11.  August. 

2)  Von  König  Ludwig  (1370—82)  haben  wir  keine  Privilegien 
für  Fraustadt,  obwohl  es  solche  gegeben  zu  haben  scheint  (WuttkeS.  41). 

*)  Richtig  datiert  bei  Warschauer:  Die  städtischen  Archive 
S.  44,  Schmidt  S.  190. 

4)  Früher  begegnet  uns  im  Besitze  der  Vogtei  ausser  dem 
schon  erwähnten  Stephanus  de  Swenkenvelt  (S.  207  A.  4)  von  1310  noch 
ein  „Cunradus  dictus  Zchyphron,  advocatus  de  eivitate  Schowa" 
und  zwar  als  Schiedsrichter  in  einer  Streitigkeit  über  die  Vogtei  zu ' 
Schwetzkau.  Seltsamerweise  finden  sich  über  diese  Angelegenheit 
im  Cod.  II  S.  450,  III  S.  361  zwei  bis  auf  die  Namen  des  Abtes  von 
Lubin  und  die  Angabe  der  Untersiegelnden  fast  wörtlich,  besonders 
auch  in  den  Namen  der  beteiligten  Personen,  übereinstimmende 
Urkunden  (beide  nach  Originalen),  von  denen  die  eine  vom  11. 
März  1333,  die  andere  vom  11.  März  1371  datiert  ist.  Da  jedoch  der 
in  beiden  Urkunden  genannte  Vogt  von  Schwetzkau  Johann  Ware- 
mul  seine  Vogtei  nach  Cod.  III  S.  283  schon  im  Jahre  1366  nach 
langem  Besitze  verkauft  hat,  so  ist  die  Urkunde  von  1333  als  die 
ursprüngliche,  die  von  1371  als  eine  allerdings  in  sehr  ungewöhn- 
licher Form  vollzogene  Erneuerung  derselben  anzusehen.  Der 
Fraustädter  Vogt  Cunradus  ist  also  in  das  Jahr  1333  zu  setzen. 

*)  Die  bei  Wuttke  S.  18,  danach  im  Cod.  II  S.  365  ganz  fehler- 
haft abgedruckte  und  fälschlich  vom  1.  Dez.  1322  (hier  auch  in  den 
Schles.  Regesten  V  S.  214  angeführt)  datierte  Urkunde  soll  im  An- 
hang nach  dem  Original  veröffentlicht  werden. 


Geschichte  Fraustadts  im  Mittelalter.  21 5 

Gelegenheit  lernen  wir  auch  den  Namen  des  Starosten, 
Remschil  von  Opaln  (Oppeln),  Herr  zum  Czacz  (bei 
Schmiegel)1),  und  der  7  Landschöffen  kennen,  vor  denen 
der  Kauf  geschah.  Die  letzteren,  die  sich  sonst  in  Polen 
nicht  finden,  sind  offenbar  noch  eine  aus  schlesischer  Zeit 
stammende  deutschrechtliche  Einrichtung  des  Fraustädter 
Landes.  Mit  der  Erwerbung  der  Vogtei,  die  für  die  mittel- 
alterlichen Städte  stets  von  epochemachender  Bedeutung 
war2),  bekam  die  Stadt  nicht  nur  die  Leitung  der  Recht- 
sprechung in  die  Hand,  sondern  gewann  auch  namhafte 
Einkünfte  aus  Grundbesitz,  gewerblichen  Baulichkeiten 
und  Gerichtsgefällen8).  Der  von  Fraustadt  gezahlte  Preis 
muss  im  Verhältnis  hierzu  und  im  Vergleich  zu  den 
Opfern  anderer  Städte4)  als  ein  auffallend  niedriger  be- 
zeichnet werden.  Ein  Teil  der  Vogteigüter  muss  übrigens 
im  Besitze  des  Königs  gewesen  sein,  da  dieser  1395  dem 
Kastellan  von  Nakel,  Vincenz  von  Granow5),  ein  zur  Vogtei 
gehöriges,  der  Pfarrkirche  gegenüber  gelegenes  Haus6) 
schenken  konnte7). 

Im  Jahre  1404  (2.  Juni)  erneuerte  Wladislaw  Jagiello 
den  Fraustädtern  alle  Besitzungen  und  Rechte,  deren  recht- 
mässigen Besitz  sie  nachweisen  konnten.  Er  fügte  einige 
neuen  Gnadenbeweise  hinzu,  und  so  entstand  ein  grosses 
Privileg,  das  von  den  späteren  Königen  immer  wieder 
bestätigt  wurde8).    Aus  einem  Vergleich  desselben  mit  den 

*)  Vgl.  Monatsblätter  II  S.  2  f. 

2)  Vgl.  Warschauer,  Stadtbuch  von  Posen  I  S.  100*,  Schmidt 
Seite  235. 

3)  Ueber  die  Einkünfte  der  Vogtei  im  Jahre  1 428  siehe  weiter  unten. 

4)  So  bezahlte  Kaiisch  im  Jahre  1360  360  Mark  für  die  Vogtei 
(Warschauer,  a.  a.  O.  I  S.  100*),  Schrimm  in  drei  Raten  1400 — 1428 
gar  1100  Mark,  Schmidt  S.  235. 

5)  Nicht  Pranved,  wie  Wuttke  schreibt. 

*)  Domum  nostram iuxta  domum  coquinam  (in  der  Vorlage: 

coffinam)  in  civitate  Wschowa  ex  opposito  ecclesie  situatam. 

*)  Schlechter  Druck  bei  Wuttke  S.  38,  besser  Cod.  m  S.  679. 

6)  Von  Sigismund  I.  am  24.  Januar  1525,  von  Sigismund  m.  am 
3.  Juni  1588,  von  Wladislaw  IV.  am  15.  Februar  1633  und  von  Johann 
Kasimir  am  3.  Februar  1649,  vgl.  Warschauer,  die  städtischen 
Archive  S.  44. 


2l6  Hugo  Moritz. 

bisher  besprochenen  Urkunden  ersehen  wir  übrigens,  dass 
uns  wesentliche  Privilegien,  die  1404  noch  vorhanden 
waren,  seitdem  nicht  verloren  gegangen  sind.  Auf  die 
älteren,  jetzt  lediglich  bestätigten  Erwerbungen  brauchen 
wir  hier  nicht  näher  einzugehen1).  Neuverliehen  wurde 
der  Stadt  der  Salzverkauf.  Es  wurde  ihr  der  Besitz  des, 
wahrscheinlich  vor  kurzer  Zeit  von  Peter  von 
Falkenhayn  erkauften  Dorfes  Niederpritschen  (Przedczyn 
inferior)2),  das  ebenso  wie  vorher  Oberpritschen  (vgl. 
Anm.1)  hier  zum  ersten  Mal  unter  diesem  Namen  erscheint, 
samt  der  Walkmühle  bestätigt8)  und  die  Anlage  von  Tuch- 
kammern und  Krambuden4)  gestattet.  Die  Stadt  erhielt 
die  Befugnis,  Kleingeld,  d.  h.  Denare,  12  auf  1  Groschen , 
zu  schlagen.  Dieselben  sollten  jedoch  die  königlichen 
Zeichen,  auf  der  einen  Seite  den  Adler,  auf  der  anderen 
das  Doppelkreuz  der  Jagellonen  tragen5).  Rechtsbelehrung 


1)  Es  sind  dies  1)  die  12  Fleisch-,  Brot-  und  Schuhbänke  und 
das  Bad  nebst  dem  Walde  von  1310,  2)  die  1325  der  Stadt  bestätig- 
ten 10  Hufen  Weideland  nebst  .den  beiden  Rossmahlen  und  der 
Windmühle,  3)  die  1339  gekaufte  Steinwiese,  4)  das  1345  der  Stadt 
übertragene  Dorf  Oberpritschen  (Przedczin  superior). 

2)  Wie  aus  der  Bestätigung  König  Kasimirs  vom  13.  Mai  1367 
ersichtlich,  hatte  damals  Tamo  von  Schellendorf  30  Hufen  Ackers 
in  Neu-Pritschen  (in  villa,  que  dicitur  in  Polonico  Nowi  Prczyczyn) 
für  150  Mark  polnisch  an  die  Brüder  Günther  und  Peter  von  Falken- 
hayn verkauft,  Cod.  III  S.  293. 

3)  Teile  von  Niederpritschen  besass  die  Stadt  schon  früher,. 
1290  (?)  und  1345  (s.  oben  S.  207,  212  f.). 

4)  Camerae  pannicidarum  et  institorum. 

5)  Ueber  die  Frage,  ob  Fraustadt  schon  früher  Münzrecht  be- 
sessen hat,  s.  oben  S.  210«  Das  „sub  signis  tarnen  nostris  rcgalibuß*, 
welches  nach  Kirmis,  Münzgesch.  d.  Stadt  Fraustadt  S.  5,  für  frühere 
Prägung  spricht,  ist  einfach  so  zu  erklären,  dass  die  Stadt  zwar  das 
Münzrecht  erhalt,  jedoch  nicht  mit  dem  städtischen,  sondern  mit 
dem  königlichen  Wappen  prägen  soll.  Auch  der  in  gleicher  Rich- 
tung sich  bewegende  Schluss  aus  dem  damals  in  Polen  nicht  mehr 
gebräuchlichen  Münzfusse  (Handbuch  S.  35,  Zeitschrift  IV  S.  346) 
ist  nicht  gerade  zwingend.  Dieser  Münzfuss  kann  ebenso  gut  mit 
Rücksicht  auf  die  nahen  Beziehungen  zu  Schlesien,  wo  die  gleiche 
Währung  herrschte   (Friedensburg  II  S.  53  f.),  gewählt  sein. 


Geschichte  Fraustadts  im  Mittelalter.  21 7 

sollten  die  Fraustädter   nötigenfalls    in    Magdeburg,   aber 
nirgends  anders  suchen.    Ein  Jahrmarkt  wurde  ihnen  für 
den  Sonntag  vor   Michaelis    bewilligt.    Endlich    erhielten 
sie    das  Recht,  den  Rektor   der   Stadtschule   anzustellen: 
die     erste  Erwähnung    einer   Schule    in  Fraustadt1).    Als 
Gegenleistung  für  diese  Vergünstigungen  sollte  die  Stadt 
aus  den  beiden  Rossmühlen  wöchentlich  6  Mass  Weizen- 
malz (brasei  tritici)2)  an  den  König,  d.h.,  wie  aus  späteren 
Erwähnungen  hervorgeht,  an  den  Starosten  abliefern  und 
diese  kostenlos  mahlen   lassen.    Zum    Schluss    bestätigte 
Wladislaw  noch  mit  den  Worten  des  Privilegs  von    1345 
die  Zollfreiheit  der  Bürger8). 

Die  auf  das  Gepräge  der   Münzen   bezügliche   Vor- 
schrift des  Königs  hatte  auch    auf   die    Entwicklung    des 


Von  den  wenigen  bekannten  Fraustädter  Denaren  des 
15.  Jahrhunderts  zeigen  die  ältesten  das  Doppelkreuz  ohne,  die 
späteren  mit  zwei  Ringeln  zwischen  den  Querbalken.  Kirmis  ver- 
mutet, die  letzteren  seien  zum  Unterschiede  von  den  leichteren 
Krakauer  Denaren  in  das  Wappen  gesetzt  worden. 

Eine  königliche  Münze  in  Fraustadt  ist  für  das  15.  Jahrhundert 
nicht  nachzuweisen.  Das  F.  oder  W.  auf  einigen  Halbgroschen 
Wladislaw  Jagiellos  ist  wohl  richtiger  auf  Krakauer  Münzmeister  zu 
beziehen  (Kirmis,  Münzgeschichte  S.  5,  Handbuch  S.  24,  Zeitschrift  IV 

S.  335). 

*)  Von  einer  Parochialschule  in  Fraustadt  vor  1364,  wie  sie 
Karbowiak  auf  Grund  von  Lukaszewicz  annimmt  (vgl.  Monatsblätter 
Bd.  V  S.  110),  ist  mir  nichts  bekannt. 

2j  1519  (Stan  S.  17)  wurden  diese  mensurae  als  ewiertnie, 
1533  (Stan  S.  20)  als  wiertele  (Viertel)  bezeichnet 

*)  Abdruck  des  Privilegs  nach  einem  Posener  Grodbuchein- 
trag  bei  Raczynski  S.  263  und  Wuttke  S.  41.  Ich  gebe  zu  letzterem 
nach  dem  Transsumpt  von  1525  (Orig.  Dep.  Fraustadt  A  47)  einige 
Verbesserungen.  S.  41  Z.   16   lies:    a  longe   retroactis   temporibus 

pro marcis  Z.  18:  Item  Z.  19:  ad  hoformy(?)  seu  ad  viam  peeudum 

Z.  20:  ante  civitatem  Z.  21:  in  cuius  fine    Z.    22:    et   unum    ventile 

molendinum  Z.  23:  in  foribus  civitatis a  Luthkone  Rakwycz  Z.  26 

n.  27:  Frawenstadt  Z.  28:  Przedczyn....  Falkyehain  Z.  29:  in  theutonico 
walkmol,  in  polonico  stampy.  Z.  32:  imprimendo  Z.  33:  in  Meydburg, 
S.  42  Z.  2:  concedimus  et  Z.  3:  ut  permittitur,  ipsis  Z.  4:  brasei  tri- 
tici Z.  7:  libertamus  Z.  8:  guidagiis. 


218  Hugo  Moritz. 

Stadtwappens  Einfluss1).  Das  Ratssiegel  (S.  201)  zeigte 
schon  im  weiteren  Verlaufe  des  14.  Jahrhunderts  nicht 
mehr  die  Jungfrau  mit  dem  Kinde,  sondern  die  Krönung 
Mariae  durch  Gottvater31).  Zu  dieser  Darstellung  trat, 
offenbar  von  den  Münzen  entlehnt,  um  die  Mitte  des 
15.  Jahrhunderts  als  Nebenfigur  (am  unteren  Rande  an- 
gebracht) das  jagellonische  Doppelkreuz,  bald  mit  den 
Ringen  zwischen  den  Querbalken,  bald  ohne  dieselben*). 
Erst  allmählich  werden  diese  zu  einem  festen  Bestandteile 
des  Wappens. 


l)  Zu  der  folgenden  Darstellung  vgl.  Kirmis  Beiträge,  da* 
Wappenbuch  von  Hupp  und  die  schon  erwähnte  Siegelsammlong 
von  Kirmis. 

*)  Der  Stempel  nach  Hupp  S.  32  noch  aus  der  ersten  Hälfte 
des  14.  Jahrh.  (?),  das  Siegel  erhalten  an  der  Urkunde  Ober  des 
Verkauf  des  Schergadems  von  1420.  Die  an  sich  unwahrscheinliche 
Vermutung  von  Kirmis,  Beiträge  S.  335,  dass  nicht  die  Krönung 
Maria,  sondern  die  der  Königin  Hedwig  dargestellt  sei,  wird  durefe 
die  späteren  Siegel,  welche  die  männliche  Person  mit  einem  deut- 
lichen Heiligenschein  zeigen,  widerlegt,  falls  man  nicht  gerade  eine 
Umdeutung  des  Wappenbildes  annehmen  will.  K.  scheint  sie  neuer- 
dings selbst  aufgegeben  zu  haben,  da  er  sie  in  seinem  Handbuck 
der  poln.  Münzkunde  S.  36  (Ztschr.  IV  S.  347)  nicht  mehr  erwähnt 

*)  Mit  dieser  Darstellung  führt  Hupp  drei  Siegel  an  (Siegel- 
abdrücke sämtlich  in  Kirmis,  Sammlung):  1)  Stempel   um  die  Mitte 
des  15.  Jahrh.  geschnitten  und  noch  vorhanden  (St.   A.  Posen,  Pet- 
schafte IV  1),  30  mm.,  mit  den  Ringen.   2)  Stempel  um  1520  geschnit- 
ten, 36  mm.,  ohne  Ringe.  Kirmis,  Handbuch  S.  36  hält  diesen  Stem- 
pel für  älter;  er  vermutet,  dass  die  Ringe  zum  Unterschiede  von  den 
leichteren  Krakauer  Denaren  auf  die  Münzen   gesetzt   worden    und 
von  diesen  in  das  Wappen  gelangt  seien.    3)  Stempel   um    1600  in 
Gebrauch  gekommen  und  noch  vorhanden  (in  Fraustadt?,   vgl.    die 
Notiz  von  Ehrenberg  in  der  Petschaftsammlung  des  Posener  Staats- 
archivs), 35  mm.,  mit  den  Ringen.    Nr.  1   wurde  übrigens  neben  den 
anderen  Stempeln  weiter  gebraucht,  so  an  Urkunden  von  1531,  1645, 
1723  und  sogar  noch  an  einem  Briefe  von  1807  (in  der  Siegelsamm- 
ung  des  Posener  Staatsarchivs).  Ausser  diesen  Siegeln  ist  mir  4)  ein  dem 
unter  Nr.  3  beschriebenen  sehr  ähnliches,  wahrscheinlich  etwas  älteres, 
34  mm.,  mit  den  Ringen,  begegnet  mit  der  Umschr. :  Sigillum  civitatis 
Fraunstadt  (an  Urkunden  von  1584  und  1591,  Dep.  Frst.  A.  94    und 
100)  —  Sämtliche  vier  Siegel  werden  in  den   Urkunden,   an   denen 
sie  sich  befinden,  als  „grosse"   oder   „grössere*    Siegel  bezeichnet. 


Geschichte  Fraustadts  im  Mittelalter.  219 

Im   Gerichtssiegel  hielt  sich  als  Hauptfigur  die  Dar- 
stellung der  Maria  mit  dem   Kinde,    darunter    bald   auch 
hier    das  Doppelkreuz1).    Im  Jahre  1532  wurde  dem  Stadt- 
gericht durch  Sigismund  I.  anlässlich  der  Erwerbung  der 
Vogtei  durch  die  Stadt  ein  neues  Siegel,  der  ungekrönte 
polnische  Adler  mit  einem  grossen  S.  auf  der  Brust,  da- 
runter ein  Schildchen  mit  dem  Doppelkreuz,   verliehen2), 
welches  jedoch,  wie  Anmerkung1   zeigt,  das  alte  Siegel 
vorerst  nicht  ganz  verdrängte.   —    Bei   den   wandernden 
Handwerksburschen  sollen  nach  Lauterbach3)  „vordem"  die 
drei   Schnecken   über   der  Tür    der  Pfarrkirche   und  das 
grüne    Kreuz   an    dem   grossen   Turm    als    Wahrzeichen 
Fraustadts  gegolten  haben. 


Daneben  gab  es,  wie  aus  verschiedenen  Erwähnungen  in  den  Stadt- 
büchern hervorgeht  (Ratsbuch  1527—35  f.  318a,  1549—54  f.  249)  ein 
kleineres  Siegel  oder  Sekret.   Begegnet  ist   mir    ein    solches    nicht 
Wahrscheinlich   hat   dieses   das   kleine  Wappen,    Doppelkreuz   mit 
Ringen,  gezeigt.    Kirmis,   Beiträge  S.   355,  kennt  solche  Siegel  mit 
<ter  Jahreszahl  16 — 21,  die  mit  ihrem  Durchmesser  von  45  mm.  aller- 
dings   das  „grössere  Siegel"  an  Umfang  übertreffen  würden.    Auch 
vrird  nicht  klar,  ob  dies  eigentliche  Stadtsiegel  oder  solche  einzelner 
städtischer  Behörden  sein  sollen.    In  seiner  Sammlung  finden   sich 
solche  Siegel  nicht.    Eine  schriftliche  Anfrage  ist  unbeantwortet  ge- 
blieben.   Das  bei  Hupp  erwähnte  Siegel   mit   der  Umschrift  „Rada 
miasta  Wschowy*  gehört  wohl  erst  der  Zeit  des  Herzogtums   War- 
schau an. 

*)  Hupp  beschreibt  ein  Siegel  mit  dem  Doppelkreuz  (ohne 
Ringe),  dessen  Stempel  um  die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  ge- 
schnitten sein  soll  (28  mm).  Es  findet  sich  an  zwei  Schöffen- 
briefen von  1505  und  1508  (Dep.  Frst.  A  25  und  27).  Ein  zweites, 
bisher  noch  nicht  beschriebenes,  wahrscheinlich  älteres  Siegel  mit 
derselben  Darstellung,  aber  ohne  das  Schildchen  mit  dem  Doppel- 
kreuz findet  sich  in  Kirmis'  Sammlung  als  Oblatensiegel.  Es  stammt 
nach  Kirmis*  Notiz  von  einer  Urkunde  von  1549,  von  der  die  Unter- 
schriften und  Siegel  vorhanden  sind.  Die  Umschrift  ist  nicht  lesbar; 
doch  macht  die  Stellung  zwischen  Stadtsiegel  und  Innungssiegeln  es 
unzweifelhaft,  dass  es  sich  um  ein  Schöffensiegel  handelt. 

2)  Siehe   das  Regest   der  Urkunde,   Stan  S.  25  f.     Vgl.  auch 
Hupp  und  Kirmis'  Sammlung.      Ein   ähnliches  Siegel    mit  der  Zahl 
17—16  findet  sich  bei  Dep.  Frst.  A  15. 
8)  Herberger  S.  17. 


220  Hugo  Moritz. 

Ihren  Pritschener  Besitz  rundete  die  Stadt  immer 
mehr  ab.  Im  Jahre  1409  erhielt  sie  von  Wladislaw  die 
einst  dem  Siegfried  von  Evno  und  seiner  Witwe  ge- 
hörigen, dann  an  den  König  gefallenen  8  Hufen  in 
Pritschen  —  nach  einem  jüngeren  Vermerk  auf  der  Rück- 
seite der  Urkunde  ist  Niederpritschen  gemeint  —  mit  8 
Mark  jährlichem  Zins.  Sie  wurde  dafür  verpflichtet,  die 
Mauern  und  Gräben  wieder  herzustellen1).  Wir  sehen, 
dass  die  Stadt  seit  1345  (S.  212)  in  ihrer  Befestigung  we- 
sentliche Fortschritte  gemacht  hatte.  1422  verkaufte  Johann, 
Sohn  des  Nenker  von  Kotwitz2),  sein  Erbgut  in  Pritschen 
—  nach  einem  alten,  wahrscheinlich  gleichzeitigen  Ver- 
merk auf  der  Rückseite  der  Urkunde  ebenfalls  in  Nieder- 
pritschen —  an  Fraustadt3). 

Um  diese  Zeit  geriet  die  Stadt  mit  einem  Edelmann, 
dem  königlichen  Kämmerer  Hanczel  Opala,  in  einen  lang- 
wierigen Streit  über  „Pritschen1*.  Eine  königliche  Kom- 
mission beendete  denselben  durch  einen  Vergleich,  nach 
dem  Hanczel  der  Stadt  75  Mark  mediorum  grossorum 
zahlen  und  diese  ihm  das  Dorf  als  rechtmässigem  Besitzer 
restituieren  sollte.  König  Wladislaw  genehmigte  diesen 
Vergleich  am  3.  August  14264).  Ob  derselbe  vollzogen 
worden  ist,  wissen  wir  nicht.  Jedenfalls  befand  sich  die 
Stadt  1450  wieder  im  Besitze  des  Dorfes.  In  dem  ge- 
nannten Jahre  befahl  nämlich  König  Kasimir  IV.  dem  Sta- 
rosten, den  Nikolaus  Herolth,  Schulzen  von  „Pritschen*, 
der  sich  das  alte  Privileg  von  1273  im  Jahre  1444  von 
Wladislaw  III.,  1447  von  Kasimir  selbst  hatte  bestätigen 
lassen5),  gegen  Beschwerungen  seitens  der  Stadt  zu  schützen6). 

l)  „urbem  muro  et  fossatis  bene  fortificare  murosque  et 
fossaia  vetera  reformare".  —  dat.  Jedlna  19.  Februar  1409,  Orig. 
Sl  A  Posen  Frst.  A  15;  Stan.  S.  11;  Wuttke  S.  296. 

-)  Johannes  Nenckeri  de  Kothewicz. 

:i)  Bestätigung  des  Verkaufs  durch  den  Starosten  dat.  Wschowa 
pp,  Januar  1422.  Orig.  St.  A.  Posen  Frst.  A  16;  Stan  S.  12. 

l)  Orig.  Dep.  Frst.  A  9;  Stan  S.  101;  Wuttke  S.  297. 

b)  Orig.  Dep.  Frst.  A  13  a  (darin  die  Urkunden  von  1273  und  1444). 

*)  dat.  Kosten  24.  Juni  1450.  Cop.  St.  A.  Posen  Frst.  B  4.  (Orig. 
m  Kaiser  Friedrich  Museum  zu  Posen). 


Geschichte  Fraustadts  im  Mittelalter.  221 

1459  entschied  der  König  auf  Grund  jenes  Privilegs  und 
«ines  Urteils  des  Hofgerichtes  von  neuem,  dass  der  Schulze 
von  „Pritschen*  zu  keinerlei  Lasten  an  die  Stadt  ver- 
pflichtet sei,  dafür  aber  bei  einem  allgemeinen  Aufgebot 
persönlich  Kriegsdienst  zu  leisten  und,  wenn  nötig,  einen 
Bogenschützen  mit  Armbrust  (sagittarium  cum  ballista)  zur 
Verfolgung  von  Verbrechern  zu  stellen  habe1).  Nachdem 
1499  (8.  Februar)  eine  Teilung  des  Schulzengutes  in  „Ober- 
pritschen",  wie  es  jetzt  heisst,  unter  die  Brüder  Andreas, 
Mathias  und  Georg  Herold  erfolgt  war  oder  vielmehr  die 
beiden  erstgenannten  dem  dritten  einen  Teil  des  Gutes 
abgetreten  hatten2),  gelang  es  1507  (24.  Januar)  der  Stadt, 
den  dritten  Teil  desselben,  eben  den  Anteil  Georgs,  für 
m  Mark  polnisch  an  sich  zu  bringen8).  Am  10.  August 
1517  endlich  gestattete  König  Sigismund  I.  den  Erwerb 
des  ganzen  Schulzengutes  und  Schulzenamtes  durch  die 
Stadt4).  Der  Kaufpreis  ist  uns  leider  nicht  bekannt6). 
Erst  von  dieser  Seite  an  scheint  es  besondere  Schulzen 
und  Schöffen  von  Niederpritschen  gegeben  zu  haben,  die 


*)  Orig.  Dep.  Frst.  A  17  a;  bei  Neigebaur  S.  84  und  Wuttke 
S.  297  fälschlich  zum  Jahre  1445  erwähnt. 

*)  Orig.  Dep.  Frst  A  24;  schlechtes  Excerpt  Stan  S.  15.  Der 
Anteil  Georgs  genau  bestimmt,  so  dass  man  danach  die  Grösse  des 
ganzen  Gutes  schätzen  kann.  Die  Brüder  erst  als  sculteti  haeredi- 
tarii  de  Pryczina,  das  Gut  dann  als  scultetia  superioris  Pryczinae 
bezeichnet 

*)  Bezeugung  des  Verkaufs  durch  den  Starosten.  Orig.  Dep. 
Frst  A  26;  Stan  S.  15. 

4)  Orig.  Dep.  Frst.  A  34;  Stan  S.  16;  das  Dorf  hier  als 
maior  Przyczyna  bezeichnet.  Wir  sehen,  dass  der  im  16.  Jahr- 
hundert oft  gebrauchte  Ausdruck  Przyczyna  maior  Ober-,  Prz.  minor 
also  Niederpritschen  bezeichnet  (die  entsprechenden  deutschen  Aus- 
drücke Gross-  und  Kleinpritschen  kommeu  garnicht  oder  äusserst 
selten  vor),  vgl.  auch  Pawinski,  Polska  XVI.  wieku  I  S.  98,  wo  Prz. 
maior  im  Jahre  1579  mit  50,  Prz.  minor  mit  17  Hufen  verzeichnet 
ist.  Es  ist  also,  um  dies  noch  einmal  zusammenzufassen,  einerseits 
Alt-,  Gross-  und  Ober-,  andererseits  Neu-,  Klein-  und  Niederpritschen 
gleich  bedeutend. 

6)  In  der  königlichen  Urkunde  heisst  es  „in  summa  pecuniarum 
in  privilegio  originali  ipsius  scultecie  descripta." 


222  Hugo  Moritz. 

ebenso  wie  diejenigen  von  Oberpritschen  von  Jahr  zu 
Jahr  von  der  Stadtbehörde  eingesetzt  wurden1). 

Die  Rechtsverhältnisse  der  Stadt  blieben  im  ganzen 
die  alten.  Eine  Veränderung  erfuhr  jedoch  das  deutsche 
Erbrecht  durch  die  am  19.  Februar  1409  von  König  Wla- 
dislaw  erlassene  Bestimmung,  dass  den  Witwen  der 
Bürger  auch  beim  Fehlen  einer  Morgengabe2)  ein  Drittel 
der  Güter  des  Mannes  zufallen  solle.  Gleichzeitig  wurden 
Geldstrafen  für  Messerstechereien  festgesetzt3).  Dass  Wla- 
dislaw  1422  (12.  Juni)  die  Einwohner,  insbesondere  die 
Edelleute  des  Fraustädter  Landes  der  Lehnspflichten 
enthob,  sie  ihren  grosspolnischen  Standesgenossen  gleich- 
stellte, ihnen  die  Einsetzung  eingeborener  Landrichter  zu- 
sagte und  das  Kostener  Gericht  zu  ihrem  Appella- 
tionshofe bestimmte,  kurz  das  polnische  Recht  im  Lande 
Fraustadt  einführte4),  kam  für  die  Stadt  wenig  in  betracht 

Die  Leitung  der  Stadt  lag,  wie  in  den  meisten 
deutschrechtlichen  Städten,  in  den  Händen  dreier  Kollegien, 
des  Rats,  der  Schöffen  und  der  Innungsältesten.  Sie 
begegnen  uns  mit  den  Namen  ihrer  Mitglieder 
(vgl.  auch  oben  S.  207)  zuerst  in  einer  Zinsverschreibung 
der  Stadt  vom  Jahre  14125),  dem  ältesten  in  Abschrift 
erhaltenen     Stadtbrief.     Sonst     haben      wir     aus     dem 


1)  Zum  ersten  Male  begegnen  uns  Schulz  und  Schöffen  von 
Niederpritschen  im  Jahre  1538  (Ratsbuch  1535— 40  f.  239  b),  vgl. 
oben  S.  208  A.  3. 

-)  Auch  wenn  der  Mann  „uxori  .  .  .  nihil  de  bonis  suis  ratione 
tJotalicii  assignaverit,  dum  vitam  ducebat  in  humanis. 

*)  Ziehen  des  Schwertes  soll  mit  1!2  Mark,  des  Messers  mit 
1  Vierdung  an  das  Rathaus  „pro  munitione  et  structura  civitatis* 
gcbusst  werden.  Wer  einen  andern  mit  dem  Messer  verwundet 
(proiccerit),  soll  eine  Mark  zahlen  und  zwar  8  scoti  an  das  Schloss, 
8  an  den  Vogt,  8  an  das  Rathaus  (pretorium).  Orig.  Dep.  Frst.  A  3; 
Stun  S,   1  r  f . 

*}  Orig.  Dep.  Frst.  A.  5;  gedruckt  bei  Wuttke  S.  46,  in  der 
jftchrift  müsste  es    „in  terra  Fraustadt"    heissen.     Vgl.  Schmidt 

»  Archiv  des   erzbischöfl.  Posener  Konsistoriums,    Act.  Cons. 
n_   unter  16.  Juli  1459,  Regest  im  St.  A.  Posen. 


Geschichte  Fraustadts  im  Mittelalter.  223 

15.  Jahrhundert  Verzeichnisse  aller  drei  Kollegien  nur  noch 
ans  den  Jahren  1420  *)  und  1456  *),  Verzeichnisse  des  Rats 
allein  in  den  Urkunden  von  1428 8)  und  1448 4),  der 
Schöffen  allein  in  den  Schöffenbriefen  von  1450  und  1496 5). 
Als  Stadtschreiber  begegnet  uns  1472  in  dem  Vergleich 
über  die  Vogtei  ein  gewisser  Mathias  Ludowig. 

Die  eigentliche  regierende  Behörde  war  der 
Rat.  Dieser  wurde  zu  Anfang  des  15.  Jahrhunderts 
vom  Starosten,  wie  es  scheint,  ohne  Mitwirkung 
der  Bürger,  eingesetzt  Wir  wissen  dies  aus  der  schon 
erwähnten  Urkunde  Wladislaws  vom  19.  Februar  1409(8.222), 
in  der  den,  wie  es  scheint,  zuweilen  unbotmässigen  Zünften 
der  strengste  Gehorsam  gegen  eben  diesen  Rat  einge- 
schärft wurde6).  Am  9.  Juli  1425  aber,  einen  Tag, 
nachdem  die  Stadt  ihm  und  für  den  Fall  seines  Todes 
seinem  Sohne  den  Eid  der  Treue  geschworen  hatte7), 
erteilte  Wladislaw  von  Kosten  aus  den  Fraustädtern  eine 
Ratswahlordnung,  durch  die  die  Bürger  den  massgebenden 
Einfluss  auf  die  Zusammensetzung  ihrer  obersten  Behörde 
erhielten8).      Alle  Jahre  sollten  sie  dem  Starosten  zwölf  ge- 


*)  Verkauf  des  Schergaderas,  Abdruck  folgt  im  Anhange. 

2)  Bodenschenkungsurkunde  für  das  Bernhardinerkloster. 

**)  Verzeichnis  der  Besitzungen  der  Vogtei. 

*)  Stadtbrief  im  Ratsbuch  1597 — 1602  f.  315b. 

ß)  Vogtsbuch  1636—39  f.  128a,  Vogtsbuch  1596— 1600  f.  314a. 

*)  volumus  .  . . ,  ut  „omnes  mechanicorum  artifices  et  magistri 
suis  proconsuli  et  consulibus  civitatis  predicte  per  capitaneum 
electis  debitam  faciant  obedientiam  et  in  omnibus  eorum  ordina- 
tkmibusf  statutis  et  preceptis  omnino  eis  sint  subiecti  ipsorumque 
regiminibus  et  disposicionibus  in  statuendis  empcionibus  et  ven- 
ditionibus  se  opponere  non  debeant." 

*)  Regest  bei  Wuttke  S.  149. 

*)  Gedruckt  mit  einigen  Fehlern  bei  Wuttke  S.  150.  Die  ent- 
scheidende Stelle  lautet  nach  dem  Orig.  Dep.  Frst.  A  7:  civibus 
hanc  concedimus  facultatem,  ut  quotiescunque  ipsos  cives  proconsu- 
lem  et  consules  eiusdem  civitatis  eligere  contigerit,  extunc  duode- 
cim  viros  idoneos  .  .  .  capitaneo  nostro  .  . .  debent  et  tenebuntur 
praesentare,  ex  quibus  capitaneus  noster  unum  proconsulem,  reliquos 
vero  ex  ipsis  in  consules  omni  contradictione  cessante  debet  admit- 
tere,    eligere    et   in    eosdem    consentire   ac   pro    consiliariis    dictae 


224  Hugo  Moritz. 

eignete  Männer  vorschlagen,  aus  denselben  sollte  dieser 
ohne  jeden  Widerspruch  einen  zum  Bürgermeister  (pro- 
consul),  sieben  andere l)  zu  Ratsherren  (consules)  ernennen. 
Allerdings  sollte  dies  Wahlrecht  der  Bürger  nur  für  die 
nächsten  zehn  Jahre  Geltung  haben2).  Wunder  nehmen 
darf  uns  diese  zeitliche  Begrenzung  nicht,  da  auch  die 
Stadt  Posen  die  freie  Ratswahl  zweimal  auf  begrenzte 
Zeit,  einmal  (1444)  auf  6,  einmal  (1453)  auf  3  Jahre  ver- 
liehen erhielt8).  Wie  es  nach  Ablauf  der  zehn- 
jährigen Wahlfreiheit  gehalten  wurde,  wissen  wir 
nicht,  da  wir  aus  dem  weiteren  Verlaufe  des  15.  Jahr- 
hunderts keinerlei  Bestimmungen  oder  Berichte  über 
die  Art  der  Ratswahl  besitzen. 

Ein  Jahr  später,  am  2.  August  1426,  wurde  die 
Stadt  von  demselben  König  in  allen  Rechten  den  anderen 
Städten  Grosspolens  gleichgestellt4),  jedoch  unter  aus- 
drücklichem Vorbehalte  ihrer  besonderen  Privilegien  und 


civitatis  annis  singulis  ad  decursum  decem  annorum  conti- 
nuc  se  sequcntium  inclusive  deputarc  et  omnino  deassignare. 
Quocirca  tibi,  capitaneo  nostro  .  . . ,  nostris  firmis  damus  regalibos  in 
mandatis,  quatenus  electionem  huius  modi  infrascriptam  nullatenus . . . 
praesumas  impedire,  sed  ipsam,  sicut  praefertur,  admittas  annis 
praedictis  faciendam".  —  Am  gleichen  Tage  erteilte  Wladislaw  ein 
ähnliches,  aber  zeitlich  unbegrenztes  Privileg  für  Kosten  (Inscript. 
Posn.  1580  I  f.  444b). 

l)  So  ist  das  „reliquos  ex  ipsis"  der  Urkunde  jedenfalls  zu 
verstehen,  da  wir  schon  1428  und  dann  stets  7.  nie  aber  11  Namen 
finden.  Wenn  die  Urkunden  von  1412  und  1420  nur  4  bzw.  6  Rats- 
herren  nennen,  so  ist  das  wohl  als  zufällige  Abweichung  zu  be- 
trachten (vgl.  Warschauer,  Stadtbuch  von  Posen  S.  96*). 

>)  So  muss  man  die  Urkunde  wohl  ihrem  Wortlaute  nach 
auffassen.  Bei  den  späteren  Streitigkeiten  über  die  Ratswahl  wurde 
sie  allerdings,  wie  aus  den  Ratswahlprivilegien  von  1589  und  1598 
(Dep.  Frst.  A  95  und  103)  hervorgeht,  so  aufgefasst,  dass  die  Rats 
heiren  für  10  Jahre  hätten  gewählt  werden  sollen.  Doch  finden 
wir  schon  im  Anfange  des  16.  Jahrhunderts  —  für  das  15.  haben 
wir  zu  wenig  Ratslisten,  um  die  Frage  zu  entscheiden  —  stets  jähr- 
liche Wahlen. 

a)  Warschauer,  Stadtbuch  von  Posen  S.  93*. 

*)  Gleiche  Bestimmung  für  Wielichowo  von  [429  bei  Wuttke 
Seile  54, 


Geschichte  Fraustadts  im  Mittelalter.  225 

namentlich  Ausschliessung  des  im  Lande  Fraustadt 
{1422,  s.  oben  S.  222)  eingeführten  polnischen  Rechtes1).  Ins- 
besondere wurde  den  Bürgern  das  wichtige  Recht  be- 
stätigt, ihre  Schuldner,  wer  sie  auch  seien,  in  der  Stadt 
selbst  zur  Rechenschaft  zu  ziehen2).  Was  die  Stadt  durch 
die  als  besondere  Belohnung  für  ihre  Treue  bezeich- 
nete Gleichstellung  mit  den  anderen  Städten  Grosspolens 
gewonnen  hat,  ist  nicht  recht  ersichtlich0).  Wichtiger  war 
für  sie  vielleicht  die  gleichzeitige,  durch  die  gefährdete 
Lage  der  Stadt  an  den  Grenzen  des  Reiches,  ihre  Wich- 
tigkeit für  die  Sicherheit  des  Innern  und  die  Notwendig- 
keit der  Instandhaltung  der  Stadtbefestigung  begründete4) 
Befreiung  der  Bürger  von  der  Zahlung  der  Marktabgabe 
(targowe)  in  allen  Städten  Polens5). 

Am  17.  Juli  1444  wurde  den  Fraustädter  Bürgern6) 
von  Wladislaw  III.  (Warnensis),  bei  dessen  Wahl  und 
Krönung  im  Jahre  1434  die  Stadt  neben  verschiedenen 
anderen  grosspolnischen  Städten  vertreten  gewesen  war7), 
mit  einer  dem  Privileg  gleichen  Inhalts  von  1426  wörtlich 
entlehnten  Begründung  abermals  Befreiung  von  der  Tar- 


*)  „iure  Polonico  nobilibus  et  ignobilibus  eiusdem  districtus 
Wschovensis  dato  et  concesso  in  contrarium  non  obstante". 

*)  Ein  älteres  Privileg  dieses  Inhalts  ist  mir  nicht  bekannt, 
wenn  nicht  etwa  die  Urkunde  Johanns  von  Steinau  von  1332  (siehe 
oben  S.  209  f.)  gemeint  ist.  —  Unsere  Urk.  gedruckt  bei  Wuttke  S.  53 
nach  einem  Transsumpt  in  der  Bestätigung  Sigismund  Augusts  vom 
*  Juli  1550. 

9)  Dass  sie  dadurch  geschädigt  worden  sei,  wie  Schmidt  S.  231 
meint,  scheint  mir  nicht  richtig,  da  ja  alle  Sonderrechte  vorbehalten 
wurden. 

*)  „considerantes  civitatem  nostram  Wschowam  tamquam  in 
metis  regni  nostri  positam  a  suis  cometaneis  iam  rapinis,  iam  spoliis, 
iam  aliis  impressionibus  ut  plerumque  adeo  molestari,  ut,  nisi  sue 
fidelitatis  industria  cum  presidio  divine  dextre  tum  armis,  tum 
muri  vallo,  tum  fossatorum  praeparemento  emulorum  insidiis  in  tem- 
pore occurrerent,  nedum  ipsamet  civitas,  sed  et  interiora  regni  in- 
finita  et  intollerabilia  dampna  sus müsset." 

5)  Orig.  Dep.  Frst  A  8;  Stan  S.  13. 

•)  cives,  mercatores,  vectores  et  salisductores. 

7)  Schmidt  S.  222. 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  fttr  die  Prov.  Posen.    Jahrgang  XIX.  15 


226  Hugo  Moritz. 

gowe,  vorläufig  bis  zu  der,  nicht  mehr  erfolgten,  Rück- 
kehr des  Königs  nach  Polen1)  verliehen2).  Zwei  Tage 
vorher  war  die  Stadt  mit  Rücksicht  auf  die  grossen  Aus- 
gaben, die  sie  für  Wiederherstellung  der  Mauern  und  An- 
legung eines  neuen  Grabens  und  Parchams  aufgewendet 
hatte8),  auch  von  der  vor  zwei  Jahren  auferlegten  Steuer 
der  königlichen  Städte  —  2  Groschen  von  1  Mark  — 
entbunden  worden4). 

Für  den  Durchgangshandel  der  Stadt  war  es  wichtige 
dass  neben  der  Hauptstrasse  nach  Schlesien,  die  über 
Punitz  führte,  durch  königliche  Verordnung  von  1441 
auch  der  Weg  über  Fraustadt,  sonst  nur  noch  der 
über  Koschmin,  gestattet  wurde5).  Sehr  zu  gute 
kamen  der  Stadt  jedenfalls  die  um  die  Mitte  des  15.  Jahr- 
hunderts beginnenden,  lange  fortdauernden  Bestre- 
bungen der  polnischen  Könige  und  einiger  deutschen 
Fürsten,  unter  Umgehung  des  Niederlagerechts  von  Breslau 
und  Frankfurt  a.  O.  eine  neue  Strasse  von  Posen  nach 
Leipzig  über  Glogau  zu  eröffnen,  die  auch  Fraustadt  be- 
rührte6). Im  Jahre  1515  wird  Fraustadt  neben  Posenr 
Punitz,  Kaiisch    und  Sieradz  als  Zollstätte  für  schlesische 


*)  Wladislaw  III.  fiel  bekanntlich  am  10.  November  1444  bei 
Warna  gegen  die  Türken. 

2)  Ortsdatum  fehlt,  Orig.  Dep.  Frst.  A  13;  Stan  S.  13. 
Dass  die  Urkunde  in  Ungarn  ausgestellt  ist,  ergibt  sich  aus  dem 
Datum  des  folgenden  Privilegs. 

3)  Tarnen  casu  infausto  eiusdem  civitatis  Wschovensis  murus 
his  annis  mit  in  quantitate  non  pauca,  pro  cuius  muri  reedificatione 
cives  iam  dicti  summam  pecuniarum  satis  magnam  exposuerunt  fos- 
satumque  et  perkanum  novum  non  modicis  sumptibus  et  impensis 
ordinaverunt  et  fecerunt. 

*)  dat.  Budae  15.  Juli  1444,  Orig.  Dep.  Frst.  A  12,  Stan  S.  102. 

5)  Raczynski  S.  138,  danach  Wuttke  S.  297.  Im  Jahre  1471 
wurden  z.  B.,  wie  der  Breslauer  Chronist  Eschenloer  berichtet, 
Breslauer  Kaufmannsgüter  auf  der  Reise  vom  Posener  Jahrmarkt  in 
Fraustadt  beschlagnahmt    (Script,  rer.  Sil.  VII  S.  239). 

B)  Vgl.  Grünhagen,  Schlesien  am  Ausgange  des  Mittelalters,  in 
Zischr.  d.  Vereins  für  Gesch.  u.  Altertum  Schlesiens  Bd.  18  (1884) 
S-  43—45  und  Wehrmann,  die  Fraustädter  Verhandlung  1512,  in 
Monatsblätter  III  (1902)  S.  49  ff. 


* 


Geschichte  Fraustadts  im  Mittelalter.  227 

^Varen  bezeichnet1).  —  Aber  die  Bürger  trieben  auch  be- 
deutenden Eigenhandel.    Im  Jahre  1452  bestimmte  Könige 
Kasimir  IV.  auf  Klagen  der  Stadt  hin,  dass  die  mit  Tuch 
mind   anderen  Waren    nach  Reussen,    dem  jetzigen    Ost- 
galizien,    handelnden   Fraustädter   auf    dem    näheren,    in 
ihren  alten,  uns  unbekannten,  Privilegien2)    bezeichneten 
Wege  zollfrei    und   unbehindert   ziehen  und  nicht  zu  un- 
gewohnten Wegen  gezwungen  werden  sollten.    Der  Weg 
nach  Reussen  wurde  über  Petrikau,  Opoczno  und  Sando- 
mir,  der   nach  Lelov  (bei  Lemberg)8)    über  Krakau  fest- 
gesetzt4).    Im  Jahre    1455   schärfte  Kasimir,    neben    einer 
Bestätigung  des  Zollfreiheitsprivilegs  Wladislaws  III.5)  und 
aller    anderen    Privilegien6),   von   neuem    ein,    dass    die 
Fraustädter  mit  ihren  Waren   überall   im  Reiche  und  be- 
sonders in  den  Provinzen  jenseits  der  Weichsel,  Reussen, 
Podolien,  Litauen,  frei   umherziehen    dürften7).     Ebenfalls 
dem  Handel  zugute   kam    die    1487    (9.  März)    von    dem 
Generalstarosten   von  Grosspolen,    Nicolaus   von  Cuthnor 
als  königlichem  Kommissar  gefällte  Entscheidung,  dass  die 
Fraustädter    in    Kosten    keinen    Brückenzoll    zu    zahlen 
hätten8),  die  im  folgenden  Jahre  (5.  Mai)   vom  .König  auf 
die  Kostener  in  Fraustadt  ausgedehnt  wurde9). 

1)  Grünhagen,  Gesch.  Schlesiens  I  S.  398. 

2)  die  der  König  „nuper  in  conventione  Nyeschowiensi"  (in 
Nieszawa  in  Kujawien  (?)  eingesehen  haben  will. 

3)  Vielleicht  ist  unter  Lelov  Lemberg  selbst  (polnisch  Lwow) 
zu  verstehen. 

4)  dat.  Siradiae  in  conventione  1452  (ohne  Tag!)  Orig.  Dep. 
Frst.  A  14;  Stan  S.  13. 

5)  Gemeint  ist  die  Befreiung  von  der  Targowe. 

*)  dat  Thorn4.  Dec.  1455,  Orig.  Dep.  Frst.  A.  16;  Stan  S.  13. 

7)  dat.  Thorn  5.  Dec.  1455,  Orig.  Dep.  Frst.  A  17;  Stan  S.  13. 
Dass  Wuttke  beide  Urkunden  von  1445  datiert,  beruht  auf  einem- 
Druckfehler  bei  Neigebaur  S.  84. 

8)  Orig.  Dep.  Frst.  A.  21;  Stan  S.  14. 

9)  Orig.  Dep.  Frst.  A  22 ;  Stan  S.  15.  Schon  im  Jahre  1409 
war  von  dem  Kostener  Landgericht  entschieden  worden,  dass  die 
Fraustädter  beim  Durchzug  durch  Tremessen  dem  Kloster  für  eigene 
Waren  keinen,  für  fremde  nur  den  halben  Zoll  zu  zahlen  hätten^ 
Terrestria  Costensia  1405   —  1412  f.  122. 


-228  Hugo  Moritz. 

Allerdings  hatte  der  Handel  gewiss  oft  genug  unter 
<ler  Unsicherheit  der  Strassen  zu  leiden.  So  hören  wir,  dass  zu 
Anfang  des  16.  Jahrhunderts  (1510)  den  Fraustädtern  von 
einem  schlesischen  Edelmann  Christoph  von  Reisewitz 
^dem  „schwarzen  Christoph")  und  seinen  Genossen  110 
Gulden  und  zwei  Tuche  genommen  wurden1). 

Für  die  Einnahmen  der  Stadt  aus  dem  ihr  1404 
(S.  216)  gestatteten  Salzverkauf  war  es  von  Nutzen,  dass 
<lem  Abte  von  Lubin  1462  (3.  Juni)  vom  König  die  Unter- 
haltung einer  Salzniederlage  in  Schwetzkau  untersagt  und 
der  dortige  Salzvertrieb  auf  die  Markttage  (Mittwoch)  be- 
schränkt wurde2). 

Aber  auch  Einbussen  erlitt  die  Stadt  im  Laufe  des 
15.  Jahrhunderts.  So  scheint  sie  die  1392  erkaufte  Vogtei 
*(S.  214)  vor  dem  Jahre  1409  bereits  wieder  verloren  zu 
Tiaben.  Hierfür  spricht  die  aus  dem  genannten  Jahre 
stammende,  schon  angeführte  königliche  Verordnung,  die 
<lem  Vogte  ein  Drittel  der  für  Messerstechereien  fest- 
gesetzten Strafe  zuwies  und  ihn  überdies  vor  der  Stadt- 
behörde nannte  (S.  222).  Dazu  stimmt,  dass  die  aus 
den  Jahren  1412,  1420  und  1456  bekannten  Listen  der 
städtischen  Behörden  (S.  222  f.)  den  Vogt  nicht  nennen. 
Auch  das  1428  von  dem  Rat  auf  Befehl  des  Königs  auf- 
gestellte Verzeichnis  der  Besitzungen  und  Einkünfte  der 
Vogtei8)   macht   den   Eindruck,   als  ob  die  Vogtei  damals 


*)  Klose,  Innere  Verhältnisse  Breslaus  1458— 1526  (Script  rer. 
Sil.  m  S.  35.) 

2)  Orig.  Dep.  Frst.  A  18;  Stan  S.  14.  Neigebaur  S.  85  (da- 
nach Wuttke  S.  297)  hat  diese  Urkunde  ganz  missverstanden. 
—  Eine  allgemeine  Privilegienbestätigung,  wie  sie  später  von 
jedem  König  bei  seinem  Regierungsantritt  ausgestellt  wurde 
(vgl  Warschauer  Stadtarchive  S.  45)  —  daneben  fehlte  es  allerdings 
auch  später  nicht  an  Bestätigungen  einzelner  Privilegien  —  haben 
wir  aus  dem  15.  Jahrhundert  nur  von  Johann  Albrecht  dat.  Posen 
7.  Mai  1493  (aus  der  Kronmetrik),  allgemeine  Bestätigungen  mehr  bei- 
läufig neben  solchen  bestimmter  Privilegien  von  Wladislaw  Jagiello 
^1388,  s,  o.  S.  213)  und  Kasimir  IV.  (1455,  s-  227)- 

»)  Transsumpt  in  dem  Protokoll  einer  gerichtlichen  Verhand- 
lung vom  6.  Juni  1519,   Stan  S.  103.     Danach  gehörten   zur  Vogtei 


Geschichte  Fraustadts  im  Mittelalter.  229» 

nicht  im  Besitze  der  Stadt  gewesen  wäre.  Im  Jahre  145a 
war  ein  gewisser  Baker  Libel1),  1472  Mathias  Eckel  Erb- 
vogt  Zwischen  ihm  und  der  Stadt  wurde  in  dem  ge- 
dachten Jahre  (7.  März)  ein  Vergleich  geschlossen,  nach 
dem  die  Untertanen  des  Vogtes2)  an  gewissen  städtischen 
Lasten  teilnehmen  sollten3).  Im  Jahre  1476  scheint  Mathias 
Eckel  noch  im  Besitze  der  Vogtei  gewesen  zu  sein4). 
Bald  darauf,  jedenfalls  noch  unter  der  Regierung  König 
Kasimirs,  also  vor  1492,  wurde  sie  aber,  wie  bei  späteren 
Verhandlungen  zwischen  König,  Stadt  und  Vogt  fest- 
gestellt wurde5),  für  770  Goldgulden  an  den  Edlen 
Nicolaus  Cothwitz  verpfändet,  der  nach  seinem  Besitztum 
Laube  (polnisch  Dlugie)  in  den  lateinischen  Urkunden 
als  Nicolaus  Dluski  bezeichnet  wird.  Auch  hier,  wie  in 
zahlreichen  anderen  Städten,  kam  die  Vogtei  also  aus 
bürgerlichen  Händen  in  die  eines  Edelmannes,  eine  für 
die  Stadt  nicht  gerade  vorteilhafte  Änderung6).  Im  Jahre 
1496  erscheint  dieser    „Nicias   von  der  Laube"    in  einem 


9  Hufen  Acker  zu  je  64  Groschen  Zins,  zu  ziemlich  gleichen  Teilen 
vor  dem  polnischen  Tore,  „auf  der  Lette"  und  in  Niederpritschen 
gelegen,  das  Bad,  das  auf  unbekannte  Weise  von  der  Stadt  an  den 
Vogt  gekommen  war,  zu  4  Mark  Zins,  10  Schuhmacher-  und 
8  Backerbuden. 

*)  Nach  dem  Schöffenbriefe  dieses  Jahres  (s.  o.  S.  223). 
•  2)  homines  ipsius  advocati,  praesertim  rustici  et  hortulani,  qui 
iuxta  civitatem  in  advocatia  sedent. 

s)  Als  Transsumpt  in  der  kgl.  Bestätigung  vom  13.  März  1519. 
Orig.  Dep.  Frst  A  38,  Stan  S.  18. 

4)  Vgl.  das  Mandat  König  Kasimirs  an  den  General starosten 
Mathias  von  Bnin,  dat.  Petrikau  25.  Aug.  T476,  Capitanealia  Posna- 
niensia  1475—87  f.  44  b. 

6)  Vgl.  besonders  die  Urkunde  König  Sigismunds,  dat.  Krakau 
31.  Mai  1518,  Orig.  Dep.  Frst.  A  39,  Stan  S.  16  f.  Die  Verpfändung 
scheint  vom  Könige  ausgegangen  zu  sein,  wenigstens  behielt  sich 
dieser  den  Rückkajuf  vor.  Die  Originalurkunde  der  Verpfändung 
war  nicht  mehr  vorhanden,  man  nahm  an,  dass  sie  in  den  Kriegs- 
wirren verloren  gegangen  sei;  dagegen  lag  eine  Urkunde  einer 
Kommission  König  Kasimirs  und  eine  Bestätigung  dieser  Urkunde 
durch  König  Albert  vor. 

«)  Schmidt  S.  236. 


^3°  Hugo  Moritz. 

Schöffenbriefe1)  als  Erbvogt  aufgeführt.  Später  folgte  auf 
ihn  sein  Sohn  Nenker  Kottwitz  bezw.  Nanker  Dluski,  der 
uns  im  Jahre  1505  in  einem  Schöffenbriefe  begegnet9). 
Die  laufenden  Geschäfte  der  Vogtei  Hessen  diese  „Erb- 
vögte",  wie  aus  den  Schöffenbriefen  von  1450  und  1496 
ersichtlich,  durch  einen  zum  „Stadtvogt"  bestellten  Bürger 
verwalten.  Von  Nenker  Kottwitz  (Dluski)  erwarb  endlich 
nach  langen  Verhandlungen,  auf  die  wir  hier  nicht  näher 
eingehen  können,  die  Stadt  am  1.  Januar  1532  für 
930  ungarische  Goldgulden  die  Vogtei,  um  sie  dann 
dauernd  in  ihrem  Besitze  zu  behalten8). 

Ueber  die  Ausdehnung  Fraustadts  im  Mittelalter  haben 
wir  keine  näheren  Angaben.  Die  wenig  umfangreiche 
innere  Stadt  wird,  wie  wir  dies  von  den  meisten  deutsche» 
Städten  im  Slavenlande  annehmen  dürfen4),  gleich  bei 
<ler  Gründung  der  Stadt  in  der  Hauptsache  besiedelt 
worden  sein.  Das  Strassennetz  war  offenbar  im  wesent- 
lichen dasselbe  wie  heute.  Allerdings  hatten  die  Strassen, 
wie  wir  dies  aus  dem  16.  Jahrhundert  wissen,  grossen- 
teils  andere  Namen.  Bei  der  Enge  der  Innenstadt 
werden  schon  früh  Ansiedlungen  vor  der  Stadtmauer  ent- 
standen sein.  Eine  Vorstadt  vor  dem  polnischen  Tore, 
kurz  polnische  Vorstadt  genannt,  wird  uns  bei  Gelegen- 
heit der  noch  näher  zu  erwähnenden  Brände  von  1469 
und  1474  genannt;  doch  wissen  wir  nicht,  wie  weit  die- 
selbe sich  ausdehnte.  Die  Gegend  des  Bernhardiner- 
klosters im  Norden  der  Stadt  scheint  bei  Gründung  des- 
selben im  Jahre  1456  noch  nicht  städtisch  bebaut,  sondern 
mit  Gärten  der  Bürger  besetzt  gewesen  zu  sein6).  Ob 
im  15.  Jahrhundert  bereits  Ansiedelungen  vor  dem  Glo- 
gauer   Tore     bestanden,    wissen     wir    nicht.    Interessant 


*)  Siehe  oben  S.  223. 

2)  Orig.  Dep.  Frst.  A  25. 

8)  Chronikalische  Eintragung  im  Ratsbuch  1527 — 35  f.  136b. 

4)  Vgl.  Warschauer,  Stadtbuch  von  Posen    S.  53*. 

5)  Nach  der  später  näher  zu  besprechenden  Bodenschenkungs- 
urkunde für  das  Kloster. 


Geschichte  Fraustadts  im  Mittelalter.  23 1 

ist  die  Angabe,  dass  Fraustadt  schon  im  Anfange  des 
16.  Jahrhunderts  von  zahlreichen  Windmühlen  umgeben 
war1). 

Von  heut  noch  vorhandenen  Bauten  stammen  aus 
dem  Mittelalter  ausser  der  Stadtmauer  wohl  nur  die  Grund- 
mauern der  Pfarrkirche2). 

Noch  weniger  als  über  die  räumliche  Ausdehnung 
der  Stadt  wissen  wir  über  die  Bevölkerungszahl.  Einen 
gewissen  Anhalt  für  die  relative  Bedeutung  der  Stadt  gibt 
uns  das  bekannte,  aus  dem  Jahre  1458  stammende  Dekret 
König  Kasimirs  über  die  von  den  grosspolnischen  Städten 
für  den  Krieg  gegen  den  deutschen  Orden  zu  stellenden 
Truppen.  Danach  sollte  Fraustadt  20  Fusssoldaten  stellen, 
während  Posen  60,  Kosten  40,  Kaiisch  30,  Gnesen,  Schroda, 
Koschmin  und  Slupza  (in  Russisch-Polen)  ebenfalls  je  20, 
Obornik,  Meseritz,  Gostyn  und  Wreschen  15  und  Seh  wetzkau 
10  Mann  aufzubringen  hatten8).  Genau  nach  der  Be- 
völkerungsziffer waren  diese  Zahlen  allerdings  kaum  ab- 
gestuft. In  den  Jahren  1509 — 11,  1521  und  15244)  er- 
scheint Fraustadt,  wie  beiläufig  bemerkt  sein  möge,  unter 
den  grosspolnischen  Städten,  die  Kriegswagen  zu  stellen 
hatten6). 

Der  nationale  Charakter  der  Bevölkerung  war,  wie 
aus  den  überlieferten  Namen  von  Bürgern  hervorgeht6), 
ein  rein  deutscher,  wie  er  es  ja  bis  auf  die  Gegenwart 
geblieben  ist. 

Die  Hauptnahrungsquelle  der  Bürger  Fraustadts  war 
im  15.  Jahrhundert  gewiss   ebenso  wie  später  im  16.  das 


*)  Der  schlesische  Dichter  Vulturinus  führt  im  Jahre  1506  in 
seinem  Panegyricus  Slesiacus  (v.  586)  bezeichnenderweise  auch 
unsere  Stadt  auf  und  nennt  sie:  Frauenstad  ventimolis  circumdata 
denique  multis  (angeführt  in  Script,   rer.  Sil.  Bd.  17  S.  87  Anm.  36). 

2)  Kohte,  Kunstdenkmäler  III  S.  174  f. 

3)  Raczynski  S.  181. 

*)  Script  rer.  Pol.  IV  S.  476,  478,  Raczynski  S.  181. 

5)  Kriewen  hatte  die  Stellung  eines  solchen  durch  Zahlung 
von  20  polnischen  Mark  =  32  Gulden  abgelöst,  Script,  rer.  Pol.  IX 
S.  478. 

*)  Vergl.  die  Zusammenstellung  S.  222  f. 


232  Hugo  Moritz. 

Handwerk.  Im  Jahre  1412  bestanden  bezw.  waren  im 
Stadtregiment  (durch  je  zwei  Aelteste)  vertreten  die 
Innungen  der  Fleischer,  Bäcker,  Schuster,  Weber  oder 
Tuchmacher  (lanifices  seu  textores),  Schneider  und 
Schmiede.  Die  Urkunde  von  1420,  welche  die  von  den 
Aeltesten1)  vertretenen  Gewerke  nicht  angibt,  zeigt, 
wenn  wir  richtig  lesen,  14  Namen.  Es  muss  also 
eine  Innung  hinzugekommen  sein.  Die  Liste  von  1456 
nennt  ausser  den  schon  1412  vorhandenen  Zünften  noch 
die  Mälzer  (braxatores)2).  Das  wichtigste  Gewerbe  war 
jedenfalls,  wie  schon  die  königlichen  Urkunden  über  den 
Tuchhandel  (S.  227)  beweisen,  die  Tuchweberei.  Mit  ihr 
zusammen  hing  die  Tuchschererei,  durch  welche  die  Tuche 
erst  eigentlich  gebrauchsfertig  gemacht  wurden.  Die  letzere, 
die  ein  recht  einträgliches  Gewerbe  gewesen  sein  muss, 
scheint  die  Stadt  zuerst  selbst  ausgeübt  zu  haben.  Im 
Jahre  1420  (10.  Sept.)  verkaufte  sie  dann  den  Schergadem 
nebst  der  Stadtwage  an  einen  gewissen  Michel  Scherer8) 
für  die  ansehnliche  Summe  von  50  Mark  und  einen  jähr- 
lichen Zins  von  4  Mark  böhmischer  Groschen.  Gleich- 
zeitig wurde  ein  Tarif  für  das  Wiegen  und  Scheren  fest- 
gesetzt4). Von  Jnnungssatzungen  ist  uns  aus  dem  15. 
Jahrhundert  nur  ein  wichtiges  königliches  Statut  für  die 
Tuchmacher  vom  Jahre  1493  erhalten6).  Jedes  Stück  Tuch 
soll  30  Ellen  enthalten  und,  nachdem  es  von  besonders 
dazu  bestimmten  Bürgern  nachgemessen  ist,  von  den 
Innungsältesten  „nach  dem  löblichen  Muster  auswärtiger 


*)  Dieselben  werden  als  „Hantwergmeister  allir  hantwerg  unser 
stad"  bezeichnet. 

2)  Ueber  die  Urkunden  von  1412,  1420  und  1456  s.  oben 
S.  223. 

3)  Scherer  ist  wohl  nicht  Familienname,  sondern  Berufsbe- 
zeichnung. 

4)  Die  auch  sonst  in  vieler  Beziehung  interessante  Urkunde,  der 
älteste  im  Original  erhaltene  Stadtbrief,  soll  im  Anhange  abgedruckt 
werden. 

5)  dat.  Posen,  7.  Mai  1493,  Inscr.  Wschow.  1608 — 10  f.  264, 
Kronmetrik  Bd.  15  f.  161. 


Geschichte  Fraustadts  im  Mittelalter.  233 

Städte"  mit  dem  kleinen  Stadtsiegel1)  versehen  werden2). 
>ie  Fraustädter  Arbeit  war  dadurch  überall  leicht  erkenn- 
Mur.  Sonstige  genauere  Nachrichten  über  das  gewerbliche 
^eben  sind  uns  aus  dem  Mittelalter  nicht  überliefert. 

Auch  über  die  kirchlichen  Verhältnisse  sind  wir  nur 
unvollkommen  unterrichtet.    Die  der  Jungfrau  Maria  ge- 
weihte Pfarrkirche  (S.  201)  wird  wohl  seit  Gründung  der 
Stadt    bestanden    haben.     Im  Jahre    1487  wurden    durch 
den  König  Kasimir  IV.  die  Pfarrei  zur  Propstei,  die  Altar- 
stellen zu  Pfründen  erhoben,  letztere  unter  Vorbehalt  der 
Genehmigung  der  Kollatoren.  Das  Patronatsrecht  über  die 
Propstei  behielt  sich  der  König  ausdrücklich  vor8).    Doch 
werden  die  Pfarrer  auch  späterhin  stets  als  plebani,  nicht  als 
praepositi  bezeichnet.  Als  Pfarrer  begegnen  uns:  1326  ein 
gewisser  Jordanus,  plebanus  in  Frowenstad4),  1432  Bogus- 
tew  de  Mfyny5),  1456  Benedictus  de  Costen6),  1472  Stanis- 
laus  Gerlin,    iuris  pontificii   magister7),  1487  ein  gewisser 
Qeophas8),  1489  Mathias  de  Schmygel,  decretorum  doctor9), 
und  1499  Johannes  Chmowski10). 


l)  sigilhtm  civitatis,  quod  in  eorum  denario  scu  in  obulo  sich 
befindet. 

*)  Im  Jahre  15 13  wurde  von  König  Sigismund  I.  (dat.  Posen 
&  März)  die  Bestimmung  über  die  (jetzt  zweiseitige)  Plombe  erneuert, 
ohne  dass  unsere  Urkunde  erwähnt  wurde  (Inscr.  Posn.  1514—18 
f.  147  a,  Inscr.  Wschow.  161 1 — 13  f.  243,  vgl.  Warschauer,  Die 
städtischen  Archive  S.  57). 

8)  dat.  Petrikau  2r.  Januar  1487,  Kronmetrik  Bd.  14  f.  207. 

*)  Cod.  ü  S.  398. 

5)  Lukaszewicz,  Opis  historyczny  kosciolöw  parochialnych  II 
S.  279  ohne  Quellenangabe. 

«)  in  der  Bodenschenkungsurkunde  für  das  Bernhardiner- 
kloster. 

7)  in  dem  Vergleich  wegen  der  Vogtei,  s.  oben  S.  229. 

*)  in  der  Urkunde  über  die  Erhebung  der  Pfarrei  zur  Propstei. 

•)  Am  28.  Januar  1489  vertrug  er  sich  mit  der  Stadt  dahin, 
dass  diese  ihm  für  die  auf  dem  Pfarracker  belegene  Ziegelei  einen 
Garten  abtrat,  Orig.  Dep.  Frst.  A  23. 

10)  In  der  Urkunde  über  die  Teilung  des  Schulzengutes  in 
Oberpritschen,  s.  oben  S.  231. 


234  Hugo  Moritz.^ 

Ausser  der  Pfarrkirche  wird  uns  in  der  Boden- 
schenkungsurkunde für  das  Bernhardinerkloster  eine  diesem 
gegenübergelegene  Kapelle  der  Jungfrau  Maria  genannt, 
welche  von  der  Pfarrkirche  durch  den  Zusatz  „extra  muros 
Wschovenses"  unterschieden  wird.  Im  Jahre  1433  lernen 
wir  bei  Gelegenheit  der  Verlegung  eines  Altars  die  Aller- 
heiligenkirche ausserhalb  der  Mauern  kennen1).  Nach 
Lauterbach  lag  sie  vor  der  Pforte,  welche  in  der  Nähe 
der  Pfarrkirche  die  Stadtmauer  durchbrach2).  Auch  sonst 
mögen  die  später  vorkommenden  Kirchen  und  kirchlichen 
Anstalten,  namentlich  die  Fronleichnams-  oder  Corpus- 
Christi-Kirche,  sowie  das  Georgs-,  Lorenz-  und  Nikolaus- 
spital8) schon  ins  Mittelalter  zurückgehen,  da  sie  gleich 
zu  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  in  den  Stadtbüchern  viel- 
fach erwähnt  werden.  Auf  die  einzelnen  Altarstiftungen, 
deren  uns  aus  unserer  Periode  mehrere  bekannt  sind, 
können  wir  nicht  näher  eingehen4). 

Ausser  den  städtischen  Kirchen  gab  es  noch  die 
unter  städtischem  Patronat  stehende  Kirche  in  Ober- 
pritschen, die  1345  zum  ersten  Male  erwähnt  wird 
(Seite  212),  die  jetzt  sogenannte  „rote  Kirche"5). 

Einen  wichtigen  Zuwachs  an  kirchlichen  Anstalten 
erhielt  Fraüstadt   durch    die  1456   erfolgte  Gründung  des 


1)  Genehmigung  der  Verlegung  durch  den  Generalvikar  Johann 
de  Drzewocza  dat.  Posen  28.  Dez.  1433.  Orig.  Dep.  Frst.  A  10.  Mit 
der  Marienkirche  innerhalb  der  Mauern,  in  welche  der  Altar  ver- 
legt wird,  muss  die  Pfarrkirche  geraeint  sein. 

2)  Zion  S.  69. 

3)  Vgl.  Lauterbach.  Zion  S.  68  f. 

4)  Vergl.  das  Repertorium  des  Posener  erzbischöflichen 
Konsistorialarchivs  im  St.  A.  Posen,  die  eben  genannte  Urkunde 
vom  28.  Dez.  1433  und  die  beiden  Urkunden  des  Bischofs  Andreas 
von  Posen  vom  8.  Mai  1456,  welche  den  Altar  des  Altaristen 
Petrus  Czimmermann  betreffen  (Resign.  Wschow.  1558—66  f.  39,40). 

5)  Über  dieselbe  vgl.  Kohte,  Kunstdenkmäler  III  S.  196  ff. 
Am  28.  November  1423  bezeugte  der  Rat,  dass  der  Pfarrer 
Johannes  zu  Pritschen  der  dortigen  Kirche  einen  jährlichen  Zins 
von  3V2  Mark  vermacht  habe.  Am  17.  Dez.  genehmigte  Nicolaus, 
Generalvikar  des  Posener  Bistums,  das  obengenannte  Testament 
unter  Inserierung  der  Ratsurkunde,  Orig.  Dep.  Frst.  A  6. 


Geschichte  Fraustadts  im  Mittelalter.  235 

Franziskaner-Observanten-  oder  Bernhardiner-Klosters1). 
Die  Entstehung  desselben  wird  auf  den  Aufenthalt  des 
besonders  durch  seine  Kreuzpredigten  gegen  Türken  und 
Ketzer  berühmten  Franziskanermönchs  Johann  Capistrano 
in  Polen  zurückgeführt2) ;  dass  derselbe  in  Fraustadt  selbst 
gewesen  wäre,  ist  allerdings  nicht  überliefert.  Direkt  be- 
teiligt an  der  Gründung  war  Gabriel  von  Verona,  der 
damalige  Vikar  des  Ordens  für  die  nördlichen  Königreiche 
und  apostolischer  Legat.  Der  Entschluss  zur  Nieder- 
lassung mag  in  das  Jahr  1455  fallen8),  der  Bau  konnte 
jedoch  erst  später  begonnen  werden.  Der  Platz  —  nördlich 
der  Innenstadt,  an  der  Stelle,  wo  die  von  dem  Wieder* 
aufbau  im  17.  Jahrhundert  herrührende  Klosterkirche  noch 
heute  steht  —  wurde  nach  der  vom  7.  November  1456 
datierten  Urkunde4)  von  der  Stadt  unter  Befreiung  von 
allen  Abgaben  geschenkt.  Am  10.  Mai  1457  erhielt  die 
neue  Niederlassung,  die  der  Olmützer  Kongregation  an- 
gehörte, zugleich  mit  den  ziemlich  gleichzeitig  entstande- 
nen Klöstern  in  Posen  und  Kosten,  die  Bestätigung  des 
Posener  Bischofs  Andreas5).  Die  Klostergebäude  mit  der 
Kirche  wurden,   wie    die  Klosterchronik   zum  Jahre  146a 


J)  Nach  dem  heiligen  Bernhardin  von  Siena  nannte  sich  ein 
besonders  in  Polen  verbreiteter  Zweig  der  Franziskaner  auch  Bern- 
hardiner. 

2)  Herberger  schreibt  (Calendarium  Eberi,  Vorsatzblatt) :  „Anna 
1453  (!)  suasu  Johan.  Capistrani  senatus  aedificavit  das  münchen 
kloster";  ähnlich  (ohne  Angabe  des  Jahres)  Lauterbach,  Zion  S.  64 
(doch  ist  seine  Angabe  „neben  der  Pfarrkirche",  wenn  sie  räumlich 
verstanden  werden  soll,  falsch).  —  Der  Starost  Albert  Gorski  und 
die  Stadt  Fraustadt  verwandten  sich  später  am  28.  bezw.  31.  Dez* 
146a  beim  Papst  für  die  Heiligsprechung  Capistranos,  vgl.  A.  Her- 
mann: Qapistranus  triumphans  (Köln  1700)  S.  708,  710. 

*)  Dlugosz  V  S.  217 ;  Joh.  de  Komorowo  (Memoriale  ordinis 
fratrum  minorum)  Mon.  Pol.  hist.  V  S.  176. 

4)  Abschriften  Rel.  Wschow.  1670—75  f.  224b.  und  in  der 
Klosterchronik.  Zur  Zeit  der  Abfassung  der  letzteren  soll  das 
Original  noch  vorhanden  gewesen  sein.  Vielleicht  befindet  es  sich 
noch  heute  im  Archiv  der  Pfarrkirche. 

B)  Abschrift  der  Bestätigungsurkunde  in  der  Klosterchronik 
Seite  6. 


23$  Hugo  Moritz. 

berichtet,  mit  Hilfe  frommer  Bürger  und  Edelleute  aus 
Fach  werk1)  erbaut  und  den  Heiligen  Franciscus  und 
Bernhardin  geweiht.  An  das  Kloster  grenzte  ein  von 
einer  niedrigen  Mauer  umgebener  Kirchhof  und  ein  Obst- 
garten. —  Dem  Mönchskloster  folgte  später  ein  Nonnen- 
kloster der  Bernhardinerinnen,  das  im  Jahre  1505  an- 
lässlich einer  Schenkung  zum  ersten  Male  erwähnt 
wird8). 

Von  dem  geistigen  Leben  Fraustadts  im  Mittelalter 
erfahren  wir  bei  der  Dürftigkeit  unserer  Quellen  natürlich 
nur  wenig.  Dass  die  Stadt  im  Jahre  1404  vom  Könige 
<Jie  Erlaubnis  erhielt,  einen  Schulrektor  anzustellen,  dass 
also  eine  lateinische  Schule  entweder  schon  vor  dieser 
Zeit  in  Fraustadt  bestand  oder  damals  errichtet  wurde, 
haben  wir  schon  erwähnt.  Weitere  Nachrichten  über 
diese  Schule  haben  wir  aber  erst  aus  dem  16.  Jahr- 
hundert8). Dagegen  ersehen  wir  aus  den  Matrikeln  der 
Universitäten,  dass  Fraustadt  schon  im  15.  Jahrhundert 
eine  ganze  Anzahl  seiner  Söhne  auf  die  verschiedenen 
Universitäten,  namentlich  nach  Leipzig  und  Krakau,  ent- 
sandt hat.  In  Leipzig  finden  wir  nach  der  Zusammen- 
stellung von  Wotschke4)  von  141 1  bis  1500  unter  den 
mit  Heimatsort  angegebenen  Studierenden  nicht  weniger 
als  21  Fraustädter,  wozu  noch  ein  in  die  Matrikel  nicht 
eingetragener  Bakkalaureus  kommt,  während  Posen  in  der- 
selben Zeit  mit  24,  alle  anderen  Städte  der  Provinz  zu- 
sammen nur  mit  17  Namen  vertreten  sind.  Unter  den 
Fraustädter  Studierenden  begegnen  uns  1477  Albertus, 
Andreas  und  Petrus  Gorssky  aus  der  Starostenfamiüe 
und  im  gleichen  Jahre  ein  Mathias,  baccalaureus  decre- 
torum,  vielleicht   identisch   mit  dem  gleichnamigen  Frau- 


*)   „ex  ligneis  et  lateribus  coctis  intermixtim,  antiquo,  ut  aiunt, 
Pruthenico  more." 

3)  Schöffenbrief  vom  20.  Juni  1505,  Orig.  Dep.  Frst.  A  25. 

*)  Vgl.  Friebe,  Geschichte  der  ehemaligen  Lateinschulen  Frau- 
stadts, Beilage  zum  Fraustädter  Gymnasialprogramm  von  1804. 

4)  Posener   Studenten   in  Leipzig   bis   1560,   Monatsblatter   IV 
Seite  129  ff. 


Geschichte  Fraustadts  im  Mittelalter.  237 

Städter  Pfarrer  des  Jahres  1489,  der  sich  allerdings  als 
Mathias  de  Schmygel  bezeichnet  (S.  233).  In  dem  schon 
erwähnten  Bakkalaureus  Petrus  Czymmermann  (1447V 
können  wir  vielleicht  den  Altaristen  des  Jahres  1456 
(S.  234  A.  4)  wiedererkennen.  Die  Krakauer  Matrikel1) 
weist  von  1400  bis  1500  40  sicher  aus  Fraustadt  stam- 
mende Studenten  auf2).  Manche  andere,  bei  denen  der 
Ortsname  verstümmelt  ist,  mögen  auch  noch  zu  Fraustadt 
gehören.  Namentlich  ist  es,  wenn  die  Diözesanbezeich- 
nung  fehlt,  oft  unmöglich,  zwischen  Fraustadt  und  dem 
schlesischen  Freistadt  zu  unterscheiden.  Hier  wird  Frau- 
stadt allerdings  von  anderen  grosspolnischen  Städten,  die 
mehr  polnischen  Charakter  trugen,  so  z.  B.  von  Gnesen  und 
Schroda,  an  Zahl  der  Namen  stark  übertroffen.  Eine 
Identifizierung  der  Personen  mit  den  in  den  Fraustädter 
Quellen  vorkommenden  ist  leider  nur  in  den  wenigsten 
Fällen  möglich,  da  die  Studierenden  meist  nur  mit  dem 
eigenen  Vornamen  und  dem  des  Vaters,  ohne  Fami- 
liennamen, bezeichnet  sind8).  Der  Melchior  Johannis 
Eckel  von  1442  gehörte  wohl  der  Familie  des  späteren 
Erbvogts  Mathias  Eckel,  der  Johannes  Alberty  Gorsky  von 
1488  jedenfalls  der  Starostenfamilie  an.  In  Erfurt  er- 
scheint im  Jahre  1418  ein  Magister  Michael  Embrich 
de  Frowinstad4).  —  In  der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahr- 
hunderts trat,  wie  schon  Wotschke  bemerkt  hat6),  ein 
starker  Rückgang  in  der  Zahl  der  Fraustädter  Studierenden 
ein.  Leipzig  weist  bis  1558  keinen  einzigen,  Wittenberg 
bis  1570  nur  einen  Namen  auf.  Auch  in  der  Krakauer 
Matrikel  finden  sich  bis  1551  nur  11  unzweifelhafte  Frau- 
städter. 


*)  Album  studiosorum  universitatis  Cracoviensis  Bd.  I  1400* 
bis  1489,  Bd.  II  1490—1551,  Krakau  1887,  1892. 

2)  25  von  ihnen  bezeichnen  sich  nach  dem  deutschen,  15  nach 
dem  polnischen  Namen  der  Stadt.  Zum  ersten  Male  erscheint  der 
letztere  im  Jahre  1430. 

3)  z.  B.  1416:  Johannes  Johannis  de  Frawenstat. 

4)  Zeitschrift  d.  Vereins  f.  Gesch.  Schlesiens,  Bd.  30  S.  307  ff~ 

5)  a.  a.  O.  S.  130. 


23&  Hugo  Moritz. 

Von  einzelnen,  freudigen  wie  traurigen,  Ereig- 
nissen aus  der  Geschichte  Fraustadts  im  15.  Jahrhundert 
werden  uns  noch  einige  erwähnt,  die  sich  in  den  Zu- 
sammenhang unserer  Erzählung  nicht  gut  einfügen  Hessen 
und  daher  hier  folgen  mögen. 

So  hatte  Wladislaus  Jagiello  im  Juli  1416  hier  eine 
Zusammenkunft  mit  dem  Markgrafen  Wilhelm  von 
Meissen1).  Im  Jahre  1462  hielt  sich  König  Kasimir  auf  dem 
Wege  zu  derGIogauer  Zusammenkunft  mit  Georg  Podiebrad 
von  Böhmen  vom  15. — 18.  Mai  mit  grossem  Gefolge  in 
Fraustadt  auf2).  Doch  neben  solchen  Tagen  des  Glanzes 
und  der  Freude  fehlte  es  nicht  an  Zeiten  schwerer  Be- 
drängnis. Im  Jahre  1435  brannte,  wie  uns  Herberger  in 
seinen  handschriftlichen  Notizen  berichtet3),  die  ganze 
Stadt  samt  der  Pfarrkirche  ab;  nur  das  Rathaus,  das  wohl 
schon  damals  auf  der  Mitte  des  Marktes  stand,  blieb  un- 
versehrt. Im  Jahre  1464  soll  die  Pest,  die  damals  in 
Schlesien  wütete4),  auch  in  Fraustadt  ihre  Opfer  ge- 
fordert haben5).  Am  Freitag  vor  Pfingsten  (19.  Mai)  1466 
wurde  die  Vorstadt  vor  dem  polnischen  Tore  abermals 
durch  Feuer  vernichtet6).  Im  Jahre  1474  fiel  auf  Antrieb 
des  Königs  Mathias  Corvinus  von  Ungarn,  der  wegen 
seiner  Ansprüche  auf  Böhmen  mit  Polen    im  Kriege   lag, 


*)  Dlugosz  IV  S.  193. 

2)  Dlugosz  V  S.  343  f.  Nach  den  annales  Glogovienses  (Script, 
rcr.  Siles.  X  S.  15)  würden  sich  die  Daten  etwas  anders  stellen. 

3)  Clapius  nennt  das  Jahr  143 1,  was  Lauterbach  (Herberger 
S.  269)  ausdrücklich  zurückweist.  Eine  wörtliche  Anführung  beider 
Stellen  möge  die  Schreibweise  Herbergers  und  sein  Verhältnis  zu 
Clapius  (s.  oben  S.  197)  kennzeichnen.  Herberger  (Calend.  Eben, 
Vorsatzblatt):  „Anno  1435  ist  die  fraunstatt  una  cum  templo  durch 
feur  vertorben.  Curia  mansit  salva"  (Vgl.  auch  Calend.  S.  198). 
Clapius:  „Anno  Christi  1431  die  gantze  Fraustadt  sampt  der  Pfarr- 
kirchen durch  Feuer  untergegangen  und  nur  alleine  das  rathhaus 
unversehret  blieben." 

«)  Grünhagen  I  S.  405. 
ß)  Dlugosz  V  S.  401. 

8)  nach  Herbergers  Notizen  (Cal.  Eberi,  Vorsatzblatt)  und 
Clapius. 


Geschichte  Fraustadts  im  Mittelalter.  239 

d^r  Herzog  Johann  der  Grimmige  von  Sagan   mit  einem 
Heere  von  einigen  tausend  Mann  und  etwas  Geschütz  in 
G- rosspolen  ein  und  belagerte  Fraustadt  vom  20.  bis  23. 
M&rz1).    Die  nach  dem  letzten  Brande  kaum  wieder  auf- 
gebaute   Vorstadt,    dazu    auch    Oberpritschen,    ging   von 
neuem  in  Flammen  auf.    Die  Bürger  schlugen  jedoch  die 
feinde   von  den  Mauern  ab,   so    dass    sie   sich    mit  der 
Verwüstung   des  platten  Landes   begnügen  mussten,   bis 
Herzog   Johann  bei   Kiebel    (südl.   von  Wollstein),    nach 
Dlugosz  bei  Kopnitz,  durch  Feuer  schwer  verletzt  wurde 
und  sich  nach  Schlesien  zurückzog2).  Der  König  verlieh  der 
Stadt  und  allen  Einwohnern    am   11.  Mai    mit  Rücksicht 
auf  ihre   bedeutenden  Verluste  und   besonders   auf   den 
Brand  der  Vorstadt  eine  dreijährige  Befreiung  von  geist- 
lichen   und    weltlichen    wiederkäuflichen    Zinsen8).     Als 
König  Mathias  im  Jahre  1488  gegen  Herzog  Johann  von  Sagan, 
<ler  sich  unterdessen  des  Herzogtums  Glogau  bemächtigt 
hatte,  den  Krieg  eröffnete  und  Glogau  belagern  liess,  sah  man 
sich  auf  polnischer  Seite  bewogen,  zum  Schutz  der  Grenze 
in  die  Stadt  Fraustadt  Truppen  zu  legen*).    Doch  hören 
wir  nicht,  dass  diese  irgendwie  eingegriffen  hätten  oder 
Fraustadt  sonst  in  den  Kampf  verwickelt  worden  wäre. 


Neben  der  Stadt  bestand,  wie  schon  erwähnt,  wahr- 
scheinlich von  Anfang  an  ein  Schloss.  In  den  ältesten 
Zeiten   scheint    es   der   Sitz   eines   Kastellans    gewesen 


*)  Das  Datum  nach  den  annales  Glogovienses. 

2)  Annales  Glogovienses  (Script,  rer.  Siles  X  S.  30) ;  Eschenloer, 
Geschichten  der  Stadt  Breslau  1440—79  (hrsg.  v.  Kunisch  1828)  II 
8.  301 ;  Dlugosz  V  S.  605  f.,  Grünhagen  I  S.  334,  Caro  V  S.  390.  Wo- 
her der  letztgenannte  die  Nachricht  hat,  dass  die  Bürger  den  Sturm  mit 
Geld  abgekauft  hätten,  ist  mir  unbekannt.  —  Clapius  nennt  zuerst  irrtüm- 
lich 1473,  später  richtig  1474;  Lauterbach  hat  im  Herb.  S.  20  durch 
Druckfehler  1574  (S.  269  richtig),  im  Zion  (S.  62)  keine  Jahreszahl, 
nirgends  aber,  wie  Wuttke  S.  297  und  nach  ihm  Caro  behaupten,  1584. 

»)  dat.  Colo,  Orig.  Dep.  Frst.  A  20,  Stan  S.  103. 

*)  Script,  rer.  Sil.  XIV  S.  175. 


240  Hugo  Moritz. 

zu  sein  (S.  203).  Später,  nachweislich  zuerst  1349  (S.  213),. 
finden  wir  daselbst  einen  Starosten  (capitaneus,  Haupt- 
mann) mit  seinem  Unterbeamten,  dem  Burggrafen  (bürg- 
grabius).    Als  Starosten    begegnen  uns: 

1392  Remschil  von  Opaln  (S.  215). 

1409  und  1422  Johannes  de  Czirznina,  Erbherr  von 
Reisen,  daneben  zuerst  auch  Starost  von  Kosten,  später 
Kastellan  von  Meseritz1). 

1432  Mathias  Bank2)  alias  Stronczek  de  Osieczna*). 

1445  Johann  Kottwitz  von  Golna  (Gollmitz  im  Kreise 
Fraustadt)*). 

1450  Heinrich  Kottwitz  von    Golna6). 

1453  wieder  ein  Johann,  Kastellan  von  Meseritz6). 

1456  der  Posener  Bischof  Andreas  Opalinski  de  Bnin1). 


1)  Als  Zeuge  in  den  beiden  königlichen  Urkunden  von  1409 
(s.  oben  S.  220, 222)  und  als  Aussteller  der  Urkunde  vom  10.  Januar  1422 
(S.  220).  1409  nennt  er  sich  Joh.  de  Cz.  alias  de  Ridzyn  haeres, 
Costanensis  et  Wschowiensis  capitaneus,  1422  Joh.  de  Cz.  haeres 
in  Ridzyn,  castellanus  Mederensis. 

2)  Jonemann  f.  14  a,  17  b  nennt  ihn  Mathias  Borek. 

3)  In  dem  genannten  Jahre  bezeugt  M.  Bank  (dat  Lublin  9.  Fe- 
bruar 1462)  die  Uebernahme  der  Starostei  (gedruckt  bei  Wuttke  S.  297 
A.  15  nach  Raczynki  S.  164  f.).  Dass  die  Stadt  an  ihn  verpfändet,  also 
zeitweise  mittelbar  geworden  sei,  wie  Wuttke  meint,  (ebenso  Meyer, 
Gesch.  des  Landes  Posen  S.  171),  ist  aus  der  Urkunde  nicht  zu  er- 
weisen. Bank  bezeugt  nur,  dass  er  „castrum  et  civitatem  Wschowam 
cum  ipsorum  districtu  ad  manus  fideles  in  tenutam  et  gubernationenV' 
empfangen  habe,  und  verspricht,  sie  niemand  anders  als  dem  König 
oder  seinem  Nachfolger  zu  resignieren. 

*)  Im  Stadtarchiv  Breslau  befindet  sich  ein  Brief  von  ihm 
an  den  Bresiauer  Rat  betr.  eines  gewissen  Hans  Janisch,  den 
er  gefangen  hat,  dat.  29.  Okt.  1445. 

5)  In  dem  Schutzbrief  für  den  Schulzen  von  Pritschen,  s. 
oben  S.  220.  —  Jonemann  f.  17  b  bezeichnet  ihn  als  Heinrich  Kottwitz- 
Golaniecki;  f.  4a  gibt  er  eine  ganze  Liste  von  polnischen  Namen, 
welche  die  einzelnen  Zweige  der  Familie  Kottwitz  nach  ihren 
Gütern  im  Fraustädter  Kreise  angenommen  haben  sollen. 

6)  in  dem  bald  zu  erwähnenden  Fischereiverbot. 

7)  in  der  Bestätigung  einer  Schuldverschreibung  für  den  AI* 
taristen  Petrus  Czimmermann  dat.  Fraustadt  8.  Mai  1456,  Resign. 
Wschow.  1558I66  f.  39. 


Geschichte  Fraustadts  im  Mittelalter.  S4I 

1462  und  1476  Albert  Gorski,  das  zweite  Mal  auch 
als  castellanus  Landensis  (von  L^dek  bei  Peisern)  be- 
zeichnet1). 

1499  Albertus  de  Gora  scholasticus  Vladislaviensis 
(von  Leslau  in  Kujawien),  cancellarius  et  canonicus  Posna- 
niensis2). 

Die  beiden  letztgenannten  gehören  schon  der  Familie 
an,  die  die  Starostenwürde  von  Fraustadt  fast  das  ganze 
16.  Jahrhundert  hindurch  in  Besitz  haben  sollte. 

Von  Unterbeamten  der  Starosten  begegnet  uns  1399 
ein  Kraczo  „burggrabius  Ffschovensis"  *),  1456  ein 
Johannes  de  Pampowo4),  1463  ein  Mathias  Crzyssan  (P)8). 

Über  die  Beziehungen  der  Stadt  zu  den  Starostett 
hören  wir  so  gut  wie  nichts.  An  Reibungen  wird  es  bei 
der  unmittelbaren  Nachbarschaft  wohl  ebenso  wenig  ge- 
fehlt haben  wie  später.  Das  einzige  Zeugnis,  das  wir 
dafür  besitzen,  ist  ein  aus  dem  Jahre  1453  stammendes 
Verbot  König  Kasimirs  an  die  Bewohner  des  Schlosses, 
im  Stadtgraben  und  den  von  den  Bürgern  zur  Verteidi- 
gung angelegten  Teichen  zu  fischen6). 


*)  1462  in  dem  Brief  über  Capistrano,  s.  oben  S.  235  A.  2;  1476  in 
dem  königlichen  Mandat  Aber  die  Vogtei,  s.  oben  S.  229  A.  4. 

*)  als  Aussteller  der  Urkunde  über  die  Teilung  des  Schulzen- 
gutes in  Oberpritschen  (s.  oben  S.  221);  er  ist  vielleicht  identisch 
mit  dem  Albert  Gofsky  der  Leipziger  Matrikel  von  1477. 

*)  Lekszycki,  Grodbücher  II  S.  285. 

4)  s.  oben  S.  240  A.  7. 

6)  Ein  Brief  von  ihm  an  Gregor  Lilgenzweig  (in  Breslau  ?) 
dat.  30.  August  1463  im  Breslauer  Stadtarchiv. 

6)  dat.  Sandomir  8.  Sept.  1453,  Orig.  Dep.  Frst.  A  15,  Stan 
S.  13,  Wuttke  S.  297. 


Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XIX.  16 


242  Hugo  Moritz. 


Anhang. 


1. 

Remschil  von  Opaln,  Starost  zu  Fraustadt,  bestätigt  der  Stadt 
Fraustadt  den  Erwerb  der  städtischen  Vogtei,  dat.  (Fraustadt)  37.  No- 
vember 1392.    Orig.  St.  A.  Posen,  Dep.  Frst.  A  2  a;  das  Siegel  fehlt. 

Wir  her  Remschil  von  Opaln,  her  zum  Czacz1)  und  haupt- 
[man]  zur  Frawenstad,  mit  den  nochgescrebenen  landscheppin  do 
seibist,  Syfrid  Kothewicz  von  Czedelicz2),  Tyczhe  Qualecken,  Heincze 
Erckewicz,  Niclos  Langnaw,  Stephan  von  Wilkaw3),  Hanns  Crumpnaw 
von  der  Luba4)  und  Heinrich  Kawffman,  bekenne  uf fintlich  mit 
dezim  briffe  allen  den,  dy  en  sehen,  horin  adir  lezin,  das  vor  min 
gehegittim  hoffedinge  vor  uns  gestandin  haben  Conrad  foit  unde 
Anna  syne  swestir,  eczwin  dez  aldin  Nickils  foittes  kynder,  mit  frischim 
gesundinn  leyb  und  herczin,  mit  volbedochtim  muthe  und  mit 
guthim  czytlichin  rathe  er  frunde,  unbethwungen,  sunder  wil- 
lenlich vor  uns  ufgegeben,  gelazin  vor  rycht  und  vorleugit  haben 
daz  gerichte  und  foitteye  zur  Frawinstad,  daz  ir  feterlich  erbe  und 
gued  gewest  ist,  gancz  und  gar  mit  allir  herschaft  und  rechten, 
noczin  und  zugehorungen,  keins  sundirlichen  do  von  behaldin  ader 
geczogen,  dem  rathe  und  der  stad  zur  Frawinstad,  und  haben  dez 
dor  umbe  von  en  genomen  fyrczik  mark  groschin  bemischer  mun- 
cze  und  polnisch  werunge  und  haben  sich  dez  ben antin  gerichtis 
vorczegin,  zy  dorumb  nu  noch  nymraer  anczuredin  noch  czu 
sprechin.  Des  habe  ich  obgenanter  her  Remschil  dem  vorbenantin 
rathe  und  stad  dez  egedochtin  gerichtes  abgetretin  noch  geheize 
und  von  gebod  unsers  gnadigen  herrn  koningis  Wladislai.  Des  czu 
bekantnisse  haben  wir  obgeschrebin  her  Remschil  von  Opaln  und 
lantscheppin  unser  ingesegille  an  dezin  brieff  lazin  hangen,  an  der 
nestin  mitwache  noch  Katherine,  der  heylegen  juncfrawen,  noch 
gotes  geburd  twsund  dryhundert  iar  und  in  dem  czwey  unde  ncwen- 
czikstin  jar. 

II. 

Die  Stadt  Fraustadt  verkauft  den  Schergadem  und  die  Stadt- 
wage an  Michel  Scherer,  dat.  (Fraustadt)  10.  September  1420.  Orig. 
St.  A.  Posen,  Dep.  Frst.   A  4. 

Gelbes  Stadtsiegel  an  grünen  Fäden. 


')  Czacz  liegt   bei   Schmirgel.    Ober   unsern    Remschil  von  Opaln    vgl.    meine 
Bemerkungen  in  den  Monatsblattern  Band  n  S.  a  f. 
*)  Zedlitz  bei  Fraustadt. 
*)  wohl  Deutsch- Wilke  bei  Lissa. 
4)  Laube  zwischen  Fraustadt  und  Lissa. 


Geschichte  Fraustadts  im  Mittelalter.  243 

In  gotis  namen  amen.  Wenne  alle  ding  von  menschlichen 
gedancken  leychticlichen  vorgessen  werden  und  vorterben,  wo  die 
nicht  mit  wo r haftigen  geczewgen  und  briffen  bestetigit  werden,  hyr- 
umme  wir  ratmanne,  scheppen  und  hantwergmeister  der  stad 
Ffrawenstadt  mit  namen  Henrich  Kouffmann  burgermeister,  Hans 
Pellifex,  Cloze  Neydecke,  Niclus  Ffaytchyn,  Mathus  Herold,  Petir 
Cleibir,  Nicolaus  Scheydemantil  ratmanne,  Andris  Medder,  Niclus 
Hubener,  Hancke  Herman,  Niclus  Mugkenstad,  Mathus  Lodewig, 
CJorge  Bernhard,  Jencke  Petirwicz  scheppen,  Michil  Schultis,  Peczhe 
Kouffman,  Mathus  Gruneberg,  Petir  Lamprecht,  Reychehenczhil, 
Junge  Ffederoff,  Heynke  Sneidir,  Petir  Preysensteyn,  Hannus 
Döring,  Niclus  Kittil,  Niclus  Preysensteyn,  Michil  Messirsmeid,  Beler 
und  Nidus  Lange,  hant wergmeistern  allir  hantwerg  unser  stad 
bekennen  offintlichen  in  desim  briffe  allen  den,  die  en  sehen,  hören 
adir  leszen,  daz  wir  mit  rothe  und  willen  unser  eldlsten  und  jün- 
gsten vorkoufft  habin  unsern  schergadem  mit  der  woge  in  allen 
reyn,  enden  und  greniczen,  alz  wir  en  selbir  gehabt  habin,  mit 
namen,  von  gründe  äff  alz  die  czwene  gebil  begriffen  habin,  dem 
erbarn  Michil  Scherer,  Salomee  seyner  elichen  hawsfrawen,  eren 
-erben  und  rechten  nochkomelingen.  Denn  vorgeschreben  scher- 
gadem mit  der  woge  habin  wir  em  vorkoufft  und  gegebin  czu 
ewigen  geczeiten  umb  funffczig  mark  grosschen  und  czu  vir  marken 
grosschen  rechtis  jerliches  ewigis  czinsis  bemisschir  montcze  pol- 
nisscher  czal  und  werunge,  der  acht  und  virczig  grosschen  vor  die 
mark  gehen.  Denn  selben  czins  sal  der  egenanthe  Michil  Scherer, 
Salomee  seyne  eliche  hawsfrawe,  ere  erbin  und  rechten  noch- 
komelinge  leisten,  antwurten  und  beczaln  alle  jar  jerlichen  off  eynen 
iczlichen  synthe  Michils  tag  dez  heilligen  erczhengils  ane  arg.  In 
sulchen  rechten  und  freythen  dem  egenanthen  Michil  Scherer, 
Salomeen  seyner  elichen  hawsfrawen,  eren  erben  und  rechten  noch- 
komelingen mit  namen,  daz  sie  mögen  allirley  kouffmanschaczt 
treiben  also  andir  metheburger  in  der  stad  und  in  unsers  gnedigen 
hern  koniges  lande,  awsgenommen  bir  czu  schenken  und  gewand 
czu  sneyden.  Ouch  were  is  sache,  ap  die  montcze  vorwandilt 
wurde,  do  got  vor  sey,  so  sal  her  neymen  czu  scheren  von  sechz 
elen  schönes  gewandis  eynen  bemisschen  grosschen  adir  also  vil 
heller,  alz  eyn  bemissch  grossche  gilt,  und  von  eyner  elen  lanthuchz 
sal  her  neymen  eynen  heller,  der  ouch  czwelfe  vor  eynen  be- 
misschen grosschen  gehen.  Ouch  sal  her  neymen  von  andirhalbe 
cle  lanthuchz  czwene  heller  und  von  funff  virtil  lanthuchz  eynen 
heller.  Ouch  thuen  wir  dem  obgenanthen  Michil  Schercr,  Salomeen 
seyner  elichen  hawsfrawen,  eren  erben  und  rechten  nochkomelingen 
die  gunst  und  fruntschaft,  daz  nymandis  keyn  gewand  scheren  sal 
obir   en1),    her    weide    denne    is    em    selbir    scheren    adir    seynen 

*)  ausser  ihnen. 

i6« 


244  Hugo  Moritz. 

kindern,  die  an  seynem  brothe  synd.  Ouch  thuen  wir  cm  die  gunst, 
daz  nymandis  sal  keynen  schergadem  noch  woge  obir  en  bawen 
noch  hengen.  Ouch  sal  her  von  der  woge  czu  lone  neymen  von 
eynen  steyne  czu  wegen  eynen  heller,  von  andirhalbyn  steyne 
czwene  heller  alz  is  von  aldirs  vormolz  gewest  ist,  und  von  funff 
virtil  eynis  steynis  sal  her  neymen  eynen  heller.  Ouch  waz  undir 
eynem  halben  steyne  ist,  do  von  sal  her  nis  nicht1)  neymen,  und 
stillen  en  vorantwurten  als  unsern  dyner  und  alz  eynen  andirn 
metheburger.  Ouch  sal  her  dez  geschoz  und  der  wache  frey  seyn, 
waz  uns  angehöret.  Ouch  globen2)  wir  dem  obgenanthen  Michil 
Scherern,  Salomeen  seyner  elichen  hawsfrawen,  eren  erben  und 
rechten  nochkomelingen  den  vorgeschreben  kouff  stethe  und 
gancz  sal  gehalden  werden  und  en  den  vorgenanthen  schergadem 
mit  der  woge  czu  habin,  czu  halden,  czu  vorkouffen,  czu  vorsetzen, 
czu  vorwandiln  und  an  eren  bequemesten  notcz  czu  wenden  un- 
schedelich  unser  stad  czinsen  und  allen  eren  rechten.  Czu  orkunde 
und  bekentenis  habin  wir  obgenanthen  ratmanne,  scheppen  und 
hantwergmeister  mit  guttir  wost  unser  stadsegil  an  desin  briff 
lossen  hengen,  der  geschrebin  und  gegebin  ist  am  dinstage  noch 
Nativitatis  Marie,  alz  man  list  der  gebort,  noch  gotis  gebort 
virczenhundirt  jar,  dornoch  in  dem  czwenczigistem  jare. 


>)  nichts.  Im  Original  steht:  nis  aicht. 
0  geloben. 


Aus  bewegter  Zeit. 

Tagebuchblätter  und  Briefe  aus  der  Zeit  der  polnischen 

Unruhen  1793  und  1794. 

Zusammengestellt  und  bearbeitet  von 

Ernst  von  Schönfeldt. 

)ie  nachstehenden  Briefe  und  Tagebuchein- 
tragungen stammen  von  den  Brüdern  Wilhelm 
und  Carl  v.  Pannwitz,  die  beide  während 
des  Feldzuges  in  Polen  im  Infanterie  -  Regiment 
v.  Franckenberg  als  junge  Leutnants  standen»  Wilhelm, 
geb.  1772,  blieb  bis  nach  der  Katastrophe  von  Jena  im 
Dienst  und  nahm  dann  seinen  Abschied,  um  seine  Güter 
Gulben  und  Babow  in  der  Lausitz  zu  bewirtschaften. 
Carl,  geb.  1776,  sollte  nicht  in  die  Heimat  zurückkehren. 
In  der  Nacht  vom  17.  zum  18.  Oktober  1795  machte  er 
auf  dem  Rückmarsch  aus  Polen  seinem  Leben  infolge 
hochgradiger  Schwermut  durch]  einen  Pistolenschuß* 
ein  Ende. 

Die  Briefe  sind  meist  an  die  Eltern  gerichtet  und 
zeugen  nächst  aufrichtigster  kindlicher  Liebe  und  Ver- 
ehrung von  einer  hohen  Auffassungsgabe  und  klarem 
Urteil,  namentlich  die  von  Wilhelm. 

Der  Vater,  Carl  Wilhelm  v.  Pannwitz,  lebte  derzeit 
auf  seinem  Gute  Gulben.  Die  Mutter,  Sophie  Luise,  war 
die  Tochter  eines  Gutsnachbarn,  des  Hans  Ernst  v.  Schön- 
feldt auf  Werben.  Die  in  den  Briefen  oft  erwähnte 
Karoline  ist  die  Schwester,  die  sich  später  mit  Carl 
v.  Gleissenberg  verheiratete.  Der  gleichfalls  mehrmals 
erwähnte  Leopold  v.  Kleist  —  ein  Bruder  des  unglücklichen 
Dichters  —  war  ein  Vetter  Wilhelms,  später  sein  Schwager. 


246  Ernst  von  Schönfeldt. 

Erwähnt  sei  noch,  dass  Carl  in  seiner  Jugend  mit 
seinen  Vettern  Heinrich  v.  Kleist  und  Ernst  v.  Schönfeldt 
zusammen  im  Hause  des  Predigers  Catel  in  Berlin  er- 
zogen worden  ist. 

Leider  sind  von  den  Briefen  der  Brüder  nur  wenige 
erhalten.  Da  beide  aber  bei  demselben  Regiment  standen, 
also  im  Grossen  und  Ganzen  dasselbe  erlebten,  so  Hessen 
sich  doch  einige  Lücken  gegenseitig  ausfüllen.  Das  Tage- 
buch von  1793,  geführt  von  Wilhelm,  enthält  wenig  mehr 
als  eine  einfache  Aufzählung  der  Tatsachen,  bis  auf  die 
kurzen  Beschreibungen  von  Land  und  Leuten,  die  nicht 
ohne  Interesse  sind.  Die  Briefe  von  1794  dagegen  geben 
ein  anschauliches  Bild  des  Feldzugs  und  des  ganzen 
Kriegslebens.  Da  Wilhelm  ungleich  lebhafter  und  ein- 
gehender schreibt  als  Carl,  so  wurden  seine  Briefe  in 
erster  Linie  zusammengestellt,  und  nur  vorhandene  Lücken, 
soweit  es  anging,  aus  dem  Tagebuche  Carls,  von  dem 
übrigens  nur  noch  wenig  Blätter  vorhanden  sind,  ergänzt. 

Die  Schreibweise  der  Briefe  ist  nach  Möglichkeit 
beibehalten  worden.  Die  verschiedenen  Personen-  und 
Ortsnamen,  die  in  den  Briefen  sehr  oft  verschieden  ge- 
schrieben werden,  sind  übereinstimmend  teils  nach  der 
Kgl.  Preuss.  Rangliste,  teils  nach  Werken  aus  jener  Zeit 
wiedergegeben.  Was  den  historischen  Zusammenhangs 
anbetrifft,  so  habe  ich  mich  in  den  Einleitungen  und  Fuss- 
noten  auf  das  Allernotwendigste  beschränkt,  da  die  Briefe 
ja  nur  einen  Beitrag  zur  Geschichte  jener  Zeit  liefern 
sollen,  die  von  berufeneren  Federn  schon  zur  Genüge 
beschrieben  worden  ist. 


Die  zweite  Teilung  Polens  war  durch  die  Peters- 
burger Konvention  vom  23.  Januar  1793  zwischen  Russ- 
land und  Preussen  endgiltig  beschlossen,  und  schon  am 
24.  Januar  liess  General  v.  Moellendorff,  der  mit  der 
Besitznahme  des  preussischen  Anteils  beauftragt  war,. 
seine  Avantgarde  unter  General-Major  von  der  Trenck 
über  Schwerin  und  Birnbaum  in  Polen  einrücken,  während 
er  selbst   am    nächsten  Tage  mit  5  Kolonnen  nachfolgte. 


Aus  bewegter  Zeit.  247 

iei  der  Avantgarde  befand  sich  das  Regiment  v.  Francken- 
>erg,  dem  der  Leutnant  v.  Pannwitz,  dessen  Erlebnisse 
wvir  in  Nachstehendem  bringen,  angehörte. 

Cantonnierungsquartier  Blaszky1),  den  8.  März  1793. 
Meine  beste  Mutter!  Rechnen  Sie  es  mir  ja  nicht  zu,  dass 
ich  Ihr  gütiges  Schreiben  vom  9.  vorigen  Monats,  welches  ich  aber 
erst  den  29.  ejus  erhalten  habe,  so  spät  beantworte  und  seit  dem 
18.  nicht  geschrieben  habe,  allein  wir  sind  bis  jetzt  wie  auf  einer 
wüsten  Insel  herumgeirrt,  ohne  nur  eine  Gelegenheit  gehabt  zu 
Viaben,  einen  Brief  auf  ein  Postamt  zu  besorgen. 

Für  Ihre  mütterlichen  Wünsche  zu  meinem  Geburtstage2) 
sage  ich  Ihnen  den  kindlichsten  Dank,  und  seien  Sie  versichert, 
dass  nur  der  Tod  mich  unterbrechen  kann,  mich  unausgesetzt  gegen 
Sie  für  alle  Güte  dankbar  zu  bezeugen. 

Versprochener    Massen    überschicke  ich  Ihnen    hierbei    mein 

Tagebuch   von  unserem   Ausmarsch  bis  zum  2.  hujus  als  den  Tag, 

wo  wir  dieses   Städtchen   besetzt   haben.    Sie   werden  hieraus  das 

nähere  unserer  Fata  ersehen,   allein   ich   muss  zugleich  um  gütige 

Nachsicht   bitten,    denn    öfters   habe    ich    vor   Müdigkeit  kaum  die 

Feder  halten  können.  Da  wir  glauben,  hier  einige  Zeit  ruhig  stehen 

zu  bleiben,  so   habe  ich   das  Tagebuch  vor  der  Hand  geschlossen, 

bis  interessantere  Post  kommt.    Karl3)   habe  ich  zuletzt  in  Waitha 

den  23.  Febr.  gesehen,  und  vorgestern  hat  ihn  der  Major  Manteuffel 

gesprochen,  er  ist  noch  frisch  und  gesund  und  mit  seiner  Equipage 

ist  auch  noch  alles  richtig.   Das  1.  Bataillon  steht  3  Meilen  von  hier 

in  Sieradz4),   ich   werde   mich   nächstens  einmal  aufmachen,  ihn  zu 

besuchen.    Meine  Equipage  ist  noch  im  besten  Stande,  Matthes5)  ist 

noch  gesund,  er  lässt  seine  Eltern  grüssen,  und  ich  habe  noch  alle 

Ursache  mit  ihm  zufrieden  zu  sein.    Meinen  lieben  Vater  bitte   ich 

gehorsamst  meine    Hochachtung  zu  versichern   und   ich  werde   nie 

aufhören  zu  sein   Ihr  gehorsamer  Sohn 

W.  v.  Pannwitz. 

Tagebuch. 

Gross  Lübbichow8),  den  20.  Januar.  Meinem  Versprechen 
gemäss  fange  ich  hiermit  mein  Tagebuch  an,  ob  es  aber  interessant 
werden  wird,   das   ist  von   der  Zukunft   zu  erwarten.    Ich   werde 


])  Blaszki,  Stadt  in  der  Woiwodschaft  Kaiisch,  Kreis  Warta. 

a)  geb.  9.  Februar  1772. 

s)  den  Bruder. 

*)  im  Gouvernement  Kaiisch,  Kreis  Sieradz. 

*)  sein  Diener. 

*)  Im  Regierungsbezirk  Prankfurt  a.  O.,  Kreis  Sternberg. 


34&  Ernst  von  Schönfeldt. 

Ihnen  weiter  nichts  liefern,  als  was  das  Regiment  und  mich  an- 
betrifft, andere  Neuigkeiten  nur  wenig,  und  nur  die  interessantesten, 
denn  ich  habe  es  vor  3  Jahren  in  Schlesien  erfahren,  dass  man 
selbst  bei  uns  den  wenigsten  Nachrichten  trauen  darf. 

Heute  früh  um  l/ß  Uhr  sind  wir  ausmarschiert,  allein  man 
gewöhnt  sich  ebenso  an  das  Scheiden,  wie  an  alles  übrige,  denn  der 
Abschied  nach  Schlesien  war  ungleich  trauriger  und  selbst  der 
nach  Pommern1),  ob  wir  jetzt  gleich  die  Aussicht  haben,  ungleich 
länger  wegzubleiben,  als  beide  vorigen  Male.  Wir  sind  zwei  gute 
Meilen  marschiert  und  haben  bis  auf  die  letzte  halbe  Meile,  wo 
wir  wenig  Bahn  hatten,  guten  Weg.  Unsere  Kompagnie  und  die 
vom  Hauptmann  Hagen  steht  auf  diesem  Dorf  hier,  Major  v.  Schätzel 
in  Neuendorf8),  Kapitän  v.  Zastrow  in  Kl.  Lübbichow8)  und  die 
reitende  Batterie  in  Drentzig4;.  Ich  habe  mit  dem  Kapitän  Felden 
eine  recht  nette  Stube,  und  mit  unserer  Bagage  ist  es  auch  recht 
gut  gegangen. 

Bresen0),  den  21.  Wir  haben  heute  einen  schlimmen  Marsch, 
keine  Bahn  und  hässliches  schlappriges  Wetter.  Wir  haben  nur  einen 
Mann  hoch  marschieren  können,  und  die  Pferde  haben  beständig  bis  an 
die  Knie  im  Schnee  waten  müssen.  Im  letzten  Dorf  haben  wir  stürmen 
lassen,  um  den  Schnee  aus  dem  Wege  zu  schaffen,  da  die  Wagen 
nicht  mehr  fort  konnten.  Dem  Fähnrich  Butzlow  ist  die  Nacht  ein 
Pferd  gefallen.  Ich  liege  mit  den  beiden  anderen  Offizieren,  dem 
Fähnrich  Langen  und  dem  Fähnrich  Morstein  etwas  eng  zusammen. 
Major  Schätzel  und  Kapitän  Zastrow  stehen  in  Langenfelde6),  und 
Kap.  von  Hagen  steht  in  Bresen,  die  reitende  Batterie  in 
Hennersdorf7). 

Gleis  sen8),  den  22ten.  Soeben  sind  wir  in  den  Ort 
unserer  vorläufigen  Bestimmung  eingerückt.  Unsere  Quartiere 
scheinen  recht  gut  zu  sein,  wenigstens  habe  ich  ein  recht 
hübsches  Stübchen,  und  die  Leute  liegen  auch  nicht  so 
eng  wie  in  dem  vorigen  Nachtquartier.  Für  unsere  armen 
Pferde  ist  dieser  Marsch  aber  sehr  schlimm  gewesen,  da  wir  wenig 


J)  1790  hatte  Prcussen  mobil  gemacht,  um  das  Vordringen  der  verbündeten 
Österreicher  und  Russen  in  der  Türkei  zu  verhindern.  Nachdem  die  Armee  in 
Schlesien  infolge  den  Vertrages  von  Reichenbach  verfügbar  geworden  war,  sog  der 
König  einen  Teil  der  Regimenter  nach  Pommern  und  Ostpreusscn,  um  einen  Druck 
auf  die  Russen  auszuüben.    Aber  auch  hier  kam  es  nicht  zur  Aktion. 

*)  Im  Reg.  Bez.  Frankfurt  a.  O.  Kreis  Sternberg. 

»)  Ebcndort. 

')  Drenzig,  ebendort. 

^  Brecsen,  ebendort. 

«9  Langenfeld,  ebendort. 

')  Heinersdorf,  ebendort. 

*)  Ebendort. 


Aus  bewegter  Zeit.  249 

Bahn  gehabt  haben,  und  da  der  Schnee  jetzt  weich  wird,  so  fallen 
die  Pferde  öfters  bis  über  die  Kniee  ein,  auch  die  Räder  schnitten 
sehr  ein.  Major  v.  Schätzel,  Kapt.  v.  Zastrow  und  Kapt.  v.  Hagen 
liegen  in  Königswalde1),  wie  auch  die  reitende  Batterie.  Heute  rückt 
-das  erste  Bataillon  in  Zilenzig*)  ein,  auch  Moellendorff  kommt  heute 
dort  an.  Wenn  wir  einige  Tage  hier  stehen  bleiben,  so  werde  ich 
herüber  reiten,  um  Karl  und  den  jüngsten  Stoj entin8)  zu  besuchen. 
Zilenzig  ist  nur  eine  Meile  von  hier.  Heute  habe  ich  den  Lt.  von 
Brunnow  von  den  Grenadiers  gesprochen,  bei  ihnen  ist  es  bis  jetzt 
recht  gut  gegangen,  sie  kommen  heute  nach  Stenszk4)  u.  Muschten6). 
Dies  Dorf  gehört  dem  Präsident  Poser,  der  hier  englisch  Bier 
brauen  lässt,  welches  ich  fleissig  kosten  werde.  Die  Polnische 
Grfinze  ist  nur  eine  viertel  Meile  von  hier. 

Den  23ten.  Den  heutigen  können  wir  uns  als  einen  Ruhetag  an- 
sehen, denn  soeben  (des  Abends  um  6  Uhr)  bekommt  unser  Bataillon 
die  Ordre,  morgen  in  Pohlen  einzumarschieren.  Unsere  Compagnie 
steht  um  6  Uhr  auf  dem  Place  d'armes,  und  nachdem  selbige  scharf 
geladen  hat,  marschiert  sie  nach  Königswalde,  wo  sich  um  8  Uhr 
das  Bataillon  versammelt.  Zwei  Compagnien  von  unseren  Grenadiers 
marschieren  morgen  ebenfalls.  Wo  es  hingeht,  und  wie  es  uns 
morgen  gehen  wird,  weiss  ich  noch  nicht.  Ich  habe  heute  einen 
Boten  nach  Zilenzig  geschickt  und  an  Karl  geschrieben;  er  ist 
glücklich  dort  angekommen.  In  Schwerin  8),  2  Meilen  von  hier,  stehen 
polnische  Husaren,  und  Meseritz  ist  mit  Infanterie  und  Kanonen  be- 
setzt.   Morgen  ein  Mehres. 

Nachtrag.  Die  beiden  Grenadier-Compagnieen  sind  nicht 
marschiert,  sondern  das  ganze  Grenadier-Bataillon  den  asten,  und 
Meseritz  ist  nicht  mit  Kanonen  besetzt  gewesen. 

Schwerin  in  Pohlen,  den  24ten.  Des  Abends  um  8  Uhr. 
Nachdem  um  6  Uhr  die  Kompagnie  geladen  hatte,  marschierte 
sie  von  Gleisßen  nach  Königswalde,  wo  sich  um  8  Uhr 
das  Bataillon  versammelte.  Um  9  Uhr  rückte  das  Bataillon 
heraus,  und  um  V210  Uhr  versammelte  sich  bei  Osch  das 
Detachement  unter  dem  Gen.  Maj.  v.  Trenck,  welches  aus  2  Eskadrons 
von  Trenck,  einer  halben  reitenden  Batterie  und  unserem  aten 
Bataillon  besteht,  und  marschierte  in  folgender  Ordnung:  1  Eskadron 
Husaren  und  die  halbe  reitende  Batterie  die  Avant-Garde,  unser 
Bataillon,  die  Bagage  und  1  Eskadron  Husaren  die  Ariere-Garde,  nach 


»)  Im  Reg  .-Bez.  Frankfurt  a.  O.  Kreis  Sternberg. 

,J)  Zielenzig,  ebendort. 

3)  seinen  Vetter. 

*)  Stenttch,  Reg.-Bez.  Frankfurt,  Kreis  Zaüichau*Schwicbuit. 

-)  Ebendort. 

*)  Schwerin  a.  d.  Warthe. 


250  Ernst  von  Schönfeldt. 

der  Ober-Mühle,  Vi  Meile  von  Schwerin,  wo  das  Corps  die  Obra 
passierte  und  jenseits  der  Brücke  aufmarschierte.  Die  Pfanndeckel 
wurden  abgemacht  und  die  Pfropfen  aus  dem  Lauf  genommen.  In 
Schwerin  standen  150  polnische  Husaren,  die  der  General  Trenck 
auffordern  Hess,  mit  Güte  sich  wegzubegeben,  da  sie  aber  von  der 
Republik  Ordre  haben,  sich  zu  verteitigen,  so  liess  sie  der  General 
Trenck  attaquieren  und  machte  10  Mann  gefangen;  da  sie  aber 
nicht  geschossen  hatten  und  wir  nicht  feindlich  gegen  sie  agieren 
wollten,  so  liess  er  sie  wieder  frei  und  gestattete  ihnen  freien  Ab- 
zug mit  Sack  und  Pack1).  Wir  rückten  hierauf  um  4  Uhr  in 
Schwerin  ein  und  fanden  die  feindlichen  Husaren  noch  auf  dem 
Markt  aufmarschiert,  welche  aber  bei  unserer  Ankunft  den  Ort 
räumten.  Das  Bataillon  und  die  Artillerie  besetzt  die  Stadt,  und  die 
Kavallerie  die  nächsten  Dörfer.  Wir  sind  hier  sehr  gut  aufgenommen, 
und  im  Ganzen  scheinen  die  Einwohner  uns  sehr  gewogen  zu  sein. 
Ich  liege  mit  dem  Kapitän  Felden  zusammen.  Bei  der  Ober-Mühle 
glaubten  wir  gewiss,  dass  wir  noch  heute  zur  Action  kommen 
würden,  und  dass  ich  voll  banger  Erwartung  der  kommenden  Dinge 
war,  können  Sie  sich  vorstellen.  Verzeihen  Sie,  dass  ich  mich  so 
kurz  gefasst  habe,  allein  wir  sind  12  Stunden  auf  dem  Marsch 
gewesen,  und  um  y2l  haben  wir  erst  was  zu  essen  bekommen:  ich 
bin  daher  entsetzlich  müde.    Morgen  gehts  nach  Birnbaum. 

NB.  Bei  dieser  Gelegenheit  habe  ich  die  polnischen  Husaren 
gesehen,  sie  sind  pompeuse  beritten,  allein  sie  rückten  in  der 
grössten  Unordnung  aus. 

Birnbaum,  den  25ten.  Heute  früh  um  V^Uhr  sind  wir  aus- 
gerückt. Um  Vz9Uhr  versammelte  sich  das  Corps  bei  Poitsche,  wo  wir 
anderthalb  Stunden  auf  den  General  Trenck  warten  mussten.  Die  Ko- 
lonne setzte  sich  hierauf  in  folgender  Ordnung  in  Marsch:  2Eskadrons 
Husaren  die  Avant- Garde,  die  reitende  Batterie,  unser  Bataillon, 
die  Bagage  von  ganzem  Detachement;  1  Offiz.  und  30  Mann  von 
uns,  und  1  Offiz.  und  40  Husaren  macht  die  Arriere-Garde  und 
deckten  die  Bagage.  Wir  sind,  ohne  ein  Hindernis  anzutreffen,  um 
4  Uhr  hier  eingerückt.  Die  Einwohner  haben  uns  sehr  gut  auf- 
genommen und  durchgängig  unseren  Musketiers  zu  essen  gegeben. 
Auf  dem  Marsch  stürzte  ein  Kanonler  und  brach  sich  den  Fuss. 
Der  arme  Mensch  musste  nachgefahren  werden.  Morgen  kommen 
wir  auf  Dörfer  zu  stehen. 


J)  Moellendoi  ff  war  vom  Könige  angewiesen  worden,  die  Polen  nicht  als  Feinde 
zu  betrachten,  da  man  ja  nur  die  Ordnung  im  Lande  wieder  herstellen  wollte.  Nur, 
wenn  die  polnischen  Truppen  nicht  freiwillig  ihre  Quartiere  räumten,  sollte  mit 
Gewalt  vorgegangen  werden. 


Aus  bewegter  Zeit.  251 

Lubosch1),  den  26.  Um  7*9  Ubr  rückten  wir  aus,  das  Rendez- 
>r  Birnbaum.    Der  Marsch  geschah  in  eben  der  Ordnung,. 
e  vorher.    Ich  hatte  mit  40  Mann  nebst  1  Lieutenant  und 
i    die   Ariere-Garde.    Da  wir  Zirke,   das   mit  polnischen 
>esetzt   ist,   auf  unserer  linken  Flanke   liegen  Hessen,   so- 
.vir   auf  selbiger   vorzüglich    ein  wachsames  Auge  haben. 
Patrouillen   trafen   nichts   an.    Der  Marsch   ging,   wegen 
-ner  Defitees,  die  wir  passieren  mussten,   und  wegen  der 
>  Weges  sehr  schwer  zu  passieren  waren,  äusserst  langsam, 
insere  Compagnie,   die  mit  der  reitenden  Batterie  hier  zu- 
steht,  erst  um  6  Uhr  in  die  Quartiere   kam.    Die  anderen' 
noch  weiter  und  zum  Theil   eine   Meile  weiter  als  wir  zu 
Diese  werden   wohl  schwerlich   vor  9  Uhr   ihre  Quartiere 
n.      Morgen  haben  wir   Ruhtag   und  dann  ein  Mehreres  von 
•1    Quartieren. 

Den  27.    Wir  sind  hier  recht  gut  aufgenommen.    Ich  liege  mit 

Kapitän  Felden  bei  dem  Jäger,  der  zwar  ein   recht  guter  Mann, 

ch  deutsch  kann,  bei  dem  es  aber  ziemlich  auf  polnische  Art 

opre  zugeht.    In  der  Stube  ist  ein  Ofen,  der  aber  wenig  warnt 

die  Familie    und    wir    wärmen   uns    daher    an  einem  irdenen 

sen  Kohlentopf,  der  auf  Rädern  steht  und  von  einem  zum  andern 

hren  werden  kann. 

Ottorowa2),  den  28.    Um  tygß  sind  wir  ausmarschiert;   da  wir 
Ate  nur  kurze  Märsche  hatten,  so  marschierte  unser  Bataillon  und 
-    Eskadrons    für    sich    naoh    ihrem    Nachtquartier.      Ich     liege». 
eder  mit  dem    Kapitän  v.  Felden    bei    dem  Riemer,    einem   sehr 
iten  Manne,  bei  dem  es  wider  der  hiesigen  Gewohnheit  sehr  rein- 
en ist.    Dies  Dorf  gehört  dem  Kastellan  Grafen  von  Moschinsky8) 
ütter  vom  Stanislaus  -  Orden,   bei   dem  wir   heute  Mittag  gegessen- 
laben.     Es  scheint  ein  sehr  aufgeräumter  Mann  zu  sein.    Die  reitende 
Batterie  liegt  bei  uns. 

Starsini4),  den  29.  Wir  haben  eine  unruhige  Nacht  und  steten 
Marsch  gehabt.  Gestern  Abend  um  n  Uhr  bekam  der  Major  von, 
Man  teuf  fei  die  Nachricht,  vorzüglich  auf  seiner  Hut  zu  sein.  Wir 
mussten  daher  die  ganze  Nacht  angezogen  bleiben,  die  Wachen- 
wurden  verstärkt,  und  ich  musste  mit  einem  Schützen  und  2  Mann 
ein  Patrol  in  grossem  Regen  machen.  Was  hierzu  Gelegenheit  ge- 
geben hat,  weiss  man  noch  nicht  gewiss,  man  will  aber  theils  feuern 
gehört  haben,  theils  sagt  man,  dass  ein  Husaren  Patrol  auf  polnische- 


')  Lubosch,  Kr.  Birnbaum. 

*)  Kr.  Samter. 

*)  Moszczenski. 

*)  Starzyny,  Kr.  Posen  W. 


252  Ernst  von  Schönfeldt. 

Kavallerie  gestossen  ist1).  Die  ganze  Nacht  und  diesen  Vormittag 
regnete  es,  wir  mussten  also  mit  den  durchweichten  Kleidern  noch 
2l/2  starke  Meilen  marschieren.  Starsini  ist  ein  äusserst  elendes 
Dorf  in  einer  noch  traurigeren  Gegend,  denn  weit  und  breit  sieht  man 
nichts  als  Pläne,  die  Dörfer  sind  ganz  kahl,  die  schlechten  Hatten 
liegen  unter  ein  ander  ohne  die  geringste  Ordnung,  in  den  Dörfern 
selbst  sieht  man  weder  einen  Baum,  noch  Garten.  Da  das  Dorf  so 
schlecht  ist,  so  hat  der  Major  v.  Manteuffel  die  Güte  gehabt,  den 
Kapitän  v.  Felden  und  mich  zu  sich  bei  dem  Edelmann  zu  nehmen; 
ich  für  meine  Person  liege  daher  recht  gut,  aber  unsere  armen 
Leute  sehr  schlecht.  Morgen  rücken  wir  noch  nicht  in  Posen  ein. 
Nachtrag.  Die  Ursache,  warum  wir  die  Nacht  vom  28. 
zum  29.  unterm  Gewehr  bleiben  mussten,  war  die  Unternehmung  des 
Major  v.  Platen  vom  Trenckschen  Husaren-Regiment,  die  den  Tag 
vorher  vorfiel;  unsere  Compagnie  war  die  nächste  an  Zirke/ 

Psasky2),  den  30.  Da  wir  bis  jetzt  die  Avant  Garde  gemacht 
haben,  jetzt  aber  mit  den  übrigen  Truppen,  die  noch  zurück  sind, 
zugleich  vor  Posen  marschieren  sollen,  so  sind  wir  nur  V«  Meile  weit 
bis  hierher  vorgerückt.  In  Kelcz8)  versammelte  sich  das  Bataillon. 
Die  Eskadrons  marschierten  gleich  nach  ihren  bestimmten  Nacht- 
quartieren. Wir  liegen  hier  äusserst  schlecht  und  so  enge,  dass  der 
grösste  Teil  von  den  Leuten  in  den  Scheunen  liegen  musste.  Ich 
liege  mit  dem  Kapitän  und  den  beiden  Fähnrichs  in  einer  engen 
Stube.  Morgen  gehts  nach  Posen,  allein  der  grösste  Teil  der  Be- 
satzung soll  schon  heraus  sein,  wir  werden  daher  wohl  ohne  Hinder- 
nis einmarschieren. 

Posen,  den  31.  Um  V210  versammelte  sich  unser  Detache- 
ment  bei  einer  Mühle,  eine  viertel  Meile  vor  Posen,  und  um  10  Uhr 
unser  ganzes  Regiment,  2  Eskadrons  von  Trenck  und  die  Dragoner 
v.  Prittwitz  und  die  halbe  reitende  Batterie  vor  den  Thoren  von 
Posen.  Von  der  anderen  Seite  marschieren  um  eben  die  Zeit  die 
Regimenter  v.  Klinckowstroem,  das  leichte  Bataillon  v.  Oswald. 
3  Eskadrons  v.  Trenck  und  die  andere  Hälfte  der  reitenden  Batterie. 
Der  hier  commandierende  Oberst  wollte  anfangs  Umstände  machen, 
allein  da  der  General  Möllendorff  die  Kanonen  vors  Thor  auffahren 
und  abprotzen  Hess,  bequemten  sie  sich  zum  Abmarsch.  Die  Wache 
besetzte  die  Thore  und  die  Hauptwacht.  Um  2  Uhr  rückten  die 
1.  Bataillons  von  uns  und  von  Klinckowstroem  herein,  die  2.  Ba- 
taillons aber  in  die  Vorstädte.    Auf  den  nächsten  Dörfern  liegen  die 


')  Ein  stärkerer  polnischer  Kavallerie-Posten  hatte  Zirke  besetzt  und  musste 
wm  Major  von  Platen  vom  Husaren-Regiment  v.  Trenck  erst  hinausgeworfen,  bezw. 
gefangen  genommen  werden.  Platen  erhielt  splter  fOr  diese  Unternehmung  den  Orden 
pour  le  merite. 

«)  Psarskic,  Kr.  Posen  W. 

»)  Kiekrt,  Kr.  Posen  W. 


Aus  bewegter  Zeit.  25$; 

reitenden  Batterien,  das  leichte  Bataillon  v.  Oswald,   unsere  Grena- 
diers, die  Grenadiers  von  Klinckowstroem,   die  Dragoner  von  Pritt- 
witz  und  5  Eskadrons  v.  Trenck.    Wir  in  der  Vorstadt  liegen  äusserst 
schlecht.     Posen   hat   schöne   hohe  Giebelhäuser  und  prächtige  Ge- 
bäude, worunter  das  Rathaus  und  das  Jesuiter  Collegium,  vorzüglich 
dem  äusseren  nach,   die  schönsten   sind.    Allein   die  Strassen   sind 
eng  und  äusserst  schmutzig.    Es  sind  grosse  Müllhaufen  selbst  auf  dem 
Markt,  und  das  Pflaster  ist  so  schlecht,  dass  man  mitten  auf  der  Strasse 
mit  einem  Wagen  umgeworfen  befürchten  muss.    Die  öffentlichen  Ge- 
bäude werde  ich  mir  nächstens  besehen  u.  Ihnen  davon  dann  ein  näheres 
mitteilen.    Übrigens  scheint  Posen  sehr  lebhaft  zu  sein.    Es  ist  meist 
alle  Tage  hier  Picknick  oder  Redoute.    Am  29.  hat  der  Major  Platen 
von  Trenck  Zirke  überrumpelt  und  einige  80  Husaren  zu  Gefangenen 
gemacht.    Unser  Depot  Bataillon  hat  in  Karge  eine  ähnliche  Affaire 
gehabt    Die  dortige  polnische  Besatzung  wollte  den  Ort  nicht  räumen 
und  hatte  das  Rathaus  und  einige  andere  Häuser  besetzt,  um  solche 
zu  verteidigen.    Der  Major  Milkair  Hess  solches  daher  stürmen,  ver- 
trieb  sie  glücklich   und   machte   einige  70  Gefangene.    Der  Verlust 
des  Bataillons   sind  2  Tote   und  5  Verwundete,   die  Pohlen    haben 
5  Tote  und  15  Verwundete.    Die  Kriegskasse,  das  Feldkommissariat 
und  Postamt  sind  in  der  Stadt. 

Posen,  den  2.  Februar.  Heute  ist  hier  Marien  Lichtmess 
heute  Nachmittag  bin  ich  in  einigen  Kirchen  gewesen.  Die 
Franziskaner  Kirche  ist  ein  schönes  Gebäude,  allein  die  Gemälde 
sind  schlecht,  und  übrigens  ist  sie,  wie  meist  alle  katholischen 
Kirchen,  sehr  bunt  und  abschäulich  mit  kleinen  Gemälden  über- 
laden. Die  Jesuiten  Kirche  ist  ein  sehr  schönes  Gebäude,  die 
Ahar-Stücke  sind  schön,  sie  ist  nicht  so  überladen  wie  die  vorige; 
es  war  aber  Gottesdienst,  und  daher  konnte  ich  nicht  alles  genauer 
besehen.  Die  Bernhardiener  Kirche  ist  eben  ein  schönes  Gebäude, 
allein  viel  zu  bunt.  Der  Altar  ist  recht  hübsch,  wenigstens  nicht 
so  bunt,  allein  doch  ohne  Geschmack.  Heute  Abend  bin  ich  auf 
einem  Picknick. 

Den  3.  Februar.  Gestern  bin  ich  auf  einem  Picknick  gewesen . 
Ich  weiss  nicht,  woher  es  kommt,  dass  keine  einzige  Dame  erschien,, 
ich  habe  daher  meine  12  Gulden  umsonst  bezahlt  Für  einen 
Spieler  sind  hier  treffliche  Aspecten.  Auf  jedem  Kaffeehause  sind 
2—3  Pharao-Bänke.  Alle  Polnische  Beurlaubte,  die  sich  sehen 
lassen,  sollen  entwaffnet  werden. 

Den  4.  Febr.  Gestern  Abend  bin  ich  auf  der  Redoute  ge- 
wesen. Es  kamen  einige  Damens;  sehr  gut  angezogen,  aber 
gross tentheils  abscheulich  geschmacklos  (Es  erscheint  alles  ohne 
Maske).  Es  sind  2  Säle  und  einige  Stuben  en  plein  pied.  In  einem 
Saal  wird  polnisch,  in  den  anderen  englisch  und  französisch  getanzt. 


^54  Ernst  von  SchÖnfcldt. 

In  den  übrigen  Stuben  sind  theils  Pharao-Bänke,  theils  wird  dort 
gespielt.  Es  war  erstaunt  voll.  Die  Damens  tanzten  zwar  mit  uns, 
aber  sie  waren  so  zurückhaltend,  dass  sie  uns  sehr  vermieden, 
allein  sehr  frei  mit  den  Pohlen  umgingen,  die  sich  sehr  stolz  gegen 
uns  betragen.  Die  Grenadiers  waren  heute  zu  einem  Angriff  be- 
stimmt, allein  die  Besatzung  von  dem  Ort,  der  dazu  bestimmt  war, 
hat  sich  gestern  Mittag  zurückgezogen.  Ich  habe  heute  die  Wache 
am  Breslauer  Thore.  Sie  ist  sehr  unruhig  wegen  der  vielen  ein- 
und  auspassierenden  Fremden.  Heute  Nachmittag  sind  in  der 
Vorstadt  einige  ao  Gewehre  gefunden  worden. 

Den  8.  Febr.  Heute  marschiert  die  Avantgarde,  die  aus  dem 
Bataillon  v.  Oswald,  die  halbe  reitende  Batterie  unter  dem  Major 
v.  Prosch  und  aus  den  Husaren  v.  Trenck  besteht.  Morgen 
marschieren  unsere  beiden  Musketir-Bataillons  und  die  Dragoner 
v.  Prittwitz.  Wir  sind  also  nur  9  Tage  hier  gewesen.  Ich  hatte 
mir  vorgenommen,  die  vorzüglichsten  Gebäude  zu  besehen,  allein 
ich  konnte  keine  Gesellschaft  zusammenbringen,  um  alle  einen 
Führer,  der  über  alles  Auskunft  geben  kann,  anzunehmen, 
und  war  mir  zu  theuer,  da  das  auch  sonst  mit  Kosten  ver- 
knüpft ist.  Posen  hat  eine  recht  angenehme  Lage,  dicht  an  der 
Warthe.  Die  Strassen  sind,  wie  ich  schon  oben  gesagt  habe,  eng 
und  äusserst  schmutzig;  um  nur  bis  über  die  Strasse  zu  kommen, 
muss  man  beinah  bis  an  die  Waden  im  Koth  waten.  Ich  habe  in 
-einigen  katholischen  Kirchen  ihrem  Gottesdienst  beigewohnt,  allein 
es  ist  bei  Weitem  nicht  so  feierlich,  als  in  Schlesien,  da  die  Musik 
elend  war,  und  die  Kirchen  überhaupt  zu  beklext  sind.  Auf  den 
Picknicks  und  Redouten  habe  ich  mich  noch  am  besten  amüsiert, 
<lenn  schon  das  Gewühl  von  Offiziers,  von  Deutschen,  von  Pohlen, 
die  theils  polnisch,  theils  englisch  tanzen,  theils  Pharao  spielen  und 
dergl.,  ist  sehr  unterhaltend,  da  man  auf  den  Redouten  gemeiniglich 
4> — 700  Menschen  zusammen  sah. 

Crossenoer1)  Holländereyen,  den  9.  Gestern  Abend 
erhielt  ich  die  traurige  Nachricht  vom  Ableben  der  ewig  teuren 
Tante2).  Grosser  Gott,  das  kam  unerwartet.  Wir  verlieren  un- 
endlich durch  ihr,  denn  nun  sind  alle  die  schönen  Verhältnisse,  in 
•denen  ich  durch  ihr  in  Frankfurt  stand,  weg,  da  Tante  Massow3)  jetzt 
vermuthlich  nicht  in  Frankfurt  bleiben  wird.  Die  vorige  Nacht  suchte 
ich  mich  noch  immer  zu  täuschen,  dass  es  ein  Irrthum  wäre,  allein 
leider  erfahre  ich  heute  die  traurige  Gewissheit.  Ich  mag  nicht 
mehr    nach    Frankfurt,    denn    ich   werde    dort  jetzt  traurig  leben; 


!)  Krossno-Hauland,  Kreis  Schlimm. 

*)  Juliane    Ulrike   v.    Kleist,    geb.   v.    Pannwitz,     Mutter    des    Dichters  Hei.u 
v.  Kleist. 

3)  Des  Vaters  Schwester  Auguste  Helene  war  an  Ewald  v.  Massow  verheiratet. 


Aus  bewegter  Zeit.  255 

^wenn  wir  doch  ewig  marschierten!  Ich  verdanke  der  Verstorbenen 
xxnendlich  viel,  und  Leopolden,  wenn  er  zum  Regiment  kommt,  will 
ich  es  gewiss  nach  Kräften  vergelten,  was  ich  ihr  nie  verdanken 
konnte. 

Wir  sind  heute  bei  sehr  schlechtem '  Wetter  2  Meilen 
marschiert  und  stehen  so  gut,  als  wir  noch  nicht  in  Pohlen  ge- 
standen haben.  Die  Einwohner  sprechen  alle  deutsch  und  sind 
reinlicher,  als  wie  es  hier  sonst  Gebrauch  ist.  Da  unsere  Grenadiers 
nur  eine  viertel  Meile  von  hier  in  Moszino1)  stehen,  so  haben  der 
Kapitän  Felden,  Langen  und  ich  sie  auf  eine  Stunde  besucht.  Sie 
sind  heute  nicht  marschiert,  da  sie  2  Meilen  vorgestanden  haben, 
xi nd  marschieren  erst  morgen  aus. 

Suleva2),  den  10.  Wir  sind  heute  bei  sehr  schönem  Wetter 
nur  eine  Meile  marschiert ;  unsere  Leute  hegen  schlecht,  da  sie  zum 
Theil  in  den  Scheunen  liegen  müssen.  Ich  liege  mit  dem  Kapitän 
und  dem  Major  auf  dem  Vorwerk.  Die  Leute  scheinen  hier  sehr 
furchtsam  und  zurückhaltend  zu  sein. 

Den    11.     Wir   haben    heute    Ruhetag,    ich   will   Ihnen    also 
etwas  von  der  hiesigen  Gegend  mittheilen,  die  hier  ohngleich  schöner, 
.als    auf   der    anderen  Seite   von  Posen  ist.    Die  Dörfer   sind  hier 
schöner  gebaut,    und  gestern  hat   uns   unser  Marsch   durch  frucht- 
baren Boden   und   Übergemachte   Brüche  geführt.    Die  Einwohner 
könnten  meist  wohlhabender  sein,   wenn  sie  von   den  Herrschaften 
nicht  so  unerhört  gedrückt  würden.    Zum  Beweis :  In  den  Crossen  - 
noer  Hollendereyen   haben  sich   die  Einwohner  von  allen  Diensten 
und     Abgaben     freigekauft.     Demohngeachtet    haben    sie    bei    Ge- 
legenheit,   dass   der  Herr   einen   Teich    bauen  Hess,   jeder    1  Rthr. 
dazu  contribuiren  müssen  und  überdies  ohnentgeltlich  daran  arbeiten 
müssen.    Noch  vor  kurzem  hat  der  Herr  sich  einige  Fässer  Häringe 
von  Stettin   kommen   lassen,    die  aber   verdorben  waren.    Die  Ein- 
wohner haben  solche  erhandeln  müssen   und  doppelt  so  theuer  be- 
zahlt.   Weigert  sich  der  Bauer  dem  Willen  der  Herrschaft,  so  wird 
er  so   lange    geprügelt,    bis    er    es    thut,    und    durch    Klagen    ver- 
schlimmert er  es  nur.  —  Heute  Nachmittag  bin  ich  mit  dem  Major 
Manteuffel    bei    dem  holländischen    Capitain   Czarsinsky,    dem   das 
nächste  Dorf  gehört  und  bei  dem  Hagen  liegt,  zum  Kaffee  gewesen. 

Nochowo3),  den  12.  Wir  haben  heute  wieder  einen  kurzen 
Marsch  gehabt  und  liegen  hier  noch  so  ziemlich.  Ich  liege  mit 
allen  Officiers  der  Kompagnie,  ausser  dem  Major,  zusammen. 
Nochowo  ist  sonst  ein  elendes  Dorf. 


l)  Moschin,  Stadt,  Kreis  Schrimm. 
*)  Sulejewo,  Kreis  Schrimm. 
8)  Kr.  Schrimm. 


256  Ernst  von  Schönfeldt. 

Xions1)  den  13.  Wir  sind  heute  bei  schlechtem  Wetter 
2  starke  Meilen  marschiert.  Xions  ist  ein  schlechtes  Städtchen  in 
einer  schönen  Gegend.  Unsere  Leute  liegen  hier  gut.  Heute 
Mittag  haben  wir  bei  einem  Herrn  von  Sackscheffsky2)  gegessen* 
der  hier  Administrator  ist.  Das  Essen  und  der  Wein  waren  aber 
schlecht.    Morgen  haben  wir  wieder  Ruhetag. 

Den  14.  Febr.  Wir  haben  heute  Ruhetag  gehabt  und  heute 
Mittag  wieder  bei  dem  Herrn  von  Sackscheffsky  gegessen.  Die 
Unterhaltung  mit  ihm  und  seiner  Familie  war  stumm,  da  er  nicht 
ein  Wort  deutsch  verstand  und  ausser  dem  Major  v.  Manteuffel 
keiner  Polnisch  konnte.  Xions  ist  ein  kleines  schlechtes  ödes  Land- 
städtchen, die  Einwohner  sprechen  mehrentheils  deutsch  und  wir 
sind  recht  gut  aufgenommen  worden.  Die  Husaren  von  unserer 
Avant-Garde  sollen  mit  den  Pohlen  ein  Scharmützel  gehabt  haben 
und  sollen  von  beiden  Seiten  Tote  geblieben  sein;  diese  Nachricht 
haben  wir  durch  Leute  erfahren,  die  hierher  zu  Markte  gekommen 
sind.  Man  sagt  überdies,  dass  sie  sich  bei  Kaiisch  wieder  ge- 
sammelt haben,  und  sollen  sie  sich  im  Kloster  Czenstochau  und  in 
Lowicz  verschanzt  haben;  dies  sind  aber  blos  Gerüchte,  denen  man 
noch  keinen  Glauben  beimessen  kann. 

Nachtrag.  Das  Scharmützel  mit  unserer  Avant-Garde  und 
den  Pohlen  ist  unbegründet.  Die  Pohlen  hatten  sich  auch  dazumal 
schon  von  Kaiisch  und  Czenstochau,  wo  sie  sich  aber  nicht  ver- 
schanzt hatten,  zurück  und  nach  Lowicz  gezogen. 

Woydoschützer-Holländereyen,  den  15.  Wir  haben 
einen  starken  Marsch  gehabt,  indem  wir  2l/2  polnische  Meilen 
marschiert  sind.  Wir  sind  schöne  Gegenden  passiert,  und  der 
trockene  Frost,  den  wir  hatten,  kam  sowohl  uns  als  unseren 
Pferden  vor  die  Wagens  sehr  zu  statten.  Man  sagt,  dass  wir  nicht 
nach  Warthe3),  sondern  nach  Lowicz4)  kommen  werden,  so  polnische 
Truppen  uns  erwarten  wollen.  Die  hiesigen  Holländer  haben  uns 
sehr  gut  aufgenommen,  sie  sprechen  auch  alle  deutsch. 

Sucho'rczewo5),  den  16.  Bei  dem  schönsten  Wetter  und 
Wege  haben  wir  nur  einen  kleinen  Marsch  von  1  starken  Melle  gehabt. 
Die  Einwohner  sind  hier  alle  ganz  polnisch,  nicht  allein  in  der  Sprache, 
sondern  auch  in  der  Reinlichkeit,  indem  unsere  Fouriere  und  Fourier- 
schützen  gestern  noch  die  Kühe  und  Schweine  haben  müssen  aus 
den  Stuben  jagen.  Wir  haben  heute  Mittag  bei  dem  Edelmann  nach 
der  polnischen  Art  recht  gut  gegessen ;  er  nebst  seiner  Frau  konnten 


l)  Stadt,  Kreis  Schriram. 

-)  Zakrzewski. 

3)  Warta,  Woiwodschaft  Kaiisch. 

*)  Woiwodschaft  Masovien,  Kr,  Sochaczcw. 

°)    7/e  Meilen  westl.  v.  Pleschen. 


Aus  bewegter  Zeit.  257 

kein  Wort  deutsch,  die  Tochter  sprach  etwas  gebrochenes  deutsch. 
Morgen  haben  wir  Ruhtag. 

Den  17.  Wir  haben  heut  Ruhtag  gehabt.  Das  Dorf  hat  sehr 
arme  Einwohner,  ob  es  gleich  in  einer  sehr  schönen  Gegend  liegt. 
Ich  bin  heute  Nachmittag  auf  der  Jagd  gewesen  und  habe  einen 
Hasen  geschossen,  defn  ersten,  den  ich  in  ganz  Pohlen  gesehen  habe. 
Bei  dem  Dorfe  liegt  ein  prächtiger  Eichenwald,  da  aber  das  Gehölz 
hier  in  sehr  geringem  Preise  steht,  und  hier  überhaupt  sehr  wenig 
Bedürfnis  ist,  so  verfaulen  die  schönsten  Stamme. 

Kstusowi),  den  18.  Februar.  Das  war  heute  ein  fataler 
Marsch.  Wir  haben  nicht  allein  an  den  uns  angewiesenen  Ort  3 
starke  Meilen  gehabt,  sondern  sind  noch  iV»  Meile  ummarschiert, 
indem  uns  der  Bote,  der  uns  entgegen  geschickt  wurde,  um  das 
Nachtquartier  der  Kompagnie  anzuzeigen,  ganz  und  gar  verfehlte. 
Wir  sind  um  Va7  Uhr  aus  Suchorczewo  ausmarschiert  und  um 
Va5  Uhr  erst  in  die  Quartiere  gekommen,  ohne  uns  nur  V4  Stunde 
auf  dem  Marsche  aufgehalten  zu  haben.  Die  Einwohner  des  Dorfes 
haben  noch  nie  Einquartierung  gehabt,  sie  waren  daher  erstaunt 
und  in  Flucht,  allein  durch  gutes  Zureden  wurden  sie  bald  dreister 
und  haben  uns  sehr  gut  aufgenommen. 

Kruschmineir2),  den  19.  Februar.  Wir  sind  heute  Kaiisch 
passiert,  wo  wir  das  Kommando  vom  Rest  zurückgelassen  haben;  es  ist 
aber  nicht  so  stark,  als  es  in  dem  Dislokationsplan  angezeigt  ist, 
sondern  es  besteht  nur  aus  1  Kapt,  1  Subaltern  und  60  Mann,  und 
1  Lieut.  und  30  Dragoner  v.  Prittwitz.  Der  Kapt.  v.  Wesenbeck  und 
der  Lieut.  Storch  sind  dabei  geblieben.  Kaiisch  ist  vor  ohngefähr 
3  Jahren  beinah  ganz  abgebrannt  und  noch  nicht  aufgebaut  Sie 
können  sich  also  vorstellen,  wie  traurig  der  Anblick  ist,  zumal  da 
man  noch  an  den  Ruinen  und  den  wenig  übergebliebenen  Häusern 
sieht,  dass  es  ehemals  sehr  husch  gewesen  sein  muss.  Kruschmineir 
ist  ein  kleines  Städtchen,  wo  wir  aber  recht  gut  liegen.  Heut 
Mittag  haben  wir  bei  dem  Grafen  Kielczewsky,  einem  sehr  klugen 
und  artigen  Mann,  dem  dies  Städtchen  gehört,  gegessen,  allein  nicht 
nach  der  hier  gewöhnlichen  malpropren  und  schlechten  Gewohnheit, 
sondern  das  Essen  war  sehr  gut  zubereitet,  der  Wein  gut,  und  die 
Zimmer  recht  geschmackvoll  möbliert.  Den  23.  sollen  wir  auf  die 
Pohlen  stossen.  Morgen  kommt  der  General  Moellendorff,  der  bisher 
in  Posen  zurückgeblieben  war,  zu  uns. 

Nachtrag.  Die  Avant  Garde  hatte  den  18.  10  polnische 
Husaren,  die  Fourage  eintreiben  wollten,  zu  Gefangenen  gemacht, 
welche  den  19.  durch  Kruschmineir  kamen. 


')  Kuczkow  (?),  Kr.  Schrimm. 

*)  Kozminek,  Gouvernement  u.  Kreis  Kaiisch. 

Zeltschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XJX.  17 


258  Ernst  von  Schönfeldt. 

Bartochowo1),  den  aotenFebr.  Ich  habe  heute  die  Ariere 
Garde  gehabt,  die  nicht  die  angenehmste  war,  denn  es  ging  ein 
Fourage- Wagen  entzwei,  und  ich  musste  auf  einem  Dorfe  einen 
anderen  Wagen  wegnehmen.  Man  muss  hierbei  sehr  vorsichtig  zu 
Werke  gehen,  denn  einen  Grenadier  -  Unteroffizier,  der  vor 
einigen  Tagen  allein  in  einem  Dorfe  einen  Wagen  holen 
wollte,  wollten  die  Bauern  geradezu  totschlagen,  allein  zum 
Glück  kamen  ihm  ein  paar  Grenadiers  zur  Hilfe.  Wir  passierten 
Wartha,  wo  ein  russisches  Magazin  ist,  das  von  einem  Kommando 
russischer  Jager  bewacht  wird.  Hier  in  Bartoschowo  haben  Russen 
und  Pohlen  gestanden,  die  die  Einwohner  so  ausgesogen  haben, 
dass  wir  nicht  das  geringste  bekommen  konnten;  es  ist  überhaupt 
unerhört,  wie  tyrannisch  die  Russen  und  selbst  die  Pohlen  mit  den 
Einwohnern  umgehen. 

Rudnicki2),  den  2iten.  Die  schönen  Aussichten,  doch 
endlich  einmal  zur  Action  zu  kommen,  sind  wieder  vorbei.  Die 
Pohlen  haben  sich  bis  hinter  Warschau  zurückgezogen;  morgen 
geht  also  alles  wieder  bis  in  die  Quartiere  vom  20ten  zurück,  wo 
wir  2  Ruhetage  haben  und  dann  den  Kordon  nach  dem  Dislokations- 
plan beziehen8).  Rudnicki  ist  ein  grosses  Dorf,  denn  es  stehen 
heute  4  Kompagnieen  (Leib-Compagnie,  Ob.  Koeppern,  Maj.  v.  Man- 
teuffei  u.  Kapt.  v.  Hagen)  hier,  es  ist  also  das  erste  Mal,  dass  ich 
mit  Karl  in  einem  Orte  stehe,  denn  in  Posen  lag  er  in  der  Stadt, 
und  ich  in  der  Vorstadt.  Hier  in  Rudnicki  haben  ebenfalls  wie  in 
Bartochowo  die  Russen  lange  gestanden  und  Alles  ausgezehrt  Wir 
sind  heute  über  die  Warthe,  die  gefroren  ist,  marschiert  und  durch 
einen  Bruch  gegangen,  wo  wir  auch  eine  gute  halbe  Meile  über  das 
blanke  Eis  gingen.  Es  ist  mir  gar  nicht  lieb,  dass  wir  wieder 
zurükgehen,  denn  ich  hätte  wohl  gewünscht,  dass  wir  nur  einmal 
losgefeuert  hätten,  so  aber  wird  es  wohl  wieder  nichts  werden. 

Bartochowo,  den  aaten  Febr.  Heute  sind  wir  wieder  bis 
hierher  zurückgegangen.  Die  Bagage  ist  einen  anderen  Weg 
gegangen,  da  man  nicht  traute,  dass  das  Eis  in  dem  Bruch,  von 
dem  ich  gestern  sagte,  halten  würde.  Gestern  Abend  hieb  ein 
Bauer  in  Rudnicki  mit  einer  Axt  nach  einem  Soldaten,  der  das 
schlechte  Lagerstroh,  das  er  von  ihm  bekam,  nicht  nehmen  wollte 
und  sich  dafür  anderes  aus  der  Scheune  nahm,  und  verwundete  ihn 
leicht   an   der   rechten  Hand.    Heute  früh   musste   ihm   daher   der 

Edelmann  in  unserer  Gegenwart  18  Hiebe  auf  den  H geben 

mit  einer  Peitsche,   wo   am  Ende   ein   starker  Knoten  war,  der  die 
Hiebe   sehr   fühlbar  machen   musste.   —  Da  Wartha   zum  Teil   ab- 

»)  Woiwodschaft  Kaiisch,  Kreis  Warta. 

■)  Rodniki,  ebendort. 

')  Diese  Linie  deckte  sich  ungefähr  mit  der  vorgesehenen  neuen  G  ranze. 


Aus  bewegter  Zeit.  259 

gebrannt  ist  und  daher  das  ganze  Bataillon  nicht  dort  liegen  kann, 
so  werden  wir  noch  so  lange  hier  stehen  bleiben,  bis  uns  vom 
General  v.  Möllendorff  ein  anderes  Kantonnierungsquartier  an- 
gewiesen wird.  Das  1.  Bataillon  marschiert  den  ästen  nach 
Siradz1;,  und  die  Grenadiers,  die  auf  den  Dörfern  bei  Wartha  liegen, 
den  24ten  nach  Wielun2).  Bartochowo  gehört  dem  polnischen 
General  Biernitzky,  der  jetzt  bei  der  Armee  ist.  Seine  Frau  und 
Kinder  aber  halten  sich  hier  auf,  von  der  wir  das  vorige  [Mal]  und 
auch  jetzt  zu  essen  bekommen  haben,   allein  sie  war  keinmal  dabei. 

Blaszky3),  den  2.  März.  Nachdem  uns  den  28.  Februar  dieser 
Ort  vom  General  Moellendorff  zum  Kantonnierungs- Quartier  ange- 
wiesen worden,  marschierte  unsere  Kompagnie  hierher,  und  Kapt. 
v.  Hagen  auf  ein  Dorf  y4  Meile  von  hier.  Blaszky  ist  ein  elendes 
Städtchen,  das  bei  uns  nur  ein  sehr  mittelmässiges  Dorf  sein  würde, 
in  einer  öden,  traurigen  Gegend.  Wir  haben  also  eine  sehr  lang- 
weilige Zukunft  zu  hoffen,  woran  uns  der  Graf  Lipsky,  dem  der 
Ort  gehört,  und  welcher  ein  artiger  Mann  zu  sein  scheint,  die  Zeit 
nicht  verkürzen  hilft.  Ich  liege  mit  dem  Kapt.  v.  Felden  bei  einend 
Metzger,  und  unser  Quartier  ist  besser,  als  wir  es  glaubten,  da  wir 
die  schlechten  Hütten  erblickten. 

