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fliBwa. SfianBLStiiiiiicM. ejiis
^ÄJUIft^^
Zeitschrift
des
Vereins für hessische Geschichte
und Landeskunde.
.-^^*<-
Neue Folge. Dreiundzwanzigster Band.
(Der ganzen Folge XXXIII. Band.)
Kassel.
Im Commissionsverlage von A. Freyscbmidt's Buchhandlung
(G. Dufayel.)
1898.
DD
Y4-6
Druck von L. Doli in Kass«>l.
Inhalt
Seite
I. Politik Hessen-Kassels im österreichischen Erbfolgekrieg
bis zum Dresdener Frieden. Von Moriz von Rauch . 1 — 138
II. Die Geschichte der französischen Kolonie Frauenberg
bei Marburg. Von Dr. Eduard Wintzer 139—180
III. Landgraf Wilhelm IV. von Hessen auf der Brautsuche.
Von Dr. Ribbeck 181—203
IV. Hans Christoph Fuchs der Ältere zu Wallenburg und
Arnschwang, ein humanistischer Ritter des 16. Jahr-
hunderts. Von Dr. Otto Gerland 204—246
V. Landgraf Wilhelm IV. von Hessen und der nieder-
ländische Aufstand bis zum Tode Wilhelms von Oranien.
Von Dr. Ribbeck 247—293
VI. Briefe eines marburger Studenten aus den Jahren
1606—1611. Von Prof. G. Freiherr von der Ropp . 294—408
VII. Das Kloster Georgenberg bei Frankenberg und das
dasige Augustinerinnenhaus. Von August Heldmann . 409 — 450
Vin. Vom Melsunger Gerichte. Von Dr. L. Armbrust . . 451—466
I.
Die Politik Hessen-Kassels im österreichischen
Erbfolgekrieg bis zum Dresdener Frieden.
Von
Dr. phil. Moriz von Rauch.
1, Kapitel.
Stellung Hessen-Kassels vor dem österreichischen
Erbfolgekrieg; Subsidienvertrag mit England im
Mai 1740.
|er österreichische Erbfolgekrieg hat über das Schicksal
einer der grössten unter den damaligen Monarchieen
entschieden, fast sämtliche Staaten Europas haben sich an
diesem weltgeschichtlichen Kampf beteiligt. Sind es in einem
solchen Krieg nat argem äss die grossen Mächte, die den Aus-
schlag geben, so ist es doch bei der ausserordentlichen Bedeu-
tung, die Österreichs Los für die Zukunft Deutschlands hatte,
auch von Interesse zu verfolgen, wie sich die kleineren deutschen
Staaten beim Kampf der grossen verhalten, wie sie sich im
Gewirr der Interessen zwischen ihnen hindurchwinden, wie
sie, für sich allein ohnmächtig, aber als Verbündete doch
nicht zu verachten, von den grossen Mächten umworben
werden und hierbei Vorteile für sich zu erringen suchen.
Ein Staat, dessen Bundesgenossenschaft seiner militärischen
Leistungsfähigkeit wegen stets gesucht wurde, war Hessen-
Kassel, das. Dank seiner tüchtigen Armee, eine im Verhältnis
zur Grösse und Bevölkerungszahl des Landes bedeutende
Rolle in der Geschichte der neueren Zeit gespielt hat.
Freilich war Hessens Stellung im 18. Jahrhundert nicht mehr
N. F. Bd. XXIII. 1
dieselbe, wie 200 Jahre früher vor der Teilung der hessischen
Lande, als Philipp der Grossmütige als Vorkämpfer des
Protestantismus und des deutschen Fürstentums gegen die
habsburgische Weltmacht in die Schranken trat, oder im
30jährigen Krieg, als Amalie Elisabeth von Hessen-Kassel
fast allein unter den deutschen Fürsten als Verbündete
Schwedens und Frankreichs ausharrte im Kampf gegen
Osterreich. Die kleineren deutschen Territorien waren seither
in ihrer politischen Bedeutung immer mehr hinter den allein
lebensfähigen grösseren Staaten zurückgetreten ; dabei war
ihre wirtschaftliche Lage infolge des 30jährigen Krieges, der
Überlegenheit des Auslands und der Kleinheit der Wirtschafts-
gebiete durchweg äusserst schlecht ; die ewige . finanzielle
Bedrängnis machte den kleinen Fürsten das Halten einer
grösseren Truppenmacht, das erste Erfordernis, um noch eine
Rolle spielen zu können, unmöglich und so mussten sie denn,
um trotzdem Geld hierfür aufzubringen, zu dem Auskunfts-
mittel greifen, dass sie mit fremden Mächten Subsidien-
verträge abschlössen. Aber damit begaben sie sich des
Rechts auf eine selbständige Politik, „die Waffen, die sie
führten, erhöhten den Glanz ihres Namens, gaben ihnen aber
keine äussere Selbständigkeit" ^) : wenn sich die Interessen
des Subsidien gebenden und empfangenden Staats nicht voll-
ständig deckten, was doch nicht immer der Fall sein konnte,
so mussten die unnatürlichsten Verhältnisse entstehen, und
dies ist vielleicht niemals so grell an den Tag getreten, als bei
der Politik Hessen-Kassels im österreichischen Erbfolgekrieg.
Seit 1730 regierte in Hessen der älteste Sohn Land-
graf Karls, Friedrich L, der, 1676 geboren, im Jahr 1720
anstelle seiner Gemahlin, der Schwester Karls XH., König
von Schweden geworden war. So ergab sich für Hessen
derselbe, wenig erspriessliche Zustand, in dem sich auch
Sachsen und Hannover befanden : der Herrscher war im
Besitz einer fremden Königskrone, das Land aber hatte hier-
von nicht nur keinen Nutzen, sondern es lag auch, abge-
sehen von den durch die Abwesenheit des Souverains ent-
») Ranke, Gesammelte Werke, XXIX, 92.
stellenden Misslichkeiten^ die Gefahr nahe, dass das Stamm-
land in die ihm fremde Politik eines auswärtigen Staates
hineingezogen wurde. Wäre Schweden noch das mächtige
Reich des 17. Jahrhunderts und Friedrich L, wie seine letzten
Vorgänger auf dem Thron, unumschränkter Herrscher gewesen,
so hätte er Hessen wohl auch manche Vorteile verschaffen
können ; aber der schwedische Staat lag seit dem nordischen
Krieg völlig darnieder und die Macht des Königtums war
nach dem Tod Karls XH. in einer Weise eingeschränkt
worden, dass der König so gut wie nichts mehr zu sagen
hatte. Das Regiment führte eine engherzige, bestechliche
Aristokratie, die ewig unter sich haderte in wüstem Partei-
gezänk und nur darin einig war, dass der König nicht wieder
zu Macht gelangen dürfe. Friedrich war nicht die Persönlich-
keit sich in dieser schwierigen Lage zurechtzufinden. Hatte
er im spanischen Erbfolgekrieg, in dem Hessen eine be-
deutende Truppenmacht im Dienst der Seemächte ins Feld
stellte, zwar keine grossen Feldherrngaben ^), aber Mut und
Tapferkeit an den Tag gelegt, so besass er doch keineswegs
die Eigenschaften eines Herrschers: ohne eigene Initiative
und ohne Energie, schwankend in seinen Entschlüssen und
fremden Einflüssen leicht zugänglich, kümmerte er sich nur
wenig um die Regierungsgeschäfte und war zufrieden, wenn
man ihn nur in Ruhe liess^). Er ernannte bei seinem
Regierungsantritt in Hessen zum Statthalter seinen Bruder
Prinz Wilhelm^), den späteren Wilhelm VIH., der bei dem
*) Beidemal, als er selbständig koDimandierte, am Speyerbach und
bei Castiglione, wurde er geschlagen [Christian Eöth, Geschichte von
Hessen, S. 325).
*) Friedrich der Grosse sagte von ihm: il considere sa royaute
avec les yeux dont un vieux lieutenant-colonel invalide rogarde un
petit gouvernement, qui lui procure une retraite honorabie (histoire de
mon temps [Redaktion von 1746, herausgegeben von M. Posner, Publi-
kationen aus den preussischen Staatsarchiven , Bd. IV] S. 177 ; der
französische Gesandte in Stockholm, Graf Casteja: il ne travaille Jamals
ce qui fait qu'il a peu de considoration (momoires du duc de Luynes sur
la cour de Louis XV, II, 149); der englische Gesandte Burnaby : er
spreche selbst bei Audienzen nur von der Jagd (Fr, v. Räumer^ König
Friedrich II. und seine Zeit, S. 123).
«) Hochfürstlicher Lebenslauf Wilhelms VIII., Cassel 1760;
Th. Hartwig, der Anschiuss Hessen-Cassels an Preussen im 7jährigen
1*
hohen Älter Landgraf Karls schon vorher die Regiemngs-
geschäfte geleitet hatte. Wilhelm, um 6 Jahre jünger als
sein Bruder, hatte wie dieser im spanischen Erbfolgekrieg
tapfer gegen die Franzosen gekämpft und war im Dienst
Hollands zum General der Kavallerie aufgestiegen ; er brachte
auch nach dem Krieg einen grossen Teil des Jahres in den
Niederlanden zu und blieb auch, als er Statthalter und bei
der Kinderlosigkeit seines Bruders Thronfolger von Hessen
geworden war, in seinem holländischen Dienstverhältnis, aus
dem er erst in den 40er Jahren ausschied; im Jahr 1733
wurde er dazu ausersehen, die von den Generalstaaten an-
lässlich des Maastrichter Streitfalls mit Preussen zusammen-
gezogenen 15000 Mann zu befehligen^). Mit mehreren von
den leitenden Persönlichkeiten im Haag stand er in brief-
lichem Verkehr, was bei der hervorragenden Stellung der
Niederlande in den diplomatischen Angelegenheiten hohen
Wert für ihn hatte. Prinz Wilhelm war im Gegensatz zu
seinem Bruder ein Mann von staatsmännischer Befähigung
und diplomatischem Geschick, wohl vertraut mit allen Ver-
hältnissen in der deutschen und europäischen Politik, voll
Energie, zäh und fest, wenn er sich einmal etwas vorge-
nommen hatte, aufs eifrigste thätig für das Wohl des Landes
und noch im Alter die Regierungsgeschäfte persönlich leitend.
Dass Wilhelm auch höhere Bildung und feines Kunstverständnis
besass, dafür legt die Kasseler Gemäldegalerie, die ihm ihr
Dasein verdankt, noch heute Zeugnis ab. Der Statthalter
war wie sein Ahne Landgraf Philipp ein eifriger Protestant
und durchdrungen von der Hoheit des deutschen Fürsten-
tums; beides musste ihn in Gegensatz zu dem katholischen
Haus Habsburg und seiner „Tyrannei" bringen. Wilhelms
politisches Ideal war ein enges Verhältnis Hessens zu England,
wo er noch unter Wilhelm lU., seinem Paten, 1 Jahr zuge-
bracht hatte, zu Holland, das ja damals stets mit England
Hand in Hand gieng, und womöglich auch zu Preussen, mit
Krieg (Kasseler Gymnasial program in 1868) S. 10; v. Rommel, Geschichte
von Hessen, X, 45—48.
*) J. O. Droysetif Geschichte der preussisohen Politik, IV, 3, 190.
dessen Herrscherhaus der Kasseler Hof durch den gemein-
schaftlichen reformierten Glauben und viele verwandtschaft-
liche Beziehungen verbunden war. Dagegen stand der Prinz
Frankreich, das dem deutschen Volk seit den Kriegen
Ludwigs XIV. als der Erbfeind galt, mit dem ganzen Hass
seiner leidenschaftlichen Seele und dem tiefsten Misstrauen
gegenüber und geriet sofort in stürmische deutsch-patriotische
Aufwallung, wenn er auf den Übermut der Franzosen zu
sprechen kam^). Als Statthalter hatte Wilhelm nicht ganz
freie Hand ; er musste bei wichtigeren Angelegenheiten in
Stockholm, wo König Friedrich eine hessische Kanzlei hatte,
um dessen Genehmigung nachsuchen, was natürlich den
Geschäftsgang sehr verlangsamte. Übrigens pflegte der König
stets auf die Intentionen seines ihm geistig weit überlegenen
Bruders, mit dem er im besten Verhältnis stand, einzugehen,
und der Prinz wusste auch seine Vorschläge so anzubringen,
dass Friedrich kaum merkte, dass er geleitet wurde. Wenn
die Zeit drängte, nahm es Wilhelm auch bei wichtigen
Dingen auf sich selbständig zu handeln. So war die
Persönlichkeit des Statthalters sehr geeignet, Hessen die Un-
annehmlichkeiten der Doppelregierung vergessen zu lassen.
Beim Regierungsantritt Friedrichs I. stand der Kasseler
Hof in nahen Beziehungen zu England, während das Ver-
hältnis zum Kaiser gespannt war. Karl VI. war nämlich bei
den ßastatter Friedensverhandlungen in dem alten Streit
Hessen-Kassels mit der Nebenlinie Hessen-Rotenburg um die
Festung Rheinfels trotz der Verdienste, die sich Landgraf
Karl im spanischen Erbfolgekrieg um seine Sache erworben
hatte, doch für die katholischen Rotenburger eingetreten ^).
Es nützte den Landgrafen nichts, dass er im Türkenkrieg
von 1717 dem Kaiser 2300 Mann zu Hilfe schickte, dass er
*) Lo sang allomand mo bouille dans mes voines, quand je vois
la suffisanco de cos gens et les airs qu'ils se donnont. (Wilhelm an
Friedrich 5. März 1742 [Marburgor Archiv]). (Die folgenden Zitate sind,
wenn nichts anderes angeführt ist, aus dem Marburger Archiv, dessen
Herren Beamten ich, wie auch denen der Kasseler Bibliothek, für ihr
überaus freundliches Entgegenkommen meinen besten Dank ausspreche.)
*) C. von Stamford, das Regiment Prinz Maximilian von Hessen-
Kassel 1717—1720, S. 28.
6
sich in dem bald darauf in Italien gegen die Spanier aus-
brechenden Krieg erbot, dieses Korps auf 10000 Mann zu
erhöhen^): 1718 musste ßheinfels den Rotenburgern aus-
geliefert werden. Als nun im Jahr 1725 gegen den Kaiser und
Spanien in Herrenhausen ein englisch-französch-preussisches
Bündnis zustande kam, schloss sich auch Landgraf Karl
dieser Partei an und gieng im März 1726 mit England, wie
schon früher in den Jahren 1702 und 1706, einen Subsidien-
vertrag ein^). Aber die Gruppierung der Mächte veränderte
sich nach kurzer Zeit vollständig; im Wiener Vertrag von
1731 trat England, wie schon früher Preussen, wieder in ein
näheres Verhältnis zum Kaiser, und nun fand es auch der
Kasseler Hof gut, diesem Beispiel zu folgen, zumal da bei
dem bevorstehenden Aussterben der Grafen von Hanau, deren
Besitzungen kraft alter Verträge zum Teil an das Kasseler
Haus fallen sollten, eine günstige Gesinnung des Reichsober-
haupts von hohem Wert war ^). So wurde denn nach persön-
lichen Verhandlungen Prinz Wilhelms mit dem Grafen
Seckendorff im Jahr 1733 ein Bündnis mit Österreich ab-
geschlossen^), worin Hessen die pragmatische Sanktion
garantierte und 3200 Mann Bundeshilfe zusagte^), während
der Kaiser seine Unterstützung bei der Hanauer Erbfolge ®),
sowie in der Rheinfelser Streitsache versprach*^). Wirklich
1) a von Siamford, a. a. 0. S. 126 f.
*) Der Vertrag bei RousseU recueil historiquo III, 322—327; nach
Bommel (in Ersch und Grubers Encyklopädie II, 33, 346) bekam Land-
graf Karl Dei seinem Beitritt zur Herrenhäuser Allianz Garantieen bezüglich
der Hanauer Erbfolge; nach Rousset S. 321 ist er der Allianz nicht
förmlich beigetreten, weil er auf die Aufforderung des Kaisers, sich an
der österreichisch-spanischen Allianz zu beteiligen, nicht eingegangen war,
aber doch auch nicht gleich darauf mit der Gegenpartei abschliessen
wollte; so begnügte er sich mit dem englischen Subsidienvertrag.
*) Dass dies der Grund zu dem Bündnis gewesen sei, schrieb
Wilhelm am 30. Januar 1741 an den hessischen Geschäftsträger in London,
Logationsrat Justus Heinrich Alt, sowie an seinen Bruder Friedrich.
*) Lebenslauf Wilhelms VlIL, S. 24.
6) Wilhelm an Alt, 30. Januar 1741.
®) Teuthorriy Geschichte der Hessen, X, 789.
') Nach dem „Versuch einer Lebensbeschreibung dos Feldmarschalls
Grafen Seckendoi-ff% IV, 196-197 trat Hessen schon 1732 der Wiener
Allianz bei und garantierte die pragmatische Sanktion ; ein Subsidien-
vertrag für 10 000 Mann scheiterte an Friedrichs I. Widerstand; 1733
wurde 1734 die Festung Rheinfels auf Befehl Karls VI. von
den Rotenburgern zurückgegeben ^) und im polnischen Erb-
folgekrieg kämpften ausser dem hessischen Reichskontingent
3200 Hessen am Rhein in kaiserlichem Sold gegen die
Franzosen ^).
Aber die Freundschaft mit Osterreich war nicht von
langer Dauer. Im Jahr 1736 starb der letzte Graf von
Hanau; Prinz Wilhelm, zu dessen Gunsten König Friedrich
1735 auf die Erbschaft verzichtet hatte ^), bekam die am
Main gelegenen hanau-münzenbergschen Lande mit der Stadt
Hanau, während die grösstenteils auf dem linken Rheinufer
liegende Grafschaft Hanau-Lichtenberg an die Darmstädter
Linie fiel. Über einzelne Gebietsteile geriet der Prinz mit
dem verwandten Hof in erbitterten Streit, auch Kurmainz
und Kursachsen machten gewisse Ansprüche, und da stellte
sich nun die kaiserliche Regierung in allem auf Seiten der
Gegner des Kassel'schen Hauses. Wilhelm hielt dies für eine
Verletzung des Vertrags von 1733 ; war er schon seiner
ganzen politischen und religiösen Anschauung nach kein
Freund der Habsburger, so wurde seine Stimmung gegen
Osterreich jetzt geradezu feindselig und er war überzeugt,
dass Hessen von Seiten der Habsburger, wenn diese noch
mehr Macht im Reich errängen, das Schlimmste zu erwarten
hätte *). Diese Gesinnung des Prinzen gegen Österreich ist
auf seine Politik im Erbfolgekrieg von grossem Einfluss gewesen.
gelang es dann Seckendorff, die Bewilligung der 3200 Mann von Hessen
zu erlangen, und zwar ohne dass man sich österreichischerseits zu Hilfs-
geldern verpflichtet hätte (IV, 213—14) ; letzteres ist jedoch unrichtig ;
denn Wilhelm vergleicht in einem Schreiben vom 5. März 1742 an seinen
Bruder den damals mit Karl VII. abgeschlossenen Subsidien vertrag mit
dem österreichischen von 1733.
^) Geheimaitikel über Rhoinfels im preussisch-hossischen Bündnis-
vertrag von 1743 (Th. Hartwig^ der Übertritt des Erbprinzen Friedrich
von Hossen-Cassel zum Katholicismus, S. 237).
') F. W. Strieder^ Grundlage zur Militärgeschichte dos landgräflich
hessischen Corps S. 22.
*) Leben und Thaton des Königs von Schweden Friederici (1736),
S. 1005.
*) Wilhelm an Friedrich 30. Januar 1741; „conduite de la maison
archiducale d'Autriche onvers la sor. maison de Hesse-Cassel depuis
200 ans" (3. September 1744 von Wilhelm an den hessischen Geschäfts-
träger im Haag geschickt).
8
Ausser den kaiserlichen Hilfsgeldern im polnischen Erb-
folgekrieg hatte Hessen seit dem Ablauf des englischen Ver-
trags vom Jahr 1726 keine Subsidien mehr bezogen ^). Die
Lage der Finanzen war aber derartig, dass, obwohl die
Truppenzahl bedeutend herabgesetzt worden war ^) — der
englische Vertrag hatte auf 12 000 Mann gelautet — , doch
ohne Subsidien auch die Weitererhaltung des kleinen noch
bestehenden Korps fraglich wurde. Diese Finanznot dauerte
schon lange ; das hessische Land war eben arm, es fehlte an
Handel und Industrie; Landgraf Karls Reformen auf diesem
Gebiet halten keine nachhallige Besserung herbeizuführen
vermocht und andrerseits hatten seine Bauten riesige Summen
verschlungen. Durch Friedrichs schwedisches Königtum wurde
viel Geld aus Hessen herausgezogen ^), denn sein Einkommen
aus Schweden war nur gering; überdies verzichtete er gegen
ein schwedisches Krongut für seine unehelichen Söhne auf
655000 Thaler Subsidiengelder, die Schweden noch aus der
Zeit Karls XIL Hessen schuldete^). Nachdem schon 1717
wegen Geldmangels der Abmarsch der für den Kaiser in den
Türkenkrieg ziehenden Truppen verzögert worden war^),
musste 1724 der Landtag angegangen werden, weil das Kon-
tributions-Quantum zur Erhaltung der Truppen nicht aus-
reichte®). Als dann 1734 beim Krieg gegen Frankreich die
Kriegskasse wieder nicht über genügende Gelder verfügte,
bewilligten die Landstände eine ausserordentliche Landes-
defensionssteuer von 600000 Thalern''). Wie aber sollte es
') Ein von Droysen IV, 3, 303 erwähnter onglisch-hossischer Sub-
sidionvertrag von 1736 für 4(X)0 Mann hat nicht existiert.
*) Strieder^ Hessische Militärgeschichte S. 22.
') von Siamfordy Gottfried Ernst von Wutginau (Zeitschrift für
hessische Geschichte und Landeskunde Vll]) S. 264; v. Stamford-Röth^
Geschichte von Hessen S. 376. Geheimcrat von der Asseburg berechnete
Hessens Opfer, für das schwedische Königtum auf 3 Millionen (Thaler?)
(Friedrich an Asseburg 15. März 1740).
*) Ersch und Örubers Allgemeine Eucyklopädie I, 50, 110—111
(v. Bommel, Friedrich I.); v. Stamford, AVutginau Ö. 264.
6) V, Stamford, Wutginau S. 250.
^) Landtagsabschied von 1724 (Ständische Landesbibliothek zu Kassel
Mss. Hass. fol. 48 b).
^) Landtagsabschied von 1734 (a. a. 0.); B, W, Pfeiffer^ Geschichte
der landständischen Verfassung in Kurhessen S. 150.
gehen, wenn diese Summe aufgebraucht war ? Vergeblich sann
der Statthalter auf Mittel und Wege, wie er dann den Unter-
halt der Truppen bestreiten könnte; denn noch mehr wollte
er doch das kleine Korps, das Hessen noch besass, nicht ver-
ringern ! Die Hoffnung auf einen, holländischen Subsidien-
antrag schlug fehP); schon dachte Wilhelm daran trotz der
Erschöpfung des Landes die Stände ^) um eine neue Steuer
anzugehen ^), da schien endlich im Anfang des Jahres 1739
eine Aussicht auf Subsidien sich darzubieten : im Februar
erhielt der Statthalter ein Schreiben von dem hannoverschen
Geheimerat Freiherrn von Erffa mit der Mitteilung, es sei
ihm aus London gemeldet worden, wenn die hessischen
Truppen noch verfügbar seien, so werde man sich englischer-
seits, wenn es die Lage erfordere, in erster Linie an den
Kasseler Hof wenden*). Wilhelm, der damals mit England
auch wegen einer Heirat seines einzigen Sohnes Friedrich
mit einer Tochter König Georgs H. in Unterhandlung stand,
redete in einem Schreiben nach Stockholm seinem Bruder
eifrig zu, an Erffa eine zustimmende Antwort abgehen zu
lassen, da die Erneuerung des alten Bündnisses mit England
für Hessen bei etwaigen politischen Verwicklungen von' grossem
Wert sein könne und vor allem, weil ein Subsidienvertrag
die Erhaltung und Vermehrung der Truppen ermöglichen
werde ^). König Friedrich erteilte seine Zustimmung zu Ver-
*) Wilholm an Gehoimerat von der Asseburg 27. Januar 1739.
«) Erat 1736 hatten diese 100000 Thalor (schon früher 200000
Thalor) bewilligt zur Abfindung Sachsens für seine Ansprüche auf hanau-
schos Gebiet (Pfeiffer^ Vorfassung in Kurhessen S. 186).
*) Bezeichnend für Wilhelms Stimmung ist ein Schreiben, das er
nach dem Einlaufen des englischen Subsidienantrags an Friedrich richtete
(12. September 1739) : il semble que Dieu par sa oonte vouille nous tirer
de tous los ombarras, dont les finances de Votre Majosto sont menaooes
dopuis longtemps et auxquels Tesprit humain ne savait plus trouvor aucuu
romede ni ressource, et dans le temps, oü il n'y avait pas d'autro parti
ä prendre qu'ä implorer pour ainsi dire les Etats du pays pour augmenter
los contributions malgro Tepulsement dos pauvros sujets pour faire sub-
sister et soutonir le potit corps de troupos, il ne tiont ä prosent qu'ä
Votre M^jeste de le pouvoir augmonter memo, sans qu'il on coüte ni au
pays ni ä Votro Msgosto, et de romottro toutes los affaires sur piod.
*) Geheimerat von Erffa aus Hannover an Wilhelm, 13. Febr. 1739.
*) Wilholm an Friedrich, 16. Februar 1739.
10
handlungen mit Eiffa ^) und der Prinz schrieb an diesen, man
habe hessischersei ts die Hände frei und sehe den englischen
Propositionen entgegen ^), Aber es erfolgte keine Antwort,
denn König Georg von England hatte indessen mit Dänemark
einen Subsidienvertrag abgeschlossen •'^).
' Dennoch hoffte Wilhelm noch immer auf englische Sub-
sidien und schrieb auch in diesem Sinne an seinen Bruder
nach Stockholm ^). Obwohl nun dieser im Frühjahr selbst
gewünscht hatte, dass die Verhandlungen mit Erffa wegen
der schwedischen Verhältnisse möglichst geheim betrieben
werden sollten, wusste er jetzt, als im Juli der Heiratskontrakt
zwischen Prinz Friedrich von Hessen und Georgs H. Tochter
Maria abgeschlossen wurde ^), nichts Besseres zu thun, als
bei der Notifikation dieser Verlobung dem schwedischen
Kanzleipräsidenten Graf Gyllenborg mitzuteilen, Hessen habe
Aussicht auf einen englischen Subsidienantrag ®). Ein Bündnis
Hessens mit England war aber durchaus nicht nach dem Sinn
Gyllenborgs und der von ihm geführten Partei der Hüte.
Diese hatten nämlich auf dem letzten Reichstag ihre Gegner,
die Mützen, welche für das ruhebedürftige Schweden ein
freundschaftliches Verhältnis zu Russland und England für
das Angemessenste hielten, in den Hintergrund gedrängt und
— sehr gegen den Wunsch Prinz Wilhelms') — ein längst
von ihnen betriebenes Bündnis Schwedens mit Frankreich
zustande gebracht ; mit Hilfe französischen Geldes hofften sie
») Friedrieb an Wilhelm, 3. März 1739.
2) Wilhelm an Asseburg, 10. April 1739.
^) Über die Gründe des Vertrags s. William Coxey memoires of
the life and administration of Walpole IV, 95.
*) Wilhelm an Friedrich, 20. Juli 1739.
^) Der Heiratskontrakt wurde am 16. Juli 1739 im AVestminister-
palast von Alt und dem hannoverschen Geheimerat von Steinberg abge-
schlossen „sowohl zur Befestigung der zwischen beyden Königlichen Chur-
und Füi-stlichen Häusern längst hergebrachten Freundschaft und guthen
Vernehmens als auch zum Besten der protestantischen Religion*. Die
Kinder aus der Ehe sollten nicht ohne die Einwilligung des Königs von
England vorheiratet worden.
^) Malmström (Sveriges politiska historia fian Karl XII död tili
statshvälfningen 1772, 2. Aufl. 1893, II, 379—382) hat das Folgende und
die Sendung Asseburgs nach Paris kurz dargestellt (mit Benutzung des
Marburger Archivs).
') Wilhelm an Asseburg, Anfangs Januar 1739.
11
die an Russland verlorenen Provinzen zurückzuerobern ').
Unter diesen Umständen konnte es Gyllenborg und seiner
Partei natürlich nicht gleichgiltig sein, wenn ihr König als
Landgraf von Hessen seine Truppen dem mit Russland be-
freundeten, mit Frankreich aber gespannt stehenden König
von England zur Verfügung stellte. Sie beschlossen daher
König Friedrich hiervon abzuhalten und zu einem Subsidien-
vertrag Frankreich zu bestimmen. Wirklich Hess sich der
schwache König im August zu folgender Erklärung herbei:
er habe Grund einen englischen Subsidienantrag für Hessen
zu erwarten und wünsche bei den engen schwedisch-fran-
zösischen Beziehungen den Versailler Hof hiervon in Kenntnis
zu setzen; Gyllenborg solle daher dem französischen Ge-
sandten Graf Saint Severin mitteilen : der finanzielle Zustand
Hessens mache einen Subsidienvertrag notwendig und der
König wünsche, da er die Interessen Schwedens und Hessens
zugleich wahrnehmen wolle, in erster Linie von Frankreich
etwaige Propositionen hierüber zu hören ^). Prinz Wilhelm
war natürlich voll Schrecken über diesen Schritt seines
Bruders ; er war schon mit Schwedens franzosenfreundlicher
Politik durchaus nicht einverstanden und nun sollte auch
Hessen in diese hineingezogen werden. Er betrachte, schrieb
der Prinz an den Geheimerat Freiherrn von der Asseburg ^),
der damals der hessischen Kanzlei in Stockholm vorstand,
einen Subsidienvertrag mit Frankreich als den Ruin des
hessischen Hauses, da ein solcher sowohl beim Kaiser als
bei den Protestanten den grössten Anstoss erregen würde;
er werde mit allen Mitteln zu verhindern suchen, dass es so
*) Ernst Horrmann, GiistÄV II f. und die politischen Parteien
Schwedens, 1. Abteilung (Historisches Taschenbuch 1856) S. 349 f..
*) Asseburg aus Stockholm an Wilhelm, 25. August; Friedrich an
Wilhelm, 15. September 1739. Vergl. rocueil des instructious donnos
aux ambassadeurs de France II. (Suede) S. 359.
*) Freiherr Johann Ludwig von der Asseburg, geboren 11. September
1700, gestorben 2. Januar 1764, war schon 1729 in diplomatischer Sen-
dung nach Russland geschickt worden und wurde in der Folge zu ver-
schiedenen Gesandtschaften venvendet; nach König Friedrichs Tod zog
er sich auf seine Güter (bei Halberstadt) zurück. (Denkwürdigkeiten des
Freiherm Achatz Ferdinand von der Asseburg, Berlin 1840 S. 21—22).
12
weit komme ^). Und wenige Tage nach der Nachricht von
des Königs Erklärung an den französischen Gesandten traf
der ersehnte englische Antrag in Kassel ein : der hessische
Geschäftsträger in London, Legationsrat Alt, meldete am
1. September dem Statthalter, der Staatssekretär Lord Harring-
ton habe ihm mitgeteilt, König Georg wünsche bei dem be-
vorstehenden Krieg Englands gegen Spanien einen Subsidien-
vertrag für 6000 Mann mit Hessen abzuschliessen ^) ; und
gleich darauf erschien Geheimerat von Erffa in Hanau, wo
sich Prinz Wilhelm damals befand, um mit ihm im Auftrag
König Georgs „von ein und ander Angelegenheit zu ver-
handeln". Sie entwarfen ein Vertragsprojekt ^), welches aber
von Harrington nicht gut geheissen wurde, weil Wilhelm
aus 2 früheren englisch-hessischen Verträgen je die besten
Bedingungen ausgewählt hatte ^) ; der Staatssekretär erklärte,
Hessen müsse zu denselben Bedingungen abschliessen wie
Dänemark 5), das für 3 Jahre 5000 Fussgänger und 1000
Reiter bereit zu halten hatte und dafür im Frieden jährlich
250000 Thaler und im Krieg, wo der Sold der Truppen von
England bezahlt wurde, 150 000 Thaler erhielt und ausserdem
zur Mobilmachung 80 Thaler für 1 Reiter, 30 Thaler für 1
Fussgänger®). Wilhelm erklärte sich bereit auf diese Be-
dingungen einzugehen. König Georg, der in die Verhandlungen
Erifas von seinen englischen Ministern nur Lord Harrington
eingeweiht hatte, geriet übrigens nachträglich in Verlegenheit,
dass er über einen englischen Vertrag durch einen hannover-
schen Geheimerat hatte verhandeln lassen ; das konnte, wenn
es bekannt wurde, in England einen Sturm der Entrüstung
hervorrufen ; deshalb wurde Wilhelm bedeutet, in den dem
>) Wilhelm an Assoburg, 8. und 29. Soptoraber 1739.
*) Bericht Alts aus London 1. September 1739; die Kriegserklärung
Spaniens erfolgte am 25. August. (Brosche Geschichte von England VllI,
269) ; vielleicht hatte man auch in London von König Friedrichs Erklärung
an den französischen Gesandten gehört und suchte deshalb sich Hessens
zu versichern.
*) Wilhelm aus Hanau an Friedrich, 22. September 1739.
*) Wilhelm an Friedrich, 27. Oktober 1739.
6) Bericht Alts vom 16. Oktober 1739.
6) Bericht Alts vom 4. September 1739.
13
englischen Ministerium vorzulegenden Schriftstücken den
Namen Erffas nicht zu nennen ^)/
Während so der Statthalter mit König Georg bereits
einig geworden war über den Vertrag, war es noch sehr
fraglich, wie sich König Friedrich dazu stellen würde. Wilhelm
hatte seinem Bruder in einem ganz begeisterten Brief von
dem englischen Antrag berichtet : Gott in seiner Güte, schrieb
er, scheine Hessen aus seiner traurigen Lage befreien zu
wollen; es hänge nu|: von der Zustimmung des Königs ab,
das Truppenkorps ohne Kosten für ihn selbst oder für das
Land nicht nur zu erhalten, sondern auch zu vermehren.
Zugleich malte der Prinz die Folgen eines Bundes mit Frank-
reich in den schwärzesten Farben aus: Hessen würde alle
seine Freunde im Reich verlieren und der Kaiser würde die
Gelegenheit benutzen, ihm Schaden zuzufügen; Frankreich
aber habe seine Verbündeten stets im Stich gelassen, was
das hessische Haus selbst schon erfahren habe^). König
Friedrich befand sich in einer schwierigen Lage ; er gebe zu,
schrieb er an den Statthalter, dass vom hessischen Stand-
punkt aus ohne Zögern auf den englischen Antrag einzugehen
wäre, aber er müsse auch auf die schwedischen Verhältnisse
Rücksicht nehmen und vorerst einmal die französische Ant-
wort auf seine Erklärung vom August abwarten^). Zum
Glück für Wilhelm war die Antwort, die endlich Ende Oktober
von dem französischen Gesandtschaftssekretär überreicht
wurde, ganz allgemein gehalten^). Da sich aber auf diese
Weise die Sache noch lange hinziehen konnte und anzunehmen
war, dass man englischerseits bald auf Vollziehung des Ver-
trags dringen werde, so entwarf Asseburg ^) mit dem damals
in Schweden weilenden General von Diemar^), der als ehe-
:!
Bericht Alts vom 9. Oktober 1739.
Wilhelm an Friedrich 12. September 1739; vergl. 8. 9 Anm. 3).
8) Friedrich an Wilhelm 26. September 1739.
*) Bericht Asseburgs aus Paris an Friedrich 3. Februar 1740.
') £r selbst nennt sich l'auteur et Tacteur ensemble (Asseburg an
Wilhelm 26. Februar 1740).
^) Freiherr Ernst Hartmann von Diemar, General der Kavallerie
und Oberstallmeister, war am 24. Juni 1682 geboren und stand zuerst in
hessischen, dann in ansbachschen, hierauf wieder in hessischen Diensten ;
14
maliger Gesandter Landgraf Karls in Stockholm die dortigen
Verhältnisse gut kannte, und mit den Räten der hessischen
Kanzlei folgenden Plan, um möglichst bald von Frankreich
loszukommen : Asseburg sollte vom König nach Paris ge-
schickt werden, scheinbar um über einen Subsidienvertrag zu
verhandeln, in Wahrheit aber, um der französischen Regierung
zu erklären, ein etwaiger Subsidienvertrag Hessens mit einer
anderen Macht werde auf die schwedische Politik keinerlei
Einfluss ausüben ; auf diese Weise, hoffte Asseburg, werde
König Friedrich von Seiten E'rankreichs freie Hand bekommen
und in Schweden werde man ihm dann über den Vertrag
mit England keine Vorwürfe machen können ; König Georg
sollte in den ganzen Plan eingeweiht werden ^). König
Friedrich willigte in die Sendung Asseburgs nach Paris ein;
wenn er auch wohl nicht wusste, dass dieser unter allen
Umständen einen Subsidienvertrag mit Frankreich verhindern
wollte ^), so hätte er es doch selbst gern gesehen, wenn
Asseburg die Zustimmung der französischen Regierung zu
einem englisch-hessischen Vertrag von Paris zurückgebracht
hätte ; hoffentlich, schrieb der König an Prinz Wilhelm, werde
sich Kardinal Fleury überzeugen lassen, dass ein solcher
er begleitete den Prinzen Friedrich nach Schweden und stand ihm in
seinen ersten Regierungsjahren als Gesandter Landgraf Karls mit seinem
EÄt zur Seite; 1725 aber musste er wegen Einmischung in die schwedischen
Angelegenheiten abberufen werden (p. Stamford^ Wutginau S. 263 f.),
schloss dann 1726 im Westminsterpalast den hessischen Subsidienvertrag
mit England ab (vgl. S. 6) und trat 1735 in österreichische, 1738 aber
zum drittenmal in hessische Dienste, im Jahr darauf begab er sich nach
Stockholm und war mit Ässeburg aufs eifrigste für das Zustandekommen
des hessisch-englischen Bündnisses thätig; in Stockholm deshalb vielfach
angefeindet, fiel er 1740 beim König in Ungnade, weil er — w^ohl im
Einverständnis mit Prinz Wilhelm — die Entfernung der Maitresse des
Königs, Gräfin Taube, die zur französischen Partei hielt, betrieben hatte;
er nahm seinen Abschied und hielt sich zunächst in England auf (Diemar
aus London an "Wilhelm 6. Januar 1741), blieb aber stets in vertrauten
Beziehungen zum Statthalter ; hierauf trat- er zum zweitenmal in östcr-
^-eichischo Dienste und wurde Generalfeldmarschall. 1744 wurde er
Landeskommenthur des Deutschordens in Marburg und starb am 16. Juli
1756 auf seinem Gut Deb^rndorf bei Nürnberg. (Strieder, Hessische Militär-
geschichto S. 78; Joh. Andr, Hofmann^ Hessischer Kriegsstaat 11, 489).
*) Asseburg aus Stockholm an Wilhelm 30. Oktober 1739.
*) Asseburg schrieb am 27. Oktober an Oberstlieutenant von Miltitz,
der König habe den Plan ^en parti", am 30. an Wilhelm, er habe ihn
^entierement*^ gebilligt.
15
Vertrag die nordischen Verhältnisse nicht berühre, und danii
bei seinem bekannten Geiz den Beutel seines Königs ge-
schlossen halten. Wenn man aber — dies ist bezeichnend für
König Friedrichs Standpunkt — ausser den englischen Sub-
sidien auch von Fraiikreich eine Summe erlangen könne, so sei
es um so besser ^). Für den König handelte es sich eben nur
um das Geld an sich ; ob es von England oder von Frankreich
oder von beiden zugleich kam, war ihm ziemlich gleichgiltig,
wenn er nur keine persönlichen Unannehmlichkeiten dabei
bekam. Was den Statthalter betrifft, so war er mit Asseburgs
Sendung nicht einverstanden ; denn einerseits war es fraglich,
wie sich König Georg zu dem Plan stellen würde, andrerseits
aber konnte Hessen Frankreich gegenüber, wenn man dort
den Subsidienvertrag wirklich wünschte, in die peinlichste
Lage kommen. So suchte Wilhelm, als Asseburg im No-
vember nach Kassel kam, seine Reise nach Paris zu hinter-
treiben. Er schickte deshalb zugleich mit der von seinem
Bruder zu unterschreibenden Instruktion für Asseburg eine
Vorstellung von sich selbst und vom Kasseler Geheimerat^)
nach Stockholm, Asseburgs Sendung möchte, da sie beim
Beich, beim Corpus Evangelicorum und bei den Seemächten
Anstoss erregen und den Feinden des hessischen Hauses zur
Handhabe dienen würde, unterbleiben. Für den Fall, dass
der König einwillige, legte der Statthalter gleich eine von
ihm zu unterschreibende Vollmacht für den mit England zu
schliessenden Vertrag bei^). Aber König Friedrich wollte
die nun einmal beschlossene Sendung Asseburgs nach Frank-
reich nicht mehr rückgängig machen und wurde sogar
ernstlich böse, als sich dessen Reise von Kassel nach
Paris so lange verzögerte^). Dass er aber auch jetzt noch
einen Vertrag mit Frankreich nicht wünschte^), bewies er
*) Friedrich an Wilhelm 13. November 1739, ähnlich am gleichen
Tag an Assebnrg.
') von Adelebsen, von Danckclmann, von der Assoburg, von Borck.
8) Wilhelm an Friedrich 9. Dezember 1739.
*) Wilhelm an Friedrich 3. Januar 1740.
*) Das meint Malmström (II, 381); in Wahrheit wünschte der König
erst im März 1740, von schwedischer Seite beeintlusst, eine Zeit lang den
Abschiuss mit Frankreich.
16
durch das Unterschreiben der von Wilhelm nach Stockholm
geschickten Instruktion für Asseburg ^), welche einen Ab-
schluss mit dem Versailler Hof geradezu unmöglich machte.
Dieser Instruktion zufolge sollte Asseburg der französischen
Regierung erklären, er selbst könne sich nicht denken, auf
welche Weise sich der Kasseler Hof, ohne sich hierbei
aufs äusserste auszusetzen, Frankreich nützlich erweisen
könnte; deshalb möchte man französischerseits einen An-
trag stellen, bei dem beide Teile ihren Vorteil fänden. Schlüge
nun die französische Regierung einen Subsidienvertrag vor,
so sollte Asseburg sagen, die Hessen dürften in diesem Fall
nicht gegen das Reich oder irgend einen Reichsstand, noch
gegen AUierte des Reichs oder die Erblande des Kaisers ver-
wendet werden ; Frankreich müsste ihnen freien Durchmarsch
bis zum Kriegsschauplatz verschaiBFen und die Hälfte des
hessischen Korps müsste stets im Land gelassen werden. Da
sich der Versailler Hof auf solche Bedingungen unmöglich
einlassen könne, so werde vielleicht Neutralität Hessens vor-
geschlagen und eine massige Summe dafür geboten werden ;
in diesem Fall sollte sich Asseburg zwar nicht ganz ab-
lehnend verhalten, aber doch die Schwierigkeiten betonen,
besonders auch hervorheben, dass Hessen im Fall der Neu-
tralität wegen der feindlichen Durchmärsche doch ein Korps
Truppen brauche, das dann Frankreich keinerlei Nutzen bringe,
sondern nur Kosten verursache. Würde Asseburg daraufhin
gefragt, wozu er denn dann eigentlich gesandt worden sei,
so sollte er erwidern, „dass der eigentliche Zweck der Mission
sei die wahre Freundschaft seines Herrn sowohl als Land-
grafen als König von Schweden gegen Frankreich zu bezeugen,
die Schwürigkeiten vorzustellen, gegenwärtig in nähere Ver-
bündnüss zu entriren, und die Versicherung zu thun, dass
Wir dem ohngeachtet bei dem einmal etabliertem Systemate
in Schweden bleiben, solches kräftig unterstützen und es bei
allen Gelegenheiten in unserem Königreich zeigen wollen ; da
M Der König hatte gar nicht gewollt, dass diese Instruktion nach
Stockholm geschickt werde; "Wilhelm tliat dies nur, um Zeit zu gewinnen.
17
aber die Situation unserer Erbländer ein gleiches anjetzo
nicht gestatten wollte, und dennoch eine gewisse Hülfe er-
forderten, um unsere ünterthanen zu soulagieren, So wurde
sich Frankreich nicht missfallen lassen, dass wir die avan-
tageuse Offerte von England acceptierten, um so viel mehr,
da es nur auf ein Corps Trouppen von 6000 Mann ankäme,
welche England jederzeit von anderen teutschen Fürsten be-
kommen könnte, und diese Überlassung nur auf 3 Jahre
stipulirt würde, welches um so mehr indifferent sein könnte,
da ein so kleines Corps die englische Macht nicht ver-
mehrte ^)." Mit dieser Instruktion reiste Asseburg zu Beginn
des Jahres 1740 nach Paris ^). Den König von England hatte
Wilhelm eingeweiht ; doch sah dieser die Sendung Asseburgs
nicht gerne ^); er fürchtete wohl, dass es doch zu einem
Bund Hessens mit Frankreich kommen könnte, der Statthalter
suchte ihn jedoch hierüber zu beruhigen*).
In Paris hatte Asseburg Anfangs Februar eine Unter-
redung mit dem Staatssekretär Amelot. Dieser war natürlich
höchst erstaunt, als Asseburg nur von den Gefahren sprach,
die Hessen bei einem Bündnis mit Frankreich zu erwarten habe,
und auf Amelots Frage, ob er denn keine Propositionen zu
machen habe, dies verneinte. Aus der Frage des Staats-
sekretärs, warum denn dann das schwedische Ministerium
und der schwedische Gesandte am Versailler Hof, Graf Tessin,
so sehr auf einen französisch-hessischen Vertrag drängen,
gewann Asseburg den Eindruck, dass der französischen Re-
gierung selbst an dem Vertrag wenig gelegen sei^). Einige
*) iDstniktion für Asseburg, am 9. Dezember von Kassel oach Stock-
holm, am 25. Dezember nnterschrieben nach Kassel zurückgeschickt.
2) Von einem Auftrag Asseburgs, um Frankreichs Zustimmung zu
der Kandidatur des Prinzen Friedrich von Hessen für den schwedischen
Thron zu werben, wovon Droysen (IV, 3, 406) spricht, ist aus der um-
fangreichen Korrespondenz Asseburgs mit Friedrich und Wilhelm nirgends
etwas zu ersehen; überhaupt scheint man sich am Kasseler Hof nicht
sehr um dieses Projekt bemüht zu haben; nur Anfangs 1740 erwähnt es
der Statthalter einmal in einem Schreiben an Alt und Ende 1742 bittet
er seinen Bruder „das Haus Hessen den Ständen zu empfehlen.''
•) Georg II. an "Wilhelm 1. Januar 1740.
*) Wilhelm an Alt, 6. Januar, an Georg II. 14. Januar 1740.
*) Bericht Asseburgs aus Paris an Friedrich (die Berichte giengen
über Kassel) 3. Februar 1740.
N. P. Bd. XXIII. 2
18
Tage darauf besprach er den englischen Antrag offen mit
Amelot und beantwortete dessen Frage, ob der Kasseler Hol^
wenn man in Versailles nichts dagegen einzuwenden habe,
mit England abschliessen werde^ mit Ja \). Auch von Kardinal
Fleury wurde Asseburg empfangen und wiederholte ihm, was
er schon Amelot mitgeteilt hatte ^). Indessen wurde König
Friedrich von beiden Parteien bearbeitet: Prinz Wilhelm
schrieb ihm, der Kardinal wolle die Sache hinausziehen bis
zum Schluss des englischen Parlaments, weil dann der Sab-
sidienvertrag mit England nicht mehr möglich sei; schon
werde man in London zurückhaltend gegen Alt ^) ; der König
solle deshalb am Versailler Hof auf eine bestimmte Antwort
dringen lassen^). Friedrich schwankte beständig: am gleichen
Tag, an dem er dem Statthalter schrieb, er ziehe der schwe-
dischen Verhältnisse wegen ein französisches Bündnis dem
englischen vor, schickte er ihm die Vollmacht für den Ab-
schluss mit England unterschrieben zurück, allerdings mit
dem Befehl, noch keinen Gebrauch davon zu machen^).
Gyllenborg und seine Partei setzten alle Hebel an, den König
zum Bündnis mit Frankreich zu veranlassen; als sich Graf
Tessin beklagte, dass Asseburg in Paris stets von einem
Vertrag mit England rede, mischte sich auch der Reichsrat in
die Sache ein und forderte König Friedrich geradezu auf, mit
Frankreich abzuschliessen ^). Wirklich Hess sich dieser nun
völlig einschüchtern und schrieb an Assebui^, wenn der
Versailler Hof auf seine Bedingungen eingehe, so sei er mit
dem Abschluss eines Vertrags mit Frankreich einverstanden');
hiervon machte jedoch Asseburg, der übrigens, wie auch der
Statthalter, den König bereits vollständig von der Gegen-
partei gewonnen glaubte, in Paris keine Mitteilung. Er hatte
unterdessen dem französischen Ministerium eine Denkschrift
*) Bericht Asseburgs an Friedrich 10. Februar 1740.
») Bericht Asseburgs 24. Februar 1740.
«) Bericht Alts 26. Januar 1740.
') Wilhelm an Friedrich, 2. und 8. Februar 1740.
») Friedrich an Wilhelm, 27. Februar 1740.
«) Diemar aus Stockholm an Wilhelm, 22. März 1740.
^) Friedrich an Asseburg, 15. und 29. März 1740.
19
überreicht, worin er seine mündlichen Eröffnungen an Araelot
und Fleury wiederholte ^). In der Entgegnung des Ministeriums
war dem Erstaunen des Versailler Hofs Ausdruck gegeben,
dass Asseburg nur gekommen sei, um Frankreichs Zustimmung
zu einem anderweitigen Bündnis Hessens zu erlangen, und zu-
gleich die Hoffnung ausgesprochen, dass die hessischen Truppen
wenigstens nicht gegen Frankreich verwendet würden ^). Der
Statthalter nannte diese vollständig sachgemässe Antwort, als
er sie nach Stockholm sandte, vag und hochmütig, und
wiederholte dem König, der Kardinal wolle die Sache nur
hinausziehen, um Hessen den englischen Subsidienvertrag un-
möglich zu machen ^). Und wirklich Hess sich nun der König
von General Diemar, den hessischen Räten und dem eng-
lischen Gesandten*) überreden und erteilte am 22. April
seinem Bruder die Erlaubnis, von seiner Vollmacht zum Ver-
trag mit England Gebrauch zu machen^); am 20. Mai, einen
Tag, nachdem Prinzessin Maria von England durch Prokuration
mit Prinz Friedrich von Hessen vermählt worden war, wurde
von Legationsrat Alt in London ein englisch-^hessischer Allianz-
und Subsidienvertrag abgeschlossen. Hessen erhielt noch
etwas bessere Bedingungen als Dänemark ®), indem die Dauer
des Vertrags auf 4 Jahre und die Zahl der Reiter unter den
6000 Mann auf 1200 festgesetzt wurde. Die hessischen Truppen
sollten nicht auf der Flotte oder jenseits des Meers — ausser
bei einem Angriff auf England — und nicht gegen Schweden
oder eine schwedische Provinz verwendet werden. Wenn
Hessen selbst angegriffen würde, so sollten sie nicht nur ins
Land zurückkehren dürfen, sondern England sollte auch selbst
Hilfe schicken „bis zu einem guten und vorteilhaften Frieden."
Ebenso sollte Hessen England im Angriffsfall unterstützen '').
*) Denkschrift Asseburgs vom 22. März 1740.
2) Antwort des französischen Ministeriums auf Asseburgs Denk-
schrift 30. März 1740.
») Wilhelm an Friedrich 9. April 1740.
*) Malmström, 11, 381.
») Friedrich an Wilhelm 22. April 1740.
6) vergl. S. 12.
^) Der Vertrag wurde am 30. Mai von Wilhelm an Friedrich ge-
schickt; Lord Mahon (history of England III, 188) nennt ihn one of the
2*
20
So stand der Statthalter endlich am Ziel seiner Wünsche
und Hessen war Dank seiner Festigkeit davor bewahrt worden,
ein Anhängsel der schwedischen Politik zu werden und dadurch
ins französische Fahrwasser zu geraten.
Asseburg begab sich unter dem Vorwand, er müsse
dem König mündlich Bericht erstatten ^), von Paris nach
Stockholm zurück, wo die französische Partei den König
vergeblich dahin zu bringen suchte, ihn über seine Ver-
handlungen in Paris zur Rechenschaft zu ziehen^). Seine
Stellung in Stockholm war jedoch unhaltbar geworden, er
kehrte anfangs 1741 nach Kassel zurück.
2. Kapitel.
Der erste schlesische Krieg; Marsch nach Hannover
im Herbst 1741; Subsidienvertrag mit Kaiser
Karl VII. im März 1742; Feldzug in Bayern.
Als der Subsidienvertrag Hessens mit England ab-
geschlossen wurde, befand sich diese Macht schon seit ge-
raumer Zeit wegen kolonialer Streitigkeiten im Seekrieg mit
Spanien ; Frankreich schickte sich an, dem durch den bour-
bonischen Familientraktat von 1733 enge mit ihm ver-
bündeten Madrider Hof gegen England zu Hilfe zu kommen,
der Kampf der Germanen und Romanen um die Herrschaft
jenseits des Meeres nahm seinen Anfang. Da starb im
Oktober 1740 Kaiser Karl VI., der letzte Habsburger; und
nun stand auch das festländische Europa am Vorabend eines
least justifiable acts of bis (Walpoles) whole administration ; vgl. Qrün-
hagen, Geschichte des 1. schlesi sehen Krieges I, 33.
*) Asseburgs 2. Memoire an das französische Ministerium vom
14. Mai 1740.
*) Diemar aus London an Wilhelm 24. Februar 1741. Die fran-
zösische Regierung hatte den Eindruck, dass Asseburg n'avait d'autre
objet quo de faire comprondre que, si Pinteret de la Suede etait de se
tonir unie ä la France, il etait au contraire de Tinteret du landgraviat
de Hesse-Cassel de ne point se soparer du roi de la Grande-Bretagne
commo clecteur de Hanovre (recueil des instructions II [Suede], S. 360.
21
grossen Krieges um die Lande der österreichischen Monarchie.
Als erster unter den Feinden der habsburgischen Erbtochter
erhob sich der junge König von Preussen, Friedrich IL ; im
Dezember 1740 rückte er in Schlesien ein. Prinz Wilhelm,
der erkannte, dass schwere kriegerische Verwicklungen bevor-
ständen, hätte, um für alle Fälle gerüstet zu sein, gerne die
4 Infanterie- und 2 Dragonerregimenter in Stand gesetzt,
die Hessen ausser den 6000 Mann, die an England vergeben
waren, übrig blieben *) ; doch musste dies wegen Geldmangels
vorerst unterbleiben. Sowohl Osterreich als Preussen be-
mühten sich um die Bundesgenossenschaft Hessens. Im
Januar 1741 ersuchte der Wiener Hof um Zusendung der
im österreichisch-hessischen Vertrag von 1733 festgesetzten
Bundeshilfe von 3200 Mann^); der Statthalter riet seinem
Bruder unbedingt davon ab, Maria Theresia zu unterstützen,
vollends gegen das protestantische, seit Alters mit dem
Kasseler Hof befreundete Preussen ^). Der Wiener Hof hatte
den Prinzen neuerdings wieder dadurch gekränkt, dass der
hessische Gesandte von Cranz nicht wie die übrigen eine
Deklaration über die österreichisch -bayerischen Erbfolge-
streitigkeiten erhielt*), während Friedrich IL von Preussen,
dem sein Vater noch kurz vor seinem Tode ein gutes Ein-
vernehmen mit dem Kasseler Hof angeraten hatte ^), gleich
im Anfang seiner Regierung für des Statthalters Interessen
eingetreten war. Als nämlich im Sommer 1740 der Kurfürst
von Mainz den hanau - münzenbergschen Ort Rumpenheim,
für den er die Hoheit in Anspruch nahm, besetzen Hess,
schickte Friedrich IL, an den sich Wilhelm, wie auch an
Hannover, um Beistand gewandt hatte, sofort ein energisches
Abmahnungsschreiben nach Mainz und trat auch am kaiser-
lichen Hof, der dem Kurfürsten günstig gesinnt war, für den
>) Wilhelm an Friedrich 29. Dezember 1740.
a Maria Theresia 18. Januar, Graf Colloredo 20. Januar an Wilhelm ;
ieresia an Friedrich prs. 3. Februar 1741; vgl. S. 6.
») Wilhelm an Friedrich 30. Jan. 1741.
*) Bericht Alts 17. Januar, Wilhelm an Alt 9. Februar 1741; der
Hofkanzler Graf Sinzendorf sagte nachher, Cranz sei nur vergessen worden.
^) Ranke XXVIII, 299.
22
Prinzen ein ^), was ihm dieser sehr hoch anrechnete ^). Unter
diesen Umständen war es natürlich, dass der Statthalter,
dem sein Bruder die Antwort auf das österreichische Gesuch
vollständig überlassen hatte ^), dem Reichsvizekanzler Graf
Colloredo, der im März in Kassel erschien, die Erklärung
abgab, Hessen werde die 3200 Mann nicht senden, da der
Vertrag von 1733 von österreichischer Seite in keiner Weise
erfüllt worden sei und ausserdem die wenigen Truppen, die
nach dem englischen Vertrag noch übrig blieben, zum Schutz
des Landes unentbehrlich seien ^). Ein anti-österreichischer
Schritt war es auch, dass sich Hessen und Hanau von dem
dem Wiener Hof ergebenen oberrheinischen Kreis trennten ^).
Noch vor dem Eintreffen Graf Colloredos war der preus-
sische Legationsrat von Korff als Gesandter in Kassel er-
schienen, um auf Erneuerung der 1688 geschlossenen,
1714 erneuten Allianz®) seines Hofs mit Hessen anzutragen;
zugleich sollte er sondieren, ob sein König vielleicht einige
hessische Regimenter in seinen Sold bekommen könnte und
zu welchen Bedingungen ''). Der Statthalter riet seinem
Bruder, die Sache hinauszuziehen, da man nicht wissen
könne, wie der Krieg um Schlesien verlaufe^). Im Mai
erhielt Korff die mündliche Antwort, man sei hessischerseits
zur Erneuerung des Bündnisses bereit, doch müsse mit
Rücksicht auf die veränderten Verhältnisse Verschiedenes
modifiziert werden und man bitte daher um einen Entwurf
von preussischer Seite ®). Wilhelm fürchtete nämlich , bei
der einfachen Erneuerung des Bundes sich am Krieg um
*) Wilhelm an Friedrich 13. und 16. Juni 1741 ; Politische Korres-
pondenz Friedrichs d. Gr. I, 9 — 10; Koser, Preussische Staatsschnften I,
1 f. ; Droysm V. 1, 71—73.
«) Wilhelm au Friedrich IL 21. Dezember 1740.
^) Friedrich an den österreichischen Residenten in Stockholm
4. Februar 1741;
*) Wilhelm au Friedrich 23. März 1741.
6) Wilhelm an Friedrich 23. Februar 1741.
^) Gedruckt bei von Moerner, Kurbrandenburgs Staatsvorträgo von
1601 bis 1701, S. 501-503.
7) Pol. Korresp. I, 189—190.
8) Wilhelm an Friedrich 23. Februar 1741.
ö) Antwort an Korff 6. Mai 1741.
23
«
Schlesien beteiligen zu müssen ; auf Änderungen wollte man
sich aber preussischerseits nicht einlassen^) und Ende Juni
wurde Korff von Kassel abberufen.
Bei dem Soldverhältnis Hessens zu England, der Nach-
barschaft zu Hannover und den verwandtschaftlichen Be-
ziehungen der Herrscherhäuser war für den Kasseler Hof
das Verhalten König Georgs H. im Krieg zwischen Osterreich
und Preussen von grosser Bedeutung; König Friedrich sprach
es auch dem Statthalter gegenüber aus, die hessische Politik
müsse sich nach der hannoverschen richten^). Ende Januar
liess Harrington nach Kassel melden, die 6000 Hessen sollten
sich in 2 Monaten marschfertig halten^). Wilhelm beauf-
tragte Alt zu sondieren, für welchen Zweck die Truppen
bestimmt seien *). Er wusste nichts von den Plänen Georgs H.,
der, voll Eifersucht auf das emporsteigende Preussen, damals
an einem „guten Conzert" zwischen England, Hannover,
Osterreich, Sachsen, Holland und Kussland arbeitete, um
seinem Neffen von Preussen „die Flügel zu beschneiden" ^) ;
es war in London schon davon die Rede, in Hannover eine
englisch-hannoversche Armee, mit der sich die dänischen
und hessischen Söldner vereinigen sollten, gegen Preussen
aufzustellen ^). Aber das gute Konzert oder, wie es Friedrich
von Preussen nannte, das „ehrlose Komplott" König Georgs
kam nicht zustande ; er selbst trat im entscheidenden Moment
zurück, weil Frankreich Miene machte, den Kurfürsten von
Bayern bei der Geltendmachung seiner Ansprüche auf die
habsburgischen Lande gegen den Wiener Hof zu unterstützen^).
Aber wenn Georg auch seine Eroberungspläne gegen Preussen
aufgab, so hielt er es doch im Interesse des europäischen
Gleichgewichts für geboten, dem bedrängten Wiener Hof die
») Wilhelm an Friedrich 8. Juni 1741.
«) Friedrich an Wilhelm 7. Februar 1741.
*) Bericht Alts an Wilhelm 24. Januar 1741 ; vom 25. März an
wurden die Truppen von England besoldet.
*) Wilhelm an Alt 16. Februar 1741.
*) Koser ^ König Friedrich der Grosse I, 88 f.
ö) Bericht Alts 18. April 1741.
') Koser I, 101; Oriinhagen, Geschichte des ersten schlesischen
Kriegs I, 317.
24
vertragsmässige Hilfe zu schicken. Am 19. April erklärte er
in seiner Thronrede, er gedenke seinen Verpflichtungen für
die pragmatische Sanktion nachzukommen und habe deshalb
in Kopenhagen und Kassel Ordre gegeben, die in englischem
Sold stehenden Truppen marschbereit zu halten. Das Parla-
ment bewilligte hierauf 300000 Pfd. St. zur Unterstützung
der Königin von Ungarn und zugleich die Gelder für 6000
Hessen ^), wodurch der Statthalter instandgesetzt wurde, die
Präsenzziffer der übrigbleibenden Regimenter zu erhöhen ^).
Wilhelm war mit der Unterstützung des Wiener Hofes durch
England durchaus nicht einverstanden, sondern hielt es für
die Aufgabe der englischen Politik, zwischen Österreich und
Preussen zu vermitteln, wobei er am liebsten selbst mit-
gewirkt hätte ^) ; durch „rigoureuse declarationes" der See-
mächte aber, meinte er, werde Maria Theresia einem Vergleich
noch abgeneigter, der König von Preussen aber B^rankreich
und Bayern in die Arme getrieben werden*). Nachdem
Georgs H. Neigung zu Osterreich durch seine Thronrede
allgemein bekannt geworden war, lag für den Kasseler Hof
die Befürchtung nahe, die 6000 Mann könnten gegen Preussen
verwendet werden, zumal da eine preussische Armee unter
dem Fürst von Anhalt schon seit April bei Magdeburg stand,
Sachsen und Hannover gleichermassen bedrohend^). Der
Statthalter erhielt ein Schreiben von seinem Bruder, die
Hessen dürften keinenfalls gegen Preussen kämpfen ®) ; er
selbst schrieb an Alt, dies gienge gegen die preussisch-
hessische Erbverbrüderung und zöge die verderblichsten
Folgen für den Kasseler Hof nach sich; England könne
diesem nicht zumuten, seine Truppen für ein katholisches
Haus gegen ein protestantisches fechten zu lassen; ob die
Hessen nicht in Italien oder Brabant verwendet werden
») Bericht Alts vom 25. April 1741.
«) Friedrich an Wilhelm 16. Mai 1741, vergl. S. 21.
«) Wilhelm an Alt 3. April 1741.
*) Wilhelm an Alt 1. Mai 1741; wirklich schloss Friedrich IL
einen Monat darauf das Breslauer Bündnis mit Frankreich ab.
^) Pol. Korresp. I, 217.
6) Friedrich an Wilhelm 28. April 1741.
25
könnten ? *). Im Vertrag freilich war nur der Dienst gegen
die Staaten des Königs von Schweden ausgenommen. Wilhelm
schickte, als der . König von England im Sommer nach
Hannover kam, den Oberstlieutenant von Miltitz dorthin, um
Georg, wie alljährlich, bei seiner Ankunft auf dem Festland
zu begrüssen und zugleich wegen des Kämpfens gegen Preussen
Vorstellungen zu machen. Miltitz erklärte Lord Harrington,
man hoffe in Kassel bestimmt, dass der König dies nicht
verlangen werde ; „übrigens aber würden allenfalls die ge-
nommenen engagements ohne einige Massgebung erfüllet
werden" 2). Bald darauf kam der Statthalter selbst nach
Hannover; er erlangte zwar keine bestimmten Zusagen, doch
verfehlten seine Vorstellungen ihren Eindruck auf König
Georg nicht ^), zumal da der dänische Hof ebenfalls Schwierig-
keiten machte und auch der sächsische, auf dessen Mit-
wirkung der König gerechnet hatte, sich als unzuverlässig
erwies^). Unter diesen Umständen unterbUeb trotz des
Drängens des Wiener Hofs ein militärisches Vorgehen Georgs
gegen Friedrich H. ^). Die Abneigung des Kasseler Hofes,
seine Truppen gegen Preussen verwenden zu lassen, blieb
übrigens nicht verborgen ; in London sprach man schon
im Mai davon ®) ; auch in Berlin war man darüber unterrichtet;
Wilhelm selbst hatte Korff vertraulich zu verstehen gegeben,
er werde eine Beteiligung der Hessen am Kampf gegen
Preussen, wenn irgend möglich, zu verhindern suchen '), und
es geschah wohl zur Bestärkung des Statthalters in seiner
preussenfreundlichen Gesinnung, wenn der Gesandte Fried-
richs n. in Hannover, von Plotho, im Auftrag seines Königs
Alt gegenüber wieder auf das preussisch-hessische Bündnis
zu sprechen kam^).
») WUhelm an Alt 8. Mai 1741.
«) Instruktion für Miltitz 31. Mai; Bericht Miltitz' 6. Juni 1741.
') Wilhelm an Friedrich 3. Juli 1741 : j'ai liou de croire que mos
representations ont eu leur effet.
*) Bericht Alts aus Hannover 24. Juli 1741.
^) Oriinhagen I, 410 f.
®) Bericht Alts aus London 19. Mai 1741.
') Wilhelm an Alt 14. August 1741.
®) Bericht Alts aus Hannover 24. Juli 1741.
26
Indessen hatte sich die französische Kegierung zur
Unterstützung des Kurfürsten von Bayern entschlossen ; nach-
dem sich die Bayern schon Ende Juli Passaus bemächtigt
hatten, überschritt im August eine französische Armee die
deutsche Grenze, um mit ihnen vereint in Osterreich ein-
zudringen ; eine zweite Armee führte . Marschall Maillebois
vom Niederrhein her gegen Hannover, worauf König Georg
den Prinzen Wilhelm aufforderte, die 6000 Mann sofort zum
Schutz seines Stammlands aufbrechen zu lassen^); am 19.
und 20. September überschritten sie die hannoversche Grenze,
geführt von Landgraf Karls jüngstem Sohn Prinz Georg, der
eine Zeit lang im preussischen Heer gedient und im polnischen
Erbfolgekrieg das hessische Kontingent befehligt hatte ^).
Die 6000 Hessen bezogen ein Lager bei Grohnde an der
Weser unterhalb von Hameln, in der Nähe eines hannoverschen
Korps, während ein zweites Korps Hannoveraner, zu dem
von Verden aus 6000 Dänen stossen sollten, bei Nienburg
stand ^). Aber es kam zu keinem Zusammenstoss mit den
Franzosen; König Georg, der sein Stammland im Westen
von Maillebois, im Osten vom Fürst von Anhalt bedroht
sah, hatte schon im August seinen Geheimerat von Hardenberg
nach Paris gesandt, um über Neutralität Hannovers zu ver-
handeln, und sich zugleich um die Fürsprache seines
preussischen Neffen bemüht^), wobei ihn Prinz Wilhelm
durch ein Schreiben an Friedrich H. zu unterstützen suchte %
Die Neutralität wurde gewährt, doch musste sich Georg ver-
pflichten, bei der Kaiserwahl seine kurfürstliche Stimme
Karl Albert von Bayern zu geben, Maria Theresia nicht mehr
zu unterstützen und seine Hilfstruppen zu entlassen ^). Ende
Oktober brachen die Hessen wieder in ihre Heimat auf. Der
9
Statthalter erhielt von König Georg für den Fall eines An-
>) Wilhelm an Friedrich 12. September 1741.
*) Teuthoriif Geschichte der Hessen X, 813; v. EommeU Geschichte
von Ilcssen, X, 54—60.
^) Prinz Georg aus Grohnde an Friedrich 8. Oktober 1741.
*) Koser I, 137 ; Pol. Korrosp. J, 350.
^) Pol. Korresp. I, 374.
^) Qrünhagen I, 460; Pol. Korresp. 1, 413.
27
griffs der Mailleboisscben Armee auf Hessen das Versprechen
sofortiger Hilfeleistung *) ; doch gab ihm der französische
Gesandte am englischen Hof, Bussy, die Versicherung, der
Kasseler Hof habe bei den engen Beziehungen Frankreichs
zu Schweden nichts zu befürchten ^). Der Prinz war, wie
auch König Friedrich, der beim Herannahen der Franzosen
bereits an ein Separatabkommen für Hessen gedacht hatte ^),
sehr damit einverstanden, dass die Sache so friedlich ab-
gelaufen war. Wilhelm glaubte, dass Georg H. nun auch
als König von England seine Politik von der des Wiener
Hofes trennen und sich dem Kurfürsten von Bayern, dem die
Kaiserkrone jetzt sicher war, sowie dem König von Preussen
aufrichtig nähern werde ^). Diese irrige Voraussetzung des
Statthalters hatte für die hessische Politik der nächsten Zeit
schwerwiegende Folgen.
Indessen hatte seit dem Tod Karls VI. die deutschen
Höfe die Frage beschäftigt, wer den so lange von dem habs-
burgischen Haus besetzten Kaiserthron nun einnehmen solle.
Dass die Kurfürsten allein zur Kaiserwahl berechtigt waren,
wurde von den fürstlichen Häusern, welche jenen zum Teil
an Macht nicht nachstanden, bitter empfunden; daher fand
ein Vorschlag der fränkischen Markgrafen, die altfürstlichen
Häuser sollten zur Geltendmachung ihrer Rechte eine Einung
schliessen ^), beim Kasseler Hof und den meisten anderen
Beifall und im April 1741 trat eine Gesandtenkonferenz zu
diesem Zweck in Offenbach zusammen ®). Die Kurfürsten
standen diesem Vorgehen natürlicherweise mit Misstrauen
») Georg IL an Wilhelm 16. Oktober 1741.
«) Wilhelm an Friedrich 17. Oktober 1741.
3) Friedrich an Wilhelm 12. September 1741.
*) W^ilhelm an Friedrich 10. Oktober 1741.
^) Wilhelm an Friedrich 19. Januar 1741. Schon vor dos Kaisers
Tod war dem hessischen Reichstagsgesandten von Wülckonitz von dem
dänischen, von Bernstorff, eine „nähere Zusammensetzung der potenten
fürstlichen Häuser*' vorgeschlagen worden zum Schutz der evangelischen
Religion, zur Aufrechterhaltung der Fürstenrechto gegenüber den Kur-
fürsten und um bei einer Kaiserwahl gemeinsame Beschlüsse fassen zu
können (Bericht Wülckenitz' aus Regensburg 7. Üärz 1740).
^) Hessen war durch Herrn v. Heringen vertreten (r. Loen^ kleine
Schriften II, 145).
28
gegenüber und Friedrich von Preussen liess durch Korff den
Prinzen Wilhelm, den er für den Anstifter der ganzen Sache
hielt, „vor gewissen Deliberations-Punkta von gar zu weiter
Ausschau freundvetterlich abmahnen", da es sonst zu
Kollisionen zwischen Fürsten und Kurfürsten kommen könnte *).
Übrigens wurde in Offenbach und Frankfurt, wohin der
Kongress nachher übersiedelte, keine dauernde Einung ge-
schaffen ; doch setzte der Kongress 45 Postulate auf, die
dann dem Kurerzkanzler überreicht und in der Wahlkapitulation
zum Teil berücksichtigt wurden^). Indessen hatte an den
kurfürstlichen Höfen bezüglich der Kaiserwahl der bayerisch-
französische Einfluss lange mit dem österreichischen gerungen;
während Graf Colloredo für den Gemahl Maria Theresias,
Franz von Toskana, warb, war der gewandte Marschall
Belleisle für die Kanditatur Karl Alberts von Bayern thätig^) ;
Frankreichs Einfluss und Geld, verbunden mit seinem kriege-
rischen Vorgehen, errangen den Sieg; als auch Georg IL
dem bayerischen Kurfürsten seine Stimme zusagen musste,
stand dessen Wahl nichts mehr im Wege.
Prinz Wilhelm kam Karl Albert mit warmem Herzen
entgegen ; bei seiner feindseligen Gesinnung gegen das Haus
Habsburg musste er die Wahl eines Kaisers aus anderem
Haus mit Freuden begrüssen, und einer sächsischen Kandidatur,
von der einmal die Rede war, zog er die bayerische ent-
schieden vor*); denn Hessen stand zu Bayern in freund-
schaftlichen Beziehungen ; in den Streitigkeiten um die
Hanauer Erbschaft hatte der Kurfürst zu Wilhelm gehalten^)
und in den Jahren 1738 — 40 war — allerdings ohne Resultat —
*) Korff an einen der hessischen Gehoimräte 17. März 1741 ;
Wilhelm liess antworten, der Kongress, den er übrigens nicht angeregt
habe, lasse sich jetzt nicht mehr rückgängig machen.
^) Ä. Dove^ das Zeitalter Friedrichs d. Gr. und Josephs II. I, 120 ;
Th, Eetgel, der österreichische Erbfolgestreit und die Kaiserwahl Karls VII.,
S. 91 und S. 231.
8) Heigd, S. 97 f. und S. 118 f.
*) Wilhelm an Friedrich, 14. August 1741.
5) Wilhelm an Friedrich 10. Oktober 1741.
29
über ein Bündnis zwischen beiden Staaten verhandelt worden ').
Das einzige, was Prinz Wilhelm an dem Kurfürsten nicht
gefiel, war seine Abhängigkeit von Frankreich, aber er dachte
wohl, wenn Karl Albert einmal Kaiser und Herr der öster-
reichischen Lande sei, werde er sich von dem französischen
Einfluss losmachen. Ein gutes Verhältnis zum künftigen
Reichsoberhaupt hielt der Statthalter um so mehr für er-
strebenswert, als Hessen dies unter den österreichischen
Kaisern oft schmerzlich entbehrt hatte, und jetzt, wo durch
den bevorstehenden Zusammenbruch der habsburgischen
Monarchie die Gestalt des Reichs sich von Grund aus zu
ändern schien, konnte es da nicht auch sonst zu Umwälzungen
kommen, wobei es für die Freunde des Kaisers etwas zu
gewinnen gab ? Solche Erwägungen waren es, die in Wilhelm
den Gedanken an einen Bund mit Karl Albert aufsteigen
liessen, und zwar war es besonders Ein Ziel, das ihm hierbei
vor Augen schwebte : die Kurwürde ; wenn Böhmen an Bayern
fiel, war eine Kur erledigt und diese gedachte der Prinz als
Preis für die Unterstützung des künftigen Kaisers seinem
Haus zu erringen.
Die Politik des Statthalters wurde in der nächsten Zeit
ganz von dem Streben nach der Kurwürde bestimmt. Zwar
schrieb er seinem Bruder, Preussen und Frankreich hätten
diesen Gedanken bei ihm angeregt^); in Wahrheit aber war er
es, der bei diesen Mächten über ihre Einwilligung sondieren
liess^); natürlich beteuerten ihm beide Höfe im Hinblick auf
die für ihren bayerischen Verbündeten zu gewinnende Bundes-
genossenschaft Hessens ihre Freundschaft*), auf bestimmte
*) Der Vorschlag gieng von bayerischer Seite aus, die Reichstags-
gesandten von Wülckenitz und von Praidlohn führten in Regensburg die
Verhandlungen; als das Bündnis schon dem Abschluss nahe schien, zog
sich Bayern zurück, wie der Statthalter meinte, wegen des hessisch-
englischen Bündnisses (Instruktion für Generalmajor von Donop
20. November 1741).
») Wilhelm an Friedrich 19. Dezember 1741.
8) Graf Podewils 20. Januar 1742 an Friedrich IT. : ou brigue
SGcretement la dignite electoralo ä Cassel — on a sende dejä de long
le terrain, si Ton osait bien s* adresser ä Votre Majeste pour obtenir son
assistance (Pol. Korr. II, 26).
*) Miltitz aus Hanau an den hessischen Rat Gehebe in Stockholm
2. Dezember 1741.
30
Zusagen Hessen sie sich jedoch nicht ein. An Bayern selbst
fand die erste Annäherung des Kasseler Hofes dadurch statt,
dass Ende November der Generalmajor von Donop ^) zu Karl
Albert gesandt wurde, um ihm im Namen König Friedrichs
und des Statthalters zu seiner bevorstehenden Wahl zum
Kaiser Glück zu wünschen. Donop bekam die Instruktion,
von sich aus weder von dem früher projektierten Bündnis
mit Bayern, noch von der Kurwürde zu sprechen, wenn man
aber bayerischerseits davon anfange, darauf einzugehen und
zu erklären, der Kasseler Hof werde einem Bund mit Bayern
nicht abgeneigt sein^). Donop wurde in München zuvor-
kommend empfangen ^) und begab sich von dort zu Karl
Albert nach Prag, das eben den Österreichern entrissen
worden war. Indessen waren in Kassel fast zu gleicher Zeit
von englischer und von bayerischer Seite Subsidienanträge
eingelaufen : am 1. Dezember berichtete Alt aus London, der
König von England wünsche die in seinem Sold stehenden
6000 Hessen auf 10000 zu erhöhen*), und am 6. Dezember
schrieb Karl Albert an Prinz Wilhelm, er möchte ihm 2 In-
fanterieregimenter und 1000 Reiter in Sold geben ^). Wäre
es dem Prinzen nur um das Geld zu thun gewesen, so hätte
er jedenfalls mit England abgeschlossen, das gute Bedingungen
*) August Moriz von Donop, Erbherr zu SchÖttmar im Lippeschen,
geboren 5. Juli 1696, trat zuerst in dänische, dann in hessische Dienste
und wurde Oberhofmeister beim Erbprinzen Friedrich, dorn er bei seinem
mehrjährigen Aufenthalt in Genf beigegeben war. Als im Mai 1740
Prinzessin Maria von England dem Prinzen durch Procuration angetraut
ward, wurde Donop vom Statthalter zu dieser Feierlichkeit nach England
gesandt; bald darauf wurde er Generalmajor und war dann 4 Jahre lang
Gesandter bei Karl VII. und dessen Sohn Max Joseph ; in dieser Stellung,
die bei den nahen Beziehungen des Prinzen Wilhelm zu Karl VII. sehr
wichtig war, schloss Donop mehrere Verträge ab. 1748 wurde er geheimer
Staatsminister und Präsident des Kriegskollegiums; vergeblich wurde
1756 von französischer Seite versucht, ihn durch Bestechung dahin zu
bringen, dass er für Neutralität Hessens wirke; 1761 starb er in Rinteln
Strieder^ hessische Militärgeschichte S. 345; Hof mann ^ hessischer Kriegs-
staat II, 932—933 und 527; Denkwürdigkeiten Asseburgs S. 33; Ersch
und Orubers Allgemeine Encyklopädie XXVII, 166).
2) Instruktion für Donop 20. November 1741.
8) Bericht Donops aus München 2. Dezember 1741.
Bericht Alts 1. Dezember 1741.
Karl Albert aus Prag an Wilhelm 6. Dezember 1741.
?
31
gab und prompt zahlte ; aber politischen Vorteil konnte Hessen
viel eher durch den künftigen Kaiser erlangen, der bei seinen
Unternehmungen gegen den Wiener Hof so sehr vom Glück
begünstigt schien. Schon war der Statthalter dem Gedanken
an ein bayerisches Bündnis so nahe getreten, dass er seinem
Bruder entschieden abriet, auf den englischen Antrag einzu-
gehen, während er früher, als englischerseits von einer
eventuellen Vermehrung ^) der hessischen Soldtruppen ge-
sprochen wurde, sehr dafür gewesen war ^) ; er schrieb nach
Stockholm, durch einen neuen Vertrag mit England werde
man bei Preussen und Bayern, die beide Hessen günstig
gesinnt seien, Anstoss erregen und Frankreich reizen, während
durch die Freundschaft dieser Mächte manche Vorteile und
vielleicht die Kurwürde zu erlangen sei ^). Von dem bayerischen
Antrag erwähnte er noch nichts : er wollte vorher erfahren,
was Bayern biete und verlange*); deshalb wies er Donop
jetzt an, die Kurwürde aufs Tapet zu bringen und über die
etwaigen Bedingungen zu sondieren^). Als Donop, der in
Prag sehr freundlich aufgenommen war, die Rede auf die
Kurwürde brachte, erklärte Karl Albert, er selbst werde gerne
das Seinige dazu beitragen, aber man müsse, da eine neue
protestantische Kur bei den Katholiken Missfallen erregen
werde, zugleich auch eine katholische schaffen ^).
Wilhelm hielt sich, um der Wahlstadt Frankfurt nahe
zu sein, in Hanau auf und verkehrte viel mit den in Frank-
furt befindlichen Anhängern der bayerisch-französischen Partei;
*) Eine solche fürchtete man auch in Versailles (rocuoil des
Instructions II [Suedo], S. 361).
2) Wilhelm an Friedrich 9. Februai' 1741.
^) Wilhelm an Friedrich 19. Dezember 1741.
*) Man fürchtete anfangs in Kassel, Karl Albert werde Trennung
Hessens von England verlangen (renoncer aux engageraents anterieurs)
(Miltitz an Gehebo 2. Dezember 1741).
^) Wilhelm an Donop 14. Dezember 1741.
6) Bericht Donops aus Prag 8. Januar 1742. Nach Eanke XXIX, 34
war einmal davon dio Rede, neben Hessen das Erzherzogtum Österreich
unter Franz von Toskana zum Kurfürstentum zu machen; doch bezieht
sich dies auf eine spätere Zeit; jetzt gedachte ja Karl Albort Österreich
selbst zu bekommen. Eine hessische Kur schlägt auch das von Dove
(I, 192, Anm. 1) erwähnte Pazifikationsprojokt eines Regensburgers von
1743 vor.
32
er empfieng in Hanau den Besuch des Marschalls Belleisle^
als dieser von Böhmen zurückkehrte, und sprach mit ihm
über Karl Alberts Bitte um hessische Truppen, doch ärgerte
sich der Prinz über das hochfahrende Wesen des Franzosen^).
Der Kurfürst von Köln, Karl Alberts Bruder, war längere
Zeit in Hanau zu Besuch bei Wilhelm ^). Bestärkt wurde
der Prinz in seiner Hinneigung zu Bayern durch seinen
Bruder, König Friedrich , der sich mit der Ablehnung des
englischen Antrags „sowohl vom schwedischen als vom
hessischen Standpunkt" einverstanden erklärte und einem
Bund mit Bayern und dadurch mit Frankreich sehr geneigt
war^). Die französische Diplomatie, die, wie Donop erfuhr,
auch bei dem bayerischem Subsidienantrag die Hand mit im
Spiel gehabt hatte ^), versäumte nicht, den König durch
allerhand Versprechungen in dieser Gesinnung zu bestärken.
Schon hoflTte er nicht nur die Kurwürde, sondern auch Ge-
bietserweiterung für Hessen erlangen zu können^), auch der
Statthalter Hess durch Donop bei Karl Albert hierüber
sondieren®). Der Geheimerat in Kassel sah die Sache
nüchterner an : er riet in einem Gutachten vom 24. Dezember
entschieden ab von dem Bündnis mit Karl Albert; ein
bayerischer Subsidienvertrag, war darin ausgeführt, sei dasselbe
wie ein französischer; Frankreich müsse doch die Truppen
bezahlen ; das Land aber sei schutzlos, wenn man noch mehr
Truppen hergebe '). Wilhelm sah die Schattenseiten des
bayerischen Bündnisses wohl ein ; besonders machte es ihm
Sorge, wie sich Hessens Verhältnis zu England dabei ge-
stalten werde ; er Hess daher durch Alt bei Harrington
sondieren, wie sich die englische Regierung zu einem Sub-
1) Wilhelm an Friedrich 6. Januar; an Harrington 7. Januar 1742:
cette hauteur qui n'est permise qu'ä sa nation ; wahrscheinlich verhielt
sich Bolleisle zurückhaltend den Ansprüchen Wilhelms gegenüber.
2) Wilhelm an Donop 3. Januar 1742.
8j Vergl. recueil des instructions VII, 361.
*) Bericht Donops aus Prag 28. Dezember 1741.
*) Friedrich an Wilhelm 29. Dezember 1741 und 5. Januar 1742;
eine Gebietserweiterung hielt Friedrich für nötig „pour mieux soutenir
la doponso*' (der Kurwürde).
®) Wilhelm an Donop 3. Januar 1742.
^) Gutachten des hessischen Geheimerats vom 24. Dezember 1741.
33
sidienvertrag des Kasseler Hofes mit Karl Albert, dem man
als dem künftigen Kaiser seine Bitte um hessische Truppen
nicht gern abschlage, stellen würde ^). Die Antwort Harringtons
lautete nicht, wie man erwarten sollte, ernstlich abmahnend
oder gar entrüstet, sondern er drückte Alt nur sein Erstaunen
aus, dass der Statthalter auf zwei verschiedene Seiten
hessische Truppen stellen wolle, und erklärte, König Georg
hätte die Regimenter, die der Kasseler Hof noch zur Ver-
fügung habe, zwar lieber selbst in Sold genommen, habe
aber gegen einen hessisch-bayerischen Subsidienvertrag nichts
einzuwenden^). Übrigens liess Georg H. als Kurfürst von
Hannover damals durch den Geheimerat von Münchhausen
selbst über einen Freundschaftsvertrag mit Karl Albert unter-
handeln^) und da dachte der Statthalter, der hierüber sehr
erfreut war, mit Recht, dann stehe es auch ihm frei, sich
mit Bayern zu verbünden *). Den Ausschlag gab für Wilhelm
eine Zusammenkunft, die er kurz vor der Kaiserwahl mit
Karl Albert, der von Prag zurückgekehrt war, in Mannheim
hatte ^) ; er erklärte ihm hier, er werde auf alles eingehen, was
nicht gegen den englischen Vertrag Verstösse, worauf ihm
Karl Albert die Versicherung gab, er suche selbst die Freund-
schaft der Seemächte, und ihn bat, dies den König von
England wissen zu lassen ; hinsichtlich der Kurwürde wieder-
holte er, was er bereits Donop mitgeteilt hatte®). Wilhelm
war sehr befriedigt von seinem Empfang ; am 24. Januar
erfolgte die Kaiserwahl und die Festlichkeiten in Frankfurt
übertäubten die für den neuen Kaiser so schlimmen Nach-
richten von dem Vordringen der Österreicher in Bayern.
Nachdem Wilhelm noch ein Schreiben von seinem Bruder
erhalten hatte, worin sich dieser mit dem bayerischen Bündnis
=!
Wilhelm an Alt 23. Dezember 1741.
Bericht Alts 12. Januar; Alt an Oberappelationsgerichtsrat GalkhofF
9. Januar 1742.
») Droysmy V, 1, 404, 416, 430 ; Pol. Korr. U, 85 ; Tagebuch
Karls VII. (herausgegeben von Heigel) S. 47,
*) Wilhelm an Friedrich 9. Februar 1742.
») In Karls VII. Tagebuch S. 47 wird Wilhelms Besuch erwähnt.
•) Wilhelm an Friedrich 24. Januar 1742 ; das England Betreffende
berichtete Wilhelm am 30. Januar an Harrington.
N. P. Bd. xxiii. 3
34
einverstanden erklärte, sobald Karl Albert Kaiser sei^), be-
gannen in Frankfurt die Verhandlungen zwischen den hessischen
Bevollmächtigten , Kammerpräsident von Wülckenitz und
Komitialgesandten von Borck, mit den bayerischen, General-
feldmarschallieutenant Graf Piosasque de Non und Vize-
kanzler von Praidlohn; am 2. März kam der ünionsvertrag ^)
zwischen Bayern und Hessen nebst der Truppenkonvention
zum Abschluss. Ausser gegenseitiger Unterstützung auf dem
Reichstag wurde festgesetzt, dass, wenn die Lande eines
Kontrahenten angegriffen würden (doch nicht, wenn er den
Krieg selbst angefangen hätte), Bayern Hessen mit 6000 und
Hessen Bayern mit 3000 Mann, darunter Vs Kavallerie, zu
unterstützen habe. Bemerkenswert ist, dass zu den Landen
des Kaisers auch Böhmen und Oberösterreich gerechnet
wurde „und was sonst noch von österreichischen Erblanden
Seiner Römisch Kaiserlichen Majestät bei erfolgendem Friedens-
schluss zugehen wird". Dazu kamen fünf Geheimartikel.
Erstens versprach der Kaiser, beim Reich zu beantragen und
durch seine Alliierten dafür wirken zu lassen, dass das
hessische Haus die Kurwürde erhalte, doch unter Beibehaltung
der bisherigen Religionsproportion im Kurfürstenkollegium.
Zweitens verpflichtete er sich, die Belehnung der Fürsten
und Grafen von Waldeck ruhen zu lassen bis zu einer
gründlichen Untersuchung, ob diese, wie unter den letzten
Regierungen, direkt durch den Kaiser oder durch das Haus
Hessen zu geschehen habe. Drittens versprach der Kaiser,
die Streitsache mit Darmstadt um das hanau'sche Amt Baben-
hausen ^), das böhmisches Lehen war, noch einmal unter-
suchen zu lassen und bei den sonstigen Erbstreitigkeiten
beider Linien das Kasseler Haus gegen etwaige Übergriffe
Darmstadts zu unterstützen. Viertens verpflichtete er sich,
di(i Garantie der hessischen und hanau'schen Lande seitens
') Friedrich an Wilhelm 16. Januar 1742.
2) I)or Vertrag mit 4 (statt 5) Geheimartikeln erwähnt bei
von Aretiny Verzeichnis der bayerischen Staatsverträge 1503—1819, S. 64.
^) Babenhausen, Stadt im jetzigen hessen-darmstädt'schen Kreis
Dieburg; der Streit wurde erst 1773 durch Teilung des Amtes beigelegt,
die Stadt selbst fiel an die Kasseler Linie {Teutfiom, XI, 157).
35
seiner Alliierten, insbesondere Frankreichs, Preussens und
Sachsens, auszuwirken. Fünftens wurde festgesetzt, dass das
Bündnis des Kasseler Hofes mit England weiter bestehen
und die in kaiserlichen Sold tretenden Hessen weder gegen
ihre Landsleute, noch gegen englische oder hannover'sche
Truppen kämpfen sollten ; dafür verpflichtete sich der Kasseler
Hof, Sorge zu tragen, dass die in englischem Sold stehenden
6000 Mann „nie direkte gegen den Kaiser und seine Länder"
verwendet würden. Vermöge der Truppenkonvention traten
3 hessische Infanterieregimenter zu 800 Mann und ein
Dragoner regiment zu 640 Mann^) in die Dienste des Kaisers;
der Infanterie sollten 6 Feldstücke mit Mannschaft und
Zubehör beigegeben werden. Das hessische Korps sollte,
wenn irgend möglich, nicht getrennt werden und stets unter
dem Kommando seines Generals bleiben. Zur Mobilmachung
hatte der Kaiser 90000 Gulden Rheinisch zu zahlen und
von der Übernahme des Korps an monatlich 30000 Gulden;
Brot, Fourage und Munition hatte die kaiserliche Kriegs-
kommission zu liefern. Der Ersatz der Gefallenen und Ver-
wundeten, von denen 3 wie 1 Gefallener zählten, war eben-
falls Sache des Kaisers und zwar sollte für 1 Dragoner mit
Pferd 150 Gulden, für 1 Pferd 112 Gulden 30 Kreuzer, für
1 Dragoner oder Infanteristen 36 Gulden bezahlt werden.
Der Ersatz der Deserteure dagegen und der an Krankheiten
Gestorbenen, sowie alles Übrige, fiel der Kasseler Kriegskasse
zur Last.
Der Statthalter und der König waren beide sehr be-
friedigt von dem Vertrag. Besonders erfreut war Wilhelm
über die Zusage der Kurwürde, wenn er auch bedauerte, dass
nicht zugleich eine Gebietserweiterung stipuliert worden war.
Die Truppen konvention freilich war pekuniär lange nicht so
günstig, wie die mit England 2); der Statthalter verglich sie
mit dem im Jahr 1733 mit Karl VI. geschlossenen Vertrag
') Die vier Kavallerieregimenter in englischem Dienst zählten nur
je 31G Mann.
') II s'en faut du tout que nous en tirions les memos sonimes.
3*
36
and meinte^ man werde wohl noch daraufzahlen müssen^);
doch, schrieb er seinem Bruder, werde Hessen hierfür entschädigt
durch den sicheren Gewinn der Freundschaft des Kaisers;
wie viel diese wert sei, hätten die Freunde der habsburgischen
Kaiser oft erfahren, künftig werde nun das hessische Haus
keine Ungerechtigkeiten mehr leiden müssen. England gegen-
über glaubte Wilhelm durch den 5. Geheimartikel genug
gethan zu haben ^) ; in Wahrheit aber verletzte er den eng-
lischen Vertrag, wenn er dem Kaiser eigenmächtig die Zusage
gab, die 6000 Mann im englischen Sold sollten nicht gegen
ihn verwendet werden ; wenn England auf dem ihm zustehenden
Verfügungsrecht über diese Truppen bestand, so konnte es
die grössten Schwierigkeiten geben. Oberhaupt war die
hessische Politik durch den Frankfurter Vertrag auf eine ge-
fahrliche Bahn geraten. Die lockende Aussicht auf den Kur-
hut Hess Wilhelm übersehen, wie abenteuerlich ein gleich-
zeitiges Bündnis mit England und dem Kaiser war. An sich
war ja das Streben nach der Kurwürde gewiss berechtigt:
das hessische Haus hätte durch sie ohne Zweifel höheres
Ansehen im Reich und vielleicht auch sonstige politische
Vorteile erlangt^). Aber Wilhelm musste doch bedenken, in
welche Lage Hessen kommen konnte, wenn England, wie es
König Georgs Thronrede vom Dezember in Aussicht stellte *),
Maria Theresia noch weiter unterstützte. War auch durch
den 5. Separatartikel ein direktes Kämpfen der beiden
hessischen Korps gegen einander ausgeschlossen, so war es
doch schlimm genug, wenn sie auf zwei entgegengesetzten
Seiten standen. Zur Entschuldigung Wilhelms kann man an-
führen, dass er die feste Erwartung hegte, Georg H. werde
sich als Kurfürst von Hannover mit dem Kaiser verbünden
und infolgedessen auch als König von England in ein freund-
*) II nV aura aucon profit, 11 faudra que Votre Miyeste y motte
encore en quelque fa9on du sien.
») Wilhelm an Friedrich 5. März 1742.
"J „Für die Kurfürsten giebt es immer Gelegenheit, Acquisitionen
zu macnen'*, schrieb Miltitz an Gehebe am 2. Dezember 1741.
*) H&igel, 8. 243.
37
liebes Verhältnis zu ihm treten ^) ; ein Bund des deutschen
Kaisers mit den Seemächten war das politische Ideal des
Prinzen und für die Wiederherstellung dieses „alten Systems",
wie es ihm vom spanischen Erbfolgekrieg her vertraut war,
suchte er stets bei England wie beim Kaiser zu wirken. Er
bedachte hierbei nic];it, dass die mächtigen habsburgischen
Kaiser begehrenswertere Bundesgenossen für die Seemächte
gewesen waren als Karl VII. und dass das Bindemittel zwischen
jenen der gemeinsame Gegensatz zu Frankreich gebildet hatte,
während ein von den Franzosen abhängiger Kaiser wie Karl VII.
England notwendigerweise unsympathisch sein musste. Dass
es im englischen Interesse lag, den österreichischen Staat,
das Hauptbollwerk gegen Frankreich, in seinem Machtumfang
aufrecht zu erhalten, dafür fehlte es Wilhelm bei seiner Ab-
neigung gegen das Haus Habsburg an Verständnis. Und er
hätte dies um so eher einsehen sollen, als er selbst der
entschiedenste Gegner Frankreichs war; des Kaisers Abhängig-
keit von den Franzosen und ihre Einmischung in die deutschen
Angelegenheiten waren ihm ein Greuel; ihr anmassendes
Wesen empörte ihn, den stolzen deutschen Reichsfürsten,
und er sprach seinem Bruder gegenüber die Befürchtung aus,
wenn man nicht bei Zeiten Massregeln ergreife, werde noch
ganz Deutschland unter das französische Joch kommen^).
Bildete es zu dieser Gesinnung nicht den schreiendsten
Widerspruch, wenn Wilhelm mit dem Kaiser, der die Franzosen
ins Land gerufen hatte, ein Bündnis abschloss und einen
Subsidienvertrag, zu dem, wie der Prinz wohl wusste, Frank-
reich das Geld lieferte? Aber freilich, ohne die französische
Zustimmung konnte der Statthalter auch nicht hoffen, dass
der Kaiser seinem Haus die ersehnte Kurwürde verleihe;
und so liess er sich durch seinen dynastischen Ehrgeiz zu
einer höchst unnatürlichen Politik verleiten.
^) Wilhelm an Friedrich 5. März, an Alt 11. April und nooh
9. Juli 1742.
') Am 5. März klagt Wilhelm seinem Bruder, dass der Kaiser
„keinen Hofrat ernenne, ohne die Franzosen zu befragen'^, vergl. S. 5,
Anm. 1.
38
Der bayerisch-hessische Vertrag wurde den Königen von
England, Frankreich, Preussen und Polen, sowie den Kur-
fürsten von der Pfalz und von Köln bekannt gegeben ^) ; auf
Verlangen des preussischen Gesandten beim Kaiser, Kling-
gräffen, bekam dessen Regierung, sowie die französische,
auch die Geheimartikel mitgeteilt, ausgenommen den über
das Verhältnis Hessens zu England^). Dort war indessen
im Februar das Ministerium Walpole gefallen und an Stelle
Harringtons war Lord Carteret Staatssekretär des Auswärtigen
geworden. Die englische Politik, bisher vorsichtig und fried-
liebend, nahm unter ihm einen ausgesprochen antifranzösischen,
kriegerischen Charakter an ; mit aller Energie gedachte er
die Königin von Ungarn gegen ihre Feinde zu unterstützen
und den König von Preussen womöglich von diesen abzu-
ziehen^). Unter solchen Umständen konnte natürlich auch
von einem Freundschaftsvertrag Hannovers mit dem Kaiser
nicht mehr die Rede sein ^). Der bayerisch-hessische Vertrag
erregte in England ^) und in Holland ®) grosses Aufsehen,
namentlich die Garantie Böhmens und Oberösterreichs;
Carteret machte den vergeblichen Versuch, wenigstens die
Ratifikation des Subsidientraktats zu verhindern '). Wilhelm
war mit der dem Kaiser ungünstigen Wendung der englischen
Politik sehr unzufrieden, dazu kamen die fortgesetzten
militärischen Erfolge der Österreicher ; wenn er dies alles
hätte voraussehen können, schrieb der Prinz an seinen
Bruder, so hätte er den Vertrag mit dem Kaiser noch nicht
abgeschlossen. Er fürchtete auch, es könnte im Parlament
mit der Bewilligung der Gelder für die 6000 Mann Schwierig-
1) Wilhelm an Donop 17. April 1742.
2) Donop an Miltitz 13. April, Wilhelm an Donop 17. April 1742.
*) Koser^ preussische Staatsschriften aus der Regierungszeit Fried-
richs IL, I, 561-64.
*) Wilhelm (an Alt 11. April 1742) und der Kaiser selbst (Tagebuch
Karls VII., S. 53) glaubten, der Vertrag sei nur wegen des englischen
Ministerwechsels nicht zustande gekommen.
») Bericht Alts 16. März 1742.
®) Wilhelm an Friedrich 1. Mai; Memoire Wilhelms für den
hessischen Geschäftsträger Mann im Haag, 30. Juli 1742.
7) Bericht Alts 27. März 1742.
39
keiten geben ^), doch wurde im Mai alles ohne Anstand be-
willigt^); hatte doch England, wenn es, wie Carteret plante,
auf dem Kontinent in den Krieg eingreifen wollte, die Hessen
nötig, zumal da Dänemark nach Ablauf des englischen Ver-
trags seine Truppen an Frankreich gegeben hatte ^). Der
Anfang zu den von Carteret geplanten Unternehmungen wurde
bereits gemacht: Ende Mai landeten die ersten englischen
Truppen in Ostende*).
Indessen war die im Vertrag mit dem Kaiser festgesetzte
Zeit für den Abmarsch der 3000 Hessen nach Bayern ge-
kommen, Wilhelm weigerte sich jedoch anfangs, sie marschieren
zu lassen, da die vom Kaiser versprochenen Garantieen seiner
Verbündeten für das hessische Gebiet noch nicht eingetroffen
waren ^). Der Prinz fürchtete nämlich, dass, falls die 6000
Hessen im englischen Sold zum Kampf gegen Frankreich
bestimmt würden, die noch immer am Niederrhein stehende
Armee des Marschalls Maillebois an Hessen Rache nehmen
werde. Auf die inständigen Bitten des Kaisers jedoch, der
die Versicherung gab, er werde, wenn es nötig sei, die
3000 Mann nach Hessen zurückkehren lassen, entschloss sich
Wilhelm schliesslich, sie abmarschieren zu lassen®); die
Garantieen Preussens und Frankreichs liefen übrigens bald
darauf ein.
So brachen denn die 3000 Hessen ') unter Anführung
des Generalmajors von Clement^) Ende Mai aus Hessen auf
und vereinigten sich am 10. Juli mit der kaiserlichen Armee ^),
die unter Graf Törring mit einem pfälzischen Hilfskorps bei
») Wilhelm an Friedrich 27. März und 5. Mai 1742.
«) Bericht Alts 25. Mai 1742.
^ Droysen V, 1, 425.
*) Mann aus dem Haag an Miltitz 29. Mai 1742.
^) Wilhelm an Karl VII. 14. Mai 1742.
ö) Karl VII. aus Frankfurt an Wilhelm 17. Mai 1742.
^) Die Infanterie-Regimenter Waidenheim, Clement, Donop und
das Loibdragoner-Regiment.
®) Etienne de Clement, aus Anjou, trat aus hannoverischen in
hessische Dienste und war seit 1736 General; er starb am 17. Juli 1744,
67 jährig, in Mannheim (Strieder y hessische Militärgeschiohte S. 325,
Bericht Donops aus Frankfurt 18. Juli 1744).
») Bericht Clements aus Platling 10. Juli 1742.
40
Platling an der unteren Isar stand ; in der Nähe, bei Deggen-
dorf an der Donau, befand sich ein französisches Korps,
während die Österreicher unter Graf KhevenhüUer südlich
von den Verbündeten bei Vilshofen standen. Die Hessen
kamen zu einem ungünstigen Zeitpunkt auf dem Kriegsschau-
platz an: Preussen hatte eben in Breslau seinen Frieden
gemacht, Sachsen wandte sich ebenfalls vom Kaiser ab, die
Franzosen hatten in Böhmen Unglück und waren des Kriegs
in Deutschland gründlich überdrüssig ^). Die kaiserliche Armee
war, wie auch das bei ihr in Bayern stehende französische
Korps, nur gering an Zahl ^) ; dazu war die Heeresleitung
mangelhaft und die Generale stets uneinig; doch wurde der
unfähige Törring bald durch den Marschall Graf Seckendorff,
der aus österreichischen in bayerische Dienste getreten war,
ersetzt. Die Verpflegung Hess viel zu wünschen übrig, stets
fehlte es an Brot und Fourage. Dabei war das Verhältnis
zwischen den deutschen und französischen Truppen äusserst
schlecht, auch die Hessen, von denen übrigens 2 Kompagnieen
bei der Ankunft in Bayern meuterten, gerieten sofort mit
den Franzosen an einander^). Von Ende Juli bis Anfang
September standen die hessischen Truppen, mit einer gleichen
Anzahl Bayern und Pfälzer vereint, unter General Minucci
bei Ganacker und Pilsting auf dem linken Isarufer, während
das rechte Ufer von den Österreichern unter Menzel besetzt
war*). Es kam zwar zu keinen grösseren Gefechten, aber
die österreichischen Husaren Hessen die Kaiserlichen nie zu
Ruhe kommen und das hessische Korps hatte viel durch
Krankheiten zu leiden ^). Anfangs September verliess Secken-
dorff mit der kaiserlichen Armee die Stellung an der Isar,
wobei die Nachhut von Minuccis Korps, bei der sich auch
das Dragoner-Regiment und 3 Kompagnieen von den Hessen
1) Barike, XXIX, 25 ; v. Ametk, Maria Theresia II, 104 f. ; dtic
de Broglie, Frederio 11 et Lonis XV, I, 241.
^) Broglie I, 6.
') Berichte Clements aus Neumarkt (an einen Geheimerat) 18. Juni,
aus Platiing 10. Juli 1742.
Bericht Donops aus Frankfurt 28. Juli 1742.
Bericht Clements aus dem Lager bei Pilsting 29. August 1742.
?
41
befanden, gleich nach dem Aufbruch von Pilsting von Menzel
attakiert wurde*); als dann, durch das Erscheinen der
Maillebois^schen Armee in Böhmen veranlasst, KhevenhüUer
mit seiner Hauptmacht ebenfalls dorthin zog^ gelang es
Seckendorff, mit den Bayern, Pfälzern und Hessen — Frank-
reichs bayerische Armee war auch nach Böhmen abmarschiert —
das von den Österreichern nur noch schwach besetzte Stamm-
land des Kaisers fast ganz zurückzuerobern. Zwar machten
die Österreicher, als sich Maillebois Ende Oktober aus Böhmen
zurückzog, neue Yorstösse, attakierten Braunau und drangen
auch aufs linke Innufer vor^), doch Hess es der Winter zu
keinen grösseren Unternehmungen mehr kommen; Mitte
Dezember bezogen die Kaiserlichen die Winterquartiere, worauf
Wilhelm längst beim Kaiser gedrängt hatte ; die hessischen
Regimenter, schwer leidend unter Krankheit und Kälte, wurden
auf Salzburg^schem Gebiet, links von der Salzach und Saalach,
untergebracht ^).
Während so das eine hessische Korps in Bayern für
den Kaiser focht, verwendete König Georg von England die
in seinem Sold stehenden hessischen Truppen zu Gunsten
Maria Theresias ; im August erhielten die 6000 Mann, sowie
16000 Hannoveraner in englischem Sold, Ordre, nach den
österreichischen Niederlanden zu marschieren*), wohin der
König schon vorher 16000 Engländer hatte übersetzen lassen.
Lord Stair, der den Oberbefehl über die englischen Truppen
führte, trug sich mit den kühnsten Angriffsplänen gegen
Frankreich, bemühte sich aber vergeblich, die Holländer zur
Teilnahme an Englands kriegerischen Absichten zu gewinnen.
Mitte September setzten sich die 6000 Hessen, wieder unter
*) Bericht Clements vom 10. September, Donops vom 11. and
15. September 1742 ; v. Hoffmann, das bayerische 4. Infanterie-Regiment
1706-1806, S. 249.
*) Bericht Clements aus Braunau 26. November, aus Alt-Ötting
30. November 1742.
■) Bericht Clements aus Laufen a./Salzach 21. Dezember 1742.
Seckendorff schrieb an den Kaiser, es sei ein Glück, dass der Feind den
Vorwand gegeben habe, die Hessen ins Salzburg'sche zu legen, in Bayern
wäre keine Möglichkeit, sie zu ernähren (v, Hoffmanuy S. 260).
*) Wilhelm an Friedrich 9. August 1742.
42
Prinz Georgs Kommando *), in Marsch nach den Niederlanden
und kampierten dort zunächst bei Vilvorden in der Nähe
von Brüssel^), ohne dass es noch zu einem kriegerischen
Vorgehen gekommen wäre ; nachher wurden sie nach Brüssel
selbst gelegt^).
3. KjiPITEL.
Vermittelungsversuche Prinz Wilhelms zu Gunsten
des Kaisers vom Sommer 1742 an; Bündnis mit
Preussen im März 1743.
Waren die Hessen an den militärischen Ereignissen
des Jahres 1742 nicht in hervorragender Weise beteiligt, so
schien es dafür, eine Zeit lang, als sei Prinz Wilhelm be-
rufen, auf diplomatischem Wege dem Kaiser zum Frieden
zu verhelfen. Der Statthalter war durch seine Beziehungen
zu Karl VII. einerseits, zu Georg IL andrerseits zum Ver-
mittler besonders geeignet, dabei besass er diplomatisches
Geschick und war selbst von dem aufrichtigen Wunsch nach
Frieden in Deutschland beseelt. Der Kaiser befand sich nach
dem Sonderfrieden Preussens in übler Lage; sein Stamm-
land war fast ganz in den Händen der Österreicher, die
Franzosen in Böhmen leisteten nur wenig und kümmerten
sich nicht um den Kaiser; so fasste er den Entschluss, sich
durch den Prinzen Wilhelm an Georg 11. zu wenden, um
durch ihn zum Frieden zu gelangen. Er schrieb am 27. Juni
an den Prinzen, er hege die feste Zuversicht, dass es König
*) Instruktion für Prinz Georg 10. September 1742; die Hessen
bestanden aus 6 Infanterie-Regimentern (Garde, Grenadiers, König, Prinz
Friedrich, Prinz Maximilian, Prinz Georg) zu 818 Mann und 4 Kavallerie-
Regimentern (Leibregiment, Prinz Maximilian, Gräffendoi-ff, Isenburg) zu
316 Mann, betrugen also zusammen 6172 Mann.
*) Bericht Prinz Georgs aus Vilvorden 1. November 1742.
*) Bericht Prinz Georgs aus Brüssel 3. Dezember 1742.
43
Georg nicht dahin kommen lasse, dass man ihn der Lande
beraube, auf die er gerechten Anspruch habe, sondern dass
ihm der König einen ehrenvollen Frieden verschaffen werde ^.
Wilhelm, der längst ein Einvernehmen zwischem dem Kaiser
d England wünschte und hierfür zu wirken suchte, war
sehr erfreut, dass Karl nun die Hand dazu bot; dabei
schmeichelte es auch dem Prinzen, vom Kaiser zum Ver-
mittler ausersehen zu sein. Er schickte das Schreiben nach
London und sprach zugleich Georg 11. und Carteret gegen-
über die Hoffnung aus, dass England sich des Kaisers an-
nehmen werde, wobei er es nicht unterlassen konnte, den
König auch um seine Unterstützung bezüglich der Kurwürde,
die der Kaiser dem hessischen Haus bereits zugesagt habe,
zu bitten ^). An den Kaiser schrieb Wilhelm, er sei fest
überzeugt, dass König Georg Willens sei, Karl auf dem
kaiserlichen Thron festzuhalten und ihm zu der einem Kaiser
gebührenden Machtstellung zu verhelfen; dabei verhehlte er
ihm jedoch nicht, dass sich Karl dann von Frankreich trennen
müsse ^). Der Kaiser erwiderte, er werde stets das Wohl
des Reichs seinem persönlichen Vorteil vorangehen lassen
und sich bemühen, das einer Verständigung mit England im
Weg stehende Hindernis — er meinte das französische
Bündnis — zu beseitigen*). Und wirklich schien es gerade
jetzt, als ob es zu einem Bruch des Kaisers mit Frankreich
kommen könnte; er erfuhr nämlich von Friedensverhandlungen
Belleisles mit den Österreichern % was einen solchen Eindruck
auf ihn machte, dass er Donop — dieser war jetzt als Ge-
sandter beim Kaiser beglaubigt — erklärte, er werde sein
Möglichstes thun, um von einem Alliierten loszukommen, der
die Ursache sei von allem Unglück seines Hauses®). Karl
diktierte Donop die Bedingungen, unter welchen er mit Maria
1) Karl VII. aus Frankfurt an Prinz Wilhelm 27. Juni 1742.
*) Wilhelm an Alt, an Georg II., an Carteret 2. Juli 1742.
») Wilhelm an Karl VH. 30. Juni 1742.
*) Karl VII. an Wilhelm 2. Juli 1742.
*) Vergl. Anieth II, 106.
®) Qu'il ferait tout son possible pour se debarasser d^un allie qui
etait cause de tous les malheurs de sa maison (Bericht Donops aus
Frankfurt 14. Juli 1742).
44
Theresia Frieden zu schliessen gedachte; dieses Schriftstück,
sowie ein neues Schreiben des Kaisers für Georg IL brachte
Donop dem Prinzen persönlich nach Kassel ^). Karl ver-
langte vom Wiener Hof: Oberösterreich oder statt dessen
die Niederlande, Böhmen bis zur Moldau, Tirol (dieses Land
unter allen Umständen) und die österreichischen Besitzungen
in Schwaben ; Mantua sollte stets dem Kaiser als solchem
gehören. Wenn man in Wien darauf nicht eingienge, so
sollte König Georg andere Gebiete zur Entschädigung Karls
vorschlagen, diese müssten aber jährlich mindestens 6 Millionen
Gulden abwerfen; Bayern sollte Königreich werden^). Mit
so vergrösserter Macht gedachte der Kaiser zum Schutz des
Reichs ein Heer von 40000 Mann zu halten, die mit den
Truppen des Reichs auf 100000 steigen sollten; weiter
wünschte er eine Liga zwischen den Seemächten, Hannover,
Hessen, Preussen, Köln, Pfalz, Bayern, Württemberg und
Sachsen ; diese Liga sollte stets das Gleichgewicht in Europa
aufrecht halten und durch Vermittelung etwaiger Streitig-
keiten einen Krieg für immer verhindern. Es ist wirklich
kaum zu begreifen, wie wenig Karl mit den gegebenen Ver-
hältnissen rechnete; er, der besiegte, landflüchtige Fürst,
dem es an Truppen wie an Geld fehlte, dessen Alliierte eben
jetzt an Frieden dachten, er mutete der stolzen Frau, die im
tiefsten Unglück nicht verzagt war, zu, 'dass sie ihm jetzt,
wo das Glück ihr günstig war, die Hälfte ihrer Lande frei-
willig abtrete ; man kann solche Forderungen in solcher Lage
wirklich nur als naiv bezeichnen. Zu gleicher Zeit wie Donop
traf der hessische Geschäftsträger im Haag, Mann, in Kassel
ein mit Eröffnungen Lord Stairs für den Prinzen; der Lord
suchte Wilhelm für den Plan zu gewinnen, für den Kaiser
Elsass, Lothringen, die Freigrafschaft und die Bistümer Metz,
Toul, Verdun von Frankreich zurückzuerobern, Bayern selbst
^) „Ideen des Kaisers^ an Donop diktiert und am 16. Juli Wilhelm
übergeben.
*) Ähnliche Gedanken sprach der Kaiser auch seinem Gesandten
im Haag, Graf Seinsheim, gegenüber aus (Korrespondenz Karls VII. mit
Seinsheim, herausgegeben von Th, Heigel, Abhandlungen der bayerischen
Akademie, Bd. XiV, 1. Abt., S. 108—109.
45
aber an Österreich fallen zu lassen ^). Eroberung französischen
Landes zur Entschädigung Karls hatte Stair auch dem preus-
sischen Gesandten im Haag, Graf Podewils, vorgeschlagen^),
sowie dem Kaiser selbst durch dessen dortigen Gesandten
Graf Seinsheim ^). Karl aber, im Vollgefühl seines guten
Rechts auf die habsburgische Erbschaft, wünschte gerade Ab-
tretungen österreichischen Landes und wies Stairs chimärische
Eroberungsprojekte weit von sich*). Wilhelm hatte bei einem
derartigen Auseinandergehen der Ansichten wenig Hoffnung
auf einen glücklichen Erfolg der Verhandlung^). Wirklich
entsprachen die Antworten Georgs und Carterets nicht den
Erwartungen des Kaisers, sie lauteten ähnlich wie Stairs Er-
öffnungen an Seinsheim ^). Besonders verletzte es den Kaiser,
dass Carteret bezüglich der Trennung Karls von den Franzosen
den Ausdruck gebraucht hatte „se d^livrer d'un maitre'';
empört schrieb er an Wilhelm, ein deutscher Kaiser kenne
nur Gott als seinen Herrn '^). Mündlich hatte Carteret Alt
mitgeteilt, sein König sei gerne bereit, dem Kaiser eine Ent-
schädigung zu verschaffen, doch keinenfalls auf Kosten Maria
Theresias; zugleich spielte er auf Zurückziehung der 3000
Hessen aus dem kaiserlichen Sold an, da der Vertrag mit
dem Kaiser dem Kasseler Hof doch nichts mehr nützen
könne®), um König Georg für die Verhandlung günstig zu
stimmen, ersuchte Wilhelm den Kaiser wirklich um die Ent-
lassung der Truppen, doch gieng dieser natürlich nicht darauf
ein^). Auf Lord Stairs Eröffnungen antwortete der Prinz,
derartige Projekte könnten zu keinem Resultat führen, es
liege im allgemeinen Interesse, dass Bayern in angemessener
?
*) Am 12. Juli mündlich von Stair an Mann mitgeteilt; Wilhelm
an Friedrich 19. Juli.
Droysen V, 2, 17.
Seinsheim aus dem Haag an Karl VIJ. 15. Juli (der Kaiser
schickte die Kopieen der Konespondenz nach Kassel).
*) Korrespondenz Karls mit Seinsheim S. 110.
») WUhelm an Friedrich 19. JuU 1742.
®) Wilhelm an Karl VII. 24. Juli; die Antworten wurden am
18. Juli Alt übergeben.
n Karl VII. an Wühelm 29. Juli 1742.
8) Bericht Alts 13. Juli 1742.
») Wilhelm an Donop 28. Juli; Bericht Donops 29. Juli 1742.
46
Weise vergrössert werde, da es sonst niemals zu einem ernst-
gemeinten Frieden kommen könne ^). Zugleich schickte er
dem Lord das vom Kaiser an Donop Diktierte; Stair Hess
sich aber nicht irre machen, sondern verlangte jetzt vom Kaiser
sogar aktive Beteiligung am Krieg gegen Frankreich, wofür
ihm England Subsidien liefern werde ; die Räumung Bayerns
aber wollte er ihm auch dann nicht garantieren, da er es
ja Osterreich zudachte^). Karl war mit Recht empört über
solche Zumutungen ^). Er hatte am 29. Juli noch einmal
„Reflexionen" an Wilhelm geschickt^), der sie König Georg
übermitteln sollte ; der Kaiser blieb dabei, dass Bayern König-
reich werden müsse mit einem Mehreinkommen von 6 Millionen
Gulden ; im Geheimen Hess er Georg mitteilen, er wünsche, dass
ein Teil der Entschädigung die österreichischen Niederlande seien,
zum Beweis, dass er sich aufs engste mit den Seemächten ver-
bünden wolle, ohne die er sich im Besitz der Niederlande
doch nicht halten könne ^) ; für ein grosses Zugeständnis von
seiner Seite hielt es Karl, wenn er sich zu Heiratsverbindungen
seiner Familie mit dem Haus Lothringen bereit erklärte.
Die Antwort aus London war wieder unbefriedigend, man
hielt dort daran- fest, dass Osterreich keine Abtretungen zu-
gemutet werden dürften; Wilhelm riet nun dem Kaiser, vor-
erst nur die Rückgabe Bayerns zu verlangen ^). Während
Karl durch seinen Gesandten in London, Freiherrn von Hass-
lang, noch weiter verhandeln Hess '^) und in zwei Kommissions-
dekreten seine Geneigtheit zum Frieden beteuerte ^), übergab
Ende September Lord Stair dem Grafen Seinsheim ein
Friedensprojekt ^) , das den in österreichischen Diensten
») Wilhelm an Stair 24. Juli 1742.
«) Seinsheim an Karl VII. 31. Juü 1742.
*) Korrespondenz Karls mit Seinsheim S. 114 f.
*) „Reflexionen'' Karls VU., am 29. Juli 1742 an Wilhelm geschickt
*) La raison principale pourquoi l'Empereur souhaiterait avoir les
Pays-Bas est pour que les Puissances Maritimes voyent d'autant plus
clairement qu'il veut s'unir etroitement avec elles, n'y pouvant etre soutenu
que par elles.
8) Wilhelm an Karl VII. 13. August 1742.
7) Karl VII. an Wilhelm 18. August 1742.
«) Dr(yysm V, 2, 27.
*) Am 25. September von Seinsheim an den Kaiser geschickt.
47
stehenden Herzog von Aremberg zum Verfasser hatte; es
enthielt folgende Vorschläge: der Kaiser erhält Bayern als
Königreich und dazu die österreichischen Besitzungen in
Schwaben, dagegen tritt er das Innviertel oder ^) das östlich
von der Naab liegende Stück der Oberpfalz an Maria Theresia
ab ; das Bistum Passau wird für Osterreich säkularisiert, der
Kaiser verwendet sich beim Papst dafür, dass für den Bischof
aus elsässischen Territorien ein anderes Bistum errichtet
wird. Der Grossherzog von Toskana wird römischer König
und der Kaiser garantiert die pragmatische Sanktion ; das
Reich vermittelt den Frieden Österreichs mit Frankreich.
Karl war entrüstet über diese Vorschläge^), um so mehr als
sich durch Maillebois' Zug nach Böhmen seine militärische
Lage bedeutend gebessert hatte, indem die Österreicher nun
gezwungen wurden, aus Bayern zu weichen. Auch Wilhelm,
der übrigens Maillebois' Marsch sehr ungern gesehen hatte,
weil Karl dadurch wieder fester an Frankreich gekettet
wurde 3), hielt den Plan für unannehmbar*). Der Kaiser
teilte als Antwort auf das Aremberg'sche Projekt Seinsheim
seine Bedingungen mit ^) : er bestand darauf, dass er zu seiner
Entschädigung entweder Böhmen erhalten müsse oder, wenn
dies nicht durchzuführen sei, für Bayern die Königskrone
mit einer bedeutenden Arrondierung, wobei die Neuburg'schen
und Sulzbach'schen Lande sein müssten. Zur militärischen
Sicherheit Bayerns verlangte Karl den Besitz von Passau
— das Bistum sollte säkularisiert^) und der Bischof ander-
*) Droysen, der das Projekt erwähnt (V, 2, 29), setzt irrig „und*
statt „oder*'.
*) Berichte Donops vom 2. und 4. Oktober 1742. Charakteristisch
für das Auseinandergehen der Ansiebten ist es, dass auch Maria Tberesia
durchaus nicbt mit dem Projekt einverstanden war {Ameth II, 203 mit
Anm. 23 und 24).
8) Wilhelm an Karl VII. ca. 10. August 1742.
*) Wilhelm an Donop 5. Oktober 1742.
^) Korrespondenz Karls mit Seinsheim S. 122—124.
®) Th. Volbehr (Der Ursprung der Säkularisationsprojekte in den
Jahren 1742 und 43, Forschungen zur deutschen Geschichte, Bd. 26, S.263 f.),
der zu beweisen sucht, „dass der Kaiser niemals einen Säkularisations-
vorschlag gemacht, ja dem Gedanken selbst unsympathisch gegenüber-
festanden hat'' (S. 274), sagt, Karl habe hier nur die Stadt und Festung
'assau im Auge gehabt, nicht aber das Bistum und „spreche, um Ver-
48
weitig entschädigt werden — , Eger und Kufstein, sowie wo-
möglich Oberösterreich bis zur Enns ^). War so sowohl von
Seiten Arembergs als des Kaisers von der Säkularisation
eines einzelnen Bistums die Rede ^), so erhielt Donop, der
sich damals beim Prinzen in Wolkersdorf^) befand, bald
darauf von dem kaiserlichen Minister Graf Preysing ein
Projekt zugeschickt, das zur Entschädigung des Kaisers eine
Säkularisation grossen Stils vorschlug; Preysing äusserte
sich in keiner Weise über den Plan oder seine Herkunft*).
Der Prinz aber sah voraus, dass ein Säkularisationsprojekt
im ganzen katholischen Deutschland die grösste Erbitterung
gegen den Kaiser hervorrufen werde, und Hess diesem daher
durch Donop erklären, als wahrhaft guter Freund Karls könne
er sich nicht mit einem Plan befassen, der seiner Sache so
sehr schaden könne. Der Kaiser sagte Donop darauf, das
Projekt stamme nicht von ihm, sondern aus Berlin vom
General Schmettau; er selbst habe es auch von Anfang an
missbilligt ^). In Wahrheit war Karl dem von Schmettau
Wechslungen vorzubeugen, geradezu von der Stadt Passau** (S. 268 — 269) ;
in Wahrheit sagte Karl in seinem Schreiben an Seinsheim schlechthin
„ Passau ** : dass er aber thatsächlich die Säkularisation des Bistums, aller-
dings gegen Entschädigung des Bischofs, wünschte, geht aus einem am
2. Oktober an Prinz Wilhelm geschickten „Contrememoire* Karls hervor,
worin er zu den einzelnen Punkten des Aremberg'schen Projekts seine
Gegenvorschläge macht ; es heisst darin : L^empereur fera tout son possible
tant aupres de l'empire qu'aupres du papo pour qu^en sa favour les
dites cessions soient approuvees, s'offrant en revanche, pour que l'empire
n'y perde rien, d'y porter la memo charge dont Teveche de Passau etait
redevable et attend avec impatience, quelle sera l'indemnisation reelle
qu'on veut donner ä l'eveque, et cela d'autaut plus parce que cet eveche
est fonde par la maison de Baviere, laquelle ne saurait par consequence
jamais consent! r que ses pays viennent dans des mains etrangeres.
^) Das Contrememoire nennt ausserdem Tirol bis zum Inn.
') Ebenso sprach man in Wien einmal davon, nach Eroberung des
Elsass das Bistum Strassburg zu säkularisieren [Ranke XXIX, 32).
*) Dorf mit Schloss in der Nähe von Frankenberg.
*) Preysing aus Frankfurt an Donop 10. Oktober 1742.
*) Bericht Donops 20. Oktober 1742. Schmettau scheint das Projekt
ohne Wissen seiner Regierang an den Kaiser geschickt zu haben: jeden-
falls wusste Klinggräffen von nichts ; denn er berichtet {Ranke XXIX, 30,
Anm. 1) erst am 24. November an seinen Hof, man denke in Frankfurt
an Säkularisationen ; am 27. November und 8. Dezember schreibt er dann
von einem diesbezüglichen Plan — es war dies jedenfalls der von Wilhelm
zurückgewiesene Schmettau'sche — , von dem der Kaiser wünsche, dass
sich ein Dritter seiner annehme; daraufhin wurde der preussische Ge-
49
angeregten Gedanken an eine grössere Säkularisation schon
sehr nahe getreten. Wozu hätte er sonst das Projekt an
Wilhelm schicken lassen ? Musste dieser nicht denken, er
solle davon Gebrauch machen ? Auch dem Grafen Seinsheim
teilte der Kaiser das Projekt mit, und zwar noch ehe er es
an den Prinzen sandte ^). Übrigens war er sich wohl be-
wusst, dass er, wenn er auf Säkularisationen ausgieng, einen
gefährlichen Weg betrat, er empfahl daher Donop das tiefste
Geheimnis an^).
Vom Kriegsschauplatz liefen bald wieder ungünstige
Nachrichten für den Kaiser ein: Marschall Maillebois zog
sich, ohne etwas ausgerichtet zu haben, aus Böhmen zurück
und Ende November giengen die Österreicher wieder ofifensiv
gegen das kaum befreite Bayern vor. Den grössten Schrecken
aber erregte es am kaiserlichen Hof, als zu derselben Zeit
die Nachricht einlief, Lord Stair habe Ordre, mit seiner
englisch-hannöverisch-hessischen Armee und einem Korps
Österreicher nach der Gegend von Frankfurt zu marschieren ;
niemand wusste, was die Engländer mit diesem Marsch be-
zweckten, ob sie etwa direkt gegen den Kaiser vorgehen
wollten. Wilhelm hielt nun jede Hoffnung auf Frieden für
ausgeschlossen^). Dazu konnte er selbst in die peinlichste
Lage geraten : wenn die „pragmatische Armee" Lord Stairs
sich wirklich gegen den Kaiser wandte, so standen sich die
sandte in London, Andrie, instruiert, der dortigen Regierung mitzuteilen,
man wisse sicher, dass der Kaiser auf Säkularisationen eingehen werde,
wenn der Vorschlag von anderen ausgehe {Droysen V, 2, 41); übrigens
hatte man preussischerseits den Londoner Hof schon im August auf dieses
Auskunftsmittel hingewiesen (Pol. Korr. II, 249, 254, 255), nachdem
Graf Podewils bei Friedrich IL den Gedanken an Säkularisationen früher
angeregt hatte {Droysen V, 1, 23). Ranke (XXIX, 30) spricht von einer
hervorragenden Beteiligung von Kui'pfalz an den Säkularisationsprojokten ;
Donop erwähnt nie etwas von pfälzischem Einfluss auf den Kaiser (vergl.
Dove I, 194 Anm. 1) ; doch spricht es für eine Mitwirkung von Pfalz, dass
Kai'l bei seinen Friedensprojekten stets that, als könne er über Neuburg
und Sulzbach frei verfügen. Auch Hasslang soll später, als er Carteret
das berüchtigte „Hasslang'sche'* Projekt vortrug, auf einen Vorschlag von
Pfalz hingewiesen haben (Droysen V, 2, 56).
*) Korrespondenz Karls mit Seinsheim S. 124: je vous envoie un
projet qui a ete fait par quelqu'un en Prusse qui m'est attache.
«) Bericht Donops vom 20. Oktober 1742.
8) Wilhelm an Friedrich 29. November 1742.
N. F. Bd. XXIII. 4
50
beiden hessischen Korps im Felde gegenüber. Von Karl in
seiner elenden Lage konnte der Prinz nicht verlangen, dass
er die 3000 Hessen entlasse ; der Kaiser sprach im Gegenteil
Donop gegenüber die Erwartung aus, dass Wilhelm sich, falls
die Engländer thatsächlich gegen ihn vorgiengen, des Geheim-
artikels im bayerisch-hessischen Vertrag erinnern werde ^).
Wessen aber hatte sich der Statthalter von England zu ver-
sehen, wenn man dort von seiner leichtsinnigen Zusage an
den Kaiser erfuhr, die 6000 Hessen in englischem Sold nicht
gegen ihn verwenden zu lassen? Jetzt erst zeigte es sich
recht deutlich, wie unnatürlich das doppelte Soldverhältnis
des Kasseler Hofes war. Wilhelm war der Ansicht, dass er
sich dem Marsch der hessischen Truppen mit der prag-
matischen Armee nicht entziehen könne, und gab auch seinem
Bruder Prinz Georg auf seine Anfrage hin diesbezügliche
Ordre ^) ; wenn es aber gegen Kaiser und Reich gehe, schrieb
er an König Friedrich nach Stockholm, dann handle es sich
darum, sich mit guter Manier aus der Affaire zu ziehen ;
doch müsse man vorsichtig sein wegen der Subsidien^).
Indessen verzog sich das Gewitter noch einmal : der Plan
eines Marsches nach Deutschland wurde von der englischen
Regierung für das Jahr 1742 aufgegeben.
Da der Kaiser nach Maillebois' Rückzug einer Vermitte-
lung wieder sehr geneigt war*), so erbot sich Wilhelm, selbst
einen Akkomodationsplan zu entwerfen^); Karl war damit
einverstanden und der Prinz entwarf mit Donop, der zu
diesem Zweck im Dezember in Wolkersdorf erschien,
folgendes Projekt ^) : Bayern wird Königreich ; Maria Theresia
tritt Karl, den sie als Kaiser anerkennt, ihre Besitzungen in
Schwaben ab und verpflichtet sich, ihm im Verein mit ihren
Verbündeten einen Landzuwachs mit 6 Millionen Einkommen
zu verschaffen. Einstweilen giebt sie ihm für die Hälfte dieser
») Bericht Donops 1. Dezember 1742.
*) Wilhelm an Prinz Georg 2S. November 1742.
8) Wilhelm an Friedrich 29. November 1742.
*) Bericht Donops 24. November 1742.
6) Wilhelm an Donop 27. November 1742.
ö) Vom 12. Dezember 1742.
51
Summe eine Hypothek, etwa die Niederlande; die andere
Hälfte übernehmen die Seemächte als Subsidien für die
kaiserlichen Truppen. Die Stadt Passau nimmt nach Über-
einkunft mit dem Bischof bayerische Garnison auf. Die
böhmische Eurstimme fällt wieder an Österreich und der
Kaiser anerkennt die pragmatische Sanktion. Ausserdem
verpflichtet er sich, zu England und dessen Verbündeten,
sobald er hiezu imstande ist, in das engste Verhältnis
zu treten, um das Gleichgewicht im Reich zu erhalten und
um die dem Reich entfremdeten Gebiete zurückzugewinnen *).
Dem Plan waren noch folgende zwei Artikel beigefügt, zu
deren Genehmigung Karl, wenn er auf das Hauptprojekt
eingienge, noch nachträglich durch Donop veranlasst werden
sollte: Der Kaiser erklärt der französischen Regierung, er
habe ihre Hilfe nicht mehr nötig und ersuche sie, ihre
Truppen zurückzuziehen. Wenn daraufhin die Franzosen
Bayern und Deutschland nicht räumen, so vereinigt der
Kaiser seine Truppen mit denen Englands oder der englischen
Verbündeten und womöglich mit denen der benachbarten
Reichskreise und jagt die Franzosen über den Rhein zurück.
Also Wilhelm beabsichtigte im Grunde ganz dasselbe, was
Lord Stair im Sommer dem Kaiser vorgeschlagen hatte:
aktive Beteiligung Karls an einem Krieg Englands und
Österreichs gegen Frankreich und Eroberung der einst dem
Reich entrissenen Länder zur Entschädigung Karls für seine
Ansprüche auf Österreich. So sehr der Plan des Prinzen
vom deutschen Standpunkt aus Anerkennung verdient, so
ist es doch unbegreiflich, dass er es für möglich hielt, der
Kaiser, der über Stairs Pläne so empört gewesen war, könnte
sich entschliessen, gegen seinen bisherigen Verbündeten zu
kämpfen, dessen Allianz ihm trotz vorübergehender Miss-
stimmungen doch wirklich Herzenssache war, was freilich
Wilhelm in seinem Franzosenhass nie begreifen konnte. Der
1) Sa Majeste s'ongage pour Ello et pour Sa maisoD, sitOfc qu*£lle
scra en etat, d'agir dans des liaisons les plus etroites avec rAogleterre
et ses allies pour tout co qui pourra legarder Te^uiübro de Tempire et
pour y rejoindro Ics morceanx, qui en ont ete detachos succosivomoDt.
4*
B2
Kaiser erklärte zwar Donop, er werde Wilhelms Projekt „mit
einigen Änderungen'^ nach London schicken ^), in Wahrheit
aber nahm er in den Pazifikationsplan, den er in den letzten
Tagen des Jahres 1742 an seinen Gesandten Hasslang sandte,
nur einige untergeordnete Punkte aus dem Projekt des
Prinzen auf; Karl verlangte in seinem Plan die Erhebung
Bayerns zum Königreich und von Österreich die böhmischen
Kreise Pilsen und Brachin, Tirol bis zum Inn mit Kufstein
und das österreichische Schwaben, sowie eine Entschädigung
in den Niederlanden an Pfalz für Neuburg und Sulzbach,
die ebenfalls an Bayern fallen sollten. Gienge der Wiener
Hof auf diese Bedingungen nicht ein, so sollten die ver-
mittelnden Mächte Bayern ein Arrondissement mit 6 Millionen
Gulden Mehreinkommen verschaffen. Da Carteret im No-
vember Hasslang gegenüber auf Säkularisationen zur Ent-
schädigung des Kaisers angespielt hatte ^), so begieng Karl
die Unvorsichtigkeit, seinem Plan ein Apostille beizufügen,
in welchem ebenfalls auf dieses Auskunftsmittel hingewiesen
war ^). Hasslang, dem Carteret wenige Tage zuvor berichtet
hatte, der preussische Gesandte habe ihm mitgeteilt, Karl
werde mit einer Säkularisation einverstanden sein^), setzte
den Lord, nachdem dieser das kaiserliche Projekt für unan-
nehmbar erklärt hatte, von dem Apostille in Kenntnis^).
*) Bericht Donops vom 29. Dezember 1742.
*) Bericht Donops vom 3. Dezember 1742; Hasslang berichtete
dem Kaiser am 20. November über Carterets AndeutungeD.
^) Das „Hasslaog^sche Projekt* (gedruckt im Haag 1743) wurde
am 1. Januar 1743 in Kopie von Donop an Wilhelm geschickt; das
Apostille teilte man Donop natürlich nicht mit, da man ja die Gegner-
schaft des Prinzen gegen die Säkularisationsprojekte kannte.
*) Hasslang aus London an Preysing 11. Januar 1743, vergl. S. 48
Anm. 5.
6) Bericht Alts vom 15. Januar 1743. Volbehr (S. 273 f.) stellt die
Existenz des Apostilles in Abrede. Aber die Schilderung Alts, dem
Carteret die Sache gleich nach seiner Unterredung mit Hasslang (dieser
erhielt das Projekt, obwohl es noch im Dezember von Frankfurt ab-
gegangen war, wegen anhaltender Stürme erst am 14. Januar) mitteilte,
stimmt im Wesentlichen überein mit dem von Droysen (V, 2, 56 Anm. 2)
angeführten Bericht des Grafen Podewils aus dem Haag, sowie mit dem
Bericht dos österreichischen Gesandten in London, Baron Wasner, vom
15. Januar 1743 {Ameth II, 207 ff.). Auch Donop, dessen Berichte vom
53
Von diesem Vorgehen Hasslangs erfuhr jedoch der Gesandte
Maria Theresias in London, Baron Wasner, und auf seinen
Bericht hin Hess sich der Wiener Hof die Gelegenheit nicht
entgehen, dem Kaiser, der die Kirche berauben wolle, im
Reich Feinde zu erwecken. Wirklich erhob sich beim Klerus
bis hinauf zum Papst ein wahrer Entrüstungssturm gegen
Karl, der sich schliesslich genötigt sah, alles zu leugnen,
wobei ihn Carteret unterstützte durch die Erklärung, wenn
überhaupt zwischen ihm und Hasslang von Säkularisationen die
Rede gewesen sei, so habe er selbst den Anlass dazu gegeben ^).
So war es jetzt an den Tag getreten, wie richtig Prinz
Januar 1743 im Marburger Archiv fehlen, schilderte Wilhelm die SSache
ähnlich, denn der Prinz erwidert ihm am 29. Januar 1743 : ce quo Mylord
Carteret a dit touchant la secularisation ne m'etonne pas tant que i'apostille
DU le sousentendu que monsieur de Haslang a fait paraitre dans son
second (anfangs Dezember hatte Hasslang ebenfalls einen Plan Karls in
London mitgeteilt) plan, ainsi que notice vous en a ete donne au meme
sujet. Der Kaiser schreibt am 17. Februar 1743 an Seinsheim: vous
savez le mauvais usage qu'on a fait ä Londres des points de pures idees
qui sur l'instance reiteree de la dite cour y avaient passes seulement
en guise de brouillon ayant ete sans signature et sans autre marque
legale (Korrespondenz Karls mit Seinsheim S. 130); erst später, als der
Lärm über das kaiserliche Säkularisationsprojekt immer grösser wurde,
leugnete Karl die ganze Sache. Wenn Volb^r (S. 271) die Worte des
Kaisers on acceptera toujours cette secularisation avec lo consentiment
du pape (ähnlich Karls VII. Tagebuch S. 79) als „eine dem Sinn nach
definitive Zurückweisung des Antrags" auffasst, so ist dies nicht richtig;
der Kaiser hatte wirklich die Naivetät zu glauben, er könne die Zu-
stimmung des Papstes und des Reiches erlangen, wie er sie auch in
seinem Contrememoire vom Oktober für die Säkularisation Passaus zu
erreichen gedachte (S. 47 Anm. 6). Die Antwort Karls auf den
preussischen Säkularisations verschlag vom 21. Jan. 1743 (Pol. Korr. II, 318),
die Volbehr (S. 270) als Beweis für die Abneigung des Kaisers gegen
Säkularisationen anführt, kommt nicht in Betracht, weil damals die
Indiskretionen mit dem Hasslang'schen Projekt schon begangen worden
waren. Obrigens war auch in Frankfurt das Geheimnis nicht bewahrt
worden : noch vor Hasslangs Unterredung mit Carteret sprach man dort
davon, der Kaiser habe ein Säkularisationsprojekt nach London geschickt,
sogar der Nuntius erfuhr es (Wilhelm an Donop 12., 15. und
19. Januar 1743).
Volbehr S. 274, Droysm V, 2, 56. Dass Carteret das Thema
zuerst berührt hatte, war ja auch richtig. Wenn der Lord den Kaiser
durch seine Erklärung unterstützte, so hatte dies seinen Grund darin,
dass er und König Georg dem Plan, den Kaiser durch Säkularisationen
zu entschädigen, gar nicht so unsympathisch gegenüber standen, wie sie
Wasner glauben machen wollten ; diesen Eindruck hatte auch Maria
Theresia (Ämeth II, 210). Wahrscheinlich hofifte Georg selbst bei einer
Säkularisation einige Stifter für Hannover zu erlangen.
54
Wilhelm gehandelt hatte, wenn er sich im Interesse des
Kaisers nicht mit dem Schmettau'schen Projekt hatte be-
fassen wollen. Der Prinz war übrigens wegen der Verhand-
lungen Karls durch Hasslang verstimmt und erklärte, keine
Vermittelung mehr übernehmen zu wollen, wenn man ihm
nicht wenigstens die Instruktionen an Hasslang mitteile ^).
Anfangs Februar schickte jedoch der Kaiser Donop noch
einmal zu Wilhelm mit einem neuen Friedensplan ^j, den er
mit dem spanischen Gesandten Graf Montijo entworfen hatte.
Der Prinz sandte das Projekt nach London, doch lautete die
Antwort nicht befriedigend^).
Während so alle Bemühungen Wilhelms für den Kaiser
vergeblich waren, kam für Hessen selbst in dieser Zeit ein
Bündnis zustande, an welchem dem Statthalter sehr viel ge-
legen war, nämlich mit Preussen. Nachdem im Frühjahr 1741
die von Friedrich IL gewünschte Erneuerung der alten
preussisch-hessischen Allianz nicht zustande gekommen war*),
schickte im September darauf der hessische Geheimerats-
präsident von Adelebsen auf eine Aufforderung von preussischer
Seite hin ein neues Vertragsprojekt nach Berlin ; die Antwort
darauf aber war dilatorisch, da Friedrich IL für den Augen-
blick wenig an dem Bündnis mit dem Kasseler Hof lag^),
dagegen interessierte er sich als Verbündeter des Kaisers sehr
für das Zustandekommen des bayerisch- hessischen Subsidien-
vertrags^) und Hess sich nach dessen Abschluss herbei, die
Besitzungen des Kasseler Hauses zu garantieren"^). Als der
König von Prinz Wilhelm auch um seine Unterstützung be-
züglich der hessischen Kurwürde angegangen wurde, liess er
im Mai 1742 Donop durch KlinggräflFen mitteilen, er sei hierzu
bereit, verlange aber als Gegenleistung ein hessisches Bataillon
*) Wilhelm an Donop 1. und 15. Januar 1743.
«) Wilhelm an Friedrich 4. Februar 1743.
2) Wilhelm an Donop 2. März 1743.
*) Vergl. S. 22-23.
*) Graf Podewiks an Adelebsen 12. October 1741; Vergl. Pol. Korr. I,
366 (Adelebsen wird hier irrig Alten genannt).
8) Pol. Korr. II, 42-43 und 129.
7) Die Garantie ist datiert Breslau 13. Mai 1742; vergl. S. 34u.39.
55
wenn das Kasseler Haus die Kurwürde erlangt habe, und für
jetzt das Versprechen, dass die hessischen Truppen weder
gegen ihn selbst noch gegen seine Verbündeten in Deutsch-
land und Flandern verwendet werden sollten. Letzteres
wurde von Donop abgelehnt, da der Kasseler Hof England
gegenüber nicht wortbrüchig werden dürfe, doch fügte er
„als Freund, nicht als Gesandter" hinzu, der englische Ver-
trag laufe ja in 2 Jahren ab^). Die Verhandlungen wurden
für das Erste nicht fortgesetzt, im August jedoch erklärte
KlinggräflFen Donop, sein König werde alles für die hessische
Kurwürde thun, wenn der Kasseler Hof Schlesien garantiere
und ihm ein Bataillon überlasse (en pur don) sowie 12 schöne
Leute für das Regiment König von Preussen.^) Der Statt-
halter konnte sich nur schwer entschliessen, das Bataillon zu
versprechen; auch die Garantie Schlesiens hätte er, wie auch
sein Bruder Friedrich, gerne umgangen, denn er sah wohl
ein, dass zwischen Preussen und Osterreich leicht ein neuer
Krieg um dieses Land entstehen könne. Aber andrerseits
lag ihm doch sehr viel an dem preussischen Bündnis, denn
er sagte sich, dass ohne Friedrichs H. Unterstützung sein
Haus die ersehnte Kurwürde nie erlangen könne ^); so gieng
er denn auf die von Klinggräffen gestellten Bedingungen ein
und schickte ihm im September durch Donop ein Projekt für
den Vertrag.*) Es gab noch einige Schwierigkeiten, weil der
Statthalter nur die Mannschaft zu einem neu zu bildenden
Bataillon bewilligen wollte, während preussischerseits ein
altes hessisches Bataillon mit Offizieren und vollständiger
Ausrüstung verlangt wurde ^). Man einigte sich schliesslich
darauf, dass aus Offizieren und Soldaten von alten Bataillons
ein neues gebildet werden solle ^). Am 23. März 1743 schlössen
») Bericht Donops vom 12. Mai 1742 : vergl. S. 29 und Pol. Korr. IL
20 und 137.
') Bericht Donops vom 4. August 1742;
^) Wilhelm an Friedrich 23. August und 20. September, Friedrich
an Wilhelm 7. September 1742.
*) Wilhelm an Donop 20. September 1742.
^) Bericht Donops 6. November, Wilhelm an Donop 10. No-
vember 1742.
®) Bericht Donops 1. Dezember 1742.
56
Klinggräffen und Donop in Frankfurt den Vertrag ') ab als
Erneuerung des „immerwährenden Bündnisses" von 1688
beziehungsweise 1714. Die Kriegshilfe, welche Preussen
Hessen im Angriffsfall zu leisten hatte, wurde „in Ansehung
des considerablen Anwachsses" der preussischen Lande auf
9 Bataillons und 12 Eskadrons erhöht^), die hessische Hilfe-
leistung blieb, wie schon 1688, 2000 Fussgänger und 1000
Reiter. Von den Geheimartikeln enthielt der erste die
Garantie der beiderseitigen Länder; von den preussischen
wurden Schlesien und Glatz, von den hessischen die Graf-
schaft Hanau „und was ohnstreitig dazu gehöret*' namentlich
genannt; bezüglich der Streitigkeiten mit Darmstadt um die
Hanauer Erbschaft, besonders um Babenhausen, versprach der
König von Preussen seine guten Dienste. Im 2. Geheim-
artikel verpflichtete er sich, für die Kurwürde Hessens ein-
zutreten und auch bei seinen Allierten dafür zu wirken, wo-
gegen der Kasseler Hof versprach, ihm nach Erlangung der
Kurwürde „ein Bataillon von 800 Köpfen nebst den Ober-
und Unter-Offizieren und was sonst ausser Gewehr und
Mondur dazu gehöhrt, vor alle Zeiten als eigen zu überlassen,"
Im 3. Geheimartikel verpflichteten sich beide Kontrahenten,
den Protestantismus kräftig zu unterstützen, sowie für Auf-
hebung der Ryswyker Klausel und Entschädigung der
Hugenotten für ihren zurückgelassenen Besitz einzutreten ;
im 4., auf Einigkeit zwischen Reformierten und Lutheranern
hinzuwirken. Im 5. Geheimartikel versprach der König von
Preussen dafür einzutreten, dass die Festung Rheinfels ^)
samt der Stadt St. Goar und übrigem Zubehör „Erblich und
irrevocabiliter" beim Kasseler Haus verbleiben solle und zwar
ohne Entschädigung an die Rotenburger Linie.
Der Statthalter wurde bei dem Vertrag mit Preussen,
wie einst bei dem mit dem Kaiser, in erster Linie von dem
Gedanken an die Kurwürde geleitet; doch entsprach das
*) Gedruckt bei Th. Hartwig, der Übertritt des Erbprinzen Friedrich
von Hessen-Kassel zum Eatholicismus S. 225 f.
«) Im Vertrag von 1688: 4000 Fussgänger, 2000 Reiter (von
Mörner, Kurbrandenburgs Staatsverträge von 1601—1700 S. 502).
8) Vergl. S. 5—7.
57
Bündnis zugleich den alten hessischen Traditionen ; zudem
stand der Kaiser, Hessens Allierter, ebenfalls im Bund mit
Preussen und auch König Georg von England hatte im No-
vember 1742 trotz aller Gegensätze eine Defensivallianz mit
Friedrich IL abgeschlossen. Auffallend ist im preussisch-
hessischen Vertrag der Artikel über die 800 Mann; wenn
der Kasseler Hof auch kein Geld für ihre Abtretung erhalten
sollte, sondern die Aussicht auf den in politischer Beziehung
ja recht wertvollen Kurhut, so lässt sich doch diese Ab-
machung weniger entschuldigen als ein Subsidienvertrag ;
denn bei einem solchen blieben die Regimenter doch stets
hessische und kehrten nach dem Friedensschluss in die
Heimat zurück; hier aber wurden die 800 Mann, indem sie
für immer dem König von Preussen zu eigen sein sollten,
rein als Waare behandelt, es sollte ihnen geradezu ein
anderes Vaterland aufgedrängt werden. Auf der anderen
Seite erwartet man von einem Friedrich dem Grossen nicht
die Forderung der „12 schönen Leute ;'' dieser Artikel wurde
übrigens auf Wilhelms Wunsch als zu geringfügig nicht in
den Vertrag aufgenommen ^). Der König von Preussen schlug
den Vertrag mit Hessen sehr gering an, er bezeichnete ihn
als lumpig (traite de bibus) und glaubte nicht daran^ dass
das Kasseler Haus je ins Kurkollegium aufgenommen werde ^).
Das Bündnis hätte übrigens insofern einen gewissen Wert
für Friedrich bekommen können, als er damals, um dem
österreichisch-englischen Einfluss entgegenzuwirken^), die
Aufstellung einer Neutralitätsarmee von Seiten des Reichs
betrieb ^), wobei die Mitwirkung des gut kaiserlich gesinnten
und militärisch leistungsfähigen Kasseler Hofes sehr wichtig
war^). Aber das Projekt des Königs fand wenig Anklang
im Reich ; auch der Kaiser entwickelte nicht die nötige
Energie^) und der Marsch der pragmatischen Armee nach
») Wilhelm an Donop 23. October 1742.
«) Pol. Korr. II, 305—306 und 355.
*) Histoire de mon temps S. 275.
*) Preussische Staatsschriften I, 369 f: Pol. Korr. II, 302 f.
6) Vergl. Pol. Korr. II, 386; Droysm V, 2, 45.
8) Pol. Korr. ü, 386.
58
Deutschland machte den Plan vollends aussichtslos. Der
Reichstag sprach sich im Mai 1743 nach langer Verschleppung
zwar für Vermittlung des Reiclis zwischen dem Kaiser und
der Königin von Ungarn aus, erwähnte aber die Neutralitäts-
armee mit keinem Wort^). Der Kasseler Hof war Ende
Februar durch ein kaiserliches Schreiben aufgefordert worden,
sein Kontingent zu der projektierten Armee zu stellen und
das Werk möglichst zu befördern^), aber erst 2 Monate
später, als die Sache längst aussichtslos war, ergieng die
Ordre an den Reichstagsgesandten, mit den kaiserlichen
Ministern darüber in Unterhandlung zu treten ^) ; das hessische
Votum auf dem Reichstag erklärte sich für „eine Vermittlung
durch das Reich und andere Puissancen^' *). Die ablehnende
Haltung Hessens in Bezug auf die Neutralitätsarmee ist sehr
erklärlich : da der grösste Teil der hessischen Truppen bei
der pragmatischen Armee stand, so konnte sich der Statt-
halter nicht an einem Projekt beteiligen, das, wie er sicherhch
ahnte, in erster Linie gegen die englische Einmischung in
Deutschland gerichtet war •').
4. Kapitel.
MiHtärische Ereignisse im Jahr 1743; Friedens-
verhandlungen zu Hanau.
Wa.s Wilhelm schon im Jahr 1742 so sehr befürchtet
hatte, war jetzt zur Wahrheit geworden : die pragmatische
Armee erhielt trotz der Vorstellungen des Königs von Preussen*)
») Dove I, 98-203.
2) Karl VII. an Wilhelm 28. Februar 1743.
8) 20. April 1743.
*) Gedruckt in der Historischen Sammlung von Staatsschrifton
unter Kaiser Karl VII. II, 172 174.
^) Droysen, V, 2, 42.
*) Koser t König Friedrich der Grosse I, 194—195.
59
Ordre, nach Deutschland zu marschieren. Die englische
Regierung wusste nicht, ob sie dabei auf die Hessen zählen
könne ; denn es war bekannt, dass der Marsch ins Reich dem
Statthalter ein Greuel war, und nun verbreitete auch noch
der französische Gesandte am Reichstag, Blondel, der König
von Schweden habe Ordre gegeben, die Hessen im englischen
Sold dürften nicht gegen den Kaiser '), ja auch nicht gegen
dessen Hilfstruppen in Deutschland ^) verwendet werden.
Carteret Hess beim König in Stockholm durch den englischen
Gesandten Guy Dickens anfragen, ob an den französischen
Behauptungen etwas Wahres sei ; Friedrich erwiderte, er
hoffe, dass seine Truppen nicht zum Dienst gegen den Kaiser
bestimmt seien, da dies mit seiner Stellung als Reichsfürst
nicht vereinbar wäre^); in einem Schreiben an den Statt-
halter, der durch die umlaufenden Gerüchte England gegen-
über in grosse Verlegenheit gekommen war, gab der König
zu, er habe vielleicht gesprächsweise zu dem französischen
Gesandten etwas Ahnliches geäussert, wie Blondel behaupte ^).
Die englische Regierung griff zu dem Auskunftsmittel, die
6000 Hessen im Februar, während die übrige pragmatische
Armee nach Deutschland aufbrach, als Besatzung in die
Festungen Mons, Ath und Charleroi zu legen ^); es war, wie
Prinz Georg selbst an den Statthalter schrieb, eine Art von
ehrenvoller Gefangenschaft ^j. In England, wo die fremden
Soldtruppen unpopulär waren, erregten die Gerüchte über
die Hessen grosses Ärgernis '^) ; war es doch nicht unbekannt
geblieben, dass sich der Kasseler Hof auch vor 2 Jahren
gesträubt hatte, seine Truppen gegen Preussen verwenden
zu lassen ; die Opposition im Parlament, vor allen Lord
*) Friedrich an Wilhelm 29. Januar; Wilhelm an Friedrich
7. Februar 1743.
«) Wilhelm an Donop 8. Januar 1743.
8) Friedrich an Wilhelm 29. Januar; Alt an Wilhelm 19. Februar 1743.
*) Friedrich an Wilhelm 22. Februar 1743.
^) Prinz Georg aus Mons an Wilhelm 3. März, Bericht Alts
19. Februar 1743; vergl. Carlyle, history of Friedrich IL, VIJ, 275.
Coxe, memoirs of tho administration of Pelhara I, 65.
*) Prinz Georg aus Mons an Wilhelm, 24. März 1743.
^) Bericht Alts 5. Februar 1743 : les Hessois ne sont pas oxomptes
de la plus cruelle oritique.
60
Chesterfield, bemächtigte sich der Sache; diese Söldlinge,
hiess es, seien England nur zur Last; doch wurde ein An-
trag, den König um Vorlegung der auf den Marsch der Hessen
nach Deutschland bezüglichen Schriftstücke zu ersuchen, mit
148 gegen 134 Stimmen abgelehnt ^). Carteret hatte indessen
auch beim Statthalter wegen der Behauptungen Blondels
nachfragen lassen, wobei er sich auf Wilhelms einstige Er-
klärung berief, der bayerisch-hessische Vertrag thue den
Verpflichtungen des Kasseler Hofes gegen England in keiner
Weise Abbruch^). Der Prinz Hess nun den Geheimartikel
mitteilen, in dem er sich verpflichtet hatte, dafür Sorge zu
tragen, dass die Hessen im englischen Sold nie direkt gegen
den Kaiser und seine Länder verwendet werden sollten; er
fügte bei, es Verstösse ausserdem gegen die Reichsgesetze,
dass ein Reichsfürst seine Truppen gegen den Kaiser kämpfen
lasse; gegen die Franzosen könne England die Hessen ver-
wenden, ausser wenn jene die kaiserlichen Lande verteidigten^).
Carteret war mit Recht über die von Wilhelm ohne Vorwissen
der englischen Regierung übernommene Verpflichtung erbittert;
er sagte höhnend zu Alt, dann brauche man ja nur unter
alle Heeresteile der Gegner einige Bayern oder Hessen zu
mischen, so könne England seine hessischen Truppen gegen
niemand mehr verwenden ; er drohte auch, mit dem Kasseler
Hof zu brechen ^). Nach einiger Zeit verlangte der Minister
eine bestimmte Antwort von Wilhelm, ob er auf die hessischen
Truppen rechnen könne, worauf der Prinz wiederholte, er
halte sich genau an den Wortlaut des Geheimartikels: die
6000 Mann könnten überall verwendet werden, ausser gegen
die Truppen des Kaisers und gegen das Land Bayern^); zu-
gleich wies er Donop an, dafür Sorge zu tragen, dass die
3000 Hessen im kaiserlichen Sold nicht ausserhalb Bayerns
verwendet oder mit den Franzosen vereinigt werden sollten %
») Bericht Alts 22. Februar; Wilhelm an Friedrich 4. März 1743.