Da  wir  aller  Wahrscheinlichkeit  hier  eine  geraume  Zeit  ruhig 
werden  liegen  bleiben,  so  will  ich  jetzt  mein  Tagebuch  schliessen, 
bis  wir  interessanteren  Stoff  wieder  haben  werden,  und  zum  Schluss 
Ihnen  etwas  über  Pohlen  schreiben. 

Pohlen  ist  nicht  so  schlecht,  als  wie  man  es  sich  vorstellt, 
wenn  man  einen  Strich  von  ohngefähr  10  Meilen  an  der  Grenze 
passiert  hat.  Seit  Posen  sind  wir  durch  sehr  fruchtbare  Gegenden 
ekommen,  auch  haben  wir  zum  Theil  schöne  Wälder  angetroffen 
Bei  alledem  aber  ist  doch  der  Bauer  das  ärmste,  elendeste  Geschöpf» 
das  man  sich  auf  Gottes  Erdboden  vorstellen  kann,  denn  theils  saugt 
ihn  der  Edelmann  aufs  Blut  aus,  theils  erlauben  sich  die  hiesigen 
Gutsbesitzer  die  unerhörtesten  Gewalttätigkeiten  gegen  sie,  welches 
auch  die  Ursache  ist,  dass  so  wenig  Industrie  herrscht.  Die  Juden, 
die  hier  sehr  zahlreich  sind,  haben  dies  sehr  gut  zu  benutzen 
gewusst,  denn  sie  haben  nicht  allein  den  ganzen  Handel  an  sich 
gezogen,  sondern  sie  treiben  auch  die  meisten  Professionen. 

Der  hiesige  arme  Adel  lebt  elend  und  ernährt  sich  meisten- 
theils  vom  Güter  pachten ;  die  reichen  wohnen  sehr  schlecht,  halten 
sich  aber  ein  paar  Dutzend  Domestiquen,  fahren  nicht  anders  ab 
mit  6  Pferden  und  essen  und  trinken  mehrentheils  schlecht. 


!)  Sieradz,  Woiwodschaft  Kaiisch,  Kreis  Sieradz. 

£)  Woiwodschaft  Kaiisch,  Kreis  Wielun. 

3)  Blaszki,  Woiwodschaft  Kaiisch,  Kreis  Waita. 


2ÖO  Ernst  von  Schönfeldt. 

Schliesslich  muss  ich  noch  um  gütige  Nachsicht  bitten,  denn 
beim  Durchlesen  finde  ich,  dass  es  öfter  erstaunt  unleserlich  ge- 
schrieben ist.  Sie  werden  aber  so  gütig  sein  und  bedenken,  das& 
ich  vor  Müdigkeit  kaum  die  Feder  halten  kann.  Ich  füge  nur  noch 
hinzu,  dass  ich  am  6.  nach  Marchwatsch l)  kommandiert  gewesen 
bin,  wo  ich  ein  Brief-Kommando  mit  2  Scharf-Schützen  angestellt 
habe,  zur  Kommunikation  mit  Kaiisch,  welches  4  Meilen  von  hier  ist. 
Unser  Quartier,  ich  liege  mit  dem  Kapt.  v.  Felden  zusammen,  ist 
doch  schlechter,  als  ich  anfangs  glaubte.  Wir  müssen  es  uns  öfters 
gefallen  lassen,  mit  den  eingekoppelten  Kälbern  zusammen  zu 
schlafen.  Vor  unserer  Stubenthür  wird  alles  Vieh  geschlachtet,  und 
in  unserer  Stube  wird  das  übrige  zugerichtet,  und  überdem  ge- 
hören 6  Kinder  zur  Familie. 

Cantonnierungs-Quartier  Blaszky,  den  .  .  .  März  1793. 

v.  Pannwitz. 

Nachdem  so  nun  die  ungefähre  Grenzlinie  besetzt 
war,  wurde  durch  das  Notifications-Patent  vom  25.  März 
die  Besitznahme  des  Landes  ausgesprochen.  Am  7.  Mai 
fand  dann  in  Posen  die  Huldigung  statt  Nach  manchen 
Mühen  und  Arbeiten  wurde  endlich  am  25.  September  auch 
die  Zustimmung  des  polnischen  Reichstages  erlangt. 

So  war  Preussens  Gebiet  fast  ohne  Schwertstreich 
um  1065  [^Meilen  mit  1  150000  Einwohnern  vergrössert. 
Den  militärischen  Schutz  dieser  neuen  Provinz  Südpreussen 
übernahm  Gen.-Lt.  Graf  v.  Schwerin  mit  8  Bataillonen 
Infanterie  und  25  Eskadrons.  Die  übrigen  Truppen,  dar- 
unter auch  das  Inf  .-Rgt.  v.  Franckenberg  und  mit  ihm  die  beiden 
Brüder  v.  Pannwitz,  rückten  in  ihre  alten  Garnisonen  ein. 

War  man  im  Lande  auch  zunächst  mit  der  Gestaltung 
der  Dinge  zufrieden,  so  brach  doch  bald  die  Unzufriedenheit, 
veranlasst  durch  einige  vielleicht  nicht  ganz  zweckmässige 
Massnahmen  der  neuen  Regierung,  durch. 

Adel  und  Geistlichkeit  taten  das  ihre,  um  das  Feuer 
zu  schüren.  Eine  der  Festsetzungen  des  Teilungsvertrages 
von  1793  war  die  Herabsetzung  des  polnischen  Heeres 
auf  12000  Mann.  Es  mussten  also  ganze  Truppenteile 
aufgelöst    werden,    wodurch    die    vielen    Berufssoldaten 


*)  Marchwacz,  Woiwodschaft  u.  Kreis  Kaiisch. 


Aus  bewegter  Zeit.  261 

plötzlich  brotlos  wurden.  Diese  verstärkten  natürlich  das 
Heer  der  Unzufriedenen.  Offen  widersetzte  sich  dieser 
.Anordnung  der  General  Madalinski,  Kommandeur  einer 
Kavallerie -Brigade  in  Ostrolenka.  Mitte  März  brach  er 
mit  seinen  Regimentern  auf  und  rückte  durch  preussiches 
C>ebiet  in  der  Richtung  auf  Krakau  vor.  Etwa  zur  selben 
«Zeit  war  hier  Kosciuszko,  der  National-Held  von  1793, 
wieder  eingetroffen,  und  hatte  sich  zum  Höchstkommandie- 
renden ausrufen  lassen.  Hiermit  war  der  Bann  gebrochen. 
Ganz  Polen  war  im  Aufstand.  Madalinski  eilte  ihm  entgegen 
und  erreichte  trotz  des  Widerstandes  der  zu  schwachen 
preussischen  Truppen  bald  die  Fühlung  mit  ihm. 

Mitte  April  brach  auch  in  Warschau  der  Aufstand 
los.  Die  russische  Besatzung  unter  Igelstroem  wurde  am 
18.  überfallen,  und  mit  Mühe  rettete  sich  ein  kleiner  Teil 
aus  der  Stadt.  Das  gewaltige  Ringen  kostete  den  Russen 
an  20000  Mann.  König  Stanislaus  trat  nun  offen  auf  die 
Seite  des  Aufstandes.  Das  Kommando  in  Warschau  über- 
nahm General  Mokronowski. 

Kosciuszkos  Plan  war,  bei  Warschau  ein  Heer  zu^ 
sammenzuziehen  und  von  hier  aus  dem  Gegner  entgegen- 
zutreten. Am  1.  April  brach  er  von  Krakau  auf.  Die 
russischen  Abteilungen  waren  zu  schwach,  dem  Vor- 
dringen energisch  Einhalt  zu  gebieten,  und  ihre  Unterstützung 
wurde  von  den  Preussen  abgelehnt,  da  Schwerin,  der  selbst 
einen  Einfall  der  Polen  in  preussisches  Gebiet  befürchtete, 
^rst  die  Ankunft  der  Verstärkungen  abwarten  wollte,  ehe 
er  offensiv  vorginge.  Als  Kosciuszko  am  4.  sogar  einen 
Sieg  über  die  Russen  bei  Raclawice1)  errungen  hatte, 
schlössen  sich  auch  die  noch  Zögernden  seinen  Fahnen  an. 

Die  Mobilmachung  der  preussischen  Truppenteile 
ging  ziemlich  langsam  vor  sich.  Gen.  Lt.  v.  Favrat,  der 
an  Stelle  des  erkrankten  Schwerin  das  Kommando  über- 
nommen hatte,   zog  bei  Czenstochau2)    und  Lowicz3)  die 

1)  Woiwodschaft  Krakau,  Kreis  Miechow. 

2)  Woiwodschaft  Kaiisch,  Kreis  Czenstochau. 

3)  Woiwodschaft  Masovien,  Kreis  Sochaczew. 


262  Ernst  von  Schönfeldt. 

vorhandenen  Truppen  zusammen  und  wartete  unter  deren 
Schutz  die  Vollendung  der  Mobilmachung  ab.  Die  nördlich 
der  Weichsel  stehenden  Truppen  des  Gen.  Lt.  v.  Wolki 
operierten  vereint  mit  den  Russen  gegen  Warschau. 

Ende  Mai  standen  endlich  dem  Gen.  Lt  v.  Favrat 
an  der  oberen  Pilica  17  Batl.  27  Esk.  und  2l/a  Batter. 
zum  Angriff  auf  Krakau  zur  Verfügung. 

Der  Schutz  der  Grenze  an  der  Bzura  war  dem  Ge- 
neral v.  Bonin  mit  8  Batl.  (3  v.  Frankenberg,  2  v.  Bonin, 
1  v.  Amandriez,  1.  v.  Jung  Schwerin  u.  Füs.-Batl.  Hinrichs), 
den  Dragonern  v.  Brückner,  den  Husaren  v.  Trenck  und 
6  Geschützen  übertragen.  Ihm  unterstanden  auch  die  aus 
Warschau  entkommenen  Russen.  Das  Hauptquartier  war 
in  Lowicz.  In  Petrikau1)  und  Czenstochau  waren  noch 
immobile  Truppenteile  belassen,  teils  zur  Verbindung  mit 
der  Hauptarmee,  deren  Kommando  Anfang  Juni  der  König 
selbt  übernahm,  teils  zum  unmittelbaren  Schutz  der  Grenze, 

Hier  setzt  das  Tagebuch   des  Karl  v.  Pannwitz  ein. 

Den  29.  May  gelangten  wir  nach  einem  unterbrochenen  Marsch 
von  53  Meilen  zu  dem  Ort  unserer  Bestimmung  an,  nehmlich  in 
denen  Cantonierungsquartieren  an  der  Bzurra.  Unsere  Stellung 
geht  von  Lowicz,  allwo  das  Hauptquartier,  bis  hinter  Suchasch  aeff2), 
ist  bis  jetzt  defensiv  und  sehr  vorteilhaft  in  Ansehung  unserer  Ver- 
theidigung.  Vor  uns  haben  wir  den  tiefen  sumpfigten  Fluss,  die 
Bzurra,  auf  unserem  rechten  Flügel  Lowicz,  das  durch  das  mit 
4  Bollwerken  versehene  Schloss  und  einer  Redoute  gedeckt  wird, 
und  darin  unser  ganzes  Magazin.  Ferner  wird  unser  rechter  Flügel 
durch  ein  russisches  Corps  von  2500 8)  Mann  unter  dem  General 
Fersen  nebst  12  Kanonen  und  Haubitzen  noch  mehr  gedeckt.  Alle 
Dörfer  diesseits  der  Bzurra  sind  stark  mit  Infanterie  besetzt,  und 
wo  Brücken  oder  Furthen  sind,  werden  sie  des  Nachts  durch  Pickets 
besetzt  (z.  B.  Kompin*),  Bischöfl.  Kozlow5),  Gross  Sabusto6)  u.  s.  w.) 
Ebenso  wie  der  rechte,  so  ist  auch  der  Unke  Flügel  gedeckt. 
Suchaschaeff  (ein  kleines  Städtchen,  worin  unser  Grenadier-Bataillon 
steht)  ist  ebenfalls  durch  das  befestigte  Schloss  fortificiert.    Vor  uns 

*)  oder  Piotrkow,  Woiwodschaft  Kaiisch,  Kreis  Piotrkow. 

2)  Sochaczew. 

a)  soll  wohl  heissen  35000  Mann. 

')  Kapina,  Woiwodschaft  Masovien,  Kr.  Sochaczew. 

')  Kozlow  bisknpi,  ebendort. 

*)  Zabostöw  duzy,  ebendort. 


264  Ernst  von  SchönfeldL 

haben  wir  die  Vorposten  zu  betrachten:  bei  Rawa1)  den  Oberst 
von  Hinrichs  mit  seinem  Füsilier-Bataillon  and  2  Eskadrons  v.  Trenk 
Husaren,  ferner  auch  bei  Biala2)  den  russischen  Oberst  von  Engelhardt 
mit  2500  leichten  Truppen.  Die  Dislocation  der  sämtlichen 
Bataillone  und  Eskadrons  ist  folgende: 

In  Lowicz:  1  Batl.  v.  Bonin  und  1  Batl.  Jung  Schwerin  nebst 

1  Eskadron  v.  Brückner  Dragoner; 

Rechts  Lowicz:  2  Eskadrons  Brückner; 

In  Popow3):  3  Compagnien  vom  2.  Batl.  Bonin  nebst  2 
Kanonen  —  besetzen  durch  ein  Picket  des  Nachts  die  Mahle 
bei  Popow; 

In  Gross  Sabusto :  1  Comp.  v.  Bonin ; 

Klein  Sabusto4)  wird  durch  ein  Commando  besetzt; 

In  Kompin:    3    Comp,    des    1.    Batl.    v.    Frankenberg    nebst 

2  Kanonen; 

In  Potocky5):  1  Comp,  des  1.  Batl.  v.  Frankenberg; 

In  Adlig  Kozlow6):  3  Comp,  des  1.  Batl.  v.  Frankenberg 
nebst  2  Kanonen; 

In  Bischöflich  Kozlow:    1  Comp,  des  2.  Batl.  v.  Frankenberg; 

Ueber  der  Bzurra  in  Bettnari7)  1  Eskadron  v.  Brückner, 
in  Gensitz6)  1  Eskadron  v.  Brückner; 

Links  über  Suchaschaeff :  das  Grenadier-Batl.  v.  Amandrtez 
und  2  Eskadrons  v.  Trenk; 

Bei  Suchaschaeff:  2  Eskadrons  v.  Trenk; 

Die  äussersten  Avertissements-Posten  formieren  die  Kosaken. 

Bei  einer  Allarmiemng  zieht  sich  das  ganze  Corps  auf  der 
Höhe  bei  Potocky  zusammen. 

Den  1.  Juni  besah  ich  das  russische  Lager;  es  ist  der  wahre 
Inbegriff  der  Unordnung;  denn  so  wie  bei  uns  Accuratesse  und 
Ordnung  herrscht,  ebensowenig  ist  sie  hier,  alles  liegt  wild  herum. 
Das  Kavallerie-Lager  war  vorn,  die  Infanterie  in  der  Mitte,  und  ihre 
Artillerie  hinten,  aus  dem  Grunde,  weil  sie  eigentlich  unseren 
Rücken  decken  sollten.  Ihre  Zelte  sind  auf  chinesische  Art  rund, 
der  innere  Raum  achtmal  grösser,  als  wie  bei  uns,  und  im  Gemein- 
Zelt  müssen  36  Mann  campieren,  weil  darauf  gerechnet  wird,  dass 
10  immer  auf  Wache  sind.  In  jedem  Lager  haben  sie  auch  ihre 
eigene  Kirche,  ein  grünes,  grosses  Zelt,  ohngefähr  20 — 30  Fuss  lang 
und  15  breit,  worin  sie  ihre  Fahnen  aufbewahren   und  Gottesdienst 


')  Ebendort,  Kreis  Rawa. 

*)  Biala,  Ebcndort. 

s)  Popow,  Ebendort,  Kr.  Sochaczcw. 

4)  Zabostöw  maly,  ebcndort. 

5)  Potoka  mtyn,  ebendort,  Kr.  Rawa. 

fi)  Kozlow  szlachecki,  ebendort,  Kr.  Sochaczew. 
7)  Bednary,  ebendort. 
•)  K<»8zyce,  ebendort. 


Aus  bewegter  Zeit.  265 

(ins  innere  bin  ich  nicht  gewesen).  Ihr  Geschütz  ist  von  sehr 
acfcrwerem  Kaliber,  meist  Karthannen  und  schwere  Haubitzen,  ihre 
elftCTinalige   Schvwalows1)  haben   sie  gar  nicht  mehr. 

Ihre  Infanterie  bestand  bei  diesem  Corps  ans  Grenadiers  und 
Jftger    zu    Fuss.      Sie    waren    von   mittlerer   Statur,    meist   klein 
omI    gedrungen.    Die   Montierung   der  Gienadiers   war   folgende: 
einen  zeisig-grünen  Rollet  mit  hellen  rothen  Aufklappen,  lange  weiss- 
leinene  Beinkleider,  kleine  Stiefeln,  ein  ledernes  Kasket,  das  vorn 
niedergelassen  ist,  darüber  ein  weisswollener  Federbusch,    der   an 
beiden   Enden   an   dem   Hut    festgemacht    und   in    Gestalt    eines 
BascbJiks  ist,  darüber  eine  weisse  Feder.    Ihre  Gewehre  sind  leichter 
wie  die  unsrigen,  haben  ein  längeres  Bajonett  und  an  dem  Kolben 
eine  Backe.    Statt  Tornister  trägt  er  ein  ledernes  Felleisen  und  eine 
kleine  Patronentasche  für  40  Patronen.    Eine  Grenadier-Compagnie 
ist  160  Mann  stark,  ein  Grenadier-Regiment  zählt  über  4000  Kopfe. 
Die    Jäger   zu   Fuss   sind   ganz   dunkelgrün,    haben    ein   schwarz 
ledernes  Kasket  mh  einer  schwarzen  Feder,  und  gezogene  Büchse. 
Die  Kavallerie  bestand  ohngefähr  aus  4  Eskadrons  Dragoner, 
1  Eskadron  Grenadier  zu  Pferde,  melierte  Commandos  Husaren  und 
Kosaken.    Die  Dragoner  sehen  gut  aus,  haben  hellblaue  KoDets  (die 
Offiziers  dunkelblau),  halbe  rothe  Aufklappen,  Aufschläge  und  Kragen, 
schwarze  Fellmützen  mit  Federn,  lange  leinen  Beinkleider  und  kleine 
Stiefeln.    Oberdem  hat  ein  Dragoner  ein  Paar  Pistolen,  Säbel  und 
Karabiner.    Die  Grenadier  zu  Pferde  sind  ebenso,  wie  die  zu  Fuss. 
Ihre  Kavallerie  hatte  fast  lauter  schlechte  Pferde,  weil  sie  garnicht 
abgewartet  wurden,   und   worauf  sie  unermesslich  grosse  Gebisse 
hatten.    Ich  sehe   sie   ins  Lager  rücken.    Die  Infanterie  schwenkte 
m  Zügen  und  marschierte  rottenweis  auf.    Ihre  Griffe   beim  Exer- 
zieren  sind  alle  sehr  kurz,  aber  alle   sehr  gut  und  zugleich.    Die 
Position  beim  gemeinen  Mann   ist  ausserordentlich   und  wird  durch 
die  ausserordentliche  Prügel  noch  mehr  erhalten.    Durch  die  ent- 
setzliche Prügel  erhalten  sie  noch  ihre  wenige  Disciplin,  wäre  dieses 
nicht,  so  wären  es  wahre  Horden.    Der  Russe  verlangt  entsetzliche 
Schläge,   wenn   er  seine  Schuldigkeit   thun  soll,   und  danach  ist  er 
heiter  und  aufgeräumt.   Man  wird  nie  sehen,  dass  er  traurig  wäre,  fast 
immer  singt  er,  und  das  auch  auf  dem  fatiguirtesten  Marsche.    Doch 
bei  alle  diesem  heiteren  Gemüth  besitzt  er  die  Untugend  des  Stehlens, 
und  man  wird  keine  Nation  geneigter  dazu  finden,  als  die  Russen. 
Den  3.  Juni.    Heute  erfuhren  wir  die  Affaire  des  Oberst  von 
Hinrichs  von  unserm  Corps,  welche  laut  Relation  folgende  war.    Er 
erfährt,  dass  ein  Dorf  mit   bewaffneten  Bauern  besetzt  ist,   die  ihn 
angreifen  wollen;   um   ihnen   aber  zuvor   zu  kommen,   greift  er  sie 

*)  Haubitzen,    benannt  nach  d>m  Erfinder  (iraf  Peter   Schuwalow,   Kais.  Russ. 
Generalfeldzeugmeister  und  Kriegsminister    f  1762. 


266  Ernst  von  Schönfeldt. 

selbst  an.  Daher  rückt  er  mit  seinem  Detachemcnt  von  i  Bataillon 
und  2  Eskadrons,  überfällt  sie,  macht  an  30  Gefangene,  and  das 
übrige  soll  sich  theils  durch  die  Flucht  gerettet  haben,  theils  haben 
sie  sie  niedergestossen.  Wir  haben  nur  ein  paar  Blessierte  gehabt1). 
Später  besah  ich  die  prächtigen  Gärten  des  Fürsten  von  Ra- 
zewill2)  zu  Arcadien8).  Dieser  Garten  ist  nicht  sehr  gross,  auf  eng- 
lische Art  angelegt  und  verbindet  alles,  was  nur  die  grösste  Pracht 
und  der  auserlesene  Geschmack  verbinden  kann.  Wenn  man  alle 
kleinen  Büsche  und  Cascaden  beschreiben  wollte,  so  gehörten  Tage 
dazu.  Es  ist  eine  wahre  Delicatesse  für  das  Auge,  ein  überraschender 
Anblick,  denn  bei  jedem  Schritte  wird  man  angenehm  überrascht. 
Vorzüglich  findet  man  hier  gut  angebrachte  Ruinen.  Vorzüglich 
fällt  ein  Tempel,  welcher  auf  korinth'schen  Säulen  ruht,  sehr  ins 
Auge;  er  ist  ungefähr  30  Fuss  lang,  und  16  Fuss  breit,  enthält  4  Ge- 
mächer und  ist  von  Quadersteinen  aufgeführt.  Der  Saal  darin  ist 
prächtig,  dessen  Fussboden  von  Mosaic  Arbeit,  die  Decke  ist  gewölbt 
und  mit  einem  ausnehmend  schönen  Gemälde  geschmückt.  Die 
innere  Bekleidung  ist  von  Gypsmarmor.  Die  Statuen  sind  aus- 
nehmend schön,  nehmlich  ein  angebundener  Satyr  von  weissem 
korinth'schen  Marmor. 


Soweit  das  Tagebuch  des  Karl  v.  Pannwitz.  Lassen 
wir  nun  die  Briefe  seines  Bruders  Wilhelm  folgen : 

Kantonnierungs- Quartier  Gr.  Sabustow,  den  17.  Juni  1794. 
Bester  Vater!  Wir  stehen  noch  auf  unserem  alten  Fleck,  und  das 
wenige,  das  sich  hier  zugetragen  hat,  will  ich  Ihnen  folgender  Gestalt 
nach  der  Reihe  erzählen. 

Den  6.  Juni  bekamen  die  Regimenter  den  Befehl,  frisch  zu 
laden,  und  gegen  Abend  das  Korps  die  Ordre,  sich  bei  Sucharcz  ew4) 
zu  versammeln,    welches  auch 

den  7.  geschah.  Der  Zweck  dieser  Bewegung  war  eine  De- 
monstration gegen  den  General  Mocronowsky,  der  gegen  uns 
kommandiert,  zu  machen,  inzwischen  der  König  im  Krakauschen 
Kosciuszkon  auf   den  Hals    gehen    wollte.      Das  Korps    brach    also 

den  8.,  nachdem  es  den  Tag  vorher  seine  überflüssigen 
Feldgeräthe  nach  Lowicz  zurückgeschickt  hatte,  in  3  Kolonnen  rechts 
abmarschiert  aus  seine  Kantonnierungsquartiere  auf.  Die  Kolonne 
rechter  Hand  führte  der  General  Frankenberg  und  bestand  aus  dem 
1.  Batl.  v.  Bonin   und    1000   Russen;    die  mittelste  Kolonne    führte 


J)  Oberfall  von  Opoczno,  Woiwodschaft  Sandomir,  in  der  Nacht  zum  27.  Mai. 

*)  Radiiwill. 

3)  Arkadia,  Woiwodschaft  Masowien,  Kreis  Sochaczew. 

*)  Sochaczew. 


Aus  bewegter  Zeit.  267 

«der  General  v.  Trenk  und  bestand  aus  unserem  Regiment  und 
4  Eskadrons  von  Trenk,  die  3.  Kolonne  führte  der  General  Brückner 
Tind  bestand  aus  dem  Grenadier-Batl.  v.  Amandriez  und  dem  Rgt. 
Brückner.  Diese  Kolonne  sollte  sich  vor  Kaczky1)  versammeln  und 
dort  ein  Lager  beziehen,  den  9.  aber  wieder  aufbrechen  und  einen 
feindl.  Posten  in  Blonnin2)  vertreiben,  sich  sodann  aber  wieder 
zurück  in  seine  vorigen  Kantonnierungs-Quartiere  bei  Lowicz  zurück- 
ziehen. Nachdem  wir  aber  vor  Kaczky  angekommen  waren,  bekam 
der  General  v.  Bonin  durch  einen  Courier  die  erfreuliche  Nachricht, 
-dass  der  König  die  Pohlen  bereits  im  Krakauschen  geschlagen, 
mithin  die  Expedition  jetzt  nicht  mehr  nötig  sei8).  Das  Corps 
marschierte  also  sogleich  wieder  links  in  die  vorigen  Quartiere  bei 
Sucharczew4)  und 

den  9.  in  seine  Kantonnierungsquartiere  bei  Lowicz  an  der 
Bzurra.  Am  Morgen  dieses  Tages  ward  von  der  Weichsel  her  eine 
starke  Canonade  gehört. 

Den  10.  des  Nachts  musste  sich  alles  parat  halten,  um  beim 
ersten  Wink  ausrücken  zu  können,  indem  sich  der  Feind  in  Blonnin 
verstärkt  hatte  und  ein  Angriff  auf  Sucharczew  zu  vermuthen 
war;  da  inzwischen  nichts  vorfiel,  so  wurden  am  Tage  die  Leute 
wieder  in  die  Quartiere  verlegt. 

Den  12.  kam  durch  einen  Courier  vom  Herzog  v.  Holstein 
die  Nachricht  hier  an,  dass  die  Russen  die  Pohlen  jenseits  der 
Weichsel  total  geschlagen  hatten6),  welches  die  Kanonade  war,  so 
wir  den  9.  des  Morgens  gehört  hatten.  Diesen  Morgen  ward  von  des 
Morgens  4  Uhr  bis  7  Uhr  wieder  eine  Kanonade  gehört,  wovon 
man  aber  noch  keine  Nachricht  hat. 

Den  16.  hörte  man  des  Morgens  um  V45  Uhr  in  der  Ent- 
fernung von  1  Meile  2  Kanonenschüsse,  worauf  einige  Flinten- 
schüsse folgten,  und  unmittelbar  darauf  sah  man  ein  grosses  Feuer 
aufgehen.  Wir  mussten  daher  sogleich  ins  Gewehr.  Nachdem  die 
Kavallerie-Patrouillen  wieder  zurückgekommen  waren,  welche  die 
Nachricht  brachten,  dass  Russen  einen  pollnischen  Posten  im  Kloster 
Minnovice  vertrieben  und  das  Kloster  angesteckt  hätten,  gingen  wir 
wieder  in  unsere  Quartiere.  Die  näheren  Umstände  hiervon  sind 
diese.  Da  russische  Streifparthien  verschiedentlich  in  pollnischem 
Gebiet  geplündert  hatten,  so  rückte  ein  pollnisches  Detachement  bis 
vor  genanntes  Kloster  vor,  von  wo  aus  es  auf  preussischen  Dörfern 
Repressalien  gebrauchte.    Der  General  Bonin  befahl  also,  dass,  da 

J)  Kaczki,  Woiwodschaft  Kaiisch,  Kr.  Warta. 

*)  Bionie,  Woiwodschaft  Masovien,  Kr.  Lentscbitz. 

3)  Am  6.  Juni  hatte  der  König  in  dem  Gefecht  bei  Szczefcociny  (Woiwodschaft 
Krakau,  Kreis  Pilica)  die  Polen  geschlagen.  Kosciuszko  war  aber  nach  Norden,  also 
in  Richtung  auf  Warschau,  entkommen.  Karl  gibt  in  sciuen  Notizen  den  Verlust  der 
Polen  auf  aooo  Manu  und  16  Kanonen  an. 

*)  Sochaczew. 

ß)  Schlacht  bei  Dubienka  (Woiwodschaft  Lublin,  Kreis  Hrubieszow). 


268  Ernst  von  Schönfeldt 

sie  ohne  Ordre  die  Gelegenheit  hierzu  gegeben,  sie  es  jetzt  wieder  gut 
machen  sollten;  er  detachierte  also  aoo  rassische  Jäger,  ioo  russische 
Dragoner,  ioo  Kosacken  und  a  Kanonen  unterm  Major  Wimpfen 
(einen  Sohn  von  Felix  Wimpfen)  zu  dieser  Expedition.  Zu  diesem 
Endzweck  brach  also 

den  15.  des  Abends  dieses  Detachement  auf1)  und  griff 
den  16.  des  Morgens  das  Dorf,  worin  die  Pohlen,  deren  Zahl 
man  nicht  genau  angeben  kann,  waren,  an.  Diese  zogen  sich  ins 
Kloster  zurück  und  verrammelten  das  Thor,  welches  aber  sogleich 
durch  2  Kanonenschüsse  aufgeschlossen  ward.  Die  Russen  drangen 
hierauf  ins  Kloster  ein,  töteten  2  Offiziere  und  40  Pohlen  und 
nahmen  1  Offizier  und  14  Mann  gefangen  und  erbeuteten  1  Fahne.  In- 
zwischen soll,  ohne  denen,  die  sich  vorher  mit  der  Flucht  gerettet 
hatten,  über  die  Hälfte  im  Kloster  versteckt  geblieben  sein,  indem 
der  Major  Wimpfen,  wegen  der  Annäherung  von  einem  polinischen 
Soutien  mit  10  Kanonen,  sich  eiligst  wieder  zurückziehen  musste.  Die 
hierbei  von  den  russischen  Truppen  verübten  Grausamkeiten  sind  für 
disciplinierte  Truppen  unerhört.  Sie  hatten  der  Besatzung  Pardon 
versprochen,  hernach  aber  a  Offiziere  und  40  Mann  ohne  Gnade 
und  Barmherzigkeit  niedergemetzelt  oder  vielmehr  geschlachtet. 
Den  Offizier  und  14  Mann,  so  als  Gefangene  eingebracht  worden 
sind,  hat  der  Major  Wimpfen,  ein  sehr  tüchtiger  und  rechtschaffener 
Offizier,  mit  Gefahr  seines  eigenen  Lebens  gerettet  a  wehrlose 
Mönche  und  verschiedene  wehrlose  Menschen,  worunter  Weiber 
und  Kinder  sollen  gewesen  sein,  haben  sie  ebenfalls  gemordet  und 
am  Ende  das  schöne  Kloster  und  das  Dorf  angezündet  Aus 
folgendem  können  Sie  sich  eine  Idee  von  dem  Ton  machen,  der 
unter  ihnen  herrscht.  Nach  dem  Vorfall  schickte  der  Major 
Wimpfen  einen  Kapitän  von  die  Dragoner  mit  der  erbeuteten 
Fahne  an  den  General  Bonin.  Dieser  kam  nach  Lowicz  mit  dem 
erbeuteten  Pferde  von  einem  polinischen  Offizier  an  der  Hand  und 
die  blutigen  Kleider,  sogar  das  blutige  Hemde  hinten  auf  das  Pferd 
gebunden,  auf  welches  er  ritt.  Der  Verlust  der  Russen  soll  ge- 
ringer gewesen  sein.  Morgen  kommt  der  Kronprinz  hier  an  und 
übernimmt  das  Kommando  über  dies  Korps,  welches,  wie  man 
sagt,  nächstens  auf  Warschau  losgehen  soll.  Über  diese  Verände- 
rung sind  wir  recht  froh,  denn  bis  jetzt  hat  Bonin  sich  nur 
als  ein  ganz  mittelmässiger  General  gezeigt,  der  nicht  im  mindesten 
für  die  unter  ihm  stehenden  Truppen  gesorgt  hat,  indem  wir  kaum 
unser  Brod  und  Fourage  bis  jetzt  erhalten  haben.  Die  Relation  des 
Sieges,  den  der  König  über  die  Pohlen  erfochten  hat,  werden  Sie 

')  Karl  fOgt  erläuternd  hinzu:  Das  Detachement  marschierte  Abends  um  9  Uhr 
bei  der  Mühle  hinter  Popow  (Woiwodschaft  Kaiisch,  Kreis  Warta)  über  die  Blum, 
ging  in  der  grössten  Stille  Ober  Arcadien  und  Niborow  (Rbendort,  Kreis  Peisern)  und 
fiberfiel  den  Feind  bei  Tagesanbruch. 


Aus  bewegter  Zeit  269 

wohl  aus  den  Zeitungen  ersehen,  wir  haben  noch  keine  ganz  genaue 
hjervon.  Mit  dem  Regiment  Alt  v.  Schwerin  und  dem  Grenadier 
Bataillon  v.  Bonin  ist  der  König  ausserordentlich  zufrieden  gewesen. 
Das  Regiment  Klingkowstroem  hat  am  meisten  gelitten,  indem  es 
allein  2  Offiziere  tot  und  6  verwundet  hat.  Dies  Regiment  hat  durch 
♦inen  Fehler  des  Kommandeurs  nicht  frisch  geladen  gehabt;  wie  es 
also  die  erste  Bataillonssalve  geben  sollte,  geht  kein  Gewehr  los; 
anfangs  soll  da«  Regiment  hierüber  etwas  decontenancirt  gewesen 
sein,  hernach  aber  sich  wieder  zusammengerafft  und  mit  dem  Ba- 
yonett  auf  den  Feind  losgegangen  sein.  Die  Offiziere,  die  vom 
Rgt.  geblieben  sind,  sind  der  Kapt.  Kalbow  und  der  Lt.  Bockelberg. 
Vom  Regiment  Trenk  wird  allgemein  der  Major  Platen,  der  letzte 
3ohn  vom  verstorbenen  G.  L.  Platen1).  .   .   . 

Im  Lager  von  Potocki,  den  28.  Juni  1794. 
Bester  Vater !  Vor  3  Tagen  habe  ich  den  ersten  Brief  von  Ihnen 
erhalten,  der  wahrscheinlich  seine  eigene  Tour  muss  gegangen  sein,  in- 
dem er  vom  10.  Mai,  a  Tage  nach  unserem  Ausmarsch  aus  Frankfurt  also, 
datiert  war.  Aus  Frankfurt  haben  wir  noch  keinen  Brief  bekommen. 
Den  22.  haben  wir  unsere  Kantonnierungsquartiere  verlassen  und  andere, 
näher  an  Sucharczew  bezogen,  indem  3  Kompagnien  des  1.  Ba- 
taillons nach  Kompin  und  1  nach  Potocki,  2  Komp.  des  2.  Batl. 
nach  Adlich  Kozlow  und  2  nach  Bischöflich  Kozlow  (bei  welche 
letzteren  ich  stehe)  kamen.  Da  Bischöfl.  Kozlow  ein  Vorposten  ist, 
und  wir  weiter  keine  Truppen  mehr  vor  uns  hatten,  so  war  diese 
Tage  Ober  unser  Dienst  äusserst  schwer.  Alle  Nächte  mussten  die 
Officiers  mit  den  Leuten  angezogen  bleiben  und  die  Posten,  die  zu 
-besetzen  waren,  besetzt  behalten  und  flberdem  starke  Wachten,  Pickets 
und  Patrols  geben.  Sie  können  also  glauben,  dass  ich  die  Zeit  über  den 
Rock  nicht  vom  Leibe  bekommen  habe,  und  dass  wir  bei  der  ent- 
setzlichen Hitze,  die  wir  seit  einigen  Tagen  haben,  viel  ausgestanden 
haben.  Hierzu  kommt  noch,  dass  bei  dem  Staub  meine  Augen 
wieder  sehr  schlimm  geworden  sind.  Gestern  haben,  wie  Sie  aus 
Überschrift  ersehen  werden,  2  Bataillons  v.  Bonin,  unser  1.  u. 
2.  Batl,  eine  reitende  Batterie  und  3  Eskadrons  v.  Brückner  ein 
Lager  auf  dem  halben  Wege  von  Lowicz  nach  Sucharczew  be- 
zogen und  in  ein  paar  Tagen  geht  es  auf  Warschau  los,  da  der 
König  bereits  sich  genähert  hat8).  Kosciuszko  ist  über  die  Weichsel 
gegangen  und  hat  sich  dadurch  die  Communikation  mit  Warschau 
wieder  eröffnet.    Die  6000  Pohlen,  die  unterm  General  Dombrowsky 


0  Die  Fortsetzung  des  Briefes  fehlt. 

*)  Die  Hauptannee  war  den  entkommenen  Polen  auf  Warschau  gefolgt,  aber 
•durch  zu  npflten  Aufbruch  und  durch  die  unwegsame  Lysa  Gora  aufgehalten,  erreichte 
«ie  die  Polen  niiht  mehr  vor  der  Pflica;  Kosciuszko  überschritt  am  04.  Juni  bei  Warka 
<Woiwodschaft  Masovien,  Kreis  Czersk)  ungehindert  den  Plus».  Die  Hauptarmee  setzte 
ihren  Vormarsch  auf  Warschau  Ober  Opoezno  fort. 


270  Ernst  von  Schönfeldt. 

bei  Blonnin  gestanden  haben,  haben  sich  schleunigst  nach  Warschan 
zurückziehen  müssen,  jetzt,  da  sie  einen  allgemeinen  Angriff  auf 
Sucharczew1)  und  Lowicz  unternehmen  wollten.  Vorgestern  sind 
sie  inzwischen  wieder  in  Blonnin8)  angekommen  und  haben  einige 
preussische  Dörfer  ausgeplündert. 

Den  23.  ist  unser  Gesandter  aus  Warschau  angekommen.  Da 
wir  wahrscheinlich  jetzt  werden  packen  müssen,  so  habe  ich  mit 
meinen  Pferden  eine  starke  Veränderung  vorgenommen.  Die  fuchs- 
braune  Stute  habe  ich  gegen  ein  anderes  Pferd,  das  zum  Packen 
tauglich  ist,  vertauscht,  es  ist  zwar  ein  Pferd  von  sehr  wenig  Figur, 
allein  stark  und  gedrungen  und  im  8.  Jahre.  Auch  habe  ich  auch 
ein  Beipferd  für  ao  Thaler  zum  Packen  gekauft,  um  nicht  zu 
riskieren,  bei  der  Hitze  das  Pferd  zu  drücken  und  sodann  alle  meine 
Sachen  im  Stich  zu  lassen.  Es  ist  ein  kleines  russisches  Kosacken- 
pferd,  mit  welchem  ich  bis  jetzt  noch  sehr  zufrieden  bin.  Das 
Geld  hierzu  habe  ich  mich  von  Karl  geborgt.  Dieses  Geld  bitte  ich 
ganz  gehorsamst  der  Frau  Generalin3)  in  Frankfurt  gegen  eine 
Quittung  zu  restituieren,  wo  es  sich  Karl  vom  General  wieder  kann 
bezahlen  lassen.  Ich  bitte  Ihnen  blos,  dieses  mir  als  einen  Vor- 
schuss  zu  geben,  denn  da  ich  glaube,  dass  ich  meine  Pferde  bei 
unserer  Zurückkunft  nach  Frankfurt  werde  gut  bezahlt  bekommen, 
so  will  ich  es  Ihnen  mit  dem  kindlichsten  Dank  wieder  erstatten. 

Den  1.  July.  Verzeihen  Sie,  dass  ich  abgebrochen  und,  wie 
Sie  sehen,  etwas  konfus  geschrieben  habe.  Allein  da  ich  in 
5  Nächten  nicht  geschlafen  hatte  und  keinen  Rock  vom  Leibe  be- 
kommen hatte,  so  war  ich  so  entsetzlich  müde,  dass  ich  es  nicht 
länger  aushalten  konnte.  Die  20  Thaler  mir  vorschussweise  zu  re- 
stituieren, bitte  ich  Ihnen  nochmals  recht  sehr,  da  Karl  in  den  Fall 
kommen  kann,  auch  Geld  zu  gebrauchen. 

Den  30.  Juny  des  Vormittags  um  10  Uhr  ist  das  Dragoner- 
Regiment  v.  Frankenberg  (ehemals  Grf.  Finkenstein)  auf  dem  linken 
Flügel  ins  Lager  gerückt4).  Es  hat  beim  Korps  des  Gen.  Lt  Schön- 
feldt gestanden  und  auf  dem  Marsch  verschiedene  kleine  Scharmüzel 
gehabt7  Des  Nachmittags  um  3  Uhr  wurden  in  der  Nähe  einige 
Flintenschüsse  gehört,  und  kurz  darauf  kamen  2  Dragoner  an- 
gesprengt mit  der  Nachricht,  dass  die  Pohlen  attaquierten;  uro 
nähere  Nachricht  hiervon  zu  haben,  wurden  sogleich  starke 
Patrouillen  ausgeschickt,  die  aber  nichts  mehr  vom  Feinde  antrafen. 
Die   Ursach    hiervon    war    folgende.    Der    Lt.    v.    Quitzow    vom 

*)  Sochacicw. 

3)  Btonie,  Woiwodschaft  Masovien,  Kreis  Btonie. 

3)  Generalin  von  Zenge,  Mutter  der  Braut  Heinrichs  v.  Kleist. 

*)  Dies  Regiment,  das  bisher  dem  Gen.  Lt.  v.  Schönfeldt  —  der  den  Oberbefehl 
nördlich  der  Weichsel  übernommen  hatte  —  unterstellt  war,  wurde  auf  Befehl  de» 
Königs  an  das  Kronprinzliche  Corps  abgegeben. 


Aus  bewegter  Zeit.  27 1 

Regiment  Brückner,  der  mit  30  Pferden  einen  Posten  t  Meile 
vorwärts  zu  besetzen  commandiert  war,  ward,  da  das  Dorf  mitten 
im  Walde  liegt,  von  300  Pohlen  attaquiert,  ehe  er  mit  seinen  Leuten 
zu  Pferde  kommen  konnte.  Er  besetzte  also  sogleich  die  Thüren 
des  Stalles  und  feuerte  mit  der  Hälfte  des  Kommandos,  während 
die  andere  Hälfte  sattelte,  und  so  wehren  sie  sich,  bis  das  ganze 
Commando  zu  Pferde  ist.  Er  haut  sich  hierauf  mit  11  Mann,  da 
die  Vedetten,  indem  eben  abgelöst  wurde,  versprengt  waren,  und 
er  verschiedene  detachiert  hatte,  durch,  setzt  sich  wieder  und  wirft 
sie  wieder  aus  dem  Dorfe  heraus,  wird  aber  wieder  zurückgedrängt ; 
er  setzt  sich  nochmals,  wirft  sie  wieder  zum  Dorfe  heraus  und  be- 
hauptet seinen  Posten,  bis  er  tags  darauf  abgelöst  ward.  Seine 
Entschlossenheit  und  Gegenwart  des  Geistes  wird  allgemein  be- 
wundert. Von  seinem  Commando  sind  3  Mann  todt,  2  blessiert  und 
1  gefangen,  und  er  hat  seine  ganze  Equipage  zu  Pferde  verloren. 
Von  den  Pohlen  sind  einige  20  Mann  geblieben. 

Den  t.  July  bekam  der  Prinz  die  Nachricht,  dass  der  Major 
Streithorst,  der  2  Meilen  von  hier  steht,  attaquiert  wurde.  Das 
1.  Bataillon  v.  Bonin,  3  Eskadrons  v.  Frankenberg  und  2  reitende 
Canonens  wurden  daher  sogleich  zum  Securs  kommandiert,  sie  trafen 
aber  auch  nichts  mehr  an. 

Karl  und  Leopold  Kleist  sind  frisch  und  gesund.  Der  Mutter 
bitte  ich  gehorsamst  meinen  kindlichen  Respect  zu  versichern, 
Karoline  küsse  ich  und  bin  mit  der  ungeheuchelsten  Hochachtung 
Ihr  gehorsamer  Sohn 

W.  v.  Pannwitz. 


Über  die  nun  folgende  Zeit  ist  ein  Bogen  aus  Karls 
Tagebuch  erhalten,  der  hier  eingeschaltet  werden  möge. 
Wenn  auch  die  Fortsetzung  von  Wilhelms  Briefen  oft 
dieselben  Tatsachen  behandelt,  so  ist  es  trotzdem  in- 
teressant, auch  Karls  Notizen  zu  lesen,  da  sie  einige  neue 
Einzelheiten  enthalten.  Bei  direktem  Widerspruch  zwischen 
den  Aufzeichnungen  beider  Brüder  möchte  ich  aber  auf 
Wilhelms  Seite  stehen,  da  die  ganze  Art  und  Weise  von 
Karls  Tagebuchführung  etwas  verworren  ist.  Ich  setze 
dies  Tagebuchblatt  —  übrigens  das  letzte,  das  erhalten 
ist  —  vor  Wilhelms  Briefe  aus  derselben  Zeit,  da  es 
kürzer  gefasst  ist.  Bevor  sich  der  Leser  aber  ein  Bild 
macht,  bitte  ich,  erst  Wilhelms  Briefe  auch   zu  lesen. 


272  Ernst  von  Schönfeldt. 

Den  7.  Juli  brach  das  Korps  in  1  Kolonne  auf*).  Das  Grenadier- 
Bataillon  v.  Amandriez,  4  Esk.  von  Trenk  nebst  der  reitend» 
Batterie  machten  die  Avantgarde  und  bezogen  das  Lager  bei  Grodzick^, 
einem  kleinen  Städtchen  2  Meilen  links  von  Bionnin*),  wo  der  Feiad 
mit  einem  Korps  von  12  000  Mann  unter  dem  General  Mockronowatj 
das  Defile  nebst  den  Fluss  besetzt  hatte,  wo  der  General  Ebner 
mit  6  Bataillonen  und  6  Eskadrons  ihm  entgegen  von  der  Armee 
des  Königs  detachiert  war,  nm  ihn  in  echec  zu  halten,  weil  man 
seine  eigene  Stärke  nicht  wusste,  und  damit  er  unsere  Vereinigung 
mit  dem  Konige  nicht  hindern  könnte.  Der  General  Eisner  kanno- 
nierte  ihn  blos  mit  6  Haubitzen,  doch  da  der  Feind  gut  verschanzt 
war  und  vor  der  Brücke  eine  Schanze  aufgeworfen  hatte,  so  be- 
antwortete ihn  dieser  sehr  gut,  und  schoss  uns  sehr  viel  Leute  zu 
Schanden.  Den  8.  wurde  das  Elsnersche  Korps  vom  Feind  mit 
30  Kanonen  selbst  attaquiert  und  versuchte,  seine  Retraite  zum 
Korps  des  Kronprinzen  zu  bewerkstelligen,  um  ihm  seinen  linken 
Flügel  mit  seiner  ganzen  Kavallerie  zu  tournieren.  Doch  nach 
einer  starken  Kanonade,  wo  die  Walterschen  Schützen  (300)  nebst 
dem  Soutien  vom  Kronprinzen  (xl2  reitende  Batterie  und  5  Eskadrons 
Frankenberg)  die  Kavallerie  zurückgehalten  hatte,  geht  der  General 
v.  Eisner  in  einer  guten  Disposition  etwas  zur  Armee  des  Königs 
zurück.  .    . 

Heute  früh  hörten  wir  eine  starke  Kanonade  beim  Schönfeldt- 
sehen  Korps  jenseits  der  Weichsel,  welches  eine  Demonstration 
gegen  Warschau  machen  sollte4).  Um  8  Uhr  des  Morgens  bekamen 
wir  Marsch -Ordre,  und  wir  brachen  um  10  Uhr  in  einer  Kolonne  auf, 
um  zu  der  Armee  des  Kronprinzen  zu  stossen,  welche  über  Radom6) 
und  Rawa6)  Kosciuszkon  nachfolgte,  ihn  in  einer  Entfernung  von 
6  Meilen  von  Warschau  einholte,  der  ihr  aber  nicht  Stand  hielt, 
sondern  sich  in  seinen  Retran ehernen  ts  bei  Radzin7)  festsetzte. 
Ein  russisches  Korps,  das  am  linken  Ufer  der  Weichsel  stand, 
unter  dem  General  Fersen  und  Denisow,  und  an  unseren  rechten 
Flügel  stiess,  hatte  spät  gegen  9  Uhr  eine  Kanonade,  um  den 
Feind  zu  delogieren,  welcher  unsere  rechte  Flanke  bedrohte, 
erreichte  aber  nichts. 

Um  12  Uhr  des  Nachts  brachen  2  Bataillone  von  Franken- 
ben?» 3  von  Armandriez,  5  Esk.  v.  Brückner,  5  v.  Czetteritz,  3  v.  Würtem- 


J)  Der  Krenprinz  hatte  den  Befehl  bekommen,  eine  Verbindung  mit  der  Armee 
des  Königs  herzustellen. 

*)  Grodzisk,  Woiwodschaft  Masovicn,  Kreis  Blonie. 

■OS.aör.  , 

*)  Bei  Biala  hatten  Teile  des  Schonfeldtschen  Corps  unter  dem  Gen.  Goatfcer 
die  Polen  angegriffen,  waren  aber  nach  sehr  verlustreichem  Kampfe  zurückgegangen. 

*)  Woiwodschaft  Sandomir,  Kreis  Radom. 

6)  Woiwodschaft  Masovien,  Kreis  Rawa. 

T)  Raszyn,  SW.  v.  Warschau. 


Aus  bewegter  Zeit.  273 

berg    Husaren    nebst     der  j 

reitenden  Batterie  in  2  Ko-  4t| 

tonnen  unter  dem   General  £  * 

Götz    auf,    um    den    Feind  •*  4  O 

m     seinem     festen     Lager         ^  r^     C^*         ^ 

bei  Radczin    zu    recognos-  jofylW^    <^2>^y^ 

eieren.     Nach    einstündiger       ,  a  ^&  ^W      ^ 

Kanonade  zog  ersieh  zurück  ^^—  £2\f^w^^^'^£ 

nach  dem   Waide   bei    der     ^^^Vj^^^^^ 

Armee    des    Königs.     Wir 

hatten    einen    Verlust    von 

paar   Todten    und    etlichen 

Blessierten,    (s.  Skizze.) 

Um    7    Uhr    Abends  Qjjgjl     «^»/""^o*^ 
brach  die  ganze  Armee  des   3*$^«* 3*?       ;  '  *%        v 

Königs    nebst    den    Russen  **\  \       %^  ^^»«0   —  \     J 

in    der    grössten    Stille    in        j^        \      ^   A  ^ÜSto»  «^    ,' 
2  Kolonnen  auf,  die  1.  unter 
«lern  Könige  selbst  ging  rechts, 
die  2.  unter  dem  Kronprinzen  ^  J- 

.ging  links.  Das  ganze  ver- 
sammelte sich  i1^  Meilen 
von  Nadrczin1).  Der  König 
mit  der  Avantgarde  setzte 
sich  dicht  vor  Radczin,  und 
alles  blieb  die  ganze  Nacht 
unter  dem  Gewehr  stehen. 
Früh  morgens  brach  alles 
wieder  in  2  Kolonnen  auf, 
um  das  feste  Lager  bei  Radczin  anzugreifen,  nachdem  die  Russen  ihren 
rechten  Flügel  tournieren  sollten.  DochKosciuszko  hatte,  nachdem  er  alle 
seine  Brücken  hinter  sich  hatte  abwerfen  lassen  und  des  Nachts  aus 
seinem  Lager  herausgezogen  war,  sich  dicht  vor  Warschau  gesetzt. 
Es  nahm  also  die  ganze  Armee  ein  Lager  hinter  Radczin,  auf  einer 
sanften  Anhöhe,  vor  uns  ein  Defitee  mit  einem  Flusse  und  Radczin, 
wo  die  Avant-Garde  stand.  Die  Russen  waren  wieder  auf  dem 
rechten  Flügel  und  formierten  eine  Art  von  Flanke. 

Den  12.  hatte  die  ganze  Armee  Ruhtag. 

Den  13.  brach  die  ganze  Armee  in  4  Kolonnen  auf.  Die  1. 
unter  dem  Kronprinzen  ging  durch  Radczin,  die  2.  unter  dem 
Könige  selbst  ging  bei  der  Meierei  über  den  Fluss  links,  die  3. 
unter  dem  Prinzen  von  Würtemberg  ging  ganz  links,  und  die  4, 
machte  die  sämtliche  Bagage  aus.    Das  Korps  des  General  v.  Eisner. 


')  Nadarzyn,  Kreis  Warschau. 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XIX.  18 


274  Ernst  von  Schönfeldt. 

nachdem  sich  der  General  Mockronowski  von  Blonnin1)  zurückgezogen 
hatte,  ging  am  linken  Ufer  der  Weichsel  fort.  Bei  der  Bagage 
blieb  das  Dragoner-Regiment  v.  Frankenberg  und  2  Bataillone 
von  Hollwede.  Die  Artillerie  war  in  den  Kolonnen  brigadeweise 
vertheilt.  Der  Vereinigungspunkt  war  im  Walde  bei  Opalin2)  und 
alle  Kolonnen,  ausser  der  4.  und  dem  Eisners chen  Korps,  vereinigten 
sich  1.  Meile  vor  Warschau.  Es  wurde  mit  Divisionen  aufmarschiert, 
und  die  ganze  Infanterie,  ausser  der  Avantgarde,  setzte  sich  in  einer 
Linie,  die  ganze  Kavallerie  nebst  der  Avantgarde  und  der  reitenden 
Batterie  besetzte  die  Anhöhen,  nachdem  sich  Kosciuszko  in  seine 
Retranchements  links  am  Walde,  als  auch  vor  der  Stadt  festgesetzt 
hatte.  Es  wurde  etwas  kanoniert  und  2  Offiziere  und  etliche  Ge- 
meine zu  Gefangenen  gemacht;  wir  verloren  dabei  einen  Husaren 
und  hatten  etliche  Blessierte.  Dann  blieb  alles  ruhig.  Die  Armee 
ging  dann  l\4  Meile  hinter  den  Anhöhen  in  2  Treffen  bei  dem  Dorfe 
Opalin,  welches  wir  im  Rücken  hatten,  ins  Lager,  sodass  Warschau 
von  der  Abendseite  beinah  eingeschlossen  wurde.  Die  Anhöhen 
wurden  blos  von  Kavallerie- Pickets,  fliegenden  Kanonen  und 
Schützen  besetzt. 

Den  14.  wurde  blos  charmützieret  und  wir  hatten  blos  von 
uns  ein  paar  Blessierte. 

Der  15.  war  dazu  bestimmt,  die  Insurgenten  aus  dem  Dorfe 
Beiina3)  und  dem  Walde  herauszutreiben,  dazu  der  General  Eisner 
mit  seinem  Korps  bestimmt  war.  Zu  demselben  Falle  rückten  auch 
die  Grenadier-Bataillone  vom  1.  Treffen,  nehmlich  v.  Klinckowstroem 
und  v.  Frankenberg  und  v.  Schwerin  nebst  5  Eskadrons  v.  Prittwitz 
des  Nachts  auf  die  Anhöhen  vor  Warschau  aus,  um  dort  Aufmerk- 
samkeit zu  zeigen.  Doch  der  General  v.  Eisner,  da  er  sah,  dass 
der  Posten  zu  gut  besetzt  war,  zog  sich  zurück  und  es  blieb  blos 
beim  charmützieren  unserer  Schützen  und  Husaren  mit  den  feind- 
lichen. 

Den  16.  befand  sich  alles  ruhig. 

Den  17.  war  eine  starke  Kanonade  bei  dem  Schönfeldtschen 
Korps,  das  den  Narew  besetzt  hatte,  und  dauerte  von  des  Morgens 
um  5  Uhr  bis  9  Uhr. 

Den  18.  gingen  2  Bataillone  v.  Hollwede  ab,  um  das  Be- 
lagerungsgeschütz, das  von  Graudenz  kam  und  aus  4  Mörsern  und 
10  25pfündigen  Haubitzen  bestand,  zu  escortieren.  Unterdess  wurde 
am  19.  und  20.  stark  an  Faschienen  gearbeitet,  die  zu  den  neu- 
errichteten Batterieen  dienen  sollten. 


J)  Blcraie. 

2)  Opalen,  WNW.  v.  Warschau. 

::)  Bielany,  N.  v.  Warschau. 


f  Aus  bewegter  Zeit.  275 

Den  ao.  war  wieder  eine  starke  Kanonade  beim  Schönfeldt- 
schen  Korps,  und  des  abends  wurde  raportieret,  dass  der  Gen.  Maj . 
v.  Günther  denen  Insurgenten  5  Kanonen  und  600  Gefangene  ab- 
genommen hätte1). 

Den  21.  griff  der  General-Major  v.  Günther  abermals  die 
Pohlen  an  und  nahm  2  Kanonen  ihnen  ab. 

Den  23.  war  eine  starke  Kanonade  selbst,  es  fing  von  ihrem 
rechten  Flügel  bei  Mariemont2)  an  und  ging  um  ihre  ganze  Chaire  ; 
man  vermuthete,  dass  sie  ihre  neue  Stücke  probierten. 

Den  25.  brach  die  ganze  Armee  ganz  stille  des  Nachts  um 
12  Uhr  auf  und  ging  in  2  Kolonnen  rechts  abmarschiert  durch  einen 
grossen  Bogen  den  Weg  nach  Wola3),  nachdem  es  sich  das  Elsner- 
sche  Korps  an  sich  gezogen  hatte.  Das  Rendez-vous  für  beide  Ko- 
lonnen war  hinter  dem  feindlich  besetzten  Dorfe  Wola.  Um  eben 
die  Zeit  brachen  auch  die  Russen  auf,  und  nachdem  die  Armee 
um  2  Uhr  des  Morgens  hinter  Wola  aufmarschiert  war,  setzten 
sich  die  Russen  auf  unseren  rechten  Flügel,  so  dass  ihr  rechter 
Flügel  an  die  Weichsel  stiess.  Das  Batl.  Oswald,  5  Eskadrons 
v.  Trenk  nebst  der  reitenden  Batterie  des  Lt.  v.  Holzendorff 
schmissen  den  Feind  aus  dem  Dorfe  Wola,  nachdem  sie  1  Major 
und  50  Gefangene  gemacht  hatten,  und  besetzten  es  nebst  den 
Walterschen  Schützen.  Gegen  6  Uhr  ging  die  Armee,  nachdem  der 
Feind  uns  mit  Haubitzen  beschossen  und  wir  den  Rittmeister 
Göhlen  und  etliche  Husaren  v.  Czetteritz  verloren  hatten,  ins  Lager 
1000  Schritt  hinter  Wola,  so  dass  unser  rechter  Flügel  hinter  dem 
Dorfe  an  die  Russen  stiess,  dieses  aber  von  dem  Batl.  Hinrichs 
besetzt  war,  der  linke  aber  eine  Art  von  Flanke  bildete  und  wo 
unsere  ganze  Kavallerie,  ausser  den  Regimentern  Würtemberg  und 
Trenk,  und  etliche  leichte  Battaillons  die  Flanke  formierten.  Gegen 
8  Uhr  des  Morgens  griff  der  Feind  unter  dem  Schutz  seiner 
Batterien  das  Dorf  förmlich  an,  nachdem  eine  Linie  feindl.  Kavallerie 
rechts  dem  Dorfe  unsere  Vorposten  drängte  und  den  Angriff  unter- 
stützte. Er  zwang  sogar  das  Bataillon  v.  Oswald,  nachdem  es 
einigen  Verlust  erlitten,  sich  zurück  zu  ziehen,  doch  so  gleich 
kamen  von  unserem  linken  Flügel  2  Bataillons  von  Amandriez  zum 
Succurs  und  3  Bataillons  v.  Frankenberg  soutenierten  sie  und 
nahmen  das  Dorf  nach  einem  Verlust  von  30  Todten  und  Blessierten 
wieder  ein.  Des  Abends  um  9  Uhr  gingen  das  2.  Bataillon 
v.  Frankenberg  und  2  Bataillons  v.  Bonin  zur  Ablösung  des  Ba- 
taillons v.  Oswald  und  2  v.  Amandriez  nach  Wola. 


!)  Schönfeldt  drängte  in   einer  Reihe  von  Gefechten,    besonders  bei  Dembniki^ 
die  Polen  auf  Warschau  zurück,  um  dadurch  die  Operationen  des  Königs  zu  erleichtern 
*)  Marymont,  NNW.  v.  Warschau, 
s)  WSW.  v.  Warschau. 

16* 


IJÜ  Ernst  von  Schönfei  dt 

Den  a6.  des  Morgens  tun  8  Uhr  löste  das  1.  und  Grenadier- 
Bataillon  v.  Frankenberg  and  das  a.  v.  Schwerin  die  Dorfbesatnag 
ab.  Es  verhielt  sich  von  beiden  Theilen  so  ziemlich  ruhig,  ausser 
-denen  feindlichen  Jägern,  welche  sich  an  den  ausgestellten  Schntzen- 
posten  heranschlichen,  doch  wurden  sie  von  den  Walterschen  Ba- 
taillonsschützen zurückgetrieben.  Bei  den  einzelnen  Kanonenschüssen, 
-die  geschahen,  verlor  das  Grenadier-Bataillon  v.  Frankenberg  1  Toten 
und  hatte  a  Blessierte.  Auch  brachen  denselben  Tag  a  Bataillon* 
von  Hollwede  nach  Lowicz  auf,  um  die  Bzurra  wieder  zu  besetzen, 
weil  der  General  Mockronowsky,  der  bei  Mariemont  stand  und 
alles  weggezogen  fand,  auf  der  Anhöhe,  wo  unsere  Vorposten  ge- 
standen, ein  Lager  aufgeschlagen  und  das  Dorf  Oppalin  besetzt  hatte« 
und  so  uns  theils  in  die  Flanke,  theils  in  Südpreussen  einzufallen 
-drohte.  Deswegen  ist  meist  unsere  ganze  Kavallerie  auf  unserem 
linken  Flügel. 

Den  37.  Diese  Nacht  war  zur  Eröffnung  der  Trencheen 
bestimmt1);  es  gingen  darnach  gegen  9  Uhr  per  Bataillon  400  Ar- 
beiter, 1  Capitftn  und  a  Subalterne  zur  Eröffnung  der  Trencheen 
bei  Wola  unter  der  Direktion  des  Obersten  Freund  vom  Ingenieur- 
-Corps  dahin  ab.  Zur  Bedeckung  blieb  das  a.  Bataillon  von  Rnks 
Doch  da  alles  beim  Ort  der  Bestimmung  war,  so  feuerten  die 
Schützen  von  Amandriez,  welche  ins  Korn  postiert  und  nicht  »ver- 
tieret waren,  auf  unsere  Arbeiter,  so  dass  alles  in  der  grössten  Con- 
fusion  war,  und  alles  floh  mit  Hinterlassung  des  Schanzzeuges  in 
<ier  grössten  Confusion  zurück.  Den  anderen  Morgen  kehrte  der 
-Oberst  von  Freund  nach  Neisse  retour1).  Auch  war  die  ganze 
1.  Linie  im  Gewehr. 

Den  38.  wurden  per  Bataillon  aoo  Arbeiter,  1  Capitan  und 
3  Subalterne  kommandiert,  um  die  misslungenen  Trencheen  aufs 
neue  zu  eröffnen.  Der  Feind,  der  da  glaubte,  sie  würden  auf  unseren 
rechten  Flügel  angefangen  werden,  zündete  daher  ein  Dorf  nebst 
^inem  Vorwerk  bei  Warschau  an.  Es  wurden  daher,  weil  das  Feuer 
einen  zu  hellen  Schein  gab,  die  Arbeiten  um  ia  Uhr  erst  ange- 
fangen, und  die  erste  Parallele  nebst  3  preussischen  Wurf-Batterieen 
und  1  russischen  Demontier  Batterie  kamen  glücklich  zu  Stande. 
Gegen  Morgen  merkte  der  Feind  unsere  Absicht,  daher  machte  er 
-ein  sehr  starkes  Feuer  auf  uns,  vorzüglich  mit  Leucht-  und  Brand- 
Kugeln. 

Weitere  Notizen  von  Karl  sind  leider  nicht  vor- 
handen.   Es  folgen  nun  wieder  Wilhelms  Briefe. 


*)  \%\.  S.  287  Anm,  i. 


Aus  bewegter  Zeit.  277* 

Im  Lager  bei  Oppalin,  den  ai.  Juli  1794«. 
Bester  Vater!  Verzeihen  Sie,  dass  ich  so  lange  Ihnen  keine  Nach« 
rieht  mitgetheilt  habe,  denn  da  wir  immer  vermutheten,  zur  Action  zu 
kommen,  so  wollte  ich  es  so  lange  aufschieben,  bis  ich  Ihnen  was  wichti- 
geres schreiben  könnte.  Meinen  letzten  Brief  aus  dem  Lager  bei  Potocki1) 
werden  Sie  wohl  erhalten  haben.  Den  4.  Juli  bekam  das  Corps  des- 
Kronprinzen die  Ordre,  zur  Armee  des  Königs  zu  stossen.  Zu  diesen* 
Behuf  brach  es  den  5.  auf  und  bezog  ein  Lager  bei  Wiskitny8)  auf 
pollnischem  Grund  und  Boden.  Auf  dem  Marsch  stiess  noch  unser 
Grenadier-Bataillon  und  das  von  Amandriez  nebst  2  Eskadrons  von 
Brückner  und  4  v.  Trenk  zu  uns.  Den  6.  brach  das  Corps  wieder 
auf  und  bezog  ein  Lager  bei  Grodzick8).  Auf  dem  Marsch  hörten 
wir  eine  starke  Kannonade  beim  Elsnerschen  Corps,  das  gegen  Blonin4> 
stand,  und  da  selbiges  von  den  Pohlen  unter  dem  General  Joseph 
Poniatowsky  gedrängt  wurde,  so  stiess  noch  den  nämlichen  Tag  das 
Regiment  Frankenberg  Dragoner  nebst  der  halben  reitenden  Batterie 
zu  ihm.    Den  7.  hatten  wir  Ruhetag. 

Den  8.  des  Vormittags  um  11  Uhr  brach  das  Corps  wieder 
auf  und  vereinigte  sich  des  Abends  um  6  Uhr  bei  Nadrczin6)  mit 
der  Armee  des  Königs.  Da  die  Pohlen  sich  von  Blonnin  zurück- 
gezogen hatten,  so  stiessen  das  Dragoner-Regiment  v.  Frankenberg 
und  die  halbe  reitende  Batterie  wieder  zu  uns.  Des  Nachts  um» 
13  Uhr  bekam  das  Regiment  Amandriez,  unser  1.  und  a.  Bataillon,, 
die  Dragoner  v.  Brückner  und  8  Schwadronen  Husaren  theils  von 
Czettritz,  theils  von  Würtemberg  und  die  halbe  Batterie  die  Ordre, 
eine  Recognoscirung  unter  dem  General  Goetz  vorzunehmen.  Ko- 
sctuszko  stand  eine  Meile  von  uns  hinter  dem  Städtchen  Radczhu 
Mit  Tages  Anbruch  fielen  die  ersten  Schüsse  von  den  Flankeurs. 
Das  Regiment  Amandriez  marschierte  hierauf  nebst  den  8  Schwadrons 
Husaren  auf  und  kannonierte  die  polinischen  Aussenposten  bis 
in  Radczin,  wo  sie  sich  hinter  das  dortige  äusserst  difficile  Deiilee 
setzten.  Wir  marschierten  ebenfalls  mit  den  5  Eskadrons  v.  Brückner 
auf  und  unterstützten  den  Angriff.  Von  beiden  Seiten  ward  hierauf 
kannoniert,  während  welcher  Zeit  der  General  Goetz  Kosciuszkos 
vortheilhafte  Stellung  rekognoscierte.  Um  7  Uhr  zogen  sich  die  vor- 
gerittenen Bataillons  und  Eskadrons  durch  uns  durch,  und  wir 
deckten  den  Rückzug,  wozu  uns  die  Pohlen  ganz  ruhig  Hessen. 
Unser  Verlust  bestand  in  3  Todten  und  8  bis  9  Blessierten  und 
einigen  Pferden.  Ein  Husaren  Offizier  von  Czettritz  hatte  einen 
Hieb  ins  Genick,  und  der  Lieutnant  Fiebey  von  der  reitenden  Batterie 

*)  Patoki,  Woiwodschaft  Masovien,  Kr.  Sochaczew. 

*)  Wiskitki,  ebendort. 

*)  Vgl.   S.  072,  Anm.  3. 

*)  Blonie. 

6)  Vgl.  S.  273,  Anm.  1. 


278  Ernst  von  Schönfeldt. 

«ine  Contusion  in  der  linken  Lende  bekommen.  Da  wir  durch  eine 
kleine  Anhöhe  gedeckt  waren,  so  hatte  das  Regiment  keinen  Ver- 
lust. Da  sich  ohnmittelbar  darauf  Kosciuszko  wieder  zurückgezogen 
hatte,  so  brach  des  Abends  um  8  Uhr  die  ganze  Armee  in  2  Ko- 
lonnen auf  und  blieb  vor  Radczin  unterm  Gewehr  bis  zum  Anbruch 
<ies  Tages,  wo  selbige  das  D£filee  passierte.  Da  aber  die  Absicht 
des  Königs  war,  die  Pohlen  in  die  linke  Flanke  zu  umgehen,  so  ging 
■eine  Stunde  darauf  die  Armee  über  das  D6fil6e  wieder  zurück  und 
bezog  ein  Lager  diesseits  Radczin;  die  Avant  Garde  blieb  jenseits 
<ler  Stadt.  Den  13.  des  Morgens  brach  die  Armee  in  4  Kolonnen 
auf,  bis  auf  die  Avant  Garde,  welche  aus  dem  Regiment  Graf  von 
Anhalt  und  den  Dragonern  von  Frankenberg  besteht,  welche  auch 
noch  auf  ihrem  Posten  bei  Radczin  steht,  und  zog  sich  ganz  links 
weg  nach  der  Strasse  von  Blonnin  auf  Warschau.  Bei  Oppallin, 
eine  kleine  Meile  von  Warschau,  marschierte  die  Armee  in  2  Treffen 
auf;  da  sich  aber  Kosciuszko  in  die  Verschanzungen  von  Warschau 
geworfen  hatte,  so  war  kein  Angriff  zu  unternehmen.  Die  Armee 
bezog  also  ein  Lager  mit  dem  linken  Flügel  bei  Oppalin.  Der  rechte 
Flügel  ist  an  einer  Anhöhe  gelehnt.  Zwischen  der  Weichsel  und 
Oppalin  steht  der  General  Elsner.  Die  Pohlen  stehen  nur  eine  kleine 
halbe  Meile  von  unserem  Lager  in  einem  so  festen  Lager,  dass  an 
gar  keinen  Angriff  mit  stürmender  Hand  gedacht  werden  kann, 
sondern  Warschau  soll  förmlich  blockiert  werden.  Es  werden  da- 
her alle  Anstalten  zu  einer  Belagerung  getroffen,  und  man  erwartet 
nur  noch  die  schweren  Geschütze  von  Wyszogrod1).  Der  rechte 
Flügel  der  Pohlen  hat  sich  in  einem  Wald  verschanzt,  aus*  welchem 
sie  nothwendig  noch  vor  der  Blokade  vertrieben  werden  müssen; 
wir  haben  also  in  ein  paar  Tagen  eine  scharfe  Action  vor  uns.  Da 
zu  einer  Belagerung  zu  wenig  Ingenieur-  und  Artillerie  Offiziere 
bei  der  Armee  sind,  so  sind  zu  diesem  Behuf  Offiziere  aus  den 
Regimentern  genommen  worden,  um  bei  dem  Trencheen  und 
Batterie  Bau  zu  dienen.  Unter  letzteren  befinde  ich  mich  auch, 
und  zu  diesem  Behuf  haben  wir  gestern  und  vorgestern  Probe 
Batterien  bauen  müssen.  Der  Himmel  gebe  nur,  dass  wir  im  se- 
rieusen  nicht  dazu  gebraucht  werden,  denn  die  erfahrensten  Artillerie 
Offiziere  halten  dies  für  die  schwerste  Sache  ihres  Dienstes,  weilen 
eine  Batterie  in  einer  Nacht  1800  Schritt  von  den  feindlichen  Werken 
und  unterm  feindlichen  Feuer  erbaut  werden  muss.  An  meiner 
möglichsten  Bravour  und  Fleiss  soll  es  zwar  gewiss  nicht  fehlen, 
allein  ist  man  mit  Tages  Anbruch  nicht  fertig,  so  riskiert  man  Ehr 
und  Reputation  dabei  zuzusetzen. 

Übrigens   geht   es   uns   noch  recht  gut.    Unsere  Leute  haben 
Fleisch  und  Gemüse   vollauf.    Der  Himmel    bewahre   uns   nur   vor 


')  Woiwodschaft  u.  Kreis  Plock. 


Aus  bewegter  Zeit.  279 

<ier  Ruhr,  die  schon  in  den  anderen  Regimentern  eingerissen  ist. 
■Gestern  ist  der  General  Graf  Schwerin  wieder  zur  Armee  gekommen. 
Meine  Pferde  stehen  etwas  im  Kropt,  da  ihnen  das  Fouragieren  nicht 
recht  behagen  will.  Karl  ist  mit  seinen  Pferden  frisch  und  gesund. 
Der  Mutter,  der  Tante  Massow  und  denen  Cousinens,  die  wahrschein- 
lich noch  in  Gulben  sein  werden,  bitte  ich  mich  gehorsamst  zu  em- 
pfehlen, Karolinen  küsse  ich  dabei.  Mit  der  unausgesetzten  Hoch- 
-achtung  Ihr  gehorsamer  Sohn 

W.  v.  Pannwitz. 


Im  Lager  bei  Wola,  den  17.  August  1794. 
Bester  Vater!  Wir  stehen  noch  auf  unserem  alten  Fleck  und 
werden  wahrscheinlich  noch  ein  paar  Wochen  aushalten  müssen,  da  der 
König  eher  nichts  unternehmen  will,  bis  er  das  nachbeorderte  schwere 
Geschütz,  welches  mit  Vorspann  aus  Schlesien  kommt,  heran  hat.  Die 
Wuth  sich  einander  zu  karinonieren,  hat  daher  sehr  nachgelassen ;  bis  vor 
-ein  paar  Tagen  geschah  aus  jeder  unserer  Batterien  alle  viertel 
Stunde  ein  Schuss;  dies  ist  aber  gänzlich  eingestellt  worden,  indem 
die  Parallele  zu  weit  ist,  um  dem  Feind  einen  zweckmässigen  Schaden 
zu  verursachen,  und  ist  blos  auf  Ausfälle  und  feindliche  Arbeiten 
eingeschränkt  worden.  Auch  das  feindliche  Feuer  hat  sehr  nach- 
gelassen. In  der  Nacht  vom  13.  zum  14.  kannonierte  der  Feind  sehr 
heftig  aus  allen  seinen  Batterien  und  griff  zu  gleicher  Zeit  ein  Dorf 
auf  unserem  linken  Flügel,  das  vom  Bataillon  Pelel  besetzt  war, 
an,  ward  aber  zurückgeschlagen.  Da  dies  vermuthen  liess,  dass  er 
unsern  linken  Flügel  tournieren  wollte,  so  brach  den  15.  der  Gene- 
ral Goetz  mit  8  Bataillons  und  6  Eskadrons  von  hier  auf  und  be- 
setzte die  Anhöhe  bei  Oppalin,  um  den  rechten  Flügel  des  Feindes 
en  e*chec  zu  halten.  Im  Belagerungs  Depot  und  im  Laboratorio 
wird  inzwischen  fleissig  gearbeitet  und  es  ist  daher  gewiss,  dass 
die  2.  Parallele  eröffnet  werden  wird,  sobald  das  Geschütz  heran 
ist.  Für  bessere  Sicherheit  werden  längs  der  ganzen  Front  der 
Armee  Retranchements  angelegt.  Seit  meinem  letzten  Briefe  haben 
wir  nur  (nämlich  das  Regiment)  2  Blessierte  gehabt,  wovon  einer 
bereits  gestorben  ist.  Merkwürdig  ist  es,  dass  unser  Regiment  das 
einzigste  in  der  Armee  ist,  welches  noch  keine  Desertion  gehabt 
hat.  In  Warschau  selbst  werden  nach  Aussage  der  Deserteurs  die 
Lebensmittel  sehr  knapp;  ein  Beweis  hiervon  ist  dieses,  dass  gestern 
2  Deserteurs  von  den  Dragonern  v.  Frankenberg  wieder  zurück- 
gekommen sind  und  sich  ihrer  Strafe  freiwillig  unterworfen  haben, 
indem  es  in  Warschau  nicht  zum  Aushalten  sein  soll.  Man  be- 
wundert hier  allgemein  in  Kosciuszkon  den  ausserordentlich  grossen 
Mann.  Von  Szczekociny,  wo  er  total  geschlagen  ward,  bis  hierher 
hat  er  mit   einer   ganz   ungeübten    und  zusammengerotteten  Armee 


fl8o  Ernst  von  Schönfeldt 

einen  so  meisterhaften  Zurückzag  gewagt,  dass  er  beinahe  nicht  eine« 
Mann  verloren  hat,  ohngeachtet  die  Armee  ihm  bestandig  auf  dem 
Foss  gefolgt  ist  Seine  Retranchements  sind  so  vortheilhaft  angelegt^ 
dass  ein  Angriff  mit  stürmender  Hand  gar  nicht  mit  der  Aussicht 
eines  glücklichen  Erfolges  zu  unternehmen  ist  Den  13.  hat  er  den 
General  Mokronowsky  mit  10  000  Mann  dem  russischen  General  Der- 
felde,  der  Wilna  und  Grodno  weggenommen  hat,  entgegengeschickt 

Man  kann  gar  keinen  traurigeren  Anblick  denken,  als  die 
hiesige  Gegend  darstellt  Mehr  wie  8  Dörfer,  die  vor  der  Front  der 
beiden  Armeen  stehen,  sind  abgebrannt  worden  durch  feindliche  Haubitz 
Granaten.  Was  noch  ist  stehen  geblieben,  ist  von  uns  eingerissen 
worden,  um  Holz  zum  Kochen  zu  erlangen;  woran  es  der  Gegend 
fehlt  Zurückgebliebene  Hunde  sind  die  einzigen  Geschöpfe,  die 
auf  die  Stellen,  wo  Dörfer  gestanden  haben,  zurückgeblieben  sind. 
Vorzüglich  ist  es  um  das  schöne  Dorf  Wola,  bei  welchem  die 
Könige  von  Pohlen  gewählt  werden,  schade.  Von  diesem  Dorfe, 
wo  ein  recht  schönes  Schloss  und  ein  sehr  schöner  Garten  war,, 
sieht  man  fast  nichts  mehr,  als  die  Kirche  und  die  Stellen,  wo  die 
schönsten  Landhäuser  gestanden  haben.  Sechs  Tage,  nachdem  wir 
hier  angekommen  waren,  fand  man  in  einer  Scheune  eine  unglück- 
liche, fast  verhungerte  Familie  von  einer  Frau  und  4  Kindern,  deren 
Vater  bei  der  Wegnahme  von  Wola  erschossen  worden  war,  und 
die  sich  dort  so  lange  aus  Furcht  versteckt  gehalten  hatte. 

Ausser  Schwemler  und  Sommerfeld,  die  schon  fast  ein 
paar  Wochen  krank  sind,  ist  beim  Regiment  alles  frisch  und  gesund  ; 
ersterer  lässt  sich  Ihnen  allerseits  gehorsamst  empfehlen,  sowie  auch 
Karl  und  Leopold  Kleist,  welche  ebenfalls  gesund  sind.  Letzterer 
hat  alle  möglichen  Gerichte  essen  gelernt,  da  er  sonst  zum  grossen 
Verdruss  der  Tante  sehr  wählte. 

Unsere  Pferde  sind  noch  im  besten  Stande;  allein  meine 
Strümpfe  desertieren  gewaltig,  und  zu  meinem  grössten  Schreck 
habe  ich  neulich  gefunden,  dass  ich  alle  meine  wollenen  Strümpfe, 
die  ich  jetzt  bei  den  kühlen  Nächten  in  den  Trenchen  sehr  gut 
brauchen  könnte,  in  Frankfurt  vergessen  habe.  Wollten  Sie  daher 
wohl  die  Güte  haben  und  mir  wenigstens  letztere  sobald  als  mög- 
lich nachschicken.  Auch  ein  Hemd  habe  ich  schon  zu  Schnupf- 
tüchern zerschneiden  müssen. 

Meiner  guten  Mutter  bitte  ich  meinen  kindlichen  Respect  zu 
versichern.  Sowie  auch  an  Tante  Massow  und  denen  Kousinen, 
wenn  selbige  noch  in  Guiben  sind,  wo  nicht,  so  bitte  ich  ganz  ge- 
horsamst, ihr  diesen  Brief  zu  kommunizieren.  Karolinen  küsse  ich 
und  bin  mit  der  unausgesetzten  Hochachtung  Dir  gehorsamer  Sohn 

W.  v.  Pannwitz. 

NB.  In  Cottbus  ist  die  Nachricht,  dass  der  Sohn  vom  Sattler 
Sikkel  todtgeschossen  sein  soll;  da  dieser  aber  noch  frisch  und  ge- 
sund ist,  so  können  Sie  den  Eltern  gelegentlich  dieses  wissen  lassen. 


Aus  bewegter  Zeit.  281 

Im  Lager  auf  dem  langen  Berge  vor  Warschau,  den  29.  Aug. 
1794,   beim   Corps   des   Generals   v.  Goetz. 

Mein  lieber  Bruder1)!  Es  wundert  mir  gar  nicht,  dass 
Ihr  in  Berlin  schon  seit  4  Wochen  die  Nachricht  von  der 
Einnahme  von  Warschau  erwartet,  da  wir  selbst  vor  5  Wochen 
schon  glaubten,  drinn  zu  sein.  Allein  es  scheint  noch  in 
weitem  Felde  zu  sein,  da  wir  4  Wochen  geschossen  und  ge- 
arbeitet haben,  um  näher  zu  kommen,  und  die  Stadt  noch  nicht 
reichen  können.  Die  Nachrichten  bis  zu  Anfang  dieses  Monats  wirst 
Du  wohl  von  Vater  erfahren  haben,  wenigstens  bat  ich  ihn  darum, 
sie  Dir  mitzutheilen.  Seit  dieser  Zeit  ist  das  schwere  Geschütz, 
welches  wir  erwarten,  angekommen,  allein  bis  jetzt  ist  es  nur  dazu 
gebraucht  worden,  den  langen  Berg  wieder  zu  nehmen,  den  wir, 
als  wir  im  Lager  bei  Oppalin  standen,  besetzt  hatten,  als  wir  aber 
nach  Wola  marschierten,  ihn  verliessen,  ohne  daran  zu  denken,  dass, 
wenn  der  Feind  sich  auf  selbigem  festsetzt,  er  in  unserer  linken 
Flanke  kam.  Dieses  geschah  denn  auch,  er  beschoss  uns  von  sel- 
bigem unsere  Parallele  bei  Wola  nach  Herzenslust;  Goetz  musste 
also  mit  dem  Rgt.  Hoilwede,  dem  Batl.  Oswald,  den  Dragonern  von 
Frankenberg  und  3  Schwadrons  Husaren  von  Wola  aufbrechen  und 
sich  bei  Oppalin  setzen,  um  den  Feind  gegen  unsere  linke  Flanke 
in  echec  zu  halten.  Den  22.  wurden  die  Approchen  gegen  den 
langen  Berg  vom  Dorfe  Gurze  2)  aus  eröffnet,  allein  man  beging  nun 
den  kleinen  Fehler,  anstatt  die  Batterien  1800  Schritt  vom  Feinde  auf  zu- 
werfen, waren  wir,  wie  das  Ding  bei  Tage  besehen  ward,  nicht  mehr 
wie  2500  Schritt  vom  Feinde  ab;  man  konnte  ihn  also  mit  dem 
Wurf  Geschütz  gar  nicht  erreichen.  Und  nur  in  der  Nacht  vom 
24.  zum  25.  kamen  wir  so  weit,  Batterien  auf  1500  Schritt  gegen  ihn 
aufzuwerfen,  aus  welchen  die  Pohlen,  die  sich  inzwischen  von  Marie- 
mont  bis  zum  langen  Berg  sehr  stark  gesetzt  hatten,  den  25.  düchtig 
beschossen  wurden.  Da  der  General  Goetz  mit  den  Grenadieren 
von  Anhalt,  2  Bataillons  von  Huet,  dem  Regiment  Bonin,  dem  Ba- 
taillon v.  Pelet,  den  Dragonern  v.  Prittwitz,  4  Schwadrons  Husaren 
und  der  reitenden  Batterie  v.  Holzendorff  verstärkt  worden  war,  so 
griff  er  den  26.  des  Morgens  die  Verschanzungen  auf  dem  langen 
Berge,  dem  Dorfe  Wawrzitze3)  und  in  dem  Werke  bei  Wawrzitze 
mit  stürmender  Hand  an  und  delogierte  den  Feind  in  Zeit  von  2 
Stunden  aus  7  Redouten  und  eroberte  8  Kanons  und  2  Haubitzen. 
Die  Pohlen  sollen  sich  verzweifelt  gewehrt  haben,  allein  jedesmal, 
dass  sie  sich  haben  setzen  wollen,  hat  sich  die  Infanterie  mit  dem 
Bayonet  mit  der  grössten  Vehemenz  auf  sie  geworfen  und  zurück- 
gedrängt.   Holzendorff  mit  seiner  reitenden  Batterie  hat  das  meiste 


*)  Ernst  v.  P.,  spfiter  Landrat  des  Kreises  Cottbus. 

»)  Gorce,  W  v.  Warschau. 

8)  Wawrzyszew,  NNW  v.  Warschau. 


282  Ernst  von  Schönfeidt. 

zum  Ausschlag  der  Sache  beigetragen  1).  Das  Regiment  Hollwede 
und  die  Dragoner  v.  Frankenberg  sollen  schrecklich  brav  gethan 
haben.  Die  Action  machte  Götzen  und  den  Truppen,  die  dabei  ge- 
wesen sind,  wirklich  viel  Ehre,  nur  schade,  dass  wir  jetzt  manchen 
braven  Kerl  mehr  hätten,  wenn  wir  vor  4  Wochen  klüger  gewesen 
wären.  Diesen  Morgen  ward  die  Vorstadt  von  Warschau  aus  den 
Batterien  bei  Wola  auch  mit  glühenden  Kugeln,  jedoch  ohne  Wirkung, 
beschossen.  Den  28.  des  Morgens  mosste  das  1.  Bataillon  v.  Bonin 
eine  Redoute,  die  man  so  ziemlich  verlassen  glaubte,  angreifen,  allein 
wider  Vermuthen  war  sie  sehr  stark  besetzt.  Der  Angriff  gelang  in- 
zwischen doch,  allein  die  Pohlen  kamen  mit  frischen  Truppen  zurück 
und  griffen  das  Bataillon  von  neuem  an ;  es  wehrte  sich  entsetzlich, 
war  aber  genöthigt,  nachdem  es  sich  gänzlich  verfeuert  hatte,  mit  dem 
ßayonet  durchzuschlagen,  und  von  den  braven  Kerls  kamen  kaum 
76  zurück.  An  den  beiden  Tagen,  dem  26.  und  28.,  sind  von  diesem 
Bataillon  5  Offiziere  tot  und  8  blessiert,  worunter  sich  auch  der  Kom- 
mandeur des  Regiments,  der  Oberst  v.  Treuenfels  befindet.  Der 
Genera]  Götz  griff  zwar  die  Redoute  von  neuem  an,  nahm  sie  auch 
und  eroberte  1  Kanone,  allein  der  Vortheil,  den  man  dadurch  er- 
langt hat,  ist  gegen  den  Verlust  sehr  unproportzioniert.  Da  die  Re- 
gimenter vom  Götzischen  Corps  sehr  gelitten  hatten,  so  musste  unser 
Regiment,  die  Grenadiere  von  Ruits  und  2  Bataillons  von  Anhalt  auf- 
brechen und  das  Regiment  Bonin  und  Hollwede  und  die  Grenadiere  von 
Anhalt  beim  Götzschen  Corps  ablösen.  Uns  steht  also  noch  der  Sturm 
auf  Mariemont  bevor,  von  wo  aus  wir  Warschau  zu  erreichen  hoffen. 

Den  4.  Sept.  Ich  war  neulich  so  schrecklich  müde  und  konnte 
nicht  weiter  schreiben,  indem  ich  mir  vornahm,  meinen  Brief  den 
folgenden  Tag  fortzusetzen;  allein  seit  dieser  Zeit  habe  ich  nicht 
ein  Kleidungsstück  von  meinem  Leibe  gelegt,  indem  ich  5  Tage  und 
5  Nächte  ununterbrochen  unterm  Gewehr  gelegen  habe.  Du  kannst 
Dir  also  denken,  wie  wohl  mir  ist,  da  wir  heute  Nacht  Ruhe  gehabt 
haben,  das  heisst,  wir  sind  angezogen  in  unserem  Zelt  gewesen  und 
nur  einmal  in  der  Nacht  ins  Gewehr  gejagt  worden. 

Seit  dieser  Zeit  haben  sich  die  Dinge  gewaltig  verändert.  Da 
Nachrichten  eingelaufen  sind,  dass  bedenkliche  Unruhen  in  Süd- 
preussen  ausbrechen,  so  ziehen  wir  ab,  wie  die  Katz  vom 
Taubenschlag,  welches  wahrscheinlich  in  der  Nacht  vom  5. 
zum  6.  geschehen  wird.  Morgen  früh  besetzt  das  Regiment  noch 
die  Trencheen  und  ist  wahrscheinlich  dazu  bestimmt,  den  Rückzug 
der  Armee  zu  decken.  Diese  Diversion  macht  uns  einen  gewaltigen 
Strich  durch  die  Rechnung,  denn  nun  haben  wir  kommendes  Jahr 
gewiss  wieder  eine  Campagne,  indem  man  sagt,  dass  der  König  fest 
entschlossen  sei,  seinen  Plan  zu  verfolgen.  Die  Geschichte  mit 
Warschau  kostet  uns  bis  jetzt  ca.  1200  Todte  und  Blessierte.     Es  ist 


J)  Holzendorff  erhielt  hierfür  den  Orden  pour  le  merite. 


Aus  bewegter  Zeit.  283: 

wahr,  es  sind  verschiedene  Fehler  vorgefallen,  die  aber  bei  Gott 
den  Regimentern  nicht  können  zur  Last  gelegt  werden,  denn  bei 
allem,  wozu  die  Truppen  hier  gebraucht  worden,  haben  sie  sehr 
viel  Bravour  gezeigt.  Wir  haben  aber  auch  gesehen,  dass  Kosciuszko- 
den  Pohlen  zu  einem  ganz  anderen  Soldaten  gemacht  hat,  als  für 
welchen  er  bis  jetzt  durchgehend  ist  gehalten  worden.  Es  ist  eilt 
sehr  grosser  Wagemuth,  dass  der  König  unternommen  hat,  gegen  ein 
verschanztes  Lager  mit  ungefähr  30000  Mann,  inclusive  denen  Russen,, 
zu  approchieren,  das  von  60 — 70  000  Mann  vertheidigt  wird.  Kosciuszkoa 
seine  Retranchements  sollen  wie  eine  neue  reguläre  Festung  sein 
und  diejenigen,  die  wir  eingenommen  haben,  sind  sehr  zu  be- 
wundern. Auf  eine  bewunderungswürdige  Art  weiss  er  das  Terrain- 
zu  benutzen,  und  es  ist  nicht  ein  Werk,  das  nicht  von  einem  anderem 
eine  nachdrückliche  Defension  erhielte.  Man  hält  ihn  mit  vielen* 
Recht  für  einen  der  grössten  Männer  seiner  Zeit.  Um  wieder  aufs 
vorige  zu  kommen.  Den  31.  des  Morgens  wurde  der  linke  Flügel 
von  unserem  Corps,  der  aus  dem  Bataillon  v.  Oswald  und  t  Ba- 
taillon v.  Anhalt  besteht,  förmlich  bei  dem  Dorfe  Wawrzitze *) 
attaquiert,  während  das  Dragoner-Regiment  v.  Frankenberg,  welches 
zwischen  gedachten  Bataillons  und  dem  langen  Berge  steht,  en  front 
angegriffen  wurde.  Unser  Bataillon  musste  zum  Soutien  dorthin 
eilen,  und  nach  einem  anderthalb  Stunden  langen  kleinen  Gewehr- 
feuer wurden  sie  zurückgeschlagen.  Unser  Verlust  besteht  in  3. 
Offiziers  und  ohngefähr  80  bis  100  Todten  und  Blessierten.  Durch 
ein  schrecklich  Kanonenfeuer  suchten  sie  den  Soutien  abzuhalten» 
welches  aber  doch  ohne  Wirkung  war. 

Heute  ist  das  Regiment  Hollwede  wieder  hier  eingerückt,  un  d 
dagegen  das  Regiment  Ruits  nach  Wola  marschiert.  Hollwede  hat 
den  26.  und  a8.  nicht  mehr  wie  7  Offiziers  todt  und  9  blessiert.  Die 
letzte  Zeit  über  haben  die  Pohlen  heftige  Ausfälle  auf  unsere 
Trencheen  gethan,  die  jedoch  mehrentheils  abgeschlagen  worden  sind,. 
bis  auf  3  Haubitzen,  die  sie  beim  1.  Bataillon  v.  Klinkowstroem  ver- 
nagelt hatten,  jedoch  sind  sie  dadurch  nicht  unbrauchbar  geworden. 

Karl,  Waldow,  Winning  u.  Brünnow  lassen  Dich  grüssen,  letzter 
ist  bei  die  Ingenieurs  angestellt.  Übrigens  sind  wir  noch  frisch  und 
gesund. 

Da  ich  nicht  weiss,  ob  ich  noch  so  viel  Zeit  haben  werde,  den. 
Eltern  zu  schreiben,  so  theile  doch  diesen  Brief  so  bald  als  mögliche 
dem  Vater  mit,  nebst  der  Bitte,  es  mir  ja  nicht  zuzurechnen,  dass  ich 
selbst  nicht  schreibe.  Sobald  als  ich  ein  paar  Stündchen  übrig  habe,, 
werde  ich  es  ohnverzüglich  thun.  Ich  würde  ihnen  heute  geschriebea 
haben,  wenn  ich  diesen  Brief  nicht  schon  angefangen  hätte. 

Leb  wohl,  mein  lieber  Bruder,  vielleicht  sehen  wir  uns  kom- 
mendes Jahr  auf  diesem  Fleck.    Ich  bin  Dein  guter  Bruder  Wilhelm. 


»)  Vgl.  8.  aBi  Anm.  3. 


-284  Ernst  von  Schönfeldt 

Beim    Corps    des    Gen.-Maj.   v.   Frankenberg    im   Lager    bei 

Sucharczew1),  den  21.  Sept. 

Bester  Vater !  Ihr  gütiges  Schreiben  nebst  der  Wäsche  haben 
wir  den  19.  huj.  richtig  erhalten,  wofür  wir  Ihnen  gehorsamst  danken. 

Dass  die  Belagerung  förmlich  aufgehoben  worden,  wird  wahr- 
scheinlich bei  Ihnen  schon  etwas  Altes  sein,  hoffentlich  werden 
Sie  es  auch  aus  meinem  Brief  an  Ernsten  und  der  Tante  ersehen, 
welchen  ich  gebeten  habe,  sie  Ihnen  mitzutheilen.  Karl  hat  mir 
gesagt,  dass  er  Ihnen  im  Lager  auf  dem  langen  Berge  geschrieben 
habe,  ich  habe  also  diese  Zeit  benutzt,  beiden  Ersteren  Nachricht 
von  uns  zu  geben.  Damit  Sie  sich  diese  famose  Belagerung  etwas 
deutlicher  vorstellen  können  habe  ich  unsere  Position  und  Werke, 
sowie  Kosciuszkos  ungefähre  Stellung  aufgezeichnet2).  Die  Affaire 
auf  dem  langen  Berge  wird  Ihnen  ebenfalls  schon  bekannt  sein,  so 
wie  die  Attaquen  vom  28.  auf  die  beiden  Schanzen  zwischen  dem 
Paradies  des  Dames  und  Mariemont  Diese  letzteren  haben  schreck- 
lich viel  Menschen,  vorzüglich  dem  1.  Bataillon  v.  Bonin  und  dem 
Regiment  Hoilwede,  gekostet.  Letzteres  hat  beide  Schanzen,  nach- 
dem sie  schon  vorher  von  den  Schützen  waren  genommen  worden, 
3  mal  wieder  genommen,  sich  3  mal  gänzlich  verfeuert  und  mit 
dem  Bayonet  durchschlagen  müssen,  bis  endlich  das  1.  Bataillon 
v.  Bonin  die  Schanze  Nr.  1  mainteniert  hat.  Das  brave  Regiment 
Hoilwede  hat  aber  einen  Verlust  an  diesen  beiden  Tagen  von 
7  Offiziers  todt,  9  blessiert  und  600  Unteroffiziere  und  Gemeine  todt 
und  blessiert  gehabt.  Da  die  Regimenter  vom  Goetzschen  Korps 
sehr  gelitten  hatten,  so  musste  den  20.  unser  Regiment  das  Rgt. 
Ruits,  die  Regimenter  v.  Bonin  und  Hoilwede  auf  dem  langen 
Berge  ablösen.  Diese  Zeit  über  bis  zum  Abmarsch  haben  wir 
schreckliche  Fatiguen  gehabt,  indem  wir  24  Stunden  in  den 
Trencheen  beim  Paradies  des  Dames  oder  sogenanntem  rothen 
Hause  liegen  mussten  und  24  Stunden  immer  unterm  Gewehre  auf 
dem  langen  Berge  standen,  wo  denn  der  grösste  Theil  vom  Re- 
giment immer  auf  Arbeit  war.  Da  diese  Zeit  über  der  Feind 
häufige  Ausfälle  that,  so  mussten  wir  daher  aufs  möglichste  wachsam 
sein.  Den  30.  August  machte  er  2  falsche  Attaquen  rechts  dem 
rothen  Hause  und  auf  der  Redoute  bei  Wawrzitze,  einen  Haupt- 
.angriff  aber  links  diesem  Dorfe  auf  das  Bataillon  Oswald,  wo  er 
-den  linken  Flügel  des  Goetzischen  Korps  zu  tournieren  suchte, 
indem  die  feindliche  Kavallerie  die  300  Kosacken  übern  Haufen 
warf,  um  uns  im  Rücken  zu  kommen.  Das  2.  Bataillon  v.  Anhalt 
aber,  welches  hinter  der  Redoute  stand,  setzte  sich  links  dem  Dorfe 
en  flanque  und  unterstützte  so  unsere  Kavallerie  vom  linken  Flügel, 
die  die  feindliche    wieder  zurückwarf.    Da  das   Gefecht  hartnäckig 


J)  Sochaczew. 
9)  s.  Seite  265. 


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286  Ernst  von  Schönfeldt. 

ward,  so  musste  unser  Bataillon  nach  Wawrzitze  zum  Soutien  eilen, 
welches  sie  zwar  durch  eine  heftige  Kannonade  aus  den  Batterien 
am  Walde  zu  verhindern  suchten,  allein  als  wir  nahe  genug  zum 
kleinen  Gewehrfeuer  kamen,  zogen  sich  der  Feind  mit  einem  be- 
trächtlichen Verlust  zurück.  Unser  Verlust  bestand  an  Todten  und 
Verwundeten  in  3  Offiziers  vom  Batl.  Oswald  und  zwischen  90  bis 
100  Gemeinen.  Vom  Bataillon  ist  nur  1  Schütze  durch  eine  Kar- 
•dätschenkugel  geblieben. 

In  der  Nacht  vom  5.  zum  6.  ward  die  Belagerung  aufgehoben ; 
-der  König  ging  diesen  Tag  nur  bis  Radczin  zurück,  wo  er  so  lange 
stehen  blieb,  bis  das  schwere  Geschütz,  das  Lazareth  und  die 
Bäckerei  völlig  zurück  waren,  und  ist  den  9.  bis  in  die  Gegend  von 
Rawa  gegangen,  wo  die  Armee  jetzt  kampiert.  Das  Götzsche  Corps 
deckte  den  Rückzug  des  Königs  und  ging  diesen  Tag  bis  Blonin, 
wo  unser  General  das  Kommando  übernahm  und  mit  1  Bataillon 
Hollwede,  unseren  beiden  Musketier  Bataillonen  und  5  Eskadrons 
v.  Brückner  den  8.  ein  Lager  zwischen  Lowicz  und  Sucharczew 
bei  Potocki  zur  Deckung  der  Bzurra  bezog.  Unsere  Grenadiers 
besetzten  Lowicz,  die  Grenadiers  v.  Hollwede  Sucharczew  und 
1  Bataillon  v.  Hollwede  in  Leczyca1). 

Die  Ursachen  des  Rückzugs  sind  wohl  unbezweifelt  bedenk- 
liche Unruhen  in  Süd-Preussen,  die  bei  dem  jetzigen  Umstände  um 
so  mehr  gefährlich  sind2).  Ein  Riesenwerk  bleibt  es  immer,  welches 
der  König  unternahm,  mit  ohngefähr  36000  Mann,  inclusive  den 
Russen,  gegen  Retranchements  zu  approchieren,  die  von  60000  Mann 
regulären  Truppen  und  ebensoviel  Warschauer  Bürgern  und  Piek- 
und  Sensen-Bauern  vertheidigt  wurden.  40000  Russen  unterm  Ge- 
neral Derfelde  sollten  zwar  schon  den  ia.  Juli  auf  der  anderen 
Seite  von  Warschau  erscheinen,  allein  bei  unserm  Rückzuge  waren 
sie  noch  bei  Grodno,  40  Meilen  von  Warschau.  Die  Armee  hat 
beständig  sehr  brav  gethan,  allein  Fehler  sind  vorgegangen,  die 
unerhört  sind.  Als  wir  bei  Oppalin  standen,  hatten  wir  den  langen 
Berg  besetzt,  wir  verliessen  ihn  aber,  als  wir  den  27.  July  bei  Wola 
vorrückten,  ohne  daran  zu  denken,  dass,  wenn  der  Feind  sich  auf 
selbigem  festsetzte,  er  unsere  Trencheen  bei  Wola  flankierte.  Dies 
geschah  denn  auch;  um  diesen  Fehler  zu  redressieren,  geschahen 
die  Attaquen  vom  26.  und  28.,  wo  wir  so  manchen  braven  Kerl 
hätten    ersparen    können.     Es    ist   unerhört,    wie    der    Charletan 


>)  Leczyca,  Woiwodschaft  Masovien,  Kr.  Leczyca. 

a)  Wenn  die  preussischen  Unruhen  auch  den  Äusseren  Anstoss  zur  Aufhebung 
der  Belagerung  gaben,  90  war  doch  wohl  der  Hauptgrund  der,  dass  der  König  die  Ab- 
neigung der  Russen,  ihn  tatkräftig  zu  unterstützen,  bemerkte.  Es  lag  nicht  im  russischen 
Interesse,  dass  Warschau  von  den  Preussen  genommen  würde;  hfttte  der  König  auf 
energisches  Haudeln  seiner  Verbündeten  rechnen  können,  so  hfitte  er  wohl  nicht  die  Be- 
lagerung im  letzten  Augenblick  aufgegeben. 


Aus  bewegter  Zeit.  287 

Pontanus1),  der  die  Belagerung  eligerirte,  mit  unsern  Knochen 
gespielt  hat;  wir  haben  sehr  oft  Arbeiten  des  Nachts  einreissen 
müssen,  die  wir  die  Nacht  vorher  gemacht  hatten.  Sie  können  sich 
-dieses  vorstellen,  wenn  ich  Ihnen  versichere,  dass  er  die  Trencheen 
bei  Gurze  iaoo  Schritt  vor  den  feindlichen  Batterien  aufwerfen 
sollte,  sie  aber,  wie  wir  am  Tage  sahen,  2400  Schritt  davon  entfernt 
waren.  Ein  armer  Ingenieur-Capitän  musste  daran  Schuld  sein, 
der  auch  deswegen  4  Wochen  in  Arrest  sass. 

Besorgnisse  wegen  Mangel  an  Unterhalt  haben  uns  nicht 
2um  Rückzuge  bewogen,  denn  in  den  Magazinen  von  Radczin, 
Sabiawola2)  und  Mrzanow8)  ist  noch  Vorrath  an  Mehl  und  Fourage 
auf  2  Monat  gewesen,  welches  grösstenteils  wegen  Mangel  an  Fuhr- 
werk hat  verdorben  werden  müssen. 

Im  Lager  bei  Potocki  haben  wir  uns  nur  einer  kurzen  Ruhe 
erfreut.  Um  Ihnen  unsere  Stellung  anschaulicher  zu  machen,  so 
erfolgt  auch  ein  leichter  Abriss  von  der  Pzurra4).  Unser  General 
hat  die  Ordre,  die  Pzurra  zwischen  Lowicz  und  Sucharczew  zu 
decken  und  das  Magazin  in  Kaminionne5)  mit  60  Mann  zu  besetzen. 
Sucharczew  ist  von  Lowicz  3  Meilen  und  von  der  Weichsel  2  und 
1!2  Meile.  Der  General  besetzte  also  jeden  Ort  mit  1  Bataillon  und 
blieb  mit  den  übrigen  in  der  Mitte,  um  beide  örter  besser  unter- 
stützen zu  können,  und  detachierte  2  Offiziers  und  60  Mann  nach 
Kaminionne,  wie  Sie  aus  der  Zeichnung  ersehen  werden,  und  be- 
setzte die  Dörfer  an  die  Pzurra  mit  die  Schützen.  Sie  werden  den 
groben  Fehler  leicht  einsehen,  dass  man  in  Kaminionne,  dicht  an 
der  Gränze,  ein  starkes  Magazin  von  Salz,  Mehl  und  Hafer  unter 
einer  Bedeckung  von  nur  60  Mann  Hess.  Der  General  zeigte  dies 
an,  aber  ehe  der  Bescheid  zurück  war,  hatte  den  13.  der  Feind,  wie 
es  nicht  anders  kommen  konnte,  40000  Mann  stark,  das  Commando 
nach  einer  tapferen  Gegenwehr  aufgehoben,  das  Magazin  weg- 
genommen und  machte  den  14.  Miene,  Sucharczew6),  das  mit  dem 
sehr  geschwächten,  ohngefähr  200  Mann  starken  Grenadier  Bataillon 
v.  Hollwede  besetzt  ist,  zu  attaquiren7).  Unser  Bataillon  mit 
150  Pferden  musste  also  in  aller  Eil  zum  Soutien  eilen.  Unsere 
missliche  Lage  können  Sie  sich  vorstellen,  da  der  Feind,  der  seine 


*)  Die  Belagerungsarbeiten  hatte  zuerst  Oberst  v.  Freund  geleitet,  der  aber 
abberufen  wurde,  „da  er  hier  nicht  zu  brauchen  ist",  wie  der  König  schrieb.  Sein 
Nachfolger,  der  Art.-Major  Pontanus  scheint  nicht  besser  gewesen  zu  sein.  (s.  auch 
„Denkwürdigkeiten  und  Erinnerungen  des  den.  Feldmarschalls  Hermann  v.  Boyen"). 

*)  Zabiawola,  Kreis  Btonie. 

*)  Mszczonow,  Woiwodschaft  Masovien,  Kreis  Blonie. 

<)  Karl  schrieb  Bzurra,  Wilhelm  oft  Pzurra. 

*)  Kamion,  Kreis  Sochaczew. 

*)  Sochaczew. 

?)  Der  Zweck  dieses  feindl.  Durchbruchs  war  der,  die  Verbindung  mit  deu 
Insurgenten  in  Sadpreussen  aufzunehmen  und  dafür  zu  sorgen,  dass  der  Aufstand  an 
der  unteren  Weichsel  nicht  einschliefe. 


288  Ernst  von  Schönfcldt 

Vorposten  nur  V2  Meile  von  uns  hat,  Ober  die  Pzurra  war  und  uns 
so  von  allen  Seiten  angreifen  konnte.  Das  Bataillon  blieb  also  auf 
dieser  Seite  der  Pzurra,  um  Sucharczew  von  dieser  Seite  zu 
decken.  Den  16.  wurden  Madalinsky  und  Dombrowsky,  die  bei 
Kaminionne  standen,  mit  dem  General  Sajunschek  *)  und  10  000  Mann 
verstärkt.  Madalinsky  und  Dombrowsky  marschierten  aber  in 
3  Kolonnen,  ohngefähr  6000  Mann  stark,  nach  Gombin*)  und  stehen  uns 
also  im  Rücken,  Sajunschek  hat  mit  8000  Mann  Kaminionne  besetzt, 
Blonnin  ist  schon  besetzt  gewesen  und  ist  den  19.  mit  5000  Mann 
verstärkt  worden.  Auf  dem  Rapport  des  Generals  ist  er  den  19.  mit 
dem  Regiment  Alt-Schwerin,  dem  1  Bataillon  v.  Hollwede,  welches 
in  Lenschiz  stand,  und  5  Eskadrons  Husaren  verstärkt  worden 
und  soll  Kaminionne  wieder  nehmen.  Er  hat  also  Lowicz 
mit  2  Bataillons  Alt -Schwerin  besetzt  und  unsere  Grenadiers 
und  das  1.  Bataillon  v.  Hollwede  bei  Potocki  an  sich  gezogen. 
Heute  Abend  will  er  mit  diesen  4  Bataillons  und  10  Eskadrons 
zu  uns  stossen,  und  morgen  haben  wir  wahrscheinlich  eine 
Action  bei  Kaminionne.  Ich  will  also  hier  schliessen  und  hoffe, 
morgen  oder  übermorgen  Ihnen  wichtigere  Nachrichten  mittheilen  zu 
können.  Gelingt  unser  Angriff,  so  wird  er  uns  wirklich  viel  Ehre 
machen,  da  wir  kaum  halb  so  stark  sind,  im  Gegentheil  kann  es  uns 
nie  Schande  machen,  der  Obermacht  weichen  zu  müssen. 

Karl  hat  mich  den  18.  besucht;  er  ist  so  wie  ich  noch  frisch 
und  gesund  und  lässt  sich  Ihnen  vielmals  empfehlen.  Meine  Pferde 
sind  noch  im  besten  Stande.  Meinen  Wagen,  der  ziemlich  ruiniert 
war,  habe  ich  gegen  einen  recht  guten,  leichten,  beschlagenen  ver- 
tauscht und  6  Th.  16  Groschen  zugegeben.  An  meinen  Unterkleidern 
und  Stiefeln  bin  ich  ganz  und  gar  abgerissen  und,  sobald  wir  etwas 
Ruhe  haben,  muss  ich  mich  völlig  neu  equipieren;  auch  mein  Über- 
rock ist  nur  noch  ein  Spinnengewebe.    Nächstens  ein  Mehreres. 

Im  Lager  bei  Kaminionne,  den  29.  Sept.  Da  Nachrichten  ein- 
gegangen, dass  Dombrowsky  nach  Lenczyc  und  Madalinsky  über 
Kuttnow3)  nach  Klodawa4)  gegangen  sei,  so  ward  aus  dem  inten- 
tionierten  Angriff  nichts.  Den  22.  kamen  durch  unsere  Patrouillen 
die  Nachrichten  ein,  dass  der  Feind  Kaminionne  verlassen  und  nur 
eine  Kavallerie  Feldwache  zurückgelassen  habe:  wahrscheinlich  sind 
Russen  gegen  Warschau  im  Anmarsch,  denn  auch  von  Blonnin 
sollen  einige  Tausend  Mann  zurückgegangen  sein.  Der  General 
Frankenberg  detachierte  also  den  25.  unser  1.  Bataillon  unter  unsenn 
Obristen  aus  dem  Lager  bei  Potocki,  den  Posten  bei  Kaminionne 
zu  besetzen  und  die  Communication  mit  Wyszogrod  wieder  zu  er- 


])  ZaJ4C7ek. 

*)  Woiwodschaft  Masovien,  Kreis  Gostynin. 
*)  Kutno,  Woiwodschaft  Masovien,  Kr.  Orlöw. 
')  Ebendort   Kr.  L^czyca. 


1* 


289 

Den  8.  rückte  da  s  Gren.  Batl. 
v.  Frankenberg  in  Lowicz  ein, 
j.  und  2.  Batl.  v.  Frankenberg 
bezogen  ein  Lager  zwischen 
Potocki  und  Adl.  Kozlow,  sowi  e 
auch  das  2.  Batl.  v.  Hollwede 
und  5  Eskadrons  v.  Brückner. 

Den  16.  rückten  das  2.  Batl. 
v .  Frankenberg  und  100  Pferde 
v.  Brückner  bei  Sucharczew 
ins'Lager  zumSoutien  des  Gren. 
Batl.  v.  Hollwede. 

Den  20.  rückten  das  i.und  2. 
Batl.  Grf .  v.  Schwerin  in  Lowicz 
ein,  und  das  1.  Batl.  v.  Hollwede, 
das  Gren.  Batl.  Grf.  v.  Schwerin 
und  das  Gren.  Batl.  v.  Franken- 
berg rückten  ins  Lager  bei  Po- 
tocki, 4  Eskadrons  v.  Württem- 
berg in  Adl.  Kozlow  und  1  Esk. 
bei  Sucharczew. 

Den  25.  rückte  das  1.  Batl. 
v.  Schwerin  ins  Lager  bei  Po- 
tocki,das  1.  Batl.  v.  Frankenberg 
ins  Lager  bei  Sucharczew,  und 
den  26.rückten  die  2  Musketier 
Bat!.,  100  Pferde  und  6 Kanons 
ins  Lager  bei  Kaminionne. 

Es  stehen  also  gegenwärtig : 

Das  2.  Batl.  Grf.  v.  Schwerin 
in  Lowicz,  die  Gren.  Bads.  Grf. 
v.  Schwerin  und  v.  Franken- 
berg, das  1.  und  2.  Batl. v. Holl- 
wede, das  1.  Batl.  Grf.  v.  Schwe- 
rin, 5  Esk.  v.  Brückner  und 
4  Esk.  v.  Würtemberg  bei  Po- 
tocki, das  Gren.  Batl.  v.  Holl- 
wede in  Sucharczew,  das  1. 
und  2.  Batl.  v.  Frankenberg  und 
1  Esk.  v.  Würtemberg  bei  Ka- 
minionne. 

K  o  m  p  i  n ,  Adl.  Kozlow, 
Bischöflich  Kozlow.  Trojanow, 
Witkowitza  und  Kaminionne 
sind  mit  Schützen  und  me- 
lierte Infanterie  und  Kavallerie 
Commandos  besetzt. 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.    für  die 
Prov.  Posen.    Jah    .  XIX.  19 


39°  Ernst  von  Schönfeldt. 

Offnen.  Den  a6.  des  Morgens  zog  unser  Oberst  unser  Bataillon  und 
ioo  Pferde  bei  Sucharczew  an  sich  und  marschierte  dorthin.  Auf 
dem  Marsch  wurden  wir  unaufhörlich  vonpollnischen  Flankeurs  be- 
unruhigt, und  kurz  vor  Kaminionne  stand  jenseits  der  Pzurra  eine 
Linie  Cavallerie  aufmarschiert,  die  Miene  machte,  durch  den 
seichten  Fluss  zu  setzen,  um  unsere  Manövers  zu  betrachten.  Der 
Oberst  liess  einige  Kanonenschüsse  auf  sie  thun,  worauf  sie  sich 
eiligst  zurückzogen,  und  wir  bezogen  ein  Lager  auf  den  Höhen 
links  Kaminionne.  In  diesem  Dorfe  haben  wir  noch  einiges 
Getreide,  Mehl,  Salz  und  Fourage  gefunden,  welches  der  Feind 
nicht  hat  fortbringen  können.  Kaminionne  ist  mit  80  Schützen  und 
100  Pferden  unterm  Major  v.  Kirstenau  v.  Würtemberg  besetzt,  und 
die  Brücke  bei  Witkowitze1)  ist  mit  1  Offizier  und  30  Mann  von  uns 
besetzt,  welches  Commando  alle  24  Stunden  abgelöst  wird.  Vor- 
gestern bin  ich  dort  auf  Commando  gewesen,  und  durch  meine 
Patrouillen  habe  ich  die  Nachricht  eingezogen,  dass  die  Pohlen  von 
den  Russen  sollen  total  geschlagen  worden  sein,  und  dass  in  der 
Nacht  vom  37.  zum  38.  sich  eine  pollnische  Patrouille  durch  die 
Pzurra  geschlichen  hat,  die  von  Madalinsky  zurückgekommen  ist 
und  ihm  die  Ordre,  sich  sobald  als  möglich  zurückzuziehen,  über- 
bracht haben  soll,  da  Warschau  von  den  Russen  bedroht  wird. 
Wenn  dieses  begründet  ist,  so  möchte  es  hier  wohl  bald  ruhig 
werden.  Die  Berge,  auf  die  wir  hier  stehen,  werden  durch  Ver- 
schanzungen zu  einem  haltbaren  Posten  gemacht,  es  ist  daher  zu 
vermuthen,  dass  wir  bis  im  Winter  hier  werden  stehen  bleiben. 

Der  General  Favrat  hat  das  Commando  übers  Schönfeldtsche 
Corps  übernommen,  da  letzterer,  kränklicher  Umstände  halber, 
zurückgegangen  ist.  Unser  General  hat  vom  Könige  ein  sehr 
schmeichelhaftes  Schreiben  über  seine  Massregeln  erhalten  und,  es 
ist  sonderbar,  Tags  darauf  die  Ordre,  das  Commando  übers  Corps 
dem  General  Klinkowstroem  zu  übergeben.  Oberhaupt  gehen  jetzt 
von  Seiten  der  Adjutantur  Sachen  vor,  die  unglaublich  sind,  ich 
mag  sie  dem  Papier  nicht  anvertrauen,  aber  mündlich  werde  ich  es 
Ihnen  mit  der  Zeit. 

Der  General  Schwerin  steht  mit  6  Bataillons  bei  Rawa  und 
hat  das  ganze  Belagerungsgeschütz  noch  bei  sich,  welches,  da  es 
nicht  bespannt  ist,  indem  es  in  aller  Eil  nach  Warschau  beordert 
ward,  nicht  mobil  hat  gemacht  werden  können. 

Der  Unteroffizier  Falsch  aus  Radensdorf8)  ist  noch  frisch 
und  gesund. 

Was  das  Briefporto  anbetrifft,  so  gehen  auf  Befehl  des  Königs 
Soldaten-  und  Unteroffizier-Briefe  frei,  allein  Offiziers  Briefe  keines- 
wegs.   Auch  werden  Offiziersbriefe  mit   der   Signatur   »Soldaten- 

')  Witkowitze,  ebendort,  Kxeis  Suchacrow. 
*)  Im  Kreise  Kalau  oder  Lttbben. 


Aus  bewegter  Zeit.  291 

Sachen"  nicht  angenommen.  Meiner  guten  Mutter  bitte  ich  meine 
kindliche  Hochachtung  zu  versichern.  Karolinen  küsse  ich  in  Ge- 
danken und  bin  unausgesetzt  Ihr  gehorsamer  Sohn  W.  v.  Pannwitz. 
NB.  Der  Lt.  Suhm  hat  nur  durch  eine  kleine  Gewehrkugel 
-eine  leichte  Contusion  am  Fuss  bekommen,  die  ihn  jedoch  nicht  ge- 
hindert hat,  seinen  Dienst  zu  thun.  Sonst  ist  kein  Offizier  vom 
Regiment  blessiert. 

Lager  bei  Kaminionne,  den  26.  Oktober  94 
Bester  Vater!  Bis  zum  19.  dieses  Monats  war  ausser 
«ein  paar  kleinen  Vorposten  Gefechten  unter  unseren  Schützen 
und  polinischen  Jägern,  wobei  erstere  wirklich  viel  Bravour 
zeigten,  nichts  erhebliches  vorgefallen;  an  diesem  Tage  aber 
wurden  wir  des  Morgens  um  5  Uhr  durch  ein  paar  kleine 
Gewehrschüsse,  worauf  sogleich  ein  paar  feindliche  Kanonen- 
schüsse folgten,  ins  Gewehr  gejagt.  Ohnmittelbar  darauf  fing 
*m  engagiertes  Feuer  im  Dorfe  Kaminionne,  welches  ohngeffthr 
1500  Schritt  von  unserem  linken  Flügel  entfernt  ist  und  mit  80 
Schützen  und  50  Pferden  besetzt  war,  an.  Unser  Kommandeur  des 
Bataillons,  der  Oberstl.  Schaetzel,  commandierte  mich  sogleich  mit 
40  Mann  und  2  Unteroffiziers  zum  Soutien  der  Schützen  nach  Kaminionne. 
Als  ich  gegen  das  Dorf  Kamion1)  kam,  begegnete  ich  schon  einem 
Trupp  unserer  Schützen  und  den  50  Pferden,  indem  sich  der  Feind, 
der  ohngefähr  4000  Mann  stark  sein  mochte,  schon  des  Dorfes  be- 
mächtigt hatte.  Ich  postierte  mich  also  auf  einer  kleinen  Anhöhe, 
um  den  Rückzug  der  Schützen  zu  unterstützen.  Da  ich  aber  ohn- 
mittelbar darauf  den  Schützenhornisten  im  Dorfe  blasen  hörte  und 
daher  vermuthete,  dass  die  Schützen  des  1.  Bataillons  sich  noch 
darin  hielten,  so  beschloss  ich,  ins  Dorf  einzudringen,  um  wo  möglich 
mich  mit  selbige  zu  vereinigen.  Den  Eingang  des  Dorfes  fand  ich 
mit  Jägern  besetzt,  diese  warfen  meine  Leute  incontenente  zurück, 
und  ich  avancierte  bis  mitten  ins  Dorf  gegen  einen  grossen  Salz- 
schuppen. Dort  fand  ich  eine  Linie  aufmarschiert,  an  welche  ich  in 
der  Finsterniss  bis  auf  20  Schritt  herangekommen  war.  Da  ich 
zweifelhaft  war,  dass  es  der  Feind  wirklich  sein  möchte,  so  liess  ich 
„Wer  da"  rufen,  worauf  ich  zur  Antwort  „Gut  Freund"  bekam; 
ich  forderte  hierauf  das  Feldgeschrei,  worauf  ich  zur  Antwort  be- 
kam: „Wir  haben's  vergessen".  Noch  immer  in  der  Idee,  dass  es 
doch  möglich  sei,  dass  es  unsere  Leute  sein  möchten,  zog  ich  in 
der  Geschwindigkeit  6  Freiwillige  vor,  um  es  genau  zu  untersuchen. 
Diese  6  braven  Kerls  gingen  dem  Feind  mit  der  grössten  Ent- 
schlossenheit gerade  auf  den  Leib  und  überzeugten  sich,  dass  es 
feindliche  Infanterie  war.  Ich  liess  also  sogleich  einige  Salven  geben, 
worauf  ich  ein  schreckliches  Feuer  aus  allen  Ecken  bekam,  so  dass 


')  Von  hier  ab  wird  der  Ort  immer  Kamion  genannt,  bisher  Kaminionne. 
Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Pro*.  Posen.    Jahrgang:  XIX.  19* 


292  Ernst  von  Schönfeldt 

in  einem  Na  6  Blessierte  um  mich  herum  lagen.  Nachdem  ich 
10  bis  ia  Salven  mochte  gegeben  haben,  bemerkte  ich,  das  meine 
beiden  Flanken  genommen  waren,  und  dass  ich  in  der  linken  mit 
Kardätschen  beschossen  ward.  Ich  formierte  also  in  aller  Eile  ein 
halbes  Quarree  und  gewann  glücklich  den  Eingang  des  Dorfes 
wieder.  Da  inmittelst  der  Feind  mit  Gewalt  in  mich  eindringen 
wollte,  machte  ich  wieder  Front,  und  durch  ein  paar  gut  angebrachte 
Salven  wich  er  wieder  zurück.  Ich  benutzte  diesen  günstigen 
Augenblick  und  gewann  dadurch  meine  Flanque  wieder,  indem  ich 
30 — 40  Schritt  retirierte.  Hier  fand  ich  den  Lt.  v.  Goellnitz  mit 
einem  Trupp  Schützen,  der  einer  ganzen  feindlichen  Linie  Schritt 
vor  Schritt  das  Terrein  streitig  machte.  Ich  vereinigte  mich  mit  ihm 
und  zogen  uns  nun  gemeinschaftlich  völlig  nach  der  Redoute  No.  V 
zurück,  nachdem  wir  noch  4—5  mal  Front  gemacht  hatten  und  die 
uns  verfolgende  Infanterie,  die  mit  Gewalt  eindringen  wollte,  immer 
in  Respect  hielten.  Mein  Verlust  bestand  in  1  toten  Musquetier, 
blessiert  waren  1  Unteroffizier  und  8  Mann,  und  1  Mann  ward  ge- 
fangen. Der  Verlust,  den  ich  dem  Feinde  verursacht  hatte,  ist  stärker 
gewesen,  denn  bei  dem  Salzschuppen  und  auf  dem  Wege,  wo  ich 
meinen  Rückzug  nahm,  sind  nach  der  Action  einige  Tote  gefunden 
worden.  Die  Blessierten  haben  sie  aber  gleich  mitgenommen.  In- 
zwischen war  es  völlig  Tag  geworden,  und  nun  sah  man  den  Feind 
in  verschiedenen  Kolonnen  mit  8  Kanons  und  1  Haubitze  gegen  die 
Redouten  vorrücken.  Nachdem  er  sich  formiert  hatte,  hielt  er  unseren 
rechten  Flügel  en  echec  und  griff  die  Redoute  No.  V  auf  unsere» 
linken  Flügel,  welche  mit  unserer  und  des  Capitän  Hagens  Compagnie 
besetzt  war,  zugleich  en  Front  und  im  Rücken  an  und  versuchte 
3  mal  sie  mit  stürmender  Hand  zu  erobern,  ward  aber  jedesmal 
glücklich  zurückgeschlagen,  welche  Angriffe  er  durch  ein  heftiges 
Kanonenfeuer  aus  allem  seinem  Geschütz  unterstützte.  Um  10  Uhr 
Hess  er  von  seinen  Attaken  ab  und  zog  sich  bei  Kamion,  wo  er 
eine  Brücke  über  die  Bzurra  geschlagen  hatte,  wieder  zurück.  Zu 
gleicher  Zeit  griff  der  Feind  unsern  Aussenposten  an  der  Witkowicer 
Mühle,  den  der  Lt.  Kalben  mit  30  Mann  besetzt  hatte,  300  Mann 
stark  mit  2  Kanons  an.  Kalben  hat  sich  mit  einer  beispiellosen 
Bravour  2  Stunden  lang  gehalten  und  sich  nicht  eher  ergeben,  als 
bis  er  selbst  4  mal  blessiert  war  und  9  Tote  und  3  Blessierte  hatte. 
Der  Rest  ist  mit  ihm  selbst  gefangen  worden,  und  wenn  er  auch 
mit  dem  Leben  davon  kommt,  so  bleibt  er  doch  ein  Krüppel,  denn 
ihm  ist  die  linke  Schulter  und  die  linke  Kniescheibe  entzweigeschossen 
worden,  und  2  mal  ist  er  im  linken  Arm  blessiert.  Er  ist  2  mal 
schon  blessiert  gewesen  und  hat  sich  immer  noch  gewehrt  Unser 
Verlust  an  diesem  Tage  besteht  in  Todten  1  Unteroffizier  und  18 
Gemeinen,  der  ganze  Verlust  an  Todte,  Blessierte  und  Gefangene 
in  1  Offizier,  5  Unteroffiziers    und    73  Gemeine.    Der   Verlust    des 


Aus  bewegter  Zeit.  293 

Feindes  kann  nicht  genau  angegeben  werden,  wahrscheinlich  ist  er 
Aber  ohngleich  stärker,  da  er  alle  Blessierte  mitgenommen  hat  und 
viele  Todte  in  Kamion  begraben  hat.    Gefangen  haben  wir  2  Offiziers 
und  8  Mann  bekommen.    Unter  ersteren  befindet   sich  der  Major 
Hadztewicz1),  Adjutant   beim   Prinzen  Joseph  Poniatowsky,  der  das 
feindliche   Corps   commandierte.     Dieser   Hadztewicz    machte    den 
Angriff  auf  unseren  linken  Flügel  mit  1  Bataillon  des  7.  Regiments. 
Mit  ausserordentlicher  Kühnheit  ritt   er  voran   und   munterte   sein 
Bataillon  auf,    ward    aber    mit  4  Kugeln    zu   gleicher  Zeit  blessiert 
und  ist  auch  bereits  gestorben.    Nach  Aussage   der  Gefangenen   ist 
der  Feind  4000  Mann  stark  gewesen  und  hat  14  Canons  bei  sich  ge- 
llab t,  wovon  er  aber  nur  9  in  Action  brachte.    Unsere  Leute  haben 
diesen  Tag  wirklich    sehr   viel  Bravour    gezeigt.    Sie    haben   keine 
Idee,  mit  welchem  Mut  und  Entschlossenheit  die  40  Mann  von  meinem 
Commando,   wie   ich  Ihnen   oben   erzählt  habe,   auf  den  Feind  los- 
gingen.   Mir  für  meine  Person  ist  es  also  sehr  leicht  geworden,    so 
weit   einzudringen,   und   ihrer  Entschlossenheit   sowie   dem  ausser- 
ordentlich guten  Benehmen  meiner  Unteroffiziers  habe  ich  die  glück- 
liche Retirade   zu  verdanken.    Auf  meinem  Rapport   sind  auch  die 
beiden  Unteroffiziers  und  die  6  Mann,  die  sogleich  freiwillig  hervor- 
sprangen und  den  Feind  recognoscierten,  zu  Medaillen  vorgeschlagen 
-worden.    Die  Ursach,  dass  ich  mich  so  weit  gewagt  hatte,  ist  diese : 
Der  Feind  hatte  den  Waldhornisten    des  1.  Bataillons  gefangen  be- 
kommen; um  uns  also  irre  zu  machen,  hatte  er  ihn  im  Dorfe  Appell 
blasen  lassen ;  ich  konnte  daher  nicht  anders  vermuthen,  als  dass  die 
Schützen  sich  noch  im  Dorfe  hielten,  sonst  wäre  es  garnicht  meine 
Bestimmung  gewesen,  so  weit  zu  gehen.    Karl  ist  frisch  und  gesund, 
er  ist  während  der  Action  ebenfalls  mit  20  Mann  detachiert  geworden, 
aus  einem  Gebüsch  feindliche  Jäger  zu  vertreiben,  und  hat  bei  dieser 
Gelegenheit  eine  ganze  Lage  von  einer  feindlichen  Compagnie  erhalten, 
aber  doch  nur  1  Blessierten   gehabt.    An   diesem  Tage   ist  Suchar- 
czew   ebenfalls   angegriffen  worden,  allein  der  Feind  ist  durch  den 
General  Klinkowstroem,   der   zum  Soutien  dorthin  eilte,   vertrieben 
worden.    Des  Nachmittags    marschierte    der   Oberst  Koeppern    mit 
400  Mann  und  1  Canon   nach  Witkowice,   und  besetzte  den  Posten, 
wo  Kalben  gestanden  hatte,  und  eröffnete  dadurch  wieder  die  Com- 
munication  mit  Sucharczew2). 

Den  20.  des  Abends  kamen  unsere  Grenadiers,  die  bisher  beim 
General  Klinkowstroem  gestanden  hatten,  hier  an,  um  uns  zu  verstärken. 


')  Hadziewicz. 

•0  Durch  das  für  die  Polen  sc  ungünstige  Gefecht  bei  Maciejowice,  in  de« 
Kosciuszko  gefangen  genommen  wurde,  war  Warschau  durch  die  Russen  stark  bedroht* 
E£wurden  also  alle  Kräfte,  deren  man  habhaft  werden  konnte,  herangezogen*  Mad*» 
ttnski  und  Dombrowski,  die  s.  Zt.  so  leicht  Ober  die  Bzurra  gekommen  waren,  fanden 
nun  den  Rückweg  versperrt.  Um  ihnen  tden  Obergang  zu  öffn^n,3unternahm  Joseph 
Poniatowski  diesen  Vorstoss  von^Warschau  aus. 


294  Ernst  von  Schönfeldt. 

Den  ai.  war  alles  ruhig. 

Den  aa.  marschierte  der  Maj.  v.  Manteuffel  mit  aoo  Mann  nach 
Misterschitz  *),  wo  er  a  schwere  6  Pfünder  und  a  Haubitzen  empfing 
und  auf  unsere  Werke  brachte.  Der  Lt.  Lindenau  ward  mit  8  Mann 
nach  Bauern  zum  Schanzen  coramandiert  und  hatte  für  seine  Person 
das  Unglück,  durch  eine  feindliche  Patrouille  vom  Madalinskischen. 
Corps  gefangen  zu  werden.  Er  war  von  seinem  Commando  zu  wek 
vorgeritten  und  bemerkte  nicht  eher  die  Gefahr,  als  bis  sie  ihn  schon 
weg  hatten.  Da  der  Oberst  Nachrichten  erhielt,  dass  das  Madalinski- 
sche  Corps  im  Anmarsch  sei  und  von  die  Generals  Politz,  Jung  v. 
Schwerin,  gedrängt  und  vom  Gen.  Lt.  Grf.  v.  Schwerin  in  die  linke 
Flanke  genommen  wurde,  so  mussten  wir 

den  33.  des  Morgens  um  4  Uhr  auf  die  Werke  rücken,  da  es 
sehr  wahrscheinlich  war,  dass  Poniatowsky  wieder  gegen  uns  was  unter- 
nehmen würde,  um  seinen  Übergang  über  die  Pzurra  zu  erleichtern r 
so  wie  sein  Zweck  wohl  auch  am  19.  war,  sich  durch  die  Eroberung 
des  Postens,  den  wir  besetzt  haben,  mit  Madalinski  zu  vereinigen. 
Um  5  Uhr  rückte  der  Feind  mit  Geschütz  gegen  Kamion  vor  und 
machte  sich  vom  Dorfe  Meister.  Inzwischen  fiel  ein  so  starker 
Nebel,  dass  man  nicht  50  Schritt  weit  sehen  konnte,  allein  unsere 
Schützen-Patrouillen  stiessen,  da  es  Tag  ward,  auf  polinische  Jager,, 
die  sie  verhinderten,  den  Feind  zu  rekognoscieren ;  auch  schlichen 
sie  sich  unter  Begünstigung  des  Nebels  bis  an  die  Schanzen  und  be- 
schossen sie  einzeln.  Um  10  Uhr  fiel  der  Nebel,  und  nun  sah  man 
diesseits  Kamion  ohngefähr  1000  Mann  Infanterie  mit  2  Kanons  und 
1  Haubitze,  und  vor  unserer  Front  ebensoviel  Kavallerie  mit  Inter- 
vallen aufmarschiert.  Letztere  ward  jedoch  in  Kurzem  durch  unser 
Feuer  aus  dem  groben  Geschütz  genötigt,  sich  hinter  Kamion  zurück- 
zuziehen. Erstere  begnügte  sich  anfänglich  blos  uns  zu  kannonieren, 
ward  aber  doch  bald  genötigt,  sich  aus  unserem  Schuss  zu  ziehen. 
Unsere  Schützen  amüsierten  sich  inzwischen  mit  die  feindlichen 
Jäger.  Aus  Wyszogrod,  welches  auf  dem  jenseitigen  Ufer  der 
Weichsel  liegt,  ward  jedoch  der  Feind  kräftig  beschossen.  So  blieb 
der  Feind  bis  des  Nachmittags  um  4  Uhr  stehen,  ohne  das  mindeste 
zu  unternehmen,  als  uns  in  dchec  zu  halten;  dann  zog  er  sich  aber 
wieder  über  die  Bzurra  zurück.  Unser  Verlust  bestand  in  1  todten 
Husaren  und  3  Blessierten  vom  Regiment.  Sucharczew  ist  diesen 
Tag  ebenfalls  mit  der  grössten  Wuth  angegriffen  worden,  allein  das 
brave  Grenadier-Bataillon  v.  Hollwede  hat  rühmlichst  seinen  Posten 
behauptet.  Der  Lt.  v.  Troschke  von  unserem  Grenadier-Bataillon, 
der  mit  30  Mann  kommandiert  war,  die  Brod-  und  Fourage- Wagens 
(Lern   Bataillon   nachzubringen,  ist   eben    dort  gewesen  und  hat  den 


*)  Mistrzewice,  Woiwodschaft  Masovien,  Kr.  Sochacsew. 


* 


Aas  bewegter  Zeit  295 

Platz  vertheidigen  helfen.  Er  hat  aber  das  Unglück  gehabt,  selbst 
blessiert  zu  werden,  und  von  seinem  Commando  sind  5  Mann  todt 
geschossen  und  4  blessiert.  Der  Fähnrich  Morstein  vom  Regiment 
hatte  diesen  Morgen  den  Aussenposten  bei  Witkowice  besetzt,  unter 
Begünstigung  des  Nebels  hat  er  aber  eine  gute  Retirade  gemacht 
und  nur  1  Mann  verloren,  da  er  Tages  vorher  vom  Obristen  die 
Instruction  bekommen  hatte,  sich  bei  Annäherung  des  Feindes  zurück- 
zuziehen.  Alles  dieses  benutzte  Madalinski,  der  inzwischen  heran- 
gekommen war,  und  ging  des  Abends  um  6  Uhr  bei  Witkowice  über 
die  Bzurra.  Dombrowski  wollte  zu  gleicher  Zeit  bei  Sucharczew 
durchgehen,  zu  welchem  Endzweck  der  Feind  diesen  Posten  so 
wüthend  angegriffen  hatte.  Da  er  aber  diesen  Posten  noch  besetzt 
fand,  zog  er  sich  auf  Witkowice  und  passierte  des  Morgens  um 
3  Uhr  diesen  Fluss,  ehe  er  noch  vom  Gen.  Lt.  Schwerin  eingeholt 
werden  konnte. 

Den  24.  des  Morgens  unternahm  der  Oberst  mit  300  Mann,  worunter 
ich  auch  war,  und  1  Canon  eine  Recognoscirung  nach  Witkowice. 
Bei  unserer  Annäherung  erfuhren  wir,  dass  die  dortige  Mühle  und 
Brücke  besetzt  waren.  30  Schützen  von  uns,  die  die  Avantgarde 
machten,  bemächtigten  sich  selbiger  im  vollem  Laufen  und  erbeuteten 
2  Pferde.  Inmitten  folgte  das  Commando  in  vollem  Trab,  konnte 
abef  doch  nicht  verhindern,  dass  die  Besatzung  von  Witkowice 
durch  die  Bzurra  entkam;  unsere  Husaren  machten  4  Gefangene  und 
erbeuteten  2  Pferde.  Durch  einige  Kanonenschüsse  wurden  die 
feindl.  Kavallerie -Vorposten  jenseits  dem  Wasser  vertrieben.  Ich 
musste  inzwischen  mit  1  Peloton  die  Mühle  besetzen  und  die  Brücke 
abwerfen  lassen.  Die  feindlichen  Jäger  suchten  mich  zwar  daran 
zu  verhindern,  ich  erreichte  aber  doch  meinen  Zweck  und  zog  mich 
hierauf  nach  der  Mühle  zurück.  Da  das  diesseitige  Ufer  vom  Feinde 
gereinigt  war,  so  hatte  der  Oberst  seinen  Zweck  erreicht  und  mar- 
schierte wieder  links  ab.  Als  wir  in  den  Wald  zwischen  Witkowice 
und  Kamion  kamen,  fing  in  der  Nähe  eine  heftige  Kannonade  an ; 
um  den  Grund  hiervon  zu  erfahren,  kehrte  der  Oberst  incontinente 
um.  Bei  Witkowice  erfuhren  wir  dann,  dass  der  General  Klinkow- 
stroem  bis  Misterschitz J),  eine  halbe  Meile  von  Witkowice,  vor- 
gerückt war,  und  das  feindliche  Lager  bei  Brochowo2)  beschossen 
hatte.  Der  Oberst  schickte  den  Lt.  Platen,  seinen  Adjutanten,  an 
ihn  ab,  und  wir  marschierten  ins  Lager. 

Den  25.,  sowie  heute,  ist  alles  ruhig  geblieben. 

Sie  sehen  also,  dass  es  die  letzte  Zeit  hier  scharf  hergegangen 
ist,  wir  vermutheten  auch,  wenn  Madalinski  und  Dombrowski  durch 
wären,    Ruhe    zu    bekommen,   allein   gestern    verbreitete    sich  das 


i)  Vgl.  S.  295  Anm.  i. 

*)  Brochöw  NNO  v.  Mistrxewicr. 


V 


296  Ernst  von  Schönfeldt. 

Gerücht,  dass  wir  zum  zweiten  mal  gegen  Warschau  vorrücken 
würden,  da  jetzt  die  Russen  vorgerückt  sind ;  dieses  Gerücht  bedarf 
doch  Bestätigung,  ob  es  gleich  wahrscheinlich  ist,  dass  das  Favratsche 
Corps  jenseits   der  Weichsel  sich  mit  den  Russen  vereinigen  wird. 

Kosciuszkos  Gefangennahme  wird  Ihnen  wahrscheinlich  schon 
bekannt  sein.  Wir  haben  deswegen  Victoria  geschossen.  Bei 
seiner  Gefangennehmung  soll  er  sich  über  nichts  beklagt  haben, 
als  über  die  Grausamkeit,  dass  man  ihm  das  Leben  gelassen  hat. 
Die  russischen  Offiziers  Damens  haben  ihm  fussfällig  für  die  Gross- 
muth  gedankt,  die  er  ihnen  nach  der  Niederlage  in  Warschau  erzeugt 
hat.  Er  hatte  sie  mit  Passen  versehen  und  nachdrücklich  gegen 
alle  Misshandlungen  des  Pöbels  geschützt. 

Meine  Cavallerie  ist  im  besten  Stand.  Vor  14  Tagen  ist 
selbige  um  ein  Kleines  vermehrt  gewesen,  eins  meiner  Wagen- 
pferde hat  ein  Füllen  bekommen,  dem  aber  gleich  darauf  von  der 
Mutter  ein  Fuss  zertreten  ward,  welches  mir  recht  heb  ist,  da  ich 
doch  nur  viel  Quängelei  mit  selbiges  gehabt  haben  würde. 

Leopold  ist  frisch  und  gesund. 

Diese  Nachrichten  bitte  ich  gehorsamst  der  Tante  mitzutheilen, 
deren  Brief  ich  erhalten  habe.  Es  ist  mir  nicht  möglich,  noch  einen 
Brief  zu  schreiben,  da  wir  fast  alle  Augenblick,  der  häufigen  Vor- 
posten-Neckereien wegen,  ins  Gewehr  müssen.  Wollne  Strümpfe 
habe  ich  garnicht,  ich  werde  aber  suchen,  mir  solche  hier  an- 
zuschaffen. Meine  Hemden  halten  sich  besser,  als  ich  anfangs 
vermuthete.  Ein  altes  Hemde  ist  nur  erst  unbrauchbar  geworden. 
Die  übrigen  sind  noch  in  gutem  Stande.  Ein  Schnupftuch  habe  ich  in 
der  letzten  Action  zerrissen,  um  unsere  Blessierten  verbinden  zu  lassen. 

Karl  lässt  sich  Ihnen  gehorsamst  empfehlen;  er  fürchtet,  dass 
Sie  drei  von  seinen  Briefen  nicht  erhalten  haben;  ich  habe  alle 
14  Tage  richtig  geschrieben,  ob  Sie  aber  die  Briefe,  der  Unruhen 
in  Südpreussen  wegen,  erhalten  haben,  steht  dahin,  so  wie  ich 
glaube,  manchen  Brief  von  Ihnen  nicht  erhalten  zu  haben. 

Dass  die  Gens  d' Armes  marschiert  sind,  habe  ich  aus  den 
Zeitungen  ersehen,   aber  wo  sie  jetzt  sein  mögen,   weiss  ich  nicht. 

Seien  Sie  übrigens  versichert,  dass  unsere  jetzige  Lage  und 
Lebensart  besser  ist,  als  sie  klingt,  und  dass  ich  nichts  weniger  als 
Ltn/uif  den  mit  meinem  Stande  bin.  Der  Mutter  bitte  ich  meine 
Hochachtung  zu  versichern  und  bin  unausgesetzt  Ihr  gehorsamer  Sohn 

W.  v.  Pannwitz« 

NB.  An  nichts  leide  ich  hier  einen  so  empfindlichen  Mangel, 
aK  an  Pfeifenmundstücken,  denn  bereits  muss  ich  mich  mit  einer 
Federpose  behelfen.  Was  das  für  eine  Noth  für  einen  Tabaksraucher, 
zumal  im.  Felde,  ist,  können  Sie  sich  leicht  vorstellen.  Wollten 
Sie  wohl  daher  die  Güte  haben  und  mir  eine  Parthie,  und  wenn  es 
auch  2  Dutzend  sind,  schicken.  Hier  kann  man  weit  und  breit 
keins  mehr  habhaft  werden. 


. 


Aus  bewegter  Zeit.  297 

Soeben  ist  unsre  Batterie  schwere  6  Pfünder  abmarschiert, 
«ad  wir  erhalten  dagegen  eine  von  schweren  12  Pfündern.  Ein 
Beweis,  dass  vielleicht  ein  Theil  von  uns  doch  vorrückt.  Das  Post- 
geld  für  die*  Mundstücke  will  ich  gern  tragen.     Pannwitz. 


Hier  schliessen  die  Briefe.  Des  Schreibers  zuletzt 
ausgesprochene  Hoffnung  auf  ein  erneutes  Vorgehen 
gegen  Warschau  sollte  nicht  in  Erfüllung  gehen.  Am 
4.  November  stürmte  Suworow  Praga  und  am  9.  d.  Mts. 
hielt  er  seinen  feierlichen  Einzug  in  die  Hauptstadt  Polens. 


Ein  Wahlkonflikt  im  Kreise  Kroeben  1826. 

Von 
Manfred  Laubert. 

I  ie  Wahlen  zu  dem  i.  Posener  Provinziallandtage 
von  1827  vollzogen  sich  bei  durchschnittlich 
reger  Beteiligung  noch  nicht  wie  die  späteren 
unter  dem  leitenden  Gesichtspunkt  des  nationalen  Gegen- 
satzes, sondern  es  wurden  ohne  Rücksicht  auf  deutsche 
oder  polnische  Herkunft,  häufig  deshalb  in  vollster  Ein- 
mütigkeit, diejenigen  Männer  zu  Deputierten  erkoren,  welche 
ihre  Standesgenossen  für  die  geeignetsten  zur  Wahrung  der 
gemeinschaftlichen  Interessensphäre  hielten.  Wenn  hierbei 
der  zweite  und  dritte  Stand,  Städte  und  Landgemeinden, 
mit  zwei  Ausnahmen  nur  deutsche  Abgeordnete  ent- 
sandten, so  lag  der  Grund  hierfür  in  dem  Umstände,  dass 
fast  einzig  und  allein  die  Nachkommen  der  aus  dem  Westen 
zugezogenen  Ansiedler,  nicht  die  der  alteingesessenen 
slavischen  Bevölkerung,  gegenüber  den  fortwährenden 
Unterdrückungsgelüsten  der  Grundherren  ihre  Besitztitel 
insoweit  unverkümmert  erhalten  hatten,  um  die  gesetzlichen 
Bedingungen  erfüllen  zu  können,  welche  an  die  Wahl- 
berechtigung oder  gar  an  die  Wählbarkeit  zum  Provinzial- 
landtage geknüpft  waren  *). 

J)  Gesetz  wegen  Anordnung  der  Provinzialstände  für  das 
•Grossherzogtum  Posen  v.  27.  März  1824  (Gesetz-Sammlung  Nr.  14 
S.  141/8;)  dazu  die  spezielle  Verordnung  von  1826,  veröffentlicht  in 
den  Amtsblättern  der  Regierungen.  Verlangt  wurde  vor  allem  der 
eigentümliche  Besitz  eines  städtischen,  bezw.  ländlichen  Grund- 
stücks; zur  Ausübung  des  passiven  Wahlrechts  war  sogar  der 
Nachweis  des  zehnjährigen  freien  Besitzes  eines  solchen  Grund- 
stücks von  bestimmtem  Minimalumfange  erforderlich  (§  5  u.  12  des* 
^Gesetzes  v.  1824). 

• 


300  Manfred  Laubert. 

Gerade  umgekehrt  lagen  die  Dinge  bei  der  Ritter- 
schaft. Unter  dieser  besassen  die  Polen  mit  Ausnahme 
weniger  Grenzkreise  eine  unbestrittene  Mehrheit,  und  es 
entsprach  nur  den  damaligen  Besitzverhältnissen,  dass 
von  den  24  Abgeordneten  des  ersten  Standes  bloss  vier 
deutscher  Herkunft  waren.  Nirgends  lassen  sich  Spuren 
von  einem  Versuch  der  Minorität  nachweisen,  ihre 
Stimmen  auf  nationale  Sonderkandidaten  zu  vereinigen  f 
und  es  bestand  um  so  weniger  Anlass  dazu,  als  den 
Polen  nicht  der  Vorwurf  gemacht  werden  kann,  dass  sie 
ihre  Überlegenheit  in  einseitiger  Weise  ausgebeutet  hätten. 
Mehrere  Mandate,  bei  deren  Verteilung  sie  das  Heft  in 
Händen  hatten,  wurden  Deutschen  angeboten1). 

Mit  voller  Berechtigung  fällte  daher  der  Oberpräsident 
Baumann  über  den  Ausfall  der  Wahlen  ein  günstiges 
Gesamturteil  und  wies  mit  Befriedigung  darauf  hin,  dass 
sich  unter  den  45  Abgeordneten  23,  unter  ihren  Stellvertretern 
18  Protestanten  befanden2). 

Nur  ein  einziger  Missklang  störte  die  fried- 
liche Harmonie,  in  der  sich  die  Wahlen  zu  dem  1.  Po- 
sener  Provinziallandtag  abgespielt  hatten:  er  wurde 
hervorgerufen  durch  die  Ritterschaft  des  Kreises 
Kroeben.  Bei  dem  für  diese  angesetzten  Termine  am 
1.  August  1826  vereinigten  die  18  von  den  43  wahlberech- 
tigten, wirklich  erschienenen  Komparenten  sämtlich  ihre 
Stimmen  auf  den  Besitzer  von  Pakoslaw,  Joseph  von  Krzj'za- 
nowski,  einen  Mann,  der  sich  damals  unter  dem  Verdacht  der 


*)  So  im  Kreise  Wongrowitz;  erst  als  der  dort  gewählte 
frühere  Oberpräsident  Zerboni  di  Sposetti  aus  Gesundheitsrücksichten 
ablehnte,  trat  ein  Pole  an  seine  Stelle. 

2)  Für  den  1.  Landtag  wurden  nur  je  ein,  bei  den  späteres 
Neuwahlen  je  zwei  Stellvertreter  eines  Abgeordneten  gewählt.  — 
Baumann  an  das  Staatsministerium  12.  Dez.  1826;  Protokoll  der  Kom- 
mission für  ständische  Angelegenheiten,  7.  Jan.  1827.  Auszug 
Staatsarchiv  Berlin  R.  89  C  XI  b  vol.  I.  Nr.  1.  —  Die  aktenmässige 
Grundlage  für  die  folgende  Darstellung,  sofern  nichts  anders  ver- 
merkt ist,  daselbst  und  Staatsarchiv  Posen,  Oberpräsidialakten  V 
B  b  2  vol.  I  u.  II. 


Ein  Wahlkonflikt  im  Kreise  Kroeben  1826.  301 

Teilnahme  an  unerlaubten  politischen  Verbindungen  als  Ge- 
nosse des  Generals  von  Uminski  zu  Thorn  in  Haft  befand. 
Der  Hinweis  des  Landrats  von  Randow,  dass  die  Wahl  eines 
in  Staatsarrest  befindlichen  und  deshalb  an  der  Ausübung 
seiner  bürgerlichen  Pflichten  behinderten  Subjektes  un- 
zulässig sei,  vermochte  die  Stände  nicht  umzustimmen; 
sie  beharrten  vielmehr  bei  ihrem  ursprünglichen  Beschluss, 
um  auf  solche  Weise  ihre  Überzeugung  von  der  Unschuld 
Krzyzanowskis  darzutun. 

Der  Oberpräsident  eignete  sich  jedoch  die  Auffassung 
Randows  an  und  machte  diesem  die  Abhaltung  einer 
zweiten  Wahl  zur  Pflicht,  bei  der  nur  Stimmen  für  solche 
Männer  giltig  sein  sollten,  die  an  dem  fraglichen  Tage 
<len  Vollbesitz  ihrer  Freiheit  geniessen  würden. 

Bei  dem  neuen  auf  den  30.  November  anberaumten 
Termin  fanden  sich  nur  noch  13  der  beteiligten  Guts- 
besitzer ein,  von  denen  5  auf  die  Eröffnungen  Randows 
hin  ihre  Stimmen  einem  Herrn  von  Czarnecki  zu  geben 
bereit  waren.  Da  sich  dieser  aber  selbst  für  Krzyzanowski 
erklärt  hatte,  so  glaubte  er  durch  Annahme  der  Wahl 
mit  seiner  inneren  Überzeugung  in  Zwiespalt  zu  geraten 
und  lehnte  ab,  so  gern  er  auch  unter  anderen  Umständen 
als  Deputierter  seines  Kreises  aufgetreten  wäre. 

Jedenfalls  erschien  es  fraglich,  ob  Baumann  geneigt 
sein  würde,  die  Aggregation  Czarneckis  kraft  rechtlicher 
Befugnis  auszusprechen,  und  zur  Vorsicht  liess  Randow 
deshalb  von  den  5  willfährigen  Wählern  noch  einen  sub- 
sidiären Abgeordneten  sowie  den  gesetzlich  vorgeschrie- 
benen Stellvertreter  bestimmen;  man  einigte  sich  auf 
einen  Grafen  von  Potulicki  und  einen  Herrn  von  Broni- 
kowski,  deren  Zustimmung  aber  zunächst  nicht  zu  erlangen 
war,  da  beide  den  Wahlakt  versäumt  hatten. 

Um  den  ihm  überaus  peinlichen  Konflikt,  der  wie 
alle  vorfallenden  Unregelmässigkeiten  nach  der  von  der 
Posener  Regierung  angenommenen  Auffassung  einen 
Schatten  auf  die  Tätigkeit  des  betreffenden  Landrats  zu 
werfen  geeignet  war,  möglichst  bald  beigelegt  zu  sehen, 
wünschte  Randow  die  Wahl  Czarneckis  durch  Baumann 


3©2  Manfred    Laubert. 

anerkannt  zu  sehen,  da  er  hoffte,  dass  sich  jener  dann 
nicht  länger  versagen  werde.  Zu  diesem  Schritt  wollte 
sich  der  Oberpräsident  aber  nicht  verstehen,  aus  Furcht^ 
derselbe  könne  als  Schwäche  gedeutet  werden;  er  hielt 
es  vielmehr  für  notwendig,  über  die  ganze  Angelegenheit 
an  das  Staatsministerium  zu  berichten  und  von  diesem 
Anweisimg  zu  erbitten,  zumal  ersichtlich  war,  dass  in  dem 
an  gebildeten  Gutsbesitzern  reichen  Kroebener  Kreise  die 
Wahl  des  verhältnismässig  unbedeutenden  Krzyianowski 
nur  als  politische  Demonstration  gedeutet  werden  konnte  *). 
Von  den  zuletzt  gewählten  lehnte  Bronikowski  rund- 
weg ab.  Graf  Potulicki,  ein  Schwager  des  ebenfalls  zu 
Thorn  in  Haft  befindlichen  Grafen  von  Mieliynski,  tat 
hinterher  ein  Gleiches,  nachdem  er  zuerst  in  einer  ge- 
wundenen Erklärung  sich  zur  Annahme  bereit  erklärt 
hatte,  unter  der  Voraussetzung  jedoch,  dass  er  lediglich 
Stellvertreter  (zastqpca)  des  eigentlichen  Abgeordneten 
sein  würde.     Der  etwas  sophistisch  aus  dem  Zusammen- 


*)  Zwischen  Randow,  einem  der  ältesten,  verdientesten  und 
geachtetsten  Landräte  der  Provinz,  und  Baumann  kam  es  zu  einem 
Zusammenstoss  über  die  in  Rede  stehende  Angelegenheit,  als  der 
Oberpräsident  gegen  jenen  den  Vorwurf  mangelnder  Energie  erhob, 
da  er  die  Wahl  Kzryzanowskis  nicht  zu  hintertreiben  vermocht 
hatte  (Reskript  v.  20.  Dez.  1826,  eigenhändiges  Konzept).  Randow 
verteidigte  sich  sehr  energisch  und  gab  an,  er  sei  selbst  von  dem 
ganzen  Plan  überrascht  worden.  Auch  habe  er  keine  Kenntnis  von 
der  inzwischen  eröffneten  Kriminaluntersuchung  gegen  v.  K.  gehabt, 
■nd  man  hätte  die  Verhaftung  als  bloss  politische,  nicht  entehrende 
Massregel  hingestellt  Randow  hatte  als  kleineres  Übel  die  Wahl 
geduldet  und  nicht  den  leicht  herbeizuführenden  tumul manschen 
Schluss  erzwungen.  Manche  der  Wähler  waren  mit  der  Kandidatur 
v.  K.'s  nicht  zufrieden  gewesen,  ohne  den  Mut  zu  offener  Opposition 
zu  finden;  andere  brannten  vor  Begierde,  selbst  gewählt  zu  werden«. 
Der  Landrat  klagte,  dass  ein  tiefer  wurzelnder,  auf  allgemeine 
Ursachen  zurückgehender  Beschluss  gerade  seinen  Kreis  traf,  weil 
Herr  v.  K.  zufälliger  Weise  dort  seinen  Wohnsitz  hatte  (An  Bau- 
mann 26.  Dez.).  Die  Wahl  Czarneckis  wollte  Randow  anerkannt 
und  damit  den  Zwischenfall  aus  der  Welt  geschafft  sehen,  „weil  in 
der  Regel  ist,  dass  alle  in  meinem  Kreise  vorfallenden  Irregulari- 
täten dem  Landrat  zur  Last  gelegt  werden"     (An  Baumann  1.  Dez.). 


Ein  Wahlkonflikt  im  Kreise  Krochen  1826.  303 

hang  herausgelesenen  Deutung,  welche  der  Landrat  dieser 
Klausel  zu  geben  gesucht  hatte,  war  der  Oberpräsident 
von  vornhein  nicht  beigetreten,  sondern  hatte  in  einem 
neuen  Bericht  an  das  Staatsministerium  seine  Ansicht  da- 
hin ausgesprochen,  nach  jener  nichtssagenden  Erklärung 
könne  er  Potulicki  keinesfalls  als  Abgeordneten  gelten 
lassen  und  werde  nur  durch  die  Rücksicht  auf  die  grosse 
Zahl  der  imbeteiligten  Gutsbesitzer  von  dem  Antrage 
zurückgehalten,  der  Ritterschaft  des  Kreises  Kroeben  nach 
ihrer  bisherigen  Unbotmässigkeit  überhaupt  keine  Ver- 
tretung beim  Landtag  zu  bewilligen. 

Während  von  den  Lokalbehörden  noch  nach  einem 
gütlichen  Ausweg  gesucht  wurde,  ja  eine  Anzahl  der 
betroffenen  Gutsbesitzer  sich  sogar  zu  einer  Beschwerde 
an  Baumann  verstieg  und  die  Gültigkeit  jeder  anderen 
Wahl  als  die  des  Herrn  von  Krzyianowski  anfocht,  wurde 
eine  schnelle  Lösung  von  Berlin  aus  herbeigeführt. 

In  einer  Sitzung  am  14.  Dezember  hatte  sich  die 
Kommission  für  ständische  Angelegenheiten  mit  der 
Kroebener  Frage  befasst,  und  da  von  den  Ständen  ein 
nicht  im  Besitz  des  unbescholtenen  Rufes  befindlicher, 
mithin  nach  dem  Gesetz  vom  27.  März  1824  unzulässiger 
Vertreter  gewählt  war1),  so  machte  die  Kommission  den 
Vorschlag,  den  ersten  Stand  des  genannten  Kreises  für  dieses 
Mal  von  der  Beschickimg  des  Landtages  überhaupt  aus- 
zuschliessen.  Auf  den  Entwurf  einer  in  diesem  Sinne 
gehaltenen  Kabinetsordre  hin  bemerkte  der  Kabinetsrat 
Albrecht  jedoch,  eine  solche  Massregelung  sei  dem  Könige 
ungenügend  erschienen  und  da  man  in  dem  Beharren 
auf  der  vorschriftswidrigen  Wahl  eine  strenge  Ahndung 
erheischende  Opposition  erblicken  müsse,  so  habe  er  die 
Suspension  der  Vertretung  auf  10  oder  mehr  Jahre  zu 
verhängen  geruht.  Nach  der  definitiven  Fassung  des 
Allerhöchsten  Befehls   vom    10.  Januar    1827   wurde   der 


*)  Nach  §  5  Nr.  4  gehört  auch  der  unbescholtene  Ruf  zu  den 
Bedingungen  der  Wählbarkeit. 


304-  Manfred    Laubert. 

Ritterschaft  des  Kroebener  Kreises  das  Repräsentations- 
recht genommen,  bis  der  Monarch  sich  „von  ihrer  besseren 
Gesinnung"  überzeugt  haben  würde1). 

Baumann  machte  dem  Landrat  unter  dem  Ausdruck 
des  tiefsten  persönlichen  Bedauerns  von  diesem  uner- 
wartet harten,  viele  Unschuldige  treffenden  Ende  Mit- 
teilung, gab  sich  aber  der  Hoffnung  hin,  dass  nach  dem 
Wortlaut  der  Ordre  Friedrich  Wilhelm  III.  vielleicht  ge- 
neigt sein  möchte,  die  Ausschliessung  in  kurzem  wieder 
aufzuheben.  Für  diesen  Fall  wurde  dem  Landrat  streng 
vertraulich  anheimgestellt,  auf  die  Zweckmässigkeit  einer 
ehrerbietigen  Entschuldigungsadresse  an  den  Monarchen 
vorsichtig  hinzuweisen2). 

Die  Schuldigen  selbst  hatten  sich  hartnäckig  hinter 
der  Ausrede  zu  verschanzen  gesucht,  sie  wären  von  der 
Absicht  ganz  frei  gewesen,  gesetzwidrige  Handlungen  zu 
begehen.  Auch  dem  Staatsministerium  gegenüber  be- 
tonten sie  die  Auffassung,  da  sie  von  der  gegen  Krzyia- 
nowski  eröffneten  Kriminaluntersuchung  keine  Kenntnis 
besassen,  hätten  sie  die  Verhaftung  ihres  Kandidaten  als 
eine  bloss  politische,  den  Charakter  desselben  nicht  be- 
fleckende Massregel  betrachtet3). 

Wenn  der  Zusammenhang  der  Dinge,  wie  er  hier 
auseinandergesetzt  wurde,  überhaupt  irgendwie  der 
Wahrheit  entsprach,  so  musste  die  Ordre  vom  10.  Januar 


J)  Randow  an  Baumann  24.  Okt.  u.  1.  Dez.  1826,  Antwort 
Konzept  6.  Nov.  u.  9.  Dez.,  Baumann  an  das  Staatsministerium  6.  u. 
11.  Dez.,  Konzept;  Protokoll  der  Sitzung  v.  14.  Dez.  u.  Entwurf 
einer  Kabinets-Ordre;  Konzept,  bezw.  Abschrift  d.  Kab.-Ordre 
v.  10.  Jan.  1827;  Beschwerde  von  Kroebener  Gutsbesitzern  an  Bau- 
mann 30.  Dez.,  Wahlprotokolle  v.  1.  Aug.  u.  30.  Nov. 

2)  Zwei  Schreiben  Baumanns  an  Randow  v.  9.  Februar  1827. 
Konzept. 

3)  Eingabe  an  das  Staatsministerium  6.  Febr.  Abschrift.  Durch 
Einsendung  der  Akten  an  die  höhere  Instanz  war  Baumann  angeblich 
den  Absichten  der  Bittsteller  zuvorgekommen,  welche  der  Ueberzeugung 
waren,  dass  ihre  in  jenen  Piecen  entwickelten  Meinungen  „ganz  in 
Übereinstimmung  mit  dem  Willen  des  durch  die  Allerhöchste  Huld 
und  Gnade  Seiner  Majestät  uns  gewordenen  Gesetzes  sind". 


Ein  Wahlkonflikt  im  Kreise  Kroeben  1826.  305 

\xm  so  unerwarteter   und  schwerwiegender  auf  die  davon 
Betroffenen    zurückfallen.     In   der  Tat   bemächtigte   sich 
nach   Randows  Bericht   der  Gutsbesitzer  eine   mit  tiefer 
Zerknirschung   verbundene   Bestürzung,   als  er  ihnen  in 
einer    auf    den    3.  März    anberaumten  Versammlung  von 
dem  Entschluss  des  Königs  Kenntnis  gab.    Auf  der  Stelle 
wurde  die  Absendung  einer  Entschuldigungs-  oder  besser 
gesagt:    Verteidigungs  -  Adresse  beschlossen,  welche  der 
Landrat  dem  allgemeinen  Wunsche  zufolge  aufsetzte.  Zu 
ihrer   Unterstützung   stellte   er   den    Grundherren   seines 
Kreises  ein  günstiges  Zeugnis  aus  und  hob  hervor,  dass 
von  den   43  wahlfähigen  Besitzern    nur   9  an  Herrn    von 
Krzyzanowski  festgehalten   hätten,    also  beinahe  3/4  ohne 
Verschulden   unter  den  Folgen  der  königlichen  Ungnade 
zu  leiden  hätten.    Diesen  Umstand  betonte  auch  Baumann 
besonders,   um   die  Befürwortung  des  Gesuchs  zu  recht- 
fertigen.   Trotzdem    sah  sich  das  Staatsministerium  nicht 
veranlasst,    bei    dem    Monarchen    eine    Milderung    der 
früheren  Bestimmung  zu  beantragen1). 

Diesem  ersten  vollständig  gescheiterten  Anlauf,  um 
die  Zurücknahme  der  verhängten  Ausschliessung  zu  er- 
wirken, folgte  ein  zweiter,  dem  wenigstens  ein  teilweiser 
Erfolg  beschieden  war,  im  Herbst  1827.  Die  Seele  dieser 
Bestrebungen  war  der  Fürst  Sulkowski,  welcher  in  seiner 
Eigenschaft  als  Landtagsmarschall  den  sehnlichen  Wunsch 
hegte,  die  vorhandene  Lücke  unter  den  Deputierten  aus- 
gefüllt zu  sehen.  Er  wandte  sich  um  Rat  an  Randow 
und  Baumann.  Letzterer  warnte,  mit  dem  Hinweis,  dass, 
nachdem  inzwischen  Herr  von  Krzyzanowski  aus  der  Haft 
auf  seine  Güter  entlassen  worden  war,  dessen  Wieder- 
wahl 'zu  befürchten  stehe,  und  ausserdem  die  Interessenten 
bei  dem  voraufgegangenen  Unternehmen  mit  völliger 
Verkennung  der  Situation  gehandelt  hätten,  da  sie  mehr 
auf  ihre  Rechtfertigung  als  auf  den  Beweis  einer  ge- 
besserten   Gesinnung    bedacht   genommen,   ja,   die   Sus- 


!)  Randow  an  Baumann,    4.  März ;    Baumann    an   das  Staats- 
ministerium, Konzept,  8.  März.    Antwort,  19.  März. 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Prov.  Posen.    Jahrgang  XIX.  ao 


306  Manfred  Laubert 

pension  der  Aussperrung  nicht  als  Akt  der  Gnade,  son- 
dern der  Gerechtigkeit  gefordert  hätten.  Diese  Bedenken 
aber  erschütterten  Sulkowskis  Vorsatz  ebensowenig  wie 
die  ähnlich  lautenden  Ratschläge  des  Landrats,  der  dieses 
Mal  seinerseits  jedes  aktive  Eingreifen  ablehnte,  aber 
wiederum  die  Absendung  einer  möglichst  von  allen  Be- 
teiligten unterzeichneten  Entschuldigungsadresse  als  ein- 
ziges Mittel  zum  Zweck  bezeichnete1). 

Dem  Winke  Randows  folgend,  Hess  Sulkowski 
durch  einen  angesehenen  Gutsbesitzer  die  wahlfähigen 
Mitglieder  der  Ritterschaft  nach  seinem  Schlosse  Reisen 
entbieten.  Der  erste  Versuch  misslang,  bei  einer  zweiten 
Aufforderung  kamen  wenigstens  21  der  Geladenen  zu- 
sammen, und  die  Adresse  wurde  mit  einem  sehr  warmen 
Befürwortungsschreiben  des  Fürsten2)  abgeschickt 

Auch  Randow  begleitete  dieselbe  umsomehr  mit 
seinen  guten  Wünschen,  als  er  erfahren  hatte,  dass  von 
den  Deputierten  des  ersten  Standes  der  ganzen  Provinz  ge- 
plant wurde,  nach  der  Landtagseröffnung  bei  dem  Fehlen 
des  Kroebener  Vertreters  sich  für  nicht  gesetzlich  voll- 
zählig zu  erklären  und  darum  in  keine  Beratungen  ein- 
treten zu  wollen.  Eine  Wiederholung  des  leidigen 
Skandals  in  grösserem  Massstab  stand  also  auf  dem 
Landtag  selbst  zu  befürchten.  Der  Oberpräsident  sah 
freilich  weniger  schwarz,  sondern  gab  sich  der  sicheren 
Hoffnung  hin,  die  Mehrzahl  der  Abgeordneten  werde  vor 
der  offenkundigen  Befolgung  derartiger  obstruktiver  Ten- 
denzen zurückschrecken  8). 

Die  Adresse  wurde  vom  Könige  durch  eine  in 
gnädige  Worte  gekleidete  Ablehnung  des  vorgebrachten 
Gesuches  beantwortet.  „Bei  aller  Geneigtheit",  auf  Sul- 
kowskis Wünsche  einzugehen,   konnte  sich  der  Monarch 


*)  Sulkowski  an  Baumann,  15.  Sept.;  Antwort,  Konzept,  17.  Sept.; 
Sulkowski  an  Baumann  22.  Sept. 

2)  Vom  28.  Sept. 

3)  Randow  an  Baumann,  28.  Sept.  Archiv  Posen.  Obpräs.- Akten 
V,  Ba  ia. 


Ein  Wahlkonflikt  im  Kreise  Kroeben  1826.  307 

z\x  einer  Zurücknahme  der  verfügten  Suspension  für  den 
bevorstehenden  1.  Landtag  nicht  entschliessen,  dagegen 
stellte  er  eine  solche  Massregel  für  den  folgenden  Zu- 
sammentritt der  Stände  in  gewisse  Aussicht  in  Anbetracht 
des  loyalen  Gesinnungswechsels,  den  die  Kroebener 
Ritterschaft  an  den  Tag  gelegt  hatte,  und  unter  der 
Voraussetzung,  dass  sie  keinen  neuen  Anlass  zur 
Unzufriedenheit  geben  werde1). 

Noch  weitergehende  Zugeständnisse  vermochte  auch 
die  Verwendung  des  Statthalters,  Fürsten  RadziwiH,  nicht 
zu  erzielen2),  und  der  1.  Stand  des  Kreises 
Kroeben  musste  sich  in  sein  Schicksal 
fügen,  aufdemProvinziallandtage  von  1827 
ohne   Vertretung   zu   bleiben. 

Indessen  hattesich  die  Allerhöchste  Willensmeinung  mit 
solcher  Unzweideutigkeit  für  die  Zulassung  des  Kroebener 
Abgeordneten     bei     der     2.     ständischen    Versammlung 
ausgesprochen,    dass    selbst    der    anfänglich    zu    keinem 
entgegenkommenden  Schritt  in  der  fraglichen  Angelegen- 
heit geneigte  Minister  des  Innern,   Schuckmann,  sich  der 
Notwendigkeit  einer  Neuwahl  nicht  verschliessen  konnte, 
noch  bevor   eine    an    ihn   ergehende  Kabinetsordre    von* 
11.  September  1829  den  Eintritt   eines   für  den  Rest  der 
laufenden  Wahlperiode  zu  nominierenden  Kroebener  Ab- 
geordneten  iu   den  Landtag   verfügte,   falls   keine  beson- 
deren Gründe  dagegen  sprächen8). 

Hiermit  begann  des  Schauspiels  2.  Akt.  Inzwischen 
hatte  sich  die  Sachlage  insofern  wesentlich  verschoben,, 
als  Krzyianowski  durch  das  am  26.  November  1827  vom 
Posener  Landgericht  gefällte,  später  vom  Oberappellations- 
gericht als  oberster  Berufungsinstanz  bestätigte  Urteil 
von  der  Anklage   wegen  Teilnahme  an  einer  verbotenem 


*)  Kab.-Ordre  v.  13.  Okt  1827  an  Sulkowski. 

2)  Kab.-Ordre  v.  13.  Okt.  an  Radziwiü,  Archiv  Posen,  Statt- 
kaherakten  V  3  f.  24. 

5)  Schuckmann  an  Baumann  26.  Juni  u.  1.  Juli  1829,  Abschrift 
bezw.  Konzept  der  Kab.-Ordre  v.  it.  Sept. 


3°8  Manfred   Laubert. 

geheimen  Verbindung,  allerdings  „nur  vorläufig*  frei- 
gesprochen und  —  wir  hörten  es  bereits  —  aus  der 
Haft  entlassen  war1). 

Da  nun  zu  befürchten  stand,  dass  unter  diesen  Um- 
ständen die  Wählerschaft  den  Versuch  machen  werde, 
ihren  früheren  Kandidaten  wieder  zu  erküren,  so  drängte 
sich  die  Frage  auf,  ob  ein  nur  ab  instantia  absolvierter 
Jnculpat  überhaupt  als  unbescholten  im  Sinne  des  Ge- 
setzes von  1824  zu  betrachten  sei?  Nach  Baumanns 
Ansicht  war  die  Unbescholtenheit  erst  dann  wieder  her- 
gestellt, wenn  die  Unschuld  des  Angeklagten  vom  Richter 
definitiv,  nicht  bloss  vorläufig  anerkannt  war.  Dieser 
Auffassung  schloss  sich  Schuckmann  an,  und  er  genehmigte, 
dass  dem  Landrat  eingeschärft  werde,  erforderlichen 
Falls  darauf  zu  verweisen,  dass  eine  eventuelle  Wahl 
Krzyianowskis  als  gesetzwidrig  zu  betrachten  sei2). 

Der  Erfolg  dieser  Vorsichtsmassregel  war  bei  alledem 
um  so  ungewisser,  als  noch  in  anderer  Hinsicht  die  Dinge 
sich  in  einer  für  die  Behörden  ungünstigen  Weise  ge- 
ändert hatten:  der  ungewöhnlich  tüchtige,  auch  bei  den 
Polen  in  hohem  Ansehen  stehende  Landrat  von  Randow 
war  gestorben  und  hatte  in  dem  bisherigen  Leiter  des 
Fraustädter  Kreises,  Stammer,  einen  eben  so  unfähigen 
wie  schwächlichen  Nachfolger  erhalten,  dessen  Einfluss 
auf  seine  Kreisbewohner  nur  sehr  gering  veranschlagt 
werden  durfte8).  Zur  gröseren  Sicherheit  suchte  daher 
Baumann  noch  durch  Vermittlung  Sulkowskis  auf  die 
Vermeidung    einer    unangemessenen  Wahl   hinzuwirken. 

1)  Abschrift  des  Urteilstenors,  Archiv  Posen  a.  a.  O. 

2)  Baumann  an  Schuckmann,  12.  Juli,  Konzept;  Antwort  3.  Aug., 
Baumann  an  den  Landrat  Stammer,  15.  Aug.,  Konzept. 

3)  Die  Versetzung  Stammers  in  den  besonders  wichtigen  und 
schwierigen  Kroebener  Kreis  war  auf  speziellen  Wunsch  Baumanns 
verfügt  worden,  dem  sein  gänzlicher  Mangel  an  Menschenkenntnis 
hierbei  einen  derben  Streich  spielte.  Schon  nach  wenigen  Monaten 
konnte  er  sich  einen  schweren  Missgriff  nicht  verhehlen,  doch  ge- 
lang es  erst  Flottwell  nach  jahrelangem  Bemühen,  sich  Stammers 
durch  zwangsweise  Pensionierung  zu  entledigen. 


Ein  Wahlkonflikt  im  Kreise  Krochen  1826.  309- 

Auch    dem    Fürsten    war    die    ganze   Angelegenheit    im 
höchsten  Masse    peinlich,    und  er  wird  gewiss  unter  der 
Hand  sein  möglichstes  getan  haben,  um  jede  Anstössigkeit 
zu  vermeiden,  soweit  er   dazu  ohne  Einbusse  seines  An- 
sehens  bei   der   polnischen  Aristokratie   im  Stande  war,, 
denn    stets    suchte  er    zwischen    den    ihn    bedrohenden 
beiden  Klippen  hindurchzulavieren,    dem  Verdachte  man- 
gelnder Energie  bei  Aufrechterhaltung  von  Ordnung  und 
Gesetz  auf  der  einen,  zu  weitgetriebener  Loyalität  auf  der 
anderen  Seite.    Daher  brauchte  er  die  ihm  als  Landtags- 
marschall   gebotene    Unparteilichkeit    zum  Vorwand,    um 
offene,  seinpolnischesNationalitätsgefühl  kompromittierende 
Schritte  zu  vermeiden1). 

Alle  Beschwichtigungsversuche  blieben  ohne  Erfolge 
und  die  geheimen  Befürchtungen  der  Behörden  gingen 
in  vollem  Umfang  in  Erfüllung.  Bei  dem  am  24.  Sep- 
tember abgehaltenen  Termin  beschlossen  die  erschienenen 
Gutsbesitzer,  vorläufig  von  einer  Wahl  Abstand  zu  nehmen^ 
um  dem  anwesenden  Herrn  von  KrzySanowski  Gelegen- 
heit zu  geben,  in  einer  Immediateingabe  seine  Lage 
dem  Könige  vorzutragen  und  eine  Allerhöchste  Ent~ 
Scheidung  zu  erbitten2). 

Die  Antwort  fiel,  wie  sich  von  vornherein  hatte  er- 
warten lassen,  dahin  aus,  dass  ein  nur  ab  instantia  Frei- 
gesprochener nach  dem  Gesetze  weder  wahlfähig  noch 
wählbar  sei.  Auf  dem  1.  Dezember  wurde  dann  ein 
nochmaliger  Termin  ausgeschrieben3). 

*)  Baumann  an  Sulkowski,  26.  August,  Konzept;  Antwort,  24. 
August  1829. 

2)  Stammer  an  Baumann,  25.  Sept. ;  Wahlprotokoll  v.  24.  Sept. 

3)  Baumann  an  den  Geheimen  Rat  Michalski  (?),  den  Gehilfen 
und  Vertrauten  Radziwills.  8.  Nov.  1829.  Archiv  Posen,  Statt- 
halterakten V  3  f.  80/1:  Krzyzanowskis  Beschwerde  über  die  vom 
Oberpräsidenten  verfügte  Aberkennung  seiner  Wählbarkeit  sei  vom 
Könige  zurückgewiesen ;  die  Sache  habe  in  Berlin  „einen  sehr  üblen 
Eindruck*  gemacht,  doch  sei  ein  neuer  Termin  bewilligt  worden,, 
da  die  Ritterschaft  noch  nicht  gewählt,  sondern  um  Belehrung  ge- 
beten habe. 


310  Manfred   Laubert. 

Da  jedoch  Stammer  in  seiner  anmassenden  und 
dünkelhaften  Art  bei  der  Wahleinladung,  anstatt  sich  auf 
eine  rein  formelle  Fassung  zu  beschränken,  eine  un- 
passende Kritik  der  Tätigkeit  und  Erfolge  des  i.  Land- 
tages zum  besten  gegeben  hatte,  ausserdem  aber,  um 
Krzyianowski  zum  freiwilligen  Verzicht  zu  bewegen,  in 
eine  schwächliche,  demütig  bittende  Privatkorrespondenz 
mit  diesem  eingetreten  war,  wobei  ihn  der  stolze  Magnat 
schmählich  abfallen  Hess,  so  übertrug  der  Oberpräsident 
nicht  ihm,  sondern  auf  Anweisung  Schuckmanns  dem 
Landrat  des  benachbarten  Krotoschiner  Kreises,  von  Kar- 
•czewski,  einem  gebornen  Polen,  die  fernere  Leitung  der 
Wahlangelegenheit,  zumal  auch  Stammers  wenig  um- 
sichtiges Verhalten  bei  dem  Wahlakt  selbst  an  der  un- 
günstigen Wendung  der  Dinge  nicht  schuldlos  erschien1). 

Diese  Verfügung  bot  bei  der  Wahl  am  i.  Dezember 
den  erschienenen  Teilnehmern  willkommenen  Vorwand  zu 
einem  neuen  Seitensprung.  Acht  von  den  n  Anwesenden 
verlangten  zunächst  Aufschluss  darüber,  weshalb  nicht 
der  zuständige  Kreislandrat  als  Kommissar  fungieren 
sollte.  Sie  stützten  sich  hierbei  auf  den  §  26  des  Gesetzes 
vom  27.  März  1824,  wonach  die  Wahlen  durch  den  Landrat 
oder  einen  von  ihm  ernannten  Stellvertreter  geleitet 
werden  mussten.  Um  über  den  Grund  der  hier  an- 
geordneten   Abweichung    per    Estafette    Auskunft    von 


*)  Gedruckte  Wahleinladung  v.  1.  Sept.;  Privatschreibea 
Stammers  an  v.  K.  23.  Sept.,  Abschrift;  Antwort  mit  Übersetzung 
24.  Sept.  Wahlprotokoll  24.  Sept.;  Baumann  an  Schuckmann,  Kon- 
zept, 2.  Okt.;  Antwort,  2.  Nov;  Baumann  an  v.  Krzyzanowski  und 
Stammer,  Konzept  7.  Nov.  Von  Stammers  Wahleinladung  schrieb 
Baumann:  „Das  Circulare  des  Landraths  Stammer  ist  das  elendeste 
Machwerk,  das  ich  kenne,  und  es  ist  kaum  zu  begreifen,  wie  dieser 
Landrath,  dem  nichts  oblag,  als  die  Grundbesitzer  zu  dem  Wahl- 
Termin  einzuladen,  sich  hat  herablassen  können,  wegen  der  ver- 
meintlich begrenzten  Resultate  des  ersten  Provinzial-Landtages  dem 
Kroebener  Creise  Trostworte  zuzurufen,  um  von  dem  Beharren  bei 
dem  Gebetenen,  aber  von  Sr.  Majestät  nicht  bewilligten  ihm  grosse 
Erfolge  in  die  Perspective  zu  stellen."  (An  Radziwili,  12.  Okt.  Statt- 
halterakten a.  a.  O.  fl.  78/9.) 


Ein  Wahlkonflikt  im  Kreise  Kroeben  1826.  31 1 

Baumann  einholen  zu  können,  beantragten  sie  eine  vor- 
läufige Vertagung;  nur  die  3  anderen  Interessenten  waren 
bereit,  die  Wahl  eines  Abgeordneten  nebst  Stellvertreters 
ohne  Aufschub  in  das  Werk  zu  setzen1). 

Unter     solchen  Umständen    blieb    bloss    die  Anbe- 
raumung   eines     nochmaligen     Termins     übrig;     dieser 
wurde  unter   Anwesenheit   von  14  Wählern   am  14.  De- 
zember  abgehalten.     Karczewski    las   einen   Auszug   der 
Schuckmannschen    Verfügung    vom    2.    November    vor, 
welche  die  Ernennung  eines  „umsichtigeren  Kommissars" 
empfahl.    Die    Stände    erklärten    darauf    einstimmig,    sie 
dächten  nicht  daran,  sich  der  Wahl  zu  entziehen,  müssten 
sich    aber    einer    peinlichen    Befolgung   djer   gesetzlichen 
Vorschriften  befleissigen  und  aus  diesem   Grunde  darauf 
bestehen,  dass  der  Landrat   Stammer   seine    Zustimmung 
zm  der  Leitung  des  Wahlgeschäftes  durch  einen  anderen 
Kommissar    förmlich    erkläre.     Karczewski   konnte    nicht 
hindern,  dass  durch  eine  eilig  entsandte  Deputation    die 
entsprechende    Anfrage    gestellt    wurde.      Für    Stammer 
war  diese  Wendung  im  höchsten  Masse  erwünscht,  denn 
er    erhielt    dadurch    Gelegenheit,    für    die    ihm     wider- 
fahrene Kränkung  Rache  zu  nehmen   und  das  Verfahren 
seiner    vorgesetzten    Behörden   einer   bissigen   Kritik    zu 
unterziehen.    Weit   entfernt,   der   Sache    seinen    persön- 
lichen Ehrgeiz  zum  Opfer  zu  bringen,  lehnte  er  die   Be- 
stallung   eines    Vertreters    entrüstet  ab,    da   eine    solche 
Handlung    ihm    als   stillschweigende    Sanktionierung  der 
seiner   Meinung   nach    ungerechten    Zurücksetzung   hätte 
ausgelegt  werden  müssen2). 


1)  Wahlprotokoll  1.  Dez. 

2)  Schriftliche  Erklärung  Stammers  v.  14.  Dez.  n  ...  Ich  bin 
durch  die  Ernennung  eines  Commissarii  zur  Leitung  der  Wahl 
eines  Landtags-Abgeordneten  an  meiner  Stelle  öffentlich  kompro- 
mittirt,  ohne  dass  ich  dazu  auf  irgend  eine  Art  Veranlassung  ge- 
geben habe.  Würde  ich  nun  jetzt  einen  Stellvertreter  für  mich 
ernennen,  so  würde  das  ganze  gebildete  Publicum  dies  als  ein 
Selbstgeständniss  meiner  von  mir  anerkannten  Unfähigkeit  zur 
Leitung  dieses  Acts  annehmen  müssen  .  .  .  u 


312  Manfred   Laub  er  t. 

Hierauf  erklärten  die  Mitglieder  der  Versammlung,, 
sie  könnten  sich  durch  das  angeführte  Ministerialreskript 
nicht  von  der  Befolgung  der  gesetzlichen  Vorschrift  für 
entbunden  halten,  müssten  also  ihre  Wahlkompetenz  in 
Zweifel  ziehen  und  um  baldige  Ansetzung  eines  4.  Termins 
bitten.  Alle  Gegenvorstellungen  des  Kommissars  blieben 
fruchtlos;  der  Beschluss  wurde  einstimmig  gefasst,  denn 
auch  diejenigen  traten  ihm  bei,  die  am  1.  Dezember  sieb 
zur  Wahl  hatten  bereit  finden  lassen1). 

Diese  Machenschaften  stellten  aber  die  Geduld  der 
oberen  Behörden  und  des  Königs  auf  eine  zu  harte  Ge- 
duldsprobe. Nach  Baumanns  am  19.  Dezember  er- 
statteter Anzeige  von  den  geschilderten  Ereignissen  be- 
reitete Schuckmann  einen  Immediatbericht  vor,  auf 
welchen  die  Kabinetsordre  vom  31.  d.  M.  erging2).  In 
dieser  war  bündig  gesagt,  da  die  Ritterschaft  des  Kreises 
Kroeben  „unter  unhaltbaren  Vorwänden"  drei  Wahltermine 
vereitelt  habe,  so  sei  kein  neuer  anzuberaumen  und  es 
solle  vielmehr  die  königliche  Bestimmung  vom  10.  Januar 
1827  wieder  in  Kraft  treten,  zumal  auch  die  nach  der 
Ordre  vom  15.  Oktober  jenes  Jahres  an  die  Aufhebung 
der  Suspension  geknüpfte  Bedingung  anlässlich  der 
letzten  Vorgänge  als  nicht  erfüllt  betrachtet  werden 
müsse.  Stammer  kam  mit  einer  scharfen  Rüge  seines 
respektwidrigen  Benehmens  davon  3). 

Dieses  Mal  war  es  bitterer  Ernst  mit  der  Ungnade 
Friedrich  Wilhelms.  Wenn  die  renitenten  Stände  ge- 
hofft hatten,   dank    einflussreicher  Fürsprache  und   dank 


!)  Wahlprotokoll  14.  Dez. 

2)  Baumann  an  Schuckmann,  Konzept;  Kabinetsordre  am 
Schuckmann,  Konzept,  bezw.  Abschrift. 

3)  Schuckmann  an  Baumann  4.  Januar  1830;  Baumann  an 
Stammer  9.  Januar,  Konzept.  Der  Minister  setzt  auseinander,  dass 
der  Landrat  auf  die  Anfrage  der  Ritterschaft  hätte  erklären  müssen, 
in  Dienstsachen  dürfe  kein  Beamter  eine  dem  Willen  seiner  Vor- 
gesetzten widerstreitende  Ansicht  haben,  daher  sei  die  Einsetzung 
des  Stellvertreters  als  von  ihm  gebilligt  zu  betrachten,  wodurch 
allen  Weiterungen  der  Boden  entzogen  worden  wäre. 


Ein  Wahlkonflikt  im  Kreise  Kroeben  1826.  3 13 

ter  oft  bewährten  Langmut  der  preussischen  Staats- 
egierung  baldige  Verzeihung  zu  erlangen,  so  sahen  sie 
rieh  arg  getäuscht 

Eine   von    dem    2.   Provinziallandtage    in  das  Werk 
gesetzte  und  von  einem  Auss  chuss  desselben  vorbereitete 
Immediateingabe  verlief  ergebnislos  1).     Noch  viel  weniger 
•war  nach  dem  Ausbruch  des  polnischen  Aufstandes  von 
1830    in    den    leitenden    Kreisen    Stimmung    vorhanden, 
Gnade  für  Recht  ergehen  zu  lassen.     Erst  1836  kam   die 
Angelegenheit  wieder  zur  Sprache,  und  zwar   gaben  die 
Kroebener  Gutsbesitzer  selbst  den  Wunsch  zu  erkennen, 
auf  den  nächsten   Landtag  einen   Vertreter  entsenden  zu 
dürfen.    Der  damalige  Minister  des  Innern,  Rochow,  war 
nicht  zu    einer    Fürsprache  geneigt    und   wollte   bei  den 
absolut  ungewissen  Absichten  des    Königs  jedenfalls  erst 
gegen    das    Ende    der    laufenden    Wahlperiode    weitere 
Schritte  in  dieser  Frage  tun.    Für  unerlässlich  hielt  er  es, 
dass  sich  die  Schuldigen  unmittelbar    an  den  Monarchen 
wandten  und  ihm  zu  erkennen  gäben,  wie  sehr   sie  ihre 
früheren  Missgriffe  nicht  blos  einsähen,  sondern  auch  be- 
reuten.   Da    aber    durch   die    Ordre   vom  Oktober  1829 
die  Suspension  des  Wahlrechts  nicht  schlechthin,  sondern 
nur  provisorisch  für   den  2.  Provinziallandtag  aufgehoben 
war,  glaubte   der   Minister  voraussagen   zu  können,  dass 
sein  königlicher  Herr,  nachdem  der  erste   Versuch    einer 
Neuwahl  über  alles  Erwarten  ungünstig  ausgefallen   war, 
wohl   schwerlich    gewillt    sein    werde,    ohne    vorherige 
weitere    Probe    sein    Verdikt    sogleich    definitiv    zu    be- 
seitigen. 

Zu  dieser  pessimistischen  Anschauung  hatte  wesent- 
lich das  Ergebnis  einer  auf  Rochows  Wunsch  von 
Flottwell    eingereichten    Charakteristik    der    in    Betracht 


l)  Sulkowski  an  Baumann  15.  u.  18.  Januar.  Auch  Krzyi- 
anowski  wandte  sich  direkt  an  den  König  und  bat  um  Erlaubnis,  an 
den  Verhandlungen  sich  beteiligen  zu  dürfen ;  sein  Gesuch  wurde 
«ebenfalls  abgewiesen.  (Kabinetsordre  an  Schuckmann  und  den 
Justizminister  Grafen  Dankelman  Konzept  26.  Januar.) 


314  Manfred   Laubert 

kommenden  Grundherren  des  Kreises  Kroeben  beigetragen. 
Nach  des  Oberpräsidenten  milder,  vom  Minister  nicht 
einmal  durchweg  gebilligten  Klassifizierung  waren  22  der 
Betreffenden  zuverlässig  und  verständig,  12  andere  politisch 
indifferent  und  einflusslos,  während  n  zur  Klasse  der 
exaltierten  Polenfreunde  gerechnet  werden  mussten  *). 

Der  von  der  Ritterschaft  gemachte  Anlauf,  um  eine 
Beseitigung  der  über  sie  verhängten  Strafe  zu  erwirkenr 
konnte  also  auf  Unterstützung  von  Seiten  des  Ministers 
nicht  rechnen  und  verlor  sich  daher  erklärlicherweise 
im  Sande. 

Niemals  hat  sich  der  tief  gekränkte  Könige 
Friedrich  Wilhelm  III.  dazu  entschliessen 
können,  den  widerspenstigen  Kroebener 
Ständen  das  Recht  der  Vertretung  auf  dem 
Posener  P r o v i n z i a  1 1  a nd t a g  zurück- 
zugeben. 

Dem  Sohne  blieb  es  vorbehalten,  seine  in  den 
ersten  Regierungsjahren  betätigte  nachsichtige  Gesinnung 
gegen  die  polnische  Nation  schon  1840  durch  die  Ver- 
zeihung an  den  Tag  zu  legen,  die  er  grossmütig  der 
Ritterschaft  des  genannten  Kreises  zu  teil  werden  Hess 
„In  der  Voraussetzung",  dass  die  einst  zur  Ausschliessung 
führenden  Gründe  „völlig  beseitigt  sein  werden*,  wurde 
die  Ausschreibung  einer  Wahl  gestattet  und  dabei  die 
Hoffnung  geäussert,  dass  der  Erfolg  diese  Voraussetzung 
bestätigen  werde2). 

Mit  dieser  königlichen  Verfügung  wurde  endlich  ein 
mehr  als  ein  Jahrzehnt  sich  hinschleppender  Konflikt 
zum  Abschluss  gebracht,  der  von  Seiten  der   Ritterschaft 

*)  Rochow  an  Flottwell  18.  Dezember  1836  und  35.  April  1837;. 
Antwort  und  Verzeichnis  der  Gutsbesitzer  6.  Jan.,  Konzept,  die  Be- 
merkungen teilweise  von  Flottwell  eigenhändig  eingetragen. 

2)  Kabinetsordre  an  Rochow  4.  Dezember,  Abschrift  Diese 
Erwartung  ging  freilich  nicht  in  Erfüllung.  Der  Abgeordnete  des 
Kroebener  Kreises,  von  Stablewski,  sowie  seine  Stellvertreter,  ge- 
hörten der  radikalen  polnischen  Partei  zu  und  schlössen  sich  deren 
Vorgehen  skrupellos  an. 


Ein  Wahlkonflikt  Im  Kreise  Kroeben  1806.  315 

mit  allen  Waffen  der  Intrigue,  unter  geschickter 
Ausnützung  der  von  den  Behörden  begangenen 
Ungeschicklichkeiten,  von  Seiten  der  Regierung  im 
ganzen  mit  konsequenter  Festigkeit,  wenn  auch  im 
einzelnen  nicht  durchweg  mit  Takt  und  Umsicht 
fortgeführt  wurde. 

Will  man  die  dem  Streit  zu  Grunde  liegenden 
Motive  näher  bestimmen,  so  wird  man  als  Grundton  der 
oppositionellen  Strömung  zweifellos  ein  Aufwallen  des 
Nationalitätsgefühls,  das  demonstrative  Eintreten  des  pol- 
nischen Adels  für  eines  seiner  verfolgten  und  vervehmten 
Mitglieder  annehmen  können.  Diese  Solidaritätserklärung" 
mit  dem  Märtyrer  der  nationalen  Sache  ging  aus  von 
einer  kleinen  radikalen  Minderheit  Gewiss,  Randow 
hat  es  ja  ausgeplaudert,  viele  waren  im  Herzen  unzu- 
frieden mit  Krzyianowskis  Wahl,  aber  sie  wagten  nicht 
zu  widersprechen  und  blieben  künftig  lieber  ganz  zu 
Hause.  Dieser  Indifferentismus  kennzeichnet  die  Situation. 
Er  ist  sicherlich  nicht  blos  ein  Anzeichen  des  noch  sehr 
mangelhaft  entwickelten  politischen  Verständnisses  jener 
Zeit,  sondern  ein  Ausfluss  des  Grundsatzes,  dass  man 
keine  Partei  vor  den  Kopf  stossen  dürfe,  ein  Grundsatz, 
dem  Deutsche  wie  Polen,  grosse  wie  kleine  Grundherrn 
huldigten.  Sulkowski  selbst  ist  das  Urbild  jener  janus- 
köpfigen  Mittelpartei,  deren  Anhängern  nichts  so  verhasst 
war,  wie  ein  zugespitzter  Konflikt,  bei  dem  sie  in  die 
Lage  kommen  konnten,  offen  Farbe  zu  bekennen.  Schrieb 
doch  der  Fürst,  als  an  ihn  die  Aufforderung  erging, 
seinen  Einfluss  gegen  Krzyianowskis  Wiederwahl 
geltend  zu  machen,  ihm  als  Landtagsmarschall  gebühre 
absolute  Unparteilichkeit  und  er  könne  daher  nur  „sub 
rosa"  wirken  und  erläuternd  schickte  er  voraus:  „Aller- 
dings schmeichle  ich  mir,  das  Zutrauen  aller  meiner 
vernünftigen  Landsleute  zu  besitzen,  die  gewiss  Gottlob 
sieben  Achtel  der  Bevölkerung  des  Grossherzogthums 
Posen  ausmachen,  allein  auch  das  eine  Achtel  muss  ich. 
mit  Klugheit  behandeln,  damit  die  Zahl  desselben  sich 
flicht  vermehre,  sondern  vermindere." 


3*6  Manfred    Laubert. 

Mit  anderen  Worten:  weil  die  grosse  Mehrheit  der 
Wähler  nicht  den  Mut  hat,  sich  mit  der  extremen  Minorität  zu 
verfeinden,  überlässt  man  diesen  rücksichtslos  für  ihre 
.Ziele  eintretenden  Männern  die  Führung,  und  so  gelingt 
es  ihnen,  eine  Ausschlag  gebende  Stellung  zu  gewinnen 
und  noch  manchen  Wankelmütigen  mit  sich  fortzureissen. 
Die  verständigen  Polen  fürchten,  bei  offenkundiger 
Unterstützung  der  Regierung  des  Mangels  an  Patriotismus 
geziehenx  zu  werden ;  die  vereinzelten  Deutschen  besorgen 
bei  entschlossenem  Eintreten  für  die  staatliche  Autorität 
unangenehme  Reibereien  persönlicher  Natur. 

Aber  es  hiesse  doch  die  Bewegung  zu  eng  be- 
grenzen, wenn  man  das  Gebäude  der  Oppo- 
sition nur  auf  dieser  nationalen  Basis  be- 
gründen wollte. 

Bei  der  ersten  Wahl  am  i.  August  1826  wurde,  wie 
wir  sahen,  Krzyianowski  einstimmig  zum  Depu- 
tierten proklamiert,  obwohl  sich  unter  den  Wählern 
auch  die  Herren  Leopold  und  Heinrich  von  Unruh  auf 
Ziemlin,  bezw.  Dziqczyn  befanden.  Letzterer  bekleidete 
.zwar  die  Würde  eines  königlich  preussischen  Kammer- 
herrn, aber  noch  10  Jahre  später  stellte  ihm  Flottwell 
■das  Zeugnis  aus,  er  sei  „nicht  von  ganz  zuverlässiger  Ge- 
sinnung", wenn  auch  „verständiger  und  besonnener*  ge- 
worden als  früher,  und  Rochow  wollte  ihn  nicht  einmal, 
wie  der  Oberpräsident,  den  unverdächtigen  Gutsbesitzern 
zuzählen.  Die  beiden  Unruh  befanden  sich  auch  am 
30.  November  ebenso  wie  ein  Hauptmann  a.  D.  Haendel 
auf  Tarche  unter  der  Mehrheit,  welche  jede  andere  Wahl 
als  die  des  anfangs  nominierten  Kandidaten  ablehnte. 
Ein  Kreisrat  Hellwig,  der  dieses  Mal  und  bei  den  späteren 
Terminen  am  24.  September  und  1.  Dezember  1829  sich 
von  der  Majorität  absonderte,  am  24.  September  ganz 
allein,  das  folgende  Mal  nur  in  Gemeinschaft  mit  einem 
Herrn  von  Rogalinski  und  dem  für  seine  im  Besitz  eines 
Dominiums  befindliche  Gemeinde  wählenden  Bürger- 
meister von  Gostyn,  wofür  diese  drei  auf  Schuckmanns 
Veranlassung  unter  der  Hand  belobt  wurden,  schlug  sich* 


Ein  Wahlkonflikt  im  Kreise  Kroeben  1806.  317 

hauptsächlich  wohl  aus  Furcht  vor  etwaigen  Unannehm- 
lichkeiten, weniger  aus  innerer  Ueberzeugung,  am  14.  De- 
zember doch  auf  die  Seite  seiner  Kollegen,  wodurch  der 
einstimmige  Beschluss  zu  Stande  kam,  ohne  ausdrückliche 
Zustimmung  Stammers  zur  Leitung  des  Wahlaktes  durch 
einen  Stellvertreter  keine  Wahl  vornehmen  zu  wollen. 
Am  1.  Dezember  war  Heinrich  von  Unruh  nicht  zugegen  ;. 
Leopold  treffen  wir  unter  der  Mehrheit;  am  14.  fehlt 
auch  die  Unterschrift  des  Kammerherrn  nicht. 

Also  auch  Männer  von  deutschem  Geblüt  verhalten 
sich  nicht  nur  passiv,  sondern  stehen  im  Kampfe  gegen 
die  Regierung  Schulter  an  Schulter  mit  ihren  polnischen 
Genossen  in  den  Reihen  der  Opposition.  Sie  traten  ein 
für  Krzyzanowski,  mit  dem  sie  vielleicht  warme  Freund- 
schaft, jedenfalls  aber  eine  starke  Interessengemeinschaft 
verband.  Ein  solches  Verhalten  wird  nur  erklärlich,, 
wenn  man  die  geringe  Liebe  und  Achtung  in 
Betracht  zieht,  welche  die  preussischen  Be- 
hörden bei  den  Grossgrundbesitzern  der 
Provinz  Posen  in  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahr- 
hunderts überhaupt  genossen.  Nicht  als  Träger 
und  Schützer  nationaler  Rechte,  sondern  in  erster  Linie 
als  Feind  partikularer  und  materieller  Interessen  galt  der 
Staat  auch  dem  deutschen  Gutsbesitzer.  Es  handelt  sich 
bei  dem  Kr oeb ener  Konflikt  nicht  um  einen  Akt 
nationaler  Auflehnung  allein,  sondern  es  ist 
ihm  eine  starke  Dosis  ständischer  Selbst- 
herrlichkeit gegen  die  Vormundschaft  der 
R eg i e r u n g  und  ihr  verhasstes  Organ,  den 
Landrat,  beigemischt  und  darum  wurde  mit  ge- 
heimer Schadenfreude  jede  neue  Niederlage  der  Behörden 
betrachtet.  Die  Lage  der  Landwirte  war  eine  überaus 
schwierige  in  der  Provinz;  sie  wurde  verschärft  durch 
die  gesetzgeberische  Bahn,  welche  die  preussischen  Staats- 
männer nach  1815  im  grossen  ganzen  zielbewusst  ver- 
folgten ;  das  Regulierungsgesetz  von  1823,  die  Reform  der 
Steuerverfassung,  die  drohende  Ablösung  der  Zwangs- 
und Bauernrechte,    die    Vorbereitungen    der  Judeneman- 


3i8 


Manfred  Laubert. 


•cipation  und  die  rudimentäre  Erfüllung  der  konstitutionellen 
Verheissungen  durch  die  Schaffung  der  bedeutungslosen 
Provinziallandtage  mussten  den  Groll  der  Feudalherren 
herausfordern  und  liessen  bei  ihnen  vor  den  mate- 
riellen Ansprüchen  die  politisch-natio- 
nalen Pflichten  in  den  Hintergrund  treten 
eine  Erscheinung,  die  sich  seit  dem  Wahlkonflikt  von 
Kroeben  in  den  verschiedensten  Phasen  wiederholt  hat. 


M 


Zeitschrift 


der 


JHüstorisehen  Gesellschaft 

für  die 

Provinz  Posen, 

zugleich 

Zeitschrift  der  Historischen  Gesellschaft 


für  den 


fJetzedistrikt  zu  Bromberg. 


Herausgegeben 


Dr.   Rodgero  Prümers. 


Zwanzigster  Jahrgang. 


Eigentum  der  Gesellschaft.  —  Vertrieb  durch  Joseph  Jolowicz. 
Posen  1905. 


Inhalts- Verzeichnis. 


Seite 

t.  Geschichte  der  Stadt  Pakosch.    Von  Archivrat  Professor 

Dr.  Adolf  Warschauer  zu  Posen r 

2.  Andreas  Fricius  Modrevius.  Seine  Lehr-  und  Wanderjahre. 

Aus  dem  Nachlasse  Dr.  Jacob  Caros,  Universitäts- 
professors zu  Breslau 55 

3.  Alte  Lissaer  Grabdenkmäler.  Von  Oberlehrer  a.  D.  Dr.  Paul 

Voigt  zu  Lissa 11 1 

4.  Kuno  Fischer  in  Posen.    Von  Gymnasialdirektor  Prof.  Dr. 

Friedrich  Thümen  zu  Posen 149 

5.  Beiträge  zur  Geschichte  des  deutsch-katholischen  Kirchen- 

systems der  Stadt  Posen   und   ihrer  Kämmereidörfer. 

Von  Dr.  Manfred  Laubert  zu  Frankfurt  a.  O.   .   .   .        163 

6.  Carl  Gottfried  Woide.  Ein  Beitrag  zu  den  wissenschaftlichen 

Traditionen     der     Unität.      Von     Pastor     Wilhelm 
Bickerich  zu  Lissa 193 

7.  Jakob    Kuchler.     Ein    Poscner    Humanist.     Von    Pastor 

Dr.  Theodor  Wotschke  zu  Santomischel *     213 

8.  Aus  den  Posener  Stadtrechnungen,  besonders  des  XVI.  Jahr- 

hunderts.     Von     Archivrat     Professor     Dr.     Adolf 
Warschauer  zu  Posen 249 

9.  Der    Hostiendiebstahl    zu    Posen    im    Jahre    1399.    Von 

Geh.  Archivrat  Professor  Dr.  Rodgero  Prüm  er  s  zu 
Posen 293 


Geschichte  der  Stadt  Pakosch. 

Im  Auftrage  der  städtischen  Behörden  bearbeitet 

von 
Adolf  Warschauer. 

I. 
Die    älteste   Erwähnung    des   Ortes,    der   Kirche   und   der 
Burg  Pakosch.  —  Schicksale  im  Kriege  mit  dem  Deutschen 

Orden. 

I  er  nordöstliche  Teil  der  heutigen  Provinz  Posen, 
das  Land  der  Wasserscheide  zwischen  dem 
Oberlauf  der  Netze  und  der  Weichsel,  das 
früher  noch  mehr  als  heute  von  Rinnsalen,  Seen  und 
Sümpfen  durchsetzt  war,  bewahrt  verhältnismässig  alt- 
historische Erinnerungen.  Die  festen  Punkte,  die  aus  den 
weiten  Wasser-  und  Sumpfflächen  hervorragten,  waren 
leicht  zu  verteidigende  Wohnplätze,  und  die  Gewässer 
boten  der  Urbevölkerung  vielfach  mühelos  zu  erlangende 
Nahrungsmittel  dar.  Sogar  den  ältesten  Fürstensitz 
des  Landes,  Kruschwitz,  setzt  die  Volksüberlieferung  in 
diese  Gegend. 

Zu  diesen  alten,  früher  noch  mehr  als  heute  von 
Wasser  und  Sumpf  völlig  umgebenen  Wohnstätten  gehört 
auch  Pakosch,  am  Oberlauf  der  Netze,  wo  dieser  Fluss  in 
breitem  Strombett,  in  früheren  Zeiten  mannigfach  von 
Nebenarmen  begleitet,  aus  dem  langgestreckten  Jankowoer 
(jetzt  Pakoscher)  See  im  Süden  zum  Mölno-See 
im  Norden  strömt.  Hier  bestand  sicherlich  bereits 
um  die  Mitte  des   13.  Jahrhunderts  eine  Ansiedlung,  die 

Zettschrift  der  Hist.     Ges.  für  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XX.  i 


2  Adolf  Warschauer. 

schon  damals  ihren  heutigen  Namen  führte1),  mit  einer 
Kirche.  Der  Lauf  der  Netze  bildete  in  diesen  Gegenden 
die  Grenze  zwischen  den  Landschaften  Kujavien  und 
Grosspolen,  und  da  Pakosch  auf  dem  linken  —  also  west- 
lichen —  Ufer  des  Flusses  lag,  so  gehörte  es  zu  Gross- 
polen und  war  zu  der  Zeit,  in  der  die  urkundliche  Über- 
lieferung über  den  Ort  beginnt,  im  Besitze  der  Landes- 
herrschaft, der  grosspolnischen  Herzöge,  selbst 

Die  ältesten  Nachrichten,  die  über  den  Ort  erhalten 
sind,  beziehen  sich  auf  die  ehemalige  Pfarrkirche  und  das 
Schloss  oder  die  Burg,  die  beide  heute  nicht  mehr 
existieren.  Die  Pfarrkirche,  die  dem  heil.  Jacobus  ge- 
weiht war,  wurde  um  das  Jahr  1250  im  Tausch  für  die 
Kirche  von  Zon  mit  den  gehörigen  Zehnten  von  dem  gross- 
polnischen Herzog  Przemisl  I.  dem  Erzbischof  Fulco  von 
Gnesen  abgetreten.  Die  hierüber  ausgestellte  Urkunde 
ist  die  älteste,  die  über  die  Geschichte  von  Pakosch  Aus- 
kunft gibt2).  Sie  enthält  keine  genauere  Jahresbezeichnung ; 
da  jedoch  eine  zweite  Urkunde  vom  20.  Mai  1253  den 
Tausch  der  Kirchen  als  bereits  vollzogen  angibt3),  so 
mag  sie  nur  um  weniges  älter  sein  als  diese. 

Aus  demselben  Jahrzehnt  stammt  die  älteste  Nachricht 
über  die  Burg,  die  früher  in  Pakosch  bestanden  hat.  Die 
sog.  Grosspolnische  Chronik  nämlich  erzählt,  dass  in  dem 
Kriege,  den  der  Bruder  des  obengenannten  Herzogs 
Przemisl  I.  Boleslaus  mit  dem  Herzog  Kasimir  von 
Kiyavien  führte,  der  Bundesgenosse  des  letzteren,  der 
Pommernherzog  Swantopolk  im  Jahre  1259  auf  dem 
Gebiete  des  Herzogs  Boleslaus  zum  Schaden  desselben 
in  Pakosch  eine  Burg  erbaut  habe4).  Es  ist  freilich 
möglich,  dass  schon  früher  von  Seiten  der  grosspolnischen 


J)  Die  Ältesten  in  den  Urkunden  des  13.  und  14.  Jahrhunderts 
vorkommenden  Namensformen  sind:  Pacost,  Pacosc,  Pakosth, 
Paccoscz,  Pacoscz,  Pakoscz,  Paczoscz,  Pacostz. 

2)  Gedruckt  in  dem  Codex  diplomaticus  Majoris  Poloniae  Nr.  239. 

3)  Ebenda  Nr.  315. 

*)  Monumenta  Poloniae  historica  Bd.  II  S.  584. 


I  -  jq- 


Geschichte  der  Stadt  Pakosch.  3 

Herzöge  hier,  an  der  Landesgrenze  ein  festes  Haus  er- 
richtet worden  war,  und  dass  an  dieses  die  weitere 
Ansiedlung  sich  erst  angeschlossen  hat,  doch  fehlen  hierüber 
nähere  Nachrichten.  Die  Burg  lag  an  der  Stelle,  an  der 
in  späteren  Zeiten  das  Reformatenkloster  errichtet  wurde. 

Die  Schwierigkeit,  den  an  der  Grenze  des  Landes 
gelegenen  Ort  dauernd  zu  schützen,  scheint  den  Herzog 
Boleslaus  veranlasst  zu  haben,  das  unmittelbare  landes- 
herrliche Besitzrecht  an  ihm  aufzugeben  und  ein  mächtiges 
Adelsgeschlecht  dort  festzusetzen,  in  dessen  Vorteil  es 
liegen  musste,  die  Burg  und  die  Ansiedlung  zu  verteidigen. 
Wir  erfahren  nämlich,  dass  dieser  Herzog  Pakosch  zwei 
Brüdern  Pribislaus  und  Paul,  von  denen  der  eine  Wojwode, 
■der  andere  Kastellan  von  Schwetz  war,  geschenkweise 
zum  Eigentum  überwiesen  habe.  Der  Nachfolger  des 
Herzogs  Boleslaus,  der  grosspolnische  Herzog  Przemisl  II. 
hat  dann  diese  Schenkung  noch  in  so  fern  erweitert,  als 
er  die  der  Landesherrschaft  von  den  Bewohnern  von 
Pakosch  noch  immer  zustehenden  Dienste  und  Leistungen 
den  Grundherren  abtrat,  ihnen  auch  den  Blutbann  über 
die  Hintersassen  einräumte  und  endlich  auch  gestattete, 
dass  sie  ihr  Besitztum  beliebig  anderweitig  verkaufen  und 
verschenken  durften1). 

Wenn  es  die  Absicht  der  Herzöge  war,  durch  diese 
Begabungen  Burg  und  Dorf  Pakosch  in  sicherer  Hut  zu 
erhalten,  so  hat  die  Folgezeit  diese  Berechnung  als  richtig 
erwiesen.  Zwar  hörten  seit  dem  Ende  des  13.  Jahr- 
hunderts die  Kämpfe  zwischen  Grosspolen  und  Kiyavien 
auf,  da  ein  kujavischer  Herzog  Wladislaus  Lokietek  beide 
polnischen  Landschaften  unter  seiner  Herrschaft  vereinigte, 
aber  unter  seiner  Regierung  begann  der  grosse  und  ver- 
heerende Krieg  mit  dem  Deutschen  Ritterorden,  wodurch 
die  nordöstlichen  Teile  unserer  Provinz  und  somit  auch 
Pakosch  wiederholt  von  feindlichen  Überfällen  bedroht 
wurden.  Damals  war  einer  der  ersten  polnischen  Kriegs- 
helden   der  jugendliche  Wojwode   von  Kujavien  Albert 


!)  Cod.  dipl.  Maj,  Pol.  Nr.  503. 


4  Adolf  Warschauer. 

Chostelecz  Grundherr  von  Pakosch.  Im  Frühling  1332 
fiel  der  Orden  in  Kujavien  ein,  er  nahm  Brze££  und 
rückte  dann  vor  Inowrazlaw,  das  sich  ebenfalls  ergeben 
musste.  Ein  allgemeiner  Schrecken  ging  durch  das  Land» 
und  mutlos  flüchtete  der  eingesessene  Adel  mit  Weib 
und  Kind  nach  dem  entlegenen  Krakau.  Nur  der  Wojwode 
Albert  Chostelecz  blieb  im  Lande.  Mit  seinen  Mannen 
warf  er  sich  in  seine  Burg  Pakosch  und  leistete  den  Rittern 
mannhaft  Widerstand,  so  dass  ihre  Übermacht  sich  hier 
brach  *).  Auch  in  friedlichen  Zeiten  weilte  der  Wojwode 
wohl  häufig  auf  seiner  Burg  zu  Pakosch,  als  angesehener 
Mann  die  Streitigkeiten  seiner  Nachbarn  richtend  und 
schlichtend2). 


II. 

Die  Gründung  der  Stadt  Pakosch  zu  deutschem  Recht  im 
Jahre  1359  und  ihre  Folgen. 

Eine  Zeit  fortschreitender  Entwickelung  brach  für 
unseren  Ort  an,  als  Kasimir  der  Grosse  die  Regierung 
antrat  und  durch  seinen  Friedensschluss  mit  dem  Deutschen 
Orden  die  nördlichen  Grenzlandschaften  seines  Reiches 
dauernd  vor  feindlichen  Anfällen  sicher  stellte.  Wie  der 
König  selbst  es  als  seine  Aufgabe  betrachtete,  das 
menschenarm  gewordene  Land  mit  Kolonisten  neu  zu  be- 
völkern und  Städte  und  Dörfer  in  grosser  Anzahl  zu  gründen, 
so  taten  es  auch  seine  geistlichen  und  weltlichen  Vasallen. 
Dem  Wojwoden  Albert  Chostelecz,  der  in  seiner  Jugend 
Pakosch  so  tapfer  verteidigt  hatte,  war  es  noch  vergönnt, 
diese  Zeit  zu  erleben  und  sich  an  ihren  Bestrebungen  zu 
beteiligen.  Wie  in  jenen  Jahren  neben  der  alten  Burg 
Bydgoszcz  die  Stadt  Bromberg  von  dem  König  selbst 
gegründet  wurde,  so  beschloss  auch  der  Wojwode  seinen 


1)  Rocznik  Traski  in  den  Monumenta  Poloniae  historica  Bd.  II 
S.  857,  auch  in  der  kleinpolnischen  Chronik,  ebenda  Bd.  III  S.  195. 
Die  preussische  Überlieferung  lässt  Pakosch  allerdings  eingenommen 
werden.    Chronica  terrae  Prussiae,  ebenda  Bd.  IV.  S.  40. 

2)  Cod.  dipl.  Maj.  Pol.  Nr.  1202. 


Geschichte  der  Stadt  Pakosch.  5 

Ort  Pakosch  zur  Stadt  zu  erheben,  die  Bewohner,  von 
denen  er  zweifellos  voraussetzte,  dass  sie  sich  durch 
Kolonistenzuzug  ansehnlich  vermehren  würden,  mit  frei- 
heitlichen Privilegien  auszustatten  und  so  seinem  aus- 
gedehnten Güterkomplex,  den  er  übrigens  zu  jener  Zeit 
gemeinsam  mit  seinem  Vetter  dem  Untertruchsess  von 
Brzesö  Hektor  besass,  durch  ein  städtisches  in  ihm 
gelegenes  Gemeinwesen  einen  ansehnlichen  Mittelpunkt 
zu  geben. 

Der  erste  vorbereitende  Schritt,   den  er  hierzu  tat, 
war    die    Erwerbung    des    ganz    dicht    nordwestlich    bei 
Pakosch  gelegenen  Dorfes  Ludkowo.    Dieses  Dorf  befand 
sich    im   geistlichen  Besitz   und   zwar    in    dem    des  Erz- 
bischofs von  Gnesen.    Die  ursprünglich  für  den  Ort  Pakosch 
gegründete   Jacobikirche  war,  wie  oben  bereits  erwähnt, 
im  Jahre  1250  von  dem  Erzbischof  erworben  worden  und 
wurde  seitdem  als  zu  Ludkowo   gehörig   betrachtet.    Es 
ist    natürlich,    dass    der    Gedanke,    das    bisherige    Dorf 
Pakosch     zur    Stadt     zu     erheben,     es     wünschenswert 
erscheinen  Hess,  die  Pfarrkirche  wiederum  für   den  Ort 
zu  gewinnen.    Da  dies  wohl  nicht  anders  als  durch  die 
Erwerbung    des    ganzen  Dorfes   Ludkowo    möglich    war 
und   überdies   auch    die    im   unmittelbaren  Anschluss   an 
Pakosch  gelegene  Dorfflur  von  Ludkowo  ein  natürliches 
Erweiterungsgebiet  für  die  künftige  Stadt  darstellen  konnte, 
so  verhandelte  der  Wojwode  mit  dem  Erzbischof  Jacob 
von  Gnesen   hierüber  und    führte   die  Angelegenheit   im 
Jahre  1358  zu  einem  glücklichen  Abschluss.    Er  trat  sein 
im   heutigen  Russisch-Polen    bei  Kowal    gelegenes   Dorf 
Dobryjewice  an  den  Erzbischof  ab  und  erhielt  dafür  das 
gewünschte  Ludkowo   mit  dem  Patronatsrecht   über   die 
zugehörige  Jacobikirche1),  die  seitdem  wieder  als  Pfarr- 
kirche von  Pakosch  galt. 

Ein  Jahr  später  erfolgte  dann  die  Erhebimg  von 
Pakosch  zur  Stadt.  Es  war  dies  ein  Vorgang,  der 
die  Rechtsstellung  des  Ortes  vollkommen  änderte,   indem 


*)  Cod.  dipl.  Maj.  Pol.  Nr.  1371  und  1375. 


6  Adolf  Warschauer. 

er  ihn  von  jeder  Gerichtsbarkeit  und  Verwaltungstätigkeit 
der  Landesbeamten  befreite  und  zu  einem  selbständigen 
Gemeinwesen  unter  eigenen  Behörden  nach  dem  Muster 
der  Städte  in  Deutschland  machte,  wonach  man  den 
ganzen  Rechtsakt  auch  als  Gründung  zu  deutschem  Recht 
bezeichnete.  König  Kasimir  erteilte  dem  Wojwoden 
Albert  und  dem  Untertruchsess  Hector,  den  Grundherren 
von  Pakosch,  die  Erlaubnis  hierzu  bei  seiner  Anwesenheit 
in  Brze66  am  9.  Februar  1359.  Die  hierüber  ausgestellte 
Urkunde,  die  Gründungsurkunde  der  Stadt,  ist  in  einer 
authentischen  Abschrift  in  den  Büchern  der  Kronmetrik 
in  dem  Hauptstaatsarchiv  zu  Warschau  erhalten  und 
mehrfach  gedruckt  worden1).  In  dieser  Urkunde  ge- 
stattete der  König  in  Rücksicht  auf  die  getreuen  Dienste 
und  die  gerechten  Bitten  der  beiden  genannten  Grund- 
herren, auf  dem  Grund  und  Boden  ihres  Dorfes  Pakosch 
eine  Stadt  nach  deutschem  Rechte,  demselben,  dessen 
sich  die  Stadt  Inowrazlaw  erfreue,  zu  begründen  und  sie 
mit  dem  früheren  Namen  Pakosch  zu  benennen.  Von 
nun  an  sollten  in  der  Stadt  die  polnischen  Rechte,  Dienste 
und  Gewohnheiten,  sowie  alle  Lasten,  die  dem  deutschen 
Rechte  widerstrebten,  aufgehoben  sein.  Dagegfen  sollte 
ein  aus  Bürgern  bestehendes  Sondergericht  unter 
einem  Vogt  eingerichtet  werden,  dem  alle  Bürger 
in  grossen  und  kleinen  Dingen,  auch  in  Bezug  auf  die 
Kriminalsachen,  unterstellt  sein  sollten.  Von  diesem  ging 
der  Rechtszug  an  die  Grundherrschaft,  die  ihrerseits 
wieder  durch  den  König  vor  sein  Hofgericht  geladen 
werden  konnte.  Ausserdem  verlieh  die  Gründungsurkunde 
den  Bürgern  noch  das  Recht,  an  jedem  Montag  einen 
Wochenmarkt  abhalten  zu  dürfen. 

Weitere  direkte  Nachrichten  über  die  Gründung  der 
Stadt  sind  nicht  erhalten,  sodass  wir  über  viele  Einzel- 
heiten des  Vorgangs  nicht  unterrichtet  sind.    Fraglich  ist 


*)  Rzyszczewski  und  Muczkowski,  Cod.  dipl.  Pol.  II.  Nr.  512, 
hieraus  nachgedruckt  in  Cod.  dipl.  Mai.  Pol.  Nr.  1397  und  Wuttke> 
Städtebuch  des  Landes  Posen  Nr.  26. 


Geschichte  der  Stadt  Pakosch.  7 

es  insbesondere,  ob  eine  grössere  Anzahl  von  Kolonisten 
zur  Ansiedlung  herangezogen  werden  konnte.  Das 
Äussere  der  Stadt  zeigt  nicht  jene  charakteristische  Form 
der  anderen  deutschen  Kolonialstädte  unserer  Provinz: 
den  viereckigen  Marktplatz  und  die  nach  den  vier  Him- 
melsrichtungen davon  ausgehenden  Strassen,  vielmehr 
begnügte  man  sich  mit  der  Anlegung  eines  breiten  lang- 
gestreckten Marktplatzes  oder  einer  Marktstrasse,  die 
nach  Norden  und  Süden  je  eine  schmälere  Fortsetzung 
erhielt  In  der  Mitte  des  Marktplatzes  stand  früher  ein 
Rathaus,  das  von  verschiedenen  gewerblichen  Bauten, 
wie  Brot-,  Fleisch-,  Schuhmacherbuden  etc.  umgeben  war. 
Nach  allgemeiner  Sitte  scheint  die  Stadt  auch  eine  Be- 
festigung erhalten  zu  haben,  denn  in  einer  allerdings  erst 
dem  17.  Jahrhundert  angehörigen  Urkunde  wird  von  zwei 
Toren  der  Stadt,  dem  Gnesener  und  Inowrazlawer> 
gesprochen.  Inbezug  auf  die  Verfassung  der  Stadt  dürfen 
wir  annehmen,  dass  ausser  dem  in  der  Gründungsurkunde 
erwähnten  Stadtgericht  auch  eine  Verwaltungsbehörde, 
ein  Rat  mit  einem  Bürgermeister  an  der  Spitze,  eingesetzt 
wurde.  Durch  einen  besonderen  Vertrag  müssen  die  Be- 
ziehungen der  Bürger  zu  der  Grundherrschaft,  besonders 
die  dieser  zustehenden  Abgaben  und  Leistungen  fest- 
gesetzt worden  sein.  Dieser  Vertrag  aber  ist  nicht  er- 
halten, und  wir  erfahren  erst  aus  einer  viel  späteren 
Periode  etwas  über  diese  Beziehungen.  Wie  in  vielen 
der  zu  jener  Zeit  gegründeten  Städte  scheinen  sich  auch 
in  Pakosch  bei  der  Erhebung  zur  Stadt  einige  Juden 
niedergelassen  zu  haben,  wenigstens  finden  sich  aus  dem 
16.  und  17.  Jahrhundert  einige  Erwähnungen  von  Pakoscher 
Juden,  von  denen  einer  Tuchhandel  trieb1).  Nach  allge- 
meiner Gepflogenheit  nahm  die  neugegründete  Stadt  ein 
Wappen  an  und  wählte  sich  zum  Wappenbilde  in  sicht- 
licher Befriedigung  über  die  Wiedergewinnung  ihrer  alten 
Pfarrkirche  den  heiligen  Jacobus,  den  Schutzpatron  dieses 
Gotteshauses. 


J)  Stadtarchiv  Posen.     A.  advoc.  1550  sab.  in  vig.  s.  Thome. 
Judenältestc  der  Pakoscher  Gemeinde  St.-A.  Posen.  Rel.  Jun.  1629—31. 


8  Adolf  Warschauer. 

Die  Nachrichten  über  die  Geschichte  der  Stadt  in 
den  ersten  Jahrhunderten  nach  ihrer  Gründung  sind  nur 
ganz  vereinzelt.  In  den  schweren  inneren  Kämpfen,  die 
Grosspolen  am  Ende  des  14.  Jahrhunderts  vor  der  Thron- 
besteigung der  Jagiellonen  durchtobten,  spielten  auch  die 
Grundherren  von  Pakosch,  die  Söhne  des  Untertruchsess 
Hector  —  der  Wojwode  Albert  war,  wie  es  scheint, 
kinderlos  gestorben  —  eine  bedeutsame  Rolle.  Eine 
Chronik  aus  jener  Zeit1)  stellt  es  so  dar,  als  ob  Pakosch 
und  das  benachbarte  Labischin  damals  zu  Raubnestern 
geworden  seien,  aus  denen  ritterliche  Wegelagerer  friedliche 
Kaufmannszüge  überfielen  und  plünderten,  einmal  aber 
wohl  auch  von  den  zum  Widerstand  gereizten  Kaufleuter* 
eine  blutige  Zurückweisimg  erleiden  mussten. 

Nach  der  Wiederherstellung  des  inneren  Friedens 
im  Lande  mit  der  Wahl  des  Wladislaus  Jagiello  zum 
König  von  Polen  (1386)  trat  eine  mehrere  Jahrhunderte 
dauernde  Periode  ruhiger  und  ungestörter  Entwicklung 
für  die  Stadt  ein. 

Nachdem  durch  die  Schlacht  bei  Tannenberg  (1410) 
der  Nordosten  des  Landes  dauernd  vor  den  Einfällen  des 
Deutschen  Ritterordens  gesichert  war,  scheinen  sich  die 
Hoffnungen,  in  Pakosch  einen  gewissen  Handelsmittel- 
punkt zu  begründen,  mächtig  geregt  zu  haben.  Der  da- 
malige Grundherr  Thomco  erwirkte  bei  dem  König  für 
die  Stadt  den  nur  selten  gewährten  Vorzug  der  Zoll- 
freiheit im  ganzen  Lande.  Das  Privilegium,  das  hierüber 
am  12.  August  1415  ausgestellt  wurde,  galt  für  eine  so 
grosse  Kostbarkeit,  dass  man  sich  unter  allen  Umständen 
vor  seinem  Verlust  schützen  wollte  und  dies  dadurch  er- 
reichte, dass  es  der  Grundherr  nach  Posen  brachte  und  es 
dort  in  rechtsverbindlicher  Form  in  die  Akten  der  Stadt 
Posen  abschreiben  liess2). 


*)  Chronik   des  Johannes  von  Czarnkow,   Mon.   Pol.  hist.  II. 
Seite  729. 

2)  Warschauer,  Stadtbuch  von  Posen  Bd.  I  S.  9t  f. 


Geschichte  der  Stadt  Pakosch.  9 

Um  die  Stadt  immer  mehr  zu  einem  wirtschaftlichen 
^Mittelpunkt   für  die  Umgegend   zu  machen,   strebten   die 
späteren  Grundherren   sowie   auch   die   Bürger  darnach, 
Jahrmärkte   in  ihr  einzurichten,    die   überdies   durch  die 
Erhebung   von   Markt-    und    Standgeldern    willkommene 
Einnahmen   brachten.     Am   5.  März   1519  gewährte  der 
König  Sigismund  I.   auf  Bitten   des  Grundherrn  Andreas 
drei    solcher  Jahrmärkte   für  die  Tage   der  heil.  Gertrud 
(6.  Oktober),  des   heil.  Lorenz  (10.  August)   und  der  elf- 
tausend Jungfrauen  (21.  Okt.)1).    Später  wurde  die  Anzahl 
dieser  Jahrmärkte  noch  bedeutend  vermehrt. 

Aus    dem   Jahre    1583    ist   eine    kurze  Zusammen- 
stellung der  von  der  Stadt  gezahlten  Staatssteuer  „Schoss* 
erhalten.     Aus  ihren  Zahlen   geht  hervor,   dass  das  Ge- 
meinwesen zwar  klein,  aber  doch  nicht  ganz  unbedeutend 
gewesen  ist.      Zwar   betrug  die  Gesamtsteuersumme  nur 
30   Gulden,   aber   an  ihrer  Aufbringung   waren   beteiligt 
15  Schneider,  22  Schuhmacher,  9  Schmiede,  11  Kürschner, 
4   Fleischer,   36  Bäcker,    7  Fischer,   je    ein  Chirurg   und 
Bader   etc.      Die   Handwerker   waren    in   Innungen    ge- 
gliedert,  doch   gehörten    10  keiner  Innung  an.      In   der- 
se4ben  Urkunde  werden  auch  zwei  Wassermühlen  erwähnt, 
die   sich   wohl,    wie   in   späteren   Zeiten,   im   Besitz   der 
Grundherrschaft    befanden    und     von     denen    die    eine 
nördlich,  die  andere  südlich  von  der  Stadt  am  Netzefluss 
gelegen  war.    Auf  die  Ausübung  der  Fischerei  deutet  die 
Erwähnung    der    7     Fischer     in    dieser   Steuerliste    hin. 
Auch  die  Branntweinbrennerei  muss  gepflegt  worden  sein, 
da  von  14  Brennkesseln  oder  Töpfen  Steuer  gezahlt  wurde2). 


III. 

Die    grundherrschaftlichen    Familien    Krotowski    und 

Dzialynski.     Die   religiöse  Bewegung  im  16.  Jahrhundert 

In  einer  Beziehung  war  der  Stadt  ein  besonders 
günstiges  Geschick  beschieden.  Während  nämlich  die 
meisten  Städte  im  alten  Polen,  die  sich  im  Besitze  adliger 

J)  Hauptstaatsarchiv  zu  Warschau,  Kronmetrik  Bd.  33  BL  244. 
2)  Pawinski,  Polska  XVI.  wieku  I  S.  261  f. 


IO  Adolf  Warschauer. 

Familien  befanden,  ihre  Eigentümer  häufig  wechselten  j 
und  so  zu  Erwerbsobjekten  herabsanken,  die  von  ihren 
Grundherren  möglichst  ausgesogen  wurden,  blieb  Pakosch 
nach  seiner  Entstehung  zunächst  viele  Jahrhunderte 
hindurch  im  Besitze  einer  und  derselben  Magnatenfamilie, 
nämlich  der  Krotowski  vom  Wappen  Leszczyc,  der  alle 
bisher  genannten  Grundherren  der  Stadt  angehörten. 
Den  Namen  führte  diese  Familie  von  dem  Dorfe 
Krotoschin  bei  Bartschin,  zu  ihren  Besitzungen  gehörten 
nicht  nur  Pakosch,  sondern  auch  Labischin,  KoScielec 
und  andere  Ortschaften  in  den  grosspolnisch  -  kujavischen 
Grenzlanden.  Viele  von  den  Mitgliedern  dieses  Hauses 
bekleideten  hohe  Staatsämter,  so  der  Begründer  der  Stadt 
Pakosch  Albert  das  des  Wojwoden  von  Kujavien.  Die 
höchste  Stufe  der  Ehren  erstieg  der  ebenfalls  schon  oben 
erwähnte  Grundherr  Thomco,  der  Kastellan  von  Bromberg, 
später  Kastellan  von  Posen  und  Generalstarost  von  Gross- 
polen wurde.  Um  die  Mitte  und  gegen  Ende  des  15.  Jahr- 
hunderts wurde  den  Mitgliedern  des  Hauses  mehrfach 
die  Würde  des  Kastellans  von  Schrimm  anvertraut, 
während  im  16.  Jahrhundert  die  Krotowski  wieder  wie 
im  13.  und  14.  die  kujavischen  Landeswürden,  besonders 
das  Kastellanat  und  die  Wojwodschaft  von  Inowrazlaw 
verwalteten.  Die  Stadt  Pakosch  blieb  bis  zum  Aussterben 
des  Hauses  Eigentum  der  Familie,  und  da  sie  immer  vom 
Vater  auf  den  Sohn  überging,  so  konnte  sich  ein 
patriarchalisches  Verhältnis  zwischen  Grundherren  und 
Bürgern  ausbilden,  und  es  kamen  Übergriffe  und  Härten 
gegen  die  Hintersassen  hier  wohl  kaum  vor;  es  ist  viel- 
mehr eine  Reihe  von  Nachrichten  überliefert,  die  von 
einer  väterlichen  Sorgfalt  der  grundherrschaftlichen  Familie 
für  die  Bürgerschaft  Zeugnis  ablegen.  Hierzu  gehören 
die  schon  oben  erwähnten  Massregeln  zur  wirtschaftlichen 
Hebung  der  Stadt  Aber  auch  den  geistigen  und  kirch- 
lichen Interessen  der  Bürger  wandten  die  Krotowski 
ihre  Aufmerksamkeit  zu;  so  errichtete  um  die  Mitte  des 
15.  Jahrhunderts  Albert  Krotowski,  Kastellan  von  Schrimm, 
in  Pakosch  eine  Schule,  die  noch  im  17.  Jahrhundert  be- 


Geschichte  der  Stadt  Pakosch.  II 

stand    und   deren  Rektor  einen  Teil  seines  Gehaltes  aus 
der  Stadtkasse  bezog.    Um  dieselbe  Zeit  wurde  auch,  da 
<iie  Bürgerschaft  sich  vermehrt  hatte  und  die  alte  Jacobi- 
lrirche  die  Menge  der  Gläubigen  nicht  mehr  fassen  konnte, 
^ine  zweite  Kirche,  wie  es  scheint,  auf  gemeinsame  Kosten 
<ies  Grundherrn  und  der  Bürger  errichtet.    Diese  Kirche, 
von   der  jetzt  jede  Spur  verloren   ist,    lag  am  Netzefluss 
in  der  Stadt  selbst  und  war  der  Heimsuchung  der  Jung- 
frau Maria  gewidmet    Als   die  alte  Jacobikirche  immer 
baufälliger  wurde,    ging  wohl  schon  gegen  das  Ende  des 
15.  Jahrhunderts   die  Würde   der  Pfarrkirche   auf   dieses 
»euere  Gotteshaus  über,  neben  dem  auch  für  den  Geist- 
lichen ein  Pfarrhaus  errichtet  wurde1). 

Als  im  16.  Jahrhundert  die  reformatorische  Bewegung 
m  Grosspolen  festen  Fuss  fasste,  traten  auch  die  Kro- 
towski  zu  der  neuen  Lehre  über,  doch  schlössen  sie  sich 
nicht  dem  lutherischen  Bekenntnis,  sondern  der  Richtung 
der  Böhmischen  Brüder  an,  die  im  Slawentum  entstanden, 
unter  dem  hohen  polnischen  Adel  in  Grosspolen  und 
Kujavien  viele  Anhänger  fand.  Der  damalige  Grundherr 
von  Pakosch  Johann  Erasmus  Krotowski,  seit  1562 
Wojwode  von  Inowrazlaw,  war  einer  der  eifrigsten  Partei- 
gänger dieser  Sekte  und  war  in  dritter  Ehe  mit  Ursula 
Barbara  Ostrorog,  der  Tochter  des  Generalstarosten  Jacob 
Ostrorog,  des  Hauptes  der  Böhmischen  Brüder  in  Gross- 
polen, vermählt.  Der  enge  Zusammenhang  zwischen 
Grundherren  und  Bürgerschaft  hatte  zur  immittelbaren 
Folge,  das  auch  die  letztere  dem  katholischen  Bekennt- 
nisse entsagte  und  zu  demjenigen  der  Böhmischen  Brüder 
übertrat  Es  geschah  dies  in  so  umfassender  Weise,  dass 
beide  Gotteshäuser,  sowohl  die  Jacobi-  als  die  Marien- 
kirche, den  Böhmischen  Brüdern  überantwortet  wurden. 
Zu  den  Geistlichen  dieses  Bekenntnisses,  die  in  Pakosch  ihres 
Amtes  walteten,  gehörte  Christoph  Musonius,  eine  der  be- 


*)  Über  die  Marienkirche  vgl.  Johannes  a  Lasco,  Liber  bene- 
ficiorum  I  S.  185  f. 


12  Adolf  Warschauer. 

deutendsten  und  einflussreichsten  Persönlichkeiten  unter 
seinen  Amtsgenossen1). 

Bei  seinem  Ableben  hinterliess  Erasmus  Krotowski 
zwei  Söhne:  Johann  und  Andreas.  Der  erstere,  seit  1583 
Kastellan  von  Inowrazlaw,  starb  1587  unverehelicht,  der 
letztere,  der  seit  1623  die  Würde  eines  Kastellans  von 
Kaiisch  bekleidete,  war  zwar  verheiratet,  hinterliess  aber 
keine  männlichen  Nachkommen,  sodass  mit  diesen  beiden 
Brüdern  das  Geschlecht  der  Krotowski  in  männlicher 
Linie  ausstarb2).  Es  scheint,  dass  schon  Andreas  wieder 
zum  katholischen  Glauben  zurückgekehrt  ist,  da  im  Jahre 
1608  die  Pfarrkirche  zu  St.  Marien  bereits  wieder  für  den 
katholischen  Gottesdienst  eingerichtet  war.  Die  Familie 
folgte  hierin  nur  dem  Beispiele,  das  fast  alle  gross- 
polnischen und  kujavischen  Familien  zu  jener  Zeit,  als 
unter  dem  König  Sigismund  III.  die  Reformation  in  dem 
ganzen  Königreiche  in  den  Hintergrund  gedrängt  wurde, 
gaben.  Allerdings  scheint  ein  Teil  der  Bürgerschaft  zu- 
nächst noch  dem  Bekenntnisse  der  Böhmischen  Brüder 
treu  geblieben  zu  sein,  da  die  Jacobikirche  vorläufig  noch 
in  ihrem  Besitze  blieb. 

Der  letzte  Krotowski,  Andreas,  besass  di^  Stadt 
Pakosch  nicht  mehr  allein,  sondern  teilte  ihren  Besitz  mit 
einem  andern  Edelmann  Felix  Dobrocielski,  über  dessen 
Familie  jedoch   weiter   keine  Nachrichten   erhalten    sind. 


*)  Über  die  Böhmischen  Brüder  in  Pakosch  vgl.  die  kurzen 
Angaben  bei  J.  Lukaszewicz,  O  koSciolach  braci  Czeskich  w  dawne] 
Wielkopolsce  S.  333.  Dass  beide  Kirchen  von  den  Evangelischen 
besetzt  waren,  geht  aus  einer  Kirchenvisitation  von  1608  hervor: 
Pakosd  oppidum  .  .  in  quo  est  ecclesia  lignea  tegulis  tecta,  conse- 
crata  tit.  Visitationis  Beatae  Mariae  virginis.  Post  consecrationem 
fuit  profanata  et  violata  sepulturis  haereticorum,  demum  post  multos 
annos  reconciliata  fuit  per  rev.  suffraganeura  Gnesnensem  et  restituta 
catholicis.  .  .  .  Sacellum  aliud  est  extra  dictum  oppidum  lignosum 
consecratum  tituli  s.  Jacobi  profanatum  ac  violatum  sepulturis  hae- 
reticorum, in  qua  ecclesia  quondam  fuit  parrochialis.  (Pfarr- 
archiv von  Pakosch.) 

2)  Zychlinski,  Zlota  ksie.ga  Bd.  XI  S.  98— 102  findet  man  genea- 
logische Notizen  über  die  Familie  Krotowski. 


Geschichte  der  Stadt  Pakosch.  13 

Von  ihm  ging  der  ganze  Güterkomplex  in  den  Besitz  der 
Familie  Dzialynski  über.  Diese  Familie  war  ursprüng- 
lich in  dem  benachbarten  KoScielec  heimisch  gewesen 
und  hatte  von  diesem  ihren  Stammsitz  früher  den  Namen 
Koäcielecki  getragen.  Später  nahm  ein  Zweig  der  Familie 
von  einem  ihr  gehörigen  Schlosse  Dzialyn  im  Dobriner 
Lande  den  Namen  Dzialynski  an  und  eben  dieser  kam  in 
den  Besitz  der  Pakoscher  Güter.  Da  die  Dzialynski  eine 
streng  katholische  Familie  waren,  so  gelang  es  ihnen  auch 
bald,  die  letzten  Reste  der  reformatorischen  Überzeugung 
in  der  Bürgerschaft  auszumerzen  und  die  Rückgabe  der 
Jacobikirche  an  die  Katholiken  durchzusetzen.  Seitdem 
wurde  die  Jacobikirche  wohl  wieder  die  eigentliche  Pfarr- 
kirche. Die  Marienkirche  verfiel  und  wurde  später  nieder- 
gerissen; in  den  Urkunden  wird  ihrer  seither  nirgends 
Erwähnung  getan. 


IV. 

Die  Gründung  des  Kalvarienberges  und  des  Reformatcn- 
klosters.    Die  Vernichtung  der  Judengemeinde. 

Bald  nachdem  die  Dzialynski  in  den  Besitz  von 
Pakosch  gekommen  waren,  betätigten  sie  ihren  religiösen 
Eifer  dadurch,  dass  sie  ihre  Stadt  zum  Sitz  zweier  religiöser 
Anstalten  machten,  die  für  die  Geschichte  der  Stadt  von 
grosser  Wichtigkeit  geworden  sind,  nämlich  des  jetzt 
noch  bestehenden  Kalvarienberges  und  des  nunmehr  auf- 
gelösten Reformatenklosters. 

Beide  Stiftungen  entstanden  etwa  zu  gleicher  Zeit, 
so  dass  wohl  angenommen  werden  kann,  dass  sie  im 
Zusammenhang  mit  einander  geplant  wurden.  Der 
Kalvarienberg  wurde  1628  von  Michael  Dzialynski,  dem 
Sohn  des  1615  gestorbenen  Wojwoden  Michael  von  BrzeSö, 
eingerichtet.  Ob  der  Stifter,  wie  man  sich  erzählt, 
selbst  im  heiligen  Lande  gewesen  ist  und  dort  die  Ent- 
fernungen der  Leidensstationen  von  einander  kennen 
gelernt  hat,  um   sie   in  Pakosch  nachzuahmen,  ist  nicht 


14  Adolf  Warschauer. 

zweifellos  nachweisbar  und  dürfte  um  so  weniger  anzu- 
nehmen sein,  als  für  die  Abmessungen  der  Stationen 
nach  einigen  Andeutungen  in  den  Urkunden  auch  die- 
jenigen des  Zebrzydowskischen  Kalvarienberges  bei  Krakau 
massgebend  waren.  Im  Jahre  1629  stellte  Michael 
Dzialynski  einen  förmlichen  Stiftungsbrief»  über  den  Kal- 
varienberg  aus  und  Hess  ihn  in  die  Grodakten  von 
Inowrazlaw  eintragen.  Die  Aufsicht  über  den  Kalvarien- 
berg  wurde  zunächst  dem  Pfarrer  der  Pfarrkirche  anvertraut. 

Wahrscheinlich  weil  dessen  Kräfte  für  diese  geist- 
liche Arbeit  nicht  ausreichten,  wurde  kurz  darauf  zur 
Errichtung  des  Klosters  geschritten. 

Von  allen  den  zahlreichen  Mönchsorden,  die  im 
Mittelalter  entstanden  waren,  hatten  sich  fast  ausschliess- 
fich  die  Franziskaner  -  Bettelmönche  in  der  Gunst  des- 
Volkes  erhalten.  Eine  Abteilung  dieses  Ordens,  die  die 
alte  strenge  Ordensregel  der  vollkommenen  Armut  in 
solcher  Schärfe  befolgte,  dass  ihre  Anhänger  stets  barfuss 
gingen  und  niemals  Geld  oder  auch  nur  einen  Vorrats- 
sack bei  sich  trugen,  hatte  sich  im  16.  Jahrhundert  in 
Spanien  ausgebildet  und  den  Namen  der  „Reformaten* 
angenommen.  Im  Jahre  1621  gewann  dieser  Orden  Ein- 
gang auch  in  Polen,  wo  die  Magnaten  ihnen  zahlreiche 
Klöster  erbauten.  In  unserer  Provinz  war  das  älteste 
dieser  Klöster  im  Jahre  1621  in  Görchen  von  dem  dortigen 
Grundherrn  Adam  Przyjemski  errichtet  worden,  1627  hatte 
Labischin  ein  ähnliches  Kloster  erhalten,  und  diese  An- 
siedlung  ganz  in  der  Nähe  von  Pakosch  gab  wohl  den 
ersten  Anstoss,  sie  auch  dorthin  zu  verpflanzen. 

Neben  dem  schon  oben  genannten  Michael  Dzialynski 
beteiligten  sich  auch  noch  dessen  beide  Brüder  Paul, 
Starost  von  Kowal,  Inowrazlaw  und  Nieszawa,  dem  Michael 
den  Besitz  der  Güter  Pakosch  abgetreten  hatte,  sowie 
Kaspar  an  dem  frommen  Werke.  Kaspar,  der  geistig 
hervorragendste  der  Brüder,  scheint  die  treibende  Kraft 
hierbei  gewesen  zu  sein,  wie  er  denn  überhaupt  durch 
glühenden  katholischen  Glaubenseifer  während  seines 
ganzen    Lebens    sich    ausgezeichnet    hat    und    noch    im 


Geschichte  der  Stadt  Pakosch.  15 

höheren    Alter,    nachdem    er   bereits    die    Würde    eines 
"Wojwoden    von   Kulm    erstiegen    hatte,     in    den    geist- 
lichen Stand   übertrat  und   sein  Leben   als  Bischof   von 
Kulm  endigte. 

Der  Platz,  den  die  Brüder  dem  neu  zu  errichtenden 
Kloster  anwiesen,   war  merkwürdig  genug.    Die  alte  im 
13.  Jahrhundert  errichtete  Burg  hatte  ihre  Bedeutung  als 
Verteidigungsbau  völlig  verloren.    Auch  als  Wohngebäude 
war    sie   nicht   mehr   verwendbar,   da   sie  in  einen  ver- 
fallenen und  ruinenhaften  Zustand  geraten  war.    So  ent- 
schlossen  sich   die  Brüder,   diesen  Platz,   der   früher   so 
häufig  von  kriegerischem  Getümmel  erfüllt  gewesen  war 
den  stillen  Bussübungen  der  Mönche  einzuräumen.    Unter 
dem     13.    März    1631    stellte    der    Gnesener    Erzbischof 
Johann  W^zyk  eine  Urkunde  hierüber  aus,  und  am  7.  Juli 
erfolgte  vor  den  Inowrazlawer  Grodakten  die  förmliche  Auf- 
lassung der  Burg  und  des  zugehörigen  Gartens  an  die  römische 
Kirche    für    den    Orden    der    Reformaten    durch    Paul 
Dzialynski,  der  hierbei  feierlich  versicherte,   dass  er   zu 
der  Schenkung  durch  reinen  Eifer  und  blosse  Freigebigkeit 
bewogen    worden    sei    und    kein    Geld    dafür    erhalten 
habe.     Am    22.     Dezember    desselben    Jahres    nahmen 
einige  aus  Labischin  herübergekommenen  Mönche  feierlich 
und    förmlich    von    dem    Orte    Besitz    und    errichteten 
zum  Zeichen  dessen  auf  ihm  ein  Kreuz.    Der  Bau  eines 
Klosters  und  einer  Kirche   konnte  sofort  in  Angriff   ge- 
nommen   werden,    da    eine    fromme  Edeldame   Ludmilla 
Niemojewska   freigebig   die  Mittel   hierzu   zur  Verfügung 
stellte.    Schon  am  2.  August  1632  konnte  der  Gnesener 
Suffraganbischof  Andreas  Gembicki    die  Kirche   weihen. 
Er     widmete      die    Kirche      selbst     dem     heil.    Bona- 
ventura   und    zwei    Altäre    dem    heil.   Franz   von  Assisi 
und  dem   heil.    Antonius   von     Padua,    also     den    drei 
grössten    Leuchten  des    Franziskanerordens.     Um    diese 
Altäre     mit    den    notwendigen     Reliquienschätzen    aus- 
zustatten,  hatte  Kaspar  Dzialynski  schon  im  Jahre   1622 
in    den    Katakomben    in    Rom    nach    Märtyrergebeinen 
suchen  lassen   und  war  durch   die  Bemühungen   des   in 


16  Adolf  Warschauer. 

Rom  lebenden  Thorner  Jesuiten  Jacob  Zychowicz  auch 
mit  solchen  versehen  worden.  Unter  allerlei  Vorsichts- 
massregeln hatten  zwei  polnische  Edelleute  Arnolph  und 
Albert  Krzycki  und  der  Posener  Domherr  Hieronymus 
Zerzynski  diese  Reliquien,  für  die  die  dienstgefälligen 
Römer  als  Gegengabe  Bernsteinstücke  wünschten,  über  die 
Alpen  geführt  und  in  die  Hände  des  Kaspar  Dzialynski 
gelegt1). 

Als  das  Kloster  fertig  eingerichtet  und  mit  Mönchen 
besetzt  war,  wurde  ihm  die  Sorge  für  den  Kalvarienberg 
übertragen,  der  bald  für  die  Bevölkerung  ein  beliebter 
Wallfahrtsort  wurde,  so  dass  —  wie  die  Klosterchronik 
wohl  etwas  übertrieben  erzählt  — ,  an  manchen  Festtagen, 
besonders  am  Feste  des  heil.  Kreuzes  im  Monat  Mai 
18 — 20  000  Menschen  die  Stätte  besuchten,  um  dort  Erlass 
ihrer  Sünden  oder  Heilung  von  ihren  Leiden  zu  finden. 

Noch  waren  freilich  die  einzelnen  Stationen  nur  mit 
passend  ausgeschmückten  Kreuzen  bezeichnet,  die  aber 
schon  in  den  nächsten  Jahrzehnten  nach  und  nach  durch 
die  noch  heute  bestehenden  Kapellen  ersetzt  wurden. 
Im  Jahre  1654  mag  wohl  ein  grosser  Teil  der  Baulich- 
keiten schon  vollendet  gewesen  sein,  da  in  dem  genannten 
Jahre  der  Sohn  des  Paul  Dzialynski,  Sigismund,  Wojwode 
von  Brze££  in  Kujavien,  den  Grund  und  Boden  der 
väterlichen  Schenkung  erweiterte,  damit  die  Gläubigen 
den  Weg  von  der  einen  Kapelle  zur  andern  bequemer 
zurücklegen  könnten. 


x)  Über  die  Geschichte  des  Klosters  gibt  den  besten  Auf- 
schluss  eine  zweibändige  jetzt  im  Besitze  des  Pakoscher  Pfarrarchivs 
befindliche  Handschrift  von  Nepomucen  Sadowski,  Scrutinium 
antiquitatis  sive  nova  revisio  veteris  archivii  conventus  ad  s.  Bonaven- 
turam  Pacostensem  PP  s.  Francisci  reformatorum  in  II  libros  divisa. 
Obwohl  die  Handschrift  erst  1815  abgefasst  ist,  ist  sie  auch  für  die 
älteren  Zeiten  sehr  wichtig,  da  sie  alte  Urkunden  und  Überlieferungen 
benutzt.  Ebenfalls  im  Besitze  des  Pfarrarchivs  befindet  sich  eine 
Handschrift  mit  Abschrift  der  Privilegien  des  Konvents  und  des 
Kalvarienberges:  Monimenta  seu  documenta  variarum  transactionum 
ratione  fundationis  Calvaristicae  et  conventus  Pacostensis,  angelegt 
1740  durch  den  Prior  Victor  Brzozowski. 


Geschichte  der  Stadt  Pakosch.  17 

Allerdings    erfolgte    nach    dem    Tode    des    Königs 
Sigismund  III.  und  besonders  in  der  Zeit,  als  die  Schweden 
in.    den  Jahren  1655  bis  1657  das  Land  heimsuchten,  ein 
Rückgang   der   beiden    frommen  Anstalten,   so   dass  das 
Kloster    auf    seine    Rechte    an    dem   Kalvarienberg    ver- 
zichtete und  seine  Pflege  wieder  dem  Ortspfarrer  übergeben 
wurde.    Sobald  aber  die  Ruhe  im  Lande  wieder  hergestellt 
\ivar,  wurden  die  alten  Bestrebungen  wieder  aufgenommen. 
Es  ist  noch  ein  Brief  vom  26.  August   1660  vorhanden, 
worin  im  Namen  der  ganzen  Bürgerschaft  von  Pakosch 
<ier    damalige    Bürgermeister    Tomas    Nalecki    und    der 
Schöffe  Balthasar  Kürschner  den  Provinzial  des  Reformaten- 
ordens  baten,  die  Besorgung  des  Kalvarienberges  wieder 
<ien  Mönchen    zu    überweisen,    welcher  Bitte    auch    ent- 
sprochen   wurde.     Einige    Jahre    später    verschrieb    ein 
Gönner  des  Kalvarienberges,  der  Tribun  von  Kruschwitz 
Martin  Beldowski,  diesem  eine  Summe  von  15  000  Gulden» 
-die  auf  die  Pakoscher  Güter  eingetragen  wurde  und  die 
gottesdienstlichen  Einrichtungen  des  Kalvarienberges  für 
alle  Zeit  finanziell  sicher  stellte.     Das  Kloster  aber  wurde 
von  dem  Grundherrn  Sigismund  Dzialynski  baulich  von 
Grund    aus    erneuert.    Auch    seine   Gemahlin   Katharina 
Francisca    geb.   Witoslawska    gehörte,    wie    die  Kloster- 
-chronik    rühmt,    zu    den    grössten    Wohltäterinnen    der 
Mönche.     Sie    hat,    wie    viele    andere    Mitglieder    der 
Dzialynskischen  Familie  in  der  Klosterkirche   ihre  letzte 
Ruhestätte  gefunden1). 

Wie  der  Franziskanerorden  im  allgemeinen,  so  hielt 
auch  das  Kloster  in  Pakosch  darauf,  geistig  hervorragende 
und  der  Wissenschaft  kundige  Männer  unter  seinen 
Insassen  zu  besitzen.  Es  war  der  Regel  des  Ordens  ent- 
sprechend, dass  die  hierzu  befähigten  Mönche  sich  dem 
Predigerberufe  widmeten  und  hierin  nicht  nur  auf  der 
Kanzel  der  Klosterkirche  wirkten,  sondern  auch  predigend 
im  Lande    umherzogen.     Dem    Zuge    ihrer  Zeit   folgend 


x)  Ihre  Grabschrift  ist  abgedruckt  bei  Zychlinski,  Ziota  ksie.ga 

X  S.  102  f. 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XX.  2 


18  Adolf  Warschauer. 

beschränkten  diese  Mönche  sich  nicht  darauf,  den  frommen 
Sinn  ihrer  Glaubensgenossen  zu  stärken,  sondern  sie 
richteten  ihr  besonderes  Augenmerk  auf  die  Bekehrung 
Andersgläubiger.  Mit  grosser  Genugtuung  führt  die 
Klosterchronik  die  Fälle  auf,  in  denen  es  gelang,  Pro- 
testanten aus  der  Nachbarschaft,  vornehmlich  aus  den 
Hauländereien,  zu  dem  katholischen  Glauben  zurückzu- 
führen, und  gerade  weil  die  Protestanten  gewöhnlich 
deutscher  Herkunft  waren,  wurden  vielfach  geschickte 
Mönche  deutscher  Nationalität  in  den  Klosterkonvent  ein- 
gestellt: so  werden  als  besonders  geschickt  in  dem  Be- 
kehrungswerk gerühmt  Heinrich  Wolffenbusch,  Capistran 
Hoffmann  und  Donatus  Raab.  Auch  gelang  es  wohl  hin 
und  wieder,  einen  Juden  in  der  Klosterkirche  sein  Bekenntnis 
abschwören  zu  lassen. 

Vielfach  liessen  die  Mönche  ihre  gelehrte  Bildung, 
Beredsamkeit  und  Glaubensstärke  auch  vor  einem 
grösseren  geladenen  Publikum  glänzen.  Hierzu  wurden 
Disputationen  veranstaltet,  denen  die  Bürger  der  Stadt 
und  benachbarte  Edelleute  beiwohnten.  An  solchen 
feierlichen  Redekämpfen  beteiligten  sich  auch  die  Mönche 
der  benachbarten  Klöster  zu  Labischin  und  Bromberg,  wie 
auch  die  Pakoscher  Brüder  zu  ähnlichen  Veranstaltungen 
in  fremde  Klöster  berufen  wurden.  Der  Adel,  der  an 
solchen  Veranstaltungen  Wohlgefallen  hatte,  übte  durch 
mancherlei  Gunstbezeugungen  Vergeltung.  So  beschloss 
der  kujavische  Landtag  von  Radziejewo  im  Jahr  1670  für 
den  Klosterkonvent  zu  Pakosch  eine  Schenkung  von 
20  Fass  Salz,  der  Landtag  von  1673  schenkte  30  Fass 
Salz  und  wies  überdies  aus  den  Einnahmen  der  Accise 
noch  100  Gulden  für  den  Kalvarienberg  an1). 

Ausser  dem  Kloster  und  dem  Kalvarienberg  bestand 
in  Pakosch  im  17.  Jahrhundert  noch  eine  dritte  fromme 
Stiftung,  nämlich  ein  Hospital  und  eine  dazu  gehörige 
Kirche   zum   heiligen  Geist.    Beide   lagen    vor  der  Stadt 


J)  Pawinski,    Dzieje   ziemi   Kujawskiej.    Rzady  sejmikowe   IL 
S.  360.    427. 


Geschichte  der  Stadt  Pakosch.  19 

rechter  Hand  auf  dem  Wege  nach  dem  Dorfe  Ludkowo. 
XJber   die  Gründung  fehlen  jede  Nachrichten.    Die  Aus- 
stattung bestand  aus  mehreren  Acker-  und  Gartengrund- 
stücken und  einigen  Kapitalzinsen.     Nach  einer  Kirchen- 
visitation von  1728  war  die  Hospitalkirche  damals  bereits 
abgebrannt,    einige    Zeit    später    fiel    auch    das   Hospital 
selbst  einer  Feuersbrunst  zum  Opfer.    Beide  sind  später 
nicht  wieder  aufgebaut  worden. 

Ein   trauriges   Schicksal   wurde   um    die   Mitte    des 
17.    Jahrhunderts    der    alten  Judengemeinde    der    Stadt 
bereitet.     Die   Volksüberlieferung   erzählt    hierüber,    dass 
ein    Grundherr    aus    irgend    welcher    Ursache    von    den 
Juden  gereizt,  ihnen  den  Untergang  geschworen  und  sie 
eines    Nachts    durch    seine   Leute    habe    überfallen    und 
sämtlich     niedermetzeln    lassen.      Von    den    königlichen 
Gerichten  für  diese   Bluttat  zur  Verantwortung  gezogen 
soll    er    durch    die    Errichtung    des    Kalvarienbergs    die 
Strafe  abgelöst  haben1).    Es  ist  jedoch  nachweisbar,  dass 
das    traurige  Ereignis    so    sich    nicht    zugetragen    haben 
kann  und  dass  weder  die  Grundherrschaft  die  Ermordung 
der  Juden  veranlasst  hat,  noch  auch   die  Einrichtung  des 
Kalvarienbergs    mit    ihr    in    irgend    welcher  Verbindung 
steht.    Vielmehr  hat  im  Jahre  1629  zu  einer  Zeit  als  der 
Kalvarienberg  schon  gegründet  worden  war,  die  Juden- 
gemeinde in  Pakosch  noch  bestanden,  da  in  diesem  Jahre 
ihre  Ältesten  David   und  Israel    Lapny  vor  dem   Grod- 
gericht  zu  Inowrazlaw  einen  Eid  über  die  richtige  Steuer- 
einschätzung   der    Gemeinde    ablegten2).    Das    Unwetter 
zog  erst  im  Jahre   1656  und  zwar  von   aussen   über  sie 
empor.    Das  zügellose  Heer  des  Czarnecki,  der  im  Früh- 
jahr  1656   das    von   den  Schweden   besetzte  Grosspolen 
wieder  zu  erobern  versuchte,  bereitete   fast  überall,  wo 
es  hinkam,  den  Juden  ein  schreckliches  Los.    In  manchen 
Städten   wurden   sie   zu   Hunderten    niedergemetzelt,    so- 


1)  Niemir,  Wspomnienie  o  Pakosci  im  Tygodnik  literacki  1841 

S.  347  f- 

2)  St.-A.  Posen.    Rcl.  Jun.  1629—31. 

a* 


'20  Adolf  Warschauer. 

dass  ihre  Körper  nicht  bestattet  werden  konnten,  sondern 
•den  Hunden  zum  Frasse  dienten.  Die  Heimsuchung  der 
Juden  zu  Pakosch  gehörte  zu  den  grausamsten  im  ganzen 
Lande.  Sie  erfolgte  am  14.  Mai  und  liess  keinen  Juden 
in  Pakosch  übrig.  Nur  wenige  haben  wohl  durch  die 
Flucht  das  nackte  Leben  gerettet,  die  meisten  wurden 
niedergeschlagen.  In  einem  Hügel  am  Wege  nach 
Inowrazlaw  gegenüber  der  Kapelle  Gethsemane  will  man 
noch  heute  ihre  Grabstätte  nachweisen.  Weit  in  fernen 
Ländern,  wo  immer  Juden  wohnten,  erscholl  die  Klage 
über  diese  schreckliche  Verfolgung,  und  das  Seelen- 
erinnerungsbuch der  Gemeinde  zu  Worms  erzählt  noch 
bis  auf  den  heutigen  Tag  von  den  erschlagenen  Märtyrern 
in  dem  entlegenen  Pakosch1).  Auch  nach  dem  Blutbade 
haben  Juden  sich  nicht  wieder  in  Pakosch  nieder- 
gelassen. Sie  mieden  den  Ort,  an  dem  ihre  Glaubens- 
genossen so  grausames  erduldet  hatten;  erst  etwa  zwei 
Jahrhunderte  später  haben  sie  wieder  ihre  Heimstätten 
hier  aufzuschlagen  gewagt. 


V. 

Die  städtische  Verfassung  im  17.  Jahrhundert.     Die  Privi- 
legien vom  Jahre   1671  und  1718.    Die  Innungsorganisation. 

Die  Zeit,  in  der  Pakosch  durch  den  Kalvarienberg 
und  das  Reformatenkloster  erhöhte  Bedeutung  und  An- 
sehen gewann,  war  auch  diejenige,  in  der  die  inneren 
Verhältnisse  der  Stadt  durch  Abmachungen  mit  der 
Grundherrschaft  eine  dauernde  Festigkeit  erhielten.  Der- 
selbe Sigismund  Dzialynski,  Wojwode  von  Brzesc,  der 
mit  seiner  Gemahlin  dem  Kloster  so  viel  wohlwollende 
Förderung  erwies,  war  auch  den  Bürgern  ein  Gönner 
und  Freund  und  zeigte  dies  dadurch,  dass  er  durch  ein 
Privilegium,  das  er  ihnen  am  20.  Januar  167 1  in  Pakosch 
selbst   ausstellte,    eine    städtische   Satzung,    wie    sie    die 

l)  L.  Levin,  die  Judenverfolgungen  im  zweiten  schwedisch- 
polnischen  Kriege  (1655—59).  Zeitschr.  d.  Hist.  Ges.  f.  d.  Prov.  Posen. 
XVI  S.  87. 


Geschichte  der  Stadt  Pakosch.  21 

anderen    Städte   im   Königreich  Polen   genossen,   verlieb 
und     hierin   besonders   die   Verpflichtungen   der   Bürger- 
schaft   der  Grundherrschaft  gegenüber  genau  festsetzte1)^ 
Ein  solches  Privilegium  war  für  eine  grundherrliche 
Stadt    in  jener  Zeit   von   grosser  praktischer  Bedeutung» 
Bei  der  grossen  Schwäche  der  Staatsgewalt  im  polnischen 
Reiche  waren  die  Städte  nämlich  ganz  der  Willkür  ihrer 
Grundherren   überlassen   und    konnten   von   diesen  nach 
Belieben    schwer    mit   Abgaben    und   Prohndiensten   be- 
lastet werden.    Nur  wo  ein  Grundherr,  wie  es  im  Jahre  1671 
bei    Pakosch    geschah,   privilegienmässig   die   Leistungen 
der  Bürger  festlegte  und  ausdrücklich  betonte,  dass  er  in 
dieser  Beziehung  seine  Nachkommen  binde,   konnte  eine 
Stadt    mit    einer    gewissen    Ruhe    und    Sicherheit   dem 
Wechsel    der    Grundherrschaften    entgegensehen,    wenn 
auch  freilich  selbst  in  diesem  günstigsten  Fall   mehr  eine 
moralische    als    rechtliche    Gewähr    gegen    spätere    Be- 
drückung und  Aussaugung  gegeben  war. 

In    Pakosch,     wo     nach    dem     Erlass     des    Privi- 
legiums   von    167 1    bis    zur    Auflösung    des    polnischen 
Staates   ununterbrochen    die    Dzialynski    im    Besitz    der 
Grundherrschaft  blieben,   hielten   sich  die  Enkel  ziemlich 
streng  an   die  Bestimmungen   und  Satzungen   des   Ahn- 
herrn, und  das  im  Lande  sonst  selten  beobachtete  patri- 
archalisch   gute   Verhältnis    zwischen    Grundherren    und 
Bürgern  blieb  wohl  dauernd  gewahrt.    Nur  der  Sohn  des 
Sigismund  Dzialynski  Jacob    hat   durch  die  Ergänzungen, 
die  er  im  Jahre  1718  dem  Privilegium  seines  Vaters  hin- 
zufügte,  die   Leistungen    der    Bürgerschaft    erheblich    zu 
vermehren  gesucht,   andererseits   aber   doch  auch  wieder 
mannigfach  Ordnung  in  die  verworrenen  städtischen  Ver- 
hältnisse gebracht. 

Mit  Hilfe  des  Privilegiums  von  1671  und  seiner  Er- 
gänzung von  1718  ist  es  unter  Zuziehung  einiger  anderer 
noch  vorhandenen  Urkunden  möglich,    sich    ein  ziemlich 


i)  Erhalten  in  einem  Transsumpt  von  17 18  Oktober  26.   St.-A. 
Posen,   Dep.  Pakosch  A  1. 


■22  Adolf  Warschauer. 

vollständiges  Bild  von  der  Verfassung  und  den  inneren 
Zuständen  der  Stadt  im  17.  und  18.  Jahrhundert  zu  ent- 
werfen. 

Noch  immer  wurde  die  Stadt,  wie  es  die  mittelalter- 
liche Gründungsurkunde  bestimmt  hatte,  nach  den  Grund- 
sätzen  des   deutschen  und    zwar   des    Magdeburgischen 
Rechts  verwaltet.    Diesem  zufolge  stand  an  der  Spitze  der 
Bürgerschaft   ein  Bürgermeister  mit  mehreren  Ratsherren 
und  für  die  Rechtspflege  als  oberster  Richter  ein  Vogt  mit 
mehreren  Schöffen.    Der  Rat  scheint  aus  8,  das  Schöffen- 
kollegium   aus    7    Personen   bestanden   zu   haben.     Alle 
•diese  Beamten  wechselten  jährlich  um  Johanni.    Über  den 
Wahlmodus    sind    wir    nicht    genau    unterrichtet,     doch 
scheint  nach  dem  Muster   anderer  Städte   das  Wahlrecht 
in  der  Hand   eines  aus  den  Innungsältesten  bestehenden 
Ausschusses   der   Bürgerschaft    geruht   zu    haben.      Die 
Wahl   des  Bürgermeisters   bedurfte   der  Bestätigung   der 
Grundherrschaft,   wofür   diese    nach    den   Bestimmungen 
von  1718  jedesmal   von  der  Bürgerschaft  10  Dukaten  er- 
hielt    Gehalt   bezogen   diese  städtischen  Beamten  nicht, 
doch  hatte  der  Bürgermeister,  dem  wohl  der  grösste  Teil 
<ler  Arbeit  zufiel,   das  Recht  Bier    zu   brauen   und    aus- 
zuschänken,   ohne   hierfür   die   noch  weiter  unten  zu  er- 
wähnende   Abgabe    an    die    Grundherrschaft   zu   zahlen. 
Da   dieses    unbeschränkte    freie    Braurecht    des    Bürger- 
meisters der  Bürgerschaft  nachteilig  wurde,  so  ordnete  die 
Grundherrschaft    1718   an,   dass   es    auf   5    Gebräue    be- 
schränkt würde.    Der  Vogt  (Stadtrichter)  bezog  eine  Ein- 
nahme dadurch,  dass  er  bei  Häuserverkäufen  für  die  Auf- 
lassung, die  vor  ihm  stattfand,  von  dem  Verkäufer  1  poln. 
Groschen  von  jedem  Gulden   des  Kaufpreises   und    von 
dem  Käufer   3   poln.  Gulden   erhielt.      Die   Bürgerschaft 
unterstand   in  Verwaltung   und  Rechtsprechung  durchaus 
nur    den   städtischen    Behörden.      Selbst    den    Blutbann 
handhabte  das  städtische  Gericht  völlig  selbständig,  auch 
durfte  kein  Bürger  in  einem  andern  als  dem  städtischen  Ge- 
fängnis eingekerkert  werden.     Der  Hügel  am  Wege  nach 
Mogilno,  wo  ehemals  der  Galgen  stand,  heisst  noch  jetzt 


Geschichte  der  Stadt  Pakosch.  23 

Galgenhügel,  der  Pranger  befand  sich  in  der  Stadt  selbst 
in  der  Nähe  der  heutigen  Apotheke1). 

Der  Rechtspflege  lag  das  Magdeburgische  Weich- 
bildrecht zugrunde,  das  zu  diesem  Zwecke  für  den  Ge- 
brauch polnischer  Städte  vielfach  in  die  polnische  Sprache 
übersetzt  war.  Fühlte  sich  ein  Bürger  durch  den  Spruch 
einer  der  städtischen  Behörden  verletzt,  so  stand  ihm  die 
Berufung  an  den  Grundherrn  frei.  Dessen  Entscheidung 
aber  war  in  allen  Sachen  endgültig,  eine  Appellation  an 
irgend  ein  höheres  staatliches  oder  königliches  Gericht 
war  nach  der  damaligen  polnischen  Verfassung  ausge- 
schlossen. 

Die  Einnahmen  der  Stadtkasse  waren  sehr  gering- 
fügig. Sie  bestanden,  abgesehen  von  etwa  eingehenden 
Strafgeldern,  nur  aus  dem  Mietszins  für  die  Fleisch- 
scharren, Krambuden  u.  s.  w.,  die  beim  Rathause  lagen, 
ferner  aus  den  Erträgnissen  einiger  städtischer  Häuser 
und  des  städtischen  Bades.  Was  sonst  etwa  gebraucht 
wurde,   musste   durch   eine  Umlage   aufgebracht  werden. 

An  die  Grundherrschaft  wurde  alljährlich  zu  Martini 
ein  „Zins"  gezahlt.  Er  betrug  für  jedes  Haus  24  poln. 
Groschen,  für  ein  Grundstück  ohne  Haus  sowie  für  einen 
Garten  18  Groschen,  halbe  Grundstücke  oder  Gärten 
zahlten  9  Groschen.  Die  Handwerker  zahlten  nach  einer 
bei  dem  Bürgermeister  verwahrten  Rolle  ein  sogenanntes 
Nahrungs-  oder  Professionsgeld.  Ausserdem  aber  hatten 
die  Bürger  auf  den  beiden  herrschaftlichen  Vorwerken 
Rybitwy  und  Radlowko  zur  Erntezeit  Scharwerksdienste 
zu  leisten. 

Besonders  ergiebig  waren  die  Einnahmen,  die  die 
Grundherrschaft  von  dem  Brau-  und  Brennereibetrieb  der 
Bürger  bezog.  Ursprünglich  konnte  jeder  angesessene 
Bürger  ganz  nach  Belieben  brauen  und  brennen  sowie 
ausschänken,  war  jedoch  genötigt,  das  Malz  hierzu  in  einer 
der  beiden  obenerwähnten  herrschaftlichen  Wassermühlen, 
der  Kujavischen  oder  der  Palucensischen  mahlen  zu  lassen. 


J)  Niemir,  a.  a.  O.  S.  349  Anm.  6. 


24  Adolf  Warschauer. 

Für  jedes  Gebräu  Bier  und  für  jeden  Topf  Branntwein 
musste  eine  Abgabe  von  6  Tympfen  an  die  Herrschaft 
gezahlt  werden.  Auch  für  den  Fall,  dass  die  Wasser- 
mühlen bei  tiefem  Wasserstand  nicht  gingen  und  Malz 
anderweitig  gemahlen  wurde,  musste  diese  Abgabe  ge- 
zahlt werden.  In  keinem  Falle  war  es  erlaubt,  Bier  aus 
anderen  Orten  einzuführen,  vielmehr  waren  die  Bürger 
gezwungen,  es  aus  dem  herrschaftlichen  Kruge  zu  kaufen, 
wenn  es  in  der  Stadt  selbst  fehlte.  Um  aber  die  Kon- 
kurrenz der  brauenden  Bürger  unter  einander  zu  ver- 
meiden, war  das  Reihebrauen  eingeführt,  sodass  nur 
immer  einer  nach  dem  andern  brauen  und  ausschänken 
durfte. 

Eine  wesentliche  Änderung  der  Braugerechtsame 
führte  der  Sohn  des  Sigismund  Dzialynski  Jacob  im  Jahre 
1726  ein.  Er  beschränkte  nämlich  das  Braurecht  auf 
15  Personen,  die  sich  um  „diese  Gerechtigkeit  Mühe  ge- 
geben", d.  h.  also  wohl  sie  bezahlt  hatten,  und  vereinigte 
diese  zu  einer  Brauerinnung.  Die  Hofabgaben  für  jedes 
Gebräu  erhöhte  er  auf  9  Gulden  18  Groschen,  wozu  noch 
6  Groschen  Mahlgeld  kamen.  Ausserdem  nötigte  er  jeden 
Brauer,  wenn  die  Reihe  des  Brauens  und  Ausschänkens 
an  ihn  kam,  2  Tonnen  Bier  aus  der  herrschaftlichen 
Brauerei  abzunehmen  und  mit  seinem  eigenen  Bier  zu 
verschänken.  Da  diese  letztere  Bestimmung  als  besonders 
drückend  empfunden  wurde,  so  hob  sie  der  Grundherr 
Augustin  Dzialynski  im  Jahre  1751  auf,  erhöhte  aber  dafür 
die  Abgaben  für  jedes  Gebräu  auf  einen  Dukaten. 
Branntwein  brennen  und  eigenen  oder  fremden  Brannt- 
wein auszuschänken,  blieb  jedem  gegen  die  alte  Ab- 
gabe von  6  Tympfen  erlaubt. 

Als  eine  Art  von  Entgelt  für  die  Leistungen  der 
Bürgerschaft  an  die  Grundherren  räumten  diese  ihr  einige 
Nutzungsrechte  in  ihrem  Herrschaftsgebiet  ein,  die  zweifellos 
von  hohem  Werte  waren:  nämlich  das  Fischerei-  und 
Weiderecht.  Das  erstere  war  allerdings  durch  das  Privileg 
von  1671  nur  in  recht  beschränkter  Form  bewilligt,  indem 
es  räumlich  nur  für  die  Stellen  der  Netze  bei  den  oben- 


Geschichte  der  Stadt  Pakosch.  25 

genannten  Mühlen  gestattet  war  und  auch  da  nur  als  sog. 
kleine  Fischerei  ausgeübt  werden  konnte,  „soweit  sie 
waten  können".  Das  Weiderecht  aber  gewährte  das 
Privileg  auf  herrschaftlich  Pakoscher  Boden  unumschränkt, 
allerdings  mit  der  Hinzufügung,  dass  hierdurch  weder  der 
Herrschaft  selbst  noch  ihren  städtischen  Untertanen  noch 
dem  Kalvarienberge  irgend  welcher  Schaden  zugefügt 
werden  sollte.  Allerdings  hat  dieses  Weiderecht  später 
auch  wieder  zu  einer  Erhöhung  der  Lasten  der  Bürger- 
schaft Veranlassung  gegeben.  Der  oben  schon  erwähnte 
Grundherr  Jacob  Dzialynski  behauptete  nämlich  im  Jahre 
1718,  dass  die  Bürger  auf  dem  Grund  und  Boden  von 
Ludkowo  widerrechtlich  sich  einige  Weiden  eingerichtet 
und  dort  auch  einige  Gärten  angelegt  hätten.  Er  zeigte 
sich  geneigt,  ihnen  diese  auch  für  die  Zukunft  zu  über- 
lassen, setzte  aber  für  die  Gärten  einen  Grundzins  fest 
und  verlangte  für  die  Weiden  die  Leistung  von  Frohn- 
diensten  zur  Erntezeit  auch  auf  dem  Vorwerke  Ludkowo. 
Somit  hatte  von  dieser  Zeit  an  die  Bürgerschaft  für  drei 
Vorwerke:  Rybitwy,  Radlowko  und  'Ludkowo  zu  frohn- 
werken.  Als  ihr  1726  das  allgemeine  Braurecht  entzogen 
und  der  neu  gebildeten  Brauerinnung  zugewiesen  wurde, 
erging  die  Bestimmung,  dass  von  nun  an  die  Brauer- 
innung allein  das  Vorwerk  Radlowko,  mit  der  anderen 
Bürgerschaft  zusammen  das  Vorwerk  Ludkowo  und  die 
Bürger  mit  Ausschluss  der  Brauer  das  Vorwerk  Rybitwy 
abzuernten  hätten. 

Hierin  änderte  sich,  so  lange  Pakosch  zum  polnischen 
Reiche  gehörte,  nur  insoweit  etwas,  dass  die  Brauerinnung 
ihren  Frohndienst  von  Radlowko  in  eine  jährliche  Geld- 
zahlung von  360  poln.  Gulden  umsetzte. 

Noch  in  einer  anderen  Beziehung  hat  Jacob  Dzialynski 
die  Lebensbedingungen  der  Bürger  verschlechtert,  in- 
dem er  ihnen  das  Recht  der  Freizügigkeit  einschränkte. 
Über  die  Aufnahme  neuer  Bürger  bestimmte  nämlich  das 
Privilegium  des  Sigismund  Dzialynski  von  1671  nur,  dass 
Fremden  katholischen  Glaubens  es  freistehen  sollte,  in 
Pakosch  sich   niederzulassen  und  Eigentum  zu  erwerben, 


20  Adolf  Warschauer. 

und  dass  ihnen  der  Zugang  zu  allen  städtischen  Ämtern 
offenstehen  sollte.  Über  den  Wegzug  traf  er  keine  Be- 
stimmung, er  wird  also  ungehindert  gewesen  sein.  Sein 
Sohn  Jacob  aber  schrieb  1718  vor,  dass  ein  Bürger,  der 
von  Pakosch  wegziehen  wollte,  nicht  nur  seine  etwa 
rückständigen  städtischen  und  staatlichen  Abgaben  zu  be- 
richtigen habe,  sondern  einen  anderen  Einwohner  an 
seine  Stelle  ansetzen  müsse. 

Mannigfache  Lasten  erwuchsen  der  Stadt  durch  die 
Ausführung  der  polizeilichen  Vorschriften  zur  Aufrecht- 
erhaltung der  Ordnung,  Reinlichkeit  und  Sicherheit  in  der 
Stadt.  Jeden  Sonnabend  vor  der  Vesper  musste  jeder 
Bürger  vor  seinem  Hause  reinigen  und  den  Kot  zu- 
sammenfegen, und  es  waren  zwei  Bürger  bestellt,  die  dies 
zu  kontrollieren  hatten.  Der  gesammelte  Unrat  wurde 
dann  auf  Befehl  des  Bürgermeisters  aus  der  Stadt  her- 
ausgeschafft. Besondere  Vorschriften  waren  zur  Rein- 
haltung der  zahlreichen  Wasserläufe  in  der  Nähe  der 
Stadt  erlassen.  In  den  Gräben  hinter  den  Häusern  und 
in  den  zunächst  liegenden  Flussläufen,  die  die  Bürger 
rein  zu  halten  verpflichtet  waren,  durften  die  Schuster,. 
Gerber,  Kürschner  und  Fleischer  ihre  Leder  nicht  aus- 
spülen und  ausarbeiten,  vielmehr  war  ihnen  dies  nur  in 
dem  entfernter  liegenden  Flusslauf  gestattet,  in  dem  die 
Müller  regelmässig  das  Kraut  und  das  Rohr  auszuhauen 
verpflichtet  waren.  Der  Feuersgefahr  wegen  war  es  ver- 
boten, die  Dächer  mit  Stroh  zu  decken.  Eine  Feuerleiter 
musste  jeder  Bürger  besitzen,  Feuerlöschgeräte  aber  jede 
Innung,  und  sie  auf  dem  Rathause  verwahren.  Für  die 
Instandsetzung  der  Brücken  und  des  Steinpflasters  sorgte 
die  Herrschaft,  erhob  hierfür  aber  von  den  Fuhrleuten 
eine  Abgabe,  deren  Einziehung  sie  einem  Bürger  an- 
vertraute. Zum  Schutz  gegen  Unruhen  irgend  welcher 
Art  musste  jeder  Bürger  im  Besitze  von  Waffen  sein, 
um  in  Reih*  und  Glied  dem  Befehle  des  Grundherrn 
folgen  zu  können.  Mit  diesen  Waffen  hatte  die  Bürger- 
schaft auch  zu  den  feierlichen  Prozessionen  Weihnachten, 
Ostern  und  am  Fronleichnam  zu  erscheinen. 


Geschichte  der  Stadt  Pakosch.  27 

Inbezug  auf  die  wirtschaftlichen  Verhältnisse  lassen, 
die  Urkunden  so  viel  erkennen,  dass  der  Brauerei-  und 
Schankbetrieb,  wodurch  die  Umgegend  versorgt  wurde,, 
das  einträglichste  Gewerbe  war.  Einige  Bürger  betrieben 
Gartenwirtschaft,  einen  grösseren  Ackerbesitz  hatte  keiner. 
Jeden  Dienstag  wurde  Wochenmarkt  abgehalten.  Die 
Anzahl  der  Jahrmärkte  hatte  im  Laufe  der  Zeit  zuge- 
nommen, ein  königliches  Privilegium  vom  20.  Mai  1760 
setzte  sie  auf  neun  fest1).  Die  Handwerker  waren,  wie 
in  allen  Städten  der  damaligen  Zeit,  in  Innungen  ge- 
gliedert, doch  ist  es  nicht  genau  bekannt,  wie  viele  solcher 
Innungen  es  in  Pakosch  gegeben  hat  Vier  dieser 
Innungen  haben  die  Statuten  noch  erhalten,  sodass  wir 
einen  Einblick  in  ihre  Organisation  gewinnen,  nämlich  die 
der  Schmiede,  Schlosser,  Böttcher,  Tischler  u.  s.  w.  vom 
8.  Dezember  1627,  der  Leinweber  und  Färber  vom 
12.  April  1703,  die  der  Schuhmacher  vom  24.  Januar 
1721  und  die  der  schon  oben  erwähnten  Brauer  vom 
8.  Juli  1726.  Jedes  Handwerk,  das  einer  Innung  ange- 
hörte, besass  das  ausschliessliche  Recht  des  Gewerbe- 
betriebs für  seine  Mitglieder,  sodass  auch  von  aussea 
keine  Waren  ihres  Handwerks  eingeführt  werden  durften. 
Nur  zu  den  Jahrmärkten  hörte  dieses  Monopolrecht  zeit- 
weilig auf.  Der  Eintritt  neuer  Meister  war  durch  die 
verhältnismässig  hohen  Eintrittsgebühren  erschwert,  und 
je  einträglicher  ein  Handwerk  war,  desto  höher  stiegen 
seine  Anforderungen  in  dieser  Beziehung.  Am  billigsten 
machten  es  in  Pakosch  die  Schuhmacher,  die  nur 
Va  Gulden,  2  Fass  Bier  und  4  Pfund  Wachs  forderten, 
teurer  schon  die  Schmiede  und  die  Leinweber,  die  ausser 
Wachs,  Bier  und  einer  ansehnlichen  Mahlzeit  noch  9  bzw. 
13  Gulden  festsetzten,  am  teuersten  die  Brauer,  die 
100    Gulden    verlangten.      Nur    die    Meistersöhne    und 


*)  Die  Urkunde  befindet  sich  in  Abschrift  in  dem  St.-A.  zu 
Posen  Inscr.  Jun.  1755 — 60.  Die  Termine  fielen  auf  die  folgenden 
Heiligentage:  1.  Joseph,  2.  Philippus  und  Jacobus,  3.  Antonius  von 
Padua,  4.  Laurentius,  5.  Michael,  6.  Elftausend  Jungfrauen,  7.  An- 
dreas, 8.  Pauli  Bekehrung,  9.  Bonaventura. 


•2&  Adolf  Warschauer. 

Schwiegersöhne  hatten  es  billiger,  indem  sie  nur  die  Hälfte 
«lieser  Gebühren  zu  erlegen  hatten.  Wie  überall,  waren 
auch  in  Pakosch  die  Innungen  und  besonders  ihre 
Ältesten,  die  jährlich  um  Johanni  von  den  Mitgliedern 
gewählt  wurden,  für  richtiges  Mass  und  gute  Beschaffenheit 
<ler  Waren  verantwortlich.  Vor  Überteuerung  sollte  das 
Publikum  dadurch  geschützt  werden,  dass  alljährlich  eine 
Taxe  sämtlicher  Handwerkswaren  von  dem  Bürgermeister 
der  Grundherrschaft  zur  Genehmigung  überreicht  werden 
musste.  Auch  als  kirchliche  Brüderschaften  galten  die 
Innungen,  was  um  so  leichter  durchgeführt  werden  konnte, 
als  sämtliche  Mitglieder  katholisch  waren.  Sie  besorgten 
durch  ihre  jüngsten  Mitglieder  den  Dienst  in  der  Kirche, 
die  Handreichungen  bei  den  Bestattungen  ihrer  Mitglieder 
und  Hessen  alle  Quatember  Seelenmessen  abhalten.  Die 
Handwerke  der  Brauer,  Kürschner,  Rademacher  und  Schuh- 
macher hatten  jedes  einen  besonderen  Altar  in  der  Pfarr- 
kirche. Das  Wachs  der  Eintritts-  und  Strafgebühren 
wurde  zu  Kirchenlichtern  verarbeitet.  Auch  in  geselliger 
Beziehung  beherrschten  die  Innungen  durch  die  Zu- 
sammenkünfte in  den  Herbergen  das  Leben  ihrer  Mit- 
glieder. Endlich  hatten  sie  auch  eine  politische  Bedeutung, 
da  ihre  Ältesten  alljährlich  den  Rat  wählten  und  bei 
wichtigen  Entscheidungen  des  Magistrats  um  ihre  Beistim- 
mung befragt  werden  mussten. 


VI. 

Geschichte    der   Stadt    in     der   Zeit    der   Auflösung    des 
polnischen  Staats   und   die  Besitznahme   durch  Preussen. 

Die  Zeit  vom  Ende  des  17.  Jahrhunderts  bis  zur 
Teilung  von  Polen  ist  für  dieses  Land  eine  traurige 
Periode  des  Niedergangs  gewesen.  Äussere  Kriege 
wechselten  mit  inneren  Unruhen  ab,  und  die  Ohnmacht 
des  Staates  vermochte  die  gesunkenen  Kräfte  des  Landes 
nicht  wieder  zu  heben.  Wie  bei  dem  Staatsganzen  lässt 
sich  der  allgemeine  Rückgang  in  der  Geschichte  jedes 
^einzelnen  Gemeinwesens  beobachten. 


Geschichte  der  Stadt  Pakosch.  2(^ 

In  Pakosch  begann  das  Unheil  mit  einer  furchtbaren 
Feuersbrunst,  die  im  Jahre  1684  die  Stadt  vollständig 
zerstörte.  Das  Feuer  brach  am  19.  Mai  am  Vormittag, 
aus  und  verzehrte  55  Häuser  in  der  Stadt  selbst,  das  kurz, 
zuvor  neu  errichtete  Herrenhaus  und  das  Pfarrhaus.  Die 
Pfarrkirche  entging  dem  Brande  wie  durch  ein  Wunder *). 
Kaum  wieder  aufgebaut,  wurde  die  Stadt  durch  die  Leiden 
des  nordischen  Krieges  heimgesucht.  Wir  wissen  freilich 
hierüber  nur  so  viel,  dass  der  kujavische  Landtag  1705 
Pakosch  zu  den  Städten  rechnete,  die  durch  die  Soldaten 
am  meisten  gelitten  hatten  und  deshalb  für  eine  Steuer- 
ermässigung empfohlen  wurden2).  Die  Pest,  die  nach 
diesem  Kriege  Grosspolen  auf  ihrem  letzten  grossen  Zuge 
durch  Europa  heimsuchte,  verschonte  auch  Pakosch  nicht. 
Die  Klosterchronik  erzählt  hierüber,  dass  sie  in  der  Stadt 
und  den  benachbarten  Dörfern  vom  Monat  Mai  des  Jahres 
1708  an  totbringend  gewütet  und  von  den  Insassen  des 
Konvents  sieben  hinweggerafft  habe. 

Dieselbe  Chronik  entwirft  ein  wertvolles  und  an- 
schauliches  Bild  von  den  mannigfachen  Heimsuchungen 
der  Stadt  während  des  siebenjährigen  Krieges  und  den 
Wirren  der  Konföderationen  von  Radom  und  Bar,  die  der 
ersten  Teilung  Polens  vorangingen.  Im  Herbst  1761 
lagen  die  Russen  lange  Zeit  in  Pakosch  und  machten,, 
wie  der  Chronist  sich  ausdrückt,  aus  der  ganzen  Stadt 
ein  Lazareth,  denn  viele  Verwundete  lagen  zur  schweren 
Belästigung  und  Bedrückung  der  Bürger  in  ihren  Häusern 
und  vertrieben  durch  ihren  Gestank  die  Bewohner  aus 
denselben. 

Von  dem  Kriege,  den  die  Russen  gegen  die  kon- 
föderierten Polen  führten,   wurde  Pakosch   in  den  Jahren 


J)  Aus  einer  Handschrift  des  Klosters  Tremessen  Mon.  Pol. 
hist.  V  S.  967.  Vgl.  auch  Pawinski,  Dzieje  ziemi  kujawskiej  III  S.  103. 
Genauere  Angaben  über  den  Brand  in  der  ältesten  Matrikel  der 
Pfarrkirche.  Bei  dem  Brande  des  Pfarrhauses  scheinen  die  älteren 
Kirchenbücher  mitverbrannt  zu  sein,  da  die  noch  vorhandenen  mit 
dem  Jahre  1685  beginnen. 

2)  Pawinski,  Dzieje  Bd.  IV  S.  109. 


30  Adolf  Warschauer. 

1769 — 71  mehrfach  berührt.  Zum  ersten  Mal  kamen,  wie 
•die  Klosterchronik  eingehend  berichtet,  die  Konföderierten 
am  19.  März  1769  nach  Pakosch.  Sie  zogen  300  Mann 
stark  früh  um  die  neunte  Stunde  ein  und  stellten  nur  je 
einen  Soldaten  am  Eingang  und  Ausgang  der  Stadt  als 
Wache  auf,  ohne  die  Brücken  abzubrechen.  Sorglos 
gaben  sie  sich  der  Ruhe  in  den  Bürgerquartieren  hin, 
^viele  besuchten,  da  es  Fastenzeit  war,  die  Kirche.  Da 
stürzte  Nachmittags  um  die  dritte  Stunde,  als  die  Passio 
angestimmt  wurde,  ein  Bote  in  die  Kirche  und  schrie: 
„Konföderierte,  kommt  herbei,  der  Feind  ist  da!Ä  Die 
Russen  waren  in  die  Stadt  eingedrungen  und  hatten  alles 
in  Schrecken  gesetzt.  Das  Volk  floh  aus  der  Kirche,  der 
Prediger  stieg  von  der  Kanzel,  ein  Geistlicher  lief,  um 
«las  Altarsakrament  zu  retten.  Die  Kosaken  jagten  die 
fliehenden  Konföderierten,  schlugen  sie  nieder,  wo  sie  sie 
fanden,  oder  warfen  sie  in  das  Wasser.  Mehr  als 
97  Leichen  der  Konföderierten  vermischt  mit  einigen  Russen 
lagen  umher.  Sie  wurden  in  Massengräbern  in  der  Um- 
gegend beigesetzt,  die  Russen,  worunter  ein  Rittmeister 
der  Kosaken  war,  besonders.  —  Um  die  Weihnachtszeit 
desselben  Jahres  kamen  wiederum  zahlreiche  Konföde- 
rierte unter  den  Marschällen  Mazowiecki  und  Malczewski 
nach  Pakosch.  Auch  diese  Einquartierung  gereichte  der 
Bürgerschaft  zum  Unglück,  indem  durch  die  Unachtsam- 
keit eines  Kriegsknechtes  ein  Feuer  ausbrach,  das  vier 
Bürgerhäuser  verzehrte,  ohne  dass  von  den  Konföderierten 
ein  Ersatz  zu  erlangen  war.  —  Wenige  Monate  später,  am 
21.  Juni  1770  kam  ein  grosses  russisches  Heer  nach 
Pakosch  und  beschwerte  die  verarmte  Bürgerschaft  durch 
grosse  Forderungen.  Den  Bürgermeister  Sebastian  Drze- 
wicki  entkleideten  sie,  führten  ihn  schmachvoll  in  ein 
fremdes  Haus  und  peitschten  ihn  dort  durch.  Nur  dem 
inständigen  Flehen  angesehener  Bürger  gelang  es  endlich 
ihn  loszubitten  und  die  Forderungen  in  etwas  zu  er- 
mässigen.  Auch  im  September  und  Oktober  desselben 
Jahres  kamen  die  Russen  mehrfach  in  die  „ganz  unglück- 
liche" Stadt   und    sogen    sie    und  das  Kloster  durch  ihre 


Geschichte  der  Stadt  Pakosch.  31 

Forderungen  aus.  Eine  andere  Schar  Russen,  die  unter 
Lern  Major  Förster  am  4.  April  1771  in  Pakosch  einzog, 
v\irde  besonders  dadurch  lästig,  dass  sie  dem  Kloster 
alles  Getreide,  besonders  Gerste  und  Hafer  wegnahm; 
cum  Ersatz  für  den  Schaden  schenkte  der  M^jor  dem 
Kloster  allerdings  10  Fass  Salz. 

Im    Sommer    desselben    Jahres    1771,    nämlich    am 
20.  Juni,  rückten  zum  ersten  Mal  preussische  Truppen  in 
Pakosch  ein.    Es  war  dies  die  Zeit,  in  der  Friedrich  der 
Grosse,    um   sein  Land   vor  den  Überfällen  der  Konföde- 
rierten   und   dem  Eindringen    der  in  Podolien   wütenden 
Pest  zu  schützen,   Teile   von  Grosspolen   besetzte,  wozu 
auch    die   Pakoscher   Gegend   gehörte.      Auch    hierüber 
macht  die  Klosterchronik  einige  interessante  Mitteilungen. 
Die  Schar,   die  Pakosch   besetzte,  bestand   aus  40  Mann 
Husaren   unter   Führung   des   Majors  Lolhöfel.     Obwohl 
dieser   auf  Befehl  seines  Generals  von  den  benachbarten 
Edelleuten     Getreidegeld     einziehen     musste     und     so 
mancherlei  Beschwerde   verursachte,   war   er   doch  gütig 
und  milde  und  der  Stadt   und  dem  Kloster  sehr  zugetan. 
Denn  als    im   September    zweimal  Russen   vorbeizogen, 
duldete  er  weder,  dass  sie  in  der  Stadt  noch  im  Kloster 
Rast  hielten,  trieb  sogar  Kosaken,  die  auf  der  Pakoscher 
Wiese  Heu  nehmen  wollten,  hinweg.     Ebenso  zwang  er 
im  Oktober  Russen,  die  480  Konföderierte  von  Posen  nach 
Thorn    transportieren    wollten,    von    ihrer    Absicht,    im 
Kloster  Quartier   zu  nehmen,   abzustehen.     Der  Chronist 
erzählt   weiter,    dass   der   Major   Katholik   gewesen    sei, 
die  Messe  in  der  Klosterkirche   besucht   und  die  Predigt 
gehört  habe,  obwohl  sie  polnisch  war.   Freilich  bereiteten 
die  Preussen  den  Klosterbrüdern  dadurch  Ärgernis,  dass 
sie  hin  und  wieder  durch  einen  Feldgeistlichen  protestan- 
tischen Gottesdienst  abhalten  Hessen,  zu  dem  die  Bauern 
aus  den  benachbarten  deutschen  Hauländereien  zahlreich 
zusammenströmten. 

Als  Friedrich  der  Grosse  im  Jahre  1772  endgültig 
den  Netzedistrikt  besetzte,  zog  er  von  der  Landschaft  am 
Oberlauf    der    Netze    nur   Labischin    in    seine    Grenzen. 


32  Adolf  Warschauer. 

Erst  im  Februar  1773,  als  er  sich  entschloss,  die  Grenzen 
weiter  nach  Grosspolen  vorzuschieben,  nahm  er  auch 
Pakosch  in  Besitz.  Irgend  welchen  Widerstand  fanden 
die  Preussen  hier  ebensowenig,  als  an  irgend  einem 
anderen  Ort  des  Landes.  Da  preussische  Truppen  schon 
lange  in  Pakosch  lagen,  so  machte  das  wichtige  Er- 
eignis, das  bedeutsamste  aus  der  ganzen  Geschichte  der 
Stadt,  auf  die  Bürgerschaft  so  wenig  Eindruck,  dass  die 
Klosterchronik,  die  davon  erzählt,  die  Zeit  der  Besitz- 
nahme irrtümlich  in  das  Jahr  1772  verlegt. 

Wenige  Wochen  nach  der  Einverleibung  der  Stadt 
in  den  preussischen  Staat  kamen  Kommissare  der  Regie- 
rung nach  Pakosch,  um  zu  Zwecken  der  neuen  Besteue- 
rung nach  preussischem  Muster  gemeinsam  mit  der 
städtischen  Behörde  und  den  Grundherren  die  Verhält- 
nisse der  Stadt  zu  untersuchen.  Der  sog.  Klassifikations- 
anschlag, der  hierdurch  entstand  und  noch  jetzt  erhalten 
ist1),  gibt  einen  Einblick  in  den  damaligen  Zustand  der 
Stadt  und  lässt  erkennen,  wie  ärmlich  nach  jeder  Richtung 
hin  das  Gemeinwesen  ausgestattet  war.  Die  Stadt  be- 
stand aus  66  Häusern,  von  öffentlichen  Gebäuden  waren 
nur  das  Rathaus,  die  Pfarrkirche  und  das  Kloster  vor- 
handen. Die  Bevölkerung  bestand  aus  nur  85  ange- 
sessenen Familien,  im  Ganzen  aus  468  Personen  bürger- 
lichen Standes,  wozu  noch  der  Pfarrer  und  die  22  Insassen 
des  Reformatenklosters  kamen2).  Die  ganze  Bevölkerung 
war  katholisch  bis  auf  einen  evangelischen  Müller;  eine 
Judengemeinde  gab  es  nicht  mehr.  An  staatlichen  Ab- 
gaben hatte  die  Stadt  428  poln.  Gulden  sog.  Königsgeld 
und  400  Gulden  Zapfengeld  (Schanksteuer)  jährlich  aufge- 
bracht. An  die  Grundherrschaft  wurde  jährlich  108  Gulden 
28  Gr.  Grundgeld  von  den  Häusern  und  152  Gulden 
Nahrungsgeld  von  den  Handwerkern  gezahlt,  ausserdem 
wurden    die    Brauabgaben    und    die    Scharwerksdienste 


1 )  St.-A.  Posen.    Kammerdeputation  Bromberg  XII  15  I. 

2)  Die  Namen  der  Bewohner  sind  einzeln  aufgeführt  in  der 
Zeitschrift  der  Historischen  Gesellschaft  für  die  Provinz  Posen 
Bd.  VIII  S.  205. 


Geschichte  der  Stadt  Pakosch.  33 

nach  den  oben  erwähnten  Privilegien  von  1671  und  1718 
geleistet.  Obwohl  in  der  Stadt  noch  immer  das  Magde- 
burgische Recht  galt  und  15  Magistratspersonen  ihres 
Amtes  walteten,  fanden  die  preussischen  Kommissare 
doch  weder  eine  Kämmereikasse  vor,  noch  konnten  sie 
von  irgend  welchen  polizeilichen  Massregeln  irgend  eine 
Spur  entdecken,  es  existierten  nicht  einmal  Feuerlösch- 
gerätschaften. Die  verständigen  polizeilichen  Bestimmungen 
der  alten  grundherrlichen  Privilegien  waren  also  voll- 
kommen in  Vergessenheit  geraten. 


VII. 

Die   Neuordnung   der   inneren  Verhältnisse   während  der 

Zugehörigkeit  der  Stadt  zum  Netzedistrikt.    Die  Gründung 

der  Reformatenschule  (1773 — 1806). 

Der  Zustand,  in  dem  die  Städte  des  Netzedistrikts 
vorgefunden  wurden,  liess  es  gerechtfertigt  erscheinen, 
dass  durch  die  preussischen  Behörden  eine  völlige  Neu- 
organisation ihrer  Verfassung  erfolgte.  Der  in  diesen 
Städten  noch  immer  geltende  Grundsatz  der  Selbst- 
verwaltung und  selbstherrlichen  Rechtspflege,  der  aus 
früheren  Jahrhunderten  stammend  dem  damaligen  Bildungs- 
zustande der  Bürgerschaften  nicht  mehr  entsprach,  wurde 
fallen  gelassen  und  die  in  Preussen  sonst  übliche  Organi- 
sation eingeführt.  Die  städtische  Verwaltung  wurde  dem- 
zufolge nicht  mehr  Bürgern  im  Ehrenamte  anvertraut  und 
überhaupt  jede  Mitwirkung  der  Bürgerschaft  bei  der 
Leitung  der  öffentlichen  Angelegenheiten  aufgehoben. 
Dagegen  wahrte  man  die  alten  Gerechtsame  der  Grund- 
herrschaften  wenigstens  insofern,  dass  man  ihnen  ein 
Vorschlagsrecht  bei  den  als  städtische  Beamte  anzustel- 
lenden Persönlichkeiten  einräumte,  allerdings  ihnen  auch 
hierfür  die  Pflicht  auferlegte,  bei  der  finanziellen  Begrün- 
dung der  neuen  Kämmereien  mitzuwirken. 

In  Pakosch  erklärte  die  Grundherrschaft  selbst,  dass 
alle  bisher   amtierenden  Magistratspersonen    „nicht  einen 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XX.  3 


34  Adolf  Warschauer. 

Kreuzer  wert  seien",  und  bat  um  deren  Entfernung  und 
um  Anstellung  einer  geeigneten  Persönlichkeit  als  Bürger- 
meister. 

Die  beiden  Brüder  Ignaz  und  Xaver  Dzialynski,  die 
in  jener  Zeit  die  Herrschaft  Pakosch  gemeinschaftlich  be- 
sassen,  sie  aber  freilich  zeitweise  ihrem  Schwager  Czapski 
für  einen  rückständigen  Teil  der  Mitgift  ihrer  Schwester 
in  Pfandbesitz  übergaben,  überwiesen  der  neu  zu  be- 
gründenden Kämmerei  das  Zettelgeld  der  fünf  Gebräue 
Bier,  die  der  Bürgermeister  von  jeher  frei  gehabt  hatte, 
die  Einnahme  von  der  Stadtwiese,  die  Hälfte  des  Markt- 
geldes, das  Meisterrechtsgeld,  die  Stand-  und  Einfuhr- 
gelder ausser  den  öffentlichen  Jahrmärkten  und  die 
Polizeistrafen  und  erklärten  sich  ausserdem  bereit,  falls 
die  Gesamtsumme  dieser  Einnahmen  die  Summe  von 
133  Talern  nicht  erreichen  sollte,  das  Fehlende  aus 
eigenen  Mitteln  zulegen  zu  wollen.  Tatsächlich  schliesst 
auch  der  älteste  vorhandene  Etat  der  Stadt  für  das  Jahr 
1781/82  in  Einnahme  und  Ausgabe  mit  133  Talern  ab. 
Als  Bürgermeister  war  zunächst  ein  gewisser  Essen  ein- 
gesetzt worden,  der  sich  aber  schon  nach  einigen  Mo- 
naten als  ungeeignet  erwies  und  dem  Zollkondukteur 
Conrad  Platz  machte.  Sein  Gehalt  betrug  jährlich 
75  Taler.  Ausser  ihm  war  nur  noch  ein  Kämmerer,  der  auch 
den  stolzen  Titel  Senator  führte,  mit  25  Talern  und  ein 
Stadtdiener  mit  15  Talern  angestellt.  Für  die  Rechts- 
pflege der  untersten  Instanz  wurde  ein  Richter,  der 
„Justizbürgermeister"  Hantelmann  angestellt;  da  aber 
Pakosch  allein  ihn  weder  beschäftigen  noch  ernähren 
konnte,  so  vereinigte  er  noch  eine  ganze  Anzahl  benach- 
barter Städte  zu  einem  Gerichtssprengel.  In  den  höheren 
Instanzen  wurde  die  Rechtspflege  von  den  staatlichen 
Gerichtshöfen  gehandhabt.  Auch  inbezug  auf  die  Polizei- 
vorschriften und  die  Massregeln  der  öffentlichen  Wohl- 
fahrt hatten  die  städtischen  Behörden  sich  nunmehr 
durchaus  den  staatlichen  Behörden,  zunächst  dem  vor- 
geordneten Steuerrat  des  Kreises  Strelno  und  der  Kammer- 
deputation zu  Bromberg  zu  fügen. 


Geschichte  der  Stadt  Pakosch.  35 

Der  Verlust,  den  Pakosch  ebenso  wie  die  anderen 
Städte  des  Netzedistrikts  unter  der  neuen  Regierung  an 
freiheitlicher  Selbstbestimmung  erlitt,  wurde  ihr  mehr  alsv 
ersetzt,  da  die  neue  Ordnung  der  Dinge  einen  vollkommenen 
Schutz  gegen  jeden  willkürlichen  Eingriff  von  Seiten  der 
Grundherrschaft  bot,  der  die  Städte  in  den  früheren 
-Zeiten  ohne  jeden  Rückhalt  unterlagen.  Zwar  gab  es 
kein  Mittel,  ohne  schwere  Verletzimg  privater  Rechte  die 
Abgaben  und  Leistungen  der  Bürger  an  die  Grundherren 
aufzuheben  oder  auch  nur  zu  beschränken,  aber  die 
Regierung  half  den  vielfach  hierin  schwer  bedrückten 
Bürgerschaften  wenigstens  dadurch,  dass  sie  über  alle 
-diese  Verpflichtungen  geordnete  Urbarien  aufstellen  liess 
und  so  nicht  nur  Gelegenheit  hatte,  die  privilegienmässig 
nicht  begründeten  auszuscheiden,  sondern  vor  allem  jede 
willkürliche  Erhöhung  zu  hindern. 

In  Pakosch  wurde  ein  solches  Urbarium  in  Gegenwart 
«dreier  Mitglieder  der  Bromberger  Kammer  am  26.  und 
27.  August  1785  aufgenommen.  Der  Grundherr  Xaver 
Dzialynski  war  persönlich  anwesend,  die  Bürgerschaft 
war  durch  die  vier  Bürger  Martin  Konacki,  Andreas 
Kontowicz,  Franz  Kropski  und  Alexander  Nowicki 
vertreten,  die  sich  vorbehielten,  eine  Vollmacht  ihrer  Mit- 
bürger vorzulegen.  Freilich  ist  dies  letztere  nie  geschehen, 
und  dieser  Umstand  hat,  wie  noch  unten  gezeigt  werden 
wird,  später  die  Handhabe  zu  ernsten  Streitigkeiten 
geboten.  Es  wurden  die  städtischen  Privilegien,  besonders 
«dasjenige  von  17 18  vorgelegt  und  in  den  einzelnen 
Punkten  durchgegangen,  und  man  kam  durch  Vereinbarung 
beider  Teile  zu  den  folgenden  Feststellungen:  1.  In  Bezug 
auf  die  zur  Erntezeit  auf  den  Vorwerken  Radlowko, 
Rybitwy  und  Ludkowo  zu  leistenden  Frohndienste  sollte 
zunächst  die  Brauerinnung,  die  für  Radlowko  allein 
verpflichtet  war,  nach  wie  vor  an  Stelle  der  Arbeit 
jährlich  die  Summe  von  360  Tympfen  oder  60  Talern 
bezahlen.  Für  Rybitwy,  wo  die  Bürger  mit  Aus- 
schluss der  Brauer  den  Frohndienst  leisteten,  wurde  der 
Wert  der  Leistung   jedes  Bürgers  auf  21    poln.  Gulden 


36  Adolf  Warschauer. 

jährlich  berechnet.  Die  Grundherrschaft  begnügte  sich 
jedoch  mit  16  Gulden  von  denjenigen  Bürgern,  die  eine 
Geldzahlung  der  Frohndienstleistung  vorziehen  würden, 
doch  mussten  sich  die  Bürger  wegen  dieser  Ermässigung 
verpflichten,  der  Grundherrschaft  bei  vorkommenden 
Bauten  in  Pakosch,  Rybitwy  und  Ludkowo  Hülfe  zu  leisten. 
In  Bezug  auf  Ludkowo  hatte  sich  die  Bürgerschaft  schon 
früher  an  Stelle  aller  zu  leistenden  Frohndienste  zu  einer 
jährlichen  Zahlung  von  42  Talern  verpflichtet,  was  nun- 
mehr bestätigt  wurde.  Für  alle  drei  Vorwerke  sollten  die 
Zahlungen  an  die  Herrschaft  von  Pakosch  auch  dann 
geleistet  werden,  wenn  sie  im  Laufe  der  Zeit  etwa  in 
andern  Besitz  übergehen  sollten.  2.  Für  die  zu  zahlenden 
Grundzinsen  sowohl  der  Grundstücke  in  der  Stadt  als 
der  Gärten  in  Ludkowo,  ferner  auch  für  das  Nahrungsgeld 
der  Handwerker  wurden  die  alten  Grundsätze  beibehalten 
und  hiernach  ein  neues  Heberegister  entworfen,  wobei 
ausdrücklich  bemerkt  wurde,  dass  die  Bürger  zu  weiter 
nichts  als  zu  den  im  Register  verzeichneten  Leistungen 
verpflichtet  seien.  3.  Einige  Schwierigkeiten  machte  die 
Festlegung  der  Brauereiabgaben.  Nach  den  alten  Be- 
stimmungen betrug  das  „Zettelgeld"  für  jedes  Gebräu 
Bier  einen  Dukaten  oder  27  Gulden  18  Groschen  poln. 
und  das  dem  Müller  zufallende  Mahlgeld  6  Groschen,  wo- 
gegen aber  die  Grundherrschaft  verbunden  war,  den 
Brauern  das  freie  Schroten  auf  den  ihr  gehörigen 
Wassermühlen  zu  gestatten.  Nun  hatte  aber  Friedrich 
der  Grosse  den  Plan  gefasst,  den  Goplosee  tiefer  zu 
legen,  um  die  Uferländereien  urbar  zu  machen,  und  zur 
Durchführung  dieses  Planes  war  es  notwendig  gewesen, 
der  Netze  unterhalb  des  Sees  freieren  Abzug  zu  gewähren 
und  den  Mühlendamm  bei  Pakosch  zu  durchstechen. 
Hierdurch  war  der  Betrieb  der  Wassermühlen  unmöglich 
geworden,  und  die  Grundherrschaft  war  ausser  Stande,  den 
Brauern  gegenüber  ihre  privilegienmässigen  Verpflichtungen 
zu  erfüllen.  So  blieb  ihr  nichts  übrig  als  ihre  Bereit- 
willigkeit zur  Anlegung  einer  Wind-  und  Rossmühle  an 
Stelle  der  eingegangenen  Wassermühlen  zu  erklären  und  bis 


Geschichte  der  Stadt  Pakosch.  37 

zu  deren  Errichtung  eine  entsprechende  Ermässigung  des 
Zettelgeldes  eintreten  zu  lassen.  Tatsächlich  wurde 
später  auch  eine  Rossmühle  erbaut,  der  erlittene  Schaden 
aber  wurde  den  Dzialynski  von  der  Regierung  durch 
Zahlung  einer  Summe  von  3333  Talern  25V2  Gr.  ersetzt. 
4.  Das  Brennen  und  Ausschänken  des  Branntweins 
sollte  nach  wie  vor  gegen  eine  Abgabe  an  die  Herrschaft 
von  jährlich  6  Tympfen  oder  36  preussischen  Groschen 
jedem  Bürger  frei  stehen,  ebenso  auch  der  Ausschank 
des  von  fremd  her  eingeführten  Branntweins.  Als 
Maximalmass  des  zum  Branntweinbrennen  zu  verwendenden 
Grapens  wurden  4  Berliner  Tonnen  festgesetzt  5.  Völlig 
neu  geordnet  wurden  die  Verhältnisse  der  städtischen 
Hütung.  Es  wurde  zwar  im  allgemeinen  zugegeben,  dass 
die  Bürgerschaft  freie  Hütung  sowohl  auf  Ludkowoer  als 
auch  auf  Pakoscher  Grund  und  Boden  besitze,  aber  es 
wurden  auch  die  Missstände  und  Streitigkeiten  betont, 
die  sich  durch  das  häufige  Zusammentreffen  des  den 
Bürgern  und  der  Herrschaft  gehörigen  Viehs  ergeben 
hatten.  Es  erfolgte  deshalb  eine  Einigung  dahin,  dass  die 
Ludkowoer  Hütung  zwischen  der  Herrschaft  und  den 
Bürgern  geteilt  wurde,  doch  mussten  die  letzteren  sich 
gefallen  lassen,  dass  auf  ihrem  Teile  auch  die  Ludkowoer 
Bauern  und  die  Herrschaft  wenigstens  mit  Schafen  hüten 
durfte.  Dagegen  wurde  der  Bürgerschaft  ein  vollkommen 
selbständiges  Recht  auf  die  Pakoscher  Ländereien  und 
Wiesen  links  des  Weges  von  Pakosch  bis  Jankowo  ein- 
geräumt, obgleich  sie — wie  dasUrbarium  sich  ausdrückt  — 
solche  nicht  privilegienmässig  besitze,  sondern  sich  blos 
angemasst  und  unter  sich  verteilt  habe.  6.  Für  die 
Fischerei  wurde  das  alte  den  Bürgern  zustehende  Recht 
des  Fischens  mit  Hamen,  Reusen  und  kleinen  Netzen, 
soweit  sie  waten  konnten,  bestätigt1). 