«) Bericht Alts 19. Februar 1743.
8) Wilhelm aa Alt 4. März 1743.
*) Bericht Alts Mitte März 1743.
») Wilhelm an Alt 25. April 1743.
ö) Wilhelm an Donop 27. April, 11. Mai und 15. Juni 1743.
61
Prinz Georg hatte indessen — schon vor Wilhelms letzter
Erklärung an Carteret — von England aus Ordre bekommen,
mit seinen 6000 Mann der pragmatischen Armee nach Deutsch-
land nachzufolgen *) ; er begann den Marsch Mitte Mai und
langte am 25. Juni in der Gegend von Hanaii an ; einem
Befehl des englischen Königs gemäss, der eben bei der prag-
matischen Armee, die bei Aschaffenburg stand^ angekommen
war, machte der Prinz nun, nachdem er sich mit 8 aus
ihrer Heimat kommenden hannoverschen Bataillons vereinigt
hatte, Halt, schlug ein Lager bei Dörnigheim unterhalb
Hanau und besetzte die Kinzigübergänge. Georg H. wollte
nämlich mit der pragmatischen Armee mainabwärts ziehen
und sich bei Hanau mit Prinz Georg vereinigen; auf diesem
Marsch verlegten jedoch die Franzosen — der Versailler Hof
hatte ein neues Heer unter dem Herzog von Noailles nach
Deutschland geschickt — den Pragmatikern den Weg, diese
aber errangen trotz der guten Dispositionen Noailles' am
27. Juni den Sieg bei Dettingen^), worauf die geplante Ver-
einigung bei Hanau stattfand^). So standen die Hessen nur
wenige Stunden vom Schlachtfelde entfernt, ohne selbst ins
Feuer zu kommen. Dies war jedoch hessischerseits keines-
wegs beabsichtigt; bei Noailles' Armee waren ja weder Bayern
noch Hessen und zur Niederlage der Franzosen hätte der
Statthalter seine Truppen gewiss mit Freuden beitragen
lassen, so wenig er auch sonst mit den Pragmatikern sym-
pathisierte.
Während die Bundesgenossen des Kaisers bei Dettingen
geschlagen wurden, stand es in Bayern selbst noch schlimmer
um seine Sache. Prinz Wilhelm war sehr gegen die Rück-
kehr Karls von Frankfurt nach München gewesen, da er
befürchtete, der französische Einfluss werde sich dort noch
mehr geltend machen*); dennoch war der Kaiser, nachdem
er vorher Hessen das Privilegium de non appellando verliehen
*) Prinz Georg aus Mons an Wilhelm 17. April 1743.
«) Dove I, 211-212.
*) Prinz Georg an Wilhelm 15. Juni aus Andernach, 25. Juni aus
Vilbel, 29. Juni 1743 aus Dörnigheim.
*) Wilhelm an Donop 1. Januar und 6. April 1743.
62
hatte '), im April nach seinem Stammland gereist. Schon
hatten die Österreicher die Feindseligkeiten mit einem Einfall
in die Oberpfalz begonnen ; weiter südlich schien es Anfangs,
als sollte ihr erster Angriff den Hessen gelten, die schon im
Winter mehrmals durch Gerächte vom Nahen des Feindes
alarmiert worden waren und in ihren Salzburger Quartieren
viel unter Krankheiten, schlechter Verpflegung und feindseliger
Gesinnung der Einwohner gelitten hatten ^). Als im März
wieder Bewegungen der Österreicher gemeldet wurden, zog
General Clement sein Korps zusammen ^) ; doch wandte sich
der Feind bald mehr nach Norden und die Hessen erhielten
von General Minucci Ordre, über Burghausen gegen Braunau
am Inn zu marschieren, wo sich die kaiserliche Armee ver-
einigen sollte ; die Vorkehrungen für die Verpflegung der
Truppen waren wieder die denkbar schlechtesten, es fehlte
an allem, die Folge war eine massenhafte Desertion bei den
Hessen*). Als Clement bei Marktl — wenige Stunden von
Braunau — angekommen war, näherten sich am 9. Mai die
Österreicher in bedrohlicher Weise dem von Minucci bei
Simbach auf dem linken Innufer gegenüber von Braunau
bezogenen Lager; der General schickte nach Marktl um
Hilfe, worauf die Hessen und ein mit ihnen vereinigtes
bayerisches Dragonerregiment sich in Marsch gegen Simbach
setzten ; aber unterwegs erhielt die Infanterie Ordre wieder
umzukehren, um Marktl zu halten; die hessischen und
bayerischen Dragoner jedoch beteiligten sich noch an dem
Gefecht bei Simbach, in welchem die Kaiserlichen vollständig
geschlagen wurden ; doch betrug der Verlust der Hessen nur
2 Tote, 8 Verwundete und 20 Gefangene, unter letzteren
*) „Sans ma soUicitatioD" schreibt Wilhelm am 4. März 1743 an
Friedrich; vergl. Bommel IX, 19.
*) Berichte Clements aus Laufen vom 2. Januar, 6. Februar,
25. März 1743; v. Hoffmann^ das 4. bayerische Infanterieregiment 1706—1806,
S. 261. Dass das hessische Korps, wie Maria Theresia an Khevenhüller
schrieb {Ämeih II, 217), auf die Hälfte herabgesunken wäre, ist natürlich
sehr übertrieben.
**) Bericht Clements aus Laufen 28. März 1743.
•*) Bericht Donops aus München 30. April, Clements aus Marktl
4. Mai 1743.
63
befand sich der Kommandeur des Dragonerregiments, Oberst
von Meysenbug; die anderen retteten sich, wie auch der
grösste Teil der Bayern, über den Inn nach Braunau, um-
giengen dann die Österreicher und stiessen wieder zu General
Clement ^j. Schon vor der Simbacher Niederlage der Bayern
war weiter nördlich bei Pfarrkirchen eine französische Ab-
teilung gefangen genommen worden, worauf sich die Franzosen
hinter die Isar zurückzogen. Dieser traurige Beginn des
Feldzugs wirkte niederschmetternd am Hof des Kaisers in
München ; seine Lage war verzweifelt : in Bayern die Oster-
reicher im Vordringen und die Franzosen unter dem Herzog
von Broglie unzuverlässig und widerwillig, bei Frankfurt die
pragmatische Armee. In dieser Not dachte der Kaiser wieder
an eine Vermittlung des Königs von England und Hess daher
am Abend des 13. Mai Donop im tiefsten Geheimnis zu einer
Audienz bitten. Dieser beschwor ihn, er möchte dem Prinzen
Wilhelm, der im BegriflF stand, einer Einladung Friedrichs IL
nach Berlin zu folgen, und für die Rückreise seinen Besuch
am hannoverischen Hof angesagt hatte ^), Vollmacht zur
Verhandlung mit König Georg schicken ; doch werde der
Kaiser, fügte Donop hinzu, sich dann von Frankreich trennen
und den Gedanken an Gebietserweiterung aufgeben müssen.
Davon wollte Karl zwar nichts hören ^), entschloss sich aber,
als die Nachrichten vom Kriegsschauplatz immer schlechter
lauteten, nach einigen Tagen doch dazu, sich durch Wilhelm
an den König von England zu wenden *), während zu gleicher
Zeit in Frankfurt die Kaiserin mit dem Lord Stair über den
Frieden verhandelte^). In einem Schreiben vom 18. Mai
bat der Kaiser den Prinzen, er möchte König Georg in seinem
Namen mitteilen, er sei bereit, für die Wiederherstellung des
Friedens seine Interessen zu opfern, und überlasse es daher
*) Bericht Clements aus Borgheim bei Maiktl 12. Mai, Meysonbugs aus
Wels 19. Mai, Donops aus München 11. Mai 1743; Tagebuch Karls VII., S. 83.
') Ein hessischer Geheimrat an Alt 2. Mai 1743.
») Bericht Donops 15. Mai 1743
*) >, „ 18. ,, 1743.
») „ „ 25. „ 1743, vergl. Pol. Korr. II, 373; Droysen
V, 2, 70.
64
dem König, zwischen ihm und dem Wiener Hof den Frieden
zu vermitteln, vorausgesetzt, dass die Bedingungen vereinbar
seien mit seiner Ehre und der einem deutschen Kaiser ge-
bührenden Machtstellung und dass er es vor seiner Nach-
kommenschaft verantworten könne ^). Karl gedachte also
noch keineswegs auf seine Ansprüche zu verzichten, wenn
er sich auch hütete, etwas Bestimmtes zu verlangen. Wilhelm
erhielt des Kaisers Schreiben in Berlin, wohin ihn Friedrich IL
zu einer Revue eingeladen hatte; der Prinz gewann am
Berliner Hof den Eindruck, als ob der König dem Kaiser
zwar wohlgesinnt sei, sich aber selbst in nichts einzulassen
gedenke; von Karls Brief erwähnte er nichts, um die englische
Vermittlung nicht zu verderben ^). Am 4. Juni traf der
Prinz in Hannover ein und übergab König Georg das kaiser-
liche Schreiben; dieser erklärte, Karl möchte sich nach
Frankfurt begeben, vorher könne er sich auf nichts einlassen;
von Seiten Maria Theresias, die man übrigens wie auch
Holland von den Verhandlungen benachrichtigen müsse, Ab-
tretungen für den Kaiser zu verlangen, sei unmöglich, doch
hoflfe er andere Mittel zu seiner Entschädigung zu finden,
sei es auf Kosten Frankreichs oder durch Säkularisationen.
Carteret redete dem Prinzen zu, wenn der Kaiser in Frank-
furt sei, nach Hanau zu kommen wegen der Friedensver-
handlung. Als Wilhelm anfragte, ob man englischerseits
geneigt sei, gegebenen Falls den kaiserlichen Truppen Subsidien
zu gewähren, was ein Hanptanliegen Karls war, verhielt sich
der Lord nicht ablehnend, erklärte aber, man müsste vorher
in England das Terrain sondieren. Der Prinz war mit dem
Anfang der Verhandlungen nicht gerade unzufrieden, schrieb
aber an den Kaiser, Trennung von den Franzosen sei unbedingt
nötig, um etwas zu erreichen ^). Er erhielt noch in Hannover
ein zweites Schreiben vom Kaiser, in dem dieser als Basis
der Friedensverhandlung vorschlug : die Truppen der krieg-
1) Karl Vll. an Wilhelm 18. Mai 1743.
«) Wilhelm aus Berlin an Donop 29. und 30. Mai 1743.
•) Wilhelm aus Hannover an Karl VII. 6., an Donop 6, 7. und
8. Juni 1743.
65
führenden Mächte kehren in ihre Heimat zurück, ebenso die
deutschen Hilfstruppen, die nicht im Sold einer kriegführen-
den Macht stehen ; die fremden Hilfstrnppen verlassen das
Reich ; die Grenzplätze, wie Eger, Passau, Schärding, werden
von Reichstruppen besetzt, die Gefangenen und die Artillerie
zurückgegeben ^). Also der Kaiser hätte hiernach nicht nur
Bayern zurückbekommen, sondern auch die pfälzischen und
hessischen Hilfstruppen behalten dürfen, während die Öster-
reicher, die pragmatischen Truppen und allerdings auch die
Franzosen hätten in ihre Heimat zurückkehren müssen.
Wenn der Kaiser noch solche Forderungen stellte, ist es
kein Wunder, dass er mit Wilhelms Bericht über dessen
Unterredung mit Georg unzufrieden war; er erklärte Donop,
auf so vage Versprechungen hin könne er sich nicht von
seinen Verbündeten trennen, er ergebe sich nicht auf Gnade
und Ungnade ; doch sei er bereit nach Frankfurt zu kommen,
wenn man ihm Bayern zurückgebe — er hatte unterdessen
von München nach Augsburg flüchten müssen — und ihn
instandsetze, seine Truppen zu unterhalten ^). Als König
Georg und Carteret von Hannover zur pragmatischen Armee
abgiengen, hielt sich der Lord einen Tag in Kassel auf; der
Prinz fand ihn etwas zugänglicher als in Hannover, er schien
dem Wunsch Wilhelms, die kaiserlichen Truppen sollten als
neutral betrachtet werden, nun eher geneigt^), der Prinz
stellte für diesen Fall in Aussicht, die 3000 Hessen an Eng-
land zu geben*).
Indessen hatten die Österreicher fast ganz Bayern er-
obert; ohne ernstlichen Widerstand waren die Bayern mit
ihren deutschen Hilfstruppen wie die Franzosen überall
zurückgewichen ; bei Ingolstadt schien es, als sollten sie
endlich wieder zum Stehen kommen, aber Marschall Broglie
Hess sich, obwohl er Verstärkung erhielt, auch hier nicht
halten, sondern zog sich noch weiter zurück nach Donauwörth.
») Karl VII. und Donop au Wilhelm 2. Juni 1743.
') Bericht Donops aus Augsburg 11. Juni 1743.
8) Wilhelm an Donop 18. Juni 1743.
*) Instruktion für Alt 24. Juni 1743.
N. F. Bd. XJCIII. 5
66
Donop beschwor den Kaiser, seine Truppen nicht mit den
Franzosen ziehen zu lassen, da sich sonst die Hessen von
den Kaiserlichen trennen müssten ^), was von Seiten der
Pfälzer bereits geschehen war^); Prinz Wilhelm schickte
Ordre an Clement, wenn die bayerische Armee mit der
französischen an den Rhein ziehe, so solle er sich neutral
erklären, „da eine solche Demarche mit anderen Verbindungen
ohnmöglich zu combinieren stehet*'^). Aber soweit sollte es
nicht kommen; als Broglie den Kaiser von Donauwörth aus
auffordern Hess, sich mit ihm gegen den Neckar zurückzu-
ziehen, entschloss sich Karl, seine Truppen auf neutrales
Gebiet übertreten zu lassen ^), was ihm Donop schon früher
geraten hatte ^) ; er teilte diesem mit, er sei jetzt fest ent-
schlossen, sich von Frankreich zu trennen und sich dem
Reich und den Seemächten in die Arme zu werfen, er hoffe
Wilhelm in Frankfurt zu sehen®); gleich darauf reiste er
dorthin ab. Am 27. Juni, dem Tag der Dettinger Schlacht,
schloss dann Seckendorff mit Graf Khevenhüller die Neutra-
litätskonvention von Niederschönfeld '^) ; dieser zufolge begab
sich die kaiserliche Armee, unbehelHgt von den Österreichern,
nach Wemding, einer bayerischen Exklave zwischen neu-
burgischem, ansbachischem und öttingischem Gebiet. Die
Hessen, die durch den unglücklichen Feldzug sehr dezimiert
waren, wurden in Ammersbach bei Wemding untergebracht ^).
*) Bericht Donops aus Augsburg 25. Juni 1743.
2) Bericht Donops aus Augsburg 21. Juni 1743.
8) Wilhelm an Clement 25. Juni 1743.
*) Karls VII. Tagebuch S. 90 f. ; Droysen V, 2, 80.
*) Bericht Donops aus Augsburg 21. Juni 1743.
®) Bericht Donops aus Augsburg 25. Juni 1743.
') Georg Preuss (der Friede zu Füssen 1745, Historische Abhand-
lungen von Eeigel und Oraueri^ Heft VI, S. 15. Anmerkung 1) sagt,
Seckendorff habe die Konvention ohne Ermächtigung des Kaisers und
wohl mehr in österreichischem als in bayerischem Interesse abgeschlossen.
In "Wahrheit hatte der Kaiser den Marsch auf neutrales Gebiet und eine
diesbezügliche Erklärung, sowie eine Besprechung Seckendorffs mit den
österreichischen Generalen selbst angeordnet (Tagebuch S. 91); nur eine
förmliche Neutralitätskonvention wünschte er nicht, da er sich für einen
etwaigen Marsch nach Philippsburg oder den Entsatz von Ingolstadt nicht
die Hände binden wollte (Tagebuch S. 94 und 98); die Neutralität der
kaiserlichen Truppen hielt übrigens auch Friedrich IL für das einzige
Mittel sie zu retten (histoire de mon temps S. 289).
^) Bericht Clements aus Wemding 11. Juli 1743.
67
So schmachvoll diese Konvention an sich war, so
konnte sie vielleicht doch die gute Folge für den Kaiser
haben, eine Verständigung mit England zu erleichtern ; denn
Karl hatte sich nun — wenigstens militärisch — wirklich von den
Franzosen getrennt, allerdings nicht aus freier Entschliessung,
sondern weil ihn Marschall Broglie im Stich gelassen hatte.
Der Kaiser setzte jetzt thatsächlich seine Hoffnung auf die
englische Vermittlung ; in Frankfurt angekommen Hess er
König Georg und Carteret, die sich seit der Dettinger Schlacht
in Hanau befanden, durch Donop sagen, er sei zu jedem
vernünftigen Frieden (accomodement raisonnable) bereit^).
Dazu stimmte es freilich nicht, dass Karl den Marschall
Noailles um Fortsetzung der französischen Subsidien bat^);
übrigens riet ihm dieser selbst zum Frieden, wenn er sich
nur nicht gegen Frankreich erkläre^). Auf die Nachricht
von des Kaisers Ankunft in Frankfurt reiste Prinz W^ilhelm
mit Asseburg ebenfalls dorthin, empfieng am 5. Juli Voll-
macht von Karl zur Verhandlung mit König Georg, sowie
die Propositionen des Kaisers, und begab sich damit nach
Hanau. Da in diesen Propositionen von einem Verzicht
Karls auf seine österreichischen Ansprüche nicht die Rede
war*) und sich andrerseits auch Carteret Anfangs wenig
entgegenkommend zeigte, so machten die Verhandlungen
grosse Schwierigkeiten ^). Der Prinz jedoch, welcher un-
ermüdlich thätig war und beständig zwischen Hanau und
») Bericht Donops aus Frankfurt 29. Juni 1743 ;
') Noailles an Ludwig XV. 8. Juli (correspondance de Louis XV
et du marechal de Noailles I, 141).
8) Karls Yll. Tagebuch S. 96.
*) Preussische Staatsschriften I, 633—034; die hier abgedruckte
Denkschrift des Prinzen Wilhelm über die Hanauer Verhandlungen ist
nicht, wie Droysen (V, 2, 90 Anm. 1) meint, .bald nach der Verhandlung"
geschrieben worden, sondern erst im Spätsommer 1744; Wilhelm suchte
durch sie seinen inzwischen erfolgten Bruch mit England zu rechtfertigen
und bemühte sich deshalb, Carterets Verfahien als möglichst rücksichts-
los und unehrlicli darzustellen (vergl. S. 107 f.); die Denkschrift ist also
keineswegs objektiv; verfasst wurde sie von Asseburg (Bericht Donops
2. Dezember 1744).
*) Staatsschriften I, 634.
5*
68
Prankfurt hin- und herreiste ^), gab die Hoffnung auf eine
schliessliche Einigung nicht auf. Nachdem die Verhand-
lungen schon 8 Tage gedauert hatten, erschien ein Ab-
gesandter des Königs von Preussen, Graf Finckenstein, in
Hanau, um gleichfalls daran teilzunehmen. Wilhelm hatte
nämlich — entgegen seinem Verhalten in Berlin — Fried-
rich IL von seinen Besprechungen mit König Georg in
Hannover in Kenntnis gesetzt und ihm geschrieben, jetzt sei
der Augenblick da, wo der König zur Herstellung des
Friedens das Seine beitragen könne ^). Friedrich, der eine
Einigung des Kaisers mit England ohne Preussens Anteil-
nahme nicht wünschte^), antwortete dem Prinzen, er selbst
sei dafür, dass der Kaiser Frieden schliesse, und werde so-
fort jemand bevollmächtigen, an der Verhandlung teilzu-
nehmen*). Der Prinz, welcher von der Abneigung König
Georgs gegen Preussen keine rechte Vorstellung hatte, hielt
die Mitwirkung Friedrichs H. für äusserst wertvoll^), Georg
und Carteret dagegen waren von der Ankunft des preussischen
Gesandten sehr wenig erbaut und Finckenstein konnte in
einer Unterredung, die er am 15. Juli mit dem Lord hatte,
es nicht erreichen, zu der Friedensverhandlung beigezogen
zu werden^). Am Abend desselben Tages kam Prinz Wil-
helm mit Carteret über einen Friedensvertrag '^) überein, der
aus folgenden Bedingungen bestand: Der Kaiser sollte die
Franzosen veranlassen, den Boden des Reichs zu verlassen,
dagegen war von der Anfangs vom Kaiser verlangten**) Ent-
fernung der österreichischen und pragmatischen Armee nicht
die Rede; er sollte für sich und seine Nachkommen auf
seine österreichischen Anspräche verzichten und Maria
Theresia als Königin von Ungarn und Böhmen anerkennen,
*) Des Herrn von Loen gesammelte Schrifton U^ 315—316.
') Wilhelm an Donop 29. Juni ; vergl. Droysen V, 2, 84 mit
Anm. 2.
8) Pol. Korr. II, 373.
4) Desgl. n, 378-379.
^) Wilhelm an Donop 29. Juni 1743; vergl. Pol. Korr. II, 889.
«) Pol. Korr. II, 390—391 ; Droysen, V, 2, 02 f.
') Staatsschriften I, 635-636.
«) Desgl. I, 633.
69
dafür Bayern — und zwar als Königreich — zurückerhalten
und von der Königin als Kaiser anerkannt werden. Wegen
des Verlustes der französischen Subsidien und der Erschöpfung
Bayerns sollte Karl zu seinem Unterhalt eine monatliche
Summe bekommen — natürlich von England — , bis man
im Verein mit den Seemächten die Mittel gefunden hätte,
sein Einkommen auf eine sichere Weise zu erhöhen ; mit
anderen Worten : man versprach dem Kaiser Gebietserweiterung.
Sehr wichtig war der scheinbar harmlose Artikel: Der Kaiser
bemüht sich unverzüglich, im Verein mit dem König von
England, eine Einigung mit dem Reich zu erzielen, um ge-
meinsam mit den Seemächten und anderen Mächten Frank-
reich zu einem sicheren und allgemeinen Frieden in Europa
zu vermögen."^) Dieser Artikel stellte in verhüllter Weise
die Teilnahme von Kaiser und Reich am Krieg Österreichs
und Englands gegen Frankreich in Aussicht, was Wilhelm
schon in seinem Plan vom Dezember 1742 vorgeschlagen ^)
und Carteret in seiner Entgegnung auf des Kaisers erste
Propositionen angedeutet hatte ^) ; der Lord war der Ansicht,
dass ohne Kaiser und Reich nichts gegen Frankreich aus*
gerichtet werden könne ^). In einem Brief nach Stockholm
sprach es der Statthalter offen aus, dass dies der Haupt-
gegenstand der Verhandlung sei^j. Auch der Kaiser selbst
fasste den Artikel so auf und war deshalb nicht damit ein-
verstanden, was er aber verschwiegt). Gegen den Gewinn
der kaiserlichen Bundesgenossenschaft also stellte Carteret
*) Faire consentir ä heisst es in der Denkschrift; in einem Conzept
zu derselben (3. September 1744 an Mann ins Haag geschickt) heisst es
obiiger; auch Karl VII. spricht in seinem Tagebuch (S. 96) von obiiger;
die spätere Abschwächung ist nicht unwichtig.
*) Vergl. S. 51.
®) Staatsschriften I, 634: apres que l'empereur et l'empire auraient
forme un concert d'ovacuor Tempire des FrauQais.
■») Wilhelm an Alt 14. November 1744.
pr.
Rheinübergang
travaille do son mieux; c'est la bäse de la negociation;;avec Tempereur
que de le faire prondre parti contre la France.
«) Karls VII. Tagebuch S. 96.
70
Karl Namens Englands die monatlichen Subsidien in Aus-
sicht ; diese sollten — so war es geplant — zur Ernährung
von 15 — 20000 Mann dienen, die der Kaiser zu einer Reichs-
armee stellen sollte ^). Es wäre ja auch widersinnig gewesen,
wenn England den Kaiser, ohne dass dieser Krieg führte,
mit Geld unterstützt hätte. In einem geheimen Assecuranz-
projekt^) machte sich König Georg anheischig, Karl noch
weitere Vorteile zu verschaffen, doch nicht auf Kosten der
Königin von Ungarn — d. h. entweder auf Kosten Frank-
reichs oder durch Säkularisationen — und ihm, abgesehen von
der monatlichen Summe, 300000 Thaler auszuzahlen, und zwar
100000 sofort nach der Unterzeichnung des Vertrages, die
übrigen 200000 nach und nach von 20 zu 20 Tagen ^j. Da-
gegen bestimmte ein Geheimartikel, der noch zuletzt von eng-
lischer Seite verlangt wurde, dass der Kaiser die deutschen —
d. h. also die hannoverischen — Interessen König Georgs bei jeder
Gelegenheit kräftig unterstützen solle*). Als alles fertig war,
erklärte Carteret, er werde, wenn König Georg etwas an dem
Vertrag auszusetzen habe, Wilhelm sofort Meldung machon,
andernfalls sei alles in Ordnung. Da der Lord nichts mehr
von sich hören Hess, glaubten der Prinz und Asseburg ge-
wonnenes Spiel zu haben ; „endlich ist die Sache im Reinen,"
») Wilhehn an Alt 14. Oktober 1744.
«) Staatsschrifton I, 636.
*) De lui compter incessament trois cent mille ecus, savoir cont
mille ecus immediatement apres la Signatare de ceci et les autres deux
cent mille successivement de 20 ä 20jours; Staatsschrifteu I, 638 fohlen
die Worte savoir cent mille ecus, was den Anschein erweckt, als wären
dem Kaiser ausser den 300000 noch 200000 Thaler versprochen worden;
von Wiese (die englische parlamentarische Opposition während des öster-
reichischen Erbfolgokriegs, S. 29) hat sich dadurch irre führen lassen.
*) D'appuyer efficacement les interets de Sa M^este Britannique en
Allemagne dans toutes les occasions qui se presenteront. Wilhelm er-
wähnte in seiner Denkschrift den Artikel nicht, sei es um König Georg
keine Unannehmlichkeiten in England zu erwecken, oder um den Kaiser
Preussen gegenüber nicht in Verlegenheit zu bringen. Carteret hat den
Geheimartikel natürlich nicht nach England geschickt und die Lords von
der Regentschaft hatten also nicht so Unrecht, wenn sie später die Ver-
mutung aussprachen, that they were not let into the whole secret but
that there was ßome German job at the bottom of it (Marchmont
papers I, 56).
71
schrieb dieser am anderen Morgen frohlockend an Donop ^) ;
aber als sie Mittags von Wilhelms Schloss Philippsruhe nach
Hanau hereinkamen, wo sie alles zur Zeichnung des Ver-
trages bereit glaubten, erklärte Carteret auf einmal, das
Projekt müsse zur Begutachtung durch die Regentschaft nach
England geschickt werden; alle Vorstellungen Wilhelms und
Asseburgs waren vergeblich ^). Der Prinz hoffte übrigens
zuversichtlich auf eine günstige Entscheidung der Regent-
schaft ^) ; aber am 1 . August brachte der nach England ge-
sandte Courier einen abschlägigen Bescheid. So war das
Friedenswerk gescheitert; Wilhelm gab jede Hoffnung auf
eine Einigung auf und verliess bitter enttäuscht Hanau ; der
Kaiser Hess durch Hasslang noch längere Zeit weiter ver-
handeln, doch, wie vorauszusehen war, ohne Erfolg.
Der Prinz hat später behauptet, es sei Carteret mit
der Friedensverhandlung gar nicht Ernst gewesen und das
Vertragsprojekt sei überhaupt nicht von ihm nach Eng-
land geschickt worden^). Letzteres erwies sich jedoch
als unrichtig, das Projekt ist wirklich nach England ab-
gegangen^). Droysen, Koser und v. Wiese nehmen aber
an, der Lord habe trotzdem unehrlich an dem Kaiser ge-
handelt, indem er der ablehnenden Antwort der Regentschaft
im voraus sicher gewesen sei ^) ; sie berufen sich dabei auf
ein Schreiben des Herzogs von Newcastle vom 31. Mai (a. St.),
worin dieser Carteret vor den Machinationen Prinz Wilhelms
warnte und dem Lord seine Gründe gegen den von König
Georg gewünschten Frieden mit dem Kaiser darlegte : gerade
*) Asseburg aus Schloss Philippsruhe bei Hanau an Donop 16. Juli
1743 (Morgens): enfin est Taffairo dans son sac, on a accorde la somme,
passe tous les poiuts et le peu de changements qu'on a fait et un article
secrot qu'on y a ajoute ne peuvent porter aucun prejudice ä la conclusion
de cette importante affaire.
*) Asseburg an Donop 16. Juli 1743 (Abends).
^) Asseburg an Donop 1. August 1743.
*) Staatsschriften I, 638 ; Friedrich der Grosse urteilte über Carteret:
lo ministre anglais se joua grossierement et en depit de la bonne foi du
sse ; Carteret etait un fourbe qui parlait le langage des
honnetes gens (histoire de mou temps S. 293 ; in der Redaktion von
prince de Hesse
1775 ist dieser Passus weggelassen).
») Vergl. S. 108.
«) Droysm Y, 2, 95—96, Staatsschriften I, 627 (Koser), v. Wiese S. 29.
72
im Bündnis mit Karl, schrieb Newcastle, liege die Schwäche
Frankreichs und dies müsse von England ausgenützt werden ^).
Ist aber von Lord Carteret anzunehmen, dass er sich darauf-
hin sofort dem Willen seiner Kollegen fügte, er, von dem
der Ausspruch berichtet wurde „Gebt einem Mann die Krone
auf seine Seite und er kann allem Trotz bieten''?') Viel-
mehr gedachte der Lord, der im Gegensatz zu Newcastle die
Bundesgenossenschaft mit dem Kaiser bei dem geplanten
Angriffskrieg gegen Frankreich für sehr wertvoll hielt ^), den
Widerstand seiner Kollegen gegen den Frieden mit Karl
dadurch zu überwinden, dass er sie überhaupt ignorierte : er
hatte offenbar vor, den Frieden mit dem Kaiser abzuschliessen,
ohne bei der Regentschaft anzufragen^); er hoffte, wenn er
— die Krone auf seiner Seite — dem Parlament den voll-
zogenen Vertrag vorlege, so werde sich kein Widerstand er-
heben, zumal da die englische Politik unter seiner Leitung
unbestreitbar grosse Erfolge errungen hatte. Aber der König,
so sehr er auch — schon mit Rücksicht auf Hannover — den
Frieden mit dem Kaiser wünschen mochte, versagte sich
dieser kühnen Politik seines Ministers; als ihm Carteret am
Abend des 15. Juli den Vertrag vorlegte, bekam er kon-
stitutionelle Bedenken und verlangte, dass die Zustimmung
der Regentschaft eingeholt werden müsse ^), welche dann das
*) TF. Coxej memoirs of the administration of Henry Pelham I, 74 :
I know prinoe William^s artifices and viows ; and therefore Iwas sorry
he intended to make you a visit, though 1 tbink bis oöers aro no more
than what have been made on hundred times. The emperor is the weak
part of their union ; he is more than half conquered already ; there we
inust press e France, and there we shall e get the better of them.
«) Droysm V, 2, 326.
■) Vergl. S. 69; dass Carteret den Frieden mit Karl wirklich
wünschte, nimmt auch Ranke (XXIX, 43—45) an; vergi. Marchmont
papers I, 48; König Georg selbst war über die Ablehnung des Vertrags
seitens der Regentschaft sehr verstimmt (Bericht Alts vom 29. Sep-
tember 1744; Staatsschriften I, 628 Anm. 2).
*) Sonst hätte er dies Wilhelm nicht erst im letzten Augenblick
mitgeteilt.
*) Dadurch, dass Carteret den Vertrag nach England sandte,
kapitulierte er vor der Regentschaft ; vergl. Droysen V, 2, 96 ; Newcastle
schrieb an seinen Bruder Pelham : it is piain, we have got the better of bim
(Carteret) and our master has been surprisingly firm {Goxe, Pelham 1, 88).
73
Projekt mit der schon von Newcastle angeführten Motivierung ^)
ablehnte. Anders lässt sich die plötzliche Umwandlung des
Lords vom 15. auf 16. Juli gar nicht erklären ; er sprach es
auch Asseburg gegenüber aus, der König wolle ihn nicht
unterstützen und redete davon, er wolle nicht um des Kaisers
willen seinen Kopf aufs Schaffot bringen ^) ; auch später
stellte Carteret dem preussischen Gesandten Andrie die Sache
ähnlich dar '). Es wäre übrigens auch gar nicht einzusehen,
was der Lord, wenn es ihm mit dem Frieden nicht Ernst ge-
wesen wäre, mit der ganzen langen Verhandlung eigentlich
bezweckt hätte ; die einzige Folge davon musste notwendig
Groll und Erbitterung des Kaisers und Prinz Wilhelms gegen
England sein. Ausserdem wäre es doch auch Carteret kaum
zuzutrauen, dass er sich mit dem hilfesuchenden, unglück-
lichen Kaiser ohne Zweck eine solche, geradezu diabolische
Komödie erlaubt hätte *). Gesetzt übrigens , der Vertrag
zwischen dem Kaiser und Georg IL wäre zustande gekommen,
so ist es sehr zweifelhaft, wie sich der Wiener Hof, der von
der Hanauer Verhandlung gar nicht ^) oder doch jedenfalls
nicht eingehend unterrichtet war, dazu verhalten hätte.
Maria Theresia, der Prinz Wilhelm als Vermittler schon an
sich unsympathisch war^), wäre gewiss mit den grossen Zu-
^) Staatsschriften 1, 637; später gaben die Minister an, sie hätten
das Projekt abgelehnt wegen der dem Kaiser auf unbestimmte Zeit
bewilligten Geldsummen (Bericht Alts 26. September 1744 ; Staats-
schriften 1, 629). Carteret, dem natürlich daran lag, seinen Kollegon zu
verbergen, dass er sie hatte umgehen wollen, teilte übrigens die stipulierten
Artikel nur als „Projekt" mit und die Polhams waren später eretaunt
von Alt zu hören, wie nahe der Vertrag seinem Abschluss gewesen war
(Bericht Alts 25. September 1744).
*) Droysen V, 2, 95.
*) Lord Carteret has expressed his sorrow that these propositions
(die Uanauor) were not signed and said to Andrie: You know, one cannot
always guide one's master (Mitteilung Andries an Marchmont, Marchmout
papors 1, 26).
'') Carteret hat sowohl gleich nach dem Scheitern der Hanauer
Verhandlungen, als im Jahr darauf Alt gegenüber stets seine Unschuld
hieran beteuert (Berichte Alts vom 21. August 1743 [aus Castcl b. Mainz]
und vom 25. September 1744); vergl. Staatsschriften I, 628.
^) So Prmss (der Friede zu Füssen) S. 63; vergl. Pol. Korr. H, 458;
Ameth (II, 297^ spricht sich nicht deutlich au&.
®) Man nörte von einer Äusserung Graf Cobenzls, die Königin
werde zu jeder Unterhandlung mit dem Kaiser die Hand bieten, sofern
74
sagen Englands an den Kaiser nicht einverstanden gewesen,
um so weniger, als sie sich damals durch den Erwerb
Bayerns für den Verlust Schlesiens schadlos zu halten ge-
dachte ^). Aber andererseits war der Wiener Hof gänzlich
abhängig von England, ohne dessen Subsidien ihm die
Führung des Kriegs unmöglich gewesen wäre. So hat die
englische Regierung bald darauf Österreich zum Wormser
Vertrag mit Sardinien gezwungen, der dem Wiener Hof weite
Landstriche in Italien kostete ^). Und hat nicht England im
Jahr 1745 auch gegen den Willen Maria There^as mit Preussen
die Konvention von Hannover geschlossen ? Schlimmer als
ein etwaiger Widerstand Österreichs gegen die Hanauer
Stipulationen war es, dass der Kaiser nicht ehrlich dabei zu
Werke gieng. Nicht nur betrachtete er den Verzicht auf
die österreichischen Ansprüche für seine Nachkommen, ob-
wohl diese besonders angeführt waren, nicht als bindend,
sondern er war auch entschlossen, dem Artikel, dass er
gemeinsam mit dem Reich Frankreich zam Frieden vermögen
solle, seine Anerkennung zu versagen ^). Dadurch wäre aber
der Hauptzweck Carterets, der Gewinn der kaiserlichen Bundes-
genossenschaft gegen Frankreich, hinfällig geworden und
folglich wäre auch jeder Grund für England weggefallen, zu
Gunsten des Kaisers Opfer zu bringen. Es ist nicht zu
leugnen: der Hanauer Vertrag war nicht durchzuführen; die
politischen Anschauungen der beiden Parteien giengen zu
weit auseinander.
sio nicht durch Prinz Wilhelm gehe {Droysefii V, 2, 94) ; der Prinz selbst
spricht in einem Sclireiben an Uarrington am 25. Januar 1745 von la
repugnance qu'a eu la reine de Hongrie de mou entreniiso.
>) Arneth II, 297.
2> Arneth 11. 279-296.
8) Karls VII. Tagebuch S. 96 vergl. S. 69.
75
5. Kapitel.
Vollständige Abwendung von England, Abschluss
der Frankfurter Union im Mai 1744.
Wenn Prinz Wilhelm auch den Versicherungen Carterets,
dass er an der Ablehnung des Hanauer Vertrags keine Schuld
trage, halb und halb Glauben schenkte ^), so hinterliess doch
das Scheitern der dortigen Friedensverhandlungen bei ihm
eine tiefgehende Missstimmung gegen England und speziell
gegen den leitenden Minister. Trotzdem dachte der Prinz
keineswegs daran, in seiner Politik dem Londoner Hof gegen-
über eine Änderung eintreten zu lassen; als im September
Carteret mit Alt über die Erneuerung des im Mai 1744 ab-
laufenden Subsidienvertrages sprach, war Wilhelm sofort
bereit, darauf einzugehen ^) , doch erklärte der Lord, sich
vorerst auf nichts Bestimmtes einlassen zu können ^). Als
aber Carteret im Oktober durch Hanau kam , sprach er mit
dem Prinzen nicht nur über die Vertragserneuerung, sondern
auch über Vei^mehrung der hessischen Soldtruppen und sein
Begleiter Villiers, der englische Gesandte in Dresden, schlug
sogar vor, Hessen solle sich von jetzt ab als kriegführende
Macht im Bund mit England am Krieg beteiligen, dann
werde es auch beim Friedensschluss greifbare Vorteile davon-
tragen^). Der Prinz erklärte sich zur Verlängerung des Ver-
trags bereit, lehnte aber eine Vermehrung der Truppen ab,
da er nur noch 1 Infanterie- und 1 Dragonerregiment zur
Verfügung habe, die zur Sicherheit des Landes und als Be-
*) Wilhelm aus Aachen an Alt 14. September 1743.
') Wilhelm aus Aachen an Alt 14. September 1743.
^) Wilhelm aus Hanau an Alt 8. Oktober 1743; Alt hörte später
von einer Äusserung König Georgs, Carteret habe gefürchtet, die Regent-
schaft in London werde zu einem neuen Vertrag mit Hessen so wenig
ihre Zustimmung geben, wie zu dem Hanauer Friedensprojekt (Bericht
Alts 29. September 1744).
*) Changer la fagon passive dont nous avions ete lies jusqu' ici
avec l'Angleterre en activite et agir dorenavant efficacoment avec eile
afin d'en pouvoir tirer des fruits nets, lorsqu'il s'agira d'une pacification
generale. England war übrigens damals selbst nur mit Spanien im Krieg.
76
Satzung von Rlieinfels unentbehrlich seien *). Zur grossen
Befriedigung des Statthalters wurde den 6000 Hessen, die
den ebenso unblutigen als unfruchtbaren Feldzug der prag-
matischen Armee auf dem linken Rheinufer mitgemacht
hatten, von der englischen Regierung gestattet, den Winter
in ihrer Heimat zuzubringen, während Anfangs bestimmt ge-
wesen war, sie sollten wieder in den Niederlanden Quartiere
bekommen^). Unterdessen lag die Armee des Kaisers mit
dem in seinem Sold stehenden hessischen Korps seit Anfang
Juli bei Wemding ; Karl trug sich eine Zeit lang trotz der
Konvention von Niederschönfeld mit dem Gedanken, Secken-
dorfF solle mit diesen Truppen Ingolstadt entsetzen ^). Wilhelm,
der dieses Unternehmen für äusserst gefährlich hielt, riet
dem Kaiser dringend davon ab und deutete ihm an, dass er
dabei auf die Mitwirkung der Hessen nicht zu rechnen habe ^) ;
wirklich schickte der Prinz Ordre an Clement, sich an einem
etwaigen Marsch Seckendorffs auf Ingolstadt nicht zu be-
teiligen^); die Sache wurde übrigens bald gegenstandslos,
indem sich die Festung den Österreichern ergab. Im No-
vember endlich kehrten die Hessen, nachdem der Statthalter
schon lange beim Kaiser darauf gedrungen hatte, in die
Heimat zurück, zu gleicher Zeit wie ihre Landsleute, die aus
dem gegnerischen Lager kamen.
*) Wilhelm aus Hanau an Friedrich 20. Oktober; Instruktion für
Alt 19. Oktober 1743.
') Nach einem Bericht des Prinzen Georg (aus Laubeuheim b. Mainz
18. Oktober 1743) wurde dies deshalb rückgängig gemacht, weil die für
die Hessen bestimmten niederländischen Quai'tiere von den Hannoveranern
eingenommen wurden, mit deren Unterbringung im Kölnischen man mit
dem Kurfürsten nicht einig geworden war.
«) Vergl. Karls VII. Tagebuch S. 98. Dass Seckendorff den Entsatz
Ingolstadts, wie Pretiss (der Friede von Füssen S. 15 Anm. 1) meint,
leicht hätte bewerkstelligen können, ist, vollends wenn sich die Hessen
nicht beteiligten, sehr unwahrscheinlich; nach dem jämmerlichen Feldzug
in Bayern konnte der Marschall wahrhaftig nicht mehr viel Vertrauen
zu seinen Truppen haben, das Offizierskorps war nach Friedrichs II.
Zeugnis (Pol. Korr. II, 422) grösstenteils „pitoyable"; es war gewiss
besser, die letzten Truppen des Kaisers nicht der Vernichtung aus-
zusetzen.
*) Wilhelm aus Aachen an Donop 30. August, an Karl VII.
7. September 1743.
^) Wilhelm aus Aachen an Clement 30. August 1743.
77
So unnatürlich und unwürdig auch das doppelte Sold-
verhältnis des Kasseler Hofes war, so sehr Wilhelm beiden
Teilen gegenüber in Verlegenheit gekommen war, so scheint
ihm doch gar nicht der Gedanke gekommen zu sein, den
Ablauf des englischen Vertrags zu benutzen, um dieser
Zwitterstellung ein Ende zu machen. Die Anregung hierzu
ist von aussen an ihn herangetreten : im November berichtete
Donop, die französischen Diplomaten in Frankfurt, wie auch
Klingräffen, sprächen beständig davon, wie grosse Vorteile
der Kasseler Hof erlangen könne, wenn er den englischen
Vertrag nicht mehr erneuere*). Als sich der Prinz so von
beiden Seiten umworben sah — Villiers hatte ihm ja ähnliche
Andeutungen gemacht ^) — , stieg die Hoffnung in ihm auf,
es werde sich vielleicht Gelegenheit bieten, durch völligen
Übertritt zu einer der kriegführenden Parteien eine Gebiets-
erweiterung für Hessen zu erlangen. Dieser Gedanke war
von jetzt an massgebend für seine ganze Politik, wie er
sich früher von der Hoffnung auf die Kurwürde hatte leiten
lassen. Noch wusste er nicht, auf welche Seite er sich
stellen sollte: hier das seit alters mit Hessen befreundete,
glaubensverwandte England, das aber mit dem verhassten
Wiener Hof im engsten Einvernehmen stand, dort der hoch-
verehrte Kaiser, aber er in völliger Abhängigkeit von Frank-
reich^). So von beiden Seiten zugleich angezogen und ab-
gestossen, beschloss der Statthalter, sich derjenigen Partei
anzuschliessen, welche ihm die besten Aussichten auf einen
Gebietszuwachs geben würde ; mit anderen Worten : er wollte
sich an den Meistbietenden verkaufen. Der Prinz gab deshalb
Donop ^j und Alt^) Ordre zu sondieren, was er von der
*) Bericht Donops aus Frankfurt 19. November 1743.
«) Vergl. 8. 75.
^) Wilhelm an Friedrich 6. Dezember 1743 : ce n'est pas que je
me docide pour ce parti (England), quoiqu'il seit le plus naturel, mais
c'ost Tempereur, qui me cause le plus grand et le seul embarras, et
Ton ne peut Fabandonner.
*) Wilhelm an Donop 23. November 1743.
*) Wilhelm an Alt 25. November 1743: 11 est naturel que nous
tächions de nous garantir pour Tavenir d^une Situation aussi difficile (das
doppelte Soldverhältnis) et comme les subsidcs, quo nous avons tiros
jusqu' ici, ont ä la verite retabli nos finances mais no sauraieut procurer
78
Partei des Kaisers, beziehungsweise von England für den
völligen Übertritt Hessens zu erwarten habe ; den Finanzen,
schrieb er an Alt, sei durch die bisherigen Subsidien wieder
aufgeholfen, jetzt handle es sich darum, eine Gebietserweiterung
zu erlangen. Die Antworten Donops und Alts waren wenig
befriedigend für Wilhelm ; in Frankfurt bemühte sich zwar
Chavigny^), der neuernannte Gesandte Frankreichs beim
Kaiser, sehr um Donop, doch stellte er dem Kasseler Hof
ausser dem Kurhut und französischen Subsidien nichts Posi-
tives in Aussicht^); Carteret aber gieng auf Alts Anspielungen
gar nicht ein und wünschte nur zu erfahren, ob Wilhelm
den Subsidienvertrag unter den bisherigen Bedingungen zu
erneuern gedenke ^).
Fühlte sich der Prinz durch Carterets Schroffheit ver-
letzt, so wurde er andererseits dem übertritt zum Kaiser
durch sein Verhältnis zu Friedrich H. näher gebracht, mit
dem er über eine Union unter den Reichsständen und die
Aufstellung einer Neutralitätsarmee in Unterhandlung stand.
Der Kaiser hatte dieses alte Projekt Friedrichs H. im Sommer
wieder aufgegriffen, der König selbst aber wollte damals
— wohl wegen der schlechten Erfahrungen, die er im Früh-
jahr damit gemacht hatte — nichts davon wissen ^) ; als
sich jedoch nach dem Scheitern der Hanauer Verhandlungen
Prinz Wilhelm und zugleich der Mannheimer Hof in derselben
Angelegenheit an ihn wendeten, trat der König der Sache
näher; er Hess Wilhelm antworten, er möchte im Verein mit
dem Kaiser daran arbeiten, einige von den mächtigeren
Reichsständen für den Plan zu gewinnen ; sei dies geschehen,
so werde Preussen beitreten und im Frühjahr ein starkes
un agrandissement reol ä la niaisoD, quo cependant la Situation presente
de rAllemagno, qui parait devoir devenir oncore plus critiquo, pourrait
bien offrir dos occasions propres pour fairo des acquisitions convenables,
il est necessaire, de savoir de quelle fa9on l'Angleterre voudrait nous
aider ä en profiter et ce quo uous aurions ä esperer d'elle dans le temps
d'une pacificatioD generale.
*) Über Chavigny vergl. duc de Broglie^ Frederic II. et Louis XV,
II, 158-159.
') Berichte Donops vom 26. November und 10. Dezember 1743.
8) Bericht Alts vom 27. Dezember 1743.
*) Pol. Korn II, 386.
79
Kontingent zu der projektierten Armee stellen ^) ; dass Friedrich
die Neutralitätsarmee erst für das kommende Jahr wünschte,
hatte seinen Grund darin, dass er bei der damaligen Sachlage
die Einmischung der Engländer fürchtete ^). Der König selbst
bemühte sich, auf einer Reise an verschiedene deutsche Höfe
Teilnehmer für die Assoziation zu werben, aber der öster-
reichische Einfluss im Reich war wieder sehr gestiegen ;
weder bei seinen Schwägern in Baireuth und Ansbach, noch
bei Würzburg - Bamberg , Württemberg oder Gotha fand
Friedrich für seine Vorschläge Gehör ^). Dennoch gab der
König die Hoffnung nicht auf, dass sich ausser Pfalz und
Hessen noch weitere Theilnehmer finden würden ; französisches
Geld sollte die deutschen Fürsten für den Kaiser gewinnen;
Friedrich wünschte daher, dass der Kaiser ein Assoziations-
projekt nach Versailles schicken solle ^); er lud den Prinzen
Wilhelm im Interesse der Union nach Berlin ein und erwies
ihm zugleich die Aufmerksamkeit, ihm aus Charlottenburg
Porzellan zu schicken, welches dem Prinzen früher besonders
gut gefallen hatte ^). Der Statthalter nahm die Einladung
an und schickte Ende November Asseburg voraus nach
Berlin, um auszukundschaften, „wohin man dasigerseits ab-
ziele und was man sich dahero für das Haus zu versprechen
hätte" ; bei Gelegenheit sollte Asseburg darauf hinweisen, „ob
es nicht möglich sein könnte, durch Ihro Majestät Vermittelung
das alte Systema wieder zu retablieren und denen Seepuissancen
andere Mittel und Mächte ausser dem Hause Osterreich zur
Feststellung der Balance in Europa zu zeigen"®). Am
13. Dezember hatte Asseburg in Berlin eine längere Audienz
bei König Friedrich, über die er dem Statthalter ausführlich
berichtete ^) ; der König führte ihn in ein zweites Antichambre,
näherte sich dem Kamin und stand hier schweigend fast eine
') Pol. Korr. II, 403—404 ; vergl. Koser 1, 203.
^) Pol. Korr. II 404 453.
») Koser I, 202-204^ histoire de mon temps S. 300.
*) Pol. Korr. II, 425.
">) Pol. Korr. II, 409, 444, 446.
*) Instruktion für Asseburg 27. November 1743.
') Bericht Asseburgs aus Berlin Mitte Dezember 1743.
80
halbe Viertelstunde, das Gesicht gegen das Feuer gewendet,
wie um sich zu wärmen; dann kehrte er sich gegen Asseburg
und sagte : wenn man im Reich nicht Ordnung herstelle, so
sei Österreichs Despotismus zu befürchten und davon werde
Hessen vor allen betroffen werden ; er zähle daher bei seinen
Plänen besonders auf den Kasseler Hof; den Prinzen Wilhelm
betrachte er als den ersten Fürsten des Reichs; sei er dies
auch nicht an Macht, so habe er doch jedenfalls mehr Geist
als alle anderen oder vielmehr, er sei der einzige, der Geist
habe; er sei überzeugt, dass, wenn Wilhelm das Beispiel
gebe, die anderen bei dem Ansehen, das er geniesse, nicht
zögern werden, ihm zu folgen ^). Frankreich habe sich er-
boten, es dem Kaiser zu ermöglichen, dass er seine Truppen
auf 25000 Mann erhöhe; da aber dann das kaiserliche Heer
grossenteils aus neuangeworbener Mannschaft bestände, so
habe er in Versailles vorgeschlagen, man möchte den Kaiser
lieber Hilfstruppen anwerben lassen und habe dabei auf die
6000 jetzt in englischen Sold stehenden Hessen hingewiesen ^).
Mit diesen und den Kontingenten anderer Fürsten könne
man eine Neutralitätsarmee bilden, die nur defensiv auftreten
und die Vermittlung des Reichs ermöglichen solle. Sonst
werde Frankreich eines Tages den Kaiser seinem Schicksal
überlassen und mit der Königin von Ungarn Frieden schliessen ^).
Preussen werde sich auch dann noch gegen den Wiener Hof
halten können, nicht aber die anderen deutschen Staaten.
Asseburg dankte dem König für sein Vertrauen, erklärte
>) Je considere le prince Guillaume comme le premier Etat de
Pempire ; s'il n'en a pas les forces, il a toujours plus d'esprit que les
autres ou plutot le soul qui en ait et je suis persuade que, vu la justice que
tout le monde lui rend et la confiance qu'on a en lui, que les autres ne
balanceront pas de le suivre, aussitot qu'il voudra en donner Pexemple.
«) Vcrgl. Pol. Korr. II, 492; Friedrichs II. Kabinetssekrctär Eichel
sagt hier von den 6000 Hessen, dass sie recht tüchtige Soldaten seien.
Der Kaiser wollte übrigens Anfangs durchaus nichts von dem preussischen
Vorschlag wissen, sondern wünschte Erhöhung seiner eigenen Trappen
(recueii des instractions VII {BaviereJ S. 254 u. 255.
*) Je crains que sans cela la France ne jette enfin le bonnet sur
le moulin et ne diso aux princes d'Alleraagne : si vous ne voulez pas
soutenir votre empereur, je ne m'en melerai pas non plus et je ferai
mon accomodement avec la reine de Hongrie.
81
aber dann seiner Instruktion gemäss, der Kasseler Hof habe
sich sozusagen verpflichtet, den englischen Vertrag fort-
zusetzen. Der König zeigte darauf eine unzufriedene Miene
und sagte, er würde, wenn die 6000 Hessen in kaiserliche
Dienste träten, für pünktliche Bezahlung Sorge tragen. So-
bald die Neutralitätsarmee einmal da sei, werde er selbst
handeln und wer auf seine Pläne eingehe, werde es nicht zu
bereuen haben. Bald darauf traf Prinz Wilhelm selbst in
Berlin ein und blieb etwa 3 Wochen dort ; aber es gelang
dem König nicht, den Prinzen zum Bruch mit England zu
veranlassen ; wahrscheinlich verhielt sich Friedrich bezüglich
der von Wilhelm gewünschten „Vorteile für Hessen" zurück-
haltend. Auf die projektierte Union setzte der Statthalter
keine sehr grossen Hoffnungen, er rechnete ausser auf den
Kaiser, Preussen und Hessen nur auf Pfalz, Württemberg,
die fränkischen Markgrafen und Öchwedisch-Pommern, wo ja
sein Bruder Herzog war ; dabei fürchtete er, die Assoziation
werde die Seemächte verletzen und neuen Krieg anfachen;
die Neutralitätsarmee aber, meinte er, werde von jedem Teil-
nehmer zu seinem Schutz verlangt werden. Ausserdem miss-
traute der Prinz dem Hof von Versailles und hielt es für
nicht unmöglich, dass die Franzosen den Kasseler Hof bis
zum Ablauf des englischen Vertrags hinhalten wollten, um
die 6000 Mann auf diese Weise ausser Wirksamkeit zu
setzen oder sie selbst billiger zu bekommen ^). Auf Carterets
Anfrage, ob Hessen den Vertrag erneuere, antwortete der
Statthalter, im Herbst wäre ihm dies möglich gewesen, jetzt
aber sei sein Bruder, der König, dem die französische Partei
grosse Anerbietungen mache, dagegen und er könne für
nichts garantieren^). Wilhelm schrieb dies nur, um die
englische Regierung zu Zugeständnissen zu veranlassen, denn
am gleichen Tag schlug er seinem Bruder vor, den Vertrag
mit England noch auf 1 Jahr zu verlängern , damit man
dann im nächsten Jahr, wo auch der Vertrag mit dem Kaiser
>) Wilhelm aus ßerlin an Friedrich 7. Januar 1744.
«) Wilhelm aus Berlin an Alt 31. Dezember 1743 und 7. Januar 1744.
N. F. Bd. XXIII. 6
82
ablaufe, über sämtliche Truppen frei verfügen könne ^) ; der
König erklärte sich damit einverstanden, wenn er es auch
vorgezogen hätte, die Truppen an Holland oder an Preussen
zu geben ^).
So schien es zu Anfang des Jahres 1744, als werde der
Kasseler Hof vorerst noch in dem doppelten Soldverhältnis
verharren. Nun aber begann Chavigny, der mit viel Geschick
für die Sache Frankreichs und des Kaisers thätig war, sich
mit grossem Eifer zu bemühen, Hessen ganz auf die kaiser-
liche Seite herüberzuziehen. Er war im Dezember von Frank-
furt nach Paris gereist, um die französische Regierung zu
veranlassen, den deutschen Fürsten Subsidien zu bewilligen;
der preussische Gesandte am Versailler Hof, Chambrier, war
im gleichen Sinne thätig^). Chavigny hatte jedoch kein
leichtes Spiel ; der Staatssekretär des Auswärtigen, Amelot,
der jenseits des Rheins nur Lüge und Treulosigkeit sah, war
gegen die Bewilligung von Subsidien und überhaupt gegen
den Krieg in Deutschland ; wie könne man, meinte er, einem
Fürsten wie Wilhelm von Hessen trauen, der, nachdem er
Jahre lang reichliche Subsidien von England bezogen habe,
jetzt zur Gegenpartei überzugehen gedenke?*) Auch der
Finanzminister Orry sprach aus naheliegenden Gründen
gegen Chavigny^). Aber, unterstützt vom Herzog von
Noailles, errang dieser schliesslich doch den Sieg und kehrte
Ende Januar mit der Vollmacht zum Abschluss der pro-
jektierten Union und mit einem Credit von 10 Millionen
Francs nach Frankfurt zurück^). Noch ehe er ankam, liess
der Kaiser, von Chavignys gutem Erfolg unterrichtet, dem
Prinzen Wilhelm mitteilen, der Versailler Hof werde ihn in-
standsetzen, die 6000 Hessen in Sold zu nehmen, der Prinz
möchte also den englischen Vertrag nicht erneuern ');
*) Wilhelm aus Berlin an Friedrich 7. Januar 1744.
«) Friedrich an Wilhelm 28. Januar 1744.
8) Pol. Korr. 11, 492; vorgl. II, 431—432.
*) Broglie, Frederic II. et Louis XV, II, 165.
») Pol. Korr. III, 21.
6) Broglie, II 164-165.
') Bericht Donops 18. Januar 1744; vergl. Karls VII. Tagebuch S. 110 .
83
Chavigny, der schon von Paris aus an Wilhelm geschrieben
hatte '), machte sich, unterstützt von Klinggräflfen und den
kaiserlichen Ministern, sofort nach seiner Rückkehr daran,
den Kasseler Hof zu gewinnen; der Statthalter, erklärte er
Donop, werde beim Kaiser und bei Prankreich mehr Unter-
stützung finden, als einst Landgraf Karl auf dem Utrechter
Kongress^) in Bezug auf Rheinfels bei Karl VI.; Hessen
müsse greifbare Vorteile (des avantages reels) bekommen,
Wilhelm solle nur Propositionen machen ; in Versailles
wünsche man sehr, die seit über 60 Jahren zwischen Frank-
reich und Hessen bestehenden ,, Missverständnisse'' beizulegen.
Zugleich schickte Chavigny dem Prinzen durch Donop ein
Projekt für die Union, worin er statt der von Friedrich II.
gewünschten Assoziation der Kreise, die zu viel Zeit kosten
würde, eine Liga nach dem Muster des Rheinbunds von 1658
vorschlugt). Wilhelm, der überzeugt war, dass ein derartiger
Bund nur Frankreich zugutekäme, war durchaus nicht ein-
verstanden mit dem Projekt*), ebenso wenig der König von
Preussen ^), der ausserdem über das lange Zögern der fran-
zösischen Regierung, die 6000 Hessen anzuwerben, sehr un-
gehalten war und befürchtete, diese seien jezt bereits wieder
an England vergeben ^). Hatte Chavignys Unionsprojekt nicht
Wilhelms Beifall, so machten dagegen seine übrigen Er-
öffnungen grossen Eindruck auf den Prinzen; er Hess daher
Donop Mitte Februar zu einer Besprechung nach Kassel
kommen '^) ; Chavigny bot durch ihn dem Statthalter für
seinen Übergang zum Kaiser Folgendes: Frankreich stimmt
der hessischen Kurwürde zu, unterstützt den Kasseler Hof,
eine Gebietserweiterung zu erlangen, bewilligt den 6000
*) Chavigny aus Paris an Wilhelm 18. Januar 1744.
2) Chavigny meinte den Rastatter Kongress ; in Utrecht hatte Land-
graf Karl Rheinfels von den Seemächten und Frankreich zugesprochen
bekommen (v. Stamford, das Regiment Prinz Maximilian von Eessen-
Cassel 1717-1720. S. 28).
*) Bericht Donops 4. Februar 1744 mit Memoire Chavignys.
*) Wilhelm an Donop 8. Februar 1744.
^) Droysen Y, 2, 237—239.
«) Pol. Korr. III, 22, 23, 31.
^) Friedrich II. wies KlinggräEFen an, ihm über das Resultat von
Donops Reise zu berichten (Pol. Korr. III, 33).
6 *
84
Mann — und eventuell noch weiteren 2000 — die gleichen
Subsidien wie bisher England und zahlt einen Teil davon
auch im Frieden ^). Wilhelm schrieb nach Stockholm, die
Anerbietungen seien sehr verlockend ^) ; doch war er noch
keineswegs entschieden, mit England zu brechen ; eben jetzt
traf ein Schreiben von Carteret in Kassel ein, die 6000
Hessen sollten sich bereit halten, nach den Niederlanden zu
marschieren ^). Der Prinz antwortete zwar zustimmend — er
gab auch Prinz Georg Ordre, alles zum Abmarsch vor-
zubereiten*) — , verlangte aber zugleich von England Zahlung
der rückständigen Gelder und erklärte, er habe Ordre von
seinem Bruder, den Vertrag mit England nicht zu erneuern
ohne die Zusage eines greifbaren Vorteils (avantage reel) und
die Garantie, dass nie Hessen gegen Hessen verwendet
würden,^). Carterets Schreiben Hess Wilhelm durch Donop
in Frankfurt bekannt geben, um dadurch für seine Forderungen
eher Gehör zu finden ; zugleich verlangte er vom Kaiser die
Zusicherung folgender „Vorbedingungen": Der Kaiser bezahlt,
ehe hessischerseits irgend eine Erklärung in England gemacht
wird, im voraus für 1 Jahr die gleichen Subsidien wie bis-
her England und diese Gelder verbleiben, auch wenn der
Subsidienvertrag mit dem Kaiser nicht zustandekommt, dem
Kasseler Hof, damit diesem das Truppenkorps nicht zur Last
fällt; ausserdem verpflichtet sich der Kaiser, auch die von
England rückständigen Subsidien zu bezahlen®)* Karl er-
klärte sich einverstanden, wies aber Donop wegen der
*) Die französische Kegierung hatte gehofft, für 1 Million Gulden
6O0O oder 8000 Hessen in Sold nehmen zu können ; letzteres hätte etwa
dem bayerisch-hessischen Vertrag von 1742 entsprochen, und diesen sollte
Chavigny nach seiner Instruktion zum Vorbild nehmen oder womöglich
noch weiter heruntergehen, da sich ja die Verwendung der Hessen gegen
Österreich mit dem politischen Vorteil des Kasseler Hofes deckte.
Friedenssubsidien sollte Cbavigny in Aussicht stellen, um den Statthalter
dadurch zu billigen KriegSbubsidien geneigt zu machen und um Hessen
auch für die Zeit nach dem Frieden an den Versailler Hof zu fesseln
(recucil des Instructions VII, 242—243).
2) Wilhelm an Friedrich 18. Februar 1744.
3) Carteret an Wilhelm 10. Februar 1744.
^) Wilhelm an Prinz Georg 20. Februar 1744.
ö) Wilhelm an Carteret und an Alt 20. Februar 1744.
®) Instruktion für Donop 21. Februar 1744.
85
Zahlungen an Chavigny, „da dies nicht von ihm abhänge/*
Dieser jammerte zwar über die Höhe der geforderten Summe ^) —
Subsidien, Sold und ausserordentliche Ausgaben betrugen
für die 6000 Mann im Jahr 1184461 Thaler — , erklärte
sich aber schliesslich bereit darauf einzugehen und verstand
sich auch dazu, dass die 6000 Mann mit Frankreich nichts
zu thun haben, sondern lediglich zum Wohl des Reichs ver-
wendet werden sollten ^). Der Kaiser Hess Wilhelm sagen,
er betrachte diesen Tag als den glücklichsten seines Lebens.
Aber Chavigny hatte seine Hintergedanken: er entwarf eine
scheinbar ganz harmlose Präliminarkonvention ^), durch deren
Unterschrift sich aber Wilhelm im voraus gebunden hätte,
in die Union einzutreten und die 6000 Mann dem Kaiser in
Sold zu geben; um die Vorteile, die er durch seinen Über-
tritt zu erlangen gedachte, wäre es, wenn man seiner sicher
war, natürlich geschehen gewesen. Aber der Prinz, stets
voll Misstrauen gegen Frankreich, verwarf die Präliminar-
konvention vollständig und erklärte Chavigny durch Donop,
vor Erfüllung seiner Vorbedingungen könne überhaupt von
nichts Schriftlichem die Rede sein*). In diesen Tagen schickte
Carteret die Marschordre für die 6000 Mann nach den Nieder-
landen und sprach zugleich die Hoffnung aus, der Kasseler
Hof werde jetzt den Vertrag erneuern^); Wilhelm, der die
Marschordre nur für ein Mittel hielt ihn hierzu zu bringen,
erwiderte, die 6000 Mann werden nicht marschieren, ehe die
rückständigen Gelder von England bezahlt seien ^). Natürlich
schickte er die Marschordre sofort nach Frankfurt, wo sie
ihren Eindruck nicht verfehlte ^). Chavigny unterschrieb nun
am 2. März ein von Willielm verfasstes Schriftstück, wodurch
») Vergl. Karls VII. Tagebuch S. HO.
*) Bericht Donops 23. Februar 1744 (Jamals sous les drapeaux de
la France, mais pour le bion et le repos de i'Empirc).
^) Es hiess darin : um Hessen zu ermöglichen, die 6000 Mann aus
dem englischen Sold zu ziehen und zum Besten dos Kaisers und der
Union, an welcher Hessen teilnimmt, zu verwenden, verpflichtet sich
Frankreich etc. (Bericht Donops vom 24. Februar 1744).
*) Wilhelm an Donop 26. Februar 1744.
°) Carteret an Wilhelm 21. Februar 1744.
®) Wilhelm an Carteret und an Alt 1. März 1744.
7) Bericht Donops 2. März 1744.
86
er sich verpflichtete, innerhalb von drei Wochen dem Kaiser
für die Freimachung (degagement) der 6000 Hessen 1184461
Thaler in guten Wechseln zu liefern und ihm in spätestens
6 Monaten die Zahlung der englischen Rückstände zu er-
möglichen; dagegen versprach Wilhelm im Namen seines
Bruders, des Königs, nach Übergabe der Wechsel sich sofort
von England loszusagen und Donop zu bevollmächtigen, über
einen Vertrag mit dem Kaiser zu verhandeln ; wenn dieser
zustandekäme, sollte Frankreich den Kaiser instandsetzen,
die hessischen Truppen ebenso zu bezahlen, wie bisher
England '). Man sieht, wie sehr Wilhelm es vermied, sich
in irgend welcher Weise vorher zu binden. Doch rückte der
Prinz, der sich auch an den Verhandlungen über die Union
lebhaft beteiligte, der kaiserlichen Partei immer näher; ein
Beweis dafür ist, dass er nun seinem Bruder Georg schrieb,
die Kavallerie solle, da sich der Marsch der 6000 Mann noch
hinausziehen werde, wieder in ihre Quartiere zurückkehren ^).
Aber gerade jetzt erfuhr Wilhelm von den Vorkehrungen des
Versailler Hofs, dem Stuart Karl Eduard eine Landung in
Grossbritannien zu ermöglichen, und diese Nachricht schreckte
den Prinzen wieder von einem Bruch mit England zurück.
Nun könne er, schrieb er an Donop, mit dem Kaiser nicht
mehr weiter verhandeln und noch weniger zu Frankreich in
irgend welche Beziehungen treten ; denn durch dieses Projekt
drohe dem ganzen Protestantismus Gefahr. Ausserdem könne
er die allerdings sehr entfernte Aussicht seines Hauses
auf den englischen Thron ^) nicht selbst mit zerstören helfen.
Diese Aussicht sei der einzige Gewinn, den man von einer
*) .,Assurances" vom 28. Februar, am 2. März von Chavigny unter-
schrieben.
*) Wilhelm an Prinz Georg 8. März 1744.
*) Diese Aussicht war allordings sehr entfernt; denn Maria von
England, die Gemahlin des hessischen Erbprinzen, hatte nicht nur 2
Brüder, von denen der ältere selbst schon 4 Kinder hatte, sondern auch
3 Schwestern, die ihr im Alter vorangiengen ; 2 von diesen waren aller-
dings unverheiratet, eine aber, die Prinzessin von Uranien, hatte ein
Kind. Aber freilich waren, was Erbfolge betrifft, oft schon die un-
wahrscheinlichsten Fälle eingeti'eten ; wie war das Haus Hannover in
England zur Krone gelangt!
87
englischen Heirat habe; denn die Mitgift sei massig und ihr
Genuss den Prinzessinnen selbst vorbehalten. Wenn ein
Schwiegersohn des Königs Anlass zur Unzufriedenheit gebe,
so könne durch eine Parlamentsakte seine Nachkommen-
schaft von der Thronfolge ausgeschlossen werden. Die pro-
jektirte Union werde durch die Stuart'sche Expedition in
Frage gestellt; denn dadurch Hessen sich viele Fürsten ab-
schrecken, Gotha werde nun mit Holland abschliessen.
Donop solle unvorztiglich um eine Audienz beim Kaiser bitten
und auch Chavigny erklären, dass nun die ganze Sachlage
verändert sei ^). Karl, der das Stuart'sche Projekt selbst
missbilligte ^), war über diese Wendung bei Wilhelm sehr
niedergeschlagen; er versprach, beim Versailler Hof dahin zu
wirken, dass man das Projekt aufgebe, und Hess den Statt-
halter dringend bitten, nichts zu überstürzen ^). Trotzdem
Hess dieser Carteret durch Alt melden, da es mit einer Landung
Karl Eduards Ernst zu werden scheine, so biete er die
6000 Mann zur Verteidigung Englands an, und zwar nicht
nur bis zum Ablauf des Vertrags, sondern für die ganze
Dauer der Gefahr^). Wilhelm glaubte übrigens, wie er an
Donop schrieb, nicht, dass sein Anerbieten angenommen werde ;
er wusste, dass englischerseits schon 6000 Holländer requiriert
waren, und dachte, die Nation werde nicht noch mehr fremde
Truppen im Land haben wollen ; aber er musste doch da-
rauf gefasst sein, dass, wenn der Stuart viel Anhang in
England fand, man ihn beim Wort nehmen werde ; dass es
ihm wirklich Ernst war mit seinem Anerbieten, beweist sein
Befehl an Donop, Chavigny's Zahlung vorerst noch hinzu-
halten. Der Statthalter gedachte übrigens für den Fall, dass
die 6000 nach England abgiengen, dennoch der Union bei-
zutreten, da er die Stuart'sche Expedition als eine Sache
ganz für «ich betrachtete^), wie er ja auch die Truppen
») Wilhelm an Donop 10. März 1744, vergl. Broglü II, 211.
«) Karls VII. Tagebuch S. 113.
») Bericht Donops 13. März 1744.
*) Wilhelm an Alt 16. März 1744.
*) Wilhelm an Donop 17. März 1744.
88
lediglich zur Verteidigung Englands angeboten hatte. Wie
wenig er seine sonstige Politik von der Stuart'schen An-
gelegenheit abhängig machte, zeigt, dass er gerade damals
mit dem kaiserlichen Hof über den Feldzugsplan verhandelte ^).
Wilhelm teilte sein Anerbieten an England sowohl in Frank-
furt als in Berlin mit. In Frankfurt war namentlich Chavigny
sehr bestürzt darüber und gab sich die grösste Mühe, den
Prinzen zu beruhigen ^j. Auch Friedrich IL, der vergeblich
versucht hatte, Wilhelms Bedenken über die Stuart'sche
Expedition zu zerstreuen^), war sehr unangenehm berührt;
er hatte schon sicher auf Hessen gerechnet und fürchtete
nun, Carteret werde die 6000 Mann festhalten*); der König
antwortete dem Statthalter in ziemlich unfreundlicher Weise
(d'une maniere assez seche) ^), gab jedoch die Hoffnung nicht
auf, ihn bei der kaiserlichen Partei zu erhalten, übrigens
hatte unterdessen der Versailler Hof das Stuart'sche Projekt,
nachdem in der Nacht vom 6. auf 7. März die Transport-
flotte durch einen Sturm zerstört worden war, aufgegeben^).
Am 6. April kam Carterets Antwort auf Wilhelms Anerbieten :
in England selbst habe man für die Hessen keine Verwendung,
da bereits 6000 Holländer requiriert seien ; man hoffe aber,
dass die Hessen nach den Niederlanden marschieren und dass
der Vertrag erneuert werde '^). Der Prinz erwiderte, nach
den Niederlanden könne er bei der dermaligen Lage in
Deutschland die 6000 Mann nicht schicken und auch den
Vertrag könne er nicht erneuern, da er die Truppen voraus-
sichtlich zur Sicherheit des eignen Landes nötig habe^).
„Nun ist das Eis gebrochen'*, schrieb Wilhelm am gleichen
Tage an Donop®) und liess bald darauf dem Kaiser und
») Bericht Donops vom 28. März, Karl VII. an Wilhelm 29. März,
Wilhelm an Karl VII. 31. März 1744.
«) Berichte Donops vom 21 und 23. März 1744.
«) Pol. Korr. III. 60-61.
4) Pol. Korr. III, 74—75.
») Pol. Korr. III, 73; vergl. III, 75.
ß) Comto de Pajol, les guerres sous Louis XV, VI, 170—171.
7) Carteret an Wilhelm 27. März 1744.
8) Wilhelm an Carteret 7. April 1744.
«) Wilhelm an Donop 7. April 1744.
89
Chavigny*) seine Absage an England mitteilen und letzteren
um die Übergabe der Wechsel ersuchen ^). Chavigny suchte
wieder vergeblich durch die Fassung der Quittung Wilhelm zum
Vertrag mit dem Kaiser im voraus zu verpflichten; schliesslich
lieferte er aber am 29. April die Wechsel an Donop aus ^).
Unterdessen waren die Verhandlungen über die Union
schon weit vorgeschritten ; im Februar entwarf Chavigny
mit dem kaiserlichen Minister Graf Bünau *) ein Projekt,
das jedoch Wilhelm für gänzlich verfehlt hielt, da Frankreich
darin als aktiver Teilnehmer an der Union gedacht war.
Der Prinz dagegen wünschte nur eine Verbindung der Reichs-
fürsten mit dem Kaiser und unter einander ; erst wenn dieser
Bund einmal geschlossen sei, meinte er, könne man eventuell
noch andere Mächte zum Beitritt auffordern^). Friedrich
von Preussen, dem Wilhelm seine Ansicht über Chavignys
Plan mitteilte, gab ihm vollständig Recht ; der König schrieb
dem Prinzen am 9. März, er wünsche eine Union unter den
„wohlgesinnten" Reichsständen — von einer Kreisassoziation
war er zurückgekommen — , und zwar solle der Vertrag in
„ganz unschuldigen und allgemeinen Ausdrücken'^ abgefasst
werden, so dass man ihn jedermann, sogar der Königin von
Ungarn, mitteilen könne; Frankreich aber solle erst nach
Abschluss der Union zum Beitritt aufgefordert werden, und
zwar erst, wenn es eine energische Kriegführung beginne.
Der König fügte bei, er werde Klinggräffen Ordre geben, in
allem gemeinsam mit Donop vorzugehen ^), und versprach,
») Auch Friedrich IL teilte er es mit (Pol. Korr. 111, 103, vergl. 111,
98 und 101).
«) Wilhelm an Donop 14. April 1744.
8) Bericht Donops 30. April 1744; nach Droysen V, 2, 265 hat
Graf Rothenburg, der damals von Friedrich nach Paris geschickt worden
war, zur Auszahlung des Geldes beigetragen.
^) Broglie (S. 270) nennt irrig den hessischen Gesandten als Mit-
arbeiter Chavignys.
6) Wilhelm an Donop 26. Februar 1744.
®) Klinggräffen wurde wirklich später angewiesen d'agir confi-
demment avec ce general Donop, doch sollte dieser von den geheimen
Abmachungen Friedrichs mit dem Kaiser und Frankreich nichts erfahren
(Pol. Korr. III, 102); Donop wusste übrigens, dass der König mit dem
Kaiser über die Abtretung eines Teils von ßöhmen verhandeln liess
(Berichte Donops vom 16. März und 7. April 1744),
90
Hessen, wenn es wegen seiner Stellungnahme angegriffen
werde, mit aller Macht zu unterstützen ; zugleich sandte
er Wilhelm die Kopie eines von ihm entworfenen Plans
für die Union, den er wenige Tage vorher an Klinggräffen
geschickt hatte ^). Der Prinz war mit diesem Projekt
völlig einverstanden^) und als der Kaiser und Pfalz ^) es
— mit unbedeutenden Modifikationen*) — ebenfalls genehmigten,
gab er Donop am 25. April Vollmacht, die Union — doch
nicht vor Klinggräffen — zu unterzeichnen^).
Indessen hatte Wilhelm Projekte entworfen für die
zugleich mit der Union zu schliessenden Partikularverträge
Hessens mit dem Kaiser, Preussen und Frankreich ; was diese
drei Mächte für Hessen stipulieren würden, war ja für ihn die
Hauptsache; zuerst teilte er die 3 Projekte Friedrich H. mit.
Der Prinz verlangte im Vertragsprojekt mit Preussen ^), dass
der König den Partikular vertrag Hessens mit dem Kaiser
garantieren und besonders für pünktliche Bezahlung der
kaiserlichen Subsidien seitens Frankreichs Sorge tragen solle.
Ausserdem sollte Friedrich IL beim Friedensschluss als conditio
sine qua non festsetzen, dass das hessische Haus nicht nur
die Kurwürde erhalte, sondern auch „zu desto besserer deren
Unterhaltung*', wenn es zu einer Säkularisation käme, das
Bistum Paderborn, die Abteien Fulda und Corvey und die 4
in Hessen liegenden mainzischen Städte Fritzlar, Naumburg,
Neustadt und Amöneburg; wenn aber keine Säkularisation
stattfände, die Reichsstädte Frankfurt, Wetzlar, Friedberg
und Mühlhausen und die 4 mainzischen Städte sowie das
Eichsfeld, wofür der Kurfürst von Mainz anderweitig ent-
1) Pol. Korr. III, 53-55; vergl. III, 49-53.
«) Wilhelm an Donop 14. März 1744.
8) Bericht Donops vom 18. April 1744.
*) Vergl. Pol. Korr. III, 52 Anmerkung.
») Wilhelm an Donop 25. April 1744.
6) Gedruckt Pol. Korr. III, 113—14 mit den von Friedrich II.
für Klinggräffen dazu gemachten Bemerkungen; letztere waren von
Friedrich II., dessen Schreiben an Klinggräffen über Kassel ging, auch
für Wilhelm selbst bestimmt, während er sich in dem an den Prinzen
gerichteten Brief ganz allgemein ausdrückte. Das Bündnisprojekt wird
erwähnt von Hermann Meyer, der Plan eines evangelischen Fürstenbunds
im 7jährigen Kriege S. 24, Anm. 4.
91
schädigt werden sollte. Wahrlich, der Statthalter machte
für den Übertritt von 6000 Mann, die ausserdem sehr gut
bezahlt wurden, keine kleinen Ansprüche. Nach P^ulda,
Paderborn und Corvey streckte das hessische Haus freilich
schon lange die Hand aus und hatte sie auch während des
30jährigen Kriegs wirklich längere Zeit im Besitz gehabt*).
Man sieht übrigens, dass der Gedanke an Säkularisationen
zur Zeit Karls VII. überall in der Luft lag; hatte Wilhelm
dem Kaiser früher dringend abgeraten hieran zu rühren, so
war dies lediglich geschehen, um Karl vor dem Odium eines
Kirchenräubers zu bewahren, thatsächlich stand der Prinz
schon vollständig auf dem Boden der revolutionären Politik,
durch die später im Reichsdeputationshauptschluss das alte
Reich umgestaltet wurde. Wie wenig Wilhelm speziell an
das Reich dachte, sieht man daraus, dass er es für möglich
hielt, Frankfurt, die Wahl- und Krönungsstadt der deutschen
Kaiser, und Wetzlar, den Sitz des Reichskammergerichts, zu
hessischen Landstädten zu machen. Der König von Preussen
erklärte sich bereit, dem Kasseler Hof alles zuzusagen,
worüber dieser mit Frankreich einig werde; er verhehlte
Wilhelm nicht, dass er den Gewinn der geistlichen Herr-
schaften kaum für möglich halte, eher noch nach einem
glücklichen Krieg die Mediatisierung von Reichsstädten^); der
König wünschte sich in diesem Fall das preussische Werbe-
recht vorzubehalten. Friedrich hatte früher sehr wenig auf
eine Allianz mit Hessen gehalten ^), jetzt schlug er die Bundes-
genossenschaft des Kasseler Hofes viel höher an, wozu wohl
neben Wilhelms Eingehen auf die Reichspolitik des Königs auch
des Statthalters 2 maliger Aufenthalt in Berlin beigetragen
hat. Um das hessische Haus noch mehr an sich zu fesseln,
schlug Friedrich auch eine neue Hei rats Verbindung mit dem
seinigen vor^): Markgraf Karl von Brandenburg-Schwedt
1) RommeU Geschichte von Hessen, VllI, 183 f. und 762 f.
*) 14 Tage später schreibt der König an Klinggräffen, er halte auch
dies nicht für möglich (Pol. Korr. III, 137.)
8) Vergl. S. 57.
*) Histoire de mon temps S. 312; die erste Frau Landgraf Friedrichs,
des schwedischen Königs, war, wie auch die Mutter Landgraf Karls, eine
92
verlobte sich mit des Statthalters einziger Tochter Marie
Amalie ^). Der König benutzte seinen Einfluss auf Wilhelm,
um ihn zu veranlassen, die 3000 in bayerischem Sold stehen-
den Hessen zur kaiserlichen Armee marschieren zu lassen.
Es war nämlich geplant, dass Seckendorff, dessen Truppen
in Franken überwintert hatten, bei Philippsburg die hessischen
und pfälzischen Hilfsvölker an sich ziehen und so lange dort
verweilen solle, bis die Franzosen eine kräftige Offensive
begännen; dann sollten die Kaiserlichen nach Bayern vor-
rücken ^). Der Statthalter war aber nicht damit einverstanden,
dass zu Seckendorffs Armee auch 12000 Franzosen stossen
sollten, und fürchtete ausserdem, der Krieg könnte sich von
Philippsburg — die Österreicher standen am Neckar — aufs
linke Rhein ufer hinüberziehen ; er wünschte daher seine
Truppen erst dann mit Seckendorff zu vereinigen, wenn
dieser gegen Bayern vorgehe^); als sich aber der König von
Preussen den Vorstellungen des kaiserlichen Hofes anschloss,
gab Wilhelm General Clement doch Befehl, mit den 3000
Mann nach Philippsburg zu marschieren^).
Indessen verhandelte Donop in Frankfurt über die mit
dem Kaiser und mit Frankreich zu schliessenden Partikular-
verträge ^). Chavigny erklärte ihm, sein Hof könne aus
Rücksicht auf den Kaiser Hessen keine geistlichen Gebiete
zusagen, in Bezug auf Reichsstädte zeigte er sich eher
geneigt; auf das Verlangen, dass Frankreich die hessische
Kurwürde befördern möchte, gieng er sofort ein, nach einigem
Zögern auch darauf, dass Hessen noch nach Beendigung des
Kriegs eine Zeit lang Subsidien für 9 — 10000 Mann vom
Versailler Hof erhalten solle®). Im Projekt zu dem Vertrag
brandenburgische Prinzessin gewesen und der erste preussische König
hatte in erster Ehe eine hessische Prinzessin zur Frau.
*) Marie Amalie starb noch als Braut zu Ende des Jahres 1744.
A Der Feldzugsplan wurde am 28. März an Wilhelm geschickt.
^) Wilhelm an Donop 31. März und 30. April, an Seckendoi*ff
30. April 1744.
*) Pol. Korr. III, 112; Seckendorff aus Frankfurt an Wilhelm
28. April, Wilhelm an Donop 4. Mai 1744.
^) Die Projekte schickte Wilhelm am 28. April an Donop.
®) Bericht Donops vom 5. Mai 1744; als Chavigny mit Beziehung
auf die FriedeDsubsidien fragte, ob man dann nicht dafür die Kriegssubsidien
93
mit dem Kaiser hatte der Statthalter die zu erlangenden
Gebiete nicht mit Namen angeführt wegen etwaiger Skrupel
Karls vor Säkularisationen ') ; Preussen und Frankreich gegen-
über aber gedachte er sich nicht mit der Zusage einer Ge-
bietserweiterung im Allgemeinen zu begnügen; wenn die
von ihm vorgeschlagenen Gebiete, schrieb er an Donop^
Chavigny und Klingräffen nicht genehm seien, so möchten
sie andere vorschlagen ; der Zuwachs müsse entweder Hessen
gut arrondieren oder beträchtlich sein; Donop könne, wenn
man keinen Ausweg finde, — von sich aus — die Aufmerk-
samkeit auf die alten Ansprüche des hessischen Hauses auf
das Herzogtum Brabant lenken ; das würde bei keinem
deutschen Hof Ärgernis erregen^). Nachdem lange vergeb-
lich über die hessische Gebietserweiterung verhandelt worden
war, griff Donop zu diesem Auskunftsmittel und fand allge-
meinen Beifall ^) ; Wilhelm aber, der noch nicht nachgeben
wollte und wohl einsah, dass er Brabant doch nicht bekommen
werde, gab Donop Ordre zu sagen, er, der Prinz, habe diesen
Vorschlag nicht gebilligt; ausserdem verlangte er jetzt noch,
dass seine 6000 Mann erst dann zur kaiserlichen Armee
stossen sollten, wenn diese im Reich vorgehe; darauf sollte
Donop unter allen Umständen bestehen*). Indessen hatte
der König von Preussen, der übrigens über die hessischen
Ansprüche ungehalten war, sich entschlossen, seine Zu-
ermässigen könne, schrieb Wilhelm an Donop (9. Mai), davon dürfe keine
Rede sein; „cola pourrait etre d'une dangereuse consequence, si nous
nous raccrochons jamais avec l'AngleteiTe; oette derniere raison est pour-
tant meilleur ä penser qu' ä dire!"
1) Wilhelm an Donop 28. April 1744.
*) Wilhelm an Donop 12. Mai 1744. Der im Herzogtum Brabant regie-
rende Zweig des brabantischen Hauses starb im Jahr 1355 mit Johann lil.,
einem Urgrossneffen Heinrich des Kindes, des Stifters der hessisch-bra-
bantischen Linie, aus, doch ist nicht nachweisbar, dass Hessen damals
Erbansprüche machte. Johanns Tochter Johanna, deren Ehe mit Wenzel
von Luxemburg kinderlos war, setzte Anton, einen Sohn Philipps des
Kühnen von Burgund, als Enkel ihrer Schwester Margareta zum Erben
ein ; als Antons Söhne, Johann und Philipp, beide kinderlos starben, folgte
1430 deren Vetter Philipp der Gute von Burgund; der Protest Ludwigs
dos Friedsamen von Hessen war vergebhch. {Rommel, II, 33—51 und
IX, 15 ; Ottokar Lorenx, Genealogischer Hand- und Schulatlas Tafel XIV.).
8) Bericht Donops 18. Mai 1744.
*) Wilhelm an Donop 21. Mai 1744.
94
Stimmung zu einem Geheimartikel des ünionsvertrages 2U
geben, der die Einladung zum Beitritt Frankreichs als Garant
des Westfälischen Friedens enthielt ^) ; auch auf kaiserlicher
und pfälzischer Seite war man damit einverstanden ; Wilhelm
aber, dem nach der Kriegserklärung des Versailler Hofes an
Österreich der Beitritt Frankreichs zur Union doppelt unan-
genehm war ^), suchte diesen wenigstens noch hinauszuziehen,
wenn er auch einsah, dass Hessen schliesslich nachgeben
müsse ^). Da Donop keine Vollmacht für den Geheimartikel
erhielt, so beschloss man, die Union allein zu unterzeichnen ;
es geschah dies am 22. Mai durch Törring, Klinggräffen, den
pfälzischen Gesandten von Wachtendonck und Donop. Darauf
erklärte dieser, Wilhelm gehe auf das Auskunftsmittel mit
Brabant nicht ein ; wieder wurde lange beraten, wobei von
Seiten Chavignys vorgeschlagen wurde, Hessen einen Teil
von Hannover zu versprechen ; auf Wilhelms Forderung in
Betreff des Marschs der Truppen erklärte Törring sich nicht
einlassen zu können*). Auch am Tag darauf wurde keine
Einigung erzielt; der Kaiser Hess Donop rufen, um ihm zu
sagen, wie sehr er diese Schwierigkeiten bedauere^). Dieser
fürchtete schon, es werde sich alles zerschlagen ; man gebe
ihm zu verstehen, schrieb er an Oberstlieutenant von Miltitz,
der Kasseler Hof wolle nur das Geld einstecken und dann
wieder zu England zurückkehren ; die Ehre des Statthalters
stehe auf dem Spiel, wenn der Versailler Hof die Verhand-
lungen abbreche und dann verbreite, der Vertrag sei nicht
zustandegekommen, weil Hessen Ansprüche erhoben habe,
die gegen die Reichsverfassung verstiessen ; der Kasseler Hof
werde es noch mit allen Parteien verderben ^). Aber Wilhelm
lenkte nun. ein : am 26. Mai schickte er Donop die Vollmacht
n Pol. Korr. II, 137-138, vergl. 139, 150; über die frühere
Stellung des Königs zum Beitritt Frankreichs s. S. 89.
*) Wilhelm an Friedrich 26. Mai 1744; die Kriegserklärung war
am 26. April erfolgt.
») Wilhelm an Donop 19. Mai 1744.
*) Bericht Donops 24. Mai 1744; Wilhelm instruierte darauf Donop,
sich auf die Zusage hannoverischen Gebiets keinenfalls einzulassen.
») Bericht Donops 25. Mai 1744.
«) Donop an Miltitz 25. Mai 1744.
95
2ur Einladung Frankreichs und schrieb zugleich an den
Kaiser, er sei entschlossen, mit allem nachzugeben ausser
mit dem Marsch der 6000 Mann ; er könne sein Land nicht
von Truppen entblössen, denn es sei zu erwarten, dass die
Österreicher, wenn sie von seinem Eintritt in die Union er-
führen, Hessen nicht mehr schonen würden. An Donop
schrieb er, lieber zahle er das empfangene Geld zurück, als
dass er den Ruin des Vaterlandes riskiere ^). Am Tag zuvor
hatte der Statthalter Asseburg zu Friedrich II. geschickt,
der sich damals in Pyrmont befand ; er hielt dem König
gegenüber die namentliche Nennung der Gebietserweiterung
noch aufrecht, doch wohl nur, um seine Fürsprache bezüglich
des Marsches der 6000 desto sicherer zu erhalten. Und
diesen Zweck erreichte er auch: Friedrich erklärte es zwar
in seinem Antwortschreiben für unmöglich, Hessen geistliche
Herrschaften oder Reichsstädte zuzusagen, hielt aber die
Forderung Wilhelms, seine Truppen vorerst noch zum Schutz
des Landes zu behalten, für berechtigt; ausserdem glaubte
er Seckendorffs Armee auch ohne die 6000 Hessen hinlänglich
stark, um sich bei Philippsburg zu halten, und andererseits
zur Offensive auch mit ihnen zu schwach; der König Hess
daher dem Kaiser und Chavigny mitteilen, seiner Ansicht
nach könne man die Hessen in ihrem Land lassen, bis er selbst
seine Operationen beginne und die Österreicher sich zurück-
zögen ^). Friedrichs Eingreifen war nicht mehr nötig ; Wilhelms
Brief an den Kaiser hatte in Frankfurt Eindruck gemacht und
am 30. Mai war in einer Konferenz bei Törring endlich eine
Einigung erzielt worden ; der Artikel über die 6000 Mann
wurde auf des Kaisers eigenem Vorschlag folgendermassen
gefasst: die Hessen halten sich bereit zu marschieren auf
die Ordre des Kaisers, dieser wird aber ihren Abmarsch
nicht verlangen, solange die österreichische Armee Hessen
1) Wilhelm an Karl VII. und an Donop 26. Mai 1744. Dove (1, 181)
erwähnt einen Erlass des Wiener Hofs an Khevenhüller vom Januar 1743,
worin Hessen — im Gegensatz zu Pfalz — zu milder Behandlung be-
stimmt wird wegen des Sold Verhältnisses und der Verwandtschaft mit
dem Londoner Hof.
2) Pol. Korr. 111, 151—52, 167—68.
96
und Hanau Grund zur Beunruhigung *) geben kann. So hatte
also in der militärischen Frage der Statthalter gesiegt.
Bezüglich der Gebietserweiterung verpflichteten sich Frank-
reich und Preussen, falls die Ansprüche des hessischen Hauses
auf Brabant nicht durchführbar seien, durch eine neue Kon-
vention dem Kasseler Hof in gemeinsamem Vorgehen ein
Äquivalent dafür zu verschaffen^). Am 6. Juni unterschrieb
Donop mit den übrigen Bevollmächtigten die Einladungs-
und Beitrittsakte Frankreichs zur Union, am 13. schloss er mit
Törring die Partikularkonvention ^) und den Subsidienvertrag
zwischen Hessen und dem Kaiser ab. Die Partikularkonvention
enthielt folgende Bestimmungen : Das Bündnis vom März 1742
mit seinen Separatartikeln wird bestätigt. Der Kasseler Hof
verpflichtet sich, den Kaiser zur Eroberung seiner Erblande
und zur Erlangung einer hinlänglichen Genugthuung für seine
österreichischen Ansprüche mit weiteren 6000 Mann zu
unterstützen*). Wenn Hessen angegriffen wird oder begründete
Ursache vorhanden ist, dies zu befürchten, so können diese
Truppen zurückgezogen werden, desgleichen, wenn die
Zahlungen nicht pünktlich erfolgen. Der Kaiser verpflichtet
sich, Hessen im Angriffsfall mit einer der Gefahr proportio-
nierten Macht zu unterstützen. Wenn etwas gegen die eng-
lische Thronfolge unternommen wird, so steht es dem Kasseler
Hof frei, seine sämmtlichen Truppen sofort zur Unterstützung
des englischen Königshauses zu verwenden, doch wird er
trotzdem in Deutschland dazu beitragen, dass der Kaiser für
seine Ansprüche befriedigt und die Ruhe wieder hergestellt
wird. Die Zahlungen für die 6000 Mann erfolgen halbjährlich
und im voraus, nach dem Friedensschluss erhält der Kasseler
Hof noch 3 Jahre lang je 250000 Thaler. In einem Separat-
artikel versprach der Kaiser dafür einzutreten, dass das
hessische Haus beim Frieden die Kurwürde erhalte sowie
*) Donner d'inquiotude fondee; Wilhehn erreichte nachher noch,
dass fondee gestrichen wurde (Berichte Donops vom 1. und 13. Juni 1744).
*) Berichte Donops vom 30. Mai und 1, Juni 1744.
') Erwähnt bei v. Aretin^ Verzeichnis der bayerischen Staatver-
träge S. 65.
*) Über den Abmarsch der 6000 Mann vergl. S. 95.
97
„eine sattsame Genugthuung wegen der alten Ansprüche auf
das Herzogtum Brabant oder ein annehmliches Äquivalent
an Land und Leuten" ; in einem zweiten verpflichtete er sich,
die von England rückständigen Gelder, falls sie am 20. August
noch nicht bezahlt seien, in 9 monatlichen Raten dem Kasseler
Hof zu vergüten. In der Truppenkonvention wurde bestimmt:
der Kaiser zahlt für die 6000 Mann (4800 zu Fuss, 1200 zu
Pferd, 12 Geschütze) alles in allem in einem Sommermonat
98 663 Thaler ^), in einem Wintermonat (aber nur, wenn das
Korps thatsächlich Ruhe geniesst) 81032 Thaler. Für einen
gefallenen Reiter mit Pferd werden vom Kaiser 115V2 Thaler,
für ein Pferd allein 80, für einen Reiter allein 35^2, für
einen Infanteristen oder Artilleristen 43^8 Thaler bezahlt^),
für einen aus der Gefangenschaft losgekauften Mann ^/a, für
einen Verwundeten Vs dieser Summen. In den kaiserlichen
Erblanden darf für das hessische Korps keine Mannschaft
geworben werden.
Am gleichen Tag, an dem die Verträge Hessens mit
dem Kaiser abgeschlossen wurden, unterschrieb Chavigny ihffe
Garantie^) seitens des Versailler Hofes; die einzelnen Be-
stimmungen waren folgende: Frankreich garantiert die
hessischen und hanau'schen Lande, sowie die Erfüllung aller
zwischen dem Kaiser und dem Kasseler Hof festgesetzten
Punkte; es verbürgt sich für die pünktliche Bezahlung der
kaiserlichen Subsidien und eventuell der englischen Rück-
stände ; der Versailler Hof verspricht Hessen seine Mitwirkung
für die Erlangung der Kurwürde und einer Gebietserweiterung*).
Bis der Kasseler Hof im ruhigen Besitz der neuen Erwerbung
ist (en attendant que — soit en possession tranquille), wird ihn
Frankreich instandsetzen, die jetzt im kaiserlichen Sold
stehenden 9000 Mann fernerhin zu erhalten, damit der neue
Besitz gegen einen etwaigen Angriff verteidigt werden kann;
») Dies betrüge in einem Jahr 1 183 956 Thaler ; Chavigny zahlte
am 29. April 1184461 Thaler.
') Vergl. die bedeutend niedrigeren Summen in der Konvention für
die 3000 Manu (S. 35).
*) Erwähnt bei Flassan, histoire de la diplomatie frauQaise V, 449.
*) Vergl. S. 96.
N. p. Bd. xxni. 7
98
Wenn aber die hessischen Streitkräfte nicht ausreichen, so
wird Frankreich selbst die nötige Hilfe schicken. Weiterhin
verspricht der Versailler Hof, nach dem Frieden die von
Hessen noch vom 30jährigen Krieg her beanspruchten rück-
ständigen französischen Subsidiengelder zu zahlen ^) , der
Kasseler Hof hat die Beweise hierfür beizubringen. Wenn
nach Ablauf der 3 Jahre nach dem Frieden, in welchen
Hessen vom Kaiser noch jährlich 250000 Thaler erhält,
Frankreich mit dem Kasseler Hof einen neuen Subsidien-
vertrag abschliesst, so sollen jene alten Rückstände in Rech-
nung kommen.
Am 27. Juli wurde auch der preussisch-h essische Parti-
kularvertrag ^) von Klinggräffen und Donop unterschrieben.
Das Bündnis vom März 1743 mit seinen Separatartikeln wurde
erneuert ; der König von Preussen versprach Hessen, falls es
angegriffen würde, mit möglichster Macht — in Wilhelms
Entwurf hiess es „mit Dero Macht", was preussischerseits um-
geändert wurde ^), — zu unterstützen; er verpflichtete sich,
falls die kaiserlichen Subsidien und die englischen Rück-
stände nicht bezahlt würden, beim Kaiser und bei Frankreich
Vorstellungen deswegen zu machen*). Ausserdem versprach
er seine Unterstützung bezüglich der Kurwürde und der
Gebietserweiterung ^).
So waren denn endlich alle Verträge zum glücklichen
Abschluss gelangt ; die unwürdige Zwitterstellung des Kasseler
Hofs hatte ihr Ende erreicht und er war ganz ins kaiserliche
Lager übergetreten, doch auch jetzt noch keineswegs als
kriegführende Macht, sondern lediglich als Hilfsmacht des
Kaisers unter Wahrung der Neutralität. Die Auspizien für
*) Schon 1725 hatte der französische Gesandte in England die
Zahlung dieser Rückstände (25000 Pfd. St.) versprochen, König Friedrich
instruierte dann im Jahr 1740 Asseburg, als dieser in Paris weilte, den
Versailler Hof daran zu mahnen (Friedrich an Asseburg 15. und 29. März
1740) ; vergl. Rommel VIII, 245.
*) Veröffentlicht von Max Lehmann in der Historischen Zeitschrift,
Bd. 69, S. 74-78.
8) Pol. Korr. III, 198.
*) Man hütete sich also preussischerseits vor einer förmlichen
Garantie; vergl. Pol. Korr. III, 138.
">) Vergl. S. 96.
99
die kaiserliche Partei schienen günstig zu sein : hatte sich
doch Preussen wieder zur Teilnahme am Krieg verpflichtet
und von Frankreich, das pekuniär der Sache des Kaisers so
sehr Vorschub leistete, war zu erwarten, dass es nun endlich
auch militärisch mehr Energie zeigen werde. Von den
kleineren deutschen Staaten hatten sich an der Union frei-
lich nur Pfalz und Hessen beteiligt, doch war zu hoffen,
dass sich nach einigen kriegerischen Erfolgen noch andere
Fürsten zum Beitritt entschlössen. Prinz Wilhelm war
mit dem in den Einzelverträgen Erreichten sehr zu-
frieden und er hatte auch allen Grund dazu. Die er-
sehnte Gebietserweiterung war ihm vom Kaiser, von Preussen
und von Frankreich zugesagt worden, wie auch die Kur-
würde. Die 6000 Mann wurden ebenso gut bezahlt, wie
bisher von England, und ausserdem sollte Hessen auch
nach dem Frieden noch bedeutende Geldsummen erhalten.
Das Land war für die nächste Zeit durch die zuletzt noch
erreichte Klausel über den Marsch der 6000 Mann sicher-
gestellt, und ausserdem hatten sich der Kaiser, Preussen
und Frankreich verpflichtet, Hessen im Angriffsfall Hilfe zu
schicken. Wilhelm konnte wirklich nicht mehr verlangen,
und dabei hatte der Kasseler Hof Preussen und dem Kaiser
gegenüber — ausser der Sendung der 6000 Mann — keine
neuen, Frankreich gegenüber überhaupt keine Verpflichtungen
übernommen. Um das Hauptziel ^) Wilhelms, die Gebiets-
erweiterung, zu erreichen, waren freilich grosse Erfolge im
Felde nötig; sonst nützten alle Versprechungen, die der
Kasseler Hof von den grossen Mächten erhalten hatte, nichts.
*) Miltitz schrieb am 30. Mai an Donop : nos intentions sont pures
et nettes et ce n'est pas Targent qui nous a determine, mais les esperances
qu'on nous a fait naitre pour ragrandissement de la s^e maison et la
devotion aveugle que nous avons pour Sa Majeste Imperiale sont los
uniques motifs qui nous ont fait risquer le pas, car argeut pour argent;
celui de l'Angleterro etait aussi bien que l'autre et on risquait moins.
100
6. Kapitel.
Bemühungen Wilhelms um Erw^eiterung der
Union; Feldzug am Rhein und in Bayern; Ver-
hältnis zu England.
Nachdem Wilhelm auf die kaiserliche Seite übergetreten
war, bemühte er sich eifrig, unter den Reichsfürsten neue
Mitglieder für die Union zu werben ; bei grösserer Beteiligung
der kleineren Staaten hätten diese naturgemäss eine an-
gesehenere Stellung in der Union bekommen, als jetzt, wo
Pfalz und Hessen allein neben den grossen Mächten standen.
Der Prinz war daher schon im Frühjahr durchaus nicht damit
einverstanden, dass Friedrich von Preussen die fränkischen
Markgrafen und Württemberg nicht zur Union aufzufordern
wünschte als zu wenig leistungsfähig und den Österreichern
zu sehr ausgesetzt^). Besonders lag Wilhelm daran, seinen
Bruder, König Friedrich, als Herzog von Pommern für die
Union zu gewinnen ; er schlug ihm schon im April vor, der-
selben beizutreten und 1000 Mann zu stellen, und der König
zeigte sich geneigt^). Auch Friedrich von Preussen inter-
essierte sich auf Wilhelms Anregung hin für den Beitritt
Schwedisch-Pommerns ^) ; er bat auch den Prinzen, bei seinem
Bruder einer Allianz Schwedens mit Preussen, beziehungs-
weise mit Preussen und Russland, das Wort zu reden*).
Der Statthalter that dies und suchte die Gelegenheit zu be-
nützen, auch zwischen Hessen und Schweden eine nähere
Verbindung herzustellen^). Aber Schweden stand seit dem
f»
unglücklichen, durch den Frieden von Abo beendeten Krieg
vollständig unter russischem Einfluss und der in St. Peters-
burg allmächtige Kanzler Bestushew begann damals auf
:i
Wilhelm an Donop l8. April 1744; vergi. Pol. Korr. III, 49.
Wilhelm an Friedrich 7., Friedrich an Wilhelm 28. April 1744.
8) Pol. Korr. III, 139.
*) Pol. Korr. UI, 196-197.
*) Wilhelm an Friedrich 5. Aug. 1744: stipuler quelques liaisons
entre Sa couronne et Ses pays hereditaires.
101
die österreichisch-englische Seite zu neigen *) ; er machte dem
schwedischen Gesandten am russischen Hof Vorstellungen
gegen Pommerns Eintritt in die Union ^) und infolge davon
gieng die schwedische Regierung trotz der Aufforderung der
ünionsmitglieder ^) nicht hierauf ein. Auch über den Eintritt
des Herzogs von Holstein-Gottorp, des Neffen der Zarin
Elisabeth, korrespondierte Wilhelm mit seinem Bruder; der
Herzog sollte durch seinen Vormund, den schwedischen Thron-
folger Adolf Friedrich von Holstein, gewonnen werden^);
aber auch hier trat der russische Einfluss hindernd in den
Weg^). Die Höfe von Weimar und Gotha suchte der Statt-
halter durch Sendung des Oberstlieutenants von Miltitz zu
gewinnen, den wankelmütigen Kurfürsten von Köln durch
den Grafen Isenburg ®) ; aber alle diese Fürsten, wie auch
die Höfe von Dresden, Würzburg und Braunschweig zeigten
sich gleichgiltig oder feindlich'); nur das bedeutungslose
Lüttich, wo ein Bruder des Kaisers Bischof geworden war,
wurde für die Union ^ gewonnen®).
Auch die militärischen Operationen der Frankfurter
linierten waren wenig erfolgreich. Die 3000 ' Hessen im
kaiserlichen Sold brachen Mitte Mai unter Clement aus
der Heimat auf und vereinigten sich am 9. Juni mit den
kaiserlichen Truppen *), die unter Seckendorffs Kommando
bei Philippsburg standen. Auf dem anderen Ufer des
Rheins, bei Germersheim, stand eine französische Armee
unter Marschall Coigny. Als die Österreicher vom Neckar
her gegen den Rhein zogen, gieng Seckendorff mit seinen
Truppen, wie es Wilhelm befürchtet hatte ^®), Ende Juni
») Koser, König Friedrich d. Gr. I, 223—224.
*) Gehebe an einen hessischen Geheimerat 10. November 1744.
«) Pol. Korr. III, 231 Anm. 1 und 294 ; Friedrich an Wilhelm
18. September 1744.
*) Friedrich an Wilhelm 18. September 1744 ; vergl. Pol. Korr. III
249 und 300.
*) Gehebe an Miltitz 8. Dezember 1744.
«) Wilhelm an Donop 16. Juni 1744.
^) Wilhelm an Donop 30. Juni, an Friedrich 12. Dezember 1744,
18. Januar 1745.
*) Udgar Zevort, le marquis d' Argenson S. 77 ; vergl. Pol. Korr. III, 147.
•) Bericht Clements aus dem Lager bei Rheinsheim 10. Juni 1744
»0) Vergl. S. 92.
102
aufe linke Rheinufer über; wenige Tage darauf gelang
es den Österreichern unter Karl von Lothringen, oberhalb
von Philippsburg gleichfalls überzusetzen, während die Ver-
bündeten, den feindlichen Übergang weiter nördlich ver-
mutend, gegen Speier gezogen waren. Sie kehrten nun um ^)
und erstürmten am 5. Juli nach hartem Kampf die von der
österreichischen Avantgarde unter Nadasdy besetzten Lauter-
burger Linien. Die Hessen , die auf dem linken Flügel
standen, wurden beim Sturm auf die feindlichen Schanzen,
wobei sie den Lauterbach zu passieren hatten, zweimal zu-
rückgeworfen, erst beim dritten Anlauf gelang es ihnen sich
festzusetzen; ihre Tapferkeit wurde vom Kaiser wie von
Seckendorff rühmend erwähnt ^). Der Verlust der Hessen
betrug 64 Tote, 257 Verwundete, 16 Vermisste; unter den
Toten befand sich der Generalmajor von Waidenheim, der
das Korps in Abwesenheit Clements, welcher krank in Mann-
heim lag und bald darauf starb, befehligt hatte ^); Kommandeur
wurde jetzt der Generalmajor von Mansbach*). Seckendorflf
und Coigny marschierten nun zuerst in die Gegend von
Hagenau, dann aber vereinigten sie sich bei Strassburg mit
einer zweiten französischen Armee, die bisher unter dem
Oberbefehl König Ludwigs XV. in den Niederlanden gekämpft
hatte; durch eine schwere Erkrankung des Königs in Metz
wurden jedoch alle Operationen der Verbündeten gelähmt. Als
die Lebensgefahr vorüber war, drang Chavigny in Donop, der
Statthalter möchte, wie es der Kaiser und der Kurfürst von
der Pfalz gethan hatten, dem König durch einen Gesandten
zu seiner Wiederherstellung Glück wünschen lassen. Wilhelmi
der trotz der Frankfurter Union seinen Widerwillen und
*) Bericht des Generalmajors von Waldenheim aus Germersheim
1. Juli 1744.
«) Seckendorff aus Hagenau an Wilhelm 22. Juli 1744; Karls VII.
Tagebuch S. 125 (le general des Hessois, dont les troupes se sont fort
distinguees).
^) Bericht des Obersts von Germann aus Altstadt b./Weissenburg
6. Juli 1744; mündlicher Bericht des Hauptmanns Wenzell an "Wilhelm.
■*) Mansbach wurde auch Chef des Regiments Waidenheim; das
Regiment Clement erhielt Oberst von Baumbach (Strieder, hessische
Militärgeschichte S. 306 und 311—312).
103
sein Misstrauen gegen Frankreich durchaus nicht verloren
hatte, war zuerst keineswegs dazu geneigt^), sandte aber
schliesslich doch Anfangs September Donop mit einem Glück-
wunschschreiben nach Metz. Dieser hatte eine Audienz beim
König ^) und bekam hinsichtlich der rückständigen kaiser-
lichen Zahlungen — für die 30C0 Mann hatte der Kasseler
Hof seit 1 Jahr nichts mehr erhalten ^) — die besten Ver-
sprechungen *). Indessen war auf die Kunde von Friedrichs II.
Einfall in Böhmen Karl von Lothringen Ende August — fast
unbehelligt von den Verbündeten — über den Rhein zurück-
gegangen und marschierte in Eilmärschen nach Böhmen;
Seckendorff folgte ihm langsam, während die Franzosen
Freiburg belagerten. Nachdem die österreichische Armee
Westdeutschland verlassen, konnten die 6000 Hessen ohne
Gefahr für das Land zur Unterstützung des Kaisers ver-
wendet werden ; Anfangs September brachen sie auf das Er-
suchen des Kaisers^) — auch Friedrich H. wandte sich an
den Statthalter^) — von Hessen auf, um durchs Fränkische
gegen die bayerische Grenze zu marschieren, wo sie sich
mit der vom Elsass heranziehenden kaiserlichen Armee ver-
einigen sollten. Das Kommando führte, nachdem Prinz Georg
nach Lösung des englischen Soldverhältnisses zurückgetreten
war '), der 24jährige Erbprinz Friedrich ; auch die 3000 Mann
des Generals von Mansbach sollten ihm unterstellt werden;
doch wurde der Prinz angewiesen, sich stets des Beirats der
Generale von Brandt, von Mansbach und von Dalwigk zu
bedienen, wovon diese in Kenntnis gesetzt wurden^). Am
29. September fand bei Nördlingen die Vereinigung mit
Seckendorff statt ^), dessen Armee mit den 9000 Hessen und
*) "Wilhelm ao Donop 25. August 1744.
*) Bericht Donops aus Metz 9. September 1744.
") Wilhelm an Donop 11. August 1744.
*) Donop an Asseburg 13. September 1744.
*) Karl Vll. aus Frankfurt an Wilhelm 15. August 1744.
0) Pol. Korr. III, 246—247, vergl. 236.
^) Friedrich an Wilhelm 22. Mai 1744.
8) Instruktion vom 28. August 1744 für Prinz Friedrich und die
Generale von Brandt, von Mansbach, von Dalwigk.
*) Bericht Prinz Friedrichs vom 1. Oktober 1744.
104
einem ihm überlassenen französischen Korps nun 33 000 Mann
betrug ^) ; 5000 Pfälzer, sowie französische Kavallerie, wurden
noch erwartet. Jetzt galt es die Rückeroberung Bayerns, die
keine grossen Schwierigkeiten machte, da die Österreicher
nur geringe Streitkräfte zurückgelassen hatten und nirgends
ernstlichen Widerstand leisteten ; am 2. Oktober fiel Donau-
wörth, am 19. München den Verbündeten in die Hände ; der
Kaiser eilte, nachdem ihn Prinz Wilhelm noch vorher in
Frankfurt besucht hatte'), in sein Stammland zurück; am
22. Oktober hielt er bei Dachau eine Heerschau über Secken-
dorffs Armee ab, wobei ihm die Schönheit und treffliche
Ausrüstung der neu angekommenen hessischen Truppen be-
sonders auffiel ^). Nachdem Ende November Burghausen ge-
fallen war, befand sich ausser dem Innviertel und der Festung
Ingolstadt ganz Bayern in den Händen der Kaiserlichen, die
Franzosen zwangen indessen Freiburg zur Kapitulation. Nun
handelte es sich um die Winterquartiere. Prinz Wilhelm,
der schon seit Oktober den Kaiser zur Beendigung des Feld-
zugs drängte, hätte die 3000 Mann, welche stark mitgenommen
waren, gerne in Hessen überwintern lassen *) ; Karl aber Hess
sich hierauf nicht ein, da er, wie er dem Prinzen schrieb,
die Truppen zur Behauptung Bayerns notwendig brauche und
der Feldzug im nächsten Jahr frühe begonnen werden müsse ^).
Der Statthalter fügte sich — Hessen selbst war durch den
Marschall Maillebois, der nach Freiburgs Übergabe mit 50000
Mann am Main und ander Lahn Winterquartiere bezogen hatte,
geschützt — , wies aber Donop an, um so mehr am kaiser-
liphen Hofe auf die Bezahlung der Soldrückstände zu dringen ®),
*) Pajol^ les guerres sous Louis XV, II, 409 und 439. Droysen
(V, 2, 316 Anm. 1) giebt die Hessen nur auf 5000 Mann an.
2) Wilhelm aus Frankfurt an Friedrich 3. Oktober 1744.
*j Karls VII. Tagebuch S. 139: quant aux troupes hessoiscs, la
beaute et la proprete de ces troupes ne sauraient etre sui-pasöees, leurs
regiments etaient quasi tous habilles de neuf, leurs chevaux de la meme
couleur, eleves comme ceux de ma garde, en un uiot, on ne saurait rion
voir au-dessus de cela.
*) Wilhelm an Donop 17. Oktober 1744.
'^) Karl VII. aus dem Lager bei Vilshofen an Wilhelm 17. No-
vember 1744.
®) Wilhelm an Donop 24. November 1744.
105
die für die 3000 Mann, trotz des Abzugs von fast 70000 Gulden
für Römermonate ^), auf 300000 Gulden angeschwollen waren;
der französche Intendant de Sechelles versprach, die Zahlungen
künftig zu übernehmen, und Belleisle gab Donop Hoffnung,
dass Frankreich auch die Rückstände tilgen werde ^). Mit
den in Bayern für seine Truppen bestimmten Winterquartieren
war Wilhelm höchst unzufrieden: die Hessen sollten längs
der Donau — zum Teil auch auf dem linken Ufer — von
Straubing bis Vilshofen, sowie an der unteren Isar unter-
gebracht werden ^). Der Statthalter erklärte, seine Truppen
dürften keinesfalls durch die Donau getrennt werden und Viis-
hofen sei zu sehr ausgesetzt*). Die Posten jenseits der Donau
wurden nun den Franzosen zugewiesen, die aber, als die
Österreicher im Dezember einen Vorstoss machten, Stadtam-
hof und andere Punkte ohne Kampf aufgaben ^) ; hinsichtlich
Vilshofens gab der Statthalter nach und liess es auch ge-
schehen, dass die starke hessische Besatzung dieses Orts
einem bayerischen General unterstellt wurde®). Das Haupt-
quartier des Prinzen Friedrich, über den sich übrigens Donop,
sein ehemaliger Oberhofmeister, recht ungünstig aussprach ''),
befand sich in Landshut ; doch wünschte der Statthalter, dass
sein Sohn, wenn mit den Quartieren alles im Reinen sei,
nach Kassel zurückkehre, womit der Prinz sehr wenig ein-
verstanden war ®) ; er bemühte sich während des Winters um
1) Wilhelm an Clement 12. Februar 1743.
*) Berichte Donops vom 2. November aus dem kaiserlichen Haupt-
quartier und 2. Dezember 1744 aus München
*) Törring aus dem Lager bei Vilshofen an Wilhelm 18. November 1744.
*) Wilhelm 27. November an Karl VII. und Tömiig, 28. November
1744 an Donop.
^) Bericht Donops 30. Dezember 1744; Würdinger^ der Ausgang
dos österreichischen Erbfolgekiiegs in Bayern (Oberbayorisches Archiv
Bd. 46) S. 59.
^) Bericht Donops 8. Dezember 1744.
^) Donop an Asseburg 2. Januar 1746: Je ne saurais vous cacher
que je perds de plus en plus la bonne opinion, quo j'ai eu de lui ; il n'y
a pas moyon de le faire reflechir et quand ses passions s'empareut de
lui, rien n'est capable de le dompter; il est impossible que je puisse vous
dire tout ce que j'ai sur le coeur ä ce sujet.
*) Wilhelm an Prinz Friedrich 28. November 1744 und 5. Januar
1745; Bericht Prinz Friedrichs 29. Dezember 1744 (aus Landshut).
106
die Formierung einer Kompagnie Husaren ^), einer Waffen-
gattung, die bisher, ausser vorübergehend während des
spanischen Erbfolgekriegs ^), in der hessischen Armee nicht
vertreten war ; die 27 Husaren, die Friedrich bis Januar 1745
zusammenbrachte, bestanden fast ausschliesslich aus öster-
reichischen Deserteuren ^). Der Statthalter selbst gieng damit
um, wenn die englischen Rückstände bezahlt würden, 3 neue
Infanterieregimenter auszuheben, um zum Schutz des Landes
Truppen zur Verfügung zu haben ; denn er hatte ausser den
9000 Mann im kaiserlichen Dienst nur 1 Infanterieregiment*),
das die Besatzung von Rheinfels bildete, und 1 Dragoner-
regiment ^), von dem aber nur 1 Schwadron montiert war^).
Zu Ende des Jahres empfieng der Statthalter als Mit-
glied der Union den Besuch Belleisles, der von München nach
Berlin reiste, um sich mit Friedrich IL über den Feldzugs-
plan zu beraten ; auf der Weiterreise von Kassel wurde der
Marschall am 20. Dezember in Elbingrode — Wilhelm selbst
hatte ihm zu dieser Route als der am wenigsten gefährlichen
geraten ') — von dem dortigen hannoverischen Amtmann
festgenommen und dann als Gefangener nach England ge-
bracht, was für die kaiserliche Partei ein schwerer Schlag
war. Dagegen wurde der kurze Zeit vorher erfolgte Rück-
tritt Lord Carterets, des Vorkämpfers der englisch-öster-
reichischen Allianz, von den Frankfurter linierten mit grosser
Genugthuung begrüsst.
Das Verhältnis Hessens zu England war, seitdem Wilhelm
auf die Erneuerung des Subsidienvertrags nicht eingegangen
war, natürlicherweise gespannt. Man machte damals in London
Alt gegenüber kein Hehl daraus, wie grossen Unwillen es
erregte, dass die Hessen, für die England so viel Geld aus-
*) Bericht Prinz Friedrichs aus Landshut 8. Dezember 1744.
') Strieder^ MilitKrgeschichte des landgräflich hessischen Korps S. 223.
*) Bericht Prinz Friedrichs 9. Januar 1745; die Husaren standen
unter einem aus Sachsen stammenden Rittmeister d'Aulnay.
^) Hessenstein.
*) Prinz von Gotha.
ö) Wilhelm an Donop U. August; an Friedrich 24. Oktober 1744.
^) 0. Franke^ Von Elbingrode nach Windsor, S. 251 (Zeitschrift des
Harzvereins für Geschichte und Alterthumskunde XI).
107
gegeben hatte, ohne dass sie ein einziges Mal ins Feuer
gekommen waren, nun zur Gegenpartei übergiengen; es war
sogar, wie Alt erfuhr, im Unterhaus davon die Rede, den
Kasseler Hof für alle Zeit von Subsidien vertragen auszu-
schliessen ^). Trotz dieser Stimmung Hess der Statthalter
Alt stets auf Bezahlung der Soldrückstände dringen, wobei
er um so weniger Erfolg hatte, als Carteret wusste, dass
sich der Versailler Hof für den Fall, dass sich England
weigere, zur Zahlung verpflichtet hatte ^). Im September, als
sich die 6000 Hessen in Marsch setzten, um zur kaiserlichen
Armee zu stossen, liess Wilhelm der englischen Regierung
die Mitteilung machen, sein Bruder habe sich als Reichsfürst
für verpflichtet gehalten, seine Truppen dem Kaiser in Sold
zu geben. Zugleich schickte er an Alt eine Denkschrift^)
über die Hanauer Verhandlungen ; aus dieser, schrieb er, gehe
hervor, dass er, der Statthalter, nicht daran schuldig sei,
dass der Kasseler Hof an dem alten Bündnis mit England
nicht festgehalten habe; öflfentlich*) wolle er diejenigen,
durch welche dies verhindert worden sei, nicht blossstellen ;
dagegen solle Alt die Denkschrift denen bekannt geben, die
er noch für Freunde Hessens halte ^). Am gleichen Tag
schickte sie der Prinz auch an Mann, den hessischen Ge-
schäftsträger im Haag, um sie den leitenden Persönlichkeiten
der Niederlande mitzuteilen^). Die Denkschrift sollte also
zur Rechtfertigung von Wilhelms Politik dienen, aber die
Motivierung des hessischen Parteiwechsels durch Carterets
Benehmen in Hanau entsprach keineswegs den Thatsachen ;
der Prinz hat sich erst viel später zum Bruch mit England
1) Bericht Alts 24. AprU 1744.
«) Bericht Alts 31. Juli 1744; Pol. Korr. UI, 201.
») Vergl. S. 67 Anm. 4.
*) Später liess Wilhelm die Denkschrift auch am Berliner Hof
mitteilen (Pol. Korr. III, 309), der sie dann drucken lassen wollte; doch
stellten sich Hindernisse in den Weg (Staatsschriften I, 62.3 und 631);
nach des Kaisers Tod veröffentlichte dessen Sohn Max Joseph die Denk-
schrift in Foim eines Zirkularrescripts an seine Gesandten (Staats-
schriften I, 632).
6) Wilhelm au Alt 3. September 1744.
®) Wilhelm an Mann 3. September 1744.
108
entschlossen M- Diß Hanauer Verhandlungen wurden damals
auch von preussischer Seite gegen das Ministerium Carteret
ausgenützt; in den Flugschriften exposö des motifs^) und
remarques d'un bon patriote allemand machte der Berliner
Hof dem Lord zum Vorwurf, dass er auf die Friedens-
anerbietungen des Kaisers, der in Hanau nur die Rückgabe
seiner Erblande verlangt habe^), nicht eingegangen sei*).
Die Opposition im Parlament, welche gegen die Fortführung
des für England äusserst kostspieligen Eontinentalkriegs war,
griff dies begierig auf und machte die heftigsten Angriffe
gegen Carteret ^) ; sie verband sich zu dessen Sturz mit den
auf den Lord eifersüchtigen Kollegen Carterets im Ministerium,
dem Herzog von Newcastle und seinem Bruder Heinrich
Pelham ®). Der preussische Gesandte Andrie unterstützte die
Opposition in ihrem Vorgehen gegen den Minister'), während
Prinz Wilhelm, der durch seine Denkschrift lediglich seine
Politik hatte rechtfertigen wollen, Alt ausdrücklich verbot,
sich an Angriffen auf die englische Regierung zu beteiligen®),
und Andrie's Machinationen missbilligte % Alt hatte indessen
Wilhelms Denkschrift den Pelhams und Harrington mit-
geteilt; er hörte von ihnen, dass Carteret einstens die
Hanauer Artikel wirklich nach England geschickt hatte ^®);
übrigens sprach die Mehrzahl derer, die von der Denkschrift
erfuhren, Alt gegenüber aus, der eigentliche Grund für Hessens
Parteiwechsel sei doch das Streben nach der Kurwürde und
nach Landerwerb gewesen ^^). Carteret bemühte sich ver-
») Vergl. S. 75 f.
*) Das expose wurde Wilhelm von Friedrich IL mitgeteilt (PoL
Korr. III, 246).
•) Dies war unrichtig, der Kaiser verlangte auch Erhöhung seiner
Revenuen, also Gebietserweiterung, vergl. S. 69.
*) Staatsschrifton I, 445-446.
*) Staatsschriften I, 581 f.
*) von Wiese, die englische parlamentarische Opposition S. 73 f.
^) Staatsschriften I, 623 f.
•) Wilhelm an Alt 3. Oktober 1744: il est permis ä un ministre
de diro la verite et de mettre les gens au fait des raisons, qui ont fait
agir son maitre de teile ou teile fa9on, mais il ne lui convient pas de
vouloir animer les esprits des sujets contre leur sou verain.
») Wilhelm an Alt 25. Oktober 1744,
10) Bericht Alts 25. September 1744.
»») Bericht Alts 16. Oktober 1744.
lOÖ
geblich, von Alt die Denkschrift zu bekommen; er erklärte
ihm, er brauche die Öffentlichkeit nicht zu scheuen^ aber
aus bestimmten Gründen und mit Rücksicht auf andere wäre
es ihm lieber gewesen, wenn nicht mehr an die Hanauer
Angelegenheit gerührt worden wäre ^). Carteret vermochte
es nicht, sich gegen den Ansturm der vereinigten parla-
mentarischen und ministeriellen Opposition zu halten; als
die Majorität des Ministeriums im November von König
Georg die Entlassung Lord Granvilles — so hiess Carteret
seit dem Tod seiner Mutter — forderte, musste sich der
König fügen und der Minister trat zurück^); Staatssekretär
des Auswärtigen für die deutschen und nordischen Angelegen-
heiten wurde wieder Lord Harrington, zu dem Prinz Wilhelm
während seiner früheren Amtsthätigkeit freundliche Be-
ziehungen gehabt hatte ^). Als Alt dem Lord zu seiner Er-
nennung Glück wünschte, sprach dieser davon, wie angenehm
es ihm wäre, einen Weg finden zu können für die Wieder-
herstellung des guten Einvernehmens zwischen England und
dem Kasseler Hof ; da ihm aber Hessens jetzige Engagements
nicht bekannt seien, so könne er nichts im voraus ver-
sprechen*); ähnlich sprach sich Newcastle aus. Wilhelm,
der von dem neuen Ministerium einen Umschwung in der
englischen Politik erwartete, Hess darauf Harrington durch
Alt erklären, wenn ihn auch die Umstände zu einer zeit-
weiligen Trennung von den Seemächten genötigt hätten, so
») Bericht Alts 25. September 1744, vergl. v. Wiese, 8. 46-47.
Carteret hatte allen Grund, wenn er sich vor dem Wiederanfrühren der
Hanauer Angelegenheit scheute; das Eingeständnis seiner damaligen
Niederlage durch seine Kollegen musste ihm, besonders jetzt, wo er in
seiner Stellung schwankte, sehr peinlich sein; auch konnte es bekannt
werden, dass er den Vertrag ohne Wissen der Regentschaft hatte zeichnen
wollen ; vor allem hätte der hannoversche Geheimartikel — dass Wilhelm
diesen verschwieg in der Denkschrift, wusste der Lord nicht — einen
Entrüstungssturm gegen ihn und den König hervorrufen können. Ausser-
dem war anzunehmen, dass Carterets Hanauer Stipulationen den Wiener
Hof gegen England verstimmen würden.
*) v(m Wieset S. 77.
^) Am 14. Oktober hatte Wilhelm an Alt geschrieben, er sei über-
zeugt, wenn Harrington die Hanauer Verhandlung geführt hätte, so würde
das alte System noch fortbestehen.
^) Bericht Alts vom 11. Dezember 1744.
HO
bleibe er doch England stets ergeben ^). In einer zweiten
Unterredung mit Alt äusserte der Staatssekretär, er habe mit
den übrigen Ministern einstens sehr bedauert, dass Carteret
nicht im Jahr 1743 bei seinem Aufenthalt in Deutschland
den Subsidien vertrag mit Hessen erneuert habe ^). Darauf
Hess ihm der Statthalter erwidern, er zähle auf Harringtons
gute Dispositionen zur Wiederherstellung der alten Freundschaft
und werde seinerseits mit Eifer darauf eingehen, sobald dies
möglich sei, ohne Treue und Glauben zu verletzen; wenn
der Kaiser sterbe — Wilhelm wusste bereits um Karls ge-
fährliche Erkrankung — , werde wohl sein Sohn Frieden
schliessen ; dann werde das hessische Korps ins Land zurück-
kehren^). Wenn man auch von diesem letzten Schreiben
Wilhelms, bei dem ihm schon der bevorstehende Tod des
Kaisers vor Augen schwebte, absieht, so ist doch die Be-
deutung des freundschaftlichen Meinungsaustausches zwischen
dem Statthalter und Harrington nicht zu vorkennen. Nicht
als ob Wilhelm von der Partei des Kaisers hätte abiallen
wollen; er hoffte vielmehr, England werde dem Kaiser zu
einem annehmbaren Frieden verhelfen*), und dann wäre er
selbst mit Freuden zu dem alten Bundesgenossen zurück-
gekehrt, um so mehr, als ihm der grosse Einfluss Frankreichs
in Deutschland schwere Sorge machte^).
Die Hoffnungen, welche der Statthalter auf die Union ge-
setzt hatte, waren nicht in Erfüllung gegangen, auch nach dem
Abzüge der Österreicher aus Süddeutschland waren keine neuen
Mitglieder beigetreten, es war sogar von einer Gegenliga der
österreichisch gesinnten Reichsfürsten die Rede ^). Militärisch
hatte die Union allerdings den Erfolg errungen, Bayern zurück-
zuerobern ; aber dies war lediglich eine Folge des preussischen
Einfalls in Böhmen ; und dieser selbst war nicht nur gänzlich
») Wilhelm an Alt 24. Dezember 1744.
«) Bericht Alts 15. Januar 1745, vergl. S. 75.
8) Er wollte damit sagen, dass er Frankreich gegenüber keine
Verpflichtungen habe. (Wilhelm an Alt 25. Januar 1745.)
*) Wilhelm an Alt 24. Dezember 1744: etablir l'empereur d'une
fa^on solide.
*) Wilhelm an Donop 22. Dezember 1744.
«) Pol. Korr. IH, 333 Anm. 2; Dope 1, 283.
111
gescheitert, sondern die Österreicher brachen sogar in Schlesien
ein. Friedrich II. begehrte auf Grund des Vertrags von 1743
vom Kasseler Hof Hilfe*); der Statthalter antwortete, da
sämtliche hessische Truppen in Bayern ständen, so sei die
Hilfeleistung unmöglich; doch dachte er für den Fall, dass
der König darauf beharre, ihm die 3000 Mann im kaiserlichen
Sold, für welche der Vertrag am 2. März 1745 ablief, zu über-
lassen ^). Auch abgesehen von dem preussischen Gesuch
war Wilhelm nicht von vornherein entschlossen, diesen Ver-
trag zu erneuern ; er hatte, als der Kaiser ihn im November
darum bitten liess^), eine dilatorische Antwort gegeben und
Hess einstweilen durch Donop wegen besserer Bedingungen
sondieren *) ; nachher schrieb er aber nach Stockholm, man
werde sich der Erneuerung des Vertrags nicht entziehen
können ^). Zu Ende des Jahres wurde hessischerseits auch
mit Pfalz über ein Bündnis verhandelt; die Anregung hiezu
kam von pfälzischer Seite und da es damals schien, als werde
der junge Kurfürst Karl Theodor Reformen einführen, so
glaubte Wilhelm, das Bündnis könne vielleicht in der Zukunft,
wenn Pfalz finanziell und militärisch leistungsfähiger werde,
für Hessen von Vorteil sein ^ ; der Reichstagsgesandte
von Wülckenitz wurde also zur Verhandlung bevollmächtigt ^) ;
der Kasseler Hof wünschte von Pfalz die Garantie von Rhein-
fels zu erhalten und Unterstützung bei den Streitigkeiten
um die Hanauer Erbschaft, sowie bei seinem Streben nach
der Kurwürde, der pfälzische Hof von Hessen die Garantie
Mannheims und Unterstützung in Rheinschiffahrtsangelegen-
heiten, sowie zur Wiedererlangung einst durch Mainz und
Trier entrissenen Gebiets. Doch sollte die gegenseitige Unter-
stützung nur in guten Diensten bestehen®). Der Tod des
Kaisers machte den Verhandlungen über das Bündnis ein Ende.
*) Friedrich II. ao Friedrich (1.) und Wilhelm 19. Dezember 1744.
«) Wilhelm an Friedrich (1.) 31. Dezember 1744 und 18. Januar 1745.
«) Bericht Donops 17. November 1744.
*) Wilhelm an Donop 24. November 1744.
*; Wilhelm an Friedrich 14. Dezember 1744.
•) Asseburg an Gohebe 24. Oktober, Wilhelm an Friedrich 12. Dez. 1744.
^) Wilhelm an Friedrich 14. Dezember 1744.
8) Wilhelm an Friedrich 18. Januar 1746.
112
7. Kapitel.
Tod des Kaisers; Bedrohung Hessens durch die
Österreicher; Feldzug in Bayern; Neutralitäts-
erklärung des hessischen Korps.
Am 20. Januar 1745 starb Kaiser Karl VII. Dieser
Todesfall war bei der damaligen Lage von der grössten
Bedeutung, speziell auch für den Kasseler Hof, dessen
Politik in der letzten Zeit wesentlich durch das persönliche
Verhältnis des Statthalters zum Kaiser bestimmt worden war.
Donop erklärte in München, die hessischen Truppen könnten
dem neuen Kurfürsten Max Joseph den Treueid nicht schwören,
ehe diesbezügliche Ordre aus Kassel komme; an Prinz Friedrich
schrieb er, seine Ansicht sei, dass sich die Hessen bis dahin
auf die Defensive beschränken sollten '). Der Prinz hielt
einen Kriegsrat, in welchem einstimmig beschlossen wurde,
bei der neuen Regierung auf einen Waffenstillstand zu dringen
und sich vorerst in der Defensive zu halten ^). Donop geriet
in grosse Verlegenheit, dass der Prinz die Sache so öffentlich
betrieb, und warnte ihn eindringlich vor übereilten Mass-
regeln ^). Bald darauf kam eine Ordre vom Statthalter, die
Truppen sollten wie bisher mit den kaiserlichen vereint
bleiben und gemeinschaftlich mit ihnen handeln *), was Donop
sofort an Prinz Friedrich und am kurfürstlichen Hofe mit-
teilte, wo das Verhalten des Prinzen begreifliches Aufsehen
erregt hatte ^). Der Statthalter selbst war sehr erzürnt über
die Eigenmächtigkeit seines Sohnes und befahl ihm, sofort
nach Kassel zurückzukehren®); an seine Stelle setzte er den
Generalmajor von Brandt') und gab ihm ausdrücklichen
*) Donop an Asseburg 20. Januar, an Prinz Friedrich 21. Januar 1745.
*) Prinz Friedrich an Donop 22. Januar 1745
^) Donop an Prinz Friedrich 26. Januar 1745.
*) "Wilhelm an Donop 27. Januar 1745.
*) Törring an Donop 2. Februar 1745.
«) Vergl. S. 106.
'') Christian Friedrich von Brandt, geboren in der Neumark, ge-
storben in Schottland (Hofmann, hessischer Kriegsstaat II, 506).
113
Befehl, des Prinzen Ordre bezüglich der Defensive zu widei*-
rufen ^). Wilhelm hegte die Hoffnung, dass der junge Kur-
fürst die österreichischen Ansprüche seines Vaters fallen lassen
und sich mit dem Wiener Hof versöhnen werde ; er instruierte
Donop, die Friedenspartei in München insgeheim zu unter-
stützen. Am liebsten hätte er sich sofort ganz vom Krieg
zurückgezogen und sich wieder an England angeschlossen,
aber er war sich bewusst, dass er auf seine Verbündeten
Rücksicht nehmen müsse. Bezüglich der hessischen Truppen
war er der Ansicht, dass die im Jahr 1742 dem Kaiser über-
lassenen 3000 Mann dem bayerischen Hause mehr verpflichtet
seien als die 6000 Mann ; denn diese, schrieb er an Donop,
seien dem Kaiser nur infolge der Union gegeben worden,
deren Hauptpunkte durch Karls Tod hinfällig seien, und er
habe also ein gewisses Recht sie zurückzuziehen; da sie
aber bis zum 20. Mai vorausbezahlt seien und es grausam
wäre, den Kurfürsten seinen Feinden preiszugeben, so wolle
er das ganze Korps in Bayern lassen ; bis zum Ablauf der
Konventionen — am 2. März beziehungsweise 20. Mai —
werde sich die politische Lage klären^). Im gleichen Sinn
schrieb der Statthalter an seinen Bruder nach Stockholm ^). Um
Friedrichs von Preussen Ansicht über die Lage kennen zu
lernen, sandte er Asseburg nach Berlin ; der Mannheimer Hof
schickte ebenfalls einen Gesandten nach Berlin, einen anderen
nach Kassel, um sich über die zu ergreifenden Massregeln zu
besprechen *) ; die pfälzischen Truppen, deren General Zastrow
ähnliche Beschlüsse gefasst hatte wie Prinz Friedrich, be-
kamen Ordre, wie bisher gemeinschaftlich mit den Bayern
zu wirken^). Der Kurfürst von Bayern hatte indessen be-
schlossen , an den Ansprüchen seines Vaters festzuhalten,
doch war eine grosse Partei, an deren Spitze die verwittwete
Kaiserin stand, für einen Ausgleich mit Österreich und suchte
') Wilhelm an Brandt 3. Februar 1745.
') Wilhelm ao Donop 27. Januar 1745.
8) Wilhelm an Friedrich 28. Jauuar 1745.
*) Wilhelm an Donop 27. Januar 1745; Pol. Korr. IV, 32.
*) Bericht Donops 19. Februar 1745.
N F. Bd. XXIIL 8
114
in diesem Sinne zu wirken. Dass die Frankfurter Union
nach dem Tod des Kaisers auf schwachen Füssen stand, sah
man am Münchener Hofe wohl ein; Max Joseph Hess den
Prinzen Wilhelm durch Donop dringend bitten, nichts zu
überstürzen ^) ; waren doch bei der Schwäche der kaiserlichen
Armee die 9000 Hessen zum Schutz Bayerns unbedingt nötig.
Auch Chavigny schrieb gleich nach des Kaisers Tod an den
Statthalter und gab sich die grösste Mühe, Hessen bei der
kaiserlichen Partei zu erhalten. Anfangs Februar erschien
der französische Gesandte beim Reichstag, de la Noue, in
Kassel : er brachte kein Beglaubigungsschreiben mit, sondern
nur einen Brief des Staatssekretärs Argenson, worin er an-
gewiesen wurde, sich zu erkundigen: was der Kasseler Hof
nach dem Tod des Kaisers mit seinen Truppen beschlossen
habe, wie lange die Verträge mit dem Kaiser noch liefen
und worin sie beständen. Wilhelm erklärte dem Abgesandten,
er habe die hessischen Truppen beordert, bis zu neuem Befehl
mit den Bayern vereint zu bleiben, die Verträge liefen im
März und Mai ab ; ihr Inhalt müsse doch der französischen
Regierung bekannt sein^). Bald darauf kehrte Asseburg von
Berlin zurück; er brachte die bündigsten Versicherungen
Friedrichs H. mit, den Kasseler Hof nicht zu verlassen, was
der König dem Statthalter auch brieflich bestätigte^); über
die politische Lage erklärte sich Friedrich vorerst noch nicht
aussprechen zu können, deutete aber dem Prinzen an, dass
er durch Vermittlung Englands den Frieden herzustellen hoffe *).
Dem französischen Gesandten Valory hatte Asseburg
*) Bericht Donops 22. Januar 1745.
*) Wilhelm an Friedrich 12. Februar 1745. Am Versailler Hof
war man thatsächlich über die hessischen Verhältnisse keineswegs
orientiert; unbegreiflich ist, dass man sich nicht an Chavigny wandte,
der doch alles genau wussto. Der Minister des Auswärtigen, Argenson,
schrieb auf de la Neues Bericlit über seine Reise nach Kassel : cette
depßche a fort occupe le conseil. Oü en sont les traitos avec Hesse?
JSi cette fin des traites est veritable, voilä Tarmee de Baviere sans troupes,
Celles de Hesse ne tenant plus ä rien. Fiat lux. (Zevort^ le marquis
d'Ärgenson S. 81)
8) Pol. Korr. IV, 44; vergl. IV, 21, 32, 38, 56-57, 98, 101, 127.
4) Wilhelm an Friedrich 23. Febr. 1745 ; vergl. Pol. Korr. IV,
21 — 23 und später.
115
in Berlin erklärt , wenn die Maillebois'sche Armee ^) ihre
Posten an der Lahn verlasse und Hessen dem Herzog von
Aremberg preisgebe — dieser war Anfangs Februar mit einer
österreichisch-hannoverisch-holländischen Armee vom Nieder-
rhein nach der Lahn aufgebrochen^) — , so werde der Statt-
halter seine Truppen zum Schutz des Landes aus Bayern
zurückrufen ^). Dieser Fall trat nun ein : die Franzosen
zogen sich in aller Schnelligkeit von der Lahn zurück bis
hinter den Main und Hessen stand dem nachrückenden
Aremberg offen. Wilhelm war mit Recht empört über die
Schlaffheit der Franzosen. Während er sein Land durch sie
geschützt glaubte, giengen sie nun auf und davon, ehe ein
Schuss gefallen war. Er sah sich der Gnade der Österreicher
preisgegeben, von denen er bei der feindseligen Gesinnung
Maria Theresias gegen ihn wenig Gutes erwartete, zumal da
die Jülich'Berg'schen Lande für die Politik ihres Kurfürsten
schwer hatten büssen müssen. An Donop schrieb der Statt-
halter, er solle Chavigny mitteilen und auch Max Joseph
darauf vorbereiten , dass er auf die erste Demonstration
Arembergs hin seine Truppen aus Bayern zurückrufen werde.
Er sei verantwortlich für die hessischen Lande*) und da er
hauptsächlich seinen Bruder zum Bund mit dem Kaiser ver-
anlasst habe, so würde ihn der schwerste Vorwurf treffen,
wenn die Unterthanen durch dieses Bündnis zu leiden hätten^).
Wenn sich Franzosen und Bayern dem Abmarsch der Hessen
nach der Heimat widersetzten, so werde sich das hessische
Korps zu helfen wissen. Unter dem Eindruck des französischen
1) Vergl. S. 104.
') Ereignisse beim Heer des Herzogs von Aremberg 1745 (Öster-
reichische militärische Zeitschrift 1826, 111, 223 f.).
8) Wilhelm an Donop 23. Februar 1745.
*) König Friedrich hatte dem Statthalter nach dem Tod des Kaisers
ausdrücklich freie Hand gegeben ; er schrieb im Februar : je me repose
ä votre bonne conduite et votre savoir-faire.
*) Wilhelm an Donop 23. Februar 1745 : je dois songor preferable-
ment ä conserver Ses (seines Bruders) Etats. Vous devez comprendre
qu'ayant porte ou du moins anime le penchant du roi mon frere pour le
nouveau Systeme que nous avons pris, je serais reprochable au possible
d'en faire souffrir des sujets qui se pretent si bien au intentions des ses
maitres.
8*
116
Rückmarschs antwortete der Prinz auf ein Schreiben zweier
seiner holländischen Freunde, die ihn zur Rückkehr zu seinen
alten Verbündeten aufforderten, in entgegenkommender Weise ^)
und teilte auch Harrington mit, sobald Bayern Frieden schliesse,
habe er freie Hand zu einem Vertrag mit England ^). In
München erregte Donops Drohung mit dem Zurückziehen der
Hessen grosse Bestürzung; Törring — er hatte an Secken-
dorffs ^) Stelle wieder den Oberbefehl übernommen — „klagte
und seufzte", Chavigny versicherte, wenn Prinz Conti an die
Stelle Maillebois' trete, werde der Krieg energischer gefuhrt
werden. Er teilte Donop mit, das Geld zur halbjährlichen
Vorausbezahlung der 6000 Mann werde am 20. Mai bereit
sein, und suchte den Kasseler Hof auch zur Erneuerung des
Vertrags für die 3000 Mann zu veranlassen *). Der Statthalter
Hess antworten, er sei hierzu nicht in der Lage, werde aber
das Korps so lange im Dienst des Kurfürsten lassen, als es
mit der Sicherheit Hessens vereinbar sei^). Valory wandte
sich wegen der Verlängerung der hessischen Verträge an den
König von Preussen; dieser erklärte, das beste Mittel, den
Statthalter hiezu zu veranlassen, sei eine energische Krieg-
führung von Seiten Maillebois' ®) ; der König war in Furcht,
die Österreicher könnten in Hessen einrücken und Wilhelm
zur Zurückziehung seiner Truppen aus Bayern nötigen '^) ; er
machte auch König Ludwig XV. eigens darauf aufmerksam,
wie viel bei dem offenbaren Bestreben der Feinde, die Union
*) Wilhelm an seine Freunde Weideren und Forck 23. Februar 1745.
«) Wilhelm an Alt 22. Februar 1745.
*J Seckendoiff legte zu Ende des Jahres 1744 den Oberbefehl
nieder; Prinz Wilhelm hatte vergeblich versucht, ihn zurückzuhalten
(Wilhelm an Donop 24. November 1744); am 10. Januar 1745 übernahm
der Marschall auf Karls VII. Befohl das Kommando wieder wegen
Erkrankung seines Nachfolgers Törring fSeckendorff an Wilhelm
13. Januar 1745), legte es jedoch nach des iaisera Tod definitiv nieder.
Im Gegensatz zu Törring stand Seokondorfif mit Prinz Wilhelm und den
hessischen Generalen stets in gutem Verhältnis. 0. Seeländer (Graf
Seckendorff und die Publizistik zum Frieden zu Füssen S. 44 Anmerkung)
weiss von der ersten Niederlegung des Befehls nichts.
4) Berichte Donops vom 2. und 16. März 1745.
6) Wilhelm an Donop 23. März 1745.
«) Pol. Korr. IV, 103.
') Pol. Korr. IV, 65.
117
zu sprengen, von der Maillebois'schen Armee abhänge ^). Was
er und der Statthalter befürchteten, trat ein: am 12. März
erhielt Wilhelm ein Schreiben Arembergs aus Ems, sein Heer
sei im Begriff in Hessen einzumarschieren ; ob die Union
vom König von Schweden nach Karls VH. Tod erneuert
worden sei? Wo sich die hessischen Truppen befänden und
was für Ordres sie hätten? Er habe dies zu seiner Instruktion
zu wissen nötig und hoffe, dass es die Konjunkturen zulassen,
dass er Land und Leute „mit der dem König von Schweden
gebührenden schuldigsten Attention" behandeln könne ^.
Wollte Wilhelm sein Land nicht ruinieren lassen, so musste
er sich dem Druck Arembergs fügen ; er schrieb also an ihn,
die Union sei nicht erneuert worden, die hessischen Truppen
seien bekanntlich in Bayern in den Winterquartieren und
hätten die Ordre erhalten, „daselbst so lange vor ihre Sicher-
heit zu sorgen, bis ein zu wünschender baldiger Erfolg denen-
selben erlauben wirdt in hiesige Lande zurückzukehren^'. Er
hoffe, dass wenn Aremberg unumgänglich Hessen berühren
müsse, das Land und seine durch Truppendurchzüge schon
aufs äusserste mitgenommenen Bewohner „auf eine reichs-
konstitutionsmässige Weise" behandelt würden, um so mehr
als sich sein Bruder stets „in denen Schranken einer voll-
kommenen Neutralität gehalten und auch in Zukunft darbei
zu bleiben fest entschlossen sei*'^).
Zugleich schickte der Statthalter Ordre an General
von Brandt, „dass die Hessen gegen die Ostreichische
Trouppen ferner offensive nicht agiren sollten"; der Befehl
war folgendermassen erläutert: „Gleichwie sich nun hieraus
von Selbsten verstehet, dass Sie sich dem ohngehindert vor
wie nach in gutem defensionsstand halten, zu denen binnen
den damaligen Quartieren zu solchem Ende zu nehmen
nötigen mesures noch ferner mit concourriren, auch in dem
Fall eines Angriffs von Üstreichischer Seite den zu Ihrer und
») Pol. Korr. IV, 78.
*) Aremberg aus Ems an Wilhelm 10. März 1745.
^) Wilhelm im Namen seines Bruders an Aremberg 12. März 1745 ;
über die Neutralität Hessens vergl. S. 98.
118
der dasigen Gegenden cönservation und Vertheydigung er-
forderlichen Wiederstand ohnumgänglich thun müssen, hin-
gegen aber zu keinerlei ausser solchen Quartieren gehenden
und auf einen Angriff gegen die Ostreichische Trouppen ab-
zielenden detachement noch sonsten zu einigen offensiven
Operationen, bei was Gelegenheit Ihnen solche zugemuthet
werden möchten, sich gebrauchen lassen sollen, so wolle
derselbe (Brandt) mit allmöglichstem Geheimnis und Vorsicht,
die diesfalls nötige ordres an diejenigen nachgesetzte Officiers,
so hier und in den Commandos, besonders denenjenigen zu
Straubing und Vilshofen, ohnverlangt ertheilen und sonsten
dessen genaue Beobachtung und Befolgung sich bestens an-
gelegen sein lassen". Ausserdem wurde Brandt angewiesen,
sich in zweifelhaften Fällen an Donop zu wenden^). An
diesen schrieb der Statthalter, er rufe die ganze Welt zum
Zeugnis auf, dass er nicht anders habe handeln können; er
hätte sonst sein Land dem Verderben preisgegeben, ohne
irgend welchen Nutzen für die Verbündeten. Wenn Aremberg
sich mit seiner Erklärung nicht begnüge, müsse er vielleicht
die Truppen aus Bayern zurückrufen. Wilhelm hielt dafür,
dass der Wiener Hof planmässig darauf ausgehe, Hessen und
Pfalz von der Union abzuziehen^). Die Ordre an Brandt
gelangte nicht an ihre Adresse, sondern wurde in Vilbel von
den bereits gegen Wilhelm misstrauischen Franzosen auf-
gefangen und in Maillebois' Hauptquartier gebracht^), was
übrigens insofern ziemlich gleichgiltig war, als Donop die
Ordre am Münchener Hofe und vor Chavigny nicht geheim
halten sollte. Obwohl die Franzosen indessen wieder vor-
gerückt waren, so dass der Prinz selbst glaubte, sie würden
die Österreicher ins Gebirge zurückwerfen, wiederholte er
dennoch die Ordre für Brandt^). Zugleich war er bemüht,
durch Harrington und seine holländischen Freunde von Oster-
reich Schonung für die hessischen Lande zu erwirken ; wirklich
1) Ordre für Brandt 12. bezw. 16. März 1745.
«) Wilhelm an Donop 12. März 1745.
«) Vergl. Pol. Korr. IV, 161.
*) Wilhelm an Donop 16. März 1745.
119
wurden seitens der Seemächte, die auf die hessischen Truppen
spekulierten und den Statthalter fortgesetzt deswegen be-
arbeiten *), beim Wiener Hof Schritte gethan ^) und Aremberg
war, wie Donop hörte, „in Verzweiflung", Hessen wegen der
Verwendung der Seemächte nicht ebenso behandeln zu können
wie Jülich- Berg ^). Am Inn begannen indessen die Öster-
reicher sich zu regen, nachdem schon im Januar Feldmarschall
von Thüngen in die Oberpfalz eingedrungen war. Am Tag,
da Donop die Ordre für Brandt erhielt, meldete ihm Törring
von Bewegungen des Feinds, worauf Donop ihn, sowie
Chavigny, von der Ordre in Kenntnis setzte ; Törring bat, es
wenigstens geheim zu halten, und sprach die Hoffnung aus,
dass die Hessen einem etwaigen Angriff auf die bayerischen
Quartiere nicht ruhig zusehen würden ; dies würde nur zu
ihrem eigenen Verderben führen. Donop erwiderte, er glaube
nicht, dass die Ordre so aufzufassen sei, die Hessen dürften
sich nur nicht an einem Angriff auf die österreichischen
Quartiere beteiligen ; in diesem Sinn schrieb er auch an
Brandt^) und der Statthalter erwiderte auf Donops Anfrage,
diese Auffassung der Ordre sei richtig, die Hessen dürften
die Bayern nicht im Stich lassen ^). Max Joseph schrieb
einen flehentlichen Brief an Wilhelm, er möchte ihn in seiner
Not nicht verlassen und die Ordre an die hessischen Truppen,
von denen die Erhaltung Bayerns abhänge, zurücknehmen,
um so mehr als sich Aremberg zurückgezogen habe^). Auch
Friedrich von Preussen wandte sich an den Statthalter ; er
erkannte zwar die Hessen von Seiten Arembergs drohende
1) Wilhelm an Friedrich 23. März 1745 : mes amis de HoUando me
tiennent l'epee dans les reins pour passer incessaraent du moins aux traite
prealable de subside; vergl. Preuss S. 71 Anm. 3.
2) Beriebt Alts 15. März 1745.
^) Aremberg sollte geäussert haben, qu'il etait au desespoir de se
voir les mains liees ä l'egard du pays de Hesse; que si cela ne dependait
que de la reine, sa maitresse, qu^il n'y agirait peut-etre pas mieux (als
in Jülich), mais que les puissances maritimes voulaient absolument qu'on
menageat la Hesse de toutes les fa^ons (Bericht Donops 12. März 1745).
4) Bericht Donops 24. März 1745, Donop an Brandt 23. März 1745.
5) Wilhelm an Donop 30. März 1745.
®) Max Joseph aus München an Wilhelm 24. März; vergl. Pol.
Korr. IV, 124.
120
Gefahr an, bat den Prinzen aber doch dringend, die Ordre zu
widerrufen, da sonst der Kurfürst von Bayern von den Öster-
reichern zum Frieden gezwungen und so ein ünionsmitglied
nach dem anderen von ihnen niedergeworfen werde ^). Fran-
zösischerseits drängte man auch in Stockholm auf Zurück-
nahme der Ordre ^). Wilhelm antwortete Max Joseph, die
Hessen dürften die benachbarten bayerischen Quartiere unter-
stützen, dachte aber nicht daran, die Ordre zu widerrufen, da
die von Aremberg drohende Gefahr keineswegs vorüber war^).
In München fürchtete man, der Feind sei schon von Wilhelms
Schreiben an Aremberg unterrichtet und werde deshalb den
Angriff allein auf die Bayern richten*).
Am 21. März überschritten die Österreicher unter Feld-
marschall Batthyani den Inn und warfen zuerst die bayerischen
Posten im Rott-Thal südlich von Vilshofen über den Haufen.
Die Verbündeten beschlossen nun, das Land zwischen Isar und
Inn aufzugeben, angeblich wegen der Weigerung des hessischen
Obersts von üffeln, einen Ausfall aus Vilshofen zu machen ^). Am
28. März zog Batthyani vor Vilshofen ; der bayerische Komman-
1) Pol. Korr. IV, 105—107 ; vergl. IV, 114 und 161.
2) Friedrich an Wilhelm 16. April 1745.
8) Wilhelm an Max Joseph und an Donop 31. März 1745.
4) Bericht Donops vom 24. März 1745. Ranke (XXIX, 140) meint
im Gegenteil, Batthyani habe seinen Hauptangriff auf das hauptsächlich
von Hessen besetzte Vilshofen gerichtet, weil er von diesen am wenigsten
Widerstand erwartete; auch Würdinger (der Ausgang des österreichischen
Erbfolgekriegs in Bayern, Oberbayerisches Archiv Bd. 46) S. 83 f. nimmt
einen Zusammenhang von Wilhelms Schreiben an Aremberg — Würdinger
spricht irrig von einer Konvention zwischen beiden — und Batthyanis
Feldzugsplan an; dies ist aber unrichtig. Der Angriff auf Vilshofen, dem
die Aufhebung der kleinen Posten in der Umgebung naturgemäss voraus-
gehen musste, war schon lange geplant, da sich Batthyani von der Er-
oberung dieses wichtigen Punkts moralisch wie militärisch viel versprach ;
doch machte er sich auf starken Widerstand gefasst, „weil die meisten
und besten Truppen der Verbündeten, vornehmlich Hessen, dort standen".
Maria Theresia genehmigte das Unternehmen (Der Winterfeldzug in
Bayern 1745, österreichische militärische Zeitschrift 1822, 11, 306 ff.).
Erst am 12. April teilte Batthyani Brandt mit, er sei von Wien aus von
Wilhelms Ordre in Kenntnis gesetzt worden ; eine direkte Nachricht durch
Aremberg, an den das Schreiben des Prinzen am 12. März abgegangen
war, hat Batthyani also, als er am 21. mit der Überschreitung des Inn
die Offensive begann, offenbar nicht gehabt, sonst hätte er sich gewiss
schon damals an Brandt gewendet.
*) Bericht Donops 25. März 1745.