Auch    in  Bezug    auf    das    äussere  Ansehen,    sowie 
auf   das  Kirchen-   und  Schulwesen   der  Stadt   war   diese 


*)  Abschrift   des  Urbariums  in  den  Akten   der  Stadt  betr.  die 
verschiedenen  alten  Dokumente  und  Urkunden  Bl.  58—69. 


38  Adolf  Warschauer. 

Zeit  der  beginnenden  preussischen  Herrschaft  eine  Periodf 
fruchtbarer  Weiterentwicklung.     Die  alte  Pfarrkirche  d^ 
Ortes,  ein  Fach  werkbau,  war  im  Laufe  der  Jahre  baufelk 
geworden.    Gegen  Ende  der  siebziger  Jahre  war  ihr  Zu- 
stand  derartig,   dass   kein  Gottesdienst   mehr    darin   ab- 
gehalten werden  konnte  und  die  Kirche  des  Refonnaten- 
klosters   hierzu   verwandt   werden   musste.     Das    in    der 
Stadt  liegende  Militär,  zwei  Kompagnieen  des  Regiment 
von  Ingersleben,  hatte   in  der   Nähe   der  Kirche    seinen 
Übungsplatz  und  ihr  Führer,  der  Oberstleutnant  von  Boyen 
meldete   im   Jahre    1777,    dass    man    fast    stündlich    den 
Einsturz  des  Gebäudes  vermuten  müsse  und   dass   seine 
Soldaten    hierdurch    bedroht    würden.      Er     bat,     dass 
wenigstens  Turm   und  Giebel   abgebrochen  würden,    um 
allem  ferneren  Unglück  vorzubeugen,  glaubte  aber,   dass 
wenn  man  anfangen  würde,  an  dem  Gebäude  zu  rühren, 
es    von    selber    einfallen   werde.    Auch    der    Kreisbau- 
kondukteur,   der   aufgefordert   wurde,    einen    Reparatur- 
anschlag zu  entwerfen,  erklärte  es  für  ratsam,  die  Kirche 
je   eher  je   lieber   abzubrechen.    Man  begnügte  sich  in- 
dessen vorläufig  damit,  das  gefährdete  Dach  abzutragen 
und  das  Fachwerk  herauszuschlagen,  so  dass  nur  der  aus 
blossen  Blöcken  bestehende  Rumpf  zurück  blieb.    Dieser 
wurde   im  Jahre    1787   mit  Erlaubnis  des  Konsistoriums 
niedergerissen.  Da  aber  die  Grundherrschaft  die  Materialien 
für  ihren  Bedarf  verwandt  hatte,  so  drängte  der  damalige 
Propst    Maychrowicz,    offenbar    ein    sehr    rühriger    und 
tätiger  Mann,  den  Grafen  Johann  Dzialynski  zur  Hinter- 
legung  eines  Fonds  zur  Erbauung   eines   neuen  Gottes* 
hauses.   Anderweitige  Mittel  verschaffte  er  sich  noch  von 
Bürgern    der    Stadt   selbst   und    durch    eine    allgemeine 
Kollekte  in  den  preussischen  Staaten,  die  einige  Hundert 
Taler  einbrachte,  so  dass  er  in  den  Jähren  1796—99  die 
Kirche  auf  den  alten  Fundamenten  neu  errichten  konnte, 
und  zwar  als  massiven  Bau,  während  sie  früher  nur  aus 
Fachwerk    bestanden    hatte.    Derselbe    Propst   erwirkte 
auch   in   den  Jahren    1786/87    durch  Verhandlungen  mit 
der  Grundherrschaft,  dass  die  Äcker  und  Wiesen  sowohl 


Geschichte  der  Stadt  Pakosch.  39 

ler  Pfarr-  als  auch  der  —  allerdings  nicht  mehr  be- 
stehenden —  Hospitalkirche  aus  ihrer  früher  getrennten 
Lage  in  einzelnen  Stücken  in  einheitliche  Flächen 
zusammengelegt  und  so  bequemer  benutzbar  gemacht 
wurden1). 

Auch    die    Bürgerhäuser    bestanden    zur    Zeit    der 
preussischen  Besitznahme  noch  alle  aus  Holz  oder  Fach- 
werk, so  dass  Feuersbrünste  leicht  eine  gefährliche  Ver- 
breitung erhielten.    So   fanden   in    den  Jahren    1794 — 99 
nicht    weniger   als   fünf   verheerende  Brände   statt,   über 
deren    Ausdehnung  wir  genauer   unterrichtet   sind.    Am 
20.    Januar    1794    verzehrte    ein    Feuer    21    Häuser    und 
33  Ställe,  also  fast  die  halbe  Stadt,  der  Schaden  wurde 
auf  etwa  10  000  Taler  berechnet.    Alle  diese  Häuser  waren 
aus  Holz  und  mit  Strohdächern  bedeckt  gewesen.     Der 
zweite  Brand,  am  27.  Januar  1798,  vernichtete  14  Bürger- 
häuser und  verursachte  einen  Schaden  von  7446  Talern. 
Im   Jahre    1799  wüteten   drei   Brände:    am    26.   Februar 
brach  Feuer  im  Hause  des  Bürgermeisters  Conrad  aus  und 
forderte  8  Häuser  als  Opfer  und  ähnlichen  Schaden  richteten 
die  Feuersbrünste   vom    19.  April   und    14.  Mai   an.    Da 
hierzulande   damals   noch   nirgends  von   einer  Feuerver- 
sicherung  die   Rede   war,   so   waren    die   Abgebrannten 
vielfach   auf   die  Unterstützung   des  Staates   angewiesen, 
und  dieser  benutzte  die  Gelegenheit,  um  durch  Gewährung 
höherer  Bauhilfsgelder  an  die  massiv  wieder  Aufbauenden 
die   Entstehung    von    Ziegelhäusern     in    der    Stadt    zu 
fördern.    Diejenigen,  die  ihre  Häuser  in  der  alten  Weise 
wieder   errichten    wollten,    erhielten    nur    50   Taler,    die 
andern  aber  die  sich  zur  massiven  Bauart  entschlossen, 
das  doppelte   oder    auch    das    dreifache    dieser   Summe. 
So  begann   zu  jener  Zeit   die  Umgestaltung  der   Stadt 
aus  einer  hölzernen  in  eine  steinerne. 

Eine  ganz   besondere  Bedeutung  aber  gewann  die 
Stadt  in  dieser  Epoche  für  ihre  nähere  und  weitere  Um* 


J)  Abschriften  dieser  Verhandlungen  befinden  sich  in  einem 
Aktenstück  des  Pfarrarchivs  betr.  die  Kirchenvisitationen. 


40  Adolf  Warschauer. 

gebung  durch  die  Errichtung  der  sog.  Reformaten- 
schule.  Trotzdem  nämlich  die  Stadt  durch  ihren 
Übergang  an  den  preussischen  Staat  von  einer  katholischen 
unter  eine  protestantische  Herrschaft  gekommen  war,  so 
konnte  doch  der  Klosterkonvent  bei  den  bekannten  duld- 
samen Gesinnungen  Friedrichs  des  Grossen  und  seines  Nach- 
folgers sich  nicht  nur  ungestört,  sondern  sogar  in  aufsteigender 
Linie  entwickeln  und  daran  denken,  seine  Wirksamkeit 
durch  Errichtung  einer  höheren  Schule  zu  erweitern.  Bei 
den  vielfachen  Verbindungen,  die  das  Kloster  mit  dem 
Adel  der  Umgegend  hatte,  gelang  es  ihm,  eine  grössere 
Anzahl  von  Edelleuten  für  diesen  Plan  zu  interessieren 
und  zu  veranlassen,  dass  diese  in  Inowrazlaw  eine  Ver- 
sammlung abhielten  und  unter  Führung  des  Adalbert 
von  Mieczkowki  im  Namen  des  ganzen  Adels  des  Netze- 
distrikts am  13.  April  1786  eine  Eingabe  an  Friedrich 
den  Grossen  richteten,  worin  sie  um  seine  Einwilligung 
zur  Errichtung  eines  Gymnasiums  bei  dem  Kloster  zu 
Pakosch  baten.  Sie  erboten  sich  einen  Teil  der  Mittel 
aufzubringen,  für  das  Fehlende  wünschten  sie  eine  Kollekte 
veranstalten  zu  dürfen,  auch  beanspruchten  sie  Freiheit 
vom  Militärdienst  für  die  Schüler,  so  lange  sie  die  Schule 
besuchen  würden.  Diese  Eingabe  hatte  freilich  ebenso 
wie  eine  Wiederholung  derselben  zunächst  keinen  Erfolg. 
Glücklicher  war  ein  anderer  Weg,  den  der  Konvent  nach 
dem  Tode  Friedrichs  des  Grossen  einschlug.  Es  scheint, 
dass  die  Einmischung  des  Adels  die  ganze  Angelegenheit 
politisch  verdächtig  erscheinen  liess,  und  so  kam  der 
Konvent  zu  dem  Entschluss,  sich  nunmehr  lieber  der  Hilfe 
der  Bürgerschaft  zu  bedienen.  Im  Frühling  1787  reiste 
der  damalige  Guardian  Anicetus  Paszkiewicz  mit  zwei 
Bürgern  Casimir  Lukaszewski  und  Bartholomaeus  Lisiecki 
nach  Bromberg,  wo  sie  mit  Hülfe  eines  dortigen  Regierungs- 
beamten eine  erneute  Bittschrift  an  den  König  Friedrich 
Wilhelm  IL  richteten.  Der  König  überwies  diese  Bittschrift 
durch  eine  Kabinetsordre  vom  16.  Juni  an  den  Staats- 
minister von  Zedlitz  mit  dem  Befehl,  nach  Lage  der  Ver- 
hältnisse hierauf  das  Erforderliche  zu  verfügen.    Nachdem 


Geschichte  der  Stadt  Pakosch.  41 

im  Auftrage  des  Ministers  die  Bromberger  Kammer  die 
notwendigen  Erhebungen  angestellt  hatte,  empfahl  sie  in 
einem  eingehenden  Bericht  an  den  Minister  vom 
18.  September,  die  Genehmigung  zu  erteilen,  wünschte 
aber  die  Bedingung  daran  geknüpft,  dass  das  Kloster  den 
Unterricht  unentgeltlich  übernehme,  tüchtige  und  geschickte 
Leute  hierfür  auswähle  und  diese  der  Kammer  zur 
Prüfung  stelle.  Die  Kammer  hielt  sich  hierzu  für  berechtigt, 
weil  der  Ordensprovinzial  Dionysius  Kowakiewicz  zu 
Warschau  sich  willig  erklärt  hatte,  wenn  die  Schule  ein- 
gerichtet wäre,  das  Kloster  mit  passenden  Geistlichen  zu 
versehen  und  sie  zur  Prüfung  zu  stellen.  Auf  diesen  Bericht 
hin  erteilte  der  Minister  unter  dem  5.  Oktober  1787  die 
von  der  Stadt  und  dem  Konvent  gewünschte  Erlaubnis1). 

Im  folgenden  Jahre  begann  der  Bau  der  Schule  in 
der  unmittelbaren  Nachbarschaft  und  auf  dem  Grund  und 
Boden  des  Klosters.  Ein  gemauertes  Dienerhaus  wurde 
gegen  die  Stadt  hin  verlängert  und  gegen  das  Kloster 
hin  durch  eine  Mauer  abgesperrt.  Die  Mönche  beschwerten 
sich  übrigens  bitter  darüber,  dass  die  Bürgerschaft  ihre 
Versprechungen  bei  dem  Schulbau  nicht  erfüllte  und  fast 
die  ganze  Mühe  und  Arbeit  dem  Kloster  überliess.  Ein 
Teil  der  Kosten  wurde  durch  eine  Kollekte  bei  Edelleuten 
und  in  der  Nachbarschaft  der  Stadt  aufgebracht.  Am 
23.  Oktober  1788  konnte  dann  die  feierliche  Eröffnung 
durch  den  Guardian  Paszkiewicz,  der  die  treibende  Kraft 
bei  dem  ganzen  Unternehmen  gewesen  war,  erfolgen. 

Die  Schule  war  eine  Art  von  Gymnasium,  da  ihr 
ausgesprochener  Zweck  war,  zum  Universitätsstudium  vor- 
zubereiten oder  ihren  Abiturienten  die  Fähigkeit  zur  Be- 
kleidung einer  untergeordneten  Stelle  im  Staatsdienst 
oder  die  Kenntnisse  für  die  militärische  Laufbahn  zu  ver- 


l)  St-A.  Posen.  Pakosch  C  14.  Th.  Warminski,  Die  Ordnungen 
der  Höheren  Schule  des  Reformatenklosters  zu  Pakosch,  im  Jahr- 
buch der  Hist  Ges.  für  den  Netzedistrikt  zu  Bromberg  1897  S.  5 — 32, 
1898  S.  54—80.  Hiernach  A.  Skladny,  Die  Schule  der  Reiormaten  zu 
Pakosch.    Hist.  Monatsbl.  f.  d.  Prov.  Posen  I  S.  161—70. 


42  Adolf  Warschauer. 

schaffen.  Doch  trug  ihre  Organisation  und  die  Lehr- 
methode einen  etwas  altfränkischen  Charakter  und 
erinnerte  an  die  mittelalterlichen  Kirchen-  und  Kloster- 
schulen. Auf  die  Realien  wurde  kein  besonderer  Wert 
gelegt;  neben  der  polnischen  Muttersprache  der  Schüler 
wurde  im  Lateinischen,  Französischen  und  Deutschen 
unterrichtet  Der  hauptsächlichste  Lehrgegenstand  war 
das  Lateinische,  hierin  sollte  eine  vollkommene  Fertigkeit 
im  mündlichen  und  schriftlichen  Ausdruck,  sowie  auch 
die  Kunst  der  Wiedergabe  poetischer  Gedanken  in 
metrischer  Form  erreicht  werden.  Für  den  letztgenannten 
Zweck  wurde  sogar  eine  Prosodie  in  lateinischer  Sprache 
für  die  Schule  besonders  gedruckt l).  Auch  der  Unterricht 
in  der  Religion  wurde  sehr  betont,  trotzdem  wurden, 
wenn  die  Anstalt  naturgemäss  auch  einen  durchaus 
katholischen  Charakter  trug,  doch  auch  protestantische 
Schüler  aufgenommen.  Als  Lehrer  amtierten  ausschliesslich 
Klostergeistliche,  nur  in  der  untersten  Klasse  wurde  wohl 
auch  ein  Laie  als  Lehrer  zugelassen.  Die  Zahl  der 
Schüler,  unter  denen  sich  vielfach  Söhne  adliger  Grund- 
besitzer befanden,  stieg  bald  auf  mehrere  Hundert.  Die 
Leistungen  der  Schule  waren  in  den  ersten  Jahrzehnten 
nach  ihrer  Entstehung  durchaus  zufriedenstellend.  So 
konnte  die  Kammer  zu  Marienwerder  am  19.  Oktober  1798 
an  das  Kloster  schreiben :  „Wir  haben  zu  unserem  Wohl- 
gefallen in  Erfahrung  gebracht,  dass  ihr  bei  dem  Schul- 
institut, welches  vor  11  Jahren  mit  unserer  Genehmigung 
in  eurem  Kloster  gestiftet  worden  ist,  mit  rühmlichem 
Fleiss  und  gutem  Erfolg  unterrichtet,  so  dass  in  demselben 
schon  mehrere  brauchbare  Männer  gebildet  sind,  und  dass 
auch  eure  jetzigen  Zöglinge,  deren  178  an  der  Zahl  sind, 
gute  Hoffnung  geben.  Wir  können  euch  hierüber  unseren 
Beyfall  nicht  vorenthalten  und  müssen  euch  zu  erkennen 
geben,  dass  wir  eure  Bemühungen,  die  ihr  bei  dem  unent- 

*)  Der  Titel  dieses  Büchleins  lautet:  Pars  quarta  Grammatices 
de  Prosodia  seu  de  Quantitate  syllabarum  pro  usu  seholarum 
Pacostensium  PP  Reformatorum  provinciae  Majoris  Poloniae  S.  Anton  ii 
Padvani  collecta  anno  Domini  1793  typis  mandata.    Varsaviae.    KL  8?. 


Geschichte  der  Stadt  Pakosch.  43 

geltlichen  Unterricht  der  Jugend  habt,  jederzeit  gnädig 
bemerken  werden,  und  dass  auch  das  Vaterland  eure 
Verdienste  nie  vergessen  kann1)".  Die  Folge  dieser 
Zufriedenheit  der  Regierung  mit  der  Wirksamkeit  der 
Schule  war,  dass  ihr  nicht  nur  die  erbetene  Be- 
freiung ihrer  Schüler  für  die  Dauer  ihres  Auf- 
enthaltes an  der  Schule  vom  Militärdienst,  sondern 
auch  eine  jährliche  Spende  von  24  Klaftern  Brennholz 
aus  den  königlichen  Forsten  gewährt  wurde.  Im  Jahre  1799 
konnte  das  Kloster  sich  dann  auch  mit  Hülfe  der  Ein- 
wohner von  Pakosch  ein  neues,  bequemes,  völlig  massives 
Schulhaus  erbauen. 

In  derselben  Periode  vollzog  sich  noch  eine  Um- 
änderung, die  für  die  Stadt  selbst  und  für  die  ganze  Um- 
gegend von  Wichtigkeit  war,  Die  Dzialynskische  Familie 
verkaufte  nämlich  die  Pakoscher  Güter  und  gab  somit 
auch  die  Grundherrschaft  über  die  Stadt,  die  Jahrhunderte 
hindurch  ihr  eigen  gewesen  war,  auf.  Vielleicht  haben 
hierbei  politische  Gründe  mitgewirkt,  da  die  Familie  von 
jeher  eine  politisch  bedeutsame  Rolle  im  polnischen 
Staatswesen  gespielt  hatte,  für  deren  Fortführung  es  ihr 
•wohl  nötig  erschien,  ihren  Grundbesitz  auf  polnischem 
Boden  zu  konzentrieren.  Die  letzten  Besitzer,  die  beiden 
Brüder  Ignaz  und  Xaver  Dzialynski,  verkauften  deshalb 
ihre  Besitzungen  in  Westpreussen  durch  einen  Vertrag, 
der  am  13.  Mai  1789  abgeschlossen  und  am  10.  Januar 
1792  gerichtlich  bestätigt  wurde,  für  18500  ung.  Gulden 
an  den  Ritterschaftsrat  Leutnant  Johann  Carl  v.  Gerhardt 
zu  Flatow.  Der  ältere  der  beiden  Brüder  Dzialynski, 
Xaver,  kaufte  die  Herrschaft  Kurnik  bei  Posen,  die  da- 
mals noch  zu  Polen  gehörte,  seine  Linie  starb  mit  seinem 
Sohne,  dem  Grafen  Titus  Dzialynski  aus.  Die  jüngere 
Linie,    die   in  Podolien  angesiedelt  ist,   blüht  noch  heute. 

Obwohl  der  offizielle  Verkauf  erst  im  Jahre  1789 
stattfand,  so  hatte  doch  der  neue  Grundherr  tatsächlich 
<den  Besitz  schon  im  Jahre  vorher  angetreten  und  wirkte 


i)  St.-A.  Posen.    Pakosch  C  1  Bl.  116. 


44  Adolf  Warschauer. 

bei  der  feierlichen  Einweihung  der  Reformatenschule  im 
Jahre  1788  bereits  als  Patron  mit.  Die  Zeit  seiner  Grund- 
herrschaft  wurde  für  die  Bürgerschaft  dadurch  wichtig, 
dass  er  durch  eine  Abmachung  vom  6.  September  1795 
seine  Genehmigung  zur  Aufteilung  einer  bisher  als  ge- 
meinsamen Hütung  benutzten  Wiese  hinter  Ludkowo  unter 
die  grundbesitzenden  Bürger  der  Stadt  gewährte.  Hier- 
durch gelangte  jeder  der  70  hierzu  berechtigten  Bürger 
zu  einem  kleinen  selbständigen  Grundbesitz  von  86  Ruthen, 
wofür  ein  jährlicher  Kanon  von  4  Gulden  an  die  Kämmerei 
zu  bezahlen  war.  Im  Besitze  der  Kämmerei  blieb  als 
Rest  nur  ein  Teil  von  45  Ruthen. 

Johann  Carl  von  Gerhardt  war  übrigens  nur  wenige 
Jahre  im  Besitz  der  Pakoscher  Güter,  da  er  sie  schon 
Ende  1802  weiter  an  den  Ritterschaftsrat  Joseph  v.  Miecz- 
kowski  verkaufte.  Überhaupt  trat  von  nun  an,  wie  noch 
gezeigt  werden  wird,  ein  fortwährender  Wechsel  der 
Grundherrschaften  ein. 


Vffl. 

Die  Herzoglich  Warschauische  Zeit  (1807 — 15). 

Eine  völlige  Änderung  aller  inneren  Verhältnisse  er- 
folgte, als  unter  der  Einwirkung  Napoleons  aus  einem 
Teile  der  früher  polnischen  Landesteile  das  Herzogtum 
Warschau  gebildet  und  Pakosch  diesem  Staatswesen  ein- 
verleibt wurde.  Die  Verfassung  der  Stadt  wurde  wieder 
freiheitlicher  gestaltet,  da  an  Stelle  der  straffen  Beamten- 
regierung während  der  preussischen  Verwaltung  wieder 
eine  Vertretung  der  Bürgerschaft  eingesetzt  wurde. 
Freilich  war  die  Zeit,  in  der  Truppendurchmärsche,  Ein- 
quartierungen, Kriegsauflagen  und  mancherlei  Vergewal- 
tigungen die  Stadt  beunruhigten,  nicht  dazu  angetan,  eine 
ruhige  Entwicklung  zu  befördern,  sodass  wohl  auch  in 
der  polnischen  Bevölkerung  die  Schwere  der  Zeitverhält- 
nisse drückend  empfunden  wurde.  So  sprach  sich  Ne- 
pomucen  Sadowski,  der  Verfasser  der  Chronik  des  Re- 
formatenklosters,  über  die  Franzosen,  auf  die  man  damals 


Geschichte  der  Stadt  Pakosch.  45 

sonst  wohl  als  die  Retter  Polens  hinzublicken  pflegte 
folgendermassen  voll  Bitterkeit  aus:  „In  der  Zeit  dieses 
Krieges  haben  die  Franzosen  wie  unter  dem  Mantel  der 
Freundschaft  ihre  Schritte  nach  Polen  gelenkt,  aber  un- 
geachtet dieser  Freundschaft  wurden  viele  polnischen 
Bürger  beraubt,  eine  grosse  Zahl  neben  ihren  Besitz- 
tümern getötet  und  unschuldig  erschlagen  und  andere 
•durch  sie  in  die  tiefste  Armut  gestürtzt  Ich  sage:  möge 
Gott  der  Herr  solche  Freunde  von  uns  abwenden." 

Dementsprechend  ist  auch  über  die  Geschichte  der 
Stadt  aus  dieser  Zeit  nichts  erfreuliches  zu  berichten. 
Besitzer  der  Herrschaft  Pakosch  war  damals  Norbert 
von  Zielinski,  Friedensrichter  des  Kreises  Inowrazlaw.  auf 
Rybitwy,  der  sie  seit  1804  mit  Ignatz  von  Suminski  zu- 
sammen und  seit  1808  allein  besass.  Über  ihn  hatte  die 
Bürgerschaft  mannigfach  zu  klagen,  da  er  sich  vielfach 
Eingriffe  in  ihre  alten  Gerechtsame  erlaubte.  So  ver- 
wehrte er  ihr  die  Einfuhr  des  Branntweins  aus  der  Fremde, 
machte  wegen  ihres  Weiderechts  auf  den  Ludkowoer 
Grundstücken  Schwierigkeiten  und  untersagte  ihnen  die 
Ausübung  ihres  alten  Fischereirechtes.  Die  Bürgerschaft 
sah  sich  hierdurch  genötigt,  gegen  ihren  Grundherrn 
klagend  vorzugehen,  und  die  Streitigkeiten  fanden  durch 
das  Urteil  des  Ziviltribunals  des  Departements  Bromberg 
vom  15.  Oktober  181 1  ihre  Endschaft.  Das  Urteil  stützte 
sich  auf  den  Wortlaut  der  alten  Privilegien  vom  28.  Fe- 
bruar 1671  und  19.  Januar  1736  und  kam  in  den  meisten, 
allerdings  nicht  in  allen  Punkten  zu  einem  für  die  Stadt 
günstigen  Ergebnis.  Inbezug  auf  den  Vertrieb  des 
Branntweins  stellte  es  sich  im  Wesentlichen  auf  den 
Standpunkt  des  Grundherrn,  indem  es  der  Bürgerschaft 
zwar  das  Branntweinbrennen  in  ihren  Häusern  gestattete 
aber  die  Einfuhr  aus  der  Fremde  untersagte.  Dagegen 
schützte  es  in  vollem  Umfange  das  Weiderecht  der  Bürger- 
schaft und  sprach  ihr  auch  die  Fischereigerechtsame  zu. 
Ob  diese  freilich  sich  auch  auf  den  Jankowoer  See  er- 
strecke, entschied  das  Urteil  nicht,  sondern  erachtete 
diesen  Punkt  einer  näheren  Aufklärung  für  noch  bedürftig. 


46  Adolf  Warschauer. 

Auch  der  Stolz  der  Stadt,  die  Schule,  verlor  in 
dieser  Zeit  ihr  altes  Ansehen  und  ihren  Ruf.  Zwar 
besass  sie  im  Jahre  181 1  noch  230  Schüler,  aber  diese 
wurden  von  nur  2  Lehrern  unterrichtet,  da  der  frühere 
Zudrang  zu  dem  klösterlichen  Leben  aufgehört  hatte  und 
gebildete  Mönche  selten  waren.  In  dieser  Not  überliess 
man  den  Schülern  der  höheren  Klassen  den  Unterricht 
in  den  niederen,  und  es  erfolgte  ein  völliger  Absturz  in 
den  wissenschaftlichen  Leistungen  und  dem  sittlichen 
Verhalten  der  Schüler.  Es  half  denn  auch  nicht  viel, 
dass  die  Regierung  sich  entschloss,  einen  weltlichen 
Lehrer  der  Mathematik,  Professor  von  Swinarski,  anzustellen 
und  ihn  mit  200  Talern  aus  der  Staatskasse  zu  besolden. 
Der  Bromberger  Departementspräfekt  Gliszczynski  urteilte 
im  Jahre  181 1,  dass,  wenn  selbst  Leute  höherer  Stände 
ihre  Söhne  in  diese  Schule  schickten,  sie  offenbar  nicht 
wüssten,  was  Unterricht  und  Erziehung  sei.  Es  ist  inter- 
essant zu  beobachten,  dass  diese  Schule,  die  unter  der 
früheren  preussischen  Regierung  errichtet  worden  war 
und  Befriedigendes  leistete,  nunmehr  unter  der  Regierung 
des  neuen  Staatswesens  sich  im  offenbaren  Niedergang 
befand,  sodass  die  höchste  Erziehungsbehörde  des  Staates, 
die  Edukationskommission,  vor  der  Behauptung  nicht  zu- 
rückschreckte, dass  die  Schule  unter  geistlicher  Leitung 
niemals  etwas  leisten  werde1). 


IX. 
Seit  dem  Wiederanfall  der  Provinz  an  Preussen  (1815). 
Friedliche  Zeiten  und  mit  ihnen  eine  ruhige  Ent- 
wicklung traten  wieder  ein,  als  mit  dem  Sturze  Napoleons 
auch  seine  Schöpfung,  das  Herzogtum  Warschau,  zu 
Grunde  ging  und  die  Provinz  Posen  in  ihren  heutigen 
Grenzen  unter  preussischer  Herrschaft  eingerichtet  wurde. 
Die  ersten  Jahrzehnte  dieser  Periode  räumten  ebenso  wie 

*)  Vgl.  A.  Skladny,  Die  Geschichte  der  Reformatenschule  in 
Pakosch,  in  der  Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  f.  d.  Prov.  Posen  XVI 
Seite  72—76. 


Geschichte  der  Stadt  Pakosch.  47 

in   allen  anderen  Städten  des  Landes  so  auch  in  Pakosch 
mit    den   Schöpfungen   der  Vergangenheit   gründlich   auf 
und  setzten  neue  Organisationen  an  deren  Stelle,  die  den 
-Anschauungen   der  modernen  Zeit  besser   angepasst   die 
Überleitung  in  die  Zustände  bürgerlicher  Freiheit,  die  wir 
heute  als  selbstverständliche  Grundlage  eines  bürgerlichen 
Gemeinwesens    ansehen,     ermöglichten.       Wenn    diese 
wichtigen  Umwälzungen   ohne  innere  Erschütterungen  in 
ordnungsmässiger  und  friedlicher  Weise  vor  sich  gingen, 
so  beruhte  dies  im  wesentlichen  darauf,  dass  sie  von  der 
Staatsverwaltung  ausgingen  und  in  der  Ausführung  allge- 
meiner Gesetze  erfolgten. 

Zuerst  erfuhren  die  geistlichen  Verhältnisse  eine 
völlige  Umgestaltimg,  indem  das  Kloster  und  die  unter 
seinem  Regiment  stehende  Schule  aufgehoben  wurden. 

Zwar  wurde  die  in  den  alten  Provinzen  des  preussi- 
schen  Staates  durchgeführte  Massregel  der  Säkularisation 
der  Klöster   in   der   neu   erworbenen  Provinz  Posen   zu- 
nächst nicht  angewandt:   doch   wurde  bald  nach  der  Be- 
sitznahme  durch    eine   Kgl.  Kabinetsordre   vom  27.  Sep- 
tember 1816   die  Aufnahme   neuer  Insassen   in   die   vor- 
handenen Klöster,  soweit  sie  nicht  der  Krankenpflege  ge- 
widmet waren,   verboten,   sodass   sie   in  absehbarer  Zeit 
aussterben  und  sich  so  von  selbst  auflösen  mussten.    Da 
dieser  allgemeinen  Verfügung  auch  das  Reformatenkloster 
zu  Pakosch  unterworfen  wurde,   so  war  für  die  Schule 
die  nächste  Folge  hiervon,   dass  sie   an  eine  Erneuerung 
der  geistlichen  Lehrkräfte  nicht  mehr  denken  konnte  und 
als  Klosterschule  einging.    Da  die  Schüler  grossenteils  aus 
der  Fremde  stammten   und   bei   den  Bürgern   lebten,   so 
hatten  diese   ein   materielles  Interesse   an  der  Erhaltung 
der  Anstalt      Aber    schon    1817    war    die    Anzahl    der 
Schüler  auf  87  gesunken,   und  der  Unterricht  wurde  von 
nur  zwei  Reformatengeistlichen  Florentin  Okolewski  und 
Nepomucen    Zdybalinski    erteilt    Unterrichtsgegenstände 
waren  nur  polnisch  und  lateinisch.     Nach    dem  Ableben 
des  Professors   von  Swinarski   war   dessen   Stelle   nicht 
wieder  besetzt  worden,   wenn   auch   freilich   sein  Gehalt 


48  Adolf  Warschauer. 

von  200  Talern  noch    immer  von  der  Staatskasse  an  die 
Schule  gezahlt  wurde.     Im  Jahre  1821    wurde    noch     ein 
Versuch  gemacht  die  Schule  zu  erhalten,  indem  unter  dem 
19.  November   sich    die   Bürgerschaft   von    Pakosch    und 
einige  Edelleute,  wie  Skorzewski  auf  Lubostron,  Lochocki 
auf  Bartschin   u.  a.   mit    einem    Immediatgesuch    an    den 
König  wandten  und  um  Anstellung  brauchbarer  und  hin- 
länglicher Lehrer  baten.    Von  dem  Zdybalinski  sagte  die 
Eingabe,    er   besitze  nur  die  lateinische  und  seine  eigene 
polnische    Muttersprache,    wogegen    es   ihm   an   den  be- 
nötigten Kenntnissen  der  herrschenden  deutschen  Sprache, 
zu  deren  Erlernung  nicht  nur  die  Schüler  selbst  die  grösste 
Neigung    hegten,    sondern   auch   die    Eltern    solches    am 
heissesten   wünschten,   gänzlich    mangele.      Die    Antrag- 
steller   dachten    wohl    an    eine   Umgestaltung    der    dem 
Untergang   ohnehin   geweihten  Klosterschule   in    ein  mo- 
dernes Gymnasium.     Die  Regierung   zog   freilich    diesen 
Gedanken   nicht  weiter  in  Erwägung,   und  in  den  ersten 
Julitagen   des  folgenden  Jahres  (1822)    löste  sich  die  Re- 
formatenschule   auf,   indem    die    beiden  Klostergeistlichen 
ihre  Unterrichtstätigkeit  einstellten.    Ein  etwas  später  auf- 
tauchender  Plan,   das  Schullehrerseminar   von  Bromberg 
nach  Pakosch  zu  verlegen  und  so  der  Stadt  einen  Ersatz 
für   die   verlorene  Unterrichtsanstalt  zu  verschaffen,    fand 
ebenfalls  bei  der  Regierung   keinen  Anklang,  und  in  der 
richtigen  Erwägung,  dass  die  örtlichen  Verhältnisse  mehr 
ein  geordnetes  Volksschulwesen   als    eine   höhere  Schul- 
anstalt  forderten,   wurde    im  Jahre  1824   die  Einrichtung 
einer   katholischen  Volksschule   angeordnet   und    ihr  der 
alte,   früher   der  Reformatenschule   gezahlte  jährliche  Zu- 
schuss   von   200   Talern    überwiesen.     Diesen    Zuschuss 
hat  die  Schule  bis  zum  Jahre  1870  bezogen.    Die  beiden 
oben   genannten    letzten    geistlichen   Lehrer    fügten    sich 
willig  den  geänderten  Verhältnissen  und  erboten  sich  zur 
Erteilung   des   Unterrichts    in   der   Religion  und    einigen 
anderen   Lehrgegenständen    an    der    neuen   Volksschule, 
was  die  Regierung  in  Rücksicht  auf  ihre  Beliebtheit  auch 
annahm. 


Geschichte  der  Stadt  Pakosch.  49 

Ein  Jahrzehnt  nach  der  Schule  wurde  auch  das 
Kloster  aufgelöst.  Bis  zuletzt  hat  es  seinen  Glaubens- 
eiier  betätigt,  und  noch  am  4.  Februar  1825  konnte  ein 
Jude  im  Konvent  unter  grossen  Feierlichkeiten  getauft 
werden.  Um  diese  Zeit  hatte  sich  die  Anzahl  der  Kloster- 
insassen jedoch  schon  sehr  vermindert.  Da  das  Kloster 
zu  den  ärmsten  in  der  Provinz  gehörte  und  seine  Ein- 
künfte auf  nicht  mehr  als  20  Taler  jährlich  berechnet 
wurden,  so  wurde  seine  Auflösung  durch  die  Behörden 
freilich  nicht  sehr  beschleunigt.  Mit  dem  Bernhardiner- 
kloster in  Görka  und  dem  Franziskanerkloster  zu  Gnesen 
war  das  Reformatenkloster  zu  Pakosch  Ende  1834  in  der 
Provinz  Posen  noch  allein  übrig  geblieben.  Die  end- 
gültige Auflösungsordre  erging  durch  das  Kultus-  und 
Finanzministerium  am  27.  Februar  1837  und  durch  das 
Oberpräsidium  am  27.  März  desselben  Jahres.  Damals 
bestand  der  Konvent  noch  aus  drei  Mitgliedern,  dem 
Guardian  Zdybalinski  und  den  Mönchen  Okolewski  und 
Woytinkiewicz,  die  auf  Pension  gesetzt  wurden.  Die  sehr 
zerfallenen  Klostergebäude  und  die  Kirche  wurden  der 
katholischen  Ortsgemeinde  überwiesen,  die  aus  dem 
Säkularisationsfonds  noch  überdies  einen  Zuschuss  zu 
den  Kultuskosten  und  dem  Gehalt  des  Probstes  und 
Vikars  erhielt.  Da  die  alte  Pfarrkirche  abgebrannt  war 
und  nicht  wieder  aufgebaut  wurde,  so  war  der  Gemeinde 
die  Überweisung  der  Klosterkirche,  die  nunmehr  zur 
Pfarrkirche  eingerichtet  wurde,  um  so  willkommener. 
Gleichzeitig  wurde  auch  der  Kalvarienberg,  den  das 
Kloster  bis  zu  seiner  Auflösung  bedient  hatte,  dem  Orts- 
geistlichen zur  weiteren  Besorgung  übergeben. 

Zu  derselben  Zeit,  in  der  die  geistlichen  und  Schul- 
verhältnisse in  der  geschilderten  Weise  eine  wesentliche 
Umgestaltung  erfuhren  und  aus  den  Resten  der  in  früheren 
Jahrhunderten  entstandenen  Organisationen  die  modernen 
Einrichtungen  entstanden,  gerieten  auch  die  Grundlagen 
der  alten  städtischen  Verfassung,  so  weit  sie  noch  auf 
den  Beziehungen  zwischen  Grundherr- 
schaft   und    leistungspflichtiger    Bürge  r  - 

Zeitschrift  der  Htst.  Ges.  far  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XX.  4 


50  Adolf  Warschauer. 

schaft  beruhten,  ins  Wanken.  Das  patriarchalische 
Verhältnis  der  Grundherren  zu  ihren  ihnen  untertänigen 
Bürgern,  mit  allen  seinen  Vorteilen  und  Schäden,  hatte,, 
wie  überall,  so  auch  in  Pakosch  schon  längst  seine 
Daseinsberechtigung  verloren,  da  durch  die  preussischen 
Gesetze  jede  Einmischung  des  Grundherrn  in  die  eigent- 
liche Verwaltung  der  Stadt  ausgeschlossen  war.  Aber 
auch  abgesehen  davon,  wäre  in  Pakosch  die  Fortführung 
eines  solchen  Verhältnisses  schon  darum  nicht  möglich 
gewesen,  weil  seit  dem  Wegzuge  der  Dzialynskischen 
Familie  die  Herrschaft  schnell  von  einer  Hand  in  die 
andere  ging  und  so  die  Ausbildung  irgend  welcher  ver- 
traulichen Beziehungen  unmöglich  wurde.  Der  oben 
erwähnte  Norbert  von  Zielinski  behielt  die  Herrschaft 
bis  zum  Jahre  1820,  worauf  sie  im  Wege  der  Subhastation 
von  der  königlichen  Hauptbank  zu  Berlin  erworben  wurde, 
von  der  sie  wieder  im  Jahre  1829  der  Landrat  Thaddeus 
von  Wolanski  zu  Inowrazlaw  durch  Kauf  erstand.  Er  war 
der  letzte  Grundherr  von  Pakosch,  dem  die  Lösung  der  noch 
bestehenden  materiellen  Beziehungen  zu  der  Bürgerschaft 
oblag,  und  es  scheint,  dass  er  Einsicht  und  Wohlwollen  genug 
besass,  um  die  bei  den  langwierigen  Auseinandersetzungen 
sich  ergebenden  Schwierigkeiten  und  Streitpunkte  zu 
einer  für  beide  Teile  gedeihlichen  Lösung  zu  führen. 

Noch  während  der  Zeit,  als  die  Hauptbank  die  Herr- 
schaft Pakosch  besass,  kam  in  der  Bürgerschaft  die  Über- 
zeugung zum  Durchbruch,  dass  die  Leistungen,  zu  denen 
sie  nach  dem  Urbar  von  1786  verpflichtet  war,  sie  in 
ungerechtfertigter  Weise  allzu  schwer  belasteten  und  mit  den 
modernen  Anschauungen  und  Gesetzen  nicht  mehr  in 
allen  Punkten  in  Übereinstimmung  ständen.  In  einer  ein- 
gehenden Denkschrift,  die  die  Bürgerschaft  am  30.  Okt.  1827 
der  Hauptbank  einreichte,  legte  sie  diese  Anschauungen 
dar.  Zunächst  wünschte  sie  eine  Ermässigung  des 
Dienstgeldes  für  die  drei  Vorwerke  Rybitwy,  Ludkowo 
und  Radlowko.  Für  Radlowko,  wo  die  Brauerinnung 
allein  verpflichtet  war,  hatte  diese  freilich  schon  seit 
mehreren  Jahren  die  Zahlung   überhaupt   nicht  geleistet 


Geschichte  der  Stadt  Pakosch.  5* 

und  hielt  sich  in  Rücksicht  auf  die  neue  Brausteuer  und 
die  Gewerbegesetze  zu  dieser  Zahlung  auch  in  Zu- 
kunft nicht  für  verpflichtet.  Auch  die  Zahlung  des  Zettel- 
geldes unter  den  alten  Bedingungen  hielt  die  Brauer- 
innung nicht  mehr  für  angängig.  Ebenso  wenig  glaubte 
die  Bürgerschaft  nach  der  Einführung  der  Gewerbefreiheit, 
zur  weiteren  Zahlung  des  Professionsgeldes  angehalten 
werden  zu  können.  Für  den  Fall  eines  ablehnenden 
Bescheides  scheint  die  Bürgerschaft  entschlossen  gewesen 
zu  sein,  die  Rechtsgültigkeit  des  Urbars  von  1785  auf 
dem  Prozesswege  anzugreifen. 

Zum  weiteren  Austrag  kam  die  Angelegenheit 
zunächst  jedoch  nicht,  da  die  Hauptbank  kurz  darauf  die 
Herrschaft  verkaufte.  Der  neue  Grundherr,  Landrat 
von  Wolanski  wusste  geschickt  den  für  beide  Teile 
zweifellos  kostspieligen  Prozess  zu  vermeiden  und  schaffte 
zunächst  den  schwierigsten  Streitpunkt  aus  der  Welt,. 
indem  er  sich  mit  der  Brauerinnung  einigte,  was  allerdings 
um  so  notwendiger  war,  als  diese  seit  dem  Jahre  1820« 
in  Folge  der  doppelten  Besteuerung  durch  den  Staat  und 
die  Grundherrschaft  das  Brauen  überhaupt  eingestellt 
hatte.  Nunmehr  verzichtete  Wolanski  auf  die  Zahlung 
des  Zettelgeldes,  wogegen  die  Brauerinnung  wiederum 
in  Bezug  auf  das  Mahlen  des  Malzes  keine  Ansprüche 
an  die  Herrschaft  zu  stellen  versprach.  Von  allen  früheren 
Verpflichtungen  blieb  nur  übrig,  dass  die  Brauerinnung 
sich  zu  einer  jährlichen  Pauschalzahlung  von  20  Talern  an 
die  Herrschaft  bereit  erklärte. 

Kurz  darauf  begannen  dann  auf  Grund  der  preus- 
sischen  Kulturgesetzgebung  die  langwierigen  und 
schwierigen  Verhandlungen  über  die  Ablösung  der  Weide- 
berechtigungen der  Bürgerschaft  im  Walde  zu  Ludkowo^. 
die  freilich  erst  durch  die  Rezesse  vom  3.  Juni  1852  und 
15.  November  1869  zur  endgültigen  Erledigung  kamen.. 
Die  Berechtigten  wurden  mit  einigen  Parzellen  im  Walde 
von  Ludkowo  abgefunden.  Gleichzeitig  mit  diesen  Ver- 
handlungen gingen  andere  wegen  Ablösung  der  Weide- 
und  Hütungsgelder,    des  Scharwerks-    und    Erntezinses,, 


52  Adolf  Warschauer. 

•des  Acker-  und  Gartenzinses  und  der  Professions-  oder 
Nahrungsgelder.  Der  Grundherr  berechnete  die  ihm  zu- 
stehenden Einnahmen  von  diesen  letzteren  auf  500  Taler 
jährlich,  die  Haus-,  Grund-  und  Ackerzinsen  aber  auf 
238  Taler  21  Sgr.  Die  Einigung  brachte  der  Rezess  vom 
11.  Mai  1854.  Auch  die  Bürger  unter  sich  lösten  dem 
Zuge  der  Zeit  folgend  die  noch  bestehenden  gemein- 
samen Grundbesitzansprüche  durch  Separation  auf.  So 
wurde  im  Jahre  1847  die  Hütung  Swiniary  von  zusammen 
13  Morgen  17  Quadratruten  unter  den  70  hausbesitzenden 
Bürgern  aufgeteilt,  so  dass  jeder  34  Quadratruthen  erhielt 

Am  Anfang  der  zweiten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts 
waren  somit  alle  jene  Lasten  und  Zahlungen,  die  auf  den 
alten  Privilegien  von  167 1  und  17 18  und  ihrer  Auslegung 
durch  das  Urbarium  von  1785  beruhten,  aufgehoben  und 
in  Rentenzahlungen  verwandelt,  die  auch  ihrerseits  durch 
Amortisation  nach  und  nach  verschwanden.  Der  alten 
Fesseln  und  Beschränkungen  entledigt  konnte  die  Stadt 
■als  ein  nunmehr  lediglich  von  den  staatlichen  Gewalten 
abhängiges  Gemeinwesen  in  freier  Entfaltung  ihrer  Kräfte 
^einer  aufsteigenden  Entwickelung  entgegensehen. 

In  den  sechsziger  Jahren  kam  die  Stadt  auch  zu 
einer  protestantischenKirche.  Einige  protestan- 
tische Familien  wohnten  in  Pakosch  bereits  seit  der 
preussischen  Besitznahme,  mussten  aber  ihre  religiösen 
Bedürfnisse  in  den  benachbarten  Gemeinden,  besonders 
■in  Inowrazlaw,  befriedigen.  Erst  als  die  Gemeinde  an- 
sehnlicher geworden  war,  wurde  ihr  durch  den  könig- 
lichen Erlass  vom  6.  August  1856  die  Erlaubnis  zur 
Einrichtung  eines  Pfarrsystems  erteilt1).  Sofort  begannen 
dann  auch  die  Bemühungen  um  die  Erbauung  einer 
•massiven  Kirche.  Diese  sollte  ursprünglich  auf  dem 
Marktplatz  errichtet  worden,  und  die  Gemeinde  kaufte  zu 
•diesem  Zwecke  von  der  Stadt  einen  kleinen  Teil  des  Marktes 
für  den  Preis  von  250  Talern,  doch  wurde  das  Bauprojekt 


*)  Werner,   Geschichte   der   evangelischen   Parochien   in  der 
Provinz  Posen.    S.  255. 


Geschichte  der  Stadt  Pakosch.  53; 

schliesslich  geändert  und  ein  Platz  vor  der  Stadt  für  die 
Kirche  bestimmt.  Ein  Glockenturm,  den  die  Gemeinde 
bereits  auf  dem  ihr  gehörigen  Teil  des  Marktes  errichtet 
hatte,  wurde  von  dort  entfernt.  Der  Bau  der  Kirche 
wurde  durch  Zuschüsse  des  Oberkirchenrats  und  durch 
ein  königliches  Gnadengeschenk  von  9000  Mark  ermöglicht. 
Die  Einweihung  erfolgte  am  15.  Oktober  1866. 

Ungefähr  gleichzeitig  mit  der  Errichtung  der  Kirche 
erfolgte  auch  die  eines  Krankenhauses.  Wie  schon 
oben  erwähnt,  hatte  Pakosch  in  früheren  Jahrhunderten 
ein  Hospital  mit  einer  dazu  gehörigen  Kirche  zum  Heiligen 
Geist  besessen.  Beide  waren  schon  zu  polnischer  Zeit 
ein  Raub  der  Flammen  geworden,  und  es  ist  niemals  zu 
einer  Wiederaufrichtung  gekommen.  Immerhin  aber  hatte 
dieses  Hospital  einiges  Vermögen  in  Liegenschaften  be- 
sessen, die  nach  seinem  Untergang  von  der  Propstei  zu 
Pakosch  gemeinsam  mit  ihrem  eigenen  Grundbesitz  ver- 
waltet wurden.  Gleich  nach  der  preussischen  Besitznahme 
führte  der  Magistrat  mit  dem  Probst  einen  Prozess  wegen 
der  Herausgabe  der  Hospitalländereien  und  erreichte 
auch  im  Jahre  1820  ein  obsiegendes  Urteil.  Als  aber  die 
Ländereien  vermessen  und  aufgezeichnet  werden  sollten,, 
war  die  Stadt  nicht  in  der  Lage,  die  Kosten  hierfür  aufzu- 
bringen, und  so  verlief  die  Angelegenheit  im  Sande.  In  den 
fünfziger  Jahren  brachte  der  Magistrat  die  Angelegenheit 
noch  einmal  zur  Anregung.  Die  Regierung  riet  aber  von 
der  Wiederaufnahme  des  Prozesses  ab,  da  es  doch  schwer 
zu  erweisen  sein  würde,  dass  das  Hospital  eine  städtische 
Besitzung  gewesen  sei.  Auch  ein  späterer  Versuch,  durch* 
Vermittlung  der  Generalkommission  zum  Ziele  zu  kommen, 
blieb  fruchtlos,  so  dass  die  Aussicht,  auf  Grund  der  alten 
Stiftung  zu  einem  neuen  Krankenhaus  zu  gelangen,, 
endgültig  fallen  gelassen  wurde  und  die  Bürgerschaft  nach, 
wie  vor  ohne  Krankenhaus  war. 

Diesem  Übelstand  half  die  werktätige  Menschenliebe 
zweier  edelgesinnter  Männer  ab,  des  Sanitätsrats  Dr.  Kühnast 
zu  Pakosch  und  des  Rittergutsbesitzers  von  Tschepe  zu 
Broniewice.    Ihrem  Eifer  gelang  es,  die  Mittel  aufzubringen. 


;54  Adolf  Warschauer. 

und  den  Johanniterorden,  dem  Tschepe  angehörte,  zur 
Gründung  eines  Krankenhauses  in  Pakosch  zu  bewegen, 
•das  am  15.  Oktober  1866  eingeweiht  wrerden  konnte. 
Zum  dauernden  Gedächtnis  des  Sanitätsrats  Ktihnast,  der 
im  Jahre  1888  starb,  wurde  eine  eherne  Tafel  mit  seinem 
Bilde  errichtet  und  eine  Sanitätsrat  Dr.  Theodor  Kühnast- 
Stiftung  zur  Unterstützung  armer  kranker  Personen, 
namentlich  armer  Wöchnerinnen  gegründet. 

Auch  Bürger  jüdischen  Glaubens  hat  die 
Stadt  im  19.  Jahrhundert  wieder  gewonnen.  Im  Jahre 
1821  müssen  schon  Juden  in  Pakosch  gewohnt  haben,  da 
sie  in  diesem  Jahre  um  Befreiung  vom  Brückenzoll  baten, 
der  beim  Passieren  der  Netzebrücke  von  dem  Dominium 
erhoben  wurde  und  von  dessen  Zahlung  die  christlichen 
Bürger  befreit  waren.  Nach  dem  Erlass  der  Flottwellschen 
Judengesetze  wurde  im  Jahre  1834  eine  Gemeinde 
organisiert,  die  in  Pakosch  und  Rybitwy  zusammen 
89  Seelen  ausmachte.  Die  alte  Synagoge  aus  Fachwerk 
wurde  in  der  neuesten  Zeit  durch  einen  massiven  Bau 
•ersetzt,  dessen  Einweihung  am  17.  August  1904  erfolgte. 

Der  Geschichtsschreibung  einer  späteren  Zeit  muss 
es  vorbehalten  bleiben  die  erfreuliche  materielle  Ent- 
wicklung der  Stadt  in  den  letzten  Jahrzehnten  im 
Zusammenhang  darzustellen.  Sie  wird  zweifellos  zu  dem 
Ergebnis  führen,  dass  in  keiner  Periode  der  älteren 
städtischen  Geschichte,  von  der  diese  Blätter  erzählen, 
die  Stadt  so  schnell  und  kräftig  emporgeblüht  ist,  als 
eben  in  dieser  letzten  Epoche.  Die  folgenden  Zahlen  über 
die  Zunahme  der  Bevölkerung  und  die  Erhöhung  des 
städtischen  Etats  mögen  hierfür  den  Beweis  liefern:  die 
Einwohnerzahl  der  Stadt  betrug  zur  Zeit  ihrer  Eingliederung 
in  den  preussischen  Staat  490,  1792  517,  1833  819,  1864 
1254  und  nach  der  letzten  Volkszählung  im  Jahre  1903 
2960  Seelen.  Der  städtische  Etat,  der  im  Jahre  1781/2 
mit  133  Tl.  abschloss  war  im  Jahre  1845  erst  auf 
269  Tl.,  1859  auf  646  TL  gestiegen  und  balanziert  jetzt 
in  Einnahme  und  Ausgabe  mit  66730  Mk. 


Andreas  Fricius  Modrevius. 

Seine  Lehr-  und  Wanderjahre. 

Aus  dem  Nachlasse  Jakob  Caros. 

in  unklarer  Punkt  in  dem  Leben  des  Modrevius 
ist  eigentümlicher  Weise  sein  Name.  Für  die 
polnischen  Literarhistoriker  unterliegt  es  keinem 
Zweifel,  dass  „Modrevius"  lediglich  die  Latinisierung  des 
Namens  „Modrzewski"  sei.  Sie  weisen  auf  die  ver- 
schiedenen Familien,  die  es  unter  diesem  Namen  in  Polen 
gegeben  hat,  ohne  Zögern  hin  und  lassen  es  nur  un- 
bestimmt, welcher  von  diesen  Sippen  unser  Andreas 
gehört  hat1).  Indess  so  liegt  der  Fall  wohl  nicht.  Die 
Zeitgenossen  haben  ihn,  soweit  bezeugende  Schriftstücke 
vorliegen,  niemals  weder  Modrzewski  noch  Modrevius 
genannt,  sondern  immer  nur  Fricius,  und  wo  er  in  seinen 


*)  Ossolinski  (Wiadom.  hist.  krit.  IV  S.  123  Note  2)  hat  aus 
dem  Niesiecki  drei  Wappen  ausgezogen,  unter  denen  Modrzewski 
vorkommen,    und   angemerkt,   dass   Niesiecki   den   Andreas   Fricius 


Anmerkung  des  Herausgebers.  Vorliegende  Arbeit  hat  sich  im 
Nachlasse  des  am  10.  Nov.  1904  verstorbenen  Universitäts  -  Professors 
Dr.  Jakob  Caro  zu  Breslau  vorgefunden. 

Sie  ist  im  Jahre  1896  niedergeschrieben,  wie  aus  dem  Konzept 
hervorgeht,  das  auf  Abzügen  von  Breslauer  Doktordiplomen  dieses 
Jahres  entworfen  ist. 

Wenn  somit  die  Arbeit  vielleicht  die  Forschungs-Ergebnisse 
des  letzten  Jahrzehntes  nicht  berücksichtigt,  auch  nicht  zu  einem 
Abschlüsse  gebracht  ist,  so  habe  ich  doch  geglaubt,  sie  in  d  e  r 
Form  drucken  zu  sollen,  wie  sie  von  dem  Verfasser  hinterlassen 
war,  unvollendet,  ohne  Zusätze  und  ohne  Änderungen  im  Inhalt 
-wie  in  der  Sprache,  um  ihr  den  intimen,  eigenen  Reiz  zu  bewahren, 
der  den  Freunden  und  Schülern  des  Verstorbenen  aus  ihr  ent- 
gegenstrahlen wird. 


56  Jakob  Caro. 

Schriften  auf  sich  selbst  zu  reden  kommt,  nennt  er  selbst 
sich  nur  Fricius,  ja  in  der  Universitätsmatrikel  war  er 
nur  mit  dem  Namen  Andreas  Jacobi  de  W^lborz  und  in 
dem  Baccalaureatsregister  sogar  schlechtweg  nur  als 
Andreas  de  Wolborz  eingezeichnet,  und  man  würde  in 
beiden  Fällen  nicht  wissen,  dass  damit  der  Held  unserer 
Erzählung  gemeint  sei,  wenn  nicht  eine  andere,  der  Schrift 
nach  dem  16.  Jahrhundert  angehörige  Hand  aufklärend  an 
den  Rand  des  Baccalaureatsverzeichnisses  die  Worte 
„Fricius,  hereticus,  Fric"  zu  dem  Namen  hinzugesetzt 
hätte1).  Also  auch  hier  nur  „Fricius",  so,  wie  der  Papst 
und  die  Bischöfe,  der  König  in  amtlichen  Urkunden,  und 
die  Nuntien,  und  Melanchthon  und  Hosius  und  sein  Ver- 
leger Oporinus  und  er  selbst  schreiben.  Niemals  nennt 
ihn  Jemand  Modrevius,  und  nur  auf  den  Büchertiteln  fehlt 
fast  niemals  neben  dem  „Andreae  Fricii"  der  Zusatz  ; 
Modrevii2). 


überhaupt  nicht  nennt,  weil  er  die  im  Punkte  der  Rechtgläubigkeit 
Anrüchigen  überhaupt  zu  verschweigen  pflege.  Er  könnte  also 
nach  Niesiecki  entweder  ein  Jelita  oder  Rola  oder  Grzymala  sein. 
Ossolinski  entscheidet  sich  für  das  Letztere,  weil  die  Grzymala  in 
Grosspolen  und  namentlich  im  Sieradzer  Gebiet  verbreitet  wären. 
Das  scheint  mir  nicht  einmal  ganz  zutreffend.  Vermutlich  hat 
Tarnowski,  Pisarze  polityczni  XVI.  wieku  I  S.  227,  keinen  besseren 
Grund,  wenn  er  ihn  ohne  jeden  Beweis  den  Jelita  zurechnet.  Dass 
Braun  nur  infolge  einer  Verwechselung  der  Modrzejewski  mit  den 
Modrzewski  den  Fricius  dem  Wappen  Ostoja  zuteilt,  ist  von  Ossolinski 
bereits  mit  Zurückweisung  der  daraus  gefolgerten  Herkunft  aus 
dem  Sandomir'schen  angemerkt  worden.  —  Indessen  liegen  allen 
diesen  Behauptungen  weder  äussere  noch  innere  Beweise  von  irgend 
welcher  Stichhaltigkeit  zu  Grunde. 

*)  Muczkowski,  Statuta  nee  non  lib.  promotionum  univ. 
Cracov.  S.  169. 

2)  Und  zwar  nur  auf  den  Titeln,  während  die  Kolumnen  auf 
jeder  Seite  nur  die  Überschrift:  A.  Fricii  haben.  In  den  von  dem 
Baseler  Professor  Ludovicus  Lucius  veranstalteten  Ausgaben  der 
Fricius'schen  Schriften  De  Providentia  et  praedestinatione,  Basel  1613, 
und  De  peccato  originis  et  libero  hominis  arbitrio,  Basel  1617,  ist 
ebenfalls  das  Modrevii  ganz  weggelassen  und  nur  A.  Fricii  auf  dem 
Titel  gesagt.  —  Dass  aber  auch  die  zeitgenössischen  Buchhändler 
trotz  dem  Modrevius  auf  den  Titeln  den  Autor  nur  mit  dem  Namen 


Andreas  Fricius  Modrevius. 

Modrevius  ist  also  nur  ein  Name,  wie  ihn  di< 
steller  des  XVI.  Jahrhunderts   willkürlich  teils   d 
tinisierung    oder    Übersetzung    ihrer    wirklichen 
teils    durch  Andeutung   ihres  Geburtsorts    oder   : 
charakteristischer    Merkmale    sich    beizulegen    p 
Einem  Gelehrten,  der  einer  Familie  Modrzewski 
hätte,  würde  es  nahe  gelegen  haben,  sich  in  der 
als  Modrevius  auszugeben   —   der  Name  wurde 
für    die    lateinische    Sprache    deklinabel   — ;    da 
würden  auch  seine  Freunde   und  Feinde    ihn  so 
haben.     Da  dies  jedoch  nicht  ein  einziges  Mal  vc 
so  ist  der  Schluss  erlaubt,  dass  Fricius  mit  keine 
Polen     vorkommenden    Familien    Modrzewski, 
Wappen  sie  auch  angehören,    in    irgend    einer  v 
schaftlichen  Zugehörigkeit   gestanden   haben    kar 
eben  denselben  Gedanken   würde    man  auch  oh 
äusseren  Gründe   bei    einem  Überblick   über   da 
und  die  sozialen  Beziehungen  des  Mannes  gelanj 
steht  in  einer  eigenen  Isolierung  da,  nur  geschüt 
sein  Amt,  das  er  sich  errungen,  und  gestützt  dun 
Gesinnungsgenossen,  mit  dem  Rückhalt  eines  bescl 
ererbten  väterlichen  Guts,  aber  niemals,  wie  das 
Polen   der   offene    oder   geheime  Grund  des  Erf 
sein  pflegte,  gefördert  durch  mächtige  Familienver 
Als  der  Hass  der  alten  Kirche  über  ihn  hereinbr 
ihn  von  dem  heimatlichen  Herde  vertreibt,  findet 
vorübergehend  eine  Unterkunft  bei   einem  hochg 
Parteigenossen    und  muss   schliesslich    seinen  Fi 
die  Grenze  seines  Vaterlandes  setzen.    Dass  eine  I 
sippe  für  ihn  eingetreten  wäre,  hört  man  nicht. 


Fricius  bezeichneten,  geht  aus  dem  überaus  interessanten  gei 
Inventar  der  Buchhändler  Matthias  Scharfenberg  und  Flori 
aus  den  Jahren  1547,  1551  hervor.  Arch.  do  dziejöw  lit.  i 
Nr.  71,  116,  127,  480,  523. 

*)  Über    die    Namenänderungen    s.  das   schöne  Seh 
Nicol.  Oehmler   im   Corpus     reformatorum   III   col.    208 
Interessant  ist  für  uns  die  Bezugnahme  auf  Philippum  reg 
Sigismundi  praeeeptorem,  (quem)   voeavit  Laetus   Callima 


58  Jakob  Caro. 

Ein  Blick  auf  die  Generalstabskarte  aber  belehrt 
uns,  dass  etwa  tausend  Schritt  von  dem  noch  heute 
stehenden  Vogteihause  von  Wolborz  entfernt  das  Vor- 
werk Modrzewek  liegt,  das  früher  Modrzew  hiess  und 
zur  Parochie  von  Wolborz  gehörte *).  Es  ist  sehr 
möglich,  ja  wahrscheinlich,  dass  Andreas,  dessen  Vater 
Jakob  Erbvogt  von  Wolborz  und  Pächter  von  Parochial- 
gutem  war,  auf  diesem  Gute  geboren  wurde  und  von 
dieser  Ortsbezeichnung  seinen  Schriftstellernamen  „Mo- 
drevius"  bildete,  aber  eben  erst  dann,  als  er  mit  einem 
literarischen  Erzeugnis  hervortrat2).  Auf  der  Universität 
hiess  er  nur  Andreas  de  Wolborz  und  im  Leben,  im  Amt, 
in  der  Gesellschaft  nur  Andreas  Fricius.  Er  war  also- 
kein  Modrzewski  und  gehörte  auch  nicht  zu  den  Wappen,, 
in  welche  ihn  der  Scharfsinn  der  Gelehrten  einreihen  wollte. 

Aber  auch  der  Name  Fricius8)  gibt  zu  denken. 
Die  wohlfeile  Ansicht,  welche  darin  eine  latinisierende 
Verbildung  des  Vornamens  Fritz  sehen  wollte,  ist 
längst  aufgegeben.  Aus  dem  Umstand,  dass  der 
polnische  Übersetzer  des  Hauptwerks  unseres  Schrift- 
stellers ihn  Fritsch  (Frycz)  und  nicht  Fritz  nennt,  glaubt 
Matecki  schliessen  zu  dürfen,  dass  sein  Familienname 
Fritsch  gewesen,  obwohl  man  freilich  aus  dem  Zusatz 
„Fric"  in  der  Note  zur  Universitätsmatrikel  ebenso  gut  an- 
nehmen könnte,  dass  er  Frick  oder  Fricke  gelautet 
habe.  Das  wird  sich  wohl  kaum  entscheiden  lassen, 
und  nur  die  Beibehaltung  der  latinisierten  Form  Fricius 
entzieht  sich  der  stets  anfechtbaren  Vermutung.  Aber 
was  auch  immer  für  ein  Name  zu  Grunde  gelegen  haben 
mag,  ob  Fritz,  ob  Fritsch  oder  Frick,  alle  weisen  doch 
auf  einen  deutschen  Ursprung  der  Familie  hin.  Alle  hier 
erwähnten  Formen  sind  ja  doch  nur  Ableitungen  oder 
Koseformen  von   Friedrich,   und   vor   den  Zeiten  Kaiser 

a)  J.  de  Lasco,  über  bcneficiorum  II  S.  174 — 177. 

*)  Janocki  1  85  sagt  daher  ganz  richtig:  Modrevius  e  rure 
natali  dictus,  und  braucht  nur  den  Namen  Fricius. 

*)  Dalton,  Johannes  a  Lasco,  S.  498  u.  a.  schreibt  „Frisius", 
was  gar  keinen  Grund  hat. 


Andreas  Fricius  Modrevius.  59* 

Friedrichs  III.,  der  als  Pate  eines  Sohnes  des  Königs 
Kasimir  diesem  den  Namen  verliehen  hatte,  war  der 
Name  Friedrich  in  Familien  rein  polnischer  Abstammung 
wohl  nicht  üblich.  Mit  hervorhebenswerter  Unbefangen- 
heit hat  daher  schon  Matecki  die  Vermutung  aus- 
gesprochen, dass  die  Familie  des  Fricius  aus  Schlesien 
eingewandert  sein  könnte.  Hält  man  sich  genau  an  den 
Wortlaut  einer  Äusserung  des  Fricius,  so  war  jedenfalls 
schon  sein  Grossvater  in  Polen  ansässig  und  zwar  auf 
eben  derselben  Vogtei  von  Wolborz,  die  später  dem 
Andreas  zugefallen  war. 

Für  die  Wahrscheinlichkeit  der  schlesischen  Abkunft 
der  Familie  sprechen  aber  noch  andere  Umstände.  In 
den  trüben  Lebenstagen,  da  der  Zorn  und  Verfolgungs- 
eifer des  Papstes  Paul  Caraffa  unsern  Andreas  von  dem 
ererbten  väterlichen  Wohnsitz  verdrängt  hatte,  und  der 
bedrohte  Mann  es  geraten  hielt,  für  einige  Zeit  den  heiss 
gewordenen  Boden  seines  Vaterlandes  zu  verlassen,, 
begab  er  sich  nach  Trebnitz  bei  Breslau,  wo  vermutlich 
noch  Verwandte  seines  Hauses  lebten1).  Auch  sonst 
lassen  sich  gewisse  gemütliche  und  geschäftliche  Be- 
ziehungen mit  schlesischen  Bürgern,  auf  die  noch  später 
hingewiesen  werden  soll,  nicht  verkennen.  Einem  dicken 
Irrtum  aber  würde  der  sich  preisgeben,  der  eine  Ein- 
wirkung solcher  fremden  Herkunft  auf  Andreas  und  sein 
Nationalbewusstsein  annähme.    „Wir  Polen"  und  „unsere 


*)  Die  dritte  Sylva  (vgl.  weiter  unten)  unter  dem  Titel:  De 
Jesu  Christo  filio  dei  et  hominis  eodemque  deo  et  doniino  nostro« 
ad  Pium  papam  V.  ist  datiert:  „Trepnicii,  anno  1568  mense  Junio". 
In  den  Urkunden  des  Stifts  Trebnitz  erscheint  ein  Joachim  Fritsch 
am  1.  Januar  1575  als  Zeuge,  der  dann  in  der  Urk.  vom  3.  Dezember  1578. 
unter  den  Zeugen  als  stiftischer  Kornmeister  bezeichnet  wird,  in 
welcher  Eigenschaft  er  <hch  1579  und  1580  nachweisbar  ist  (Kon- 
firmationsbuch des  Stifts  Trebnitz  von  1512— 1620).  Ein  Fridericus 
Fritsch  findet  sich  in  demselben  Buche  als  Stiftssekret&r  in  den 
Jahren  1559,  1561,  1562  und  1563.  In  dem  von  ihm  geschriebenen 
Register  und  Urbarbuch  aus  den  Jahren  1563 — 1569  wird  er  mit  dem 
Zusatz  Storm  genannt.  (Mitteilung  aus  dem  Kgl.  Staatsarchiv  zu 
Breslau). 


<X>  Jakob  Caro. 

Vorfahren  in  Polen"  ist  sein  zweites  Wort.  In  seiner 
Jugend  hat  er  ausserhalb  der  Schule,  wo  das  Lateinische 
neben  die  Landessprache  trat,  gewiss  kein  anderes  Wort 
als  polnisch  gesprochen,  und  speziell  die  deutsche  Sprache 
hat  er,  wie  zufällig  urkundlich  zu  erweisen  ist,  erst  in 
-der  Mitte  seiner  Lebensjahre  zu  erlernen  Gelegenheit 
gehabt,  wenn  auch  wohl  das  Erlernen  den  Umständen 
zufolge  nur  in  einer  Vervollkommnung  der  Herrschaft 
über  die  Sprache  bestanden  haben  wird.  Durch  alle 
seine  Schriften  glüht  eine  warme  Liebe  zu  seinem  Vater- 
lande, die  für  ihn  so  selbstverständlich,  ein  so  natürlicher 
Pulsschlag  seiner  Gefühle  ist,  dass  er  sich  nirgends  damit 
ruhmredig  breit  macht.  Sein  Patriotismus  ist  ihm  so 
durchaus  fraglos,  dass  er  ihn  nirgends  ins  Licht  zu  setzen 
für  nötig  hält,  aber  freilich  ist  er  auch,  wie  es  damals  die 
Zeitumstände  gestatteten,  ohne  Gehässigkeit  gegen  andere 
Nationalitäten.  Ihm  selbst  würde  es  wunderlich  vor- 
gekommen sein,  wenn  irgend  Jemand  ihm  gesagt  hätte, 
dass  irgend  etwas  in  ihm  nicht  ganz  und  gar  polnisch 
wäre.  Ist  es  richtig,  dass  er  der  Abkömmling  einer  ein- 
gewanderten Familie  war,  so  würde  er  als  ein  Beispiel 
gelten  können,  bis  zu  welchem  Grade  sich  die  deutschen 
Einwanderer,  deren  es  gerade  beim  Ausgang  des  15.  und 
im  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  eine  ansehnliche  Zahl 
gab,  in  zwei,  drei  Generationen  schon  polonisierten. 

Den  Namen  seines  Grossvaters  kennt  man  nicht. 
Von  seinem  Vater  weiss  man  eben  nur,  dass  er  Jakob 
hiess  und,  wie  jener,  Vogt  von  Wolborz  war.  Diese 
kleine  Landstadt  gehörte  den  Bischöfen  von  Kujavien,  die 
dort  eine  Residenz  besassen,  und  hatte  schon  im  13.  Jahr- 
hundert auf  Grund  des  ihr  verliehenen  Magdeburger 
Rechts  ihre  eigene  Gerichtsbarkeit,  deren  Ausübung  dem 
Vogte  oblag.  Irgend  welche  Abhängigkeit  vom  Bischof 
war  bei  diesem  Amte  ganz  ausgeschlossen.  Es  war 
nichts  Seltenes,  dass  Edelleute,  ja  selbst  Inhaber  sena- 
torischer Staatsämter,  solche  Vogteien  erwarben,  denn  die 
Gefälle  boten  unter  Umständen  ein  ansehnliches  Ein- 
kommen.    Die  Fricius    haben    aber   daneben    auch    noch 


Andreas  Fricius  Modrevius. 

mdere  Rittergüter   in   der  Nähe    erblich    besess« 

3ben  jenes  oben  erwähnte  Modrzewek,  so  dass  s 

*alls    in   guten  unabhängigen  Verhältnissen  sich  t 

Dass   sie  dem  Adel  angehörten,  steht  ausser  allem 

ob    derselbe  aber  sich  auf  Edelbürtigkeit  schlech 

ihnen    schon  vor  der  Einwanderung  zu   eigen  ^ 

nur     auf    dem    Indigenat    gründete,    welches    da 

polnische  Recht  allen  erbliches  Grundeigentum  i 

erwerbenden  Einwanderern  gewährte  2),  wird  nich 

scheiden   sein.    Jedenfalls    muss    der  Rechtstitel 

begründet   gewesen    sein,    dass  Fricius   es  wagei 

sich    dem    höheren  Staatsdienst  widmen   zu  woL 

Leuten  bürgerlicher  Abkunft  doch  nur  in  der  pries 

Soutane  möglich  war.  Durch  eine  scharfsinnige  Korr 

hat  Malecki  festgestellt,  dass  unser  Andreas  zwisc 

Jahren  1502  und  1506,   wahrscheinlich  1503,  geb< 

Ausser  ihm  ist,  soweit  unsere  Kenntnis  reicht,  n 

ein  Sohn  aus  der  Ehe  seiner  Eltern  hervorgeganj 

den    Namen    Jan   Christoph    trug    und,    wie    es 

dieselbe  äussere  Laufbahn   einschlug  wie  Andre 

es  zu  einer  bemerkten  Bedeutung  doch  nicht  bra 

In  jungen  Jahren  schon  muss  Andreas  nach 

gekommen   sein.     Denn    im   Jahre  1514   finden 

unter  den  Schülern  der  Corpus-Christi-Schule,  wc 

für   die  Universität    vorbereitenden    Unterricht    § 

Im    Jahre    151 7    wurde    er    bei    der  Artistenfaki 

Universität  Krakau  eingeschrieben.     Der   vierzeh 


*)  Sed  moratur  (Fricius;  in  advocatia  et  bonis,  qua 
haereditate  obvenerunt,  et  quae  juri  Polonico,  ut 
rura  equitum,  subsunt  moribus  nostris,  schreibt  Jan  Dr< 
an  den  Papst  Paul  IV.  —  Allerdings  sagt  Fricius  in  der  ] 
zu  De  emend.  rep.  (S.  9):  et  ego  quidem  in  tenui  fortuna 
aber  doch  in  einem  Zusammenhang,  der  die  Folgerung 
Verhältnisse  ausschliesst.  Er  sagt:  nicht  in  solchem  ] 
der  ihm  ein  Recht  zur  Ordnung  der  Staatsleitung  gäbe.  —  Ii 
ist,  dass  Wolfgang  Wissenburger  in  der  deutschen  Üb 
diese  Stelle  weglässt. 

*)  Lengnich,  Jus  pol.,  Übersetzung  von  Helcel,  S.  21 
*)  Acta  rectoralia  ed.  Wislocki  I  Nr.  2299. 


62  Jakob  Caro. 

Student  fällt  aber  nach  Berücksichtigung  damaliger  Sitten 
weniger  auf,  als  der  sechzehnjährige  Baccalaureus,  denn 
selten  nur  war  es  den  jungen  Leuten  vergönnt,  nach 
zweijährigem  Studium  schon  den  ersten  akademischen 
Grad  und  überdies  mit  Auszeichnimg  zu  erwerben1). 
Wohl  sind  wir  Dank  dem  erhaltenen  Liber  diligentiarum 
der  Artistenfakultät  in  der  Lage,  alle  Vorlesungen  und 
Übungen  zu  kennen,  die  dem  jungen  Fricius  zu  Gebote 
standen,  dennoch  aber  kann  man  sich  in  Ermangelung 
bestimmter  Nachrichten  kein  sicheres  Bild  von  der  Richtung 
und  den  eigentlichen  Zielen  seiner  Studien  machen.  Un- 
zweifelhaft waren  sie  mit  dem  erlangten  Baccalaureat 
nicht  abgeschlossen,  aber  den  Magistergrad  scheint  er 
weder  in  Krakau  noch  anderwärts  erworben  zu  haben. 
Die  trockenen  Matrikelnotizen,  auch  wenn  man  sie  mit 
allem,  was  sonst  von  dem  auf  der  Universität  herrschenden 
Geiste  bekannt  ist,  zusammenhält,  würden  an  sich  nicht 
verraten,  dass  Andreas  schon  in  diesen  Lehrjahren  den 
Anstoss  empfangen  hat,  die  Staat  und  Kirche  zur  Zeit 
beherrschenden  Verhältnisse  als  morsch,  angefressen, 
unnatürlich  und  verbesserungsbedürftig  anzusehen.  Was 
ihm  die  Universität  bot,  entsprach  im  Ganzen  dem  da- 
mals überall  gepflegten  Kulturgeiste. 

Von  der  schwungvollen  und  freien  Auffassung  der 
kirchlichen  Dinge,  die  sie  mitten  im  Kampfe  der  Concilien- 
epoche  des  15.  Jahrhunderts  vertrat,  war  die  Krakauer 
Hochschule  doch  nur  soweit  zurückgegangen,  als  es  die 
allgemeinen  Wandlungen  und  die  Lage  des  eigenen  Heimat- 
landes zwingend  bedingten.  Unterstüzt  von  den  eigentüm- 
lichen Fügungen  der  Politik  unter  Kasimir  dem  Jagielloniden 
hat  sie  bei  weitem  weniger  den  Oppositionsgeist  der 
Baseler  Concilstage  sich  zurückstauen  lassen  als  manche 
ihrer  Schwesteranstalten  in  Deutschland.  War  es  doch 
unter     Anderem     der     weithin     verbreitete     Ruf     von 


*)  Im  Liber  promotionum,  ed.  Muczkowski,  S.  169,  dem  wir 
diese  Notizen  verdanken,  werden  die  Prüflinge  nach  den  Graden 
des  Prüfungsausfalls  geordnet.  Der  Name  des  Andreas  Fricius 
steht  an  der  Spitze. 


Andreas  Fricius  Modrevius.  63 

ihrem  trotzigen  Widerstand  gegen  die  von  Rom 
betriebene  Reaktion,  welche  den  aus  der  Philosophen- 
schule des  Pomponius  Laetus  verjagten  Callimachus  in 
diese  dem  Italiener  vollends  fremdartigen  und  abgelegenen 
Gebiete  zog.  An  keiner  der  gleichzeitigen  Hochschulen 
-war  die  Empfänglichkeit  für  die  neue  Botschaft  der 
humanistischen  Lehrmeinung  so  glücklich  vorgebildet 
als  in  Krakau.  Ein  nervöser  Enthusiasmus  für  die  Pflege 
der  antiken  Literatur  und  Lebensform  ergriff  die  Lehrer 
und  Literatenschichten  nicht  blos,  sondern  vornehmlich 
auch  die  bestimmenden  Hofkreise,  und  der  üblich 
gewordene  Besuch  der  italienischen  Hochschulen  seitens 
des  jungen  Bildung  suchenden  Adels  nährte  den  huma- 
nistischen Eifer.  In  wenigen  Jahrzehnten  ist  die  neue 
Denk-  und  Lehrweise  in  Krakau  schon  so  heimisch,  dass 
sie  die  Meister  der  neuen  Schule  aus  der  Fremde  in  die 
sonst  wegen  Unwirtlichkeit  verschrieenen  Gefilde  heranlockt. 
Ein  Conrad  Celtes  hat  sie  hier  nicht,  wie  manchmal  zu 
lesen  ist,  erst  begründet,  sondern  ist  von  der  vorhandenen 
angezogen  worden.  Die  Bildung  einer  sodalitas  Vistulana, 
eines  Humanistenvereins,  würde  ihm  sonst  bei  der  Kürze 
seines  Aufenthalts  kaum  möglich  gewesen  sein.  Wenn 
auch  die  fortschreitende  Bewegung  zuweilen  auf  Gegen- 
druck stiess  und  in  ihrer  Entwickelung  Kurven  beschreiben 
musste,  so  hatte  sie  doch  sehr  bald  eine  Atmosphäre 
geschaffen,  in  welcher  der  versumpfte  Scholasticismus 
gänzlich  oder  doch  bis  auf  eine  geringe  Wirkung  unter- 
drückt erschien.  Und  neben  dem  Humanismus  blühte 
hier  wie  kaum  irgendwo  der  Betrieb  der  mathematischen 
und  Naturwissenschaften;  bessere  Lehrer  in  diesen 
Fächern,  ruft  Aesticampianus  (Johann  Sommerfeld)  aus, 
hat  kein  Gymnasium.  Mit  dem  Beginn  des  16.  Jahrhunderts 
aber  und  mit  der  Ansiedelung  aus  Deutschland  einge- 
wanderter Buchhändler  und  Drucker  nimmt  der  Humanismus 
einen  so  siegreichen  Aufschwung,  dass  er  völlig  die 
gesamte  Studienrichtung  beherrscht  Ein  „Poet"  nach 
dem  andern  tritt  in  dem  Lehrkörper  auf.  Kaum  hat  Paul 
von  Krosno   die  Augen   geschlossen,   so   nimmt  Valentin 


64  Jakob  Caro. 

Eck  die  Lehrvorträge  auf,  und  grade  das  Studienjahr  des 
Fricius  war  in  dieser  Hinsicht  hervorragend,  denn  eben 
im  Jahre  1508  war  es,  dass  der  Engländer  Leonhard  Coxe 
und  der  mit  der  Dichterkrone  vom  Kaiser  Maximilian 
geschmückte  Rudolf  Agricola  aus  Wasserburg  *)  die 
Krakauer  Katheder  bestiegen,  und  eben  in  demselben 
Jahre  war  es,  dass  die  Italienerin  Bona  Sforza  als  Königin 
von  Polen  ihren  Einzug  in  Krakau  hielt  und  mit  ihrer 
Begleitung  einen  starken  Luftstrom  italischen  Geistes  in 
die  sarmatischen  Gefilde  einführte. 

Kann  man  unter  solchen  Verhältnissen  sich  sehr 
wohl  die  dem  Fricius  eigene  blühende  korrekte  und 
gewandte  Handhabung  der  lateinischen  Sprache  und  die 
grosse  Belesenheit  in  der  antiken  Literatur  erklären  und 
auch  sein  freies  unbefangenes  und  unverbildetes  Ver- 
ständnis des  Aristoteles  in  diesem  Schulgeiste  begründet 
finden,  so  sucht  man  doch  vergebens  unter  seinen  Lehrern 
nach  den  charakterisierten  Namen,  auf  welche  die 
demokratische  und  heterodoxe  Denkweise,  die  später  sein 
Schicksal  bildete,  hätte  zurückgeführt  werden  können. 
Der  geräuschvolle  Humanismus  dort  war  über  die  Stil- 
und  Redekünsteleien  noch  nicht  hinausgekommen.  In  der 
Sprachformentrunkenheit  und  in  dem  Kunstredenrausch, 
in  dem  Epigrammen-  und  Invektivenstapel  und  in  den 
Zänkereien  schelsüchtiger  Cliquen  und  Conventikel 
erschöpfte  sich  der  modern  gewordene  Einfluss  der  Hoch- 
schullehrer. Im  Substanziellen  aber  gaben  sie  unbe- 
absichtigt und  unbewusst  zu  sehr  verschiedenen  Richtungen 
den  Antrieb.  Eben  als  Fricius  Baccalaureus  wurde,  trat 
Stanislaus  Hosius  in  die  Universität  ein,  und  aus  eben 
demselben  Unterricht  entwickelte  sich  in  Fricius  ein  kühn 
strebender  Reformator,  und  in  Hosius  ein  bis  zum 
Fanatismus  hartnäckiger  Gegenreformator.    Fricius   selbst 


x)  Am  Bodensee,   genannt   der  Jüngere,   in  der   Matrikel   als 

Rudolfus   Joannis    de   Constancia    eingeschrieben.  Vgl.    über    ihn 

Gustav   Bauch,    Programm    der    evang.    höheren  Bürgerschule    in 
Breslau,  Ostern  1892. 


Andreas  Fricius  Modrevius.  65 

belehrt  uns,  wie  er  die  Impulse  zu  einer  von  dem  Alten 
sich  loslösenden  Denkungsart  in  sich  aufgenommen,  und 
seine  Bemerkungen  ziehen  um  sa  mehr  das  Interesse  an, 
als  sie  für  die  Art  der  Verbreitung  der  Lutherischen  Ideen 
ein  bezeichnendes  Beispiel  liefern.  — 

In  dem  Tractat,  den  Fricius  in  den  Tagen  der  immer 
mehr  erstarkenden  Reaktion  der  berühmten  und  epoche- 
machenden Confessio  fidei  des  Cardinais  Hosius  entgegen- 
setzte und  den  er  seinem  Jugendfreunde  und  trotz  der 
hohen  hierarchischen  Würde  wohl  Gesinnungsgenossen, 
dem  Erzdechanten  Paul  Glogowski  widmete,  überlässt  er 
sich  folgenden  Betrachtungen:  Während  meines  Versuchs, 
diese  vier  Punkte  der  Christenlehre  klar  zu  stellen,  trat 
mir  oft  jene  Zeit  in  die  Erinnerung,  da  wir  Beide  in 
frühestem  Lebensalter  unter  den  Hörern  der  akademischen 
Lehrer  sassen.  Alles  andere  fesselte  damals  unsern  Lern- 
eifer, —  nur  nicht  die  Theologie,  und  zwar  weil  wir,  wie 
du  dich  erinnern  wirst,  fanden,  dass  sie  weniger  aus 
Quellen  als  aus  abgeleiteten  Bächen,  und  zwar  recht 
trüben,  nach  vieler  Leute  Ansicht,  sehr  viel  Unrat  mit  sich 
führenden  Bächen  geschöpft  war.  Dich,  meinen  Schul- 
und  Studiengenossen,  darf  ich  wohl  daran  erinnern,  wie 
tiefer  Frieden  damals  in  der  Kirche  herrschte.  Kein 
Ketzer  griff  die  Kirche  an.  Da  aber  mitten  in  diesem 
Stillleben  erhob  sich  Luther  mit  der  Anzweifelung  der 
Hauptpunkte  der  christlichen  Lehre.  Seine  Bücher  wurden 
aus  Deutschland  zu  uns  gebracht,  und  in  der  Krakauer 
Universität  selbst  öffentlich  verkauft.  Bei  Vielen,  welche 
die  Neugier  gereizt  hatte,  fanden  sie  Beifall  und  Zu- 
stimmung, und  selbst  unsere  Theologen  nahmen  keinen 
Anstoss  daran.  Da  aber  traf  das  Verbot  des  Papstes  — 
ich  glaube  Leos  X.  —  ein,  das  die  Lektüre  dieser  Schriften 
mit  der  Strafe  des  Ausschlusses  aus  der  Kirche  bedrohte *). 
Darüber  fuhr  der  Schrecken  in  unsere  Lehrer,  und  nicht 


*)  Der  Verfasser  scheint  hier  die  Zeit  zwischen  1520  und  1523 
im  Auge  gehabt  zu  haben;  denn  im  Jahre  1523  (7.  März)  war  die 
Einfuhr,  Verkauf,  Lektüre  der  reformatorischen  Schriften  bei  Strafe 
des  Feuertodes  durch  königliches  Edikt  verboten. 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XX.  5 


66  Jakob   Caro. 

nur  dass  sie  es  unterliessen,  die  verbotenen  Bücher  zu 
lesen,  sie  warfen  sie  sogar  ins  Feuer,  obwohl  ihr  Beruf 
ihnen  doch  die  Verwahrung  derselben  hätte  empfehlen 
sollen.  Inzwischen  aber  nahm  die  Sache  Luthers  in 
Deutschland  einen  überaus  glänzenden  Fortgang.  Bald 
hatte  er  in  seinem  Fürsten  einen  wunderbaren  Förderer 
seiner  Bestrebungen  gefunden,  und  viele  ebenso  philo- 
sophisch hochgebildete,  wie  in  der  Sprachkunde  hervor- 
ragende Lehrer  schlössen  sich  ihm  und  seiner  Doktrin  an. 
Die  Zahl  der  Schüler  nahm  in  einer  Weise  zu,  dass  nicht 
nur  in  Deutschland,  wo  Jedermann  seine  Meinung  frei  und 
offen  aussprach,  sondern  auch  in  Italien,  in  Frankreich,  in 
allen  christlichen  Ländern  und  demgemäss  auch  in  unserem 
Vaterlande  die  Menge  derjenigen,  die  jene  Lehre  aufnahmen 
und  gern  mit  Herz  und  Mund  bekennen  mochten,  gradezu 
unbegrenzt  war.  Unter  solchen  Umständen  aber  wurden 
uns  die  Schriften  der  gelehrten  und  beredten  Männer 
zugetragen,  wess  Geistes  hätte  man  sein  müssen,  um  sie 
unberührt  zu  lassen?  Freilich  das  päpstliche  Verbot  und 
das  Interdikt  bildeten  ein  wesentliches  Hindernis.  Aber 
das  stand  ja  eben  neben  anderen  Dingen  in  Frage,  ob 
solche  Interdikte  ein  Recht  der  Geltung  haben  oder 
nicht;  wir  konnten  uns  nicht  enthalten,  was  sich  uns 
darbot,  zu  lesen.  Anfänglich  hielten  wir  allerdings  mit 
unserer  Zustimmung  zurück,  denn  es  ist  gar  schwer, 
religiöse  Anschauungen  aufzugeben,  die  man  sozusagen 
mit  der  Muttermilch  eingesogen  hat,  und  in  denen,  wie 
wir  wissen,  unsere  Vorfahren  gelebt  und  bis  zum  letzten 
Athemzuge  verharrt  hatten.  Aber  wie  Jemand,  der  sich 
viel  der  Sonne  aussetzt,  sich  färbt,  wenn  er  auch  zu 
anderem  Zwecke  als  um  der  Farbe  willen  im  Freien  sich 
aufhielt,  so  konnte  es  nicht  fehlen,  dass,  als  ich  die 
gedachten  Bücher  mit  Aufmerksamkeit,  nur  um  sie  kennen 
zu  lernen,  gelesen  hatte,  die  alten  Anschauungen  immer 
mehr  verblassten  und  neue  sich  aufdrängten.  Diesen 
neuen  Ideen  aber  haben  wir  niemals  so  viel  Gewalt  über 
uns  eingeräumt,  dass  wir  ein  öffentliches  Bekenntnis  und 
eine    bestimmende    Lebensform    daraus    gebildet    hätten. 


Andreas  Fricius  Modrevius.  67 

Wir  lebten  fort  in  den  überkommenen  Sitten.  So  wie 
wir  in  einem  Staate  leben,  dessen  Gesetze  wir  nicht  in 
allen  Stücken  billigen,  so  hörten  wir  nicht  auf,  in  einer 
Kirche  zu  verbleiben,  deren  Lehre,  Gebräuche  und  Cere- 
monien  uns  ganz  verwerflich  erschienen.  Immer  stand 
mir  das  Wort  Gamliels  bei  Lukas  vor  der  Seele:  Ist 
<iie  von  Luther  angerührte  Bewegung  in  der  Kirche  von 
Gott,  dann  wird  sie  bestehen,  mögen  auch  alle  es  nicht 
wollen ;  ist  sie  Menschenwerk,  wird  die  Zeit  sie  vernichten 
und  zusammenbrechen  lassen." 

Aus  diesen  nicht  ohne  Absicht  weit  über  ihren 
nächsten  Zweck  ausgehobenen  Bemerkungen  wäre  an 
sich  schon  erkennbar,  dass  Fricius  auch  nach  dem  be- 
standenen Baccalaureatsexamen  noch  längere  Zeit  auf  der 
Universität  geblieben  ist,  ein  Umstand,  der  ihn  in  einem 
anderen  Teile  seiner  vertraulichen  Ergüsse  an  Glogowski 
berechtigt,  den  Hosius  als  ihren  gemeinschaftlichen  „Mit- 
schüler" zu  bezeichnen.  Noch  im  Jahre  1522  ist  er,  wie 
wir  aus  den  Universitätsakten  erfahren,  immer  noch  über 
den  „Baccalaureus  der  freien  Künste"  nicht  hinaus1).  Die 
Magisterwürde  hat  er  niemals  erlangt.  Wie  lange  aber 
dieses  akademische  Studium  gedauert  hat,  und  mit  welcher 
sozialen  Stellung  des  jungen  Mannes  es  seinen  Abschluss 
gefunden  hat,  darüber  steht  eine  rückblickende  Bemerkung 
in  dem  mit  Bitterkeit  und  Groll  angefüllten  Sendschreiben 
des  Fricius  an  den  Papst  Paul  IV.  vom  Jahre  1556,  wo- 
rin er  seinen  Studiengang  kurz  darlegt  und  ausführt,  wie 
dieser  in  zwei  Epochen  zerfallen  sei.  Die  erste  sei 
von  wissenschaftlichem  Schulunterricht  eingenommen  ge- 
wesen, alsdann  wäre  er  „an  den  Hof  gebracht  worden, 
um  Vermögen  zu  machen".  Hernach  aber  sei  er  aus 
dieser  praktischen  Beschäftigung  in  schon  ziemlich  reifem 
Alter  wieder  zu  den  Studien  zurückgekehrt,  deren  Be- 
wältigung ihm  unglaubliche  Mühseligkeiten  bereitete,  und 
da  eben  damals  religiöse  Fragen  im  Vordergrunde  ge- 
standen hätten,  so  wäre  sein  Augenmerk  auf  die  einander 


*)  Acta  rectoralia  ed.  Wislocki  Nr.  2603. 


68  Jakob  Caro. 

bekämpfenden  Schriften  gerichtet  worden,  die  er  mit 
schlichtem  Sinn  ohne  jedes  die  richtige  Erkenntnis  ein- 
schränkende Vorurteil  sich  verständlich  zu  machen  ge- 
strebt hätte1). 

Diese  wertvollen  Notizen  müssen  nun  dazu  dienen^ 
einen  langen  Zeitraum  aus  der  ersten  Lebenshälfte  unseres 
Fricius  zu  beleuchten,  einen  Zeitraum  von  beinahe 
14  Jahren,  für  welchen  wir  sonst  jeder  Kunde  über  seine 
Entwicklung  bar  wären.  Sie  wollen  also  sagen,  dass  die 
erste  Studienepoche,  die  geschildertermassen  in  die  Kra- 
kauer Universität  ihn  geführt  hatte,  von  dem  Interesse  für 
Theologie  durchaus  entfernt  war,  dass  er  aber  in  der 
zweiten  Studienepoche,  die  seinen  Aufenthalt  in  Witten- 
berg veranlasste,  die  Richtung  auf  die  religiösen  Contro- 
versen  erhalten  hätte.  Zwischen  beiden  aber  liegt  die 
Zeit  des  praktischen  „Hofdienstes",  der  hiernach  etwa 
10  Jahre,  die  Jahre  des  Übergangs  von  der  Jugend  zur 
Reife,  erfüllt  haben  muss.  Es  entsteht  nun  die  Frage,  an 
welchem  „Hofe"  Fricius  seinen  Versuch  „Vermögen  zu 
erwerben"  gemacht  haben  mag.  Der  Ausdruck  „ad 
aulam"  ist  dehnbar.  Er  kann  ebenso  gut  auf  die  Hof- 
haltung eines  Magnaten,  eines  Kirchenfürsten,  wie  auf  den 
des  Königs  gehen.  Darauf  gründet  sich  die  Vermutung 
Maleckis,  dass  Fricius,  der  in  der  Tat  während  der  seinem 
akademischen  Studium  folgenden  Jahre  in  die  lebhaftesten 
Beziehungen  zu  dem  Hause  der  Laski  getreten  sein  muss^ 
entweder  an  dem  reichen  und  bewegten  Hofe  des  einfluss- 
reichen Kastellans  von  Sieradz,  Jarostaw  Laski,  oder  gar 
an  dem  des  Primas,  des  Erzbischofs  Jan  Laski,  in  irgend 
einer  Funktion  Stellung  gefunden  habe,  was  ihn  dann 
allerdings  zu  den  drei  Söhnen  des  Jaroslaw,  zu  dem  als 
Diplomaten  und  Parteigänger  berühmten  Hieronymus,  zu 
dem  massvolleren  Stanislaw  und  zu  dem  wegen  seiner  re- 
formatorischen Bestrebungen  allgemein  bekannten  Jan, 
der  der  westlichen  Literatur  unter  dem  Namen  Johannes 
a    Las  co    geläufiger    ist,    in    innige    Berührung    gebracht 


i)  D.  E.  R.    Ed.  1559.  S.  542. 


Andreas  Fricius  Modrevius.  69 

haben  würde1).  Soviel  ist  unbestreitbar:  wir  würden 
auch  ohne  das  ausdrückliche  Bekenntnis  des  Fricius  sein 
nahes  Verhältnis  zu  allen  Gliedern  des  Hauses  Laski 
folgern  müssen.  Die  merkwürdigste  Idee  in  seinen  wirt- 
schaftspolitischen Vorschlägen,  die  einzig  in  der  Wirt- 
schaftsgeschichte des  16.  Jahrhunderts  dasteht,  bekannte 
«r  selbst,  unter  Berufung  auf  seine  „Familiarität"  mit  ihm, 
dem  Erzbischof  Laski  zu  verdanken.  Sein  erstes  auf  die 
Reform  des  Strafrechts  abzielendes  Buch  legte  er  dem 
Hieronymus  Laski  in  den  Mund  und  widmete  es  dem  da- 
mals etwa  achtjährigen  Albrecht,  dem  Sohne  desselben. 
Von  seiner  Korrespondenz  mit  Jan  Laski  haben  sich  we- 
nigstens zwei  Stücke  gerade  aus  der  Zeit,  in  welcher 
dieser  seinen  Bruch  mit  der  alten  Kirche  vorbereitete,  er- 
halten, und  es  zeigt  sich,  dass  Fricius  mit  der  ganzen  Ent- 
wickelung  dieser  verhängnisvollen  Absichten  des  Prälaten 
vertraut  und  darin  verwickelt  war.  Mit  Stanislaw  Laski 
war  es  ihm  vergönnt,  wichtige  Gesandtschaften  im  Namen 
des  Königs  auszuführen,  und  sicherlich  wurde  er  dem 
Magnaten  als  Orator  nur  beigegeben,  weil  er  mit  ihm  in 
allgemein  bekanntem  Zusammenhang  stand.  An  mehreren 
Stellen  seiner  Schriften  weist  er  mit  Wärme  und  Dank- 
barkeit auf  diese  Protektion  der  Laski  hin.  Sein  ganzer 
.äusserer  Lebensgang  scheint  von  diesem  Verhältnis  be- 
herrscht zu  sein,  und  vielleicht  wird  sich  ergeben,  dass 
auch  seine  innere  Entwickelung  hiervon  nicht  unberührt 
geblieben  ist. 

Danach  wäre  es  ja  wohl  möglich,  dass  der  junge 
Gelehrte,  nachdem  er  die  Universität  verlassen,  zunächst 
im  Dienste  der  Laski  sich  nützlich  zu  machen  suchte,  zu- 
mal  der  Stammsitz   der   Laski   nur  wenige   Meilen   von 

*)  Diese  Vermutung  Maleckis  würde  unwiderleglich  erscheinen, 
wenn  Fricius  wirklich,  wie  Malecki  zitiert,  von  sich  (im  Appendix 
zur  D.  B.  R.  S.  672)  sagte,  „dass  er  seit  vielen  Jahren  dem  Hause 
der  Laski  gern  diene"  (Ktöry  Laskich  domowi  od  wielu  lat  rad 
sJuzq).  So  bestimmt  wage  ich  doch  den  Ausspruch  des  Fricius  nicht 
zu  interpretieren.  Er  sagt  nur:  „nos  qui  domum  Lasciorum  annos 
permultos  familiaritate  deiunctam  teneremus."  Das  lässt  doch 
noch  eine  andere  Auffassung  zu. 


70  Jakob  Caro. 

seinem  Heimatorte  entfernt  war,  und  dort  in  seiner 
Provinz  gewiss  keine  Familie  sich  mit  dem  Einfluss  und 
der  Bedeutung  der  Laski  in  den  politischen  wie  kirch- 
lichen Angelegenheiten  hätte  messen  können.  Aber  man 
hat  doch  grosse  Mühe,  sich  ein  Bild  von  der  Art  und 
Natur  dieses  angeblichen  Dienstverhältnisses  zu  machen« 
zumal  wenn  man  es  in  dem  Ausdruck  des  Fricius:  „ad 
aulam  deductus  sum  opum  caussa"  bezeichnet  finden  will. 
Gab  es  denn  überhaupt  in  den  Jahren  1522  bis  1532,  um 
welche  es  sich  handelt,  einen  „Laski'schen  Hof?  Kein 
Mitglied  des  Hauses  ist  eigentlich  in  dieser  Zeit  in  Polen 
derart  sesshaft,  dass  es  einen  Hof  hätte  halten  können. 
Den  Hieronymus  sieht  man,  nachdem  er  Kastellan 
von  Sieradz  (1523)  geworden,  bald  in  Basel  in  jenen 
merkwürdigen  Unterredungen  mit  Erasmus  von  Rotterdam, 
bald  in  Blois  am  Hofe  Franz  I.  von  Frankreich  und  dann 
wieder  in  Preussen  und  dann  am  Hofe  Ferdinands  und 
wieder  bei  Franz  I.  und  Heinrich  VIII.  von  England,  und 
als  Wallfahrer  nach  Loreto,  und  in  Buda  und  in  Constan- 
tinopel  — ,  und  es  vergehen  viele  Jahre,  ehe  er  wieder 
polnischen  Boden  betritt.  Den  Stanislaw  treffen  wir  in 
eben  dieser  Epoche  am  französischen  Hofe,  in  Italien  und 
unter  den  Kämpfern  in  der  Schlacht  bei  Pavia,  und  in 
Spanien,  die  Gefangenschaft  des  Franzosenkönigs  teilend ; 
und  den  jüngeren  Jan  Laski1),  den  Nutzniesser  mehrerer 
Pfründen,  findet  man  eben  damals  unter  den  Haus- 
genossen und  Pensionären  des  Erasmus  in  Basel  und  im 
Verkehr  mit  Oecolampadius  und  Farel  und  Amerbach,  und 


i)  Ich  möchte  hier  die  Gelegenheit  wahrnehmen,  zu  be- 
merken, dass  während  Dal  ton,  Joh.  a  Lasko  S.  58  ff.,  ein  sehr  aus- 
führliches phantasievolles  Bild  von  Laskis  Studien  in  Bologna  gibt, 
weder  er  noch  sein  kritisierender  Nachtreter  Pascal  wissen,  wo  sie 
ihren  Helden  1518  und  1519  zu  suchen  haben.  Dass  er  in  diesen 
beiden  Jahren  in  Padua  seine  Studien  fortsetzte,  geht  aus  den  Acta 
univ.  legistarura  (Auszug  von  Windakiewicz  im  Archivum  do  dziejöw 
oswiaty  VII,  S.  167)  hervor.  Und  dass  er  am  23.  Oktober  1517 
noch  in  Bologna  war,  zeigt  seine  Anwesenheit  bei  dem  Examen 
eines  Landsmannes,  nach  dem  Lib.  doctorum  Ludowici  de  Paleotts 
notarii,  gleichfalls  bei  Windakiewicz  a.  a.  O.  S.  136  Note  1. 


Andreas  Fricius  Modrcvius.  71 

der  alte  Erzbischof  Jan  Laski  ist  daheim  so  beweglich, 
von  Ort  zu  Ort  ziehend,  wie  seine  Neffen  draussen.  Wo 
denkt  man  sich  denn  diesen  Laski'schen  *Hof",  an  dem 
Fricius  sich  ein  Vermögen  machen  sollte? 

Das  Verhältnis  wäre  durchsichtiger,  wenn  man  an- 
nehmen dürfte,  dass  Fricius  einen  der  Laski  auf  diesen 
vielen  Reisen  begleitet  hätte.  Das  scheint  aber,  nach 
genauer  Erwägung  seiner  Schriften,  in  denen  es  an  Rück- 
blicken und  subjektiven  Erinnerungen  nicht  fehlt,  ganz 
ausgeschlossen.  Denn  es  ist  durchaus  unwahrscheinlich, 
—  wenigstens  fehlt  dafür  jede  Andeutung,  dass  Fricius 
jemals  in  Italien  oder  Frankreich l)  oder  England  gewesen 
wäre,  und  wenn  ihm  je  das  Glück  zu  teil  geworden 
wäre,  Erasmus  persönlich  kennen  zu  lernen,  dann  würde 
er  bei  der  grossen  Verehrung,  die  er  ihm  zollte,  es  sicher 
nicht  unerwähnt  gelassen  haben.  Wenn  er  im  Gefolge 
der  Laski  Reisen  in  fremde  Länder  gemacht  hätte,  oder  wie 
die  Erfindung  mancher  Biographen  ihm  zuschreibt,  aus- 
ländische Universitäten  besucht  hätte,  dann  würde  das  bei 
der  Lebhaftigkeit  seiner  Auffassung  und  bei  seiner  tiefen 
Wahrhaftigkeit,  vermöge  welcher  er  sein  ganzes  inneres 
Wesen  in  seinen  Schriften  hervorzukehren  pflegte,  irgend- 
wo zum  Ausdruk  gekommen  sein.  Im  Gegenteil  aber 
erscheint  in  allen  seinen  Betrachtungen  sein  geistiger 
Horizont  eingeschlossen  von  den  Erfahrungen  und 
Beobachtungen  in  seinem  Heimatlande,  und  nur  das 
gelehrte  Studium  und  die  Lektüre  vermitteln  ihm  die  für 
die  Gemeingültigkeit  seiner  Ideen  notwendige  Erweiterung 
desselben.  Mit  dieser  Begrenzung  des  Anschauungsbodens 
erhält  seine  ganze  Entwicklung  eine  hemmende  Schranke  ' 
und  den  Schein  einer  gewissen  Inferiorität  gegenüber 
manchen  mit  Titeln,  Bekanntschaften,  Auszeichnungen 
prunkenden,  weit  umhergekommenen  Schriftstellern  seiner 
Zeit.  Hat  er  doch  nicht  einmal,  wie  das  so  üblich  war, 
an  irgend  einer  anderen  Universität   einen   akademischen 

*)  Dass  Fricius  weder  Italienisch  noch  Französisch  verstand, 
bekennt  er  selbst  einmal  vor  Granvella,  dem  Bischof  von  Arras,  und 
Hosius.    Vgl.  Hosii  epist.  Nr.  377  S.  391. 


72  Jakob   Caro. 

Grad  erworben !    Er  sollte  später  noch  einen  Augenblick 
erleben,  in  dem  man  ihn  das  fühlen  Hess. 

Nach  allem  dem  aber  möchte  doch  wohl  anzunehmen 
sein,  dass  Fricius  nach  seinem  Abgang  von  der  Universität 
allerdings  in  die  Clientel  der  Laski  eintrat,  wofern  er  der- 
selben nicht  früher  schon  sich  erfreute,  diese  aber  dazu 
benutzte,  um  sich  am  königlichen  Hofe  eine  Dienststelle 
zu  verschaffen.  Die  „aula",  in  welche  er  geführt  wurde, 
um  sich  Vermögen  zu  schaffen,  möchte  doch  wohl  die 
königliche  gewesen  sein.  Es  war  nichts  Seltenes,  dass 
junge  strebsame  Leute,  die  entweder  den  Vorzug  hoher 
Geburt  oder  einer  einflussreichen  Protektion  genossen, 
sich  im  Hofdienste  oder  Kanzleidienste  auf  die  höheren 
Ämter  vorbereiteten.  Die  Zahl  der  curienses,  aulici, 
dworzanie,  wie  sie  genannt  wurden,  war  niemals  gering, 
und  namentlich  in  der  Königskanzlei  und  im  diplomatischen 
Dienst  brauchte  man  Leute,  die  neben  sonstigen  Fach- 
kenntnissen das  Lateinische  mit  Fertigkeit  beherrschten. 
Gar  Manchem,  zumal  wenn  er  den  Magnatenfamilien  an- 
gehörte, ist  es  gelungen,  von  dieser  bescheidenen  Stellung 
bis  zu  den  einträglichen  senatorischen  Ämtern  sich  empor- 
zuarbeiten, oder  wenn  er  dem  geistlichen  Stande  angehörte, 
eine  fette  Pfründe  zu  erhaschen.  Kleinen  Edelleuten  war 
freilich  der  Zugang  zu  solchen  Anwartschaften  nur  durch 
den  Schutz  und  die  Empfehlung  hochangesehener  Männer 
oder  Frauen  erschlossen,  und  wenn  ihnen  günstige  Um- 
stände und  Gelegenheiten  nicht  zu  Hülfe  kamen,  oder  die 
Protektion  an  Gewicht  und  Wirkung  Einbusse  erlitt,  mussten 
sie  gar  lange  geduldig  dienen,  ehe  sie  zu  der  höheren 
Stelle  eines  „secretarius  regis"  aufzusteigen  vermochten. 
Bevor  sie  aber  diesen  Rang  erreichten,  dürfte  es  selten 
nur  geschehen  sein,  dass  ihr  Name  in  den  Geschäften 
hervortrat.  Die  Tatsache  also,  dass  des  Fricius  Namen 
uns  nirgends  begegnet,  kann  die  Vermutung,  dass  er  im 
königlichen  Dienst  emporzukommen  suchte,  nicht  ent- 
kräften. Dahingegen  muss  der  Umstand,  dass  bei  seinem 
ersten  Hervortreten  als  Schriftsteller  eine  innige  und 
sympathische  Beziehung  zu  dem  Königssohne,  zu  Sigmund 


Andreas  Fricius  Modrevius.  73 

August,  deutlich  hindurchleuchtet,  eine  Beziehung,  die 
steigend  mehr  an  Bedeutung  gewann  und  am  Ende  für 
die  ganze  literarische  Produktion  des  Fricius  befruchtend 
wirkte,  die  Vorstellung  erwecken,  dass  er  frühzeitig  schon 
in  den  Lebenskreis  des  Prinzen,  der  Hoffnung  des  Landes, 
eingetreten  sei  und  dort  eine  Funktion  ausgeübt  habe. 
Vielleicht  sogar  ist  die  Annahme  nicht  zu  weitgehend, 
dass  bei  dem  Unterricht  und  der  Ausbildung  des  Prinzen 
die  Fähigkeiten,  die  literarischen  Kenntnisse  und  der 
gemütstiefe  Ernst  des  jungen  Gelehrten  irgendwie  zur 
Verwertung  kamen. 

Es  ist  höchst  peinlich,  so  Vermutimg  an  Vermutung 
zu  reihen,  nur  gestützt  durch  die  kurze  Bemerkung  des 
Fricius,  dass  er  tun  materieller  Vorteile  willen  an  den 
Hof  gebracht  worden  wäre.  Käme  es  nur  darauf  an,  die 
äusseren  Züge  seines  Lebens  zu  vervollständigen,  dann 
könnte  man  sich  gern  dieser  verdriesslichen  Freilassung 
der  Einbildungskraft  entziehen.  Aber  dass  eben  grade 
in  dieser  Epoche,  für  welche  uns  jede  materielle  Nachricht 
versagt  ist,  sich  die  ganze  Eigentümlichkeit  unseres 
Helden,  die  eigenartige  Verbindung  staatsmännischer 
Contemplation  und  praktisch -politischen  Reformeifers  mit 
dem  durchdringenden  Interesse  für  theologische  und 
theosophische  Fragen  ausgebildet  hat,  kann  nicht  ver- 
kannt werden.  In  den  Umständen  und  Beziehungen, 
welche  diese  Lebensjahre  des  Mannes  erfüllten,  liegen 
die  Wurzeln  seiner  geistigen  Persönlichkeit.  Nun  hiesse 
es  aber  alle  Andeutungen  und  Mitteilungen  aus  seinen 
Schriften  verkennen,  wenn  man  sie  nicht  in  dem 
Zusammenhang  mit  den  Schicksalen  und  dem  Ideenkreis 
der  Laski  finden  wollte,  gleichviel  durch  welche  äussere 
Bedingungen  derselbe  geknüpft  war.  Stand  er,  wie 
Malecki  annimmt,  in  einem  direkten  Dienstverhältnis  zu 
den  Laski,  dann  ergäbe  er  sich  als  selbstverständlich; 
hatte  er  aber,  wie  die  äusseren  Verhältnisse  zu  glauben 
nötigen,  am  königlichen  Hofe  sein  Glück  zu  machen 
versucht,  so  verdankte  er  die  Aufnahme  an  demselben 
unzweifelhaft    nur    der    Protektion    und    Fürsprache   der 


74  Jakob  Caro. 

Laski.  In  dem  einem  wie  in  dem  andern  Falle  bildeten 
der  Einfluss  und  das  Ansehen  dieser  ausgezeichneten 
Familie  die  Staffel  für  sein  Emporkommen,  und  in  dem 
einen  wie  in  dem  andern  Falle  bestimmte  dieses  Ver- 
hältnis die  Objekte  seines^  geistigen  Interesses.  Von 
jedem  der  drei  ihm  ungefähr  gleichalterigen  Brüder,  die 
allein  hier  in  Betracht  kommen,  hat  er  einen  andern 
Impuls  erfahren.  Die  tiefe  und  innige  Bewunderung,  die 
er  für  Hieronymus  ausspricht,  bezieht  sich  auf  dessen 
imbefangene  und  gereifte  Ansicht  vom  Staat  und  auf  seiner 
hochherzigen,  von  tiefer  Menschenfreundlichkeit  getra- 
genen Anschauung  der  sozialen  Pflichten;  Fricius  spricht 
es  unumwunden  aus,  dass  er  den  Anstoss  zu  seinem 
literarischen  Hervortreten  aus  der  Ideengemeinschaft  mit 
diesem  leidenschaftlichen  Politiker  empfangen  habe.  Aber 
diese  Aneignung  der  Denkweise  des  liberalen  Magnaten 
dürfte  erst  in  die  Zeit  fallen,  da  Hieronymus  von  seinen 
ungarischen  Abenteuern  wieder  zu  längerem  Aufenthalt 
in  die  Heimat  zurückgekehrt  war.  Mit  Stanislaw  Laski 
verband  ihn  das  Interesse  für  die  politische  Praxis.  Die 
Teilnahme  aber  für  die  religiösen  Zeitfragen  und  für  die 
theologischen  Controversen  schöpfte  er  aus  dem  Verkehr 
mit  Jan  Laski,  der  wie  gesagt  bezeugtermassen  bis  zur 
intimsten  Mitwissenschaft  und  Mitwirkung  bei  den  auf- 
lehnenden Schritten  dieses  unruhigen  Klerikers  heran- 
wuchs. Befremdlich  bleibt  es  immerhin,  dass  Fricius  in 
keiner  seiner  Schriften,  die  doch  oft  genug  Gegenstände 
behandeln,  welche  den  Lebenskern  und  den  gewählten 
Lebensberuf  Laskis  ausmachen,  jemals  seiner  Erwähnung 
tut  Es  ist  sichtlich  später  etwas  Trennendes  zwischen 
die  beiden  Männer  getreten,  und  der  Gedanke  drängt 
sich  dem  Kenner  der  Friciusschen  Moral  auf,  dass  er 
das  revolutionäre  und  sektirerische  Gebahren  seines 
Jugendfreundes  missbilligte.  Damals  aber,  in  der  Zeit 
des  ersten  Aufstrebens,  da  die  Erörterung  der  politischen 
und  kirchlichen  Fragen  und  der  Austausch  der  Gedanken 
auf  dem  Boden  des  Humanismus  sich  bewegten,  als 
Erasmus  von  Rotterdam    für    die    gebildeten    polnischen 


Andreas  Fricius  Modrevius.  75 

Kreise  noch  der  einzige,  der  glänzendste  Stern  des  Jahr- 
hunderts war  und  die  Tiefe  und  grundstürzende  Gewalt  der 
Wittenberger  Doktrinen  zunächst  nur  in  ihrer  negativen 
Bedeutung  als  Widerstand  gegen  Missbrauch  und  Verun- 
staltung der  kirchlichen  Organisation  begriffen  wurde, 
damals  begegneten  sich  die  jungen  Freunde  in  der  Überein- 
stimmung über  das  Recht  der  freien  Forschung  und  der 
freien  Meinungsäusserung,  in  der  Übereinstimmung  des 
tiefen  Unwillens  über  die  Gräuel  der  vermoderten 
CJesellschafts-  und  Kirchenordnung  und  in  dem  überein- 
stimmenden Verlangen,  ihre  Lebensaufgabe  in  der  Arbeit 
für  eine  Regeneration  derselben  zu  suchen. 

Seit  dem  Jahre  1521  hatte  Jan  Laski  neben  seinen 
klerikalen  Würden  auch  die  Titel  eines  secretarius  regis. 
Aus  dieser  Eigenschaft  ergäbe  sich,  wenn  anders  sich 
damit  eine  wirkliche  amtliche  Tätigkeit  verband,  schon 
ein  Zusammenwirken  mit  Fricius.  Aber  weit  mehr  beruhte 
ihre  Gemeinschaft  auf  der  Gleichartigkeit  der  Ideale,  die 
sie  freilich  unter  den  herrschenden  Verhältnissen  einst- 
weilen in  der  Seele  vergraben  und  vor  dem  Licht  des 
Tages  verbergen  mussten. 

Stände  das  Bild  der  Entwickelung  Jan  Laskis  in  den 
bedeutungs-  und  ereignisreichen  Jahren  von  seiner  Rück- 
kehr aus  Basel,  der  Hochburg  des  Humanismus,  in  die 
Trivialität  einer  begünstigten  Hierarchenlaufbahn  mit  voller 
Klarheit  vor  uns,  dann  könnte  man  leichter  aus  dem 
späteren  Lebenswerk  des  Fricius  zurückschliessen  auf  die 
Anregungen,  die  er  aus  dem  Verkehr  mit  Laski  empfangen 
hat  Aber  dass  dies  der  Fall  sei,  kann  doch  nur  mit 
grosser  Einschränkung  zugegeben  werden.  So  viel  auch 
immer  die  Forschung  für  die  Aufhellung  der  schwer 
verständlichen  Erscheinung  des  Jan  Laski  getan  hat,  das 
Ziel  wurde  nicht  erreicht.  Die  Theologen,  welche  sich 
in  erster  Reihe  von  der  nur  allzu  interessanten  Persön- 
lichkeit angezogen  fühlten,  suchten  mit  Eifer  alle  Momente 
und  Erscheinungen  auf,  die  aus  dem  Nepoten  eines  regel- 
rechten katholischen  Erzbischofs,  aus  dem  mit  Kirchen- 
pfründen und  hochfliegenden  Exspectanzen  überschütteten 


76  Jakob   Caro. 

Würdenträger  einen  Apostel  der  neuen  Lehre,  des 
evangelischen  Glaubens  machten.  Die  politischen  Ver- 
wickelungen aber,  welche  seine  Schicksale  und  nicht 
bloss  die  äusseren  —  schufen,  werden  kaum  gestreift^ 
jedenfalls  nicht  in  ihrem  weitläufigen  Einfluss  gewürdigt *). 
Die  politische  Historiographie  wiederum  hat  in  dem  An- 
drang der  mannigfaltigen  und  ausgedehnten  Ereignisse, 
die  um  den  älteren  Bruder  Laskis,  um  Hieronymus,  der 
eine  wahrhaft  europäische  Rolle  spielte,  sich  gruppierten, 
nicht  Raum  gefunden,  der  Nebenperson  Jans  die  aus- 
reichende Aufmerksamkeit  zuzuwenden.  Eine  über  solche 
Einseitigkeiten  sich  erhebende  Betrachtung  dürfte  zu  dem 
Ergebnis  gelangen,  dass  die  Katastrophe  in  dem  Leben 
Jan  Laskis,  die  Flucht  aus  dem  Vaterlande  und  aus 
seinem  hohen  Amte,  keineswegs  nur  allein  oder  auch 
nur  vornehmlich  durch  die  religiösen  Skrupel  und  den  im 
Herzen  vollzogenen  Bruch  mit  der  alten  Kirchenlehre 
herbeigeführt  wurde.  Seine  politische  Stellung  musste  an 
sich  schon  schwierig  und  peinlich  sein,  da  er  den  schweren 
Hass  der  seinem  Oheim,  dem  Primas,  grollenden  Coterieen 
von  seinem  ersten  Auftreten  an  übernommen  hatte  und 
als  trauriges  Erbteil  mit  zu  tragen  verurteilt  war.  Als  er 
nun  aber  gar  aus  inniger  Liebe  zu  seinem  älteren  Bruder 
sich  mit  den  phantasievollen  und  wiedersprüchigen 
Abenteuern  desselben  identifizierte,  geriet  er  vollends 
in  eine  schiefe  Lage,  die  allenfalls  erträglich  und  ver- 
besserlich  gewesen  sein  würde,  wenn  des  Hieronymus 
Pläne  trotz  aller  Ungeheuerlichkeiten  gelungen  wären. 
Da  sie  aber  schmählich  zusammenbrachen,  und  der 
bedrängte  Diplomat  die  einzige  Rettung  in  einer  alles 
Vertrauen  zerstörenden  Überläuferei  zu  dem  bisher 
bekämpften  Feinde  zu  finden  suchte,   und   da  Jan  durch 


1)  Um  nur  auf  eins  aufmerksam  zu  machen:  weder  Dalton. 
noch  Pascal,  von  den  älteren  Biographen  gar  zu  geschweigen,. 
wissen  etwas  von  der  Reise  Laskis  an  den  österreichischen  Hof 
in  Znaim,  wo  er  denn  doch  von  König  Ferdinand  in  einer  Weise 
gedemütigt  wurde,  die  auch  einen  weniger  empfindsamen  Mann 
gebrochen  haben  würde.     Vgl.  Hirschberg,   Hieronim  Laski  S.  231. 


Andreas  Fricius  Modrevius.  77 

ein  leidenschaftliches  Eintreten  für  seinen  Bruder  alle 
Verantwortung  für  dessen  Fehlgriffe  sich  mit  auflud,  so 
wurde  er  in  seinen  tragischen  Fall  mit  hineingerissen, 
und  zwar  um  so  tiefer,  als  seine  geistliche  Würde,  von 
ihm  selbst  innerlich  gering  geschätzt,  ihm  keinen  Halt 
und  kein  Gegengewicht  bot.  Sein  Kredit  war  mit  dem 
seines  Bruders  gesunken,  sein  Reichtum  war  vergeudet, 
—  es  war  ein  moralischer  und  materieller  Bankrott,  und 
die  Neigung  zu  Flucht  und  Zurückgezogenheit  wird  ver- 
ständlich, auch  ohne  seine  religiösen  Gewissenswallungen 
in  Anschlag  zu  bringen.  Der  überaus  kluge  Hosius 
wusste  sehr  wohl,  warum  er  trotz  der  enthusiastischen 
Bewunderung  für  Jan  Laski  sich  „durch  seine  Verwandten 
und  Freunde"  bewegen  liess,  die  Einladung  Laskis,  seine 
Studien  und  seine  Einsamkeit  zu  teilen,  bedauernd  ab- 
zulehnen1). 

Man  begreift  den  Wunsch  Jan  Laskis,  einen  ver- 
ständnisvollen Genossen  bei  sich  zu  haben;  denn  es  war 
einsam  neben  dem  lebensvollen  Manne  geworden.  Sein 
Oheim,  der  Primas,  das  Haupt  der  Familie,  in  den  letzten 
Lebensjahren  dem  angesammelten  Hass  seiner  Feinde  er- 
liegend, war  im  Jahre  1531  gestorben.  Sein  Bruder,  sich 
selbst  und  sein  ganzes  Haus  durch  zweideutige  Politik 
kompromittierend,  flog  von  einem  Ende  Europas  zum 
andern,  von  Constantinopel  nach  Paris  und  London  hin 
und  her  und  gab  seinen  Hassern  Stoff  zur  Nachrede, 
dass  er  die  Türken  wider  die  christlichen  Völker  herbei- 
führe, ein  Vorwurf,  der  wie  auf  seinen  Oheim  so  auch 
auf  seinen  Bruder  Jan  mit  belastender  Schwere  zurück- 
fiel. Der  belebende  und  schwungreiche  Verkehr  des 
letztern  mit  dem  Musenhofe  des  Erasmus  war  erloschen, 
denn  so  wie  der  Meister  und  Regent  desselben,  der  als 
Pensionär  des  Kaisers  Karl  bedenklich  geworden  war, 
mit  einem  Mann  in  vertrautem  Gedankenaustausch  zu 
bleiben,   der    dem   Hause  Habsburg    in  aller   Form   den 


*)  S.  Hosius  Brief  an  Laiaro  Bonamico  vom  12.  Februar  1536 
in  Stan.  Hosii  epistolae,  Acta  hist.  Pol.  IV  Nr.  16. 


78  Jakob  Caro. 

Krieg  erklärt  hatte  (1528),  so  zogen  sich  auch  die  anderen 
Genossen  der  Baseler  Tafelrunde,  die  einst  Laski  mit 
Bücherwidmungen  und  wohlgedrechselten  Kunstbriefen 
überschüttet  hatten,  allmälig  mehr  zurück  *).  Die  stylvolle 
Korrespondenz  des  Erasmus  nach  Polen  ging  jetzt  viel- 
mehr durch  Andreas  Fricius,  den  geschworenen  Feind 
der  Laski.  Der  König  Sigmund  und  die  Königin  Bona 
hatten  ihm  wohl  die  Gunst  nicht  entzogen,  aber  in  der 
aus  der  politischen  Situation  ihnen  aufgedrungenen 
Neutralität  hielten  sie  mit  jedem  Ausdruck  derselben 
möglichst  zurück.  Die  Wahrscheinlichkeit,  dass  er  in  der 
polnischen  Hierarchie  weiter  so  steige,  wie  unter  dem 
Einfluss  seines  Oheims  in  den  früheren  Jahren,  und  endlich 
gar  die  höchsten  Würden  erreichen  werde,  die  alle  seine 
Biographen  betonen  zu  müssen  glauben,  war  tatsächlich 
sehr  gering.  Bei  keiner  der  vielen  Bistümervakanzen,  die 
gerade  seit  dem  Tode  seines  Oheims  eingetreten  waren, 
wurde  sein  Name  genannt,  und  das  Bistum  Vesprim,  so- 
wie sonstige  Exspectanzen  in  Ungarn,  die  ihm  in  Aus- 
sicht gestellt  waren,  konnten  nur  als  unsichere  Wechsel 
auf  eine  sehr  bedingte  Zukunft  gelten.  Nimmt  man  zu 
allem  dem,  was  ihn  verstimmen  musste,  noch  hinzu,  dass  sein 
längerer  Aufenthalt  in  Basel,  seine  Begegnung  mit  Zwingli, 
seine  Intimität  mit  ausgesprochenen  „Sacramentariern"  ihn 
von  vornherein  als  einen  Freund  der  Reformation 
stempelten  und  ihn  in  der  öffentlichen  Meinimg  mit  dem 
Geruch  der  Ketzerei  behafteten,  so  versteht  man  doch 
wohl,  dass  ihm  der  Boden  seiner  Heimat  heiss  wurde. 
Mit  dem  Blute  der  Laski  in  den  Adern  war  er  nicht 
geschaffen,  sich  in  gemeine  herkömmliche  Ordnungen  zu 
fügen.  Die  Begehrlichkeit,  die  Herrschsucht,  der  an  dem 
Unmöglichen   selbst   rüttelnde  Ehrgeiz,   der   Hang    nach 


l)  Des.  Erasmi  epp.  familiäres.  Ad  Amerbachium,  Basel  1772. 
Ep.  XXIX,  aus  dem  hervorgeht,  dass  Laski  den  Erasmus  nicht  habe 
compromittieren  wollen  und  darum  nicht  geschrieben  hätte.  Justus 
(d.  i.  Decius)  berichtet  dem  Erasmus,  dass  Laski  als  Bischof  von 
Vesprim  nominiert  wäre,  —  ein  nur  auf  dem  Papier  gebliebenes 
Bistum. 


Andreas  Fricius  Modrevius.  79 

Ungewöhnlichem,  die  Gier  nach  unerhörten  Taten,  nach 
Aufreizung  und  Abenteuern,  welche  fast  alle  Glieder 
dieses  Geschlechts  erfüllten,  waren  in  ihm  nur  auf  eine 
andere  Note  gestimmt.  Wer  weiss,  wie  lange  schon  der 
Gedanke  in  ihm  aufgetaucht  war,  die  beengenden  sozialen 
Fesseln  der  üblichen  Lebensformen  und  den  Staub  des 
vaterländischen  Bodens  von  den  Füssen  zu  schütteln! 

Mit  diesem  zum  Entschluss  gereiften  Gedanken  findet 
man  unsern  Andreas  Fricius  in  enger  Verbindung.  Man 
wird  sich  erinnern,  wie  er  selbst  berichtet,  dass  ihm  ur- 
sprünglich das  Interesse  für  theologische  Fragen  gänzlich 
fern  stand,  und  dass  erst,  als  die  Streitigkeiten  darüber 
alle  Welt  bewegten,  er  sich  zu  einem  eingehenden 
Studium  derselben  veranlasst  fand. 

Die  verbotene  Lektüre  der  aus  Deutschland  ein- 
geführten Schriften  habe  allmälig  seine  Anschauungen 
gewandelt  Wo  aber  konnte  das  eher  geschehen,  als  im 
Verkehr  mit  Jan  Laski?  Wir  wissen,  dass  Laski  der 
Besitzer  der  Bibliothek  des  Erasmus  nach  dessen  Tode 
geworden  war,  dass  Beatus  Rhenanus  und  Amerbach  und 
Pelican,  Hesch  u.  A.  ihm  eigene  Bücher  widmeten  und 
sonstige  Bücher  schickten,  dass  Laski  sich  sogar  einer 
„apostolischen  Erlaubnis"1)  zur  Lektüre  der  verpönten 
Schriften  erfreute,  eines  Indults,  der  denjenigen  verliehen 
wurde,  von  welchen  man  sich  einer  Widerlegung  der- 
selben versah.  Wenn  es  irgendwo  in  Polen  damals  einen 
Herd  und  Sammelpunkt  für  die  oppositionelle,  anti- 
katholische Literatur  Deutschlands  und  der  Schweiz  gab, 
dann  war  es  bei  Jan  Laski.  Die  drakonischen  Be- 
stimmungen und  Verbote,    welche    der  Einfuhr   und  dem 


*)  S.  das  berüchtigte  juramentum,  das  Abraham  Kuyper 
(Joannis  a  Lasco  Opera  II  547)  veröffentlichte,  das  Dalton  S.  136  mit 
Kuyper  fälschlich  ins  J.  1526  setzt,  und  das  Pascal  (J.  a.  L.  S.  138  ff.) 
mit  faden  Gründen  als  unecht  betrachten  will,  —  das  aber  zu- 
verlässig echt  ist  (vgl.  Hosii  epistolae  I  S.  123  Nr.  108  und 
Appendix  9)  und  ins  J.  1542  gehört.  Das  hindert  aber  nicht,  dass 
der  darin  erwähnte  indultus  apostolicus  ihm  schon  viel  früher, 
vielleicht  eben  1526,  erteilt  worden  ist. 


80  Jakob   Caro. 

Besitz  solcher  ketzerischen  Schriften  in  Polen  entgegen- 
standen, fochten  Laski  nichts  an,  denn  abgesehen  von 
jenem  Indult  konnte  er  in  dem  ausserhalb  der  Grenzen 
Polens  gelegenen  Käsmark,  dem  Schlosse  seines  Bruders, 
auf  welchem  er  selbst  die  Polizei  mit  souveräner  Freiheit 
ausübte,  ungestört  und  ungehindert  seine  Bibliothek  auf- 
stellen, gemessen,  studieren.  Kurz,  hier  fand  Fricius  die 
Gelegenheit,  durch  fortgesetztes  Studium  der  schon  auf 
der  Universität  angefassten  reformatorischen  Literatur 
„seinen  mit  der  Muttermilch  eingesogenen  Kirchenglauben 
allmälig  verblassen  zu  lassen/  Kam  nun  noch  der  lebendige 
Gedankenaustausch  mit  dem  gewinnenden  und  bestricken- 
den Kleriker,  dessen  Zauber  und  Anmut  man  auch  dann 
anerkennen  muss,  wenn  man  von  der  hochtönenden 
Enkomiastik  des  Erasmus  und  seiner  Tafelrunde  das  auf 
die  Humanistenmode  in  Rechnung  kommende  Mass  in 
Abzug  bringt,  —  kam,  sage  ich,  noch  die  Jahre  hindurch 
betriebene  Diskussion,  das  tägliche  Gespräch,  die  gemein- 
same Erbauung  an  dem  emporlodernden  Feuer  der 
Begeisterung  und  Glaubensinnigkeit,  das  der  aus  Deutsch- 
land und  der  Schweiz  hereingeleitete  geistige  Import  ent- 
zündete, —  kam  das  innige  wechselseitige  Verständnis 
gegenüber  dem  herrschenden  Pharisäertum,  vor  dem  man 
es  verbergen  musste,  hinzu,  so  begreift  man,  dass  nach 
Verlauf  einiger  Jahre  beide  Männer  auf  dem  Punkte 
standen,  sich  nach  dem  Lande  zu  sehnen,  in  welchem 
nach  Fricius  bemerkenswertem  Ausdruck  jeder  seine 
Meinung  frei  aussprechen  dürfe,  und  wo  die  Urheber  und 
Schöpfer  der  weltgeschichtlichen  Zeitbewegung  walteten* 
Zwischen  beiden  Männern  bestand  aber  ein  wesent- 
licher Unterschied.  Der  eine  war  Laie  und  noch  nirgends 
bemerkt,  der  andere  war  ein  hochstehender  Kleriker,  auf 
den  Freunde  und  Feinde  die  Augen  richteten.  Für  Fricius 
war  es  eher  möglich,  die  Heimat  für  einige  Zeit  zu  ver- 
lassen und  in  Wittenberg  sich  der  Forschung  über  das 
neue  Evangelium  unter  Leitung  seiner  ersten,  grossen 
Lehrer  zu  widmen.  Immerhin  hatte  es  doch  auch  für  ihn 
seine  Bedenken;  denn  wenn  auch  das  drakonische  Verbot 


Andreas  Fricius  Modrevius.  8l 

des  Besuchs  der  ketzerischen  Universitäten  überhaupt  und 
namentlich  der  Universität  Wittenberg  vom  Könige  Sigmund 
formell  erst  später  (1535)  erlassen  wurde,  so  lag  doch  auch 
vordem  schon  darauf  eine  verpönende  Gehässigkeit,  und 
es  sieht  geradezu  wie  auf  Fricius  gemünzt  aus,  wenn  es 
in  dem  königlichen  Erlass  an  den  Kronmarschall  Peter 
Kmita  heisst1),  „dass  diejenigen,  welche  bei  Luther  oder 
andern  Häuptern  seiner  Partei  zur  Zeit  sich  aufhalten,  von 
jeder  künftigen  Anwartschaft  auf  Würden  und  Ämter  aus- 
geschlossen, diejenigen  aber,  die  nach  der  Proklamation 
des  Verbots  dennoch  solche  Studienreisen  unternähmen, 
als  Landesverwiesene  angesehen  oder  mit  noch  härteren 
Strafen  belegt  werden  sollen,  denen  auch  die  Anstifter 
dieser  ketzerischen  Fahrten  nicht  entgehen  werden".  Wenn 
es  daher  in  Polen  bekannt  wurde,  dass  Fricius  eben  zur 
Zeit,  da  dieses  Verbot  erging,  sich  nicht  nur  in  Wittenberg, 
sondern  in  intimer  Freundschaft  mit  einem  „Oberhaupt 
der  lutherischen  Faktion"  befand,  dann  war  freilich,  wenn 
sich  die  öffentlichen  Verhältnisse  nicht  änderten,  ihm  jede 
Pfoffnung  auf  Karriere  im  Staatsdienst  abgeschnitten.  Jeden- 
falls hatte  er  somit  sowohl  im  eigenen  Interesse  als  auch 
im  Interesse  seiner  Gönner  alle  Ursache,  den  Mantel  des 
Geheimnisses  über  seine  Wallfahrt  zu  den  Quellen  der 
neuen  Lehre  zu  breiten.  Gleichwohl  sind  wir  durch  die 
Briefe  Melanchthons  und  einige  damit  übereinstimmende 
Andeutungen  im  Stande  zu  durchschauen,  dass  die  Rück- 
kehr des  Fricius  auf  die  Schulbank,  dieses  erneute  „Studium 
in  schon  ziemlich  reifem  Alter",  die  zweite  Epoche  seiner 
Ausbildung,  von  welcher  er  in  dem  Schreiben  an  den 
Papst  Paul  IV.  spricht,  mit  einer  Angelegenheit  im  Zu- 
sammenhang stehe,  die  seinem  Gönner  Jan  Laski  ganz 
besonders  am  Herzen  lag. 

Dieser  hatte  nämlich  von  seiner  Gesandtschaftsreise 
nach  Frankreich  im  Jahre  1524  einen  Knaben  nach  Basel 
in  die  Tafelrunde  des  Erasmus  mitgebracht,  der  ihn  durch 


*)  Kautz,  Praecipua  ac  publica  religionis  evang.  in  Polonia  fata. 
S.  18.    Vgl.  Dalton  S.  T67. 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XX.  6 


82  Jakob   Caro. 

sein  sanftes  Wesen  und  durch  seine  guten  Anlagen  an- 
gezogen hatte.  Der  Knabe  war  in  Orleans  geboren  und 
mit  Bewilligung  seines  Vaters  war  er  dem  polnischen 
Magnaten,  der  für  seine  Ausbildung  sorgen  zu  wollen  ver- 
sprochen hatte,  nach  dem  Osten  gefolgt.  Er  hiess  Nicolaus 
Anianus  und  schrieb  sich  später  in  der  Weise  der  Hu- 
manisten mit  dem  klangvollen  Namen  Anianus  Burgonius1). 
Wo  auch  immer  seiner  Erwähnung  geschieht,  wird  er 
mit  Ausdrücken  der  Sympathie  und  Bewunderung  gefeiert- 
Die  Wunderkinder  waren  ja  eine  typische  Erscheinung 
der  Humanistenkreise.  Anianus  aber  scheint  doch  durch 
die  Lieblichkeit  seiner  Erscheinung  und  seinen  hellen, 
anmutigen  Geist  ernste,  hervorragende  Männer  in 
einer  ganz  besonderen  Weise  angezogen  zu  haben.  Laski 
muss  grosse  Hoffnungen  auf  ihn  gesetzt  haben,  als 
er  ihn  nach  Polen  mit  sich  nahm.  Anfänglich  mögen  sie, 
gemäss  der  eigenen  Schwärmerei  Laskis  in  seinem  da- 
maligen Entwickelungsstadium,  nur  auf  Humanismus  und 
Schöngeisterei  und  keinesweges  auf  theologische  Dinge 
Bezug  gehabt  haben.  In  der  Tat  fallen  auch  die]ersten  litera- 
rischen Produkte  des  Anianus,  die  wir  besitzen,  ganz  und 
gar  in  jene  Gattung.     Als  Courtisan  und  Angehöriger  des 


!)  Ich  versage  mir,  alle  die  Verkehrtheiten  zu  widerlegen, 
die  in  dieser  Frage  von  verschiedenen  Seiten  zu  Tage  gebracht 
worden  sind.  —  In  den  von  Dalton  herausgegebenen  Evangelisch 
Reformierten  Blättern  Jahrgang  II  Nr.  n  gibt  Anianus  an:  er  sei 
„Aurchiae  natus".  Dass  nur  ein  Lesefehler  für  „Aureliae"  (Orleans) 
vorliegt,  hat  keiner  bemerkt.  Der  Hauptheilige  von  Orleans  ist  aber 
St.  Anianus,  der  den  Attila  durch  Gebet  von  den  Mauern  der  Stadt 
gescheucht  hat.  Ihm  war  die  grosse  gothische  Kirche  St.  Aignan 
geweiht,  nach  der  ein  ganzer  Stadtteil  in  Orleans  und  mehrere  Ort- 
schaften im  Orteanais  genannt  wurden.  Die  grosse  nie  Tabourg,  an 
die  die  Kirche  und  die  umliegenden  Gebäude  anstossen,  mag  wohl 
dem  „Burgonius"  zu  Grunde  liegen,  wenn  man  nicht  einfach  an  eine 
T^atinisierung  von  bourgeon  oder  bourgeois  denken  will.  —  Es  ist 
daran  zu  erinnern,  dass  Jan  Laski  und  Hieronymus  gelegentlich 
ihrer  diplomatischen  Sendung  an  Franz  I.  von  Frankreich  einen 
längeren  Aufenthalt  in  Blois,  wo  der  Hof  damals  residierte,  nehmen 
mussten.  Den  Taufnamen  Nicolaus  gibt  die  Wittenberger  Matrikel,, 
Foerstemann  S.  144. 


Andreas  Fricius  Modrevius.  85 

Laskischen  Kreises  glaubte  der  junge  Mann  ein  höchst 
pathetisches  und  gespreiztes  Epigramm  des  Bischofs 
Krzycki  (Cricius)  auf  den  Vizekanzler  und  Krakauer  Bischof 
Tomicki  durch  ein  anderes  Epigramm  persiflieren  zu  sollen. 
Das  machte  böses  Blut  im  andern  Lager.  Nicht  blos 
Cricius  selbst,  sondern  alle  die  Kostgänger  des  Krakauer 
Bischofs,  die  durch  seine  Freigebigkeit  ihre  Studien  machen 
konnten,  Hosius,  Konarski,  der  Dalmatiner  MichaeL 
Wrantius  —  alle  fielen  über  den  dreisten  Jüngling  mit  von 
Anspielungen  strotzenden  Versen  her.  Er  blieb  die  Ant- 
wort nicht  schuldig,  aber  scheint  doch  aus  diesem  kleinen 
poetischen  Kriege  ohne  dauernde  Feindschaften  hervor- 
gegangen zu  sein1). 

Namentlich  mit  Hosius  stand  er  in  den  herzlichsten 
Beziehungen.  Als  dieser  nebst  Konarski,  Czarnkowski  und 
anderen  Schützlingen  des  Tomicki  die  italienischen  Univer- 
sitäten bezog,  gab  Laski  ihm  den  von  dem  brennenden 
Wunsch  nach  weiterer  Ausbildung  erfüllten  Anianus  mit. 
Neben  Hosius  studierte  er  1530  und  1531  in  Bologna. 
Entzückte  Briefe  voll  Begeisterung  für  seine  Lehrer,  na- 
mentlich den  Romulus  Amasaeus,  schrieb  er  seinem  Patron. 
Wenn  aber  die  ohnehin  etwas  spärliche  Pension  ausblieb* 
dann  teilte  Hosius  mit  ihm  alles,  was  er  hatte,  machte  ihm 
Vorschüsse,  kurz  erwies  sich  ihm  als  ein  tüchtiger  gross- 
herziger Kommilitone.  Und  als  nun  gar  Anianus  erkrankte 
und  auch  nach  seiner  Genesung  noch  über  Kopfweh  und 
Augenschmerz  zu  klagen  hatte,  da  bewährte  Hosius  ihm 
eine  so  liebenswürdige  und  herzliche  Fürsorge  und  schrieb 
selbst  an  Laski  so  eindringend,  wie  nur  edle  brüderliche 
Gesinnung  es  vermochte.  Auch  bei  Lazaro  Bonamico,  den 
Hosius  immer  als  seinen  Lehrer  pries,  führte  er  den 
Anianus  ein  und  so  wie  Hosius  selbst  wird  er  dort  wohl 
die  Bekanntschaft  mit  Reginald  Pole  und  Georg  Sabinus 
gemacht  haben.  Seine  Bekanntschaft  mit  Paulus  Manutius 
setzte  sich  auch  nach  seiner  Abreise  in  einem  Briefwechsel 


*)  Über   den   poetischen  Kampf  (certamen   inter   cymbam  et 
corbitam)  s.  Cas.  Morawski,  Andreae  Cricii  carmina  S.  156  ff. 

6* 


84  Jakob   Caro. 

fort  Etwa  zwei  volle  Jahre  blieb  Anianus  in  Italien1). 
Dann  kehrte  er  nach  Polen  zurück.  Inzwischen  aber  waren 
allmälig  in  Laski,  gemäss  seiner  eigenen  ansteigenden 
Begeisterung  für  die  Reformation,  Pläne  mit  dem  begabten 
Anianus  entstanden,  von  welchen  man  sich  in  den  Kreisen 
der  Tomicki  und  Cricius  mit  dem  tiefsten  Groll  und  Un- 
willen unterhielt.  Er  wolle  in  dem  Franzosen  einen  Vor- 
kämpfer der  neuen  Lehre  in  Polen  sich  heranbilden,  er 
sei  bestimmt,  der  „Apostel  Polens"  zu  werden.  So  gehässig 
solche  Nachrede  auch  gemeint  war,  es  unterliegt  keinem 
Zweifel,  dass  sie  die  volle  Wahrheit  enthielt  Das  huma- 
nistische Spiel  mit  Versen  und  Zänkereien,  mit  gelehrten 
Traktaten  und  ciceronianischen  Vorträgen  und  Episteln 
ionnte  er,  nachdem  er  selbst  aus  dieser  naiven  Glück- 
seligkeit und  wesenlosen  Schwärmerei  getreten,  nachdem 
er  selbst  in  die  Untiefen  der  dogmatischen  Systeme  geraten 
und  in  der  Klärung  derselben  seine  eigene  Lebensaufgabe 
gefunden,  nicht  mehr  als  das  Ziel  seines  Lieblings  an- 
sehen. Unstreitig  wollte  er  sich  in  dem  Jüngling  einen 
Mitarbeiter  an  dem  Reformationswerke,  das  ihm  vorschwebte, 
erziehen,  einen  Mitarbeiter,  der  weniger  als  er  in  Polen 
gebunden  wäre  durch  Rücksichten  auf  Familie,  auf  soziale 
und  politische  Pflichten.  Und  dafür  gab  es  nur  eine  ge- 
eignete Bildungsstätte  damals  —  Wittenberg. 

Dorthin  beschloss  er,  seinen  Schützling  zu  senden,  und 
als  Mentor  und  Leiter  seiner  Studien  gab  er  ihm  unsern 
Fricius  mit.  So  kam  es,  dass  Fricius  dem  Hofdienst  für 
einige  Jahre  entsagte  und  in  die  Lage  kam,  die  theologischen 
Zeitfragen  von  einer  andern  Seite,  als  ihm  in  der  Heimat 
geboten  war,  zu  studieren.  Man  wird  sich  erinnern,  dass 
er  in  dem  Schreiben  an  den  Papst  Paul  IV.  von  den  un- 
glaublichen Schwierigkeiten  spricht,  die  ihm  das  Eindringen 
in   diese   ihm    bisher  ferner  gelegene  Richtung  bereitete. 


*)  Über  den  Aufenthalt  in  Italien  und  sein  Verhältnis  zu 
Hosius  vgl.  die  interessanten  schönen  Briefe  des  Anianus  und  Hosius 
an  Laski,  die  Dalton  in  den  Evang.  Reform.  Blättern  Jahrg.  IL  1892 
Nr.  10  und  11  mitgeteilt  hat.  —  Übersehen  hat  Dalton  den  Brief 
«des  Paulus  Manutius  bei  Gabbema  S.  65. 


Andreas  Fricius  Modrevius.  85 

Aber  wir  werden  uns  überzeugen,  dass  er  auch  in  der 
neuen  Sphäre  jenem  Grundsatz  treu  geblieben  ist,  den  er 
als  die  Methode  aller  seiner  Forschungen  bezeichnet,  die 
Quellen  vorurteilsfrei  nach  ihrem  schlichten  Sinn  zu  prüfen 
und  zwischen  den  widerstreitenden  Lehrmeinungen  sich 
eine  eigene  selbständige  Ansicht  herauszuarbeiten.  Wir 
werden  uns  überzeugen,  dass  er  diese  Freiheit  auch  den 
gefeierten  und  von  ihm  selbst  aus  dem  Herzensgrunde 
tief  verehrten  Autoritäten  der  neuen  Lehre  gegenüber  be- 
wahrte. Es  wird  sich  zeigen,  dass  selbst  die  vertrauten 
freundschaftlichen  Verhältnisse  zu  Melanchthon  ihn  nicht 
veranlassten,  sich  von  seinen  Doktrinen  über  die  wichtigsten 
religiösen  Anliegen  gefangen  nehmen  zu  lassen.  Hier 
haben  wir  nur  anzumerken,  dass  im  Wintersemester  1532^ 
unter  dem  Rektorat  des  Schwaben  Ulrich  Schilling  unser 
Fricius  und  der  seiner  Obhut  empfohlene  Anianus  neben 
einander  in  die  Matrikel  der  Wittenberger  Universität  ein- 
getragen wurden1). 


*)  Focrstemann  Alb.  acad.  Vitemberg.  S.  144  findet  man  den; 
Andreas  Petrus  Fritz.  Der  Name  Petrus  könnte  Zweifel  erregen, 
ob  damit  Fricius  gemeint  sei,  da  er  sonst  niemals  als  dem  Andreas 
angehörig  vorkommt.  Die  Berufung  Dylewskis  (S.  36  Note  36)  auf 
Janocki  (Janociana  I  S.  84)  für  die  Gültigkeit  kann  uns  gar  nichts 
nützen,  denn  Janocki  hat  keine  andern  Quellen,  als  wir,  und  hat 
übrigens  die  Matrikel  niemals  eingesehen.  Ich  würde  trotz  Janocki 
und  obgleich  ich  es  für  einen  neckischen  Zufall  halten  müsste,  dass 
da  zu  gleicher  Zeit  ein  Andreas  Fritz  und  ein  Andreas  Petrus  Fritz 
studierten,  daran  zweifeln,  dass  diese  Inskription  unsern  Fricius  be- 
trifft, wenn  nicht  unmittelbar  darnach  inskribiert  wäre:  Nicolaus 
Hamanus,  wobei  ich  anzumerken  habe,  dass  Melanchthon  auch  nicht 
Anianus  sondern  Amanus  schreibt  (Corp.  ref.  II  col.  838  Nr.  1251). 
Hierdurch  erfährt  man*  aber  auch  zum  ersten  Mal,  dass  Anianus  den 
Vornamen  Nicolaus  hatte.  —  Malecki  (Bibl.  Ossol.  V,  152)  will  über- 
haupt ein  Studium  des  Fricius  in  Wittenberg  nicht  zugeben,  da  er 
damals  schon  ein  Alter  erlangt  hatte,  das  ihn  zu  einer  seltsamen 
Figur  auf  den  Schulbänken  der  Universität  gemacht  hätte.  Aber 
weder  an  andern  Hochschulen  noch  gar  in  Wittenberg  würde  der 
etwa  dreissigjährige  Mann  unter  den  Scholaren  aufgefallen  sein.  Es 
gab  ältere  damals  dort,  verheiratete  Leute,  Doktoren  und  Männer 
von  distinguierter  Stellung.  Manche  haben  sich  den  Aufenthalt  in 
der  Stadt  nur  durch  die  Immatrikulation,  die  sie  der  Privilegien  der 


B6  Jakob   Caro. 

Die  Aufnahme  der  beiden  Lernbegierigen,  die  von 
Jan  Laski  Briefe  und  Geschenke  für  Melanchthon  mit- 
brachten, scheint  die  freundlichste  gewesen  zu  sein.  Seit 
-einigen  Jahren  schon  stand  Laski  mit  Melanchthon  im 
Briefwechsel.  Der  herzenswarme  Ton,  der  alle  Schreiben 
des  grossen  Reformators  auszeichnet,  nahm  hier  noch  einen 
besonderen  Accent  an.  Er  kam  den  Ideen  und  Zukunfts- 
plänen des  polnischen  Kirchenwürdenträgers  mit  vollem 
Verständnis  entgegen,  und  von  vornherein  wandte  er 
dem  Anianus  und  bald  auch  seinem  Begleiter  ein  ausser- 
ordentliches Interesse  zu.  Laski  hatte  ihm  einen  Ring 
mit  einem  grossen  Saphir  zum  Geschenk  gemacht.  In 
seinem  überaus  graziösen  Dankschreiben  bemerkt  er,  wie 
die  Himmelsfarbe  des  Steins  ihn  an  die  himmlischen 
Eigenschaften  des  Gebers  erinnern  würde,  und  setzt 
hinzu:  das  kostbare  Juwel  hat  aber  bei  weitem  für  mich 
nicht  den  Reiz  wie  dein  Anianus;  ich  bin  von  seiner  Sanft- 
mut und  seinem  geistvollen  Wesen  so  eingenommen,  dass 
unter  allen  hier  Studierenden  keiner  mir  einen  so  lieben 
Umgang  gewährt1). 

Mit  dem  Eintritt  des  Anianus  in  den  Wittenberger 
Kreis  beginnen  auch  für  Fricius  jene  Jahre  der  innigen 
und  herzlichen  Beziehungen  zu  Melanchthon,  von  denen 
dieser  beim  Abgang  des  Fricius  in  seinem  Schreiben  an 
Veit  Dietrich   in  Nürnberg  spricht,    und    welche    für   die 

Studenten  teilhaftig  machte,  erst  ermöglicht.  Übrigens  wussten  weder 
Malecki  noch  die  Biographen  des  Laski,  die  den  Fricius  behandelten, 
etwas  von  seiner  Immatrikulation  und  von  seiner  Beziehung  zu 
Anianus.  —  Der  einzige  plausible  Einwand,  der  gemacht  werden 
könnte,  wäre  der,  dass  Melanchthon  im  Jahre  1537  sagt,  er  geniesse 
den  Umgang  des  Fricius  „amplius  triennio'*.'  Man  wird  daher  an- 
nehmen müssen,  dass  die  „familiaritas"  der  beiden  Männer  sich  erst 
etwas  später  knüpfte,  was  bei  der  notarisch  sehr  zurückhaltenden, 
schweigsamen  Natur  des  Fricius  (siehe  die  Notiz  bei  Tarnowski, 
pisarze  polit.  I)  ganz  begreiflich  wäre.  —  Aufmerksam  machen  möchte 
ich  noch,  dass  der  Johannes  Vinarius,  den  Melanchthon  in  einem 
Empfehlungsbrief  (Corp.  ref.  III  col.  369  Nr.  1575)  als  den  Begleiter 
des  Fricius  bezeichnet,  als  Johannes  Weymann  in  demselben  Semester 
mit  Fricius  und  Anianus  immatrikuliert  ist.  Foerstemann  a.  a.  O. 
*)  Pascal  S.  113. 


Andreas  Fricius  Modrevius.  87 

ganze  Denkweise  und  öffentliche  Tätigkeit  unseres  Andreas 
so  fruchtbar  geworden  sind.  Keineswegs  war  der  nun 
schon  dreissigjährige,  gelehrte  und  feinsinnige  Fricius 
etwa  nur  der  Schüler  des  Melanchthon  geworden,  wie 
Anianus.  Wir  haben  da  die  Worte  Melanchthons  auf  die 
Wage  zulegen.  Er  schreibt:  *)  „Der  vertrauliche  Umgang 
mit  Fricius,  mehr  als  drei  Jahre  hindurch,  war  mir  nicht 
nur  darum  so  wertvoll,  weil  ich  mit  ihm  in  unserer 
Lieblingswissenschaft  mich  ergötzlich  ergehen  konnte, 
sondern  weit  mehr  deshalb,  weil  er  mich  öfters  in 
schwierigen  Verhältnissen  durch  seinen  Rat  und  durch 
seinen  Zuspruch  unterstützt  und  aufgerichtet  hat."  Fricius 
war  darnach  also  nicht  der  blos  empfangende  Teil,  und 
nichts  würde  weniger  zutreffend  sein,  als  die  Auffassung, 
dass  er  nach  Wittenberg  lediglich  als  ein  lernbegieriger 
Akademiker  gekommen  sei.  Alle  Umstände  zeigen  viel- 
mehr, dass  er  eine  doppelte  Mission  hatte,  einmal  den 
Studiengang  des  Anianus  zu  leiten,  und  zweitens  seinen 
„Patron",  wie  er  Jan  Laski  tituliert,  über  die  wichtigsten 
Vorgänge  am  Mittelpunkt  der  reformatorischen  Bewegung 
und  über  die  Fortschritte  in  der  Klärung  ihres  Lehrgehalts 
zu  informieren.  So  wurde  er  das  vermittelnde  und  ver- 
bindende Glied  zweier  grosser  Faktoren  der  Reformation, 
er,  der  dem  Interesse  für  Theologie  so  fern  stand,  jetzt, 
nun  aber  allerdings  ganz  und  gar,  mehr  fast  als  einem 
Laien  und  Staatsmann  geziemte,  von  diesen  Gegenständen 
erfüllt  wurde. 

Wie  sehr  Melanchthon  sich  die  Ausbildung  des 
Anianus  angelegen  sein  Hess,  und  wie  nahe  er  ihn  seinem 
Herzen  und  seinen  Interessen  gestellt  hatte,  beweist  der 
Umstand,  dass  er  am  Ende  des  Jahres  1534,  als  er  auf 
Veranlassung  des  Landgrafen  Philipp  sich  nach  Cassel 
begab,  um  dort  mit  Bucer  die  dornenvolle  Frage  von  der 
Abendmahlslehre  in  eine  die  Gegensätze  ausgleichende 
Formel  zu  bringen,  den  jungen  Gelehrten  mit  sich  nahm. 
„Wegen    seiner   vorzüglichen    Gaben    und   seines    edlen 


*)  Corpus  reformat.  III  S.  369  Nr.  1574. 


88  Jakob  Caro. 

Charakters,  „schreibt  Melanchthon,"  liebte  ich  ihn  wie  einen 
eigenen  Sohn.  Tisch  und  Wohnung  teilte  ich  mit  ihm 
und  ohne  Unterlass  suchte  ich  ihn  für  Gegenstände  der 
Theologie  und  Philosophie  in  jeder  Weise  zu  interessieren. 
Da  er  die  deutschen  Fürstenhöfe  zu  sehen  wünschte  und 
namentlich  auch  den  bewunderten  Landgrafen  kennen 
lernen  wollte,  lies  ich  gern  ihn  mitreisen.*  Auf  der  Rück- 
reise jedoch  blieb  Anianus  einer  Geldangelegenheit  wegen, 
und  weil  er  bei  den  dort  sich  aufhaltenden  Polen1)  gern 
einige  Tage  verbringen  wollte,  in  Leipzig  zurück,  während 
Melanchthon  seine  Reise  nach  Wittenberg  fortsetzte.  In- 
zwischen steigerte  sich  aber  ein  „leichter  Katarrh",  den  der 
zarte  Jüngling  sich  auf  der  Reise  zugezogen  hatte,  zu  einer 
Pleuritis;  es  fehlte  ihm  nicht  an  ärztlicher  Pflege  und 
Sorgfalt,  aber  die  schwachen  Kräfte  reichten  nicht  aus 
zum  Widerstand  gegen  die  Gewalt  des  Fiebers.  Er  erlag 
nach  wenigen  Tagen  schon.  Melanchthons  Schmerz  war 
grenzenlos.  „Mein  Leben,"  sagte  er,  „hätte  ich  hingeben 
mögen,  um  ihm  das  seinige  zu  erhalten.  Wäre  mein 
eigener  Sohn  gestorben,  es  hätte  mich  nicht  so  erschüttert. u 
Eine  ergreifendere  Totenklage2)  findet  man  in  keinem 
Briefe  des  grossen  Mannes  wieder.  Aber  sein  Schmerz 
sollte  ihm  noch  mehr  verbittert  werden.  „Wegen  seiner 
Beziehungen  zu  Melanchthon"  versagte  das  unduldsame 
Leipzig  dem  verblichenen  Jüngling  ein  ehrliches  Begräbnis, 
und  da  die  Freunde  nicht  dulden  wollten,  dass  er  an 
ungeweihtem  Orte  eingescharrt  würde,  brachten  sie  die 
Leiche  nach  Wittenberg,  wo  Melanchthon  sie  unter  feier- 
lichem Geleit  der  akademischen  Bürger  —  der  Anschlag 
am   schwarzen  Brett  von  Seiten  Melanchthons   hat   sich 


*)  Der  hervorragendste  der  damals  anwesenden  Polen  dürfte 
wohl  Stanislaw  Koscielecki,  der  Sohn  des  Wojewoden  von  Kaiisch, 
gewesen  sein.  (Leipziger  Matrikel  in  Archiwum  do  dziejöw  oäwiaty  II 
S.  428.  Er  war  ein  Schwestersohn  des  Jan  Laski.  Vgl.  den  Brief  des 
Anianus  an  Laski;  den  Dalton  in  den  Evang.  Reformierten  Blättern 
Jahrg.  II.  (1892)  Nr.  11,  S.  128  mitgeteilt  hat. 