121
dant du ChafFat weigerte die Obergabe trotz der Vorstellungen
der hessischen Offiziere, die den Widerstand für aussichtslos
hielten *) ; die Stadt wurde nun beschossen, eine Vorstadt
geriet in Brand und die Verteidiger flüchteten in die Stadt
selbst, wobei der Feind mit eindrang. Nun ergab sich die
ganze Besatzung von Vilshofen : 2 ganze hessische Infanterie-
regimenter ^) und 550 Mann von 3 anderen hessischen Regi-
mentern ^), dazu ein Teil eines bayerischen Infanterieregiments,
einige Schwadronen Husaren und eine Freikompagnie fielen
in österreichische Gefangenschaft; an Toten und Verwun-
deten betrug der Verlust der Hessen keine 100 Mann^).
Auf diese Katastrophe hin hielten die Verbündeten, um so
mehr, als auf die Hessen nicht mehr zu rechnen war^),
nirgends mehr Stand ; es wurde beschlossen, auch das Land
zwischen Isar und Lech aufzugeben, der Kurfürst flüchtete
nach Augsburg. Am 9. April wurden im Schloss Isareck
noch 280 Hessen®) gefangen genommen"^).
Der Statthalter schickte auf die Nachricht von dem
Unglück bei Vilshofen 3 Ordres für Brandt an Donop ab ;
*) Oberst von OermanD und von Uffeln und Oberstlieuteoant
von Gilsa aus Linz an Brandt 7. April 1745. Dass Vilshofen, wie v. Hoff-
mann (das 4. bayerische lofanterierogimont 1706—1806) S. 291 angiebt,
schon am 25. und 26. März angegriffen , die Österreicher jedoch beidemal
energisch zurückgewiesen wurden, wird sonst nirgends angegeben und ist
sicher unrichtig.
*) Die Regimenter König und Prinz Georg.
^ Garde, Prinz Maximilian, Baumbach.
4) Berichte Donops 31. März, 2. und 5. April; Wilhelm an Mann
12. April 1745, In der Anmerkung bei Ranke (XXIX, 140) über die
Eroberung von Vilshofen ist der 2. und 3. Bericht KlinggrUffens auf
25. und 31. Dezember (statt März) datiert; öarlyle (VIII, 103J und Dove
(I, 297, Anm. 1) konstatieren die chronologische UnmÖglicnkeit, ohne
zu merken, wo der Fehler eigentlich steckt. Pajol (les guerres sous
Louis XV, II, 446—447) wird durch diese Anmerkung verleitet, die
Weigerung der Hessen, offensiv vorzugehen, den Fall Vilshofens und
das Zurückweichen der Kaiserlichen hinter die Isar auf das Ende des
Jahres 1744 zu verlegen ; dies hält ihn jedoch nicht ab, die Winter-
quartiere der Hessen richtig (zwischen Inn, Isar und Donau) anzugeben
(II, 449) und Vilshofen am 28. März 1745 noch einmal von den Öster-
reichern nehmen zu lassen (II, 471).
») Würdinger S. 84 und 87; Preuss S. 76.
*) Darunter der Rest des Regiments Baumbach.
^) Bericht Donops vom 12. April, Brandt aus Neufahrn b./Freising
an Donop 11. April 1745.
122
in der ersten wurde dem General befohlen, die hessischen
Truppen zusammenzuziehen — dies war indessen bei Lands-
hut geschehen — ; die zweite und dritte Ordre sollte Donop
erst an Brandt abschicken, wenn er es nöti^ fände ; die
zweite enthielt den Befehl, falls die Hessen abgeschnitten
würden oder sonst Widerstand unmöglich sei, die Neutralität
zu ergreifen ; die dritte, sich sofort neutral zu erklären. Am
Lech, schrieb der Prinz an Donop, werde der Widerstand
gegen die Österreicher nicht erfolgreicher sein als am Inn
und an der Isar; einen Übergang der Hessen auf das linke
ßheinufer werde er aber niemals gestatten ; das Truppenkorps,
„Hessens Peru", müsse dem Land erhalten bleiben *). Am
7. April sandte Aremberg aus Montabaur ein zweites Schreiben
an den Statthalter: er habe Ordre, Hessen und Hanau als
feindliche Länder zu behandeln und Kontributionen aufzuer-
legen, wenn der Statthalter nicht seine Truppen aus Bayern
zurückrufe und sich von den Feinden der Königin von Ungarn
trenne^). Wilhelm hätte, wie er an Mann schrieb^), am
liebsten dem Druck der Österreicher nachgegeben und die
Truppen zurückgerufen, aber er fürchtete die Rache der
Franzosen, die in Hanau schon als Freunde durch ihre grossen
Ansprüche das Land ruinierten ; so ^.zwischen Hammer und
Amboss" blieb ihm nichts übrig, als Aremberg eine dilatorische
Antwort zu geben, indem er sich auf seine frühere Erklärung
berief*). Wirklich schob Aremberg, der ein „nachdrucksames'*
Abmahnungsschreiben aus Holland erhalten hatte, die mili-
tärische Exekution auf und bat in Wien um Verhaltungs-
massregeln ^). Der Prinz dachte daran, zum Schutz der
Grenze wenigstens das Dragonerregiment aus Bayern zurück-
kommen zu lassen, um so mehr als der Vertrag für die
*) Wilhelm an Donop (und an Brandt) 7. April 1745: ce corps de
troupes fait notre Perou ; on le perdant nous perdrons toutes nos rossourses.
') Aremberg aus Montabaur an Wilhelm 7. April 1745.
*) Wilhelm an Mann 9. April 1745: sil les Fran9ai8 n'etaient pas ä
porteo et que je n'eusse pas ä craindre leurs ressentiments, vous devinerez
bien que je preudrais mon parti sans balancer et que je profitorais de la
douce violence, dont on menace les Etats du roi, mais me trouvant entre
Penclume et le marteau — .
*) Wilhelm an Aremberg 9. April 1745.
*) Aremberg aus Vallendar an Wilhelm 19. April 1745.
123
3000 Mann abgelaufen war und die Vilshofener Gefangenen
mit den Dragonern zusammen etwa diese Zahl ausmachten^);
doch kam der Plan nicht zur Ausführung. Mitte April er-
schien der frühere französische Gesandtschaftssekretär in
Wien, Vincent, in Kassel, um als ständiger Gesandter des
Versailler Hofs hier zu bleiben. Als Chavigny dies Donop
vorher ankündigte 2), war der Statthalter wenig erbaut über
die Neuerung ^) ; er glaubte, Vincent werde nur geschickt, um
ihn zu überwachen *). Ursprünglich war die Sendung wegen
der Verlängerung der Subsidienverträge, um die sich auch
der französische Gesandte in Stockholm bemühte^), beschlossen
worden ; als sich aber die Dinge in Bayern weiter ent-
wickelten, erhielt Vincent bald Ordre, die Vertragserneuerung
nicht mehr zu betreiben, sondern sich auf die Überwachung
Wilhelms zu beschränken; übrigens sollte er sich sorgfältig
hüten, den Anschein zu erwecken, als wollte der Versailler
Hof dem Statthalter irgend welche Vorwürfe machen ^).
Indessen erhielt Brandt — die Hessen waren von Lands-
hut über Moosburg, wo sie sich mit den Bayern vereinigten,
und Freising gegen Dachau marschiert — ein Schreiben von
Batthyani vom 12. April, worin dieser mitteilte, er sei zwar
von Wien aus verständigt worden, dass das hessische Korps
nur für seine eigene Sicherheit sorge, doch müsse er die
Hessen, so lange sie mit Öesterreichs Feinden vereinigt seien,
ebenfalls als solche betrachten"^). Am 16. April erhielt dann
Brandt — er stand nun nicht mehr weit von Augsburg an
der oberen Glon — Wilhelms 2. Ordre von Donop zuge-
schickt, zu deren Absendung sich dieser entschlossen hatte
auf die Kunde von der Niederlage, die Graf Segur mit den
Franzosen und Pfälzern, die sich östlich von Augsburg mit
den Bayern und Hessen hätten vereinigen sollen ®), bei
1) Wilhelm an Donop 10. April 1745.
«) Bericht Donops 24. März 1745.
3) Wilhelm an Donop 30. März 1745.
*) Wilhelm an Mann 22. April 1742: veiller sur notre conduite.
^) Friedrich an Wilhelm 16. April 1745.
®) Zevort, le marquis d'Argenson S. 82 — 83.
^) Batthyani aus Landshut an Brandt 12. April 1745.
«) Vergl. Würdinger S. 90—91.
124
Pfaffenhofen am 15. durch Batthyani erlitten hatte. Donop
teilte die Absendung der Ordre dem Kurfürsten und den
Gesandten der ünionsstaaten mit; Chavigny und KlinggräfFen
machten ihm bittere Vorwürfe, dass der Kasseler Hof seine
Verbündeten verlasse; Wilhelms Ordre, die Hessen sollten
sich auf die Defensive beschränken, sei an allem Unglück
schuld ^). Am 17. April hatte Brandt, der sich scheute, die
Verantwortung der Neutralitätserklärung auf sich zu nehmen ^),
in Friedberg bei Augsburg, wo die Bayern und Hessen in-
zwischen angekommen waren, eine Zusammenkunft mit Donop ;
als dieser nachher in Augsburg auf seine Frage, was nun
beabsichtigt sei, den Bescheid erhielt, die bayerische Armee
werde sich an den Neckar zurückziehen und von dort aus
mit den Franzosen vereint Bayern zurückerobern, erklärte
er offen, das hessische Korps werde sich hieran nicht be-
teiligen. Als er am nächsten Morgen — es war der 18. April
— hörte, die Bayern seien im Begriff den Lech zu über-
schreiten und der Kurfürst schicke sich an nach Mannheim
zu flüchten, sandte er die letzte Ordre an Brandt; dieser
erhielt sie auf dem Weg nach Augsburg, wo er Donop mit-
teilte, Törring sei bei ihm gewesen und habe gesagt, er
rechne nicht mehr auf die Hessen, sie sollten hingehen, wo
sie wollten ^). Hessischerseits wurde nun ein Trompeter an
den Kommandanten der österreichischen Avantgarde, Prinz
Lobkowitz, geschickt mit der Neutralitätserklärung und der
Bitte um Einstellung der Feindseligkeiten ; der Prinz Hess
erwidern, die Hessen sollten bei Lechhausen (gegenüber von
Augsburg) stehen bleiben. Törring ^) hatte nach seinem Über-
gang über den Lech beide Brücken abbrechen lassen, so dass
das hessische Korps ohne die Neutralitätserklärung verloren
:)
Bericht Donops aus Augsburg 17. April 1745.
Brandt 16. April 1745 an Donop: die 2. Ordre ist „sehr spitz
und mir zu hoch''.
*) Anders als der Bericht Donops (19. April) lautet die Darstellung
bei Würdinger (S. 92—93); doch ist die Angabe, Törring hätte ohne die
Neutralitätserklärung der Hessen noch einen Kampf gewagt, sicher unrichtig.
*) Bericht Donops aus Augsburg 22. April 1745: Törring sei von
jeher ein Gegner der Hessen gewesen; „gräce ä Dieu que nous sommes
hors de ses pattes; pour moi, je le meprise souverainement*^.
125
gewesen wäre ^). Bayerischerseits wurde nachher behauptet,
die Hessen hätten bei der Trennung von den Bayern auf
diese geschossen ^) ; doch ergab eine Untersuchung nur, dass
einige Hessen mit einer bayerischen Husarenpatrouille hand-
gemein geworden waren, und das Schiessen wurde auf Rech-
nung der verfolgenden Österreicher gesetzt^).
Indessen siegte bei Max Joseph die Friedenspartei; er
gab den Gedanken an die Flucht nach Mannheim auf*) und
schickte an den Fürsten von Furstenberg, der schon längere
Zeit, unterstützt von Seckendorff, in Füssen mit Graf Colloredo
unterhandelte, Ordre, den Frieden abzuschliessen ^) ; am
22. April kam er zustande: der Kurfürst verzichtete auf alle
seine österreichischen Ansprüche und versprach seine Kur-
stimme bei der Kaiserwahl dem Grossherzog Franz ^).
Prinz Wilhelm war sehr erfreut, durch die Neutralitäts-
erklärung seine Truppen gerettet zu sehen; der Hof und
ganz Kassel, schrieb Asseburg an Donop, sei erfüllt davon;
Vincent sei der einzige, der sich nicht darüber freue'). Da-
gegen war der Statthalter sehr unangenehm berührt, dass
Max Joseph ohne sein Vorwissen über den Frieden verhandelt
hatte und Hessen im Füssener Vertrag nicht erwähnt war®);
dies Verstösse gegen die Verträge, schrieb der Prinz an
Donop; hätte ihm der Kurfürst mitgeteilt, wie nahe er am
^) Bericht Donops aus Augsburg 19. April 1745.
*) Der tapfere bayerische Kaminfeger Franz Carl Cura giebt in
seinem Tagebuch (herausgegeben von Würdinger im Oberbayerischen
Archiv Bd. 88) S. 40 an, über 20 bayerische Husaren, darunter er selbst,
seien von 364 (!) hessischen Deserteuren (also nicht von der hessischen
Armee aus) verwundet worden.
8j Bericht Donops 25. April, Bericht Brandts 22. April 1745 aus
Oberhausen.
*) Nach Donops Bericht war schon alles darauf vorbereitet und die
Flucht unterblieb nur, weil Max Joseph, nachdem die Franzosen die
Lechbrücke bei Rain aufgegeben hatten, sich auf der Reise für nicht ge-
nügend gesichert hielt. Die hessische Neutralitätserklärung war wohl
nicht von EinflusB auf den Entschluss des Kurfürsten ; er wusste ja schon
vorher, dass auf die Hessen eigenthch nicht mehr zu rechnen war.
«^) Bericht Donops 19. April 1745.
•) Vergl. Ameth 111, 21 ff.; Preuss, der Friede zu Füssen.
^) Asseburg an Donop 24. April 1745.
^) Fürsten berg hatte ohne Erfolg versucht, Pfalz und Hessen in
den Frieden mit aufzunehmen (Pretiss, der Friede zu Füssen S. 85).
126
Friedensschluss sei, so wäre die Neutralitätserklärung viel-
leicht gar nicht nötig gewesen. Wilhelm gab Donop Ordre, in
München an den Artikel des Vertrags von 1744 zu erinnern,
worin dem Kasseler Hof nach dem Frieden noch 3 Jahre lang
je 250000 Thaier zugesagt waren; er wisse wohl, schrieb er,
dass dies unter den jetzigen Verhältnissen nicht zu erreichen
sei, aber Donop müsse doch auf dem Artikel bestehen, damit
Hessen dafür beim allgemeinen Frieden desto sicherer die
Unterstützung des Mnnchener Hofs gewinne zur vollständigen
Durchführung (conserver en son entier) des 1. Geheimartikels *).
Es wäre unbegreiflich, wenn der Statthalter nach diesem
jammervollen Ende des Kriegs wirklich die Erlangung der
Kurwürde oder gar einer Gebietserweiterung für möglich ge-
halten hätte. Chavigny machte gleich nach der Neutralitäts-
erklärung der Hessen einen Versuch, den Kasseler Hof auf
der französischen Seite festzuhalten. Er Hess Donop durch
Klinggräffen sagen, er hoffe, dass der Prinz seine Truppen
nur zur Ergänzung nach Hessen zurückrufe, nicht aber, um
ein anderes Engagement zu nehmen. Ob man nicht jetzt in
einem Geheimvertrag über eine massige Subsidie überein-
kommen könne, bis die Sache der Frankfurter linierten wieder
günstiger stehe? Wenn dann Wilhelm bei der Politik der
Union verharren wolle, so werde der Versailler Hof die bis-
herigen Subsidien fortsetzen ^). Aber hessischersei ts gieng
man auf die Lockungen Chavignys nicht ein.
Die hessische Politik und Kriegführung seit dem Tod
Kaiser Karls VH. bietet mit ihren halben Massregeln kein
erfreuliches Bild. Es war eben den kleinen deutschen Staaten
mit ihren geringen Streitkräften unmöglich, neben den grossen
Mächten selbständig aufzutreten : sobald sich ein feindliches
Korps der Landesgrenze näherte, wurde die ganze Politik
über den Haufen geworfen. Das zweideutige Benehmen der
Hessen ist zwar gewiss nicht allein schuld an dem jämmer-
lichen Verlauf des Kriegs in Bayern — bei der Zerfahrenheit,
die dort seit des Kaisers Tod herrschte, hätten die Oster-
1) Vergl. S. 96—97. Wilhelm an Donop 27. April 1745.
«) Bericht Donops 19. April 1745.
127
reicher sicherlich auch ohne dies Erfolge errungen — , aber
es lässt sich doch nicht leugnen, dass Wilhelms erste Ordre
an Brandt sehr nachteilige Folgen gehabt und die Katastrophe
in Bayern militärisch wie moralisch beschleunigt hat. Für
das Interesse des Kurfürsten wäre es vielleicht noch besser
gewesen, wenn der Statthalter auf Arembergs Drohung hin
die Truppen gleich hätte neutral erklären lassen ; man hätte
dann bayerischerseits doch gewusst, woran man war. Wilhelm
hätte dies auch gewiss gethan, wenn er sich nicht vor der
Rache der Franzosen gefürchtet hätte ; denn er hatte nach
dem Tod des Kaisers innerlich mit der Union gebrochen und
hatte schon wieder ein künftiges Bündnis mit den Seemächten
im Auge; auch die Stimmung in der hessischen Armee war
der Fortsetzung des Kriegs nach dem Tod des Kaisers ab-
geneigt ^). Des Verrats ^) kann man den Prinzen nicht be-
zichtigen. Er war nach dem Vertrag mit dem Kaiser voll-
ständig berechtigt, sobald Hessen bedroht war, die 6000 Mann
zurückzurufen ^), und hatte für diesen Fall sogar Anspruch
auf Hilfeleistung von Bayern, Preussen und Frankreich; die
3000 Mann hätte er schon längst wegen des Rückstands der
Zahlungen zurückziehen können. Wilhelm hatte auch am
Münchener Hof und in Berlin Valory ankündigen lassen, er
könne, wenn Maillebois sein Land nicht gegen die Oster-
reicher schütze, für nichts garantieren, und, als die Franzosen
trotzdem das hessische Land seinem Schicksal überliessen
und der Prinz sich durch Arembergs Drohungen zu der ver-
hängnisvollen Ordre an Brandt entschliessen musste, that er
diesen Schritt nicht etwa hinter dem Rücken der Verbündeten,
sondern Donop setzte den Münchener Hof in Kenntnis davon.
*) Dies ergiebt sich ausser aus dem Resultat des Kriegsrats von
Prinz Friedrich (s. S. 112) aus einem Schreiben Donops an Asseburg
(29. Januar) : je sais qu'ii se tient des discours fort indiscrets parmi noa
gens et qu'on no fait pas difficulte de dire pubiiquement qu'on n'agira
plus et qu'on s'en retournera incessament dans notre pays.
*) Broglie (Marie-Therese imperatrice 1, 317) nennt ihn un prince
volage et perfide ; Zevort (Argenson S. 83) sagt : l'ordre envoye aux troupes
hessoises ressemblait fort ä une trahison ; auch Würdinger (S. 83) spricht
von Verrat.
«) s. S. 96.
128
Die Neutralitätserklärung aber war ein Akt der Selbst-
erhaltung ; die Sache des Kurfürsten war verloren , jeder
suchte sich zu retten, wie er konnte; der Münchener Hof
hatte ja selbst schon lange ohne Wissen seiner Verbündeten
über den Frieden verhandelt und schloss wenige Tage nach
der hessischen Neutralitätserklärung den Füssener Frieden ohne
Rücksicht auf die übrigen ünionsmitglieder ab. Bayerischer-
seits war man übrigens weit davon entfernt, dem Kasseler
Hof aus seinem Verhalten einen Vorwurf zu machen. Donop
hatte wenige Tage nach dem Frieden eine Audienz bei dem
Kurfürsten, wobei dieser den Statthalter seiner Freundschaft
versichern Hess ; auch verwendete er sich bald darauf „als
Vikarius des Reichs und Alliierter Hessens" bei den Öster-
reichern für die hessischen Truppen^).
8. Kapitel.
Abführung des hessischen Korps nach Ingolstadt ;
Subsidienvertrag mit England im Juni 1745;
Friede zu Dresden.
Der Statthalter war entschlossen, seine Truppen, wenn
sie sich in der Heimat erholt hätten, an England oder Hol-
land zu geben ; gleich nach der Nachricht von der Neutralitäts-
erklärung Hess er Harrington durch Alt mitteilen, er habe
nun die Hände frei und sei zu einem Subsidienvertrag be-
reit^. Aber wenn der Prinz gedacht hatte, er könne frei
über seine Truppen verfügen, so sollte er sich hierin ge-
täuscht sehen; der Wiener Hof, über Hessens Parteinahme
») Vergl. S. 132.
«) Wilhelm an Alt 26. April 1745; an seinen Bruder Friedrich
schrieb der Prinz am 1. Mai, er beginne ä travailler ä un nouvoau projet
d^accomodement avec les anciens amis.
129
für den verstorbenen Kaiser höchst erbittert ^), gedachte sie
nicht so leichten Kaufs ziehen zu lassen. Wer bürgte Maria
Theresia dafür, dass die Hessen, wenn sie sich ihrer nicht
versicherte, nicht in wenigen Wochen auf französischer oder
preussischer Seite wieder gegen sie fechten würden? Wer
konnte wissen, ob nicht der Statthalter nur deshalb mit den
Seemächten wieder angeknüpft hatte, damit seine Lande
schonend behandelt würden? Man behauptete sogar in Wien
zu wissen, Wilhelm habe Vincent gegenüber geäussert, er
werde seine Truppen weder an Osterreich noch an dessen
Verbündete geben ^). Aber selbst wenn es dem Statthalter
mit seinen Verhandlungen mit den Seemächten Ernst war,
konnte nicht Prinz Conti ^), Maillebois' Nachfolger, jeden
Tag in Hessen einrücken und ihm die Pistole auf die
Brust setzen, nachdem Aremberg mit diesem Verfahren seinen
Zweck so gut erreicht hatte? Solche Erwägungen führten in
Wien zu dem Beschluss, das hessische Korps, das in seiner
Stellung bei Augsburg völlig in der Gewalt der Österreicher
war, nicht eher abziehen zu lassen, als bis der Statthalter
mit England abgeschlossen hätte. Zwei Tage nach der
Neutralitätserklärung waren die Hessen nach Wiederher-
stellung der abgebrochenen Brücke von Lechhausen auf das
Augsburger Ufer nach Oberhausen übergegangen^); am
27. April wollten sie den Marsch nach der Heimat beginnen;
ein Teil war bereits von Oberhausen nordwärts nach Norden-
dorf marschiert ^), als Batthyani Brandt melden liess, er möchte
M "Wessen man den Wiener Hof für fähig hielt, beweist das Ge-
rücht, Osterreich wolle nicht nur Babenhausen, sondern ganz Hanau an
Darmstadt geben, Hersfeld, Schaumburg und Plesse an Hannover (Aus-
zug eines Schreibens aus Frankfurt vom 2. Mai 1745).
^) Der österreichische Kanzler ülfeld erwähnte dies dem holländischen
Botschaftssekretär Dorte gegenüber (Dorte aus Wien 2. Juni an den
Grosspensionär).
^) Dass der Statthalter Conti den Durchmarsch durch Hessen ver-
weigerte, wie Droysen (V, 2, 452) angiebt, wird nirgends bestätigt; Wil-
helm wäre ohne Truppen nicht in der Lage dazu gewesen.
*) Bericht Donops aus Augsburg 22. April 1745.
^) Ein höhnendes Gedicht „bei dem erfreulichen Abmarsch eines
ansehnlichen Korps der tapferen Hessen*^ erschien bei dieser Gelegenheit
in Augsburg.
N. F. Bd. XXIII. 9
13Ö
den Weitermarsch noch um einige Tage verschieben^ weil die
Gegend um Donauwörth überall mit österreichischen Truppen
belegt sei. Zwei Tage später kam dann die überraschende
Meldung, Battbyani könne den Abmarsch nicht gestatten,
ehe man sich hessischerseits anheischig gemacht habe, erstens
„im Verein mit den Truppen der Reichskreise zur Befreiung
des Kurfürsten von Mainz, dann zur Versicherung der freien
Eaiserwahl mittelst Entfernung fremder Truppen sich werk-
thätig verwenden zu wollen**, zweitens „dieses Korps Truppen
in englischen oder holländischen Sold zu überlassen^* ^). Das-
selbe schrieb Batthyani auch an den Statthalter; zugleich er-
hielt Asseburg ein Schreiben von dem jetzt in österreichischen
Diensten stehenden General Diemar, worin dieser berichtete,
Maria Theresia habe erklärt, sie fordere kein Lösegeld für
die hessischen Gefangenen, verlange aber, dass der Kasseler
Hof zur österreichischen Partei übertrete ^). Wilhelm gedachte,
obwohl er eine Versöhnung mit Österreich als geboten ansah ^)
und selbst einen Bund mit den Seemächten wünschte, sich
doch der gewaltthätigen Zumutung des Wiener Hofes nicht
zu fügen ; um so weniger, als er wegen der Armee des Prinzen
Conti noch nicht offen auf die Seite der Gegner Frankreichs
treten wollte ^). Er stellte dies dem holländischen Gesandten
in Wien, Burmannia, an den er sich wegen des Rückmarschs
der Truppen wandte, vor und fügte bei, Massregeln, wie sie
der Wiener Hof ergriffen habe, seien bei seiner Neigung zu
einem Bund mit den Seemächten nicht nur unnötig, sondern
könnten nur schaden; auch den Grosspensionär Hess Wil-
helm durch Mann bitten, sich in Wien für die Freilassung
der hessischen Truppen zu verwenden. An Brandt schickte
der Prinz eine Deklaration über die Neutralität des hessischen
Korps, welche dieser durch den General von Mansbach an
Batthyani nach Neuburg übersandte, indem er ihn zugleich
^) Promemoria Donops für den Kurfürsten von Bayern 11. Mai 1745.
*) Asseburg an Donop 8. Mai 1745.
«) Wilhelm an Friedrich 24. April 1745.
*) Wilhelm an Brandt 4. Mai, an den holländischen Gesandten
Bnrmannia in Wien 3. Mai 1745.
unter Berufung auf Artikel 13 des Püssener Friedens, worin
den Hilfstruppen des Kurfürsten in Bayern freier Abzug zu-
gestanden wurde, bat^ die Hessen nach ihrer Heimat marschieren
zu lassen. Aber auf österreichischer Seite erklärte man, der
Artikel finde auf das hessische Korps keine Anwendung^ da
dieses am Tag des Füssener Friedens sich schon ausserhalb
Bayerns {Oberhausen lag auf Augsburg^schem Gebiet) be-
funden habe ^). Wie es in Wahrheit gemeint war, konnte
man daraus ersehen, dass am 8. Mai ein pfälzisches Korps
bei Lechhausen, also in Bayern, von den Österreichern um-
ringt, zur Ergebung genötigt und kriegsgefangen nach Neu-
burg abgeführt wurde ; zugleich machten sie auch Miene, die
Hessen einzuschliessen ^). Wilhelm glaubte noch immer, dass
Batthyani die Hessen anders behandeln werde als die Pfälzer,
weil sie weit zahlreicher waren — sie betrugen noch nahe-
zu 6000 Mann — und mit Rücksicht auf die Seemächte^).
Diese aber waren offenbar von dem Vorgehen des Wiener
Hofs unterrichtet und damit einverstanden % Der Prinz sandte
den Kriegsrat von Miltitz nach Bayern an Batthyani und gab
ihm ein Blanquet mit; nur auf die Vereinigung der Hessen
mit den Österreichern sollte er sich unter keinen Umständen
einlassen^ womöglich aber Aufschub der Entscheidung er-
langen und dann in Wien selbst Vorstellungen machen; zu
diesem Zweck bekam er Schreiben Wilhelms an Maria Theresia,
ihren Gemahl, Burmannia und den englischen Gesandten
Robinson mit^). An Brandt schickte Wilhelm die höchst
unklare Ordre, er solle, wenn man österreichischerseits vor
Miltitz^ Ankunft etwas unternehme, „sich in Positur setzen
und allenfalls einer solchen unrechtmässigen Gewalt den ge-
hörigen Widerstand thun, auch in Zeiten die nötigen
dispositiones darauf machen und alsdann die Extremität ab-
Dorte aus Wien an WUhelm 16. Mai 1745.
') Proraemoria Donops 11. Mai 174Ö.
8) Wilhelm an Donop 18. Mai 1746.
*) Burmannia, der angeUioh krank war, hatte Wilhelms Schreiben
nur durch seinen Sekretär beantworten lassen, der Ausflüchte gebrauchte
wie „er habe Ulfeid nicht getroffen".
6) Instruktion für Miltitz 16. Mai 1745.
9*
132
warten; jedoch wenn es zu dieser kommen sollte, bei der
offenbar überlegenen und grösseren Macht alsdann lieber die
Gefangenschaft annehmen und das Korps and dessen honnear
so gut und füglich als möglich retten" ^). Donop hatte in-
dessen dem Kurfürsten von Bayern auf Wilhelms Wunsch
ein Promemoria überreicht und ihn um seine Vermittlung
gebeten ; Max Joseph versprach sein Möglichstes zu thun ^)
und schickte den Oberst de la Ros6e wegen der hessischen
Angelegenheit ins österreichische Hauptquartier nach Neuburg,
wo ihm der Feldmarschall Traun eine beruhigende Erklärung
gab % Aber am 18. Mai gegen Abend erschien im hessischen
Lager der österreichische Generalfeldwachtmeister Graf
von Lucchesi und verlangte im Auftrag Trauns und Batthyanis
von den hessischen Generalen die Unterschrift folgender Er-
klärung: es sei Maria Theresias letzter Entschluss, dass, da
die österreichische Armee weiter vorrücke gegen die Fran-
zosen, die Hessen sich in die Festung Ingolstadt zurückziehen
sollten, bis ,;Werkthätige Versicherung" geschehen sei, dass
sie in englische oder holländische Dienste treten werden;
man sei keineswegs gesonnen, sie in Kriegsgefangenschaft zu
nehmen, sondern nur sie in Verwahrung zu behalten; die
„natürliche Folge*' hiervon ergebe, dass sie Feuer- und
Seitengewehr nebst Fahnen und Standarten dem Komman-
danten von Ingolstadt übergeben müssten. Also schmähliche
Entwaffnung des hessischen Korps war von den Österreichern
beschlossen; dass die Hessen nicht als gefangen betrachtet
werden sollten, klang geradezu wie Hohn. 24 Stunden Be-
denkzeit wurden gewährt; nach Ablauf dieser Frist, deutete
man an, würden die Österreicher über die Hessen herfallen.
Die Lage Brandts war verzweifelt: der Feind war weit über-
legen, die Hessen getrennt — ein Teil bei Oberhausen, der
andere bei Nordendorf — , dazu viele nicht in wehrhaftem
Zustand; die Zufuhr von Lebensmitteln abgeschnitten, eine
1) Wilhelm an Brandt 15. Mai 1745.
•) Bericht Donops 12. Mai 1745.
«) Bericht Donops 22. Mai 1745.
133
Sendang Mansbachs nach Neuburg wurde nicht genehmigt,
geschweige denn das Abwarten neuer Ordres aus Kassel; da
entschloss sich Brandt mit den übrigen Generalen am 19.
Mittags zur Unterschrift ^). Der Statthalter war ausser sich ;
er erklärte, er werde diese Konvention nie ratifizieren und
schickte sofort Ordre an Brandt, er solle, wenn das hessische
Korps schon auf dem Weg nach Ingolstadt sei, sofort Halt
machen lassen und sich allem anderen eher aussetzen als der
Schmach der Waffenauslieferung ^). Miltitz, der inzwischen
in Neuburg angekommen war, bot alles auf, um die
Kapitulation rückgängig zu machen ; er bot den Österreichern
carte blanche, aber es war alles umsonst. Als Wilhelms
Courier an Brandt eintraf, befand sich der grössere Teil der
Hessen bereits in Ingolstadt^); auf dem Marsch dorthin fand
grosse Desertion statt. Übrigens wurde die Kapitulation
durch Traun in manchem gemildert: die Hessen durften mit
klingendem Spiel in Ingolstadt einziehen und ihre Waffen
und Fahnen selbst nach dem Zeughaus bringen, Offiziere und
Unteroffiziere durften die Waffen behalten, ebenso 200 Mann
wegen des Wachtdienstes ; auch sollten keine Hessen von den
Österreichern angeworben werden. Der Kommandant von
Ingolstadt kam Brandt mit Höflichkeit entgegen^). Der
Statthalter beruhigte sich nach und nach, als er sich über-
zeugte, dass Widerstand vergeblich gewesen wäre; es sei
immer noch besser so, schrieb er seinem Bruder nach Stock-
holm, als wenn die Trappen vernichtet worden wären ^)!
Friedrich war Anfangs ebenfalls empört über die Kapitulation
und wollte Brandt verabschieden, was aber auf Wilhelms Für-
sprache hin unterblieb®).
Wenn der Statthalter die hessischen Truppen befreien
wollte, so musste er eilen, mit England oder Holland einen
Subsidien vertrag zu schliessen; Newcastle und Chesterfield
*) Bericht Brandts aus Nordendorf 20. Mai 1745.
«) Wilhelm an üonop 25. Mai 1745.
*) Wilhelm an Donop 5. Juni 1746.
*) Berichte Brandts aus Ingolstadt 27. Mai, 7. und 21. Juni 1745.
») Wilhelm an Friedrich 29. Mai, an Alt 1. Juni 1745.
•) Friedrich an Wilhelm 11. Juni, Wilhehu an Friedrich 26. Juni 1745.
134
sagten zu Alt, es sei die höchste Zeit dazu, sonst könne es
noch die grössten Schwierigkeiten geben '). So schickte
denn Wilhelm, nachdem Harrington, der nach Hannover
reiste, im Haag mit Mann eine Unterredung gehabt hatte,
am 11. Juni Assebnrg nach Hannover wegen eines Vertrags.
König Georg drückte seine Freude aus, dass der Kasseler Hof
wieder zu seinen alten Verbündeten zurückkehren wolle, und
am 16. Juni schloss Asseburg mit Harrington einen Subsidien-
vertrag ab, konnte es aber nicht erreichen, dass dies im
Namen der Niederlande geschehe, was der Statthalter mit
Rücksicht auf seinen Bruder gewünscht hatte, weil dieser
einem Bund mit England, das mit dem Versailler Hof in
offenem Krieg lag, abgeneigt war^). Hessen überliess König
Georg 6000 Mann auf 4 Jahre; nach einem Monat sollten
diese Truppen nach den Niederlanden marschieren. Die Be-
dingungen waren die gleichen wie im Vertrag von 1740, nur
dass die Mobilmachungsgelder natürlicherweise wegfielen.
Die alten Soldrückstände — */9 davon, nämlich 448 000 Gulden,
hatte Frankreich bezahlt^) — sollten getilgt werden. Auf
9000 Mann erklärte sich Harrington ohne Bücksprache mit
seinen Kollegen nicht einlassen zu können, dagegen verlangte
er einen Geheimartikel, dass der Kasseler Hof für den Fall,
dass England noch ein Truppenkorps brauche, 3000 Mann,
darunter 600 Dragoner, bereit halten solle ; er wollte damit
vorbeugen, dass Hessen seine übrigen Truppen nicht wieder,
wie im Jahr 1742, in einer der englischen Politik wider-
streitenden Weise anwende. Auf Wilhelms Wunsch, dass der
Dienst gegen den König von Preussen und andere Beichs-
fürsten ausgenommen werden solle, gieng Harrington nicht
ein, ebensowenig auf das Anerbieten, ob nicht der Kasseler
Hof für immer die 10000 Mann stellen könnte, welche Eng-
land den Niederlanden im Angriffsfall vertragsmässig zu
stellen hatte*).
Bericht Alts 28. Mai 1745.
Friedrich an Wühelm 4. Mai 1745.
Bericht Donops 3. Juli 1745.
*) Vertrag zu Hannover 16. Juni 1745. Instruktion für ÄBseburg
9. Juni, Bericht Asseburgs aus Hannover an Friedrich 18. Juni 1745.
135
Der Statthalter war in Sorge, ob sein Bruder den Ver-
trag auch ratifizieren werde; denn Friedrich hatte ihm, als
er von dem Gewaltakt der Österreicher gegen seine Truppen
erfuhr, geschrieben, lieber wolle er seine Truppen den Türken
geben, als sie für das Interesse der Königin von Ungarn
verwenden lassen^). Trotzdem ratifizierte der König den
Vertrag, machte aber die Bedingung, dass die Hessen nie
ohne seine ausdrückliche Zustimmung einem österreichischen
General unterstellt werden sollten'), was Harrington im
Namen König Georgs zugestand. Die hessischen Truppen —
sowohl die in Ingolstadt als die Kriegsgefangenen, welche
nach Wiener-Neustadt gebracht worden waren, — erhielten
sofort nach dem Abschluss des englischen Subsidienvertrags
die Erlaubnis, nach der Heimat zu marschieren^). Donop
verliess nun den Münchener Hof*) und Vincent wurde, als
man in Versailles den Abschluss Hessens mit England er-
fuhr, von Kassel abberufen ^).
Friedrich von Preussen hatte im Mai, als die Öster-
reicher wieder in Schlesien einbrachen, wieder um das vertrags-
mässige Hilfskorps nachgesucht, da er, für den Fall, dass der
Kasseler Hof seine Truppen nicht gegen Österreich und Sachsen
fechten Hesse, als Besatzung von Berlin, Magdeburg und Glogau
zu verwenden gedachte^). Hessischerseits wurde damals er-
widert, die Hilfesendung sei unmöglich, da die Truppen noch in
Ingolstadt von den Österreichern festgehalten würden '). Nun,
nachdem sie freigeworden waren, wiederholte der König, der
übrigens von Wilhelm über den englischen Vertrag unter-
richtet worden war®), sein Verlangen®), bekam aber die
») Friedrich an Wilhelm 11. Juni 1745; vergl. Pol. Korr. IV, 206.
•) Friedrich an Wilhelm 12. Juli 1745.
^) Wilhehn an Donop 3. Juli 1745.
*) Donop wurde im Frühjahr 1746 noch einmal nach München ge-
sandt wegen der rückständigen Qelder für die 3000 Mann (Denkwürdig-
keiten des Freiherm Achatz Ferdinand von der Asseburg S.-35).
*) Zevort, Argenson S. 85.
0) Friedrich fi. an Friedrich (I.) und Wilhelm 8. Mai 1745, vergl.
Pol. Korr. IV, 41 und S. 111.
') Friedrich (I.) aus Kongsör an Friedrich II. 27. Juni 1745 (das
Schreiben war in Kassel entworfen); vergl. PoL Korr. IV, 193.
Pol. Korr. IV, 215.
Friedrich II. aus Potsdam an Friedrich (1.) und Wilhelm 27. Juli 1745.
?
136
Antwort, was der Kasseler Hof ausser den an England ge-
gebenen Trappen zur Verfügung habe, sei in diesem Jahr
nicht mehr marschfähig und ausserdem ebenfalls schon den
Seemächten verpflichtet ^). Da Friedrich 11. einsah, dass dem
Statthalter nach der Abführung seiner Truppen nach Ingolstadt
nichts anderes übriggeblieben war als der Übertritt auf die
englische Seite ^), so blieben die Beziehungen Hessens zu
Preussen die freundschaftlichsten. Wilhelm suchte auch zur
Versöhnung des Berliner Hofs mit England beizutragen; er
selbst und Asseburg waren im August in dieser Richtung in
Hannover thätig, doch zog man es dort zum lebhaften Bedauern
des Statthalters vor, direkt mit Preussen zu verhandeln^):
am 26. August schloss Harrington mit Andrie die den
Breslauer Frieden erneuernde Konvention von Hannover ab.
In diesen Präliminarfrieden, der von dem Wiener Hof freilich
abgelehnt wurde, wurde Hessen, wie auch Pfalz, mit auf-
genommen, ohne jedoch die ersehnte Kurwürde zu erlangen,
um die sich Friedrich von Preussen bei seinen früheren
Friedensverhandlungen mit England, wenn auch ohne grossen
Eifer, für den Kasseler Hof bemüht hatte*).
Ende August zogen die 6000 Hessen, nun wieder unter
Prinz Friedrichs Kommando, nach einmonatlichem Aufenthalt
in der Heimat nach den österreichischen Niederlanden, um
dann im nächsten Jahre bei der Niederwerfung des Stuart'schen
Aufstands in Schottland ^) und nachher — auch die General-
staaten hatten indessen 3000 Hessen angeworben ^) — wieder
in den Niederlanden Verwendung zu finden. Aber die Hessen
kämpften jetzt lediglich als Söldner, politisch war der Kasseler
Hof nicht mehr am Krieg beteiligt. Als der Statthalter Anfangs
^) Friedrich (I.) aus Hahnstadt an Friodrich II. 14. September 1745;
vergl. S. 134.
») Pol. Korr. IV, 215.
*) Berichte Asseburgs aus HanDover 13. und 15. August 1745;
vergl. Pol. Korr. IV, 267, Anm. 4; Wilhelm aus Ystadt an Asseburg
22. August 1745.
*) Pol. Korr. IV, 132; vergl. IV, lOl.
*) von Sta/mfordf die Heerfahrt des Prinzen Friedrich von Hessen
Dach Schottland (Zeitschrift für hessische Geschichte X, 49 f.).
ö) Desgl. S, 67.
137
Oktober von einer zum Besuch seines Bruders unternommenen
Reise nach Schonen zurückkehrte, war der Grossherzog von
Toskana zum Kaiser erwählt und der Wiener Hof hatte
damit trotz seiner schweren Niederlagen gegen Preussen
wenigstens im Reich seine alte Stellung wieder errungen.
Wilhelm glaubte es unter diesen umständen nicht umgehen
zu können, dem neuen Kaiserpaar in Frankfurt seine Auf-
wartung zu machen ^) ; nachdem er Asseburg vorausgeschickt
hatte, um zu sondieren, wie sein Besuch aufgenommen würde,
begab er sich Mitte Oktober nach Frankfurt. Der Kaiser
empfieng den Prinzen sehr liebenswürdig (fort gracieux),
während die Aufnahme von Seiten Maria Theresias kühl
war (un peu de froid et de serieux) ; glaubte doch Wilhelm
zu wissen, dass er als Anstifter aller gegen Österreich ge-
richteten Pläne gelte. Bei einem zweiten Besuch war jedoch
auch die Kaiserin, nach einigen Aufklärungen von beiden
Seiten, etwas zugänglicher (assez gracieuse) ^).
Das Ende des Jahres brachte noch den Frieden zwischen
Preussen und Österreich, nachdem die Hoffnung Maria There-
sias, den preussischen König im Verein mit Sachsen doch noch
niederzuwerfen, gescheitert war. Der Kasseler Hof wurde durch
Friedrich H. in den Dresdener Frieden mit aufgenommen;
Wilhelm rechnete dies dem König hoch an und schickte zu
Anfang des Jahres 1746 Asseburg nach Berlin, um ihm
dafür zu danken und zum Frieden Glück zu wünschen^).
Wahrlich, der Statthalter war sehr heruntergegangen mit
seinen Ansprüchen, wenn er über den blossen Miteinschluss
Hessens in den Frieden schon die lebhafteste Freude empfand ;
mit den Träumen von Kurhut und Gebietserweiterung war
es vorbei. Aber wenn Wilhelm auch keine Erfolge erzielt
1) Wilhelm aus Bützow i. Mecklenburg (der Statthalter besuchte
hier auf dem Rückweg von Schweden seine Schwester Sofie Charlotte,
die Wittwe'eines mecklenburgischen Herzogs) an Asseburg 28. September,
an Friedrich 29. September 1745.
^) Wilhelm aus Hanau an Friedrich 18. Oktober 1745; Friedrich
d. Gr. sagt in der histoire de mon temps (S. 387) von Maria Theresia:
eile poussa la fierte jusqu'ä etre grossiere euvors le prince Ouillaume
de Hesse.
^) Instruktion für Asseburg 17. Januar 1746.
138
hat, so verdient doch der Eifer und die rastlose Tbätigkeit,
womit er nach seinem Ziel^ die Macht Hessens zu erhöhen,
gestrebt hat, alle Anerkennung, und wenn auch in seiner
Politik — besonders vom heutigen Standpunkt aus —
manches unbegreiflich erscheint, so hat er doch stets das
Wohl seines Landes dabei im Auge gehabt. Jedenfalls
unterscheidet er sich in der Ausübung seines Herrscher-
berufs vorteilhaft von den meisten Fürsten ;seiner Zeit, die,
in die Genüsse des Hoflebens versunken,' die Regierung ihres
Landes Günstlingen überliessen.
In die Zukunft sah der Prinz schwarz; das wieder er-
starkte Ansehen Österreichs im Beich, der an einzelnen Höfen
herrschende Einfluss Frankreichs und dessen Eintreten für
die Stuarts erfüllten ihn mit schwerer Besorgnis für den
Protestantismus; er sah dagegen nur ein Mittel: den An-
schluss Preussens an die Seemächte; und dieser Partei,
meinte er, müssten sich auch die Reichsstände anschliessen ^).
Wilhelm sollte dieses „gute System" nicht nur noch erleben,
sondern auch selbst mit Land und Volk dafür einstehen : als
treuer Verbündeter Englands und Preussens gegen seine alten
Gegner Frankreich und Österreich hat er im 7jährigen Krieg
noch im höchsten Alter in die Verbannung gehen und fern
von seiner Hauptstadt sterben müssen, indess die hessischen
Truppen im Kampf gegen die Franzosen mehr Ruhm erwarben,
als einst im österreichischen Erbfolgekrieg.
*) Wilhelm ans Hanau an Friedrich 18. Oktober 1745.
IL
Die Geschichte der französischen Kolonie
Franenberg: bei Marburg:«
Nach den Akten des Marburger Staatsarchivs
und aaderen Quellen
von
Dr. Eduard Wintzer,
Oberlehrer in Marburg.
lie Kolonisationen des 17. und 18. Jahrhunderts in den
protestantischen Ländern waren fast immer die Folge
gewaltsamer Gegenreformation in den katholischen. Das
religiöse Interesse leitete zunächst sowohl die Auswanderer
als die Schutzbietenden; doch waren für letztere zugleich
die volkswirtschaftlichen Gründe entscheidend. Deutschland
war nach dem 30 jährigen Krieg ganz besonders darauf an-
gewiesen, recht viel tüchtige Leute aus dem Auslände herbei-
zuziehen.
Der Landgraf Carl von Hessen-Cassel, wie der grosse
Kurfürst und die drei ersten preussischen Könige ein warmer
Verehrer des Colbertschen Manufaktur- und Merkantilsystems
und auch reformierter Fürst, fühlte sich wie jene vornehmlich
dazu berufen, den flüchtigen Glaubensgenossen aus Frankreich
und Piemont sein Land zu dessen wirtschaftlichem Vorteil
zu öffnen ^). Er erliess schon am 18. April 1686, also noch
*) Der Zeitgenosse J, J. Winkelmann (Beschreibung von Hessen
1697 S. 390) erwähnt nur den wirtschaftlichen Grund.
140
vor der Aufhebung des Edikts von Nantes, die erste Ein-
ladung an die fremden reformierten Gewerbe- und Handel-
treibenden, worin er ihnen vielerlei günstige Zusagen machte,
und am 12. Dezember wurde dieselbe in französischer Sprache
erneuert und erweitert^). An 3500 Personen Hessen sich in
dem Lande nieder, 1400 allein in der Stadt Gassei, die übrigen
an ungefähr 30 verschiedenen Orten im Nieder- und Ober-
fürstentum ^.
1) Die Schicksale der Familien Qautier,
Brunet und Guigues, bis zu ihrer Ankunft in
Marburg.
Die auf der höchsten Höhe des reichbewaldeten Lahn-
bergs bei Marburg liegende, nach der verfallenen Burg be-
nannte französische Kolonie Frauenberg ist von Marburg aus
auf Veranlassung des Professors der Theologie und der Zeit
nach ersten Predigers an der französisch-reformierten Gemeinde
daselbst, ThomasGautier, gegründet worden. Dieser und
die ersten Kolonisten des Frauenbergs standen schon von
ihrer alten Heimat her in naher Beziehung. Wir wollen sie
zuerst in dem Lande aufsuchen, wo ihre Wiege stand, ihre
dortigen Verhältnisse und Schicksale, soweit die Nachrichten
reichen, kennen lernen und ihnen dann nach Marburg und
zum Frauenberge folgen.
Die zwei Familien, die durch Gautier am Frauenberge
angesiedelt wurden, hiessen Brunet und Guigues. Sie
und die G a u t i e r waren von Haus aus reformierte Waldenser,
und ihre Heimat lag in den Waldenser Thälern auf der Ost-
seite der cottischen Alpen. Die Gautier und Brunet wohnten
in dem nördlichsten dieser Thäler, in Pragelas, auch Val du
Cluson oder Glusone genannt nach einem Zuflüsse des mit
dem Po am Monte Viso entspringenden und in denselben
») Sammlung hess. L. 0. III. S. 289 und 303.
^j Casparson^ Kurze Geschichte der H.-Cass. franz. Colonieen.
Cassel 1785. Chr. von Rommd^ Zur Geschichte der franz. Colonieen in
H.-C. (Z. d. V. f. hess. Gesch., 7. Band. Cassel 1858,)
141
mündenden Pellice. Die Familie Guigues wohnte in dem
südlich benachbarten und mit seinem Flusse, der Germanasca,
bei La P^rouse ins Val Cluson einmündenden Thale Saint-
Martin. Yillaret im unteren Val Cluson ist der Geburtsort
Gautiers, zwei Meilen oberhalb liegt Fenestrelles, wo er eine
Zeit lang Pfarrer war, und eine halbe Meile weiter, wie
Fenestrelles am nördlichsten Laufe des Flusses, in Usseaux
waren die Brunet ansässig.
Pral oder Praly im Thale Saint-Martin war der Wohn-
ort der Familie Guigues. Damals, als diese drei Familien
dort noch wohnten, war das Thal Pragelas französisch, ein
Theil der Dauphine, welche hier an der Westseite der Alpen
angrenzt, während das Thal Saint-Martin zum Herzogtum
Savoyen und Piemont gehörte. Südlich liegen die anderen
piemontesischen Waldenser Thäler, von Angrogne und von
Luserne, am Pellice und am oberen Po. Durch den ütrechter
Frieden, der 1713 dem Spanischen Erbfolgekriege ein Ende
machte, kam durch Tausch auch das Thal Pragelas an
Piemont, Wie so oft in Grenzgegenden die beiden benach-
barten Sprachen in einander übergehen, so ist es auch hier
mit der französischen und italienischen der Fall. Die Namen
der drei Familien sprechen dafür, dass alle französischer Ab-
kunft waren.
Unter den angegebenen Umständen ist es leicht er-
klärlich, dass sowohl die französische als die piemontesische
Geschichte auf die Schicksale dieser drei Familien eingewirkt
haben muss.
Die Geschichte dieser Waldenser ist durch die Beweise
von hohem Glaubensmute namentlich für das protestantische
Bewusstsein sehr erhebend, aber im ganzen auch tieftraurig,
wenn man sieht, wie sie Jahrhunderte lang immer wieder
von neuem die grausamsten Verfolgungen von den franzö-
sischen Königen und den savoyischen Herzogen der römischen
Kirche zu Liebe haben dulden müssen. Gerade das Thal
von Pragelas galt als die älteste Ansiedlung der Waldenser
in den Westalpen, wohin sie sich in die Einsamkeit zurück*
gezogen hatten, nachdem ihrem Glaubensführer Waldus und
i4ä
den Seinigen das Predigen verboten war, und nachdem Papst
und Konzil sie im Jahre 1184 mit dem Banne belegt hatten.
Die Vermutung läge wohl nahe, dass unsere drei Fa-
milien altansässig in den Thälern waren; die bescheidenen
äusseren Verhältnisse, die dort herrschten, und namentlich
die häufigen Verfolgungen konnten neue Ansiedler ohne Not
nicht wohl anlocken. Doch ist es immerhin möglich, dass
die Familie Brunet erst kürzere Zeit dort wohnte, wenn
man folgende Thatsache in Erwägung zieht: Im Jahre 1630
wütete in furchtbarer Weise namentlich in den Waldenser
Thälern, auch zu Pral im Thale Saint-Martin, die Pest, wo-
durch zwei Drittel der ganzen Bevölkerung, mehr als 12000
Menschen, hingerafft wurden. Von fünfzehn Waldenser
Pastoren, die am 12. September d. J. zu einer Synode ver-
einigt waren, lebten nach einigen Monaten nur noch zwei.
In jedem der drei piemontesischen Thäler blieb schliesslich
nur noch ein Pastor übrig. Der erste, welcher von Genf aus
den Thälern zu Hülfe kam, war der Pastor Brunet*).
Er kam im December 1630, sechs Wochen, bevor die Pest
aufgehört hatte. Andere Prediger folgten ihm später, und
obgleich die italienische Sprache bisher in den Predigten und
Unterweisungen der Waldenser Gebrauch gewesen war, musste
man nun an ihre Stelle die französische setzen. Seitdem
begann überhaupt ein regelmässiger Verkehr der Waldenser
Kirchen mit der von Genf, obwohl bereits ein Jahrhundert
vorher im Jahre 1532 auf der Synode zu Angrogne eine Ver-
ständigung und der Anschluss der Waldenser an die Genfer
Reformation, also an die reformierte Kirche, erfolgt war.
Der Pastor Brunet war daher wahrscheinlich kein eigentlicher
Waldenser, sondern ein französischer Reformierter, der in
Genf studiert hatte. Reformierte Brunets kamen damals
z. B. in dem Städtchen Ard^che in Languedoc vor. Von dort
entkam 1685 ein Kirchenältester Brunet mit 70 seiner Ge-
meindeglieder glücklich nach Deutschland, wo sie von dem
Grafen von Solms-Braunfels im Dorfe Daubhausen angesiedelt
»; Muston, Ulsrael des Alpes. Paris 1851. IL 8. 183.
14ä
Wurden, in dem noch heute der Name Brunei zahlreich sich
vorfindet ^).
Dass unser Marburger Refugie Brunet ein Doctor der
Medizin war, würde aus seiner Herkunft aus einer Pastoren-
familie sich leichter erklären. Auch könnten nahe Beziehungen
der Familie, die sich mindestens schon um 1645 in Usseaux
wohnhaft findet, zu Bewohnern des Thaies Saint-Martin in
Piemont durch die frühere Wirksamkeit des Pastors daselbst
in helleres Licht gestellt werden.
Doch auch abgesehen davon hatten die Bewohner der
beiden Thäler zu gegenseitiger Hilfe in Not und Gefahr von
jeher treu zusammengehalten.
Im Jahre 1655, als eine der grausamsten Verfolgungen
gegen die piemontesischen Waldenser ausbrach, welche man
mit dem Namen der piemontesischen Ostern bezeichnet,
wurden die Bewohner von Saint-Martin noch rechtzeitig von
der Annäherung der Mörderbanden Galeazzos benachrichtigt,
um nach dem Thale von Pragelas entkommen zu können.
Die Herzogin-Mutter Christine, eine Tochter Heinrichs IV.,
die Urheberin dieser Metzelei, schrieb an den französischen
Hof, den piemontesischen Staatsangehörigen diese Zuflucht
zu entziehen. Aber Mazarin liess sie in Ruhe, und so fanden
sie Gelegenheit sich zu sammeln, zu bewaffnen, und in Ver-
bindung mit einer Menge ihrer Glaubensgenossen von Pragela
und Queiras konnten sie ihre Heimat mit Gewalt wieder in
Besitz nehmen.
Die alt-waldensische Herkunft Gautier^s ist wohl zweifel-
los. Er war am 2. März 1638 zu Villaret im Val Gluson
geboren, ^h Jahr vor Ludwig XIV. Sein Vater Thomas,
Königlicher Notar und Orts Vorsteher in Villaret, der ihm
schon früh 1651 durch den Tod entrissen wurde, war wie
seine Mutter Jane Didier dem reformierten Glauben innig
zugethan. Aus der begeisterten Schilderung des Waldenser
Landes mit seinen Bergriesen und seinen anmuthigen Thälern,
») TT. 0. von Hontf Der Finger Gottes. 1877.
144
mit seinen wegelosen Strecken, die so oft der gefährdeten
Freiheit der Bewohner zum Schutz gedient hatten, aus der
Hinweisung auf die ruhmvolle Geschichte in den Kämpfen
mit dem römischen Reich und dem römischen Papsttum er-
kennen wir die Liebe Gautiers zu seiner Waldenser Heimat,
von der er oft genug seinen Freunden gesprochen haben
mag^). Nur wenn er selber Waldenser war, konnte ihm die
piemontesische Waldenser Kirche die Widerlegungsschrift
gegen die Angriffe von römischer Seite aufgetragen haben,
die im Jahre 1670 zu Genf erschien^).
Gautier war, nachdem er zuerst in Die in der Dauphine
Philosophie, dann in Genf Theologie studiert hatte, von seiner
Provinzial-Synode, die damals 1669 zu Embrun tagte, sofort
als Prediger nach Fenestrelles im Thale von Pragela geschickt.
Es konnte nicht ausbleiben, dass die durch die Jesuiten ent-
fachte Yerfolgungswut auch ihn bald ereilte, umsomehr, da
er durch seine hohe Begabung, seinen Glaubensmut und seine
Gewandtheit im Kampfe gegen die Jesuiten und in der Ver-
teidigung der reformierten Interessen gegen die immer feind-
seliger auftretende Staatsgewalt im ganzen Thale und über-
haupt in der Provinz sich bald hohes Ansehen und Vertrauen
bei seinen Glaubensgenossen erworben hatte. Weil er vor
8 Jahren in einer Predigt, die er als Student vor der Provinzial-
Synode zu Dieu-le-Fit gehalten, die römische Kirche ein
Babel genannt haben sollte, wurde er 1674 verhaftet und
zur Ausserdienstsetzung auf 6 Monate verurteilt. Kaum hatte
er sein Amt wieder angetreten, wurde eine alte unerwiesene
Beschuldigung aus dem Jahre 1672 hervorgeholt und wiederum
zu seiner Verhaftung benutzt^); er sollte damals in einer
Predigt die Seinigen aufgefordert haben, für die Holländer
zu beten, mit denen der Krieg begonnen hatte. Weil der
») Harscher^ Historia Vitae et Mortis Gauteri. Oratio Parentalis
13. Juni 1709, Marburg. Einige genauere Angaben über G.'s Leben finden
sich bei Haag, La France protestante. Paris 1855. (unter „Gautier".)
') Reponse pour les egiises des valJees de Piemont au Sieur Illumine
Faverot Geneve 1679.
^) So nach La France prot. a. a. 0., während nach Harscher un-
wahrscheinlich beide Anklagen in einem Verfahren behandelt werden.
145
Verdacht sich als unbegründet erwies, musste er wieder ent-
lassen werden, aber die Kosten tragen. 1676 gehörte er zu
den Abgeordneten der reformierten Kirche der Dauphine, die
in Paris vergeblich beim Könige Gehör um Abstellung der
unerträglichen Verletzungen des Edikts von Nantes zu er-
langen suchten.
Auch im Thale von Pragelas ging die Gegenreformation
mit Gewaltschritten immer weiter vor *). Im Jahre 1678
wurden dort und in dem benachbarten Thale von Oulx 50
bis 60 protestantische Kultusstätten, die durch das Eklikt
nicht gestattet sein sollten, niedergerissen oder geschlossen.
Auch die Tempel von Fenestrelles und von Usseaux, dem
W^ohnorte der Brunet, gehörten dazu. Hier widersetzten
sich die Reformierten, und eine Gompagnie Dragoner musste
den W^iderstand brechen. Am 7. Dezember 1679 wurde den
Pastoren verboten, ausserhalb ihrer Wohnorte zu predigen,
und den Laien, ihrerseits religiöse Versammlungen abzuhalten.
Endlich, am 7. Mai 1685, erfolgte der Hauptschlag durch
Königlichen Gonseils-Beschluss : die beständige Untersagung
des reformierten Kultus im Thale von Pragelas und die Nieder-
reissung aller seiner Tempel.
Gautier verliess 1678 zum Leidwesen seiner Gemeinde
Fenestrelles und nahm auf den Rat der zu Embrun ver-*"^
sammelten Provinzial-Synode eine Berufung nach Die als
Prediger und Professor der Theologie an. Der streng synodal^
aristokratischen Kirchenverfassung in Frankreich mussten sich
Prediger und Gemeinde beugen.
Sein Aufenthalt in Die dauerte nur 6 Jahre. Am
11. September 1684 wurde die seit 70 Jahren rühmlich
bestehende Universität aufgehoben und durch Beschluss vom
24. Mai 1685 auch die reformierte Kirchengemeinde zu Die
unterdrückt. Am 18. Oktober 1685 erliess endlich der König
den Widerruf des Edikts von Nantes. Dadurch wurde Gautiers
Wirksamkeit nicht nur in Die, sondern in ganz Frankreich
ein jähes Ende bereitet.
1) Ät-naud, Histoire des protestants du Dauphine I—III. Paris 1875
u. 1876. MtMim, L'Israel des Alpes I— IV. Paris 1851.
N. F. Bd. XXIII. 10
Jede Ausübung des reformierten Religionskultus war
untersagt. An die Pastoren erging der strenge Befehl, das
Königreich in vierzehn Tagen zu verlassen und, unter An-
drohung der Galeerenstrafe,' keine geistlichen Amtshandlungen
vorzunehmen. Den Predigern dagegen, welche übertraten,
war eine Pension versprochen, die um ein Drittel ihr bis-
heriges Gehalt überstieg und zur Hälfte auch auf ihre Witwen
übergehen sollte. Denjenigen unter ihnen, die den Advokaten-
beruf ergreifen wollten, sollte das akademische Studium erlassen
werden. Den Eltern wurde verboten, ihre Kinder in der
reformierten Religion zu unterrichten^ und befohlen, sie in
die katholischen Kirchen zu schicken. Nichtbefolgung zog
bedeutende Geldstrafen nach sich. An alle Entflohenen erging
ein gerichtlicher Befehl^ in Zeit von vier Monaten nach Frank-
reich zurückzukehren, widrigenfalls ihre Güter der Krone ver-
fallen seien. Galeerenstrafe für die Männer^ lebenslängliche Ein-
schliessung für die Frauen war für diejenigen festgesetzt,
welche ohne Erlaubnis das Land verliessen.
Seit der Aufhebung der reformierten Gemeinde zu Die
war Gautier wie ein Geächteter auf Schritt und Tritt von
den katholischen Fanatikern verfolgt. Er irrte in der Dauphin^
umher^ wurde im Dorfe Buissi^re aufgegriffen^ im Flecken
und Fort Barraux an der Isere einige Monate im Gefängnis
gehalten, dann^ nachdem man ihm vergeblich zugesetzt hatte,
seinen Glauben zu wechseln, wieder entlassen. Als er sich
darauf, statt einen kürzeren Weg über die Grenze zu wählen,
nach Grenoble begab, um seine Gattin und Kinder von dort
mit sich zu nehmen^), wurde er hier von dem Ortsvorsteher
le Bret und dem Bischof le Camus wiederum aufs heftigste
bedrängt^ den katholischen Glauben anzunehmen. Man gab
endlich den Versuch auf^ erklärte ihn für einen hartnäckigen,
^) Bommel fi. Z. YII S. 111 nimmt an, dass G. bei jenem Umher-
irren von Frau und Kindern begleitet gewesen sei. Dies ist an sich
unwahrscheinlich und widerspricht den Bemerkungen Earsckers a. a. 0.
S. 31. ,,ductus amore coningis, quam etiam salvam oupiebat cum caris
liberorum pignoribus, Gratianopolin rediit^^ und S. 32 „noo exigua fidei
oonstanter seiTatae lande omanda, cum absente marito contra gravissimos
quosque insultus yirtute ac pietate eximia ipsa sese tuita sit.
U1
unverbesserlichen Menschen und befahl ihm, innerhalb vier*
zehn Tagen das Königreich zu verlassen ^). Nunmehr reiste
er mit seiner Gattin^ die auch während seiner Abwesenheit
glänzende Proben ihrer Glaubenstreue abgelegt hatte, und
seinen beiden Kindern, die noch im zarten Alter waren, mit
notgedrungener Zurücklassung seiner schönen Bibliothek, zu-
nächst nachf Genf. Da ihm aber auch hier auf Verlangen
der französischen Regierung der Aufenthalt unmöglich gemacht
wurde, weil man so nahe der Grenze seinen grossen Einfluss
auf die Reformierten in Frankreich fürchtete^ begab er sich
nach Zürich, wo er vierzehn Monate blieb. Er verbrachte
diese Zeit im Verkehr mit dortigen Gelehrten^ mit wissenschaft-
lichen Arbeiten und mit eifriger Fürsorge für seine armen
flüchtigen Landsleute^ die immer zahlreicher hier und sonst
in der Schweiz sich einfanden. Dann erhielt er einen Ruf
als Professor der Theologie an die Universität Marburg, wo
durch den Tod von Johann Heinius die vierte Stelle erledigt
war. Er folgte demselben^ unternahm anfangs 1687 die Reise
von Zürich nach Hessen^ stellte sich bei Hofe vor und trat
am 2. März neuen Stils, am 20. Februar a. St., in Marburg
sein Amt an.
Trotz jener strengen Gesetze gegen die Auswanderung^
die auch oft genug zur Anwendung gelangten^ verliessen
doch viele Hunderttausende aus ganz Frankreich in Begleitung
ihrer ausgewiesenen Pastoren das Land, um in der Fremde
ihren Glauben für sich und ihre Kinder bewahren zu können.
Man steigerte deshalb die Strafen^ setzte sogar die Todes-
strafe fest für die Flüchtenden; den Angebern wurde ein
Teil der Habe der Flüchtigen, denen alles genommen wurde,
versprochen; die Auswanderung nahm doch ihren Fortgang.
Sie erstreckte sich auf alle französischen Provinzen ; doch die
Dauphin^ wegen der Nähe Savoyens und der Schweiz, wohin
auf den vielen abgelegenen Gebirgspfaden sicherer zu gelangen
>) Die Bemerkung des Job. TiiemanD dict. Schunk In Vitae Prof.
Theologiae Marburgensium, Marb. 1727, Artikel Qautier (S. 267--270), passt
also nicht genau: ,,Cum afTiictissima fatnilia .truculentas persecutorum
man US effugit."
10*
148
war, auch weil dort die Reformierten besonders zahlreich
waren, lieferten eine hervorragend grosse Menge von Aus-
wanderern.
Aus dem Thale von Pragelas begann schon 1.685 der
Auszug. Bis Ende desselben verliessen sechshundert Waldenser
ihre dortige Heimat, sechshundert andere folgten im Frühjahr
1686, im August 1687 noch weitere achth ändert*).
Diejenigen^ welche zunächst noch im Lande blieben, zu
denen auch unsere Brunets gehörten, gingen zu den religiösen
Versammlungen ihrer Brüder in Piemont, also nach dem be-
nachbarten Thale Saint-Martin. Sie scheuten die bedeutenden
Märsche nicht; zu denen sie bereits Samstags aufbrechen
mussten, um erst am Montag zurückzukehren. Ihr Glaubens-
eifer machte ihnen dieses Opfer leicht.
Ludwig XIY. geriet in Zorn, als er es hörte, und
schrieb am 7. Dezember 1685 an seinen Gesandten beim
Herzog von Savoyen, er solle demselben mitteilen, er sei ent-
schlossen, diese Vereitelung seiner Massregeln durch Piemont
nicht zu dulden. Die Gegenwart der Waldenser von Piemont
an den Grenzen seiner Staaten verursache die Auswanderung
seiner Unterthanen.
Der Herzog wagte nicht, diesen drohenden Wink un-
beachtet zu lassen. Ende 1685 erliess er ein Edikt, worin
den Waldensern verboten wurde, einen ihrer französischen
Glaubensgenossen bei sich aufzunehmen. Letzteren befahl
er, Piemont zu verlassen oder im Laufe von acht Tagen, unter
Strafe des Kerkers, ihren Glauben abzuschwören.
Anfangs 1686 ^) brach dann die Katastrophe über die
Waldenser in Piemont herein, die ihnen und ihrer Kirche den
gänzlichen Untergang zu bringen schien, eingeleitet Donners-
tag den 31. Januar 1686 durch das Edikt, welches dem fran-
zösischen von 1685 entsprach.
Es fehlt freilich jeder Anhalt für eine bestimmte An-
nahme, welches Geschick die Familie Guigues aus Pral im
Thale Saint-Martin in der nun folgenden schrecklichen Zeit
*) Amatid, a. a. 0. S. 102.
«) Muston, L'lsrael des Alpes, II, 8. 521 ff.
149
betroffen habe. War auch ihr Hab und Gut durch den
unvermuteten Überfall ihres Thaies durch Gatinat völlig
oder zum grössten Teil geraubt oder vernichtet worden?
Waren auch von dieser Familie teuere Glieder der Blutgier
der Feinde zum Opfer gefallen wie der Pfarrer Leydet von
Pral, der in einer Höhle sich verbergend, entdeckt^ gefoltert
und hingerichtet wurde, bis zum letzten Augenblick freudig
seinen Glauben bekennend? Waren auch ihnen Kinder ge-
raubt? Waren die Überlebenden ins Gefängnis geworfen?
Gehörte Jaques Guigues, der mit seiner Gattin Marie Peyrot,
aber ohne Kinder, nach Marburg gelangte^ jenen Tapferen an^
die aus den Schlupfwinkeln der Gebirge hervorbrechend,
wieder ihre Thäler zurückeroberten, dann freien Abzug nach
der Schweiz erhielten und am 25. November 1686 in Genf
eintrafen ? Oder gehörten sie zu denjenigen, die ins Gefängnis
geworfen, den Wunden und Entbehrungen darin nicht erlegen
und durch das Edikt vom 3. Januar 1687 unter der Bedingung
befreit worden waren, dass sie auf vorgeschriebenen Wegen
über den Mont-Genis die savoyischen Staaten verliessen?
Entweder schlössen sie sich dann dem ersten Zuge im Januar
oder dem zweiten Ende Februar an.
Marie war in dem Schreckensjahr erst 24 Jahre alt,
Jaques wohl wenig älter. Sie starb schon sechs Jahre später
auf dem Frauenberg. Legten die furchtbaren Erlebnisse den
Keim des Todes in sie? Wann und wie ist Jaques' alter
Vater Jean Guigues gestorben, der nicht mit in die neue
Heimat gekommen ist? Wahrscheinlich trafen die Guigues
erst in der Schweiz mit den Brunets und Gautiers^ die aus
dem Thal Pragelas entflohen waren, zusammen; denn den
piemontesischen Waldensern war damals die Betretung des
französischen Gebiets ganz unmöglich gemacht. Die Aussicht
auf eine sichere Ansiedelung, die ihnen von Marburg her
Gautier machte, und die Verwandtschaft oder Freundschaft,
die sie an die beiden französischen Waldenser Familien band,
mochte die Guigues bewegen, den Gedanken an die Rückkehr
in die Heimat endgültig aufzugeben. Bekanntlich kehrten
im Jahre 1690 die in der Schweiz zurückgebliebenen Waldenser^
150
von Schweizer Freiwilligen unterstützt, siegreich in ihre Thäler
zurück. Victor Amadeus lY., der damals wieder mit Frank-
reich gebrochen hatte, Hess es geschehen. Auch ihre Pastoren
erhielten im Juni 1690 ihre Freiheit wieder.
Wenn wir über die Zeit der Ankunft von Thomas Gautier
mit Frau und Kindern in Marburg bestimmte Nachricht haben,
so sind wir dagegen in dieser Beziehung für die Familien
Brunet, Guigues nur auf Vermutungen angewiesen. Bestimmt
behauptet ist deren Aufenthalt in Marburg und Umgegend erst
im Jahre 1688. Jedoch ist aus den besonderen Umständen
wahrscheinlich, däss sie schon 1687, und zwar gegen Ende
dieses Jahres, nach Marburg kamen ^). Zur Zeitbestimmung
dient folgendes: Die erste Erwähnung der Bruneis im Marburger
französischen Kirchenbuch geschieht im Februar 1689, wo ein
21 Monate altes Kind Thomas Brunets , das in Usseaux ge-
boren ist, beerdigt wird. Darnach waren sie also im Mai 1687,
als die Geburt stattfand, noch in Usseaux. Es wird damit
sehr wahrscheinlich, dass sie mit Bücksicht auf die Mutter
und das Kind erst dem Zuge von Auswanderern, der im August
1687 aus dem Thale Pragelas aufbrach^ sich anschlössen.
G. Lennep^J berichtet ferner: »Im November und December
1687 kamen sehr viele französische Befugi^s in Marburg an«.
Dass die ihnen verwandten Gautier aus Villaret, insbesondere
die Mutter des Professors, auch mit ihnen zogen, ist zu ver-
muten. Ihr Weg führte sie jedenfalls alle durch die Savoyer
Alpen zunächst in die befreundete Schweiz. Hier werden
sie mit den ihnen auch nahestehenden Guigues zusammen-
getroffen seiu; um sodann vereint von dort der Einladung
ihres Freundes Gautier nach Marburg zu folgen. Sie scheinen
alle glücklich über die französische Grenze gekommen zu
sein; entweder auf geheimen Pfaden oder durch die Nachsicht
der mitleidigen Beamten. Von den Savoyarden ist bekannt,
*) Von der Schwester der Frau Guigues, Jane Peyrot, ist bei ihrer
Vermählung mit Ant. Favre am 13. Februar 1696 ausdrücklich bemerkt,
dass sie vor 10 Jahren in dieses Land geflohen sei.
^) 0, Lennep^ Ursprung und heutige Beschaffenheit sämtlicher
französischen Colonieen in den fürstlich hessischen Landen (Manuskript
im Marb. St.-Arch.).
151
dass sie die französischen Flüchtlinge meist ungehindert durch
ihr Land ziehen Hessen^ sich sogar gutmütig ihnen als Führer
anboten. Auf einem früheren Zuge waren freihch Madeleine
und Jeanne Gautier, vielleicht zwei Verwandte Gautiers, auch
aus Yillaret, verhaftet und auf Parlamentsbeschluss vom
30. April 1687 zu zwei Monaten Einschliessung in das Haus
zur Verbreitung des katholischen Glaubens in Grenoble ein-
geschlossen worden. Ob sie imstande gewesen ^ind, den Be-
kehrungs-Zwangsmassregeln, die hier gegen sie angewandt
wurden, Widerstand zu leisten, wissen wir nicht
Die Familie Gautier, die nach zweijährigem Umherirren
endlich in Marburg zur Buhe kam, bestand ausser dem Professor
aus dessen Gattin Francisca Elisabeth, der Tochter des Parla-
ments-Advokaten Pierre Segaud in Grenoble^ ferner aus diesem
seinem Schwiegervater^ der neun Jahre später als französischer
Kirchenältester in Marburg starb, aus seinen zwei Kindern
Thomas und Maria und aus seiner 75 Jahr alten Mutter Jane
Disdier. Lßtztere aber wurde noch in demselben Jahre, am
11. Dezember 1687, wahrscheinlich infolge der furchtbaren
Aufregungen und Anstrengungen der Flucht^ den Ihrigen
durch den Tod entrissen.
Der Doktor der Medizin, Thomas Brunet, aus Dsseaux
kam nach den Ausweisen des Kirchenbuchs mit Gattin und
sechs Kindern nach Marburg. Er war damals 39 Jahre alt
und seine Frau Anna Gautier ein Jahr jünger. Das fort-
gesetzt vertraute Verhältnis der beiden Familien Gautier und
Brunet macht es wahrscheinlich, dass Brunets Frau eine
Schwester Gautiers war, jedenfalls war sie eine nahe Ver-
wandte ^). Der älteste Sohn Thomas war bereits siebzehn
Jahre alt, das Geburtsjahr des zweiten Sohnes Johann ist
nicht zu ermitteln. Thomas und Jean wurden die Stamm-
halter der aus den zwei Brunetschen Höfen auf dem Frauen-
berg hervorgegangenen Familien. Die vier anderen Kinder,
*) Die Verwandtschaft geht aus den Akten des Streites zwischen
Gautier und Papin im Marborger Uni versitäts- Archiv bestimmt hervor,
ebenso aus dem Testamente der Frau Oautier. YergL auch meine Schrift :
Denis Papin's Erlebnisse in Jiarburg, Marburg 18^, S. 40 f.
152
Alexandre, Marie, Michel und Charles, starben früh innerhalb
der Jahre 1689 and 1696. Die Familienüberlieferang weiss
noch von einer Tochter Jeanne Marie, die in Frankreich
zurückgeblieben sei, weil sie sich nicht von ihrem Verlobten
habe trennen wollen. Bei den Brunets war auch noch eine
acht Jahre alte Nichte der Frau Brunet, Marie Renier, wahr-
scheinlich ihre Schwestertochter. Ihre Eltern waren Pierre
Benier und Jane Gautier, auch aus dem Yal-Cluson. Das
Mädchen starb schon am 1. April 1695 auf dem Frauenberg.
Eine im Jahre 1862 vom Prauenberge aus angestellte
Ermittelung nach Verwandten im Thale Pragelas wurde durch
den Syndikus Blanc in Fenestrelles dahin beantwortet, dass
Michel Brunet, ein Bruder von Thomas dem Mediziner, dort
geblieben sei. Derselbe habe aus seiner Ehe mit Marie
Perrot ^) zwei Söhne gehabt, Jean und Pierre, die ihr ganzes
Vermögen durchgebracht hätten. Pierre sei ohne Nachkommen
gestorben, Jean habe einen Sohn Louis gehabt, der sich in
die Gemeinde Fraise d^Usseaux begeben habe, von dem ein
Louis abstammte, dessen Sohn ein noch jetzt lebender Louis
Brunet, Gutsbesitzer in Fraise d'Usseaux, sei, der sich als
»Euer ergebenster Verwandter« selbst mit unterschreibt. Er
lebte damals in bescheidenen Verhältnissen. Zwei Generationen
sind dabei jedenfalls übersprungen. Von der angeblich zurück-
gebliebenen Jeanne Marie Brunet und deren Nachkommen
hatten sie nichts erfahren können, weil ein Teil der Staats-
register teils verbrannt, teils nach dem Übergang des Landes
an das Königreich Sardinien nach Grenoble gekommen sei
2. Die Gründung der Kolonie Frauenberg.
Wie Gautier im allgemeinen das Vertrauen^ das der
Landgraf Karl in ihn setzte, mit grosser Hingebung dazu
benutzte, seinen Landsleuten, die namentlich aus Die und
aus anderen Teilen der Dauphine in immer grösserer Menge
nach Marburg kamen, feste Wohnorte, auskömmliche Be-
^) Das Marburger K.-B. weist aus, dass auch aus Usseaux eine
Jane Perrot dorthin gelangte, die 40 Jahre alt, dort 1688 starb.
153
schäftigung, französische Seelsorger und eigene Gotteshäuser
zu verschaffen, so hatte er auch schon vor der Ankunft der
Brunet und Guigues aufs beste für diese gesorgt.
Der von Marburg aus sichtbare, damals noch mit umfang-
reicheren Burgtrümmern gekrönte Gipfel des Frauenberges
hatte ihn bald an sich gelockt. Wie konnte er sich erfreuen
an der herrlichen Aussicht von dem über die umliegenden
Höhen frei sich erhebenden Burgberge. Hier schaute er über
die weit ausgedehnten prächtigen Bergwälder hinweg und in
das zwischen den Bergen in langem Laufe sich hinziehende
fruchtbare und liebliche Lahnthal. In dessen oberen Theile
winkte ihm seine neue, bald liebgewonnene Heimatstadt
Marburg entgegen mit ihrem erhabenen Fürstenschlosse,
ihren Kirchen und ihrer Universität. Aus den weiten Fluren,
über die sein Blick schweifte, erhoben sich noch an vierzig
Ortschaften, teils landgräflicher, teils mainzischer Zugehörig-
keit, alle bewohnt von biederen, gutherzigen Hessen, die,
dem Beispiele des Landgrafen folgend, seinen vom Schicksal
so schwer getroflfenen Landsleuten freundlich entgegenkamen.
Von seinen orts- und geschichtskundigen Marburger Kollegen
konnte er leicht erfahren, was es mit dieser Burg für eine
Bewandtnis habe, zunächst dass dieselbe mit ihrer nächsten
Umgebung landgräfliches Besitztum sei ^).
Da dieses gänzlich unbenutzt da lag und zu dem, was für
die neuen Ansiedlungen verfügbar war, gehörte, so wandte
sich Thomas Gantier deshalb an den Landgrafen Karl. Schon
am 30. Juni 1687 wurde darauf vom Landgrafen eine Reso-
lution erlassen, dass der wüste Ort am Frauenberg von der
Regierung zu Marburg zum Rotten und Bebauen angewiesen
werden solle. Nachdem mittlerweile durch die Beamten alles
dazu Nötige ermittelt und festgestellt war, vollzog am
2. September 1687 der Landgraf den Erbleihebrief über den
Frauenberg für solche Kolonisten, die der Professor Gautier
dazu auswählen würde ^.
^) O. Landau, Die hessischen Ritterburgen und ihre Besitzer,
2. Bd., S. 201-206, Cassel 1833.
") Lennep^ Abb. von d. Leihe zu Landsiedelrocht, im Cod. Probat.,
a 829.
154
Gautier hatte den besonderen Wunsch ausgesprochen,
dass denselben zur Erbauung der nötigen Wohnhäuser, Ställe
und Scheuern die an dem alten Schlosse befindlichen Steine
samt einem Teile des erforderlichen Kalks und Strohs wie
auch das gesamte Bauholz frei überlassen werden möchte,
was bis auf die Herbeischaffung auch bewilligt wurde. Sie
und ihre Erben auf dem Gute sollten von allen Diensten,
Geschoss, Steuern, Gontributionen und Einquartierungen frei
bleiben. Die Besitzung wurde in 9 verschiedenen Teilen auf-
gezählt. Ausbedungen wurde, dass' nach den zehn Freijahren
die Inhaber das nächste Jahr darauf 100 Thaler zum Mejer-
zins und auf Grund einer Abschätzung der jährlichen Ein-
künfte von da an einen jährlichen Zins entrichten sollten.
Sie sollten befugt sein, das Gut mit den darauf haftenden
Rechten zu verkaufen, jedoch unter Vorbehalt des landes-
herrlichen Vorkaufsrechts. Das zu ihrer Haushaltung nötige
Wellenholz und Reisig sollte ihnen auf gehöriges Anmelden
jährlich forstfrei angewiesen werden.
Wir dürfen wohl annehmen, dass Gautier die Familien
Brun.et und Guigues längst für den Frauenberg bestimmt
hatte; aber er mochte abwarten wollen, ob diese selbst sich
mit dem Besitztum, wenn sie es in Augenschein genommen
hatten, zufrieden erklären würden.
Sie mussten bei dieser Besichtigung freilich finden, dass
sehr schwere Arbeit ihrer harrte, ehe sie aus diesem ver-
wilderten Boden Gewinn ziehen könnten, und dass auch
dieser keine glänzenden Aussichten darbot. Auf einen Haupt-
erwerbszweig mussten sie von vornherein verzichten, den
ihre heimischen Thäler ihnen geboten hatten, nämlich auf
die Seiden- und Weinkultur. Schliesslich war wohl der
Hauptgrund, der sie zur Annahme dieses Besitzes bestimmte,
nicht nur die Gewissheit, dass sie an ihrem Freunde Gautier
einen treuen Helfer und Förderer fernerhin haben würden,
sondern auch, dass sie damit der unsäglichen Not und
Bedrängnis ihrer früheren Heimat durch die Festhaltung an
ihrem evangelischen Bekenntnis für sich und ihre Kinder
166
gänzlich enthoben sein würden. So nahmen sie denn im
Vertrauen auf Gottes Hilfe und mit Dank gegen ihre Wohl-
thäter, den Landgrafen und Gautier, die Gabe an. Von den
beiden Männern Brunet und Guigues war wohl nur der
letztere in der Landwirtschaft erfahren ; bei Brunet, dem Arzt,
ist dies nicht wahrscheinlich. Sein älterer Sohn Thomas
und sein Freund Guigues richteten das Gut erst ein und
brachten es in regelmässigen Betrieb. Das Ganze wurde
von vornherein in zwei gleiche Teile geteilt, einen für die
Familie Guigues, den anderen für die Familie Brunet, indem
wohl vorausgesehen wurde, dass eine weitere Teilung die
Besitzer in zu dürftige Umstände versetzen würde. Der
förmliche Besitzantritt fand erst im nächsten Jahre 1688, und
zwar am St. Peterstage, am 29. Juni, statt. Bis dahin waren
ihre zunächst noch sehr bescheidenen Wohn- und Wirtschafts-
gebäude fertiggestellt und ein Teil des besseren ihnen über-
wiesenen Landes in Betrieb genommen. Die Bausteine holten
sie sich von der Burgruine. Als die Burg gebaut wurde,
war das aus Basaltsteinen bestehende Mauerwerk auf die
Stärke von 0,30 — 0,45 m von innen und aussen mit Sand-
steinquadern verblendet worden, die ohne grosse Mühe ent-
fernt werden konnten und ein ausgezeichnetes Baumaterial
gewährten. Auch die im inneren Burghof durch den Einsturz
aufgehäuften Steine, deren im Jahre 1870 bei den vor-
genommenen Nachgrabungen nur noch wenige sich vor-
fanden, mögen sie benutzt haben. Bauholz und einen Teil
des Kalkes konnten sie sich aus den fiskalischen Waldungen
und Brennereien ohne Entgelt abholen : doch hatten sie auch
selber innerhalb ihres Besitztums am Frauenberg einigen
Waldwuchs. Bei alledem waren aber nicht geringe Ausgaben
zu bestreiten für die Arbeit an ihren Gebäuden, füf An-
schaffung von Haus- und Ackergeräten, von Vieh u. s. w.
Nach den harten Bestimmungen, die in Frankreich gegen die
Auswanderer erlassen waren, konnten namentlich die Franzosen
Brunet nur Spärliches von ihrem Vermögen gerettet haben,
wodurch die entstehenden Kosten der Einrichtung nicht ge-
deckt wurden. Der vermögendere Gautier half ihnen in
156
freundschaftlichster Weise aus, indem er ihnen 350 Thaler V
vorstreckte, die mit staatlicher Erlaubnis jährlich verzinslich
als Hypothek auf die Kolonie eingetragen wurden^). Nach
dem 1709 erfolgenden Tode Gautiers überbrachten die Kolo-
nisten seiner Witwe, die erst am 3. März 1736 zu Marburg
starb, alljährlich die Zinsen. Die dauernde Freundschaft der
Familien Gautier^ Brunet und Guigues zeigte sich darin^ dass
Pastor Gautier 1699 bei der Taufe einem Sohne des jüngeren
Thomas und 1700 einem Sohne des Johann Brunet seinen
Namen verlieh. Marie Gautier war mit ihrem Bruder Thomas
1697 Patin einer Tochter Marie des jüngeren Thomas Brunet.
Ebenso erhielt der Sohn des Jaques Guigues nach seinen
Paten, dem Pastor Gautier und seiner Frau, 1680 den Namen
Thomas, und ein Sohn dieses Thomas wurde 1715 nach
seiner Patin, Frau Pastor Fran^oise Gautier, Franz, vollständig
Peter Franz, genannt.
Diese- vertrauten Beziehungen wurden dadurch befördert,
dass die Frauenberger Kolonisten anfänglich bei der fran-
zösischen Kirche in Marburg eingepfarrt waren. Von dem
Doctor Brunet, der bereits am 29. Dezember 1693 in Marburg,
wo er wahrscheinlich mit seiner Frau und seinen jüngeren
Kindern^) seinen Wohnsitz behalten hatte, starb und auf
dem Kirchhof am Frankfurter Thor*) begraben wurde, ist es
nicht berichtet % wohl aber von seinem ältesten Sohn Thomas,
dass er auch Kirchenältester war, so 1709, 1710, 1712 und
noch 1732. Jaques Guigues unterschreibt einmal 1710 als
hinzugezogener Chef de famille mit die Kirchenrechnung.
Als nun aber die Nachkommen der drei Befugi^s auf dem
^) In dem Testament der Frau Oautier von 1730 sind es nur
323 Thaler.
') Die unbegründete Vermutung Papins, dass G. seinen armen
Verwandten auf dem Frauenberg einen Teil der kircbl. Armengelder ge-
schenkt habe, scheint dadurch entstanden zu sein.
3) Das jüngste, Alexandre, wird zufällig auf dem Frauenberg 1689
gestorben sein.
*) 8o im Kirchenbuch bezeichnet; es wird aber der am Barfüsser
Thor gemeint sein, der 1865 geschlossen ist.
^) Als Chef de famille unterschrieb auch er am 22. Mai 1693 das
Bann-Urteil gegen Papin. Vergl. Pap. Erl. a. a. 0. ö. 40.
Frauenberg der französischen Sprache nicht mehr genügend
mächtig waren, fingen sie an, sich zu der 1715 neu gebildeten
deutsch-reformierten Kirche in dem nahe gelegenen Dorfe
Cappel zu halten, der die Brnnets noch jetzt angehören.
Durch Vergleichung der Kirchenbücher von Marburg
und Cappel lässt sich das nachweisen. Während der Name
des Thomas Brunet und seine eigene Unterschrift als Ältesten
noch 1732 im Marburger Kirchenbuche vorkommt, ist bereits
1735 seiner hier nur in so fern gedacht, dass er der Marburger
Kirche 20 Thaler schuldig sei, für die er nie die Zinsen be-
zahlt habe. Der Kirchenvorstand beschliesst, den Sohn zur
Berichtigung der Schuld kommen, und^ wenn er sich weigert,
ihn durch den Bentmeister citieren zu lassen.
Die letzten Einträge ins Marburger Taufregister sind für die
Brunets im Jahre 1711, für die Guigues 1712 geschehen; die
ersten in Cappel kommen sowohl für die Brunets als für die
Guigues im Jahre 1715 vor. In diesem Jahre wird auch ein
Brunet »auf französische Manier« von dem Cappeler Pfarrer
begraben. Dieser Pfarrer, Johann Niklas Scherer, dem übrigens
zugleich die Marburger Schloss- und Garnisongemeinde unter-
stellt war, gewährte auch 1719 dem Johann Brunet ein Dar-
lehen aus der Cappeler Kirchenkasse. Seit 1830 sind Cappel und
Frauenberg als beständiges Vicariat der zweiten ref. Pfarrei Mar-
burg übertragen, so, dass alle vierzehn Tage Sonntags und jeden
zweiten Festtag eine Predigt und viermal im Jahre Communion
in Cappel stattfindet. Der Konfirmanden-Unterricht, gemein-
sam mit den Marburger Kindern, wird von den beiden Pfarrern
im Winterhalbjahr in Marburg erteilt *)• Beerdigt aber
wurden die Frauenberger von Anfang an auf dem Kirchhof des
am nächsten gelegenen Dorfes Beltershansen, mit einer be-
kannten Ausnahme im Jahre 1695, wo ein Sohn von Thomas
Brunet in Bortshausen zu Grabe gebracht wurde. Die Lutheraner
des Frauenbergs, meistens die Frauen und Dienstboten, die
aus den ganz lutherischen Dörfern der Umgegend stammten,
^) Eochhuth^ Statistik der ev. Kirche im Regierungsbezirk Cassel,
S. G50— 52. Cassel 1872.
156
und die späteren Bewohner des Guigueschen Hofes gehörten
kirchlich nach Beltershausen, einem Vicariat von Witteisberg.
In Ansehung der öffentlichen Verwaltung waren die Frauen-
berger der Gemeinde Beltershausen zuständig, gerichtlich dem
Gerichte Witteisberg und dem Amte zu Marburg. Der Renterei
in Marburg mussten sie den Erbleiliezins entrichten. Un-
mittelbar am herrschaftlichen Walde wohnhaft^ hatten sie
viele Beziehungen zum Forstamte in Marburg.
3. Die weitere Geschichte der Kolonie Frauenberg
in den zweihundert Jahren seit ihrer Gründung.
Es bleibt uns jetzt noch übrig, aus dem vorhandenen
Aktenmaterial; welches sich auf dem Marburger Königlichen
Staats-Archive befindet, einen Blick auf die eigentümlichen
rechtlichen Verhältnisse der französischen Kolohie Frauenberg
zu werfen; wie sie sich im Laufe des nunmehr 210jährigen
Bestehens derselben entwickelt haben. Es bietet sich nämlich
kein Anhalt dafür^ dass von den Nachkommen jener einge-
wanderten Stammväter irgend einer aus den bescheidenen
Umständen, in die sie hier ursprünglich versetzt wurden^
hervorgetreten sei und in Hessen oder einem anderen Lande
eine Bedeutung erlangt habe, die noch einer besonderen Hervor-
hebung bedürfte. Wie der Stammbaum zeigt, scheinen sie
alle als einfache Landwirte oder auch Handwerker und Lohn-
arbeiter in der Nähe geblieben zu sein.
Seit der Begründung der Kolonie im Jahre 1688 ver-
lautet erst wieder etwas von derselben im Jahre 1696, also
8 Jahre später. Der Doktor Brunet war 1693 in Marburg
gestorben, seine Frau am 18. Februar 1696 auf dem Frauen-
berge. Von allen Brunets Kindern waren auf dem Frauen-
berg nur Thomas und Jean übrig, ersterer damals 26 Jahre
alt. Jaques Guigues' Frau, Marie Peyrot, war 1693 gestorben,
und er hatte seit dem 18. September dess. J. eine zweite
Frau, Jane Bouiliane aus Quint in der Dauphine, geheiratet.
Sein Sohn aus 1. Ehe, Thomas, war 1696 6 Jahre alt. Am
159
10. Oktober 1696 wandten sich die beiden Kolonisten Thomas
Brnnet und Jaques Guiges von Marburg aus mit einem
französisch abgefassten Bittgesuche an den Landgrafen, der
seine Resolution darauf ebenfalls von Marburg den 16. Ok-
tober erteilte. Sie baten um die Concession zur Anlegung
einer Branntweinbrennerei, die ihnen auch gewährt wurde.
Zu einer Benutzung dieser Concession ist es aber nicht
gekommen. Die Familientradition weiss darüber, dass man
auf dem Conradshofe nach Wasser gegraben habe, aber
erfolglos^). Da für eine Brennerei nicht genügendes Wasser
zu beschaffen war, gab man die Absicht wieder auf.
Für den älteren der beiden Gebrüder Brunet, Thomas,
war es nach dem Tode auch der Mutter notwendig geworden,
für das verwaiste Haus sich nach einer Hausfrau umzusehen.
Am 7. Februar 1697 führte er als solche eine Landsmännin^
Marie Guillelmont, die Tochter von Jean G. und Susanne
Reydes aus Chambons im Val Cluson heim. In einer zweiten
Ehe war er mit Marie Bonnet; ebenfalls aus Chambons, ver-
mählt, endlich noch in einer dritten mit einer Deutschen,
Namens Katharina.
Sein jüngerer Bruder Jean heiratete 1699 Madeleine
Bonnet, die Tochter von David B. und Marie Guillelmont
aus Chambons. Marie und Madeleine Bonnet^ die Gattinnen
von Thomas und Jean Brunet^ waren wahrscheinlich Schwestern.
Ebenso liegt die Vermutung sehr nahe, dass beide Cousinen
der Maria Guillelmont, der ersten Frau von Thomas, waren.
Jean vermählte sich auch noch ein zweites Mal, am 31. Juli
1705, mit einer Deutschen^ Anna Katharina Seherer aus
Cappel.
Im Jahre 1698 gingen die im Erbleihebrief bewilligten
zehn Freiheitsjahre zu Ende, und war es dann also bestimmt^
dass die Inhaber der Güter das erste Jahr darnach 100 Thaler
in die Renterei zu Marburg bezahlen sollten. Wegen der
^) Die Kolonisten haben schon seit längerer Zeit einen gemeinsamen
Bronnen an den Höfen, der sehr gutes und auch für sie und die Wirt«
Schäften genug Wasser enthält Für den Notfall giebt es im kühlen
Walde in der Nähe noch einige Quellen.
160
folgenden Jahre aber sollte ihnen auf erfolgte Abschätzang
ihrer jährlichen Einkünfte als jährlicher Zins ein verhältnis-
mässiges Quantum angesetzt werden. Wie sich später heraus-
stellte, fand aber weder in den Jahren 1698 und 1708 die
Zahlung der 100 Thaler statt, noch wurde der jährliche Zins
auf ihre Güter festgesetzt. Wohl erging im Jahre 1708 am
16. Juni von Seiten der landgräflichen Regierung in Cassel
infolge eines Berichts der fürstlichen Rentkammer daselbst
ein Befehl an die Renterei in Marburg, genau zu untersuchen
und zu berichten, wie lange die bewilligten Freijahre sich
erstrecken, wieviel Morgen Land sie bisher innegehabt und
frei besessen haben, auch welcher Zins darauf zu setzen,
gewöhnlich sei.
Aus unbekannten Gründen kam es aber doch nicht in
diesem Jahre zur Abwickelung dieser Angelegenheit, obwohl
bereits im Jahre 1699 eine amtliche Messung und Kartierung
der von den Kolonisten benutzten Bodenfläche durch den
Landmesser Hermann Rudolphi stattgefunden hatte und eine
Zeichnung darüber gemacht war. In diesem Risse, dessen
Copie, wenn auch unvollständig, sich noch vorfindet, ist der
ganze Besitz noch in zwei Hälften für Jaques Guigues und
Thomas Brunet geteilt. Nach dem Verzeichnis auf der alten
Karte besassen sie überhaupt 240^8 Acker 13^1 Ruten,
darunter 16^8 Acker IOV4 Ruten Rottland. Diese Messung
war aber, wie später amtlicherseits zugestanden wurde, nicht
ganz zuverlässig. Warum nun aber trotz dieser Vermessung
im Jahre 1699 und des Auftrages an die Marburger Renterei
im Jahre 1708 der eigentliche fiskalische Zweck nicht erreicht
wurde, dafür kann man vielleicht nur die wohlwollenden Be-
mühungen des Professor Gautier als Grund annehmen, der
seinen persönlichen Einfluss beim Landgrafen aufgeboten
haben mag, seine mit der Not der Existenz kämpfenden
Landsleute für eine Zeit lang noch mit den drückenden Ab«-
gaben zu verschonen.
Im Jahre 1709 am 27. Mai starb ihr Beschützer, der
noch auf seinem Sterbelager, wie sein Biograph Harscher
berichtet, darin seine Befriedigung fand, dass er allen fran-
161
zösischen Kolonieen in der Nachbarschaft der Stadt, so viel
er gekonnt, Vorteile verschafft habe ^).
Im Jahre 1711 erging eine gleiche Aufforderung wie drei
Jahre vorher an den Marburger Rentmeister, aber ebenfalls
ohne Erfolg.
Erst im Jahre 1715 erfahren wir zunächst von Gründen,
warum bisher die Zahlung noch nicht geordnet war. Die-
selben sind in einem Memorial des Marburger Rentmeisters
enthalten : Sie könnten die hundert Thaler und den Zins
von allen den Gütern, die im Erbleihebriefe angegeben seien,
nicht bezahlen, weil sie mehr als 70 Morgen Wüstung davon
hätten liegen lassen müssen. Für das gerottete Land seien
sie bereit, einen angemessenen Zins zu zahlen. Schon vor-
mals sei dasselbe von ihm vorgestellt worden, aber keine
Verordnung darauf erfolgt.
Eine eingehende Besichtigung mit Zuziehung von zwei
Gerichtsschöpfen, Andreas Gescher aus Witteisberg und Martin
Nau aus Beltershausen, erwies die Richtigkeit ihrer Aussage
betreffs der Brauchbarkeit und der wirklich von ihnen in
Benutzung genommenen Güter. Der Bericht darüber wird
noch genauer bestimmt in der 15 Jahre später, 1730, erfolgenden
Eingabe um Renovation des Erbleihebriefs. Es ergab sich:
„ad 1) 2 Morgen Triesch zu einem Garten vor der alten
Mauer. Es sind aber dieselben lauter Steinhaufen und Klippen
und nicht zu gebrauchen, 2) den Morgen Wiese daselbst haben
wir in Benutzung, 3) die zwei lichten Plätze im Buchwalde
,,I)er Balderscheidt" sowie 4) der Grund am Löhnberge, der
Hetscher genannt, und 5) die Wiese am Löhnberge über
Bortschhausen. 3, 4 und 5 sollen praeter propter 21 — 24
Fuder Heu ausmachen, allein es werden auf diesen drei
Stücken überall beinahe nur 6 (8J Fuder Heu und dazu kein
Krommet gemacht. 6) sind uns die 4 Morgen Schlechters-
wiesen am Löhnberge jenseits der Kirchhainer Strasse zu
teil geworden, dieselben sind gar schlecht und der Entlegen-
') Harscher^ Historia Thoniae Gauterii, S. 40 „tum equidem modeste
commemorabat, se omnibus, quae in vicioia huius urbis sunt, coloniis
Gallonim, quanta potuerit commoda praestitisse'*.
N. F. Bd. XXIII. 11
162
heit halben nicht zu nutzen. 7) und 8) 5 Acker Triesch
unter dem Garten und c. 40 Morgen von der Ebsdörfer Strasse
bis an den Frauenberg haben wir angewiesen bekommen.
9) aber das Stück Wüstung von c. 24 Morgen am Ebsdörfer
Feld bis an den Ballerscheidt haben die Gemeinden Ebsdorf
und Beltershausen unter sich geteilt und uns davon nichts
zugestehen wollen. Ein Drittel Feld, so an der Sonnenseite
liegt, ist trocken und gut, ein Drittel hinter und neben dem
Frauenberg ist zwar eben so gut. Wie es aber gegen Abend
und im Wildfrass liegt, wird es für mittelmässig gehalten,
und ein Drittel ist nass, liegt tief, ist schlecht, weil es dem
Misswachs unterworfen ist, auch leichtlich verwintert."
Sie waren erbötig, 30 Möth partim, d. h. zur Hälfte
Korn, zur Hälfte Hafer, zu geben. Wenn sie zwar in den
ersten Jahren von diesen Wüstungen wohl 40 Geschock Korn
gezogen, dass sie also weit mehr geben müssten, so wollte
es doch nun an der Besserung mangeln, das Feld sei aus-
gesogen, in welcher Erwägung der jährliche Canon auf das
dermalen in Bhu genommene Hoffeld mit Zuziehung der
Schöpfen auf Hochf. Rentkammer Gnädige Ratification auf
8 Malter oder 32 Möth partim billig und erträglich gehalten
wird. Die Franzosen sind damit einverstanden, bitten aber,
dass sie dies Jahr 1715 noch mit deren Lieferung verschont
bleiben möchten. Betreffs der 100 Thaler aber und der für
die 17 Jahre von 1698 bis 1715 nachträglicher Entrichtung
von 17 X 8 = 136 Malter partim wollten sie sich zu nichts
verstehen. Der Rentmeister mochte hierbei mit Recht denken :
„Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren", und
drängte nicht weiter darauf. Von 1716 an fand also endlich
die regelmässige jährliche Entrichtung des Erbleihezinses in
Naturalien statt. Doch galt das, was 1715 abgemacht war,
nur als eine Interim-Regulierung, bis dem Privileg gemäss
erst die 100 Thaler für die Erbleihe gezahlt wären. Die
Sache kam also noch nicht sobald aus der Welt.
Das Jahr 1716 hat für die Familie Brunet eine grosse
Bedeutung, indem im Herbste desselben der Bau des zweiten
Brunetschen Wohnhauses, des später sogenannten Konrads-
163
hauses begonnen wurde, dessen Fertigstellung im nächsten
Fiülijaiir erfolgte. Am 23. October 1716 wurde dem Thomas
Hrnnef, (Ua- durch die damit verbundene Teilung des Eigen-
tums genötigt war, sich zu seiner Wohnung, dem „Thomas-
liause", eine neue Scheuer zu bauen, einiges Bauholz dazu
halbforstfrei bewilligt. Derselbe richtete darauf am 3. Januar
1717 mit Hülfe des erwähnten Predigers der reformierten
Gemeinde in und um Cappel, Johann Niclas Scherer, ein
Bittgesuch an den Landgrafen, welches in mehrfacher Be-
ziehung für die Personen und ihre Verhältnisse charakte-
ristisch ist. Er dankt für das Bewilligte und wünscht von
dem gütigen Gott Wiedervergeltung. „Wann aber, durchl.
gnädiger Fürst und Herr, ich gar ein armer Mann und meine
Familie diesen Winter über fast nicht durchzubringen weiss,
indem die Zimmerleut meinen geringen Vorrat dergestalt
consumiren helfen, dass nach Lieferung meines diesjährigen
Pachtzinses in Hochf. Renterei nichts vor mich übrig be-
halten habe, so dass schon unser Brot, Korn kaufen muss
und ich also nicht weiss, wie die Hälfte des empfangenen
Bauholzes zahlen sollte, ich auch solche Scheuer, ob sie
schon notwendig brauchte, nicht zu bauen angefangen hätte,
wenn nicht in der Meinung gewesen, dass wenigstens das
nötige Bauholz, Stückstecken und Zaungerten laut Erbleihe
forstfrei erhalten würde, so bitte ich mir auch die andere
Hälfte zu schenken. Ich werde den lieben Gott mit meinem
Weib und Kindern stets anrufen, dass er solches an
E. Hf I). und dem ganzen Hf Haus in Gnaden reichlich
belohnen wolle".
Der Pfarrer bezeugt, dass Thomas Br. in der That sich
und seine Familie kümmerlich durchbringen müsse.
Gleicherweise, auch wieder mit Bezeugung und Unter-
schrift des Pfarrers, bittet auch Jean Brunet, „armer Ein-
wohner auf dem Frauenberge'', in einem Schreiben vom
31. Januar 1717, mit Berufung auf dem Erbleihebrief, der
dem Professor Gautier selig erteilt sei, ihm gleich seinem
JMitnachbarn die bekommenen 35 Stämme Bauholz nebst dazu
ertorderhchem Kalk, Steinen, Stroh, Stückstecken, Latten
11*
164
und Zaungerten zu seinem Hausbau zu schenken, „damit
ich künftigen Sommer mit der Hülfe Gottes dieses angefangene
Haus wohnbar machen lassen kann". Vorher heisst es in
dem Schreiben: „dass ich aus Ermangelung eines absonder-
lichen Wohnhauses bis dahero mich mit meinem Bruder
unter einem Dache kümmerlich behelfen müssen und nun-
mehro aber, da unsere Familien je länger je mehr anwachsen,
genötigt worden, ein neues Wohnhaus anzubauen, welches
auch bereits aufgeschlagen und ich aus E. Hf. D. Waldung,
dem Oberwald und Schneise, 35 Stämme Bauholz dazu be-
kommen, welches herbeizuschaffen mich wegen der weiten
Entlegenheit gar viel gekostet. Des Zimmerlohns und anderer
schweren Kosten nicht zu gedenken, zu deren Abzahlung ein
Kapital aus dem Gotteskasten zu Cappel lehnen musste, da
es doch nur aufgeschlagen und gedeckt ist".
Ob Jeans Gesuch bewilligt worden, ist aus den Akten
nicht ersichtlich, doch ist es wohl nicht zu bezweifeln.
Durch die mehrfachen Bezugnahmen auf den Erbleihe-
brief waren die Fragen über die besonderen Rechte und
Privilegien der Kolonisten wiederholt zur Erörterung ge-
kommen. Sie wurden sich besonderer Vorrechte vor anderen
Bauern bewusst und bestanden den Behörden gegenüber
darauf. Zunächst handelte es sich um ihre Verpflich-
tung, im Gericht zu erscheinen. Wahrscheinlich ist
in dem ohne Angabe von Zeit und Ort abgefassten Akten-
stück das Gericht Witteisberg gemeint. Ich erinnere auch
an die zu der Ertragsabschätzung 1715 hinzugezogenen beiden
Gerichtsschöpfen aus Beltershausen und Witteisberg. Die
Gerichtsprotokolle von 1707 bis 1718 wiesen aus, dass sie
von 1707 bis 1718 alle Zeit im Gericht erschienen waren.
So lange nur zwei Familien auf dem Frauenberg wohnten,
war gestattet worden, dass im Verhinderungsfalle nur einer
der beiden Kolonisten zu erscheinen brauchte. So geschah es
auch bis 1719. Doch seitdem, bis zum Jahre 1730, wo die
Sache zur amtlichen Erörterung kam, blieben sie alle drei
zurück. Der Berichterstatter weiss nicht, ob die ihnen deshalb
gebührende Strafe zur Vollstreckung gekommen ist Er sagt.
165
sie wollten sich deshalb vom Gericht freimachen und anderen
herrschaftlichen Pächtern gleichgehalten werden, weil sie nun-
mehr Pacht gäben. Doch seien die Einwohner der Hahner
Heide auf dieselbe Art dahin gesetzt worden^ und obwohl sie
auch schon lange Pacht gegeben, erschienen sie dennoch am
Gericht. Weiter ist von der Sache nicht die Rede.
Von 1726 an bis zum Jahre 1738 zog sich ein sehr
lebhafter, für die drei Frauenberger Kolonisten, die sich jetzt
herrschaftliche Erbpächter nennen, zeitweise höchst auf-
regender Streit betreffs Zahlung eines Zehnten für neu er-
worbenes Rottland in Grösse von 11 Morgen. Da durch
die Teilung die Güter der Gebrüder Brnnet sehr klein ge-
worden waren, mussten sie darauf ausgehen, mehr bebautes
Land zu erwerben.* Aus dem Umstände, dass nicht alles
Land, was im Erbleihebrief angegeben war, in ihre Hände
gekommen war, so die vier Morgen Schlechters - Wiesen,
namentlich aber das Stück Wüstung am Ebsdorfer Feld bis
an den Balderscheid, welches nach ihrer Angabe die Ge-
meinden Ebsdorf und Beltershausen unter sich geteilt hatten
und ihnen nicht zurückgeben wollten, glaubten sie berechtigt
zu sein, die neu erworbenen 11 Morgen Wüstung am Ebsdorfer
Weg und dem Balderscheid, das Rottland der Zippen, d. h.
Zipfel genannt (im Cataster von Cappel mit 1774 Acker 19y2
Ruten bemessen), als Ersatz für das ihnen Fehlende und Vor-
behaltene in ihr Erbleihegut mit einzubeziehen und dafür
einen entsprechend höheren Pachtzins zu entrichten. Aber
weder Regierung und Rentkammer zu Cassel noch die
Renterei in Marburg wollten sich darauf einlassen. Es wurden
ihnen 4 Mt Gerste als Zehnte dafür aufgelegt, die von
1729 an zu zahlen seien. Einige Beltershäuser hatten die-
selben Stücke gewünscht und dies dafür geboten. Das Aus-
bleiben der Lieferung veranlasste im Jahre 1731 den Rent-
meister Meurer, ihnen, ihrer Remonstration ungeachtet, einen
Executor einzulegen. Ihre Bittschrift dagegen vom 1. Dez.
1731 scheint sie von der Execution zunächst befreit zu
haben. Jedoch erhoben sie schon am 28. Juli 1732 neue
Beschwerde wegen Auflegung des Zehnten und der Schnitt-
166
hämmel, welche doch von keinem herrschaftliclien Pächter
gefordert, würden. Zu einer glatten Entscheidung des Streites
kam es aber noch lange nicht. Man möchte annehmen, dass
die Regierung gegen die französche Kolonie besonders rück-
sichtsvoll vorgegangen sei und möglichst alle Härte vermieden
habe. Wahrscheinlich wirkte in dieser Beziehung auch die Für-
sprache des betreffenden, für die Interessen der französischen
Kolonieen angestellten, Kommissars. Im Jahre 1735, als der
Kammerrat Kunckels über dieselbe noch nicht erledigte Sache
zum Bericht aufgefordert war, muss dieser zu Gunsten der
Kolonisten geantwortet haben; denn seit der Zeit bis zum
Frühjahr 1738 blieben sie wegen jener Forderungen ganz
unbelästigt. Jetzt aber führte der Rentmeister Duntzer die
Sache zu Ende. Er drohte, sie pfänden und gefänglich aufs
Schloss bringen zu lassen. Nun gaben sie nach und ver-
standen sich zu dem Zehnten, baten aber, den verlangten
Thaler Zins für den Acker auf V2 Thaler herabzusetzen.
Wir erfahren dann später, dass sie den Zehnten und die
Contribution für die 11 Morgen Land nach Cappel entrichteten.
Noch während des Verlaufs dieser unangenehmen An-
gelegenheit spielte sich für die Kolonisten im Jahre 1730
eine ähnliche andere ab. Als im Jahre 1730 am 23. März
der Landgraf Karl gestorben und Friedrich I., zugleich König
von Schweden und Landgraf von Hessen, ihm gefolgt war,
wurde die Erneuerung des Erbleihebriefs verlangt, die
natürlich mit Kosten verknüpft war. Weil sie bei ihren
dürftigen Verhältnissen diese gerne vermieden hätten und
mit der Ausführung zurückhielten, wurde ihnen eine Strafe
von 20 Thalern angedroht, und dass sie zu gewärtigen hätten,
dass nach vier Wochen der von ihnen in Erbpacht genommene
Hof an den Meistbietenden ausgeboten würde. Infolgedessen
kamen sie darum ein, dass sie mit Ausbringung eines Leih-
briefes und der deshalb angedrohten Strafe von 20 Thalern
verschont würden. Doch scheinen sie sich bald überzeugt
zu haben, dass sie die Erneuerung des Erbleihebriefes nicht
umgehen konnten, und nun beantragten sie dieselbe, doch
mit der Bitte um eine Herabsetzung des bisherigen Pacht-
167
zinses in Anbetracht ihres schlechten und dem Wildfrass so
sehr ausgesetzten Landes. Die Renovation fand 1731 statt,
aber ohne die gewünschte Verminderung des Canons; denn
wir finden später immer wieder denselben Ansatz: 8 Malter
partim.
Ein wichtiger Besitzwechsel ging auf dem Frauenberg vor
sich, da Peter Guigues in Konkurs geriet und 1776 Heinrich
Schneider aus Langenstein im Amte Kirchhain, also kein Fran-
zose, meistbietend dessen Gut an sich brachte und auf sein
Ansuchen die Belehnung über dasselbe mit den gleichen
Rechten erhielt.
1783 lesen wir in den Frauenberger Akten zum ersten
Mal von dem Kommissar der Kolonie. Die Erb-
beständer kamen darum ein, dass der Rat und Oberschultheis
Leutenant Hille zu Marburg zu ihrem Kommissar bestellt
werden möchte. Sie schreiben : „Wir haben sonst jederzeit
gleich anderen französischen Kolonieen einen Kommissar in
Marburg und zuletzt den dasigen Rentnereibeamten, nun-
mehrigen Amtsrat Wetzel gehabt. Seit verschiedenen Jahren
aber haben wir, ohne dass wir selbst die Ursache dieser Ver-
änderung wissen, unter dem Hf. Beamten zu Kirchhain ge-
standen. Weil aber Kirchhain beinahe 2*/» Stunden vom
Frauenberg entfernt ist, und es uns daher beschwerlich war,
um einer jeden oft geringfügigen Sache diesen Weg zu thun,
so sind wir bald zu diesem, bald zu jenem Dorf gerechnet
worden, man hat uns aus diesem Grunde mancherlei Onera auf-
zubürden gesucht, welche sowohl den Privilegien der französi-
schen Kolonieen als auch den unsrigen geradezu entgegen sind.
Die hauptsächlichste Ursache der widerrechtlichen Auflagen
möchte wohl darin liegen, weil die Beamten zu Kirchhain von
der Verfassung und den Privilegien der französischen Kolonieen
nicht gehörig informiert gewesen sind." Weil nun der Amt-
mann Stippius jetzt von Kirchhayn nach Rauschenberg ver-
setzt ist, bitten sie um Hille^s Bestellung, „da uns derselbe
nicht nur viel näher ist, sondern auch nach vieljährigen Er-
fahrungen die Rechte der französischen Kolonieen genauer
kennt und ohnehin auch bereits Kommissar über die Kolonie
168
Totenhausen ist/' Aus einem Aktenstück vom Jahre 1767,
also 13 Jahre früher, ersehen wir^ dass damals noch der
Rentmeister Adjunkt Wetzel das Referat über den Frauenberg
an die Regierung hatte, aber die Polizeigewalt dem Amtmann
in Kirchhain zustand.
Nicht ohne Interesse ist wohl ein Urteil über die Be-
wohner des Frauenbergs aus dieser Zeit von Dr. K. W. Justi
in Marburg, enthalten in dem „Journal von und für Deutsch-
land" vom Jahre 1788: „Obgleich die französische Sprache
bei diesen Kolonisten nun gänzlich ausgestorben ist (denn
vor einigen Jahren starb noch die letzte alte Frau, die
freilich sehr verdorbenes Französisch reden konnte), so
findet man dem ungeachtet bei ihnen noch Spuren der ihrer
Nation sonst so eigenen Höflichkeit."
Die Erneuerung des Erbleihebriefs zu Anfang des Jahres
1786, nach dem Regierungsantritt des Landgrafen Wilhelm IX.
am 31. Oktober 1785, wurde nun seitens der Hofleute ohne
Zaudern beantragt. Dass dasselbe der Fall gewesen war,
als im Jahre 1751 Wilhelm VIII. seinem Bruder Friedrich I.
gefolgt war, ist wohl nicht zweifelhaft, wenn auch davon in
den Akten nichts erwähnt wird. Im Original-Steuer-Kataster
der Gemeinde Beltershausen, Landgericht Marburg, publiziert
1845, findet sich unter dem Titel „Vom Kurstaate ausge-
gebene Güter" auch folgender Eintrag: Ein Erbleihegut,
der Hof oder die Kolonie Frauenberg genannt, worüber beim
Regierungsantritt des Landesregenten ein neuer Leihebrief
erteilt wird.
Im Jahre 1798 wurde mit Genehmigung der Regierung
vom 18. April auf Grund eines Berichts des Forstamts Marburg
vom 14. Dezember 1797 die Wiese am Löhnberg über Borts-
hausen (E. L. Br. No. 5) zu 2 Fuder Heu und der Grund am
Löhnberge, der Hetscher genannt, unweit Ronhausen zu
6 Fuder Heu (Nr. 4) gegen zwei andere gleich grosse, an ihren
Höfen und Gärten gelegene, wüste Strecken umgetauscht.
Von dieser Wüstung sollte keine weitere Abgabe an Geld
und Früchten als der einmal bestimmte Pachtzins gegeben
werden. Der Tauschbrief selbst ist am 17. Mai 1800 aus-
169
gefertigt. Die damaligen Erbpächter waren Conrad Rein,
Thomas Brunet (IV) und Johann Heinrich Schneider.
Die nächsten Akten führen uns in die Zeit der west-
fälischen Regierung unter Jerome Bonaparte von 1806 — 1813.
Jedenfalls fussend auf die in ihrem Leihebrief zuge-
sicherten Freiheiten von Kriegsleistungen, Einquartierungen,
Contributionen u. a , benutzte der Erbbeständer Schneider,
im Namen auch der zwei anderen, ein Kaiserliches Dekret
vom 24. Februar 1809, welches dazu aufforderte, Ansprüche
oder Forderungen an die dem Kaiser vorbehaltenen Domänen
bei dem General-Liquidator Herrn von der Malsburg anzu-
melden, um eine Entschädigung für die nicht unbedeutenden,
in dem noch erhaltenen Verzeichnis aufgeführten Leistungen
zu erhalten. Es handelt sich in demselben um Grundsteuer,
Gendarmen-Verpflegungsgelder, Kriegskosten, Fleischlieferungs-
geld, Beiträge zu den Kriegsfuhren, Rationen Heu, Stroh und
Hafer, Dienstfuhren, Dienstgeld, Personalsteuern, Einquar-
tierungsgeld. Ein noch vorhandener Steuerzettel für 1813
enthält die Ortsbezeichnung: Werra-Departement, Distrikt
Marburg, Kreis Marburg, Canton Ebsdorf, Colonie Frauenberg.
Auch ist ein Auszug aus der Bonitierungs-Tabelle vom
28. November 1812 vorhanden. Darnach bringt Eckhard
Schneiders Gut einen Ertrag von 407 ^ 24 ^ 2 /Sj, das
des Heinrich Brunet (Conradshaus) 263 g{f; 22 Sj^ 2 ^, des
Johannes Brunet (Thomashaus) 255 !J{fj 22 ^ 11 ä).
Nachdem der Kurfürst Wilhelm L (früher Landgraf
Wilhelm IX.) nach der Schlacht bei Leipzig die Regierung
über sein Land wieder angetreten hatte, kehrten auch die
alten Verhältnisse zurück. Doch wehrten sich die Kolonisten
vergeblich gegen die neuen Landesschulden-Tilgungssteuern.
Auf ihre Eingabe dagegen vom 2. Juni 1815 wurde ihnen
die abweisende Antwort, es sei eine Personal-Abgabe, daher
keine Exemtion auf Grund ihrer hergebrachten Grundsteuer-
Freiheit zuzulassen
1821 starb Kurfürst Wilhelm L, und ihm folgte sein
Sohn Wilhelm U. von 1821—1847. Natürlich wurde auch
jetzt wieder der Erbleihebrief erneuert, nachdem amtlich be-
170
zeugt war, dass die jetzigen Erbleihebeständer fleissige Land-
wirte und redliche Unterthanen seien, auch die Abgaben ge-
hörig entrichtet hätten.
Der Erbleihebrief erinnerte immer wieder an Stücke
Landes, die sie besitzen sollten, aber wirklich nicht in Besitz
hatten. Dazu gehörte das, was ihnen die Beltershäuser und
Ebsdorfer genommen hatten, und die Schlechterswiese. Diese
lag sehr weit vom Frauenberg entfernt auf dem Schröcker
Gleichen hinter der Kirchhainer Strasse, und deshalb hatten
sie dieselbe auch gar nicht in Besitz genommen, wie sie auch
auf der alten Karte von 1699 nicht verzeichnet war. Da
sie dagegen die sogenannte Einsiedler- Wiese im Eselsgrund
später besassen, die durch einen Graben und durch Berge
eingeschlossen war und ihnen näher lag, so äusserte bei einer
amtlichen Vermessung ihres Eigentums im Jahre 1837 die
Kommission die Vermutung, sie hätten die erstere früher
einmal gegen die letztere vertauscht. Im Jahre 1824 aber
wurde ihnen auf ihr Ansuchen mit Berufung auf den Leih-
brief die Schlechterswiese wirklich eingeräumt, zugemessen
und versteint.
An der nördlichen Waldgrenze der Kolonie Frauenberg,
ganz in der Nähe des Gebäudekomplexes der drei Hofleute liegt
noch ein viertes kleines Gehöft, das in einer Secundogenitur
aus dem Conradshause sich bis heute auch auf einen Brunet,
Namens Conrad, vererbt hat. Dieses Gehöft wurde im Jahre
1830 errichtet und knüpften sich an dasselbe Verhandlungen
mit der Behörde, die sich bis zum Jahre 1842 hinzogen.
Es hatte damit folgende Bewandtnis: Johann Heinrich Brunet
legte seinem ältesten Sohne und Hofnachfolger Conrad in
dessen Ehe- und Anschlags-Kontracte vom 30. Mai 1829 die
Verpflichtung auf, seinem jüngeren Bruder Johannes zu ge-
statten, auf ein Zubehör des Gesamtgutes sich ein Wohn-
haus zu errichten und dies als solches zu benutzen, ihm
auch das dazu gehörige Grundstück, bestehend aus 13 Ruten
Hofraum und 1 Acker Wiese, als Eigentum abzutreten. Sollte
dies aber polizeilich nicht gestattet werden, müsse er ihm
ein anderes Stück Land von zwei Mesten Aussaat übertragen.
171
Nachdem nun dein Johannes von Pohzeivvegen die Erlaubnis
erteilt worden war, erbaute er auf der Stelle ein Wohn-
gebiiudo, nahm sicli eine Frau, erhielt mehrere Kinder und
verschaffte als Leinweber und Schankwirt sich und seiner
Familie den Lebensunterhalt. Im Jahre 1842 aber, nach-
dem der Ratifikationsgehülfe Hesse in Beltershausen die
Anzeige von einer von ihm wahrgenommenen Entfremdung
zweier Grundstücke aus dem Leihebestande des Hofes Frauen-
berg gemacht hatte, zog die Behörde das Geschehene in
nähere Untersuchung. Der Rentmeister Führer in Marburg
berichtete darüber an die Kurfürstl. Ober-Finanz-Kammer in
Cassel unter dem 28. April 1842. Die Gestattung hätte
nicht ohne die Beistimmung des Obereigentümers stattfinden
dürfen. Das Gut liege am Walde, und eine Vermehrung der
Familie könne in Bezug auf Forstfrevel nicht gewünscht
werden. Sonst seien die Grundstücke noch beisammen, mit
der Ausnahme, dass die sub 9 im Leihbriefe aufgeführten
24 Morgen Wüstung durch üsucaption auf Beltershäuser Ein-
wohner — die Ebsdorfer sind jetzt nicht mehr erwähnt —
grösstenteils schon in älterer Zeit übergegangen sein sollten.
Konrad Brunet erklärte sich in dem Termine in der Amts-
renterei bereit , entweder seinen Bruder als seinen Mieter
anzusehen oder andere gleichwertige Grundstücke in das
Leihegut einzusetzen. Der später geladene Johannes verstand
sich aber nicht dazu, dass die Grundstücke als Zubehörungen
des Leihegutes angesehen und dadurch seiner freien Disposition
gänzlich entzogen würden. Am 25. Mai 1842 wurde im
Schlusstermin unter Zustimmung beider Brüder durch den
l\entm( ister Führer der Streit in der Weise erledigt, dass
Coiuad sich unter der Bedingung, dass Johannes sich ver-
bindlich mache, die in Rede stehenden Grundstücke nicht
mit weiteren Wohngebäuden zu bebauen und auch seinen
Nachkommen diese Verbindlichkeit aufzuerlegen, bereit er-
klärte, ein anderes gleichwertiges Eirbgrundstück in das
Frauenbergsgut einzusetzen, womit Johannes zufrieden war.
Übrigens kauften Johannes oder seine Nachkommen sich noch
in Beltershausen und Moischt an , und er pachtete unter
172
anderen im Jahre 1829 ein fiskalisches Grundstück in Klein-
seelheim, die herrschaftliche Dornwiese, IIV2 Acker 32 Ruten
gross, auf 3 Jahre für 28 Thaler 2 Albus und bei der Er-
neuerung der Pacht 1832 um 27 Thaler 4 Albus.
Am 24. April 1834 ging ein Prozess zu Ende, den die
Kolonisten mit dem Fiskus wegen der Wegebausteuern führten,
die ihnen neu auferlegt waren, und von denen sie auf Grund
ihres Erbleihebriefs frei zu sein behaupteten. Das Obergericht
entschied damals zu ihren Gunsten. Sie hatten diese Wege-
bausteuern bereits von 1820 an bis 1834 gezahlt. Der Ober-
gerichtsbescheid vom 24. April 1834 hatte bestimmt, die
Entschädigung sollte mittelst verhältnismässiger Ermässigung
des schuldigen Erbleihezinses erfolgen. Die Vergütung unter-
blieb bis zum Jahre 1838. Erst am 3. Mai dieses Jahres
erging der Beschluss des Ober-Finanz-Kollegiums in Cassel,
es sollen ihnen 1 ^{\ 24 Alb. jährlich, bis zur Abtragung,
am Erbleihezinse vergütet werden.
Diese vier Jahre währende Verzögerung hatte aber darin
ihren Grund, dass das Ober-Finanz-Kollegium sofort nach
Erledigung jenes Prozesses eine Veranlassung gefunden zu
haben glaubte, die Entschädigung zurückzuhalten. Es war
ihm nämlich die Vermutung nahe gelegt worden, dass die
Erbleihebeständer mit einem noch weit höheren Betrage im
Rückstande seien. Am 6. Juli 1834 erging die Aufforderung
an die Amtsrenterei in Marburg, wegen der rückständigen
100 Thaler für den Erbleihebrief zu berichten, und ob der
bisher entrichtete Erbleihezins von 8 Maltern partim nicht
zu gering bemessen sei. Vier Jahre dauerte die von Cassel
aus sehr energisch betriebene Untersuchung dieser Sache,
die fast den grössten Teil des vorhandenen Aktenmaterials
über die Frauenberg-Kolonie einnimmt, aber auch zu Gunsten
der Kolonisten ihren Abschluss fand.
Die Antwort der Amts - Renterei in Marburg vom
8. Oktober 1834 lautete zunächst sehr ungünstig für die
Frauenberger. Der Rentmeister von Würthen führt ver-
gleichsweise das Erblehngut zu Hof Cappelle an: „Wenn
dies im ganzen auch besseren Grund und Boden hat, des-
173
halb auch mehr produziert, so hat der Frauenberg nach
damaliger Grösse 67 Acker mehr als Cappelle, letzteres
aber die doppelten Abgaben. Bei einer neuen Abschätzung
würden sich wohl statt der 8 Malter mindestens 12 Malter
ergeben. Der Hof Cappelle liefert 2 Malter Weizen, 15 Malter
Korn, 16 Malter Hafer, 7 Malter Gerste, 2 Hühner, 3 Ctr.
Heu, 2 Thaler.
Der Rentmeister ist aber später der Meinung, ein
Prozess könnte vielleicht nicht zum Vorteil des Staates aus-
fallen.
Die Regierung beruhigt sich nicht dabei, sondern ordnet
am 19. Mai 1836 eine Kommission an, um über den Ertrag
des Erbleihegutes zu einem zuverlässigen Resultat zu gelangen.
Dieselbe soll bestehen aus dem Ökonomen Usener zu Marburg,
dem Amtmann Pauli zu Hof Fortsbach und dem Ausschuss-Vor-
stand Grau zu Heskem. An Useners Stelle, der unabkömmlich
ist, wird der Ökonom Philipp Kaiser zu Ebsdorf bestimmt.
Da sich aber nachträglich herausstellt, dass auch Kaiser
nicht teilnehmen kann, weil er zum Deputierten in Cassel
gewählt ist, und auch Pauli darum bittet, ihn ganz davon
zu lassen, tritt die Kommission gar nicht in Thätigkeit.
Es ergiebt sich auch bald ein neuer Umstand, der die
Regierung veranlasst, von der Abschätzung der Ertragsfähig-
keit zunächst abzusehen und die Untersuchung in ein ganz
anderes Fahrwasser zu lenken.
Der Archivar des Ober- Finanz-Kollegiums, Kanzleirat
Kessler, glaubte aus den Akten ermittelt zu haben, dass im
Laufe der Zeit Anrottungen von Waldboden zu dem Guts-
bestande stattgefunden haben müssten ohne Zinsregulierung.
Dafür spreche auch der Umstand, dass früher, namentlich im
Bezirk des Oberfürstentums, bedeutende derartige Anrottungen
eigenmächtig erfolgt seien. Daraufhin erhielt die Marburger
Anitsrenterei am 22. Dezember 1836 den Auftrag, mit mög-
lichster Kostenersparnis eine genaue Untersuchung der Flächen-
grösse durch den Landmesser zu veranlassen, aus den älteren
Renterei- Akten das Einschlagende zu ermitteln und auch die
Forstinspektion zu Rate zu ziehen.
174
Bei der Grenzbegehung stellt sich heraus, dass im Um-
fang keine Änderung vorgegangen ist; auch geschieht von
Seiten der Forstbehörden wegen Verrückung der Grenze keine
Einrede. Das Resultat der Messung durch den Landmesser
Rühl von Rauisch-Holzhausen war folgendes:
Nach dem jetzigen Mess- Ver-
zeichnis besitzen sie überhau])t . 240V8 Acker 13 V4 Ruten
Nach den alten Angaben be-
sassen sie 220^/8 „ 4^2 „
Sie besitzen also jetzt ... 19^'4 Acker 8^/4 Ruten
mehr als die Morgenzahl der alten Karte von 1699 besagt.
Doch wird dabei bemerkt, dass die Messungen des Herrn
Rudolphi nicht sehr zuverlässig sind.
Die Casseler Regierung scheint nun zunächst vermutet
zu haben, dass die hiermit ermittelte Differenz dadurch ent-
standen sei, dass die Ruine des Frauenbergs und die um die-
selbe gelegene Wüstung, die auf etwas mehr, auf 22'^/4 Acker
I7V2 Ruten, ausgemessen war, ursprünglich nicht zum Erb-
leihgute gehörte, und ging vielleicht mit der Absicht um, den
Ausgleich dadurch zu gewinnen, dass sie dieses Areal mit
der von einer hessischen Landesfürstin erbauten Burg wieder
zum unmittelbaren Staats- oder Dominial-Eigentum machte.
Deshalb erging am 10. Oktober 1837 ein Schreiben an den
Rentmeister, die Erbleihbeständer zur Erklärung aufzufordern,
wann ihnen diese im Vermessungs-Protokoll aufgeführten
22^/4 Acker 17^2 R. Wüstung um die Ruine Frauenberg zur
Benutzung und von welcher Behörde und durch welche Ver-
fügung eingegeben seien, und ob und welchen Zins sie dafür
bezahlt hätten. Auch solle deshalb bei der Forstinspektion
nachgeforscht werden.
In dem Protokoll vom 25. Oktober d. J. erklären Ben-
jamin und Conrad Brunet und Heinrich Schneider, dass diese
Fläche von Anfang an zum Gute gehört habe und schon
von ihren Vorgängern benutzt worden sei. Sie sei übrigens
mit Gesträuchern ganz bewachsen und könne im günstigsten
Falle von ihnen nur zur Hute benutzt werden ; dermalen
würden die Steine davon zum Bau d«^r herrschaftlichen Strasse
175
gebrochen, was sie aus dem Grunde auch nicht verhindert
hätten.
Der Rentmeister lullt in einem Schreiben vom 5. No-
vember ihre Angaben für um so wahrscheinlicher, als auch
der Forstinspektion nichts von einer besonderen Überweisung
bekannt sei.
Die Zugehörigkeit der Ruine zur Kolonie blieb seitdem
keinem Zweifel unterworfen. Eine gewisse Einschränkung des
Besitzstandes fand in neuester Zeit in sofern statt, dass die
drei Eigentümer Eckhardt Schneider, Johannes und Conrad
Brunet, übrigens ohne Datum, einen Revers unterschrieben
und dessen Eintragung ins Grundbuch zugaben, dass sie
der Königlichen Regierung zu Cassel oder der Kreisbau-
verwaltung zu Marburg gestatten, diejenigen Reparaturen
auszuführen, welche dieselbe zur Erhaltung der Ruine für
notwendig erachtet, dass sie ebenfalls die Benutzung der
dahin führenden Wege und Lagerplätze zugeben , indem
sie hierbei versichern, auch ihrerseits beitragen zu wollen,
dass die Ruine in ihrem jetzigen Zustande erhalten und
keinerlei Steine und Bauteile von den noch stehenden
Mauern entnommen werden, sowie sie sich dessen enthalten
wollen, selbst Baumaterial von der bestehenden Ruine zu
entnehmen, vor allen Dingen aber auch die von der Königl.
Regierung ausgeführten Reparaturen daran unangetastet zu
lassen.
Die Basaltsteine des Steinbruchs am Frauenberge sind
auch weiterhin vom Staate zur Befestigung der Staatsstrassen
benutzt worden. Die Eigentümer haben denselben seit dem
Jahre 1884 an den Staat, dann an die Communalverwaltung
für jährlich 180 Mark verpachtet, von denen jeder der drei
Eigentümer ein Drittel erhält. Der steile Absturz zum Stein-
bruch in der Nähe der Ruine ist leider durch Unachtsamkeit
schon vor längerer Zeit entstanden ; jetzt dürfen nur unten
in grösserer Entfernung von den Vertikalen der Gipfelfläche
Steine gebrochen werden.
Im Jahre 1842 zahlte der Staat, als er einen Fahrweg
über das Eigentum des H. Schneider nach dem Steinbruche
176
anlegte, demselben für die einstweilige Abtretung des Ge-
brauchsrechtes an diesem Wege, so lange der Steinbruch
vom Staate benutzt werde, ein für allemal 25 Thaler.
Nachdem sich der vom Staate beabsichtigte Ausgleich
durch Übernahme der Ruine zu Ende 1837 als rechtlich
unstatthaft herausgestellt hatte, kam die Ober-Finanz-Kammer
anfangs 1838 auf die Wegebausteuer als ein ihr geeignet
scheinendes Ausgleichsobjekt zurück. Die Fruchtrenterei sollte
den Erbbeständern mitteilen, man sei geneigt, ein Überein-
kommen dahin zu treffen, dass von ihnen statt des Erbleihe-
zins-Ansatzes die Entrichtung der schuldigen Wegebausteuer
im Betrage von 2 ,<??/; 15 Sj^ jährlich, von Zeit deren Schuldig-
keit an, übernommen werde. Der Vorteil für sie liege darin,
dass der Zinszusatz 4. ^j 19 >^, also "i 0if> 4 ^ mehr, be-
tragen würde.
Man muss sich diesen eigentümlichen Vorschlag so
erklären, dass das O.-F.-K. dadurch zu einer Ablösung eines
lästigen Privilegs gelangen wollte, wie ja überhaupt die
staatlichen Verhältnisse jener Zeit dazu drängten, alle noch
vorhandenen Privilegien abzuschaffen.
Die Erbbeständer behaupteten, die ihnen auf der alten
Karte überwiesene Grundfläche nicht vergrössert zu haben.
Nur dann wollten sie sich zu einer Erhöhung ihres Zinses
oder auch zur Entrichtung der Wegebausteuer bereit erklären,
wenn die nach der alten Karte ihnen zukommende Boden-
fläche am Balderscheid, wovon 1 Acker mehr wert sei als
zwei der ihrigen, ihrem Besitz hinzugefügt werde. Sie
wünschten übrigens selbst eine Abschätzung des Ertrags
ihrer sämtlichen Grundstücke, überzeugt, dass sich dadurch
die Wahrheit ihrer Aussage, als sei ihr dermaliger Erbleihe-
zins dem Ertrag vollkommen angemessen, bestätigen würde.
Nach Ablehnung ihres Vorschlages machte die Ober-
Finanz-Kammer noch einen Anlauf, die Sache ins Reine zu
bringen. Sie ersuchte die Renterei, baldigst zu ermitteln,
welcher jährliche Ertrag von den 20 Acker Rottland und zu
welchem Geldwerte die Nutzung anzunehmen, auch wie diese
Grundfläche am zweckmässigsten entweder als Land oder
177
Wiese zu benutzen oder etwa zum Walde zu schlagen
und der Forstverwaltung zu überweisen sei. Auch Rühl solle
sich gutachtlich äussern.
Das Gutachten des Oberfeldmessers führte die Sache
nun bald zu Ende. Derselbe schreibt am 20. März 1838:
„Der Überschuss des Flächeninhalts von 19^/4 Acker 8^/4 R.
ist aus den verschiedenen Teilen, welche kleiner angegeben
sind, als sie wirkliche Grösse haben, und aus der Anrottung
von der Wüstung des Frauenbergs, wovon keine Grösse an-
gegeben war, entstanden. Der Wert von dem, was an der
Wüstung angerottet ist, ist von keiner grossen Bedeutung,
indem die Erbbeständer angerottete Teile selbst wieder wüst
liegen lassen, und, wo es gut ist, stehen alte un verwerfliche
gehauene Malsteine, wovon sie nichts abgeben werden. Es
fehlen ihnen auch noch 11 Vs Acker 5 R. Ich wüsste daher
nicht, wo und wie ihnen die beinahe 20 Acker abgenommen
werden sollten, indem noch nicht ausgemacht ist, ob die
sechzehnschuhige Rute, womit der Frauenberg gemessen
worden, der Schuh Marburger Mass war, welcher stärker als
der Kasseische Kataster-Fuss ist, folglich der Inhalt kleiner
ausfallen musste, wie ich dies bei Ortschaften, die von dem-
selben Landmesser mit der sechzehnschuhigen Rute gemessen,
erfahren habe.*'
Als dann noch am 7. April 1838 derselbe Landmesser
auf eine Anfrage betreffs eines Kostenanschlags für die Aus-
messung jedes einzelnen der drei Kolonisten-Grundstücke
diesen ungefähr angegeben, zugleich aber bemerkt hatte, er
sei wegen dringender Geschäfte jetzt nicht imstande, die
Messung vorzunehmen, ist weiterhin von der ganzen Sache
in den Akten keine Rede mehr.
Eine Angelegenheit, die von der frühesten Zeit der
Kolonie bis in die neueste hinein das Nachdenken und Be-
mühen unserer Frauenberger mit Recht sehr in Anspruch
genommen hat, nämlich das Abhandenkommen der 24 Morgen
Wüstung vom Ebsdorfer Feld bis an den Balderscheid, ist
unaufgeklärt geblieben. Man begreift nicht, wie es mög-
lich war, dass von einem herrschaftlichen Erbleihegute,
N. F. Bd. XXIII. 12
178
ohne Wissen der Erbleiher und ihrer Herrschaft, ein
grosses Stück Land entwendet werden konnte. Oder
wussten es beide und gaben es stillschweigend zu, die
Erbleiher, weil sie das Land für wertlos hielten, wovon sie
dann später zu ihrer bitteren Enttäuschung eines anderen
belehrt wurden, die Regierung, weil sie durch Ausscheidung
des Landes aus dem Erbleihegut, zumal da es auch von ihr
für sehr geringwertig gehalten wurde, jedenfalls grössere
Einkünfte und sonstige Vorteile hatte. Aus demselben Grunde
hat dann wohl auch Joh. Hofmeister oder dessen Nachkomme
die letzten noch wüste liegenden 1^/2 Morgen im Jahre 1848 un-
gehindert urbar machen können, wobei sich übrigens heraus-
gestellt hat, dass sie wirklich nicht viel wert sind. Durch
die Verkoppelung der Gemarkung Beltershausen sind nun
auch die früheren Besitz Verhältnisse dieses ganzen Grund-
stücks vollständig verwischt, indem die beiden Gutsbesitzer
Hoss und Nau die einzigen Eigentümer geworden sind.
Die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts brachte auch
für die Hofbesitzer des Frauenbergs die Ablösung ihrer
Naturallieferung und machte ihr bisheriges Erbleihegut von
jedem Eigentumsrechte des Staates oder des Landesfürsten frei.
Am 6. Juli 1850 wurde auf Grund des Gesetzes vom
26. August 1848 der Entschädigungsvertrag zwischen dem
Staate und den Besitzern des Frauenbergs abgeschlossen.
Danach hatten die drei zusammen 944 Thaler 1^6 Pfg.,
verzinslich zu 5 pCt., vom 11. November 1849 an, der Amts-
Geld-Renterei in Marburg zu zahlen und bis zum Abtrage
zu verzinsen. Auf Benjamin und Conrad Brunet fielen davon
je 221 ^ 10 ^ 4V2 i) und auf Heinrich Schneider 501 ^
10 ^ 9 ^.
Seitdem das frühere Erbleihegut freies Eigentum der
Frauenberger geworden war, konnten diese darüber natürlich
beliebig nach den allgemeinen rechtlichen Bestimmungen
verfügen. Da ihr Besitz eine aufs beste zusammengelegte
besondere Gemarkung bildete, brauchten sie, wie auch der
Hof Capelle, nicht an der Beltershäuser Verkoppelung teilzu-
nehmen. Doch bot sich die beste Gelegenheit, die entlegenen
179
Stücke gegen solche mit dem Gute unmittelbar zusammen-
hängende zu vertauschen. So geschah es 1869 mit dem
Dachsgrund im Staatswald Balderscheid und 1882 mit der
Einsiedler- und Schlechterswiese. Dafür wurden vom Fiskus
entsprechende, ans Frauenberggut angrenzende Waldstücke
ausgerodet und übergeben. Der Dachsgrund, einst gutes
Ackerland, ist jetzt ein stattlicher Fichtenwald geworden.
Von den drei Kolonisten- Wohnhäusern liegt das Thomas-
haus nicht mehr auf der alten Stelle, es ist 1853 an der
gegenüberliegenden Ostseite der durch das Gehöft nach Borts-
hausen führenden Gasse neu aufgebaut. An das Conradshaus,
woran ein Balken im Westen noch die ursprüngliche An-
gabe des Baujahrs 1716 zeigt, ist erst in neuester Zeit nord-
wärts ein kleiner Saal angebaut worden, und gegenüber
an der Westseite des Hofraums ist ein Logierhaus für Sommer-
frischler und Wald- und Luftkurgäste entstanden. In dem
Konradshause lebt zwar auch jetzt noch ein altes Brunet'sches
Ehepaar, Johann Eckardt und Anna Catharina, geb. Lorch,
aber nur im Auszug, und der Hof ist, nachdem alle Kinder
früh gestorben, seit einigen Jahren durch Kauf an Johannes
Heuser aus Ebsdorf übergegangen. Sowohl im Konrads- als
auch im Thomashause bestehen schon seit vielen Jahren
Kaffee-, seit einigen Jahren auch Schenkwirtschaften, wo sich
an schönen Tagen, und sobald die Wege gangbar sind, zahl-
reiche Besucher, namentlich von Marburg, aber auch aus
vielen umliegenden Ortschaften in den Häusern oder auf den
dafür eingerichteten Baumhöfen einfinden, um mit der herr-
lichen Aussicht von der nahen Ruine hier eine gute leibliche
Erquickung und Erholung von dem anstrengenden Spazier-
gange zu verbinden.
Um den Zusammenhang der heutigen Bewohner des
Frauenberges mit den ersten Kolonisten übersichtlicher zu
machen, diene die angehängte Stammtafel der hier noch
allein in Betracht kommenden Brunets, soweit sich dieselbe
aus den Kirchenbüchern und aus mündlichen Mitteilungen
feststellen Hess. Es wird übrigens versichert, dass Nach-
12*
180
kommen der Guigues vom Prauenberge jetzt auf einer Mühle
bei Wetzlar in guten Verhältnissen leben.
Wir sind hiermit am Schlüsse unserer Geschichte der
französischen Kolonie Frauenberg angelangt. Es ist ein Stück
Kirchen-, Kultur- und Rechtsgeschichte, was in derselben
an unserm Auge; vorübergezogen ist, sich anknüpfend an
zwei einfache Familien, von denen die eine nun schon über
zwei Jahrhunderte einen der stolzesten Berge des Hessen-
landes, ja Deutschlands, nicht nur bewohnt, sondern auch
sein Eigen nennt, als Rechtsnachfolgerin eines der berühm-
testen deutschen Fürstengeschlechter, des Hauses Brabant.
So unscheinbar jene Familie auch ist, so hat ihre Geschichte
doch gezeigt, dass sie es verdient, nicht der Vergessenheit
anheim zu fallen : durch ihre Glaubenstreue, ihre ünverdrossen-
heit und Standhaftigkeit im Kampfe des Lebens und durch
ihre Biederkeit, die ihr bei Hohen und Niedrigen weit und
breit im Lande Vertrauen erweckt. Der Segen Gottes ruhte
und ruhe auch fernerhin auf ihr und auf der Kolonie
Frauenberg !
IIL
Landgraf Wilhelm IV. von Hessen
auf der Brantsnche.
von
Dr. Ribbeck,
Archivar in Marburg.
n der reichen Natur Philipps des Grossmütigen war ein
stark sinnlicher Zug, der ihn selber in tödtliche Ver-
legenheiten brachte, sein Familienleben zerrüttete und die
neue Lehre, zu der er sich bekannte, auf das Schwerste
compromittierte. Dieser sinnliche Zug findet sich auch bei
seiner Nachkommenschaft aus beiden Ehen wieder. Für die
Söhne aus der Hauptehe wird dies bezeugt durch den be-
kannten Brief an Christoph von Würtemberg vom 25. März
1561 ^). In diesem ist die Rede von Ausschweifungen schlimmer
Art, welche den jungen Prinzen durch das Gerücht zur Last
gelegt wurden. Der Landgraf hebt allerdings hervor, dass
seine Söhne diese Gerüchte Lügen gestraft hätten, aber dass
er selber von ihrer Grundlosigkeit nicht überzeugt war, be-
weist doch der Umstand, dass er in eben jenem Briefe den
ihm befreundeten Christoph ersuchte, seinen zweiten Sohn
Ludwig auf einige Zeit an seinen Hof und unter seine Auf-
sicht zu nehmen.
Auch Ludwigs älterer Bruder Wilhelm war von jenem
erwähnten sinnlichen Zuge nicht frei. Dies wird bezeugt
schon durch das Vorhandensein verschiedener Kinder von
M Gedruckt in Mosers patriotischem Archiv für Deutschland Bd. 9
(1788) S. 123 ff.
182
ihm, die illegitimen Verhältnissen entstammten. Unter diesen
Umständen und schon damit die Nachfolge gesichert werde,
ist es begreiflich, wenn der Vater auf seine baldige Ver-
mählung drängte. Allein Wilhelm ging nicht eben mit sonder-
lichem Eifer auf die väterlichen Wünsche ein, teils aus einer
gewissen Scheu sich zu binden, teils weil seine pecuniäre
Lage ihm zu Lebzeiten des Vaters die Führung eines Haus-
haltes nicht zu gestatten schien. Wir besitzen von ihm eine
Instruktion aus dem Jahre 1566 nach seiner Vermählung für
den Rat seines Vaters, Simon Bing, der ihm von den Ständen
eine Beisteuer zu seinem Haushalt erwirken sollte ^). Es wird
darin ausgeführt, wie er obwohl der Vater ihm versprochen,
er solle gehalten werden wie der verstorbene Johann Friedrich
von Sachsen als Prinz, er doch nur 5 — 600 Gulden jährlich
bekommen habe, während Prinzen anderer Fürstenhäuser
6000 Gulden jährlich hätten.
Unter diesen Umständen ist es begreiflich, wenn Wilhelm
einem Eheprojekt, das zu Anfang des Jahres 1561 von aussen
an ihn herantrat, nur geringen Eifer entgegenbrachte. Zu
jener Zeit tagte in Naumburg eine fürstliche Versammlung,
die bezweckte gegenüber dem Tridentiner Concil eine Einigung
sämmtlicher deutschen Protestanten auf die Augsburgische
Confession herbeizuführen. Auf diesem Tage, dem auch
Philipp von Hessen und sein zweiter Sohn Ludwig beiwohnten,
spielte Herzog Johann Friedrich der Mittlere von Sachsen
eine hervorragende Rolle. Dieser war kurz zuvor in Marburg
gewesen und hatte sich Wilhelm gegenüber erboten, ihm ge-
legentlich jener Versammlung die Bekanntschaft einer für ihn
geeigneten Prinzessin zu verschaffen. Es war dies Amalie
(geb. 1547), Tochter des Herzogs Philipp von Pommern-
Wolgast und der Maria, deren Vater der Kurfürst Johann
der Beständige von Sachsen gewesen, welche in Begleitung
ihrer Eltern jene Versammlung besuchen wollte. Wilhelm
hatte sich damals dem Plane nicht abgeneigt gezeigt. Auf
das Ausserste verstimmte es ihn aber nun, als er aus den
*) Rommel: Hoss. Geschichte Bd. IV S. 446.
183
Briefen Johann Friedrichs und seines Bruders Ludwig, die
ihn fortwährend zum Besuche des Naumburger Tages dräng-
ten ^), ersah, dass die Herzogin von Pommern und ihre Tochter
von seinen Absichten unterrichtet seien. Denn nun musste
er fürchten, für den Fall, dass ihm das Mädchen nicht ge-
fiele, in eine sehr peinliche Lage zu geraten^). Dass und
welche Bedenken in ihm gegen diese Verbindung aufgestiegen
waren, erfahren wir aus einem Briefe an Simon Bing, der
den alten Landgrafen auf jenen Tag begleitet hatte ^). Der
Brautschatz sei, wie er gehört, nicht übermässig gross, die
Freundschaft weit entlegen und die Person selber solle nicht
gross hübsch sein. Verlaufe aber diese Brautwerbung ergeb-
nislos, so werde sein Vater einer jeder späteren ein gewisses
Misstrauen entgegen bringen, ein solches Misslingen werde
den Verdacht in ihm bestärken, dass sein Erstgeborener zu
seinen Lebzeiten überhaupt nicht zur Ehe zu schreiten ge-
denke. Auch könne er, dem der Vater in seiner Abwesen-
heit die Verwaltung des Landes anvertraut, vor dessen Rück-
kehr dieses nicht verlassen*). Von dieser letzteren Meinung
sucht ihn der Bruder abzubringen, aber dass Wilhelm in
diesem Punkte richtiger gesehen und ihm ein eigenmächtiges
Erscheinen in Naumburg übel gesegnet worden wäre^), bewies
ihm ein Brief Simon Bings ^). Dieser teilt ihm mit, dass die
Verhältnisse sich geändert hätten. Johann Friedrich, unter
dem Einflüsse seiner flacianisch gesinnten Theologen stehend,
hatte verlangt, dass in die neu aufzustellende Präfation zum
Augsburgischen Bekenntnis eine ausdrückliche Verurteilung
aller derjenigen aufgenommen werden sollte, welche sich
offen oder versteckt zu den Zwinglianern hielten, war hierüber
mit seinem eigenen Schwiegervater, dem Kurfürsten Friedrich
*) In Briefen vom 14. und 25. Januar 1561. Alle für diesen Auf-
satz benutzten Aktenstücke entstammen dem Marburger Staatsarchiv.
2) Wilhelm an Job. Friedrich den 3. Febr. 1561.
8) Vom 3. Febr.
*) Nach Rommel Bd. IV S. 464 fürchtete er, in seiner Abwesenheit
würden die Mäuse (Margarethe und ihre Kinder) das alabasterne Gemach
fressen
^) Wilhelm an Job. Friedrich den 13. Febr.
ö) Vom 7, Febr.
184
von der Pfalz und dem Landgrafen hart aneinander geraten
und verstimmt in seine Residenz Weimar abgereist. Unter
diesen Umständen hielt der alte Landgraf das Kommen seines
Sohnes nicht für wünschenswert und Hess ihm durch Simon
Bing schreiben, er solle erst seine, des Vaters, Rückkehr ab-
warten '). Darüber wurde aber der Herzogin von Pommern
die Zeit zu lang und sie reiste mit ihrer Tochter ab.
Der Verlauf dieser Angelegenheit hatte nicht dazu bei-
tragen können, dem alten Landgrafen seinen Argwohn in
betreff der Ehescheu seines Sohnes zu benehmen. In diesem
Sinne schrieb er kurze Zeit später in jenem eben erwähnten
Brief an den Herzog Christoph: „Und wiewol wir unsern
Sohn, Landgrafen Wilhelm an viel Orten ermahnt, ein fürst-
liches Fräulein zu nehmen, so haben ihm doch die, so er
bis dahin besichtiget, nicht gefallen wollen, aus Ursachen,
die er angezeigt. Und hoffen darum, so L. Ludwig ein Jahr
zwey oder drey an E. L. Hofe ist und E. L. andere geborene
Tochter sehen und sich mit ihr freundlich und ehrlich unter-
reden (indessen sie auch erwachsen), sollte diese Beywohnung,
wie wir hoffen, unseres Sohnes L. Ludwigs bey E. L. das wirken,
dass beyde in ehlichen Stand zu Hause kommen möchten 2)".
Nach dieser Stelle scheint es, als sei auch für Wilhelm
ein Aufenthalt am Stuttgarter Hofe beabsichtigt gewesen und
die Sache war wohl so gedacht, dass er die älteste Prinzessin
Hedwig (geb. 1547), Ludwig aber die zweite Elisabeth (geb.
1548) heimführen sollte. Auf Hedwig hatte ihn seine Schwester
Barbara, die Witwe des Herzogs Georg von Mömpelgard, schon
im Jahre 1553 ^) hingewiesen, „sie sei sehr hübsch und wohl-
erzogen, fast in ihrer (Barbaras) Länge, aber freilich noch
sehr zurück, erst dreizehn Jahre alt*^ und ihn dringend ge-
beten, doch ja recht bald den Herzog in Stuttgart zu be-
suchen. Aufforderung und Anpreisung hatte sie ihm dann im
nächsten Jahre wiederholt*).
*) Joh. Friedrich an Wilhelm den 10. Febr.
«) A. a. 0. S. 124.
^) Brief vom 8. Sept.
*) Brief vom 4. Sept.
185
Ungefähr zur selben Zeit, im Oktober 1560, als Wilhelm
gelegentlich der Heimfiihrung seiner Schwester, der an den
Pfalzgrafen Ludwig vermählten Elisabeth, mit Herzog Christoph
in Heidelberg zusammentraf, hatte L. Philipp dem Sohne ans
Herz gelegt, falls die würtembergischen Prinzessinnen den
Vater nicht begleiteten, sie in ihrem eigenem Lande aufzu-
suchen ^). Die angestrebte Bekanntschaft scheint aber damals
noch nicht gemacht worden zu sein oder wenigstens nicht
zu dem vom Philipp gewünschten Resultat geführt zu haben.
Dies sollte erst viel später der Fall sein. Vorläufig wurde
Wilhelms Aufmerksamkeit auf ganz andere Parthien hin-
gelenkt.
Zunächst durch Wilhelm von Oranien. Dieser, durch
seine Heirat mit Anna von Sachsen, Philipps Enkelin, dem
hessischen Fürstenhause verwandt, lud den jungen Land-
grafen, um ihm, wie er sich ausdrückte, zu einem „bessern
und christlichen Leben und Wandel" zu verhelfen, im Früh-
ling des Jahres 1562 ein, eine Reise nach den Niederlanden
zu thun, wo er eine passende Frau für ihn wisse. Wer
darunter gemeint war, lässt sich nicht mehr feststellen.
Wilhelm von Hessen bedauerte, von diesem Anerbieten vor-
läufig keinen Gebrauch machen zu können, vielleicht könne
er zu Ostern 1563 unter dem Vorwande, das Land und die
merkwürdigen Baulichkeiten desselben kennen zu lernen,
nach den Niederlanden reisen, doch bitte er sich aus, dass
nichts von seiner eigentlichen Absicht unter die Leute komme ^).
Als indess jener Termin herannahte, war es Wilhelm un-
möglich sein Versprechen zu erfüllen. Um jene Zeit sollte
nämlich die Heimführung von Wilhelms Schwester Christine
durch Erich XIV. von Schweden erfolgen und der älteste
Bruder der Schwester das Geleit geben ^). Hinterher ergaben
sich freilich umstände, welche den Abschluss jener Heirat
hinauszögerten und schliesslich trat ein Zwischenfall ein.
^) Nebeninstruktion für Wilhelm vom 16. Oct. 1660.