2)  Corp.  ref.  U  col.  838  Nr.  1251. 


Andreas  Fricius  Modrevius.  89 

erhalten1)  —  in  der  Fürstengruft  der  Schlosskirche  bei- 
setzen Hess.     Melanchthon   selbst  hielt  die  Grabrede,   in 
•der    er   den  Verstorbenen  den  „Apostel  Polens"    nannte 
und  ausführte,   dass   „Polen  einen  unersetzlichen  Verlust 
erlitten  habe,    denn  wenn  irgend  Jemand,    dann  war  er 
dazu  vorgebildet,  um  die  Polen  vom  Irrwege  auf  den  des 
Heils  zu  leiten."      Rührend    sind    die  Trostesworte,   die 
Melanchthon  seinem  gemütvollen  Bericht  an  Laski  hinzu- 
fügt, und  gegen  den  Schluss  des  Schreibens  bemerkt  er: 
.„Über  den  Nachlass  des  Anianus  wird,  wie  ich  annehme, 
Petrus  schreiben"2).     Unter  diesem  Petrus  haben  wir  wohl 
niemand  anders,  als  unsern  Fricius  zu  verstehen8),  der  alle 
Ursache  hatte  zu  wünchen,   dass  in  einem  Schreiben  des 
Ketzerfürsten  an  den  hinreichend  schon  der  Ketzerei  ver- 
dächtigen und  gehassten  polnischen  Kleriker  seiner  nur 
mit  dem  neutralen  Namen  gedacht  wird,  der  in  der  Heimat 
für  ihn  nicht  üblich  war;  denn  geriet  der  Brief  in  falsche 
Hände  und  erfuhr  man  seinen  gegenwärtigen  Aufenthalt, 
dann  war  es  um  seine  fernere  Beamtenlaufbahn  in  Polen 
geschehen. 

„Das  ist  nun  schon  der  zweite  Kondolenzbrief,  den 
ich  Dir  schreiben  muss",  sagt  Melanchthon  in  seinem 
Bericht  vom  2.  Februar  1535  an  Jan  Laski  über  den  Tod 
des  Anianus.  Der  erste,  den  er  meinte,  betraf  ohne  Zweifel 
die  am  31.  August  1534  erfolgte  Verhaftung  des  Hieronymus 
Laski  durch  Jan  Zapolya.  Wie  ein  Donnerschlag  hatte 
die  Nachricht  davon  den  in  Käsmark  weilenden  Jan 
getroffen.  Wegen  schwerer  Krankheit  bettlägerig,  in 
furchtbarer  Geldnot,  so  arm,  dass  ihm  die  Hände  sanken, 
ratlos,  was  er  beginnen  sollte,  zumal  die  Hintersassen  in 
Käsmark,  sobald  sie  vernahmen,  dass  ihr  Herr  im  Kerker 


x)  Intimatio  de  funere  Amani  deducendo.  Corp.  ref.  II  col.  838 
Nr.  1250. 

2)  S.  die  Anmerkungen  zu  Nr.  16  der  Epistolae  Stan.  Hosii  I 
S.  36,  wo  die  Auszüge  aus  den  Briefen  des  Görski  und  des  Drzewicki 
mitgeteilt  werden,  die  mit  Melanchthons  Briefen  übereinstimmen. 

3)  Es  ist  hier  besonders  daran  zu  erinnern,  dass  Fricius  in 
Wittenberg  immatrikuliert  war  als  „Andreas  Petrus  Fritz. 


9°  Jakob   Caro. 

zu  Ofen  sich  befände,  störrisch,  aufsätzig  in  offenen  Auf- 
ruhr ausbrachen  —  so  schildert  Jan  seine  Lage  in  einem 
Schreiben  an  die  Königin  Bona.  Sollte  er  schmachvoll 
fliehen  und  dieses  grosse  Besitztum  seines  Bruders  im 
Stich  lassen?  Mit  äusserster  Anstrengung  raffte  er  sich 
auf,  flammende  Briefe  schrieb  er  an  den  greisen  König 
von  Polen,  an  seine  einflussreiche  Gemahlin,  an  den  ihm 
verhassten  Vizekanzler,  den  Bischof  Tomicki  von  Krakau, 
der  übrigens  grossmütig  der  erste  war,  der  sofort  für  die 
Rettung  und  Befreiung  des  Hieronymus  eintrat.  Die  durch 
Nebenumstände  aufgehaltene  und  zögernd  gewährte  diplo- 
matische Intervention  des  Königs  hatte  keinen  Erfolg. 
Inzwischen  hatte  sich  Jan  an  den  deutschen  König 
Ferdinand  gewandt,  während  sein  jüngerer  Bruder  Stanislaw 
an  den  bairischen  Hof1)  und  von  dort  zu  Franz  I.  von 
Frankreich  geeilt  war.  Auch  eine  zweite  viel  nachdrück- 
lichere Intervention  König  Sigmunds  blieb  ohne  Ergebnis. 
Mittlerweile  hatte  aber  Jan  den  Hetman  Tarnowski  zu 
bewegen  gewusst,  dass  er  mit  ihm  zusammen  kurz  vor 
Weihnachten  zunächst  nach  Ofen  eilte,  um  den  Gefangenen 
zu  sprechen,  und  als  dies  nicht  durchzusetzen  war,  nach 
Wardein  reiste,  wo  Zapolya  sich  damals  aufhielt  Es  ging 
das  Gerücht,  dass  dieser  ergrimmte  Monarch  schon  den 
Befehl  gegeben  habe,  den  Hieronymus  in  der  Donau  zu 
ertränken.  Man  kann  daher  denken,  wie  pein volle  Wochen 
Jan  in  Wardein  während  der  Unterhandlungen  des  Het- 
mans  mit  Zapolya  zubrachte.  Erst  in  den  letzten  Tagen 
des  Januar  1535  endlich  verstand  sich  Zapolya  gegen 
weitreichende  Bürgschaften  von  Seiten  des  Hetmans 
Tarnowski  und  des  von  einer  Wallfahrt   heimkehrenden 


2)  Ad  vocem  bairischer  Hof  möge  hier  doch  ein  Zug  angeführt 
werden,  welche  die  Moral  der  Laski  bezeichnet  Die  Agenten  der 
bairischen  Herzöge  in  Ungarn  liessen*ihre  Correspondenz  nach  Krakau 
an  einen  Juden  gehen,  der  sie  dann  von  dort  nach  München  schickte. 
Diesen  Juden  wusste  Hieronymus  so  zu  gewinnen,  dass  er  alle  ihm 
zugehenden  Briefe  dem  Jan  Laski  zeigte,  der  sie  abschrieb  und 
seinem  Bruder  Hieronymus  übersandte.  (Bei  Hirschberg,  Hier.  L. 
nach  Muffat,  Quellen  und  Erörterungen  zur  bair.  u.  dtschn.  Gesch.  IV 
S.  285. 


Andreas  Fricius  Modrevius.  91 

Kastellans  von  Krakau,  des  Jan  Tqczynski,  dazu,  dem 
Hieronyraus  die  Freiheit  zu  geben  und  ihn  von  jeder 
weitern  Dienstpflicht  zu  entbinden. 

An  eben  dem  Tage  aber,  am  26.  Januar,  an  welchem 
der  Vertrag  mit  Zapolya  zu  Stande  gekommen  war,   bat 
Jan  Laski  zum  zweiten  Mal   —   sein  erster  Bote,   Oppel 
v.  Vitzthum  war  nicht  vorgelassen  worden  —  den  König 
Ferdinand  um  einen  Geleitsbrief,  um  persönlich  dem  bisher 
bekämpften  Nebenbuhler  des  Zapolya  die  Dienste  seines 
Bruders  anzubieten.     Ferdinand  empfing  Jan  Laski  zwar 
in  Znaim  in  Mähren  sehr  gnädig,  forderte  aber  vor  allem, 
dass  Jan  öffentlich  und  feierlich  Abbitte  tun  müsse  wegen 
der  Kriegserklärung,   die  sein  Bruder  vor  sieben  Jahren 
gegen  ihn  hatte  ergehen  lassen.    Die  Zumutung  war  denn 
doch    furchtbar,    aber   aus  Liebe  zu  seinem  Bruder  und 
doch  wohl  auch  in  dem  heissen  Verlangen   nach  Rache 
an  Zapolya  vollzog  Jan  in  Znaim  den  demütigenden  Akt 
Dennoch  aber  war  das  Misstrauen  Ferdinands  nicht  so 
leicht  zu  überwinden.    Jan  reiste  im  März  mit  schwachen 
Vertröstungen  nach  Käsmark  zurück,  und  bald  sah  er  sich 
im  April  durch  den  unvermuteten  Überfall  eines  der  Partei- 
gänger des  habsburgischen  Hauses,  der,  wie   es  scheint,, 
zu   dem  Versuch    der   Demütigung    des    anspruchsvollen 
Wojewoden  beauftragt  war,   in  kriegerische  Händel  ver- 
wickelt   Auch  hierbei  sehen  wir  Jan  Laski  noch  in  voller 
Tätigkeit,  dann  aber  tritt  er  mehr  in  den  Hintergrund,  und 
Hieronymus   übernimmt   selbst   die   schwierige   Aufgabe,, 
nicht  nur  das  Misstrauen  des  Habsburgers  zu  überwinden, 
sondern  zugleich  für  seine  Dienste  glänzende  Besoldungen 
und  Vorteile  herauszuschlagen.     Über  ein  Jahr  dauerten 
die  Verhandlungen,   und   erst   am    12.  Mai   1536   erteilte 
Ferdinand  dem  Rat  Markus  Pemflinger  den  Auftrag,    mit 
dem  Wojewoden  abzuschliessen,  und  im  September  des- 
selben Jahres   —  die  Daten  sind  für  unsern  Stoff  nicht 
ohne  Bedeutung  —  leistete  Hieronymus  dem  Habsburger 
den  feierlichen  Eid  der  Treue  als  Mitglied  des  Rats  der 
ungarischen  Krone.     Das  Haus  Laski   stand  wieder  auf 
der  Höhe,    und    der    österreichische    Sold    scheint    auch 


92  Jakob   Caro. 

wieder   der   Armut   auf  Schloss  Käsmark   abgeholfen    zu 
haben  *). 

Unverzüglich  darauf  —  offenbar  hatte  Jan  Laski  nur 
diese  Lösung  der  für  sein  Haus  so  entscheidenden  Frage 
abgewartet  —  reiste  er  nach  Deutschland  ab. 

Wann  und  wo  Jan  Laski  die  Nachrichten  vom  Tode 
des  Anianus    empfangen  hatte,   ist   nicht   überliefert     Es 
muss  in  der  Zeit  geschehen  sein,  da  die  Erlösung  seines 
Bruders   aus  der  Gefangenschaft  glücklich  errungen  war 
und  die  Einleitung  eines  Verhältnisses  zum  Hause  Habs- 
burg und  die  Zurückweisung  des  Gewaltstreichs  auf  die 
ungarischen    Besitzungen    die    ganze    Spannung    seiner 
Kräfte  in  Anspruch  nahm.    Dann  aber,   als  Hieronymus 
selbst  wieder   die  Geschäfte  des  ehrgeizigen  Hauses  zu 
leiten  vermochte,  bemächtigte  sich  des  Jan  das  Bedürfnis 
der  Ruhe,    der  Einsamkeit  und  Sammlung.    Er  zog  sich 
auf  ein  Schloss  seines  Bruders,  auf  Rytwian,  zurück,  und 
ganz  in  Studien  sich  versenkend,  verbot  er  seinen  Dienern 
sogar,   ihn  anzureden2).    Je   mehr   ihn  aber  die  ihn  um- 
gebende Clerisei  mit  ihren   Intriguen,   mit  ihrer   Gelehr- 
samkeitscoquetterie,  ihrer  Stellenjägerei  und  ihrer  Frivolität 
anwiderte,  desto  mehr  sehnte  er  sich  nach  dem  Gedanken- 
austausch   mit  gleichgestimmten,   freien   Seelen,    die   sich 
über  den  vermoderten  Schlendrian,  über  die  abgestorbene 
und    ausgebrannte    alte    Kirche    emporschwangen.     Wie 
beneidete  er  den  Fricius  —  es  sind  seine  Worte  —  um 
das  Glück  des  Umgangs  mit  Melanchthon3).  Er  drückte  dem 
Fricius  in  den  lebhaftesten  Worten  den  Dank  dafür  aus, 
dass  er  zwischen  ihm  und  dem  deutschen  Reformator  ein 
Band  der  „Freundschaft  und  der  Liebe"  geschlungen  habe. 
Wie  eigen  aber!    Wusste  er  wohl,  dasseben  um  dieselbe 
Zeit,   da  er  die    Sehnsucht   nach   dem   genialen   Meister 
aussprach,  sein  Feind  und  Nebenbuhler,  Andreas  Krzycki, 


*)  Alle    Daten    nach    den   von    Hirschberg,    Hieronim   Laski 
S.  213 — 244  beigebrachten  archivalischen  Materialien. 

2)  Hosii  epp.  Nr.  16. 

3)  ut  vobis    propemodum  iam  illius   (Phiiippi)  consuetudinem 
invideam. 


Andreas  Fricius  Modrevius.  95 

der  Mann,  der  ihn  vielleicht  am  meisten  hasste,  der  ihn  aus  der 
Freundschaft  des  Erasmus  zu  drängen  verstanden  hatte,  der 
Verfasser  des  berüchtigten  giftstrotzenden  Pamphlets  gegen 
Luther,  der   encomia  Lutheri,   und    der  Königlichen  Ver- 
folgungsedikte,  schon  fünf  Jahre  früher  mit  Melanchthon 
eine    Korrespondenz    angeknüpft    hatte,    um    ihn    unter 
Eröffnung  goldener  Perspektiven   nach  Polen  zu  locken, 
in     der    vermessenen    Hoffnung,    den    Mitschöpfer    der 
Reformation  aus  seinem  weltgeschichtlichen  Beruf  reissea 
und  zu  einem  bestochenen  Renegaten  herabwürdigen  zu 
können?    Wusste  Laski,  dass  diese  frivole  Vermessenheit,, 
welche  der  mit  Personen  und  Verhältnissen  nicht  bekannte 
Melanchthon    durch:   ein    in    seiner    sanften   Weise    aus- 
weichendes Wort  nicht  entmutigt  hatte,  gerade  jetzt  das 
Spiel  wieder  aufgenommen  hatte  *)  ?    Und  wusste  er,  dass 
Cricius  seine  unverfrorene  Zuversicht  und  seine  intriguante 
Absicht  der  römischen  Curie  sogar  vorzutragen  den  Mut 
hatte,   und  dass  diese  eben  damals  mit  dem  Studium  der 
Melanchthonschen  Schriften  beschäftigt  war,  um  zu  erwägen,, 
ob  sie   dem  polnischen  Bischof  einen  offiziellen  Auftrag 
im    Sinne    der    Umgarnung   des    deutschen    Reformators 
erteilen  solle2)  ?  Gewiss  war  Cricius  trotz  seiner  glänzenden 
Begabung  und  seiner  geistreichen  Vielseitigkeit  nicht  der 
Mann,  der  Melanchthon    hätte  zu  Falle  bringen   können, 
aber  es  wäre  doch  denkbar  gewesen,  dass  er  in  Anbetracht 
der  preussischen  Verhältnisse  und  der  trotz  aller  Zwangs- 
edikte in  Polen  selbst  anschwellenden  Bewegung  von  dem 
Interesse  seiner  eigenen  Sache  hätte  geboten  halten  können, 


1)  Die  Briefe  Melanchthons  im  Cod.  Cornicensis  des  Fricius, 
beschrieben  bei  Morawski,  Carmina  Cricii,  praef.  XII.  vgl.  Ke^trzynski, 
in  Altpreussische  Monatsschrift.  1871.  VII  Hft.  8.  Bindseil,  Ergänzung 
zu  Mel.  epp.  S.  50  Nr.  676*. 

2)  Korzeniowski,  Analecta  Romana  in  Scriptt.  rer.  Pol.  XV 
Nr.  91  (Academ.  Crac.)  aus  den  Acta  consistorialia  camerariorum  II: 
1535  Januar  15.  Demandatum  est  decano  sacri  collegü  et  collegis 
suis  de  congregatione,  ut  examinarent  litteras  Philippi  Melanthonis 
et  referrent  in  consistorio,  ut  posset  deliberare,  an  episcopo  Plocensi 
(Andr.  Cricio)  sit  committendum,  ut  auctoritate  apostolica  vocet  ad  se 
et  studeat  revocare  ad  unitatem  fidei  christianae,  vel  ne. 


-94  Jakob   Caro. 

die  polnische  Einladung  ernst  zu  nehmen  und  die  Hinter- 
list zu  verkennen.  Da  aber  zeigt  sich  uns  ein  Verhältnis, 
in  welchem  Fricius  Gelegenheit  hatte,  dem  Reformator 
einen  wesentlichen  Dienst  zu  leisten.  Wenn  Melanchthon 
nicht  mehr,  wie  noch  zwei  Jahre  zuvor  (1533),  seine  Ankunft 
in  Polen  in  Aussicht  stellte,  wenn  er,  soviel  wir  wissen, 
überhaupt  die  Korrespondenz  mit  dem  geheimen  Kommis- 
sionär der  römischen  Kurie  abbrach,  obwohl  der  Mann 
eben  im  Begriff  stand,  die  höchste  Staffel  der  Hierarchie 
in  Polen,  den  Primatensitz  zu  ersteigen,  so  mag  es  wohl 
dem  Einfluss  des  Fricius  zuzuschreiben  sein,  der,  um 
Melanchthons  Ausdruck  zu  gebrauchen,  „in  schwierigen 
Verhältnissen  ihm  mit  seinem  Rathe  beistand",  der  Personen 
und  Dinge,  die  in  Polen  massgebend  waren,  darzulegen 
und  namentlich  die  wahre  Natur  des  Cricius  dem  harm- 
losen und  vertrauenden  Melanchthon  zu  enthüllen  in  der 
Lage  war1). 

Während  nun  solcher  Weise  Fricius  sich  zwischen 
Melanchthon  und  den  ihm  von  Rom  zugedachten  Beicht- 
vater stellte,  suchte  er  die  Beziehungen  zwischen  jenem 
und  Laski  enger  zu  knüpfen.  Denn  je  mehr  Fricius  in 
die  Kirchenreformfragen  eingedrungen  war,  desto  mehr 
-stärkte  sich  seine  Überzeugung,  dass  Jan  Laski  dazu 
berufen  sei,  in  seinem  Vaterlande  den  neuen  Geist  zum 
Durch bruch  zu  bringen,  und  dass  er  wie  kein  Anderer 
für  die  höchste  Stelle  der  Hierarchie  sich  eigne.  Und  der 
Zeitpunkt  schien  gekommen,  dass  dieses  Schicksal  sich 
erfüllte.  Im  Herbst  des  Jahres  1535  raffte  der  Tod  nach 
einander  den  Erzbischof  Matthias  Drzewicki  von  Gnesen 
und  den  Bischof  von  Krakau,  den  Vizekanzler  Tomicki, 
hin2).  Für  beide  Stellen,  im  Einfluss  mindestens  coor- 
diniert,  glaubte  Fricius  keinen  berechtigteren  Bewerber  sich 
denken  zu  können.     Wohl  wusste  er,   dass   die  Stimme 


x)  Zur  Charakteristik  ist  auf  die  meisterhafte  Stelle  in  der  von 
Stan.  Görski  verfassten  vita  Cricii  (Morawski,  carmina  Cricii,  praefatio 
S.  XL)  zu  verweisen. 

2)  Matthias  Drzewicki,  der  Erzbischof  von  Gnesen,  starb  am  21. 
August,  Peter  Tomicki,  der  Bischof  von  Krakau,  am  29.  Oktober  1535. 


Andreas  Fricius  Modrcvius.  95 

cles    Rechts  und  der  Vernunft  in  Gefahr  stehe,    von   der 
Intrigue  und  Bestechung  erdrückt  zu  werden.    Er  griff  zur 
Feder  —  es  ist  die  erste  Schrift  von  ihm,   die  wir  zwar 
nicht  besitzen,  von  der  wir  aber  sichere  Nachricht  haben. 
Mit    hohem    Schwung1)    pries    er   die   Tugenden    seines 
Gönners  und  mit  Eifer  wies  er  darauf  hin,  dass  jetzt  das 
Vaterland  sie  am  geeigneten  Orte  zu  verwerten  die  Mög- 
lichkeit habe.    So  treuherzig  dieser  Appell  an  die  Freunde 
des  Gefeierten  auch  empfunden  war,  er  konnte  doch  nach 
Lage  der  Verhältnisse  nur  peinlich  wirken.    Laski   selbst 
äusserte   sich   beklommen,   er  glaubt  zu  bemerken,   dass 
selbst    seine   wärmsten  Anhänger,    die    von    der    Schrift 
Kunde  erhalten  haben,  sich  kühl  abwenden.    Er  fürchtet, 
dass  man  in  der  „declamatio"    von  ihm  bestellte   Arbeit 
finden   würde,   und    bittet   bei   weiterer  Verbreitung   der 
Schrift  doch  ausdrücklich  zu  erklären,    dass    er   ihr   fern 
stehe.    Ganz   abgesehen  davon,    dass   die    Ämter   längst 
anderen    bereits   zugesagt   sind,    er  würde  sie,   wenn  sie 
ihm  angeboten  würden,    doch    ablehnen   —   zumal  jetzt. 
Angesichts     der     mit     wenig    Ausnahme     herrschenden 
Charakterlosigkeit  bleibe    man    überhaupt   lieber  von   all 
diesem  Trouble  so  fern  als  möglich,   und  am  wenigsten 
möchte  er  sich  jetzt  um  irgend  etwas  bewerben.     Dieser 
unzweifelhaft    aufrichtige   Erguss   von   Resignation   kenn- 
zeichnet die  trübe  Stimmung  Jan  Laskis  und  zeigt,   wie 
hoffnungslos    er   die   Entwickelung   der   reformatorischen 
Bewegung  in  Polen  ansah.     Es  überraschte  ihn  ja  nicht, 
wie  er  selbst  andeutet,    dass   unter   der  Einwirkung  der 
„Gynaekokratie",    die  zur  Zeit  in  seinem  Vaterlande    die 
Obermacht  hatte,    ein  Andreas  Cricius  den  Primatenstuhl 
bestieg,  um  von  diesem  hohen  Throne  den  Mädchen  den 
Rat  zu  erteilen,  si  non  caste,  saltem  caute  vivere,  und  dass 
den  durch  tausend  Verdienste  geweihten  Platz  Tomickis 
ein  Jan  Latalski  einnahm,    den  sein  Bruder  Stanislaw  in 
aller  Kürze   „hohl  und   betrunken",     Cricius   selbst   aber 
noch  viel  schlimmer  charakterisiert2).     Der   Modergeruch, 

*)  declamatorio  modo. 

2)  Diaeta  Asiana  in  Cricii  carmina  ed.  Morawski  S.  278,  295. 


g6  Jakob   Caro. 

der  aus  dem  Zusammenbruch  der  bisherigen  kirchlichen 
Organisation  emporstieg,  wehte  Jan  Laski  widerlich  ent- 
gegen. Wie  gern  hätte  er  wohl  einen  geistvollen  jungen 
Mann,  wie  Hosius,  der  damals  noch  nicht  Priester  war, 
um  den  aber,  seitdem  er  aus  Bologna  zurückgekehrt  war, 
von  allen  Seiten  geworben  wurde,  an  sich  gefesselt,  um 
mit  ihm  zu  forschen,  zu  disputieren,  das  Treiben  des  Clerus 
zu  verachten,  zu  schwärmen  und  Zukunftspläne  zu 
schmieden.  Aber  auch  da  fand  er  keinen  Anklang,  und 
an  dieser  Ablehnung  konnte  er  bemessen,  wie  tief  er 
schon  die  Hoffnung  auf  einen  seinen  Idealen  entsprechenden 
Wirkungskreis  im  Vaterlande  herabstimmen  müsse. 

In  dieser  Depression  des  Gemütes  mussten  ihm  die 
Briefe  und  Berichte  des  Fricius  vom  Mittelpunkte  des 
neuen  Evangeliums  her  von  herzerfreuender  und  Entschlüsse 
weckender  Bedeutung  sein.  Wir  würden  der  einen 
erhaltenen  Probe  nach  zu  urteilen  über  manchen  Punkt 
aus  den  Vorgängen  und  Anschauungen  der  Wittenberger 
Kreise  durch  einen  ruhigen  objektiven  Beobachter  auf- 
geklärt werden,  wenn  wir  diese  Korrespondenz  besässen. 
Dass  sie  möglichst  mit  Geheimnis  umhüllt  und  zum  Teil 
in  Chiffren  geführt  war1),  hätte  nur  als  ein  Vorzug  gelten 
können,  denn  um  so  rücksichtsloser  sprachen  sich  dann 
unter  den  Vorkehrungen  gegen  fremde  Neugier  die  Mei- 
nungen aus.  Und  man  denke,  -welche  grossen  Ereignisse 
damals  in  den  Wittenberger  Kreisen  sich  abspielten.  Ist 
es  doch  die  Zeit,  die  der  neueste  geistvolle  Geschichts- 
schreiber der  Reformation  schlechthin  als  „die  Glanz- 
periode des  deutschen  Protestantismus"  bezeichnet.  Von 
allen  aber  dürfte  keines  so  sehr  das  Interesse  Jan  Laskis 
in  Anspruch  genommen  haben,  als  die  Verhandlungen, 
die  zum  Abschluss  der  Wittenberger  Concordie  geführt 
haben.  Und  gerade  hierüber  sind  wir  so  glücklich,  einen 
ausführlichen  Brief  des  Fricius  zu  besitzen. 

Wo  Fricius  sich  eigentlich  damals  aufhielt,  ist  nicht 
erkennbar.     Der  Brief  ist   aus  Crotovium   datiert.     Dass 

i)  Siehe  das  Postscript  des  Laskischen  Briefes  an  Fricius  und 
meine  Note  zu  dem  Briefe  des  Fricius  an  Laski  bei  Gabbema. 


Andreas  Fricius  Modrevius.  97 

darunter  nicht  Krakau  zu  verstehen  ist,   zeigt  der  ganze 
Inhalt  des  Briefes.    In  jedem  Falle  muss  es  ein  Ort  in  der 
Nähe    und    in    vielfacher    Verbindung    mit    Wittenberg 
gewesen   sein.     Bekanntlich  war  die  Universität  Witten- 
berg und  namentlich  auch  Melanchthon  im  Sommer  1535 
auf  einige  Monate  bis  zum  Februar  1536  der  Pest  wegen 
nach  Jena  ausgewandert.    Ob   nun  Fricius  auch  dorthin 
seinem  befreundeten  Meister  folgte   oder  sich,  was  wahr- 
scheinlicher, an  einem  andern  nahegelegenen  Ort  aufhielt, 
wissen  wir  nicht  zu  sagen.    Jedenfalls  muss  er  in  der  Lage 
gewesen   sein,    seinen  „Patron*4   von   dem   Fortgang   des 
grossen    Werkes     der    Vereinbarung     des    Gegensatzes 
zwischen  den  oberdeutschen  „Sacramentariern"   und  den 
Wittenbergern    im   Punkte    der   Abendmahlslehre  genau 
und  dauernd  auf  dem  Laufenden  zu  erhalten.    In  einem 
frühern,    uns   nicht   erhaltenen   Schreiben    hatte    er    ihm 
bereits  angezeigt,  dass  die  Oberdeutschen  mit  den  Witten- 
bergern zusammen  kommen  werden1).    Nach  einer  dem 
Fricius  durch  Zbygniew,  dem  der  Vorsicht  halber  als  Ver- 
mittler der  Korrespondenz  zwischengestellten  Vertrauens- 
mann, am   23.  März  1536  erteilten  Nachricht   wollte  Jan 
Laski  jener  Zusammenkunft  beiwohnen.    Es  ist  aber  oben 
bereits    angedeutet    worden,    was     für    kritische    Tage 
eben    in    jenem    Frühling   für    die  Laski    vorüberzogen. 
Bevor  König  Ferdinand  sich   definitiv   für   die  Annahme 
ihrer  Propositionen  ausgesprochen  hatte,  konnte  Jan  wohl 
nicht   gut   sich   nach  Deutschland    begeben.    Jeden   Tag 
wurde  die  königliche  Entscheidung  erwartet,   und  da  sie 
in   der   Mitte    des    Mai   eingegangen    war,    hegte    selbst 
Zbygniew   die  Ansicht,   dass   Jan  Laski   sich    bereits   in 
Wittenberg  und  zwar  mit  Fricius  befände.    Nach  diesen 
Mitteilungen  glaubte  auch  Fricius   sicher,    dass  Laski    in 
Wittenberg  sei,  aber  durch  einen  deutschen  Juristen,  der 
den  Erwarteten  noch  in  Polen  gesehen  hatte,   zweifelhaft 
geworden,    sandte  er  einen  Boten  nach  Wittenberg,   um 
zu  erfahren,  dass  allerdings  Laski  weder  dort  war,   noch 


*)  uti  prioribus  literis  tibi  signifieavi. 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  fttr  die  Prov.  Posen.     Jahrg.  XX. 


98  Jakob   Caro. 

dort  ist,  und  musste  sich  nun  daran  machen,  über  die 
Lage  der  Wittenberger  Concordie  und  über  die  wesent- 
lichen neuerdings  eingegangenen  Nachrichten  von  dem 
Welttheater  schriftliche  Mitteilungen  zu  machen. 

„Es  waren",  so  schreibt  er  am  20.  Juni,  „wie  ich  Dir 
schon  in  einem  früheren  Briefe  angezeigt  habe,  die  Sacra? 
mentarier,  die  einigen  Ruf  genossen,  nach  Wittenberg  zu- 
sammengekommen. Aus  Strassburg:  Wolf  gang  Capito 
und  Martin  Bucer,  aus  Augsburg:  Bonifacius  Wolfhard 
und  (Wolf gang)  Mäuslein,  aus  Ulm:  Martin  Frecht,  aus 
Constanz:  Joh.  Zwick,  aus  Frankfurt:  Joh.  Bernhardi,  aus 
Esslingen:  Jacob  Otther,  aus  Reutlingen:  Matthaeus 
Alberus  und  Johann  Schradin,  aus  Memmingen:  Gervasius 
Schüler,  aus  Veifeld:  Martinus  German;  aus  der  übrigen 
Schweiz  waren  Viele  zugegen,  namentlich  aus  den  Städten 
Basel,  Zürich,  Schafhausen,  Bern,  St.  Gallen,  Biel,  Mühl- 
hausen, Eisenach  (sie!);  aus  Gotha:  Friedrich  Myconius, 
aus  Erfurt:  Justus  Moenius,  der  am  Himmelfahrtstage  die 
Predigt  hielt1).  Diese  haben  nun  acht  Tage  lang  mit  den 
Lutheranern  ernstlichst  über  das  Sakrament  disputiert, 
nicht  öffentlich,  sondern  im  Hause  Luthers.  Nach  langer 
Verhandlung  definierte  Bucer  seine  und  der  obengenannten 
Ansicht  folgendermassen1*. 

Es  folgt  nun  ein  fast  wortgetreuer  Auszug  aus  der 
Conkordienformel2),  der  zeigt,  dass  Fricius,  wenn  er  nicht 
selbst  bei  der  Verlesung  zugegen  war,  das  Schriftstück 
bei  seinem  Briefe  vorliegend  gehabt  haben  muss.  Da  er 
selbst  hinzufügte,  dass  „Nichts  bis  zur  Rückfrage  bei  den 
oberländischen  Brüdern  und  Kirchen  veröffentlicht  oder 
gedruckt  werden  soll",  so  kann  er  die  Urkunde  nur  als 
vertrauliche  Mitteilung  und  wohl  von  Niemand  anders  als 
von  Melanchthon  erhalten  haben.  Bemerkenswert  ist  aber, 
namentlich  in  Rücksicht  seiner  späteren  Stellung  zu  den 
einschläglichen  Fragen,  dass  er  Luthers  mit  keiner  Silbe 
Erwähnung   tut,    dahingegen  Bucer  mit    regem   Interesse 

J)  Luthers  berühmte  Himmelfahrtspredigt   wurde  bekanntlich 
in  der  Vesper  gehalten. 

■)  Corp.  ref.  III  col.  75  Nr.  1429. 


Andreas  Fricius  Modrevius.  99 

In  den  Vordergrund  stellt,  was  freilich  auch  auf  die  Ge- 
sinnung des  Adressaten  berechnet  sein  konnte.  „Bucer", 
50  erzählt  er,  „der  unter  allen  Sakramentariern  als  der 
-Gelehrteste  gilt,  hielt  am  28.  Mai  die  Predigt  in  der 
Wittenberger  Kirche1).  Dort  bezeugte  der  gelehrte  und 
beredte  Mann  zu  allgemeiner  Freude  und  Bewunderung 
öffentlich,  dass  er  und  alle,  die  mit  ihm  gekommen  wären, 
in  allen  Punkten  über  die  Eucharistie  mit  den  Witten- 
berger Doktoren,  die  er  in  den  Himmel  hob  und  als  die 
ersten  Schöpfer  der  derzeitigen  Erneuerung  des  Evan- 
geliums, die  es  in  voller  Reinheit  lehrten,  bezeichnete, 
durchaus  übereinstimmte.  Übrigens  legte  Fricius  dem 
Briefe  einen  Auszug  aus  der  Predigt  bei.  Er  fährt  dann 
fort:  „Nach  der  Predigt  nahmen  Bucer,  Capito  und  viele 
Andere  das  Abendmahl.  So  entstand  die  Conkordie  über 
das  Sakrament,  denn  ohne  Rücksicht  auf  ihren  Ruf  trugen 
jene  Männer  kein  Bedenken,  ihren  Irrtum  öffentlich  ein- 
zugestehen". 

Man  weiss,  wie  bestürzt  die  Wittenberger  Ver- 
sammlung von  den  „mehr  als  tragischen"  Nachrichten  aus 
England  über  die  am  19.  Mai  erfolgte  Hinrichtung  der 
Anna  Boleyn  war.  So  wie  Melanchthon  am  29.  Mai  diesen 
für  die  protestantische  Welt  so  erschütternden  Vorgang 
dem  Justus  Jonas  nach  Erfurt  meldet,  so  berichtet  Fricius 
drei  Wochen  später  dem  Laski,  aber  genauer  in  den 
Nebenumständen,  über  welche  wohl  inzwischen  Mitteilungen 
eingegangen  sein  mochten.  Ferner  erzählt  er  ihm,  dass 
der  Landgraf  Philipp  viele  Wiedertäufer  in  Gefangen- 
schaft hat,  die  wohl  ihr  Leben  werden  lassen  müssen, 
denn  dieser  Fürst  pflege  mit  Aufrührern  keine  Nachsicht 
zu  haben.  Dann  erwähnt  er  der  Konflikte  zwischen  den 
beiden  Linien  des  sächsischen  Fürstenhauses,  die  nur 
durch  die  Vermittelung  der  beiderseitigen  Untertanen 
beigelegt  worden  wären.  Nicht  minder  gut  unterrichtet 
zeigt   sich    Fricius   über  die    Ereignisse   im    Nordwesten. 


x)  Melanchthon  schreibt  am  29.  Mai  an  Justus  Jonas:  Bucer us 
hie  concionatus  est. 

7* 


IOO  Jakob  Caro. 

Er  berichtet  von  den  Verwüstungen  Ostfrieslands  durch 
den  Herzog  (Carl)  van  Geldern,  und  von  der  misslichen 
Lage  Groningens,  wo  Carl,  nachdem  er  mit  dem  Dänen- 
könige Christian  III.  gemeinsame  Sache  gemacht,  mit 
Hülfe  dänischer  Truppen  einen  Zwinger  zu  bauen  ver- 
suchte, wogegen  die  Stadtbewohner  die  Hülfe  der  Stadt- 
halterin  Maria  anriefen.  Er  kannte  auch  die  verwickelten 
Verhältnisse  des  Lübeck-Dänischen  Krieges  und  berichtet 
über  den  im  Februar  1536  zu  Stande  gekommenen 
Hamburger  Frieden  unter  ganz  zutreffender  Angabe  der 
Bedingungen.  „Ausser  der  Hauptstadt  Koppenhagen,  das 
zu  Wasser  und  zu  Lande  belagert,  vom  Herzog  von 
Meklenburg  verteidigt  wird1),  ist  das  ganze  übrige  Land 
pacificiert  und  beruhigt".  Dann  kommt  er  auf  Wullen- 
weber  zu  sprechen,  von  dem  er  zu  sagen  weiss,  dass  er 
der  Anreger  und  Führer  jenes  Krieges,  nunmehr  schon 
seit  etwa  8  Monaten  in  strenger  Haft  von  dem  Herzoge 
von  Braunschweig  gehalten  und  der  Tortur  unterworfen 
worden  wäre.  „Es  geht  das  Gerücht",  fügte  er  hinzu, 
„dass  er  schon  tod  sei".  Das  war  nun  freilich  nicht  be- 
gründet, denn  Wullenweber  musste  sein  trauriges  Geschick 
noch  bis  zum  24.  September  1537  tragen.  Auch  in  diesem 
Falle  setzte  Fricius  eine  Bemerkung  gegen  „die  Aufruhrer* 
hinzu.  Dieser  historisch-politischen  Rundschau  fügt  er 
noch  einige  „Pasquille  und  eine  Prophezeiung  über  den 
Kaiser  bei,  der,  wie  er  sich  ausdrückt,  dem  Franzosen 
(Franz  I.)  mit  eigener  Hand  geschrieben  haben  soll:  „Du, 
der  Du  die  Verträge  nicht  hältst,  gewinne  ich  den  Sieg 
über  Dich,  so  räche  ich  mich  in  Deinem  Blute".  Am 
Schluss  endlich  erwähnt  Fricius,  dass  er  kurz  zuvor  dem 
Laski  die  Allegorie  des  St.  Christophorus  gesandt  und 
nur  vergessen  hätte,  in  das  Packet  auch  die  des  St  Georg 
beizulegen,  die  er  beide  von  Melanchthon  erhalten  habe. 
Er  schicke  das  zweite  dieses  Mal.  Es  sind  das  die  in 
Form  von  Andachtsblättchen  gefertigten  farbigen  Holz- 
schnitte, zu  denen  Melanchthon  einige  Verse  gemacht  und  von 


*)  Kopenhagen  (Hagunia)  fiel  bekanntlich  erst  am  2S.  Juli  1536. 


Andreas  Fricius  Modrevius.  IOI 

deren  Kunstwerk  er  mit  einiger  Selbstgefälligkeit 
spricht l). 

Wir  haben  bei  diesem  Briefe  länger  verweilen 
müssen,  weil  er  doch  das  einzige  uns  zur  Einsicht 
gelangte  Schriftstück  des  Fricius  aus  der  Epoche  vor 
seinem  literarischen  Auftreten  ist  Er  ist  aber  auch  nach  den 
verschiedensten  Seiten  hin  lehrreich.  Während  er  einer- 
seits die  Vertrauensstellung  kennzeichnet,  die  Fricius 
zwischen  Melanchthon  und  Jan  Laski  einnahm,  zeigt  er 
andererseits  die  klare  Sachlichkeit  und  die  umfassende 
Umsicht,  mit  der  er  die  Zeitinteressen  betrachtet.  Wie 
sticht  doch  die  ruhige  und  knappe  Darstellung,  die  gleich- 
sam einen  Querschnitt  der  Tagesfragen  enthält,  weit  ab 
von  der  gezierten  Phrasenhaftigkeit  der  vielen  andern 
Briefe,  die  Jan  Laski  aus  Deutschland  empfing!  Schon 
aus  diesem  einen  Briefe  spricht  die  Tüchtigkeit  des 
Mannes,  die  es  wohl  erklärt,  dass  er  die  Sympathie  des 
grossherzigen  Reformators  erwarb  und  dauernd  fest- 
zuhalten vermochte. 

Mehr  aber,  als  dieses  charakterisierende  Ergebnis 
ist  dem  Briefe  nicht  zu  entnehmen,  namentlich  nichts  für 
die  äussern  Lebensumstände  unseres  Helden,  ausser  der 
Tatsache,  dass  sie  immer  noch  aufs  engste  mit  denen  des 
Jan  Laski  verbunden  waren.  Dieser  Spur  haben  wir 
darum  auch  in  Ermangelung  anderer  Quellen  weiter  nach- 
zugehen. Wenn  gesagt  worden  ist,  dass  Laski  bei  der 
Wittenberger  Theologenversammlung  erwartet  wurde,  so 
ist  das  gewiss  richtig  und  bezeugt,  insofern  Fricius  darauf 


*)  Am  10.  März  1536  schickt  er  dem  Fürsten  Georg  von  Anhalt 
das  carmen  de  icone  Georgii  und  verspricht  bald  auch  die  allegoria 
Christophori  zu  überreichen.  Corp.  ref.  III  S.  45  Nr.  1406.  An  Veit 
Dietrich  schickt  er  sie  erst  am  1.  Dezbr.  a.  a.  O.  col.  194  Nr.  1493 
mit  der  Bemerkung,  sie  seien  nach  der  vor  Dürerischen  Manier  — 
nur  umrissen.  Er  habe  sie  gezeichnet,  andere  hätten  sie  coloriert. 
Den  Christophorus,  meint  er,  würde  auch  Dürer  gelobt  haben.  — 
Luther  habe  das  Gedicht  über  St.  Georg  in  deutsche  Verse  setzen 
wollen  und  schon  einen  Anfang  damit  gemacht.  Dann  aber  sei 
anderes  dazwischen  getreten,  und  er  wird  wohl  nicht  wieder  darauf 
zurückkommen. 


102  Jakob  Caro. 

rechnete,  dort  und  bei  jener  Gelegenheit  mit  ihm  zu- 
sammenzutreffen. Dass  aber  die  Theologen  selbst  oder 
auch  nur  Melanchthon  ihn  erwartet  hätten,  dafür  fehlt 
wenigstens  jedes  Zeugnis.  Schwerlich  aber  ist  anzunehmen, 
dass  Fricius  über  die  Gründe  der  Abhaltung  Jan  Laskis, 
die  vornehmlich  in  dem  hängenden  Zustand  der  Ver- 
handlungen des  Hieronymus  mit  dem  deutschen  Könige 
beruhten,  unterrichtet  war.  Peinlich  genug  mochte  es  dem 
beweglichen  Propst  von  Gnesen  sein,  der  wohl  auch  darum 
die  Einsamkeit  aufgesucht  hatte,  um  nicht  seinem 
erbittertem  Feinde,  dem  zum  Erzbischof  von  Gnesen 
erhobenen  Cricius,  die  Ehren  erweisen  zu  müssen,  von 
den  Umständen  gefesselt  zurückgehalten  zu  werden.  Dass 
ihm  der  Boden  in  Polen  nach  Gestaltung  der  Dinge  durch 
die  jüngste  Besetzung  der  Bischofsstühle  unter  den  Füssen 
brannte  und  dass  es  ihm  wohl  getan  haben  würde,  mit 
den  deutschen  Theologen  in  freier  Diskussion  sich  er- 
gehen zu  dürfen,  begreift  man  wohl.  Wie  verhängnis- 
voll, dass  die  politischen  Verhandlungen  seines  Bruders 
sich  so  hinzogen!  Nun  aber  traf  noch  gar  die  erschütternde 
Nachricht  vom  Tode  des  Erasmus  ein1),  die  für  Laski, 
von  allen  inneren  und  geistigen  Beziehungen  abgesehen, 
noch  ein  besonderes  äusseres  Anliegen  hatte,  insofern  er 
jetzt  durch  Auszahlimg  eines  Restes  der  Besitzer  der 
Bibliothek  des  grössten  aller  Humanisten  wurde.  Er 
musste  dort  in  Basel  sein,  ein  grosses,  vielleicht  unwider- 
bringliches Interesse  stand  für  ihn  auf  dem  Spiele.  Endlich 
in  den  ersten  Tagen  des  Oktober  war  für  ihn  durch  den 
von  seinem  Bruder  Hieronymus  dem  Könige  Ferdinand 
geleisteten  Eid  die  Bahn  frei,  und  schon  nach  wenigen 
Wochen  finden  wir  ihn  in  Basel.  Am  Martinitage  ordnete 
er  durch  Zahlung  der  noch  schuldigen  150  Dukaten  die 
Erbschaft  der  Erasmischen  Bibliothek2).  Bei  den  Buch- 
händlern Froben  und  Bischof  regte  er  eine  Gesamtaus- 
gabe der  Werke  des  grossen  Humanisten  an,  zu  welcher 

*)  Erasmus  starb  am  12.  Juli  1536. 

2)  Nach  der  eigenhändigen  Urk.  vom    12.  Nov.  1536.    Pascal 
S.  116. 


Andreas  Fricius  Modrcvius.  103 

er  100  Dukaten  zur  Verfügung  stellte.  Die  Buchhändler 
lehnten  das  Angebot  wie  das  Unternehmen,  zu  dem  nach 
ihrer  Berechnung  mehrere  tausend  Dukaten  nötig  waren, 
höflich  dankend  ab1).  Inzwischen  aber  hatte  der  nach 
Erasmus  Ansicht  „nerveuse"  Mann  seinen  Fuss  bereits 
weiter  gesetzt.  Wohin  er  von  dort  sich  begeben,  wird 
von  den  Biographen  verschieden  angenommen.  Ob  es 
richtig  ist,  dass  er  nach  Löwen  gereist  wäre,  um  die 
schon  vor  11  bis  12  Jahren  gemachte  Bekanntschaft  mit 
den  Eltern  seiner  zukünftigen  Frau  zu  erneuern  und  die 
Familie  sowie  die  junge  Dame  auf  den  beabsichtigten 
Heiratsantrag  vorzubereiten,  wie  der  neueste  Biograph 
vermuten  zu  dürfen  glaubt2),  mag  wohl  dahingestellt 
bleiben.  Die  Annahme  kann  uns  um  so  weniger  zur  Zu- 
stimmung verleiten,  als  der  Verfasser  ebenso  wie  alle 
seine  Vorgänger  den  einzigen  beglaubigten  Aufenthalt 
des  Laski  gelegentlich  dieser  Reise  übersehen  hat.  Am 
1.  Mai  1537  schreibt  nämlich  Melanchthon  aus  Leipzig  an 
Joachim  Camerarius  ®) :  „Wir  haben  dieser  Tage  viel  ge- 
sprochen TteQl  doyiiariov,  denn  'Iioavvrjg  6  Jdowjg  den  Du 
in  Basel  gesehen  hast,  ist  hier.  In  diesen  unseren  Ge- 
sprächen ist  Deiner  oft  mit  Ehren  gedacht  worden". 

Dieser  Aufenthalt  Laskis  bei  Melanchthon  aber  war 
auch  für  unsern  Fricius  entscheidend,  denn  damit  war  für 
ihn  die  Mission  abgeschlossen,  die  ihm  von  Laski  aufgetragen 
war,  wenigstens  soweit  sie  Wittenberg  betraf.  Er  stand 
im  Begriff,  sich  nach  Nürnberg  für  einige  Zeit  zu  begeben, 
das  er,  nach  der  Angabe  Melanchthons,  für  die  „Leuchte 
Deutschlands"  hielt.  Dort  wollte  er  die  deutsche  Sprache 
sich  aneignen,   das  Kunstleben    studieren    und    mit  Veit 

A)  Gabbema,  Epp.  clarorum  virorum,  ep.  X  von  Hieronymus 
und  Episcopius.    S.  23. 

2)  Pascal  S.  117,  wo  des  Verkehrten  noch  viel  mehr  steht 
8)  Corp.  reform,  m  col.  359  Nr.  1570.  Wenn  man  die  Kontro- 
versen über  den  Zeitpunkt,  wann  Laski  sein  Vaterland  dauernd 
verlassen  hat,  liest,  dann  darf  man  wohl  erstaunen,  dass  diese 
wichtige  Notiz  von  niemandem  bemerkt  wurde.  —  Übrigens  hat 
Dalton,  der  freilich  diese  Reise  vom  Winter  1536I37  nicht  kenntt 
durchaus  Recht,  wenn  er  Laski  1538  noch  in  Polen  vermutet 


104  Jakob  Caro. 

Dietrich  und  anderen  gelehrten  Leuten  in  Verkehr  treten. 
Es  dürfte  kulturhistorisch  bemerkenswert  erscheinen,  dass 
Fricius  nach  einem,  soviel  wir  wissen,  mehr  als  vierjährigen 
Aufenthalt  in  Deutschland  der  Sprache  mächtig  zu  werden 
keine  Gelegenheit  hatte,  so  ausschliesslich  in  lateinischer 
Sprache  wurde  in  den  akademischen  Kreisen  die  Unter- 
haltung gepflogen.  Er  war  dem  trefflichen  Veit  Dietrich 
bereits  im  Melanchthonschen  Hause  bekannt  geworden,  und 
dieser  schätzte  an  ihm  insbesondere  die  Klugheit  und  die 
sorgsame  Pflichttreue,  so  wie  auch  Melanchthon  selbst  in  sei- 
nem Empfehlungsbriefe  diese  Charaktereigenschaften  höher 
noch  als  seine  wissenschaftliche  Erudition  anschlägt  Auch 
den  Begleiter  des  Fricius,  den  Johannes  Winarski,  der  einige 
Zeit  noch  bei  Andreas  bleiben  und  dann  sich  in  Deutschland 
weiter  umsehen  will,  empfiehlt  Melanchthon  dem  Veit 
Dietrich  als  einen  sanften,  taktvollen  und  gebildeten  Mann  l). 
Dass  aber  auch  nach  seiner  Abreise  von  Wittenberg  bei 
Melanchthon  der  von  Fricius  hinterlassene  Eindruck  lange 
Zeit  ungeschwächt  blieb,  ersieht  man  aus  einem  Schreiben 
des  Reformators  vom  Jahre  1539  an  den  Breslauer  Stadt- 
arzt Matthias  Auctus,  einen  grossen  Förderer  der  evan- 
gelischen Sache2),  in  welchem  er  gelegentlich  der  An- 
meldung des  von  Melanchthon  ausgebildeten  Jan  Chrzy- 
stoporski8)  anführt,  dass  der  ausgezeichnete  Jüngling  ihm 
durch  Fricius  zugeführt  sei,  und  „dessen  Empfehlung  gelte 
bei  ihm  sehr  viel"4). 

x)  Die  beiden  Schreiben  im  Corp.  reform.  III,  col.  369  Nr.  1574 
und  1575. 

2)  Der  erste  von  der  Stadt  1533  angestellte  Physikus  (Mark- 
graf, die  städtischen  Medizinaleinrichtungen  Breslaus,  S.  11  und  Beil. 
VII).  Er  stand  mit  den  Boner  in  Polen  in  Korrespondenz.  (Stan. 
Hosii  epp.  S.  50  Nr.  30). 

3)  Melanchthon  schrieb  ihm  1537  „de  purgatorio"  Corp.  ref.  III 
col.  411  Nr.  1607,  ferner  am  5.  Mai  1539,  a.  a.  O.  Nr.  1805,  an  seinen 
Vater  Nr.  1806  und  an  Auctus  das.  Nr.  1804.  Er  hat  später  eine 
hervortretende  Rolle  gespielt  und  eine  Gesandschaft  nach  Rom 
geführt. 

4)  Nam  cum  initio  comendatione  Fricii,  quae  apud  me  valet 
plurimum,  aditus  ei  ad  meam  amicitiam  patefactus  esset,  postea 
eum  libenter  meo  judicio  complexus  sum. 


Andreas  Fricius  Modrevius.  105 

Damit  verschwindet  aber  Fricius  vor  unsern  Augen 
für  mehrere  Jahre.  Dass  er  nun  sich  nach  Süddeutschland 
gewandt  und  dort  noch  etwa  drei  Jahre  geblieben  wäre, 
ist  durch  kein  stichhaltiges  Beweismittel  bezeugt.  Jeden- 
falls würden  dann  seine  Aufgaben  und  Bestrebungen 
nicht  mehr  in  derselben  Richtung  gelegen  haben. 
Unzweifelhaft  blieb  er  auch  jetzt  noch  mit  dem  Hause 
Laski  in  irgend  einer  Verbindung,  aber  schwerlich  hatte 
er  auch  in  dieser  Epoche  noch  den  Interessen  des 
Gnesener  Propstes  zu  dienen. 


Wenige  Jahre  vor  seinem  Tode  noch  beschäftigte 
sich  Professor  Caro  mit  den  Schicksalen  des  Modrevius. 
Am  5.  November  1902  hielt  er  im  Verein  für  Geschichte 
und  Altertum  Schlesiens  einen  Vortrag  über  „Andreas 
Fricius,  ein  Staatsmann  und  Reformator  schlesischer 
Abstammung",  worüber  der  Bibliothekar  an  der  Breslauer 
Stadtbibliothek,  Dr.  Wendt,  in  der  Schlesischen  Zeitimg 
berichtet;  und  da  uns  der  Bericht  in  ganz  knappen 
Zügen  ein  Gesamtbild  dieses  bemerkenswerten  Mannes 
vorführt,  so  sei  aus  ihm  folgendes  entnommen:  „Der  Vor- 
tragende führte  aus,  wie  Fricius,  dieser  wenig  bekannte 
und .  in  seinem  Wesen  und  Wirken  meist  verkannte 
polnische  Staatsmann  des  16.  Jahrhunderts  doch  als  einer 
der  geistvollsten,  originellsten  und  individuellsten  Charaktere 
seiner  Zeit  allgemeine  Anerkennung  verdiene.  Seine 
politischen  und  theologischen  Schriften  zeigen,  wie  er 
seinen  Zeitgenossen  in  vielem  vorauseilte,  wie  er  über- 
raschend früh  die  Erkenntnis  der  organischen  Natur  des 
Staates  zur  Schau  trägt.  Energisch  bekämpft  er  die  für 
den  Gang  der  polnischen  Geschichte  so  verhängnisvolle 
Alleinherrschaft  des  Adels,  übt  ferner  in  einer  Schrift 
über  den  Totschlag  an  der  „Wergeidstheorie",  der 
Bestrafung  des  Mordes  mit  leichter  Haft  und  Geldbusse, 
vernichtende  Kritik  und  entwickelt  in  seinem  1551 
erschienenen  Hauptwerke  „De  emendanda  republica" 
Reformideen  über  die  Steuerverfassung,  das  Schulwesen 
und   anderes,    die    uns  wunderbar   modern   anmuten.    In 


106  Jakob   Caro. 

seinen  theologischen  und  kirchenpolitischen:  über  das 
Abendmahl  unter  beiderlei  Gestalt,  die  Priesterehe,  den 
Gottesdienst  in  der  Landessprache,  die  Konzilsfrage  und 
die  Lehre  von  den  guten  Werken  zeigt  sich  Fricius  als 
so  scharfer  Gegner  der  kirchlichen  Missbräuche,  dass  er 
zeitweilig  infolge  päpstlicher  Verfolgung  die  Heimat  meiden 
musste.  Doch  hat  er  sich  nie  einer  der  neuen  protestan- 
tischen Richtungen  förmlich  angeschlossen.- 


Anhang. 

Der  Brief  des  Andreas  Fricius  vom  ao.  Juni  1535  an  Jan  LaskL 

Dieser  Brief  ist  nicht  blos  für  die  Biographie  des  Fricius, 
sondern  mehr  noch  für  die  des  Jan  Laski  von  grosser  Wichtigkeit, 
und  aus  diesem  letzteren  Grunde  ist  er  öfters  schon  angeführt 
worden.  Wenn  er  aber  ebenso  eingehend  gelesen  worden  wäre, 
als  er  oft  citiert  ist,  dann  würde  doch  wohl  schon  auch  seine  all- 
gemeinere Bedeutung  als  eins  der  unmittelbarsten  Zeugnisse  für  die 
beim  Abschluss  der  Wittenberger  Concordie  obwaltenden  Umstände 
—  neben  Myconius  gepriesen  worden  sein.  Freilich  hat  der  Brief 
bei  seinen  Lesern  und  Citatoren  eigene  Schicksale  gehabt  Von 
Schelhorn  (Ergötzlichkeiten  aus  der  Kirchen-Historie  S.  673),  der 
ihn  zuerst  anführt,  wird  nur  das  Datum  und  der  Abdruck  bei 
S.  A.  Gablema  (sie!)  angezeigt  und  vermutet,  dass  er  von  Fricius 
herstamme.  Aus  dem  Inhalt  wird  nur  geschlossen,  dass  „Crotau4* 
in  Polen  liege,  und  dass  daher  Fricius  seinen  Wittenberger  Aufent- 
halt durch  eine  zeitweilige  Anwesenheit  in  Polen  unterbrochen  haben 
müsse.  Ossolinski  (Wiadomosci  hist.  kryt  IV  S.  120)  hat  nur  das 
Datum  und  den  Adressaten  von  Schelhorn  gelernt,  den  Inhalt  aber 
nicht  gelesen  und  die  Sammlung,  in  welcher  er  gedruckt  ist,  niemals 
gesehen,  denn  sonst  würde  er  von  dem  Stofflichen  der  Mitteilung 
Gebrauch  gemacht  und  den  Herausgeber  nicht  Sim(on)  abb(as) 
Gadema  statt  Simon  Abbes  Gabbema  genannt  haben.  —  Maiecki, 
(Bibl.  Ossol.  V  S.  143  Note)  erwähnt  die  „oberflächliche,  den  Inhalt 
nicht  berührende1'  Notiz  Ossolinskis,  beklagt  aber,  dass  keine  der 
Lemberger  Bibliotheken  die  Sammlung  „Gademas"  besitze,  und  er 
also  keine  Angabe  über  den  Brief  machen  könne.  Dalton  (Johannes 
8  Lasco  S.  167)  kennt  den  Brief  in  seiner  Bedeutung  für  die 
Geschichte  der  Wittenberger  Concordie  und  verwertet  ihn  für  die 
Charakterisierung  der  damaligen  Stimmung  J.  Laskis,  stösst  sich 
aber  daran,  dass  nur  ein  „Andreas  Fr.44  unterzeichnet,  und  „vermutet*, 
dass  Fr.  Fricius  bedeute.  Wie  gesagt,  hat  das  schon  Schelhorn 
getan,  aber  hier  wie  dort  erforderte  die  Vermutung  nicht  zu  viel 


Andreas  Fricius  Modrevius.  107 

Wagnis,  denn  Gabbema  gibt  im  Register  ausdrücklich  an,  dass 
Fricius  der  Briefschreiber  ist.  —  George  Pascal  (Jean  de  Lasco  S.  115) 
citiert  den  Brief  aus  Gabbema  und  folgert  aus  dem  Inhalt,  dass 
Laski  zu  den  Verhandlungen  der  Wittenberger  Concordie  erwartet 
^worden  wäre.  Auch  dies  zeugt  nicht  von  genauem  Studium  des 
Schreibens.  —  Edmund  Dylewski  (Andrzej  Frycz  Modrz.  S.  96)  liess 
sich  den  Brief  durch  Lubowicz  auf  der  Berliner  Bibliothek 
abschreiben,  druckt  auch  die  erste  mehr  Persönliches  enthaltende 
Hälfte  ab,  den  wichtigern  Teil  aber,  der  die  allgemeinen  Verhältnisse 
skizziert,  lässt  er  unberücksichtigt  und  gibt  im  Texte  seiner  Schrift 
Dinge  an,  von  denen  in  dem  Briefe  keine  Spur  sich  findet. 

Alle  aber  glauben  mit  dem  Datum  des  Briefes  „Crotovii  die 
XX.  Junii  1536"  die  Behauptung  beweisen  zu  können,  dass  Fricius 
seinen  Wittenberger  Aufenfhalt  unterbrochen  und  sich  nach  Polen 
für  einige  Zeit  zurückbegeben  hätte,  denn  alle  lesen  unbedenklich 
für  „Crotovii" — Cracovie.  Schelhorn  freilich  nicht,  und  Malecki, 
wie  immer  genau,  auch  nicht;  er  schreibt  „z  Krotowa",  aber  er 
nimmt  doch  auch  wie  Schelhorn  die  zeitweilige  Rückreise  nach 
Polen  an,  sucht  also  „Crotovium"  in  Polen.  —  Wenn  aber  das 
richtig  wäre,  dass  Crotovii  für  .Cracoviae  zu  nehmen  wäre,  dann 
würde  mindestens  ein  Teil  des  Briefes  überaus  läppisch  erscheinen. 
Dann  hätte  demnach  Fricius  in  Krakau  einen  deutschen  Juristen 
aufgegabelt,  der  den  Laski  in  irgend  einem  polnischen  Nest,  dessen 
Namen  er  nicht  auszusprechen  vermochte,  gesehen  hatte,  und  der 
im  übrigen  den  Fricius  und  seine  Gesellschaft  von  Krakauer  Zu- 
ständen und  Vorgängen  unterhält.  So  hatte,  erzählt  Fricius,  dieser 
Jurist  sich  zwei  Brote  „aus  Krakau"  mitgebracht,  ein  Weizenbrot 
und  ein  Roggenbrot  (ipse  jurisperitus  attulerat  secum  Cracovia 
duos  panes),  die  zeigte  er  bei  der  Mahlzeit  als  ein  Wunder,  woraus 
denn  alle  entnahmen,  dass  in  Krakau  eine  ausserordentliche 
Teuerung  der  Lebensmittel  herrsche.  —  Man  sollte  meinen,  dass 
die  Krakauer  in  Krakau  für  eine  solche  Warnehmung  nicht  erst  der 
Symbolik  des  deutschen  Rechtsgelehrten  bedurften,  ganz  abgesehen 
davon,  dass  dann  der  deutsche  Herr  Brote  aus  Krakau  nach  Krakau 
mitgebracht  haben  würde.  —  Hierauf  aber  erzählt  der  Jurist  noch 
andere  wunderlichere  Dinge  über  Krakau:  dort  käme  es  nicht 
darauf  an,  ob  einer  Recht  oder  Unrecht  hätte,  wer  Handsalben  und 
Geschenke  gibt,  hat  immer  Recht;  er  selbst  hätte  2000  Dukaten 
jährlich  verdienen  können,  wenn  er  alle  Prozesse,  die  man  ihm 
angetragen,  zu  führen  sich  herbeigelassen  hätte;  und  dann  erzählt 
er  von  den  Beamten  und  vom  Klerus  gar  vielerlei,  aber,  sagt 
Fricius,  „ich  erinnere  mich,  dass  dergleichen  Gerede  bei  uns  von 
allen  geführt  zu  werden  pflegt." 

Und  das  alles  sollte  Fricius  sich  in  Krakau  erzählen  lassen? 
In  der  Fremde  wird  es  allerdings  fü*  ihn  von  grossem  Interesse 
gewesen  sein. 


108  Jakob  Caro. 

Dann  noch  weiter:  War  Fricius  in  Krakau,  und  wie  der 
Jurist  versicherte,  Jan  Laski  in  Polen,  dann  waren  der  Brief- 
schreiber und  der  Adressat  jenseits  von  Breslau.  Was  hat  es  aber 
alsdann  für  einen  Sinn,  wenn  Fricius  schreibt:  non  dubitavi  ad  te 
scribere,  cum  hac  multi  proficiscerentur  ad  mercatum  Vratislaviensem, 
ut  illinc  iterum  ad  te  remittantur  Cracoviam?  Fricius  schrieb 
also  angeblich  von  Krakau,  damit  der  Brief  durch  die  Breslauer 
Messfahrer  über  Breslau  nach  Krakau  gebracht  würde.  Das  würde 
doch  die  Logik  sein.  —  Und  nun  noch  eins:  Fricius  soll  also  nach 
jener  Lesart  in  Krakau  sein,  und  wie  er  aus  dem  Briefe  des 
Sbigneus  erfährt,  dass  Jan  Laski  in  Wittenberg  sein  soll,  schickt 
er  seinen  Boten  nach  Wittenberg  —  von  Krakau  nach  Wittenberg  — * 
um  sich  zu  überzeugen,  ob  es  richtig  ist  Kann  man  das  für  wahr- 
scheinlich halten?  —  Und  endlich:  Seinen  Bericht  über  die  Witten- 
berger Concordie,  über  die  Hinrichtung  der  Anna  Boleyn,  über  die 
verschiedenen  Ereignisse  in  Deutschland  und  die  Sendung  der 
Pasquille  über  den  Kaiser  und  der  Allegorie  Melanchthons  über 
St.  Georg  leitet  Fricius  mit  den  Worten  ein:  quae  huc  afferuntur^ 
ea  tibi  duxi  significanda  esse,  das  wäre  also  der  Lesart  zu  folge» 
was  nach  Krakau  gemeldet  wird.  Wer  aber  durfte  damals  der- 
gleichen, namentlich  die  Einzelheiten  der  Wittenberger  Verhand- 
lungen und  einen  Auszug  aus  Bucers  Wittenberger  Sonntagspredigt 
nach  Krakau  berichten? 

Genug  des  Widersinns !  Der  Verfasser  des  Briefes  war  nicht 
in  Krakau,  sondern  jenseits  von  Breslau,  nicht  gar  weit  von  Witten- 
berg, so  dass  er  einen  Boten  dahin  schicken  kann,  um  festzustellen, 
ob  Jemand  dort  angekommen  ist,  und  in  solcher  Verbindung  mit 
Wittenberg,  dass  er  die  dortigen  Vorgänge  und  die  dort  eingehenden 
Meldungen  von  den  allgemeinen  die  Reformatoren  interessierenden 
politischen  Ereignissen  unverzüglich  erfährt.  Der  Verfasser  war 
aber  auch  nicht  in  irgend  einem  apokryphen  Krotow  in  Polen, 
wie  Malecki  meint,  denn  auch  da  träfe  der  Aberwitz  durchaus  zu. 
Ich  glaube,  kein  verständiger  Mann,  der  diesen  Brief  nicht  blos 
citiert,  sondern  auch  liest,  wird  es  in  Abrede  stellen  wollen,  dass 
Fricius  in  Deutschland,  in  nächster  Nähe  des  Schauplatzes  des 
Concordienwerks  sich  befand,  und  ich  würde  meines  Glaubens 
noch  sicherer  sein,  wenn  ich  sagen  könnte,  wo  dieses  Crotovium  in 
der  Nähe  Wittenbergs  liegt.  Das  kann  ich  aber  leider  nicht.  Viel- 
leicht vermag  das  ein  anderer.  Sollte  aber  auch  kein  Anderer  es 
vermögen,  dann  würde  ich  mir  die  Erlaubnis  usurpieren,  zu  ver- 
muten, dass  es  überhaupt  nicht  existiert,  und  dass  es  lediglich 
ersonnen  ist,  um  über  den  Aufenthalt  des  Briefschreibers  für  den 
Fall,  dass  der  Brief  in  unrechte  Hände  käme,  irre  zu  führen.  Man 
denke:  der  Vorsicht  halber  („ne  quid  incaute  agamus")  hat  der 
Brief  schon  eine  falsche  Adresse.  Statt  an  Jan  Laski  trägt  er  die 
Aufschrift   an   Sbigneus,    einen   den   beiden   Korrespondenten   ver- 


Andreas  Fricius  Modrevius.  109 

trauten  Mittelsmann  („inscripsi  literas  Sbigneo").  Warum  soll  er 
nicht  auch  der  Vorsicht  halber  einen  utopischen  Datumsort  haben? 
War  es  doch  den  Polen  verboten,  die  Wittenberger  Universität  zu 
besuchen,  zumal  für  einen  jungen  Mann,  der  am  Hofe  Karriere 
machen  wollte.  Zwar  weist  die  Wittenberger  Matrikel  gleichwohl 
eine  ganze  Reihe  von  polnischen  Studierenden  auf,  aber  zumeist 
sind  es  Leute  von  Familien,  denen  es  nicht  zu  schwer  wurde, 
solchen  Verboten  ein  trotziges  Schnippchen  zu  schlagen.  Aber  für 
den  Sohn  des  Vogts  von  Wolberz  wäre  es  doch  nicht  unbedenklich 
gewesen,  sich  auf  dem  verpönten  Platze  betreffen  zu  lassen. 

Diese  ganze  Argumentation  wirft  nun  aber,  so  scheint  es, 
Dylewski  vollständig  über  den  Haufen.  Er  erzählt  (S.  36),  dass  „wir 
zwar  nicht  wissen,  welche  Umstände  die  Rückkehr  des  Fricius  nach 
Polen  veranlasst  hätten,  dass  wir  aber  einen  Brief  vom  20.  Juni  1536 
kennen,  in  dem  Jan  Laski  anzeigt,  (zajawlajet)  dass  er,  Fricius,  durch 
seine  wissenschaftlichen  Studien  die  Aufmerksamkeit  des  Prinzen 
Sigismund  August  auf  sich  gelenkt  habe,  und  dass  der  Königssohn 
ihn  aus  Zuneigung  zu  .seinem  Sekretär  bestimmt  habe."  —  Habent 
sua  fata  libelli.  Von  allem,  was  aus  dem  Briefe  schon  heraus- 
gelesen wurde,  ist  dies  das  Wunderlichste.  Ich  kann  keine  Silbe 
von  der  ganzen  Erzählung  darin  finden,  weder  den  Namen  des 
Prinzen  noch  eine  Hindeutung  auf  ihn,  weder  von  den  „wissen- 
schaftlichen Studien-  noch  von  dem  Sekretär.  Die  ganze  Er- 
zählung ist  vollkommen  erfunden.    In  dem  Briefe  steht  nichts  davon. 

Da  also  der  Brief  nicht  von  Krakau  datiert,  so  fehlt  jede 
Unterstützung  für  die  von  Schelhorn  zuerst  aufgestellte  Meinung, 
dass  Fricius  seinen  Wittenberger  Aufenthalt  durch  einen  Besuch 
seines  Vaterlandes  unterbrochen  hätte,  und  wenn  Melanchthon  von 
einem  dreijährigen  Aufenthalt  in  seiner  Umgebung  spricht,  so 
haben  wir  uns  denselben  kontinuierlich  zu  denken. 


Alte  Lissaer  Grabdenkmäler. 

Von 

Paul  Voigt. 

*on  der  Vergangenheit  Lissas  in  polnischer  Zeit 
erzählen  uns  Urkunden  und  Schriften  manches, 
Bauten  sehr  wenig;  dagegen  hat  auf  dem  refor- 
mierten und  den  beiden  evangelischen  Kirchhöfen  eine 
recht  stattliche  Zahl  von  Steinzeugen  alle  Unbilden  der  Zeit 
überdauert  und  gibt  uns  manche  Kunde  von  Wohlstand, 
Handel  und  Gewerbe,  Verfassung,  religiösem  und  Gemein- 
sinn, Geschmack  und  Denkweise  der  Bürger  dieser  eine 
Zeit  lang  bedeutendsten  Stadt  Grosspolens. 

Die  Grabdenkmäler,  um  die  es  sich  hier  handelt  — 
es  sind  im  ganzen  über  ioo  —  reichen  mit  ihren  jüngsten 
Ausläufern  bis  in  die  preussische  Zeit  (1813)  hinein  und 
beginnen  etwa  mit  dem  Jahre  1630.  Von  1628  ab  waren 
aus  Böhmen  und  seit  1629  ganz  besonders  aus  dem  benach- 
barten Schlesien  wegen  der  habsburgischen  Religions- 
verfolgungen und  der  Drangsale  des  deutschen  Religions- 
krieges Tausende  von  Protestanten  nach  Polen  aus- 
gewandert. Nach  Lissa,  der  Stadt  der  Grafen  Leszczynski, 
siedelte  in  diesen  Jahren  fast  die  gesamte  Bürgerschaft 
des  benachbarten  Guhrau  über  und  gründete  dort  die 
lutherische  Kreuzkirchengemeinde.  Durch  diesen  Zuzug,, 
der  noch  lange  fortdauerte,  nahm  die  Stadt  in  wirtschaft- 
licher  und    geistiger  Beziehung  —  wir  erinnern   nur  an 


112  Paul  Voigt. 

Comenius  und  Johann  Heermann  —  einen  gewaltigen 
Aufschwung,  der  auch  nach  der  Zerstörung  durch  die 
Polen  1656  noch  eine  schöne  Nachblüte  hatte,  die  erst 
durch  die  Russen  1707  und  die  Pest  von  1709/10  vernichtet 
wurde.  Aus  der  ersten  Blütezeit  sind  nur  ganz  wenige 
Denkmäler  erhalten,  eine  grössere  Anzahl  der  schönsten 
aus  der  zweiten,  die  meisten  aus  späterer  Zeit,  in  der 
wir  immer  noch  einige  Wohlhabenheit  bei  den  Bürgern 
der  Stadt  voraussetzen  dürfen. 

Das  Material  der  Grabdenkmäler  ist  meist  Bunzlauer 
Sandstein,  nur  ganz  vereinzelt  Marmor.  Der  Form  nach 
unterscheiden  wir  drei  grosse  Gruppen:  1.  grabgrosse 
Steinplatten,  die  teils  noch  auf  den  Gräbern  liegen,  so 
die  meisten  des  reformierten  Kirchhofs,  teils,  wie  auf 
dem  inneren  evangelischen  Kirchhof,  in  die  äusseren 
Kirchenwände  oder  in  die  Kirchhofsmauer  eingelassen 
sind,  letztere  befinden  sich  jedoch  nicht  immer  an  ihrer 
ursprünglichen  Stelle;  2.  niedrige  etwa  mannshohe  vier- 
seitige Pyramiden ;  3.  hohe  Pyramiden  von  anderthalb-  bis 
zweifacher  Manneshöhe,  drei-  und  vierseitig.  Vereinzelt 
findet  sich  die  Form  eines  Wappenschildes,  eines  grossen 
Kelches  oder  Taufbeckens,  einer  Kanzel. 

Die  drei  Grundformen  sind  der  Zeit  nach  zwar  nicht 
streng  von  einander  geschieden,  doch  lässt  sich  erkennen, 
dass  in  der  ältesten  Zeit  die  Platten  bevorzugt  wurden. 
Solcher  Platten  hat  der  reformierte  Kirchhof  über  ein 
Dutzend,  die  fast  sämtlich  aus  dem  17.  Jahrhundert  stammen, 
die  jüngste  aus  dem  Jahre  1718.  Der  innere  evangelische 
Kirchhof  —  auf  dem  später  angelegten  äussern  sind  nur 
Pyramiden,  die  wiederum  auf  dem  innern  ganz  fehlen  — 
weist,  soweit  ich  habe  feststellen  können,  nur  zwei  Platten 
aus  dem  17.  Jahrhundert  auf,  die  übrigen  sehr  zahlreichen 
stammen  hier  zumeist  aus  der  Zeit  von  1700  bis  1730, 
reichen  jedoch  vereinzelt  herab  bis  ins  Jahr  1812.  Das 
18.  Jahrhundert  bevorzugt  die  Pyramide,  und  zwar  scheint 
die  niedrige  Form  früher  aufgekommen  zu  sein;  sie  findet 
sich  zuerst  auf  dem  reformierten  Kirchhof  im  Jahre  1703, 
auf    dem    evangelischen    erst    in    den    dreissiger    Jahren 


Alte  Lissacr  Giabdenkmäler.  113 

desselben  Jahrhunderts,  die  jüngste  aus  dem  Jahre  1770. 
Die  meisten  niedrigen  Pyramiden  gehören  auf  beiden 
Kirchhöfen  der  Zeit  von  1730  bis  1750  an.  Die  hohe 
Pyramide,  die  besonders  massenhaft  auf  dem  reformierten 
Kirchhof  auftritt,  beginnt  dort  mit  1723  und  endet  mit  1813 
(eine  Inschrift  von  1832  ist  später  nachgetragen),  die  jüngste 
des  evangelischen  Kirchhofs  stammt  aus  dem  Jahre  1762, 
bei  weitem  die  meisten  sind  aus  der  Zeit  von  1743  bis  1774. 
Die  wenigen  von  den  drei  Hauptformen  abweichenden 
Gebilde  endlich  gehören  dem  ersten  Drittel  des  18.  Jahr- 
hunderts an. 

Betrachten  wir  nun  die  Hauptformen  genauer.  Die 
Steinplatten  enthalten  entweder  in  erhabener  Arbeit  eine 
Darstellung  der  ganzen  Gestalt  des  Verstorbenen  mit  einer 
kurzen  um  den  Rand  laufenden  Inschrift  (von  dieser  Art 
sind  auf  dem  reformierten  Kirchhof  mehrere,  auf  dem 
evangelischen  innern  nur  eine)  oder  an  Stelle  der  bild- 
lichen Darstellung  eine  umfangreiche  Inschrift  in  der  Mitte 
des  Steines  mit  allerlei  Verzierungen  am  Rande.  Bei 
einigen  finden  sich  medaillonartige  Vertiefungen,  die  den 
Porträtkopf  des  Gestorbenen  in  Stein  gehauen  enthielten; 
die  Köpfe  selbst  sind  nirgends  erhalten. 

Wir  wenden  uns  der  Beschreibung  einzelner  Platten 
zu.  Da  liegt  auf  dem  reformierten  Kirchhof  eine  grosse 
Marmorplatte,  deren  Relieffigur  eine  Frau  in  faltigem 
gestickten  Gewände  mit  doppelt  gebauschten  Faltenärmeln 
darstellt.  An  der  rechten  Handwurzel  trägt  sie  ein  Arm- 
band mit  grossem  Schloss,  den  Kopf  ziert  ein  turban- 
artiger Aufsatz,  das  Gesicht  ist  zerstört.  Der  erhöhte 
Rand  der  Platte  sagt  uns  in  umlaufender  erhabener 
Schrift,  wer  hier  ruht:  Generosa  Sophia  de  Broniewo 
Generosi  Alexandri  Bronikow  [II]  Conivx  Hie  Qvod 
[Mojrtale  Habvit  de[po]svit  in  Spem  Gloriosae  Resvrrec- 
Anno  MDCLXXVI.  Der  reformierten  Gemeinde  gehörten 
bekanntlich  eine  Zeit  lang  sehr  viele  Polen  an,  und  es  darf 
uns  deshalb  nicht  wundern,  solche  auch  auf  dem  Kirch- 
hof zu  finden.    Ein  Alexander  von  Bronikowski  nahm  in 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  för  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XX.  8 


114  Paul  Voigt 

den  80 — 90  er  Jahren  des  17.  Jahrhundert  eine  angesehene 
Stellung  in  der  reformierten  Gemeinde  Lissas  ein1). 
Vielleicht  ist  er  der  Ritter,  den  die  dicht  neben  der 
vorigen  liegende,  ganz  gleich  gearbeitete,  inschriftlose 
Grabplatte  bis  zu  den  Knien  herab  darstellt  Er  trägt 
einen  Schuppenpanzer,  die  Linke  ruht  am  Schwertgriff, 
während  die  Rechte  am  Körper  herunterhängt;  das 
Gesicht  ist  auch  bei  dieser  Figur  völlig  zerstört  Die 
Stellen,  die  der  Körper  frei  lässt,  sind  mit  allerhand 
Kriegsemblemen  als  Speer-  und  Pfeilspitzen,  Beilen, 
Kanonenrohren,  Beinschienen,  Fahnen,  einem  Rad  (Reifen?) 
u.  a.  ausgefüllt. 

Eine  andere  stattliche  Männergestalt  zeigt  eine  Platte 
nahe  der  Südmauer  des  Kirchhofs,  einen  bärtigen  Schmied 
mit  den  Abzeichen  seines  Handwerks:  Hammer  und 
Zange. 

In  derselben  Reihe  mit  dem  Ritter  und  der  adligen 
Dame  bemerken  wir  auf  einer  etwas  kleineren  ausgehöhlten 
Sandsteinplatte  eine  bürgerliche  Frau  in  langem  bis  auf 
die  Füsse  herabreichenden,  faltigen  Rock  mit  weiten  am 
Handgelenk  geschlossenen  Ärmeln,  kurzem  leichtgezackten 
Schulterkragen,  schlichter,  enganliegender  Haube;  die 
Hände  sind  unter  der  Brust  zusammengelegt  An  den 
freien  Stellen  sehen  wir  oben  Vorhänge,  zur  Seite  einen 
Ständer  mit  aufgeschlagenem  Buch,  unten  Schädel,  Knochen 
u.  a.  Der  Rand  trägt  die  Inschrift  in  erhabenen  Buch- 
staben. 

In  gleicher  Haltung  und  Gewandung  sind  auf  einer 
anderen  Platte  3  Kinder  neben  einander  dargestellt  in 
3  Feldern.  Der  Aussenrand  und  die  fussbreiten  Flächen 
zwischen  den  Feldern  sind  mit  erhabener  Schrift  aus- 
gefüllt, die  in  rechtwinkligen  Spiralen  von  aussen  nach 
innen  um  die  einzelnen  Felder  läuft     Die  Inschrift  lautet: 

Anno  1625  den  24.  November  ist  Katharina  Lysefarthen 
gebohren  worden  des  Morgens  an  der  halben  Uhr,  ist 
1630  den  7.  Juny  umb  halbe  wege  ...  in  Gott  .  .  .  ver- 


l)  S.  diese  Zeitschrift  Jahrg.  XV.  S.  9. 


Alte  Lissaer  Grabdenkmäler. 

schyden.    Ihr  gantzes  Alltter  erstreckhet  sich   a 
3  Wochen  3  Tag. 

Anno  1627  den  10.  September  ist  mein  Sönlei 
Lysefarth  gebohren  worden   des  Morgens  an  de 
Uhr    [dr]ey  viertel  auff  fienffe,    ist    gestorben    1 
19.  Juny  auf  [dr]ey  nach  Mittage.    Sein  gantzes 
strecket  sich  2  Jahr  40  Wochen  3  Tag. 

Anno  1629  den  25.  February  ist  mein  Sönlei 

Lysefarth  gebohren  worden  Nachmittag  1/l  auff  vi« 

halben  Uhr,  ist  gestorben  1630  den  28.  Juny  ha 

acht  des  Morgen.     Sein  gantzes  Alter  erstrecket 

1  Jahr  19  Wochen  6  Tage. 

Hier  sei  der  einzigen  kleinen  Platte  mit  ( 
auf  dem  inneren  evangelischen  Kirchhof  gedacht, 
ein    Kind   in   ganz   gleicher   Haltung   und   Kleie 
ebenfalls  umlaufender  erhabener  Schrift  zeigt:  , 
den  2.  November  viertel  auf  3  .  .  .  nach  Mittags 

selig  entschlaffen,  des   ehrenvesten  wo 

geliebtes  Töchterlein  Martha  Alter  2  Jahr  42  W 
Rechtwinklig  neben  jenem  Stein  mit  den  3 
liegt  eine  Platte,  die  keine  Figur  aufweist,  sondei 
Mitte  ein  grosses  Medaillon  mit  Inschrift,  darüber 
Zweiggewinden  und  Blumen  umschlossenes  Wap 
oberhalb  eines  schräg  liegenden  Querbalkens  da! 
teil  eines  springenden  Hirsches  enthält 

Einer  sehr  angesehenen  Bürgermeisterfarr 
17.  Jahrhunderts  gehörte  eine  Tote  an,  die  nicht 
dem  Ritter  ihre  Ruhestätte  gefunden  hat:  Hedw 
Frau  des  Tuchmachers  Friedrich  Held.  Auf  ihre 
stein  sehen  wir  über  einem  grossen  die  Insel 
haltenden  herzförmigen  Mittelschild  in  einem  ] 
Wappenschild  einen  schrägen  Querbalken  mi 
Pfeil;  die  freien  Stellen  erinnern  durch  Knochen, 
Hacke,  Spaten,  Schaufel,  Stundenglas  an  die  Ver 
keit  des  Irdischen. 

Noch  mehr  als  bei  den  zuletzt  besprochener 
nimmt  bei  den  übrigen  die  Inschrift  den   grösst< 


Il6  •  Paul  Voigt.  • 

ein.  Die  meisten  und  schönsten  Platten  dieser  Art 
finden  sich  auf  dem  inneren  evangelischen  Kirchhof,  wo 
sie  teils  in  die  Aussenwände  der  Kirche  selbst,  teils  in 
•die  Nischen  der  Kirchhofsmauer  eingelassen  sind,  die 
hier  auf  zwei  Seiten  noch  von  der  alten  Stadtmauer 
gebildet  wird.  Sie  sind  meist  umrandet  von  Blumen- 
und  Blattgewinde  in  der  mannigfaltigsten  Ausführung, 
Tron  der  einfachsten  bis  zur  kunstvollsten  Bearbeitung  der 
Formen.  Vereinzelt  tritt  an  die  Stelle  der  Blätter  und 
Blumen  ein  Baum,  Säulen  oder  auch  eine  Säulenhalle; 
einige  haben  Rokokoumrahmung.  Daneben  fehlt  es  nicht 
an  Belebung  durch  mehr  oder  weniger  schön  gearbeitete 
Figuren,  besonders  Engel.  Die  freien  Ecken  sind  hier 
und  da  durch  symbolische  und  allegorische  Darstellungen 
ausgefüllt,  etwa  ein  Strahlendreieck,  Stundenglas,  Engel 
mit  Schädel,  Palmzweig,  Krone,  Füllhorn  mit  Blumen.  Hier 
sieht  man  einen  Engel  mit  Wappenschild,  auf  dem  ein 
auf  einem  Berge  stehender  Vogel  einen  Zyveig  im 
Schnabel  hält,  statt  der  Helmzier  ist  ein  Gefäss,  aus  dem 
zwei  Zweige  und  drei  Eicheln  hervorragen;  dort  ein  Lamm 
mit  Fahne  auf  einem  Scheiterhaufen. 

Eine  Platte  an  der  Kreuzkirche  —  es  sei  gestattet, 
wenigstens  ein  paar  von  dieser  Gattung  genauer  zu 
beschreiben  —  zeigt  in  einer  Ecke  eine  vor  einem  nieder- 
fahrenden Blitz  erschrocken  in  die  Knie  gesunkene 
betende  Figur,  darunter  ein  Schiff  mit  geblähtem  Segel. 
Um  den  Knienden  sind  die  Worte  geschlungen:  „Dennoch 
bleib  ich  stets  an  dir,  denn  du  haltest  mich  bei  meiner 
rechten  Hand;"  um  das  Schiff  liest  man:  „Du  leitest  mich 
nach  deinem  Rat  und  nimbst  mich  endl.  mit  Ehren  an." 
Auf  einer  andern  Platte  daselbst  kniet  in  einer  Ecke  ein 
betender  Mann  in  antikem  Gewände  vor  einem  Altar, 
auf  dem  ein  Opfer  (man  erkennt  einen  Stierkopf)  brennt; 
.am  Altar  steht  eine  Schale  und  ein  Krug.  Um  den 
runden  Schildrand,  auf  dem  dies  dargestellt  ist,  laufen  die 
Worte:  „In  Gottes  Dienste  unverdrossen,  i.  Reg.  vs.  30". 
In  dem  Rundschild  der  Gegenecke  ruht  ein  Mann  halb 
aufgerichtet  unter  einem  Baume,  ein  Engel  reicht  ihm  die 


Alte  Lissaer  Grabdenkmäler.  117 

Hand,  wie  um  ihn  aufzurichten;  neben  dem  Baum  steht 
ein  Gerät  in  Form  einer  bauchigen  Flasche  (Pilgerflasche?); 
um  den  Rand  die  Worte:  „Des  Höchsten  Sorge  ein- 
geschlossen 1.  Reg.  19,5".  In  den  unteren  Ecken  rechts 
nimmt  ein  Mann  Abschied  von  einer  brennenden  Stadt,, 
um  den  Rand  die  Inschrift:  „Durch  Creutz  und  Trübsal 
selig  fort  2.  Reg.  2,8",  links  ein  knieender  Mann,  die  Arme 
ausbreitend,  über  ihm  ein  antikes  Zweigespann  in  einer 
Wolke;  Randschrift:  „geführet  an  den  Freudenort 
2.  Reg.  2,ii.u  Neben  dieser  Platte  ist  eine  ganz  ähnliche 
eingemauert,  sie  zeigt  in  den  oberen  Ecken  links  eine 
weibliche  Figur  auf  einer  Erhöhung  sitzend,  ein  brennendes 
Herz  in  der  Linken,  dazu  die  Worte:  „Treu  in  ehelicher 
Liebe";  rechts  dieselbe  Figur  zum  Himmel  empor- 
schwebend mit  einem  Kreuz  im  Arm,  und  die  Worte: 
rein  in  wahrem  Glaubenstriebe".  Unten  links  sitzt  sie, 
die  Hände  vor  die  Brust  gepresst,  neben  ihr  ein  Hund  (?),. 
der  Hintergrund  ist  unkenntlich.  Die  Umschrift  sagt: 
„voll  Geduld  in  Creutz  und  Noth";  rechts  sehen  wir  sie 
mit  einem  Anker,  den  die  Rechte  umfasst,  während  die 
Linke  hoffnungsvoll  und  siegesgewiss  ausgestreckt  ist; 
Inschrift:  „fest  in  Hoffnung  biss  in  Todt" 

Die  Pyramiden,  hohe  wie  niedrige,  setzen  sich  aus- 
drei  Teilen,  Fuss,  Kopf  und  Mittelstück,  zusammen. 
Letzteres  ist  das  Hauptstück  und  enthält  die  eigentliche 
Grabinschrift.  Es  besteht  bei  den  niedrigen  Pyramiden 
aus  einem  vierseitigen  Block,  dessen  Seiten  meist  nach 
unten  stark  vorgewölbt  sind,  die  geschweiften  Kanten 
sind  entweder  scharf  oder  abgerundet,  glatt  oder  auch 
bandartig  verziert.  Dieser  Mittel  block  geht  oben  in  einen 
kleinen  mehr  oder  weniger  kubischen  Kopf  über,  der  bis- 
weilen mit  einfachen  Kleeblättchen  verziert  ist  und  als 
Aufsatz  häufig  eine  eiserne  Spitze  trägt,  sei  es  ein  Kreuz 
aus  Bandeisen  mit  Eisenblättern,  sei  es  ein  Blumen- 
gewinde oder  ein  zierliches  Hufeisen,  das  aus  einem 
Blumenkelch  von  vier  Eisenbändern  oder  zwischen  zwei 
Eisenblättern  aufragt.  Der  Fuss  ist  meist  sehr  klein  und. 
schmal  und  ohne  Sorgfalt  gearbeitet. 


Il8  Paul  Voigt. 

Weit  zahlreicher  als  die  niedrigen  sind  die  hohen 
Pyramiden,  wovon  auf  dem  reformierten  Kirchhof  in  der 
Nähe  der  Leichenhalle  allein  eine  Gruppe  von  etwa  20 
auf  engem  Räume  zusammen  steht.  Dabei  ist  keine  der 
andern  völlig  gleich  an  Grösse  und  Ausführung,  es  sei 
denn,  dass  sie,  wie  es  vorkommt,  ein  Paar  bilden,  etwa 
auf  Gräbern  von  Ehegatten.  Der  Fuss  ist  auch  hier 
vielfach  zu  klein  und  schmal  im  Verhältnis  zum  Haupt- 
teil, bei  den  schönsten  jedoch  besteht  er  aus  einem 
breiten  kubischen  Block  von  dem  Ganzen  entsprechender 
Ausdehnung,  auf  dem  das  übrige  sicher  ruht.  Das  Haupt- 
und  Mittelstück  stellt  eine  schlanke  drei-  oder  vierseitige, 
nach  oben  ein  wenig  sich  verjüngende  Pyramide  mit 
ebenen,  selten  flach  ausgehöhlten  Seiten  dar  mit  geraden, 
•teils  scharfen  teils  abgerundeten,  glatten  oder  mit  Band- 
oder Blattwerk,  auch  beiden,  verzierten  Kanten  und  geht 
entweder  mit  deutlich  gekennzeichnetem  Absatz  oder 
ohne  solchen  mit  Rokokoschnörkeln  in  den  Kopf  der 
Pyramide  über,  der  die  verschiedensten  Gebilde  aus 
Stein  oder  Eisen  trägt:  Adler,  Fruchtaufsatz,  Tannen- 
(Pinien-)zapfen,  Pilzartiges,  Krone  mit  Eisenzierat,  Kugel, 
Kugel  mit  Lamm,  das  eine  Fahne  trägt,  ein  flammendes 
Dreieck,  ein  beflügeltes  und  brennendes  Herz,  Krone, 
-darauf  ein  Baumstumpf  (?)  mit  Anker,  Kugel  mit  eisernen 
Flammen  nach  zwei  Seiten  und  nach  oben,  ein  eisernes 
Flammenkreuz,  ein  Pelikan  mit  drei  Jungen  an  der 
Brust,  Knochen  mit  Schädel  in  natürlicher  Grösse. 
Zwischen  Fuss  und  Mittelstück  befinden  sich  häufig  an 
den  vier  Ecken  Totenschädel,  an  deren  Stelle  bei  den 
jüngeren,  der  Rokokozeit  sich  nähernden  Denkmälern 
Engelsköpfe  treten;  auf  diesen  erscheint  die  eigentliche 
Pyramide  ruhend.  Vereinzelt  sieht  man  an  dieser  Stelle 
ein  Spruchband  oder  ein  mit  Inschrift  versehenes  Tuch, 
das  über  die  Schädel  gebreitet  ist.  Auch  eine  zweiseitige 
Pyramide  findet  sich  vor. 

Von  andern  Denkmalsformen  ist  auf  dem  reformierten 
Kirchhof-  nur  eine  vorhanden:  eine  grosse  schöne  vier- 
kantige Vase  (Taufbecken),  an  den  abgerundeten  Kanten 


Alte  Lissaer  Grabdenkmäler.  119 

mit  Blattornamenten  verziert,  an  den  oberen  Ecken  vier 
Schädel;  der  Deckel  schliesst  oben  mit  einer  grossen 
Kugel  mit  zwei  Griffen.  Auf  dem  äusseren  evangelischen 
Kirchhof  liegt  ein  grosser  Marmorblock  mit  gewölbter 
Schriftseite,  der  von  einem  früher  im  inneren  Kirchhof 
angebrachten,  eine  Kanzel  darstellenden  Denkmal  her- 
rühren soll. 

Nun  zu  den  Inschriften  selbst.  Ausser  dem  Bericht 
über  den  Toten  finden  wir  Bibelsprüche  und  Leichen- 
text, diese  bei  den  Pyramiden  gewöhnlich  an  Kopf  und 
Fuss.  Die  Sprache  ist  durchweg  deutsch,  nur  zwei 
lateinische  sind  vorhanden,  von  einzelnen  lateinischen 
Sprüchen  abgesehen.  Die  Schrift,  meist  eingegraben, 
selten  erhaben,  ist,  was  Sorgfalt  und  Schönheit  der  Aus- 
führung betrifft,  sehr  verschieden.  Die  Rechtschreibung 
bewegt  sich  durch  alle  Stufen  vom  Richtigsten  bis  zum 
Fehlerhaftesten.  Wortschatz  und  Grammatik  zeigen 
neben  dem  Gewöhnlichsten  manche  Seltenheit  und  Alter- 
tümlichkeit. Der  Stil  ist  bald  schlicht  und  trocken,  bald 
ergeht  er  sich  in  gefühlvoller,  poetischer,  blumiger, 
schwülstiger  Redeweise,  in  Versen  und  in  Prosa. 

Die  Hauptinschrift  erzählt  nicht  bloss,  was  die  Nach- 
welt von  den  Toten  erfahren  soll,  sie  deutet  häufig  auch 
an,  wer  das  Denkmal  gestiftet  hat.  Da  heisst  es  am 
Anfang  oder  am  Schluss:  Liebe  Treu  kindliche  Flicht 
haben  diss  Denkmal  auf  gericht  —  Aus  treuer  Lieb  und 
Freundschafts  Pflicht  hat  dieses  Denckmahl  aufgericht  — 
Denkmahl  zärtlicher  Liebe  einer  treuen  Ehegattin  —  Aus 
herzlicher  Liebe  stifftete  der  wohlseel:  diss  Denckmahl 
ihr  Ehe-Herr  —  Was  Mutter  Lieb  gethan,  zeigt  dieses 
Grabmahl  an  A.  B.  A.  1757  —  Gestifftet  aus  mütterl.  Liebe 
ihrer  gehors.  Tochter  —  Nahe  an  diesem  Steine  ruhen 
die  Gebeine  eines  rechtschaffenen  Mannes,  dessen  Asche 
sein  gel.  Sohn  durch  dieses  Denk-Mahl  bei  der  Nach- 
welt ehret  —  und  endigte  zu  grosser  Betrübniss  seiner 
Gattin,  die  ihm  dis  Denckmal  nebst  den  Kindern  stiftet, 
seinen  Lauf  nach  einer  harten  Niederlage  —  Dero  einige 
Fr.  Tochter  hat  dieses  Grab  und  Ehren  Mahl  ihrem  oben- 


120  Paul  Voigt. 

gedachten  Hr.  Pflege  Vater  zu  rühmlichen  Andenken  setzen 
lassen  Ao.  1716  —  Jesus  Christus  A.  u.  O.  Ehren- 
Gedächtniss,  welches  die  dankbare  kindliche  Liebe  zum 
unvergeßlichen  und  gesegneten  Andencken  einer  wohl- 
verdient und  treuen  Mutter  errichtet  —  Ihr  Gedächtniss 
ist  in  Frieden  und  dieser  Stein  zeuge,  dass  eine  tr.  Mutter 
ihres  lieben  Kindes  nicht  vergessen  kan. 

Auch  in  Einleitung  und  Schluss  zeigt  sich  der 
bunteste  Wechsel.  Wir  lesen:  Ehrengedächtniss  des  — , 
Alhier  ruhen  zwey  christliche  Eheleute  — ,  Denckinahl 
der  Ruhestätte  des  — ,  Grabmahl,  wobey  ruhen  die  Leiber, 
—  Dis  Denckmahl  bezeichnet  das  Grab  eines  wahren 
Christen  — ,  Hier  liegt  der  Kummer  zärtl.  Eltern  — ,  Hier  an 
diesem  Grabe  ruhen  die  verweseten  Gebeine  rechtschafner 
Christen  und  beglückter  Eltern  — ,  Hier  hat  das  sterbliche 
gewünscht  von  sich  abgelegt  — ,  Hier  hat  sich  zur  Ruhe 
geleget  — ,  Hier  ist  bey  geleget  das  sterbliche  Theil  — , 
Allhier  (Unweit  von  hier  — ),  Bey  diesem  Epithaphio  ruhet 
der  entseelte  Cörper  — ,  An  diesem  Denckmahl  ruhet  die 
sterbliche  Hülle  eines  guten  Menschen  — ,  Die  im  Leben 
getrennete  3  Schwestern  aus  dem  hochadelichen  Dziem- 
bowskischen  Hausse  hat  der  Todt  anhero  zusammen 
gebracht.  —  Dieses  Denkmal  der  Liebe  decket  den 
sterblichen  Teil  einer  Unsterblichen  — ,  Hier  geniesset  die 
sichere  Ruhe  das  irdische  Theil  — ,  Diese  hier  auff- 
geworffene  Gräber  beschliessen  die  Asche  einer  Mutter^ 
ihrer  Kinder  — ,  Nicht  weit  von  dieser  State  bedecket  die 
Erde  das  Grab  und  die  entseelten  Gebeine  eines  treuen 
und  zärtlich  liebenden  Ehefreundes  und  Vaters  — ,  Hier 
ruhen  nach  vieler  Unruhe  die  Gebeine  — ,  Hier  erwarten 
der  fröhlichen  Auferstehung  die  Gebeine  eines  frommen 
Alten  — ,  Wessen  dieses  Bildniss  sey,  lehret  folgende 
Unterschrifft  nehmlich  — ,  Hier  soll  der  Stein  ein  Grabmahl 
seyn  — ,  Von  den  Altvätern  hiess  es  schon:  Und  er 
starb,  Also  auch  — ,  Wohl  dem,  der  im  Leben  an  den 
Todt  gedenkt,  das  that  — ,  Bleiche  Sterbensgedanken 
hegte  in  ihrem  Leben  — ,  en  coelestis  academiae 
membrum!  / 


Alte  Lissaer  Grabdenkmäler.  121 

Oft  wird  der  Vorübergehende  angeredet:  Hier 
findest  du  mein  Leser  ein  Denckmahl  5  lieber  Kinder 
— ,  Schaue  Wanderer:  Vor  diesem  Grab  Steine  bedecket 
die  Erde  — .  Er  wird  zur  Mitklage  aufgefordert:  Wanderer, 
stehe  still,  u.  weine  Thränen  des  Mitleids  mit  einer 
betrübten  Wittwe  und  mit  verlassnen  Waysen,  welche 
den  schieinigen  u.  unvermutheten  Tod  ihres  Geliebten 
Ehe-Gatten  und  zärtlichen  Vaters  beweinen  — ,  oder  er 
wird  an  die  eigne  Sterblichkeit  gemahnt:  Stehe  Pilgram 
und  bedencke,  dass  dich  auch  treffen  wird  zuletzt  der 
Tod,  welcher  bey  spätem  Abend  ihres  Lebens  zur  Ver- 
wesung anhero  gebracht  hat  das  Sterbliche  christl.  Ehe- 
leute, nahmentlich  des  — ;  Sterblicher,  beäuge  diese  Denck- 
mahle,  so  wirst  du  wahrnehmen,  dass  der  Todt  keine 
Person  ansiehet.  Hier  findest  du  Gross-Eltern  einer 
sämmtlichen  Schwesterschafft,  so  theils,  ohne  die  Welt  zu 
sehen,  theils  unmündig,  theils  in  der  besten  Blüthe  ihrer 
Jahre,  zur  Verwehsung  gelanget,  da  zuletzt  bey  dieser 
Denck- Säule  das  Sterbliche  abgeleget  — .  Auch  über 
etwas,  das  dem  Vorübergehenden  auffallen  könnte,  wird 
Aufklärung  gegeben:  Wundere  dich  nicht  Leser,  dass 
diese  Ehren  Säule  nicht  allein  der  weyl.  Tit.  Fr.  Elisabeth 
Anderschin  gebohrne  Seydlin,  sondern  auch  ihrem  ge- 
liebten Ehegatten,  dem  weyl.  Tit.  Hr.  Samuel  Andersch 
gewesen  Bürger  und  Tuchmachern  allhier  wie  auch  Erb- 
vk  Gerichts  Scholtzen  in  Striessewitz,  zum  Gedächtniss 
auf f gerichtet,  da  sie  nur  allein  hier  ruhet,  er  aber 
unter  seiner  Gemeine.  Derselbe  Stein  hat  am  Schluss 
einen  bedenklichen  Gruss  an  den  Leser:  Sie  gingen 
stets  der  Fromen  Lauff,  drum  nahm  sie  Erd  und  Himmel 
auff.  Lebe  wohl  Leser  und  folge  ihnen  nach.  Ein 
anderer  Schluss  mahnt:  Gedenke  Leser  bey  seinem  Grab 
an  den  Todt  und  erwarte  ihn  wachend.  Natürlich  fehlt 
es  auch  nicht  an  der  lateinischen  Mahnung:  Memento  mori, 
mit  und  ohne  Übersetzung.  Dafür  heisst  es  auch:  discite 
mortales  vivendo  mori  oder  Beati  in  domino  morientes. 

In  ihren  Mitteilungen  über  die  Toten  sind  die 
Inschriften  meist  sehr  ausführlich.     Ausser  den  Namen  des 


122  Paul  Voigt 

Toten  gibt  der  Bericht  auch  die  des  Ehegatten,  oft  noch  die 
der  Eltern,  wir  erfahren  von  den  Kindern  und  ihren  Gatten 
und  von  den  Enkeln.  Die  Daten  der  Geburt  und  des  Todes, 
letzteres  öfter  auf  Stunde  und  Viertelstunde,  häufig  auch 
das  der  Verehelichung,  werden  gewissenhaft  angeführt 
Ferner  wird  der  ganze  Lebenslauf,  Taten  und  Charakter 
in  Kürze  geschildert,  von  der  Jugend  und  Erziehung,  von 
Reisen  und  Schicksalen,  vom  frommen  Wandel  und  den 
Tugenden  des  Verstorbenen  als  Gatte,  Vater,  Sohn, 
Schüler,  von  seinen  Verdiensten,  Titeln  und  Würden  als 
Bürger  und  Wohltäter  wird  getreulich  berichtet,  auch  wohl  von 
seiner  letzten  Krankheit  und  seinem  schweren  Sterben :  also 
meist  ein  Auszug  des  Lebenslaufs,  wie  wir  deren  in  den  alten 
gedruckten  Leichenreden  jener  Zeiten  finden.  Nicht  immer 
ist  alles  zusammen,  die  Inschriften  sind  hierin  so  verschieden 
wie  die  Denkmäler  in  ihrer  Form  und  Einzelausführung, 
immer  so  viel,  wie  der  Raum  hergeben  wollte.  Und  wem  das 
nicht  genug  ist,  der  wird  auch  einmal  an  die  noch 
Lebenden  zu  genauerer  Erkundigung  verwiesen.  So 
heisst  es  in  einer  Lobrede  auf  eine  junge  Frau,  die  auf 
dem  reformierten  Kirchhof  der  Auferstehung  wartet:  „Wiltu 
was  mehres  wissen  von  dem  christl.  gottsfürtign  u.  ver- 
träglichn  Verhalten  dieses  im  Himmel  versetzten  Tugend 
Bildes,  dasselbe  findestu  rühmlich  einge  .  .  .  het  in  den 
Gemütter  der  in  hiesiger  Stad  noch  lebenden.  .  .* 

Wären  uns  keine  andern  Urkunden  über  die  Ver- 
gangenheit Lissas  und  über  seine  alten  Bewohner  erhalten 
so  könnten  wir  uns  nach  diesen  Grabdenkmälern  einiger- 
massen  ein  Bild  machen.  Zwar  nicht  von  der  äussern 
Geschichte  der  Stadt;  darauf  deuten  nur  wenige  Bemer- 
kungen hin,  wie  wenn  auf  einer  Säule  des  evangelischen 
Kirchhofs  von  „mancherlei  Unruhe  bey  Krieg  und  Pest*4 
(gemeint  ist  der  schwedisch-sächsische  Krieg  von  1707, 
wo  Lissa  zum  zweiten  Male  in  Flammen  aufging)  die 
Rede  ist,  oder  wenn  ebenda  der  „Contagion"  gedacht 
wird,  die  1709/10  Tausende  der  durch  die  voraufgegangene 
Zerstörung  der  Stadt  eben  schwer  geprüften  Einwohner 
hinraffte.    Darauf  spielt  auch  die  Grabschrift  der  Frau  des 


Alte  Lissaer  Grabdenkmäler.  123 

Bürgermeisters  und  Kaufmanns  Queisser  an,  die  ihrem 
Manne  17 10  „in  grosser  Unruhe  des  Landes  ehelich  anver- 
traut wurde."  Auch  Hesse  sich  wohl  die  Darstellung  der 
brennenden  Stadt  auf  einer  oben  beschriebenen  Platte  auf 
die  Zerstörung  Lissas  deuten.  Von  mancherlei  Wechsel 
und  Veränderung,  von  vielem  Kreuz  und  Not  reden 
mehrere  Inschriften,  doch  lassen  sich  diese  allgemeinen  Aus- 
drücke ebenso  gut  aus  persönlichen  Erlebnissen  erklären. 
Mehr  als  von  den  äusseren  Schicksalen  der  Stadt 
erfahren  wir  von  der  Herkunft  und  Nationalität  der 
Bürger,  dem  Handel  und  Gewerbe,  den  Formen  der 
Zunftverfassung  und  Stadtverwaltung,  den  Bildungs-  und 
Wohlfahrtsanstalten  u.  dgl.  Wir  finden  zwar  mehrere 
Namen  von  polnischen  Edelleuten  auf  dem  reformierten 
Kirchhof,  wie  Bronikowski,  Dziembowski  (in  Verbindung 
mit  dem  deutschen  Namen  v.  Unruh),  Bukowiecki 
Miel^cki,  Potworowski,  v.  Sadova-Nieszkowski,  Kurnatowski ; 
aber  nirgends  aus  polnischer  Zeit  eine  polnische  Inschrift, 
solche  fand  ich  nur  an  einem  Erbbegräbnis  auf  dem 
reformierten  und  eine  auf  dem  evangelischen  Kirchhof,, 
beide  aus  preussischer  Zeit.  Sonst  sind  die  Inschriften 
durchweg  deutsch,  und  deutsch  sind,  abgesehen  von  den 
genannten,  die  Namen  der  Toten  und  ihrer  Anverwandten^ 
von  denen  manche  aus  anderen  Urkunden  bekannt^ 
manche  noch  heute  unter  den  am  Orte  Lebenden  gefunden 
werden.  Reformierte:  Adelt,  Andersch,  Arnold,  Bardker 
Bahr,  Bertram,  Böhn,  Bruntzel,  Cassius,  Epaenetus,  Fels- 
mann, Ferguschyll,  Gabel,  Giering,  Glabisch,  Greulich,. 
Gumprecht,  Gutschwager,  Handke,  Hartmann,  Held,  Hübel^ 
Karause,  Kirste,  Klose,  Körber,  Kuntze,  Lange,  Leissner,. 
Leissnitzer,  Liebezeit,  Meissner,  Mielisch,  Neumann,  Pusch- 
mann,  Queisser,  Papmahl,  Rauhut,  Reichel,  Riebe,  Roon, 
Rüdiger,  Schäffer,  Sehende,  Schöps,  Schrinner,  Seydel,. 
Siebenhar,  Stiller,  Stock,  Vetter,  Vigilantius,  Wandelt,. 
Woide,  Zimmermann,   Zippel,   Zugehör1).     Evangelische: 

x)  Ihrer  Konfession  nach  sind  von  diesen  einige  lutherisch 
gewesen,  da  der  reformierte  Kirchhof  lange  Zeit  von  den  Lutherischen, 
mitbenutzt  wurde. 


124  Paul  Voigt. 

.Arndt,  Bluhm,  Boeckelmann,  Braun,  Eichler,  Crell,  Fritsch, 
Gabel,  Goldammer,  Grundmann,  Günther,  Heinrich, 
Heintze,  Hoyer,  Jäckel,  Kahl,  Keyl,  Köhler,  König,  Krug, 
Kutzner,  Lauffer,  Liehr,  Logan,  Mielisch,  Müller,  Münkeler, 
Nelle,  Opitz,  Pfängler,  Pfitzner,  Prüffer,  Renner,  Schmekel, 
Schneider,  Scholtz,  Schröter,  Siegemund,  Sonntag,  Stein, 
Thiel,  Tiessler,  Thomas,  Vogel,  Wandre}',  Wehner, 
Wentzel,  Wild,  Woide,  Wollmann,  Ziepke. 

Dass  Lissa  eine  Kolonistenstadt  und  zwar  eine 
grösstenteils  von  Schlesiern  emporgebrachte  und  durch 
schlesischen  Zuzug  deutsch  erhaltene  Stadt  war,  beweisen 
.auch  diese  Steinzeugen,  die  uns  als  auswärtige  Geburts- 
stätten ihrer  Toten  angeben:  Guhrau,  Freystadt,  Kunern 
in  Schlesien,  Kuntzendorf  in  Oberschlesien,  Liegnitz, 
Breslau,  Koben,  Haynau,  Glogau;  aus  der  Provinz  Posen 
Fraustadt,  Bojanowo,  Schmiegel,  Sarne,  Schlichtingsheim; 
aus  entlegneren  Gegenden  Marienwerder,  Bahrenbusch 
bei  Neustettin,  Hirschfeld  in  Hessencassel,  Alten  Bruch 
im  Lande  Hadeln. 

Ihre  Geschäftsreisen  führen  die  Lissaer  Bürger  nach 
allen  Gegenden  Polens  und  Deutschlands  und  darüber 
hinaus.  Junge  Männer  lernen  das  Kaufmannsgewerbe  in 
Lublin,  Warschau,  wo  ein  junger  „der  Handlung  Be- 
fliessener  auf  der  Leszno1)"  begraben  wird,  andere  studieren, 
nachdem  sie  das  berühmte  Lissaer  Gymnasium  durchlaufen 
haben,  in  Frankfurt  und  auf  der  Königlichen  Akademie 
in  Berlin  oder  unternehmen  zu  ihrer  Ausbildung  Reisen 
bis  nach  Holland,  Frankreich  und  Portugal. 

Die  in  keiner  Inschrift  fehlenden  Titel,  Würden, 
Ehrenämter,  Berufsbezeichnungen  geben  eine  deutliche  Vor- 
stellung von  dem  reichen  Leben  in  Handel,  Gewerbe  und 
Wissenschaft  der  Altlissaer  ßürger.  Mehr  als  die  heutigen, 
auch  jetzt  noch  gedeihenden  Gewerbe  der  Bäcker,  Fleischer, 
Schuhmacher,  Klempner,  Kürschner,  Sattler,  (Mälzer  und) 
Brauer  finden  wir  solche  vertreten,  die  heute  nur  wenig 
oder   garnicht  mehr  am  Orte  vorhanden  oder  doch   bei 


x)  Vorstadt  in  Warschau. 


Alte  Lissaer  Grabdenkmäler.  125. 

weitem  nicht  mehr  von  der  alten  wirtschaftlichen  und 
sozialen  Bedeutung  sind,  wie  Müller,  Tuchmacher,  Kauf- 
und Handelsmänner  bezw.  Herren,  Kunst-,  Waid-,  Schwarz- 
und  Seh  önf  ärber,  Seifensieder,  Posamentierer,  Goldjuweliere, 
Büchsenschmiede  und  Pulvermacher,  Hutmacher,  Waffen- 
schmiede, Weiss-  und  Semischgerber,  Chirurgen  (Bader). 
Der  Gelehrtenstand  ist  vertreten  durch  Gymnasiasten, 
Rektoren,  Pastoren,  einen  Superattendens  ecclesiarum  reL 
per  Maj.  Pol.,  einen  Generalsenior  der  ev.  luth.  Kirche  und 
in  Grosspolen,  Pastor  der  Kirche  und  Inspektor  der 
Schule  zu  Lissa,  ferner  durch  einen  Medicinae  Doctor  und 
Practicus  bey  der  Stadt,  ein  Philoso.  et  medic.  Doctor  und 
Stadt-Physikus.  Von  nichtstädtischen  Beamten  findet  sich, 
ein  Kgl.poln.  Sekretär  und  Postmeister  zu  Fraustadt  und 
Lissa,  ein  Kgl.  Domänenpächter,  ein  „Hochadeliger  poln». 
Güterarendator"  und  „Sr.  Kgl.  Mayst  in  Pohlen  Hoch- 
verordn.  würklicher  Kammer  und  Hoff  Rath". 

Zahlreich  sind  die  Ehrenämter,  welche  die  Inschriften 
neben  der  Bezeichnung  als  B.  (Bürger),  B.  bey  der  Stadt 
und  neben  der  Berufsangabe  nicht  versäumen  aufzuzählen. 
Da  erscheinen  die  Ältesten,  Neben-  und  Oberältesten, 
die  Geschworenen  der  Zünfte  oder  Mittel  aller  oben  an- 
geführten Gewerbe;  da  ist  ein  Oberältester  der  Seifen- 
sieder „dieses  Kreises",  ein  Schuhmacher  ist  Oberältester 
der  Zunft  der  Mälzer  und  Brauer.  Da  finden  wir  von 
städtischen  Ämtern  Bürgermeister,  Senioren  des  Rats, 
Ratsälteste,  Ratsassessoren,  einen  J.  U.  C.  und  des  Rats- 
collegii  Assessor,  Ratsverwandte,  einen  Magistratssenior, 
einen  Stadtrat,  einen  ältesten  Assessor  des  Gerichtscollegii, 
einen  Stadtvogt,  einen  Gemeindeältesten  bey  der  Stadt; 
und  auch  von  Lissadorf  einen  Gerichtsscholzen  auf  der 
Leszczynke  sowie  einen  Gerichtsscholzen  von  Striesewitz. 
Von  kirchlichen  Gemeindeämtern  sind  vertreten :  Vorsteher 
der  luth.  Kirche,  Kirchenälteste  bei  der  ev.  luth.  Ge- 
meinde, Kirchenälteste  der  ref.  Gemeinde,  Kirchenvater 
der  ref.  Gemeinde,  Vorsteher  des  Lazaretts,  Vorgesetzter 
der  Stadt  und  der  ref.  Gemeinde,  Hospitalsvorsteher  zu 
St.  George. 


126  Paul  Voigt. 

Mannigfaltig  wie  Ämter,   Stand    und  Würden    sind 
auch  die  Titel  der  Verstorbenen,  die  meist  ausdrücklich 
angeführt  oder  doch  durch  ein  Tit.,  Tit.  pl. x)  oder  pleniss., 
Tit.  deb.   (iti)   respektvoll   angedeutet  werden.     Da    ruht 
neben  dem   „alten,  dem  ehrbaren  und  geachteten,  auch 
ehrengeachteten,    namhaften,   vorsichtigen,    ansehnlichen, 
wohlgesehenen,     ehrenwohlgeachteten,     höchstens    noch 
berühmten  und  kunstreichen  oder  kunsterfahrenen  Hand- 
•werkmeister  der  vornehme  und  weitberühmte  Kauf-  und 
Handelsmann,  der  hochberühmte  Pulvermacher,  der  hoch- 
meritierte  Bürgermeister,  Senior  E.  W.  E.  Rats,  der  wohl- 
bestellte Gemeindeälteste  bei  der  Stadt,  der  wohlmeritierte 
Gerichtsassessor,  wohlverdiente  Kirchenälteste,  der  hoch- 
edle,   wohlweise  und  hochbenamte  Herr,  vornehmer  des 
Rats  und  der  Kirche  Ältester;   neben  dem  edlen,  ehren- 
festen, wohlweisen  und  wohlbenamten  Herrn  X.,  hiesiger 
Stadt  ansehnlichem  Ratsverwandten  der  hochedelgeborene, 
hochgelehrte  und  hocherfahrene  Herr  Herr  Y.,  Dr.  medicinae 
und  Stadtphysikus  und  der  hoch-  und  wohledle,  hoch-  und 
wohlgelahrte  Herr  Rektor  sowie  der  hochwohlgeborene 
(adlige)  Herr.     Auch  Frauen,  Jungfrauen  und  Junggesellen 
entbehren  des  ehrenden  Titels  nicht:  neben  dem  ehrbaren 
und    namhaften  Junggesellen    hat  die  ehr-   und   tugend- 
same, die  ehrbare  „viel  sitt-  und  tugendgelobte"  Jungfrau 
ihre  Ruhestätte  gefunden.  Und  die  Frauen  werden  gerühmt 
als  wohlgeborene,  ehrbare,  „viel  ehr-  und  tugendbegabte0, 
.„hoch  ehren  reiche  an  Sitten  und  Tugend  edele". 

Aus  der  grossen  Menge  Inschriften  lassen  wir  nun 
eine  Auswahl  von  solchen  folgen,  die  teils  zur  Bestätigung 
und  Ergänzung  des  Gesagten  dienen  mögen,  teils  durch 
Form  oder  Inhalt  irgendwie  bemerkenswert  sind,  und 
beginnen  mit  den  gereimten.  Die  einzige  Inschrift  dieser 
Art  auf  dem  reformierten  Kirchhof,  zugleich  die  älteste 
und  umfangreichste  der  gereimten  überhaupt,  findet  sich 
auf  einer  das  Grab  noch  heute  deckenden  Sandsteinplatte, 
die  der  „Tit.  Fraw.  Anna  Sofia  Woidin  gebohrene(n)  Felss 


*)  Titutis  pleni. 


Alte  Lissaer  Grabdenkmäler.  127 

Mannin"  gewidmet  ist,  welche  „nachdem  sie  Jungfraw  18: 
ehlich  ein  Jahr,  Mutter  isTage,  zusammen  19  V2  Jahre  gelebet, 
legte  (sie)  hier  nieder,  was  an  ihr  sterblich  war.    Ao  1676 
den  18.  Dezember".    Die  Verse  lauten: 
Steh  Wandersmann. 
Lass  diesen  Stein  dich  lehren, 
Dass  sich  die  Tugend  selbst  nicht  kan 
Des  grimmen  Todes  Macht  erwehren. 
Hier  ruht  ein  Weib.    Fragstu  nach  ihren  Jahren, 
Sie  war  von  dehm,  die  noch  Berg  auff  hier  gehn 
Und  sollen  erst  am  Gipfel  stille  stehn. 
Doch  war  sie  schon  an  Tugend  hochgefahren. 
Und  übertraff  mit  der  der  Jahre  Lauff, 
Drum  nahm  sie  auch  der  Höchste  zeitig  auff. 
Zwar  war  ihr  noch  das  Leben  hir  zu  gönnen, 
Umb  dass  sie  hätt  ein  Muster  geben  können 
Von  Tugend,  Zucht,  von  Sitt  und  Freundlichkeit : 
Auff  diese  war  von  Jugend  sie  beflissen, 
Es  lasset  dis  ihr  schöner  Nähme  wissen, 
Dehn  sie  mit  Recht  geführt  in  dieser  Zeit. 
Nun,  sie  ist  hin.    Es  ist  umb  sie  gethan. 
Ach  dass  doch  auch  die  Tugend  sterben  kan: 
Doch  huldiget  die  nicht  der  finstern  Erden. 
Der  schöne  Geist  hat  müst  ein  Engel  werden 
Und  einen  Platz  im  Paradiese  haben. 

Es  lieget  nun  ihr  Cörper  hier  begraben. 

Ihr  Ehmann  liess  die  Neben  Stell  ihm  offen. 

Doch  nun  er  hat  ein  ander  Lager  troffen, 

So  ruht  sie  hier  allein 

Er  ehret  sie  mit  diesem  Stein 

und  wünschet  Beyden  wol 

?    J.  F.    P.  W.    ?    ?    N.  S. 

(Ruhet  in  Frieden  Peter  Woide  Anna  Felsmann.?) 

Die  übrigen  gereimten  Inschriften  finden  wir  auf  den 
beiden  evangelischen  Kirchhöfen.  Seiner  ersten  1701  ver- 
storbenen Frau,  deren  Bildnis  einst  das  Medaillon  („Wessen 
dieses  Bildniss  sey,  lehret  folgende  Unterschrift")  der  Platte 


128  Paul  Voigt. 

ausfüllte,  widmete  der  „vornehme  Kauff  und  Handelsmann 
Gerichts  Assessor  und  Kirchen  Elteste  Hr.  Adam  Fritsch" 
nebst  dem  Lobe,  dass  sie  „dass  gutte  Zeugniss  wahrer 
Gottesfurcht,  beständiger  ehelichen  Treue,  mütterlicher 
Sorgfalt  für  ihre  Kinder,  standhaffter  Gedult  in  vielem 
Creutz  und  Christi:  Bereitung  zum  seelig  Ende  verliess", 
den  kurzen  Vers: 

Wer  also  stirbt,  dem  steht  der  Himmel  offen, 
Und  kan  getrost  die  Auferstehung  hoffen. 
Seiner  zweiten  aus  dem  um  die  Kreuzkirchengemeinde 
hochverdienten  Geschlecht  der  Goldammer  stammenden 
Frau,  seiner  „Liebsten  Abigail  andern  Ehe",  deren  Bildnis 
er  ebenfalls  im  Medaillon  der  Nachwelt  zu  zeigen  für 
würdig  hielt,  setzte  er,  als  sie  ihm  im  Pestjahr  1709  starb, 
die  Worte  auf  den  Grabstein: 

Du  schiäffst  o  Seelige  bey  diesen  Grabesteinen, 
Wir  aber  müssen  hier  noch  viele  Noth  beweinen. 
Dem  Stifter  des  St.  Georgenhospitals,  nach  dem  heute 
noch  eine  Gasse  der  Stadt  vermutlich  ihren  Namen  hat, 
dem  Kaufmann  Georg  Stoltze  und  sich  selbst,  setzte  seine 
Ehefrau   ein   prächtiges    Marmordenkmal   in   Form   einer 
Kanzel  mit  der  Inschrift: 
Die  schnelle  Zeit  verfleucht  [u.]  schreibet  gleich  wol  an, 
Wer  wir  gewesen  sind  und  was  wir  hier  gethan. 
Sie  zeigt  mit  dieser  Schrifft: 
Von  Tit.   Hrn:  George  Stoltzen  des  Raths  und  Kirchen- 
Eltesten  wie  auch  berühmten  Kauffmann  in  Lissa 

Durch  ein lts  Hertz 

Wie  sehr  sein  Krone  und  werthen  Ehe-Schatz 

Tit.  Frauen  Anna A  Stoltzin  gebohrne  Walterin 

Und  sie  hinwieder  ihn  biss  an  den  Todt  geliebet. 

Doch  war  sein  Sinn  noch  mehr  zu  seinem  Gott  gericht 

Drumb  Hess  sich  als  ein  schönstes  Liecht  das  Muster 

wahrer  Frömmigkeit 

Durch    .    .    .  und  Geduld  in  seinem  Leben  sehen 

Durch  hertzliches  Erbarmen  durch  Wohlthat  an  den  Armen 

[So  hat]  er  seinen  Lauff  auf  55V2  Jahr  und  etwas 

drüber  bracht. 


Alte  Lissaer  Grabdrnkmäler.  129 

[Ihm]  ward  sein  Lagerstat  zu  einer   Todtenbaar  Ao  1702 
d  20.  Septbr. 
[Nun]  ruht  sein  Cörper  hier  mit  vielem  Ehe-Seegen, 
[Wo  ihm  dereinst]  sein  Schatz  sich  wird  zur  Seite  legen. 
[Die  Seele  ist]  aber  im  Himmel  seelig  aufgehoben. 
Wie    hier  so    sind    auch    bei    den  nächstfolgenden 
Inschriften  die  Namen  und  Titel,  die   Daten  der  Geburt 
und  des  Todes  ohne  Reim  zwischen  die  Verse  geschoben, 
so  auf  den  zwei  zusammen  gehörenden  in  die  Südmauer 
der  Kreuzkirche  eingelassenen  Platten,  die  wir  oben  wegen 
der  allegorischen  Eckdarstellungen  mit  umgebenden  Versen 
ausführlicher  beschrieben  haben.     Auf  dem  grossen  Mittel- 
schilde der  ersten  Platte  lesen  wir  in  schöner  deutlicher 
Schrift: 

Hier  ruht  dem  Leibe  nach,  der  wie  Elias  lebensmüde  war, 

Tit.  Herr  Elias  Müller,  ansehnlich  gewesener  Bürger 

und  Färber  allhier, 

sein  Leben,  das  ihm  Gott  gegeben, 

in  Bojanowo  Ao  1665.  d.  4.  August: 

und  sein  vergnügter  Ehestand 

mit  Tit  Frau  Rosina  gebohrner  Pfänglerin  von  A<>  1687  an, 

die  gaben  ihm  viel  Anlass  an  die  Hand, 

des  Höchsten  Treue  zu  erheben. 

Er  ehrte  Gott,  sein  Hauss,  und  lässt  den  Ruhm  zurücke, 

dass  Gottes  Furcht  und  Redlichkeit 

Ihm  stets  von  Hertzen  lieb  gewesen: 

die  allerletzte  Lebens  Zeit 

die  brachte  er  mit  grossem  Schmertz  und  Krankheit  zu, 

doch  ein  erwünschter  Todt 

Ao  1726  d.  14.  Nov  seines  Alters  61  Jahr,  3Monath,  10  Tage, 

der  theilete  die  Jordans  Wasser  seiner  Leyden 

und  brachte  ihn  zur  Ruh 

und  zu  des  Himmels  Freuden. 

Indess  will  seinem  Angedenken, 

die  so  sein  halbes  Hertze  war, 

mit  diesem  Leichenstein 

das  letzte  Zeugniss  ihrer  Treue 

schenken. 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XX.  9 


130  Paul  Voigt. 

Die    Inschrift    auf    dem    grossen    Mittelschilde    der 
Schwesterplatte  lautet; 

Ein  treuer  Ehe-Schatz  liegt  hier  dem  andern  an  der  Seite, 

Tit  Fr.  Rosina  Müllerin  geb.  Pfänglerin, 

Vom  Anfang  Ihres  Lebens  an, 

so  geschehen  in  Koben  Ao  1667  d.  26.  M , 

Verband  sie  sich  mit  ihrem  Gott, 

ihm  stets   im  Glauben  treu  zu  sein. 

In   ihrem   Ehestande 

mit  Tit  Herrn  Elias  Müllern,  ansehnlichen  Bürgern  und 

Färbern  allhier,  von  Ao  1687, 

War  redliche  und  reine  Liebe, 

in  Wohl  und  Weh  stets  unveränderlich. 

Ihr  Creutz  u.  ihren  Wittwenstand 

Von  Ao  1726, 

Ertrug  sie  mit  Geduld  und  in  Gelassenheit, 

biss  das  sie  endlich  überwand, 

Und  alle  Noth  im  Tod  ein  fröhlich  Ende  fand, 

So  geschehn  Ao  1744,  ihres  Alters  —  J.  5  M  4  T. 

Die  Hoffnung  hat  sie  nun  auch  noch  im  Grabe, 

dereinst  mit  ihren  Eh-Schatz  aufzustehn 

und  an  den  Ort  der  Freuden  ein  zu  gehn. 

Derselben  Form  begegnen  wir  auch  auf  zwei  niedrigen 

Pyramiden  des  äusseren  evangelischen  Kirchhofs: 

Hier  ruht  in  ihrer  Kammer 

Ohn  allen  Jammer 

Fr.  Anna  Regina  geb.  Arndten. 

Sie  sah  das  Licht  der  Welt 

1684  d.  3.  Apr. 

Und  nahm  in  ihrer  Jugend 

An  Alter  zu  und  auch  an  Tugend. 

Als  sie  in  Stand  der  Ehe  trat 

171 1  d.  16.  Jan.  mit  Hr.  Michael  Bluhm,  ansehnl:  B:  u.  der 

löbl:  Zunfft  d.  Sattl.  Ober  Elt,  auch  Kirchen Vorst.  d.  Ev.  Ge. 

Den  sie  vergnügt  geführet  hat 

26  Jahr  6  M  3  Wochen, 

So  erfreute  ihre  Seel 

Ein  einiger  Sohn  Samuel. 


Alte  Lissaer  Grabdenkmäler.  131 

Sie  hat  in  dieser  Welt 

ihrVertraun  auf  Gott  gestellt. 

Er  war  ihre  Lust  u.  Freude 

in  Angst  und  Leide, 

Biss  ihr  der  Tod  das  Leben  nahm 

1737  d.  11.  Aug., 

wodurch  sie  aber  zur  volkommen  Freude  in  den  Himmel  kam, 

nachdem  sie  ihr  Alter  bracht  auf  53  J.  4  M.  7T. 

Ein  wahrer  Christ 

suchet  das,  was  droben  ist. 

Daher  ist  seine  Liebe  zu  Gott  gericht, 

deren  sich  die  Seelige  beflissen. 

Ihr  Wahl  Spruch  war: 

Christum  lieb  haben  ist  besser,  den  alles  wissen. 

Darum  ist  ihr  mühsames  Leben  u.  Tod  zur  sanften  Ruhe 

worden.    Sie  wird  wieder  aus  dem  Tode  erwachen  u.  das 

ewige  Leben  antreten,  da  sie  ihren  Heiland  lieben  wird 

in  Ewigkeit. 
Der  Kopf  der  Pyramide  trägt  die  Inschrift,  die  wie 
die  Hauptinschrift  auf  alle  vier  Seiten  verteilt  ist: 
Meinem  Gott  hatt  ich 
Mich  in  allem  gantz  ergeben, 
Der  hat  mich  auch  aus  aller  Noth 
Geführet  durch  einen  sanfftenTod. 
Echte  Handwerkspoesie  mutet  uns  erfrischend  naiv 
und  originell  auf  einer  andern  kleinen  Pyramide  desselben 

Kirchhofs  an: 

Sterblicher  geh  nicht  vorbey, 

Liess  vorher,  was  dieses  sey. 

Nah  bey  dieser  Pyramide 

Schiäfft  ein  kleines  Par  in  Friede. 

Es  bedecket  dieser  Stein 

Einen  Sohn  u.  Töchterlein 

Nathanael  u.  Christina  Elisabets  Babein  (?). 

Das  liebe  Söhnlein  hiess 

Mit  Recht  Nathanael, 

denn  wars  ein  Schmerzens  Riess, 

Als  dessen  seine  Seel, 


132  Paul  Voigt. 

ein  Kind,  das  hier  zur  Lust 
Der  Eltern  ward  gebohren 

A.  1740  d  10.  Mai, 

Sie  durch  Verzehrung  nun 

Schon  wiederum  verlohren. 

(Datum) 

Das  liebe  Töchterlein 

war  auch  kein  geringes  Letzen, 

Es  solte  jenen  Riess 

den  Eltern  Par  ersetzen. 

Allein  sein  schöner  Nahm: 

Sie  hiesse  Christin  Liesel, 

Ward  hier  nicht  lang  gehört, 

Es  kam  ein  weises  FrieseL 

Sie  war  kaum  auf  die  Welt 

Kurz  vorher  gekomen, 

1742  d  29.  No., 

So  ward  sie  durch  den  Tod 

Den  Eltern  schon  genommen 

1742. 

Tit.  Herr  Christian  Leberecht 

Und  zugenahmet  Gabel, 

Der  schwartz  schön  künstlich  färbt, 

lyitfärbt  seinToden  Nebel 

Mit  seinem  Ehe  Schatz, 

Frau  Anna  Rosina  Nellen, 

Da  sie  der  Kinder  Tod 

Sarg  und  Grab  hiess  bestellen. 

Auf  zwei  hohen  Schwesterpyramiden  des  äusseren 
evangelischen  Kirchhofs,  die  einer  Frau  Schmekel  und 
ihren  8  Kindern  gewidmet  sind  (die  Prosainschriften  teilen 
wir  ihrer  Eigenart  wegen  später  mit),  zieren  Kopf  und  Fuss 
die  Verse  auf  die  Mutter: 

Hier  soll  der  Stein  ein  Grabmahl  seyn, 

...    in  der  Freud  u Leid 

.    .  Kindes  Not  gebahr  hier  gar  den  Tod 


Alte  Lissaer  Grabdenkmäler. 

Auf  vierzehnjährige  Ehe 
Bracht  hier  der  Tod  viel  Wehe. 
Der  Leichen  Text  war  Gottes  Wille, 
Zu  Gott  ist  meine  Seele  stille.  Ps.  6  v. 
Und  auf  eine  siebenjährige  Tochter: 
Heute  roth  Morgen  tod: 
Im  Himmel  oben  wohl  aufgehoben. 
Als  mit  einer  Leichen-Predigt  war  diss  selige  Kind  1 
Muste  diese  Himelsbraut  diesen  Spruch  zum  Tex 

Ps.  6  v.  io. 
Leichen-Text:    Ich  freue   mich  im   Herrn 
Seele  ist  frölich  in  meinem  Gott,  wie  eine  Braut 
Geschmeide  b erdet. 

Auf  ein  einjähriges  Brüderchen  gehen  die  ' 
Schon  bald  im  i  ten  Jahr 
kam  meine  Todtenbahr  — 
Ich  geh  ins  Grab,  doch  Johann  Ernst  soll  le 
Und  wenn  Gott  will,  noch  lange  Trost  uns  g 
Und  von   3   früher    gestorbenen    Geschwis 
„nicht  weit  von  hier    .    .    .    auf  dem  Kirchhofe 
Kirche"  (dem  inneren)  ruhen,  lautet  die  kurze  K 
Drey  dort  hegrabene  Herzen 
Erregten  3  mahl  Schmerzen. 
„Von  diesem  Kleeblatte  wurde  zum  3  fachen  S 
der  Eltern  ein  Jahr  nach  dem  andern  ein  Blat  at 
dort  ligen  sie  verwelcket,  doch  im   Frühlinge  al 
der  Sterblichen  grünen  ihre  Gebeine  ewig  wiede 
Eine  andere  hohe  Pyramide  zeigt  in  weit! 
baren  Buchstaben  den  Vers: 

Glauben,  Hoffnung  und  Geduld 
Uebte  diese  Frau  in  Zeiten, 
Und  die  Liebe  konnte  Sie 
In  die  Ewigkeit  begleiten. 
Eine  Platte  aus  neuerer  Zeit  (181 2)  gebe 
schluss  der  gereimten  Grabinschriften: 

Ruhe  wohl  du  theurer  Gatte, 
Schlummre  aus  in  deiner  Gruft, 


134  Paul  Voigt. 

Bis  des  Welterlösers  Stimme 
Dich  zum  neuen  Leben  rufft. 
Unser  Auge  thränt  um  dich, 
Doch  beym  frohen  Auferstehen 
Werden  wir,  o  schöner  Trost, 
Dich  dereinstens  wiedersehen. 

Von  den  vielen  Prosainschriften  möge  die  einzige 
umfangreiche  lateinische  des  Seniors  der  ref.  Gemeinde 
Adam  Samuel  Hartmann,  der  den  Lesern  dieser  Zeitschrift 
durch  sein  Tagebuch1)  bekannt  ist,  voran  stehen.  Hartmann 
hat  1690  Lissa  verlassen  und  ist  1691  auf  einer  Reise 
nach  England  in  Rotterdam  gestorben  und  wohl  auch 
begraben.  Wir  haben  es  hier  nicht  mit  einem  Grabstein» 
sondern  mit  einer  noch  bei  seinen  Lebzeiten  ihm  gesetzten 
Gedenktafel  zu  tun. 

D.  O.  M.  et  angelo  eius  custodi  ossium,  sub  et  ex 
hoc  saxo  mortem  ante  mortem  et  vitam  ante  vitam  medi- 
tatus  est  vivus  adhuc  et  respexit  Adam  Samuel  Hartman 
s.  th.  d.  et  ecclesiarum  ref.  per  Maj.  Pol.  superat,  qui  in  vita, 
quid  esset  vivere,  in  morte,  quid  esset  mori,  non  sensit, 
quem  satis  laudabit,  qui  verum  dixerit. 

Is  A.[R]  O.  MDCXXVU  d.  7.  Septembr.  vitam,  sexto 
post  mense  exilium  orsus  est,  novercanti  patriae  eripiendus, 
ut  matri  servaretur  ecclesiae,  cuius  filius  exstitit  et  pater. 

Relata  plurimorum  annorum  indefessis  sudoribus  de 
omnibus  fere  Europae  regionibus  et  academiis  linguarum 
et  sententiarum  spolia  aerario  domini  intulit,  id  demum  vivere 
ratus,  deo  vixisse  et  ecclesiae,  ab  anno  aet  XXIII.  ita  v.  <L 
ministerio  functus  est,  ut  disertissimo  praeconio  innocentem 
vitam  pingens  et  quod  disceret  et  quod  imitaretur,  gregi 
Christiano  proponeret.    Sed  mortuus  etiam  concionabitur. 

Commiss[um]  dein  sibi  a  supremo  nauarcha  clavum 
cum  magno  gloriae  divinae  incremento  vigilantissime  rexit 

Vtramque  iTtloxoTvrjv  administravit  ut  ad  labores  natus 
respiraret,  cum  relliquiae  evangelij  exspirare  viderentur> 
nunquam  otiosus.    Jam  veneranda  canities  post  Herculeos 

!)  S.  diese  Zeitschr.  XIV.  XV. 


Alte  Lissaer  Grabdenkmäler.  135 

exantlatos  sudores  ad  placidam  quietem  sese  componens 
eum  disponit,  ut  ad  quod  imminentem  coeli  scalam 
praestoletur. 

I  lector  et  quae  lapis  iste  non  capit,  alibi  quaere 
vel  ab  exteris.  Hoc  me  vivo  adhuc  et  plo  .  .  .  [nejscio 
ubi  terrarum  ossi[bus]  suis  quies  designata  sit.  Hie 
D.  E.  I.  P. 

Deutsch,  aber  in  demselben  schwülstigen  Barockstil, 
der  für  die  2.  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  charakteristisch, 
vermutlich  von  Hartmann  selbst,  ist  eine  Doppelplatte 
beschrieben,  die  zwei  Verwandten  Hartmanns  gewidmet 
ist,  nämlich  seiner  zweiten  Frau  Barbara,  einer  geborenen 
Vigilantius,  und  deren  Tochter  aus  erster  Ehe  mit  Pastor 
Daniel  Epaenetus. 

Von  Frau  Barbara  Hartmann  heisst  es:  „Wanders- 
mann,  bin  ich  gleich  kein  teurer  Monitor,  sehe  mich  doch 
an  wegen  der  Kostbarkeit,  die  hier  beygeleget,  dieser  schlechte 
Stein  bedecket  einen  edlen  Tempel  Gottes,  ein  geschmücktes 
Wohnhaus  der  Tugenden,  ein  preiswürdige  Schule  einger 
Wurthligkeit,  ein  allgemeine  Allhaus  der  Frembdlinge  und 
Waysen,  ein  erquickentes  Spi[tal]  der  Armen  und  Not- 
leydenden,  eine  sterbliche  Wohnung  der  unsterblichen 
Liebe,  Tit.  Fr.  Barbara  Hartmannin  geb.  Vigilantiussin, 
welche  A.  1630  den  8.  April  in  diese  Eitelkeit  eingetreten, 
A.  1688  den  31.  Augusti  dieselbe  wieder  gesegnet.  In- 
zwischen viel  Wechselfälle  unbeständiger  Zeitligkeit  er- 
fahren, viel  Proben  beständiger  Gottseeligkeit  erwiesen. 
Sie  ward  zuerst  A.  1647  Tit.  H.  Danieli  Epaeneto  V.  D.  M. 
...  (3  Reihen  unleserlich)  .  .  .  Tit.  Hr.  Adam  Samuel 
Hartmann  ....  (Rest  unleserlich)  .  .  .  ." 

Von  dem  bescheiden  tugendhaften  Sinn  ihrer  Tochter 
Christina  Ferguschyll  erzählt  die  andre  Hälfte  der  Inschrift: 
„An  ihrer  werthen  Mutter  Seite  ruhet  allhier  Tit.  Fr. 
Christina  Ferguschyllin  geb.  Epaenetin,  die  noch  so  viel 
billiger  nach  dem  Todte  gerühmet  wird,  umb  wie  viel 
mehr  sie  im  Leben  allen  Ruhm  vermieden,  auch  den  sie 
verdienet!  Es  haben  die  Rosen  gottseeliger  Sittsamkeit 
die  Lilien   ungefärbter  Aufrichtigkeit,    die    Violen   preis- 


136  Paul  Voigt. 

würdiger  Demuth,  die  Palmen  heldenmüthger  Selbstüber- 
windung, das  Tausendschönchen]  auserlesenster  Tugenden 
derselben    Jungfr.    einen    unverwelcklichen    Ehrenkrantz 

gewunden  und igkeit  das  Kleinod Sie 

war  ihrer  Eltern  Tit.  H.  Danielis  [Epaeneti].  V.  D.  M 
Past  .  .  .  (Rest  unleserlich)  .  .  ." 

Derselben  Familie  und  derselben  Stilgattung  gehört 
noch  eine  Doppelplatte  mit  korinthischer  Säulenfassung 
an :  „Da  mirs  also  gehen  sollte,  warumb  bin  ich  schwanger 
worden.  —  Ach  Schmertz,  dass  die  Sonne  vor  Mittage 
verfinstert  und  der  Rosen  Stock  im  Lentzen  zernichtet 
worden,  die  hoch  Ehren  reiche  an  Sitten  und  Tugend 
edele  Frau,  Barbara  Bährinn,  gebohrne  Epaenetin,  hat  im 
Jahr  Christi  1679  den  11.  Monatstag  Juny,  die  erblasete 
Blühte  ihrer  Jugend,  nach  dem  sie  einsam  und  Jungfrau 
um  16,  ehlich  2  Jahr,  und  Mutter  ach  Jammer  nur  VII.  Tage, 
zusammen  XVIII  Jahr  VI  Wochen  11  Tage  alt  gelebet,  under 
disen  Stein  verscharren  lassen.  Vor  die  tugendhaffte  Seele 
war  kein  Raum  in  dieser  Herberge,  die  ist  wider  nach 
ihren  Ursprünge  gekehrt  Ihr  Gedächtnis  ist  in  Frieden 
und  dieser  Stein  Zeuge,  das  eine  treue  Mutter  ihres  lieben 
Kindes  nicht  vergesen  kan  M.  D.  C.  LXXXI  den  2.  Aug." 
Die  andre  Hälfte  füllen  die  Worte:  „Unter  diesem  Centner- 
schweren Steine  liegen  noch  mehr  Centner  Sorgen  ver- 
graben, mit  welchen  dess  weyland  edlen  ehrenvesten  wohl- 
wey.  und  wohlbenahmten  Herr  Martin  Bähres,  hiesiger 
Stadt  ansehnlichen  Rathsverwandtens  und  der  Reformierten 
Gemeinde  wohl  verdienten  Kirchen -Ehestens,  Leben  be- 
schaff tiget  war,  welcher,  nachdem  es  ihn  in  die  58  Jahr 
durch  mancherley  Wechsel  und  Veränderung  ermüdet, 
hat  seine  Seele  das  himmlise  Vaterland,  der  Leib  aber 
diesen  Sand  zur  Ruhstätt  erkoren,  worein  er  im  Jahr 
Christi  M.  D.  C.  L.  XXX  den  29.  Monats  Tag  Septemb. 
versetzet,  und  dieses  Denk-mahl  ihm  zu  Ehren  und  seinem 
unmündigen  Söhnlein  zum  Andenken  geleget  worden 
M.  D.  C  L.  XXXI  den  7.  Aug." 

Von  Familienstolz,  weiten  Reisen,  gediegenen  Kennt- 
nissen,   bürgerlicher  Tüchtigkeit   und   Frömmigkeit   zeugt 


Alte  Lissaer  Grabdenkmäler.  137 

die   schöne  hohe  Pyramide  Samuel  Zugehörs,  dessen  Vor- 
fahren von  Comenius  erwähnt  werden  und  Joh.  Heermann 
befreundet    waren:   „Hier    ruhet    in  Gott    der    weyl.    tit. 
plen.       Herr      Samuel      Zugehör,       gewesener       hoch- 
meritirter  Bürger  Meister,  letzlich  Senior  E.  W.  E.  Raths 
wie  auch  hochberühmter  Pulvermacher  dieser  Stadt.    Er 
stammt  aus  einem  alten  Geschlechte  her,  welches  durch 
seine    vorzügliche    Tugenden     ansehnlich    und    berühmt 
gewesen!    Sein  Herr  Vater  war   der  weyl.  Herr  Martin 
Zugehör,     vornehmer     Bürger     und     Pulvermacher     all- 
hier,     seine    Frau    Mutter,     die    weyl.    Frau    Catharina 
geb.  Adeltin,  welche  ihn  Ao.  1701  den  2.  Febr.  zur  Welt 
gebohren.    Seine  besondere  Fähigkeit  des  Verstandes  und 
zulängliche  Triebfaden    des  Willens    machten    schon    in 
zarter  Jugend  an  ihm  den  Unterricht  seiner  Lehrer  frucht- 
bar.    Er    erwarb     sich     eine     gründliche    Kenntniss    in 
Sprachen    und    Wissenschafften     und     unternahm     bey 
anwachsenden  Jahren  eine  Reise  nach  Holland,  Frankreich 
und  Portugal,    da  er  in  Lissabon   das  Glück   hatte,    mit 
seinem  eintzigen  Bruder  sich  noch  einmahl  zu  vergnügen. 
Er   hatte   ihn   aus  Liebe    besucht   in    der   Frembde   und 
kurtz  nach  seinem  Tode  folgte  ihm  derselbe  nach  in  die 
himmlische  Heymath.     In   frembden    Ländern    suchte    er 
sich    diejenigen  Vortheile   zu   Nutze   zu   machen,   welche 
auff  die  Verbesserung  des  Verstandes  und  Angenehme  in 
Sitten  abzielten.    Diese  vorzügliche  Eigenschafften  machten 
ihn    bey   Frembden    beliebt    und    angenehm.    In    dieser 
vorzüglichen  Verfassung   kam    der  Seelige   im  Jahr   1729 
in  sein  Vaterland  zurücke.    Er  verlobte  sich  im  Jahr  1732 
den   i4ten  May   mit   der   damahls    tit.  Jungfer   Dorothea 
Elisabeth,     des     tit.     Herrn     Christian     Körbers     hoch- 
ansehnlichen Königl.  Pohln.  Secretairs  und  Post:  Meisters 
zu  Fraustadt   und  Lissa   mittelsten  Jungfer  Tochter,   und 
zeugete   in    dieser   zärtlichen  Ehe,   welche    durch  Gottes 
Gnade  17  Jahr  dauerte,  5  Söhne  und  5  Töchter,  deren 
2  Söhne    und    2   Töchter    ihrem   Vater    vorangegangen, 
l'nermüdete  Sorgfalt,  Einsicht,  Verstand  und  Redlichkeit 
waren  die  Eigenschafften,  die  ihn  geschickt  machten,  das 


138  Paul  Voigt. 

Ehrenammt  eines  Rathmannes  und  Bürger  -  Meisters 
zu  bekleiden.  Im  Leben  war  er  gegen  seinen  Jesum 
getreu,  gegen  seine  Ehegattin  vertraut,  liebreich  und 
zärtlich,  gegen  seine  Kinder  sorgfältig  und  gütig,  gegen 
Freunde  und  Feinde  redlich,  ohne  Misstrauen,  gefällig, 
ohne  Eigennutz,  sanftmüthig,  ohne  Verstellung,  in  seinem 
Ammte  gewissenhaft,  unverdrossen  und  redlich.  In  seiner 
Kranckheit  fand  ihn  der  Todt  nicht  müssig.  Er  ging  ihm 
mit  den  Waffen  des  Glaubens  getrost  entgegen,  er 
kämpfte,  überwand  ihn  und  übergab  also  dem  gekreutzigten 
Jesu  seine  erlösete  Seele,  da  er  sein  rühmliches  Alter 
auff  49  Jahr  bracht. 

Schlaffe  wohl,  Samuel! 

du  Richter  ehrenwehrt. 

Für  Deine  Treue  Dir 

dis  Denckmahl  Zugehört. 
Denckmahl   zärtlicher  Liebe    einer   treuen  Ehegattin.     Er 
starb  1749  den  26sten  Sept.  und  wurde  den  29.  dito    am 
Tage  Michaelis  zu  dieser  Ruhe-Städte  gebracht4'. 

Kürzer  und  knapper  berichtet   eine   Grabsteinplatte 
an  der  Kreuzkirche  von  den  Lebensschicksalen  eines  vor- 
nehmen Kaufmanns:     „Nahe  an  diesem  Steine  ruhen  die 
Gebeine  eines  rechtschaffenen  Mannes,  dessen  Asche  sein 
gel.  Sohn  durch  dieses  Denk-Mahl  bei  der  Nachwelt  ehret 
Der  W.  tit.  deb.  Herr  Gottfried   Eichler,  gew.  vorn.  B.  u. 
weit  berühmt.    Kauff-  und  Handels-Mann,  wie  auch  der 
loebl.  Kauffmsch.  allhier  ansehnlicher  Eltester,  lebte  unter 
christl.  Bemühungen,  sich  als  einen  rechtschaffnen  Mann 
jeder  Zeit  zu  beweisen,  und  starb  mit  dem  wohlverdienten 
Nachklange  im  Grabe,  dass  er  es  in  der  That  gewesen, 
1702    d.   19.  7br.   ward   er   in  Fraustadt   geb.,   in  Lublin 
erlernte  er  die  Kauffmsch.     Der  Tod  seines  Herrn  Vaters 
ruffte     ihn     1728     nach    Hause.       Er    verheiratete    sich 
1730    d.    8.     Febr.      mit      tit.      deb.      Jungfer      Barbara 
Regina     Milischin     aus     Lissa,     Hess    sich     1731     alhier 
bürgert,  nieder  und  legte  seine  Handlung   im  Vertrauen 
auf  Gott   an.    Ein    einziger  Sohn    war   die    überbliebene 


Alte  Lissaer  Grabdenkmäler.  139 

Trucht   dieser   Ehe.    1740   d.   28.  8br.    starb    diese   gel. 
Gattin    nach    der    Geburt    eines    eben    frühzeitig    noch 
gestorbenen  Toechterl.,  u.  1742  d.  28.  Aug.  verehl.  er  sich 
-wieder     mit     tit     pl.     Jungfer    Maria     Helena     Boekel- 
mann    aus     Fraustadt.     Allerhand    podagrische    Zufälle 
hatten     schon     lange     seine     christl.     Geduld     geprüfet, 
u.     sein    seel.    Abschied    kam    1764    d.     16.    Apr.,    da 
er  mit  61  J.  6  M.  u.  21  T.  aus  der  Welt  ging,  in  welcher 
er    als   ein   treuer   Bürger,   als   ein   redlicher   Menschen- 
freund, als  ein  zaertJicher  Gatte,  als  ein  liebreicher  Vater, 
kurtz  als  ein  gutter  Christ  und  rechtschaffner  Mann  gelebet". 
Selbstbewusster   Bürgerstolz    spricht    uns    an    aus 
einer     hohen     Pyramide:     „Hier     ruhet     Herr     Martin 
Zimmermann     ein     würdiger    Vorgesetzter     der     Stadt 
und     der    reformirten     Gemeine.     Er    wurde    Ao.     1698 
d.    28.   Sept.    hier    gebohren    von   Martin   Zimmermann, 
Raths     Beisitzern      wie      auch     Kirchen   Aeltesten,   und 
Susanna    Dorothea    Siebenharin.     Warschau    lernte    ihn 
die    Kauffmanschafft,    und    Lissa    nahm    ihn    Ao.    1725 
unter    ihre    Bürger    auff.     Er    diente    der    Stadt    treu 
und     stieg     nach     und     nach     von     den     niedrigsten 
Stuffen  der  Ehre  bis  zu  den  vornehmsten  Aemptern  der 
Stadt,  die  er  mit  Ruhm  bekleidete!    Er  war  von  einem 
munteren  Geiste,  arbeitsam  in  seinem  Beruffe,  redlich  im 
Handel,    dienstfertig    im  Umgange,    zärtlich    in    der  Ehe, 
eifrig   in    der  Freundschafft,   unermüdet   im  Dienste   der 
Stadt  und  seiner  Gemeine  .  .  ." 

Ein  anderer  Obelisk  gibt  zwar  nicht  von  hohen 
Verdiensten  um  Stadt  und  Gemeinde  laute  Kunde,  aber 
desto  beweglicher  und  redseliger  klingt  die  Klage  der 
Witwe  um  die  häuslichen  stillen  Tugenden  des  schlichten 
Gatten:  „Wanderer  stehe  still  und  weine  Thränen  des 
Mitleids  mit  einer  betrübten  Witwe  und  mit  verlassnen 
Waysen,  welche  den  schieinigen  und  unvermutheten  Tod 
ihres  geliebten  Ehe-Gatten  und  zärtlichen  Vaters 
beweinen.  Er  starb,  wie  er  gelebt  hatte,  als  ein  Christ. 
Er  that  wohl,  aber  in  der  Stille,  und  wolte  nicht 
bemerckt    werden.    Sein    Name    ist    würdig,     hier    ein- 


140  Paul  Voigt. 

gegraben  zu  werden.  Es  war  Samuel  Glabisch,  Bürg.  u. 
Müller  hierselbst.  Er  war  unbemerckt  in  seinem  Leben, 
aber  nach  seinem  Tode  wurde  er  von  vielen  vermisst. 
1774.  Sein  Vater  war  Christoph  Glabisch,  gew.  Bürger 
u.  der  löbl.  Zunft  der  Müller  Neben  Aeltester,  seine 
Mutter  Hedwig  geb.  Papmahlin.  Er  war  d.  12.  Novemb.  1727 
gebohren.  Er  wählte  sich  zur  Ehe-Gattin  d.  11.  Novemb.  1750 
Anna  Regina  Anderschin,  zwote  Tochter  Herrn  Samuel 
Andersches,  Erb-  und  Gerichts  Scholzen  in  Striessewitz,  mit 
welcher  er  22  Jahre  weniger  4  Tage  in  einer  vergnügten 
und  glücklichen  Ehe  gelebt,  welche  mit  6  Kindern 
geseegnet  gewesen,  davon  1  Sohn  und  2  Töchter  ihm  in 
die  Ewigkeit  vorangegangen.  Drei  vaterlose  und 
unerzogene  Waysen,  nämlich  eine  Tochter  Marie  Elisabeth 
und  zween  Söhne,  Johann  Samuel  und  David  Erns^ 
beweinen  mit  ihrer  zärtlichen  Mutter  den  für  sie  zu 
frühen  Tod  ihres  geliebten  Vaters.  Das  schmerzhafteste 
für  sie  war,  dass  sie  nicht  einmahl  den  letzten  Vater- 
Seegen  aus  seinem  sterbenden  Munde  bekommen  konnten. 
So  schleunig  raubte  ihnen  der  Tod  ihren  Vater,  klagend 
begleiteten  sie  ihn  hierher  zu  seinem  Grabe.  Ebenso 
bange  und  verlassen  klagt  die  betrübte  Witwe  über  den 
unersetzlichen  Verlust  ihres  besten  Ehe-Gatten  und  Ver- 
sorgers, der  in  den  blühendesten  Jahren  ganz  unvermuthet 
von  ihrer  Seite  gerissen  wurde.  Durch  den  Schlaf 
erquickt  erwachte  sie  am  Morgen  an  seiner  Seite,  dachte 
nicht,  dass  es  der  letzte  seyn  würde.  Plötzlich  hörte  sie 
ihn  stöhnen,  eilte  ihm  zu  helfen,  aber  vergebens.  Ein 
tödtenderSchlagfluss endigte  seinLeben  am  7. Novemb.  1772, 
früh  um  halb  7  Uhr,  und  wurde  den  folgenden  Tag  am 
XXI.  Sonnt,  nach  Trinit.  mit  einer  Leich  Predigt  begraben. 
Nur  45  Jahre  weniger  5  Tage  war  sein  Alter.  Diss  Denck- 
mahl  stiftet  die  eheliche  Liebe  u.  Treue.  Anna  Regina 
Glabischin  geb.  Anderschin.44 

Recht  bieder  und  treuherzig,  ohne  alles  Rühmen 
und  redseliges  Jammern,  lautet  ein  anderer  Bericht  über 
einen  schlichten  Bürger:  „Wohl  dem,  der  im  Leben  an 
den  Tod    gedenkt.     Das   that   Hr.    Georg    Heintze,    alter 


Alte  Lissaer  Grabdenkmäler.  141 

B.  u.  Tuchm.  Durch  die  Geburt  kam  er  an  das  Sterbliche 
Ao.  1667  d.  24.  Jan.  in  Sarne.  Weil  er  aber  sähe,  dass 
es  in  derselben  nicht  gutt  alleine  sey,  verehelichte  er 
sich  erstlich  mit  Jf.  Anna  Maria  Schneiderin,  hernach  mit 
Fr.  Anna  Christina  Braunin,  verwit.  Sonntagin.  In  erster 
Ehe  zeugeie  er  eine  Tochter,  die  andere  war  ohne 
Leibeserben;  mit  beyden  lebte  er  in  vergnügter  Ehe.  Bei 
mancher  Veränderung  in  Creutz  und  Leiden  sähe  er,  dass 
selig  sterben  das  beste  sey;  dahero  bereitete  er  sich 
füglich  zu  demselben,  damit  er  ewig  leben  mochte.  Endlich 
ging  er  der  Seelen  nach  aus  der  Welt  in  den  Himmel 
Ao.  1745  d.  14.  ...  ,  seines  Alters  75  Jahr  5  M.  21  Tage. 
Der  Leib  erwartet  alhier  der  frölichen  Aufferstehung". 