2) Qroen van Prinsterer: Archives de la maison d'Orange- Nassau,
T. I. 1 S. 133. Brief vom 31. März 1562.
3) A. a. 0. S. 154 Brief vom 12. März 1663»
186
der sie überhaupt unmöglich machte. In Kopenhagen —
Dänemark befand sich damals im Krieg mit Schweden —
wurde nämlich ein Agent Königs Erichs, Anton Wastlin,
aufgegriffen, der ein Schreiben desselben an Elisabeth von
England bei sich trug. In diesem hielt Erich um die Hand
der jungfräulichen Königin an, indem er seine Werbung um
die hessische Prinzessin, welche er doch schon in den
Kirchen seines Landes als künftige Königin hatte verkündigen
lassen, für nicht ernsthaft gemeint erklärte^). Zur Ent-
schädigung für das Haus Hessen wollte der König, wie
Wastlin von dessen eigener Schwester Cäcilia gehört zu
haben behauptete, dem Landgrafen Wilhelm diese seine
Schwester zur Frau geben, diese hatte aber verständiger
Weise den Wunsch geäussert, den ihr bestimmten Bräutigam
wenigstens erst kennen zu lernen^).
Jener Brief wurde nebst der Aussage des Engländers
abschriftlich nach Cassel mitgetheilt, was natürlich den so-
fortigen Abbruch der Heiratsverhandlungen zur Folge hatte.
Unter den Bewerbern um die Hand der Elisabeth ist
auch Wilhelm genannt worden^), doch ist in den betreffen-
den Aktenstücken nur davon die Rede, dass Landgraf Philipp
irgend einen seiner Söhne auf eine Zeitlang an den englischen
Hof senden solle, wozu es aber nicht gekommen ist*).
In der landgräflichen Familie hegte man nach wie vor
den lebhaften Wunsch, den Thronfolger bald zu einer Ver-
mählung schreiten zu sehen. Ein Zeugnis hierfür bietet ins-
besondere der Briefwechsel mit seiner Schwester der Pfalzgräfin
Elisabeth. Das Verhältnis zwischen den beiden Geschwistern
war ein sehr inniges, Wilhelm wird zuweilen scherzweise als
Mutter der Pfalzgräfin bezeichnet, wohl weil er, der 7 Jahre
ältere, bei der früh Verwaisten Mutterstelle vertreten hatte.
*) Der Brief ist gedruckt bei Ledderhose Kl. Schriften Bd. 3
S. 216. Vgl. Ronifriel Bd. VI. S. 455.
*) Aussage des Wastlin vom 20. März 1564.
3) Von Rommel Bd. IV. Anm. S. 382. ff,
*) Zu Anfang 1559 hat Landgraf Philipp mit Wolfgang von Pfalz-
Zweibrücken über die Verbindung eines seiner Söhne mit Elisabeth ver-
handelt, doch ohne der Sache weitere Folge zu geben.
187
So macht er ihr einmal den scherzhaften Vorwurf, sie habe,
als sie seinem Kämmerer Bastian von Weitershausen ihr vor
Kurzem geborenes Töchterchen gezeigt, es nicht der Mühe
wert gehalten, dasselbe aus dem Schlaf zu wecken, damit
jener ihm, dem Landgrafen, hätte sagen können, wem es
ähnlich sähe, sie hätte sich doch denken können, dass er als
die „Grossmutter" dieses gern wissen wollte^). Elisabeth
nun schreibt ihm (am 20. Aug. 1561): Er wundere sich, dass
sie ihn immer zum Heiraten dränge, aber sie habe verhofft,
es sei vielleicht ganz gestillt mit der „Brecken"^), dass er
wieder ganz guten Frieden habe.
Sie errinnert ihn daran, was die heilige Schrifl zum
Preise des Ehestandes sage, wer ausserhalb desselben lebe,
verfalle leicht den Ausschweifungen. Sie kenne wohl seine
Gründe dagegen, aber darüber werde ihm Gott weghelfen^).
Dagegen spricht Wilhelm in einem Briefe vom 30. Januar
1562 von einer bestimmten Person, die ihm Elisabeth in
einem Schreiben vom 11. Januar zur Ehe empfohlen*). In
einer Nachschrift erkundigte er sich mit einer gewissen Ge-
flissentlichkeit danach, ob es wahr sei, dass Elisabeths Schwager
der Pfalzgraf Johann Casimir, sich um die Hand der Renate
von Lothringen bewerbe.
Wilhelms jüngerer Bruder Ludwig kam ihm mit dem
entscheidenden Entschlüsse zuvor. Seine Erkorene war Hedwig,
die älteste Tochter des Herzogs Christoph, an dessen Hofe
er diese Jahre hindurch weilte, und der Anna Maria von
Brandenburg-Anspach. Seinem eigenen Vater hatte er seine
Absichten vorläufig nur im Allgemeinen mitgeteilt, ohne den
Namen der Betreffenden zu nennen ^) und hatte anfangs einen
günstigen Bescheid erhalten. Später war der alte Landgraf
umgeschlagen, wie Ludwig meinte, durch die Ismaeliten d. h.
') Rommel Bd. V. S. 465 Änm. 7.
*) =: Hündin, Femininum von Bracke, hier vulgärer Ausdruck für
Maitresse.
3) In den Akten.
*) Rommel a. a. 0. denkt hier an Sabine von Würtemberg, aber
jedenfalls mit Unrecht. Keinen von beiden Briefen habe ich in den Akten
finden können.
^) Wohl weil Hedwig eigentlich für Wilhelm bestimmt war.
188
Margarethe von der Saale und ihre Sippschaft umgestimmt,
und hatte dem Sohne erklärt, er dürfe frühestens 2 Jahre
nach dem älteren Bruder heiraten. Ludwig wandte sich in
dieser Not an eben diesen Bruder, dem zuerst er den Namen
der Braut nannte^ mit der Bitte um seine Fürsprache, die
Wilhelm auch bereitwilligst zusagte und mit Erfolg einlegte *).
Ludwigs Hochzeit fand am 10. Mai 1563, die Heimfährung
der Braut nach Darmstadt, das ihm als Wohnsitz angewiesen
war, erst zwei Jahr später statt ^).
Im Spätherbste 1662 nahmen beide Brüder in Ver-
tretung ihres Vaters an jenem Fürstentage teil, der sich ge-
legentlich der Wahl Maximilians H. zum römischen König
zu Frankfurt versammelte^), unter den Anwesenden befand
sich auch Renate, die Schwester des Herzogs von Lothringen,
in die sich Wilhelm heftig verliebte. Ludwig schreibt ihm
hierüber, es gehe das Gerücht, Wilhelm habe es der Prinzessin
angethan und der Kurfürst von Sachsen sei deswegen so
lange in Frankfurt geblieben, um in seinem Interesse die
Werbung bei den Verwandten zu betreiben*). Wilhelm ver-
mochte die Wahrheit des Gerüchtes, soweit es seine Person
anging, nicht zu bestreiten, erklärte aber, der Kurfürst würde
seiner Familienbeziehungen wegen zum Freiwerber sehr wenig
geeignet gewesen sein. Kurfürst August war nämlich ver-
mählt mit Anna, der Tochter Christian III. von Dänemark,
dieser aber und sein Vater Friedrich waren emporgekommen
durch die Vertreibung Christians II. des letzten ünionskönigs
und Christian IL war Renates Grossvater. Nicht durch den
Kurfürsten, sondern durch den Herzog Christoph habe er an
die nahen Verwandten der Prinzessin, den Cardinal von
Lothringen und den Herzog von Guise heranzukommen ge-
hofft, da sei die Nachricht angelangt, dass Guise erschossen sei^).
*) Ludwigs Brief an Wilhelm vom 14. April 1562 bei Rommel
Bd. IV S. 443.
«) Rommd S. 379 und Akten.
8) Rommel S. 444.
*) Ludwig an Wilhelm 5. Dez. 1552.
*) Wilhelm an Ludwig den 12. Dez. 62. Das Gerücht war diesmal
den Thatsachen vorangeeilt. Guise wurde erst im Jahre 63 ermordet.
18Ö
Bemerkenswert ist, wie Wilhelm hier gar keinen An-
stoss daran nimmt, dass die Familie seiner Erkorenen fana-
tisch katholisch war. Auch würde seine Bewerbung, selbst
wenn er sie energisch betrieben hätte, schwerlich von Erfolg
gekrönt gewesen sein, da Renatens Mutter schon mit Bäck-
sicht auf die dänischen Restaurationspläne andere Dinge mit
ihr vorhatte^). Renate heiratete, nachdem König Erich XIV.
von Schweden mit ihr dieselbe Komödie aufgeführt wie mit
der hessischen Christine, den streng katholischen Herzog
Wilhelm von Baiern.
Inzwischen brachte die liebende Schwester eine andere
Partie in Vorschlag. Am Hofe zu Amberg, wo Elisabeth
und ihr Gemahl Ludwig residierten, erschien ihre Schwägerin
Anna Elisabeth von der Pfalz, die bei ihrem Schwager, Herzog
Johann Wilhelm in Weimar verweilt hatte und nun mit den
Geschwistern die heimatlichen Gefilde aufsuchte. Elisabeth
stellte ihrem Bruder die junge Fürstin — sie war 1545 ge-
boren — als eine Person ohne alle Mängel hin, nur habe
sie leider schlechte Zähne. „Das wirt E. L. nit gefallen, man
must es E. L. aber bestellen und E. L. eine Frau furmoUen (vor-
malen?) an allen manghel, E. L. ist wol so ein hupsch beison
dazu ^)". Bekanntlich war Wilhelm nicht eben durch Leibes-
schönheit ausgezeichnet. Auf den Vorschlag der Schwester
scheint er nicht näher eingegangen zu sein, er hat also doch
wohl schlechte Zähne als einen wesentlichen Mangel betrachtet.
Anna Elisabeth heiratete später seinen Bruder Philipp.
Kurz vor Ende des Jahres 1563 schreibt Elisabeth
ihrem Bruder, sie schenke ihm nichts zum neuen Jahr^ da
es nicht Sitte sei, dass Kinder ihre „Mutter" beschenkten.
Doch sende sie ihm einen Neuj ahrs wünsch : Gott möge ihm
eine frume gotsfurchtige schone Gemahl bescheren, doch
muste sie nicht so gar hupsch sein, E. L. werden ihnen
sunsten furchten und möchten ihn die alten Menner müssen
auf den Dienst merken. Er müsse sie aber zur Hochzeit
') Vgl. V. Bexold: Johann Casimirs Briefe Bd. I S. 14 Anna. 1.
Ooetx: Briefe und Akten zur Geschichte des XVI. J. Bd. V No. 317.
a) Elisabeth an Wilhelm 17. Dez. 1563.
19Ö
einladen, was ihr Bruder Ludwig schnöder Weise nicht gethan.
Aus Rücksicht auf seine schmalen Mittel könne er eine Heirat
nicht mehr von der Hand weisen, da Cassel nun ausgebaut
sei ^). Sie meinte das neue Haus auf dem Schlosse zu Cassel,
das Wilhelm auf eigene Kosten hatte aufführen lassen^).
Wie empfänglich das Herz des Landgrafen für weibliche
Schönheit war, darüber belehrt uns eine briefliche Äusserung
gegen seinen Bruder Ludwig. Ihre Schwester Christine hatte
nach dem Scheitern der schwedischen Werbung sich mit dem
Herzog Adolf von Holstein vermählt und Wilhelm ihr nach
ihrer neuen Heimat das Geleit gegeben. Nach seiner Rück-
kehr schrieb er an Ludwig ^) und auch an andere Verwandte
ganz begeistert von dem „holsteinischen Frauenzimmer^' das
noch weit freundlicher gewesen sei, als das königliche und
lothringische auf dem frankfurter Wahltag. Ludwig antwortete
darauf mit einer etwas cynischen Bemerkung*).
Da Ludwigs eigene Ehe nun schon fast ins dritte Jahr
kinderlos geblieben war, begann der ältere Bruder auf das
Drängen seiner Angehörigen hin sich angelegentlicher mit
Heiratsplänen zu beschäftigen. Aus dem Beginn des Jahres
1565 liegen uns zwei solche vor.
Jenem oben^) erwähnten Briefe an Simon Bing aus dem
Jahr 1561 war ein loses Blatt beigefügt, mittelst dessen
Wilhelm den getreuen Rat auf eine seiner Meinung nach
passende Partie hinweist. Der Herzog von Jülich solle fünf
Töchter haben und nur einen Sohn^). Jede der Töchter
bekomme 50000 Gulden mit. Die älteste, 13 Jahre alt (in
Wahrheit 11), solle sehr hübsch sein. Auch sei ja die Mög-
lichkeit vorhanden, dass der Bruder früh sterbe (was ja in
Wahrheit auch eingetreten ist) und so die Lande an die
älteste Tochter und ihren Gatten fielen und „was so erworben
wird, seht ihr wohl, das bleibt."
1) Elisabeth an Wilhelm 17. Dez. 1563.
2) Bommel Bd. IV. S. 426 S. 490 unteo.
«) A. a. 0. S. 443, 444. Brief vom 11. Juni 1565.
*) Vgl. Rommel a. a. 0.
^) Auf S. 183.
*) Der zweite Sohn Johann Wilhelm wurde erst 1562 geboren.
191
Wilhelm hatte es damals dem Simon Bing anheimgestellt,
ob er seinem Vater von diesem Project Mitteilung machen
wolle oder nicht und Bing hatte es, wie es scheint, unter-
lassen, wahrscheinlich doch wohl, weil er vermutete, dass
Philipp wegen der Religionsverschiedenheit — der Herzog
von Jülich hielt in jenen Jahren eine mittlere Linie zwischen
der alten und neuen Lehre inne, bekannte sich aber äusser-
lich zu der alten — einer solchen Verbindung ^ abgeneigt
sein werde. Jetzt zu Beginn des Jahres 1565 nahm der
junge Landgraf hinter dem Rücken seines Vaters die Sache
von Neuem auf. Sein Mittelsmann war Dr. Aegidius Mommer.
Dieser, zu Limburg an der Maas geboren, war einer der ersten
gewesen, die sich an der neuen Universität Marburg den
Doktorhut geholt, und hatte dort bis 1558 als Rechtslehrer
gewirkt. In diesem Jahre von Herzog Wilhelm von Jülich
zu seinem Rat ernannt, war er in dessen Dienst bis 1563
gewesen ^). Margarethe von der Saale hatte ihn einmal wegen
der Erbfolgeberechtigung ihrer Kinder befragt, allerdings mit
negativem Erfolg. Vielleicht war dies mit ein Grund dazu,
dass Wilhelm den Mann jetzt mit dieser delikaten Aufgabe
betraute, bei dem Herzoge für ihn zu werben. Aus einem
wohl absichtlich dunkel gehaltenem Schreiben des Mommer^)
scheint hervorzugehen, dass er sich der Triftigkeit der Gründe
aus denen die Sache sowohl dem alten Landgrafen und den
Seinen als auch den jülichschen Räten verborgen bleiben
sollte, wohl bewusst war, dagegen den Kaiser als einen
Förderer derselben betrachtete. Wilhelm hatte ihm, der kurz
vorher über Cassel nach dem Niederrhein gereist war, seinen
Secretär Johann Kaufung nach Düsseldorf gesandt, der mit
ihm im tiefsten Geheimnis zusammenkam. Nachdem Dr.
Mommer vorsichtiger Weise erst die Abreise des Erzbischofs
von Cöln und des Grafen von Mors abgewartet, nahm er
Audienz bei'm Herzog und trug ihm, der den Landgrafen
auf dem frankfurter Wahltag von 1562 kennen gelernt,
^) Vgl. den Artikel über ihn von Woldemar Harless in der all-
gomoiiien deutschen Hiographie.
*) Vom 17. Januar. S. Beilage.
192
dessen Werbung vor, seinen mündlichen Vortrag mit einem
Memorial seines Auftraggebers unterstützend. Der Herzog
gab ihm einen abschlägigen Bescheid. Seine Tochter Maria
Eleonore — sie war 1550 geboren — sei noch zu jung zum
Heiraten, er gedenke nicht sie vor dem vollendeten 13. Jahre
zu verloben, vor vollendeten 20. Jahre zu vermählen, damit
er sehen könne, was für ein Mensch aus ihr würde. Seiner
Gemahlin Maria — Tochter des Königs Ferdinand, geboren
1531 verheiratet 1546 — habe die zu frühe Vermählung
lebenslängliches Siechtum — sie war gerade damals sehr
leidend — eingetragen, wovor er die ohnedies zarte Tochter
bewahren wolle ^). Bedenkt man nun, dass eben jene Prin-
zessin es war, durch welche die Ansprüche auf die Jülichsche
Erbschaft später an das Haus Hohenzollern kamen, so wird
man ermessen können, welche Aussichten dem Hause Hessen
durch den abschlägigen Bescheid des Herzogs zerstört wurden,
Aussichten, die Wilhelm, wie wir gesehen, richtig zu würdigen
verstand.
Ungefähr zu derselben Zeit beschäftigte den Landgrafen
vielleicht noch ein anderes Eheprojekt. Unter seinen Papieren
befindet sich ein Memorial^), in welchem es für angemessen
erklärt wird, etwa durch Vermittelung der dem hessischen
Hause verwandten Gräfin von Teklenburg über die lehns-
rechtlichen und vormundschafllichen Verhältnisse des gräf-
lichen Hauses Rietberg Erkundigungen einziehen zu lassen.
Der letzte männliche Spross dieses Hauses, Graf Johann,
war im Jahre 1562 verstorben und hatte seine Witwe Agnes,
eine geborene Gräfin von Bentheim-Steinfurt mit 2 Töchtern,
Ermgard und Walburg, zurückgelassen. Da Rietberg hessisches
Lehn war, das durch den Tod des letzten männlichen Inhabers
an den Lehnsherrn zurückfiel — für den Augenblick war die
^) Bericht Mominers vom 24. Januar und ein undatierter des
Secretärs. Bommel lag nur der letztere vor, in dem der Name des
Herzogs nicht enthalten war. Bommel riet nun (Bd. IV S. 445) merk-
würdiger Weise auf den Herzog Christoph von Würtemberg, obwohl auf
dessen Familienverhältnisse der Inhalt des Berichtes gar nicht zutraf
und nahm infolge dessen an, Wilhelm habe seinem eigenen Bruder Ludwig
die Braut wegschnappen wollen.
«) Vom 23. Januar 1565.
193
Grafschaft freilich von den Executionstruppen des west-
fälischen Kreises besetzt V), — so hatte der alte Landgraf schon
im Jahre 1563 der Gräfin Witwe nahe legen lassen, falls sie
ihre älteste Tochter einem seiner Söhne 2), vermählte und das
junge Paar mit einigen ihrer friesischen Besitzungen ausstatte,
wolle er dasselbe mit der Grafschaft Rietberg belehnen^).
Es waren nämlich durch Heirat die friesischen Herrschaften
Wittmund, Esens und Stedersdorf an das gräfliche Haus ge-
kommen, Herrschaften, welche von dem Herzoge von Geldern
d. h. jetzt von dem Könige von Spanien zu Lehne gingen.
Ob dieser geneigt sein werde, dem Hause Hessen die Be-
lehnung zu erteilen, war freilich die Frage. Zweifelhaft ist,
ob Wilhelm diese Partie für sich oder schon jetzt wie ein
Jahr später ^j für seinen Bruder Philipp ins Auge gefasst
hat. Jedenfalls scheinen die Rietbergischen Herrschaften,
die schon früher den Grafen Ludwig von Nassau einen un-
zweideutigen Korb erteilt^) keine Lust gehabt zu haben, sich
auf die Sache, die auch gar nicht offiziell an sie herange-
bracht worden zu sein scheint, einzulassen und hessischer
Seits hat man darauf nicht bestanden. Denn auch ohne
dass eine derartige Familienverbindung vorausgegangen wäre,
wurden die jungen Gräfinnen am 28. Mai 1665 mit der Graf-
schaft Rietberg belehnt.
Bald darauf gelangte Wilhelm nach langem vergeblichen
Umhertasten endlich dazu, eine Lebensgefährtin zu finden.
Im Juli 1565 weilte er, wie es scheint, im Interesse seiner
Schwester Barbara, in Würtemberg ^). Den ursprünglich auf
länger berechneten Aufenthalt in Stuttgart musste er auf
1) Vgl. Bommel Bd. IV S. 366 ff.
2) Nach Bommel Bd. V. S. 332 wollte er sie erst einem der
„Tsmaeiiten*^ dann dem L. Philipp dem J. geben.
^) L. Philipp an Roishausen u. Bing den 22. Januar 1563.
*j Vgl. Bommel Bd. V. 812 Anm. 309.
6) Prinsierer a. a. 0. T. I, 1 8. 145, 173, 366. Blök: Correspondentie
van un betreffende Lodewijk van Nassau S. 22 ff. Hier heisst es auf
S. 24: Von den beiden hessischen Werbungen hat er (der Kurfürst von
Cöln) sich vernehmen lassen, dass bis dahin (Oct. 1564) ahn die Mutter
nichts ornstlichs und weitter nicht als flunkreden gelangt sein sollte.
^) Barbara an L. Philipp den 20. Juni 65.
N. F. Bd. XXIII. 13
194
Befehl seines Vaters abkürzen^), aber er wollte das Land
nicht verlassen^), ohne beim I^Herzog um die Hand seiner
dritten Tochter Sabine angehalten zu haben. Der Herzog,
bei dem Wilhelm die Werbung vorbringen Hess, bat sich Zeit
zur Überlegung aus, indem er durch seinen Secretär Franz
Kurz in ziemlich umständlicher Weise seine Bedenken dar-
legen Hess. Einmal habe er seinem seligen Vater versprechen
müssen, keines seiner Kinder zu einer Heirat zu zwingen,
es komme also darauf an, Sabinens Willensmeinung zu er-
kunden. Dann erschien es ihm bedenklich, diese zu ver-
mählen, solange ihre ältere Schwester (Elisabeth, die spätere
Gräfin von Henneberg) noch keinen Mann gefunden. End-
lich sei es ihm misslich, wenn zwei Brüder zwei Schwestern
zur Ehe hätten, besonders, wenn, wie in diesem Fall, die
ältere dem jüngeren, die jüngere dem älteren vermählt wäre,
dies gebe nur Anlass zu Streit und Widerwillen. Doch nahm
er es nicht übel auf, dass Wilhelm mit Sabine von der Sache
schon geredet und forderte ihn auf, durch Hans von Berlepsch
seine Werbung zu wiederholen^). Dieser trug dann noch
einmal ausführlich die Gründe vor, die seinen Auftraggeber
zu seiner Bitte veranlasst, den Wunsch des Vaters zum Hause
Würtemberg in verwandtschaftliche Beziehungen zu treten,
die Hochachtung, die Wilhelm vor dem Herzog und den
Seinen hege, endlich die unvergleichlichen Eigenschaften von
Fräulein Sabine*) und er konnte dem Landgrafen nach Darm-
stadt hin, wo sich dieser bei seinem Bruder Ludwig aufhielt,
die Zusage des Herzogs mitteilen, falls sein Vater in den ge-
wohnten Formen die Werbung vorbrächte^).
In einem Briefe an seine Schwägerin Hedwig am Schlüsse
des Jahres®) erwähnt Wilhelm, dass sie es gewesen, die ihm
auf dem neuen Schlosse (wohl zu Darmstadt ?) die Nachricht
') 'Wilhelm an Ludwig den 7. Juli 66.
*) Er war nachher bei Barbara in Reichenweier.
*) Bericht des Franz Kurz. Tübingen den 10. Juli*
*) Instruction für Hans von Berlepsch den 16. Juli.
*) Bericht des Berlepsch vom 23. Juli.
») Vom 28. Dez.
195
von dem günstigen Fortgang seiner Werbung gebracht ^),
wofür er ihr ein Botenbrot versprochen habe. Dieses in Ge-
stalt eines kunstvoll bearbeiteten Bisamknopfes übersendet er
jetzt. Er habe es schon im September in Bestellung gegeben
und es habe gleich nach Michaelis vollendet sein sollen, doch
habe der kunstreiche Meister in Nürnberg es erst am Ende
des Jahres liefern können und auch dann nicht ganz so, wie
er, der Landgraf, es bestellt.
Indess noch ehe die feierliche Gesandtschaft des alten
Landgrafen nach Stuttgart abging, schien ein ärgerlicher
Zwischenfall die erfreulichen Aussichten auf die Zukunft zu
trüben. Ein würtembergischer Hofmeister, Christian von
Kutzleben, hatte der Heimführung der Prinzessin Hedwig
nach Darmstadt beigewohnt und war nach Stuttgart zurück-
gekehrt voll von den thörichtesten Gerüchten über den neuen
Bräutigam, die er mit Behagen vor dem „adeligen Frauen-
zimmer" und der fürstlichen Braut auskramte. Der Land-
graf ziere sich so seltsam und so närrisch, er sei alt und
wolle sie nur zwingen, ihn zu nehmen, es müsse etwas da-
hinter sein. In Cassel sei er alle Tage voll Weines und laufe
mit blossem Kopf gegen den Wind, zwei Kolben in den
Händen, mit denen er um sich schlage. ^) Ganz wirkungslos
scheinen diese Reden selbst an der Braut nicht vorüber-
gegangen zu sein, wenigstens sah sich Hedwig gen öthigt, den
Schwager gegen Mutter und Schwester energisch in Schutz
zu nehmen. Die erstere, von ihr daran erinnert, wie sie
selber den Töchtern immer eingeschärft, dass eine Frau die
Fehler ihres Mannes übersehen und ihm nachgeben müsse,
erklärte diesen Grundsatz auch jetzt noch aufrecht zu er-
halten und sprach ihre Freude darüber aus, dass Sabine trotz
jener thörichten Reden an ihrem Entschluss festhalte. ^) Sabine
^) Wohl auf einen Brief der Mutter hin, von dem uns ein un-
datierter Auszug erhalten folgenden Inhalts: „Liebe Hedwig, weiss uns
alle ziemlich gesund und lass dich wissen, dass es mit der Sabine ge*
willigt ist.
*-*) Undatierter Brief der alten Herzogin an Bedwig.
3) Ebd.
13*
196
aber schrieb der Schwester^), sie wolle witziger werden
und sich nicht mehr an böse Mäuler kehren. Wilhelm selber
scheint von jenem Zwischenfall erst später erfahren zu haben,
wenigstens ist ein Entschuldigungsschreiben des Herrn von
Kutzleben an ihn erst vom 30. Januar 1566 datirt. ^) Dieser
gesteht darin zu, den Landgrafen in Gegenwart der Prinzessin
und ihrer Hofdamen als einen wunderbarlichen Herrn, einen
Sterngucker und er wisse nicht was bezeichnet zu haben,
doch sei dies nur im Scherze geschehen und nicht etwa, um
die Heirath zu vereiteln. Auf die Wahrheit dieser Aussage
habe er das Abendmahl genommen, wofür er den Hofprediger
Magister Balthasar Bichbach als Zeugen aufführt.
So begegneten die Gesandten des alten Landgrafen,
Burkhard von Cram, Bastian von Weitershausen und Heinrich
Lersener in der Hauptsache freundlichstem Entgegenkommen.
Die Verhandlungen, die sie zu führen hatten, drehten sich
hauptsächlich um Mitgift, Morgengabe und Witthum sowie
um Zeit und Ort der Hochzeit. Da Herzog Christoph die-
selbe weder auf alleinige Kosten in Stuttgart noch, wie die
Gesandten darauf vorschlugen, auf gemeinsame in Frankfurt
halten wollte, so blieb nur eine Stadt in Hessen übrig. In
Cassel wollte sie der Landgraf nicht haben aus dem osten-
siblen Grunde, weil die Pest im Lande sei, die unter diesen
umständen leicht in die Hauptstadt eingeschleppt werden
könnte, in Wahrheit aber, weil er fürchtete, dass wenn der
Herzog und seine Begleitung das ganze Land von Giessen
nach Cassel durchzögen, dieses zu sehr mitgenommen werden
möchte. So blieb nur Marburg übrig, was bei der Enge des
Schlosses und .der Stadt und dem Mangel an geeigneten
Stallungen eine Beschränkung der Zahl der Einzuladenden
zur Folge hatte. Als Zeitpunkt der Hochzeit kam für den
Landgrafen nur der 10. Februar oder 10. Juli in Betracht, da
in der Zwischenzeit aus Mangel an Wildpret und Heu für die
Verpflegung der Gäste nicht ordentlich gesorgt werden könne. ^)
*) Am 4. August.
*) Bei den Acten.
^) Philipp an die Abgesandten den 29. August.
197
Vorerst schien es, als werde von jenen beiden Terminen
der spätere gewählt werden müssen, da der Gesundheits-
zustand des Bräutigams sehr wenig befriedigend war. Wilhelm
litt seit einiger Zeit am Quartanfieber, das ihn gerade in den
Tagen, als die feierliche Werbung stattfand, wieder heimsucht.
Er selber fürchtete, wenn die Anfälle bis zum Beginn des
Winters nicht nachliessen, würde wohl eine Verschiebung der
Hochzeit bis zum Sommer nothwendig werden. ^) Allein das
Fieber blieb in der That aus, nachdem es ihn 12 Wochen
lang geplagt. Er berichtet hierüber seinem Schwiegervater
in folgender Weise: „Was meine quartane betrifft, die hat
mich nunmehr Gott lob dreizehnmal verlassen, hoffe der-
halben, die Strafe werde nunmehr über sein, denn sich alle
Dinge sonsten gar wol mit mir schicken. Es hat mich aber
die verfluchte Plage dermassen von Leib und Farbe gebracht,
dass ich einem, den man begraben will, ehnlicher sehe als
einem, der Hochzeit haben will. Darumb habe ich gar
weisslich gethan, dass ich zuvor gefreyet habe. Dann zu
besorgen stünde, dass mich jetzo kein schönes Fräulein bald
nemen würde, wann sie meine Gestalt sehe, doch hoffe ich,
der Farbe soll mir mit der Zeit wieder werden und fürchte
mich des Leibs halber, dass mir dessen mehr wieder werde,
als ich begere. ^)
Seiner Schwiegermutter hatte Wilhelm geschrieben, das
Fieber habe ihm diesmal den Wolfszahn gezeigt („getzeugt").
Die Herzogin verstand dies fälschlicher Weise dahin, als
habe er sagen wollen, es habe ihm den Wolfszahn ausgezogen
(„getzugt") und schrieb ihm darauf die folgenden Neckereien :
„Dass E. L. hoffen, dass es E. L. den Wolfs Zan gezucht
hab, so hab ichs aber nit orthentlich versten kunnen, wie's
an Auslechung hab, aber in dieser Land Ard hat man an
schon Sprichword, das man sacht, es ist kan Man, der hat
an Wolfs Zan, hat er anderes das Maul nit foll, und wo es
E. L. so reden, so wer es gut, dass es sie alle zucht hat
1) Wilhelm an Philipp den 11. September.
«) Wilhelm an Christoph den 23. Deoember.
198
und E. L. gute an die Stad weren gewachsen, hof aber, es
solten nie kanne gehabt haben*^ ^) Wilhelm klärte die Her-
zogin alsbald über ihre irrthümliche Auslegung jenes Aus-
druckes auf; er habe damit nur sagen wollen, dass ihm das
Fieber „einen untreuen Bossen gerissen" habe. „Dass aber
die Weiber in E. L. Landart ire Menner der Wolfszahn
halber in der bösen Verdacht halten, darvon appellire ich
bis auf vorstehendem Reichstag cum omnibus sollemnitatibus. ^
Charakteristisch für den Verkehr zwischen Bräutigam
und Braut ist ein Schreiben der letzteren^), in dem sich
diese gegen den Vorwurf verwahrt, als könne sie ihr Gesinde
nicht meistern. Ihre zwei Jungfrauen und die Magd habe
sie gut in Zucht, nur eine „die Regin*' habe ihr gesagt, sie
(Sabine) sei ja noch so jung, wie wolle sie schon so streng
sein? und offen erklärt, sie könne den Leuten nicht ver-
zeihen, die sie um ein Ding gestraft, wenn sie Unrecht
gethan. Sie, die Sabine, habe aber auch nicht geruht, als
bis die Person aus dem Hause gewesen sei. Sie nennt
ihren Verlobten immer „Vetter und Bruder", wie er sie
„Muhme und Schwester".
Noch kurz nach der Vermählung wird von den in ihr
Land zurückreisenden Schwiegereltern eine Frage berührt,
auf deren Regelung nach ihrem Sinne sie bestanden, das
künftige Verhältniss des jungen Paares zu Margarethe von
der Saale und ihren Kindern. Schon ehe sie ihm das
Jawort gab, hatte Sabine daran Anstoss genommen. Die
Eltern drangen nun darauf, dass ihrer Tochter jede Berührung
mit dieser Gesellschaft erspart bleibe. Die Herzogin fürchtete
nicht nur, dass diese dadurch in schlechten Ruf kommen
könne, sondern sogar, dass Margarethe ihr etwas ein-
geben könne, was sie unfruchtbar machen und vielleicht
selbst ihr Leben gefährden möchte. Wilhelm gab in dieser
Hinsicht die beruhigendsten Zusicherungen. *)
^) Dio Herzogin an Wilhelm den 3. Deo.
') Wilhelm an die Herzogin den 17. Dec.
8) Vom 15. Januar 1566.
*) Die Herzogin an Wilhelm den 18. Febr. 66. Wilhelm an die
Herzogin den 19. Febr.
199
Wohl hauptsächlich aus diesem Grunde sträubte er sich
gegen das Verlangen des Vaters, das junge Paar möge bei
ihm im Hause bleiben. Offiziell führte er freilich andere
Gründe an. Er fürchtete, dass die Ruhe und Bequemlichkeit
durch den jugendlichen Haushalt gestört werde und zwischen
dem beiderseitigen Gesinde Zwietracht entstünde. Er führte
verschiedene Fürstensöhne aus anderen Häusern an, bei denen
sich gleichfalls die Nothwendigkeit eines abgesonderten Haus-
haltes herausgestellt habe, „üeberdiess sehe ich", fährt er
fort, „wie mirs albereit pflegt zu ergehen, nemblich dass
alles das ienige, so verschwendet und versoffen wird, man
gemainiglich mir und mainem Gesinde pflegt zuzurechnen
und uns zu imputiren, als ob wir die einzige ürsach weren,
dass keine Ordenunge in diesem und ienem am Hoffe konte
gehalten werden, wie viel mehr wurde dan solche über mich
gehen, wan ich mein Gemahl auch am Hoffe hette. Dan,
wan, frembde Frauwen von Adel oder andere zugeschwaigen,
vilaicht ire Frau Mutter selbst oder ire Gefreundte etzliche
uns besuchen wurden, so wurde iederman schraien, wir weren
die, so unserm Hern Vater ein ünrhu und einen Unkosten
über den andern mechte."
Charakteristisch für die strenge Zucht, unter der Land-
graf Philipp die Seinigen hielt, ist der folgende Passus:
„Dass ich dan auch main Gemahel so hart solt einzien und
einsperren lassen, alsetwan meine Schwestern gehalten seind
worden, solchs ist sie bei iren Eltern nit gewonet". ^)
In der That hat Wilhelm in den ersten Monaten nach
seiner Vermählung in Marburg residiert, doch finden wir ihn
zu Ende des Jahres wieder in Cassel, wozu ihn wohl die
Rücksicht auf den leidenden Zustand des Vaters bestimmte.
Am 10. Februar 1566 fand zu Marburg die Vermählung
statt. Sie leitete einen Ehebund ein, in dem beide Theile
Befriedigung und Glück fanden. Als er nach 15 Jahren am
17. August 1581 durch Sabinens Tod gelöst wurde, war die
Trauer des Zurückbleibenden tief und dauernd. Trotzdem
1) Actenstück überschrieben: Motive und Ursachen u. s. w.
200
trat man schon nach einem halben Jahre mit Vorschlägen zu
einem neuen Ehebündnisse an ihn heran. Diese gingen aus
von Kurfürst August von Sachsen und die Ausersehene war
Maria, die zweite Tochter des Herzogs Julius von Braun-
schweig (geb. 1566). August beauftragte im Februar 1582
Hans von Berlepsch nach Cassel zu reisen, um den Land-
grafen in diesem Sinne zu bearbeiten. Berlepsch hatte gegen
diese Mission die lebhaftesten Bedenken, da der Schmerz des
Verwittweten noch zu frisch sei. ^) Wie begründet diese Be-
fürchtungen gewesen, zeigte die Aufnahme, die seine Werbung
fand. ^) Sie erregte des Landgrafen ünmuth, ihm trat das
Wasser in die Augen, er konnte lange nicht reden. Endlich
fragte er den Abgesandten, ob er meine, dass er seines
„lieben Beynichen" so bald vergessen könne und solle. Er
Hess den guten Absichten des Kurfürsten alle Gerechtigkeit
widerfahren, aber man könne ihm diese Heirath, die ihm
auch von anderer Seite angetragen sei, nicht zumuthen. Er
habe die betreffende Person, seit sie erwachsen, nie gesehen
und wisse nicht, wie sie nicht allein von Leib, sondern auch
von Sinn, Gemüt, Sitten und Geberden beschaffen sei, auch
ob sie dermassen, wie es seine verstorbene fromme Gemahlin
gethan, verstehen würde, sich in seinen wunderlichen Kopf
und Weise zu richten und mit Wartung und allem zu schicken.
Da seine Gemahlin ihm einen Sohn und 4 Töchter hinter-
lassen, so habe er an Erben keinen Mangel. Da er bald
über 50 hinaus und schon mit mancherlei Beschwerden des
Alters behaftet sei, so sei einer jungen Fürstin die Heirat
mit ihm nicht zuzumuten. Eine Verbindung seines Hauses
mit dem braunschweigischen sei ihm erwünscht und angenehm,
aber nur in der Weise, dass seine älteste Tochter Anna
Maria dem ältesten braunschweigischen Prinzen , Heinrich
Julius, vermählt werde, wie man schon früher vorgehabt.
Bei diesem abschlägigen Bescheide beharrte Wilhelm trotz
verschiedener Versuche des Kurfürsten, ihn umzustimmen.
^) August an Hans von Berlepsch den 7. Februar 1582.
•) Berlepsch an August den 15. Februar.
') Berlepsch an August den 5. März, Vgl. diese Zeitschrift Bd. V 85.
201
Seine Schwägerin Hedwig regte bei der braun-
schweigischen Herzogin die von Wilhelm erwähnte, schon
zu Sabinens Lebzeiten geplant gewesene Verbindung der
beiderseitigen Kinder wieder an, erhielt aber nur eine aus-
weichende Antwort ^). Dagegen versuchte die Kurfürstin Anna
von Sachsen durch Wilhelms andere Schwägerin, Elisabeth
von Henneberg, im Sinne des sächsischen Vorschlags auf ihn
einzuwirken, aber auch diese hatte keinen besseren Erfolg^.
Inzwischen war es dem Landgrafen lange klar geworden,
dass der Kurfürst und seine Gemahlin mit ihrem Eheprojecte
ziemlich eigennützige Absichten verfolgten. Dem ältesten
braunschweigischen Prinzen w^ollten sie nämlich ihre eigene
Tochter Dorothea vermählen^), und für die ihm auf diese
Weise entgehende Verbindung mit dem Hause Braunschweig
sollte Wilhelm auf die angegebene Art entschädigt werden.
Damit schlugen sie aber zwei Fliegen mit einer Klappe,
insofern als, wenn die braunschweigische Prinzessin durch
die Vermählung mit Wilhelm aus dem Hause kam, die
Stellung ihrer eigenen Tochter in demselben dadurch eine
bessere werden musste*).
Die braunschweigischen Herrschaften wussten sich über
Wilhelms abschlägigen Bescheid bald zu trösten, indem sie
ihre Tochter noch im Laufe desselben Jahres mit dem Herzog
Franz von Sachsen-Lauenburg vermählten ^). Dass ein solcher
Plan bestehe, hatte der Landgraf schon früher erfahren^).
Da die Verhandlungen noch nicht definitiv abgebrochen ge-
wesen waren, man vielmehr eine Zusammenkunft in Aus-
sicht genommen hatte, so bezeichnete der Landgraf seinen
Schwägerinnen gegenüber dieses Verfahren scherzend als
*) Hedwig an die Herzogin von Braunschweig den 26. Juni.
Hedwig an Wilhelm den 10. Juli.
■^) Die Kurfürstin an Elisabeth den 4. August und 15. September.
Elisabeth an die Kurfürstin (undatirt). Einen Brief Wilhelms an Elisabeth
erwähnt Rommel, Bd. V, S. 819, Aum. 317.
3) Die Vermählung kam erst am 26. September 1585 zu Stande.
*) Wilhelm an Berlepsch den 22. April 1582.
^) Am 10. November 82.
^) Durch ein von einem Ungenannten übersandtes Schreiben des
Gabriel von Douop (Acten).
I
! 202
einen Korb „durch den er gefallen sei". Diese erwiderten,
es sei doch die Frage, wer von beiden Teilen den andern
durch den Korb geworfen habe. Er werde hoffentlich nicht
so sehr bekümmert sein, dass sie gleich kommen müssten, ihn
zu trösten ^).
Diesen und andern^) Verlockungen gegenüber hat so
Wilhelm seinem „Beinchen" bis zu seinem 10 Jahre später
erfolgenden Tode die Treue gewahrt. Er unterscheidet sich
dadurch vorteilhaft von manchem seiner Zeitgenossen, ins
besondere von dem ihm ungefähr gleichalterigen Kurfürsten
August von Sachsen. Dieser führte ein halbes Jahr nach
dem Tode seiner „Mutter Anna", mit der er fast 4 Jahre
lang in glücklichster Ehe gelebt, ein 13 jähriges Fräulein von
Anhalt heim, um freilich schon einen Monat darnach das
Zeitliche zu segnen.
Beilage.
Dr. Aegidius Mommer an (Landgraf Wilhelm).
Düsseldorf 1565, Januar 17.
Illustrissime atque clementissime Princeps. Que V. C.
mihi in mandatis per Secretarium ß. Cassellis reliquit,
accurate et diligenter summaque cum observantia atque
reverentia accepi. Nee interea unquam huius rei immemor
fui dedique omnem operam, ut oportuna aliquando huiusce
rei se offerret occasio : hec mihi hactenus aperta non adfuit,
operta mihi vero subinde contigit. Non dubito Jovem nestrum
nonnihil sensisse, quid rerum agatur. Ex semidiis rem cum
multis communicare non usque adeo certis de causis con-
*) Hedwig und Elisabeth an Wilhelm den 21. September 1582.
*) Bommel^ Bd. V, S. 319, Anm. 317 berichtet, dass ihm 1583 eine
schöne Witwe von der italienischen Grenze mit 12000 Thalern jährlichen
Einkommens angetragen worden sei.
203
sultum videtur. Maior nulla unquam inter Proceres Imperii
sententia est, quam que a Cesare ipso pronunciatur eiusque
celerrima solet esse executio maxime apud eos, qui illius
Maiestati atque auctoritati nihil unquam denegabunt. Frustra
dii minornm gentium sollicitantur, presertim ubi in consiliis
de Numinis observantia atque cultura di versa animis sedet
sententia, sed vincet omnia Cesar. Optarim Cassellis, cum
eo loci praeterirem, V. C. conveniendi facultatem milii fuisse,
sed cum id huius temporis commode fieri non potuerit,
quicquid huiusce rei est, in aliud tempus differendum erit.
Si quid in V. C. negotio unquam possem, is semper ero, qui
hactenus fui V. C. obsequentissimus famulus atque minister,
obnixe et supplex rogans ut V. C, que revera inter omnes
illustrissimas Imperii Romani Proceres doctissima, inter omnes
doctos illustrissima est, hoc mihi qualecumque atque audax
scriptum eo, quo hactenus, id est benigne atque clementi
vultu accipiat.
Datum Dusseldorpii XVII. Januarii Anno 1565.
IV.
Hans Christoph Fachs der Ältere zu Wallen-
bnrg nnd Arnschwang^ ein humanistischer
Ritter des 16. Jahrhunderts.
Von
Dr. Otto Gerland, Senator in Hildesheim.
„Fuchs, Hans Christoph der Ältere war Erbherr auf
Wallenburg und Arnschwang in Franken (»Eques Francus
P. m.«) — Dies ist alles, was bis jetzt auch trotz der sorg-
fältigsten und mühevollsten Forschungen über ihn bekannt
geworden ist*^ So sagt über ihn J. Fran ck in der allgemeinen
deutschen Biographie^), und auch Kurtz sagt in seiner
Litteraturgeschichte ^), es sei über Fuchs nicht das mindeste
bekannt. Auch Goe decke ^) weiss von ihm nichts zu
sagen, als dass J. C. Fuchs der Verfasser des Mückenkriegs
sei und dass Johann Christoph Fuchs die Psalmen Davids
paraphrasiert habe und Mitarbeiter am Votum Posthimelissaeum
gewesen sei, ohne zu wissen, dass diese verschiedenen Ver-
fasser ein und dieselbe Person seien. Wir wissen aber doch
mehr von diesem Manne, und was ich über ihn nach lang-
jährigen Studien habe zusammenbringen können, soll im
nachfolgenden erzählt werden.
Als Quellen dienen mir hierbei neben den weiter
unten angeführt werdenden Ausgaben von Fuchsens Werken
1. Mitteilungen des Königlichen Allgemeinen Reichs-
archivs zu München vom 24. Oktober 1895 zu
E. N. 1709.
») AUg. Deutsche Biographie, Bd. VIII, S. 163.
*) Geschichte der Deutschen Liiteratur, Bd. II, 8. 103.
3) Grandriss, S. 510, 107, 590, 105.
205
2. Akten des Königlichen Staatsarchivs zu Marburg und
3. Mitteilungen des Königlich Bayerischen Regierungs-
rats Ludwig Fuchs v. Bimbach, bzw. des Königlichen
Kreisarchivars Dr. SchefFler zu Würzburg aus den
genealogischen Sammlungen des würzburgischen
Lehenpropstes Fabritius aus dem 17. Jahrhundert.
An Litteratur habe ich benutzt:
1. Allgemeine De u tsche Biogra p hie, Bd. VIII,
Bd. XXVIII.
2. CoUegii Posthimelissaei votum. Hoc est, ebrielatis
detestatio, atque potationis saltationisque eiuratio.
Francofurti ad Moenum 1573.
3. Gaspary: Geschichte der Italienischen Literatur,
IL Bd., Berlin 1888.
4. Gau he: Des heiligen römischen Reichs Genealogisch-
Historisches Adels-Lexikon, Leipzig 1740.
5. Geisthirt: Historia Schmalcaldica. Schmalkalden
und Leipzig 1881 fif.
6. G e n t h e : J. C. Fuchses heroisch-komisches Gedicht
der Mückenkrieg. Eisleben 1833.
7. Goedecke: Grundriss zur Geschichte der deutschen
Dichtung, II. Auflage, Bd. II, Dresden 1886.
8. Hafner: Die Herrschaft Schmalkalden, Bd. II,
(Schmalkalden 1810), Bd. UI (Meiningen 1820).
9. J ö r d e n s : Lexikon Deutscher Dichter und Prosaiker,
Bd. VI, Leipzig 1817.
10. Könnecke: Hessisches Buchdruckerbuch. Marburg
in Hessen 1894.
11. Kurtz: Geschichte der deutschen National-Litteratur,
Bd. II, Leipzig 1856.
12. V. Rommel: Geschichte von Hessen, Bd. IV, Kassel
1830; Bd. VI, Kassel 1837.
13. Schultes: Diplomatische Geschichte des Gräflichen
Hauses Henneberg, Bd. II, Hildburghausen 1791.
14. Wagner: Geschichte der Stadt und Herrschaft
Schmalkalden. Marburg und Leipzig 1849.
15. Zedier: Grosses Universal-Lexikon aller Wissen-
schaften und Künste, Bd. 57. Leipzig 1748.
ä06
Ausser dem Herrn Regierungsrat Ludwig Fuchs von
Bimbach verdankeich auch Herrn Professor Dr. Schröder
zu Marburg wesentliche Förderung bei dieser Arbeit und
verfehle deshalb nicht, den genannten Herren hier meinen
verbindlichsten Dank abzustatten.
i) Einleitung. Geschichte der Familie Fuchs.
In der Herrschaft (dem jetzigen Kreis) Schmalkalden
etwa dreiviertel Meilen nördlich der gleichnamigen Stadt
liegen auf dem sich steil über dem Thal der Truse er-
hebenden Höhnberg die Trümmer der Wallenburg, deren
mit einem steinernen Helm gekrönter Bergfried weithinaus
in das Werrathal grüsst, während von den übrigen Gebäuden
nur noch die unter dem Schutt der zusammen gebrochenen
Wände begrabenen Überreste vorhanden sind. Auf einer in
den Sammlungen des Vereins für Hennebergische Geschichte
und Landeskunde zu Schmalkalden aufbewahrten, in Ol ge-
malten grossen Wandkarte der Herrschaft Schmalkalden von
1676 ist die Burg noch als erhalten dargestellt; man sieht
dort ausser dem Bergfried noch den Palas mit hohen Giebel-
wänden und einem mit hohem spitzigen Ziegeldach versehenen
runden Treppenturm, dessen Trümmer jetzt wie ein Brunnen-
schacht erscheinen. Einige wenige auf dem Burgberg ge-
fundene Gegenstände, wie eine kursächsische Silbermünze
von 1492, ein Stück von einer grün glasierten Ofenkachel,
ein halbes Pferdegebiss, ein Nagel von einem Thorbeschlag
und ein Gerät zur Prüfung des Metallgehalts der Erze —
eine sogenannte Kapelle — sind das einzige, was von dem
Innern der Burg gerettet worden ist. Zu der Burg gehörte ^)
ein nicht unbedeutender Besitz von Waldungen mit guten
Jagdgründen, ein Vorwerk, der (Au-) Wallenburger Hof, das
Dorf Aue unter Wallenburg, davon Auwallenburg genannt
(ein Name, der allmählich auf das Schloss übertragen worden
ist), Bergwerke — lag doch das Schloss zwischen den reichen
') Schuttes Bd. II Urkundenbuch S. 337.
^01
Erzlagern des Stahlbergs und der Mommel — Schleif- und
Hammerwerke, Schneid- und Mahlmühlen, eine Schankstatt
und die Gerichtsbarkeit über die ganze Besitzung. Durch
verschiedene Hände gegangen, gelangte das Schloss mit seinem
Zubehör 1522 an einen Zweig der Dornheimer Linie des noch
jetzt in ünterfranken blühenden Geschlechtes der Fuchs
von Bimbach und Dornheim, der wie das ganze Ge-
schlecht in Gold einen springenden schwarzen Fuchs und auf
dem Helm den Fuchs auf niederer Stulpmütze sitzend führte ^).
Wie diese Linie der Fuchs nach der im allgemeinen in
hessischem und hennebergischem Gesamtbesitz stehenden Herr-
schaft Schmalkalden kam, ist nicht festzustellen, eine Ver-
mutung darüber wird uns noch weiter unten beschäftigen.
Wir wissen nur, dass Graf Wilhelm IV. von Henneberg
das ihm allein zustehende Schloss Wallenburg nebst Zubehör
am 6. April 1522 dem Ritter Christoph Fuchs, Amt-
mann zu Bamberg und „lieben Getreuen" des Bischofs Georg
zu Bamberg, zu Lehn gab, wobei er sich nur die Jagd auf
Rotwild und die Bergwerke auf Gold-, Silber- und Kupfer-
erze, erstere beiden jedoch nur, sofern Gold und Silber den
Wert des Kupfers überwiegen sollten, vorbehielt, alle übrigen
Bergwerke aber, Berggericht und Bergordnung und alle übrige
Jagd, namentlich auf Bären, Sauen, Rehe und Hasen auf
Christoph Fuchs und dessen Bruder Thomas Fuchs,
Amtmann zu Schneeberg übertrugt); am gleichen Tag wurde
zwischen den Parteien ein Vertrag über den Blutbann ab-
geschlossen^). Thomas Fuchs dürfte auf den Familen-
gütern in der Oberpfalz zurückgeblieben sein, da wir den
Wallenburger Zweig stets in Mitbesitz dieser Güter finden.
Der Umfang der mit der Wallenburg verbundenen Gerichts-
barkeit mag zeitweise streitig gewesen sein, und es sind wohl
die als Anlage I und II mitgeteilten, dem Marburger Staats-
archiv entnommenen Schreiben von 1538 darauf zurückzu-
1) Mitteil, des Königl. Bayer, allg. Reichsarchivs v. 24. Okt. 1895;
Geülhirt I S. 15.
2) Schultes ürk. Buch S. 337 ; Hafner Bd. II S. 141 ; Wagner S. 169.
») Schultes U. B. S. 341.
208
führen. Da der Name Christoph in unserm Zweig der Familie
Fuchs mehrfach vorkommt, so ist es, wenn kein besonderer
Zusatz dabei gemacht ist, zweifelhaft, wer im einzelnen Fall
unter den verschiedenen Trägern dieses Namens gemeint sei.
Die oben genannten Briefe sind aber bereits für den Sohn
des Erwerbers der Wallenburg in Anspruch zu nehmen, den
Helden dieser Darstellung, da der Vater zur Zeit der Aus-
stellung dieser Schreiben nicht mehr am Leben war. Am
14. März 1525 belehnte Wilhelm von Henneberg den
Christoph Fuchs auch mit dem BergregaP). Als 1534
Landgraf Philipp der Grossmütige den Herzog Ulrich
von Württemberg wieder in dessen Land einsetzte, schloss
sich ihm Christoph Fuchs als Hauptmann des Fussvolks
an und blieb in der Schlacht bei Laufen am 13. Mai 1534,
wo er neben dem Landgrafen erschossen wurde. Er, ein
Kürassier und ein Trompeter waren die einzigen Toten, die
das hessisch -württembergische Heer zu beklagen hatte ^).
Christoph Fuchs war verheiratet, den Namen seiner Ge-
mahlin anzugeben bin ich aber nicht im Stande; er hatte
auch mehrere Kinder, ganz bestimmt unsern Johann
Christoph Fuchs den Älteren, Jakob Fuchs und
vielleicht auch David Fuchs. Es ist aber nicht ausge-
schlossen, dass dieser letztere ein Sohn des nachträglich mit
der Wallenburg mitbeliehenen Thomas Fuchs gewesen
ist; denn nach den Fabritius'schen Sammlungen^) besass er
einen Sohn Johann Christoph Fuchs den Jüngeren,
der gelegentlich des noch Abschnitt H unter 1 näher zu er-
wähnenden Vertrags über den Verkauf der Wallenburg 1580*)
neben Joh. Christophs Bruder Jakob als des ersteren Vetter
und als sukzedierender Lehnsagnat bezeichnet wird, so dass
man annehmen müsste, Thomas Fuchs habe keine Lehns-
erben hinterlassen, wenn man nicht glauben wollte, dass
dessen Stamm bei dem Verkauf der Burg unberücksichtigt ge-
blieben sei, was mindestens unwahrscheinlich, wenn nicht
1) Schultes U. B. S. 342.
*) V. Rommel IV, S. 157.
3) Fahritius Geneal.* Samml. Bd. IV und V (Adel. f. 17.) 339.
*) Eäfnet' Bd. Ill S. 249, 419; Wagner S. 170.
209
geradezu ausgeschlossen ist. Ob Christoph Fuchs eine
Tochter gehabt hat, ist ungewiss, es wird zwar ein Schwager
seines Sohnes Johann Christoph in der Person des Roman
von Hocholting, Pflegers zu Kötzting, im Jahr 1582
erwähnt^), aber es ist aus dieser Erwähnung nicht zu
schliessen, ob dieser Schwager der Gatte einer Schwester
oder der Bruder von Johann Christophs Gemahlin gewesen
ist. Wenn aus dem Landshuter Kreisarchiv die Mitteilung
erfolgt, Johann Christoph Fuchs der Jüngere sei ein
Sohn des älteren Johann Christoph gewesen, so beruht dies
auf einen Irrtum, da letzterer wie bemerkt in dem Kauf-
vertrag von 1580 ersteren seinen Vetter nennt ^). Nach
alledem und den weiteren Fabritius'schen Nachrichten ergiebt
sich folgende Stammtafel der uns hier beschäftigenden Linie
des Geschlechtes der Fuchs :
N. N. Fuchs.
I
Christoph Fuchs, vermählt mit N. N.
ohann (Hans) Christoph
Fuchs der Ältere,
vermählt mit N. N.
Jakob Fuchs,
vermählt mit N. N.
Thomas Fuchs,
vermählt mit N. N.
? David Fuchs,
vermählt mit Anna Tochter
des Hans Fuchs zum Schnee-
berg u V. Schwarzen-
stein.
I
Hans Christoph Fuchs der
Jüngere, f 1641,
vermählt mit Sabine v.
Gumpenberg
Maria Katharina
Fuchs,
)rm. an Hs. Wilh.
V. Wildenstein.
Hans Friedrich Fuchs
der Ältere,
verm. mit Adam.
Barb. v. Crailsheim.
Dorothea Magdalena
Fuchs,
verm. an Georg Wolf-
gang V. Wildenstein.
Anna Elisabeth
Fuchs,
verm. an Heinrich v.
Wallenfeld auf Lich-
tenberg, t 1650.
Hans Christoph Fuchs,
geb. 1618.
*) Mitteil, des Königl. Bayr. Allg. Reichsarchivs.
«) Wie zu 1.
N. F. BcL XXIU. 14
210
Über den Hans Fuchs, den Vater von David Fuchs
Gemahlin kann ich nichts näheres angeben. G a u h e ^)
erwähnt noch zweier weiterer Glieder des Geschlechts:
Jacobus und Appollinaris Fuchs, die sich beide
zu Anfang des 16. Jahrhunderts durch ihre Gelehrsamkeit
ausgezeichnet haben. Jacobus wird derselbe sein, welchen
Genthe^) als Jakob Fuchs den Älteren bezeichnet,
der um das Jahr 1523 zu Würzburg Domherr war, auch
als eques Francus bezeichnet wird und eine Schrift: „von
dem vereelichten standt der geistlichen" in demselben
Jahr herausgegeben hat. Über beide Personen bin ich nicht
im Stand, genaueres anzugeben, vielleicht aber dürfen wir
aus der Bezeichnung des Jakob Fuchs als des Alteren an-
nehmen, dass er diese im Gegensatz zu dem in der Stamm-
tafel genannten Jakob Fuchs geführt habe und etwa ein
Bruder von dessen Vater Christoph gewesen sei. Der Titel
der von ihm verfassten Schrift lässt darauf schliessen, dass
die Fuchs sich frühzeitig auf die Seite der Reformation ge-
stellt haben, und dies könnte vielleicht der Grund dafür ge-
wesen sein, dass Christoph Fuchs aus Bamberg fortgezogen
ist, wobei er in das hessisch- hennebergische Gebiet kam.
Ein ähnlicher Umzug seiner Nachkommen wird uns später
nochmals begegnen.
Von den in der Stammtafel genannten Personen wissen
wir noch^), dass David Fuchs 1553 mit Arnschwang in
der Oberpfalz, vier Stunden von Waldmünchen, belehnt wurde.
Jakob Fuchs war 1582 Pfleger zu Cham in der Oberpfalz,
auch in der Nähe von Arnschwang, und siegelte in diesem
Jahr eine Urkunde als Jakob Fuchs zu Arnschwang
auf Katzberg; 1599 erwähnt er, dass der Wildbann zu
Arnschwang bereits seinem Bruder Johann Christoph und
seinen Voreltern zugestanden habe. Johann Christoph
Fuchs der Jüngere soll sich nach G a u h e ums Jahr
1675 durch Gelehrsamkeit ausgezeichnet haben und kur-
1) Oauhe, S. 573.
*) Mückenkrieg, S. 6.
®) Mitteil, des Königl. Bayer. Allg. Reichsarchivs.
211
pfälzischer geheimder Rat, Pfleger zu Wetterfels, Oberforst-
und Jägermeister und Hofrichter zu Amberg gewesen sein.
Von dessen Sohn Johannes Friedrich Fuchs erzählt
G a u h e , dass er Herr auf Winkler-Schönsee und kur-
pfälzischer geheimder Rat, Landmarschall und Pfleger zu
Waldingen gewesen sei und sich im 30jährigen Krieg der
Religion wegen nach Nürnberg begeben habe. Johann
Christoph Fuchs der Jüngere hat nach Geisthirt am
31. Dezember 1636 in das Stammbuch des gleichfalls nach
Nürnberg geflohenen oberpfälzischen Pfarrers Georg Ecken-
berg eingetragen:
Non me divitiae, non ars, non gloria mundi
Salvabunt, Christi morte beatus ero.
(Johann Christoph Fuchs von Wallenburg.)
Einige Jahre vorher hatte er in das Stammbuch Otto
Heinrich L., Barons v. Herberstein, geschrieben:
Mutata fortuna mutantur amici!
Meinem hochgeehrten Herrn und Patrono schreibe ich
dieses zum Angedenken in Nürnberg d. 27. Januar 1633.
Johann Christoph Fuchs von Wallenburg. Dazu ist das
Wappen gemalt, jedoch mit rotem Fuchs.
0. H. V. Herberstein hat dem Eintrag H. C. Fuchses
beigesetzt: Ao. 1641 d. 8. Junii ist zu Nürnberg in Gott ver-
schieden Endesbenannter H. Fuchs, Churpfältzischer gewesener
Rath, Landmarschall in der Oberpfaltz und Pfleger zu Wald-
münchen.
Johann Friedrich Fuchs trug in das Stammbuch
des aus Krain vertriebenen Johann Ambtmann von der Hayden
am 18. August 1636 zu Nürnberg denselben Spruch : Mutata
fortuna etc. und am 5. August 1640 denselben Satz in das
Stammbuch Franz Christ. Ambtmanns von der Hayden ein ^).
Gauhe^) erwähnt noch einen Johannes Fuchs
von Wallenburg auf Arnschwang, der als kurpfälzischer
Rat und Pfleger zu Cham gelebt und „der Vater Johann
1) Bd. VI, S. 76.
2) Qeisthirt, Bd. VI, S. 76.
8) S. 573.
14*
212
Wilhelms auf Rheinkam worden" ; ersterer ist vielleicht
der letzte der Stammtafel, die sich dann um ein Glied ver-
mehren würde.
Wie wir sehen, hat sich die Familie auch nach dem
Verkauf des Schlosses Wallenburg noch stets nach diesem
genannt.
a. Johann Christoph Fuchs der Ältere.^)
Wenden wir uns nun unserem Johann (Hans)
Christoph Fuchs dem Älteren, dem ja diese Dar-
stellung eigentlich gemidmet ist, insbesondere zu und be-
trachten wir
1) dessen äussere Lebensschicksale.
Nach Geisthirt^), dessen Mitteilungen meist auf guten
Quellen beruhen, ist er, dessen Rufname Christoph war, auf
Schloss Wallenburg geboren. Da sein Vater das Schloss am
6. April 1522 erwarb, aber bereits am 13. Mai 1534 starb,
so muss Johann Christoph innerhalb dieser Zeitgrenzen ge-
boren sein. Wir werden nicht irren, wenn wir annehmen,
dass er ziemlich im Anfang der 1520er Jahre geboren sei,
da er bereits 1538 die Schreiben in Anlage I und II erlassen
hat. Wo und wie er ausgebildet wurde, können wir nicht
sagen, es sind darüber keine Spuren gefunden worden.
Jedenfalls wurde er der Sitte seiner Zeit gemäss nicht nur
humanistisch gebildet, so dass wir ihn als Dichter in der
lateinischen und deutschen Sprache, als Kenner des Italienischen,
der alten Geschichte und Mythologie kennen lernen, sondern
auch in die religiösen Fragen vertiefte er sich, was ihn zu
der (zu 2) noch zu besprechenden ümdichtung der Psalmen
veranlasst haben wird. Daneben hielt er sich an verschiedenen
Fürstenhöfen auf und erhielt auch die nötige Ausbildung als
Kriegsmann und Jäger, wie dies aus seinen noch zu er-
wähnenden Briefen und auch aus seinem Hauptgedicht „Mucken-
krieg" hervorgeht. In diesem schildert er die Schlachtordnungen,
*) Jördens S. 120 nennt ihn merkwürdiger Weise Johann Christoph
Fuchs, Senior zu Wallenburg.
«) Bd. I S. 94.
213
die Einzelgefechte und die Belagerungsarbeiten ganz der da-
maligen Kriegskunst entsprechend und leitet auch namentlich
mehrfach lebhafte Vergleiche von der Saujagd, einer gerade
in der Umgegend der Wallenburg häufig geübten Jagd, ab,
z. B. Buch II V. 411 ff.:
„Der Held aber daucht einen seyn
Ein vngehewres hauwendes Schwein /
Vnter eim gantzen hauffen Hund /
Das noch frisch ist vnd vnverwund /
Vnd noch kein Borst verloren hat,"
oder Buch III V. 602 ff :
. „Da stund er wie ein hawend Schwein /
Das sich abarbeit mit den Hunden /
Thut hir ein dort einen verwunden."
Er widmete sich der Verwaltung seiner verschiedenen
Güter, wie er dann 1547 mit seinen oberpfälzischen Hinter-
sassen einen Vergleich abschloss ^), und was auch daraus
hervorgeht, dass er 1562 mit seinem Vetter Johann Christoph
Fuchs dem Jüngeren um Minderung der Lehntaxe vom Gute
Rotenstadt in der Oberpfalz, zwei Stunden von Weiden,
nachsucht ^).
Dann finden wir ihn in näherer Beziehung zu ver-
schiedenen Fürsten und an verschiedenen Höfen. Aus den
beiden in Anlage III und IV hier mitgeteilten, gleichfalls im
Königlichen Staatsarchiv zu Marburg aufbewahrten Briefen
erhellt, dass Fuchs in näherer Beziehung zu Landgraf
Ludwig IV. von Hessen-Marburg (1537 — 1604) stand,
der mit Hedwig, der ältesten Tochter Herzog Christophs
von Württemberg seit 10. Mai 1563 vermählt war und
von 1563 — 1565 zu Darmstadt residierte ^). Wir finden Fuchs
in Beziehungen zu dem Erzherzog Ferdinand von
Österreich, dem Gemahl der Philippine Wels er, der
bis zu seines Vaters, des Kaisers Ferdinand I. Tode
zu Schloss Bürglitz in Böhmen residierte, dann aber Tirol
*) Mitteil, des K. B. allg. Reichsarchivs,
«) Wie zu 1.
8) V. Rommel, VI, 8. 3ö ff.
214
erhielt und dies Land 1565 in Besitz nahm. Wir finden
Fuchs auch in Beziehungen zum Stuttgarter Hof und selbst-
verständlich auch zu dem seines Landesherrn zu Heidelberg,
an welchem Ort er öfter oder länger gewesen zu sein scheint.
In den beiden genannten Briefen, geschrieben zu Heidelberg
am 25. Oktober 1565 und zu Elping (?) an der Donau am
16. Januar 1566, entschuldigt sich Fuchs beim Landgrafen
Ludwig, dass er aus Rücksicht auf den Erzherzog Ferdinand,
den Herzog Christoph und dessen Sohn Eberhard verhindert
gewesen sei, Ludwig aufzuwarten, spricht aber gleichzeitig
die Hoffnung aus, ihn auf dem Reichstag zu Augsburg, dem
ersten, den Kaiser Maximilian II. (1566) abhielt, und
auf dem über die Einführung der reformierten Religion in
der Pfalz verhandelt wurde, zu treffen, und versichert seine
treue Ergebenheit gegen das Haus Hessen.
Dann lebte Johann Christoph Fuchs vorzugsweise auf
Schloss Wallenburg ^), wenn er auch, wie wir sehen werden,
einzelne Reisen in die Heimat seines Geschlechts auch ferner
unternahm. Von Wallenburg aus trat er in nähere Bezieh-
ungen zu dem in dem seit 1560 zu einem Schloss hergerichteten
vormaligen Kloster Herrenbreitungen an der Werra wohn-
haften Grafen Poppo XII. von Henneberg, und auf
der Wallenburg verfasste er seine hauptsächlichsten Werke,
für die er den Verleger in dem unternehmenden Buchdrucker
Michael Schmuck zu Schmalkalden ^) fand. Als er im
*) Geisthirt I S 64 65.
*) Vergl. über Schmuck: Könnecke, S. 322 ff.; Oeistkirt I, S. 15,
65, II, S. 149, VI, S. 71; Oerland in dieser Zeitschrift N. F., Bd. XVI,
S. 200. Als weitere ausser den bei Geisthirt a. a. 0. genannten (haupt-
sächlichsten) Drucken Schmucks kann ich weiter angeben :
1. Phil argyrus Ecclesiastae; der Geltmann mit seinen
sieben fümemsten thörichten Eigenschaften, vom Königlichen Prediger
Salomone entworffen, etc. durch M. Hermannum Heinrychum Frey,
Pfarrherrn zu Schweinfurt 8<^, 1589. (Auf der herzoglichen Bibliothek zu
Wolfenbüttel befindlich).
2. Ant. Probi, Sup. Gen. oratio de Frid. Myconio, primo Thuring
Evangelista 1597.
3. M. Georg, Homs Hierampelos 1585.
4. M. Wilkii, Eect. Goth., quando possint juvenes in academias
transmitti, 1598.
5. ützinger, Prozess des jüngsten Gerichts in 14 Predigten zu
Schmalkalden gehalten 1589.
215
Frühjahr 1574 eine Geschäftsreise nach Nürnberg und ßegens-
burg ausführte, erfuhr er unterwegs, dass Graf Poppo, der
ihm im Traum noch als ganz gesund erschienen war, ge-
storben sei, und verfertigte auf den Dahingeschiedenen ein
Leichengedicht (Epicedium), auf das wir im weiteren Verlauf
dieser Darstellung noch zurückkommen werden^).
Mit verschiedenen Gelehrten seiner Zeit stand Fuchs
im regen Verkehr. Seine paraphrasis in omnes psalmos
(siehe 2) hat er seinem Freund Johannes Stengel^)
eigenhändig gewidmet; Christophorus Wiener^) widmete
unserm Fuchs das zwölfte Buch seiner 1585 erschienenen
Panegyrica Sacrorum durch uns von Geisthirt mitgeteilte
Verse, auf die wir bei der Schilderung von Johann Christophs
fernerer Amtsthätigkeit zurückkommen werden, und Nicolaus
Reusnerus*), Ictus, Poeta und Consiliarius Saxonicus
widmete in seinen opera poetica, Teil III, S. 114 seinem
Freunde Fuchs ein besonderes Gedicht. Endlich stand Fuchs
auch in nahen Beziehungen zu dem Heidelberger gelehrten
6. Veitkirchs Predigten' 1598.
7. Winkolraann^s I^ichenpredigt auf den Kurfürsten zu Sachsen
August 1586.
8. Leichenpredigt auf Johann Herzog zu Sachsen 1604.
9. Zahlreiche Hochzeits-, Leichen- und sonstige Predigten von
liieren. Pfnor, Pfarrer zu Thann und vielen anderen Geistlichen.
10. Die auf Schmuck selbst von einem Diakonus gehaltene Leichen-
predigt 1606.
Schmuck starb 1606, sein Sohn verlegte das Geschäft später nach
Schleusingen.
Die Mitteilungen zu 2—10 verdanke ich der Güte des Herrn
Gymnasiallehrers Morgenstern zu Schleusingen, wo eine grosse Zahl der
Seh muckschen Drucke in der Gymnasialbibliothek vorhanden sein dürften.
') Vergl. Qeisthirt a. a. 0., I, S. 9.5, IV, S. 1, 74.
2) Über Johannes Stengel kann ich nichts genaueres ermitteln,
8) Christoph Winer, ein Poeta, Mathematikus, Prediger und
Medicus, geb. zu Grossen-Lupnitz bei Eisenach, Konrektor zu Gotha, dann
Pfarrer zu Sundhauseu, wo er 1594 entlassen wurde, weil er lehrte, dass
im Abendmahl Christi Blut nicht leiblich, sondern geistig empfangen
werde, starb 1597 auf seinem Gut zu Sundhausen an der Pest, Zedier^
Bd. 57, S. 816.
*) Nikolaus Reusner, Rechtsgelehrter und Polyhistor, geb.
1545 zu Löwenberg, starb 1602 zu Jena, wo er seit 1589 als Professor
die Rechtswissenschaften lehrte; er stammte aus einer altadligen Familie,
die aus Ungarn und Siebenbürgen nach Schlesien gezogen war. Allg.
Deutsche Biographie, Bd. 28, 8. 299 ff.
216
Poetenkreis, der sich um Johannes Posthius^) und
Paulus Melissus^) schaarte. In der 1573 herausgegebenen
Gedichtsammlung gegen die Trunkenheit und Völlerei:
Collegii Posthimelissaei votum. Hoc est, ebrietalis
detestatio atque potationis saltationisque eiuratio.
Francof a. M. Joh. Lucienbergius 1573^)
finden sich auch zwei Gedichte von Fuchs, die wir als die
ältesten uns überlieferten betrachten müssen.
1. D. 2b. Eine Ode von 22 Strophen:
Johannes Christof erus
Fuchs in Wallenburg
Johanni Posthio Medico et
Poetae opt.
beginnend :
Reddit ut rerum simulacra gemma,
ßeddit ut formas speculum venustas,
Reddit ut bellae faciem puellae
Purior unda,
Sic tuae, Posthi, pietas renidet
Mentis ex voti Domino sacrati
Versibus, turpem quibus execraris
Ebrietatem.
2. D. 4 a.
Eiusdem epigramma.
Non est mentitus, madidissime lurco bibonum
Infami superans ebrietate Deum,
Qui tibi fortunas vitamque perire bibendo
Dixit, et in Stygias te properare domos.
Im Verzeichnis, der an dieser Sammlung beteiligten
^) Johannes Posthius, geb. zu Germersheim am 15. Oktober
1537, gestorben als Leibarzt des Kurfürsten von der Pfalz zu Mossbach
am 24. Juni 1597.
2) Paulus Melissus Schedius, Poeta laureatus, geb. zu
Meirichstadt am 20. November 1539, gestorben zu Heidelberg am
3. Februar 1602.
*) Dieses Büchlein, das ich auf einer Reihe grösserer Bibliotheken
vergeblich gesucht habe, ist mir durch gütige Mitteilung des flerm
Professors Dr. Schröder zu Marburg zu Händen gekommen.
217
Dichter (G. 6 b) wird Fuchs Joan. Christophorus Fuchs, eq.
Franc genannt.
Übrigens wird diese Gesellschaft von Dichtern gerade
kein Mässigkeitsverein gewesen sein, da auch der grosse
Trinker Helius Eobanus Hessus dazu gehört und zu
der Gedichtsammlung beigesteuert hat.
Es zog aber Fuchs immer wieder nach seinem Stamm-
land, der Oberpfalz, zurück, wo er auch, abgesehen von der
Nähe seiner Verwandtschaft, mehr Aussicht auf eine hervor-
ragendere Stellung hatte als in der Herrschaft Schmalkalden,
in der damals mit Rücksicht auf das bevorstehende Erlöschen
des Hennebergischen Fürstenhauses, ein Ereignis, das Ende
1583 ^) auch eintrat, alles in der Schwebe war. So über-
nahm er dann 1579 das Vizedominat zu Amberg, das er
längere Jahre bekleidet hat^). Der Besitz der Wallenburg
muss ihm nicht mehr wertvoll genug erschienen sein ; denn,
um die Mittel „zur Besserung des Schlosses Arnschwang" zu
erhalten, verkaufte er bereits am Tage Jacobi Apostoli
(25. Juli) 1580 die Wallenburg nebst allem Zubehör an Eitel
von Boyneburg zu Lengsfeld, Erbvogt zu Bar ch-
f e 1 d ^) , für 22 000 Gulden fränkischer Währung, den Gulden
zu 21 Groschen und den Groschen zu 12 Pfennigen ge-
rechnet, und für 500 wichtige Goldgulden an seine Ehefrau
zur Libnus. Die Zustimmung zu diesem Verkauf erteilten
Jakob Fuchs auf Kaabergk, pfälzischer Pfleger zu Cham
und Hans Christoph Fuchs der Jüngere auf Stein-
bergk und Rottenstadt als sein Bruder und Vetter und
„sukzedirenden Lehensagnaten" bezeichnet. (Vergl. oben I.)
Aus diesem Vertrag ersehen wir zugleich, dass Hans
Christoph der Altere verheiratet war, wenn auch leider der
Namen seiner Gemahlin nicht genannt wird, und auch, dass
er, wenn er überhaupt mit Kindern gesegnet war, doch
wenigstens keine Söhne hatte, weil diese sonst auch als
1) Schulies a. a. 0., S. 207 ff.
*) Geisthirt VI, S. 75 ; Mitteil. d. Königi. Bayer. Allg. Reichsarchivs.
3) Hafner, Bd. III, S. 249, 419 ; Wagner, 8. 170.
218
sukzedierende Lehnsagnaten ihre Zustimmung zu dem Ver-
kauf hätten geben müssen.
Von nun an widmete Fuchs sich ganz seinen neuen
Ämtern. 1682 unterschreibt er sich in einem Brief an seinen
Schwager Roman von Hochol ting als „der oberen kur-
fürstlichen Pfalz in Baiern Vicedom", 1585 erscheint er in einer
Urkunde der Eyb von Runding als Landmarschall zu
Ränkam ^) und seine Stellung in jener |Zeit schildert uns
Winer^) an der bereits angeführten Stelle mit folgenden
Worten :
Ibimus Ambergam, favet urbs haec inclyta Christo,
Et generi nostro, Pieridumque Choro.
Praesidet hie aulae pars praestantissima gentis
Aonidum, Vates Fuchsius ille pius.
Fuchsins antiquae Francorum e gente creatus,
Fortis eques celebri nobiliumque domo,
Arnsvangae gentis, cui quondam pristina sedes
Arx Wallenburgum stemma genusque dedit.
Summa Palatinae gentis nunc frena gubernat,
Quam regit imperio Principis ipse loco.
Vir bonus et prudens, et amans pietatis et aequi,
Carus item doctis, carior atque Deo.
Unde illum populo Princeps Ludovicus et urbi
Praefecit, reliquis praetulit atque viris.
1587 leistet J. Chr. Fuchs dem Ludwig von Eyb
Zeugschaft und siegelt 1592 eine Urkunde des Georg
Wilhelm von Eyb gegen Johann Chr istop h Fuchs
zu Schönsee den Jüngeren über ein Darlehn von
400 Gulden. Weitere ^) Nachrichten sind über ihn nicht vor-
handen, da aber, wie schon (zu I) hervorgehoben, sein Bruder
Jakob 1599 sagt, dass der Wildbann zu Arnschwang „schon
seinem Bruder Christoph und seinen Voreltern zustand",
dies also auf etwas vergangenes hinweist, so dürfen wir
sicher annehmen, dass unser Johann Christoph der Altere
*) Mitteil, des Königi. Bayer. Allg. Reichsarchivs.
«) Qeisthirt 1, S. 95.
3) Mitteil, des Königi. Bayer. Allg. Reichsarchivs.
219
damals schon tot war, wenn wir auch nicht wissen, wann
und wo er gestorben ist ; er hätte danach immer das würdige
Alter von etwa 70 Jahren erreicht gehabt. Die Nachrichten
über seinen Tod und sein Begräbnis mögen bei der nicht all-
zulange danach über die Oberpfalz hereingebrochenen Gegen-
reformation, die ja die noch übrigen Glieder der Familie
Fuchs zur Auswanderung zwang, verloren gegangen sein.
Sind die so zusammen gestellten Lebensnachrichten
auch immerhin etwas dürftig, so, zeigen sie uns doch das
Bild eines den damaligen Verhältnissen entsprechend allseitig
gebildeten Ritters, der neben den Interessen der Ritterschaft
auch die geistigen Interessen hoch schätzte und in der Lage
war, hervorragende Amter zu bekleiden.