Im  Gegensatz  zu  den  teilweise  zwar  sehr  redseligen 
und  wortreichen,  aber  doch  recht  trockenen  Berichten  der 
letzten  Inschriften  reden  die  Steine  in  einem  oft  bis  zur 
Empfindsamkeit  gesteigerten  gefühlvollen  Tone,  wenn  sie 
von  dem  Hinscheiden  junger  Menschen  erzählen.  „Unter 
diesem  Denk  Mahl  ruhen  die  Gebeine  eines  hoffnungs- 
vollen Jünglings  Mart.  Dan.  Zimmermann,  civ.  gymn. 
Lesn.,  welchen  der  Höchste  anno  1720  d.  27.  Januar 
diese  Sterblichkeit  durch  gesunde  Geburt  begrüssen  Hess. 
Seine  Eltern  sind  der  tit.  pl.  Herr  Martin  Zimmer- 
mann, Bürger,  Kauff  und  Handelsmann  .  .  .  Und  die 
wayl.  edle  Fr.  Susanna  Elisabeth  gebohrne  Cassiussin. 
Diese  christliche  Eltern  wurden  durch  die  Geburt 
dieses  ältesten  Sohnes  sehr  erfreuet  und  Hessen  es 
an  nichts  ermangeln,  was  zu  desselben  christlicher 
Aufferziehung  erfordert  wurde,  wobey  sie  auch  Gottes 
Seegen  verspüreten,  indehm  sie  an  ihm  von  Kind- 
heit an  eine  besondere  Modestie,  anständige  Freymüthig- 
keit  und  ernsthafte  Munterkeit  bemerkten,  womit  eine 
wahre  Frömmigkeit,  Gehorsam  und  Auffrichtigkeit  gepaaret 
gieng.  In  dem  hiesigen  Gymnasio  nahm  er  in  guten 
Wissenschafften  so  zu,  dass  er  mit  Recht  eine  Zierde 
desselben  konnte  genenet  werden  und  auch  bereits  eine 
geraume  Zeit  den  ersten  Platz  in  der  höchsten  Classe 
besass.    Ja    es    war    schon   an    dem,    dass    er    als    ein 


142  Paul  Voigt. 

Alumnus  auf  hohe  Schulen  gehen  sollte.  War  aber 
dieser  hoffnungsvolle  Jüngling  seinen  Eltern,  Vorgesetzten 
und  Freunden  lieb,  war  [er]  doch  seinem  [Gott]  noch 
lieber,  desswegen  er  ihn  ...  in  der  Blüthe  seiner  Jahre 
Anno  1743  d.  23.  Febr.  in  dem  i8*en  Jahr  seines  Alters 
durch  einen  seeligen  Tod"  usw. 

Ebenfalls  einem  Gymnasiasten  ist  eine  dreiseitige 
Pyramide  gewidmet,  auf  der  es  heisst:  „Hier  liegt  der 
Kummer  zärtlicher  Eltern,  der  hofnungsvolle  Jüngling  Martin 

Traugott  Kirste.    Ein  Sohn  des Er  ward  gebohren 

d.  9.  November  1755  früh  um  6  Uhr.  Gott  hatte  seine 
Seele  mit  fürtrefflichen  Gaben  ausgezieret,  die  sich  mit 
zunehmenden  Jahren  immer  mehr  und  mehr  zu  äussern 
anfingen,  wie.  eine  Knospe,  die  nach  und  nach  ihre  schöne 
Blume  zeigt  Sein  natürlich'  guter  Verstand  ward  von  un- 
ermüdlichem Fleisse  begleitet.  Ob  er  gleich  erst  11  Jahre 
alt  war,  so  war  er  doch  schon  ein  würdiges  Mitglied  der 
zweiten  Classe  in  hiesigem  Gymnasio.  Er  starb,  ehe  er 
noch  recht  zu  leben  anfing,  ehe  er  noch  mit  seinen  schönen 
Talenten  der  Welt  gedienet.  Seine  junge  Gottesfurcht 
übertraf  noch  seine  übrigen  liebenswürdigen  Eigenschaften: 
Er  liebte  Gott  und  alle  Menschen  und  er  wurde  von  allen 
wieder  geliebt  Er  hat  seine  Eltern  nie  in  seinem  Leben, 
nur  durch  seinen  Tod  hat  er  sie  betrübet.  Im  Leben  war 
er  ein  Muster  der  Jugend  und  im  Tode  ein  Muster  der 
christl  Unerschrockenheit  Sein  Tod  war  allen  lehrreich 
und  erbaulich.  Er  entschlief  sanft  nach  einer  kurtzen  Krank- 
heit d.  6.  Januar  1767.  Nachdem  er  nur  11  Jahre  und 
etwas  über  2  Monate  gelebt.  Ruhet,  ihr  kostbaren  Über- 
bleibsel in  dieser  stillen  Dunkelheit,  ruhet  in  sanftem  Schlafe, 
bis  die  letzte  Posaune  euch  die  angenehme  Losung  geben 
und  durch  alle  eure  stille  Wohnungen  laut  erschallen  wird 
Hervey.  Das  Grab  ist  der  getreuste  Lehr-Meister,  und 
diese  Beispiele  der  Sterblichkeit  sind  die  lehrreichsten 
Lectionen.  Hervey.  Dort  wird  jetzt  Deine  Unschuld  glänzen 
vom  Licht  verklärter  Wissenschaft.  Haller.  Des  Todes 
Schrecken  ist  der  Berg,  den  wahrer  Glaube  nur  versetzt. 
Young". 


Alte  Lissaer  Grabdenkmäler.  143 

Das  Werden  und   verheissungsvolle   Streben   eines 

jung  gestorbenen  Arztes  rühmt  eine  hohe  Pyramide:  „Hier 

ruhen  die  Gebeine  eines  Christen,  eines  Menschenfreundes 

und  eines  wahren  Gelehrten.     Fragstu,  Leser,  wer  dieser 

seltener  Sterblicher  gewesen,  so  wisse:    Es  war  der  weyl. 

hoch-edel   gebohrne    hoch    gelahrte    und    hoch    erfahrne 

Herr   Herr  Samuel   David   Rauhut,    medicine    Doctor   et 

practici    bey   der  Stadt.     Er   war   ein    erbethener   Sohn 

des  .  .  .  .  ,  welchen  er  Ao.  1734  d.  2.  Febr.  geschencket 

wurde.     Im  ioten  Jahre  seines  Alters   wurde   er  durch 

den  Todt  seines  Vaters  in  den  betrübten  Weysen- Stand 

versetzet,  dessen  Stelle  tit.  Herr  Sam.  Ernst  Woyde,  Bürg. 

und  Seiffen  Sieder  allhier,  als  ein  Pflege  Vater  biss  an 

seinen  Todt  treulich  vertreten.    Seine  Begierde  zu  denen 

Wissenschafften   trieb    die   Eltern,   dass   sie   ihm   in   der 

Jugend  den  ersten  Grund  zu  denselben  und  eines  wahren 

Christenthums  in  dem  hiesigen  Gymnasio   legen   Hessen. 

Darauff  bauete    er   die    bestrebte    an    äusserlichen  Curen 

erlernte  Artzney- Kunst,  welche  er  in  Berlin  in  der  Königl. 

Akademie  vermehrte    u.  kam    dann    in  Frankfurth    auff 

der  hohen  Schule   in  den  medicinischen  Wissenschaften 

so   weit,    dass   er    die   Doct.   Würde   rühmlichst   erhielt! 

Die  grosse  Freude,  so  er  alsdann  seinen  Eltern  brachte, 

währete  nur  etwas  über  9  Monathe.     Seine  Erfahrenheit 

in  der  Medicin  und  gottssfürchtiger  Wandel  werden  viel 

länger  im  Andenken  dauren,  als  seine  kurze  Lebens-Zeit, 

die  nach  26  Jahren  3  Mon.  und  5  Tagen  durch  den  Todt 

ein  Ende  nahm.     Denkmahl  der  zärtlichen  Mutter-Liebe." 

Auf  einer  vierkantigen  Sandsteinsäule  mit  senkrechten 

Wänden  steht  eine  mit  einem  Tuch  verdeckte  Vase,  auf 

der  ein  Schmetterling  kriecht  u.  a.     An  der  Vase  lehnt 

ein   sehr   plump   gearbeitetes   weinendes   Kind:    „Dieses 

Denkmal   der  Liebe   decket   den    sterblichen   Teil   einer 

Unsterblichen.      Johanna    Gottliebe    hiess    sie    bei    den 

Sterblichen.    Ein  schöner  Nähme,  einen  schönern  hat  sie 

bei  den  Unsterblichen!     Sie   war   die   würdige  Tochter 

durch  Geb.  u.  Tug.  edler  Eltern,  des  weil,  hochwohlgeb. 

Herrn  Bogisl.  v.  Sadova  Mieszkowski,  u.  der  weil,  hoch- 


144  Paul  Voigt. 

wohlgeb.  Frauen  Sophianna  geb.  v.  Kurnatowska,  geb. 
1765  d.  24.  Juli,  gest  1788  d.  12.  Jan.  Früh  verwaist  fand 
sie  einen  Ersatz  des  zu  frühen  Verlusts  ihrer  Eltern  in 
der  mütterlichen  Vorsorge  ihrer  ehrw.  Fr.  Grossmutter, 
der  hochwgb.  Fr.  Joanna  v.  Kurnatowska,  deren  Stolz  u. 
Freude  sie  war,  u.  in  der  Zärtlichkeit  ihrer  hochwbg. 
Brüder,  in  deren  Hertzen  sie  stets  lebet  Zu  früh  entfloh 
sie  ihnen  in  der  Blüthe  der  Jahre,  derer  sie  nicht  volle 
23  zählte,  ihr  selbst  nicht  zu  früh,  Allen  unvermuthet, 
nur  ihr  nicht  Dies  bezeugen  die  Todesbetrachtungen, 
die  sie  an  ihrem  letzten  Geburtstag  niederschrieb.  In 
diesen  schildert  sich  ihr  edles  frommes  Herz  als  Freundin 
Gottes  und  als  Menschenfreundin.  Den  Menschen  wehrt, 
doch  Gott  lieber,  reifte  sie  früh  zum  Engel,  und  da  diese 
Welt  ihrer  nicht  wehrt  war,  gieng  sie  zeitig  in  jene  bessere 
Welt  ein.  Wenn  ein  aufgeklärter  Geist,  ein  edles  sanftes 
Herz,  ungeheuchelte  Gottesfurcht,  Redlichkeit  ohne  Falsch, 
allgemeines  Wohlwollen  u.  stille  Mildtthätigkeit  das 
redenste  Denkmal  .  .  .  tt  u.  s.  w. 

Grossen  Jammer  bedecken  die  Gräber  der  Frau 
Schmekel  und  ihrer  8  Kinder,  von  deren  stattlichen  beiden 
Obelisken  wir  oben  ein   paar  Verse   mitgeteilt  haben. 

Auf  dem  Grabstein  der  Kinder  lesen  wir:  „Hier 
findest  du,  mein  Leser,  ein  Denkmahl  5  lieber  Kinder  .... 
Das  erste  war  eine  liebe  Tochter,  Nahmens  Johanna 
Florentina.  Sie  blühte  auf  A.  1744  d.  3.  Sept  und  war, 
wie  ihr  Nähme  weiset,  in  dem  Ehe-Garten  ihrer  Eltern 
eine  angenehme  Blume.  Sie  zeigte  bis  ins  7  bende  Jahr 
die  angenehmsten  Blüthen  einer  hoffnungsvollen  Erziehung. 
Man  erblickte  an  ihr  Liebligkeit  zu  Hause  und  Fleiss  in 
der  Schule.  Hier  war  Steigen  u.  Fallen  beysammen. 
Das  1  |t  St . .  ffen  Jahr  war  das  letzte.  Doch  Johanna 
Florentina,  die  blühende  Annehmlichkeit,  verblühte  nur 
dem  Leibe  nach.  Ao.  1751  d.  22.  Aug.  überfiel  sie  Hitze 
u.  Haupt-Schmertz,  hierauf  ein  Friesel.  Menschen -Hülffe 
war  umsonst.  Ein  Stock -Flussel  brachte  zum  Leidwesen 
der  Eltern  das  Leben  ins  Stocken  u.  den  Körper  ins  Grab, 
die  Seele  aber  kam  als  eine  Himmels  Blume  d.  23.  Aug. 


Alte  Lissaer  Grabdenkmäler.  145 

V4  auf  10  Uhr  voran  ins  Paradeiss,  als  diese  frome  Tochter 
Abends  noch  gläubig  gesprochen:  Christi  Blut  u.  Gerechtig- 
keit,   Herr  Jesu,  dir  leb  ich,  dir  sterb   ich.    Ihres  Alters 
7  Jahr  weniger  8  Tage.  —  Auf  dieser  Seite  ruhet  bey 
seiner   im    7.  Jahr   verstorbenen    Schwester    ein    kleiner 
Bruder  Carol:  Gottlob  Schmekel.     Dieser  ward  Ao.  1751 
d.   17.  Marti:  allhier  gebohren.     Bey   dem  Weinen  seiner 
gedachten  Eltern  über  das  Absterben  seiner  4  Schwestern, 
trocknete  er  mit  einem   zugleich  lebenden  Bruder  durch 
sein  Lachen  u.    holdreiches  Wesen    selbige   offtmahl  die 
Thränen  ab.    Allein  die   grassirenden  Röthel  u.  hefftige 
Zahn-Schmertzen  legten  1752  d.  20.  Febr.  seine  Annehmlig- 
keit  auch  zeitig  in  ein  nahes  Grab  . .  a     Worauf  am  Fuss 
der   oben   citierte  Vers   folgt:     „Ich   geh  ins  Grab,  doch 
Johann  Ernst  soll  leben,  und  wenn  Gott  will,  noch  lange 
Trost  uns  geben!" 

Der  aus  Pommern  gebürtige  Ehemann  Schmekel 
war  Rats-  und  Kirchenältester  und  seines  Zeichens  Kunst- 
Waid-  und  Schönfärber;  er  heiratete  in  zweiter  Ehe  eine 
Tochter  des  Generalseniors  der  ev.  luth.  Kirchen  in 
Grosspolen  Sam.  Günthers,  wohl  ein  Beweis  für  das 
Ansehn,  in  dem  damals  gewisse  Gewerbe  der  Stadt  noch 
standen.  Seine  Grabsteinplatte  nebst  der  eines  Rektors 
der  evangelischen  Schule  ziert  den  Turmeingang  der 
Kreuzkirche. 

Zum  Schluss  mögen  hier  noch  als  weitere  Stilproben 
und  Belege  mancherlei  Art  einige  Auszüge  aus  Inschriften 
Platz  finden. 

Nachdem  die  Jungfer  Thomasin  1713  zu  Haynau  in 
Schlesien  glücklich  geboren  worden,  „seegnete  Gott  ihre 
christl.  Erziehung  so  genädig,  dass  sie  unter  allen  Zufällen 
von  Freude  und  Leyd  zum  Tröste  ihrer  geliebten  Eltern, 
zum  Vergnügen  ihres  Geschwisters,  zum  Wohlgefallen 
ihrer  Nechsten  ein  gehorsames,  treues  und  tugendhaftes 
Hertze  in  gläubiger  Erkenntniss  u.  Verehrung  Gottes,  bey 
ungeheuchelter  Übung  der  Gottseligkeit  bewahrte,  biss  sie 
durch  Krankheit  und  Schmertzen  am  Leibe  entkräftet,  an 
der  Seele  gestärcket,  als  eine  Braut  Jesu  allhier  in  Lissa 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  fOr  die  Prov.  Posen.     Jahrg.  XX.  ic 


146  Paul  Voigt. 

bey  ihrem  geliebten  Hr.  Bruder  Ao.  1717  d.  21.  Febr. 
durch  einen  seel.  Tod  vom  Glauben  zum  Schauen  kam."  Der 
Frau  Anna  Regina  Seydel  Eltern  „erfreuete  die  Gottes- 
furcht ihrer  Jugend,  und  der  köstliche  jungfräuliche  Schmuck  r 
die  Zucht  und  Keuschheit,  mit  welchem  sie  nebst  anderen 
christl.  Tugenden  gezieret  war,  gefiel  dem  damahls  Jung- 
gesellen pp.,  dem  sie  Ao.  1736  .  .  ehelich  worden  .  .  .  Die 
wohlseelige  lebte  schlecht  und  recht  und  meidete  das  Böse- 
Sie  hielt  dieser  Zeit  Leiden  vor  nichts  gegen  der  fürstligen 
ewigen  Herrligkeit  .  ."  Frau  Anna  Arnold  geb.  Woide, 
der  Tochter  der  Sophie  geb.  Felsmann,  deren  Grabgedicht 
wir  oben  brachten,  rühmt  die  schönste  Pyramide  des 
reformierten  Kirchhofs  nach:  „Gottes-Furcht  und  Christen- 
thum,  Niedrigkeit  in  der  Ehre,  Treue  im  Ehestande, 
Sorgfalt  im  Hauswesen,  Aufrichtigkeit  im  Umgange,  waren 
ihr  bester  Schmuck  im  Leben  und  bleiben  ihr  unsterblicher 
Ruhm  auch  nach  ihrem  Tode." 

Dass  die  Frauen  auch  im  Geschäft  des  Mannes  mit- 
halfen, sehen  wir  aus  dem  Grabstein  des  Färbermeisters 
Lange,  der  zur  zweiten  Ehe  schritt,  um  „für  unerzogne 
Kinder  eine  zweite  Mutter,  in  seinem  Gewerbe  eine  treue 
Gehülfin  an  ihr  zu  haben.  Nur  der  Verlust  seiner 
Johanna  Renate,  über  den  die  Pflegemutter  vor  Betrübniss 
krank  ward,  störte  sein  häusliches  Glück,  trübte  diese 
musterhafte  Ehe,  die  wie  der  stille  Bach,  in  welchem  der 
Himmel  sich  spiegelt,  sanft  und  ruhig  hinfloss.  Zur 
Zierde  dieses  Gottesackers,  zur  Pflege  siecher  Armen 
zum  Bau  der  Luther-Orgel  stiftete  er  einen  Beitrag 
und  krönte  wie  sein  Leben  mit  Milde  auch  sein  Ende  .  ." 
Dass  der  Unterricht  auch  von  Mädchen  genossen  wurde, 
lehrt  uns  der  Stein,  der  die  Gebeine  der  Anna  Queisser 
geb.  Stiller  deckt:  „Ihre  Eltern  waren  besorget,  sobald 
möglich  die  ihr  nöthige  Wissenschaft,  insonderlich  im 
Christenthum,  beyzubringen,  welche  dann  mit  andern 
jungfräulichen  Tugenden  gepaaret  ginge  und  in  solchem 
Schmucke  sich  Gott  u.  Menschen  beliebt  und  angenehm 
machte  ...  In  ihrem  Wittwenstande  gleichte  sie  einer 
gottsfürchtichen  Hanna  .  ."    Ihr  ähnelte  ihre  Tochter,  auf 


Alte  Lissaer  Grabdenkmäler.  147" 

deren  Grabstein   es    heisst:  „Wo  Leibes  Schöne,  Seelen 
Klugheit  und  wahre  Frömmigkeit  vereinbahret,   da   lieb- 
kosen   sich  Abigail   u.  Hanna.    Ein   solches  Tugend-Bild 
war  in  ihrem  Leben  die  hier  ruhende  .  .  .    Sie  begrüssete 
die  Welt,  da  sie  Ao.  1726  .  .  zu  leben  anfieng  und  durch 
die   Geburth  ihre  hohen  Eltern  .  .  [der  Vater  war  Bürger- 
meister] hertzlich  erfreuete,  nehmlich  ....    Diese  vergnügte 
der     Anwachs    ihrer    Gottesfurcht,    die     Ehrerbietigkeit 
und     Treue,    womit    sie    ihnen    und    dem    Geschwister 
begegnete.     Die    christlöbliche    Tugenden     waren    ihres 
Leibes    Zierde    .    .     Den    tit.    plen.    Herrn    Joh.    Theod. 
Bertram     vornehm.     Burg.     Kauff-     und     Handelsmann^ 
bestrahlten  dieselben  besonders,  so  dass  .  .   ihre  Hertzen 
sich  ehelich  verbanden.    Ein  anmuthiges  Töchterlein  .  .  . 
versiegelte  ihre  nur  42  Wochen  dauernde  zeiü.  eheliche 
Liebe.     Dann  hielt  die  wohlseel.  nach  Gottes  Willen  .  . 
in  dem  Himmel  ihren  seeligen  Kirchen-Gang."    Ihrer  unver- 
heirateten Schwester  Elisabeth  widmet  die  Mutter  die  Worte: 
,Ihr  stilles  Wesen  und  Neigung  zur  Gottesfurcht  gaben  ihrer 
hohen    Eltern   Vermahnungen     herrlichen     Nutzen.      Sie 
gewahn    ihre    Gunst    durch    kindliche    Ehr-Furcht,    der 
Geschwister  Liebe  durch  zärtliche  Zuneigung.    Sie  lebte 
zwar  in  der  Welt,  war  aber  nicht  von   der  Welt.    Ihre 
Gesellschafft  in  beliebter  Einsamkeit  war  Jesus,  den  liebte 
ihre   Seele,  mit   dehm    hielte    sie    erbauliche    Gespräche, 
dehm  schenckte   sie   ihr  Hertze,  dehm   blieb    sie   getreir 
biss  an  den  Todt.     Der  hat  sie  auch  gnädigst  im  37ten 
Jahre  ihres  Tugend -Wandels  mit  dem  herrlichsten  Braut- 
Crantze    der    Krone    des    Lebens    in    seiner    Herrligkeit 
beehret".    Eine  andere  Schwester  erhielt,  ebenfalls  durch 
die  Mutter,  die  Inschrift:   „Ehret  man  einen  hohen  Stand,, 
so  hat  .    .    .  doppelten  Preiss  erlangt,  da  sie  nicht  allein 
von  vornehmen  Eltern  entsprossen,  sondern  auch  in  dem 
geehrtesten  Stande  der  Jungfrauschaft  in  schönster Tugend- 
Blüthe  Todes  verbliechen  und  im  Himmel  ewig  zu  blühen 
angefangen.    Ihre  Hohe  Eltern  empfingen  von  Gott  den 
letzten  Ehe-Seegen,  als  sie  Ihnen  Ao.  1731    .    .    freudigst, 
gebohren   und    von    Christo   in    der   h:  Tauffe    mit   dem. 

10* 


T48  Paul  Voigt. 

Kleide  seiner  Gerechtigkeit  aussgezieret  wurde.  In  diesem 
Schmuck  prangete  sie  als  eine  Braut  in  ihrem  Geschmeide 
b erdet,  tratt  damit  in  den  Stand  geistlicher  Jungfrauen. 
Ihre  Lampe  war  Gottes  Furcht,  ihr  Oel  Glaube  Liebe  u. 
Hoffnung,  ihre  Schönheit  Zucht  u.  Keuschheit,  ihre  Hoch- 
achtung die  Eltern,  ihr  ander  Hertz  das  Geschwiester,  ihr 
Trost  im  Leben  u.  Sterben  Jesus,  ihr  Alles,  der  sie  auch 
Ao.  1747    .    .   zur  seeligen  Hochzeit  heim  gehohlet". 

Etwas  fremdartig  mutet  uns  der  Vergleich  in  einer 
Inschrift  an,  wo  es  heisst:  „Wie  nun  Christi:  Eheleuten 
den  süssen  Ambra  der  Liebe  offt  leider  Colocwinten  ver- 
gällen, so  ging  es  auch  den  wohlseeligen  .  .  .  Dagegen 
können  wir  es  nachfühlen,  wenn  von  dem  Müller  Jakob 
Handke,  der  nach  einander  fünfmal  „den  ledigen  mit  dem 
ehlichen  Stand  verwechselte",  schliesslich  gesagt  wird: 
-„Wie  nun  sein  Ehestand,  so  war  sein  gäntzes  leben  ein 
steter  Wechsel  der  Zufälle". 

Fromm,  bieder,  treuherzig,  geduldig  in  Trübsal, 
tüchtig,  fleissig  und  redlich  im  Beruf,  standesbewusst, 
voll  Bürgerstolz  und  Gemeinsinn,  in  ihrer  Redeweise 
bald  schwülstig  bilderreich,  bald  nüchtern  redselig,  naiv 
und  hausbacken,  bald  innig  und  gefühlvoll,  je  nach  dem 
Charakter  der  Zeitperiode  oder  der  Redenden:  so  treten 
uns  die  Menschen  auch  dieser  ehemals  viel  mehr  als  jetzt 
deutschen  Stadt  in  polnischen  Landen  auf  ihren  Grab- 
denkmälern entgegen,  die  zwei  Jahrhunderte  voll  schwerer 
Schicksalsschläge  durch  feindliche  Zerstörung  und  ver- 
wüstende Feuersbrunst  in  immer  sich  bei  treuer  Arbeit 
erneuender  Verjüngung  überdauert  haben. 


Kuno  Fischer  in  Posen. 

Von 
Friedrich  Thtimen. 

)enn  der  achtzigste  Geburtstag  Kuno  Fischers,, 
den   der  Gelehrte   am   23.  Juli    1904   beginge 
vielen   seiner  Schüler   und  Verehrer,   gewiss 
aber  auch  ihm  selbst  ein  Anlass  geworden  ist,  den  Blick 
rückschauend  den  verschiedenen  Epochen  seines  Lebens« 
zuzuwenden,  ihn  auf  seinen  Wanderungen  wie  in  seinen 
Kämpfen  zu  begleiten,  kurz   seinen  Werdegang  wie  die 
Tätigkeit  des  reifen  Mannes  einer  Betrachtung  zu  unter- 
ziehen, so  hat  auch  die  Historische  Gesellschaft  in  Posen 
es  sich  nicht  nehmen  lassen,  seines  Aufenthalts  in  unserer 
Stadt,  in  die  er  einst  als  zehnjähriger  Knabe  eintrat,  um 
auf  dem  Königlichen  Friedrich  Wilhelms -Gymnasium  für 
seinen  zukünftigen  Beruf  sich   vorzubilden,  pietätvoll  zu 
gedenken1). 

Fragen  wir  also:  Was  brachte  das  junge  Menschen- 
kind bei  seinem  Eintritte  in  unsere  Stadt  mit?  welche 
Einflüsse  wirkten  bestimmend  auf  seinen  Entwicklungs- 
gang bis  zum  Eintritte  in  das  Leben?  sind  diese 
Einflüsse  später  noch  wahrnehmbar?  Spärlich  freilich 
fliessen  nur  die  Quellen,  aus  denen  wir  schöpfen  können,, 
um  auf  diese  Fragen  eine  Antwort  zu  geben;  aber  von 
unbedingter  Zuverlässigkeit  ist,  was  wir  über  jene  Zeit 


*)  Der   am   8.   November    1904   gehaltene  Vortrag   wird   hier 
gekürzt  wiedergegeben. 


150  Friedrich  Thümen. 

aus  seiner  eigenen  Feder  haben,  der  Lebenslauf,  den  er 
vor  der  Reifeprüfung  Ostern  1844  verfasste. 

Ernst  Kuno  Berthold  Fischer  ist  am  23.  Juli  1824  in 
Sandenwalde,  einem  Dorfe  des  Guhrauer  Kreises,  als  der 
jüngere  von  zwei  Brüdern  geboren.  Sein  Vater  war  dort 
Pastor;  seine  Mutter,  geborene  von  Corvin-Wiersbitzky, 
starb,  als  der  Knabe  ein  und  ein  halbes  Jahr  alt  war. 
Bis  1832  blieb  die  Familie  dort;  dann  wurde  der  Vater 
nach  Wierzig  versetzt,  einem  Städtchen  desselben  Kreises. 
Am  24.  April  1835  wurde  Kuno  Fischer  in  das  Königliche 
Friedrich  Wilhelms-Gymnasium  zu  Posen,  welches  damals 
unter  der  Leitung  des  Prof.  Wendt,  dann,  seit  dem 
10.  November  1843,  unter  der  des  Konsistorial-  und 
Schulrats  Dr.  Kiessling  stand,  aufgenommen  und  verliess 
es  Ostern  1844  mit  dem  Zeugnis  der  Reife,  nachdem  er 
.am  22.  März  die  mündliche  Prüfung  bestanden  hatte.  — 
Diese  kurzen  Angaben  erhalten  Leben  und  Licht  durch 
die  erwähnte  Vita,  aus  welcher  die  Hauptgedanken  hier 
wiedergegeben  werden  sollen,  und  zwar  auch  aus  der 
Zeit,  die  vor  Fischers  Aufenthalt  in  Posen  liegt,  da  nur 
so  die  erste  der  vorhin  aufgeworfenen  Fragen  eine  Beant- 
wortung finden  kann. 

In  dem  genannten  Schriftstücke,  das  der  19jährige 
Jüngling  verfasste,  erklärt  Fischer,  die  Jahre  der  Kindheit 
.als  die  Entwicklungsperiode  des  Selbstbewusstseins  nur 
vorübergehend  berühren  und  nur  die  Momente  hervor- 
heben zu  wollen,  die  auf  seine  spätere  Entwicklung  einen 
entscheidenden  Einfluss  ausgeübt  haben.  Sie  sind  ihm 
-schlechthin  die  glückliche  —  er  unterstreicht  diesen 
Positiv  —  Zeit  seines  Lebens  gewesen,  weil  er  dessen 
Ernst  noch  nicht  fühlte;  nötigt  ihm  auch  die  Erinnerung 
an  die  Träume,  die  ihn  damals  so  unaussprechlich 
glücklich  machten,  schon  in  diesem  Jünglingsalter  ein 
Lächeln  ab,  so  ergreift  ihn  doch  bisweilen  eine  unendliche 
Sehnsucht  wie  den  Wanderer,  der  im  Norden  sich  seiner 
südlichen  Heimat  erinnert.  Er  bekennt,  dass  inmitten 
der  glücklichsten  Verhältnisse,  in  welche  ihn  seine  Geburt 
eingeführt  «hatte,  der  Verlust  der  Mutter,  des  Schutzengels 


Kuno  Fischer  in  Posen.  151 

seines  ersten  Lebensjahres,  ihn  traf,  ohne  dass  er  eine 
Ahnung  von  diesem  Abschiede  in  seiner  Bedeutung  hatte. 
Die  Worte  lassen  aber  darauf  schliessen,  dass  ihm  in 
fortschreitendem  Alter  ein  Verständnis  für  die  Schwere 
des  Verlustes  mehr  und  mehr  geworden  ist.  Der  Vater, 
dem  nunmehr  die  doppelte  Aufgabe  erwuchs,  die  Pflichten 
des  Amtes  zu  erfüllen  und  die  Kinder  zu  erziehen, 
bekämpfte  männlich  den  herben  Schmerz,  dessen  Gewalt 
sein  Leben  verfallen  schien,  und  förderte  mit  eigener 
Aufopferung  die  Ausbildung  der  Söhne;  darum  nimmt 
Kuno  schon  an  dieser  Stelle  Veranlassung,  ihm  den  Dank 
zu  sagen,  den  das  schwache  Wort  nur  andeuten,  nie  aus- 
sprechen kann.  Am  Grabe  der  Mutter,  zu  welchem  die 
Drei  häufig  wallfahrteten,  erinnert  er  sich,  seine  besten 
Vorsätze  gefasst  zu  haben;  aus  den  fast  täglichen 
Erzählungen  des  Vaters  gestaltet  er  sich  ein  Bild  der- 
jenigen, die  er  im  Leben  nie  gekannt  hat;  ja,  im 
Anschlüsse  hieran  verwickelt  ihn  die  kindliche  Ein- 
bildungskraft bald  in  einen  Kreis  phantastischer  Gestalten, 
die  ihn  mit  magischer  Gewalt  immer  tiefer  in  ihre  Welt 
hinein  und  von  der  wirklichen  abzogen.  Hierin  erblickt 
er  den  ersten  Keim  einer  Art  Schwärmerei,  die  ihm 
♦manchen  argen  Streich  gespielt  und  hemmend  auf  den 
Gang  seiner  Entwicklung  eingewirkt  hat;  er  bedauert, 
ihr  sich  hingegeben  zu  haben,  da  sie  eben  kein  Prinzip 
der  Bildung  in  sich  habe  und  dem  Geiste  seine  Klarheit 
ebenso  wie  seine  Freiheit  nehme.  Mit  Gewalt  habe  er 
sich  später  diesem  Hange,  den  er,  wenn  nicht  verachte, 
so  doch  bedaure,  entrissen.  Diese  Neigung  zur  Schwärmerei 
muss  recht  stark  gewesen  sein,  da  der  Verfasser  ihr 
eine  so  ausgedehnte  Besprechung  widmet.  Sein  Vater 
suchte,  um  ihn  davon  zu  heilen,  alle  schädliche  Lektüre, 
die  eine  Kindesphantasie  erhitzen  konnte,  von  ihm  fern- 
zuhalten; aber  Fischer  bekennt,  dass  er  seine  Irrtümer  in 
dieser  Beziehung  nicht  eher  abgelegt,  als  bis  er  selbst 
sie  erkannt  habe,  und  dieses  Gefühl,  aus  sich  selbst,  nur 
unter  massiger  Leitung,  sich  entwickelt  zu  haben,  verlieh 
ihm  ein  gewisses  Selbstvertrauen,  das  er  indessen  um 


152  Friedrich  Thümen. 

keinen  Preis  als  Selbstzufriedenheit  angesehen  wissen 
möchte.  Von  diesem  Fehler  weiss  er  sich  auch  bis  zu 
dieser  Zeit  noch  frei.  Aber  wie  einerseits  jene  Periode 
der  Schwärmerei  ihn,  der  sozusagen  eines  Schwerpunktes 
entbehrte,  den  erst  männliche  Reife  verleiht,  aus  einem 
Gegensatz  in  den  andern  treibt,  so  hebt  er  andrerseits 
ein  anderes,  aber  daraus  entspringendes  und  ihm  äusserst 
nachteilig  gewordenes  Moment  hervor:  „eine  phantastische 
Welt  steht  in  ihrem  Unsinn  der  wirklichen  Welt  in  ihrer 
Wahrheit  schroff  gegenüber;  die  unmittelbare  Wirkung 
der  ersteren  ist  eine  Negation  der  letzteren  und  somit  von 
selbst  alles  räumliche  Denken  ausgeschlossen".  Da  nun 
auch  von  aussen  her,  wie  er  angibt,  in  dieser  Beziehung 
wenig  auf  ihn  eingewirkt  wurde,  so  wird  sein  Geist  der 
mathematischen  Anschauung  entfremdet:  das  heisst  jeden- 
falls, dass  er  zunächst  in  diesem  Lehrfache  nicht  viel 
leistete.  Aber  schon  von  der  Tertia  an  lernte  er  sie 
mehr  schätzen  und  „verdankte  ihr  besonders  die  Über- 
zeugung, wie  hoch  das  Wissen  über  dem  Fühlen,  und 
wie  unsinnig  die  durch  das  blosse  Gefühl  erzeugten 
Irrtümer  sind".  Er  bedauert,  nicht  gleich  an  räumliche 
Anschauungen  gewöhnt  worden  zu  sein,  da  er  es  dann 
um  vieles  weiter  in  der  Mathematik  gebracht  haben  würde.* 
Der  Vater  sieht  sich  infolge  seiner  schwachen 
Gesundheit  gezwungen,  die  weitere  Ausbildung  der 
Knaben  einem  Hauslehrer  anzuvertrauen.  Ein  Lustrum 
hat  dieser  Theologe  die  Stellung  inne  gehabt,  ohne  nach 
einer  bestimmten  Richtung  auf  die  Zöglinge  einzuwirken; 
dies  hat  Kuno  Fischer  vermisst,  enthält  sich  jedoch  aus 
Pietät  jedes  weiteren  Urteils  über  seinen  Präceptor,  der, 
als  der  Vater  1832  als  Superintendent  und  Oberprediger 
in  das  Städtchen  Wierzig  versetzt  wird,  zunächst  auch 
dorthin  übersiedelt,  1835  aber  in  ein  Amt  berufen  wird 
und  damit  das  Haus  verlässt  Der  Vater,  welchem  die 
Zeit  mangelt,  selbst  den  Unterricht  wieder  aufzunehmen, 
erfüllt  den  Wunsch  des  in  Posen  wohnenden  Bruders, 
eines  Kreis-Steuereinnehmers,  der  Kuno  in  sein  Haus 
aufnehmen  und   seine  weitere  Erziehung  leiten  will,   und 


Kuno  Fischer  in  Posen.  153 

gibt  ihn  Ostern  1835  auf  das  eben  errichtete  Königliche 
Friedrich  Wilhelms-Gymnasium,  wo  der  10jährige  in  die 
Sexta  eintritt. 

Diese  Änderung  in  seinen  äusseren  Verhältnissen, 
die  neue  Art  der  Erziehung  in  häuslicher  und  wissen- 
schaftlicher Hinsicht  möchte  er  einen  Lebensabschnitt 
nennen,  „wenn  mich  die  geistigen  Irrtümer,  von  denen 
ich  eben  gesprochen,  nicht  noch  beherrscht  hätten".  Mit 
anderen  Worten:  er  ist  ein  Träumer  gewesen,  und 
dem  entspricht  das  Bekenntnis,  welches  er  ablegt,  in 
den  beiden  unteren  Klassen,  Sexta  und  Quarta,  nicht 
fleissig  gewesen  zu  sein.  Es  sei  hier  erwähnt,  dass  die 
unterste  Klasse  bei  der  Gründung  der  Anstalt  Sexta 
hiess,  dass  sie  aber  durch  eine  Verfügung  des  Provinzial- 
Schul-Kollegiums  vom  4.  Februar  1836  in  Quinta  umgetauft 
wurde,  und  dass  infolge  finanzieller  Gründe  die  ursprüng- 
liche Sexta  in  eine  Vorbereitungsklasse  verwandelt 
wurde;  so  ist  denn  Fischer  Ostern  1836  gleich  in  die 
Quarta  versetzt  worden.  Der  Name  Sexta  hatte  ihn  bei  der 
Aufnahme  schmerzlich  berührt  und  seinen  „kindlichen  Stolz, 
der  weit  höher  flog,  beleidigt14;  gleichwohl  dankt  später  der 
Jüngling  der  Einsicht  des  Direktors,  dass  er  ihn  „noch 
einmal  die  Rudimente  durchmachen  Hess",  mit  dem 
Bekenntnis,  dass  seine  Kenntnisse  teils  durch  knaben- 
haften Unfleiss,  teils  durch  einen  wenig  systematischen 
Unterricht  mangelhaft  und  verworren  waren.  Er  büsste 
jene  Fehler  dadurch,  dass  er  in  den  beiden  unteren 
Klassen  bei  den  halbjährlichen  Versetzungen  sich  über- 
gangen sah;  doch  wurde  ihm  dann,  wie  auch  später  stets, 
eine  unbedingte  Versetzung  zuteil.  Auch  nach  seinem 
Eintritt  in  die  Untertertia  1837,  so  klagt  er,  bewegte  er 
sich  „noch  immer  in  dem  beschränkten  Kreise  unklarer, 
schwärmerischer  Gefühle"  und  „der  Unterricht  interessierte 
ihn  nur  dann,  wefin  er  zufällig  seinen  Gefühlen  entsprach"; 
aber  neben  der  Klage  über  seinen  Unfleiss  spricht  er 
von  schülerhaftem  Ehrgeiz,  als  welchen  er  den  „Trieb 
nach  Klassenerhöhung* *  bezeichnet,  und  von  dem  Ent- 
schlüsse, fleissiger  zu  werden,  und  rühmt  sich  gewisser- 


154  Friedrich  Thümen. 

massen,  dass  es  ihm  gelang,  mit  der  nächsten  Versetzung 
in  die  höhere  Tertia  promoviert  zu  werden"  Ostern  1838, 
was  uns  allerdings  nur  normal  erscheinen  will.    Doch  er 
bleibt   zunächst   noch   der   Träumer   und    auch   Grübler; 
stellt  sich  einerseits  die  unabweisliche  Notwendigkeit  ein, 
über  die  wirklichen  Dinge  der  Aussenwelt,  soweit  sie  ihn 
berühren,  nachzudenken,  so  vermisst  er  doch  ausreichende 
Kenntnisse,  um  sich  Klarheit  darüber  zu  verschaffen,  und 
indem   er  „Alles,   was    er   nicht  verstand,    in   den  Kreis 
seines    Gefühllebens    (so    schreibt    er)    zog,    sah    er    die 
wirkliche  Welt  durch    den  Nebel   dunkler  Gefühle".     Er 
bedauert,  dass  „dies  ihn  auf  unsinnige,  absurde  Ansichten 
von   menschlichen   Dingen   leiten   musste",   dass    er   „auf 
solche  Abwege   geraten    konnte,  wo  seine   geistige  Kraft 
zuletzt   untergehen   musste";  dann   aber,   so  berichtet   er 
weiter  freudig,  sah  er  zu  der  Zeit,  da  er  in  die  oberen 
Klassen    vorrückte,    diese    Irrtümer    ein,    es    „fielen    die 
Schlacken    allmählich    ab,    die    seinen    Geist    so    lange 
getrübt  hatten,  und  er  errang  die  Stufe,  wo  er  sich  selbst 
bekennen  konnte,  dass  er  vorurteilsfrei  denke".    Von 
nun  an  will  er  „seine  Interessen,  welcher  Natur  sie  auch 
seien,    nie    mehr    ausschliesslich    vor    das   Tribunal    des 
Gefühls  bringen",  und  es  erwacht  in  ihm  ein  lebendiges 
Interesse   für   die  Wissenschaft,   der   er  bis  dahin,  wenn 
auch  nicht   gleichgiltig,    so    doch   in    lauer  Weise  gegen- 
über gestanden  hatte. 

Dies  oft  sich  wiederholende  Bekenntnis,  durch  ein 
zu  starkes  Gefühlsleben  den  Dingen  der  Wirklichkeit  ent- 
fremdet worden  zu  sein,  drängt  uns  die  Frage  auf  nach 
dem  Grunde  der  Erscheinung.  Wir  gehen  sicher  nicht 
fehl,  wenn  wir  dies  empfindsame  Wesen  als  eine  Gabe 
betrachten,  die  ihm  die  Mutter  Natur  auf  den  Tisch  des 
Lebens  gelegt  hat;  äussere  Verhältnisse  stärken  diese 
Seite  in  ihm:  die  Stille  des  ländlichen  Pfarrhauses,  das 
abseits  vom  Getriebe  der  grossen  Welt  liegt  und  ihn  vor 
wechselnden  und  starken  Eindrücken  bewahrt,  und 
der  frühe  Tod  der  Mutter,  deren  Bild  durch  die 
Erzählungen     des     Vaters     vor     seine     Seele      wieder 


Kuno  Fischer  in  Posen.  155' 

and        wieder     geführt     und     lebendig     erhalten     wird. 
Dieser   selbst  wird  als  „ein  nur  der  idealen  Sphäre   des; 
Lebens     zugewandter  Mann  bezeichnet,  dessen  Beruf  als 
Prediger  seinen  Neigungen  und  Gemütsbedürfnissen  voll- 
kommen entsprach,  und  der  nach  dem  Tode  seiner  Gattim 
in  tiefer  ländlicher  Zurückgezogenheit,  nur  der  Seelsorge 
seiner  Gemeinde  und  der  Erziehung  seiner  beiden  Söhne 
mit  aufopferungsfreudiger  Liebe  hingegeben,  lebte4'1).  Diese 
Stimmung   des   Knaben   dauert   bis   in   sein    sechzehntes- 
Lebensjahr,  wie  er  selbst  angibt;   also,  auch  die  grössere 
Stadt,  in  die  er  mit  10  Jahren  übergesiedelt  ist,  hat  nicht 
von    Anfang   an   vermocht,    ihn    davon    abzuziehen    und 
grössere  Tatkraft  in  ihm  zu  wecken  oder  wenigstens  ihn. 
die    Dinge    der    Welt    so    ansehen    zu    lassen,    wie    sie 
in    Wahrheit    sind.      Es    hängt    das    offenbar    auch    mit 
dem    Charakter   jener    Zeit    zusammen,    in    der    immer 
noch    ein    Nachzittern    der   Wertherstimmung    in    weiten 
Kreisen  wahrnehmbar  ist,  und  später  die  Romantiker  mit 
ihren    Ideen   die    empfindsame    Welt    beherrschen.      Be- 
zeichnend ist  nun  folgende  Stelle  des  Lebenslaufes:  „Vater- 
ländische Dichter  und  Schriftsteller  hatten  meinem  Gefühls- 
leben geschmeichelt  und  mich  mehr  und  mehr  in  diesen 
magischen  Kreis  hineingebannt.    Klassische  Dichter  sollten, 
den  Durchbruch  in  mir  hervorrufen  und  einem  deutschen: 
und  englischen  Dichter  danke  ich  endlich  die  Befreiung"^ 
Den  ersten  Anstoss  zu  einem  Umschwung  gibt  ihm  Friedrich 
von  Schiller,    dessen  Poesien    ihn  entzünden   und   die  er 
fast  ganz  auswendig  lernt.      „Seine  Gedanken   waren  so 
schön  und  wahr,  so  bezaubernd   ausgesprochen,  dass  ich 
nicht  begreifen  konnte,  wie  Schiller  nicht  eine  neue  Ära. 
für    die    Menschheit    begründet    hatte:    eine     kindische 
Schwärmerei,  die  mich  damals  so  glücklich  machte!    Es 
war  eine  Illusion,  in  deren  rosigem  Lichte  ich  die  Welt: 
wiederglänzen  sah;  doch  als  ich  näher  hinblickte,  sah  die 
Welt  ganz   anders    aus,   als  Schiller   sie  wollte,   und  ich 
musste    mir    selbst    gestehen:     es    war    gut,    dass    sie 

*)  M.  E.  von  Sosnowski:  Kuno  Fischer,  Breslau  o.  J.  „Deutsche- 
Bücherei"  Schottländer. 


156  Friedrich  Thümen. 

nicht  so  war".  Einen  lyrischen  Traum  nennt  er 
•es,  aus  dem  ihn  eine  epische  Harfe  weckt,  die 
Homers,  „bei  dessen  Heroen  ich  die  Posas,  die  Teils  und 
:alle  Schillerschen  Ideale  vergass"!  Dieser  Dichter  übt 
auch  auf  ihn  eine  begeisternde  Wirkung  aus,  und  „mit 
-der  Liebe  zum  Altertum  brach  meinem  Geiste  eine  neue 
Ära  an;  alle  eitlen  Träume  waren  vergessen."  Die 
griechische  Götterwelt  in  Vergils  Aenei's  und  Ovids  Meta- 
morphosen wiederzufinden,  macht  ihn  glücklich,  und  seine 
Entwicklung,  die  er  bisher  als  eine  lyrische  bezeichnet 
hat,  nimmt  eine  diesen  Eindrücken  analoge  Richtung,  die 
•er  eine  epische  nennt,  d.  h.  —  so  lauten  seine  Worte  — 
„das  Träumen  in  der  Zukunft  hörte  auf,  und  ich  fühlte 
mich  auf  dem  festen  Boden  der  Vergangenheit  sicherer 
und  wohler."  Den  dritten  Fortschritt  macht  er  dann  in- 
folge seines  Studiums  Goethes  und  Shakespeares,  die  ihn 
von  der  Prima  an,  1842,  in  ausgedehntem  Masse  beschäf- 
tigen. Hier  liest  er  in  der  Klasse  den  „Faust";  „obwohl 
ich  mir  keineswegs  das  vollkommene  Verständnis,  namentlich 
im  speziellen  Sinne,  anmasse,  erkannte  ich  doch  den  un- 
geheuren Gedanken,  der  dem  Faust  zugrunde  liegt,  und 
verfolgte  ihn  in  den  Hauptzügen  des  Dramas."  Faust  ist 
ihm  „nicht  das  Phantasiegeschöpf  eines  Dichtertraumes, 
sondern  der  Mensch  in  seiner  Wahrheit,  ein  Prototyp 
für  alle  Zeiten  gültig.*  Einen  zweiten  Gedanken,  „epoche- 
machend in  seiner  Entwicklung",  entnimmt  er  der  Dichtung, 
die  Wahrheit  nämlich,  „dass  der  Mensch  nie  die  absolute 
Wahrheit  erkennen  kann,  und  es  die  höchste  menschliche 
Aufgabe  bleibt,  seine  Zeit  richtig  zu  verstehen  und  nach 
individuellen  Kräften  zu  fördern".  Dies  soll  ihm  auch 
für  die  Wahl  des  Berufes  Prinzip  sein.  Shakespeare 
endlich  zeigt  ihm  die  Welt,  wie  sie  wirklich  ist,  und  zwar 
in  der  Gegenwart,  und  bringt  ihm  die  Wahrheit  zum 
Bewusstsein:  „Der  Mensch  ist  zum  Handeln  geboren  und 
muss  drastisch  in  seine  Gegenwart  eingreifen". 

Nach  einem  Danke  an  seine  Lehrer,  deren  einsichts- 
volle Strenge  und  nachsichtiger  Ernst  seine  Entwicklung 
gefördert  haben,  gibt  er  in  zusammenfassender  Weise  an, 


Kuno  Fischer  in  Posen.  157 

dass   er  mit  besonderer  Vorliebe   das   Studium   der   Ge- 
schichte als  die  unerlässliche  Bedingung  zum  Verständnisse 
der  Zeit,  das  Studium  der  Alten  und  das  der  Muttersprache 
getrieben  habe.    Für  die  französische  Sprache  fühlt  er  ein 
grösseres  Interesse,  als  er  ihr  bei  den  Anforderungen  der- 
Schule  widmen    kann;    und    so    nimmt    er  sich  vor,  die 
Sprache  der  grossen,  welthistorischen  Nation  ganz  kennen; 
zu  lernen.    Die  hebräische  Sprache   flösst   ihm   als   eine,, 
die  vor  Jahrtausenden  gelebt  hat,  Ehrfurcht  ein.    Mit  der 
Mathematik,  die  er  mehr  achtet,  als  er  in  ihr  leistet,  hat 
er  sich,   besonders  wegen   der  mangelhaften  Vorbildung,, 
nicht   befreunden  können.    Für  die   Naturwissenschaften 
ist  kein  eigentliches,  subjektives  Interesse  in  ihm   erregt: 
worden,  und  im  besonderen  der  Physik  hat  er  sich  stets 
fern  gehalten.  —  Von  der  Schuldisziplin  nimmt  er  mit  dem 
bekannten  Worte  Abschied,  das  auch  Goethe  seiner  Selbst- 
biographie  vorangestellt    hat:    '0   ^    daQelg  avd-QWTtog  ov 
Tzatdsverai. 

Sodann  spricht  er  über  die  Wahl  des  Berufes,  über 
die  er  sehr  viel  nachgedacht  hat.  Von  Kindheit  an  war 
er  für  die  Theologie  bestimmt,  die  ihn  auch  eigentümlich 
anlockte  wegen  der  praktischen  Ausübung  der  Bered- 
samkeit; er  entsagte  indessen  aus  bestimmten  Gründen,, 
die  er  uns  freilich  vorenthält,  diesem  Studium,  und  erklärt,, 
das  der  Geschichte  und  der  Sprachen  fortsetzen 
zu  wollen.  „Das  dritte  Studium  endlich,  dem  ich  mit 
grossen  Hoffnungen  entgegensehe,  und  das  ich  mit  rast- 
losem Eifer  betreiben  will,  ist  die  Philosophie;  doch  muss. 
ich  mich  jedes  Urteils  über  diese  Wissenschaft  begeben, 
da  ich  sie  bis  jetzt  noch  zu  wenig,  fast  gar  nicht,  kenne".. 
Diese  verschiedenen  Disziplinen  fasst  er  unter  dem  Namen 
Philologie  zusammen;  nach  dem  Rate  sachverständiger 
Männer  hat  er  die  Universitäten  Leipzig  und  Berlin  zu 
seiner  akademischen  Ausbildung  erwählt. 

Dem  Lebenslaufe  ist  ein  Bericht  über  die  Lektüre 
des  Schülers  angefügt  worden,  die  ihn  in  den  meisten 
seiner  Mussestunden  beschäftigt  hat;  es  sind  nach  seiner 
Angabe    fast    ausschliesslich    Schriftsteller  von    hervor- 


158  Friedrich  Thüraen. 

ragender  Bedeutung  in  den  verschiedenen  Literaturen 
gewesen,  die  aber  ausserhalb  des  Bereiches  der  Schule 
liegen,  und  darum  unterlässt  er  die  Nennung  von  Namen. 
Dass  er  die  Lektüre  so  eifrig  betrieb,  führt  er  teils  auf 
<den  natürlichen  Trieb  nach  Beschäftigung,  teils  auf  „das 
Streben,  sich  nie  von  sozialen  Neigungen  beherrschen  zu 
lassen",  d.  h.  also  für  sich  zu  leben,  zurück.  Gelesen  hat 
»er  zunächst  belletristische  und  namentlich  romantische 
Literatur,  von  letzterer  vorzugsweise  englische.  Dann 
bekommt  die  Lektüre  einen  wissenschaftlichen  Charakter, 
indem  er  sich  den  Alten  zuwendet  und  später  besonders 
den  Geschichtsschreibern,  unter  denen  Schlosser  durch 
seine  „Geschichte  des  18.  Jahrhunderts"  einen  tiefen  Ein- 
druck auf  ihn  macht.  Ausser  Goethe  und  Schiller  erwähnt 
•er  noch  Lessing  und  Börne  als  seine  Lieblingsschriftsteller; 
»die  Faustidee,  die  er  eifrig  verfolgt,  führt  ihn  zu  Klinger, 
Immermann  und  besonders  zu  Byron.  Unterden  Franzosen 
gewinnt  er  Beranger  lieb  und  liest  von  Rousseau  den  „Contrat 
social"  und  den  „Emile".  Was  er  noch  von  altklassischer 
Lektüre  erwähnt,  ist  im  wesentlichen  das,  was  noch  heute 
darin  getrieben  wird;  Sueton  auf  der  einen  und  Hesiod 
und  Plutarch  auf  der  anderen  Seite  überschreiten  das 
Mass  des  jetzt  Üblichen. 

Nicht  uninteressant  ist  es,  das  Ergebnis  der  schrift- 
lichen Arbeiten  der  Reifeprüfung,  welche  in  den  Tagen 
vom  23.  bis  28.  Februar  angefertigt  wurden,  zu  hören, 
nicht  uninteressant  auch  die  Notiz  des  Protokolls  vom 
letzten  Tage:  „Prof.  Müller  nahm  mehreren  Abiturienten 
mitgebrachte  deutsche  Übersetzungen  des  Sophokles  vor 
Beginn  der  Arbeit  weg".  Ob  Kuno  Fischer  unter  diesen 
gewesen  ist,  darüber  schweigt  des  Aktenstückes  Höflich- 
keit, welches  in  diskreter  Weise  hierbei  überhaupt  keine 
Namen  nennt. 

Der  deutsche  Aufsatz  behandelt  das  Thema:  „Was 
hat  dazu  gewirkt,  die  lateinische  Sprache  zur  allgemeinen 
Gelehrtensprache  zu  machen?"  und  ist  in  einer  „den  An- 
forderungen des  Reglements  jedenfalls  genügenden  Weise" 
bearbeitet  worden.   Hervorgehoben  wird  in  der  Beurteilung 


Kuno  Fischer  in  Posen.  159 

„die  Bildung  des  Verstandes  und  der  Phantasie"  und  trotz 
einiger  nicht  strengen  Schlussfolgerungen  „das  Streben 
nach  selbständiger  Geistesbewegung0;  die  „korrekte  und 
sprachgewandte  Schreibart"  leidet  darunter,  dass  sie 
„durch  das  Streben"  nach  poetischer  oder  rednerischer 
Färbung  stellenweise  zu  einer  etwas  gezierten  Diktion 
sich  hat  verleiten  lassen".  Seine  häuslichen  Arbeiten  — 
auch  damals  war  dieser  Zusatz  schon  üblich  —  waren 
immer  mit  grossem  Fleisse  angefertigt  und  gewöhnlich 
nach  Inhalt  und  Form  recht  gelungen.  Der  lateinische 
Aufsatz  behandelt  das  Thema:  Pugna  Salaminia  cur  non 
Graecis  solum  summam  attulerit  utilitatem,  sed  toti  etiam 
Europae  fuerit  utilissima;  es  sei  hierzu  bemerkt,  dass 
Kuno  Fischer  in  offenbarer  Flüchtigkeit  die  Worte: 
summam  attulerit  utilitatem  —  welche  von  Kiesslings 
Hand  in  das  Protokoll  eingetragen  stehen  und  auch  bei 
den  übrigen  Arbeiten  sich  finden  —  fortgelassen  hat. 
Der  Aufsatz  erhält  das  Prädikat:  im  ganzen  wohl  befrie- 
digend, da  trotz  der  nicht  scharfen  Disposition  die  Dar- 
stellung durch  rhetorische  Lebendigkeit  und  fast  durch- 
gängige Korrektheit  sich  empfiehlt.  Auch  sonst  hat  er 
fast  jederzeit  eine  recht  gute  Kenntnis  der  lateinischen 
Sprache  bewiesen.  Im  Hebräischen  ist  Psalm  144,  V.  1 — 11 
ins  Lateinische  übersetzt  und  eine  ebensolche  Analyse 
der  Formen  gegeben  worden;  die  Arbeit  ist  für  2  Stunden 
recht  umfangreich  und  entspricht  im  allgemeinen  den 
gesetzlichen  Anforderungen.  Hat  in  dem  lateinischen 
Extemporale  „das  Streben  nach  Eleganz  den  Verfasser 
bisweilen  auf  Abwege  geführt",  so  wird  die  Arbeit  doch 
als  „im  ganzen  befriedigend"  zensiert,  während  die  Über- 
setzung aus  dem  Griechischen  ,SophokIes'  Elektra  Vers 
254 — 292,  die  an  einigen  Stellen  im  Ausdrucke  zu  prosaisch 
ist,  an  anderen  dagegen  „fast  etwas  zu  sehr  sich  in  die 
Höhe  schraubt",  die  Bezeichnung:  den  Anforderungen 
genügend,  erhält,  ebenso  die  französische,  die  betitelt  ist: 
Der  Frühling  des  griechichen  Klimas.  Dagegen  ist  ihm 
die  mathematische  Arbeit  nicht  gelungen;  sie  ist,  da  es 
dem  Verfasser  „an  Klarheit  und  Übersicht  seiner  mancherlei 


l6o  Friedrich   Thfimen. 

mathematischen  Kenntnisse  fehlt":  den  gesetzlichen  An- 
forderungen nicht  genügend. 

Die  mündliche  Reifeprüfung  findet  am  22.  März  statt. 
Es  erschienen  dazu  6  Schüler,  von  denen  aber  nur  4  das 
Reifezeugnis  erhalten,  ausser  Kuno  Fischer:  Ernst  von 
Kessel,  Hermann  Kohleis  und  Gustav  Wendt,  welche  drei 
Jura  und  Kameralia  studieren  wollen;  die  beiden  anderen 
bestehen  die  Prüfung  ein  halbes  Jahr  später.  Die  Ver- 
handlung findet  unter  dem  Vorsitze  des  Regierungs-  und 
Schulrats  Dr.  Brettner  statt,  und  die  Prüfungskommission 
besteht  weiter  aus  dem  Direktor  Kiessling,  den  Professoren 
Martin,  Müller  und  Loew,  dem  Oberlehrer  Schönborn, 
dem  Konsistorialrat  Dr.  Siedler  als  Religionslehrer  und 
dem  Dr.  Rymarkiewicz. 

Das  Zeugnis  der  Reife  spricht  sich  in  Betreff  der 
sittlichen  Aufführung  dahin  aus,  dass  Fischer  „in  seinem 
Verhältnis  zu  Lehrern  und  Mitschülern  sich  wahr  und 
offen  gezeigt,  bildenden  Einflüssen  eine  immer  zunehmende 
Empfänglichkeit  bewiesen  und  den  Anforderungen  der 
Ordnung  und  guter  Gesetzlichkeit  willige  Folge  geleistet 
hat".  „Seine  recht  guten  Anlagen,  so  heisst  es  weiter, 
hat  er  mit  angestrengtem  Fleiss  auszubilden  sich  bemüht 
und  eine  erfreuliche  Liebe  zu  den  Wissenschaften  an  den 
Tag  gelegt  Mit  sichtbarem  Erfolge  ist  er  auch  einer  ihn 
früher  behindernden  Unklarheit  und  Überschätzung  seiner 
Kräfte  Herr  geworden". 

Die  Angaben  des  Protokolls  sind  meistens  summarisch 
gehalten.  Die  Prüfungs- Kommission,  welche  das  Zeugnis 
am  1.  April  1844  ausgefertigt  hat,  entlässt  ihn  in  der 
sicheren  Hoffnung,  dass  er  der  von  ihm  eingeschlagenen 
löblichen  Richtung  nie  untreu  werde  und  seine  wissen- 
schaftliche und  sittliche  Ausbildung  mit  dem  besten  Erfolge 
fortsetzen  werde. 

Über  die  äussere  Erscheinung  Fischers  haben  wir 
ein  Zeugnis  Sosnowskis.  „Als  ich  im  Jahre  1841  bei 
meinem  Eintritt  in  das  Friedrich  Wilhelms- Gymnasium 
zu  Posen  zum  ersten  Male  die  Räume  der  Schule  betrat 
und  die  Jugend  nach  beendigtem  Unterricht  aus  den  Klassen 


Kuno  Fischer  in  Posen.  161 

nausstürmen  sah,  erregte  unter  meinen  neuen  Mitschülern 
ner  besonders  meine  Aufmerksamkeit  in  hohem  Grade. 
ui  seiner  wohlgebildeten  Gestalt,  die  sich  durch  ihre 
'fc>liafte  und  energische  Bewegung  auszeichnete,  musste 
er  Blick  mit  Interesse  und  Wohlgefallen  ruhen.  Sein 
f  fenes  und  heiteres  Gesicht  von  interessantem  Schnitt, 
ein  kühn  und  fest  blickendes  Auge  Hessen  eine  sich 
nichtig  entwickelnde  Intelligenz  verraten.  Das  blonde 
-laar  fiel  in  langen,  vollen  Locken  bis  auf  die  Schulter 
nerab.  So  erschien  mir  damals  Ernst  Kuno  Berthold 
Fischer". 

Über  die  Wohnung  Kuno  Fischers  in  Posen  haben 
eingehende  Untersuchungen  stattgefunden,  da  das  Adress- 
buch von  1835  den  Oheim  in  die  Wilhelmstrasse  134  ver- 
setzt —  ein    Haus,  das   sich   in   unmittelbarer  Nähe    der 
Raczynskischen  Bibliothek  befunden  haben  muss, —  Fischer 
selbst   aber  auf   eine  Anfrage   angegeben   hat,  dass   er  in 
der  Villa  „Lindenruh"  vor  dem  Eichwaldtore  gewohnt  habe. 
Dies   ist   das   Grundstück   Nr.  11    der  Eichwaldstrasse  — 
genannt  Columbia  Nr.  3  im  Grundbuche,  —  welches  jetzt 
die  Sanitätsmolkerei  einnimmt.    Hiernach  hatte  der  Kreis- 
steuereinnehmer Fischer  seine  Wohnung  in  der  Wilhelm- 
strasse schon  aufgegeben,  ehe  er  den  Neffen  zu  sich  nahm, 
und  dieser  wiederum  hat,  als  die  Familie  Fischer  in  die 
Stadt  zurückkehrte,  weil  die  Eichwaldstrasse  sehr  häufig 
von  Überschwemmungen  heimgesucht  wurde,  den  Umzug 
nicht  mehr  mitgemacht,  sondern  Posen  früher  verlassen. 
Übrigens  will  der  gegenwärtige  Besitzer  des  Grundstücks 
in  der  Eichwaldstrasse   das   Gebäude   abbrechen   lassen; 
es  dürfte  sich  empfehlen,  es  im  Bilde  festzuhalten. 

Als  ein  begabtes  junges  Menschenkind,  etwas  träu- 
merisch veranlagt,  ist  Kuno  Fischer  einst  nach  Posen  und 
auf  das  Friedrich  Wilhelms -Gymnasium  gekommen.  Den 
gemütlichen  Verhältnissen  des  Vaterhauses  entrissen,  hat 
or  unter  der  strengen  und  gewissenhaften  Erziehung  des 
Oheims  allmählich  gelernt,  das  träumerische  Wesen  abzu- 
legen und  sich  in  die  Ordnung  und  die  Pünktlichkeit  der 
Schule  zu  fügen,  äusserlich  und  innerlich.     „Schon  in  den 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XX.  n 


IÖ2  Friedrich  Thfimen. 

Mittelklassen  gehörte  er  zu  den  ausgezeichnetsten  und  in 
den  Augen  der  Lehrer  hoffnungsvollsten  Schülern".  In 
den  oberen  Klassen  zeigte  sich  seine  hervorragende  all- 
gemeine Befähigung  recht  klar,  „eine  rasche  und  sichere 
Auffassung,  ein  entschiedenes  selbständiges  Urteil,  eine 
anerkannte  Rednergabe  und  eine  grosse  Empfänglichkeit 
für  die  Dichtkunst  und  die  Schönheit  ihrer  Formen44.  Man 
hatte  daher  geglaubt  —  und  er  selbst  hatte  ja  diese 
Absicht  kundgegeben,  —  dass  er  die  Literatur  zu  seinem 
Hauptstudium  machen  würde;  aber  schon  nach  dem  ersten 
Semester,  das  er  in  Leipzig  zubrachte,  zieht  es  ihn  nach 
Halle  und  zum  Studium  der  Philosophie,  der  er  von  jetzt 
an  vorzugsweise  seine  Kraft  und  Zeit  widmet  Dass  er 
aber  jener  nicht  untreu  geworden,  beweisen  seine  Schriften 
über  Schiller,  Lessing,  Shakespeare  und  Goethe. 

Zu  Posen  ist  Kuno  Fischer  später  nicht  wieder  in 
Beziehungen  getreten.  Wir  aber  widmen  ihm  mit  diesen 
Zeilen  ein  Zeichen  des  Gedenkens. 


zur  Geschichte  des  deutsch-katholischen  Kirchen- 
systems der  Stadt  Posen  und  ihrer  Kämmereidörfer, 

Von 
Manfred  Laubert. 

eine  der  im  Laufe  des  19.  Jahrhunderts  vor- 
nehmlich durch  die  stille  Wirksamkeit  des 
katholischen  Klerus  sich  vollziehenden  Poloni- 
sierungen  ehemals  deutscher  Kolonien  in  der  Provinz 
Posen  hat  so  viel  Staub  aufgewirbelt  wie  die  Entnationali- 
sierung der  sogenannten  Bamberger.  Der  Grund  hier- 
für liegt  darin,  dass  sich  dieser  Vorgang  in  unmittelbarer 
Nähe  der  Stadt  Posen,  „unter  den  Augen  der  höchsten 
Staatsbeamten  und  Schulbehörden"  abspielte,  und  dass 
bereits  vor  längerer  Zeit  von  Max  Bär  dem  Schicksal  der 
betreffenden  Gemeinden  eine  ausführliche  Monographie 
gewidmet  worden  ist,  deren  Hauptinhalt  später  General- 
leutnant von  Boguslawski,  durch  eigene  Beobachtungen 
ergänzt,  dem  deutschen  Volke  von  neuem  in  das 
Gedächtnis  gerufen  hat1). 

An     der    Hand    aktenmässigen    Materials     schildert 
Bär  ausführlich,  wie  einige  der  katholischen  Pröpste  ihre 


l)  Bär,  Die  „Bamberger"  bei  Posen.  Posen  1882,  zuerst 
erschienen  in  der  „Zeitschrift  für  Geschichte  und  Landeskunde  der 
Provinz  Posen"  1882  Heft  III; 

v.  Boguslawski,  85  Jahre  Preussischer  Regierungspolitik  in 
Posen  und  Westpreussen  von   1815  bis  1900.    Berlin  1901.    S.  22  ff. 

11* 


164  Manfred  Laubert. 

Stellung  als  geistliche  Schulinspektoren  dazu  benutzten, 
um  durch  Einwirkung  auf  das  Lehrerpersonal  die  Schule 
zum  „Tummelplatz  ultramontan-polnischer  Propaganda"  zu 
machen  und  unser  Gewährsmann  deutet  ferner  an,  wie 
sie  durch  ihren  persönlichen  Einfluss  auf  die  Gemeinden, 
im  Beichtstuhl  und  beim  Abendmahl  und  durch  private 
Unterredungen  die  deutschen  Katholiken  ihrer  Kirchspiele, 
wahrscheinlich  ad  majorem  dei  gloriam,  für  die  Sache 
des  Polentums  zu  gewinnen  trachteten,  wozu  sich  ihnen 
nur  allzu  günstige  Gelegenheit  bot,  da  der  kirchlichen 
Ordnung  nach  die  von  Bambergern  bewohnten  Dörfer  zu 
polnisch-katholischen  Pfarrkirchen  gehörten,  in  denen  nur 
polnisch  gepredigt  und  zelebriert  wurde.  „Allerdings  — 
fährt  Bär  fort1)  —  ist  den  deutschen  Katholiken  in  Posen 
nach  schweren  Kämpfen  eine  Kirche  —  die  Franziskaner- 
kirche —  zugewiesen,  allein  dieselbe  ist  nur  eine  Suk- 
kursale  der  Pfarrkirche,  keine  Parochialkirche;  es  wird 
daher  dort  wohl  deutsch  gepredigt,  Beichte  gehört  u.  s.  w., 
aber  es  darf  dort  nicht  getauft  und  getraut  werden, 
wenigstens  nicht  ohne  vorher  eingeholte  Erlaubnis  der 
betreffenden  Parochialpröbste  und  ohne  Zahlung  doppelter 
Gebühren". 

Diese  „schweren  Kämpfe",  welche  es  gekostet  hat, 
um  den  deutschen  Katholiken  der  Stadt  Posen  und  ihrer 
Kämmereidörfer  —  denn  diese  bilden  vorwiegend  die 
Ansiedelungsplätze  der  Bamberger  —  eine  eigene  Succursal- 
kirche  zu  erobern,  sollen  in  dem  vorliegenden  Aufsatz  nach 
den  Akten  des  Geheimen  Staatsarchivs  in  Berlin2)  näher 
geschildert  werden. 

Angeschnitten  wurde  die  Frage  des  deutsch- 
katholischen Kirchensystems  an  Allerhöchster  Stelle  zum 
ersten  Mal  durch  einen  Immediatbericht  des  Ministers  der 
geistlichen,  Unterrichts-  und  Medizinalangelegenheiten,  des 
Freiherrn  von  Altenstein,  vom  r 9.  Dezember  1835.  In 
demselben  wird  als  eine  Art  historischer  Einleitung  aus- 
geführt,  dass   in    der  Stadt  Posen    und   ihrer  Umgebung 

i)  a.  a.  O.  S.  49. 

2)  Rep.  89.  C.  XLII.   Nr.  7.  vol.  II  f.  89  ff.  u.  vol.  III  f.  121  ff. 


Deutsch-katholisches  Kirchensystem  zu  Posen. 


165 


eine  nicht  unbeträchtliche  Zahl  von  Katholiken  deutscher 
Abkunft  lebte,  die  teils  aus  Schlesien  stammten,  teils 
Abkömmlinge  einer  im  17.  Jahrhundert  aus  den  fränkischen 
Bistümern  Bamberg  und  Würzburg  zur  Förderung  des 
Obst-  und  Gemüsebaues  nach  dem  fernen  Osten  ver- 
pflanzten Kolonie  waren1). 

Nach     einer    genauen     im   Jahre    1831     durch     die 

Regierung   zu  Posen  veranstalteten  Zählung  gehörten  zu 

den  deutschen  Katholiken: 

a)  in  der  Stadt  Posen  442  Familien  mit  1  678  Köpfen. 

b)  „    den  Gemeinden 


c) 
d) 

e) 

0 

g) 


Ober-  u.  Unter 

Wilda  .    .  . 

Winiary  .  . 
*  Dembsen 

Luban  .    .  . 

Rataj    .    .  . 

Bonin 2)    .  . 


133 
5i 
34 
18 

36 

i 


559 
281 
230 
121 
252 
20 


719  Familien  mit  3  141  Köpfen3). 
Durch  die  Einpfarrung  zu  den  polnischen  Kirchen 
ihres  Wohnorts  entstand  für  diese  deutschen  Katholiken 
keine  Unbequemlichkeit  in  Bezug  auf  denjenigen  Teil  des 
Gottesdienstes,  der  in  lateinischer  Sprache  verrichtet  wird, 
da  ihnen   das  Wirken   eines   deutschen   oder  polnischen 


*)  In  Wahrheit  fand  die  Einwanderung  der  Kolonisten  in  der 
ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  statt;  der  Zweck  ihrer  Berufung 
war  ein  nicht  so  eng  begrenzter,  sondern  die  Stadt  Posen  holte  die 
Ansiedler  zur  Wiederbevölkerung  der  durch  Krieg  und  Pest  ver- 
heerten Kämmereidörfer  überhaupt  und  zur  Sicherstellung  der  aus 
diesen  Besitzungen  fliessenden  Einnahmen  in  das  Land.  Es  handelt 
sich  also  um  eine  Finanzoperation  der  Kämmereiverwaltung.  Ein 
Teil  der  zuziehenden  Familien  stammte  auch  aus  Württemberg, 
Ostpreussen  und  anderen  deutschen  Provinzen. 

2)  Ein  verschwundenes  Vorwerk  an  der  Stelle  des  heutigen 
Forts  Winiary. 

3)  Diese  Zahlen  weichen  sehr  erheblich  von  den  für  1835  bei 
Bär  angegebenen,  deren  öuelle  mir  unbekannt  ist,  ab.  (a.  a.  O.  S.  74). 
Nach  Bär  zählte  damals  Dembsen  23  deutsche  Hausväter,  Luban  12, 
Rataj  2r,  Wilda  55. 


l66  Manfred  Laubert. 

Priesters  hierbei  gleichgiltig  sein  konnte.  Anders  verhielt 
es  sich  in  Bezug  auf  diejenigen  seelsorgerischen  Ver- 
richtungen und  die  Teile  des  Gottesdienstes,  bei  denen 
die  Landessprache  ausschliesslich  oder  zugleich  mit  der 
lateinischen  gebraucht  werden  muss,  wie  Predigt,  Unterricht, 
Beichte,  Krankenbesuche,  Beratungen  in  zweifelhaften 
Gewissensfällen  und  selbst  Taufe  wie  Trauung.  Hier 
nun  leisteten  früher  die  Klöster  der  Dominikaner,  Franzis- 
kaner, Bernhardiner  und  Pauliner  die  erforderliche  Aus- 
hilfe; das  Brüderschaftswesen  bot  dazu  nicht  allein  die 
Form,  sondern  auch  die  nötigen  Mittel.  Diese  nur  der 
katholischen  Kirche  eigentümliche  Institution  besteht  darin, 
dass  sich  neben  der  auf  der  gesetzlich  notwendigen 
Parochialeinteilung  beruhenden  Pfarrgemeinde  unter  kirch- 
licher Aufsicht  noch  andere  freiwillige  Vereine,  teils  zu 
gottesdienstlichen  Übungen,  teils  zu  mildtätigen  Zwecken 
gestalten  können,  die  sich  entweder  den  Pfarrkirchen 
selbst,  meist  aber  den  Klöstern  anschlössen,  ihre  eigenen 
Prediger  aus  den  Weltgeistlichen  oder  Mönchen  besassen 
und  sich  merkwürdiger  Weise  bei  ihrem  Gottesdienst 
fast  ausschliesslich  der  Landessprache  bedienten.  Auf 
diese  Weise  trugen  sie  dazu  bei,  den  Gebrauch  der 
lateinischen  Sprache  zu  mildern  und  neueren  im  religiösen 
Volksleben  entwickelten  Ideen  Eingang  zu  verschaffen. 

Die  deutsch-redenden  Katholiken  in  der  Stadt  Posen 
und  deren  Umgebung  hielten  sich  an  die  bei  den  Domini- 
kanern und  Bernhardinern  bestehenden  sogenannten 
„deutsch-katholischen  Brüderschaften",  bei  denen  an 
gewissen  Sonn-  und  Feiertagen  des  Nachmittags  für  sie 
ein  besonderer  Gottesdienst  in  deutscher  Sprache  mit 
Gesang,  Gebet  und  Predigt  gehalten  wurde.  Die  Brüder- 
schaftsprediger waren  zugleich  die  Beichtväter,  Religions- 
lehrer, Tröster  der  Kranken,  kurz,  sie  vertraten  den  Pfarrer 
bei  allen  Handlungen,  bei  denen  dieser  wegen  Unkenntnis 
der  deutschen  Sprache  sein  Amt  nicht  selbst  wahr- 
nehmen konnte. 

Die  in  Rede  stehende  deutsch-katholische  Bevölke- 
rung gerät  deswegen  durch  die  befohlene  Aufhebung  der 


Deutsch-katholisches  Kirchensystem  zu  Posen.  167 

genannten  Klöster  in  nicht  geringe  Verlegenheit,  „und  es 
leuchtet  den  sämmtlichen  Provinzialbehörden  daselbst  ein, 
dass  für  die  religiösen  Bedürfnisse  dieser  Katholiken  in 
zureichender  Weise  anderweitig  gesorgt  werden  muss. 
Dafür  spricht  nicht  allein  die  Gerechtigkeit,  indem  sie 
durch  das  rechtliche  Bestehen  der  Klöster  und  des  mit 
den  Klöstern  verbundenen  Instituts  der  Brüderschaften 
die  ihnen  mit  Rücksicht  auf  den  Unterschied  der  Sprache 
unentbehrliche  Ergänzung  der  pfarrlichen  Seelsorge 
genossen,  sondern  es  reden  auch  erhebliche  politische 
Gründe  einer  solchen  Fürsorge  das  Wort.  Das  Miss- 
vergnügen, welches  jede  Klosteraufhebung,  besonders 
in  jener  Provinz,  zu  begleiten  pflegt,  dürfte  sehr  gesteigert 
werden,  wenn  man  diese  Rücksicht  ganz  ausser  Augen 
setzen  wollte.  Man  würde  eine  nicht  unbedeutende 
Anzahl  deutscher  Familien,  die  bis  dahin  mit  deutscher 
Ausdauer  dem  National-Charakter  und  der  Muttersprache 
treu  geblieben  sind,  mittelbar  nöthigen,  in  der  nächsten 
Geschlechtsfolge  diese  Eigenschaften  der  Religion  wegen 
abzulegen.  Dadurch  aber  würde  man  ein  Element  auf- 
opfern, welches  wesentlich  dazu  dient,  der  deutschen 
Sprache  und  Lebensweise  bei  den  Einwohnern  polnischen 
Stammes,  besonders  bei  dem  gemeinen  Manne  und  in 
den  Mittel-Classen,  Eingang  zu  verschaffen,  weil  die  Über- 
einstimmung in  der  Religion  den  Verkehr  und  die 
Familien-Verbindungen  erleichtert.  Auch  ist  es  für  Posen, 
als  Festung  und  Garnisonstadt,  nicht  unwichtig,  dass  dort 
ein  deutsch-katholischer  Gottesdienst  bestehe". 

Der  anfänglich  aufgetauchte  Gedanke,  für  die  deutsch- 
katholische Einwohnerschaft  der  Stadt  eine  besondere 
Parochie  in  einer  eingehenden  Klosterkirche  zu  gründen, 
musste  wieder  aufgegeben  werden,  insbesondere  wegen 
der  Verwicklungen  und  Schwierigkeiten,  welche  mit  der 
Vereinigung  dieser  Glaubensgenossen  zu  einer  solchen 
förmlichen  Parochie  in  der  Tat  verbunden  sein  würden. 
Angemessen  erschien  es  dagegen,  einen  Mittelweg  zu 
wählen  in  der  Weise,  dass  die  Franziskanerkirche  zu 
Posen  zu  einer  Succursal-  oder  Hilfskirche  für  die  deutsch- 


l68  Manfred  Laubert. 

redenden  Katholiken  erhoben  und  bei  derselben  die 
Anstellung  von  zwei  deutschen  Geistlichen  bewirkt  würde, 
denen  die  Verpflichtung  obliegen  sollte,  an  Sonn-  und 
Feiertagen  Gottesdienst  mit  deutscher  Predigt  zu  halten, 
Beichte  zu  hören,  die  heilige  Kommunion  zu  spenden, 
ohne  dass  daraus  eine  Auflösung  der  bestehenden  Parochial- 
verbindung  zwischen  den  deutschen  Katholiken  und  den 
polnischen  Pfarrkirchen  erfolgte.  Auf  solche  Weise 
hofften  die  Verwaltungsbehörden  die  bisherigen  Leistungen 
der  Brüderschaften  und  deren  Prediger  zu  ersetzen. 

Zur  Besoldung  der  zwei  Geistlichen  und  der  unteren 
Kirchenbedienten,  zur  Bestreitung  der  gottesdienstlichen 
Bedürfnisse  sowie  endlich  zur  baulichen  Unterhaltung  der 
bisherigen  Franziskanerkirche  konnten  zweckmässig  die 
bei  dem  Posener  Franziskanerkloster  ausgesetzten,  der 
Säkularisation  nicht  unterliegenden  Messfundationen  und 
ähnliche  Einnahmen  im  Reinbetrage  von  1380  Rtr.  19  Sgr. 
überwiesen  werden.  Die  laufenden  Ausgaben  bei  der 
geplanten  Einrichtung  berechnete  Altenstein  auf  1684  Rtr. 
10  Sgr.,  so  dass  ein  jährlicher  Zuschuss  von  305  Rtr. 
21  Sgr.  erforderlich  blieb,  dessen  Deckung  aus  dem 
Säkularisationsfonds  und  zwar  aus  einem  darunter 
begriffenen  Fonds  von  8000  Rtr.  zur  Dotierung 
solcher  Pfarrsysteme,  deren  Organisation  durch  die 
Aufhebung  der  Klöster  notwendig  wurde,  unbedenk- 
lich erschien. 

Der  Erzbischof  von  Gnesen  und  Posen  (Dunin)  war 
mit  diesem  Projekt  einverstanden  und  zur  Überweisung 
der  Fundationen  bereit.  Freilich  wollte  er  sich  auch  die 
Besetzung  der  beiden  geistlichen  Stellen  vorbehalten, 
was  der  Minister  für  nicht  angängig  erklärte,  da  offenbar 
hier  das  Patronat  oder  Präsentationsrecht  dem  Landes- 
herrn zukam,  weil  der  Staat  die  Räumlichkeit,  ein  ihm 
durch  Säkularisation  zugefallenes  Kloster,  und  einen 
Jahreszuschuss  hergeben  musste,  der  Erzbischof  aber 
durch  die  blosse  Zuweisung  der  Messfundationen  nicht 
als  Dotator  im  eigentlichen  Sinne  auftrat.  Als  verstärken- 
des Argument  wurde  bemerkt:     „Nächstdem  aber  ist    es 


Deutsch-katholisches  Kirchensystem  zu  Posen.  169 

auch  von  politischer  Bedeutung,  dass  der  Staat  die  Ver- 
gebung dieser  mit  deutschen  Geistlichen  zu  besetzenden 
beiden  Stellen  in  Händen  behalte." 

Bei  dieser  Sachlage  glaubte  der  Minister,  seinem 
Monarchen  nur  anheimstellen  zu  können:  „Die  Erhebung 
der  Franziskaner -Kirche  zu  Posen  zur  Succursal- Kirche 
für  die  deutsch -redenden  Katholiken  daselbst  und  der 
Umgegend  und  die  Übertragung  des  Patronats-Rechts  an 
die  Regierung  zu  Posen",  sowie  die  Bestreitung  der  not- 
wendigen Ausgaben  in  der  vorgeschlagenen  Weise  unter 
Gewährung  des  erforderlichen  Zuschusses  aus  dem 
Säkularisationsfonds  „in  Gnaden  zu  genehmigen". 

Selten  wohl  ist  ein  Antrag  auf  Unterstützung  eines 
deutschen  Kirchensystems  in  der  Provinz  mit  verhältnis- 
mässig recht  geringen  staatlichen  Mitteln  durch  triftigere 
Gründe  motiviert  worden,  und  selten  wohl  mag  Altenstein 
während  seiner  langjährigen  amtlichen  Wirksamkeit  mit 
grösserer  Zuversicht  der  Gewährung  seines  Antrages  ent- 
gegen gesehen  haben  als  in  dem  vorliegenden  Falle. 

Überraschenderweise  fand  es  nach  einer  am 
10.  Januar  1836  erlassenen  Kabinetsordre x)  der  Monarch 
auf  diesen  Bericht  nicht  erforderlich,  dass  nach  dem 
Antrage  aus  den  Katholiken  deutscher  Abkunft  in  Posen 
und  der  Umgegend  „eine  besondere  Pfarrgemeinde  gebildet 
und  ein  neues  katholisches  Pfarr-  System  eingerichtet 
werde".  Jedenfalls  wollte  Friedrich  Wilhelm  III.  erst 
abwarten,  wie  sich  die  Sache  nach  Aufhebung  der  in 
Frage  kommenden  Klöster  gestalten  werde,  und  Altenstein 
bekam  den  Auftrag,  die  Angelegenheit  für  jetzt  auf  sich 
beruhen  zu  lassen  und  nur  dafür  zu  sorgen,  dass  die 
Messfundationen  der  Verfügung  des  Erzbischofs  noch 
nicht  definitiv  überwiesen,  sondern  die  Disposition  darüber 
vorläufig  noch  vorbehalten  würde. 

Aus  einem  Reskript  des  Ministers  vom  29.  Januar  1836 
ersah  dann  der  Oberpräsident  Flottwell  die  unerwarteten 
Hindernisse,   welche    die  Einrichtung   des  Gottesdienstes 

A)  Konzept  von   dem  Wirklichen    Geh.  Rat  von  Stägemann. 


170  Manfred  Laubert. 

in  der  Posener  Franziskanerkirche  gefunden  hatte.  In 
einem  Bericht  vom  15.  Februar  betonte  er  jedoch,  dass 
der  ablehnende  Allerhöchste  Bescheid  auf  einem  Missver- 
ständnis zu  beruhen  schien,  da  die  vom  König  für  unnötig 
erklärte  Bildung  einer  besonderen  Pfarrgemeinde  und 
eines  neuen  katholischen  Parochialkirchensystems  seinem 
eigenen  Vorschlage  ebenso  fremd  gewesen  sei,  wie  sie 
nach  Äusserung  des  Ministers  auch  nicht  in  dem  Wesen 
von  dessen  Immediatbericht  gelegen  hatte.  Der  Ausspruch 
Seiner  Majestät  stimmte  vielmehr  mit  der  Ansicht  über- 
ein, die  der  Oberpräsident  selbst  von  der  Sache  hegte, 
und  mit  der  er  auch  früher  gegenüber  der  1834  auf 
Bildung  einer  neuen  Kirchengesellschaft  und  das  Aus- 
scheiden der  deutschen  Katholiken  aus  ihrem  bisherigen 
Pfarrnexus  gerichteten  Absicht  des  Ministers  durch- 
gedrungen war.  Hingegen  wollte  sich  Flottwell  nicht  zu 
der  Anschauung  bekehren,  dass  eine  Einrichtung,  deren 
Zweck  nur  darin  bestand,  den  deutschen  Katholiken  den 
Gottesdienst  in  ihrer  Mutter-  und  Landessprache  zu 
sichern,  mit  den  Wünschen  des  Königs  in  Widerspruch 
stehen  sollte.  Einen  Anhalt  für  seine  Meinung  fand  er 
in  den  vielfachen,  wichtigen,  von  Altenstein  stets 
anerkannten  Interessen,  welche  eine  solche  Einrichtung 
als  höchst  wünschenswert,  ja  als  notwendig,  darstellten 
und  besonders  in  dem  Umstand,  dass  Friedrich  Wilhelm 
durch  Kabinetsbefehl  vom  14.  April  1832  zwar  die  Gebäude 
des  Franziskanerklosters  der  Stadtgemeinde  für  ihre 
Armenanstalten  überwiesen,  aber  gleichzeitig  ausdrücklich 
bestimmt  hatte,  dass  die  Kirche  dem  katholischen  Gottes- 
dienst vorbehalten  werde.  Flottwell  wies  daher  vorsichtig 
darauf  hin,  dass  eine  nähere  Bestimmung  der  Modalitäten 
dieses  Gottesdienstes  und  die  Flüssigmachung  der  nötigen 
Mittel  hierfür  ganz  innerhalb  der  Grenzen  der  dem 
Minister  durch  Ordre  vom  31.  März  1833  übertragenen 
Befugnisse  gelegen  haben  dürfte,  der  Monarch  also  nur 
durch  die  von  ihm  speziell  eingeholte  Genehmigung  zu 
der  Annahme  bewogen  sein  mochte,  es  werde  die  Bildung 
einer    neuen  Kirchengesellschaft    mit   Pfarrgerechtsamen 


Deutsch-katholisches  Kirchensystem  zu  Posen.  17 1 

beabsichtigt.  Deshalb  stellte  er  Altenstein  dringend 
anheim,  dem  König  einen  erneuten  berichtigenden  Vortrag 
zu  halten. 

Der  Kultus  der  Katholiken  deutscher  Herkunft  war 
in  der  städtischen  Pfarrkirche  von  jeher  vernachlässigt 
worden,  weil  die  Mehrzahl  der  Einwohner  polnisch 
verstand  und  die  geistlichen  Behörden  hierin  eine 
ihrer  Gesinnung  entsprechende  Veranlassung  fanden, 
nur  für  den  polnischen  Gottesdienst  zu  sorgen.  Dadurch 
waren  jene,  wie  Flottwell  zur  Unterstützung  seines  Ge* 
suches  anführt,  genötigt  gewesen,  unter  dem  Namen  der 
St.  Annen-Gemeinde  sich  zu  einer  besonderen  Brüderschaft 
zusammenzuschliessen,  ein  eigenes  Bethaus  zu  erbauen  und 
^inen  der  deutschen  Sprache  kundigen  Klostergeistlichen  für 
ihre  Seelsorge  auszuwählen  und  zu  besolden.  Seitdem  die 
St.  Annen-Kapelle  aber  baufällig  geworden,  wurde  dieser 
deutsche  Gottesdienst  in  der  Franziskanerkirche  abgehalten. 
Eine  Wiederherstellung  des  früheren  Verhältnisses  ver- 
hinderte die  bauliche  Verfassung  der  zudem  als  Pfarr- 
wohnung  der  St.  Martin-Gemeinde  unentbehrlichen  Annen- 
Kapelle  und  der  Umstand,  dass  durch  die  Aufhebung  der 
Klöster  die  Gelegenheit  benommen  war,  sich  für  billiges 
Geld  einen  der  deutschen  Sprache  kundigen  Geistlichen 
zu  verschaffen.  Es  kam  also  nur  an  auf  einen  Wechsel 
des  Lokals,  statt  der  St.  Annen -Kapelle,  und  die  feste 
Anstellung  deutscher  Prediger  als  Ersatz  für  die  früher 
zeitweilig  berufenen  Klostergeistlichen. 

Flottwell  glaubte  mit  Sicherheit  voraussehen  zu 
können,  dass  die  deutschen  Katholiken,  falls  sie  auf  den 
Besuch  der  städtischen  Pfarrkirche  beschränkt  werden 
.sollten,  noch  lange  einen  genügenden  Gottesdienst  ent- 
behren würden.  Selbst  wenn  die  Regierung  mit  Nach- 
druck darauf  hielt,  dass  bei  jeder  Kirche  einer  der 
anzustellenden  Geistlichen  der  deutschen  Sprache  mächtig 
sei,  konnte  es  dem  Erzbischof  und  dessen  Konsistorium, 
solange  bis  die  neugeschaffenen  Bildungsanstalten  für  den 
Klerus  ihren  günstigen  Einfluss  auf  gründlichere  germanische 
Bildung  und  Gesinnung  wirklich  ausüben  würden,  bei  dem 


172  Manfred  Laubert. 

Mangel  an  tauglichen  Subjekten  nicht  schwer  fallen,  durch 
irgend  welche  Ausflüchte  die  Bemühungen  der  Behörden 
zu  vereiteln,  „und  —  so  führt  der  Oberpräsident  ferner 
aus,  —  ein  regelmässiger  deutscher  Gottesdienst  in  allen 
städtischen  Kirchen  wird  sich  wegen  der  Nothwendigkeit 
eines  wiederholten  polnischen  Gottesdienstes  für  die  über- 
wiegende Mehrzahl  der  dieser  Sprache  anhängenden 
katholischen  Einwohner  namentlich  so  lange  nicht  er- 
zwingen lassen,  als  dem  Bedürfnisse  der  letzteren  nicht 
durch  die  feste  Einrichtung  des  Gottesdienstes  in  den 
Kirchen  der  übrigen  aufgehobenen  Klöster  Genüge  ge- 
schieht. Soll[en]  aber  den  [sie!]  wohlgesinnten  Katholiken, 
welche  von  deutscher  Abstammung  der  preussischen 
Regierung  ergeben  sind,  so  wie  jetzt,  darauf  beschränkt 
bleiben,  von  Zeit  zu  Zeit  bald  in  dieser  bald  in  jener  Kirche, 
wie  es  die  Erzbischöfliche  Behörde  anordnet,  einer  deutschen 
Predigt  beizuwohnen,  bei  dem  Geistlichen  einer  andern 
Parochie  die  Beichte  zu  hören  und  die  Kinder  zum  Religions- 
Unterricht  zu  schicken,  so  kann  es  nicht  fehlen,  dass  hierin 
eine  besondere  Aufforderung  für  sie  liegen  wird,  bei  ihren 
Kindern  die  Erlernung  der  polnischen  Sprache,  als  eines 
Mittels  zur  bessern  Erfüllung  ihrer  Religionspflichten,  zu 
befördern,  und  es  lässt  sich  nicht  verkennen,  wie  wesentlich 
in  den  niedern  Volksklassen  die  Gewöhnung  an  diev  pol- 
nische Sprache  eine  Entwöhnung  der  deutschen  Sitten  und 
Bildung  herbeiführt  und  polnische  Gesinnungen  befördert. 
Es  ist  Thatsache,  dass  in  Dörfern,  welche  lediglich  mit 
Abkömmlingen  deutscher  Colonisten  bevölkert  sind,  selbst 
in  der  nächsten  Umgebung  der  Stadt  Posen  —  wie  in 
dem  Kämmerei  Dorf  Jezyce  —  die  deutsche  Sprache  fast 
ganz  erloschen  ist,  weil  die  aus  Bamberg  eingewanderten 
Colonisten  durch  mehrere  Generationen  genöthigt  gewesen 
sind,  wegen  des  Unterrichts  und  des  Gottesdienstes  in 
der  angestammten  katholischen  Religion  an  die  der  pol- 
nischen Sprache  nur  kundigen  und  der  deutschen  Bildung 
abgeneigten  Landesgeistlichen  sich  zu  halten,  während 
in  den  evangelischen  Colonien  überall  die  deutsche  Sprache 
herrschend  geblieben  ist,  weil  sie  den  Religions-Unterricht 


Deutsch-katholisches  Kirchensystem  zu  Posen.  173 

und  die  kirchliche  Andacht  bei  deutschen  Predigern  ge- 
funden haben." 

In  dieser  Weise  drohte  also  die  Aufhebung  der 
Klöster  in  der  Stadt  Posen  durch  Verminderung  der 
Gelegenheit  zum  deutschen  Gottesdienst  einen  den  Ab- 
sichten des  Königs  gerade  entgegenlaufenden,  der  ger- 
manischen Bildung  feindlichen  Einfluss  auszuüben,  wenn 
nicht  die  Einrichtung  eines  selbständigen  ununterbrochenen 
deutschen  Gottesdienstes  in  der  Franziskanerkirche  zur 
Ausführung  gebracht  wurde.  „Sie  ist  der  lebhafteste 
Wunsch  wie  das  fühlbare  Bedürfniss  eines  sehr  beachtungs- 
werten Theiles  der  städtischen  Einwohner,  der  Herr  Erz- 
bischof selbst  bevorwortet  sie  dringend",  fügte  Flottwell 
hinzu,  um  dem  Minister  eine  angelegentliche  Verwendung 
nahe  zu  legen. 

Erhöht  wurde  das  Gewicht  der  Ausführungen  des 
Oberpräsidenten  durch  ein  vielleicht  auf  Anregung  und 
wahrscheinlich  wohl  mit  Vorwissen  der  Provinzialbehörden 
am  7.  April  von  den  Vorstehern  der  St.  Annen- 
Gemeinde,  Tischlermeister  Kirscht  und  Uhrmacher- 
meister Tritschler,  eingereichtes  Immediatgesuch.  Fast 
100  Jahre  hindurch  war  nach  ihm  vom  Bernhardinerkloster 
für  den  deutsch-katholischen  Gottesdienst  in  der  St.  Annen- 
Kirche  Sorge  getragen,  1806  dieses  Gebäude  aber  von 
den  Franzosen  in  ein  Magazin  verwandelt  und  nach  der 
Rückkehr  friedlicher  Zeiten  dann  in  unbrauchbarem  Zu- 
stand vorgefunden  worden1),  ohne  dass  die  zur  Reparatur 
erforderlichen  Mittel  aufgebracht  werden  konnten. 

Den  durch  die  Aufhebung  der  Klöster  in  Posen 
aller  Belehrung  und  alles  Unterrichts  beraubten  deutschen 
Katholiken  wurde  zum  Trost  das  Versprechen  erteilt,  es 
würde  ihnen  eine  Kirche  und  der  zur  Dotierung  zweier 
Prediger  nötige  Fonds  angewiesen  werden.  Beinahe 
10  Jahre  waren  seitdem  verflossen,  während  welcher  die 
Andacht   der   hart   betroffenen,    armen    Gemeinde    durch 


*)  In  der  Zwischenzeit  war  mit  grossen  Opfern  ein  anderes 
Lokal  von  der  bedrängten  Gemeinde  gemietet  worden. 


174  Manfred  Laubert. 

fast  ebensoviele,  immer  wieder  wechselnde,  aus  den  vor- 
handenen Mitteln  nur  spärlich  besoldete  Seelsorger  mit 
vielfachen  störenden  Unterbrechungen  in  verschiedenen 
Parochial-  und  Kloster-Kirchen  abgehalten  worden  war. 
Jetzt,  nach  wirklich  stattgehabter  Beseitigung  der  Klöster, 
so  klagen  die  Bittsteller  mit  dem  vernehmlich  durch- 
klingenden Ton  schmerzlicher  Enttäuschung,  jetzt,  da  sich 
die  Gemeinde  dank  der  ihr  von  allen  Provinzialbehörden 
zugesicherten  Fürsprache  am  Ziel  ihrer  Wünsche  wähnte, 
war  ihnen  eröffnet  worden,  dass  ihre  jahrelangen  Bitten 
höhern  Orts  unberücksichtigt  geblieben  seien,  ein  Schlag, 
der  sie  dazu  veranlasst  hatte,  sich  voll  Vertrauen  an  ihren 
Landesvater  zu  wenden  und  ihn  um  Berücksichtigung" 
ihrer  traurigen  Lage  zu  ersuchen. 

Dieses  Immediatgesuch  wurde  Altenstein  zur  gut- 
achtlichen Äusserung  zugefertigt,  welcher  auf  seinen  über 
diesen  Gegenstand,  „der  bei  der  grossen  Anzahl  von 
Leuten,  die  es  trifft,  und  wegen  seines  wesentlichen 
Zusammenhanges  mit  den  Rechten  des  Gewissens  und 
der  Förderung  deutscher  Sprache  und  Cultur  unverkenn- 
bare Wichtigkeit  besitzt",  erstatteten  Vortrag  vom  19.  De- 
zember 1835  verwies,  gleichzeitig  aber  die  Gelegenheit 
wahrnahm,  um  den  Irrtum  aufzuklären,  welcher  der 
Kabinetsordre  vom  10.  Januar  1836  ersichtlich  zu  Grunde 
lag,  da  die  Errichtung  einer  besonderen  neuen  Parochie 
für  die  deutsch  redenden  Katholiken  gar  nicht  beabsichtigt 
war,  die  Beibehaltung  der  vormaligen  Franziskanerkirche 
für  den  katholischen  Gottesdienst  aber  schon  seit  1832 
feststand  und  die  Dotation  des  für  denselben  notwendigen 
Klerus  aus  dem  zu  diesem  Zweck  im  allgemeinen  aus- 
geworfenen Anteil  des  Klostervermögens  damit  als  un- 
erlässlich  zusammenhing *).  „Abgesehen  hiervon4'  —  wird 
hinzugefügt  —  „kann  ohne  auffallende  Härte  nicht  dem 
Zufall  überlassen  werden,  ob  den  deutsch  redenden 
Katholiken,  die  seither  in  dem  Bestehen  des  Dominikaner- 


*)  Schreiben  an  den  geheimen  Kabinetsrat  Müller  v.  23.  April 
bei  Rücksendung  des  Gesuches. 


Deutsch-katholisches  Kirchensystem  zu  Posen.  175 

und  des  Franziskaner-Klosters  die  Befriedigung  ihres 
religiösen  Bedürfnisses  auf  rechtmässige  Weise  besessen 
haben,  bei  der  Aufhebung  der  genannten  Klöster  ein  Ersatz 
zu  Th eil  werden  soll  oder  nicht.  Sie  können  bei  den  polnisch  en 
Priestern  nicht  zur  Beichte  gehen,  aus  den  Predigten 
derselben  sich  nicht  vernehmen,  ihre  Kinder  durch  die- 
selben nicht  im  Katechismus  unterrichten  lassen,  von 
ihnen  den  Trost  auf  dem  Sterbebette  nicht  empfangen. 
Die  polnische  Geistlichkeit  wird  sich  diesen  Leuten  in 
Sprache  nicht  anbequemen;  vielmehr  dem  natürlichen 
Triebe  folgend,  die  Entnationalisierung  der  deutschen 
Katholiken  sich  angelegen  sein  lassen."  Dazu  kam,  dass 
sich  dem  Erzbischof  die  ihm  verfassungsmässig  zustehende 
Verfügung  über  die  Messstiftungen  nicht  vorenthalten  Hess, 
falls  die  dafür  in  Aussicht  genommene  Verwendung  nicht 
zur  Ausführung  gelangen  sollte.  In  Anbetracht  dieser 
durch  Flottwells  Bericht  verstärkten  Umstände  war  der 
Minister  entschlossen  gewesen,  bei  erster  passender 
Gelegenheit  seinen  Vortrag  zu  wiederholen  und  konnte 
jetzt  das  Immediatgesuch  nur  der  wohlwollenden  Auf- 
merksamkeit des  Kabinetsrats  Müller  empfehlen,  der 
seinerseits  durch  Flottwell  über  den  Gang  der  Dinge 
unterrichtet  worden  war  und  den  mit  dem  Vortrag  beim 
Könige  betrauten  Staatsminister  Grafen  Lottum  auf  den 
von  allen  Seiten  gehegten  dringenden  Wunsch  einer 
Gewährung  der  geäusserten  Bitte  hinwies1). 

Lottum  schlug  als  zweckmässigsten  Weg  zur  Er- 
reichung des  erstrebten  Ziels  den  vor,  dass  Altenstein 
die  Immediateingabe  zum  Anlass  nehmen  möge,  um  dem 
Könige  in  einem  neuen  Bericht  diejenige  Aufklärung  zu 
geben,  welche  auf  die  gewünschte  Allerhöchste  Ent- 
scheidung von  wesentlichem  Einfluss  sein  konnte2). 

Dieser  Anregung  folgend  trug  der  Kultusminister 
unter  dem  5.  August  nochmals  die  Angelegenheit  seinem 
Königlichen  Herrn  vor  und   betonte,    dass  sich,    wie   zu 


2)  Schreiben  v.  30.  April. 

2)  Schreiben  vom  2.  Mai,  Konzept  v.  Stägemann. 


176  Manfred  Laubert. 

erwarten  gewesen  war,  die  Aufhebung  der  Klöster  iür 
die  zahlreichen  deutsch-katholischen  Einwohner  als  em- 
pfindlich herausgestellt  hatte.  Ebensowenig  wie  von  der 
Gründung  einer  neuen  Parochie  die  Rede  gewesen,  war 
der  in  den  Formen  einer  Brüderschaft  bestehende  gottes- 
dienstliche Verein  der  deutsch  redenden  Katholiken 
eine  neue,  erst  durch  die  Abschaffung  der  Klöster  hervor- 
gerufene Erscheinung,  sondern  hatte  sein  altes  durch  ein 
natürliches  Bedürfnis  begründetes  rechtliches  Bestehen. 

Hiernach  handelte  es  sich  eigentlich  nur  darum,  an 
die  bereits  beschlossene  Beibehaltung  der  Franziskaner- 
kirche zu  Posen  die  Bestimmung  zu  knüpfen,  dass  durch  sie 
dem  religiösen  Bedürfnis  der  Katholiken  deutscher  Abkunft 
genügt  werde,  im  Grunde  eine  innerhalb  der  erzbischöf- 
lichen Befugnisse  liegende  Veranstaltung,  zu  deren  Be- 
schränkung kein  Anlass  vorlag,  da  die  betroffenen 
1500  Seelen  —  von  der  Umgebung  Posens  wird  bei 
dieser  Zahl  also  ganz  abgesehen  —  jetzt  die  Gelegenheit 
entbehren  mussten,  sich  an  einer  Predigt  in  ihrer  Mutter- 
sprache zu  erbauen  und  andere  Religionsbedürfnisse  zu 
erlangen.  Es  erschien  hiernach  als  eine  Forderung  der 
Gerechtigkeit,  dass  der  Staat  aus  dem  Vermögen  der  ihm 
zugefallenen  Klöster  soviel  hergäbe,  als  zur  Befriedigung 
einer  so  wichtigen  Forderung  notwendig  war,  ein  Grund- 
satz, den  man  in  Deutschland  infolge  eines  Reichs- 
deputationsbeschlusses befolgt  hatte. 

Aus  diesen  Erwägungen  war  ein  Eingreifen  der 
Staatsbehörden  in  die  Ausstattungsangelegenheiten  der 
vormaligen  Franziskanerkirche  hauptsächlich  gerechtfertigt; 
es  stand  zu  besorgen,  dass  wenn  man  die  Sache  ihrem 
natürlichen  Gang,  d.  h.  der  Fürsorge  des  Erzbischofs 
überliess,  dieser  Prälat  über  die  Fonds  der  Klosterkirche 
anderweitig  verfügen  oder  „wenigstens  aus  einem  seiner 
Stamm-Verwandschaft  natürlichen  Gefühle  die  Bedürfnisse 
der  deutsch-katholischen  Einwohnerschaft  hintansetzen 
und  dadurch  zu  Verlegenheiten  und  Reclamationen  Ver- 
anlassung geben  möchte." 


Deutsch-katholisches  Kirchensystem  zu  Posen.  177 

Seine  Motive  so  zusammenfassend,  schliesst  Alten- 
stein mit  dem  erneuerten  Hinweis,  dass  Dunin  infolge 
der  gepflogenen  Verhandlungen  bereit  sei,  die  ihm 
zustehenden  Messfundationen  zur  Ausstattung  des 
Gottesdienstes  für  seine  Pfarrkinder  deutscher  Abkunft 
zu  verwenden,  und  der  Minister  auf  die  Genehmigung 
dieser  Verwendung  glaube  antragen  zu  dürfen,  falls  der 
König  bei  dem  dargelegten  Zusammenhang  der  Dinge  seine 
Zustimmung  noch  für  notwendig  erachten  sollte,  denn 
„diese  Massregel  würde  zur  religiösen  Beruhigung  der 
zahlreichen  Beteiligten  beitragen,  der  deutschen  Bildung 
mehr  Eingang  verschaffen,  und  den  Klagen  über  Ge- 
wissensdruck, der  erfolgen  dürfte,  vorbeugen." 

In  einem  Pro  Memoria  vom  21.  August  bemerkte 
der  im  Zivilkabinet  beschäftigte,  dank  dieser  Stellung 
einflussreiche  Geheimrat  von  Stägemann,  Altensteins 
Antrag  dürfe  sich  nunmehr  wohl  der  königlichen  Ge- 
nehmigung zu  erfreuen  haben,  da  es  sich  nur  um  die 
Befriedigung  des  religiösen  Bedürfnisses  deutscher 
Katholiken  in  ihrer  Muttersprache  mit  Hilfe  von  Geld- 
summen handele,  über  welche  der  Erzbischof  andern 
Falles  zu  Gunsten  der  polnischredenden  Glaubensver- 
wandten katholischer  Konfession  verfügen  dürfte,  und 
darüber  hinaus  nur  ein  geringfügiger  Zuschuss  erbeten 
würde. 

Trotz  dieser  Erwägung  wünschte  der  König  vor 
seiner  definitiven  Beschlussfassung  noch  Auskunft  zu 
erhalten,  wie  man  in  ähnlichen  Fälllen  bei  der  nicht 
unbeträchtlichen  Zahl  der  deutschen  Einwohner  katho- 
lischer Konfession  in  anderen  Orten  des  Grossherzogtums 
Posen,  besonders  in  den  Gegenden  an  der  schlesisch- 
neumärkischen  Grenze,  verfahren  war1). 

Am  19.  Dezember  1836,  also  nachdem  sich  die 
Angelegenheit  genau  ein  Jahr  lang  hingeschleppt 
hatte,  konnte  der  Freiherr  von  Altenstein  die  verlangte 
Auskunft  erteilen  und  seinem  Könige  berichten,  dass  bei 


v)  Kabinetsordre  an  Altenstein,  Konzept  v.  7.  Sept. 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  fQr  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XX.  ia 


178  Manfred  Laubert. 

der  Abschaffung  von  Klöstern  in  der  Provinz  Posen, 
besonders  auch  in  den  westlichen  Grenzkreisen,  allent- 
halben auf  Befriedigung  des  religiösen  Bedürfnisses  der 
der  deutschen  Zunge  angehörigen  katholischen  Einwohner 
Rücksicht  genommen  worden  war,  indem  man  entweder 
die  zur  Seelsorge  noch  geeigneten  und  der  deutschen 
Sprache  mächtigen  Klostergeistlichen  als  Ortspfarrer 
beibehalten  oder  bei  der  Einrichtung  neuer  Kirchen- 
systeme Weltgeistliche,  die  des  deutschen  Idioms 
kundig  waren,  angestellt  hatte.  Diese  auf  natürlicher  Billigkeit 
beruhenden  und  durch  die  Säkularisationen  in  Deutsch- 
land zum  Gesetz  erhobenen  Grundsätze  waren  in  Schlesien 
ebenso  zur  Anwendung  gelangt,  wie  sie  bei  den  Kloster- 
aufhebungen im  Posener  Departement  zur  Richtschnur 
genommen  worden  waren,  was  der  Minister  durch  ein- 
gehende Schilderung  des  in  Biesen1),  Paradies2),  Rawitsch3),. 
Kosten4),  Schildberg4)  und  Grätz4)  beobachteten  Verfahrens 
belegt. 

Da  in  dem  Posener  Falle  für  die  notwendigen 
Dotationen  im  wesentlichen  gesorgt  war,  so  entstand  für 
die  Staatsgewalt  eigentlich  nur  die  Frage,  ob  es  in  ihrem 
Interesse  rätlich  erscheinen  konnte,  die  für  die  katholischen 
Deutschen  beabsichtigte  und  von  diesen  selbst  dringend 
erbetene  Einrichtung  des  Gottesdienstes  zu  versagen, 
eine  Frage,  deren  Verneinung  keinem  Zweifel  unterliegen 
zu  können  schien.  Nochmals  wiederholt  also  der  Minister 
seinen  früheren  Antrag. 


x)  Hier  war  der  der  deutschen  Sprache  nicht  hinreichend 
mächtige  Exconventual  Lewandowski  aus  diesem  Grunde  für  ein 
anderes  Beneficium  bestimmt  worden. 

2)  Die  Gemeinde  benutzte  das  Pfarrsystem  des  neumärkischen 
Nachbardorfes  Jordan. 

3)  Nach  Aufhebung  des  Reformatenklosters  war  für  die 
deutschen  Katholiken  ein  besonderer  Lokalkaplan  angestellt  worden. 

4)  In  Kosten  war  ebenso  wie  in  Schildberg  ein  besonderes 
Beneficium  für  einen  der  deutschen  Sprache  mächtigen  Geistlichen 
errichtet  und  eine  gleiche  Massregel  vom  Erzbischof  für  die  30a 
deutschen  Katholiken  in  Grätz  befürwortet. 


Deutsch-katholisches  Kirchensystem  zu  Pos 

Kntsprechend  den  diesem  Bericht  wohl 
Lottum       beigefügten     Randbemerkungen     wi 
rCabinetsbefehl   vom   26.  Dezember   die    Erh< 
F*  ranziskanerkirche    zur   Succursalkirch 
Katholiken    deutscher    Herkunft    in    F 
Umgebung,  sowie  die  Übertragung  des 
rechts     an    die  Regierung    gebilligt,    fal 
h>ischof,  zu  dessen  Obliegenheiten  eine  solche 
gehörte,  die  verfügbaren  Messfundationen  hierl 
wollte.     Dieser  Bestimmung  war  indessen  der 
gefügt:     „Ich    kann  Sie    aber    nicht    authoris 
Zuschuss    aus    dem  Säkularisationsfonds    zu 
haltungskosten  der  Kirche  zu  verwenden". 


Den   weiteren  Verlauf,   welchen   die   An 

genommen  hat,  erfahren  wir  aus  einem  Imme 

den  Altensteins  Nachfolger  Eichhorn   am  8. 

also  nach  erfolgtem  Thronwechsel,  Friedrich  V 

erstattet    hat.     Der    Minister    erinnert    zunächi 

historischen  Gang  der  Dinge:  Die  Aufhebung 

mit  Wahrnehmung  des  deutsch-katholischen  Got 

betrauten  Mendikantenklöster,  die  entstandene 

dass   die   betroffene  Gemeinde,  falls   nicht  die 

eines  Gottesdienstes   in    ihrer  Muttersprache   ; 

Weise   sicher   gestellt  wurde,    mit   der   Zeit    i 

behauptete     Nationalität     verlieren,     „und     da 

Element,  welches  besonders  geeignet  war,  dew 

und    Bildung     bei     der     polnischen    Bevölke 

gang   zu  verschaffen,   untergehen   werde",    de 

Altensteins  auf  die  Schaffung  eines  eigenen  Pi 

in  einer  der  unterdrückten  Klosterkirchen  für  die 

deutschen  Stammes  wegen   der  in  ihrer  bishe 

bindung  mit  den  übrigen  städtischen  Pfarrkircl 

den    Schwierigkeiten     und      die     Genehmigui 

reduzierten  Antrags  vom  19.  Dezember   1836, 

auf  die  Gewährung  des  erbetenen  Zuschusses 

gegangen  war,  wie  Eichhorn  mutmasst,  weil  < 


180  Manfred  Laubert. 

nach  Massgabe  des  damals  ersichtlichen  Bedürfnisses  nicht 
unbedingt  notwendig  erschien. 

Infolge  der  Allerhöchsten  Bestimmungen  war  dann 
die  ehemalige  Franziskanerkirche  den  deutschen  Katholiken 
zur  Abhaltung  ihres  Gottesdienstes  überwiesen  worden, 
und  es  sollten  bei  derselben,  der  Grösse  der  Gemeinde 
mit  ihren  3 — 4000  Mitgliedern  angemessen,  zwei  Geist- 
liche angestellt  werden.  Die  in  Messfundationen  wirklich 
ausgesetzte  Dotation  hatte  sich  indessen  gegen  die  Soll- 
einnahme dadurch  erheblich  vermindert,  dass  die  Posener 
Judenschaft  einen  hierunter  begriffenen  Betrag  von 
222  Rtr.  16  Sgr.  als  Zinsen  einer  von  ehemaligen  geist- 
lichen Instituten  herrührenden  Schuld  ferner  zu  zahlen 
.sich  weigerte  und  den  hierüber  schwebenden  Prozess 
wahrscheinlich  gewinnen  würde.  Infolgedessen  hatte 
vorläufig  nur  ein  Geistlicher  angenommen  werden  können, 
und  die  Seelsorge  war  sehr  unvollkommen  besorgt 
•worden.  Hinzu  trat  eine  weit  vorgeschrittene  Baufällig- 
keit des  Kirchengebäudes;  eine  Orgel  fehlte  ganz  und  die 
sonstige  Ausstattung  des  Gottesdienstes  war  eine  derartig 
dürftige,  dass  man  nicht  ohne  Grund  befürchten  musste, 
bei  längerer  Fortdauer  dieser  ungünstigen  Verhältnisse 
werde  die  Succursale  den  wichtigen  Zweck,  zu  dessen 
Erreichung  sie  hergestellt  war,  „gänzlich  verfehlen,  und 
die  deutschen  Katholiken  in  Posen  vor  dem  allmählichen 
Verschmelzen  mit  ihren  an  Zahl  so  sehr  überwiegenden 
Confessionsverwandten  polnischen  Stammes"  nicht 
bewahrt  werden  können. 

Nach  Flottwells  Versicherung  befand  sich  die 
Kirchengemeinde  in  einer  Lage,  welche  eine  zureichende 
Abhilfe  von  dieser  Seite  nicht  erwarten  Hess.  Die 
Katholiken  deutschen  Geblütes  in  Posen  gehörten  nicht  zu 
dem  wohlhabenden  Teile  der  Bevölkerung;  sie  hatten  ferner, 
•da  sie  durchweg  zu  anderen  Kirchen  eingepfarrt  waren, 
alle  observanzmässigen  Parochiallasten  ihres  eigentlichen 
Pfarrbezirks  zu  tragen  neben  den  freiwilligen  Beiträgen, 
•die  sie  für  den  deutschen  Kultus  aufbrachten;  sie  waren 
«daher  zu  weiteren  ausserordentlichen  Anstrengungen  für 


Deutsch-katholisches  Kirchensystem  zu  Posen.  l8r 

letzteren  nicht  im  Stande.  Selbst  der  Ausweg  einer- 
förmlichen Besteuerung  durch  Umlage  musste  ein  zweck- 
loser Versuch  sein,  da  ihr  eine  rechtliche  Grundlage 
fehlte,  alle  nicht  Willigen  sich  der  Zahlung  ihrer  Beiträge 
also  durch  Lossagung  von  der  Succursalkirche  entziehen 
konnten  und  man  einen  Teil  der  Gemeinde  damit  nur 
dem  polnischen  Klerus  in  die  Arme  treiben  würde. 

Unter  solchen  Umständen  besorgte  Flottwell  die 
baldige  gänzliche  Auflösung  der  deutschen  Gemeinde,, 
deren  Repräsentanten  sich  mit  einer  dringenden  Dar- 
stellung ihrer  Not  wieder  an  ihn  gewandt  hatten.  Sa 
berichtete  Eichhorn  dann  von  dem  Oberpräsidenten: 
„Derselbe  findet  in  einem  raschen  und  kräftigen  Ein- 
schreiten der  Regierung  das  einzige  Mittel,  der  Stadt  und 
Provinz  Posen  in  der  deutschen  Succursale  ein  wichtiges 
Element  zur  Verbreitung  deutscher  Sitte  und  Gesinnung 
zu  sichern".  Aus  diesen  Motiven  hatte  er  bei  dem 
Minister  beantragt,  dass  die  zur  baulichen  Wiederher 
Stellung  der  Succursalkirche  erforderlichen  Gelder  aus 
Mitteln  des  Patronatsbaufonds  bewilligt  werden  möchten;, 
in  zweiter  Linie  hatte  er  Eichhorns  Beihilfe  dafür  erbeten, 
dass  durch  königliche  Gnade  die  unzureichende  Dotation 
der  Kirche  aus  dem  Posener  Säkularisationsfonds  ver- 
stärkt und  der  Gemeinde  zur  Beschaffung  einer  Orgel 
ein  einmaliges  Geschenk  gemacht  werde. 

Eichhorn  erklärte  sein  völliges  Einverständnis  mit 
Flottwells  Anschauung,  dass  die  Erhaltung  der  Succursale 
„als  ein  Vereinigungs- Punkt  für  die  deutschen  Katholiken,, 
mit  Recht  die  volle  Theilnahme  Euerer  Königlichen  Majestät 
Regierung  in  Anspruch  nehmen  darf.  Je  sichtbarer  das 
Bestreben  des  polnischen  Volksstammes  darauf  gerichtet 
ist,  das  Eindringen  deutscher  Bildung  und  Lebensweise 
von  sich  abzuwehren,  um  so  wichtiger  muss  es  erscheinen, 
die  Fortdauer  eines  Instituts  zu  sichern,  welches  zur 
Vermittelung  der  bestehenden  Gegensätze  um  so  leichter 
beitragen  kann,  als  keine  Ungleichheit  des  religiösen 
Bekenntnisses  die  Annäherung  der  beiden  Volks - 
stamme  erschwert".     Deshalb    hatte    der  Minister  bereits 


182  Manfred  Laubert. 

-die  zur  Wiederherstellung  des  Kirchenlokals  nötigen 
Mittel  angewiesen  und  geglaubt,  hiermit  voll- 
kommen den  Allerhöchsten  Intentionen  entsprechend  zu 
handeln. 

Den  darüber  hinaus  erforderlichen  dauernden 
Dotationszuschuss  hatte  Flottwell  auf  300  Rtr.  jährlich 
angegeben,  ein  Betrag,  gegen  welchen  Eichhorn  nichts 
zu.  erinnern  fand,  und  für  dessen  Gewährung  ausser  der 
allgemeinen  Rücksicht  auf  die  Verbindlichkeit  des  Staates 
.zu  einem  Ersatz  für  die  von  aufgehobenenen  Klöstern  in 
der  Seelsorge  geleistete  Aushilfe  noch  der  besondere 
-Umstand  sprach,  dass  der  Zuschuss  hauptsächlich  benötigt 
wurde,  weil  das  der  Succursale  vom  Staat  zugedachte 
Activum  durch  die  neueren  die  Verhältnisse  der  Juden 
im  Grossherzogtüm  betreffenden  Gesetze  zum  Teil  un- 
einziehbar geworden  war.  Die  Voraussetzung  der  der- 
einstigen Allerhöchsten  Bestimmung,  dass  nach  ihrer 
Weisung  der  laufende  Bedarf  hinreichend  gedeckt  sein 
werde,  konnte  nach  mehrjähriger  Erfahrung  und  nach 
den  eingetretenen  Ausfällen  nicht  mehr  als  zutreffend 
.angesehen  werden,  und  die  nunmehrige  Bitte  um  eine 
Ergänzung  erschien  deshalb  genügend  begründet 

Was  endlich  die  fehlende  Orgel  anbetraf,  so  hatte 
Flottwell  die  Kosten  für  die  Beseitigung  dieses  als  sehr 
dringend  hingestellten  Bedürfnisses  vorläufig  auf  800  bis 
1000  Rtr.  geschätzt;  und  weil  demnach  keine  Hoffnung 
bestand,  dass  ohne  ausserordentliche  Beihilfe  die  Gemeinde 
je  zu  einem  eigenen  Instrument  gelangen  werde,  hatte  der 
Oberpräsident  die  Erwirkung  eines  königlichen  Gnaden- 
geschenkes von  1000  Rtr.  zu  dem  fraglichen  Zwecke  als 
wünschenswert  geschildert.  Eichhorn  gesteht  zu,  er  würde 
sich  ungern  entschlossen  haben,  die  Bewilligung  eines  so 
erheblichen  Betrages  zu  befürworten,  wenn  nicht,  abge- 
sehen von  dem  politisch  wichtigen  Interesse,  welches  an 
die  Erhaltung  und  das  Aufblühen  der  deutschen  Succur- 
sale geknüpft  war,  Flottwell  es  auch  „als  ein  für  ihn 
persönlich  besonders  erfreuliches  Ereigniss  bezeichnet 
hätte,    die    fernere    Existenz    dieses    Instituts    noch    vor 


Deutsch-katholisches  Kirchensystem  zu  Posen.  183 

seinem  Ausscheiden  aus  seinem  jetzigen  Wirkungs- 
kreise völlig  gesichert  zu  sehen1).  So  aber  glaube  ich 
es  auch  den  Verdiensten,  welche  der  Ober-Präsident 
Flottwell  sich  in  vielfacher  Beziehung  um  die  von  ihm 
administrirte  Provinz  erworben  hat,  schuldig  zu  sein,  den 

Antrag  desselben Euerer  Königlichen  Majestät 

Allergnädigsten  Berücksichtigung  unterthänigst  zu  em- 
pfehlen". 

Am  17.  Juli,  d.  h.  also  nach  mehr  als  zwei  Monaten, 
befasste  sich  endlich  der  Geheime  Oberfinanzrat  Patow 
mit  der  Angelegenheit  und  setzte  eine  kleine  Denkschrift 
auf,  in  der  er  für  den  Antrag  Eichhorns  zwar  eintrat, 
dieses  Zugeständnis  indessen  mit  einer  Bemängelung  des 
ganzen  bisherigen  Verfahrens  zu  verbrämen  sich  berufen 
fühlte:  „Es  ist  mir  sehr  zweifelhaft,  ob  man  wohl  daran 
gethan  hat,  die  deutschen  Katholiken  von  den  polnischen 
so  streng  zu  sondern  und  einen  schroffen  Gegensatz 
hervorzurufen.  In  politischer  Beziehung  sind  die  Be- 
wohner der  grossen  Städte  gewiss  die  am  wenigsten 
gefährlichen  Polen,  und  wenn  es  darauf  ankommt,  deut- 
sches Leben  und  deutsche  Ansichten  mehr  unter  ihnen 
einheimisch  zu  machen,  so  möchte  dies  eher  gelingen, 
wenn  die  deutschen  Katholiken  mit  ihnen  leben,  als 
wenn  man,  nachdem  man  schon  die  deutschen  Evan- 
gelischen gänzlich  isolirt  hat,  nun  auch  noch  die  deut- 
schen Katholiken  von  den  Polen  fern  hält. 

So  wie  die  Sache  einmal  liegt,  bleibt  indes  wohl 
nichts  übrig,  als  die  erbetene  Autorisation  zu  bewilligen". 

Hinsichtlich  der  Orgel  fand  Patow  jedoch  keinen 
Grund,  den  ganzen  Betrag  oder,  da  ein  Anschlag  fehlte, 
womöglich  noch  mehr  zu  bewilligen. 

Diesem  Vorschlage  entsprechend  wurde  Eichhorn 
durch  Kabinetsordre  vom  24.  Juli2)  autorisiert,  der  für  die 
deutschen  Katholiken   in  Posen  eingerichteten  Succursal- 


*)  Flottwell  legte  die  Posener  Oberpräsidialgeschäfte  am  1.  Mai 
1841  nieder. 

2)  Konzept  v.  Patow,  gezeichnet  von  General  -  Leutnant 
von  Thile. 


184  Manfred  Laubert. 

kirche  die  erforderliche  Dotationsergänzung  innerhalb  des 
von  Flottwell  gewünschten  Betrages  von  300  Rtr.  jährlich 
aus  den  Mitteln  des  Säkularisationsfonds  zu  überweisen. 

In  Bezug  auf  die  Orgel  wurde  dagegen  in  erster 
Linie  an  die  eigenen  Kräfte  der  Gemeinde  appelliert, 
und  erst  wenn  deren  Unzulänglichkeit  wirklich  zutage 
trat,  sollte  wegen  staatlicher  Beihilfe  in  Gemeinschaft 
mit  dem  Finanzminister  neuer  Bericht  erstattet  werden1). 
Von  dem  persönlichen  Lieblingswunsch  des  aus  seinem 
Posener  Amte  scheidenden  Oberpräsidenten  war  nicht 
weiter  die  Rede. 

Wenn  wir  heute,  freilich  nachdem  die  Geschichte 
ihr  Urteil  gesprochen,  auf  die  geschilderte  Epoche  zurück- 
blicken, so  wird  es  uns  schwer  sie  zu  begreifen. 
Ausführlich  hat  Bär  dargetan,  ein  wie  schwerer  Fehler 
es  gewesen  ist,  den  deutschen  Katholiken  nur  eine  Succur- 
sale  einzuräumen,  und  welche  Schwierigkeiten  hat  es 
gekostet,  um  nur  dieses  Zugeständnis  an  Allerhöchster 
Stelle  zu  erlangen!  Oberpräsident  und  Kultusminister 
sind  von  der  zwingenden  Notwendigkeit  dieser  durch 
Gründe  der  Politik  und  der  Gerechtigkeit  gleichmässig- 
unterstützten  Forderung  auf  das  tiefste  durchdrungen;  sie 
werden  nicht  müde,  die  ihnen  wohlbekannte  deutsch- 
feindliche Richtung  des  polnischen  Klerus  zu  betonen, 
und  doch  gelingt  es  ihnen  erst  nach  langatmigen  Rück- 
fragen und  mehrjährigem  Kampfe  die  Genehmigung  des 
Königs  zu  erwirken,  der  aber  aus  übertriebener  Pedanterie, 
—  es  ist  schwer,  einen  milderen  Ausdruck  zu  finden  — 
den  erbetenen  staatlichen  Zuschuss  von  305  Rtr.  21  Sgr. 
verweigert  und  die  Angelegenheit  als  eine  Verpflichtung 
des  Erzbischofs  diesem  tiberlassen  will;  eine  Massregel, 
die  um  so  auffälliger  wird,  wenn  man  sich  die  grossen 
Opfer  vergegenwärtigt,  welche  der  preussische  Staat  unter 
Friedrich  Wilhelm  III.  auch  bei  der  drückendsten  Finanz- 


J)  Den  Vortrag  v.  8.  Mai  1841  hatte  Eichhorn  abweichend  von 
dem  vorgeschriebenen  Verfahren  ohne  Konkurrenz  des  Finanz- 
ministers gehalten,  um  auf  Flottwells  Wunsch  die  Sache  möglichst 
beschleunigen  zu  können. 


Deutsch-katholisches  Kirchensystem  zu  Posen.  185 

läge  anderwärts  und  in  der  Provinz  Posen  für  den 
Ausbau  des  Kirchenwesens,  allerdings  überwiegend  des 
evangelischen,  hat  bringen  müssen.  Selten  nur  tat 
Altenstein  nach  dieser  Hinsicht  eine  Fehlbitte,  und  wo  es 
irgend  anging,  half  der  fromme  Fürst  den  verarmten 
Gemeinden,  wenn  es  galt,  ihnen  ein  würdiges  Gotteshaus 
zu  schaffen  und  einen  Seelsorger  zu  bestellen. 

Vier  Jahre  später,  nachdem  die  deutschen  Katholiken 
Posens  und  der  umliegenden  Dörfer  unter  den  beschränk- 
testen Verhältnissen  ihre  religiösen  Bedürfnisse  in  ihrer 
Muttersprache  befriedigt  hatten,  entschloss  sich  endlich 
Friedrich  Wilhelm  IV.  dazu,  ihnen  eine  kleine  Unter- 
stützung aus  öffentlichen  Fonds  zu  gewähren,  eine  Orgel 
aber  hielt  auch  er  für  einen  Luxus,  zu  dem  sie  selbst 
mindestens  aus  eigener  Tasche  beisteuern  sollten,  obwohl 
sie  für  die  polnischen  Pfarrkirchen  ihren  ungeschmälerten 
Beitrag  zu  entrichten  gezwungen  waren.  Ein  in  unmittel- 
barer Umgebung  des  Monarchen  tätiger  hoher  Staats- 
beamter aber  konnte  sich  den  —  wir  dürfen  das  heute 
sagen  —  naiven  Vorschlag  erlauben,  man  solle  die  deutschen 
Katholiken  als  Förderer  ihrer  Sprache  und  Sitte  unter 
die  Menge  ihrer  polnischen  Glaubensgenossen  mischen 
und  sie  ohne  den  Rückhalt  einer  eigenen  Kirche  und  Geist- 
lichkeit dem  polnischen  Klerus  ausliefern,  dessen  gewaltig 
für  die  nationale  Sache  werbende  Kraft  schwerlich  harm- 
loser unterschätzt  und  dessen  innerstes  Wesen  schwerlich 
blinder  verkannt  werden  konnte,  als  es  hier  geschehen  ist. 
In  der  systematischen  Entnationalisierung  der  „Bamberger", 
also  gerade  eines  grossen  Teiles  der  deutschen  Katholiken, 
von  denen  wir  gesprochen  haben,  hat  er  eine  Quittung 
darauf  erteilt,  von  der  sich  hoffen  lässt,  dass  sie  als  leuch- 
tende Warnungstafel  unvergessen  bleiben  und  für  die  Zu- 
kunft die  massgebenden  Behörden  von  weiterem  „Paktieren 
mit  dem  Ultramontanismus"  zurückhalten  wird,  der  in  der 
Provinz  mit  der  nationalen  Propaganda  sich  verquickend 
stets  eine  Hochburg  des  Polentums  gewesen  ist. 


l86  Manfred  Laubert. 

Zum  weiteren  Beleg  für  die  in  dem  erwähnten  Schrift- 
wechsel von  Flottwell  fast  bis  zum  Überdruss  betonte 
deutschfeindliche  Tendenz  des  ultramontanen  Klerus  mit 
seinem  Erzbischof  an  der  Spitze  und  der  grossen 
Wichtigkeit,  welche  danach  für  die  Regierung  an 
das  Fortbestehen  eines  deutschen  Bestandteils  unter  der 
katholischen  Bevölkerung  Posens  geknüpft  war,  sei  an 
den  vom  Oberpräsidenten  gemeinsam  mit  dem  kom- 
mandierenden General  von  Grolman  am  2.  Juni  1836  über 
die  lezten  drei  Monate  erstatteten  periodischen  Verwaltungs- 
bericht erinnert 1).  Es  wird  darin  als  bemerkenswert  hin- 
gestellt, dass  Dunin  schon  seit  längerer  Zeit  sich  aus  allen 
gesellschaftlichen  Verbindungen  mit  deutschen  Beamten 
und  Einsassen  konsequent  zurückgezogen  hatte,  weder 
Personen  aus  diesen  Kreisen  bei  sich  sah,  noch  Einladungen 
derselben  Folge  leistete,  wogegen  er  grosse  gesellige 
Zirkel  um  sich  zu  versammeln  pflegte,  zu  welchen  nur 
Leute  polnischer  Abstammung  Zutritt  fanden.  Ebenso 
beharrlich  widerstrebte  er  jeder  Einrichtung,  durch 
welche  nach  dem  königlichen  Willen  „eine  wissen- 
schaftliche und  deutsche  Cultur"  unter  den  katholischen 
Geistlichen  des  Landes  verbreitet  werden  sollte,  und  zwar 
„durch  fortwährende  unbegründete  Einwendungen."  Erst 
kurze  Zeit  zuvor  hatte  er  sich  nicht  gescheut,  als  Dom- 
probst für  das  Posener  Metropolitankapitel  einen  aus 
Böhmen  gebürtigen,  in  Krakau  gebildeten  Kleriker  dringend 
zu  empfehlen,  von  dem  sich  dann  ergab,  dass  er  in 
Dresden  und  Posen  mit  den  eifrigsten  Anhängern  der 
polnisch-nationalen  Sache  intime  Verbindungen  unterhielt 
Zur  Erklärung  dieser  Beobachtungen  schreiben  unsere 
Gewährsmänner:  „Es  scheint,  dass  die  auffallende  Charakter- 
schwäche des  Erzbischofs  durch  einige  in  seiner  Nähe 
befindliche  Geistliche  zu  diesen  seinem  früheren  Benehmen 
ganz  fremden  Schritten  verleitet  wird,  und  dass  er  da- 
durch sich  wieder  eine  Popularität  unter  dem  polnischen 


*)  Auszug    Staatsarchiv  Berlin    Rep.    89  C.   XLIII    Schlesien» 
Posen  Nr.  12. 


Deutsch-katholisches  Kirchensystem  zu  Posen.  187" 

Teil  seiner  Geistlichkeit  und  der  Gutsbesitzer  zu  erwerben 
sucht,  die  er  zum  grossen  Teil  verloren  hat.  Umso  not- 
wendiger erscheint  es,  dass  diejenigen  Stellen  des  höheren. 
Clerus,  deren  verfassungsmässige  Besetzung  von  Ew.  König- 
lichen Majestät  abhängt,  nur  an  Geistliche  deutscher  Ab- 
kunft und  zuverlässiger  Gesinnung  verliehen,  und  dass 
die  Einrichtungen  zu  einer  zweckmässigen  Bildung  der 
katholischen  Theologen  möglichst  gefördert  werden,  und 
in  diesem  Sinne  wird  auch  von  dem  Ministerio  der 
geistlichen  Angelegenheiten  in  Übereinstimmung  mit  den 
Anträgen  der  Provinzial-Behörden  strenge  verfahren.'* 

Aus  diesem  Immediatbericht  ersah  der  König  mit 
Missfallen,  in  welcher  unangemessenen  Weise  Dunin  den 
für  die  Bildung  der  katholischen  Geistlichkeit  im  Gross- 
herzogtum Posen  getroffenen  Vorkehrungen  entgegen  trat. 
„Ich  mache  Sie  —  bemerkt  der  Monarch  in  einer 
Kabinetsordre  an  Altenstein  —  hierauf  besonders  auf- 
merksam, damit  Sie  jede  Veranlassung  benutzen,  den 
Erzbischof  hierüber  zu  berichtigen  und  ihn  von  einer 
Wirksamkeit  zurückzuführen,  durch  welche  er  gleichzeitig 
das  Interesse  des  Staats  und  der  katholischen  Kirche 
gefährdet"  *). 

Fast  buchstäblich  vom  ersten  Tage  seiner  Posener 
Wirksamkeit  an  in  Misshelligkeiten  mit  Dunin  verstrickt,, 
hat  es  Flottwell  während  seiner  mehr  als  zehnjährigen 
Amtsdauer  bei  keiner  Gelegenheit  versäumt,  seine 
mahnende  Stimme  zu  erheben  und  die  vorgesetzten 
Ministerien,  sowie  den  König  von  der  wenig  loyalen 
Stimmung  der  polnischen  Geistlichkeit  in  Kenntnis  zu 
setzen.  Mit  vollster  Einmütigkeit  haben  die  Spitzen  der 
Militär-  und  Zivilbehörden  den  Oberpräsidenten  bei  diesem. 
Bestreben  unterstützt;  die  gegebene  Probe  zeigt,  dass 
diese  Warnungen  nicht  ohne  Eindruck  blieben,  noch 
bevor  der  Ausbruch  der  kirchlichen  Wirren  die  Diener 
des  päpstlichen  Stuhles  in  offenen  Gegensatz  zur 
Regierung  drängte. 


*)  Konzept  v.  12.  Juni,  a.  a.  O. 


188  Manfred  Laubert. 

Auf  zweifachen  Wegen  hofften  die  Behörden  den 
Einfluss  der  polnischen  Geistlichkeit  lähmen  und  diese 
selbst  aus  dem  Banne  des  nationalen  Fanatismus  all- 
mählich loslösen  zu  können:  erstens  durch  die  Errichtung 
geeigneter,  von  deutschem  Geist  und  deutscher  Kultur 
durchwehter  Bildungsanstalten  für  die  jungen  Kleriker 
und  zweitens  durch  die  Versetzung  von  Priestern  deutscher 
Herkunft  in  diejenigen  Stellen  der  Posen  -  Gnesener 
Erzdiöcese,  auf  deren  Vergebung  die  weltliche  Macht  einen 
bestimmenden  Einfluss  auszuüben  befugt  war.  Auf  beiden 
Punkten  ging  das  Gouvernement  nach  1830  zielbewusst 
vor,  aber  auf  beiden  Punkten  leistete  Dunin  einen 
wesentlich  passiven,  doch  nicht  erfolglosen  Widerstand. 
Er  hintertrieb  nach  Möglichkeit  eine  Reform  der  Priester- 
seminare und  vereitelte  die  anfänglich  von  ihm  gebilligte 
Errichtung  eines  Konvictoriums  an  der  Breslauer  Universität 
für  die  sich  dem  geistlichen  Stande  widmenden  jungen 
Leute  seiner  Provinz,  wie  er  den  Kandidaten  der 
Regierung  seine  Zustimmung  versagte  und  ihre  kanonische 
Würdigkeit  unter  den  nichtigsten  Vorwänden  bestritt.  An 
der  Hand  dieser  Erfahrungen  musste  es  als  eine  auf- 
fallende Kurzsichtigkeit  von  Seiten  der  Staatsverwaltung 
erscheinen,  dass  sie  die  deutsch-katholische  Gemeinde  zu 
Posen  und  ihre  religiösen  Bedürfnisse  der  Fürsorge  dieses 
Prälaten  anvertrauen  wollte.  Von  Charakter  selbst  schwach 
und  friedfertig,  war  Dunin  ein  gefügiges  Werkzeug  in 
den  Händen  seiner  Berater  und  rechtfertigte  in  vollstem 
Masse  die  Bedenken,  mit  denen  Altenstein  schon  1827 
auf  seine  Wahl  zum  Erzbischof  hinwies:  „Kräftig  und  ent- 
schieden würde  auch  er,  teils  wegen  seines  Mangels  an 
Kraft,  teils  wegen  seines  nicht  ganz  ausser  Anschlag  zu 
lassenden  vaterländischen  Verhältnisses  gleichfalls  nicht 
auf  deutsche  Sitte,  Sprache  und  Bildung  einwirken,  und 
in  dieser  Beziehung  durch  seine  Wahl  nicht  viel  gewonnen 
werden"  l). 

*)  Immediatberichte  17.  Juni,  Rep.  89  C  XLII  Nr.  5  vol.  I 
f.  70/6.  —  Die  Entscheidung  der  Krone  fiel  damals  zu  Gunsten 
Wolicki's. 


Deutsch-katholisches  Kirchensystem  zu  Posen.  189 

In  befremdendem  Gegensatz  zu  dem  geringen  Mass  von 
Fürsorge,  das  den  deutschen  Katholiken  Posens  von 
Seiten  der  Regierung  entgegengebracht  wurde,  steht  das 
Verhalten  der  letzteren  hinsichtlich  des  schwachen  Restes 
der  ehemals  nicht  unbedeutenden  dortigen  Kolonie  von 
Bekennern  der  griechisch-katholischen  Kon- 
fession. Diese  hatten  sich  für  ihren  Gottesdienst  ein 
Haus  eingerichtet  und  bezogen  vom  Staat  zur  Bestrei- 
tung ihrer  religiösen  Bedürfnisse  als  Gnadengeschenk 
eine  jährliche  Beihilfe  von  100  Rtrn.,  deren  Zahlung 
Altenstein  jedoch  1820  einstellte,  da  die  unaufhörlich 
zusammenschmelzende  Gemeinde  sich  keinen  Lehrer  und 
Geistlichen  mehr  zu  halten  vermochte.  Im  Jahre  1829 
benutzte  nun  ein  Kandidat  Zupariski  die  Anwesenheit  des 
Zaren  in  Berlin,  um  diesem  ein  Bittgesuch  zu  überreichen,, 
dessen  Inhalt  er  später  dem  Könige  von  Preussen  eben- 
falls vortrug1).  Es  wurde  darin  in  der  Hauptsache  die 
Niederschlagung  rückständiger  und  der  Erlass  zukünftiger 
staatlicher  Abgaben  von  dem  Bethaus  der  griechisch- 
katholischen Glaubensgenossen  gefordert.  Sofort  verfügte 
Friedrich  Wilhelm  eine  eingehende  Erörterung  über  die 
Zulässigkeit  des  Gesuchs  und  die  Möglichkeit  seiner 
Erfüllung. 

Der  zur  Berichterstattung  aufgeforderte  Oberpräsident 
von  Baumann  schildert  die  Sachlage  als  wenig  erfreulich. 
Er  gab  an,  dass  sich  einschliesslich  der  Frauen  und 
Kinder  noch  26  Bekenner  der  griechischen  Religion  in  Posen 
selbst,  18  andere  in  der  Provinz  befanden,  die  allmälige 
Verminderung  dieser  Zahl  zu  erwarten  stand  und  der 
von  Schulden  erdrückten  Gemeinde  gar  nicht  geholfen 
werden  könne.  Auch  die  erflehte  Niederschlagung  der  auf- 
gehäuften Rückstände  und  der  künftige  Erlass  aller  Staats- 
und Kommunallasten  von  dem  ehemaligen  Bethaus  mussten 
sich    als    unwirksame  Hilfsmittel    erweisen   und    konnten 


J)  Immediatgesuch.  9.  Juni  1829;  Graf  Lottum  an  den 
Generalmajor  und  Generaladjutanten  des  Königs  Grafen  v.  Nostiz. 
19.  Sept.    Konzept  Rep.  89  C.  XLII.    Nr.  7  vol.  I.    f.  77/8  und  83/4. 


190  Manfred  Laubert. 

nimmermehr  zum  Ausbau  einer  wirklichen  Gemeinde- 
verfassung und  zur  Anstellung  eines  eigenen  Geistlichen 
führen;  nach  wie  vor  hätte  der  Gottesdienst  von  einem 
.aus  Kaiisch  gelegentlich  nach  Posen  kommenden  Prediger 
besorgt  werden  müssen l).  In  einem  Schreiben  an 
Lottum  gab  Baumann  ebenfalls  seiner  Überzeugung  Aus- 
druck, dass  die  verlangte  Beihilfe  ganz  ausser  Verhältnis 
zu  dem  Umfang  der  Gemeinde  zu  stehen  scheine,  ein 
Anlass  zu  dem  Eingehen  auf  das  Zupariskische  Gesuch 
also  eigentlich  nur  in  der  Verwendung  des  russischen 
Kaisers  liegen  könne,  falls  eine  solche  stattgefunden  haben 
sollte  2).  Diese  Eventualität  werden  wir  wohl  in  bejahen- 
dem Sinne  entscheiden  dürfen  und  die  Rücksicht  auf 
.seinen  Schwiegersohn  mag  den  König  vor  allen  Dingen 
zu  dem  Entschluss  bewogen  haben,  der  griechisch- 
katholischen Gemeinde  in  Posen  zu  Hilfe  zu  kommen. 
Über  den  besten  Weg  hierzu  wurde  wiederum  Baumanns 
Ansicht  eingeholt  3). 

In  Anlehnung  an  diese  räumte  der  Monarch  ein, 
es  sei  bei  der  unbeträchtlichen  Zahl  der  in  Frage  kom- 
menden Individuen  allerdings  wohl  nicht  ausführbar,  sie 
zu  einer  Gemeinde  mit  vollständigen  kirchlichen  Ein- 
richtungen zusammenzuschliessen.  Hingegen  schien  es 
keinem  Bedenken  zu  unterliegen,  das  zu  ihrem  Gottes- 
dienst eingerichtete  Gebäude  auch  fernerhin  dieser  Be- 
stimmung zu  widmen  und  dem  zufolge  von  Staats-  und 
Kommunal- Abgaben  zu  befreien.  Ohne  weiteres  sollten 
deshalb  die  noch  zahlbaren  Rauchfanggelder  niederge- 
schlagen, die  seit  1820  vom  Etat  des  Provinzial-Geist- 
lichen-  und  Schul-Fonds  abgesetzten  jährlichen  Unter- 
stützungsgelder hingegen  wieder  in  denselben  aufgenommen 
und  für  die  Zwischenzeit  nachgezahlt  werden.  Aus  den 
450  verfügbaren  Summen  mussten  die  rückständigen  und 
laufenden     Feuerkassenprämien     hergegeben     und    des- 


*)  Immediatbericht  v.  29.  Aug.  1829,  a.  a.  O.  f.  64/8. 

2)  Schreiben  v.  gleichen  Tage,  a.  a.  O.  f.  74. 

3)  Kabinetsordre  v.  17.  Sept.,  Abschrift  a.  a.  O.  f.  76. 


Deutsch-katholisches  Kirchensystem  zu  Posen.  191 

gleichen  in  Zukunft  die  baulichen  Reparaturen  der  Ka- 
pelle bestritten  werden.  Hinsichtlich  des  Gottesdienstes 
selbst  sollte  es  indessen  nur  bei  der  bisherigen  Einrich- 
tung verbleiben,  also  noch  fernerhin,  soweit  es  die  vor- 
handenen Mittel  gestatteten,  von  Zeit  zu  Zeit  der  Seel- 
sorger aus  Kaiisch  nach  Posen  berufen  werden,  wo  sich 
auch  die  Glaubensgenossen  aus  der  Provinz  zu  gemein- 
schaftlicher Andacht  versammeln  konnten1).  —  Man  sieht, 
alles  in  allem  ohne  jede  rechtliche  Verpflichtung  ein  nicht 
unbedeutendes  Opfer  aus  öffentlichen  Kassen  für  eine  an- 
scheinend dem  Untergang  geweihte,  politisch  bedeutungs- 
lose Gemeinde  von  Ausländern  und  Anhängern  eines 
landfremden  Glaubensbekenntnisses. 


x)  Kabinetsordre  vom  10.  Okt.  Konzept  v.  Stägemann,  a.  a.  O. 
*•  72/3. 


Carl  Gottfried  Woide.  209 

Dn  Cassiri  und  Dr.  Beyer1).  Woide  war  es  auch,  der 
die  Ernennung  von  Michaelis  zum  Mitgliede  der  Akademie 
der  Wissenschaften  in  London  durchgesetzt  hat  (1789). 
Der  Interessenkreis  Woides  war  ebenso  umfangreich  als 
der  gelehrte  Freundeskreis,  mit  dem  er  im  Briefwechsel 
stand.  Der  letztere  reichte  von  Zürich  bis  Stockholm, 
von  Madrid  bis  Petersburg.  Der  erstere  umfasste  neben 
dem  Koptischen  auch  das  Arabische  und  Äthiopische, 
neben  der  Bibel  gelegentlich  auch  den  Bramanismus  und 
andere  fremde  Religionen;  ein  besonderes  Interesse  hatte 
er  z.  B.  auch  für  die  Erforschung  der  Samaritanischen 
und  Phönicischen  Medaillen,  über  die  er  auch  eigene 
Abhartdlungen  geschrieben  hat2).  Mit  Johann  Reinhold 
Forster8),  der  als  Geograph  und  Naturforscher,  als 
Begleiter  Cooks  auf  dessen  zweiter  Reise  um  die  Welt 
und  als  Vater  des  glänzenden  und  doch  so  unglücklich 
geendeten  Schriftstellers  Georg  Forster  berühmt  ist,  stand 
Woide  in  engem  Freundschaftsverhältnis.  Die  ersten 
Beziehungen  reichen  in  die  Lissaer  Zeit  Woides  zurück. 
J.  R.  Forster  war  damals  Prediger  der  kleinen  reformierten 
Gemeinde  in  Nassenhuben  bei  Danzig.  Diese  Gemeinde 
hatte  im  i7ten  Jahrhundert  zum  Unitätsverband  gehört 
und  ihre  Geistlichen  von  Lissa  her  erhalten;  Petrus 
Figulus,  der  Schwiegersohn  des  Comenius,  war  ihr 
Pfarrer  gewesen,  und  D.  E.  Jablonski  hat  in  ihrem  Pfarr- 
hause das  Licht  der  Welt  erblickt.  Nachforschungen 
über  die  Vergangenheit  der  Gemeinde  gaben  Forster  den 
ersten  Anlass,  sich  an  Woide  zu  wenden4),  er  hatte  aber 
auch  von  dessen  koptischen  Studien  auf  der  Hochschule 
gehört  und  bat  sich  von  ihm  für  die  eigene  Fortbildung 
in  der  egyptischen  Sprache  die  Abschrift  von  dem  La 
Croze'schen  Lexikon  aus,  die  er  dann  Jahre  lang  genutzt 


*)  Brief  an  Mich,  vom  6.  Febr.  1776. 

2)  Brief  an  Mich,  vom  14.  Febr.  1780. 

8)  Über  ihn  vergl.  A.  Leitzmann,  Georg  Forster,  ein  Bild  aus 
dem  Geistesleben  des  i8ten  Jahrhunderts.    Halle  1893. 

4)  Dieser  Briefwechsel  ist  veröffentlicht  von  F.  Strehlke  im 
Programm  der  Danziger  Petrischule  1863  S.  lojf. 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XX.  14 


2IO  Wilhelm   Bickerich. 

hat  In  England  lernten  sie  sich  hernach  persönlich 
kennen,  und  Woide  hat  fortan  die  wechselvollen 
Geschicke  Forsters  mit  lebhafter  Anteilnahme  begleitet, 
ohne  jedoch  die  Schattenseiten  in  dessen  Charakter  zu 
übersehen.  So  schreibt  er  z.  B.  unterm  7.  Juli  1777  an 
Michaelis :  „Von  Dr.  Forster  aus  Halle  habe  ich  Nachricht 

gehabt er  beklagt  sich   über  viel  Arbeit.     Ich 

glaube  es,  denn  hier  in  London  waren  alle  seine  Arbeiten 
freiwillig,  dort  ist  er  an  Stunden  gebunden.  Er  hat  seit 
vielen  Jahren  kein  öffentliches  Amt  geführt  Doch 
zweifle  ich,  dass  er  bei  Dr.  Baard1)  die  neue  Theologie 
lernen  sollte".  Und  ein  andermal  unter  dem  29.  Okt  1779: 
„Unser  Freund  Forster  hat  in  dieser  Sache  etwas  Mensch- 
liches getan",  nämlich  eine  anscheinend  sehr  mühsame 
Vergleichung  Pariser  Handschriften  nur  vorgegeben. 

Überall,  als  Mensch  und  als  Pfarrer  und  Gelehrter, 
erscheint  Woide  als  eine  charakterfeste  und  liebenswerte 
Persönlichkeit.  Mit  der  Selbständigkeit  eigener  Über- 
zeugung und  dem  Ernst  unermüdlicher  Pflichttreue  ver- 
band er  eine  ausgeprägte  Friedensliebe.  Wie  £ich  diese 
in  Lissa  unter  schwierigen  Verhältnissen  bewährt  hat,  so 
tritt  sie  uns  auch  in  seinem  Briefwechsel  wohltuend  ent- 
gegen, wenn  er  z.  B.  in  einem  Streit  zwischen  Michaelis 
und  Kennicott  des  letzteren  Bibelwerk  seinem  Gegner 
gegenüber  in  Schutz  nimmt,  diesen  vor  weiteren  Streit- 
schriften warnt  und  ihn  daran  mahnt,  dass  Höflichkeit  die 
Zierde  der  Gelehrsamkeit  sei2).  In  den  religiösen  Kämpfen 
jener  Tage  stand  Woide  auf  Seiten  der  konservativen 
Theologie,  zu  der  ihn  sein  religiöser  Ernst  hinzog.  „Der 
Naturalismus  und  Deismus  gehet  weit,  er  wird  aber  nicht 
allgemein  werden",  schrieb  er  unter  dem  24.  November  1789 
an  Michaelis.  Darum  ist  der  Ertrag  seiner  wissenschaft- 
lichen Arbeit  doch  einer  besonnenen  biblischen  Kritik  zu 
gute  gekommen. 


1)  Gemeint  ist  Karl  Friedrich  Bahrdt,  der  damals  in  Halle  die 
seichteste  Aufklärung  in  recht  frivolem  Tone  vertrat. 
*)  Brief  an  Mich,  vom  29.  Juli  1778. 


Carl  Gottfried  Woide.  211 

Woide  starb  i.  J.  1790.  Sein  Nachlass  hat  der 
Wissenschaft  noch  einige  Frucht  gebracht.  Aus  ihm  gab 
Ford  i.  J.  1799  einmal  die  Woidesche  Abschrift  des 
Codex  Vaticanus,  deren  Zustandekommen  oben  erzählt  ist, 
sodann  eine  griechisch-koptische  Evangelienschrift  heraus, 
welche,  aus  dem  5.  Jahrhundert  stammend  und  die 
Stellen  Luc.  12,15 — 13,32,  Joh.  8,33 — 42  enthaltend,  einst 
von  Woide  gefunden  und  erworben,  jetzt  in  der  Bibliothek 
der  Clarendon  Press  zu  Oxford  sich  befindet  und  seinen 
Namen  führt,  sie  wird  nach  ihm  in  der  geltenden  Abkür- 
zung, welche  die  koptischen  Bibelfragmente  unt$r  T 
begreift,  mit  Twoi  bezeichnet1).  Seine  eigenhändige 
Abschrift  des  Codex  Alexandrinus  soll  Woide  nach  dem 
Druck  der  Universität  Krakau  vermacht  haben2).  Ein 
Ölgemälde  von  ihm  bewahrt  die  deutsch -reformierte 
St  Paulsgemeinde  in  London. 

*)  Protestantische  Realencyklopädie  3te  Aufl.  Bd.  II  S.  748. 
2)  Mitteilung  von  Pfarrer  Rehwald  in  London. 


14* 


Jakob  Küchle r. 

Ein  Posener  Humanist. 

Von 

Theodor  Wotschke. 

|ie  Nacht  des  Dunkels  und  der  Vergessenheit, 
welche  sich  auf  die  Geschichte  unserer  Provinz 
in  früheren  Jahrhunderten  gesenkt,  und  welche 
die  historische  Forschung  nur  langsam  und  allmählich  zu 
lichten  vermag,  hat  auch  die  Erinnerung  an  den  aus- 
gelöscht, der  einst  als  der  gewandteste  humanistische 
Poet  oder  Latinist  in  Posens  Mauern  gelebt  hat,  Jakob 
Kuchler  aus  Hirschberg.  Keine  Nachricht  über  unsere 
Provinz  und  ihre  Hauptstadt  gedenkt  seiner,  der  kundige 
Lukaszewicz  ist  ganz  an  ihm  vorübergegangen;  abgesehen 
von  einer  gelegentlichen  Mitteilung  in  meiner  Arbeit  über 
den  Posener  evangelischen  Schriftsteller  und  Prediger 
Eustachius  Trepka  ist  sein  Name  vergessen  in  der 
Literatur  der  letzten  drei  Jahrhunderte.  Und  doch  ver- 
dient er,  dass  wir  seiner  gedenken.  Seine  lateinischen 
Gedichte  gehören  zu  den  besten,  die  wir  dem  Huma- 
nismus in  Posen  verdanken,  und  der  evangelischen  Ge- 
meinde war  er  über  ein  Jahrzehnt  eine  feste  Säule, 
gelegentlich  auch  ihr  Mund,  durch  den  sie  ihre  Hoff- 
nungen und  ihre  Trauer  zum  Ausdruck  brachte. 

Jakob  Kuchler  stammt,  wie  das  Hirschbergensis  neben 
seinem  Namen  an  der  Spitze  seiner  Dichtungen  bezeugt, 


214  Theodor  Wotschke. 

aus  der  bekannten  schlesischen  Gebirgsstadt.  Über  sein 
Elternhaus,  seine  Jugend  und  seine  Erziehung  lässt  sich 
bei  dem  Mangel  an  Quellen,  bei  den  wenigen  Archivalien, 
die  das  Breslauer  Staatsarchiv  über  Hirschbergs  ältere 
Geschichte  besitzt,  nichts  sagen.  Ein  Walter  oder  Va- 
lentin Kuchler  ist  in  den  ersten  Jahrzehnten  des  Re- 
formationsjahrhunderts in  Hirschberg  angesehener  Bürger, 
seit  1522  begegnet  er  uns  als  Bürgermeister  und  Erbvogt, 
vielleicht  ist  er  der  Vater  unseres  Humanisten  gewesen1).  Im 
Wintersemester  1543  tritt  uns  sein  Name  zuerst  urkundlich 
entgegen,  als  Student  Hess  er  sich  an  der  Leipziger 
Universität  immatrikulieren2).  Nahezu  zwei  Jahre  besuchte 
er  diese  Hochschule,  erst  im  September  1545  vertauschte 
er  sie  mit  der  Wittenberger8).  Die  Reise  Luthers  im 
folgenden  Oktober  nach  Mansfeld  und  der  frühe  Schluss 
seiner  Vorlesungen  im  Dezember  lassen  vermuten,  dass 
Kuchler  dem  grossen  Reformator  nicht  näher  getreten 
ist  und  wir  kein  Recht  haben,  ihn  im  Näheren  als  seinen 
Schüler  zu  bezeichnen,  aber  unvergesslich  war  ihm  der 
22.  Februar  1546,  als  er  in  der  grossen  Schar  der  Stu- 
denten der  Leiche  Luthers  folgte  und  in  der  Schloss- 
kirche Bugenhagens  warme,  Melanchthons  gewichtige 
Rede  hörte.  Dieser,  der  praeceptor  Germaniae,  hatte 
schon  des  jungen  Schlesiers  ganzes  Herz  gewonnen, 
seine  Vorlesungen  und  Schriften  fesselten  ihn  vor  allen 
anderen.  Von  ihm  lernte  er,  in  der  Einheit  von  klassischer 
Bildung  und  christlichem  Glauben  das  Höchste  zu  sehen, 
und  wie  der  grosse  Wittenberger  Professor  nicht  nur 
lehrte,  sondern  bildete,  die  Herzen  seiner  Schüler  mit 
warmer  Begeisterung  für  sein  eigenes  Lebensideal  erfüllte, 
so  fühlte  unser  junger  Schlesier  sich  bald  ganz  im  Banne 
Melanchthonischer  Gedanken,  besonders  auch  zum  Lehr- 

*)  Vergl.  im  Breslauer  Staatsarchiv  Dep.  Hirschberg  Nr.  377, 
386, 406,  427, 435,  442  u.  s.  w.  War  der  Hierimias  Kuchler  Hirschber- 
gensis,  der  1549  in  Frankfurt  sich  immatrikulieren  Hess,  der  Bruder 
unseres  Humanisten? 

*)  Vergl.  Erler,  Leipziger  Matrikel. 

*)  Vergl.  Förstemann,  Album  academicum  Vitebergense. 


Jakob  Kuchler.  215 

berufe  hingezogen.  Er  musste  ihn  später  wieder  auf- 
geben, aber  nie  erlosch  in  seiner  Seele  die  dankbare 
Liebe  und  Verehrung  zu  dem  Wittenberger  Lehrer,  der 
ihm  das  Lebensideal  gegeben.  Als  in  Posen  die  Kunde 
von  seinem  Heimgang  ihn  traf,  empfand  er  den  Verlust 
so  schwer,  als  ob  er  den  Vater  hätte  hingeben  müssen. 

Die  erste  mir  bekannte  Dichtung  Kuchlers  fällt  in 
den  Anfang  seiner  Wittenberger  Studienzeit1^.  Sie  entstammt 
dem  Jahre  1545  und  zählt  71  Distichen.  Die  gefährdete 
Lage  des  deutschen  Protestantismus  nach  dem  Frieden 
von  Crespy,  der  dem  Kaiser  freie  Hand  gegen  die 
evangelischen  Stände  gab,  das  mit  dumpfem  Grollen  von 
fernher  sich  bereits  ankündigende  Ungewitter  des  Schmal- 
kaldischen  Krieges,  erfüllten  die  Gemüter  mit  Unruhe  und 
Bestürzung.  Den  Kleinmütigen  und  Verzagten  ruft  Kuchler 
ein  Wort  des  Trostes  zu  und  sucht  sie  aufzurichten.  Er 
verweist  auf  die  göttliche  Hilfe,  die  er  im  Lichte  des 
Psalm  Wortes  sieht:  „Der  Engel  des  Herrn  lagert  sich  um 
die,  so  ihn  fürchten".  Jn  der  Widmung  an  seinen  mir 
nicht  näher  bekannten  Gönner,  Baron  Heinrich  von  Zelking, 
giebt  er  in  den  Versen: 

„Cemis,  ut  insurgant  in  nos  audaciter  hostes 
Oppressos  saevo  nosque  furore  velint, 

Angelicae  sed  nos  quoniam  cinxere  cohortes, 
Arma  quid  illorum  posse  nocere  putasu? 
den  Inhalt  seiner  Dichtung  an.     Zuerst  schildert  er  an- 
schaulich, wie  Gott  den  Schutz  der  Gläubigen   und  ihrer 
Kirche  den  Engelscharen  übertragen  habe2),  dann  mahnt 


*)  Elegia    de    angelis   deo    placentibus   et  excubias  agentibus 
pro  ecclesia.     Witebergae   anno  1545.    Jn  Quart,   ein  Bogen,    ohne 
Angabe  der  Offizin.    Aufgenommen  ist  diese  Dichtung  in  Kuchlers 
Historia  Jonae  prophetae,  die  1551  in  Königsberg  erschien. 
2)  „Angelicos  coetus  rerum  deus  optimus  autor 
Condidit  et  comites  addidit  hosce  pios, 
Assidue  summi  qui  obstant  ante  ora  parentis 

Atque  obeunt  laeti  iussa  verenda  dei. 
Est  horum  fidei  commissa  ecclesia  Christi, 
Tuta  sit  illorum  semper  ut  auxilio, 


2l6  Theodor  Wotschke. 

er:  „Fürchte  dich  nicht,  du  kleine  Herde".  Engelhände 
werden  über  die  Frommen  sich  breiten  und  nicht  zu- 
lassen, dass  die  Schwelle  des  göttlichen  Heiligtums  sich 
röte  von  dem  Blute  treuer  Bekennen  Des  Tyrannen 
Macht  und  des  Papstes  List  werden  sie  zu  Schanden 
machen1). 

Die  Hoffnung,  welcher  Kuchler  einen  so  lebhaften 
Ausdruck  gegeben  hatte,  erfüllte  sich  nicht  In  den 
ersten  Tagen  des  November  1546  stand  Moritz  von 
Sachsen  nicht  mehr  fern  von  Wittenberg.  Viele  Bürger 
flüchteten  mit  ihren  Familien  aus  der  Stadt  Am  6.  No- 
vember wurden  die  Vorlesungen  an  der  Universität  ge- 
schlossen, den  Studenten  anheim  gegeben,  in  ihre  Heimat 
zurückzukehren  oder  den  wenigen  Professoren  zu  folgen, 
die  in  dem  festen  Magdeburg  ihre  Vorlesungen  fort- 
zusetzen gedachten.  Kuchler  hatte  besonderen  Grund, 
jede  Berührung  mit  der  kaiserlichen  Partei  zu  scheuen; 
war  es  doch  offenkundig,  wen  er  in  seiner  Elegie  als 
den  tobenden  und  grausamen  Tyrannen  und  den  ver- 
logenen Cerinth  bezeichnet  hatte.  Ehe  die  Universität 
sich  auflöste,  scheint  er  noch  die  Magisterwürde  erworben  zu 
haben2),  dann  flüchtete  er.    Seine  Schritte  lenkte  er  nach 

Ut  populum  servent,  depellant  noxia  quaeque 

Hostis  et  insidias  posse  nocere  vetent 
Ergo  pios  hominum  coetus  servare  laborant, 

Qui  Christi  verum  dogma  fidemque  tenent, 
Et  reprimunt  stygii  saevissima  tela  tyranni 

Grassantis  variis  hoc  in  ovile  modis*'. 
])  „Omnes  qui  dominum  non  ficto  corde  fatentur, 

Hos  tegit  angelicus  curat  amatque  cohors, 
Sic  etiam  nostra  reprimunt  aetate  tyrannos, 

Sanguine  qui  nostro  se  satiare  volunt, 
Et  vigiles  stipant  sacrati  limina  templi, 

Ne  laceret  fallax  hostis  ovile  dei. 
Roboris  ergo  nihil  Romanae  sedis  habebunt 

Technae,  nil  oberunt  facta  nefanda  papae, 
Qui  licet  indigna  cupiat  nos  caede  peremptos 

Inflammetque  animos  perfidus  usque  ducum". 
*)  In    der  von    dem   Lutherforscher  Köstlin    veröffentlichten 
Liste  der  Wittenberger  Baccalare  und  Magister  habe  ich  Kuchlers 


Jakob  Kuchler.  217 

Polen.  Vielleicht  hatte  er  mit  einigen  der  polnischen 
Studenten  in  Wittenberg  Freundschaft  geschlossen,  etwa 
mit  Johannes  Cosmider1)  aus  Posen  oder  dem  Fraustadter 
Johannes  Chryseus,  dem  Edelmann  Stanislaus  Niegolewski 
oder  Andreas  Vandtelius,  der  mit  ihm  in  demselben 
Monat  in  Wittenberg  sich  hatte  immatrikulieren  lassen, 
vielleicht  auch  hatte  er  bereits  durch  Vermittlung  des 
Gorkaschen  Kanzlers  Matthias  Poley,  eines  Schlesiers  aus 
Schweidnitz,  einen  Ruf  als  Erzieher  der  jungen  Grafen 
in  Posen  erhalten.  Denn  hier  im  Palaste  des  General- 
starosten sehen  wir  ihn  gleich  darauf  als  Lehrer  tätig. 

Seit  einer  Reihe  von  Jahren  war  Graf  Andreas 
Gorka  ein  überzeugter  Anhänger  der  Reformation.  In 
den  vergangenen  Sommertagen  hatte  er  -durch  seinen 
Feldhauptmann  Kaspar  Kaczkowski  selbst  die  Werbe- 
trommel in  unserer  Provinz  rühren  lassen,  um  für  die 
Schmalkaldischen  Verbündeten  leichte  Reiter  zu  sammeln. 
Überzeugte  evangelische  Gesinnung  und  gediegene  huma- 
nistische Bildung  waren  die  ersten  Anforderungen,  die  er 
an  den  Lehrer  seiner  Söhne  stellte.  Beiden  entsprach 
Kuchler  im  besten  Sinne.  In  die  Tiefe  evangelischen 
Glaubens  führte  er  seine  Zöglinge  so  hinein,  dass  die 
lutherische  Kirche  treuere  Glieder  als  sie  sich  nicht 
wünschen  konnte,  und  von  den  Sprachen  pflegte  er  mit 
den  klassischen  die  deutsche  so  nachdrücklich,  dass  sie 
die  letztere  im  Unterschiede  zu  ihrem  Vater2)  bald  wie 
ihre  Muttersprache  beherrschten  und  in  der  lateinischen 
sich  selbst  in  Versen  versuchten3). 


Namen  nicht  gefunden.  Da  er  die  Magisterwürde  besass,  sie  in 
Leipzig  sicher  nicht  erworben  hat,  vermute  ich,  dass  er  sie  in 
Wittenberg  zu  einer  Zeit  erhielt,  wo  die  Schrecken  des  nahenden 
Krieges  eine  ungenaue  Führung  der  Universitätsakten  zur  Folge  hatten. 
*)  Dieser  Cosmider  war  später  viele  Jahre  Ratsherr  in  Posen, 
1569  Vogt  und  1570  zweiter  Bürgermeister. 

2)  In  Gorkas  Briefwechsel  mit  deutschen  Fürsten  und  Edel- 
leuten  hören  wir  verschiedentlich  die  Bitte  um  Schreiben  in  latei- 
nischer Sprache,  da  er  die  deutsche  nicht  hinreichend    beherrsche. 

3)  Die  Briefe,  in  denen  die  jungen  Grafen  am  7.  Dezember  1551 
den  Tod  ihres  Vaters  anzeigen,  sind  z.  T.  deutsch  geschrieben,  und 


2l8  Theodor  Wotschkc. 

Werfen  wir  einen  Blick  auf  den  Freundeskreis,  den 
Kuchler  in  Posen  gewann.  Sein  Erzieheramt,  sein  evan- 
gelisches Bekenntnis  und  die  Pflege  der  klassischen 
Studien  führten  ihn  vor  allen  anderen  dem  Manne  näher, 
der  humanistisch  reich  gebildet  einst  selbst  Lehrer  im 
Hause  des  Generalstarosten  gewesen  und  jetzt  dessen 
geschätzter  Sekretär,  zugleich  auch  Seelsorger  der  evan- 
gelischen Gemeinde  Posens  war,  Eustachius  Trepka1). 
Die  Bewunderung,  mit  der  Kuchler  zu  ihm  und  seinen 
reichen  Gaben  aufsah:  „O  patriae,  o  generis  gloria 
magna  tui",  nennt  er  ihn  einmal2),  und  die  Wertschätzung, 
mit  der  auch  Trepka  den  Jüngeren  umfasste,  entwickelte 
sich  zu  einer  innigen  Freundschaft,  die  in  gemeinsamer 
Arbeit  für  die  evangelische  Gemeinde  sich  betätigte  und 
gelegentlich  auch  über  Missgriffe  des  einen  und  der 
daraus  entstehenden  Verstimmung  des  anderen  schnell 
hinweghalf.  Ihr  ganzes  ferneres  Leben  fühlten  sie  sich 
aneinander  gebunden.  Gemeinsam  vertieften  sie  sich  in 
die  Klassiker  des  Altertums,  gemeinsam  lasen  sie  die 
Schriften  Luthers  und  Melanchthons.  Als  Trepka  Anfang 
des  Jahres  1556  die  Übersetzung  der  Bibel  ins  Polnische 
ins  Auge  fasste  und  von  Herzog  Albrecht  die  nötigen 
Mittel  auch  zur  Besoldung  eines  gelehrten  deutschen 
Mitarbeiters  an  diesem  Werke  zu  erlangen  suchte8),  mag 
er  an  Kuchler  als  Gehülfen  gedacht  haben.  Ihm  widmete 
er  auch  die  letzten  Stunden  seines  Lebens,  noch  an 
seinem  Todestage  schrieb  er  ein  Vorwort  zu  seines 
Freundes  Gedicht  auf  die  Hochzeit  des  Grafen  Andreas 
Gorka  mit  Barbara  von  Foüstein.  Neben  Trepka  sei  des 
schon  erwähnten  Kaspar  Kaczkowski  gedacht.  Gern  Hess 
Kuchler  sich  seinen  bewährten  Rat   und   seine  Hilfe  ge- 

die  kindliche  Trauer,  die  aus  ihnen  spricht,  macht  es  gewiss,  dass 
sie  nicht  von  einem  Schreiber  verfasst,  sondern  der  Söhne  eigenstes 
Werk  sind. 

*)  Vergl.  meine  Biographie  Trepkas.  S.  diese  Zeitschrift  XVIII, 
S.  87  ff. 

2)  In  dem  Epithalamion  zu  Trepkas  Hochzeit. 

8)  Vergl.  Wotschke,  Eustachius  Trepka  a.  a.  O.  XVDI,  S.  103. 


Jakob  Kuchler.  219 

fallen,  und  als  er  aus  dem  Hause  des  Posener  Bürgers 
Johann  Glaser  die  älteste  Tochter  für  sich  begehrte,  war 
es  Kaczkowski,  der  für  ihn  den  Gang  als  Freiwerber 
machte.  Ihm  und  seiner  Liebe  zu  ihm  hat  er  ähnlich 
wie  Andreas  Trzycieski1)  in  seiner  Elegie  über  die  Refor- 
mation in  Polen  in  einem  seiner  Gedichte  ein  ehrenvolles 
Denkmal  gesetzt2). 

Mit  dem  Gorkaschen  Kanzler  Matthias  Poley  lebte 
er  in  herzlichem  Einvernehmen.  Seinen  Sohn  Christoph 
unterrichtete  er  bis  1551,  da  er  zur  Frankfurter  Hoch- 
schule ging,  zugleich  mit  den  jungen  Grafen.  Durch  1  repka 
ward  er  in  viele  Bürgerfamilien  der  Stadt  eingeführt, 
andere  lernte  er  durch  seine  Heirat  kennen,  andere  auch, 
als  er  gelegentlich  seinen  Freund  Trepka  vertrat.  Aus 
der  grossen  Zahl  seiner  Bekannten  seien  nur  genannt  der  Arzt 
Stanislaus  Niger8),  der  mit  seiner  Gattin  Eva  geb.  Li- 
thoslawski  sein  Haus  in  der  Wronker  Strasse  zu  einem 
Mittelpunkte  humanistischen  Geistes  und  evangelischen 
Glaubens  zu  machen  suchte,  der  Magister  Albert  Caprinus 
aus  Buk,  der  Bürgermeister  Andreas  Lipczynski,  ferner 
Trepkas  Schwiegervater,  der  hochangesehene  Bartel  Götz4), 
und  der  Notar  der  Schöffen,  Johann.  Humanistische 
Interessen  Hessen  ihn  auch  dem  streng  altgläubigen  Arzte 
Stephan  Mikanus  näher  treten. 

Die  günstige  Lage  Posens  an  der  grossen  Heer- 
strasse von  Deutschland  nach  Polen  und  die  enge  Ver- 
bindung Gorkas  mit  deutschen  Fürsten,  Humanisten  und 
Theologen  führten  Kuchler  ferner  mit  verschiedenen 
Gelehrten  zusammen,  die  auf  der  Durchreise  durch  Posen 
im  Palaste  des  Generalstarosten  und  später  seiner  Söhne 


*)  Vergl.  Wotschke,  a.  a.  O.    S.  124  Anm. 
2)   „Quos  inter  generosus  erat  Cascovius  heros, 
Sarmaticae  terrae  non  mediocre  decus, 
Gorcano  comiti  quo  non  est  charior  alter 
Candorem  ob  nivei  pectoris  atque  fidem". 
*)  Vergl.  Wotschke,  a.  a.  O.  S.  112  und  137. 
4)  Viele  Jahre  hindurch  war  Götz  oder  Gedcz  Ratsherr,   1544 
war  er  erster  Bürgermeister,  1554  Vogt 


220  Theodor  Wotschke. 

vorsprachen,  so  mit  dem  Königsberger  Professor  Friedrieb 
Staphylus  (Juni  1543,  Herbst  1550,  Sommer  15511),)  dem 
Arzte  Andreas  Aurifaber  (Anfang  April  und  Ende  Mai  1551,. 
Februar  und  Juni  1553  und  sonst),  dem  Italiener  Francesco 
Stancaro  (Januar  bis  April  1551)2),  und  freilich  erst  geraume 
Zeit  später  Pietro  Paolo  Vergerio  (Juli  1556,  März 
1557  und  April  1560),  vor  allen  aber  mit  Melanchthons- 
Schwiegersohn  Georg  Sabinus.  Längst  war  es  sein 
Wunsch,  diesen  gefeierten  und  gekrönten  Poeten,  dessen 
Dichtungen  seine  Zeitgenossen  den  Klassikern  gleich- 
stellten,  und  an  denen  sich  bildete,  wer  nach  dem  Lorbeer 
des  Dichters  strebte,  persönlich  kennen  zu  lernen,  aber  erst  in 
Posen  gelang  es  ihm,  als  Sabinus  März  1549  mit  Martin 
Chemnitz  durch  die  Stadt  nach  Wittenberg  reiste  und  auf  der 
Rückfahrt  nach  Preussen  Juni  1549  mit  unseres  Luthers 
ältestem  Sohne  Johannes  wieder  in  Posen  rastete  8),  Der 
eitle  Charakter  dieses  ehrgeizigen  Humanisten  Hess  eine 
wärmere  Freundschaft  zwischen  ihm  und  dem  einfachen 
Hauslehrer  nicht  aufkommen,  aber  gern  nahm  er  dessen 
Huldigungen  entgegen,  und  unser  Kuchler  ward  nicht 
müde,   ihm    seine  Bewunderung   zu    bezeugen;  auch    als 


*)  Als  Staphylus  später  in  die  alte  Kirche  zurücktrat  und 
gegen  Melanchthon  schrieb,  brach  Kuchler  jede  Verbindung  mit 
ihm  ab.  In  seinem  Epicedion  in  mortem  Melanchthonis  wendet  er 
sich  wider  ihn  und  Flacius  als  die  undankbaren  Schüler  des  grossen. 
Meisters: 

„Nil  virulenta  illi  blasphemaque  lingua  nocebit 
Illirici  aut  Staphyli,  quos  sua  fata  manent. 
Desine  livor  edax  manes  lacerare  sepulti, 
Nil  hie  post  vitae  funera  iuris  habes. 
Tempus  erit,  poenas  quo  tu  dabis  improbe  scurra 
Quae  furiae  ultrices  in  tua  fata  raunt". 

2)  Vergl.  Wotschke,  Stancaros  erster  Aufenthalt  in  Posen. 
Histor.  Monatsblätter  V,  S.  81  ff. 

3)  Melanchthon  empfahl  den  nach  Königsberg  reisenden  Jo- 
hannes Luther  unter  dem  25.  Mai  1549  dem  Herzog  Albrecht.  Seine 
Reise  mit  Sabinus  durch  unsere  Provinz  beschrieb  Johannes  Luther 
in  einem  leider  verloren  gegangenen  Briefe  an  Melanchthon.  Am 
6.  November  1549  antwortet  ihm  dieser:  „Tibi  gratias  habeo,  quod 
iter  vestrum  mihi  descripsisti".    Corpus  Reformatorum  VII,  N.  4623. 


Jakob  Kuchler.  221 

Trepka  mit  Vergerio  März  1557  sich  wider  den  ehr- 
geizigen unzuverlässigen  Humanisten  wandte1),  hielt  er 
zu  ihm.  So  oft  Sabinus  auf  seinen  verschiedenen  Ge- 
sandtschaftsreisen Posen  berührte2),  suchte  Kuchler  ihn  auf, 
ihm  sandte  er  gelegentlich  seine  Gedichte  mit  der  Bitte, 
sie  durchzusehen  und  zu  beurteilen,  ihm  widmete  er,  als 
er  am  2.  Dezember  1560  in  Frankfurt  starb,  im  Verein 
mit  seinem  Freunde  Johann  Bötticher  aus  Ruppin  einen 
warmen  Nachruf.  Dagegen  hat  Sabinus  die  humanistische 
Sitte,  Freunde  zu  besingen  und  die  Veröffentlichung  ihrer 
Gedichte  mit  eigenen  Versen  zu  begleiten,  nie  gegen 
Kuchler  beobachtet,  vergebens  habe  ich  unter  seinen 
Elegien  nach  einer  gesucht,  die  unserem  Posener  Huma- 
nisten gegolten  hätte. 

Die  traurigen  Nachrichten,  die  über  den  Verlauf  des 
Schmalkaldischen  Krieges  in  Posen  eintrafen  und  hier 
die  Bewohner  in  solche  Aufregung  versetzten,  dass  etliche 
in  grausen  Naturerscheinungen  den  Himmel  mit  dem 
evangelischen  Deutschland   meinten    mitleiden   zu  sehen, 


J)  Vergl.  Wotschke,  Eustachius  Trepka,  a.  a.  O.  S.  114.  Am 
4.  April  1557  sah  sich  Sabinus  veranlasst,  folgendes  Schreiben  aus 
Frankfurt  a.  d.  Oder  an  Herzog  Albrecht  zu  senden.  „Es  ist 
neulich  hier  zu  Frankfurt  gewest  Paulus  Vergerius  vnd  hat  sich 
gegen  einen  disser  Vniversitetverwandten  lassenn  hören,  wie  das 
F.  D.  in  Preussen  mich  vorm  Jare,  do  ich  zur  Wilde  gewest  vnd 
widerumb  gegen  Konigkspergk  kommen  bin,  beschuldiget  vnd  an- 
geklagt, das  ich  der  Vniversität  vnd  seiner  fürstlichen  Gnaden  solt 
haben  Gelt  vntreulich  entwandt  vnnd  abgestolenn.  Nun  weis  ich 
mich,  ob  Got  will,  dess  vnschuldigk,  vnnd  dieweil  mirs  beschwerlich 
vnd  vnleidlich,  das  solichs  von  mir  bey  ehrlichen  Leuthen  sol  geredt 
werdenn,  habe  ich  F.  D.  demütlichen  geschrieben  vnd  gebeten  umb 
ein  Passborth,  darmitt  öffentlich  zubeweisenn,  das  ich  seyner  F.  D. 
erlich  vnd  treulich  gedienet". 

2)  Georg  Sabinus  weilte  sehr  häufig  in  Posens  Mauern.  Zum 
ersten  Male  wohl  1544,  damals  schrieb  er  von  hier  unter  dem 
29.  Juni  an  seinen  Leipziger  Freund  Joachim  Camerarius  und 
empfahl  ihm  einen  Studenten.  Aus  Posen  studierten  damals  in 
Leipzig  Nikolaus  Noskowski  und  Kaspar  Lindener,  aus  unserer 
Provinz  Stanislaus  Ostrorog.  Ferner  sehen  wir  Sabinus  in  Posen  März 
und  Juni  1549,  Sommer  1554,  Ende  Mai  und  Mitte  MLgust  1556,  Mai 
und  Dezember  1558,  auch  Mai  und  Dezember  1559. 


222  Theodor  Wotschke. 

und  die  Gefahren  des  Interims  für  die  Reformation 
zwangen  unserem  Kuchler  eine  solche  Teilnahme  ab,  dass 
wir  aus  der  ersten  Zeit  seiner  Posener  Tätigkeit  nur 
Verse  besitzen,  welche  auf  die  Not  der  Kirche  gehen. 
So  veröffentlichte  er  ein  Gebet  um  Frieden  für  die 
Evangelischen1)  und  für  Erhaltung  der  reinen  Lehre2), 
ferner  ein  Gedicht,  das  der  frohen  Gewissheit  göttlichen 
Schutzes  für  die  bedrängte  Kirche  Ausdruck  gibt8).  Auch 
einer  precatio  ad  deum  opt.  maximum  ex  prophetis  et 
apostolis  und  eines  anderen  Gedichtes,  dass  die  Über- 
schrift „Christiani  hominis  officium"  trägt,  sei  gedacht 
In  gewandten  Distichen  klassischer  Latinität  werden  die 
Grundgedanken,  wird  das  Wesen  christlichen  Glaubens 
und  evangelischer  Frömmigkeit  dargestellt. 

*)  Vergl.   Kuchler:    Historia  Jonae  prophetae  1551   S.    C  4  b. 
Pro  pace: 

„Tranquillam  nostris  pacem  da  Christo  diebus, 

Quam  sine  te  nobis  reddere  nemo  potest. 
Te  sine  nemo  alius  nos  tutos  praestat  ab  hoste, 

Pro  nobis  alius  pr©elia  nemo  gerit". 
*)  A.  a.  o.    S.  C  3  b.    Precatio  pro  conservatione  sanioris  doc- 
trinae  et  ecclesiae. 

„Summe  deus  rerum  sator  atque  aeterna  potestas, 

Qui  regis  imperio,  quicquid  hie  orbis  habet, 
Pura  tui  cum  nunc  habeamus  dogmata  verbi, 

Quae  resonant  passim  doeta  per  ora  virum. 
Fac  ea  constanti  servemus  pectore  semper, 

Ne  precor  haec  nobis  eripuisse  velis. 
Sed  tutare  pios  tua  dogmata  saneta  professos, 

Qui  te  non  fieta  relligione  colunt. 
Daemonis  et  rabido  deus  alme  resiste  furore 

Grassantis  multa  caede  in  ovile  hominum". 
U.  s.  w.,  u.  s.  w. 
8)  A.  a.  O.  S.  C  5b.    De  ecclesia  Christi. 

„Sub  cruce  sub  multis  ecclesia  saneta  procellis 

Degit  et  est  miseris  exagitata  modis. 
Christus  at  hanc  tandem  miranda  liberat  arte 

Supplicio  et  hostes  subicit  ille  gravi. 
Nunc  quoque  defendet  Christus  sua  saneta  professos 

Dogmata  dispergi  nee  sinet  ille  pios. 
Namqifc  pios  ut  amat,  sie  et  defendit  eosdem 

Nee  tristi  miseros  clade  perire  sinit". 


Jakob  Kuchler.  223 

Am  ersten  Osterfeiertage  1548  starb  der  81jährige 
polnische  König  Sigismund  I,  und  unter  der  freudigen 
Erwartung  aller  Evangelischen  Polens  bestieg  sein  Sohn 
Sigismund  August  den  Thron.  Seit  länger  denn  einem 
Jahrzehnt  hatte  er  zu  der  Reformation  sich  freundlich 
gestellt,  seine  Hofprädikanten  in  Wilna  predigten  in 
evangelischem  Sinne,  gern  Hess  er  auch  von  Herzog 
Albrecht  evangelische  Schriften  sich  zusenden.  Allgemein 
erwartete  man  jetzt  bei  seinem  Regierungsantritt,  dass  er 
der  Reformation  in  Polen  zum  Siege  verhelfen  würde. 
Noch  zu  Lebzeiten  des  alten  Königs  auf  dem  Reichstage 
zu  Petrikau  1547  hatten  die  Landstände  als  ersten  Artikel 
die  Forderung  der  Predigt  des  lauteren  Wortes  Gottes 
aufgestellt,  jetzt  brach  die  evangelische  Bewegung  mit 
neuer  Kraft  sich  Bahn.  Allen  voran  ging  der  Posener 
Generalstarost,  welcher  offen  vor  dem  Könige  und  den 
Bischöfen  erklärte,  Polens  Feinde  seien  beim  Papste  und 
Kaiser  zu  suchen.  Bekannt  ist  auch,  wie  er  am  deutschen 
Fürstenbunde  wider  Karl  V.  sich  beteiligte,  und  auf 
Heinrichs  II.  von  Frankreich  Veranlassung  der  Bund 
durch  Gorkas  Vermittlung  König  Sigismund  August  für 
sich  wider  den  Kaiser  zu  gewinnen  suchte.  Dies 
müssen  wir  uns  vergegenwärtigen,  um  :  ein  anderes 
Gedicht1)  Kuchlers  verstehen  zu  können.  In  scharfer, 
kühner  Sprache  fordert  hier  unser  Humanist  den 
König  auf,  die  Kirche,  ich  gebrauche  zur  Illustrierung 
seine  eigenen  Worte,  „vor  den  Papisten  zu  schützen 
und  dem  ruchlosen  ßaalsdienste  ein  Ende  zu  machen." 
Da  dieses  Gedicht  in  die  Hoffnungen  und  in  die 
Stimmung  der  Evangelischen  Posens  einen  aus- 
gezeichneten Einblick  gewährt,  vor  allem  aber  des 
Generalstarosten  Haus  gleichsam  in  elektrische  Helle 
taucht,  ist  es  als  historische  Urkunde  für  die  Kenntnis 
der  Reformation  in  Polen  von  höchster  Bedeutung;  ich 
kenne  keine  andere  Schrift  aus  jenem  Jahre,  in  der 
innerhalb  der  polnischen  Grenzen  so  vernehmlich  und  so 

*)  Carmen  nQorgenxixbv  ad  serenissimum  Poloniae  regem  Sigis- 
mund um  Augustum  pro  purioris  doctrinae  evangelicae  assertione. 


224  Theodor   Wotschke. 

laut  [der  König  um  Förderung  der  Reformation  gebeten, 
so  streng  und  rückhaltlos  über  die  alte  Kirche  abgeurteilt 
wird1).  Andere  Gedichte  aus  den  Jahren  1548  und  1549 
sind  ein  Gebet  um  Sündenvergebung  und  Milderung  der 
gegenwärtigen  Heimsuchungen,  ein  Gesang  über  die  Er- 
scheinung des  Herrn  im  Fleisch,  über  seine  Auferstehung 
und  eine  poetische  Darstellung  der  Geschichte  des  heiligen 
Laurentius. 

Im     Jahre     1549     verheiratete     sich     sein     Freund 
Eustachius  Trepka  mit  einer  Nichte  des  bekannten  Arztes 


*)  Um  seiner  geschichtlichen  Bedeutung   willen   teile  ich  das 
Gedicht  ganz  mit. 

„Inclyte  Sarmatiae  moderator  et  optime  sceptri 

Rex  virtute  tibi  vix  habiture  parem, 
Aspice,  sit  quantis  ecclesia  pressa  periclis, 

Cerne,  quibus  Christi  est  obruta  sponsa  malis. 
Turcarum  hanc  rabies  crudelibus  opprimit  armis, 

Distrahit,  absumit,  diripit  atque  necat. 
Parte  alia  lacerant  cruciantque  premuntque  papistae, 

Hanc  cupit  extinctam  pontificumque  cohors. 
Adde,  quod  huic  etiam  minitantur  saeva  tyranni 

Vincula  et  hanc  omni  vique  doloque  petunt 
Contra  tale  nefas  hanc  pestiferamque  procellam 

Postulat  auxilium  supplice  voce  rogans. 
Poscit  opem  lachrimis,  sed  nemo  movetur  ab  istis, 

Nemo  gravi  miserae  tempore  praestat  opem. 
Ast  tu  rex  Auguste,  invicte,  o  maxime  regum, 

Quo  non  maius  habet  Sarmatis  ora  decus. 
Adfere  desertam  Christi,  rex  inclite,  sponsam 

Adfer  opem  sine  et  has  pondus  habere  preces. 
Suscipe  magnanimos  pro  relligione  labores, 

Incolumis  per  te  stet  pietatis  honor. 
Ne  dubites  cultu  scelerati  abolere  Baalis. 

Iste  Baal  regnum  dissipat  ecce  tuum. 
Tollere  nee  verearis  abusus  quosque  prophanos 

Neve  velis  papae  facta  nefandi  pati, 
Qui  facit  e  vera  nunc  relligione  cothurnos 

Et  sacra  pro  libitu  vertere  scripta  solet. 
Ergo  age  rex  Christum  vero  defendito  cultu, 

Officium  hoc  veri  nobile  regis  erit, 
Sic  referes  Scytico  rex  victor  ab  hoste  triumphos 

Sarmatiae  ac  reddes  aurea  saecla  tuae". 


Jakob  Kuchler.  225 

Johann  Woyntzik,  einer  Tochter  des  hochangesehenen 
Ratmannes  Bartel  Götz,  und  zu  Ehren  des  jungen  Paares 
verfasste  Kuchler  das  Hochzeitsgedicht1).  Es  kennzeichnet 
den  engen  Bund,  den  Humanismus  und  Reformation  auch 
in  Posen  geschlossen  haben,  dass  das  in  humanistischen 
Kreisen  übliche  lateinische  Hochzeitsgedicht  uns  in  Posen 
.zuerst  im  evangelischen  Pfarrhause  begegnet  In  ihm  hat 
Kuchler  seinem  Freunde  das  glänzendste  Denkmal  gesetzt. 
Ausführlich  schildert  er  seine  edlen  Charaktereigenschaften 
und  seine  klassische  Bildung,  sein  tiefgründiges  Wissen 
und  seine  hervorragende  Rednergabe,  seine  Frömmigkeit 
und  sein  unerschrockenes  Eintreten  mit  Wort  und  Schrift 
für  die  Reformation,-  um  ihm  dann  ein  ewiges  Fortleben 
im  Gedächtnis  der  Nachwelt  zu  verheissen 2).  Er  malt  die 
Braut  in  ihrem  Liebreiz,  rühmt  das  Ansehn  ihrer  Familie 3), 
beschreibt  den  Hochzeitszug,   an   dem  auch  der  General- 

*)  Epithalamion  de  nuptiis  clarissimi  viri  genere,  doctrina  et 
pietate  praestantissimi  domini  Eustachii  Trepcae  et  honestissimae 
puellae  Annae,  filiae  optimi  viri  d.  Bartholomaei  Guscz  civis  Pos- 
naniensis. 

*)  „Qui  sibi  praeclarum  studio  et  pietatis  amore 

Quaesivit  nomen  perpetuumque  decus. 
Eustati  quis  enim  modo  noscit  nomina  Trepcae, 

Vix  habet  ingenii  dotibus  ille  parem? 
Namque  bonas  artes  primis  cognovit  ab  annis, 

Ornavit  studiis  pectus  et  ille  bonis. 
Quid  referam,  quae  sit  facundae  gratia  linguae, 

Consilio  ut  valeat  iudicioque  bono? 
Facundi  dicas  illum  Ciceronis  alumnum, 

Dictio  tarn  nitido  mollis  ab  ore  fluit, 
Linguarum  summo  semper  flagravit  amore, 

Quas  sibi  cura  ingens  edidicisse  fuit. 
Inde  tenet  veterum  volvens  monumenta  sophorum, 

Quicquid  habet  Latium,  Graecia  quicquid  habet. 
Quid  memorem,  Christi  quantum  tueatur  honorem 

Protegat  et  purae  relligionis  opus? 
Conservare  studet  divini  dogmata  verbi 

Hostibus  opponens  se  calamo,  ore,  manu." 
U.  s.  w.  u.  s.  w. 

3)  Die  Götz  waren  eine  alte  Posener  Patrizierfamilie,  deren 
Glieder  von  1404  ab  häufig  im  Rate  der  Stadt  sassen.  Ein  Nicolaus 
Gocz  war  von  1448 — 1463  mit  nur  geringer  Unterbrechung  Vogt. 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Prov.  Posen.     Jahrg.  XX.  15 


226  Theodor  Wotschkc. 

starost  teilnahm,  den  Trauakt  im  Gotteshause,  das  Hochzeits- 
mal, gedenkt  der  Wünsche  der  Gäste,  vor  allem  der  Rede 
des  Poley,  um  dann  mit  seiner  eigenen  Fürbitte  für  das 
Wohl  des  jungen  Ehepaares  zu  schliessen. 

Zwei  Jahre  weilte  Kuchler  in  Posen.  Die  jungen 
Grafen  wuchsen  heran,  zudem  sehnte  er  sich  nach  einem 
grösseren  Wirkungskreise,  nach  der  Leitung  einer  ordent- 
lichen Schule.  In  Posen  selbst  hoffte  er  eine  Zeit  lang" 
bleiben  zu  können,  der  Rat  beschloss  die  Pfarrschule  von 
Maria  Magdalena  zu  reorganisieren  und  einen  tüchtigen 
humanistischen  Lehrer  an  ihre  Spitze  zu  stellen.  Durch 
den  Bürgermeister  Andreas  Lipczynski,  seinen  Bekannten,, 
dachte  er  die  Wahl  des  Rates  unschwer  auf  sich  lenken 
zu  können.  Aber  politische  Erwägungen  zwangen  diesen 
von  unserem  Humanisten  abzusehen.  Zu  bekannt  war 
seine  evangelische  Gesinnung,  zu  verbreitet  seine 
Gedichte,  in  denen,  wie  wir  sahen,  an  scharfen  Worten 
wider  die  alte  Kirche  es  nicht  fehlte,  als  dass  der  Rat 
hoffen  durfte,  ihm,  ohne  den  Bischof  und  das  Domkapitel 
zu  reizen,  das  Lehramt  übertragen  zu  können.  Er  be- 
schloss, durch  den  im  Juni  1549  durch  Posen  nach 
Wittenberg  reisenden  Friedrich  Staphylus  Melanchthon 
um  einen  den  Altgläubigen  weniger  verdächtigen  Lehrer 
zu  bitten,  und  wählte  schliesslich  auf  des  Staphylus 
Empfehlung  hin  Gregorius  Pauli l).  Die  fehlgeschlagene 
Hoffnung  Hess  Kuchler  noch  drückender  die  Enge  seiner 
gegenwärtigen  Stellung  empfinden,  in  ihm  noch  stärker 
den  Wunsch  aufleben,  seine  Präceptorstelle  mit  dem 
Lehramte  an  einer  grösseren  städtischen  Schule  zu  ver- 
tauschen. Den  Plan,  mit  dem  er  einige  Zeit  sich  trug,, 
vorher  noch  einmal  nach  Wittenberg  oder  Leipzig  zu 
weiteren  Studien  zu  gehen,  musste  er  aufgeben,  da  eine 
grosse  Feuersbrunst  seine  Vaterstadt  eingeäschert  und 
ihn  um  sein  ganzes  Erbe  gebracht  hatte.  Jetzt  beschloss 
er    seine  Verbindung    mit   dem    herzoglich    preussischen 

*)  Vergl.  Wotschke,  Versuch  der  Pfarrschule  von  Maria  Magda- 
lena 1549  einen  evangelischen  Lehrer  zu  geben.  Hist.  Monatsblätter 
Pos.  IV  S.  177  ff. 


Jakob  Kuchler.  227 

Sekretär  Balthasar  Ganz,  einem  Jugendfreunde,  für  sich 
auszunützen  und  richtete  an  ihn  folgendes  Schreiben1). 

„Dem  Erbarnn  wolweysenn  Hern  Baltzar  Gans,  fürst- 
licher Gnaden  aus  Preussen  Secretarien,  meynem  be- 
sondernn  gutten  Freunde  vnd  Gönner  vnd  lieben  Lands- 
mann. Meyne  ganczwillige  vnd  gevlissene  Dienst  mit 
Wunschungen  aller  Glügseligkeyt  zuvor.  Erbar,  gonstiger 
lieber  Her  Baltzar.  Wem  es  euch  sampt  den  ewren  aus 
Gnaden  des  allmechtigenn  Gottes  gancz  wol  erginge,, 
wer  mir  eyne  besondere  Freude  zu  erfaren,  wisset  mich 
auch  noch  (Got  lob)  in  zimlicher  Gesuntheyth,  Got  gebe 
lange.  Gonstiger  lieber  Herr  Baltzar,  weil  mir  iczund 
bekeme  Botschafft  vorgestossene,  hab  ich  nicht  woln  vn- 
derlassen,  von  wegen  unser  altenn  Freundtschafft  an  euch 
zu  schreiben.  Ich  wolt  aber  herczlich  gernn  euch  als 
meynenn  alden  guttenn  vnd  lieben  Landsmann  etwas 
von  frölichern  Zeitung  zuschreyben,  weyl  vns  aber  Got 
der  almechtige  in  diser  letzten  gefeerlichen  Zeit  von  wegen 
vnser  Sunde  mit  mancherley  Straff  und  Plag  vilfaldigkst 
heymsuchet  vnd  immer  eyn  Unglügk  vber  das  ander  vns 
zuschickt,  kan  man  wenig  frelichs  erfaren,  darumb  ich 
euch  auch  auff  dis  mal  diese  traurige  vnd  schreckliche 
Zeytung  wil  zuschreyben  vnd  fug  euch  himit  zu  wissen, 
das  vnser  lieber  Herr  Got  vnser  liebes  Vaterlandt,  die 
Stadt  Hirsbergk,  mit  schrecklichem  vnd  grausamen  Feuer 
iemmerlich  heymgesucht  hat,  den  nechsten  Sonnabend 
vor  dominica  Cantate,  durch  welchen  Brandt,  so  auff 
eynem  Hause  auskommen,  die  gancze  Stadt  gar  in  Grundt 
vertorben  vnd  eyngegangen  ist,  sampt  der  Kirchen,  Radt- 
hause,  Türmen  vnd  Heusern,  das  nur  die  Stadtmaver 
stehn  blieben  ist,  vnd  sind  vnser  liebe  Landsleute,  vnser 
Eidern,  Geschwister  vnd  Freundschafft  erbermlich  vor- 
torben  vnd  in  kleglich  Elend  und  Armut  durch  sulchenn 
Brandt  kummen,  den  sie  in  so  schnellem  Fever,  welchs 
in  dreyen  Stunden  die  gancze  Stadt  eyngenumen,  nichts 
oder  ie  gar  wenig  haben  können  daruon  bringen,  welchs 
mir    herczlich    leydt    vnd    nicht    geringe    Schmerczenn 

*)  Es  findet  sich  in  dem  Königlichen  Staatsarchiv  zu  Königsberg. 

15* 


^28  Theodor  Wotschkc. 

gebracht  hat.  Vnser  lieber  Herr  Gott  wold  die  armen 
Leuten  trösten  vnd  inen  helfen  vnd  eyn  idern  vor  so 
schrecklichen  Fewer  gnediglich  behüttenn.  Solchs  habe 
ich  euch  lieber  Her  Baltzar,  weyl  mir  iczundt  fugliche 
Botschafft  vorkommen,  nicht  wollenn  vorhaldenn,  bitt 
auch  freundlich,  ihr  wolt  mich  auch  dermal  eynes  mit 
ewrem  Schreybenn  besuchenn  vnd  mir  zuerkennen 
geben,  wie  es  euch  geht,  wiewol  mir  nicht  zweifelt, 
das  ihr  euch  (Got  lob)  gancz  wol  gehabt.  Was  meyne 
Person  belangend,  wil  ich  euch  nicht  bergen,  das  ich 
noch  immerzu  bey  dem  Hern  von  Posenn  meyn  Auff- 
«nthald  hab  vnd  noch  seiner  Gnaden  Sone  vnder  meyner 
Disciplin  hab.  Weyl  aber  die  iungen  Hern  nu  fast 
gewachsen  nicht  sonderliche  Lust  fortmehr  zum  studiern 
haben,  sich  auch  nicht  gerne  regirn  lassen,  wil  meyner 
Gelegenheyt  nicht  seynn,  mich  ferner  alhyr  aufzuhaldenn, 
den  ich  mereke,  das  es  meynen  Studien  nicht  zutreglich 
und  nuczlich,  mich  alhy  im  Landt  zu  Polen  bey  disem 
Hofflebenn  lenger  eynzulassenn,  darumb  wo  mir  irgent 
eyn  andere  erliche  Condition  vorhanden  stysse,  wer  ich 
nicht  vbel  gesinnet,  diselbe  anzunehmen  vnd  meyn  Wesen 
anders  mit  Gottes  Hülffe  anzustellenn.  Derhalbenn  ist 
meyn  gancz  freuntliche  Bitt,  ihr  wolt  neben  andern  ewern 
gutten  Freunden  mir  hirin  beholffen  seyn,  ob  ich  irgent 
im  Landt  zu  Preussen  in  eyner  feynen  Stadt  eynen  Dienst 
bekommen  mechte,  wil  auch  darum  mit  dem  hern  Doctor 
Sabino  mich  vnderreden,  den  ich  nicht  vngern  fürstlicher 
Gnaden,  meynem  gnedigsten  Heran,  auffs  vnterthenigst 
zu  dienen  gesinnet  vnd  geneigt.  Was  ewer  Gutdüncken 
hirin  seyn  wirt,  bitt  wolt  mich  auffs  ehste  verstendigen, 
ich  thu  euch  widerumb,  was  euch  lieb  ist,  vnd  wo  ich 
hirinn  durch  euch,  wie  ich  hoffe,  gefürdert  werde,  wil  ich 
vmb  euch  zu  sonderlichem  Dangk  in  allem  gutten  unge- 
spartes  Vleysses  allczeyt  vordienenn.  Ich  hab  stetts  im 
Willen  gehabt,  das  ich  mich  widerumb  ken  Leipzigk  oder 
ken  Wittenbergk  begeben  wolt,  mich  hat  aber  der  Vnfriede 
in  diesem  Vornehmen  bisher  vorhindert  vnd  nhu  der 
Vnfal  vnd  Schade,    so    ich  neben  den  meynen  daheym 


Jakob  Kuchlcr.  229 

entpfangen  hab,  muss  derhalben  nu  auff  ander  Wege 
trachtenn,  gancz  dinstlich  bittende  wolt  mir  hirin  von 
wegen  vnser  alden  Freundschafft,  wo  es  müglich,  beholff- 
lich  seyn.  Himit  seyt  Gott  dem  almechtigen  befoleniu 
Datum  eylende  zu  Posen  d  .  .  .  J)  im  Jahr  1549*. 

Nachtrag.  „Wolt  von  meynetwegen  freuntlich  salutirn 
den  Dominum  . . . .  2)  von  Prag,  wo  er  noch  in  fürstlicher 
Gnaden  Kanzley,  wie  ich  mich  vorsehe,  ist.  Ich  schick 
auch  hirbey  eyn  Carmen  auff  einen  Pfaffenn,  welchen 
vnser  etliche  vom  Hoffe  vngefähr  bei  eyner  Fettel 
ergriffen,  auff  dem  Marckt  in  die  Thur  geworffenn  vnd 
wol  ge  .  .  .  *)  haben,  welchen  Possen  ich  in  lateynische 
Vers  kurz  verfasset  hab,  wolt  sie  dem  Seclutiano  zeygen 
vnd  im  meyn  vnbekandt  Dinst  sagen.  Ewer  alzeyt  williger 
Jacobus  Kuchler,  der  iungen  Graffen  von  Gorca  Praeceptor". 

Das  Carmen,  dessen  unser  Latinist  am  Schlüsse 
seines  Schreibens  gedenkt,  ist  uns  nicht  erhalten,  wohl 
aber  ein  Hochzeitsgedicht,  das  er  einige  Monate  später 
schrieb,  zu  dem  ihn  sein  Freund  Balthasar  Gans  ermuntert 
hatte,  und  das,  wie  er  hoffte,  eine  Anstellung  in  Preussen 
ihm    bringen    sollte.      Am    11.   April    1547    war   Herzog 

x)  Das  Datum  des  Briefes  isl  leider  weggerissen. 

2)  Der  Name  ist  weggerissen,  wahrscheinlich  haben  wir  an 
Wilhelm  Skrzynietzki,  Freiherrn  von  Ronow,  zu  denken.  Vergl.  über 
ihn  Wotschke,  Johann  Seklucyan  Z.  H.  G.  Posen  1902  S.  228.  Posen, 
den  3.  Sept.  1548  schrieb  Graf  Andreas  Gorka  dem  Herzoge  Albrecht 
nach  Königsberg.  Nihil  addubito,  quin  Vr»  Dlma  Dtio  memoria 
teneat  commendaciones  apud  Vram  IiTmam  Dnem  per  me  factas  pro 
generoso  domino  Gulielmo  Skrzinieczki,  viro  calamitoso  et  homine 
afflicto,  cuius  res  in  eum  locum  iam  adductae  sunt,  ut  ad  hunc 
modum  destitutus  singulari  benignitate  Vr»e  111«*»*  Dni»  egeat 
Quare  cum  ad  Vram  Ulmam  Dnem,  in  qua  spes  omnes  suas  collocat 
tanquam  ad  propicium  numen  confugiendum  esse  duxerit,  rogo,  ut 
Vra  Ulm*  Dlio  in  eum  pietatem  christiano  principe  dignam  declaret. 
Quod  etsi  ego  Vra*»  Illmam  D°cm  facturam  omnino  confidam  pro 
eius  benignitate  et  pietate  apud  omnes  vulgata  et  celebrata,  tarnen 
et  hanc  commendationem  meam  volui  accedere,  sperans  inde  Vra» 
Ulmam  Dncm  erga  eum  esse  testaturam  ex  maiorf  alacritate  signi- 
ficationem  suae  iam  utique  vulgatae  clementiae". 

3)  Der  Schluss  des  Wortes  ist  gleichfalls  abgerissen. 


23°  Theodor  Wotschke. 

Albrechts  Gattin  Dorothea  gestorben,  und  da  sie  ihm 
keinen  Sohn,  für  sein  Herzogtum  keinen  Erben  hinter- 
lassen hatte,  schritt  er  zur  zweiten  Ehe.  Seine  Wahl  fiel 
auf  Anna  Maria  von  Braunschweig,  und  zur  Vermählung 
dieses  herzoglichen  Paares  verfasste  Kuchler  das  Hochzeits- 
gedicht. Im  Eingange  bekennt  er,  mit  den  preussischen 
Sängern,  vor  allen  mit  Sabinus  nicht  wetteifern  zu  können, 
auch  habe  er  bei  seiner  grossen  Arbeit  und  der  Zer- 
streuung, die  der  Gorkasche  Hof  biete,  nicht  Zeit,  den 
Musen,  wie  er  wohl  wünschte,  zu  dienen;  aber  das  Wohl- 
wollen, welches  der  Herzog  seinem  Grafen  entgegen- 
bringe, zwinge  ihn,  in  die  Saiten  zu  greifen.  Besonders 
eingehend  preist  er  des  Herzogs  reformatorische  Haltung 
und  den  Schutz  und  Schirm,  den  er  allen  bedrängten 
Evangelischen  zuteil  werden  lässt1).  Des  Fürsten  Wilhelm, 
«des  Stiefvaters  der  Braut,  des  Grafen  Poppo  von  Henneberg, 
welche  die  herzogliche  Verlobte  nach  Königsberg  geleiteten, 
versäumt  er  nicht  zu  gedenken.  Die  anschauliche  Schil- 
derung der  Braut2)  lässt  fast  vermuten,  dass  Kuchler  die 
Verse  erst  während  der  Rast  der  Prinzessin  in  Posen 
niedergeschrieben  habe.  Am  25.  Januar  15508)  traf  sie  hier 
ein,  und  drei  Tage  dauerten  die  Festlichkeiten,  die  Gorka 


1)  „Perpetuam  meruit  dux  uno  hoc  nomine  laudem, 

Quod  tarn  sincerae  est  religionis  am  ans, 
Quod  tanto  studio  Christi  defendit  honorem 

Protegit  et  verum  dogma  fidemque  dei, 
Quodque  pios  doctosque  viros  dignatur  honore, 

Qui  populum  fidei  dogmata  sancta  docent. 
Arcet  et  a  templis  divin i  numinis  hostes, 

Qui  vastant  Christi  dilacerantque  gregem. 
Ac  reprobis  firmo  se  opponit  corde  papistis, 

Impia  Romani  quos  fovet  aula  lupi". 

2)  wEx  oculis  pietas,  e  vultu  lucet  honestas, 

In  gestu  decus  est  ingenuusque  pudor" 
8)  Poppen,  den  25.  Dezember  1549  schrieb  Herzog  Albrecht 
an  Christoph  Konarski.  „Dieweill  der  almechtige  Godt  es  also 
geschickt,  das  wir  vns  mit  der  hochgeborenen  Fürstin  Frewlein 
Anna  Maria  von  Braunschweig  vnnd  Lüneburg,  Hertzog  Ulrichs 
vonn  Braunschweig  hochloblicher  Gedechtnis  nachgelassenen  Tochter, 
«helichenn  verlobt  vnnd   auf  künftig   Estomihi  zu  Königsperk   das 


Jakob  Kuchler.  231 

ihr  zu  Ehren  veranstaltete.  Als  sie  am  28.  Januar  auf- 
brach, gab  Kuchler  das  Gedicht  einem  der  Edelleute  des 
-Zuges  nach  Königsberg  mit  und  folgendes  Schreiben  an 
seinen  Jugendfreund  Balthasar  Gans. 

„Meyne  ganczwillige  vnd  gevlissene  Dinst  vnd  alles 
guttes  zuuor.  Günstiger  lieber  Her  Secretari,  besunder  gutter 
Freundt  vnd  Gönner.  Wie  ich  es  mit  euch  nechs  allhyr 
zu  Posen  vorlassenn,  das  ich  nach  meynem  geringen  Ingenio 
wolt  S.  G.,  ewrem  gnädigsten  Hern,  auff  S.  G.  hoch- 
zeitliche Freude  etwas  zuschreybenn,  vbersende  ich  euch 
himit  eyn  Carmen  gratulatorium,  darin  ich  S.  F.  G.  Glück- 
wünsche zu  dieser  Heiradt,  vnd  dieweyl  ich  nicht  sunder- 
lich  vil  Zeit  vnd  Weyl  gehabt,  solche  Materie  mit  grösserm 
Vleiss,  wie  es  wol  von  Nöten,  zu  tractirn,  als  der  ich 
sonst,  wie  euch  wol  bewusst,  alhy  beym  Hoff  vil  Hindernis 
an  meynen  Studien  vnd  bei  den  iungen  Hern  an  Vnderlas 
gross  Muhe  vnd  Arbeyt  vnnd  allerley  molestias  haben 
muss,  ist  meyn  vleissige  Bitt  an  euch,  wolt  des  Hern 
Doctors  Sabini,  wo  er  zukegen,  iudicium  hirinn  zuuor 
-erkunden,   welchem   ich    auch    in   sunderheyt   dauon   ge- 

iürstliche  eheliche  Beitager  gehaltenn  werdenn  soll,  Ire  L.  aber  mit 
sampt  derselben  bei  sich  habenden  Fürstenn,  Grauenn,  Hern  vnd  Edel- 
leuthen  vermittelst  gotlicher  Gnadenn  auf  den  23.  Januarii  zu  Silinski 
<d.  i.  Zielenzig)  vnnd  dem  f  olgendenn  24.  Januarii  zu  Meseritz  annkhomenn 
werdenn,  demnach  ann  euch  vnnser  gnediges  Begeren,  ihr  wollet 
vonn  vnnsernth  wegenn  die  Kon«  Maj*  vnderthenigst  vnnd  freund- 
lichst bittenn,  Kon«  Maj*  wolle  auf  itzermelthe  vnnsere  künftige 
Gemahell  vnnd  derselben  bey  sich  habenden  Fürstenn,  Grafen, 
Hern  vnnd  Edelleuthen,  auch  fürstlichen  Frawenzimmer  ein  schrift- 
lich, christlich  vnnd  königlich  Gleith,  nichts  weniger  Irer  L.  alle  auf 
ihr  Begern  auch  mit  lebendigem  Gleith  annehmen  vnnd  geleidlich 
•durch  die  Cronn  vnd  Lande  Preussen,  bis  inn  vnser  Fürstenthumb, 
also  auch  widder  hinaus  inns  Landth,  bei  allenn  Ämtern  zu 
.geleithenn  beuehlen  lassen.  Desgleichenn  auch  schriftlich  die 
Beuehle  thun,  dass  Ire  L.  mith  iren  bei  sich  habenden  vmb  ihr 
Geldt  Notturft,  vnnd  was  inen  bequemlieh,  haben  vnnd  erlangenn 
mögen.  Solche  königliche  Beuehll  wollt  ir  inn  vnnserm  Nhamen 
aufs  vleissigste  eilendeste  vnnd  förderlichste  auf  vorige  kenigliche 
Vertröstung,  so  dem  Terla  gescheen,  fordern,  solicitirn  vnnd,  das 
sie  inns  beste  gestellet  vnd  gemacht,  vnserer  Zuuersicht  nach 
fertigen  vnd  es  bei  Zeigernn  zuschiekenn". 


232  Theodor  Wotschkc. 

schrieben  vnd  gebeten,  das  Carmen  zu  vbersehn  vnd,  wo 
es  von  Nöten,  zu  emendiren,  vnd  als  dan  wolt  es  zu 
gelegner  Zeyt  seiner  F.  G.  mit  vleissiger  Commendatioa 
meyner  gancz  vnterthenigen  vnnd  allezeit  gevlyssen  Dinst 
vnd  auch  meyner  Studien  vberantworten,  mit  Bitt,  S.  F.  G. 
wolt  meyn  gnediger  Fürst  vnd  Herr  seyn  vnd  sulch  meyn 
Arbeit,  sso  ich  zu  S.  F.  G.  Ehre  auff  mich  genummen,  in 
Gnaden  annhemen  vnd  mich  vor  S.  F.  G.  alczeyt  willigen 
Diener  erkennen,  wie  ich  mich  den  trostlich  zu  euch  vor- 
sehe, ihr  besser,  den  ich  euch  schreyben  kan,  thun  vnd 
ausrichten  werdet.  Wo  mich  auch  S.  F.  G.  durch  euher 
Fürbitt  etwa  mit  eyner  Vorehrung  aus  Gnaden  bedenken 
würde,  werdet  ihr  mir  sulchs  zu  gelegener  Zeyt  wol  zu- 
stellenn,  bit  wolt  hirinn  vnbeschwert  seyn,  mir  von  wegen 
vnser  alten  Freuntschafft  sulchs  gunstiglichen  auszurichten. 
Worin  ich  widerumb  euch  vnd  all  den  ewren  mit  der 
Zeyth  wilfertige  Dinst  bezeigen  kan,  wil  ich  alczeyt 
bereydt  willigk  vnvordrossen  befunden  werdenn.  Meyn 
gnediger  herr  hat  den  Marggrauen  sampt  den  andern 
Fürsten  vnd  Herrn  gancz  herlich  entpfangen  vnd  inen 
gross  Ehre  bezeygt.  Himitt  will  ich  euch  dem  ewigen 
Gott  befolen  haben.  Datum  Posen,  eylende  Dinstag  vor 
purificationi  Mariae1)  im  Jar  1550.  E.  E.  alczeyt  williger 
Jacobus  Kuchler2). 

Ob  Sabinus  das  Carmen  durchgesehen,  es  Kuchler 
die  erhoffte  klingende  „Vorehrung"  gebracht  hat,  wissen 
wir  nicht,  aber  noch  in  demselben  Jahre  ward  es  in 
Königsberg  gedruckt  und  herausgegeben 8).  Auch  in 
einem  Gedichte  an  Sabinus,   das    noch    in  das  Jahr  1550 

x)  d.  i.  der  28.  Januar. 

2)  Das  Siegel  des  Briefes  zeigt  im  Wappenschild  einen  Schwan 
darunter  die  Buchstaben  I.  H.  K. 

*)  Vergl.  In  nuptias  illustrissimi  prineipis  ac  domini  domini 
Alberti  marchionis  Brandeburgensis  ducis  Prussiae  etc.  et  illustrissi- 
mae  prineipis  ac  dominae  dominae  Annae  Mariae  ducis  Brunsvicensis  et 
Lunaeburgensis  Carmen  gratulatorium  a  Jacobo  Kuchlero  Hirsberg- 
ense  (!)  comitum  iuniorum  a  Gorca  praeeeptore  scriptum.  Unter 
dem  Titel  finden  wir  das  Bild  Herzog  Albrechts  und  hinten  den 
Vermerk:    In  Regiomonte  Borussorum   ex    officina  Ioannis  Luiftiu 


Jakob  Kuchler.  233 

oder  spätestens  in  die  ersten  Monate  des  folgenden  Jahres 
fallen  muss,  gedenkt  Kuchler  der  Enge  seines  Wirkungs- 
kreises und  dass  er  nach  einem  anderen  Amte  sich  sehne  l). 
Es  hat  dieses  Gedicht  für  uns  ein  besonderes  Interesse, 
weil  Kuchler  in  ihm  die  Geschichte  seiner  Liebe  uns 
gibt  Wir  hören,  wie  er  in  heissem  Sehnen  und  doch 
unschlüssig,  ob  er  den  entscheidenden  Schritt  tun  dürfe, 
den  Hain  aufsucht,  an  den  so  manche  Liebesbekümmerte 
vor  ihm  und  nach  ihm  ihr  Weh  hingetragen  haben,  den 
Eichwald  *),  er  aber  trotz  alles  Sinnens  und  Überlegens 
zu  keinem  festen  Entschlüsse  kommen  konnte.  Dann 
bedient  er  sich  des  bekannten  Motivs  der  Anakreontik, 
welches  auch  der  von  ihm  so  hoch  geschätzte  Sabinus 
in  seinen  der  Anna  Melanchthon  gewidmeten  Liebes- 
liedern so  oft  angewandt:  die  Liebesgöttin  erscheint  ihm 
und  beschwichtigt  seine  Bedenken  8).    Er  solle  das  Glück 

*)  „Pieridum  columen  vatum  spes  magna  Sabine, 

Temporis  o  nostri  non  mediocre  decus, 
Ecquid  adhuc  memori  tibi  nomen  mente  Iacobi 

Haeret,  amicitiae  pars  quotacumque  tuac? 
Si  quaeris,  quid  agam,  comitis  me  detinet  aula 

Gorcani  studiis  non  satis  apta  meis." 

2)  „Eist  nemus,  haud  longe  Posna  quod  distat  ab  urbe, 

Hie  ubi  Sarmaitos  Varta  pererrat  agros, 
Blandior  haud  alius  sinuosi  ad  fluminis  undas 

Est  locus,  hunc  nymphas  incoluisse  ferunt. 
Hie  ego  dum  curas  cupio  lenire  molestas, 

Saepe  fatigavi  terga  ferocis  equi. 
Et  cecini  molles  chara  de  Phyllide  versus, 

Quos  mihi  dietavit  deliciosus  amor. 
Huc  nuper  veniens  nemoris  secreta  petebam 

Et  vitae  expendi  tristia  fata  meae. 
Atque  animi  dubius  versabar  pectore  mecum, 

Transigerem  vitam  qua  ratione  meam, 
An  sine  coniugio  deberem  vivere  caelebs, 

Foedera  legitimi  sint  ne  petenda  thori?" 

3)  „Quid  dubitas  sociam  tibi  vitae  adiungere  castam 

Cur  miser  horrescis  foedera  saneta  thori? 
Ducis  et  incautum  per  tot  discrimina  vitam, 

Nee  tibi  sunt  curae  iussa  tremenda  dei? 
San  ei  vit  firma  qui  vincla  iugalia  lege 

Admittens  liciti  gaudia  casta  thori." 


234  Theodor  Wotschkc. 

ergreifen,  die  schönste  seiner  Töchter  werde  das  grosse 
Posen  ihm  zuführen,  Anna,  die  Königin  seiner  Lieder. 
Noch  zeigt  ihm  die  Göttin  die  Anmut  und  den  lockenden 
Liebreiz  der  still  Geliebten,  da  ist  sein  Entschluss  gefasst- 
Die  Göttin  entschwindet.  Er  sendet  als  seine  Frei- 
werber Kaczkowski,  die  jungen  Grafen,  den  Präfekten  des 
Hofes,  wohl  Mathias  Poley,  und  Andreas  Lipczinski *), 
welche  von  dem  Vater  der  Geliebten,  dem  Posener  Gold- 
schmied Johannes  Glaser  die  Hand  seiner  Tochter  für 
ihren  Freund  erbitten  2).  In  die  Schilderung  der  Hochzeit, 
an  der  viele  Edelleute  und  Bürger,  auch  der  Generalstarost 
und  seine  Söhne  teilnahmen,  läuft  das  Gedicht  aus.  Doch 
bieten  die  vier  lezten  Verse  noch  eine  persönliche  Wendung- 
an  Sabinus.  Der  Bote,  der  dieses  Carmen  nach  Königsberg 
bringe,  werde  ihm  ausführlich überKuchlers  Verhältnisse  und 
Wünsche  berichten.  Gewiss  beziehen  sich  diese  Worte  auf 
die  Drucklegung  der  Gedichte  unseres  Humanisten,  denn  da 
er  wahrscheinlich  noch  im  Jahre  1550  die  von  den  Latinisten 
des  16.  Jahrhunderts  gern  behandelte  Geschichte  des  Pro- 
pheten Jona  dichterisch  dargestellt  hatte,  beabsichtigte  er  die 
einzelnen  zerstreuten  Carmina  zu  einem  Buche  zusammen- 
zustellen und  vereint  herauszugeben.  Es  erschien  im 
Winter  1551  mit  einem  längeren  Zueignungsgedicht  an 
den  Grossmarschall  und  Krakauer  Kastellan  Grafen 
Johann  von  Tarnow8). 

*)  „Nobilis  hie  aderat  nostrae  praefectus  el  aulae 
Cumque  aliis  Posna  consul  in  urbe  gravis." 
2)  „Eximia  praestans  virtutis  laude  Johannes 

Disce  age,  quae  nostrae  sit  modo  causa  viae. 
Huc  venimus  petimusque  tuam  coniungere  natam 

Cuchlero  liciti  lege  fideque  thori. 
Non  ille  indignus  gener  est  mihi  crede  futurus, 

Diligit  hunc  vatum  pieridumque  chorus, 
Hunc  Gorcanus  amat  comes,  hunc  tibi  destinaturum 
Atque  virum  natae  postulat  esse  tuae.a 
^  Historia  Jonae    prophetae   carmine   elegiaco  traetata.     Cui 
addita   sunt  alia  nonnulla   sacri   argumenti    poemata  eodem  autore. 
Anno  1551.    Scripta  Posnaniae   in   aula   illustris   d.  comitis  a  Gorca 
castellani  Posnaniensis.    In  Oktav,  vier  Bogen.     Hinten:  Impressum 
in  Regiomonte  Borussorum  mense  Novembri  anno  1551. 


Jakob  Kuchler.  235 

Die  jungen  Grafen  waren  herangewachsen,  der 
jüngste  Stanislaus  sollte  demnächst  die  Universität  Witten- 
berg besuchen,  Kuchlers  Tätigkeit  als  Erzieher  in  Posen 
hatte  ein  Ende.  Seine  Bemühungen  um  ein  Lehramt  in 
einer  grösseren  Stadt  waren  fehlgeschlagen,  so  übernahm 
er  1553  gern  eine  Stellung  in  seinem  Heimatlande 
Schlesien  am  Hofe  des  Herzogs  Johann  von  Münsterberg 
als  Erzieher  von  dessen  ältestem  Sohne.  Seine  Ver- 
bindung mit  Polen  gab  er  nicht  auf,  vor  allem  blieb  er 
in  engem  Zusammenhange  mit  seinem  Posener  Freundes- 
kreise, wohl  auch  im  Briefwechsel  mit  seinen  ehemaligen 
Schülern.  Sollte  er  es  nicht  vermittelt  haben,  dass  sein 
Landsmann  Johann  Seckerwitz  aus  Breslau  mit  dem 
Grafen  Stanislaus  Gorka  1554  in  Wittenberg  bekannt 
wurde  und  ihm  hier  fünf  lateinische  Psalmen,  auch  eine 
Übersetzung  des  Grafen  Lieblingsliedes:  „Es  ist  das  Heil 
uns  kommen  her"  widmete  x)  ?  Als  im  August  1553  der 
König  Sigismund  August  in  Krakau  sich  mit  Katharina 
von  Österreich,  der  Schwester  seiner  ersten  im  Lenze 
ihrer  Jugend  und  ihrer  Ehe  verstorbenen  Gattin,  vermählte, 
griff  Kuchler  in  die  Saiten  und  dichtete  zu  Ehren  des 
königlichen  Paares  ein  Hochzeitscarmen  2).    In    der  Wid- 

1)  Joh.  Seckerwitz  ist  am  1.  Mai  1548  in  Wittenberg,  Winter- 
Semester  1553  in  Frankfurt  immatrikuliert.  Vergl.  sein  canticum 
Pauli  Sperati:  „Es  ist  das  Heil  uns  kommen  her"  metro  Horatiano 
iuxta  illud  „Vides  ut  alta  stet  nive  candidum"  in  odam  latinam 
conversum. 

„En  immerentis  alma  salus  adit 
Solo  benignae  munere  gratiae, 
Spes  illa  falsae  sanctitatis 

Atque  operum  pereunt  triumphi." 
„Beata  Christum  respiciens  fides 
Hunc  expirantem  crimina  victimam 
Hunc  liberatorem  fatetur. 

Pro  miseris  medium  precando.11    U.  s.  w. 

2)  De  nuptiis  serenissimi  et  potentissimi  Poloniae  regis  Sigis- 
mundi  secundi  Augusti  et  illustrissimae  dominae  d.  Catharinae 
serenissimi  Romanorum  regis  Ferdinandi  filiae  epithalamion.  Autore 
Jacobo  Kuchlero  Hirsbergense  1553  Mense  Julio,  in  4°,  2  Bogen. 
Hinten:  Vratislaviae   in  officina  Crispini   Scharffenbergii.  —  Ich   be- 


236  Theodor  Wotschkc. 

mung,  welche  vom  Hofe  des  Herzogs  von  Münsterberg 
datiert  ist  und  an  den  Fürsten  Nikolaus  Radziwill  sich 
richtet,  spricht  er  die  Bitte  aus,  sein  Gedicht  dem  Könige 
zu  übermitteln.  Wahrscheinlich  suchte  er  einen  Ruf  als 
polnischer  Hofpoet  nach  Krakau  zu  erhalten,  denn  er  gibt 
der  Hoffnung  Ausdruck,  ausführlicher  und  glanzvoller 
«ies  Königs  Taten  und  Namen  besingen  zu  können,  wenn 
ihm  durch  königliche  Munificenz  ein  ruhiges  sorgenfreies 
Leben  gewährt  würde  und  er  sich  ganz  der  Dichtkunst 
widmen  könnte. 

Nach  einiger  Zeit  kehrte  Kuchler  nach  Posen  zurück. 
Seine  alte  Hoffnung,  die  Leitung  einer  grösseren  Schule 
^zu  erhalten,  hatte  er  aufgegeben  und  war  zufrieden,  in  der 
Heimat  seiner  Frau  zuerst  seinen  Freund  Trepka  unter- 
stützen zu  können  —  Ende  März  1558  reiste  er  zugleich 
mit  ihm  nach  Königsberg *),  —  dann  als  Sekretär  des 
Generalstarosten  Johann  Koscielecki  eine  geachtete 
Stellung  und  sichere  Existenz  zu  gewinnen.  Oktober  1558 
verheiratete  sich  sein  ehemaliger  Schüler  Andreas  Gorka 
mit  Barbara  von  Follstein.  Natürlich  konnte  er  die 
Feier  nicht   vorübergehen   lassen,   ohne  Erato,   die  Muse 


merke  hierbei,  dass  die  Offizin  des  Krispin  Scharffenberger,  der 
gewiss  mit  der  bekannten  gleichnamigen  Krakauer  Druckerfamilie 
verwandt  war,  viele  Bücher  nach  Posen  lieferte.  Sein  Hauptabnehmer 
war  hier  der  Buchhändler  Melchior  Diering. 

L)  Mit  dieser  Reise  steht  es  in  Verbindung,  dass  Kuchler  vor- 
übergehend in  den  Verdacht  geriet,  Geld  unterschlagen  zu  haben. 
Am  24.  Juli  1559  schreibt  Herzog  Albrecht  an  Stanislaus  Ostrorog: 
„Latere  Magt««  Vr*m  nolumus  iussisse  nos  in  libris  rationum 
aerarii  nostri  perquirere,  an  pecunia  ea,  quam  uxor  Eustachii  Trepka 
per  Mag*»»«  Vr*m  a  nobis  postulavit  per  Cuchlerum,  uti  nos  quidem 
arbitrati  sumus,  missa  esset.  Quia  vero  errasse  nos  offendimus  ex  eo, 
quod  cum  Cuchlerus  ad  nos  fuerat,  uno  eodemque  tempore  et 
Eustachium  Trepka  adfuisse,  intelleximus  nihilque  Cuchlero  datum  esse, 
quod  ad  eundem  Trepka  tum  praesentem  ferre  potuisset.  Jtaque  aman- 
ter petimus,  quandoquid  em  opinio  nostra  nos  fefellit,  ut  ne  fraudi  hoc 
esse  Cuchlero  patiatur,  cupimus  autem,  ut  Mag*»»™  Vram  in  üsf  quae 
nomine  coniugis  Trepka  praedicti  apud  nos  egit,  quomodo  res  se 
habeat,  nobis  significet.  Zu  der  Angelegenheit  vergl.  Wotschke, 
Eustachius  Trepka  a.  a.  O.  S.  133  und  141. 


Jakob  Kuchlcr.  237 

der  Liebenden,  herbeizurufen1).  Dieses  Hochzeitsgedicht 
ist  wohl  der  erste  Druck,  der  in  unserer  Provinz  erschien. 
Der  Böhme  Alexander,  nach  seiner  Heimat  Ujezd  bei 
Pilsen  Augezdecki  genannt,  den  Seklucyan  mit  Speratus 
durch  Vermittlung  des  Freiherrn  von  Ronow,  Wilhelm 
Skrzynietzki,  nach  Königsberg  gezogen,  und  der  hier  unter 
anderen  Schriften  die  Übersetzung  des  Neuen  Testamentes, 
durch  Seklucyan  und  das  grosse  polnische  Gesangbuch 
gedruckt  hatte,  war  Ende  1556  mit  seiner  vorzüglichen 
Druckerei  nach  Böhmen  zurückgekehrt,  dann  aber  vor 
neuen  Verfolgungen  Sommer  1558  wiederum  nach  Polen 
geflüchtet  Hier  zog  ihn  Graf  Lukas  Gorka  in  seine 
Dienste  und  Hess  seine  Druckerei  in  seinem  Schlosse  zu 
Samter  aufstellen.  Die  erste  Schrift,  die  dort  die  Presse  , 
verliess,  scheint  das  schon  erwähnte  Hochzeitsgedicht 
gewesen   zu   sein 2).     Gewidmet     hat     es    Kuchler     dem 

J)  „Andreae  comitis  Gorcani  hymeneia  dicam 
Gaudia  et  optati  foedera  sancta  thori. 
Ergo,  Erato,  huc  propera  myrto  praecincta  viventi, 

Ut  iucunda  canas  et  geniale  melos. 
Adsis,  quaeso,  animo  faciii  teque  insere  nostro 
Et  nos  musarum  numina  sancta  simuL* 
Erwähnt  seien  noch  die  Verse,   in   denen   Kuchler   des  früh- 
verstorbenen   Vaters   des  Bräutigams     und    seiner  Verdienste  um- 
Grosspolens  Hauptstadt  gedenkt. 

„Floruit  et  semper  Posnania  culta  sub  ipso 
Praeside,  quam  rexit  legibus  ille  bonis. 
Iustitiae  Studium  verae  et  pietatis  amavit 
Eloquio  fuit  is  consilioque  potens." 
2)  Epithalamion    de    nuptiis    illustris    et    magnifici   domini    d. 
Andreae  comitis   et  heredis    in    Gorka,    Gnesnensis,    Valcensis    etc. 
capitanei   et  magnificae   dominae   d.   Barbara  de  Folsteyn  palatinae 
Cracoviensis  etc.    Autore  Iacobo  Kuchlero  Hirsbergense.    Impressum 
Schamotuli    in    arce  illustris    d.    Lucae    comitis    a    Gorka   palatini 
Lanciciensis     etc.     per     Alexandrum      Bohemum.       Anno      1558. 
20.  Octobris.    In  40,  2  Bogen. 

Auf  dem  folgenden  Drucke  nennt  sich  der  Typograph 
Auiezdecky,  auf  dem  böhmischen  Gesangbuch  1561  Auiezdecky 
und  Auiezdsky.  Während  die  beiden  in  Samter  gedruckten  Gedichte 
Kuchlers  kein  Wappen  oder  Buchdruckerzeichen  des  Böhmen 
bringen,  zeigt  das  Samtener  Gesangbuch,  dass  er  als  Wappen 
einen  Schild  führte,  in  dem  ein  Bär  mit  einer  Kette  am  Halse  steht. 


238  Theodor   Wotschke. 

ältesten  Bruder  des  Bräutigams,  während  Eustachius 
Trepka  an  lezteren  das  Vorwort  richtete.  Auffallender 
Weise  ist  dieses  Posen,  den  18.  Oktober  datiert,  während 
Trepka,  wie  urkundlich  feststeht,  schon  am  Tage  vorher 
in  später  Abendstunde  vom  Schlage  getroffen  verstorben  ist 

Ein  halbes  Jahr  später  führte  Erato  unserem  Humani- 
sten den  Griffel  zu  einem  Hochzeitsgedicht  für  die 
Tochter  seines  Herrn,  die  sich  mit  Andreas  Opalinski1) 
vermählte2).  Preist  Kuchler  das  Brautpaar  und  rühmt  er 
den  Adel  ihrer  Geschlechter8),  malt  er  den  Jubel,  der  bei 
der  Hochzeit  in  Posen  herrschte4),  schildert  er  den 
reichen  Schmuck  des  Gotteshauses,  stets  zeigt  er  sich  als 
der  formgewandte  Latinist,  der  meisterhaft  die  klassische 
Sprache  beherrscht. 

Am  19.  April  1560  starb  sein  Lehrer  Melanchthon. 
Kuchlers  Schmerz  einte  sich  mit  der  Trauer  der  evan- 
gelischen Gemeinde;  sie  und  sich  selbst  suchte  er  in 
einigen  Trostgedichten  aufzurichten.    Noch  besitzen    wir 


*)  Andreas  Opalinski  hat  in  Leipzig  nach  der  Universitäts- 
matrikel 1551  studiert.  Auch  Kuchlers  Freund  Bötticher  aus  Ruppin 
widmete  ihm  zu  seiner  Vermählung  ein  Gedicht.  Vergl.  Gratulatio 
de  coniugio  ad  magnificum  et  generosum  d.  Andream  Opalinski 
scripta  a  Iohanne  Bottichero  Rupinensi.  Francoforti  excudebat 
Iohannes  Eichorn  die  quinto  Aprilis  1559.   In  Quart  i1^  Bogen. 

2)  In  nuptias  generosi  ac  vere  nobilis  domin  i  d.  Andreae 
Opalensky  et  praestantissimae  omnibusque  virtutibus  ornatissimae 
virginis  Catharinae,  filiae  magnifici  domini  d.  Janusii  a  Cosczielecz 
palatini  Siradiensis  Maioris  Poloniae  generalis  Naclensisque  capitanei 
carmen  nuptiale.  Anno  1559,  in  Quart  zwei  Bogen,  hinten:  Im- 
pressum Schamotuli  in  arce  illustris  d.  d.  Lucae  comitis  a  Gorka 
palatini  Lanczitiensis  per  Alexandrum  Auiezdecky.  Anno  1559. 
13.  Aprilis. 

8)  Besonders  gedenkt  er  des  Onkels  des  Bräutigams  Petrus 
Opalinski,  der  1528  Meseritzer  Starost,  dann  Hofmeister  des  Königs 
Sigismund  war  und  am  19.  Dezember  154a  zum  Kastellan  von  Posen 
ernannt  worden  war. 

4)  „Undique  iam  laeti  tolluntur  ad  aethera  plausus, 
Hie  ubi  Posnanos  Varta  pererrat  agros, 
Et  matres  iuvenesque  simul  populusque  patresque 
Foelici  plausu  compita  euneta  replent*. 


Jakob  Kuchler.  239 

ier  von  ihnen,  darunter  eine  consolatio  ad  amicos 
G-zrQOGTLxov1).  Neben  einigen  kleineren  Epitaphien  ver- 
aaste er  zu  Ehren  seines  unvergesslichen  Lehrers  auch  noch 
;in  Epicedion2).  Tiefe  Trauer  atmen  dessen  Verse,  wie 
Schluchzen  klingt  es  aus  ihnen,  es  ist,  als  ob  wir  in 
cCmchlers  schmerzbewegte  Seele  hineinsehen.  Nachdem 
er  seiner  Wehmut  Raum  gegeben,  gedenkt  er  der  Ver- 
dienste und  des  unendlichen  Segens,  der  von  dem  prae- 
ceptor  Germaniae  ausgegangen  ist,  und  richtet  schliess- 
lich seine  Augen  auf  die  Not  der  Kirche,  die  infolge  der 
Zerklüftung  der  Evangelischen  auch  in  Posen  zu  Tage 
trat.  Mit  dem  Gebet,  dass  Gott  allem  Hader  wehren  und 
seiner  Kirche  immer  treue  Lehrer  senden  möge,  schliesst 
•das  treffliche  Gedicht8). 

Acht  Monate,  nachdem  Melanchthon  die  Augen 
geschlossen,  am  2.  Dezember  1560  starb  sein  Schüler 
und  einstiger4)  Schwiegersohn  Georg  Sabinus  in  Frankfurt. 
Als  zur  ersten  Wiederkehr  des  Todestages  Johann 
Bötticher    aus    Ruppin,    ein    Schüler    des    Sabinus    und 


1)  »Quid  gemis  extinctum  docta  et  pia  turba  Philippum? 

Non  abiit  cuius  nomen  honosque  manent, 
Parte  sui  vivit  multo  meliore  super  stes, 
Fama  viget  terris,  spiritus  astra  tenent". 

2)  Epicedion  in  mortem  reverendi  et  incomparabilis  viri  d. 
Philippi  Melanchthonis  scriptum  Posnaniae  Iacobo  Kuchlero  Hyrsch- 
bergense  Anno  1560  Maii  15.  Unter  diesem  Titel  befindet  sich  Melanch- 
thons  Brustbild.  In  Quart,  ein  Bogen,  hinten :  M.  Iacobus  Kuchlerus 
memoriae  optimi  praeceptoris  scripsit  19.  Maii  1560.  Die  Offizin  ist 
nicht  angegeben,  doch  glaube  ich  nicht  zu  irren  mit  der  Annahme, 
dass  dies  Gedicht  nicht  in  Samter  bei  Augezdecki,  sondern  in  einer 
Wittenberger  Druckerei  erschienen  ist. 

*)    „Te  quoque  musarum  decus  immortale  Melanchthon 
Proh  dolor  e  terris  mors  violenta  rapit? 
Siccine  fatalis  claudis  tua  lumina  vitae? 

Chare  pater,   nullo  tempore  digne  mori. 
Concidis  heu  nimium  fato  prostratus  iniquo? 

Eriperis  terris  hei  mihi  quäle  decus? 
Omnibus  hinc  oritur  iustissima  causa  querellae, 
Sedula  qui  studiis  dedita  corda  sumus". 
4)  Melanchthons  Tochter  Anna  war  nach  wenig  glücklicher 
Ehe  bereits  1547  verstorben. 


240  Theodor  Wotschke. 

Freund  unseres  Posener  Humanisten,  vor  den  Frankfurter 
Studenten  eine  Gedächtnisrede  hielt  und  ihre  Herausgabe 
plante,  sandte  ihm  Kuchler  zur  Aufnahme  in  diese  Schrift 
einige  Epitaphia.  Aber  sie  scheinen  zu  spät  in  Frankfurt 
oder  in  der  Wittenberger  Druckerei  eingetroffen  zu  sein, 
wenigstens  finden  sie  sich  nicht  in  der  ersten  Ausgabe1) 
dieser  Rede,  welche  Januar  1562  bei  Laurentius  Schwenk 
in  Wittenberg  erschien.  Erst  die  zweite  Auflage  a),  die  ein 
Jahr  später  gedruckt  wurde,  bringt  sie,  fünf  an  der  Zahl  *> 
ausserdem  24  Distichen*),  die  den  Frankfurter  Lehrer 
rühmen,  dass  er  mit  seiner  Rede  das  Gedächtnis  des 
unvergleichlichen  Sabinus  gefeiert  habe,  und  die  enge 
Freundschaft  preisen,  in  der  sie  beide,  Kuchler  und 
Bötticher,  sich  verbunden  wissen6). 

Einer  der  Posener  Bekannten  Kuchlers  war  der  Arzt 
Stephan  Mikanus.  Obwohl  er  in  bewusstem  Gegensatz 
zur  evangelischen  Gemeinde  in  Posen  stand  und  an  ihrer 
Bekämpfung  und  Vernichtung  arbeitete,  also  ein  Gegner 

1)  Oratio  de  vita  clarissimi  et  ornatissimi  viri  d.  Georgii 
Sabini  Brandeburgensis  habita  in  academia  Francofordiana  a  Johanne 
Botichero  Rupinensi.  Unter  dem  16.  November  1561  hat  Bötticher 
diese  Rede  dem  Rate  der  Geburtsstadt  des  Sabinus  Brandenburg 
gewidmet. 

2)  De  vita  et  obitu  d.  Georgii  Sabini  oratio  M.  lohannis 
Boticheri  Rupinensis.  Ad  finem  adiecta  sunt  epitaphia  conscripta  a 
clarissimo  viro  d.  lacobo  Cuchlero  Silesio  palatini  Siradiensis 
secretario.    Excudebant  haeredes  Georgii  Rhaw  1563. 

8)  Das  erste  Epitaph  zählt  fünf,  die  anderen  je  zwei  Distichen. 
Eins  teile  ich  mit. 

„Hie  situs  est  vatum  decus  et  laus  summa  Sabinus, 

Illius  at  nescit  invida  fama  mori, 
Italus  hunc  celebret,  Germanus,  Gallus,  Iberus. 
Non  mors  sed  vita  est,hac  ratione  mori". 
4)  Unter    der  Überschrift   Iacobus  Cuchlerus   Silesius    artium 
magister  et  palatini  Syradiensis  secretarius  Iohanni  Botichero  amica 
suo  tanquam  carissimo. 

6)    „Namque  tuum  pjssum  non  pectus  amare,  Iohannes, 
Non  unquam  possum  non  meminisse  tui. 
Vita  placet,  sunt  grata  mihi  tua  dulcia  dieta. 
Non  possunt  tua  non  scripta  placere  mihi". 


Jakob  Kuchler.  241 

inseres  Kuchler  hätte  sein  müssen,  halten  humanistische 
Studien  die  beiden  Männer  einander  nahe  gebracht,  und 
als  Mikan  die  Tochter  des  Posener  Bürgers  Johann 
R^eschka  heiratete,  zögerte  Kuchler  nicht,  ihm  ein  Hoch- 
zeitsgedicht zu  widmen1). 

Am  8.  Dezember  1564  starb  zu  Posen  der  General- 
starost,  in  dessen  Diensten  unser  Latinist  stand,  und  in 
einem  warmen  Nachrufe  2)  gedachte  Kuchler  seiner  Bedeu- 
tung für  die  Stadt  und  das  Land  Posen.    Mit  einem  aus- 
führlichen gleichfalls  in  Versen  verfassten  Epitaph  sandte 
er  im  folgenden  Jahre  das  Epicedion  an  die  beiden  Neffen 
des     Generalstarosten    Albert    und  Johann  Kamieniecki, 
welche   seit  dem   7.  Februar  bezw.   13.  April  in  Witten- 
berg studierten 3),  mit  der  Bitte,  es  dort  drucken  zu  lassen. 
Sie    gingen    auf   seinen  Wunsch    ein    und    beide  Neffen 
widmeten  ihrerseits  ihrem   heimgegangenen    Onkel    noch 
einige  Verse4).     Der  Humanist  Martin  Heinrich  aus  Sagan, 
den    wir    verschiedentlich    in  Wittenberg   in  Verbindung 


1)  Epithalamion  in  nuptias  clarissimi  viri  domini  Stephani 
Micani  medicinae  doctoris  et  honestissimae  virginis  Annae  filiae 
olim  nobilis  loannis  Viliczinski  Rescii  civis  Posnaniensis.  Iacobo 
Kuchler  Hirsbergensi  autore. 

2)  „Occidit  heu  nimium  fato  praereptus  acerbo 

Heros,  Sarmatici  gloria  magna  soli, 
Eximia  praestans  virtute  Janusius  heros, 

Maxima  Kosletiae  lausque  decusque  domus. 
Quo  rectore  fuit  respublica  nostra  beata, 

Quo  sublato  eadem  non  leve  vulnus  habet. 
Namque  fuit  patriae  semper  Studiosus  honoris, 

Urbanae  custos  utilitatis  erat". 

3)  Unter  dem  7.  Februar  lesen  wir  in  derAVittenberger  Univer- 
sitatsmatrikel  Albertus  Camyenyetzki  generös,  dorn,  a  Camienetz 
et  Olestro,  Felix  Obricius  in  comitatu  eiusdem  domini,  unter  dem 
13.  April  lohannes  Camyenyetzki  gen.  et  magn.  d.  a  Camyenietz  et 
Olesco,  Martinus  Wczysitzki  Polonus  in  comitatu  eiusdem  domini. 
Ihr  Bruder  Stanislaus  hat  am  1.  December  1560  an  der  Königsberger 
Hochschule  sich  inskribieren  lassen.  Vergl.  auch  den  Brief  der 
Barbara  Kamieniecka  an  Herzog  Albrecht  vom  13.  April  1561. 

4)  Unter  der  Überschrift  „ad  illus.  et  magn.  dorn.  d.  lanusium  a 
Koscziclccz  avunculum  suum  dilectissimam  pie  in  Christo  defunctum 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Prcv.  Poseu.    Jahrg.  XX.  16 


242  Theodor  Wotschke. 

mit  polnischen  Studenten  sehen,  —  als  z.  B.  die  Söhne  des 
bekannten  Scharf enorter  Grafen  Jakob  Ostrorog  Wenzel  und 
Iohann  Oktober  1560  die  Wittenberger  Hochschule  verliessen, 
richtete  er  an  sie  ein  Abschiedsgedicht,  —  verfasste  dagegen 
eine  responsio  d.  Ianusii  a  Kosczielecz  auf  die  Klage  der 
Neffen1).  Zusammen  mit  diesen  Gedichten  erschien 
Kuchlers  Arbeit   bei  Lorenz  Schwenk  in  Wittenberg2). 

Trotz  seiner  Stellung  als  Sekretär  des  ersten  Beamten 
Grosspolens  scheint  Kuchler  in  Posen  in  keineswegs 
glänzenden  äusseren  Verhältnissen  gelebt  zu  haben.  Wahr- 
scheinlich hatte  sein  Schwiegervater,  der  Posener  Bürger 
Johann  Glaser,  mehr  Schulden  als  Besitz  hinterlassen, 
denn  gleich  nach  seinem  Tode  Anfang  1559  heben  Klagen 
beim  Stadtgericht  wider  Kuchler  an.  Er  hatte  das  Haus 
seines  Schwiegervaters  am  Ringe  mit  den  auf  ihn 
ruhenden  Lasten  übernommen  und  von  der  Witfrau 
Elisabeth  Stammet  deshalb  auf  Zahlung  eines  Zinses  von 
29  Gulden  verklagt,  stand  er  am  3.  März  1559  vor  dem  Rate8) 
und  wurde  am  7.  Juni  desselben  Jahres  zur  Zahlung  ver- 


Albertus   bezw.    Iohannes    Kamienieczky    a     Camieniecz."       Der 
Jüngere  klagt: 

„Te  nobis  fato  lugemus  avuncule  raptum, 

In  nos  cuius  erat  verä  paterna  fides, 
Quem  pia  Posna  dolet,  Siradia,  Sarmatis  ora, 
Ipse  etiam  Augustus  regia  sceptra  tenens. 
Sed  licet  extinctum  sit  corpus,  at  aethere  vivit 
Salva  tarnen  merito  mens  pie  Christe  tuo". 
*)    „Sistite  vos  pueri  lacrimas,  deponite  luctum. 

Vita  mihi  Christus,  mors  mihi  dulce  lucrum. 
IUius  ablutue  viciis  nunc  sanguine  vivo, 
Illius  estque  mihi  morte  redempta  salus". 

2)  Epicedion  in  funere  illustris  et  magnifici  domini  d.  Ianusii 
a  Kosczielecz  palatini  Siradiensis  Maioris  Poloniae  generalis  Naclen- 
sisque  capitanei,  qui  obiit  Posnaniae  8.  Decembris  anno  1564. 
Scriptum  Posnaniae  a  Iacobo  Kuchlero  Hirsbergensi  Silesio. 
Witesergae  excusum  a  Laurentio  Schwenk  anno  1565,  in  Quart 
ein  Bogen. 

3)  Vergl.  zu  dieser  und  zu  den  folgenden  Angaben  die  Posener 
Ratsakten  unter  den  genannten  Tagen. 


Jakob  Kuchler.  243 

urteilt1).     Aber   noch   am    12.  Juli    des  folgenden  Jahres 
m\isste    er    auf  Grund   einer  Klage  derselben  Witwe  vor 
dem  Rate  erscheinen.     Unter  dem  8.  August  und  5.  No- 
vember 1561  ward  er  auf  Grund  einer  Klage  der  Ältesten 
der  Fleischerinnung   vor   den  Rat  zitiert  und  am  24.  Ok- 
tober    desselben    Jahres    wegen     eines    dem    Schrodaer 
Altarherren   Stanislaus   zustehenden,    von   ihm   nicht  ge- 
zahlten   Zinses.     Am   4.  September  1563  erklären  ferner 
die  Erben  Johann    Glasers,   seine   vier   Söhne   Johannes, 
Andreas,  Petrus,  und  Stanislaus  und  seine  beiden  Töchter 
Anna     Katharina   und   Hedwig,   erstere   vertreten    durch 
ihren    Gatten    Kuchler,    dem    Danziger    Bürger  Nikolaus 
Schultz  200  Gulden  zu  schulden.     Die   wenig    günstigen 
Vermögensverhältnisse  Kuchlers  zu  Anfang  der  sechziger 
Jahre  brachten  es  mit  sich,   dass    er  die  Vertretung  Aus- 
wärtiger in  Posen  neben  seinem  Amte  übernahm,  so  Hess 
er    sich    am    30.  April    1561    zum    Bevollmächtigten   des 
Breslauer  Bürgers  Adam  Kanchaus  erklären. 

Nach    dem  Tode    des  Generalstarosten    Koscielecki 
musste  Kuchler  nach    einem  neuen  Amte   sich  umsehen,  \ 
und    es   glückte    ihm,  in  Danzig  die  angesehene  Stellung   I 
eines,  Stadtsekretärs   zu   erhalten.     Mitte  1565  mag  er  in  / 
seinen   neuen  Wirkungskreis  eingetreten  sein.    Auch  hier 
gab   er   manche  Probe   seiner   gewandten  Feder.    Unter 
dem   30.  Dezember   schrieb    er   für   seinen   ersten  Amts- 


!)  Das  Erkenntnis  des  Rates  zeigt,  welche  Einwendungen 
Kuchler  gegen  die  Zahlung  des  Zinses  erhoben  hatte.  Magister 
Kuchler-Schtametowna.  lus  docet  censum  omnem  supra  bonis  non 
supra  personis  obligari  solere,  domini  igitur  consules  innitentes  huic 
iuri  decreverunt,  quod  magister  Iacobus  Kuchlerus  censum  a  domina 
Schtamctowa  ex  vi  obligationis  petitum  et  super  domo  olim  Ioannis 
Glazcr,  quam  nunc  ipse  Iacobus  magister  nomine  uxoris  suae  tan- 
quam  legitimae  dictae  domus  cohaeredis  inhabitat,  ab  eo  tempore 
quo  domum  haric  inhabitare  coepit,  solvere  debet,  pro  censu  vero 
ab  annis  aliquot  de  dicta  domo  a  suo  antecessore  solvere  neglecto 
cum  aliis  cohaeredibus,  si  et  in  quantum  ad  dictam  domum  aliquid 
iuris  habere  videbitur,  de  sorte  sua  respondere  tenebitur.  Eam 
sententiam  pars  utraque  ratam  gratamque  suscepit.  Actum  feria 
quarta  post  octavas  corporis  Christi  1559. 

16» 


244  Theodor   Wotschke. 

genossen  Johann  Boccatius  das  Hochzeitsgedicht1),  und 
am  i.  Januar  1566  widmete  er  dem  Danziger  Rate  eine 
neue  Ausgabe  seiner  historia  Jonae  prophetae a)  mit  einem 
längeren  Zueignungsgedichte.  An  der  Jahreswende  bring . 
er  den  Ratsherren  die  üblichen  Wünsche  und  bittet,  als 
Neujahrsgabe  die  Muse  seiner  Jugend  hinzunehmen3). 

Das  weitere  Leben  unseres  Humanisten  hat  kein 
Interesse  mehr  für  uns,  in  Posen  begegnet  er  uns  nur 
noch  einmal  am  23.  März  1571,  als  er  seine  Schwägerin 
Hedwig  in  einer  Vermögensangelegenheit  vertritt.  Erwähnt 
sei,  dass  er  dem  Fürsten,  zu  dessen  Hochzeit  er  einst 
Erato  seine  Feder  führen  Hess,  dem  Herzog  Albrecht 
von  Proussen,  1568  auch  einen  Nachruf  widmete4).  Wie 
einst  in  dem  Epithalamion  preist  er  des  Herzogs  opfer- 
freudige    evangelische    Haltung,     weiter    aber    geht     er 

')  Epithalamion  de  nuptiis  ornatissimi  viri  doctrina  et  virtute 
praestantis  d.  Ioannis  Boccatii  inclytae  rei  publicae  Gedanensis  seoretarii 
et  honestissimae  virginis  EHzabethae,  filiae  honesti  pieque  defuncti 
Andreae  Cholaei  civis  Gedanensis.  Autore  Iacobo  Kuchlero  Hii\>- 
bergen.  Anno  1566  tertio  Calen.  Ianuarii.  Excusum  Gedani  a  Iacobo 
Rhodo,  in  Quart  ein  Bogen. 

2)  Historia  Ionae  prophetae  carmine  elegiaco  tractata  per  Ia- 
cobum  Kuchlerum  inclytae  rei  publicae  Gedanensis  secretarium 
amplissimo  ordini  senatorio  regiae  civitatis  Gedanensis  dedicata  anno 
ir»66  cal.  Ianuarii.  Excusa  Gedani  per  Iacobum  Rhodum,  in  Quart 
drei  Bogen. 

:<)  „Pauca  mea,  quaeso,  iuvenilia  carmina  Musae 
Accipite  ut  studii  pignora  certa  mei. 
Namque  sequi  cupiens  veteris  vestigia  moris, 

Tempore,  quo  Iani  primae  rediere  calendae, 
Exiguum  vobis  devoto  pectore  Carmen 
Offero  iudicio  scripta  probanda  pio. 

4)  Carmen  funebre  in  obitum  illustrissimi  principis  ac  domin» 
domini  Alberti  senioris  marchionis  Brandenburgensis,  Prussiae, 
Stetincnsium,  Pomeraniae,  Cassubiorum  et  Sclavorum  ducis,  bur- 
gravii  Norinbergensis,  Rugiae  principis  etc.,  qui  simul  cum  carissima 
coniuge  sua  domina  Anna  Maria  ex  illustri  et  vetere  ducum  Bruns- 
uicensium  familia  nata  ex  hac  mortali  vita  decessit  13.  calend. 
Aprilis  anno  aetatis  suae  78.  Scriptum  a  Jacobo  Cuchlero  Hirs- 
bergen, rei  publicae  Gedanensis  secretario.  Dantisci  exeudebat  la- 
cobus  Rhodus  anno  domini  1568.    In  Quart  H/2  Bogen. 


Jakob  Kuchler.  245 

die  ganze  lange  Herrscherzeit  des  edlen  Fürsten  durch  und 
weist  in  allem  den  Segen  seiner  Regierung  nach.  Selbst- 
verständlich ist  es  für  unseren  Humanisten,  besonders  bei 
der  Gründung  der  Königsberger  Universität  und  der 
Förderung  der  Wissenschaften  durch  Albrecht  überhaupt 
zu  verweilen,  wie  bei  der  Schutzherrschaft,  die  der  edle 
Hohenzoller  über  alle  verfolgten  Evangelischen  des  Ostens 
ausgeübt  hat1).  Nach  Kuchlers  früherem  Wirkungskreise, 
nach  Posen,  führt  noch  eins  seiner  Gedichte  zurück,  das 
Carmen  auf  die  verstorbene  Schwester  seiner  ehemaligen 
Zöglinge  Katharina  von  Gorka,  das  er  diesen,  den  drei 
Grafen  Gorka,  in  alter  Anhänglichkeit  widmete2). 
Schliesslich  sei  noch  eines  Hochzeitsgedichtes  gedacht, 
das  unseren  Humanisten  die  Verbindungen,  die  er  in 
Danzig  mit  westpreussischen  Magnaten  angeknüpft  hatte, 
schreiben  Hessen,  und  das  zu  Ehren  des  Stuhmer  Starosten 
Christoph  von  Zemen  verfasst  ist8). 

Zweifellos  sind  die  besprochenen  Dichtungen  Kuchlers 
nur  die  Reste  eines  viel  reicheren  poetischen  Schaffens. 
In  dem  ersten  Briefe  an  einen  Königsberger  Jugend- 
freund    hörten    wir     ihn     selbst    von    einem    jetzt    ver- 

*)  „Ille  piis  columen  miseris  quoque  dulce  levamen 
Exulibus,  Christum  qui  profitentur,  erat. 
Curebant  ad  eum  longis  e  finibus  omnes 

Artibus  in  sign  es  et  pietate  viri, 
Quos  nunquam  vaeuos  a  se  dimisit  adauetos, 
Sed  iuvit  prompta  munificaque  manu4'. 
2)  Carmen    funebre    in   obitum   magnificae  omnique  virtutum 
genere  ornatissimae   dominae   d.    Catharinae   ex    illustri   com i tum  a 
Gorka   familia   natae    magnifici   domini    Rafaelis  a  Dzialin  castellani 
Brzestensis  Covaliensisque    capitanei    pientissimae    coniugis.     Anno 
Christi  incamati  1570. 

a)  Epithalamion  de  nuptiis  magnifici  domini  genere,  doctrina, 
virtute  et  sapientia  praestantis  domini  Christof feri  a  Zema  Meven. 
Stumen.  Hollandesisque  capitanei  haeredis  in  Christburgk  etc.  et 
nobilissimae  et  ornatissimae  virginis  Gertrudis  Krachtin  sponsae. 
Scriptum  a  Iacobo  Kuchlero  inelytae  rei  publicae  Gedanen.  secretario. 
Accessit  Elegia  de  iisdem  nuptiis  ab  Achatio  Cureo  Marienburgense 
in  honorem  sponsi  et  familiae  Zemianae  nobilissimae  scripta.  Anno  \ 
domini  1567.     Excusum  Dantisci  a  Iacobo  Rhodo. 


246  Theodor  Wotschkc. 

lorenen  Carmen  sprechen.  Er  wird  der  Poet  der 
Gorkaschen  Familie  gewesen  sein  und  alles,  was  ihr  Herz 
in  Freud  oder  Leid  bewegte,  in  seinen  Liedern  haben 
wiederklingen  lassen.  Auch  dem  Generalstarosten  Andreas 
Gorka  mag  er  Dezember  1551  ein  Epicedion  gewidmet 
haben  und  später  allen  seinen  Kindern  Epithalamien. 
Selbstverständlich  ist  es  wohl  auch,  dass  er  nach  dem 
Jahre  1551  in  kleinen  didaktischen  halb  lyrischen  Ge- 
dichten sein  religiöses  Denken  und  Empfinden  hat 
ausströmen  lassen,  obwohl  wir  näheres  hiervon  nicht 
wissen.  Die  Vernichtung,  welcher  die  älteste  evangelische 
Literatur  in  Polen  zum  Opfer  gefallen  ist,  hat  auch 
Kuchlers  Schriften  getroffen.  Sodann  aber  mag  auch  nicht 
alles,  was  seine  gewandte  Feder  zu  Papier  brachte,  ge- 
druckt worden  sein.  Noch  hatte  Posen  keine  Presse,  und 
was  unser  Latinist  hier  gern  in  die  Druckerei  gegeben 
hätte,  wird  er  schon  mit  Rücksicht  auf  die  höheren  Kosten 
nicht  nach  Königsberg,  Breslau  oder  Wittenberg  haben 
senden  wollen.  Wohl  druckte  seit  1558  Augezdecki  in 
Samter,  aber  schon  seit  Sommer  1560  war  seine  Offizin 
durch  die  Ausgabe  des  grossen  böhmischen  Brüdergesang- 
buches vollständig  in  Anspruch  genommen,  und  bald  nach 
dessen  Erscheinen  am  6.  Juni1)  1561  mag  der  böhmische 
Typograph  seine  Tätigkeit  in  Samter  eingestellt  haben2). 
Es  ist  bemerkenswert,  dass  wir  von  Kuchler  meist  nur 
Epithalamien     und    Epicedien     besitzen,    bei    denen    die 


1)  So  die  Angabe  im  Gesangbuche  selbst.  Nach  dem  Briefe 
des  Grafen  Lukas  Gorka,  den  er  Samter,  Pfingsten,  also  den 
25.  Mai  1561  an  den  Senior  Johann  Niger  (Czerni)  richtete,  wäre 
freilich  der  Druck  schon  vierzehn  Tage  vorher  abgeschlossen  gewesen. 

2)  Erst  1565  taucht  Augezdecki  wieder  in  Leitomischel  auf,  in 
diesem  Jahre  gibt  er  die  Chronik  des  Michael  Konstantinovic  von 
Ostrovic  heraus,  zusammen  mit  einer  alten  Flugschrift  „Feldzug  gegen 
die  Türken".  Man  kann  daraus,  wie  ich  es  Z.  H.  Ges.  Pos.  XVIII, 
S.  128  getan  habe,  schliessen,  dass  er  bis  zum  Tode  seines  Ver- 
folgers, des  Kaisers  Ferdinand  L,  in  Samter  geblieben  sei.  Indessen 
gibt  es  zu  denken  und  spricht  für  ein  früheres  Verlassen  der  Stadt 
seitens  des  Böhmen,  dass  aus  den  Jahren  1562 — 1564  kein  einziger 
Druck  aus  Samter  vorliegt. 


Jakob  Kuchler.  247 

Familien,  denen  sie  galten,  die  Druckkosten  getragen 
haben  werden.  Aber  sehen  wir  von  dem  zweifellos  viel 
reicheren  dichterischen  Schaffen  Kuchlers  ab,  seine  uns 
bekannten  Carmina  zwingen  bereits,  ihn  als  den  be- 
deutendsten Latinisten  Posens  zu  bezeichnen,  hinter  dem 
die  anderen,  denen  wir  lateinische  Verse  verdanken,  die 
Arzte  Stanislaus  Niger  und  Joseph  Struthius,  zurückstehen 
müssen.  Über  die  gesamte  neulateinische  Dichtimg  ist 
die  moderne  nationale  Entwickelung  hinweggegangen; 
der  Humanisten  grösster  Stolz,  in  die  klassischen  Verse 
der  Antike  die  eigenen  Gedanken  zu  fassen,  gilt  uns 
heute  als  unfruchtbare,  tote  Arbeit.  Die  Namen  selbst  der 
grössten  Latinisten  sind  im  ganzen  vergessen,  gehören 
nur  noch  der  Geschichte  der  philologischen  Wissenschaften 
an.  Aber  wie  sie  in  ihr  mit  Recht  einen  Platz  behaupten, 
so  verdient  auch  Kuchlers  Gedächtnis  festgehalten  zu 
werden  von  der  Geschichte  der  Stadt  und  Provinz  Posen. 


Aus  den  Posener  Stadtrechnungen, 
besonders  des  XVI.  Jahrhunderts. 

Von 
Adolf  Warschauer. 

s  ist  längst  erkannt,   dass  alte  Rechnungen   trotz    Sudt- 
ihres  aus  kurzen,  trockenen  Notizen  und  Zahlen  rechnttn 
bestehenden  Inhalts  eine  ergibige  Quelle  für  die  ?*n*. 
Kenntnis  vergangener  Zeiten  sind.    Besonders  alte  Stadt-     sche 
rechnungen  sind  aus  diesem  Grunde  vielfach  veröffentlicht  Quellen, 
worden  und   bilden   einen    wesentlichen  Teil  des   festen 
Fundaments,  auf  dem  unser  Wissen  von  der  Geschichte, 
der  Verfassung    und    der    Wirtschaftsführung   der    alten 
Städte  ruht. 

Es  ist  freilich  ein  vielfach  wissenschaftlich  schwer 
zu  bewältigendes  Material,  das  die  Rechnungen  bieten. 
Zu  der  Redseligkeit  und  Weitschweifigkeit  der  alten  Ur- 
kundensprache stehen  sie  mit  ihrer  nur  andeutenden  Kürze 
in  scharfem  Gegensatze.  Häufig  ergibig  und  aufschluss- 
reich, wo  es  kaum  zu  erwarten  gewesen  wäre,  lassen  sie 
den  Geschichtsfreund  manchmal  da  im  Stich,  wo  eine 
etwas  grössere  Gesprächigkeit  des  Stadtschreibers  schwer 
empfundene  Lücken  hätte  ausfüllen  und  zerrissene  Zu- 
sammenhänge hätte  verknüpfen  können.  Wo  andere 
Quellen  mangeln,  reizt  ihre  Kürze  stellenweise  die  Wiss- 
begierde mehr  als  sie  sie  befriedigt,  und    sie    haben   der 


250  Adolf  Warschauer. 

Forschung   manches   Rätsel   aufgegeben,   dessen    Lösung 
schwer  zu  finden  sein  dürfte. 

Die  Alles  dies  gilt  auch  von  den  Rechnungen  der  Stadt 

Posener  posen  auf  deren  für  die  Geschichte  der  Stadt  bedeutsamen 
nnneen  ^^^  die  folgenden  Mitteilungen  deshalb  aufmerksam 
machen  wollen,  weil  Lukaszewicz  in  seinem  bekannten 
Buche :  „Historisch-statistisches  Bild  der  Stadt  Posen"  diese 
Quelle  der  städtischen  Geschichte  fast  vollständig  vernach- 
lässigt hat. 

Von  allen  Städten  in  der  heutigen  Provinz  Posen 
besitzt  das  städtische  Archiv  der  Provinzialhauptstadt  die 
ältesten  und  zahlreichsten  Stadtrechnungen1).  Auch  an 
Vielseitigkeit  und  Bedeutung  des  Inhalts  übertreffen  sie 
in  Folge  der  politisch  und  wirtschaftlich  hervorragenden 
Stellung  der  Stadt  die  andern  noch  vorhandenen  Stadt- 
rechnungen bedeutend.  Besonders  bilden  die  zahlreichen 
sorgsam  geführten  Rechnungen  aus  dem  16.  und  dem 
Anfang  des  17.  Jahrhundert,  der  Blütezeit  der  Stadt,  in 
der  sie  nach  dem  Urteile  ihres  damaligen  Stadtschreibers 
an  Glanz  mit  den  Städten  Deutschlands,  ja  Italiens  wett- 
eifern konnte,  einen  kostbaren  kulturhistorischen  Schatz, 
der  freilich  grade  seiner  Reichhaltigkeit  wegen  kaum  je- 
mals der  Öffentlichkeit  durch  den  Druck  wird  vollständig 
übergeben  werden  können. 

Durchblättert  man  diese  dünnen  meist  in  Pergament 
gebundenen  Heftchen,  deren  zierliche  klare  Schrift  und 
übersichtliche  Anordnung  schon  äusserlich  den  Geist  der 
Ordnung  und  straffen  Verwaltung  des  damaligen  Stadt- 
wesens erkennen  lassen,  so  steigt  uns  das  Bild  einer 
städtischen  Gemeinde  empor,  die  zwar  räumlich  und  geld- 
wirtschaftlich sich  in  ziemlich  engen  Schranken  zu  halten 
hatte,  aber  über  die  kleinlichen  Sorgen  des  täglichen 
Lebens  hinaus  doch  auch  für  die  Ehre  und  das  Ansehen 


J)  Die  ältesten  Stadtrechnungen  von  1493 — 07  sind  veröffentlicht 
in  dem  Stadtbuch  von  Posen  Bd.  I  S.  345—436.  Ober  die  vor- 
handenen Rechnungen  siehe  ebenda  Einleitung  S.  25  ff. 


k 


Posencr  Stadtrechnungen  des  XVI.  Jahrhunderts.  251 

der  Stadt  zu  arbeiten  verstand.  Von  gebildeten, 
zeitweise  sogar  von  gelehrten  Männern  geleitet, 
hielt  die  Stadt  ihren  Säckel  auch  für  die  idealen 
Interessen  geöffnet,  und  wie  sie  durch  den  grossen 
Um-  und  Erweiterungsbau  ihres  Rathauses  sich  ein 
Kleinod  der  Kunst  zu  erwerben  wusste,  so  förderte 
sie  auch  nach  Möglichkeit  Wissenschaft  und  Literatur 
und  übte  dem  Sinne  der  Zeit  entsprechend 
Werke  der  Wohltätigkeit  und  Frömmigkeit.  Charak- 
teristisch für  den  späteren  Verfall  der  Stadt  seit 
der  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  ist  ebenso  die 
Nachlässigkeit,  die  in  dieser  Zeit  bei  der  Führung 
der  städtischen  Rechnungen  einriss,  als  deren 
magerer  Inhalt,  der  zeigt,  dass  die  Bürger  der  ver- 
armten Stadt  weder  Mittel  noch  Sinn  für  die 
Befriedigung  von  Bedürfnissen  über  die  nackte  Not- 
durft des  Daseins  hinaus  besassen. 

Eine  ernste  politische  Rolle  spielte  freilich  die  Stadt  Gesandt- 
Posen  auch  im  15.  und  16.  Jahrhundert  nicht  mehr.  Die  scna*ten 
Rechnungen  zeigen  nicht  regelmässige  Posten  für  die  ^n.  ,c 
Besoldung  städtischer  Vertreter  beim  polnischen  Reichs-  UgC 
tage,  vielmehr  scheint  es,  dass  die  allerdings  zahl- 
reichen und  nicht  wenig  kostspieligen  Gesandt- 
schaften, die  die  Stadt  an  den  Reichstag  und 
den  König  schickte,  gewöhnlich  ganz  bestimmte 
Aufträge  zu  erfüllen  hatten,  die  freilich  in  den 
Rechnungen  meist  nicht  bezeichnet  sind.  Im  Jahre  1494 
gingen  mehrere  Ratsherren  nach  Krakau  und 
erhielten  für  ein  Pferd  7  Gld.  und  für  •  ihre 
Auslagen  in  Krakau  selbst  20  Mark  ausser  einigen 
kleineren  Summen  für  die  Dienerschaft.  Gesandte, 
die  um  Weihnachten  1497  an  den  König  nach  Lowicz 
geschickt  wurde,  kosteten  nur  11V2  Mark.  Der  Patrizier 
Held,  der  1498  zum  König  ging,  liquidierte  sogar  nur 
2V2  Gr.  für  Bromberger  Bier.  Manchmal  begnügte  man 
sich  damit,  den  Stadtschreiber  als  Gesandten  zum  Reichs- 
tag zu  entsenden,  so  1501  nach  Petrikau,  und  zahlte  ihm 
hierfür   4  Mark.    Mehrere   Gesandtschaften,   die    in   dem 


252  Adolf  Warschauer. 

Rechnungsjahre1)  1546/47  nach  Krakau  gingen  und  der 
Stadtkasse  nicht  unbedeutende  Ausgaben  verursachten, 
waren  durch  einen  grossen  Streit  veranlasst  worden,  in 
den  die  Posener  mit  den  Kalischern  wegen  verweigerter 
Gefangennahme  des  Juden  Jacob  Lisz}'  (d.  i.  der  Kahle) 
aus  Koschmin  geraten  waren.  In  demselben  Rechnungs- 
jahre ging  ein  städtischer  Bote  mit  einem  Briefe  nach 
Krakau,  worin  um  Befreiung  von  der  Teilnahme  am 
Kriegszuge  gebeten  wurde.  In  dem  Jahre  der  Thron- 
besteigung des  Königs  Sigismund  August  gingen  städ- 
tische Boten  mit  einer  Reisezehrung  von  100  Gulden 
nach  Petrikau,  um  den  König  einzuladen2).  Die  ungeheuren 
Kosten,  welche  in  demselben  Rechnungsjahre  Gesandte 
nach  Krakau  verursachten,  scheinen  durch  die  bei  dem 
Regierungswechsel  notwendig  gewordene  Betreibung 
der  Bestätigung  der  alten  städtischen  Rechte  ent- 
standen zu  sein.  Es  kam  wohl  auch  vor,  dass 
die  Stadt,  die  sich  sonst  mit  den  Juden  nicht  am 
Besten  stand,  einer  städtischen  Gesandtschaft  den 
Auftrag  mitgab,  auch  für  die  Wahrung  der  Frei- 
heiten der  Juden  vorstellig  zu  werden.  Dies  geschah 
im  Herbst  1569,  als  eine  städtische  Gesandtschaft 
an  den  Reichstag  nach  Lublin  ging,  sie  wurde  von 
den  Juden  mit  50  Gulden  bezahlt.  Einige  Posten  der  Stadt- 
rechnungen zeigen  auch,  wie  für  die  materiellen  Bedürfnisse 
solcher  städtischen  Reichstags-Gesandtschaften  gesorgt 
wurde.  Posener  Gesandten,  die  1566  nach  Lublin  gingen, 
wurde  eine  Köchin  mitgegeben,  die  nach  ihrer  Rückkehr 
für  ihre  Mühewaltung  von  dem  Rate  mit  6  Gld.  18  Gr. 
belohnt  wurde.  In  Petrikau,  wo  der  Reichstag  häufig 
stattfand  und  später  die  Prozesse  in  letzter  Instanz  vor  dem 
Hofgericht  entschieden  wurden,  besass  die  Stadt  Posen 


J)  Das  Rechnungsjahr  lief  etwa  von  Michaelis  bis  Michaelis. 
Alle  Ausgabeposten  sind  für  den  Sonntag  gebucht.  Dies  ist  offenbar 
immer  der  Sonntag,  der  dem  wirklichen  Zahltage  folgte. 

2)  1548  Dominica  ante  diem  s.  Valentini  persolvimus  nunciis, 
qui  Peterkoviam  regis  invitandi  causa  missi  fuerant,  expensam  ad 
iter  hoc  datam  100  fl. 


Posener  Stadtrechnungen  des  XVI.  Jahrhunderts.  253 

im      16.     Jahrhundert     ein    Haus,     offenbar     doch    wohl, 
villi       den     vielen     städtischen     Sendboten      ein     Unter- 
kommen zu  gewähren.     Die  Stadtrechnung   von   1559/60 
notiert     für    einen    Bauer,    der    das    städtische    Grund- 
stück    in    Petrikau    bewohnte,    eine    Entschädigung    von 
4      Gld.     12     Gr.       Im    Jahre     1588     muss     die     Stadt 
dieses      Grundstück     bereits     verkauft     haben,     da     die 
Stadtrechnung    dieses    Jahres    den  Rest    des  Kaufgeldes 
unter  den  Einnahmen  aufführt. 

Ebensowenig    wie    an    den    Reichstag    schickte    die   An  die 
Stadt  regelmässig  Gesandte  an  den  grosspolnischen  Land-     Land- 
tag    zu    Schroda.     In    den    Rechnungen    kommen    wohl     tage* 
einige  Posten  für  Sendboten  nach  Schroda  vor,  wie  am 
7.    Dezember    1533  und  Mitte  15481),  aber  wenn    es  sich 
hier   überhaupt  um  den  Landtag   handelt,   so   hatten   die 
städtischen   Abgesandten  doch    gewiss  keinen  Zutritt   zu 
den    Beratungen,    sondern    waren     nur    zur    Erledigung 
gewisser  Aufträge  da.     Wahrscheinlich  bedienten  sie  sich 
hierzu  der  Vermittelung  des  Generalstarosten  von  Gross- 
polen.    Im    17.  Jahrhundert    sparte    man  die  Kosten  für 
die    Gesandtschaft   auch    in    solchen    Fällen.     Die    Stadt- 
rechnung vom  16.  Januar  1621  notiert  eine  Ehrengabe  von 
200  Gulden  an  den  Generalstarosten  zur  Förderung  der 
Angelegenheit  der  Stadt  auf  dem  Landtage  zu  Schroda 
bei  der  Abgabe    des  vierten    Groschens   und    damit   die 
Abschätzung  der  Handwerkererzeugnisse  nicht  ungerecht 
erfolge. 

Die  Rechnungen  erzählen  auch  sonst  von  Gesandt- 
schaften an  hohe  Beamte,  Militärs,  Kirchenfürsten  mit 
bestimmten  Aufträgen,  deren  einzelne  Aufführung  hier 
zu  tief  in  die  Einzelheiten  der  städtischen  Verwaltungs- 
geschichte führen  würde.  Im  Juni  1499  reiste  der  ganze 
Rat  als  Gesandtschaft   nach    Gnesen    und    erhielt   dafür 


l)  1548  Dominica  a.  Marg.:  Item  vectori  eunti  cum  notario 
scabinorum  ad  Srzoda  in  causa  Turcorum  hie  proclamatorum  ad 
mag.  d.  Pozn.  (d.  i.  den  Kastellan  von  Posen  und  Generalstarosten 
von  Grosspolen)  12  gr. 


254  Adolf  Warschauer. 

3  Mark  weniger  3  Gr.  Zum  24.  Dezember  1594  giebt 
die  Rechnung  eine  Notiz  über  einen  Bürger,  der  auf  einer 
Reise  zu  dem  Erzbischof  von  Gnesen  im  Interesse  der 
Stadt  sich  überangestrengt  habe  und  in  Folge  davon 
gestorben  sei.  Merkwürdig  ist  ein  kleiner  Geld- 
posten, der  am  16.  Mai  1546  der  Gattin  des  Schöffen- 
schreibers gezahlt  wurde,  während  ihr  Mann  sich  in 
Breslau  bei  dem  römischen  König  in  städtischen 
Geschäften  aufhielt 

Ehren-  Von  Interesse  wegen  ihres  Zusammenhanges  mit  der 

ausgab  allgemeinen  Landesgeschichte  sind  auch  die  Ausgaben, 
.  c  die  die  Stadt  zur  Ehrung  hochstehender  oder  einfluss- 
liche    reicher  Persönlichkeiten  leistete,  sei  es,  dass  es  sich  um 

Familie,  kostbare  Geschenke  an  Abwesende  oder  um  Bewirtung 
oder  feierliche  Veranstaltungen  für  gelegendich  Anwesende 
oder  Durchreisende  handelte.  Die  Anwesenheit  des 
Landesherrn  hat  wohl  erst  seit  dem  16.  Jahrhundert  als 
eine  besondere  Feierlichkeit  und  demzufolge  Ausgaben 
erfordernde  Angelegenheit  gegolten.  Die  ersten  Jagiellonen 
reisten  noch  sehr  viel  im  Lande  herum,  vornehmlich,  um 
persönlich  den  grossen  Landgerichtstagen  vorzusitzen 
und  so  wurde  ihr  Besuch  in  der  grosspolnischen 
Hauptstadt  auch  nicht  als  eine  die  Gemeinde  auszeichnende 
Ehrung  empfunden.  Es  konnte  vielmehr  vorkommen, 
dass  man  den  bei  solchen  Gelegenheiten  unvermeidlichen 
Zustrom  von  Edelleuten  und  fremden  Elementen  aller  Art 
als  Last  und  Gefahr  empfand1).  Dagegen  war  es  bereits 
um  diese  Zeit  Brauch,  den  Landesherrn  und  seine 
nächsten  Angehörigen  durch  kostbare  Geschenke  bei 
passender  Gelegenheit  zu  ehren.  So  erwähnt  schon  eine 
der  ältesten  Rechnungen  vom  9.  März  1494  eine  Summe 
von  39  Mark  30  Gr.,  die  an  Saffran  und  Malvasierwein  für 
den  König  aufgewandt  wurde,  der  sich  damals  vielleicht 
in  Posen  befand.  Gingen  Gesandte  an  den  Hof,  so 
bekamen   sie  gewöhnlich  irgend  welche  Ehrengaben  für 

x)  Lukaszewicz,  Historisch-statistisches  Bild  der  Stadt  Posen, 
Bd.  n  S.  192. 


Posener  Stadtrechnungen  des  XVI.  Jahrhunderts.  255 

den  König  mit,  wie  Saffran  oder  Butter  (1498),  für 
welche  1  Mark  4  Gr.  ausgegeben  wurde,  oder  Tuch 
(1499).  Im  Jahre  1497,  als  —  wie  noch  unten  erwähnt 
werden  wird  —  die  Stadt  zum  Wallachischen  Krieg 
grosse  Aufwendungen  machte,  verehrte  sie  auch  der 
Königin  Mutter  und  ihrem  Hof,  die  in  Polen  zurück- 
geblieben waren,  kostbare  Geschenke:  nämlich  der 
Königin  selbst  einen  Becher  für  24  Gld.,  ferner  ihr 
und  ihren  Damen  Leinwand  für  22  Gld.  und  dem 
Kardinal  Erzbischof  von  Gnesen,  Friedrich  Jagiellonczyk, 
dem  Bruder  des  Königs,  ebenfalls  einen  Becher 
für  40  Ungarische  Gulden  und  ein  Fass  Malvasier- 
wein  für  9  Ung.  Gulden.  Am  Sonntag  Reminis- 
cere  1548  bezahlte  die  Stadt  dem  Goldschmied 
Andreas  Gozdz  zum  Ankauf  von  Silber  für  Becher, 
die  dem  jungen  König  Sigismund  August  geschenkt 
werden  sollten,  wenn  er  zur  Leitung  des  Reiches 
berufen  werden  würde,  die  Summe  von  108  Gld. 
29  Gr.  Kurze  Zeit  darauf  wurden  80  Gld.  für 
einen  seiner  Gemahlin  Barbara  geschenkten  Becher 
bezahlt.  Es  scheint,  dass  die  oben  erwähnte  in 
diesem  Jahre  nach  Pctrikau  abgeordnete  Gesandt- 
schaft, die  den  König  einladen  sollte,  die  Becher 
ihm  und  seiner  Gemahlin  überreicht  hat  Im  Auf- 
trage des  königlichen  Hauses  unter  Sigismund 
August  ist  wohl  ein  kleiner  Posten  für  die  städ- 
tischen Fuhrleute  von  Sonntag  Invocavit  1572 
gezahlt  worden,  die  den  Schatz  der  Herzogin  von 
Braunschweig  nach  Meseritz  führten. 

Der  erste  König,  für  dessen  Einzug  die 
Rechnungen  Ausgaben  nachweisen,  ist  Heinrich  von 
Valois.  Am  Sonntag,  den  12.  Juli  1573  wurde  für 
seine  „Redner",  den  Bischof  und  Abt,  bei  ihrer 
Ankunft  in  Posen  ein  Geldgeschenk  von  14  Gld. 
16  Den.  gebucht.  Schon  vorher,  am  21.  Juni, 
wurden  Trompeter  bezahlt,  die  bei  der  Ankunft  des 
Gesandten  des  Königs  blasen  sollten.  Vom  19.  Juli  an  be- 
ginnen dann  die  Ausgaben  für  den  erwarteten  Einzug  des 


256  Adolf  Warschauer. 

Königs  selbst.  Es  wurde  eine  Triumphpforte  gebaut1), 
die  Breslauerstrasse  besonders  mit  verschiedenfarbigem 
Tuch  geschmückt,  wozu  die  Juden  eine  Beisteuer 
geben  mussten,  dem  einziehenden  König  brachte 
man  die  Schlüssel  der  Stadt  entgegen.  Zur 
Krönung  des  Königs,  die  in  Krakau  stattfand, 
wurde  der  Bürgermeister,  ein  Ratsherr  und  der 
Stadtschreiber  entsandt  und  ein  silbernes  vergoldetes 
Becken  mit  einer  Giesskanne  überreicht,  das  von 
dem  Posener  Goldschmied  Johann  Glaser  hergestellt 
war  und  705  Gld.  15  Gr.  kostete.  Zahlreich  sind  die 
Ehrenausgaben,  welche  die  Stadt  für  die  Person  Sigis- 
munds  III.  leistete.  Im  Jahre  1592  schenkte  sie  ihm  zu 
seiner  Hochzeit  ein  Becken  aus  Silber  und  Hess  es  durch 
eine  besondere  Gesandtschaft  überreichen.  Im  September 
1594  wurden  Arbeiter  bezahlt,  die  „verschiedene  und  viele 
Arbeit  für  die  Ankunft  des  Königs"  leisteten.  Im 
Januar  1598  wurden  Ausgaben  gebucht  für  die  Bewirtung 
der  Erzherzogin  Anna  von  Österreich,  der  Gemahlin  des 
Königs.  Der  Besuch  des  Königs  und  der  Königin  im 
Jahre  1623  machte  wiederum  Ausgaben  für  Ausschmücken 
der  Strassen,  Bau  eines  Triumphbogens,  Malereien  usw. 
nötig.  Aus  späterer  Zeit,  in  der  die  grössere  Lücken- 
haftigkeit der  Stadtrechnungen  die  Fürstenbesuche  nicht 
mehr  regelmässig  zu  verfolgen  gestattet,  seien  die  Aus- 
gaben für  den  Aufenthalt  der  Gemahlin  des  Königs 
Stanislaus  Leszczynski  im  November  und  Dezember  1705, 
für  die  eine  besondere  Küche  in  Posen  eingerichtet  wurde, 
hervorgehoben,  so  wie  die  bedeutenden  Ausgaben  für 
das  Gefolge  ihres  Gatten  im  Anfang  des  Jahres  1706. 
Die  Besuche  Augusts  III.  in  den  Jahren  1750  und  1752 
sind  nur  durch  kleine  Ausgaben  für  Musik  in  den 
Rechnungen  bezeichnet. 
Für  Fremde  Fürsten,  die  sich  vorübergehend   in  Posen 

andere   aufhielten,    wurden    gastlich     bewirtet.     So    haben    die 

durch-    Besuche    Herzogs   Albrecht    von   Preussen,    die    für    die 
reisende 
Fürstlich- 

'ten  ^         mstaurandum  tnumphum. 


Posener  Stadtrechnungen  des  XVI.  Jahrhunderts.  257 

eformatorische    Bewegung    in    Posen    so    einflussreich 
;ewesen  sind,  auch  in  den  Stadtrechnungen  ihre  Spuren 
unterlassen.      Am    1.  Oktober  1536   wurden    dem    vom 
Herzog  nach  Preussen  als  Boten  abgehenden  Conrad  von 
Afath  —  einem  Posener  Bürger  —  2  Gulden  ausgehändigt 
^m  22.  Oktober  wurde  für  den  Herzog  selbst  ein  Geschenk 
von  6  Krügen  (vasa)  Bier  mit2Gld.  9Gr.  und  am  s.November 
eine  Gabe  von  6  Flaschen  (ollae)  Wein  mit  40  Gr.  in  Ausgabe 
gestellt.     Auch    im  Jahre    1545    scheint    der    Herzog    in 
Posen      geweilt     zu      haben,      denn     es      wurden     am 
3.      Oktober     Tagelöhnern,     die     die     Küche     für     ihn 
aufstellten,      12     Gr.     bezahlt.      Für     den     Markgrafen 
von    Baden,   den    Vetter    (frater  amitinus)   des   Königs1), 
wurden  am    7.  August   1588  an  Fischen,  Malvasier  und 
Ungarwein  14  Gld.  25  Gr.  verausgabt    In  demselben  Jahre 
wurde  am  23.  Oktober  für  den  Grafen  Erich    .    .    . a)  zu 
demselben  Zweck  die  Summe  von  16  Gld.  22  Gr.  in  Aus- 
gabe gestellt,  auch  wurden  ihm  200  Gld.  aus  der  königlichen 
Kontribution  der  Stadt  als  Geschenk  des  Königs  von  dem 
Magistrat   gezahlt.    Am   n.   April    1620   wurde   für   den 
Erzherzog  Karl,  den  Bruder  des  Kaisers,  und  den  Grafen 
von  Altein,  die  sich  in  Posen  wohl  auf  der  Durchreise 
im  Auftrage    des   Kaisers    aufhielten,    in   ihrer  Herberge 
die  Summe   von   8  Gld.   bezahlt.     Endlich   ist  noch   der 
Besuch     des     Zaren     Peters     des     Grossen     während 
des  nordischen  Krieges  im  Jahre  171 1  zu  erwähnen.     Für 
ihn  wurden  am  5.  November  53  Gld.  3  Den.   zu  Gläsern 
verwandt,  der  zu  ihnen  gehörige  Wein  kostete  443  Gld. 
10  Gr.    Sonst  wurden  noch  die  Trompeter  für  die  städ- 
tische Kavalkade,  die  den  Zaren  begrüsste,  am  17.  November 
mit  10  Gld.  besoldet.    Die  letzte  für  diesen  Besuch  ver- 
ausgabte Summe    sind    die   am   26.  Dezember  gebuchten 
57  Gld.  zu  Lichtern  für  den  Zarewitsch. 


*)  Der  Markgraf  Christoph  von  Baden  hatte  1564  Caecilie,  die 
Tochter  Gustavs  I.  von  Schweden,  also  die  Tante  des  späteren 
polnischen  Königs  Sigismund  HL,  geheiratet 

2)  Ohne  nähere  Angabe. 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XX.  17 


258  Adolf  Warschauer. 

Für  Auch  der  Kardinal  Bischof   von    Ermeland    Hosius 

Homos.  wurcje  bei  gelegentlicher  Anwesenheit  in  Posen  im  Jahre 
1564  wie  ein  Fürst  mit  16  Flaschen  Ungarwein  bewirtet,, 
für  die  am  6.  Februar  8  Gld.  16  Gr.  bezahlt  wurden,  und 
sein  Mitstreiter  für  die  Gegenreformation  der  berühmte  Get- 
lehrte  Martin  Kromer,  damals  Koadjutor  des  Bistums 
Ermeland,  wurde  als  königlicher  Gesandter  bei  seiner 
Durchreise  mit  „Wein  und  anderen  Dingen"  beschenkt,  für 
die  am  Sonntag  vor  Neujahr  157 1  ein  Posten  von  10  Gld. 
gebucht  wurde.  Ebenso  wurden  am  8.  April  1590  für  den 
Herrn  Herborth *),  der  als  Gesandter  an  den  Kaiser  Posen 
durchreiste,  an  Fischen  und  Wein  4  Gld.  10  Gr.  verausgabt 
Bei   weniger  vornehmen   Gesandten,   die   die   Stadt   be- 

Ftr  rührten,  sparte  man  die  Ehrenausgaben,  zu  denen  man 
durch-  nicht  verpflichtet  war,  sondern  begnügte  sich  mit  den 
reisende  Beförderungskosten,  deren  Tragung  dem  Magistrat  oblag. 
'So  wurden  am  28.  Mai  1564  an  drei  Fuhrleute,  die  den 
Herrn  Grabowiecki,  der  als  Gesandter  des  Königs  von 
Polen  aus  Deutschland  zurückkehrte2),  nach  Masovien 
brachten  12  Gld.  8  Gr.  und  1623  einem  Abgesandten 
des  Königs  an  Wallenstein  10  Gld.  bezahlt  Dagegen 
wurden  bürgerliche  Gesandschaften  naturgemäss  in 
kollegialischem  Sinne  bewirtet,  wie  1568  Kostener 
Bürger,  die  nach  Posen  kamen,  um  wegen  Ver- 
brennung eines  Tempelschänders  zu  verhandeln,  mit 
4  Krügen  Ungarwein. 

Ehren-  Auch  den  hohen  Landesbeamten,  von  deren  Wohl- 

gaben für  wouen  trotz  der  privilegienmässig  eximierten  Rechtsstellung 
General*  ^er  Stadt  doch  häufig   ihr  Wohlergehen  abhing,   wurden 
starosten.  vielfache  Ehrengaben  gereicht,   besonders   dem    General- 
starosten von  Grosspolen,  der  als  Stellvertreter  des  Königs 
angesehen  wurde    und.  die  landesherrlichen  Rechte  der 
Stadt   gegenüber  wahrzunehmen   berufen   war.     In   den 


1)  Wohl  der  Parteigänger  Zaraojskis  Johann  Alexander  Herbart 
von  Fulstin. 

2)  Gabriel   Grabowiecki  war  als   Gesandter  nach   Dänemark 
geschickt  worden,  um  dort  ein  Bündnis  gegen  Russland  abzuschliessen. 


Posener  Stadtrechnungen  des  XVI.  Jahrhunderts.  259 

ältesten  erhaltenen  Rechnungen  aus  dem  Ende  des 
15.  Jahrhunderts  erscheinen  vielfach  Posten  für 
Wein,  der  ihm  geschenkt  wurde,  und  zwar  bieten 
diese  Posten  eine  Auswahl  aller  in  jener  Zeit 
bekannten  und  berühmten  Weine,  wie  Malvasier, 
Rivoli,  Rheinwein  und  Frankenwein.  Reichlich  mit 
Wein  versehen  wurde  der  Generalstarost  (Johann 
Ostrorog),  als  er  1497  in  den  Wallachischen  Krieg 
zog,  bei  welcher  Gelegenheit  ihm  auch  ein  vergoldeter 
Apfel  im  Werte  von  21  Gulden  überreicht  wurde.  Im 
Jahre  1498  tritt  zum  ersten  Male  ein  Geschenk  von  Tuch 
für  ihn  in  den  Rechnungen  auf.  Im  16.  Jahrhundert 
wurden  diese  Tuchlieferungen  Regel,  und  es  bürgerte  sich 
sich  ein,  dass  alljährlich  um  Martini  dem  Generalstarosten 
ein  Stück  Londoner  Tuch  im  Werte  von  24  Gulden 
gegeben  wurde,  während  die  Weinspenden  um  diese  Zeit 
aufhörten.  Dem  Generalstarosten  Albert  Czarnkowski  und 
seiner  Gemahlin  wurden  bei  ihrem  ersten  Einzüge  in  die 
Stadt,  zwei  silberne  vergoldete  Becher,  an  denen  viermal 
das  städtische  Wappen  angebracht  war,  geschenkt1).  Die 
Gesamtkosten,  die  am  Sonntag  vor  Allerheiligen  1569 
beglichen  wurden,  betrugen  mehr  als  100  Gulden.  Bei 
dem  häufigen  Geschäftsverkehr  des  Rates  mit  dem  General- 
starosten verursachten  auch  die  an  ihn  geschickten  Boten, 
wenn  er  sich  anderswo  als  in  Posen  aufhielt,  Kosten 
Hin  und  wieder  ritt  der  ganze  Rat  zu  ihm.  Wurde  der 
Ratsbote  zu  ihm  geschickt,  so  kam  es  vor,  dass  ihm  vor- 
her eine  kleine  Summe  für  ein  Bad  ausgehändigt  wurdef 
damit  er  sauber  gewaschen  vor  dem  hohen  Herrn  erschiene. 
Auch  andere  geistliche  oder  weltliche  Würdenträger  wurden  Für 
hin  und  wieder  mit  Spenden,  besonders  mit  Wein,  bedacht,  «**« 
so  der  Bischof  von  Posen,  die  Kastellane  und  Woje-  ^^n' 
woden  von  Posen  und  Kaiisch.  Es  erhielt  z.  B.  1531 
der  Bischof  ein  Fass  Malvasier  im  Werte  von  5  Gulden 
und  im  Jahre  1527  der  Wojwode  von  Posen  ein  Kälbchen 


träger. 


l)  Item  ad  eosdem  cyphos  4  civitatis  sigilla  fabrefacta  ponderis 
7  librarum  per  17  gr.  3  fL  29  gr. 

17* 


260  Adolf  Warschauer. 

für  14  Groschen  und  kurz  darauf  ein  Viertel  Rind 
im  Werte  von  24  Groschen.  Im  Jahre  1500  wurde  für 
adlige  Würdenträger  im  Ganzen  eine  Summe  von  47  Mark 
weniger  2  Groschen  verausgabt,  ohne  dass  in  den  Rech- 
nungen angegeben  ist,  wozu  diese  grossen  Aufwendungen 
gemacht  wurden.  Der  Burggraf  von  Posen,  ein  sonst 
nicht  zu  den  höchsten  Würdenträgern  zählender  Beamter, 
der  aber  für  die  Stadt  von  Wichtigkeit  war,  weil 
er  in  Abwesenheit  des  Generalstarosten  seine 
Funktionen  übernahm,  erhielt  im  Anfang  des  16.  Jahr- 
hunderts alljährlich  eine  feste  Gabe  von  5  Mark 
oder  8  Gulden  für  einen  Pelz. 
Für  den  Auch  für  den  Rat  selbst  wurden  solche  Ehrenausgaben 

Rat  geleistet.  Charakteristisch  ist  es,  dass  bei  solchen  Aus- 
gaben vielfach  in  den  Rechnungen  die  Bemerkung  steht, 
dass  sie  nach  alter  Gewohnheit  geleistet  wurden.  So 
erhielt  jeder  Ratsherr  eine  kleine  Summe  am  Tage  vor 
Ostern  und  Pfingsten  für  ein  Bad,  doch  erfolgte  die 
Buchung  dieser  Summe  —  für  alle  Ratsherrn  zusammen 
18  Gr.  —  nur  ausnahmsweise  einmal  (1497).  Sonst 
zahlte  man  wohl  diese  und  andere  Ausgaben  der 
Art  der  nachlässigen  Weise  damaliger  Rechnungs- 
führung folgend  aus  kleinen  gelegentlichen  Einnahmen, 
die  man  ebenfalls  nicht  buchte.  Am  28.  Oktober  1533 
verausgabte  man  6  Gld.  12  Gr.  füi  die  Mästung  von  4 
gekauften  Schweinen  für  die  Ratsherren  nach  alter  Ge- 
wohnheit Es  scheint  sich  hier  um  ein  alljährlich  wieder- 
kehrendes Festessen  der  Ratsherren  gehandelt  zu  haben, 
von  dessen  Kosten  uns  aber  nur  einzelne  Spuren  in  den 
Rechnungen  begegnen.  Eine  ständige  Gewohnheit  war 
es  auch,  dass  die  Ratsherren,  wenn  sie  sich  in  die  Stadt- 
dörfer entweder  zu  Verwaltungszwecken  oder  zu  Gerichts- 
sitzungen begaben,  aus  dem  Stadtsäckel  bewirtet  wurden. 
Aus  den  Rechnungen  geht  hervor,  dass  bei  Gelegenheit 
von  Gerichtssitzungen  nur  einige  Flaschen  Wein  geliefert 
wurden,  wenn  der  Rat  aber  sonst  nach  dem  Rechten  sahf 
eine  ganze  Mahlzeit  besorgt  werden  musste.  Die  in  den 
Stadtrechnungen  gebuchten  Kosten,  betragen   gewöhnlich 


Posener  Stadtrechnungen  des  XVL  Jahrhunderts.  261 

Lir  kleine  Summen.  Nur  im  Jahre  1533  ist  die  stattliche 
urnme  von  10  Gld.  10  Gr.  für  eine  Mahlzeit  des  Rates 
*  Kundorf  gebucht  und  dabei  bemerkt,  dass  dies  nach 
Iter  Gewohnheit  alljährlich  geschehe.  Selten  finden  sich 
Ehrengaben  für  einzelne  Ratsherren.  Dem  Bürgermeister 
^eter  Schedel  wurde  Fastnacht  1589,  weil  er  im  ver- 
gangenen Jahre  bei  der  Führung  der  städtischen  Soldaten 
und  in  dem  laufenden  während  der  Pestzeit  sich  Verdienste 
erworben  hatte,  zur  Hochzeit  seiner  Tochter  ein  Ochs 
ftlr  15  Gld.  als  Belohnung  geschenkt.  Im  übrigen  wusste 
die  Stadt  Verdienste  ihrer  Bürger  gewöhnlich  durch 
weniger  kostspielige  Ehrenbezeugungen,  wie  einen  Ehren- 
platz   in    der   Kirche,    zu  belohnen. 

In   einem  gewissen  Zusammenhang   mit   den   allge-    MiU&ri- 

meinen     öffentlichen    Verhältnissen     stehen     auch     diesc  e,    us" 

gaben 

Posten     für     militärische     und     Kriegszwecke     in     den      m^ 
Rechnungen.      Eine     stehende    Truppe     besoldete     die   Kriegs- 
Stadt       in       Friedenszeiten       nicht,       doch      war      die    leiden. 
Bürgerschaft    in    ihren    Innungen    militärisch    organisiert. 
Es    scheint,    dass    jeder    Innung     ein    Mauerturm     zur 
Verteidigung       im      Notfall       zugewiesen      war,       auch 
hatte     jede     ein     kleines     Arsenal.      Die    Rechnungen 
beweisen,  dass  hin  und  wieder  Musterungen  der  Innungs- 
meister in  Waffen    stattfanden,  und  dass    es  hierbei  mit 
einem   gewissen    militärischen  Pomp   unter  Paukenschlag 
und  Trompetenschall  herging1).    Auch  die  Ausgaben  für 
die  Schützengilde  sind  als  solche  für  die  Wehrhafterhaltung 
der  Bürgerschaft  zu  betrachten.     1561  wurden  65  Gld.  für 
drei  Bürger,  die  „den  Vogel  abgeschossen  hatten",  als  der 
für  sie  festgesetzte  Zins  aus  der  Stadtkasse  bezahlt    Es 
handelt  sich  wohl  hier  um   die  Bezahlung  einer  Staats- 
abgabe  aus   dem  Stadtsäckel   für   die  Sieger,   zu   denen 
übrigens  auch  der  Erbauer  des  Rathauses  Giovanni  Bat- 
tista  di  Quadro  gehörte.     Auch    kommen  Posten  für  die 
Vogelstange    zum    Pfingstschiessen,    Armbrüste    für    die 


*)  !573  Dom.   ante    nativ.  Mariae:    8  tympanistis  et  tibicinas 
ludentibus,  dum  lustrarentur  iu  armis  contubernia,  1  fl.  26  gr. 


262  Adolf  Warschauer. 

Schützen  und  Kosten  für  die  Reparatur  des  Schiesshauses 
in  den  Rechnungen  vor.    In  der  Rechnung  von  1565)66 
findet  sich  ein  ganzes  Kapitel  für  Kriegsmaschinen.     Erz 
für   eine   einzelne   Kanone    (bumbarda)  wurde   1501     für 
6  M.   10   Gr.   gekauft    Eine   Beteiligung   der   Stadt    an 
Kriegszügen  in  die  Ferne  lässt  sich  aus  den  Rechnungen 
nur  für  das  Ende  des  15.  und  den  Anfang  des  16.  Jahr- 
hunderts   in    den  Ausgabeposten    für    die   Stellung    von 
Kriegswagen   nachweisen.    Solche   Kriegswagen  mussten 
mit  Lebensmittel  gefüllt  werden,  es  mussten  einige  Söld- 
ner und  Kutscher  gemietet  und  Pferde  besorgt  werden. 
Die  Kosten  waren  sehr  bedeutend.    In  den  Jahren    1497 
und    1498   während   des  Wallachischen  Krieges   wurden 
dreimal   solche   Kriegswagen  gestellt,    für   deren  Kosten 
sich    genaue    Rechnungen    erhalten    haben.      War     die 
Stadt     selbst    durch     Feinde    bedroht    oder    gestalteten 
die  politischen  Verhältnisse  sich  so,  dass  es  notwendig 
schien,  sich  in  Verteidigungszustand  zu   setzen,   so   ver- 
traute  man   nicht   auf  die   eigene  Kraft,   sondern   nahm 
Söldner  in  Dienst    Dies   geschah   auch   zum  Geleit   für 
Kaufleute     im    Jahre      1536     wegen     der     zahlreichen 
Schnapphähne,      welche      in     jener     Zeit     die     Land- 
strassen    unsicher     machten.       Während     des     Inter- 
regnums    im     Rechnungsjahre      1576I77      wurden      zur 
Verteidigung      der     Stadt     Söldner     angenommen,     zu 
deren      Bezahlung      die      Stadt      durch      Überweisung 
von     200     Gld.     aus     dem     Ertrage     einer     staatlichen 
Tranksteuer   in   den  Stand   gesetzt  wurde.    Auf   eigene 
Kosten   musste   die  Stadt   eine  Fusstruppe  während   des 
Interregnums  vor  dem  Regierungsantritte  Sigismunds  III. 
in  Sold   nehmen,   als   man   den  Angriff  der  Österreicher 
fürchtete;    für   ihren  Unterhalt    hatten    sowohl    in    dem 
Rechnungsjahre  1586I87  als  1587)88  die  Juden  je  100  Gld 
beizusteuern.    Es    scheint,    dass    diese   Truppe    auch    in 
Tätigkeit     getreten     ist,     da     einige    Posten     für     das 
Werfen  feuriger  Kugeln   und  für  Arbeiten  der  Soldaten 
an   den   zerstörten  Mauern  des   Grossen   Tores   in   der 
Rechnung   erscheinen;   auch   die   um   dieselbe  Zeit  auf- 


Posener  Stadtrechnungen  des  XVI.  Jahrhunderts.  2Ö3 

gewandten  Kosten  für  einen  Kriegszug  nach  Jutroschin 
stehen  wohl  mit  diesen  kriegerischen  Ereignissen  in  Ver- 
bindung, obwohl  freilich  die  sonst  vorhandenen  Quellen 
über  die  Geschichte  dieser  Unruhen  keinen  Anhalt 
dafür  geben,  dass  Posen  direkt  in  Mitleidenschaft  gezogen 
wurde1).  Auch  die  inneren  Unruhen  im  Reiche  machten 
schon  gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts  Schutzmassregeln 
notwendig.  So  notiert  die  Jähresrechnung  von  1598(99 
einen  Posten  von  31  Gld.  2  Gr.  für  Vermehrung  von 
Wachen  auf  9  Wochen,  weil  man  verschiedentlich 
Tumulte  fürchtete,  besonders  während  der  Zeit  der 
Gefangenhaltung  der  Edelleute  Krzesinski  und  Gninski. 
Im  Jahre  1619  hatte  die  Stadt  an  einen  Bürger 
Lukas  Erbe  nahezu  400  Gld.  Schadenersatz  für 
Waren  zu  bezahlen,  die  ihm  die  Konföderierten  zu  Lublin 
weggenommen  hatten,  und  am  20.  Oktober  1692  zahlte 
die  Stadt  an  die  Posener  Grodkanzlei  Gebühren  für  die 
eidliche  Vernehmung  einiger  vorstädtischer  Bürger  über 
den  Schaden,  der  ihnen  von  den  Soldaten  des  Strazniks 
der  Krone  Bidzienski  zugefügt  worden.  Sonst  sind  aus  dem 
17.  Jahrhundert  noch  einige  Notizen  über  die  Kosten  ver- 
anstalteter  Siegesfeiern  von  Interesse:  in  der  Rechnung 
von  i6oi|2  stehen  Posten  im  Gesamtbetrage  von  11  Gld. 
23  Gr.  für  die  Feier  des  Sieges  gegen  den  „furchtbaren 
Tyrannen  und  Ketzer  Herzog  Carl  von  Südermannland*8). 
Am  11.  Juni  1649  wurden  4  Gld.  15  Gr.  an  die  Trompeter 
gezahlt,  die  Triumph  blasen  sollten,  weil  mit  den 
Kosaken  Verträge  abgeschlossen  worden  waren;  doch 
konnte  der  Stadtschreiber  hier  nicht  unterlassen,  die 
Bemerkung  hinzuzufügen,  dass  es  wohl  unter  ungünstigen 
Bedingungen  geschehen  sei.    Von  Interesse  ist  die  Aus- 


*)  1588/99  Dom.  a.  f.  Doroth. :  Tormentario  pro  jaculatione  globorum 
ignitorum  1  fl.  Dom.  Judica:  Expeditio  bellica  nach  Jutroschin  .  .  , 
Dom.  Exaudi :  Milites  stypendiarios  inter  moenia  portae  Magnae  eisdem 
destructarum  (!)  dedimus  4  fl.  24  gr. 

*)  Contra  tyrannum  emanissimum  hereticam  Carolam  Suder- 
snannie  duccm. 


264  Adolf  Warschauer. 

gäbe   von    10  Gld.    am    16.  August    1708    für  eine  Vothr 
messe  in  der  Pfarrkirche,  „um  Gott  zu  danken   für  des 
Sieg  des  Schwedenkönigs  über  Russland. u      Im    übrigen  \ 
sind    aus    der    Zeit    der    beiden    Schwedenkriege,    in 
der    Mitte    des     17.     und    im    Anfang     des      18.    Jahr- 
hunderts     die      Stadtrechnungen      nicht       erbalten,     so 
dass     die    ungeheuren     Verluste     der    Bürgerschaft    ins 
Einzelnen    sich    nicht    mehr    nachweisen     lassen.      Da- 
gegen     enthalten     die      Rechnungen      zur        Geschichte 
der    Unruhen      von      1733      einige    Angaben :      nämlich 
für  die  Ausbesserung  der  Mauer  und  für  die    Verprovian- 
tierung  des   sächsischen    Heeres,   das   am   6.     November 
in   Posen   einrückte.      Aus   der  Zeit   des   siebenjährigen 
Krieges,  während   dessen  die  Stadt  von    den     das  Land 
durchziehenden  und  sich  aus  ihm  erhaltenden  kriegführen- 
den Parteien  zu  leiden  hatte,  enthalten  die  Rechnungen 
einige  Posten  für  die  Bekanntmachung  russischer   Publi- 
kanden,  nämlich  am  15.  Oktober  1758  über  die  Lieferung 
von  Stroh  und  Häcksel,  vom  4.  Juni  1759  über  die  Anfuhr 
zum  Magazin   und   am   27.  Juli  1760  über  das    russische 
Geld.     Endlich  liefern  die  Rechnungen    noch    ein    reich* 
haltiges   Material   über   die   grossen  Kosten,  welche   der 
Stadt   während     der    Unruhen    der    Konföderation     von 
Bar  sowohl  für  die  Konföderierten  selbst  als  auch   f ör  die 
gegen    sie    operierenden    russischen    und    preussischen 
Truppen  entstanden  sind. 
Kosten  Verhältnismässig  recht  geringfügig  sind  die  Kosten, 

für  die  Welche  zur  Aufrechterhaltung  der  inneren  Ruhe  und 
*  te"  Ordnung  aufgewandt  wurden.  Die  Rechtspflege  wurde 
ausschliesslich  durch  Laien  im  Ehrenamt  gehandhabt,  und 
die  ihnen  von  den  Parteien  zufliessenden  Gebühren 
berührten  die  städtische  Finanzverwaltung  in  keiner  Weise. 
So  spielt  eigentlich  nur  die  Exekution  strafrechtlicher 
Urteile  in  den  Stadtrechnungen  eine  Rolle.  Der  Henker 
war  ein,er  der  wenigen  fest  angestellten  Gemeindebeamten 
und  bezog  gegen  Ende  des  Mittelalters  ein  festes  Gehalt 
von  wöchentlich  9  Groschen.  Eine  Anzahl  kleinerer  Städte 
hatte  nach  alter  Abmachung  das  Recht,  die  Dienste  des 


Posener  Stadtrechnungen  des  XVI.  Jahrhunderts.  265 

Posener  Henkers  mitzubenutzen  und  zahlt  hierfür  eine 
gewisse  Summe  jährlich1).  Unter  besonderen  Verhält- 
nissen bezahlte  die  Stadt  dann  auch  wohl  Reise-  und 
Aufenthaltskosten,  so  1548,  als  der  Henker  nach  Przedecz 
zur  Hinrichtung  des  Mörders  des  Türken  Scheraffedin 
entsandt  wurde2).  In  Posen  selbst  wurde  dem  Henker 
bei  jeder  Folterung,  die  er  vornahm,  eine  kleine  Summe 
für  Lichte  ausgezahlt,  wahrscheinlich  zur  Beleuchtung  der 
Folterkammer,  die,  wie  alle  im  Kellergeschoss  des  Rat- 
hauses liegenden  Gefängnisräume  fensterlos  waren.  Im 
Jahre  1543  wurde  für  10  Gr.  ein  Instrument  zur  Fest- 
baltung  der  Gefangenen  gekauft,  das  merkwürdiger  Weise 
den  Namen  „Die  Jungfrau"(panna)  führte.  Viele  Ausgaben  ver- 
ursachten die  zahlreichen  Hinrichtungen.  Im  Jahre  1547 
liess  sich  die  Stadt  eine  Passion  malen,  die  vor  den  zur 
Hinrichtung  geführten  Gefangenen  hergetragen  wurde,  im 
Jahre  1570  wurde  das  Crucifix,  das  vor  den  zum  Tode 
Verurteilten  hergetragen  wurde,  wieder  hergestellt  und 
bemalt.  Im  Frühjahr  157 1  wurden  Ausgaben  für  die 
Errichtung  eines  Galgen  (mala  crux)  gebucht.  Unter  dem 
17.  Oktober  1712  findet  sich  ein  Posten  für  Handschuhe, 
die  dem  „Herrn  Pokl^kowski  aus  der  Stadtkasse  gekauft 
wurden,  als  die  Zimmerleute  bei  dem  Galgen  auf  dem 
Ringe  arbeiteten."  Die  Hinrichtungen  selbst  verursachten 
keine  besondere  Kosten,  da  der  Henker  sie  wohl  für  sein 
Gehalt  besorgen  musste,  nur  einmal  wird  ein  Posten 
von  7  Gr.  2  Den.  dafür  eingesetzt,  weil  der  Hingerichtete 
ein  Jude  war8).  Sonst  verursachte  noch  der  Lebens- 
unterhalt der  Gefangenen  vor  der  Hinrichtung  Ausgaben. 
So  wurden  1498  sechs  Groschen  für  einen  Gefangenen 
im  Wronker    Tor    verausgabt    Im   Jahre    1501    wurden 


J)  Stadtbuch  von  Posen,  Bd.  I.    S.  196. 

2)  1548  Dom.  a.  Egidii :  Item  persolvimus  vectoribus  euntibus 
cum  familia  civili  in  Przedecz  pro  malefico  necis  Turci  Scheraffedin 
conscio  nee  non  expensas  itineris  5  fl.  8  gr. 

*)  1582/83  Dom.  a.  f.  s.  Mattei:  Pro  Muchaiero  Judeo  suspenso 
ad  vexillum  7  gr.  9  den. 


266  Adolf  Warschauer. 

dem  Stadtdiener  7  Groschen  vergütigt  für  den  Unterhalt 
eines  Weibes,  das  im  Stock  (in  czippo)  sass.  Wie  sich  Ver- 
brecher gelegentlich  auch  der  Ergreifung  zu  entziehen 
verstanden,  zeigt  ein  Rechnungsposten  von  1501.  Am 
25.  September  dieses  Jahres  war  in  Posen  auf  dem  Markte 
der  Kostener  Bürgermeister  Johann  Ziegler  von  zwei 
Edelleuten  tötlich  verwundet  worden.  Die  Übeltäter 
flüchteten  zu  den  „schwarzen  Mönchen"  d.  h.  in  das 
Dominikanerkloster.  Zwar  wurde  das  Asylrecht  der 
heiligen  Stätte  geachtet,  aber  es  wurden  Wächter  in  der 
Nähe  des  Klosters  aufgestellt,  um  die  Verbrecher  am  Ent- 
weichen zu  verhindern1).  Einem  Bürger  Johann  Cosa, 
dem  seine  Frau  entlaufen  war,  wurde  im  Jahre  1534  eine 
Unterstützung  von  24  Groschen  gewährt,  damit  er  nach 
Sieradz  reisen  und  ihr  nachforschen  könne.  Im  Jahre  161 1 
wurde  einmal  Bier  und  Wein  für  die  Gefangenen  gekauft, 
als  sie  beichteten.  Endlich  entstanden  noch  Kosten  für 
das  Begräbnis  der  Hingerichteten.  Eine  solche  Ein- 
tragung vom  Sonntag  Invocavit  1575  über  die  Eingrabung 
eines  Mannes  und  eines  Weibes,  die  wegen  Ehebruchs 
enthauptet  wurden,  scheint  darauf  hinzuweisen,  dass  die 
alte  deutsche  Rechtssitte,  Ehebrecher  zusammen  mit  einem 
spitzen  Pfahle  durchstossen  einzugraben,  auch  in  Posen 
befolgt  wurde,  jedoch  mit  der  Milderung,  dass  man  die 
Verbrecher  vor  dem  Vergraben  enthauptete.  Seit  dem 
zweiten  Jahrzehnt  des  17.  Jahrhunderts  treten  auch  die 
Posten  für  die  Hexenverbrennungen  auf,  so  am  29.  Januar 
161 1  für  ein  Hemd  und  einen  Schleier  der  zum  Feuer- 
tode verurteilten  Hexe  18  Gr.,  und  ähnlich  1638  zu 
ungebleichter  Leinwand  für  die  Hexe  16  Ellen  zu  6  Gr., 
es  scheint  sich  hier  um  die  Gewandung  zu  handeln,  in 


l)  1501  Dom.  p.  f.  Michaelis:  Custodibus  ad  monachos  tone, 
quando  Czyglar  proconsul  Costensis  de  Circulo  civitatis  nostre 
sabbatho  post  Michaelis  prox.  per  nobiles  J.  Sczyczyensky  et 
Punynski  vulneratus  fuerat,  et  ad  monachos  nigros  aufugerunt 
Vgl.  über  dieses  Ereignis  die  Chronik  der  Stadtschreiber 
von  Posen,  S.  6  f. 


Poscner  Stadtrechnungen  des  XVI.  Jahrhunderts.  267 

der  die  Verbrennung  erfolgte.  Auch  wurden  dem 
Henker  für  die  Verbrennung  der  Hexen  besondere 
Gebühren  bezahlt,  gewiss,  weil  diese  Hinrichtungs- 
art eigene  Schwierigkeiten  und  Aufwendungen  ver- 
ursachte. Schon  unter  dem  Jahre  1494I95  *st  e^ 
Posten  für  die  Verbrennung  eines  Verbrechers  gebucht 

Einer  der  bösesten  Feinde  der  allgemeinen  Wohl-  Gciand- 
fahrt  war  die  Pest,  die  im  16.  Jahrhundert  die  Stadt  *jfits' 
häufig  in  furchtbarer  Weise  heimsuchte.  Als  die  einzige  p^°  " 
Schutzmassregel  gegen  sie  galt  die  Absperrung,  zu  deren 
JDurchführung  mancherlei  Ausgaben  notwendig  waren. 
Zu  ihrer  Aufbringung  wurden  auch  die  Juden  heran- 
gezogen, da  der  —  übrigens  meist  nicht  eintretende  « 
Erfolg  ihnen  ebenso  wie  den  Christen  zu  gute  kam.  So 
zahlten  die  Juden  für  diesen  Zweck  am  9.  Juli  1605 
30  Gld.  an  die  Stadtkasse.  Am  Sonntag  nach  Frohnleich- 
nam  1564  und  im  Jahre  1569  sind  Kosten  für  Boten  nach 
Danzig  notiert,  die  die  dortigen  Bürger  bitten  sollten, 
wegen  der  —  doch  wohl  in  Danzig  ausgebrochenen  — 7 
Pest  den  Posener  Jahrmarkt  nicht  zu  besuchen.  War  die 
Pest  ausgebrochen,  so  waren  Ausgaben  für  die  Bewachung 
der  infizierten  Häuser,  Nahrungsmittel  für  die  Ein- 
geschlossenen, Arzneien  für  die  Erkrankten,  Besoldung 
der  manchmal  besonders  angestellten  Pestärzte,  Bestattung 
der  Verstorbenen  u.  a.  notwendig.  Diese  Posten  nehmen 
in  den  Stadtrechnungen  der  Pestjahre,  wie  1585I86,  1588)89, 
1591I92,  i6oo|oi,  1604I05, 1605I06,  gewöhnlich  einen  grossen 
Raum  ein.  Die  Pestrechnung  von  1601  schliesst  am  24.  März 
mit  der  für  die  Finanzlage  der  Stadt  sehr  hohen  Summe 
von  1901  Gld.  14  Gr.  9  Den.  ab.  Für  die  grösste  aller 
Pestepidemien,  die  von  1708J101),  sind  die  speziellen 
Rechnungen  nicht  erhalten.  Die  erste  Erwähnung  dieser 
Pest  in  den  Rechnungen  stammt  vom  8.  Dezember  1708 
und  betrifft  eine  kleine  Summe  für   einen  schwedischen 


l)  Brandt  G.,   Die  Pest  der  Jahre    1707/13   in   der    heutigen 
Provinz  Posen.    Zeitschrift  der  H  G  Pos.  XVII.  S.  301—28. 


a68  Adolf  Warschauer. 

Soldaten,    der    eine    Bekanntmachung   ausrief,    dass    die 
Leute  wegen  der  Pest  die  Stadt  nicht  verlassen  sollten- 
SyphiBs.  Auch  die  französische  Krankheit  (Syphilis)  wird  m 

der  Rechnung  von  1564  einmal  erwähnt,  indem  am 
Sonntag  vor  Kreuzerhöhung  3  Gld.  für  1000  Ziegel  für 
das  Hospital»  in  dem  man  die  von  dieser  Krankheit  An- 
gesteckten verpflegte,  gezahlt  wurden. 

Jaden.  Als  Feinde   der  städtischen  Wohlfahrt   galten    dem 

Posener   Bürger  jener  Zeit  auch   die  Juden,   die,    ohne 
bürgerliche    Rechte    zu   gemessen    und    der    städtischen 
Obrigkeit   Untertan    zu    sein,    einen  Teil    der   Stadt    be- 
wohnten und  vielfach   mit  der  christlichen  Bürgerschaft 
in  eine  geschäftliche  Konkurrenz  traten,   die  von  ihr  als 
ein  schweres  ihr  angetanes  Unrecht  empfunden   wurde. 
Da  die  Juden  in  dem  Wojwoden  von  Posen  einen  gesetz- 
lichen Beschützer  hatten  und  überdies  an  ihren  Verbin- 
dungen mit  dem  Adel  einen  gewissen  Rückhalt  besassen, 
so  waren  die  Christen  in  den  zahlreichen  Prozessen,  die 
sie  gegen  die  Juden  führten,  nicht  immer  die  Obsiegenden 
und  wenn  sich  von  Zeit  zu  Zeit  der  aufgespeicherte  Juden* 
hass  inTumulten  und  Schlägereien  Luft  machte,  so  konnten 
die  strafrechtlichen  Folgen  für  die  Bürgerschaft  recht  be- 
denklich werden.    Die  Rechnungen  geben  ein  deutliches 
Bild  davon,  wie  kostspielig  dieser  jahrhundertelange  Kampf 
der  Bürgerschaft  mit  den  Juden  war,  und  die  schmähenden 
judenfeindlichen  Ausdrücke,  mit  denen  die  Stadtschreiber 
vielfach  die  Buchung  dieser  Posten  begleiteten,  zeigt,  wie 
tief  eingewurzelt  und  brennend  diese  Feindschaft  war1). 
Des  ersten  Judentumultes  wird  in  den  Stadtrechnungen 
zum  Jahre  1577  Erwähnung  getan,  da  die  Stadt  am  Sonntag 
nach  Maria  Reinigung  eine  Summe  von  70  Gld.  17  Gr. 
für  eine   „Expedition  nach  Bromberg  in  der  Sache  des 
Judentumultes*  ausgab.    Um  1578/79  wurden  3  Gld.  21  Gr. 
für  Wächter,    die    zur  Zeit   des  Judentumultes  gehalten 


*)  Vgl.  auch  das  grosse  Gedicht  des  Posener  Stadtschreibers 
über  alle  Klagen  gegen  die  Juden  in  der  Chronik  der  Stadtschreiber 
von  Posen  S.  129—145. 


Posencr  Stadtrechnungen  des  XVI.  Jahrhunderts.  269 

wurden,  aufgewandt  und  am '3.  Juni  1628  erscheint  ein 
Abschlagsposten  von  15  Gld.  für  einen  Gesandten  nach 
Warschau  wegen  des  Judentumultes  in  der  Rechnung. 
Die  Prozesse,  die  gegen  die  Juden  angestrengt  wurden, 
hatten  sehr  verschiedene  tatsächliche  Unterlagen:  so  zahlte 
die  Stadt  am  15.  Oktober  161 1  eine  kleine  Summe  für 
eine  von  \h%  gegen  die  Juden  bei  dem  Grodgerichte  ein- 
gereichte Erklärung,  dass  die  Juden  krankes  Vieh  zur 
Stadt  trieben  und  schlachteten,  ähnliches  geschah  am 
30.  November  1619.  Am  31.  Dezember  161 1  gab  die  Stadt 
unter  Zahlung  der  üblichen  Gebühr  zu  Protokoll,  dass  die 
Juden  gegen  die  Vorschrift  zu  Weihnachten  auf  dem  Ringe 
und  auf  den  Strassen  sich  herumgetrieben  hätten.  Jm 
Jahre  1612  wurde  darum  gestritten,  dass  die  Juden  einen 
Mauerturm,  den  sie  gewissermassen  als  Schlachthof  be- 
nutzten, eben  hierdurch  verdürben.  Schwerer  war  die 
Gefahr  für  die  Juden  in  dem  grossen  Prozesse,  den  die 
Stadt  gegen  sie  nach  dem  in  der  Judenstadt  entstandenen 
Brande  vom  11.  Juni  1590  anstrengte,  da  die  Forderung 
gestellt  wurde,  dass  die  Juden  sich  nicht  wieder  an  der 
alten  Stelle,  sondern  in  weiterer  Entfernung  von  der  Stadt 
aufbauen  sollten.  Die  Juden  zogen  es  auch  vor,  sich  mit 
der  Bürgerschaft  zu  einigen  und  zahlten  an  die  Stadtkasse 
1500  Gld.  für  die  Erlaubnis,  „für  eine  gewisse  Zeit  unter 
den  Christen  wohnen  zu  dürfen",  und  als  Ersatz  für  ver- 
schiedene den  Bürgern  gehörige  Gegenstände,  die  bei  den 
Juden  verbrannt  waren.  Die  Zahlung  leisteten  nicht  die 
Juden  selbst,  sondern  für  sie  der  Posener  Kaufmann 
Hieronymus  Rid.  Die  Stadtrechnung  von  1590/91  gibt 
auch  an,  wie  ein  Teil  dieser  Summe  sofort  wieder  ver- 
ausgabt wurde  und  zwar  „für  Seine  durchlauchtigste 
Gnaden  unseren  Herrn  Generalmarschall  als  denjenigen, 
der  diese  schwierigen  Verhandlungen  geführt  hatte  (uti 
transactore  hujus  difficultatis)  100  Taler  =116  Gld.  28  Gr., 
ferner  dem  Suffraganbischof  15  ung.  Dukaten  =  128  Gld., 
für  Feuereimer  24  Gld.  20  Gr.,  und  für  Ausfuhr  des  Schutts 
ä)  Gld.  9  Gr.",  so  dass  von  der  offenbar  sehr  willkommenen 
Einnahme  nur  etwas  über  1200  Gld.  bar  in  die  Stadtkasse 


27°  Adolf  Warschauer. 

gelegt  werden  konnten.  In  den  ersten  Tagen  des  Jahres 
1591  zahlten  die  Juden  übrigens  noch  35  Gld.  für  die  Aus- 
fuhr des  Schuttes  aus  ihrer  Strasse.  Charakteristisch  für 
die  judenfeindliche  Stimmung  dieser  Zeit  ist  auch  der  am 
Sonntag  Invocavit  1591  gebuchte  Posten  von  2  Gld.  6  Gr. 
für  „Christel  >horus  Slowicowic,  der  die  Sache  der  wegen 
Ermordung  eines  Juden  Eingekerkerten  verteidigte*.  Am 
schlimmsten  für  die  Juden  aber  war  der  langdauernde  von 
der  Bürgerschaft  am  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  gegen 
sie  angestrengte  Prozess  wegen  ihrer  Versuche,  ihre  räum- 
lichen Schranken  zu  überschreiten.  Diesen  Prozess 
gewann  auch  die  Bürgerschaft,  und  die  Folge  war  eine 
immer  ärger  werdende  Oberfüllung  des  Judenviertels,  die 
sich  später  furchtbar  rächen  sollte.  In  den  Stadtrechnungen 
beginnen  die  zahlreichen  Posten  für  diesen  Prozess  mit 
dem  Anfang  des  Jahres  161 1.  Am  30.  Juli  161 1  wurde 
eine  Ausgabe  von  514  Gld.  8  Gr.  9  Den.  für  die  Sendung 
zweier  Magistratspersonen  in  dieser  Angelegenheit  an  den 
Posener  Woj woden  Johann  Ostrorog  nach  Lublin  gebuc  hL 
Die  Rechnung  von  1616/17  gibt  eine  sehr  ausführliche 
Zusammenstellung  aller  bisher  entstandenen  Kosten  dieses 
Prozesses  und  notiert  unter  dem  24.  Juni  161 7  triumphierend 
einen  Posten  von  3  Gld.  „an  die  Karmelitermönche  für 
eine  gesungene  Votivmesse  mit  Musik,  wobei  der  Magistrat 
dem  Herrgott  für  das  von  Seiner  Majestät  erhaltene  ge- 
rechte Dekret  gegen  das  ungläubige  Volk  der  Juden  dankte". 
Trotzdem  musste  am  17.  August  1619  der  Stadtschreiber 
wieder  eine  grosse  Rechnung,  deren  Gesamtsumme  sich 
auf  1185  Gld.  12  Gr.  9  Den.  hlelief,  als  Ausgaben  in  dem 
Prozess  der  Stadt  gegen  „die  verfluchte  ungläubige  stin- 
kige Nation  der  Juden  wegen  der  vielen  Schwierigk  eiten 
die  sie  der  Stadt  und  ihren  Bürgern  bei  dem  Hofgerichte 
Seiner  Majestät  in  Warschau  verursachen11,  buchen,  worauf 
dann  am  26.  Oktober  wieder  eine  Votivmesse  in  der  Maria 
Magdalenenkirche  „für  den  Frieden  mit  dem  Kaiserreich 
und  den  Sieg  der  Stadt  gegen  die  Juden"  bezahlt  werden 
konnte.  Die  letzte  grosse  Rechnung  für  diese  langwierigen 
Prozesse  mit  der  Gesamtsumme  von  3325  Gld.  11  Gr.  ist 


Poscncr  Stadtrechnungen  des  XVI.  Jahrhunderts.  271 

mnter    dem    11.  April  1620   unter  der  Aufschrift   gebucht: 
„Unkosten  für  den  Prozess  bei  dem  Hofe  Seiner  Königl. 
Majestät  in  Warschau  mit  den  Juden  über  die  Anlegung 
eines  neuen  Wohnplatzes  für  sie  auf  der  Vorstadt  vor  dem 
AVronker  Tore,  vom  28.  März  bis  30.  Mai,  wegen  dessen 
als  Gesandte  die  Herren  Christoph  Arnold  Bürgermeister, 
Heinrich   Kyewski   Schreiber,   Bartosz  Widbor  Syndikus 
der  Stadt  abgeschickt  waren,  wobei    Gott  sei  Lob   und 
Preis    ein   gesegnetes   gerechtes   Dekret  Seiner  Majestät 
des   Königs   Sigismund  III.  gegen    die  widerwärtige  ver- 
räterische Nation  erreicht  wurde".    Von  dem  hasserfüllteri 
Geiste,  den  diese  Prozesse   in  der  Bürgerschaft  aufgeregt 
hatten,  zeugen  auch   noch   zwei  Ausgabeposten   aus   der 
nächstfolgenden  Zeit.   Unter  dem  5.  September  1620  wurde 
ein   kleiner  Posten   für  Pulver  zu    Freudenschüssen    bei 
einer  Prozession  nach  der  Karmeliterkirche  gebucht,  und 
hierbei   gibt   der  Stadtschreiber  mit   einer  sonst    in   den 
Rechnungen  ganz  ungewöhnlichen  Ausführlichkeit  an,  dass 
durch  diese  Prozession  die  Tischplatte  überführt  worden 
sei,    „auf    welcher    die    verfluchten    Juden    das     heilige 
Sakrament  der  Hostien,  die  sie  aus  der  Dominikanerkirche 
im  Jahre    des    Herrn   .  .  .  .*)    gestohlen    und    nach    dem 
damalssogenanntenSwidwinskischen  Keller  gebracht  hatten, 
beschimpften  und  durchstachen,  so  dass  die  Zeichen  des 
heiligen    Blutes   sich    zeigten ".     Und   am  6.  August  1622 
wurde  dem  Arzt  und  Physiker  Rudnicki  für  die  Bücher, 
die  er  gegen  die  treulosen  Juden  geschrieben  hatte,   ein 
Geschenk   von   30  Gld.  verehrt.     Um   so   schwerer  muss 
es  dem  Magistrat  geworden  sein,  gerade  um  diese  Zeit 
am  12.  Juli  1622  einen  Juden,  den  die  konföderierten  Sol- 
daten als  Unterhändler  an  den  Magistrat  geschickt  hatten, 
und  dessen  Wohlwollen  dementsprechend  von  einer  ge- 
wissen Wichtigkeit  für  die  Bürgerschaft  war,  ein  Ehren- 
geschenk  von   10  Gld.   12  Gr.   verabfolgen     zu    müssen. 
Mannigfach  Hess  der  Magistrat  an  Juden,  die  zum  Christen- 


*)  Lücke,  da  dem  Schreiber  das  Jahr,  in  das  die  Sage  gesetzt 
wurde,  wohl  entfallen  war. 


272  Adolf  Warschauer. 

tum  übertraten,  Gnadengeschenke  reichen,  so  am  Sonntag 
nach  Neujahr  1582  dem  jüdischen  Diener  des  General- 
starosten bei  seiner  Taufe  10  Gld.,  am  Palmsonntag  des- 
selben Jahres  einem  getauften,  aber  verrückt  gewordenen 
Juden  12  Gr.,  am  Lätaresonntag  1591  einem  jüdischen 
getauften  Schneider  für  seinen  Arzt  2  Gld.  und  am 
31.  Januar  1604  bei  der  Taufe  eines  Juden  mit  seinem 
Weibe  und  2  Söhnen  12  Gld. 
Unter-  Unterstützungen  gewährte  der  Magistrat  auch  sonst 

8tftt"  mit  freigebiger  Hand  ohne  hasserfüllte  Nebenabsicht,  wie 
zotigen.  j)ej  (jenen  fQ,.  dje  getauften.  Juden.  So  erhielten  wohl 
Söldner,  die  die  Stadt  durchzogen,  ein  kleines  Geld- 
geschenk, dessen  Geringfügigkeit  manchmal  auffällig  ist 
und  auf  eine  ziemliche  Verlumptheit  der  Beschenkten 
schliessen  lässt  So  bekamen  am  Sonntag  Judica  1542 
durchpassierende  Söldner,  die  nach  Österreich  gegen  die 
Türken  bestimmt  waren,  6  Gr.  Auch  die  Gabe  von  1  Gld. 
1  Gr.,  die  am  Sonntag  nach  Himmelfahrt  1563  den  deut- 
schen in  den  russischen  Krieg  marschierenden  Fuss- 
soldaten  gewfihrt  wurde,  kann  nicht  als  glänzend  bezeichnet 
werden.  Nicht  besonders  hoch  wurde  auch  der  Arith- 
metiker Sigismund  eingeschätzt,  dem  der  Rat  am  Palm- 
sonntag 1548  eine  Gabe  von  24  Gr.  reichen  liess.  Für 
bestimmte  wohltätige  Zwecke  hatte  der  Rat  auch  Stiftungs- 
fonds zur  Verfügung,  deren  Zinsen  er  alljährlich  verwenden 
konnte.  So  hatte  Georg  Bock,  der  in  den  Jahren  1460 
bis  1482  fast  ununterbrochen  Bürgermeister  gewesen  war 
einen  Fonds  zur  Verheiratung  armer  Mädchen  testamen- 
tarisch vermacht  und  etwa  in  derselben  Zeit  Albert 
Wydawski  einen  Fonds  für  Tuch  zur  Bekleidung  armer 
Leute.  Mannigfach,  wenn  auch  nicht  regelmassig  geben 
die  Stadtrechnungen  Notizen  über  die  Verwendung.  Aus 
eigenen  Mitteln  gab  die  Stadt  in  der  Rechnungsperiode 
1493/94  die  Summe  von  41/9  Mark  zur  Verheiratung  einer 
Apothekerstochter.  Im  16.  Jahrhundert  pflegte  der  Rat 
besonders  tief  in  den  Säckel  zu  greifen,  wenn  es  sich 
darum  handelte  Bürgersöhnen  eine  Studienreise  nach 
tauen,  im   16.  Jahrhundert  dem  Mutterlande  aller  Kultur, 


Posener  Stadtrcchnungcn  des  XVI.  Jahrhunderts.  273 

~zu  ermöglichen.  Man  nahm  an,  dass  man  durch  solche 
Unterstützungen  der  Stadt  wesentlichen  Nutzen  bringe, 
indem  man  für  die  zukünftige  Bildung  und  das  Ansehen 
des  Patriciats  sorgte.  So  Hess  um  Ostern  1561  der  Rat 
dem  Jacob  Breznicki,  Sohn  des  amtierenden  Bürgermeisters 
Jarosz,  zu  einer  Studienreise  nach  Italien  20  ung.  Dukaten 
auszahlen,  im  Jahre  1579  zu  demselben  Zwecke  die  Summe 
von  8  ung.  Dukaten  dem  Stiefsohn  des  Bürgers  Albert 
S^dnydzien,  1582  erhielt  der  Sohn  des  Doktors  der  Philo- 
sophie und  Medizin  Stanislaus  zur  Fortsetzung  seiner 
Studien  in  Italien  28  Gld.,  1584  10  ung.  Dukaten  Timoteusf 
der  Sohn  des  Ratsherrn  Johann  Kyewski,  wiederholt  wurde 
im  letzten  Jahrzehnt  des  16.  Jahrhunderts  dem  in  Italien 
studierenden  Sohn  des  Adam  Borek  Geld  gesandt.  Auch 
bereits  graduierte  Leute  gingen  mit  Unterstützung  des 
Rats  nach  Italien,  um  dort  ihrer  Ausbildung  die  letzte 
Vollendung  angedeihen  zu  lassen.  So  wurden  am  Sonntag 
Misericordia  1545  für  den  Magister  Adam  Sieynik,  der  zu 
Studienzwecken  nach  Italien  reisen  wollte,  10  Gld.  gebucht, 
am  Sonntag  Judica  für  den  Magister  Caprico  zu  demselben 
Zwecke  4  ung.  Dukaten.  Im  Jahre  1566  war  ein  neuer 
Schulmeister  aus  Krakau  geholt  worden,  und  schon  in  dem- 
selben Jahre  reiste  er  mit  einer  Unterstützung  des  Rates 
von  10  Gld.  nach  Italien.  Recht  interessant  ist  die  Notiz 
von  Sonntag  Reminiscere  1583,  wonach  dem  Schulmeister 
Gallus  Chraplewsky,  der  nach  Vollendung  eines  Kursus  der 
Medizin  in  Italien  nach  Posen  zurückzukehren  versprach, 
für  die  italienische  Reise  20  ung.  Dukaten  gezahlt 
wurden.  Im  Jahre  1591  schickte  der  Rat  dem 
Albert  Wioska  (Vioscius),  Sohn  eines  Ratsherrn 
und  früher  Schulmeister  an  der  Stadtschule  zu 
Maria  Magdalena,  auf  sein  schriftliches  Ansuchen  und 
die  Bitte  seiner  Mutter  eine  Unterstützung  von  11  Gld. 
-6  Gr.  Die  letzte  derartige  Ausgabe  ist  am  19.  Oktober  1596 
mit  10  ung.  Dukaten  für  den  Geistlichen  Constantin 
gebucht  worden,  der  sich  Studien  halber  nach  Italien 
begeben  wollte.  Einmal  wird  auch  eine  Unterstützung 
für  einen  jungen  Patriziersohn,  Johann  Joseph,  der  1548 

Zeitschrift  der  Mist.  Ges.  für  die  Prov.  Posen.     Jahrg.  XX.  M 


274  Adolf  Warschauer. 

die  Universität  in  Paris  besuchen  wollte,  gezahlt  Auch 
Unterstützungen  von  Posener  Studenten  in  Krakau  finden 
sich  nur  vereinzelt,  so  wurde  am  15.  April  1595  den  nach 
Krakau  gehenden  Studenten  eine  mildtätige  Gabe  von 
1  Gld.  gereicht  In  viel  spaterer  Zeit  erst  hat  die  Stadt 
zum  Studium  ihrer  Bürgerssöhne  in  Krakau  grössere  Auf- 
wendungen gemacht  und  so  im  Jahre  1789  480  Gld.  zur 
Erhaltung  zweier  Studenten  der  medizinischen  Fakultät 
gezahlt. 

Bcfar-  Beachtenswert  ist  es  auch,  wie  sich   in  den  Stadt-: 

Rechnungen  die  reformatorische  Bewegung  widerspiegelt, 
und  wie  man  auch  hier  den  plötzlichen  Umschlag  in  die 
gegenreformatorischen  Anschauungen  in  den  sechsziger 
und  siebziger  Jahren  des  16.  Jahrhunderts  beobachten 
kann.  Wenn  am  Sonntag  vor  Johanni  1540  für  einen 
Boten,  der  nach  Grätz  mit  einem  Briefe  gesandt  wurde,, 
um  einen  Prediger  (concionator)  einzuladen,  eine  kleine 
Summe  gebucht  wurde,  so  kann  bei  der  hervorragenden 
Rolle,  die  Grätz  als  Mittelpunkt  der  Reformation  in  Gross- 
polen gespielt  hat,  angenommen  werden,  dass  dieser  un- 
genannte Prediger  die  neue  Lehre  verkündigte,  und  gerade 
deshalb  die  Einladung  an  ihn  erging.  Sicherlich  gehörte 
der  neuen  Richtung  der  Prediger  Samuel1)  an,  an  den 
im  Jahre  1541  dreimal  auf  Befehl  des  Rates  kleinere  und 
grössere  Summen  gezahlt  wurden2).  Zweifelhaft  ist  esr 
ob  mehrere  Geldreichungen  an  den  Prediger  der  Deutschen 
in  diesen  Jahren  mit  der  reformatorischen  Bewegung  in 
Zusammenhang  stehen,  um  so  mehr  als  in  dem  Rechnungs- 
jahr 1542/43  auch  für  den  Prediger  der  Polen  mit  grösserem 
Geldaufwand  ein  Haus  gebaut  und  auch  im  darauffolgenden 

l)  Wotschke  T.f  Andreas  Samuel  und  Johann  Seklucyän,  die 
beiden  ersten  Prediger  des  Evangeliums  in  Posen.  Zeitschrift 
Bd.  17  S.  169  ff. 

*)  1541  Dom.  conduetus  Pasche:  Samueli  concionatori  jussu. 
consulatus  1  fl.  18  gr.  —  Dom.  a.  Margarethe:  Pro  expensis  victus 
Samuelis  concionatoris  6  fl.  12  gr.  —  Dom.  a.  Omnium  sanctorumi 
Concionatori  Samueli  dedimus  jussu  consulatus  1  fl.  18  gr. 


Posener  Stadtrechnungen  des  XVI.  Jahrhunderts.  275 

Jahre  für  seinen  Lebensunterhalt  mehreres  gebucht 
wurde.  Ein  Geschenk,  das  gegen  Ende  1527  dem  Probst 
der  Pfarrkirche  vom  Rate  dargereicht  wurde,  buchte  man 
in  Ausdrücken,  die  auf  den  Versuch  einer  Beschwichtigung 
dieses  der  Reformation  durchaus  feindlichen  Prälaten  ge- 
deutet werden  können1).  Mitten  hinein  in  den  Streit  um  die 
neue  Lehre  aber  führt  wohl  der  Posten  von  7  Gld.  vom 
Rogatesonntag  1548  für  den  Stadtdiener  Lassota,  der  nach 
Gnesen  zu  dem  Generalstarosten  mit  Briefen  in  der  Sache 
der  Prediger  geschickt  wurde2),  und  vollends  die  im 
Jahre  1566  geleistete  Ausgabe  für  ein  Büchlein,  das  durch 
einen  Polen  dem  Rat  zu  Wittenberg  geschenkt  und  ge- 
widmet wurde3).  Am  Ende  der  sechsziger  Jahre  aber 
treten  schon  die  Ausgaben  gegenreformatorischen  Cha- 
rakters auf.  Als  Benedikt  Herbest,  der  berühmte  Kanzel- 
redner und  Rektor  der  Lubranskischen  Akademie,  nach 
Preussen  reiste,  wurde  ihm  auf  Befehl  des  Rates  ein 
Viäticum  von  10  Gld.  gereicht  und  am  Sonntag  Miseri- 
cordiae  1569  gebucht  Im  Herbst  1570  wurden  grössere 
Summen  für  die  Reise  des  Predigers  Johann  Herbest, 
des  Bruders  des  obengenannten  Benedikt,  von  Krakau 
nach  Posen  und  seinen  Unterhalt  daselbst  gezahlt.  Am 
Sonntag  nach  Ostern  1570  erhielt  ein  Fuhrmann,  der  eben 
diesen  Prediger  nach  Kaiisch  brachte,  3  Gld.  2  Gr.  Auch 
der  Geistliche  Walowski,  der  am  Trinitatissonntag  1570 
die  stattliche  Summe  von  15  Gld.  28  Gr.  für  seine  Predigten 
erhielt,  gehörte  sicherlich  der  katholischen  Partei  an.  In 
demselben   Jahre    beginnen    dann    auch    die    zahlreichen 


*)  Domino  Jacobo  de  Obornicki  preposito  s.  Marie  Magdalene 
in  Posnania  ob  comparandam  graciam  civitati  dono  data  sunt  10  milia 
laterura  7  m  24  gr.    Preterea  2  fornaces  cementi  8  m. 

2)  1548  Dom.  Rogacionum:  Lassote  faraulo  civili  Gnesnam  ad 
magnificum  dominum  Posn.  cum  literis  in  negocio  concionatorum 
xnisso  dedimus  fl.  7. 

3)  1566  Dom.  Reminiscere  pro  libello  per  quendam  Polonum 
consulatut  Viteberga  donato  dicatoque  jussu  dominorum  consulum 
donavimus  4  fl.  12  gr. 

18* 


276  Adolf  Warschauer. 

Ausgaben  für  die  Jesuiten,  deren  Niederlassung  in  Posea 
um  jene  Zeit  vorbereitet  wurde.  Am  Sonntag  den 
11.  Juni  1570  wurde  für  durchreisende  Jesuitenpatres  ein 
Viatkrum  von  4  GkL  24  Gr.  gebucht,  in  den  ersten  Tagen 
des  folgenden  Jahres  an  Trank  und  Speise  für  die  „ehr- 
würdigen Patres  und  den  Provinzial  der  Jesuiten"  5  G4d- 
25  Gr.  verausgabt  Der  Provinzial  reiste  einige  Monate 
später  nach  Breslau,  und  der  Posener  Rat  zahlte  am 
Sonntag  der  Apostelteilung  dem  Fuhrmann  hierfür  die 
Summe  von  5  Gld.  6  Gr.  Welch  vollständigen  Sieg  der 
Katholizismus  in  der  städtischen  Vertretung  damals  schon 
davongetragen  hatte,  zeigt  die  am  Sonntag  Maria  Em- 
pfängnis 157 1  gebuchte  Ausgabe  von  26  Gld.  12  Gr.  „für 
ein  Gastmahl,  als  die  Herren  des  Rates  die  Geistlichen 
der  Pfarrkirche  und  die  Jesuiten  und  ihre  fremden  Gäste 
(advenas)  bewirteten",  und  wie  freundlich  das  Verhältnis 
zwischen  dem  neu  gegründeten  Kollegium  und  dem  Rate 
der  Stadt  sich  gestaltete,  geht  aus  einem  Sonntag  den 
13.  Februar  1575  gebuchten  Geschenk  von  4  Gld.  16  Gr. 
„für  die  Studenten  des  Jesuitenkollegiums,  die  den  Rats- 
herren ihre  Reden  überreichten",  hervor.  Erwähnt  sei 
noch,  dass,  als  der  berühmte  Jesuit  Domherr  von  Erme- 
land  Treter  1593  Posen  passierte,  dem  Fuhrmann  am 
27.  November  für  seine  Weiterfahrt  in  seine  Diözese 
12  Gld.  6  Gr.  gezahlt  wurden.  In  späterer  Zeit  scheint 
man  übrigens  die  Ausgaben  für  die  Jesuiten  nicht  mehr 
aus  so  vollem  Herzen,  wie  früher,  geleistet  zu  haben: 
wenigstens  wurde  in  dem  Rechnungsjahr  1645/46  eine  Aus* 
gäbe  für  die  Jesuitenpatres  mit  dem  Bemerken  gebucht, 
dass  sich  die  Stadt  zu  ihrer  Aufbringung  in  Schulden 
gestürzt  habe.  Einen  Beweis  für  den  vollständigen  Um- 
schwung der  Gesinnung  des  Magistrats  zu  Gunsten  des 
Katholizismus  gewährt  auch  der  Posten  von  4  Gld.  27  Gr. 
am  Trinitatissonntag  1572  für  Betten  (pro  lectisterniis)  an 
Valentin,  „der  die  Lutherische  Ketzerei  abgeschworen  hat44. 
Solche  Bekehrungsgeschenke  kamen  auch  noch  in  späteren 
Zeiten  vor,  so  wurden  noch  am  23.  September  1748  auf 
Fürbitte  der  Jesuiten  einer  „neuen  Katholikin"  251/»  Gr. 


Posener  Stadtrechnungen  des  XVI.  Jahrhunderts.  277 

gegeben.  Hierher  können  wir  auch  die  in  der  Periode 
des  wiedererstarkten  Katholizismus  sich  mehrenden  Aus- 
gaben für  den  Kultus,  Prozessionen  u.  a.  rechnen.  Auf 
einen  alten  merkwürdigen  Brauch  deuten  beispielsweise 
die  Posten  vom  26.  März  1752  „den  Leuten,  die  das 
Eselchen  in  der  Prozession  zogen,  25  Gr.  1  Den."  und  von 
1765  »»den  alten  Leuten  für  das  Führen  des  Eselchens 
am  Palmsonntag* 4l). 

Auch  die  Ausgaben  für  künstlerische  Leistungen  Kunst 
stehen  mannigfach  mit  dem  religiösen  Empfinden  im  Zu- 
sammenhang. Über  Kirchenbauten  bieten  die  Stadtrech- 
nungen freilich  nicht  viel,  obwohl  der  Rat  Patron  der 
Pfarrkirche  zu  St  Maria-Magdalena  war.  Es  scheint,  dass 
die  hierher  gehörigen  Bauten  und  Reparaturen  aus  dem 
durch  fromme  Stiftungen  sich  ständig  vermehrenden  Ver- 
mögen der  Kirche  selbst  bestritten  wurden.  Dagegen  sind 
die  Stadtrechnungen  eine  der  vornehmsten,  vielfach  die 
alleinige  Quelle  für  die  Geschichte  der  weltlichen  Baulich- 
keiten der  Stadt,  worauf  speziell  einzugehen  hier  freilich 
nicht  der  Ort  ist  Besonders  zur  Baugeschichte  des  Rat- 
hauses bieten  die  Rechnungen  eine  Menge  von  Einzel» 
heiten  und  unschätzbaren  Anhaltspunkten.  Auch  wer  eine 
Lebensbeschreibung  des  berühmtesten  Stadtbaumeisters 
von  Posen,  des  Italieners  Giovanni  Battista  di  Quadro  aus 
Lugano,  dem  das  Rathaus  seine  Erneuerung  in  den  Formen 
der  Renaissance  verdankt,  verfassen  wollte,  dürfte  die 
Stadtrechnungen  nicht  ausser  Acht  lassen.  Besonders 
zeigen  uns  die  Rechnungen,  mit  welcher  Dankbarkeit  und 
Verehrung  die  Bürgerschaft  ihm  zugetan  war:  ausser 
seinem  regelmässigen  Gehalt  werden  Extragaben  „für  seine 
Sorgfalt  und  Klugheit  bei  den  Bauarbeiten  der  Stadt"9) 
gewährt    Als  er  starb,  stellte  es  sich  heraus,  dass  er  den 


1)  Über  diesen  alten  Gebrauch  vgl.  Freytag,  Bilder  aus  der 
deutschen  Vergangenheit  Bd.  IL  2.  S.  184  Anm. 

2)  158a  Dom.  Septuages.:  Joanni  Baptiste  pro  cura  et  consilio 
circa  fabricam  civitatis  sepius  adhibita  jussu  dominorum  consulum 
12  fl.  10  gr. 


278  Adolf  Warschauer. 

Zins  für  die  von  ihm  gepachtete  städtische  Ziegelei  auf 
dem  Vorwerk  Wilda  in  der  Höhe  von  10  Mark  jahrlich 
für  volle  13  Jahre  schuldig  geblieben  war.  Schon  der 
Umstand,  dass  ihm  eine  so  bedeutende  Summe  für  so 
lange  Zeit  gestundet  wurde,  zeugt  von  der  Rücksicht,  die 
man  auf  ihn  nahm.  Nunmehr  zog  der  Rat  zwar  die 
Schuld  von  der  Witwe  ein,  erliess  ihr  aber  den  Zins  für 
drei  Jahre  „in  Rücksicht  auf  die  Dienste,  die  ihr  Gatte 
der  Stadt  geleistet  hatte,  und  auf  die  von  ihm  für  die 
Stadt  herrührenden,  des  Lobes  wohl  werten  Werke"1). 
Auch  für  die  anderen  öffentlichen  Gebäude  der  Stadt, 
wie  die  Wage,  die  Schule,  bis  herunter  zu  dem  in  keiner 
alten  Stadt  fehlenden  Hause  für  öffentliche  Dirnen  bieten 
die  Rechnungen  baugeschichtliche  Notizen  in  grosser  Anzahl. 

Von  den  Werken  der  Plastik,  die  die  Stadtrechnungen 
aufführen,  erwähnen  wir  eine  Statue  der  Passion,  die  im 
Jahre  1583  vor  der  Martinkirche  zur  Bezeichnung  der 
Grenze  des  städtischen  und  kirchlichen  Gebietes  errichtet 
wurde  und  3  Gld.  kostete2).  Im  Jahre  1590  wurde  ein 
Epitaph  für  den  verstorbenen  Probst  der  Maria -Magda- 
lenenkirche  Grocholski  von  einem  Steinschneider  herge- 
stellt und  nach  Konin  gebracht,  wo  die  Beisetzung  demnach 
wohl  stattgefunden  hatte.  Die  Herstellung  des  Epitaphs 
und  sein  Transport  zusammen  betrugen  nicht  mehr  als 
6  Gld.  Sehr  viel  Hess  sich  die  Stadt  kosten,  ihre  Brunnen 
durch  Werke  der  Plastik  zu  schmücken,  von  denen  freilich 
nur  wenig  auf  uns  gekommen  ist.  Im  Jahre  1568  liess 
man  durch  den  Bildhauer  Michael  Floischer  aus  Liegnitz 


1)  1591  Dom.  Cantate :  Olim  Joannes  Baptista  murator  ab  late- 
rificio  civili  ad  praedium  Vilda  sitto  remansit  pro  annis  13  reipublicae 
Posnaniensi  census  annui  per  marcas  10.  Spectabilis  consulatus  habens 
respectum  servitiorum  ipsius  erga  rempublicam  et  operura  non  con- 
temnenda  laude  per  eum  civitati  fabricatorum  uxori  ipsius  debitum 
hoc  solventi  retentum  trium  annorum  dimiserunt,  reposuit  reliquum 
in  paratis,  quod  nos  percepimus  160  fl. 

2)  1583  Dom.  Cantate:  Pro  statua  cum  passione  domini  sculpta 
ante  ecclesiam  s.  Martini  in  limitibus  civitatis  et  ejusdem  ecclesie 
posita  3  fl. 


Posener  Stadtrechnungen  des  XVI.  Jahrhunderts.  279 

zwei  Statuen,  je  eine  für  einen  Brunnen  vor  dem  Rathause 
und  dem  Hause  des  Bürgermeisters  Skrzetuski  für  26  Gid. 
12  Gr.  anfertigen.  Was  sie  darstellten,  gibt  die  Stadt- 
rechnung nicht  an,  wohl  aber,  dass  an  ihnen  eherne 
Röhren  angebracht  waren,  aus  denen  das  Wasser  heraus- 
floss,  und  dass  über  diesen  die  Darstellungen  an- 
gebracht waren1).  Am  Sonntag  vor  Martini  1581  wurde 
ein  Posten  für  die  Schnitzerei  eines  hölzernen  Hirsches 
der  als  Brunnenfigur  verwandt  wurde2),  gebucht.  Man 
darf  wohl  annehmen,  dass  dieser  Hirsch  trinkend  dar- 
gestellt war.  Sein  Geweih  war  ein  natürliches  und  wurde 
besonders  angekauft.  Zwei  Jahre  darauf  (am  Sonntag  vor 
Kreuzerhöhung  1583)  erhielt  ein  Maler  14  Gld.  für  die 
Skulptur  eines  Löwen  und  die  Wiederherstellung  der 
Statuen  für  die  Brunnen.  Während  man  also  im  16.  Jahr- 
hundert mit  Vorliebe  Tierdarstellungen  als  Brunnenfiguren 
gewählt  zu  haben  scheint,  zog  man  im  17.  Jahrhundert 
mythologische  Darstellungen  vor.  In  der  Stadtrechnung 
von  1614/ 15  befinden  sich  ausführliche  Angaben  über  die 
Errichtung  von  vier  Fontänen  mit  vier  Statuen  aus  Holz, 
darstellend  Jupiter,  Apoll,  Neptun  und  Mars  mit  einem 
Gesamtaufwand  von  1441  Gld.  9  Gr.  15  Den.  Auch  das 
sonst  an  Luxusausgaben  arme  18.  Jahrhundert  blieb  hierin 
nicht  zurück.  Die  Jahresrechnung  von  1753/54  gibt 
näheren  Aufschluss  über  die  Errichtung  zweier  Fontänen 
mit  figürlichen  Darstellungen  und  die  Rechnimg  von  1765 
berichtet  über  die  Zahlung  von  980  Gld.  an  den  Schnitzer 
Schepc  für  eine  Fontäne,  offenbar  den  noch  jetzt  auf  dem 


1)  1568  Dom.  Paschae  Michaeli  Floischcr  de  Legnicia  a  sculptura 
duarum  statuarum  ad  cisternas  canalium,  alterius  ante  pretorium 
alterius  ante  lapideam  d.  Skrzetuski  proconsulis  Posn.  consistentium 
ex  condueto  numeravimus  26  fl.  12  gr.  —  Pro  fistulis  aeneis  ad 
stataas  canalium,  quibus  aqua  defluat  comparatis  15  gr.  A  pictura 
imaginum  super  statuis  praefatis  sculpturarum  dedimus  18  gr.  — 
Famulo  sculptoris,  qui  s  tatuas  in  canalibus  statuebat,  8  gr. 

2)  1581  Dom.  a.  f.  s.  Martini:  A  labore  sive  pictura  stemmatum 
livilium  in  templo  et  a  labore  sculpturae  cervi  lignei  supra  cisternam 
canalium  positi  7  fl. 


a8o  Adolf  Warschauer. 

Markte  stehenden  Brunnen  mit  der  Darstellung  des  Raubes 
der  Proserpina  (1766). 

Auch  die  Maler  wurden  mannigfach  aus  dem  Stadt- 
säckel in  Nahrung  gesetzt  Fraglich  ist  es,  was  es  wohl 
für  Fahnen  gewesen  sind,  für  deren  Bemalung  ein  Maler 
im  Jahre  1536  eine  kleine  Summe  Geldes  gezahlt  erhielt1). 
Vielfach  liess  sich  der  Magistrat  Bilder  der  regierenden 
Könige  und  ihrer  Gemahlinnen  herstellen.  Ein  weiträu- 
miger Saal  in  dem  Hauptgeschoss  des  Rathauses  erhielt 
den  Namen  der  „Königssaal*  wohl  daher,  weil  diese  jetzt 
leider  meist  verlorenen  Gemälde  dort  aufgehängt  waren 
Als  der  Maler  Keller  aus  Kalbe  sich  1638  in  Posen 
niederliess,  gewährt  ihm  der  Rat  nur  unter  der  Bedingung 
das  Bürgerrecht,  dass  er  die  Bilder  des  Königs  und  der 
Königin  für  das  Rathaus  male.  Die  ihm  hierfür  gelieferte 
Leinwand  findet  sich  mit  einem  Posten  von  2  Gld.  15  Gr. 
unter  dem  6.  August  1640  in  der  Stadtrechnung.  Auch 
ein  Gemälde  des  Kaisers  Karls  V.  hat  die  Stadt  einmal 
erworben:  Das  Bild  wurde  dem  Rate  aus  Liegnitz 
zugeschickt,  und  er  zahlte  dafür  am  Sonntag 
Jubilate  1560  3  Gld.  24  Gr.  Die  strenggläubige 
Denkweise  der  Bürgerschaft  führte  wohl  auch 
einmal  dazu,  das  Bild  eines  neugewählten  Bischofs 
malen  zu  lassen.  Es  geschah  dies  bei  Gelegen- 
heit des  Einzugs  des  Bischofs  Johann  Tarto.  Der  Künstler 
hiess  Jarecki  und  das  ihm  gewährte  Honorar  betrug  20  Gld« 
8  Gr.  Bei  dem  Posten,  der  vom  27.  September  1724  datiert, 
ist  bemerkt,  dass  der  damalige  Stadtpräsident  Topinski 
das  Bild,  das  offenbar  während  des  Einzuges  irgendwo 
ausgestellt  war,  an  sich  genommen  habe.  Von  dem 
farbenfreudigen  Sinne  des  16.  Jahrhunderts  geben  die 
vielen  Ausgaben  für  Malereien  an  den  Fa^aden  der 
öffentlichen  Baulichkeiten  reichen  Aufschluss.  Nicht  nur 
die  Front  des  Rathauses  war  mit  Malereien  geschmückt, 


1  gr.  5  den. 


*)  1536  Dom.  Rcminiscerc:    Pictori  a  pictura  vcxillorum  2  fU 


Posener  Stadtrechnungen,  des  XVI.  Jahrhunderts.  281 

die  immer  wieder  erneuert  wurden,  sondern  auch  die 
untergeordneteren  städtischen  Gebäude,  wie  Marstall, 
Wage,  die  Tore  u.  s.  w.  Wenn  nichts  anderes,  so  war 
doch  wenigstens  über  den  Eingängen  das  städtische 
Wappen  gemalt,  das  übrigens  auch  einmal  in  der  Pfarr- 
kirche angebracht  wurde1).  Das  Grosse  Tor,  das  an  der 
Stelle  stand,  wo  sich  heute  die  Breite  Strasse  mit  der  Grossen 
Gerberstrasse  kreuzen,  wurde  in  den  Jahren  1569  bis  1571 
mit  Malerei  versehen:  auf  dem  Turme,  der  sich  über  dem 
Tore  erhob,  wurde  das  städtische  Wappen  gemalt  und  das 
gemalte  Bild  des  gekreuzigten  Heilands  angeheftet2).  Auch 
auf  dem  Turme  über  dem  Breslauer  Tore  befanden  sich 
Wappen,  die  Ende  1588  von  einem  Maler  für  12  Gr, 
wiederhergestellt  wurden.  Am  Sonntag  vor  Bartholomaei 
1578  wurden  einem  Maler,  der  die  Wappen  auf  der  Bres- 
lauer Strasse  malte,  3  Gld.  12  Gr.  gezahlt.  Reichlich  mit 
Malereien  geschmückt  wurde  im  Jahre  1620  die  kleine 
Brücke,  welche  über  einen  jetzt  verschütteten  Warthearm 
zur  Karmeliterkirche  führte8).  Die  Rechnung  des  ge- 
nannten Jahres  gibt  an,  dass  150  Eisenbleche  gekauft 
wurden,  auf  denen  das  heilige  Abendmahl  und  die 
Passion  zur  Aufstellung  auf  der  Brücke  gemalt  wurden. 
Auf  derselben  Brücke  fanden  auch  die  Bilder  der  heiligen 
Peter  und  Paul  eine  Stelle;  zum  Schutze  dieser  Bilder 
dienten  Schirmdächer.  Freilich  bewertete  man  diese 
Malereien  nicht  sehr  hoch;  für  die  Bilder  der  heiligen 
Peter  und  Paul  wurden  das  Schutzdach  eingerechnet  8  Gld. 
20  Gr.  gezahlt,  und  bei  den  erstgenannten  Malereien 
betrug  das  Honorar  für  den  unbekannten  Maler  12  Gld., 
während  man  für  das  Blechmaterial  und  die  Schutzdächer 


*)  1582  Dom.  Cantate:  Pictori  a  labore  insignium  civitatis  in 
ccclesia  s.  Mariae  Magdalenae  2  fl. 

2)  T5°9/7°  Dom.  ante  fest.  s.  Margarethe:  Pictori  ad  racionem 
picturae  in  Magna  porta  6  fl. 

1571  Dom.  pridie  s.  Hedwigis:  Pictori  a  pictura  stemmatum  in 
nova  turri  Magnae  portae  10  gr.  et  pictori  crucifixi  ad  turrim  portae 
Magnae  affixi  2  fl.  24  gr. 

3)  Vgl.  Zeitschrift  der  HG  Pos.  VIII  S.  385  ff. 


282  Adolf  Warschauer. 

***4t-  15  Gld.  bezahlte.  Nicht  künstlerlichen  oder  religiösen, 
bitöer.  sondern  rein  praktischen  Zwecken  dienten  die  Stadtbilder, 
für  deren  Herstellung  sich  in  den  Stadtrechnungen  des 
16.  und  der  ersten  Jahrzehnte  des  17.  Jahrhunderts  wie- 
derholt Posten  aufgeführt  finden.  Wir  haben  es  offenbar 
mit  Stadtplänen  zu  tun,  die  in  der  alten  Manier  die  Stadt 
aus  der  Vogelperspektive  gesehen  darstellten  und  somit 
ganz  treffend  auch  als  Bilder  bezeichnet  werden  konnten. 
Zum  ersten  Male  wurde  am  Sonntag  vor  Luciae  1535 
einem  „Maler  für  das  Malen  der  ganzen  Stadt"  eine 
Summe  von  1  Gld.  18  Gr.  gezahlt  Eine  zweite  derartige 
Aufnahme  der  Stadt  erfolgte  im  Jahre  1564,  da  zum 
Sonntag  vor  Bartholomaei  eine  Summe  von  12  Gld.  zu 
diesem  Zwecke  für  den  Maler  Peter  gebucht  ist:  bemerkt 
ist  hierbei,  dass  das  Bild,  das  hier  als  „Typus"  und  polnisch 
„Wizerunek*  bezeichnet  wird,  dem  König  übergeben 
wurde1).  Sehr  kurze  Zeit  darauf  scheint  eine  neue  Dar- 
stellung nöthig  geworden  zu  sein,  da  Sonntag  vor  Matthaei 
1570  wieder  eine  Summe  von  8  Gld.  für  einen  Maler  für  ein 
„Wizerunek"  gebucht  ist,  das  im  Jahre  darauf  in  Leinwand 
verpackt  nach  Warschau  gesandt  wurde2).  Am  Sonntag 
vor  Fastnacht  im  Jahre  1578  wurde  für  17  Gr.  Leinwand 
zum  „Malen  der  Stadt"  für  einen  Maler  gekauft,  doch  ist 
keine  Summe  als  Honorar  für  den  Maler  selbst  gebucht, 
so  dass  diese  Darstellung  vielleicht  nicht  zur  Ausführung 
gekommen  ist    Dagegen  scheint  in  den  Jahren  1593  und 


*)  1564  Dom.  a.  Bartholomaei:  Petro  pictori  a  typo  civitatis 
Sacrac  Regiae  Majestati  exhibito  dedimus  12  fl.  1567  Dom.  a.  fest, 
nat.  Mariae:  Petro  pictori  ad  racionem  pictae  civitatis  Posnaniensis 
anno  praeterito  dedimus  6  fl.  18  gr.  1568  Dom.  Septuages.:  Petro 
pictori  ad  racionem  pictae  urbis  Posnaniae  seu  wizerunku,  ut  vocaat, 
dedimus  4  fl.  Dom.  Pasche:  Petro  pictori  residuum  peccuniae  pro 
picta  civitate  Posn.  11  fl.  12  gr.  Im  Ganzen  sind  also  an  den  Maler 
34  Gld.  gezahlt  worden. 

*)  1570  Dom.  ante  Mathei:  Pictori  numeravimus  a  pictnra 
Wizerunku  8  fl.  1571  Dom.  Pentecostes:  Pro  linteo,  quo  pictnra  civi- 
tatis Posnaniensis  Warschaviam  missa  involveretur,  5  gr.  Dom. 
Trinit.:  A  pictura  civitatis  Posnaniensis  in  linteo  pictori  dedimus  3  fl. 


Posener  Stadtrechnungen  des  XVI.  Jahrhunderts.  283. 

1594  wieder  ein  neuer  Plan  zu  Stande  gekommen  zu  sein, 
obwohl  es  bei  den  etwas  unklaren  Notizen  in  den  Stadt- 
rechnungen hierüber1)  nicht  ersichtlich  ist,  ob  nicht  vielleicht 
nur  die  Zeichnung  eines  einzelnen  Stadtteils  gemeint  ist. 
Sicherlich  aber  wurde  Anfang  1615  ein  neuer  Stadtplan 
hergestellt  und  am  28.  Februar  dem  Maler  mit  10  Gulden 
bezahlt  Er  wurde  für  den  Reichstag  an  den  König  Sigis- 
mund  III.  gesandt,  der  ihn  mit  auf  sein  Zimmer  nahm,  wo 
er  in  einen  Rahmen  gespannt  verblieb.  Freilich  musste 
die  Stadt  diese  Ehre  mit  dem  Verluste  des  Planes  bezahlen, 
so  dass  sie  sich  im  Jahre  darauf  ein  neues  Exemplar  von 
dem  Maler  für  15  Gld.  herstellen  Hess2).  Trotzdem  sich 
in  dem  Besitz  des  Königs  ein  Bild  der  Stadt  befand,  liess 
der  Magistrat  doch  im  Jahre  1620  ein  neues  zur  Über- 
sendung an  ihn  herstellen  und  hierfür  unter  dem  4.  April 
3  Gld.  buchen.  Aus  allen  diesen  Angaben  muss  geschlossen 
werden,  dass  diese  in  kurzen  Zwischenräumen  hinter  ein- 
ander hergestellten  Stadtpläne  als  Unterlage  in  prozessu- 
alischen oder  Verwältungsangelegenheiten,  in  denen  die 
höchste  Entscheidung  beim  König  lag,  dienten.  Leider 
scheint  es,  dass  keiner  dieser  alten  Pläne  sich  erhalten 
hat,  es  ist  dies  um  so  bedauerlicher,  da  sie  offenbar  sehr 
gross  gewesen  sind  —  für  das  Stadtbild  des  Malers 
Peter  1564  bezahlte  der  Rat  am  Egidiensonntag  1565 
6  Ellen  Leinwand8)  mit  1  Gld.  6  Gr.  —  und  somit  das 
Stadtbild  mit  allen  Einzelheiten  wiedergegeben  haben 
müssen.  Nicht  unmöglich  ist  es,  dass  auf  den  Plan  von 
1615  das  Posener  Stadtbild  bei  Braun  und  Hogenberg, 
Contrafractur    und    Beschreibung  von    den    vornembsten 


l)  I593  Febr.  3:  Venceslao  pictori  a  pictura  mappae  civitatis 
anopliandae  3  fl.  1594  Dez.  31 :  Malarzowi  od  malowania  miasta 
w  ymion  y  miasteczka  1  fl.  36  gr. 

*)  16 15  Febr.  28:  Maliarzewi  od  konterfectu  miasta  Poznania, 
ktory  sie,  IKM.  na  seima  poslal,  fl  10.  1616  Okt.  15:  Maliarzewi  od 
drugi  deliniaty  miasta,  bo  pierwszq  IKM  do  pokoiu  swego  wziat  y 
w  ramach  wprawiona  tamze  zostata. 

s)  Pro  6  ulnis  telae  ad  contrafecturam  urbis  Posnan  per  6  gr. 
emptae  dedimus  t  fl.  6  gr. 


284  Adolf  Warschauer. 

Stetten  der  Welt,  Köln  1618  Bd.  VI,  zurückgeht,  das  in 
Kohtes  Verzeichnis  der  Kunstdenkmäler  Bd.  II  reproduziert 
worden  ist  Im  Jahre  1620,  in  dem  das  letzte  der  er- 
wähnten  Stadtbilder  hergestellt  worden  ist,  zahlte  der 
Magistrat  einem  „Akademiker**,  also  wohl  einem  Jesuiten- 
schüler, für  eine  genaue  Beschreibung  der  Stadt  10  Tlr. 
27  Gld.  10  Gr.1).  In  späterer  Zeit  scheint  man  die  Her- 
stellung derartiger  Stadtbilder  aufgegeben  zu  haben.  Erst 
aus  dem  Jahre  1728  erfahren  wir  wieder  von  der  Her- 
stellung eines  Stadtplans,  der  für  den  neu  ernannten 
Generalstarosten  Johann  Georg  Przebendowski  angefertigt 
wurde,  um  diesem  den  handgreiflichen  Beweis  zu  liefern, 
dass  den  Bürgern  von  Posen  nur  noch  etwa  ein  Drittel 
des  Grundbesitzes  in  der  Stadt  selbst  und  ungefähr  ein 
Zwanzigstes  in  der  nächsten  Umgegend  gehörte,  während 
alles  andere  in  fremde  Hände,  besonders  die  der  Geistlich- 
keit und  des  Adels  übergegangen  sei.  Der  Plan  wurde 
von  einem  Posener  Schöffen  Johann  Rzepecki,  einem  ver- 
eidigten Geometer,  gezeichnet,  wie  es  scheint  unentgelt- 
lich, da  in  den  Stadtrechnungen  kein  Honorar  gebucht 
ist  Nach  der  Zeichnung  stellte  der  Posener  Jude  Moises 
auf  2  Platten  einen  Kupferstich  her,  wofür  er  ein  Honorar 
von  96  Gulden  erhielt.  Die  Polierung  der  Platten  selbst 
vor  dem  Stich  kostete  noch  18  Gld.  Von  den  Platten 
wurde  zunächst  ein  Exemplar  auf  Atlas  mit  Goldspitze 
für  den  Generalstarosten  abgezogen,  wofür  die  Stadtkasse 
7  Gld.  24  Gr.  zahlte.  Für  die  anderen  Abzüge  verwandte 
man  Papier,  das  von  einer  Jüdin  Littmann  für  42  Gld. 
62/8  Gr.  geliefert  wurde.  Von  diesem  Plan  existiert  jetzt 
nur  noch  ein  vollständiges  Exemplar  im  Besitze  der 
Handschriftenabteilung  der  Ks;l.  Bibliothek  zu  Berlin2). 
Endlich  Hess  auch  gegen  Ende  der  polnischen  Zeit  die 
Kommission   der   guten    Ordnung,    die   von  1779 — 81    in 


l)  Accademicowi,  co  miasto  minutie  przypissal,  honorarii 
10  Tal.  27  fl.  10  gr. 

^  Genaues  über  diesen  Plan  habe  ich  in  der  Zeitschrift 
HG  Pos.  IX  S.  468  ff.  mitgeteilt. 


Posener  Stadtrechnungen  des  XVI.  Jahrhunderts.  285       • 

Ptosen  tagte,  einen  grossen  und  genauen  Plan    der  Stadt 
-zeichnen,  doch  ist  über  seine  Herstellungskosten  in    den 
Stadtrechnungen  nichts  zu  finden  gewesen. 

Zur   Geschichte    des    heimischen    Kunsthandwerkes   (,erÄte 
^werden  auch  diejenigen  Posten    der  Stadtrechnungen    zu 
^berücksichtigen  sein,  die  von  der  Anschaffung  rathäuslicher 
Gerätschaften  handeln,  obwohl  ja  freilich  nurausnahmsweise 
solche  vor  vielen  Jahrhunderten  angeschafften  Gegenstände 
sich  bis  auf  unsere  Zeit  erhalten  haben.     Wie  jede  irgend- 
wie   angesehene   Stadt   hatte    auch    die   Stadt  Posen    im 
16.  Jahrhundert   ihr  Tafelsilber,   von    dem    sie    bei    feier- 
lichen Gelegenheiten  Gebrauch  machte.     Da  grössere  An- 
schaffungskosten nirgends  erwähnt  werden,  so  scheint  es  » 
aus  dem  Mittelalter  zu  stammen,  aus  dem  die  Rechnungen 
nicht  vorhanden  sind.    Reinigungs-  und  Wiederherstellungs- 
kosten werden  hin  und  wieder  aufgeführt:   so  unter  dem 
3.  Dezember  1559   für  Schmelzen   von  Silber    für   Löffel 
1  Gld.  10  Gr.,    am  27.  Juli  1567    einem    Goldschmidt  für 
das  Aufpolieren  des  grossen  Silberbechers  16  Gr.  9  Den.  Fort- 
gesetzt wurden  Richtschwerter  gebraucht    Am  28.  Oktober 
1584  wurde  für  die  Reinigung  von  13  solcher  Schwerter 
von  denen  die  Rechnung  ausdrücklich  bemerkt,    dass  sie 
zum  Enthaupten  gebraucht  wurden,  2  Gld.  10  Gr.  gezahlt. 
Merkwürdig    modern    mutet   uns  ein  Gerät   an,   das   der 
Magistrat  im  Jahre  1589  anschaffte :  ein  eisernes  Instrument, 
-Heber  genannt,  mit  dem  Häuser  emporgehoben  wurden1); 
die  Kosten  betrugen  3  Gld.  15  Gr. 

Endlich  gehören  hierher  noch  die  von  der  Stadt  an-  Siegei- 
geschafften  Siegelstempel.  Die  Notizen  hierüber  sind  um  stemPe<- 
*so  beachtenswerter,  da,  wenn  auch  nicht  die  Stempel 
selbst,  so  doch  die  mit  ihrer  Hülfe  hergestellten  W  ichs- 
•siegel  vielfach  noch  heute  vorhanden  sind  und  die  Be- 
urteilung der  künstlerischen  Leistung  ermöglichen.  Am 
5.  Februar  1548  wurden  dem  Goldschmidt  Caspar  für  die 


*)  1589  Dom  Invocavit:  Pro  instrumento   ferreo,  quo  aedificia 
clevantur,  Heber  dicto,  dedimus  3  fl.  15  gr. 


•       286  Adolf  Warschauer. 

Gravierung  eines  zum  Siegeln  mit  Wachs  und  Talg 
dienenden  Petschafts  3  Gld.  gezahlt.  Ganz  besonders 
interessant  aber  ist  der  Posten  von  12  Gld.  in  der  Rech- 
nung vom  13.  Dezember  1579,  die  dem  Goldschraid 
Erasmus  für  ein  neues  Stadtsiegel  gezahlt  wurden  *). 
Hierdurch  kann  ein  in  einigen  Wachssiegeln  des  Stadt- 
archivs erhaltener  Schnitt  als  ein  Werk  des  durch  seine 
Musterzeichnungen  rühmlich  bekannten  Goldschmieds 
Erasmus  Kamin  nachgewiesen  werden.  Auch  das  Holz- 
siegel zum  Bedrucken  der  Stadtbücher,  das  der  Magistrat 
im  Jahre  1570  mit  2  Gld.  bezahlte,  ist  noch  heute  auf  den 
Einbänden  der  Stadtakten  jener  Zeit  erkennbar2). 

1ÄB°-  Im  16.  Jahrhundert  hatte   die  Stadt   auch  Mittel   für 

wissenschaftliche  Zwecke,  besonders  für  die  Ausgestaltung 
ihrer  Bibliothek  übrig.  So  erwarb  sie  im  Jahre  1595  aus 
der  Bibliothek  des  Schöffen  Stephan  Winkler,  was  ihr  für 
ihre  Bedürfnisse  notwendig  zu  sein  schien,  wofür  sie 
die  allerdings  nur  recht  kleine  Summe  von  5  Gld.  25  Gr. 
bezahlte.  Dieser  Stephan  Winkler  war  der  Sohn  des 
Posener  Stadtschreibers  Blasius  Winkler,  eines  hoch- 
gebildeten, ja  gelehrten  Mannes,  der  wohl  eine  bedeutende 
Bibliothek  gesammelt  hatte.  Der  Sohn,  ein  Kaufmann 
der  weniger  Interesse  für  die  Wissenschaft  hatte,  setzte 
wohl  eine  Ehre  darin,  die  Ratsbibliothek  mit  dem,  was 
sie  brauchte,  ihm  aber  entbehrlich  war,  zu  bereichern. 
In  demselben  Jahre  kaufte  die  Stadt  auch  von  dem  Buch- 
händler Sebastian  Janeczek  eine  Anzahl  nicht  namentlich 
in  der  Rechnung  aufgeführter  Bücher  für  19  Gld.  11  Gr. 
Sonst  sind  vielfach  die  gekauften  Bücher  einzeln  mit 
ihren  abgekürzten  Titeln  in  den  Stadtrechnungen  auf- 
geführt Besonders  berücksichtigt  wurden  naturgemäß 
den  praktischen  Bedürfnissen  der  Verwaltung  entsprechend. 


i)  1579  Dom.  a  fest.  s.  Luciae:  Erasmo  aurifabro  pro  sigillo 
magistratui  noviter  facto  12  fl. 

2)  1570  Dom.  Jubilate:  Pro  ligneo  sigillo  ad  imprimendos 
libros  civitatis  comparato  numeravimus  2  fl« 


Posener  Stadtrechnangen  des  XVI.  Jahrhunderts.  287 

die  Rechtswissenschaft  und  hier  ebenso  wieder  den 
speziellen  Verhältnissen  der  Stadt  angepasst,  ebenso  das 
sächsische  Weichbild-  oder  Magdeburgische  als  das 
polnische  Recht.  Den  Sachsenspiegel,  bis  zu  ihrem  Über- 
gang an  den  preussischen  Staat  die  Grundlage  ihres  Rechts- 
lebens, erwarb  die  Stadt  in  allen  möglichen  Ausgaben. 
Im  November  1535  kaufte  sie  einen  Liber  speculi  SaxonicL 
Der  Kaufpreis  ist  leider  nicht  erkennbar,  da  er  mit  einer 
Zahlung  für  Maurerarbeiten  am  Schulhaus  zusammen- 
gekoppelt ist  Die  Gesamtsumme  betrug  1  Mark  30  Gr. 
In  der  Rechnung  vom  25.  Juni  1581  erscheint  ein  polnischer 
Sachsenspiegel,  ein  interessantes  Beweisstück  für  die 
fortschreitende  Polonisierung  der  Stadt  Der  Kaufpreis 
betrug  5  Taler,  wozu  noch  die  Einbindungskosten  mit 
40  Gr.  traten.  Im  Jahre  1612  erwarb  die  Stadt  wieder 
einen  Sachsenspiegel  und  das  polnische  Promptuarium 
von  Szczerbicz  «mit  einem  Buche  Reichstagskon- 
stitutionen zusammen  für  10  Gld.  18  Gr.  Es  scheinen 
die  in  Posen  selbst  im  Jahre  1610  bei  Wolrabe  gedruckten 
Ausgaben  des  Sachsenspiegels  zu  sein,  wenigstens  besitzt 
die  Stadtbibliothek  sie  noch  heute  1).  Zum  letzten  Mal  ist 
eine  Ausgabe  für  einen  Sachsenspiegel  und  zwar  wieder 
für  einen  polnischen  am  26.  November  1616  notiert-  Er 
sollte  für  die  Ratsstube  dienen. 

Je  mehr  die  Stadt  ihre  mittelalterliche  eximierte 
Stellung  verlor,  um  so  grösseres  Interesse  musste  sie 
auch  an  dem  Rechtsleben  des  polnischen  Staates  nehmen. 
Sie  erwarb  deshalb  die  Statutenbücher  des  Reiches,  ein 
Exemplar  im  Jahre  1560  für  5  Gld.  18  Gr.  und  ein  zweites 
1570  für  5  Gld.;  in  diesen  Preis  waren  zugleich  die  mit- 
gekauften Reichstagsbeschlüsse  einbegriffen.  Das  letzt- 
erworbene Exemplar  waren  wohl  des  Herburt  de  Fulstin 
Statuta    regni    Poloniae    in    ordinem    alphabeti    digesta. 


*)  Szczerbicz,  Speculum  Saxonum.  Posen,  Wolrab  1610  und 
Sekretarz  K.  J.  M.  Jus  municipale  Magdeburskie  nowo  z  Lacinskiego 
y  z  Niemieckiego  na  Polskie  .  .  przeloione.    Posen,  Wolrab  1610. 


288  Adolf  Warschauer. 

Sicherlich  besass  der  Rat  dieses  Buch,  da  er  1599  eine 
Summe  für  das  Einbinden  desselben  bezahlte.  Das  um- 
fassendste juristische  Werk,  das  die  Stadt  im  16.  Jahr- 
hundert erwarb  und  noch  jetzt  besitzt,  ist  der  gewaltige 
Oceanus  juris  in  12  grossen  Foliobänden.  Dies  erhielt 
sie  im  Jahre  1597  von  Johann  Izdbinski,  der  damals  das 
Amt  eines  stellvertretenden  Starosten  in  Posen  bekleidete, 
geschenkt.  Dem  Diener,  der  es  brachte,  verehrte  sie 
die  ansehnliche  Gabe  von  12  Gld. 

Überhaupt  wurde  die  Bibliothek  vielfach  durch 
Geschenke  bereichert,  wobei  der  Rat  sich  aber  regel- 
mässig dem  Geber  oder  —  wo  dies  nicht  anging  —  dem 
Boten  gegenüber  erkenntlich  erwies.  Vielfach  ist  wohl 
auch  die  Gabe  vornehmlich  in  Rücksicht  auf  das  zu  er- 
wartende Gegengeschenk  gemacht  worden.  So  erhielten 
im  Jahre  1575  die  Studenten  des  erst  vor  Kurzem  ge- 
gründeten Jesuitenkollegiums,  die  dem  Rat  ihre  Reden  über- 
reichten, eine  Verehrung  von  4  Gld.  16  Gr.  (Vgl.  oben  S.  276). 
Dieses  gute  Verhältnis  zu  den  Jesuiten  hielt  den  Rat  aber  gar 
nicht  ab,  kurz  darauf  im  Jahre  1577  dem  protestantischen 
Drucker  Melchior  Nehring  15  Gld.  auszahlen  zu  lassen» 
wobei  freilich  dahingestellt  bleibt,  ob  dies  eine  Unter- 
stützung für  den  tatsächlich  in  bedrängten  Verhältnissen 
lebenden  Drucker  oder  Entgelt  für  gelieferte  Drucksachen 
war.  Kirchlichen  Zwecken  dienten  auch  die  Noten  und 
Gesänge,  die  die  Stadt  hin  und  wieder  erwarb.  So  zahlte 
sie  um  Neujahr  1571  für  Motetten  oder  Gesänge  ver- 
schiedener Autoren,  die  sie  zum  Schmucke  der  Kirche 
kaufte,  5  Gld.  In  demselben  Jahre  schickte  dem  Rate 
der  Breslauer  Bürger  Jacob  Scholz  6  Bücher  Gesänge, 
zweifellos  als  Geschenk;  denn  der  Rat  beschenkte 
den  Boten  mit  3  Gulden  und  verausgabte  für  seine 
Zehrung  noch  ausserdem  4  Gld.  12  Gr.  Ebenso  wurde 
ein  Bote,  der  im  Jahre  1590  dem  Rate  einen  Gesang: 
Te  deum  laudamus  überreichte,  mit  1  Gld.  belohnt 
Den  eigentlichen  Geber  nennt  die  Rechnung  nicht 
Ein  grösseres  kunsthistorisches  Interesse  als  diese  musi- 
kalischen Gaben  aber  hat  es  für  uns,  wenn  wir  in  der 


Posener  Stadtrechnungen  des  XVI.  Jahrhunderts.  289 

Rechnung  vom  11.  März  1576  lesen,  dass  Erasmus  Kamin, 
der  Goldschmied,  das  Buch  der  von  ihm  gedruckten  Wappen 
und  Musterzeichnungen  dem  Rate  geschenkt  und  hierfür 
22  Gld.  20  Gr.  als  Gegengabe  erhalten  hat1).  Die  beiden 
noch  vorhandenen  Ausgaben  der  Musterzeichnungen  des 
Erasmus  Kamin  stammen  aus  den  Jahren  1552  und  1591. 
Die  angeführte  Notiz  macht  es  wahrscheinlich,  dass  zwischen 
diesen  beiden  Ausgaben  noch  eine  —  jetzt  nicht  mehr 
erhaltene  —  erschienen  ist,  was  übrigens  aus  dem  Titel 
der  letzten  Ausgabe  schon  ohnehin  als  wahrscheinlich  zu 
schliessen  war2).  In  unserer  jetzigen  Ratsbibliothek  ist 
die  Gabe  des  Erasmus  Kamin  von  1576  bisher  noch  nicht 
wieder  aufgefunden  worden.  Auch  das  historische  Interesse 
scheint  nicht  ganz  gefehlt  zuhaben,  wenigstens  eine  alte 
Chronik  besass  die  Stadtbibliothek,  die  sie  im  Jahre  1593 
für  8  Groschen  binden  liess.  Im  Jahre  1616  liess  der  Rat 
einem  Chronisten,  der  eine  Chronik  drucken  lassen  wollte, 
3  Gld.  reichen,  und  einem  Dichter,  der  161 1  die  Eroberung 
von  Smolensk  durch  die  Polen  besang,  wurden  2  Gld. 
verehrt.  —  Geschenkweise  kamen  auch  naturwissen- 
schaftliche Bücher  in  die  Stadtbibliothek.  So  schenkte  im 
Jahre  1586  ein  gewisser  Turnaiser,  ein  seiner  Zeit  sehr 
bekannter  Gelehrter,  dem  Rate  ein  von  ihm  herausgegebenes 
Herbarium;  der  Läufer,  der  es  brachte,  wurde  mit  einem 
Taler  belohnt  Im  Jahre  161 1  brachte  ein  Bote  drei 
Bücher,  die  ein  Dr.  Etzler  in  Stuhlweissenburg  in  Ungarn 
geschrieben  hatte  und  dem  Rate  schenkte.  Der  Titel 
dieser  Bücher  ist  nicht  bekannt.  Wenig  nützlich  mag 
wohl  dem  Rat  ein  spanisches  Buch  (libellus  Iberius) 
erschienen  sein,  das  ein  Student  aus  Ingolstadt,  der  Sohn 
des  Posener  Bürgers  Peter  Hopp,  im  Jahre  1595  dem  Rate 
schickte  und  wofür  er  2  Gulden  erhielt.  Da  weder  Titel 
noch  Verfasser   des  Buches  angegeben  ist,   so  mag  man 


*)  I576  Dom.  Carnisprivii :  Erasmo  Kamin  anrifabro,  qu 
librnm  stemmatam  et  insigniumper  ipsum  impressorum  sp.  con- 
snlatai  donavit,  jassu  d.  consulum  dedimus  22  £1.  20  gr. 

*)  Zeitschrift  HG  Pos.  IX  S.  23. 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  für  die  Prov.  Posen    Jahrg.  XX.  19 


290  Adolf  Warschauer. 

wohl  annehmen,  dass  es  keiner  der  Ratsherren  lesen  konnte. 
Es  scheint  beinahe  so,  als  ob  der  junge  Herr  sich  einen 
Studentenulk  mit  dem  Rate  seiner  Heimatstadt  hat  machen 
wollen. 

Besonders  tief  pflegte  der  Rat  in  den  Stadtsäckel 
zu  greifen,  wenn  ein  Schriftsteller  ihm  ein  literarisches 
Werk  offiziell  widmete.  Für  diese  Ehre  scheint  man  in 
Posen  in  der  guten  Zeit,  also  im  16.  und  der  ersten 
Hälfte  des  17.  Jahrhunderts,  sehr  empfänglich  und  dankbar 
gewesen  zu  sein.  Es  sind  aus  den  Stadtrechnungen 
8  Fälle  festzustellen,  in  denen  der  Rat  solche  Wid- 
mungen angenommen  und  gewöhnlich  recht  anständig 
belohnt  hat.  Im  Jahre  1570  widmete  ihm  der  Arzt  Dr.  Johann 
Schiller  aus  Neisse  sein  Büchlein  über  öffentliche  sanitäre 
Massregeln  bei  Pestepidemieen1),  was  dem  Rat  wohl  um 
so  willkommer  war,  als  man  erst  im  Jahre  1568  in  Posen 
eine  furchtbare  Epidemie  durchgemacht  hatte.  Der  Arzt 
erhielt  eine  Ehrengabe  von  10  Gld.  und  sein  Bote  ein 
Zehrungsgeld  von  1  Gld.  27  Gr.  Weniger  praktischen 
Zwecken  diente  das  Buch,  das  im  Jahre  1583  Friedrich 
Moller  aus  Rastenburg  dem  Posener  Rat  widmete.  Es 
handelte  von  der  Schöpfung  und  dem  Fall  der  Engel  (de 
creatione  et  lapsu  angelorum)  und  brachte  dem  Verfasser 
ein  Ehrengeschenk  von  5  Gld.  18  Gr.  ein.  In  demselben 
Jahre  widmete  auch  ein  ungenannter  ßromberger  dem 
Posener  Rat  ein  Buch  und  erhielt  dafür  4  Gld.  19  Gr. 
Eine  weitere  Dedikation  stand  mit  der  schon  erwähnten 
Eroberung  von  Smolensk  im  Jahre  161 1  in  Verbindung. 
Ein  gewisser  Antonius  schrieb  über  dies  Ereignis  ein 
Gedicht  und  widmete  es  dem  Rat,  wofür  er  eine  Belohnung 
von  14  Gld.  erhielt.  Ende  1614  widmete  dann  der  Sohn  des 
städtischen  Syndikus  Paul  Widbor  dem  Rat  seine  Dissertation 
und  bekam  dafür  30  Gld.  Die  letzten  drei  Widmungen,  von 


*)  I57°  J°h-  Bapt:  Joanni  Schillero  doctori  Nissae  habitanti 
pro  libello  de  regimine  contra  febres  pestilentiales  conscripto  et  sp. 
consulatui  Posn.  dicato  10  fl.  jussu  consulum,  tabellario  vero  pro 
victu  fl.  1  gr.  27  dedimus. 


Posener  Stadtrechnungen  des  XVI.  Jahrhunderts.  291 

denen  die  Rechnungen  berichten,  rühren  von  Mönchen  her, 
die  ihre  religiösen  und  theologischen  Thesen  dem  Rate 
zueigneten.  Sie  sind  ein  redendes  Zeichen  für  den  Geist 
der  Gegenreformation,  der  sich  um  diese  Zeit  immer  mehr 
in  Posen  ausbreitete.  Zuerst  dedizierte  im  Jahre  1619  der 
Franziskanermönch  Jaskowicki  dem  Rat  solche  Thesen  und 
erhielt  dafür  10  Gulden,  dann  im  Jahre  1644  ein  Student 
des  Jesuitenkollegiums  und  1649  ein  Karmelitermönch, 
welche  beide  je  30  Gulden  dafür  erhielten.  Leider  konnte 
bisher  noch  keine  dieser  der  Stadt  gewidmeten  Schriften  in 
der  Stadtbibliothek  selbst  oder  in  irgend  einer  anderen 
Sammlung  wieder  aufgefunden  werden. 

Endlich  seien  hier  noch  einige  Notizen  über  die  M^z- 
städtische  Münze  erwähnt,  die  das  von  Kirmis  über  diesen  wcscn- 
Gegenstand  gesammelte  Material1)  ergänzen.  Am  Sonntag 
vor  Simon  und  Juda  1567  wurden  8  Groschen  für  zwei 
Typen  oder  Zeichnungen  der  neuen  Taler  bezahlt2). 
Diese  Taler  können  freilich  nicht  aus  der  städtischen  Münze 
hervorgegangen  sein,  da  diese  privilegienmässig  nur  zum 
Schlagen  von  Denaren  befugt  war,  vielmehr  müssen  es 
Taler  der  königlichen  Münze  gewesen  sein,  die  tatsäch- 
lich um  diese  Zeit  mit  der  Talerprägung  begann.  Als  in 
den  ersten  Jahren  des  17.  Jahrhunderts  die  städtische 
Münze  in  Posen  von  Engelbert  Geil  wieder  neu  ein- 
gerichtet wurde,  sandte  man  Proben  der  neu  geprägten 
Geldstücke  an  den  Unterschatzmeister  der  Krone  und 
buchte  dafür  am  1.  Februar  1603  die  Summe  von 
13  Gld.8).  Im  Rechnungsjahre  1608/9  baute  sich  die 
Stadt  ein  eigenes  Münzgebäude,  das  neben  dem  städ- 
tischen   Badehaus    (auf    der   Büttelstrasse)    gelegen    war. 


J)  Kirmis  M.f  Geschichte  der  städtischen  Münze  von  Posen. 
Zeitschrift  H  G  Pos.  II  261—282. 

2)  Pro   2bus   typis  alias  wyzerunky  novorum  talerorum  8  gr. 

*)  Jego  Mosci  panu  podskarbiemu  koronnemu  przes  nasze 
pany  poslance  pieniaszk  y  kwartniczkow  nowy  proby  mouety  do 
Krakowa  poslalizmy  13  fl. 

19« 


292  Adolf  Warschauer. 

Die  Summe  aller  hierfür  entstehenden  Kosten  betrug 
457  Gld.  14  Gr.  12  Den.  Im  Jahre  1619  endlich  muss 
die  Stadt  mit  einem  in  den  Rechnungen  nicht  genannten 
betrügerischen  Münzmeister  schlechte  Erfahrungen  gemacht 
haben.  Sie  nahm  seine  Pferde  weg,  und  es  wurde  für 
ihre  Fütterung  in  der  Stadtrechnimg  eine  kleine  Summe 
gebucht 


Der  Hostjendiebstahl  zu  Posen  im  Jahre  1399. 

Von 
Rodgero  Prümers. 

ine  schwere  Beschuldigung  ist  vor  langer  Zeit 
gegen  die  Fosener  Juden  erhoben  worden,  wie 
sie  schwerer  von  christlicher  Seite  kaum  gedacht 
werden  kann,  und  unter  der  sie  Jahrhunderte  lang  haben 
leiden  müssen.  Sie  sollten  im  Jahre  1399  den  Diebstahl 
von  Hostien  veranlasst  und  diese  mit  ihren  Messern 
durchstochen  haben,  um  Christus  selbst  zu  verhöhnen 
und  zu  peinigen. 

Eine  ungeheuerliche  Anklage,  deren  Grundlosigkeit 
die  Juden  stets  beteuert  haben.  Aber  immer  ist  sie  wieder 
aufgetaucht  und  hat  die  Juden  in  Not  und  Verfolgung 
gebracht. 

Darum  ist  es  gewiss  am  Platze,  an  der  Hand  des  vor- 
liegenden geschichtlichen  Materials  der  Sache  auf  den 
Grund  zu  gehen  und  zu  untersuchen,  welche  Tatsachen 
die  Veranlassimg  zu  dieser  Beschuldigung  gegeben  haben. 

Da  besitzt  nun  zunächst  das  Königl.  Staatsarchiv  zu 
Posen  unter  seinen  Beständen  eine  Urkunde l),  die  sich  auf 


*)  Posen,  Karmeliter  Nr.  1. 


294  Rodgero  Prümers. 

die  Gründung  der  Karmeliterkirche  zu  Posen  bezieht  und 
wegen  der  Begleitumstände  dieser  Gründung  sehr  be- 
merkenswert ist  Es  wird  nämlich  in  ihr  von  dem  Aus- 
steller, König  Wladislaw  Jagiello,  erzählt,  dass  er  die 
Kirche  nebst  Kloster  in  der  Vorstadt  Posen  an  dem  Orte 
errichtet  habe,  wo  der  göttliche  Leib,  wie  bekannt,  einst 
gefunden  ist  Die  Urkunde  ist  wichtig  genug,  um  sie  ia 
einer  wörtlichen  Übersetzung  hier  folgen  zu  lasssen. 

Wir  Wladislaw,  von  Gottes  Gnaden  König  von  Polen, 
oberster  Fürst  der  Lande  Krakau,  Sandomirien,  Siradien, 
Lancicien,  Ciyavien,  Lithuanien,  Erbherr  von  Pommereilen 
und  Preussen,  thun  kund  durch  Gegenwärtiges  Allen  und 
Jedem,  die  es  angeht,  den  Gegenwärtigen  wie  den  Zu- 
künftigen, dass  wir  auf  die  inständigen  Bitten  des  ehr- 
würdigsten Vaters  in  Christo,  des  Herrn  Albert,  von 
Gottes  Gnaden  Bischofs  zu  Posen,  des  von  uns  in  auf- 
richtiger Frömmigkeit  geliebten,  auch  angefeuert  durch 
frommen  Eifer  und  mit  besonders  frommen  Gefühlen,  in 
Ansehimg  der  Lage  der  Brüder  vom  Orden  der  heiligen 
Jungfrau  Maria  vom  Berge  Carmel  und  ihrer  Gottesver- 
ehrung, welche  der  Vater  des  Lichtes  in  seinem  Hause 
mit  Sternenklarheit  erglänzen  liess,  und  da  wir  wünschen, 
dem  Tag  der  letzten  Ernte  durch  fromme  Werke  zuvor- 
zukommen und  in  Hinblick  auf  die  ewigen  Güter  etwas  von 
den  durch  den  Höchsten  auf  dieser  vergänglichen  Erde 
uns  verliehenen  auszusäen,  was  wir  mit  vielfältiger  Frucht 
in  ewiger  Glückseligkeit  wieder  einzuheimsen  vermöchten, 
wodurch  wir  auch  in  heilsamem  Austausch  einen  ewigen 
Anteil  an  dem  oberen  Jerusalem,  dem  Jerusalem  sage  ich, 
welches  als  Stadt  gebaut  wird,  erwerben  möchten,  — 
eine  Kirche  zugleich  mit  einem  Kloster  des  vor- 
genannten Ordens  zum  Lobe  des  allmächtigen  Gottes  und 
zur  Ehre  des  hochheiligen  Leibes  unseres  Herrn  Jesus 
Christus  in  der  Vorstadt  unserer  Stadt  Posen  an  dem 
Orte,  wo  der  göttliche  Leib  selbst,  wie  bekannt,  einst 
gefunden  ist,  wegen  Vergebung  unserer  Sünden  wie  auch 
der  berühmten  Königinnen,  unserer  Gemahlinnen,  der  ver- 


Der  Hostiendiebstahl  zu  Posen  im  Jahre  1399.  295 

storbenen  Hedwig  und  der  jetzigen  Anna,  gegründet1), 
errichtet,  bewidmet  haben,  wie  wir  sie  auch  jetzt 
gründen,  errichten,  bewidmen  und  begaben. 

Dieser  Kirche  und  Kloster,  seinem  Prior  und  Convente 
haben  wir  nach  unserer  bestimmten  Kenntnis,  auch  nach 
dem  empfehlenden  Rathe  unserer  Barone  in  beständiger  und 
unwiderruflicher  Schenkung  gegeben,  geschenkt,  zugeteilt, 
inkorporiert  und  übereignet  und  geben,  schenken,  fügen 
und  teilen  zu,  übereignen,  inkorporieren,  übertragen  und 
spenden  für  den  Bau  und  Grund  und  Boden  17  Morgen 
Land  in  der  Länge,  14  Morgen  in  der  Breite  an  dem 
ebenen  Orte,  wie  in  der  Tat  schon  die  Kirche  und  das 
Kloster  selbst  gebaut  werden,  die  durch  den  vorgenannten 
Herrn  Bischof  und  unseren  Starosten,  sowie  die  Rath- 
mannen  der  vorgenannten  Stadt  Posen  auf  unseren  Befehl 
aus-  und  abgemessen  sowie  thatsächlich  begrenzt  sind, 
und  eine  Mühle  mit  vier  Rädern,  die  auf  der  Warthe  neu 
erbaut  werden  soll  gegenüber  unserem  Erbgut  oder  Vor- 
werk Rataj,  einen  Weingarten  oder  Weinberg,  der  einst 
einem  gewissen  Stular  gehörte,  in  Neudorf,  und  zwei 
Fischer,  die  dem  Kloster  und  Convent  zum  Fischen  für 
den  Bedarf  und  Notdurft  dienen  sollen,  erlaubter  Weise 
und  frei  in  unseren  Gewässern  um  die  Warthe  herum 
und  in  der  Warthe  selbst,  auch  einen  Fischteich  für  den 
Klosterbedarf  hinter  dem  Kloster  selbst  auf  der  Ebene  und 
in  dem  Wasserbecken,  welches  von  der  Warthe  bis  zu 
einem  anderen  kleineren  Flusse  allmälig  gegen  einen 
westlich  gelegenen  Berg  dort  sich  erstreckt,  zu  machen, 
einzurichten,  zu  erbauen  und  auf  beliebige  Weise  in  Stand 
zu  setzen,  mit  allen  Nutzungen,  Zinsen,  Einkünften,  Nutz- 

*)  quod  ad  instantes  peticiones  reverendi  in  Christo  patris 
domini  Alberti  dei  gratia  episcopi  Poznaniensis  devoti  nobis  sincere 
dflecti,  speciali  eciam  zelo  devocionis  accensi  et  conditionem  fratrum 
ordinis  sancte  Marie  de  monte  Carmeli  —  contemplantes  —  ecclesiam 
unacum  monasterio  ordinis  predicti  in  suburbio  civitatis  nostrePoznanie 
in  loco,  ubi  ipsum  corpus  dominicum  miraculose  olim  inventum  esse 
dinoscitur,  ob  remissionem  peccatorum  nostrorum  ac  eciam  inclitarnm 
Hedviigis  defuncte  et  Anne  moderne  reginarnm  conthoralium  nostra- 
rum  fundavimus,  ereximus,  dedicavimus. 


296  Rodgero  Prümers. 

niessungen,  Fischereien,  Gewinnen,  Weinernte  und  allen 
jetzigen  und  zukünftigen  Erträgen,  durch  das  vorgenannte 
Kloster,  seinen  Prior  und  Convent  beständig,  frei  und  ruhig 
zu  behalten,  zu  haben,  zu  besitzen,  zu  gebrauchen  und 
zum  beliebigen  Gebrauch  zu  verwenden.  Zum  Zeugniss 
dieser  Urkunde  ist  unser  Siegel  angehängt.  Geschehen 
zu  Krakau,  am  Sonnabend  vor  dem  Sonntage  Oculi  mei 
(13.  März)  in  den  Fasten  im  Jahre  des  Herrn  1406,  in 
Gegenwart  der  ehrwürdigen  Väter  in  Christo,  der  Herren 
Nicolaus  aus  göttlicher  Gnade  Erzbischofs  der  heiligen 
Gnesener  Kirche,  des  Bischofs  Petrus  von  Krakau,  des 
vorgenannten  Bischofs  Albert  von  Posen,  sowie  der  edlen 
und  gestrengen  Herren  Johann  von  Tharnow,  Palatins  zu 
Krakau,  Johann  Liganza,  Palatins  von  Lancicien,  Petrus 
Kmytha,  Palatins  von  Sandomirien,  Michael,  Burggrafen 
zu  Lublin,  Clemens  von  Moskorzow,  Burggrafen  zu 
Wislica  und  Starosten  zu  Krakau,  unserer  getreuen  ge- 
liebten Ritter,  und  vieler  anderer  glaubwürdiger  Leute. 
Gegeben  durch  die  Hand  des  von  uns  aufrichtig  geliebten 
ehrwürdigen  Nikolaus,  Domherren  der  Kirchen  zu  Krakau 
und  Sendomir,  Probstes  des  hl.  Florian  und  Vicekanzlers 
unseres  Hofes. 

Dies  also  ist  die  Gründungsurkunde  der  Karmeliter- 
kirche zu  Posen,  die  jetzt  allgemein  die  Corpus  Christi 
oder  Fronleichnamskirche  heisst.  Betrachten  wir  sie 
genauer,  so  ersehen  wir,  dass  im  Jahre  1406  der  Bau  der 
Kirche  bereits  in  Angriff  genommen  war,  denn  der  König 
spricht  davon,  dass  er  sie  errichtet  hat.  Und  das  wird 
bestätigt  durch  zwei  Indulgenzbriefe l)  des  Papstes  Boni- 
faz  IX.  vom  9.  Juli  1401  und  vom  18.  August  1403,  in 
denen  dieser  den  Gläubigen,  die  zur  Kirche  des  Corpus 
Christi  Klosters  ausserhalb  Posens  wallfahrten  und  opfern, 
Ablass  verheisst.  Aus  dem  Jahre  1404  sind  auch  mehrere 
Vermächtnisse  zum  Bau  der  Kirche  urkundlich  bekannt*). 


*)  Arch.  Vatic.  Bonifacii  IX.  reg.  Latcr.  Vol.  89  foL  12  b,  13a 
und  Vol.  108  fol.  254  a  b. 

*)  Vgl.  Warschauer,  Stadtbuch  von  Posen  I  S.  53  Nr.  64,  S.  55 
Nr.  69. 


Der  Hostiendiebstahl  zu  Posen  im  Jahre  1399.  297 

Weiter  sagt  der  König,  die  Kirche  sei  in  der  Vor- 
stadt von  Posen  an  dem  Orte  errichtet,  wo  der  göttliche 
Leib  selbst  einst  auf  wunderbare  Weise,  wie  bekannt,  ge- 
funden wurde.  Wir  dürfen  daher  annehmen,  dass  er  von 
einer  Überlieferung  spricht.  Hätte  sich  dies  Ereignis  zu 
seiner  Zeit  zugetragen,  so  würde  er  es  durch  „vor  Kurzem* 
oder  „während  meiner  Regierung"  zum  Ausdruck  gebracht 
haben.  Auch  das  Wort  dinoscitur  setzt  nicht  ohne  weiteres 
das  Ereignis,  welches  es  bezeichnet,  als  sicher  bewiesen 
voraus.  Dinoscere  erklärt  Georges1)  als  „etwas  an 
bekannten  Merkmalen  erkennen,  vom  anderen  unter- 
scheiden", Dieffenbach2)  als  „bekennen*. 

Auch  die  Unbestimmtheit  der  Angabe:  inventum 
esse  dinoscitur,  lässt  darauf  schliessen,  dass  ein  sicheres 
Wissen  nicht  vorlag,  andernfalls  würde  der  König  wohl 
inventum  est  geschrieben  haben. 

Fassen  wir  das  Gesagte  nochmals  zusammen,  so  lässt 
sich  folgendes  Ergebnis  feststellen:  Vom  Könige  ist  die 
Corpus  Christikirche  gegründet  worden  an  der  Stelle,  wo 
einst  der  Leib  Christi  gefunden  wurde,  —  wir  dürfen 
hinzusetzen:  wie  überliefert  worden  ist  Hier  nun  ge- 
schahen Zeichen  und  Wunder,  wie  Papst  Bonifaz  IX.  in  seinen 
Indulgenzbriefen  berichtet,  wodurch  er  veranlasst  wurde,  den 
gläubigen  und  opferwilligen  Wallfahrern  Ablass  zu  erteilen. 

Wovon  aber  in  den  vorliegenden  gleichzeitigen  Ur- 
kunden nicht  die  Rede  ist,  das  ist  die  gegen  die  Juden 
erhobene  Beschuldigung  des  Hostiendiebstahls  und  der 
Hostienschändung,  und  auch  die  nachfolgenden  Könige, 
die  mehrfach  diese  Urkunden  bestätigten,  erwähnen  eine 
etwaige  Schuld  der  Juden  mit  keinem  Worte. 

Auch  eine  andere  Urkunde9)  König  Wladislaws  vom 
30.  Juni  1428,  durch  die  er  dem  Karmeliterkloster  zu  Posen, 

*)  Georges,  Lateinisch-Deutsches  Wörterbuch. 

*)  Dieffenbach,  Glossarium  latino-germanicum  mediae  et  infimae 
aetatis. 

*)  Original  im  Kgl.  Staatsarchiv  zu  Posen:  Posen,  Karmeliter 
Nr.  2.  Ad  monasterium  sive  locum  Corporis  Christi  extra  muros 
civitatis  Poznaniensis  per  nos  fundatum  et  erectum,  quod  dei  pietas 
magnis  miraculorum  decoravit  insigniis,  gerentes  affectum. 


I 


9cß  Rodgero  Prümcrs. 

das  von  ihm  gegründet  und  erbaut  sei,  zwei  Hufen  bei 
Starolenka  schenkt,  spricht  wohl  von  den  grosses 
Wundern,  die  geschehen  seien,  aber  nicht  von  der 
Hostiengeschichte.  Ebenso  schweigen  hierüber  die  Be- 
stätigungen der  ersten  Urkunde  durch  die  Könige  Sigis- 
mund  L  vom  21.  April  1513,  Stefan  vom  14.  April  1578* 
Sigismund  III.  vom  27.  März  1613,  Wladislaw  IV.  vom 
26.  Februar  1633. 

Ebensowenig  finden  wir  in  einer  Urkunde  des  Papstes 
Sixtus  IV.  vom  22.  Juli  1472  auch  nur  ein  Wort  über  den 
Hostiendiebstahl.  Papst  Sixtus  verheisst  lediglich  denen 
Ablass,  die  einen  bestimmten  Beitrag  zum  Neubau  der 
Karmeliterkirche  und  des  Klosters  ausserhalb  Posens 
leisten,  für  die  die  gläubigen  Christen  jener  Gegenden 
wegen  der  Heiligkeit  des  Ortes  und  der  Verehrung  des 
allerheiligsten  Leibes  Christi,  sowie  wegen  des  ehrenhaften 
Lebens  und  der  exemplarischen  Sitten  der  Brüder  des 
vorgenannten  Ordens  und  Hauses  eine  besondere  Ehr- 
erbietung zeigen  sollen1). 

Immerhin  wollen  wir  nicht  unerwähnt  lassen,  dass 
in  den  Posener  Grodbüchern  der  Jahre  1399 — 1401  sich 
keine  die  Posener  Juden  betreffende  Eintragungen  finden, 
während  sie  vor  und  nachher  häufig  erwähnt  sind.  Es 
ist  daher  nicht  unmöglich,  dass  sie  in  diesen  Jahren  aus 
irgend  einem  Grunde  eingekerkert  waren.  Hätte  dies 
aber  im  Zusammenhang  mit  der  Auffindung  der  Hostien 
gestanden  und  wäre  ihnen  irgend  eine  Schuld  nach- 
gewiesen worden,  dann  würde  sicherlich  in  Wladislaws 
Urkunde  Bezug  darauf  genommen  sein. 


*)  Vgl  Ehrenberg,  Urkunden  und  Aktenstücke  zur  Geschichte 
der  in  der  heutigen  Provinz  Posen  vereinigten  ehemaligen  polnischen 
Landesteile,  Leipzig  1892,  S.  19:  ecclesia  et  domus  corporis  Christi 
ordinis  Carmelitarum  extra  muros  Poznanienses,  ad  quos  Christi- 
fidel es  partium  illarura  propter  loci  religionem  ac  venerationem 
sacratissimi  corporis  Christi  honestamque  vitam  et  mores  exemplares 
fratrum  ordinis  et  domus  predictorum  singularem  devotionis  aflectum 
gerer  e  dicuntur. 


Der  Hostiendiebstahl  zu  Posen  im  Jahre  1399.  299 

Und  doch  ist  es  nicht  unmöglich,  ja  sogar  wahr- 
scheinlich, dass  ein  solches  Gerücht  im  Volke  schon  frühf 
vielleicht  schon  zur  selben  Zeit  Eingang  und  Verbreitung 
gefunden  hatte.  Denn  es  ist  eine  eigentümliche  Erschei- 
nung, dass  die  Erzählung  von  der  blutenden  Hostie  dann 
auftritt,  wenn  abweichend  von  der  Lehre  der  katholischen  : 
Kirche  der  Genuss  des  Weines  oder  des  Blutes  im  Abend- 
mahle für  die  Laien  gefordert  wird.  Dem  Volke  wird  da-  \ 
durch  ge wissermassen  klar  gemacht,  dass  in  der  Hostie, lx 
in  dem  wirklichen  Leibe  Christi,  das  Blut  bereits  enthalten 
sei.  Tauchte  aber  irgendwo  das  Gerücht  auf,  eine  Hostie 
sei  verletzt  und  habe  geblutet,  wer  anders  sollte  wohl 
sich  an  der  Hostie  vergriffen  haben,  als  die  ungläubigen 
Juden,  die  schon  Christus  selbst  ans  Kreuz  geschlagen 
und  sein  Blut  vergossen  hatten!  Halten  wir  damit  die 
Wiclifsche  Forderung  des  Abendmahls  in  beiderlei  Gestalt 
zusammen  und  vergegenwärtigen  uns,  dass  Wiclif  am 
31.  Dezember  1384  verstarb,  so  können  wir  das  Gerücht 
von  dem  aus  der  Hostie  geflossenen  Blute  im  Jahre  1399 
verstehen. 

Möglich,  dass  es  eine  Wiedergabe  solcher  Erzäh- 
lungen ist,  wenn  Dlugosz,  der  um  die  Mitte  des  15.  Jahr- 
hunderts schrieb,  in  seiner  Historia  Poloniae  zu 
«diesem  Jahre  vermerkt:  Am  15.  August  nahm  eine  Frau 
zu  Posen,  die  im  Dominikanerkloster  mit  dem  göttlichen 
Sakrament  des  Abendmahls  versehen  war,  die  Hostie  aus 
dem  Munde,  um  sie  den  Posener  Juden  zu  verkaufen.  Sie 
wurde  auf  den  Posener  Stadt -Wiesen  gefunden  und 
begann,  am  Orte  der  Auffindung  den  Sterblichen  grosse 

l)  Veneris  die  quinta  deeima  Augusti  mulier  quaedam  de 
Posnania,  procurata  in  monasterio  fratrum  Praedicatorum  Posnaniae 
divinissimo  eucharistiae  sakramento,  illud  ex  ore  sustulit,  Judaeis 
Posnaniae  commorantibus  venditura.  Quod  in  pratis  civitatis  Posna- 
niensis  repertum  magna  mortalibus  praestare  beneficia  in  loco 
inventionis  coepit.  Cuius  rei  devotione  Wladislaus  Poloniae  rex 
motus  in  loco  eodem  fratrum  Carmelitarum  erigit  coenobium  sub 
titulo  Corporis  Christi  et  choro  monasterii  de  cocto  latere  pulcher- 
rimo  opere  fabricato  molendinum  regium  pro  sustentatione  fratrum 
dat  praedicto  coenobio  in  dotem. 


30O  Rodgero  Prümers. 

Wohltaten  zu  erweisen.  Aus  Ehrfurcht  hierfür  errichtete 
König  Wladislaw  von  Polen  ein  Karmeliterkloster  mit 
Namen  Corpus  Christi,  Hess  den  Klosterchor  aus  Back- 
steinen sehr  schön  aufbauen  und  gab  für  den  Unterhalt 
der  Brüder  dem  genannten  Kloster  eine  königliche  Mühle l) 
zur  Ausstattung. 

Dlugosz  bringt  also  schon  die  Juden  in  die  Sache 
hinein.  Aber  auch  er  weiss  nichts  von  ihrer  tätigen  Mit- 
wirkung. 

Die  erste  ausführlichere  Nachricht  findet  sich  in  einem 
handschriftlichen  Predigtbuche  aus  den  90  er  Jahren  des 
15.  Jahrhunderts,  das  von  einem  Mönche  des  Klosters 
Tremessen,  Michael  von  Janowitz,  zusammengestellt  w  urde. 
Er  spricht  in  diesem  auf  Blatt  133  von  den  Eigenschafte  n 
der  konsekrierten  Hostie  und  fügt  dann  als  Beispiel  hin- 
zu: Von  einem  Weibe,  das  den  Leib  Christi  den  Juden 
verkauft  hat,  und  das  geschah  zu  Posen  bei  den  Domi- 
nikanern. Nachdem  sie  das  verehrungswürdige  Sakrament 
von  jenem  Weibe  erhalten  hatten,  gingen  sie  in  einen 
Keller  und  kreuzigten  ihn  dort  und  durchstachen  ihn  mit 
einem  Messer,  so  dass  das  Blut  Christi  aus  der  konse- 
crierten  Hostie  ausströmte.  Darnach  trugen  sie  diese 
dort  zu  einem  Sumpfe,  und  da  ist  sie  durch  einen  Hirten 
gefunden  worden.  Dort  haben  sie  die  Corpus  Christi- 
Kirche  erbaut1). 

Mit  den  wunderbarsten  Ausschmückungen  aber  malt 
sich  das  Bild  im  Wandel  der  Zeiten!    Im  Jahre  1609  er- 


*)  Raczynskische  Bibliothek  zu  Posen,  Handschrift  Nr.  röi 
Bl.  133 :  Exemplum  de  una  muliere,  que  corpus  Christi  Judeis  ven- 
didit,  et  hoc  factum  est  Poznanie  apud  nigros  monachos,  recipientes 
venerabile  sacramentum  ab  iila  muliere  iverunt  ad  unum  celarium, 
ibi  eum  crucifixerunt  et  cultello  kloly,  itaut  sanguls  Christi  de  tüa 
hostia  consecrata  krzykala,  post  eam  ibi  deportaverunt  na  yedno 
blonye  et  ibi  est  inventa  per  unum  pastorem.  Ibi  edificaverunt  tem- 
plum  corporis  Christi.  Vgl.  die  Ausführungen  Brückners  über  die 
polnischen  Glossen  im  Archiv  für  slavische  Philologie  Bd.  X  S.  384. 


Der  Hostiendiebstahl  zu  Posen  im  Jahre  1399.  3OL 

schien  ein  Buch  unter  dem  Titel1):  Des  allerheiligsten 
Corpus  Christi  zu  Posen  Geschichte  und  Wunder,  die  in 
der  Posener  Karmeliterkirche  die  göttliche  Güte  wirkt, 
durch  die  fleissige  Arbeit  des  Thomas  Treter,  Küsters  zu 
Posen  und  Domherrn  von  Ermland,  aus  alten  Manuskripten 
und  der  Vorfahren  Überlieferung  getreulich  zusammen- 
getragen und  mit  Kupferstichen  durch  Blasius  Treter, 
Vikar  von  Ermland,  illustriert. 

Das  Buch  enthält  ausser  mehreren  Vorreden  die 
Geschichte  des  Hostiendiebstahls  und  daran  angeschlossen 
die  Erzählung  einer  Fülle  von  Wundern. 

Am  Kopfe  dieser  Untersuchung  gaben  wir  die  untere 
Leiste  des  Titelblattes  wieder,  die  schon  erkennen  lässt, 
in  welchem  Geiste  das  Buch  geschrieben  ist,  und  wie  man 
auf  die  Leidenschaften  des  Volkes  einzuwirken  suchte. 

Gewidmet  ist  das  Werk  dem  Andreas  Opalinski, 
Bischof  zu  Posen2).  Treter  erzählt  in  der  Widmung  an  den 
Bischof,  dass  er,  ein  geborener  Posener,  schon  in  seiner  Jugend 
gern  diesen  heiligen  Ort,  das  Karmeliterkloster,  aufgesucht 
und  mit  den  Mönchen  sich  über  die  Wunder  unterhalten  habe. 
Gern  hätte  er  die  Majestät  dieses  Ortes  durch  seine 
Schriften  verkündet,  doch  sei  er  durch  einen  beinahe 
25jährigen  Aufenthalt  in  Rom,  wo  er  auch  mit  dem  Bischof 
zusammen  studiert,  davon  abgehalten.  Er  habe  aber  ge- 
wissermassen  als  Unterpfand  des  grösseren  Werkes  von 
dort  die  Geschichte  und  den  Plan  des  ganzen  Buches, 
geschmückt  mit  10  Kupferstichen,  an  das  Karmeliterkloster 
zu  Posen  geschickt.  Nach  seiner  Rückkehr  in  das  Vater- 
land hat  Treter  dann  den  Rest  der  Arbeit  beendet 

Da  das  Buch  ausser  dem  Titelblatt  und  einer  grossen 
Abbildung    der  Monstranz,    in    der    die    wundertätigen 

])  Sacratissimi  Corporis  Christi  hlstoria  et  miracula,  quae  in 
ecclesia  Posnaniensi  ordinis  sanctae  Carmelitarum  divina  bonitas 
opcratur,  studio  et  labore  Thomae  Treten,  Posnanien.  cttstodis  et 
canonici  Varmien.,  ex  antiquis  m.  s.  libris  et  maiorum  traditione 
fideliter  collecta  et  aeneis  typis  per  Blasium  Treterum,  vic.  Varmien. 
illnstrata.    Anno  domini  MDCIX. 

a)  1607—1633. 


302  Rodgero  Prümers. 

Hostien  aufbewahrt  wurden,  10  numerierte  Kupferstiche 
enthält,  so  dürfen  wir  vielleicht  annehmen,  dass  diese  in 
Rom  gestochen  sind,  und  die  Mitwirkung  des  Blasius 
Treter  bei  der  Illustrierung  des  Buches  sich  auf  die  beiden 
erstgenannten  Stücke  beschränkt  Zudem  trägt  das  Titel- 
blatt die  Buchstaben  B.  T.  und  die  Abbildung  der  Mon- 
stranz den  Vermerk1):  zum  Lobe  und  Ruhme  des  all- 
mächtigen Gottes  stach  es  Blasius  Treter,  Vikar  der 
Ermländischen  Domkirche,  im  Jahre  1609.  Die  übrigen 
Kupferstiche  sind  nur  mit  den  Nummern  1 — 10  bezeichnet. 

Interessant  ist  auch  bei  der  Zeichnung  der  Monstranz, 
dass,  trotzdem  Thomas  Treter  von  drei  Hostien  berichtet, 
Blasius  nur  ein  Behältnis  dafür  darstellt.  Er  wird  das  richtige 
Bild  von  der  Monstranz  geben,  wie  sie  vom  König  Wladislaw 
Jagiello  dem  Kloster  geschenkt  wurde.  Denn  vor  Thomas 
Treter  ist  von  drei  Hostien  nie  die  Rede.  Weder  der  König 
in  der  Gründungsurkunde  noch  Dlugosz  wissen  von  dreien. 
Nach  Dlugosz  kann  das  Weib,  indem  es  kommunizierte, 
auch  nur  eine  Hostie  unterschlagen  und  fortgebracht  haben. 
Erst  Thomas  Treter  war  es  vorbehalten,  die  Dreizahl  in 
diese  Wundergeschichte  einzuführen.  Ihr  zur  Liebe  ist 
dann  sicherlich  in  späterer  Zeit  die  Monstranz  selbst  ge- 
ändert worden,  indem  man  für  die  drei  Hostien  je  einen 
Behälter  einfügte2).  Seit  wenigen  Jahren  ist  die  ursprüng- 
liche Form  mit  einem  Behältnis  wieder  hergestellt. 

Sehen  wir  uns  die  Erzählung  Treters  näher  an,  so 
erfahren  wir  folgendes:  die  Rabbinen  zu  Posen  suchten 
im  Jahre  1399  in  den  Besitz  von  Hostien  zu  gelangem 
Zu  diesem  Zwecke  wandten  sie  sich  an  eine  in  ihren 
Diensten  stehende  arme  Frau,  die  eine  einzige  Tochter 
hatte.  Sie  stellten  ihr  vor,  wie  leicht  sie  ihre  traurige 
Lage  verbessern  könnte,  wenn  sie  ihnen  eine  Hostie  ver- 
schaffe.    Sie  würden  die  Sache  ganz  geheim  halten.     „Q 


*)  Ad  laudcm  et  gloriam  dei  omnipotentis  Blasius  Treterus 
cathcdralis  ecclesiae  Varmiensis  vicarius  sculpsit  anno  domini  1609. 

*)  Diese  Form  zeigt  Kohte,  Verzeichnis  der  Kunstdenkmaler 
der  Provinz  Posen  II  S.  51. 


Der  Hostiendiebstahl  zu  Posen  im  Jahre  1399.  303 

welch  ein  leichtfertiges  Ding  ist1)  ein  armes  und  gewinnsüch- 
tiges Weib"  ruft  der  Domherr  von  Ermland  aus.    Sie  er- 
hielt von  ihnen  Geld  und  versprach,  ihrem  Ansinnen  zu 
genügen.     Das   erste  Bild  zeigt  in  lebendiger  Bewegung 
die  Rabbinen,  wie  sie  der  Magd  mit  ihrer  Tochter  den  be* 
dungenen  Lohn    auszahlen.     Im    zweiten    Bilde    ist    die 
Missetäterin   durch   göttliche  Gewalt  zu  Boden  gestreckt, 
als  sie  das  heilige  Sakrament  am  Tage   der  Himmelfahrt 
Maria  in   der  Dominikanerkirche,   wo   sie  sich  hatte  ein- 
schliessen  lassen,   rauben   wollte.     Ein   zweiter  Versuch, 
das    Tabernakel    zu    öffnen    und    die   Hostien    aus    der 
Büchse  zu  nehmen,   hatte  denselben  Misserfolg,  erst  zum 
dritten  Male   gelang   es   ihr,   drei  Hostien  für  Kommuni- 
kanten sich  anzueignen  und  in   einem  weissen  Leintuche 
zu  bergen.     Von  ihrer  Tochter   in  ein  Versteck  geführt, 
wartete  die  von  einer  plötzlichen  Schwäche  Befallene,  bis 
die  Öffnung   der  Kirchentür  zur  Vesper  ihr  Gelegenheit 
gab,   aus  der  Kirche  zu  entweichen  und  ihren  Raub  den 
Juden  auszuliefern. 

Im  dritten  Bilde  durchstechen  drei  Juden  bei  lodern- 
der Fackel  mit  ihren  Messern  in  einem  Gewölbe  in  einem 
der  edlen  Familie  Swidwa  im  Judenviertel  gehörigen 
Hause2)  die  Hostien. 

Vom  ausströmenden  Blute  wird  der  eine  bespritz^ 
ohne  es  wieder  abwaschen  zu  können,  und  so  sehr  waren 
sie  auf  den  Nazarener  ergrimmt,  dass  sie  selbst  Säule, 
Wände  und  Fussböden  des  Zimmers  mit  dem  Blute  be- 
sprengten, wie  es  zu  Zeiten  Treters  für  die  Gläubigen 
zu  ihrer  Erbauung  noch  zu  sehen  war.  Mehr  und  mehr  aber 
wurde  der  Vorgang  ruchbar,  eine  Menge  Juden  strömte 
herbei,unter  ihnen  ein  jüdisches  Weib,  das  von  Geburt  an 
blind  war.  „Wenn  du  Christus,  der  wahre  Sohn  Gottes  bist," 
betete  sie  im  Inneren  ihres  Herzens,  „den  unsere  Vor- 
fahren kreuzigten  und  dessen  Tugend  und  Macht  unsere 
Oberen  und  Rabbinen  prüfen,  so  erleuchte  die  Finsternis 

l)  O  quam  levis  res  est  egens  et  lucri  cupida  mulier. 
*)  An   dessen   Stelle    im     17.    Jahrhundert    die   Jesuskapelle 
erbaut  wurde. 


3°4  Rodgero  Pramers. 

meiner  Augen  und  lass  mich  das  Tageslicht  sehen,  dass 
ich  deinen  heiligen  Namen  preise. u  Sofort  wurde  sie 
sehend  und  bekannte,  ohne  Führer  auf  die  Strasse 
stürzend,  Christus  als  Gott,  der  ihr  die  Gabe  des  Sehens 
verliehen  habe. 

Die  Juden,  durch  dieses  Wunder  erschreckt  und 
aus  Furcht  vor  der  Gefahr,  die  ihnen  durch  Ruchbar- 
werdung  ihres  Frevels  entstand,  versuchten,  die  Hostien 
durch  Feuer  zu  vernichten,  sie  verbargen  sie  im  Schmutz, 
warfen  sie  in  den  Brunnen1),  alles  vergebens.  So  be- 
schlossen sie,  dass  zwei  von  ihnen  ausserhalb  der  Stadt 
da,  wo  Wiesen  und  Sümpfe  waren,  sie  im  Schlamme  ver- 
senken sollten.  Auf  dem  Wege  dorthin  durch  das 
Burgthor  trafen  sie  auf  einen  armen,  lahmen  und  kon- 
trakten  Bettler,  dem  sie  auf  sein  Flehen  ein  Almosen  gaben. 
Sogleich  erhielt  er  den  völligen  Gebrauch  seiner  Glieder 
(Bild  4).  Ein  in  den  letzten  Zügen  liegender  Kranker 
erhob  sich  von  seinem  Bette,  Christ,  der  Erretter,  sei  vor- 
übergegangen und  habe  ihm  die  Gesundheit  wieder- 
gegeben. Die  verstockten  Juden  aber  wurden  durch  diese 
Wunder  nicht  gerührt,  sie  gruben  ein  Loch  und  ver^ 
senkten  darin  das  allerheiligste  Sakrament 

Wenige  Tage  nachher,  am  Sonntage  nach  Mariae 
Himmelfahrt,  weidete  ein  Hirt  mit  einem  kleinen  Knaben, 
namens  Paulus,  die  Rinder  auf  eben  diesen  Wiesen. 
Während  er  sich  dann  aber  entfernte,  um  die  Messe  zu 
hören,  schwebten  die  drei  Hostien  in  der  Luft,  schnee- 
weissen  Schmetterlingen  gleich.  Zu  dreien  Malen  be- 
merkte dies  der  kleine  Knabe,  sah,  wie  die  Rinder 
andächtig  auf  die  Knie  fielen,  und  so  betete  auch  er  die 
gegenwärtige  Gottheit  an  (Bild  5).  Der  bald  da- 
rauf zurückkehrende  Hirt,  der  zunächst  dem  Wunder 
nicht  glauben  wollte,  wurde  durch  eigenen  Augen- 
schein   bekehrt      Er  eilte  zur  Obrigkeit    und    berichtete 

*)  In  dem  erwähnten  Hause  wird  unten  im  Keller  der 
Brunnen  von  5  m  Tiefe  gezeigt,  dessen  Wasser  noch  heutzutage 
von  den  Glaubigen  gegen  alle  möglichen  Krankheiten,  hauptsachlich 
die  der  Augen,  benutzt  wird. 


Der  Hostiendiebstahl  zu  Posen  im  Jahre  1399.  3°5 

üir  alles.    Aber  man  hielt  seine  Erzählung  für  wahnwitzig 
und    liess    ihn    in    den  Gewahrsam  des  Breslauer  Tores 
setzen.      Doch   die   Türen   seines    Kerkers   öffneten  sich 
ohne   jemandes  Zutun,   und   wieder   verkündete   er,   wie 
Arorher,  sein  Erlebnis.      Der  zur  Rede  gestellte  Schliesser 
versicherte,   dass   er   allen   seinen  Pflichten  genügt  habe, 
Tthr  und  Riegel  seien  in  bester  Ordnung  gewesen    (Bild  6). 
Der  Bürgermeister   wusste   nicht   mehr,    was    er  von  der 
Sache  zu  halten  habe,   er  zog  deshalb   einige  Ratmannen 
und  den  Propst  der  Pfarrkirche    hinzu    und  eilte  zu  dem 
bezeichneten  Orte.    Da  überzeugte  er  sich  von  der  Wahr- 
heit der  Erzählung  des  Hirten    und    berichtete  alles  dem 
versammelten  Rate. 

Dieser  aber  begab  sich  mit  dem  Pfarrer  zum 
Bischöfe1)  mit  der  Bitte,  die  Hostien  an  einem  geeigneten 
Platze  niederlegen  zu  lassen.  Bald  bewegte  sich  mit 
Kreuzen,  Fahnen  und  Kerzen  der  ganze  Klerus  zu  der 
Wiese,  und  einem  uralten  Priester,  der  im  Gerüche  besonderer 
Heiligkeit  stand,  Johannes  Riczy  wol,  wurde  vom  Bischof  der 
Auftrag  erteilt,  die  Hostien  aus  dem  Sumpfe  herauszu- 
heben (Bild  7).  Unter  dem  Geläute  der  Glocken  und 
den  Gesängen  der  Priester,  die  Strassen  mit  Zweigen  und 
Blumen  geschmückt  und  bestreut,  wurden  sie  alsdann  in 
die  Pfarrkirche  getragen. 

Aber  wenn  sie  dort  auch  im  geschlossenen  Tabernakel 
treulich  bewacht  wurden,  so  zeigten  sie  sich  doch  immer 
wieder  an  dem  Orte,  wo  sie  gefunden  waren.  Da  erbaute 
der  Bischof  hier  eine  Kapelle  für  die  Verehrung  der 
heiligen  Eucharistie  (Bild  8).  Der  Ruf  der  nun  sich  ereig- 
nenden Wunder  wuchs  von  Tag  zu  Tag,  eine  ungeheure 
Menschenmenge  strömte  zusammen,  nicht  nur  aus  Polen» 
sondern   auch   aus   den  umliegenden  Ländern.    Bald  da- 

t)  Treter  sagt,  einige  meinten,  es  sei  Stanislaus  Ciolek  ge- 
wesen, das  könne  aber  nicht  stimmen,  denn  dieser  sei  erst  1428 
Bischof  geworden.  Wahrscheinlich  sei  es  Albert  II.  Jastrzembski, 
der  1399  zur  bischöflichen  Würde  gelangte. 

Man  sieht  auch  hier,  die  Ueberliefertmg  war  unrichtig,  Treter 
aber  sachte  sie  mit  der  Geschichte  in  Einklang  zu  bringen. 


306  Rodgero  Prümcrs. 

rauf  fiel  die  Königin  Hedwig,  Gemahlin  Wladislaw 
Jagiellos,  in  eine  sehr  schwere  Krankheit.  Der  König  tat 
ein  Gelübde  zur  Wallfahrt  nach  der  Fronleichnams- 
kapelle zu  Posen  für  ihre  Genesung,  doch  Gott  hatte  es 
anders  bestimmt.  Sie  starb  bald  nach  ihrer  nur  3  Tage 
alt  gewordenen  Tochter  Bonifacia.  Wohl  gedachte  nun 
der  König  seines  Gelübdes,  aber  da  die  Kriege  mit  dem 
deutschen  Orden  ihn  vollauf  beschäftigten,  fand  er  keine 
Müsse,  es  zu  erfüllen.  Dafür  gab  er  alljährlich  reiche 
Mittel  zum  Bau  der  Kirche,  an  welche  er  im  Jahre  1414 
bei  seiner  Anwesenheit  in  Posen  ein  Kloster  der  Karmeliter 
anschloss    (Bild  9). 

Die  entsetzliche  und  verdammenswerte  Untat  der 
Juden  fand  ihre  gebührende  Strafe.  Sie  wurden  nebst 
dem  tempelräuberischen  Weibe  ergriffen  und  gestanden 
auf  der  Folter  den  ganzen  Hergang.  Da  sie  in  ihrem 
blinden  Starrsinn  beharrten  und  sich  in  Lästerungen  er- 
gingen,  wurden  sie  nebst  dem  Weibe  zum  Tode  ver- 
dammt, dem  sie  festen  Mutes  entgegengingen,  als  würden 
sie  mit  den  Patriarchen  Abraham,  Jsaac  und  Jacob  speisen. 
Das  Weib  aber  bereute  wenigstens  seine  Tat,  indem 
es  die  Schuld  auf  seine  Armut  und  die  Überredung 
der  Juden  schob. 

Mit  eisernen  Ketten  wurden  sie  an  den  Pfahl  ge- 
bunden, und  damit  ihre  Strafe  um  so  schwerer  wäre, 
mit  ihnen  zugleich  kräftige  Hunde,  die  sie  mit  grimmigen 
Bissen  zerfleischten,  während  sie  von  langsamem  Feuer 
verzehrt  wurden     (Bild  10). 

Ein  jüdischer  Gelehrter,  Wolf  Meyer  Dessauer,  erzählt 
in  einem  1801  zu  Berlin  erschienenen  Buche,  Phylacterium 
oder  Arganton  und  Philo  imSchoosse  der  wahren  Glückselig- 
keit, die  Begebenheit  in  anderer  Weise.  Nach  ihm  hätten  die 
Dominikaner,  an  ihrer  Spitze  Johannes  Ryczywol,  im  Jahre 
1369  einen  Volksaufstand  erregt,  weil  sie  nicht  dulden 
wollten,  dass  die  Juden  im  Jahre  1367  eine  Synagoge 
in  der  Nähe  ihres  Klosters  erbaut  hatten.  Die  Synagoge 
wurde  niedergerissen,  ein  grosses  Blutbad  unter  den  Juden 

Zeitschrift  der  Hist.  Ges.  f(lr  die  Prov.  Posen.    Jahrg.  XX.  so 


Der  Hostiendiebstahl  zu  Posen  im  Jahre  1399.  307 

angerichtet  König  Ludwig,  an  den  sie  sich  umHülfe  wandten, 
erwiderte  ihnen,  er  sei  nur  König  und  nicht  Papst,  um 
■  den  Dienern  der  Religion  befehlen  zu  können,  versprach 
aber,  Leben  und  Vermögen  der  verschont  gebliebenen 
Juden  zu  schützen,  bis  eine  von  ihnen  an  den  Papst  nach 
Rom  geschickte  Gesandstchaft  zurückgekehrt  wäre. 

Am  13.  Juni  1369  reiste  die  Deputation   von  Posen 
ab  und  langte  am  6.  September  in  Rom  an.    Sie  erzielte 
durch  ihre  Bemühungen  einen  vollen  Erfolg.  Papst  Innocen* 
.gab    eine  Verordnung,    in    der    er   ausdrücklich    befiehlt, 
„dass    ferner    die   Israeliten    aller  Beschuldigungen,    sa 
den   Gebrauch   des  Christenblutes,   die   Entweihung   der 
konsecrierten  Hostien  und  aller  anderen  aus  blossem  Aber- 
glauben   und    Hipocrise    fliessenden  Verläumdungen  be* 
treffen,  entledigt  bleiben."    Dies  der  Deputation  ausgefer- 
tigte und  mitgegebene  Statut  ist  nach  Dessauer  leider  in 
der  im  Jahre   1623  zu  Posen   vorgefallenen  Feuersbrunst 
von  den  Flammen  verzehrt  worden.     Nur  eine  in  einem 
königlichen  Privileg  eingerückte  Stelle,    die    er   abdruckt, 
sei  unversehrt  geblieben. 

Die  Ruhe   blieb    nun   ungestört,    bis   im  Jahre  1399 
eine   Christin,   Namens   Anna,    die  Magddienste  bei  dem 
Ältesten  Sacharias  verrichtete,    diesem  einen    Beutel  von 
fcoo   Tympfen    entwandte  und    in    der  Beichte  von  dem 
Dominikaner  Johannes  mit  schwerer  Busse  belegt  wurde, 
nicht  so  sehr,   weil   sie   gestohlen,  sondern  weil  sie   den 
Juden  Dienste  geleistet  hatte.    Daraus  zog  sie  den  Schluss^ 
dass    Stehlen    überhaupt    erlaubt   sei,    und    machte    sich 
eine  ihr  bietende  Gelegenheit  zu  Nutze,  aus  der  Domini- 
kanerkirche  selbst   silberne  Geräte,   von  denen  das  eine 
drei  Hostien  enthielt,  sich  anzueignen,  die  sie  der  grösseren 
Sicherheit  halber  auf  einer  Wiese  unter  dem  Rasen  ver- 
barg.     Hierbei    war    sie    jedoch    von    dem    Sohne    des 
.    Hirten   bemerkt,    und    als  dieser   nun  den  Schatz  selbst 
entdeckte,    nahm    er   das  Silber  an  sich,    während  er  die 
Hostien    dort   zurückliess.     Am   nächsten   Sonntag   aber 
fiel    dem    Hirten    einiges    Vieh,    von    der    herrschenden 
Seuche  angesteckt     Voll  Angst  brachte  er  die  gestohlenen 


308  Rodgero  Prümcrs. 

Geräte  dem  Priester  Johannes,  um  dessen  Fürbitte  zu 
erlangen,  berichtete  auch,  dass  die  Hostien  unter  dein 
Rasen  liegen  geblieben.  Diesen  Umstand  benutzte  der 
Mönch,  um  die  Juden  zu  verderben.  Die  Diebin  Anna, 
der  er  aUe  zeitlichen  und  ewigen  Strafen  androhte, 
musste  aussagen,  dass  sie  von  dem  Rabbi  und  13  Aeltesten 
zu  ihrer  Tat  angestiftet  sei.  Der  weitere  Verlauf  der 
Angelegenheit  wird  dann  ähnlich  wie  von  Treter  dar- 
gestellt, doch  sagt  er  auch,  dass  drei  weisse  Schmetterlinge 
in  der  Luft  herumgeflogen  seien,  während  Treter  be- 
richtet, die  Hostien  hätten  über  dem  Orte,  wo  sie  ver- 
graben, geschwebt,  gleich1)  schneeweissen  Schmetterlingen. 

So  viel  Einzelheiten,  so  viel  Falsches,  könnte  man 
beinahe  sagen,  und  der  Zweifel  ist  wirklich  berechtigt,  ob 
Dessauer  besondere  Quellen  zu  Gebote  gestanden  haben, 
oder  ob  von  ihm  missverstandene  Überlieferung  mit 
eigenen  Zutaten  willkürlich  gemischt  ist  Schon  Luka- 
szewicz  spricht  Dessauer  alle  Glaubwürdigkeit  ab  und 
bezeichnet  seine  Erzählung  als  leeres  Geschwätz. 

Wir  müssen  mindestens  sagen,  dass  sie  so  wenig 
wie  nur  möglich  den  geschichtlichen  Tatsachen  entspricht 
Denn  die  Juden  konnten  im  Jahre  1369  keine  Gesandt- 
schaft an  den  Papst  nach  Rom  schicken,  weil  damals  die 
Päpste  in  Avignon  residierten.  Auch  hiess  der  1369 
regierende  Papst  nicht  Innocenz,  sondern  Urban  V. 
König  Ludwig,  an  den  sie  sich  gewandt  haben  sollen, 
kam  erst  im  Jahre  1370  zur  Herrschaft  Dessauer  führt 
ferner  ein  königliches  Privileg  an,  in  das  eine  Stelle  aus 
dem  päpstlichen  Schutzbrief  aufgenommen  und  dadurch 
erhalten  geblieben  sei.  Diese  Stelle  ist  aber  ihrem  Wor- 
laute  nach  dem  Judenprivileg8)  Kasimirs  IV.  vom  13.  August 
1453  entnommen,  also  einer  Urkunde,  die  beinahe  100 
Jahre  später  niedergeschrieben  ist 

Beweise  genug  dafür,  dass  wir  den  Geschichts- 
schreiber Dessauer  nicht  ernst  zu  nehmen  brauchen, 
ganz  abgesehen    davon,     dass    von    einem    päpstlichen 

l)  instar  candidissimorum  papilionum. 

*)  Vergleiche  diese  Zeitschrift  Band  VI  Seite  160  §  39. 


Der  Hostiendiebstahl  zu  Posen  im  Jahre  1399.  309^ 

Schutzbriefe  für  die  Posener  Juden  aus  dieser  Zeit  nichts 
bekannt  ist.  Eine  Nachforschung  nach  einem  solchen  in 
clen  Bullarien  durch  das  königl.  Preussische  Historische 
Institut  zu  Rom  ist  ohne  Ergebnis  geblieben. 

Kehren  wir  zu  der  Treterschen  Erzählung  zurück, 
so  haben  wir  bereits  oben  gesehen,  dass  sie  ohne  feste 
geschichtliche  Grundlage  war.  Ihr  Verfasser  schöpfte, 
wie  er  selbst  sagt,  aus  der  Überlieferung  und  aus 
Manuskripten,  von  denen  wir  aber  nicht  einmal 
erfahren,  welcher  Art  sie  gewesen  sind,  wenn  wir  nicht 
etwa  das  Predigtbuch  des  Tremessener  Mönches  als  Ge- 
schichtsquelle annehmen  wollen.  Ob  in  diesen  Manus- 
kripten vielleicht  zu  lesen  gewesen,  dass  Wladislaw  III.  im 
Jahre  1434  hätte  die  Sache  untersuchen  lassen,  wie 
Dessauer  in  seinem  Phylacterium  berichtet,  dafür  können  wir 
keine  einzige  Beweisstelle  beibringen.  Nach  Dessauer  soll  der 
Prozesserst  im  Jahre  1554  durch  einen  Vergleich  beendigt 
sein,  wonach  die  Juden  alljährlich  zur  Prozession  des 
Frohnleichnamfestes  800  Tympfe  bezahlen  und  drei  aus 
ihrer  Mitte  stellen  mussten,  die  mit  schwarzen  Messern 
in  der  Hand  eine  Tafel  mit  der  Abbildung  der  Hostien- 
geschichte der  Prozession  nachtrugen.  Erst  1723  hätten 
sie  sich  von  diesem  Gebrauche  durch  Übernahme  einer 
jährlichen  Lieferung  von  2  Stein  Wachs,  Talg,  Schiess- 
pulver und  Baumöl  losgekauft.  1774  sei  diese  Abgabe 
aufgehoben  worden.  Die  Akten  darüber  befänden  sich 
bei  den  Karmelitern  und  in  der  Synagoge1). 

Was  von  dieser  Geschichte  wahr  ist,  kann  nur 
schwer  entschieden  werden.  Im  17.  und  18.  Jahrhundert 
ist  den  Posener  Juden  durch  den  Magistrat  hart  zugesetzt 
worden.  Man  hat  im  Jahre  1736  gegen  sie  selbst  die  Be- 
schuldigung des  Knabenmordes  erhoben,  aber  der  roman- 
tischen Erzählung  Dessauers  von  den  hinter  der  Pro- 
zession marschierenden  Juden  mit  Messern  und  einer 
Abbildung  der  Schandtaten  ihrer  Vorväter  geschieht 
keinerlei  Erwähnimg. 


l)  wo  sie  aber  nicht  zu  ermitteln  waren. 


310  Rodgero  Prümcrs. 

Als  unrichtig  nachweisbar  ist  die  Angabe  Dessauers> 
<Iie  Juden  hätten  im  Jahre  1554  versprochen,  jährlich 
ßoo  Tympfe  zur  Prozession  des  Frohnleichnamfestes  zu 
zahlen.  Denn  der  polnische  Münzmeister  Andreas  Tympf 
prägte  zuerst  im  Jahre  1661  die  nach  ihm  benannten 
Guldenstücke,  die  Tympfe. 

Dagegen  bestätigt  sich  die  Angabe1),  dass  im  Jahre 
1724  ein  Vergleich  zwischen  dem  Karmeliterkloster  und 
•den  Posener  Juden  geschlossen  wurde,  durch  den  sie  sich 
verpflichteten,  an  den  Konvent  der  Karmeliter  zu  Posen 
alljährlich  2  Stein  Baumöl,  2  Stein  Wachs,  2  Stein  ge- 
schmolzenen Talg  und  1  Stein  Schiesspulver  zu  liefern. 
So  steht  in  dem  Dekret2)  der  Kommission,  die  zur 
Regelung  der  jüdischen  Schuldenverhältnisse  eingesetzt 
war,  aus  dem  Jahre  1774.  Durch  dieses  Dekret  wurden 
die  Juden  von  der  weiteren  Lieferung  dieser  Abgabe  be- 
freit. In  dem  Dekrete  steht  aber  nicht,  dass  den  Juden 
diese  Abgabe  an  das  Karmeliterkloster  als  Sühne  für 
den  durch  den  Hostiendiebstahl  begangenen  Frevel  auf- 
erlegt worden  sei,  wie  Dessauer  erzählt. 

Wohin  wir  also  blicken  und  nach  Belegen  suchen, 
geraten  wir  auf  unsicheren  Boden. 

Unmöglich  ist  es  nicht,  dass  dem  Treter  ein  Prozess  vor- 
geschwebt hat,  der  berühmte  Sochaczewer  Blutprozess,  der 
im  Jahre  1557  verhandelt  ist,  und  aus  dem  manche  Züge 
zu  dem  von  ihm  entworfenen  Bilde  genommen  sein 
können.  Nach  einer  Urkunde  des  Königs  Sigismund 
August  vom  Jahre  1557  hätte  eine  Frau  Dorothea  Lateczka, 
von  mehreren  Juden  überredet,  ihnen  das  Sakrament  des 
Altars,  welches  sie  bei  der  Kommunion  in  der  Pfarrkirche 
zu  Kotlowo  bei  Seite  gebracht,  für  3  Taler  und  ein  Tuch» 
kleid    mit    seidenen    Spitzen    verkauft.      Die   Juden  aber 


*)  nicht  1723,  wie  Dessauer  schreibt,  sondern  1724.  Perles, 
Geschichte  der  Juden  in  Posen,  Breslau  1865,  S.  io,  gibt  richtig  den 
25.  September  1724. 

2)  Deutsche  Obersetzung  im  Archiv  der  Synagogengemeinde 
zu  Posen.  Vergl.  Historische  Monatsblätter  für  die  Provinz  Posen 
lü  S.  38  ff. 


Der  Hostiendiebstahl  zu  Posen  im  Jahre  1399.  311 

hätten  die  Hostie  mit  einer  Nadel  durchstochen  und  das 
ausgeflossene  Blut  in  einem  kleinen  Gefässe  verwahrt. 
Die  auf  der  Folter  befragten  Juden  hätten  ihre  Schuld 
bekannt  und  seien  hingerichtet  worden.  Der  König  und 
seine  Räte  sprachen  nun  freilich  die  Richter  von  der  An- 
schuldigung frei,  gegen  die  königlichen  den  Juden  er- 
teilten Privilegien  gehandelt  zu  haben,  weil  das  Zeugnis 
<ler  Lateczka  und  das  Geständnis  der  Juden  vorgelegen 
Jhatte.  Da  sich  jedoch  herausstellte,  dass  die  Aussage  der 
Lateczka  von  Hass  gegen  die  Juden  eingegeben  gewesen, 
ßo  bestimmte  nun  der  König,  dass,  wenn  vor  irgend 
-einem  Gerichte  ein  Jude  wegen  Diebstahls  von  Christen- 
kindern, um  deren  Blut  zu  vergiessen,  oder  wegen 
Hostiendiebstahls  angeklagt  werden  sollte,  nur  er,  der  König, 
allein  und  nur  auf  dem  Reichstage  über  den  Fall 
richten  dürfe. 

Also  auch  hier  die  Anklage,  dass  die  Juden  eine 
Frau  überredet  hätten,  auch  hier  das  Durchstechen  der 
Hostie,  allerdings  nicht  mit  Messern,  sondern  mit  einer  Nadel, 
<ias  ausfliessende  Blut  und  die  Sühne  durch  Hinrichtung 
der  Juden.  Es  ist  wohl  nicht  überflüssig,  darauf  hinzu- 
weisen, dass  auch  diese  Erzählung  zeitlich  in  eine  Periode 
fällt,  in  der  den  Katholiken  daran  liegen  musste,  gegen 
die  Forderung  des  Kelches  für  die  Laien  das  Vorhanden- 
sein des  Blutes  in  der  Hostie  den  Gläubigen  recht  ein- 
dringlich zu  machen. 

Was  aber  das  17.  Jahrhundert  unter  dem  Einflüsse 
der  kirchlichen  Reaktion  als  selbstverständlich  annahm, 
nämlich  die  Schuld  der  beklagten  Juden,  dazu  gelangte 
man  ein  Jahrhundert  früher  nicht  ohne  weiteres.  Viel- 
mehr wird  festgestellt,  dass  das  Zeugnis  gegen  sie  von 
Hass  eingegeben  war,  und  es  werden  Vorkehrungen  ge- 
troffen, um  die  Angeklagten  bei  solch  schweren  Ver- 
dächtigungen einem  geordneten  Gerichtsverfahren  unter 
dem  Vorsitze  des  Königs  zu  unterwerfen. 

Die  Zeitgenossen  Treters  aber  nahmen  seine  Er- 
zählung gläubig  hin,  und  von  nun  an  mehren  sich  die 
Erzählungen  von  der  jüdischen  Schandtat.    Ja,  es  wurde  im 


312  Rodgero  Prümers. 

Jahre  1620  in  dem  Hause  der  Swidwa   sogar   der  Tischr 
eingemauert    in    einem    Pfeiler,    gefunden,    auf   dem  die 
Hostien   von   den   Juden   mit    ihren  Messern    durchbohrt 
waren1).   In  feierlicher  Prozession  unter  Führung  des  Weih- 
bischofs  Gninski,    an    der   sämtliche  Welt-  und  Ordens- 
geistliche  sowie   ausserdem  einige   tausend   andere    Per- 
sonen teilnahmen,  wurde  dieser  Tisch  nach  der  Karmeliter- 
kirche übertragen.    Für  diesen  Vorgang  finden  wir  einen 
Belag  in  den  Posener  Stadtrechnungen2),    in  denen  zum 
6.  September  1620  ein  kleiner  Posten  für  Pulver  gebucht 
ist,   und   zwar   zu   Freudenschüssen   bei    der  Prozession 
nach  der  Karmeliterkirche,   in  der  die  Tischplatte  dorthin 
gebracht    wurde,     auf    der    die    verfluchten    Juden    das 
heilige  Sakrament    der   aus  der  Dominikanerkirche  durch 
sie    gestohlenen    und    nach    dem    damals    sogenannten 
Swidwiczker    Keller    gebrachten    Hostien    durchstochen 
hatten,    sodass    die    Zeichen     des     heiligen    Blutes    sich 
zeigten,  wie  es  dort  heisst. 

Der  Einfluss  Treters  auf  diesen  Vorgang  ist  offen- 
sichtlich, und  ebenso  ist  alles,  was  sich  später  noch  als 
Material  zu  dieser  Frage  ermitteln  lässt,  weiter  nichts  als 
Wiederholung  und  Ausschreibung  Treters. 

Der  Glaube  an  die  Schuld  der  Juden  setzte  sich 
im  Volke  so  fest,  dass  sogar  der  Stadtschreiber,  den  wir 
unbedingt  zu  den  gebildetsten  Einwohnern  Posens 
rechnen  müssen,  in  den  Stadtbüchern  nach  Beweisen  für  den 
ungeheuren  Frevel  suchte.  Und  als  er  nichts  fand,  da 
schrieb  er  enttäuscht  an  den  Rand  einer  freigebliebenen 
Stelle  des  Jahres  1402:  Hier  ist  über  den  Diebstahl  des 
allerheiligsten  Sakraments  durch  die  Juden  zu  notieren8). 
Es  ist  aber  bei  der  Absicht  geblieben. 


J)    Vergl.  Lukaszewicz,  Historisch-statistisches  Bild   der  Stadt 

Posen  Bd.  II  S.  99.  236. 

2)  Vergl.  A.  Warschauer,  Aus  den  Posener  Stadtrechnungea, 

in  dieser  Zeitschrift  Bd.  XX  S.  271. 

8)  Eintragung  von  einer  Hand  des  17.  Jahrhunderts  im 
ältesten  Stadtbuch  von  Posen  zum  Jahre  1402 :  De  Judaeorum  furto 
sacratissimi  sacramenti  hie  no  tan  dum.  Vergl.  Warschauer,  Stadt- 
buch von  Posen  I  S.  47. 


Der  Hostiendiebstahl  zu  Posen  im  Jahre  1399.  3*3 

Eine  Grodurkunde1)    vom   Jahre  1559  schreibt  über 
das  Haus  der  Swidwa,  in  dem  die  gottlose  und  verbreche- 
rische Hand  der  Juden,  nichtswürdig  erhoben,  die  wunder- 
tätigen Hostien  zu  durchbohren  gewagt  hat,  wie  über  diesen 
Gegenstand    die    Geschichte2)    eben    dieser   Kirche    und 
andere    weltliche   Nachrichten  ausführlicher  erzählen  und 
bezeugen.       Diese     Grodeintragung    betrifft    den     lang- 
wierigen   Streit  des    Karmeliterconvents    mit    der    Stadt 
Posen  über  das  Haus  der  Swidwa,  welches  der  Konvent 
für  sich   in  Anspruch   nahm,    während   der   Magistrat   es 
anscheinend  für  Hospitalzwecke  verwenden  wollte. 

Aus  demselben  Jahre  besitzen  wir  eine  Urkunde 
des  Königs  Johann  Kasimir,  in  der  er  die  Rechte  des 
Karmeliterklosters  auf  eben  dieses  Haus  anerkennt,  in 
dessen  Kammer  in  längst  vergangenen  Jahrhunderten  die 
Raserei  der  Juden  durch  einen  Angriff  auf  das  alier- 
heiligste  Sakrament  des  hochheiligen  Leibes  Christi 
wütete,  dadurch  dass  sie  ihn  grausam  durchbohrten.  Dort 
könnten  sie  eine  Kapelle  errichten,  in  der  sicherer  vor 
einem  feindlichen  Einfalle  oder  anderer  Gefahr  der  Schatz 
der  allerheiligsten  Hostien  niedergelegt  werden  möchte. 
Denn  es  sei  billig,  dass  dort  ihr  Aufbewahrungsort  und 
das  Sühneopfer  für  die  Sünden  wäre,  wo  man  sie  be- 
schimpft und  durchbohrt  hatte3). 

*)  Relationes  Posnanienses  1659  m  BI.  77.  lapideara  Swid- 
winska  dictam  ac  potius  originem  fundationis  dictae  praefatae  con- 
ventas  ipsorum,  in  qua  impia  ac  scelesta  Judaica  manus  nefarie 
elevata  miraculosas  hostias  corporis  sanctissimi  salutis  humanae 
redemptoris  ausa  est  perfodere,  prout  eo  nomine  historia  ecclesiae 
eiusdem  ac  aliae  saeculares  notitiae  latius  obloqu  untur  ac  testantur. 

2)  Das  ist  doch  wohl  Treters  Sacratissimi  Corporis  Christi 
Historia  et  miracula,  Posen  1609. 

3)  Urkunde  König  Johann  Kasimirs  vom  13.  April  1659  als 
Transsumt  in  einer  Originalurkunde  König  Johanns  III.  vom  20.  März 
1676  im  Kgl.  Statsarchiv  zu  Posen,  Posen,  Karmeliter  Nr.  16:  iura 
certa  super  lapideam  Swidwinska  dictam  in  civitate  nostra  Posna- 
niensi  sitam  et  iacentem,  in  cuius  triclinio  dudum  retroactis  tempo- 
rum  saeculis  Judaica  rabies  caelo  lata  impetu  in  sacrosanctam  sacra- 
tissimi corporis  Christi  eucharistiam  crudeli  confossione  desaeviit 
Sacellum,  in  quo   securius   hostilis   incursionis   et   cuiusvis   periculi 


3*4  Rodgero  Prümers. 

Noch  ausführlicher  nimmt  eine  zweite  Urkunde 
Johann  Kasimirs  vom  21.  März  1668  auf  die  Freveltat  im 
Swidwinska-Hause  Bezug,  indem  sie  sagt: 

„Es  besteht  ein  berühmter  Tempel,  der  aus  dem  könig- 
lichen Gute  unseres  allergnädigsten  gottseligen  Vorfahren 
und  Vorgängers,  des  Wladislaw  Jagiello,in  der  Metropolitair» 
Stadt  Grosspolens  erbaut  ist.  Diesen  erbaute,  zierte  und 
bereicherte  er  mit  geräumigen  Baulichkeiten  für  die  Väter 
des  Ordens  der  allerseligsten  Jungfrau  Maria  vom  Berge 
Xarmel  zu  Ehren  des  allerheiligsten  Leibes  unseres  Herrn 
Jesu  Christi,  als  die  tempelschänderische  Bosheit  der  un- 
gläubigen Juden,  welche  drei  hochheilige  Hostien  in  grösster 
Gottlosigkeit  und  ungeheurem  Frevel  mit  Messern  durch- 
bohrt und  mit  grösster  Verachtung  der  Ehre  Gottes  an 
einem  schmutzigen  Orte  verborgen  hatte,  durch  Gott, 
der  seine  Ehre  an  den  Gottlosen  rächte,  auf  wunderbare 
Weise  aufgedeckt  war1). 

Auch  die  Kurie,  die  früher  die  Posener  Juden  in 
ihren  Schutz  genommen,  macht  sich  nunmehr  die  Tretersche 
Darstellung  zu  eigen.  Im  Vatikanischen  Archiv  zu  Rom 
befindet  sich  eine  Zusammenstellung  der  Einkünfte  des 
Karmeliterkonvents  zu  Posen  vom  Jahre  1775,  unter  denen 
auch  der  Besitz  einer  Kapelle  an  dem  Orte  erwähnt  wird, 
wo  die  wundertätigen  drei  Hostien,  die  gestohlen  und  von 
den  ungläubigen  Juden  mit  Messern  durchstochen  waren, 


metu  suprafatus  sanetissimarum  hostiarum  thesaurus  deponi  et  asser- 
vari  possit,  aequum  enim  est,  quod  ibi  depositorium  suum  pecca- 
torumque  piaculum  sit,  ubi  suae  contaminationis  et  transfüdonis 
triclinium  habuit,  erigant .  . . 

*)  Exstat  —  insigne  regalibus  serenissimi  divae  memoriae 
Vladislai  Jagielonis  atavi  et  praedecessoris  nostri  in  metropolitana 
Majoris  Poloniae  civitate  erectum  templum,  quod  ipse  religiosis 
patribns  ordinis  beatissimae  virginis  Mariae  de  monte  Carmelo  in 
honorem  sacratissimi  corporis  domini  nostri  Jesu  Christi,  dum  sacrilega 
perfidorom  Jndaeornm  tres  sacratissimas  hostias  cultris  per  summam 
impietatem  et  immanitatem  confossas  in  loco  coenoso  occultantium  in 
maximum  divini  nominis  contemptum,  deo  honorem  suum  ab  impiis 
vendicante,  miraculose  deteeta  fuisset  malitia,  fundavit.  Original  im 
Kgl.  Staatsarchiv  zu  Posen:    Posen,  Karmeliter  Nr.  14. 


Der  Hostiendiebstahl  zu  Posen  im  Jahre  1399.  3*5 

im   August   des  Jahres  1399    reichliches   Blut   vergossen 
hatten1). 

Als  im  Jahre  1750  die  Königin  Maria  Josefa  das 
Karmeliterkloster  zu  Posen  besuchte,  zeigte  ihr  der  Dom- 
propst Josef  Thaddaeus  Kierski  die  drei  allerheiligsten 
einst  von  den  Juden  durchstochenen  Hostien,  die  in 
kleinsten  Teilchen  in  einer  mit  Edelsteinen  geschmückten 
Monstranz  aufbewahrt  wurden,  gab  ihr  auch  das  kleine 
Corporate,  in  dem  die  Hostien  lagen,  auf  ihre  Bitte  in  die 
Hand2).  So  hat  es  im  Jahre  1772  der  Generalprokurator 
der  polnischen  Karmeliterprovinz  in  die  Akten  des  Posener 
General -Konsistoriums  eintragen  lassen.  Abgedruckt  ist 
dies  in  einer  gleichfalls  1772  erschienenen  polnischen 
Obersetzimg  des  Treterschen  Buches  von  Kasimir  Miedz- 
wiedzki,  die  unter  dem  Titel:  Die  drei  heiligen  Hostien, 
die  zu  Posen  im  Jahre  1399  von  den  Juden  mit  Messern 
durchstochen  wurden,  von  der  Buchdruckerei  der  Posener 
Akademie  gedruckt8)  wurde. 

Diese  Übersetzimg  hat  dann  wieder  als  Vorlage  für 
eine  deutsche  Ausgabe  gedient,  die  in  Posen  „zum  Jubi- 
läum im  Jahre  1799"  erschien.  Der  Übersetzer,  der  sich 
auf  die  „Geschichte  von  den  heiligen  drey  Hostien"  be- 
schränkt und  von  einer  Wiedergabe  der  Wunder  absieht, 
nennt  seinen  Namen  nicht.  In  welchem  Geiste  er  aber 
geschrieben,  das  ergibt  sich  aus  seinem  Nachworte,  nach- 


*)  Idem  conventus  Poznaniensis  habet  residentiam  in  ipsa  civi- 
tate  Posnaniensi  sibi  subiectam  com  capella  seu  oratorio  in  ipso  locor 
nbi  miraculosae  tres  hostiae  furto  sublatae  a  perfidis  Judaeis  cultris 
compnnctae  in  anno  1399  mense  Augnsto  copiosom  fadere  sangainem. 

*)  tres  sacratissimas  hostias  olim  a  Judaeis  confixas  in  minu- 
tissimis  particulis  in  monstratorio  gemmis  adornato  diligentissime 
asservatas  . . .  serenissimae  reginae  Poloniarum  . .  .  aedes  sanctissimt 
Corporis  exemplarissime  visitanti  intuendas  et  adorandas  in  majori 
altari  religiöse  exhibui  nee  non  corporate  exiguum,  quo  dietae 
sanetissimae  tres  hostiae  reconditae  fuerant,  eidem  serenissimae 
reginae  devote  exoptanti  pro  reliquiis  decenter  consignatum  in  manus 
proprias  debita  com  reverentia  reposui. 

3)  Kazmierz  Miedzwiedzki,  Trzy  swi^te  hostye,  w  Poznaniu 
1399  roku  nozami  od  zydow  ukfote.    Poznan  1772. 


316  Rodgero  Prümers. 

dem  er  den  qualvollen  Tod  der  Juden  geschildert  „Unge- 
achtet dieser  schreckliche  Tod  nicht  allein  zur  Bestrafung 
jener  Bösewichte,  sondern  auch  zur  strengen  Warnung 
ihres  Gleichen  hätte  dienen  sollen,  so  sieht  man  dennoch 
in  allen  christlichen  Ländern,  wo  nur  Juden  vorhanden 
sind,  Auftritte  der  schwärzesten  Bosheit,  welche  von  den 
tief  eingewurzelten  Vorurteilen  und  dem  unüberwindlichen 
Hass  gegen  alles  das,  was  nur  den  christlichen  Namen 
führt,  bei  dieser  schlecht  erzogenen  Nation  die  deutlichsten 
Beweise  liefern.  Nicht  nur  das  hochwürdige  Sakrament 
und  andere  Heiligtümer  sind  von  ihnen  bei  Gelegenheit 
der  nur  allzu  häufigen  Kirchendiebstähle  schändlich  ge- 
lästert und  entheiligt,  sondern  auch  unschuldige  Kinder 
blos  aus  Religionshass  mehrmals  getötet  und  umgebracht 
worden,  ohne  einmal  in  Erfahrung  zu  bringen,  ob  der- 
gleichen Fälle  immer  gehörig  bestraft  und  geahndet 
worden  sind*. 

Bei  solchen  Vorwürfen  darf  es  beinahe  Wunder 
nehmen,  dass  die  Prozession,  die  am  26.  August  1799  zur 
Erinnerung  an  die  Auffindung  der  Hostien  zu  Posen  statt- 
fand und  an  der  gewiss  15000 — 20000  Menschen  teil- 
nahmen, ohne  alle  Unordnung  vorübergegangen  ist1). 

Wir  stehen  am  Schlüsse  unserer  geschichtlichen 
Untersuchung. 

Blicken  wir  auf  den  Gang  der  Wundergeschichte  zu- 
rück, so  spricht  der  König  Wladislaus  im  Jahre  1406  nur 
von  dem  göttischen  Leibe,  der  in  der  Vorstadt  von  Posen 
gefunden  ist.  Wir  dürfen  das  „dinoscitur*  der  Urkunde 
dahin  fassen,  dass  ihm  solches  berichtet  ist.  Es  kann  nur 
vom  Hörensagen  die  Rede  sein,  das  sich  auf  Überlieferung 
aus  früherer  Zeit  stützt.  Dlugosz  fügt  in  seiner  Chronik 
bereits  hinzu,  dass  eine  Frau  bei  der  Kommunion 
eine  Hostie  genommen,  nicht  genossen,  sondern  den  Juden 
ausgeliefert  habe.     Michael  v.  Janowitz    bringt    mit  ganz 


x)  Südpreussische  Zeitung  1799  Nr.  69  vom  28.  August  Diese 
Prozession  war  die  Veranlassung  zu  dem  oben  genannten  Phylac- 
terium  Dessauers.