Wenden wir uns nun
2) Johann Christoph Fuchsens Dichtungen
zu.
Ausser seinen besonders zu besprechenden grösseren
Werken und deren bereits erwähnten Beiträgen zum Votum
Posthimelissaeum sind uns durch Geisthirt zwei kleinere
Gedichte erhalten.
Das erste ist ein Leichengedicht oder Epicedium auf den
1574 verstorbenen Grafen Poppe XII. von Henne-
berg, in dem er die Reise, auf der ihm Poppos Tod mit-
geteilt wurde, und die Gefühle über den Trauerfall recht
humanistisch beschreibt ^).
Das zweite, eine Supplicatio pro serenitate, mag in
Anl. V mitgeteilt werden, wenn es auch schon bei Geisthirt
I, S. 92 abgedruckt ist; es dürfte 1588, also schon in der
Oberpfalz entstanden sein, denn den Sommer dieses Jahres
bezeugt uns G e i s t h i r t ^) als von so stetigem Regen heim-
gesucht, dass in Folge der Witterung eine grosse Teuerung
entstanden sei. Sie ist im sapphischem Versmass an den
„Rector Olympi" gerichtet und gleichfalls ein rechtes Kind
ihrer Zeit. Geisthirt bezeichnet sie als bis dahin un-
gedruckt.
*) Man lese es nach bei Oeisthtrt I, S. 74.
>) IV, S. 23.
220
J. C. Fuchsens selbständige grössere Werke sind:
a) seine Paraphrasis in omnes Psalmos von
1574 und
b) der Muckenkrieg von 1580.
Betrachten wir beide Werke im einzelnen.
a) Das erste führt den Titel:
Jo. Christoph ori Fuchs Senior is in Wallen-
burg et Arnschwang equ. fr. Paraphrasis
in cm n es Psalmos Davidisvariocarminum
genere expressa. Schmalchaldiae Michael
Schmuck imprimebat Anno MDLXXIIII.
Von diesem Buch, das schon Geisthirt „ein rar Büchlein"
nennt ^), ist noch ein Exemplar in der Sankt Andreas-Bibliothek
zu Eisleben vorhanden, dessen Einsicht und Benutzung mir
durch die Güte des zeitigen Bibliothekars Herrn Professor
Dr. Grössner 1888 ermöglicht worden ist. Das Exemplar
trägt unten auf dem Titelblatt eine vom Dichter selbst ein-
geschriebene Widmung : Suo Joanni Stengelio D. dd. Joh.
Christ. Fuchs Ao. i 74. Auf dem Titelblatt ist zwischen dem
Titel selbst und der Angabe des Druckers ein Holzschnitt an-
gebracht, der Gott Vater mit Krone und Reichsapfel über
Wolken darstellt; darunter kniet in einer Landschaft der in
königliche Gewänder gekleidete David, vor dem eine Harfe
liegt. Das Buch in Oktav enthält die Bogen A bis A a 5,
eine Seite Errata und zwei leere Blätter ohne Seitenzahlen,
A 1 ist das Titelblatt. Auf A 2 ist folgende Widmung an
den späteren Kurfürsten Ludwig von der Pfalz abgedruckt:
Illustrissimo Principi et Domino, D. Ludovico Palatino
Rheni, Bavariae Duci, etc. ac Provinciae superioris Palatinatus
Gubernatori vigilantiss, Domino suo clementissimo. S. D.
Traxit ut Amphion, Thebarum moenia quondam
Aedificaturus, carmine saxa suo,
Sic quoque viva Deo structurus templa venusto
Carmine Jessiades pectora nostro trahit.
Quo docet, exponit non intellecta, futura
Praedicit, tollit numina laude Dei,
^) VI,'S. 71.
221
Promittit, queritur, carpit, poenasque minatur,
Solatur, supplex orat et acta canit.
Hujus ego cantus dulcedine tractus, et esse
Structurae cupiens pars quotacunque sacrae.
Quicquid habet Latii cecini ad modulamina plectri
Tempore, quo reliquos solvit amica quies.
Nam labor iste fuit longe mihi suavior alto
Somno, qui dulci membra quiete rigat
Hos ego iucundos princeps tibi magne labores
Dedico, doctrinam qui colis atque foves,
Impuras hominura mentes quae purgat et inter
Coelorum proceres nos radiäre facit.
Tu placido vultu, quo das his ocia terris,
Parva rudis Musae suseipe dona, Vale.
T. illustrissimae celsitrudini
addictiss.
Jo. Christophorus
Fuchs senior.
Eine schönere und treffendere Äusserung über Inhalt
und Bedeutung der Psalmen Davids ist nicht zu denken.
Wir sehen auch aus dieser Vorrede, wie treu Fuchs seinem
evangelischen Glauben anhing und wie hoch er den Pfalz-
grafen Ludwig verehrte.
Fuchs hat die Psalmen in fünf Bücher geteilt, deren
jedes die Überschrift trägt: Jo. Christophori Fuchs Senioris
Equ. Fr. Paraphrasis in Primum (und so fort mit der zu-
treffenden Zahl) librum Psalmorum. Buch I enthält Ps. 1 — 41,
Buch 11 Ps. 42—72, Buch III Ps. 73—89, Buch IV
Ps. 90—106 und endlich Buch V Ps. 107—150. Die Über-
setzung ist eine freie, nicht den ursprünglichen Bibelversen
angepasste; Ps. 119 z. B., der in der Bibel 178 Verse hat,
ist in 22 octonarii von je 8, zusammen 176 Strophen ein-
geteilt. Der humanistische Geist leuchtet aus jeder Zeile
hervor, und es mutet uns heute sonderbar an, wenn wir
z. B. Gott als rector olympi angerufen hören, wenn der
Himmel überhaupt immer als der Olymp bezeichnet wird,
wenn wir in Ps. 75 (der Herr hat einen Becher in der Hand
und mit starkem Wein voll eingeschenkt nnd schenkt aas
demselben, aber die Gottlosen müssen alle trinken und die
Hefen aussaufen) wenn wir hier also dem Lyäus and wenn
wir in Ps, 121 und 139 der Cyntbia begegnen. Wie aber
die Darstellung der Passionsgescbichte in der Tracht der
Zeit des Malers den Menschen des Mittelalters diese Ereignisse
so nahe brachte, als hätten sie selbst sie erlebt, so hat viel-
leicht auch diese humanistische Aus drucks weise den gebildeten
Kreisen der Renaisaancezeit mehr Eindruck gemacht als es
eine streng wörtliche Übersetzung vermocht hätte. Lieben
wir es doch auch jetzt noch mehr, die Gestalten der heiligen
Geschichte idealisiert, als, wie es manche Künstler lieben,
streng historisch richtig dargestellt zu sehen. Was die Vers-
masse anlangt, so hat unser Dichter mit besonderer Vorliebe
die sapphische Strophe, Distichen und einfache Hexameter
angewandt: die sapphische Strophe kommt 42 mal vor ^),
Distichen finden wir 32 mal ^), einfache Hexameter sind 21 mal
gebraucht^). Diese Versmasse dürften Fuchs also wohl am
geläufigsten gewesen sein.
Von sonstigen antiken oder antikisierenden Strophen
kommen vor:
ein Vers bestehend aus einem Spondaeus, zwei Daktylen ,
einem Trochäus und einer langen Silbe in vierzeiligen Strophen
sechsmal*),
das erste archilochische System viermal^),
das zweite pythiambiscbe System biebenmal ^),
das erste pythiambiscbe System dreimal '),
ein jambischer Trimeter in Ps. 139,
der phaläcische Vers fünfmal^),
I) Ps. 2, 6, 10, 15. 18, 21, 2.% 39, 32, 33, 36, 38, 42, 45, B2, 58,
60. 63, 65, 68, 71, 74, 7fi, 81, Ö4, 89, 90, 93, 97, 101, 104, 107, HO,
117, 119, 12-i, 127, 130, 131, 142, 146, 148.
») Pb. 1, 3, 5. a, 13, 17, 20, 20, 30, 34, 37, 43, 48, 61, 55, 69, 61,
64, 66, 73, 77, 82. 83, 98, 102, 108. 115, 120, 123, 129, 136, 141.
») Pb. S, 11, 14, IB. 24, 27, 39, 44, 46, 50, 69, 72, 78, 87, 91, 99,
105, 114, 124, 137. 147.
*) Ps. 7 -ib, 54, 67, 83, 118, 131.
') Ps. 12, 57, 94, 146.
■) Ps. 16, 53, 62, 85, 103, 132, 140.
' Pa. 28, 40, 121.
") Pb. 86, %, 113, 126, 144.
223
das jambische System sechsmal ^) und endlich
das dritte archilogische System viermal ^j.
Es ist vielleicht kein Zufall, dass die letztgenannten
verwickeiteren Versmasse meist in den höheren Nummern der
Psalmen angewandt sind.
Schon mehr einen Anklang an die Neuzeit, ja an das
evangelische Kirchenlied, welches sich damals bekanntlich
mächtig entwickelte und sich auch vielfach, namentlich in
den reformierten Ländern so eng als möglich an die Psalmen
anschloss, zeigen die in vierfüssigen Jamben übertragenen
Psalmen. In ungleich langen Strophen und ungereimt er-
scheinen sie in Psalm 22, 79, 116 und 135, ganz ohne
Stropheneinteilung und ohne Reim in Ps. 109, in ungleich
langen Strophen und zweizeilig gereimt in Ps. 4, in vierzeilige
Strophen geteilt, ungereimt in Ps. 35, 70, 92, 100 und 126,
gereimt aber in Ps. 31, 49, 56 und 75.
Hierher kann man auch Ps. 111, 138 und 149 nehmen,
die in drei je aus einem Vorschlag und drei Trochäen
(u — u — u — 0) bestehenden Versen gebildeten Strophen ge-
dichtet sind.
In Anlage VI mögen einige dieser Übersetzungen als
Beispiel wiedergegeben werden, wobei soweit möglich auf den
charakteristischen Inhalt der Übertragungen Rücksicht ge-
nommen worden ist.
Das zweite selbständige Werk ist
b) Der „Mucken krieg, ein artiges Gedicht, wie
die Mucken neben jren Consorten sich wieder die
Amaysen vnd jren Beystand zu Felde gelagert,
auch endlich zu beyden Seiten ein starkes treffen,
vnd grewliche Schlacht miteinander gehalten haben ;
in drei Büchern abgetheilt. 1580 gedruckt zu
Schmalkalden bey Michael Schmuck".
Ob noch ein Abdruck dieser ersten Ausgabe vorhanden
ist, erscheint mir zweifelhaft; Jördens kennt sie nicht,
G e n t h e und 6 o e d e c ke haben sie nicht vor Augen gehabt,
») Ps. 41. 106, 112, 128, 143, 150.
«) Ps. 47, 80, 95, 133.
224
da sie sie nur nach Gottscheds Handatlas anführen. Ich habe
sie auf den Bibliotheken zu Berlin, Eisleben, Göttingen, Jena,
Kassel, Marburg, Schleusingen, Schmalkalden, Wolfenbüttel
und Würzburg vergebens gesucht, auch noch in keinem
antiquarischen Katalog gefunden, obwohl ich solche seit
langen Jahren danach durchsucht habe. Geisthirt kennt
so viel Sachen aus Fuchsens Feder und Schmucks Verlag,
den Muckenkrieg erwähnt er aber mit keiner Silbe, auch ihm
muss er also unbekannt geblieben sein. Ich möchte daher
glauben, dass von dieser Ausgabe ein Abdruck nicht mehr
vorhanden ist. Sie ist vielleicht nur in einer geringen An-
zahl von Exemplaren abgezogen, was wohl auch daraus zu
schliessen sein möchte, dass bereits bald nachher — die
Jahreszahl ist nicht bekannt — eine neue Ausgabe und
zwar zu Amberg, wie wir sahen, seit 1579 der Wohnsitz
unseres Dichters, unter dem Titel :
„Muckenkrieg wider die Ameyssen, liblich und nützlich
zu lesen"
erschien, deren Drucker uns auch nicht überliefert ist (Genthe
S. 11, Schnurr von Landsidel A iiii y^)^).
Schon 1600 erschien eine dritte Ausgabe, die auf der
Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel vorhanden ist und
den Titel führt:
„Muckenkrieg : Darin zu befinden, welcher gestalt die
Mucken, neben jhren Mitverwanthen vnd Bundsgenossen,
sich wider die Ameissen, vnd derselben Beistand, in
merklicher anzal vnd übergrossem Heer zu Feld ge-
lagert: Auch entlich zu beiden Theilen ein starkes
treffen beschehen, vnd ein überauß greuliche vnd blutige
Schlacht einander geliefert haben. Alles mit sondern
fleiß verfasset in vnterschiedliche drey Bücher. Gantz
kurtzweilig zu lesen. Gedruckt zu Muckenthal bey
Ameißhoffen. Im Jahr 1600".
Auf dem Titelblatt über der Angabe des Druckorts sind
in einem Holzschnitt die beiden feindlichen Könige dargestellt,
^) Diese Ausgabe ist. Ooedccko auch unbekannt. Vergl. Bd. JI, S. 402.
225
wie sie auf anderen Insekten beritten mit krummen Säbeln
auf einander losgehen.
Wo diese aus 116 Seiten Oktav bestehende Ausgabe
erschienen ist, bleibt dunkel, der umstand, dass ihr auf der
Wolfenbütteler Bibliothek befindliches Exemplar mit einem
andern bei Schmuck erschienenen Buche (Frey's Philargyrus
ecclesiastae oder der Geldmann) in einen Band in ein Blatt
eines geschriebenen Evangeliars zusammen gebunden ist, lässt
gewiss nicht den Schluss zu, dass der Druck dieser Ausgabe
von Schmuck erfolgt sei, der fast stets bereit war, sich als
Drucker anzugeben. Wir werden uns also damit bescheiden
müssen, dass wir nicht wissen, wer diese Ausgabe bewirkt
hat. Wenn Schnurr nach einer ungenauen Mitteilung
eines Bücher-Katalogs der Ostermesse von 1611 noch einer
anderen Ausgabe des Gedichts gedenkt, ohne Angabe des
Druckorts und der Jahreszahl, so möchte dies, wie schon
Gent he darlegt, eine irrtümliche Annahme sein.
Der gedachte Balthasar Schnurr von Land-
siedel hat dann 1612 zu Strassburg eine — auf der Biblio-
thek zu Wolfenbüttel befindliche — Umarbeitung des Mücken-
kriegs unter dem Titel:
„Ein schönes Gedicht, der Ameisen- und Mucken-
krieg" u. s. w,
angeblich nach Fuchsens Manuskript herausgegeben, und
endlich wurde das Gedicht von Huldreich Wohlgemut
in seinem 1625 zu Frankfurt a. M. erschienenen Werk:
„Newer vnd vollkommener Esopus" wieder abgedruckt. Dann
folgten die Schrecken des 30jährigen Krieges, die alles deutsche
Leben erstickten, und erst die Freude am Wiedererwachen
des deutschen Vaterlandes nach den Freiheitskriegen brachte
das Gedicht durch Gent he wieder zur Auferstehung, der
es nach der Ausgabe von 1600 selbständig im Jahre 1833
herausgab und 1846 seiner Ausgabe der deutschen Dichtungen
einverleibte, während J. G. Büsching die Schnurrsche Um-
arbeitung 1806 zu Leipzig erneuert herausgegeben hatte *).
*) Ooedecke a. a. 0. S. 610.
N. F. Bd. XXIII. 15
226
Die Erfindung des Gedichts rührt nicht von Fuchs
her. Er sagt selbst in der „Vorrede an den Leser":
„Dieser Krieg ist vor vielen Jharn
Anfangs von eim beschrieben worn
Der sich genannt Cocalium,
Mit einer art der Carminura,
Drinn er vermischt Welsch mit Latein.
Wie dieser Verß bey vns mag seyn":
(Hie jacet in Dreckis qui modo Reuter erat.
Oder:
Hei mihi Strassburgum quod non queo
schauuere turnum,
Cumque bovis quod non possum zechare
Gesellis.)
Den hab ich nach möglichem fleiß
Verändert vnd auf meine weiß
In teutscher sprach Reimen gebracht.
Hab ich jn nicht also gemacht
Daß er mög jedermann gefallen,
Hab ichs doch guter meinung allen
Zu angenemen dienst gethan,
Die jren lust bißweilen han
Solche kurtzweilige gedieht
Zu lesen. Acht mich auch verpflicht,
Das gering pfündlein, welchs mir Gott
Genediglich verliehen hat,
Mitzutheilen, nicht zu vergraben,
Damit man dessen nutz mög haben.
Der ursprüngliche Bearbeiter des Stoffes ist Teofilo
Folengo (Merlinus Cocajus, geb. 8 Nov. 1492 zu
Cipada bei Mantua, gestorben 9. Dezember 1644 im Kloster
Sta. Croce in Campese bei Baseano und das Gedicht unter
dem Titel Moscheis, wie Genthe annimmt vor 1517, heraus-
gab ^). Dies Werk hat Fuchs vorgelegen, und er hat es in
*) Oaspary II, S. 522, 525; Genthe S. 5. Gaspary giebt keine
Jahreszahl für das Erscheinen dieses Gedichtes an. Folengo^s Gedicht
ist in niakaronischen Versen verfasst.
227
freier Bearbeitung ins Deutsche übertragen. Er nennt sich
auf den Titelblättern der bei seinen Lebzeiten erschienenen
Ausgaben nicht, und ebenso verhält es sich mit der Ausgabe
von 1600; nur die mitgeteilte Vorrede an den Leser ist mit
den Buchstaben H. C. F. unterzeichnet. Dennoch aber ist
es nie einem Zweifel unterworfen gewesen, dass er der
Dichter sei, und Schnurr vonLandsiedel bezeichnet
ihn ganz ausdrücklich in der Vorrede zu seiner Bearbeitung
als den Dichter, indem er als Titel der in seine Hände ge-
langten Handschrift angiebt : „Der Eymmeisen vnnd Mucken-
krieg, sehr Kurtzweilig zu Lesen. Beschrieben durch Hanß
Christoffen Fuchs, den Eltern, in Wallenburg vnd Armschwang,
Equitem Francum P. m.
Das Gedicht ist in drei Bücher eingeteilt, deren Inhalt
Fuchs folgendermassen angiebt:
In diesem Ersten Buch rüst sich
Der Mücken Heer zum Amaißkrieg,
Die jhnen groß schaden vnd höhn
Bewiesen hatten. Auch kompt an
Der Roßfliegen, Weinmücklein, Brämen
Vnd Schnacken hülf. Die hauffen nemen
Ihren Heerzug für über Meer,
Segeln mit gutem W^ind daher.
Im andern Buch da rüsten sich
Gleicher gestalt mit gewalt zum krieg.
Die Amaisen, vnd kommen jnen
Die Wantzen, Leuse, Flöhe vnd Spinnen
Zu hülff. Auch greifft die Mucken an
Zu meer ein schreckliches Fortun.
Kommen doch endlich an zu land,
Schleiffens schloß Atricos genant.
Belegern auch Crappa die Stadt
Vnd weil dieselbig mangel hat
An Proviant, kommen viel W^ägen
Voll speis vnd tranck jn zu, dagegen
W^ird Mustibibax der Held geschickt,
Daß er dieselb der Stadt abstrickt,
15*
228
Daß jm zwar nicht viel guts gebirt,
Denn er darob gefangen wird.
Siccaboron der wilde Knab
Thut mit den Flöen ein feine prob.
In der Stadt kömpt ein Meuterey
An tag, vnd ruckt mit gewalt herbey
Mit den Amaysen der tewre Held
Granestor, vnd legt sich auch zu feld.
Myrnura beut Siccaboron
Einen kampff an, der wil nicht dran,
Veracht jn, willigt daß ein Schlacht
Den Krieg zu richten wird verbracht
Im dritten Buch werden verbracht,
Etlich Scharmützel vnd eine Schlacht,
Bederseits ficht man ritterlich,
Vnd steht lang im zweiffei der Sieg,
Bis endlich Granestor das Feld
Vnd die Victoriam erhelt.
Sanguiler mit sein Bundsgenossen
(Scamacaballen außgeschlossen.
Welcher dringt durch der Spinnen netz
Die sie gericht hatten) zu letzt
Bleibt tod. Siccaboron der Held
Lang in der Stadt zu wehr sich stellt.
Darin er was thörlich gerennt.
Doch endlich auch sein leben endt.
(Ausgabe von 1600 S. 6, 48 und 85).
Die Ortsnamen und die Haupthelden der Dichtung haben
sämtlich aus dem Leben der kämpfenden Insekten abgeleitete
Namen. Alle Ereignisse des Krieges sind mit grossem Humor
geschildert, der durch das Eingreifen der Götter des Alter-
tums und die Vergleiche mit der zeitgenössischen Kriegskunst
wesentlich erhöht wird. Die in Folengo's makaronischen
Versen liegende Komik verschwand allerdings in der einfach
deutschen Bearbeitung des Stoffes durch Fuchs. Kurtz
mag nicht Unrecht haben, wenn er den wesentlichen Grund
zur Beliebtheit und Verbreitung des Gedichts, auf den wir
229
aus den verhältnismässig rasch auf einander gefolgten Aus-
gaben schliessen dürfen, weniger in den poetischen Vorzügen
des Werks als in dem damaligen Geschmack an den Ge-
schichten aus dem Tierleben findet. Näher auf die Dichtung
einzugehen, ist hier nicht der Ort, da sie ja jedermann in
den Gent besehen Ausgaben zugängig ist.
Nur der Vollständigkeit wegen mag noch erwähnt werden,
dass Franck in der allgemeinen deutschen Biographie Fuchs
noch ein drittes Buch zuschreibt, das nach dem auf der
göttinger Bibliothek aufbewahrten Exemplar den Titel führt:
„Kunst- vnd Wunderbüchlein, darinnen allerhand
nützliche Sachen vnnd Kunststücke, verfasset vnd be-
griffen",
ein Buch, das im 17. Jahrhundert vielfach als Haushaltungs-
buch benutzt worden sein soll. Woher Franck die Über-
zeugung ableitet, dass Fuchs das Buch verfasst habe, ist
mir nicht gelungen festzustellen. Der Titel der göttinger
Ausgabe lautet nämlich weiter :
„Itzunder wieder vfs neue sehr verbessert, vermehrt,
auch mit einem nützlichen Register gezieret durch
Balthasarum Schnurren von Landsiedel,
Frankfurt a. M. 1631",
und es ist zwar daraus zu schliessen, dass wir es mit einer
späteren Ausgabe des schon früher erschienenen Buches zu
thun haben, aber es erhellt weder aus der Fassung dieses
Titels noch aus irgend einer sonstigen Bemerkung Schnurrs,
dass er auch hier ein Werk unseres Fuchs neu bearbeitet
wieder auflege, während er dies doch bei seiner Ausgabe des
Mückenkrieges thut. Wir werden daher nicht berechtigt
sein, dies Buch Fuchs zuzurechnen, doch mag darauf hin-
gewiesen werden, dass es folgende Abschnitte enthält:
1. Die Zubereitung von mancherlei Konfekten, Fisch-
und Vogelfang, Wein-, Essig- und Bierbüchlein.
2. Kochbuch für Kranke und Gesunde.
3. Gartenbuch.
4. Probierbüchlein auf Gold, Silber und Metall mit
vielen alchemistischen Künsten.
230
5. Arzneibuch.
6. Frauenbuch.
7. Mahlerbüchlein.
8. Rossarzneibüchlein.
9. Wunderbuch.
Anlagen.
I. Durchleuchtiger, hochgeborner Fürst, Eurn fürstlichen
genaden seind mein vnterdenig dinst zuuor genediger Herr,
E. F. G. haben mir schreiben lassen, als seit ich einen newen
Hamer vnd wehr in der vogtei zw Hernpreittungen in Eur
F. G. oberkeit gebaut vnd gemacht haben und das alles hab
ich mit merherm inhalt vnterdeniglich vernomen vnd gebe
hirauf E. F. G. zw erkennen, das ich vor dreien jaren einen
Hamer in der awe on mitel vff meinem grundt vnd Boden
so gen Wallenburgk gehört gebaut auch mein wasser die
Lautenbach genant vflF solchen Hamer geleit habe, vnd damit
in eur fürstlich g. Oberkeiten gar nit gegriffen, auch solchs
alles in die Vogtej gen Hernpreittungen nit gehört. Das aber
dem also so mage ich solchs zw Recht genug darthun, auch
der wegen E. F. G. neun Roth vermege des heiligen Reichs-
ordenung rechtlich vmb leiden, vnd bith darauf E. F. G.
die wollen mich on Recht nit entsetzen noch beschweren
lassen das wil ich vmb E. F. G. vnterdeniglich zw verthinen
willig sein. Datum Walenburg Donnerstags nach circum-
cisionis dominj Anno etc. xxxviij.
E. F. G.
vnterdeniger
Cristoff Fuchs ritter
zw Wallenburgk.
Auf der Aussenseite des Briefes als Adresse steht:
DEm Durchleuchtigen Hochgebornen Fürsten vnd Herrn
Herrn philips lantgraue zw Hessen graue zw Catzenelpogen
etc. meinem genedigen Herenn.
231
II. Wolgebornne Edele gestrennge vnd ernueste g. liebe
Herrenn vettern Oheim Sweger vnd freunndt. Ich gib euch
hiemit diese meine anlygunde beschwernus vnd gewalltsame
hanndlung . so mir vonn dem Abbt zu Prayttingen . vnnd durch
des durchleuchtigenn Fürsten meins g. herrenn des Lanndt-
grauen zu Hessen . Amptleut vnd Renndtmeister zu Schmal-
ckaltten . begegen. Dann vber das ich mich allezeit zu
ordennlichem Rechtenn, auch mich nach vermög des heyligen
Reichs Ordnung . auff hochgedachts meins g. herrn des Lanndt-
graffen zu Hessen aigen Redt, zu recht erpotten habe. Vnd
darzu sunderlich wider die jetzt Regirennde Römische Kayser-
liche Maiestat . vnnsers allergnedigisten herrn mir gegeben
schütz . schirm vnd freyhaitten etc. haben der Abbt zu
Prayttingen . vnd meins g. herren des Lanndtgrauen zu
Hessen Amptleut zu Schmalckalltten dem Friedtbotten oder
gerichtsknecht zu Prayttingen in mein gerichtparkeit, so an
mittell gein Wallenpurg gehört . inn das Dorff Awe geschickt
vnd daselbs allen meinen vnndersassen vonn Hauß zu haus
mit dem stabe zum Halßgericht gein Praittingen gewalltsam
gebietten . auch mir einen Armen aus meinem gericht Wallen-
burg nemen lassen , sollichs ist vorhinje mer gehört noch
bescheen. Sy haben auch solichs zuthuen, weder fuegs noch
Rechts. Dann die Awe gehört an mittell in das gericht gein
Wallennburg. Das zeuge ich mich auff brieffliche vnd annde
glaubwirdige vrkhunt.
Zum Anndern so vnndersteet sich der Abbt zu Prayttingen
vnd weist seinem öbermullner zum herges dohin, der schlicht
vnd laytt das wasser die Luttenbach genant aus dem rechten
erbfluss auff sein neulich gepautte müU . alles zu schaden
vnd mercklichem nachteyll . mein vnd meiner hinderses^enn ,
hemmernn vnd plaßwerch in der Awe . vnangesehen . das
solcher wasserfluß mein ist, vnd gein Wallennburg gehortt
denn auch mein vorfaren vnd hindersessen in der Awe all-
wegenn vnd lennger dann hundert Jar vff jr hemmer vnd
plaßwerkh genutzt vnd innen gehabt haben.
Zum Dritten hatt der Abbt zu Prayttingen sich aigen
gewalts vnnderstanden vnd hatt neülicher zeitt seinen Frydt-
232
potten oder gerichtsknecht zu Prayttingen inn sein Dorfi
zum herges geschickt. Derselbis Frydtpott hatt aus Beuelch
des Abbts die gemayn zum herges mit wherennder hanndt
zu sich genomen, sindt also freuenlich vnd gewaltsam in mein
Fischwasser ganngen, haben das wasser abgeschlagen . vnd
mit aigenem gewallt darinnen gefischt ires gefallenns.
Zum Vierten so hat der hessisch Amptman zu Schmal-
ckhalltten durch ein gemein zum herges, mir ein wheer in
meinem wasser zerhawen lassen, vber das ich meines g. herrn
Lanndtgraff zuuor selbs geschriben vnd für gewallt gebetten
vnnd mich des wasserfluß vnd weers halben auff seiner Fr,
g, aygen Rette zu recht erpotten habe zu beweysen das
solichs gein wallennburg gehöre vnd mein sey.
Zum Funfften so vnnderstett sich der Hessisch Ambt-
man zu Schmalckalten, gibt auch für, er hab das vonn seinem
g. herrn Landtgraff beuelch . vnd will auch den hohen
wylldpant vnd gejaidt auff den Wallenburgischen hölltzern
haben . lest allso mit gewalt stellen, jagenn vnd schiessen
welichs vor nye mehr gehört noch bescheen ist, sonnder
solcher klein vnd grosser wylldtpant gehört an mittell gein
wallennburg . vnd steet mir zue. Das erpeitt ich mich mit
briefflichem vnd anderm vrkhunden zu belegenn vnd zu-
beweysen.
Zum Sechsten so vnndersteen sie sich meins g. herrn des
Landtgraff Rendtmeister, vnd Amptman zu Schmalckhalltten,
vnd lassen in meinem forenn wasser oben bey dem hohen
stein ann der Prottröder marck in meinem wasser Luttenbach
genant, so gein Wallennburg gehört . vischen vnd wollen
mich mit gewallt also aus meiner Poseß vnd gewher dauon
tringen . vber das ich mich der vnd aller obgemelltter Sachen
halb zu ordennlichem Rechten vnd zum vberfluß vff meins
g. herrn des Lanndtgrauen zu Hessen aygen edell Rett, nach
Innhallt des Reichs Ordnung zu Recht erpotten habe. Darumb
ist ann Euer gnad vnd euch mein diennstlich vnnd freuntlich
Biett, die wollen bedencken vnd beweegen was heut an mir,
morgenn eins andern sein mag, mich als einen bey euch
mitianerben gegen hochgedach. meinen g. herrn dem Lanndt-
233
graffen zu Hessen etc. verschreiben vff das sein Fürstlich gnad,
angezeigtenn gewallt vnd newerung bey dem Abbt zum
Prayttingen vnd bey jrenn Amptman vnd Renndtmeyster zu
Schmaickhalltten forderlichenn abschaffe , vnd mich bey ge-
thanen Recht erpitten bleyben . vnd darüber mich meiner
Possess vnd gewher am Recht nit entsetzenn beschweren noch
betrueben lassen. Das will ich umb Euch als umb mein
g. liebe herrn vettern Oheim Schwegern vnd Freundt
diennstlich vnd freuntlich verdiennenn. Datum Monntag nach
sännet Matheus des heyligenn zwelffpotten tag Anno etc. xxxviij,
gez. Cristoff Fuchs zu
Wallennburg Ritter etc.
Als Adresse auf der Aussenseite des Briefes steht:
Dem Wollgebornnen Edellenn Gestrenngenn vnd Er-
nuestenn Burgkhgraffen, Pawmeyster gekornn, vnnd gemeinenn
das Schloß zum Rottennberg meinem g. lieben Herrenn
Vettern Öheim Schwegernn vnnd Freunnden.
HL Durchleuchtiger Hochgeborner Fürst E. F. Gnaden
seien mein vnderthanige gantz willig vnd gehorsame Dienst
jederzeit zuuor, gnediger Herr, Ewern F. gn. soll ich vnder-
thanig nit vnuermeldet lassen, wie mir itzo anzeigt worden,
dass der durchleuchtig hochgeborn Ertzhertzog Ferdinand
zu Osterreich, in sehr kurtzer zeytt, in die Graffschafft Tirol
sich begeben, vnd dieselbige Landschafft als nunmehr die
gepur erfordert einnemen vnd die vnderthanen in huldigung
nemen wolle,
Dieweil nuhn itzige Ihrer f. gn. furgenomne Raiß disses
orths erstmalß, auch eben zu vfnemung dero vnderthanen
beschicht, so will mir souiel desto mehr gepurn, nit (mit?) meyner
persohnlichen gegenwurtigkeit auch allda zusein. Wan aber
E. F. G. meyner vnderthenigen gethanen erpietung, ich mich
noch wol zuerindern, aber dabeneben auch waiß, daß dieselben
mich deßwegen vß angeregten vrsachen, disfalß gnedig end-
schuldigt haiton werden. So gelangt an dieselb mein gantz
vnderthanig pitt, die wollen, daß ich itzo dißmalß meinem
vnderthanigen erprieten, gleichwol wider mein verh(offen?)
234
nit gnug thun khonden, deßwegen mich gnedig aber da-
beneben nichts weniger, für Ihren vndertheniger diener end-
schuldigt halten, do mir auch solches als obgemelt nit fur-
gefallen sollen E. F. Gn. für gewiß halten, daß ich meiner
zusag nit wolte zuwider gethan haben, welches also E. F. G.
welcher ich mich zu gnaden vnderthanig befehlen thue, ich
nit verhalten sollen, Datum Heydelberg den 25. Octobris
Anno etc. 65.
E. F. G.
Vnderthanig
gantz williger
gez. Cristoff Fuchs Ritter.
Auf der Außenseite des Briefes als Adresse stand :
Dem durchleuchtigen Hochgebornen Fürsten vnd Herrn,
Herrn Ludwigen Landtgrauen zu Hessen, grauen zu Catzen-
elenbogen Dietz Ziegenheim und Nidda, meinem gnedigen
Herren.
IV. Durleuchtiger hochgeborner Fürst gnediger Herr,
E. F. G. seyen mein vnnderthönig willig dienst in aller gehorsam
berait. Gnediger Fürst vnnd Herr, ich zweyfel nit, mein vnder-
thönig schreyben vnnd endtschluldigung (sie) warumben bey
E. F. G. ich mich nit erzaigt, sey E. F. G. geantwurt worden .
vnd wiewol mein gnediger Landtsfürst Ertzhertzog Ferdinandt
derselben zeit, vnnd seydher, in Tyrol nit ankomen, hette
ich woll lenger fischen vnnd jagen helffen mögen vnnd bin
bißhero bey meinem gnedigen Fürsten vnnd Herrn, Hertzog
Christoflf zu Würtembergk in großen genaden auflfenthalten
worden, vnnd jetz jüngstlich verhoflft, mein auch gnediger
Herr Hertzog Eberhardt wurde gain Augspurg ankomen sein,
wolt ich mich bey lerer F. G. zugeschlagen vnnd bey der
Haimfiirhrung vnnderthönig auflfgewarthet vnnd selbst bey
E. F. G. entschuldigt haben, dan ich in vnnderthänigkait
sondern lust gehabt, mit E. F. G. geliebten Herrn vatter
vnnd gebrüedern in vnnderthönige kundtschafft zu komen .
auch meine ob vnnd anligen, dorein ich durch die Hoch-
geschornen vnbillich gefüerth, gehorsamlich vertrauet. Dieweil
235
es sich aber jetz nit schicken, hoff zu dem allmechtigen ich
E. F. G. werden disen Reichstag auch besuchen, will ich
mich vnnderthönig erzeigen, wo E. F. G. ich als ein armer
vom adel sampt dem gantzen Hauß Hessen in einicherley
weg gehorsamlich dienen köndt, solle ich auffrecht, treuw
vnnd willig befunden werden. Dem allmechtigen lieben Gott
E. F. G. mich derselben vnnderthönig beuelhendt.
Datum Elping an der Thonaw den 16. Januarii anno etc. 66.
Euer fürstlich Genaden
vnderdeniger Diener
gez. Cristoff Fuchs, Ritter.
Auf der Aussenseite des Briefes als Adresse stand:
Dem Durchleuchtigen Hochgebornen Fürsten vnd Herrn,
Herrn Ludwigen, Landtgrauen zu Hessen, Grauen zu Katzen-
elenbogen, Dietz, Dügenhaim, Nidda, meinem gnedigen Fürsten
vnnd Herrn.
V. Rector o celsi sapiens olympi,
Fortis immensi dominator orbis,
Qui moves solo simul et coerces
omnia nutu.
En negat mundo sua Titan ora,
Moestos obvelat vasa luna vultus,
Ecce, contristant tencbrosa fumis
Nubila coelum.
Auster insurgit nebulosus Euro
Et Notus, fulgur tonitruque miscens,
Crebrius justo furit inde fundit
Aetheris imbres.
Es quidem nostris, merito fatemur,
Es lacessitus viciis ad iram,
Frena vindictae cohibe sed alti
Rector olympi.
Siste grassantem pluvialis Austri
Et Noti tristis rabiem, precamur,
Crebriores atque minacis Euri
Siste procellas.
236
Luna fac, nobis latitans, serenos
Monstret ut vultus, tenebras repelle,
Atque pandat, phoebiis radiis rednctis
Rideat aether.
Ne suis fruges pereant in herbis
Aut Ceres nobis neget alma victum
Humor aut crassus vicium salubres
Spargat in auras.-
Sic tibi reddet Pater alme grates
Corporis nostri vigor omnis et te
Sic vehet totus meritis ad astra
Laudibus orbis.
VI. Psalmus I. Beatus vir, qui non ambulat etc.
Felix, cum coetu qui consultare malorum
Non gaudet, nee amat dogmata falsa sequi :
Non tenet a legum declinans tramite turbae,
In scelerum quae se sorde volutat, iter:
Nee derisorum sedet ad subsellia sannae,
A qua relligio luditur atque Deus :
Sed cupide verbo divino semper adhaeret,
Ruminat et leges nocte dieque Dei.
Dixeris bunc similem palmae, quam sevit amoeni
Fluminis in viridi margine docta manus :
Quae fert optatos maturo tempore fructus,
Nee perdit Boreae turbine quassa comas.
Sic pius, e Domini qui pendit lege, vigebit,
Sentiet et coeptis fata secunda suis.
Non ita divini gens impia nescia verbi,
Sed levis infelix pulveris instar erit:
Quem volucri gyro rapidi violentia venti
Verrit, et in certo non sinit esse loco.
Sic etenim flatu divinae agitabitur irae
Impius, ut nusquam firmiter esse queat.
237
Mille reus scelerum causa cadet ante tribunal.
Nee poterit salvos inter habere locum.
Vt Deus acta boni novit, regit atque secundat,
Sic, quem perdet, opus reddit inane mali,
Psalmus XIX. Coeli enarrant gloriam Dei.
Quanta sit aetherei, si nescis, gloria regis,
Disce, renidentis quid testificentur olympi
Culmina tot flammis, quid opus mirabile dextrae
Praedicet artificis, quo non sapientior alter,
Fabrica convexo nutantis pondere mundi.
Inde quid ista manus possit, quae talia fecit,
Cognosces. Vice perpetua quia cuncta revelant
Facta stupenda Dei: simulac sol surgit ab undis,
Luci, quam revehit, Domini miracula prodit,
Hesperus haec eadem non cessat pandere nocti
Venturae, quoties caput effert cincta tenebris.
Hos idioma suae linguae gens quaelibet audit
Edere. Telluris non est habitabilis ora,
Tensilis ipsorum quam non contingat amussis:
Extremis horum voces in finibus orbis
Aetherii referunt oracula coelica regis,
Splendida qui roseo posuit tentoria Phoebo
In rutilante domo coeli, de qua, velut exit
E thalamo sponsus gemmis auroque decorus,
Exerit optati radiantia lumina vultus:
Et ceu fortis, et ad cursum velut impiger heros
Ardet praefixam metam contingere, gaudet
Sic iter aethereum volucri percurrere rheda.
Surgit ab extremo rubicundi margine coeli,
Tingit et Hesperiis se tandem sessus in undis :
Interea torret ferventi lampade mundum,
Ipsius atque potest nemo evitare calores.
Lex est pura Dei, recreatrix pectoris aegri,
Ignarus sermo divinus fallere terras
■ 238
Erudit indoctosy et iniqui nescia maicent
Laeticia moestas mentes praecepta tonantis,
Lucida divini verbi mandata recludunt
Lumina caeca : timor Domini mundissimus ullis
Aeternis etiam non est variabilis annis,
Tempus in omne pios scrvans: Decreta nee unquam
ludicis aetherei cedunt ä tramite veri
Norma et iusticiae, sunt nobiliora rubente
Auro, sunt gemmis potiora micantibus, ater
Quas in Erythraci legit Indus littore ponti,
Thesaeum superant mira dulcedine neetar,
Et vincunt horti Siculi quae mella ministrant.
Haec infixa meae mentis penetralibus imis
Totum curriculum vitae decreta gubernant.
Et certe statuo: haec qui custodiverit, ipsum
Praemia praesentis vitae numerosa manere,
Nee non perpetuae dulcissima numero pacis.
Ah quis scire potest quoties delinquat et erret?
Quod tectum latet, ergo Deus tu dilue crimen.
Fac ne regna mei sibi caeca superbia cordis
Vendicet: a scelerum rigida sie compede per te
Liber ero, sie delicto mundabor ab omni.
Pacato placeant nostrae tibi carmina linguae,
Inque sinu tacito quae mens mea vota volutat,
Deus adintor mens, o spes certa salutis.
Psalmus LVII. Miserere mei Deus, miserere.
In te spem firmam posui, Moderator olympi,
Tu miserere mihi.
Donec fortunae tempestas transeat, alae
Me tegat umbra tuae.
Te compello^ fides cuius mihi rebus in arctis
Cognita saepe fuit
Te compello, poli qui me de sede tueris,
Et mihi mittis opem
239
In Caput antoris qui probra retundis, et hostis
Conteris ora mei:
Qui te munificum promissorumque tenacem
Omnibus esse probas,
Inter enim rabido metuendos ore leones
Tristis et exul ago.
Sunt hominum mentes mihi flammae, saeva stupendis
Quas ciet ira modis.
Sunt hastae dentes et spicula, lingua sed ensis
Cuspis acuta mihi.
Se tua maiestas celsi super aetheris orbes
Elevet, alme Deus:
Et tua terrarum fiat manifesta per omnes
Gloria summa piagas.
Hostis composuit mihi casses, unde tremiscit
Mens me quassa metu:
Et fodit foveam, sed in illa denique talpa
Gaecior ipse ruet
Jam mea mens gestit, iam gestit mens mea laetis
Te resonare sonis.
Evigila, citharam cape, corripe nablia, ultae
Gloriae musa meae.
Ad iubar exurgens aurorae carmine dulci
Astra ferire Übet.
Teque patrem rerum cantu celebrare per orbis
Glimata cuncta meo.
Nam superat coeli bonitas tua culmina, nubes
Inviolata fides.
Se tua maiestas celsi super aetheris orbes
Elevet, alme Deus:
Et tua terrarum fiat manifesta per omnes
Gloria summa piagas.
Psalmus CXXI. Levavi oculos meos ad montes.
Rebus in adversis mea lumina sublevo culmen
Ad editorum montium :
240
Pectoris ande mei certam sperare salatem
Andax solet fidacia.
Aaxiliam venit a Domino mihi, cnias olympas
Globnsqae terrae sunt opus.
Quid stolide trepidas? non ille labare tuorum
Pedum sin et constantiam.
Sive die laxatur humus, seu sidera lucent,
Qui te tuetur, excubat.
Isacidum cnstos nunquam dormitat, inerte
Nunquam sopore vincitur.
Te curat superum Rector, tibi dexter adhaeret,
Te sicut umbra contegit :
Ne te 8ol medius tenues dum contrahit umbras
Caloris urat spiculo:
Nee te nocte maus implens humoribus artus
Te laedat unquam Cynthia.
Sit tibi Rex divüm defensor rebus in arctis,
Vitae tuae sit parmula.
Perpetuosque tuum coeptum finemque per annos
Domi forisque prosperet.
Psalmus CXni. Laudate pueri Dominum.
Addicti superum patri puelli,
Addietae superum patri puellae,
Laudes unanimi sonate metro
Uli, cui famulatur arx olympi.
Ad cuius tonitru treraiscit orbis,
Eius laudibus elevate nomen.
Nomen magnificum Dei canatur^
Vulgetur, celebretur, invocetur,
Telluris rudioris a iuventae
Annis orbis ad ultimam senectam.
Quas torret calor aestuans ab Indis
Oris Hesperios adusque fluctus,
Non cessent numeris potentiores
Augustum Domini souare nomen:
241
Nee laudes Domini tenellulorum
Lactentum celebrare cesset aetas.
Nam reges supereminet potentes,
Ingentes dominatur unus omnes:
Et tranat rutilae beatiorum
Sedis culmina gloria perenni.
error malesane caecitatis
Humanae, pietatis error expers,
Quem nostro similem Deo Deorum
Nüsti sideream domum tenenti?
Occultat nihil amplitudo codi.
Nil tellus varias habens latebras,
Nil ponti, nihil aeris recessus,
Infernae nihil occulunt tenebrae,
Hie quod non oculos habens acutos
Cernat multiplices poli per arbes.
Coelestes animis potentiorum
Non de more domos perambulantes,
Sed de pulvere sublevare gaudet
Despectos, humiles et exulantes:
Et de stercore foetido misellos
Erexisse solet pater benignus.
Hos fidos sibi cognitos ut inter
Primates populi sui reponat.
Vitam quae sine prole tristiorem
Multos foemina traxerat per annos,
Hanc examine garrulo tenellae
Prolis laetificat facitque matrem.
Psalmus CXXV. Qui confidit in Domino.
Ut rupem validam sacrae Sionis
Non vi brat glomerans notus procellas,
Non nigris movet udus Auster alis.
Nee pennae quatiunt furentis Euri:
Sic spes in Domino suas locantes
Nunquam sors malefida, sors sinistra,
N. i\ Bd. XXIII. 16
242
Nunquam vis strepitans potentiorum,
Nunquam casus atrox loco movebit.
Ut sanctam Solymen perarduorum
Moles undique montium recingit:
Sic Rector superüm suum popellum
Ginget, donec erit dies et annus.
Non semper dominatio malorum
Regum progeniem premet piorum:
Ipsius labefacta rebus arctis
Ne mens a patre coelitum recedat.
Fac illis bene, fac eos vigere,
Rex divüm, tibi qui student placere:
Verum quos iter avium libido
Pravorum facit ambulare morum,
lUos annumeret Deus scelestis,
Illos permaneant acerba fata.
Sed gens Isacidum serenitate
Pacis non violabili fruatur.
Psalmus CXXVIII. Beati omnes^ qui timent Dominum.
Beatus ille, qui veretur inclytum
Coelestis aulae principem
Vitae rebellis sanctionum regulae
Impuritate laedere :
Et eius e durente recta ad aethera
Exorbitare tramite.
Haec quisquis es qui feceris, qui fixeris
Haec mentis in recessibus:
Paterna rura bobus exercens feres
Labore digna praemia:
Et farris affluentia turgescere
Tuum videbis horreum.
Divina te benignitas successibus
Beabit optatissimis :
Dabitque suaviter labore coramodis
Partis honesto perfrui.
243
lucunda te et foecunda te consors thori
Reddet parentem saepius:
Cum vite certatura, foeta plurimis
Quae pampinis et uvulis
Diffundit omne per latus domus tuae
Decus suum mirabile.
Quot explicat parens olivae Palladis
Arbor tenellos termites :
Tot pignorum tecum dapes sumentium
Te cinget ordo garrulus.
Hac affluit felicitate, quem iuvat
Timere regem coelitum.
Ex arce qui Sionis amplitudine
Te prosperabit gratiae:
Cernas ut ipsi dedicatae sospites,
Dum vivis, urbis incolas.
Dabit tibi seni tuae propaginis
Seros videre liberos:
Et inclytos frui nepotes Isaci
Pacis serenae commodis.
Psalmus CXXXIII. Ecce quam bonum et quam
iucundum.
quam piis iucunda, quam res utilis
Est amor et placidam pacem colens concordia
Horum, pari fraterna quos coniunctio
Sive fides eadem connexuit ligamine.
Tarn candidis probabili concordiae
Cedit odore liquor felicis ille balsami:
(Juod ex Aaronis sacrato vertice
Defluit ipsius et barbam togamqae proluit.
Ut ille res, quem fundit in Sionia
Pascua mons Libanus, facit virere gramina.
Sic has domos, quas incolit concordia,
Prosperat atque facit vigere Rector aetheris.
16*
244
Psalmus C. Jabilate Deo omnis terra.
iabilate maximo
Telluris incolae Deo,
Eiusque puri numini
Scrvite puris cultibus.
Non turbidi, sed gaudio
Ovante mente, frontibus
Et explicatis sistite
Vos ipsius conspectui.
Omnes boni cognoscite,
Quod hie sit unicus Deus,
Quod nemo sit vitae suae
Autor, sed hie nos iinxerit:
Quod hie levi de pulvere
Terrae creatos feeerit
Gentem suam nos unieam,
Ovesque paseuae suae.
Ergo Israeli perviae
Intrate templi ianuas
Donisque debitis Deo
Deo referte gratias.
Hymnis eanoris atrium
Beplete templi, eanticis
Gratis, et amplis ipsius
Cantate nomen laudibus.
Benignus est enim Deus,
Eiusque magna lenitas
Fidesque paeti foederis
Finem vicesque neseiunt.
245
Psalmus LXXV. Confitebimur tibi Deus.
Extollimas te laudibus,
Te laudibus Rex tollimus
Aeterne, prodimus tuae
Stupenda facta dexterae.
Nam sapplicum malis taum
Votisque praesentissimum
Est numen, in discrimine
Promptissimum succurrere.
Haec intonas oracula:
Statuta quando tempora
Illuxerint; aequissimam
Iudex feram sententiam.
Quassabit orbem tum tremor
Et eius incolas pavor:
Sed non cadent fundamina
SufiFulta nostra dextera.
Elata fastu pectora
Hortabar alta cornua,
Et impios potentiae
Fidnciam deponere.
Quid arrogans o Spiritus
Tuis superbis viribus,
Cristas quid altus erigis,
Quid ore coelos impetis?
Furis, quasi periculi
Nihil timendum sit tibi
Ab orbe saevi Circii,
Euri, Noti, vel Africi.
Scito, quod arbiter Deus
Sit iustus: illum coelitus
Ex plebe tollit infima
Trudit sed hunc ad tartara.
246
Forti Lyaeo dextera
Tenet referta pocula,
Ex bis bibenda candidis
Dat summa, feces improbis.
Sed ipse Jacobi Deo
Landes canam ter maximo:
Bonis et invisissima
Frangam malorum cornua:
Emergat nt potentia
Amantis aequi corrnta,
Invicta virtns nt suum
Decus resnmat perditnm.
V.
Landgraf Wilhelm lY. von Hessen
und der niederländisehe Aufstand bis zum
Tode Wilhelms von Oranien.
Von
Archivar Dr. Ribbeck.
^Ife leuchtender das Verdienst ist, welches sich die helden-
'fß mutigen Sprossen des Hauses Nassau um die Befreiung
der Niederlande vom spanischen Joche erworben haben, ein
desto düsterer Schatten fällt auf die andern deutschen
protestantischen Fürsten. Sie schauten thatlos zu, wie diese
herrlichen Lande von den Spaniern bedrückt und verheert
wurden, und haben es an ihrem Teile mit verschuldet, dass
jene dem Reiche auf immer entfremdet wurden. Eine Aus-
nahme machen fast nur die Angehörigen des pfälzischen
Kurhauses, Kurfürst Friedrich der Fromme und seine Söhne :
Christoph, der auf der Mooker Heide sein junges Leben für
die Sache der Freiheit dahingab und Johann Casimir, dessen
Verhalten gegenüber dem Aufstande indess von Schwankungen
nicht frei geblieben ist. Fast das Gleiche gilt von dem
freilich viel weniger thatkräftigen Landgrafen Wilhelm IV.
von Hessen, der den nassauischen Brüdern unter allen
damaligen Fürsten vielleicht am nächsten stand. Ist doch
von neueren Geschichtsschreibern gerade aus diesem Anlass
der Vorwurf der Doppelzüngigkeit gegen ihn erhoben worden,
ein Vorwurf, den auf sein richtiges Mass zurückzuführen,
die Aufgabe der nachfolgenden Ausführungen ist.
248
I. Beziehungen des Landgrafen Wilhelm zu
Oranien bis zum Tode Philipps des Grossmütigen
(März 1567).
Nachdem der langdauernde Streit um die katzenellen-
bogische Erbschaft sein Ende erreicht hatte, lebten die be-
nachbarten Häuser Hessen und Nassau-Dillenburg in freund-
schaftlichen Beziehungen. Besonders intim erscheint das
Verhältnis des Landgrafen Wilhelm zu dem dritten Sohne
Wilhelms des Reichen, Ludwig, vertraulich Lutzgen genannt.
Ludwigs ältester Bruder Wilhelm, Fürst, oder nach
damaligem Sprachgebrauch Prinz von Oranien, trat im Jahre
1561 mittelbar in verwandschaftliche Verbindung mit dem
Hause Hessen. Er heiratete Anna, die Tochter des ver-
storbenen Kurfürsten Moritz von Sachsen , eine Enkelin
Philipps des Grossmütigen. Philipp hatte sich jener Ver-
bindung allerdings widersetzt, weil Oranien damals noch
katholisch war und keine Gewähr dafür zu bieten schien,
dass seiner Gattin in den Niederlanden freie Religionsübung
werde gestattet werden; vergebens war Kurfürst August von
Sachsen, der Oheim und Vormund der Prinzessin, in den
Landgrafen gedrungen, ihm seinen ältesten Sohn zu senden,
damit er mit diesem über die Heirat verhandeln könne ^),
Philipp hatte dies ziemlich schroff abgelehnt, da er sich von
seinen Söhnen nicht dreinreden lassen wolle ^) und diesen
die Teilnahme an der Hochzeitsfeier untersagt, der voll-
zogenen Thatsache aber fügte er sich und Hess auch dem
jungen Paar bei dem Durchzug durch sein Land eine gast-
freundliche Aufnahme zu Teil werden.
Ein engeres Verhältnis zwischen Oranien und Philipps
ältestem Sohne scheint von dem ersteren angeregt worden
zu sein, der dem jungen Landgrafen durch den hessischen
*) Kurfürst August au Landgraf Philipp den 1. August und
14. Dezember 1560 (Acten des Marburger Staatsarchivs. Da die Neu-
ordnung der Marburger Acten noch nicht abgeschlossen ist, so ist eine
genauere Angabe der betreffenden Signaturen ohne Zweck.)
^) Am 29. Dezember 1560 bei Bommel^ Philipp der Grossmütige,
Bd. lU. S. 324.
249
Kämmerer Bastian von Weitershausen sagen Hess, er wünsche
mit ihm in Verbindung zu treten ^).
Auf dem Frankfurter Fürstentage (November 1562),
dem beide Fürsten beiwohnten, wurde zwischen ihnen die
Einrichtung einer besonderen Botenpost von Cassel nach
Breda, Oraniens Wohnsitz, verabredet^. Durch den Land-
grafen suchte Oranien hier auf Sachsen und Brandenburg
einzuwirken, damit sie sich bei Philipp von Spanien für die
französischen und niederländischen Protestanten verwendeten^).
Durch jenen Bastian von Weitershausen hatte der Prinz bei
Wilhelm den Gedanken anregen lassen, sich mit einer Dame
seiner Bekanntschaft zu vermählen und es wurde zu diesem
Zwecke eine Reise in die Niederlande geplant, aus der dann
freilich nichts wurde*). Als in Aussicht stand, dass der
Landgraf seiner Schwester Christine bei ihrer Heimführung
nach Schweden das Geleit geben sollte, bat er Oranien, es
zu gestatten, dass sein Bruder Ludwig ihn auf dieser Reise
begleite^). Der Prinz musste freilich ablehnen, da in den
jetzigen aufgeregten Zeiten weder er selbst noch sein Bruder
die Niederlande verlassen könnten ^). Doch beschränkte sich
ihre Correspondenz keineswegs auf Familienangelegenheiten.
So fragte Oranien um Rat, als ihm wegen der in seinem
Fürstentum Orange überhandnehmenden Ketzerei der Papst
einen drohenden Brief schrieb '^) und Wilhelm riet ihm, hier-
gegen Frankreichs Hülfe anzurufen ®). Wie über die Welt-
begebenheiten überhaupt, so hielten ihn namentlich über die
französischen und niederländischen Dinge die Briefe der
nassauischen Brüder auf dem Laufenden, und in den Ant-
*) Wilhelm an Oranien am 31. März 1562 bei Qroen van Prinsterer,
Archives de la maison d'Orange-Nassau I, 1, S. 133 f. S. Kolltgs, Wilhelm
von Oranien und die Anfänge des Aufstandes der Niederlande, Bonn 1884,
S. 30.
«) Kolltgs, S, 30 ff.
3) Räter, ,,Über die Anfänge des niederländischen Aufstandes" in
der historischen Zeitschrift Bd. 58, S. 398.
^) Prinsterer I, 1, S. 133.
ö) Ebd. S. 154 (12. März 1563).
6) Ebd. S. 155.
7) Ebd. S. 199 den 13. Febr. 1564.
8) Ebd. S. 210 den 3. März 1564.
250
Worten des Landgrafen macht sich schon jetzt der diesem
eigentümliche vorsichtige und thatenscheue Zug bemerkbar.
Wohl erkannte er früh, dass Granvella die verderbliche Rolle,
die er als Ratgeber Karls V. in den deutschen Angelegen-
heiten gespielt, nun unter Philipp in den Niederlanden fort-
setze ^), aber es erschien ihm doch bedenklich, dass Oranien
nebst Egmont und Hoorn wegen der Misshelligkeiten mit
jenem den Sitzungen des königlichen Rates fernblieb^). Als
die Verhältnisse gespannter wurden, die religiösen Be-
drückungen zunahmen, und der Prinz ihn um seine Ver-
wendung bei Kurfürsten und Fürsten ersuchte (den 22. März
1566), konnte ihm Wilhelm diese nur bei seinem Schwieger-
vater, dem Herzog von Würtemberg zusagen, da er den
andern Fürsten wegen ihrer Freundschaft für Spanien miss-
traute, und erteilte ihm den Rat, eine Deputation der Provinzen
an den Augsburger Reichstag zu veranlassen, welche die
Aufnahme derselben in den deutschen Religionsfrieden be-
antragen sollte^). Als dann im Herbst 1566 in Flandern
und andern Provinzen der Bildersturm losbrach, missbilligte
Wilhelm jene Ausschweifungen in sehr milder Weise und
bedauerte hauptsächlich das Umsichgreifen des Calvinismus
und die unnützen Disputationen der Praedicanten über die
Differenzen in der Abendmahlsfrage*). Er meinte, man
müsse jene Praedicanten veranlassen, sich zur Augsburgischen
Confession zu bekennen, damit die Kurfürsten und das Reich
sich ihrer annehmen könnten, obgleich er für seine Person
dem Unterschiede der beiden protestantischen Richtungen
eine grosse Bedeutung nicht beilegte^). Dieselbe Ansicht
sprach er auch gegen den Grafen Ludwig von Wittgenstein
aus, den Oranien an die deutschen Fürsten der nieder-
ländischen Verhältnisse wegen gesandt hatte und dem er
allerhand Ratschläge gab, wie er seine Mission zweckmässig
^) Ämoldi, Historische Denkwürdigkeiten S. 262, Brief vom
17. August 1563 an Oranien.
2) Brief vom 22. März 1564 bei Prinsterer S. 223.
8) Am 31. März 1566 a. a. 0. I, 2, S. 69.
*) Am 16. Sept. 1566 a. a. 0. S. 285.
6) Den 13. Okt. 1566 a. a. 0. S. 390.
251
erledigen könne ^). In einem aus dem Dezember 1566
stammenden Gutachten, welches Wilhelm und die hessischen
Räte für den alten Landgrafen aufsetzten ^), schlagen sie vor,
die Augsburgischen Confessions-Ver wandten sollten beim
König von Spanien und dem Kaiser Fürbitte thun, dass man
den Niederländern die Augsburgische Confession gestatten
möchte, welche am besten geeignet sei, dem Calvinismus
Eintrag zu thun und die Niederländer ermahne, den Streit
de modo praesentiae unterweges zu lassen. Oranien wie sein
Bruder Ludwig, deren Ansichten inbetreff dieses Punktes mit
denen Wilhelms damals ganz übereinstimmten, waren auch
in dieser Richtung thätig, hatten aber wenig Erfolg damit,
da eben die calvinische Lehre bei den Praedicanten und den
durch diese beherrschten niederen Volksschichten zu tief ein-
gewurzelt war^). In der Frage, die damals den Prinzen und
dessen Freunde lebhaft beschäftigte, ob er für seine Person
sich zur Augsburgischen Confession, der er in seinem Herzen
immer mehr zuneigte, dem Könige und der Öffentlichkeit
gegenüber bekennen solle, war Wilhelm, trotzdem er das
Gewicht der Gegengründe nicht verkannte, doch der Meinung*),
der Prinz dürfe sich jedenfalls am papistischen Gottesdienst
nicht länger beteiligen, wenn sich auch die Erklärung gegen-
über dem Könige vielleicht noch hinausschieben lasse, aber
auch diese letztere hielt er nicht nur für offener und ehr-
licher, sondern auch für politisch klüger als längeres Dis-
simulieren ^). lieber die Rechtmässigkeit eines etwaigen ge-
waltsamen Widerstandes, derentwegen der Prinz bei ihm an-
gefragt, äusserte sich der Landgraf in folgender Weise: „Es
ist je wahr, dass sich die Underthanen nitt sollen ufflehnen,
sondern in allen Dingen, die nit jegent Gott seint, wie
Paulus sollichs selbst leheret, Gehorsamb leisten. Welcher
») A. a. 0. S. 408, Oktober 1566. Vergl. das Schreiben an Johann
von Nassau den 9. Nov. 1566 a. a. 0. S. 465. an Oranien den 27. Nov.
a. a. 0. S. 489.
2) Pr inster er I, 9, S. 37 t und Bhk, Correspondentie van an be-
treffende Lodewijk van Nassau S. 162.
3) A. a. 0. S. 390.
*) In dem oben erwähnten Gutachten bei Bhk S. 162 fF.
^) Prmsterer I, 2, S. 459.
252
Gestalt und Massen aber die Lände privilegiret, auch iren
Herren verbunden seien und wie weitt sich ir Gehorsamb
vermüge gedachter Privilegien erstrecken, zudem ob sie
schuldig sein, sich und die iren umb der erkhanden gött-
lichen Warheit willen von frembden Nationen so jämmerlich
brennen und brathen zu lassen, das werden E. L. und Ire
Mitverwandten ahm besten wissen, desgleichen, wer und
welcher Massen und mit was Vermügen Ir einander zugethan
und gewilt unpillicher Gewalt zu propulsiren".
Gleichzeitig empfahl er ihm einen Diener seines Vaters,
den Johann von Ratzenberg, der wohl im Stande sei,
1000—2000 Pferde aufzubringen i).
Dieselbe Anschauung findet sich ausgesprochen in der
Instruktion für Wilhelms Rentmeister zu Frankenstein, Peter
Klotz 2), den er im Januar 1567 an Graf Johann von Nassau,
des Prinzen ältesten Bruder, nach Dillenburg sandte. Er liess
diesen auffordern, Werbungen in Deutschland anzustellen,
damit ein Schwert das andere in der Scheide halte, und
führte ihm das Beispiel Magdeburgs vor Äugen. Ja Ludwig
von Nassau hegte auf Grund gewisser Äusserungen des Land-
grafen die Hoffnung, diesen selbst für den Dienst der Nieder-
lande gewinnen zu können ^) (Oktober 1566).
In seinem Interesse für die Niederlande war Wilhelm
durchaus einig mit seinem Vater. Bei diesem wie bei andern
deutschen Fürsten hatte Oranien im Februar 1567 durch
seinen Bruder Ludwig anfragen lassen, ob er sich aus den
Provinzen zurückziehen oder den Spaniern mit gewafifneter
Hand widersetzen solle*). Darauf hatte der alte Landgraf
auf dem Regensburger Reichstage die Bewilligung der Türken-
hilfe von dem Versprechen der Abstellung der niederländischen
Wirren abhängig machen wollen. Es ist möglich, dass der
Tod dieses immer noch thatkräftigen Fürsten die hessische
*) A. a. 0. S. 461.
«) Vom' 16. Januar 1567 bei Blök, S. 62.
8) Prinsterer, I, 2, S. 357, 405.
*) Prinsterer I, 9, S. 52 f ff.
253
Aktion in dieser Richtung zunächst geschwächt hat^). Seine
Söhne beschränkten sich darauf, mit den andern deutschen
Fürsten Gesandte an die Regentin Margarethe von Parma
zu schicken, die aber nichts ausrichteten und ziemlich schnöde
behandelt wurden^).
2. Oraniens Aufenthalt in Deutschland und Ver-
such der Rückkehr (April 1567 bis Herbst 1568).
Auf die Kunde von dem Herannahen Alba's hatte Oranien
die Niederlande verlassen und sich auf sein Schloss Dillen-
burg zurückgezogen (April 1567). Nachdem so der Bruch
mit dem Könige erklärt war, wandte er sich immer ent-
schiedener der neuen Lehre zu und unterhandelte mit dem
Landgrafen über die Zusendung des lutherischen Predigers
von Treysa^). Neben diesen religiösen Interessen betrieb er
aber, je verhasster Alba's Schreckensregiment die spanische
Herrschaft den Niederländern machte, um so eifriger den
Plan, mit Waffengewalt seine Rückkehr zu erzwingen.
Am 10. Januar 1568 fand zu Dillenburg die Taufe des
am 14. November 1567 geborenen Prinzen Moritz von Oranien
statt. Landgraf Wilhelm, dem eine Pathenstelle angetragen
war, fand sich mit seinen Brüdern persönlich ein, damit es
nicht den Anschein habe, als ob er den Verwandten und
Freund in dessen bedrängter Lage verlasse*). Während
seiner Anwesenheit in Dillenburg erfuhr man, dass der König
von Spanien die in Burgund belegenen Besitzungen des
Prinzen habe einziehen lassen^). Dieser feindliche Schritt
musste natürlich Oranien in seinen kriegerischen Plänen be-
») Wie Kluckhohn Briefe Friedrichs des Frommen Bd. II». S. 132
annimmt.
^) Prinsierer 13 8. 98.
^) Prinsierer l] s] s! 100, 107: 9, S.63t. Der betreffende Prediger
wurde ihm indes nicht, wie Ritter^ Deutsche Geschichte L 386 irr-
tümlich angiebt, wirklich zugesandt, da er vorher starb (Jacobs, Juliane
von Stolberg, Ahnfrau des Hauses Nassau- Oranien [1889], 8. 370, Anm. 159).
*) Landgraf Wilhelm an Kurfürst August den 21. Jan. 68 {Prinsterer
I, 3, S. 156).
">) A. a. 0.
254
stärken. An diesen nahm, wenn wir einer Aussage ^) trauen
dürfen, deren Wert freilich bestritten wird 2), auch der Land-
graf lebhaften Anteil. Er soll dem Prinzen mit Zustimmung
seiner Brüder in Aussicht gestellt haben, ihn mit Geld und
Truppen unterstützen zu wollen und die Hoffnung geäussert
haben, dass sie bald eine so schöne Jagd in Breda haben
würden, wie jetzt in Dillenburg, nötigenfalls werde er ihn in
eigener Person dorthin zurückführen.
Sei dem, wie ihm wolle, jedenfalls sehen wir den Land-
grafen in der nächsten Zeit bemüht, dem durch die Ein-
ziehung seiner Güter mittellos gewordenen Prinzen beizu-
springen. Neben August von Sachsen, dem Oheim der
Prinzessin übernahm er die Verpflichtung für den standes-
gemässen Unterhalt Oraniens und der Seinigen einzustehen^)
und ersuchte seinen Schwiegervater, den Herzog von Würtem-
berg, um Verwendung für ihn beim Kaiser*), der auch in
der That bei dem Könige von Spanien ein Fürwort für die
Wiederherstellung des Prinzen einlegte. In dieser Zeit ist
der Briefwechsel zwischen Dillenburg und Cassel ein ausser-
ordentlich reger. Die beiden Fürsten verfehlen nicht, einander
alle ihnen zukommenden Zeitungen über die Ereignisse in
Frankreich, Spanien und den Niederlanden mitzuteilen und
der Landgraf Hess es an gutem Rat nicht mangeln. So riet
er dem Prinzen, um den Kaiser sich günstig zu stimmen,
eine Rechtfertigung seines Verhaltens zu veröffentlichen^).
In demselben Briefe forderte er ihn auf, einen seiner Räte,
etwa Johann Meissner, zu ihm zu senden, da er mit ihm
Dinge zu besprechen habe, die sich der Feder nicht anver-
trauen Hessen ^). Diese Sendung erfolgte am 7. April '^). Bei
*) Des Jehan de Montigny, Sr- de Villers, der damals in der Um-
gebung des Prinzen wai*, am 25. April 1568 von den Spaniern bei Dahlen
gefangen und am 2. Mai 1568 einem Verhör unterworfen wurde (Corros-
pondanco du cardinal de Oranvelle, Tom. III, p. 614 ff.).
') von Ritter^ Deutsche Geschichte 1, 390, Anm. 1.
») Prinsterer 1, 3, S. 159.
*) A. a. 0. S. 161.
») Wilhelm an Oranien den 1 1. März 1568 (Primterer I, 3, S. 185).
•) Dieser Teil des Briefes ist bei Prinsterer nicht mit abgedruckt
^) Oranien an Landgraf Wilhelm den 7. April 1568.
255
Gelegenheit derselben kam das Vorhaben eines niederländischen
Kriegszugs zur Sprache^). Auch hat der Landgraf damals,
wenn nicht schon früher, den Rat gegeben, der Prinz möge
seine Erhebung durch ein Manifest rechtfertigen^). Dieses
übersandte Oranien dem Landgrafen am 17. April mit der
Bitte, die ihm gut scheinenden Änderungen daran vor-
zunehmen ^) und teilte ihm gleichzeitig seinen Aufbruch nach
Cöln mit. Vier Tage darauf benachrichtigte er ihn von
Kloster Büdingen aus, dass sich gewisse ihm bekannte An-
schlage auf Brüssel und Mastricht wegen Änderung der
Verhältnisse leider nicht mehr ausführen Hessen*).
Als Oraniens Vorläufer drangen zwei kleinere Heer-
haufen, der eine unter Graf Hoogstraten durch das Jülicher
Land bis an die Grenzen von Limburg und Geldern, der
andere unter Ludwig von Nassau bis an die Grenzen von
Groningen vor. Um die Bewegungen des ersteren zu be-
obachten, hatte der Prinz sich nach Duisburg begeben. Dieser
Haufe wurde von Roermonde auf Jülicher Gebiet zurück-
gedrängt und bei Erkelenz und Dahlen vernichtet, der zweite
erfocht bei Heiligerlee einen Öieg (23. Mai). Während der
Abwesenheit des Prinzen von Dillenburg hielten dessen Rat
Johann Meissner und Landgraf Wilhelm sich gegenseitig auf
dem Laufenden^). Am 16. Juni sandte der Landgraf seinen
Secretär Johann Kleinschmidt mit wichtigen Aufträgen an
Meissner. Er hatte nämlich einen am 28. Mai geschriebenen
Brief des kaiserlichen Rates Ulrich Zasius aus Wien er-
halten, der ihm von grosser Wichtigkeit zu sein schien. Er
glaubte daraus entnehmen zu dürfen, dass der Kaiser zwar
*) Oranien an Wilhelm den 17. April {Prinsterer I, 3, S. 209):
Das doch unser vorhabender anschlag, welchen wir E. L. durch unsern
Kat Dr. Johann Meixnern zu erkhenen gegeben, noch in der geheimbt
und ganz verborgen sein soll.
2) Ebd.
3) In der Justification des Prinzen vom 20. Juli sind die Bedenken,
die der Prinz sich selber gemacht und dem Landgrafen zur Überlegung
empfohlen, berücksichtigt. Das Manifest ist nicht gegen den König,
sondern gegen Alba gerichtet und das Wort „Kriegsrüstung'* durch „De-
fension" ersetzt, beides wohl auf den Rat des Landgrafen.
*) Den 21. April 68.
^) Marburger Acten.
266
für seine eigene Person die spanische Herrschaft in den
Niederlanden nicht gern sehe, aber den Prinzen beargwöhne,
als suche derselbe die Provinzen dem Hause Osterreich zu
entfremden und unter eigene Botmässigkeit zu bringen. Dies
schien ihm mit Andeutungen übereinzustimmen, die der
kaiserliche Rat Christoph von Carlowitz ihm gegenüber früher
hatte fallen lassen, sowie mit dem, was Graf Günther von
Schwarzburg dem Prinzen als die Meinung des Kaisers be-
zeichnet hatte '). Er glaubte, dass der Kaiser, der doch am
12. Mai Mandate gegen das Unternehmen Oraniens hatte,
ausgehen lassen, dahin gebracht werden könne, auf den
König von Spanien einzuwirken, dass dem greulichen spanischen
Regiment und der Inquisition in den Niederlanden ein Ende
gemacht werde und legte es dem Prinzen nahe, in einem
eigenen Schreiben die Unterschiebung ehrgeiziger Pläne von
sich zu weisen ^). Als Antwort wurde dem Landgrafen durch
Kleinschmidt ^) und den inzwischen nach Dillenburg zurück-
gekehrten Prinzen*) die Absendung des Grafen lohann von
Nassau an ihn und den Kurfürsten August^) in Aussicht
gestellt.
Diese Sendung stand in Zusammenhang mit dem Vor-
haben des Prinzen, seinem Bruder folgend in die Niederlande
einzubrechen. Indem er diesen Zug plante, handelte er nicht
ohne Aussicht auf Unterstützung durch deutsche Fürsten
und im Einvernehmen namentlich mit dem Landgrafen, der
ihm mit Rat und Hilfe zur Seite ging®). In Gemeinschaft
mit dem Kurfürsten von der Pfalz Hess er durch den pfälzischen
Rat Ehem den Kurfürsten von Sachsen, dem er freilich grossen
*) Wie Ludwig von Nassau am 15. Februar 1567 in Cassel er-
zählte {Prinsterer I, 9, S. 58 f.) hatte der Kaiser zu Graf Günther gesagt :
Ire Msy*. müsse der Nidderlendischen Hendel halber simulate handeln;
dan ire Maj. habe in Spanien ire Söhne und seien so vil gelts zur flülf
wieder den Türeken daselbst hero gewertig, Wan aber schon ire Maj.
ernste mandata ausgehen lassen, soll man sichs nit annhemen.
") Instruction für Kleinschmidt den IG. Juni: L. Wilhelm an
K. August den 18. Juni.
*) Am 18. Juni.
*) Am 20. Juni.
*) Vergl. die Instruction für Roishausen vom 27. Juni.
•) Entgegengesetzter Ansicht ist Ritter^ Deutsche Geschichte I, S. 390.
^b1
Eifer nicht zutraute ^), ersuchen, den Prinzen mit Geld zu
unterstützen und ihm verständige Kriegsräte beizuordnen 2).
Letzteres lehnte August ab (13. Juni), dagegen erklärte er
sich zu einer Geldhilfe bereit, falls die Sache geheim bleibe
und Oranien ihm eine genaue Darlegung seiner Hülfsquellen
und Alliirten gebe und ihm versprechen könne, dass auf eine
Erhebung der niederländischen Städte zu zählen sei. Auch
Johann von Nassau fand den Kurfürsten in einer nicht un-
günstigen Stimmung. Er versicherte, dass er mit Gedanken
an den Prinzen aufstehe und zu Bette gehe und wollte sogar
den beabsichtigten Kriegszug für den Fall nicht widerraten,
dass sich besonders gute Gelegenheit dazu vorfinden sollte,
wiewohl er im Allgemeinen den Erfolg der Intercessionen
dös Kaisers und der Kurfürsten bei dem König von Spanien,
welche er auf dem nächsten Kurfürstentag zu Oberwesel in
Antrag zu bringen gesonnen war, abzuwarten riet.
Worauf es dem Prinzen vor Allem ankam, das war
eine Geldhilfe von 2 — 300000 Gulden bei den deutschen
Fürsten zu erwirken, um die von ihm geworbenen Truppen
wenigstens für einen Monat besolden zu können. Der Kur-
fürst von der Pfalz hatte sich auch schon zur Hergabe von
100000 Gulden in ungemünztem Gelde bereit erklärt. August
von Sachsen dagegen konnte nicht bestimmt werden, über
seine gegenüber dem Dr. Ehem abgegebene Erklärung hinaus-
zugehen und auch Herzog Johann Wilhelm von Weimar,
Julius von Braunschweig, Markgraf Hans von Küstrin er-
teilten ausweichende Antworten *). Landgraf Wilhelm seiner-
seits sandte den Hofmarschall seines Vaters, den Obersten
und Landvogt an der Diemel Friedrich von Roishausen nebst
dem hessischen Kämmerer Georg von Scholley und dem aus
Dresden zurückgekehrten Dr. Ehem zu Oranien, um Er-
^) L. Wilhelm an L. Ludwig den 15. Juni 1568: Was aber des
Printzen sach und Anliegen betrifft, darauf antwortett der Churfurst
(August) gar leise iuxta iUud: donec eris felix.
2) Brief Augusts vom 16. Juni bei KltuMokn II, S. 224.
3) Ebd.
*) Aufzeichnungen des früheren hessischen Kammerarchivars Kessler
(auf dor Casseler Landesbibliothek) nach nicht mehr auffindbaren Acten
des Kammerarchivs.
N. ¥. Bd. XXIII. 17
258
kundignngen über den Fortgang des Unternehmens des
Grafen Ludwig sowie über die Hilfsquellen einzuziehen^ auf
die der Prinz bei seinem Kriegszuge zu rechnen habe. Sie
sollten sich vergewissern, ob er glaube, wenn man ihm
1 — 200000 Gulden verschaffe, die Sache durchführen zu
können, im Falle er die Frage verneine, ihm davon abraten.
Als Fürsten, um deren Beihilfe er sich bemühen könne, sollten
sie ihm den Herzog Julius von Braunschweig, die Grafen
von Hohenlohe, Oldenburg und Ostfriesland nennen. Doch
müsse die Beteiligung der einzelnen Fürsten an seiner Sache,
insbesondere die des Landgrafen, durchaus geheim bleiben.
Der Prinz möge ein Ausschreiben ausgehen lassen, in dem
er sein Unternehmen vor Kaiser und Reich rechtfertige, er
solle darin aber nicht die Person des Königs von Spanien,
sondern nur seine Räte angreifen und die Herstellung des
Religionsfriedens, wie er im Reiche bestehe, als sein Ziel
bezeichnen. Laute die Auskunft des Prinzen befriedigend,
so sollten die Gesandten zum Herzog von Würtemberg weiter-
gehen, er selber wolle dann mit seinen Brüdern sich in Ver-
bindung setzen^). Da das Erscheinen der Gesandten in
Dillenburg zu gefährlich gewesen sein würde, so trafen sie
sich mit dem Prinzen in Friedelhausen an der Lahn, wo
Roishausen seinen Wohnsitz hatte ^). Von hier aus gingen
Ehem und Scholley zum Herzoge von Würtemberg, um dessen
Unterstützung nachzusuchen. Dieser widerriet indes die
ganze Sache, lehnte jede Hilfe ab und verwies auf die Ver-
mittlung des Kaisers^).
Ludwigs Unternehmung, die mit dem Siege bei Heiligerlee
(23. Mai) so verheissungsvoU begonnen, wurde durch die
Niederlage bei Jemmingen (21. Juli) jählings abgeschnitten.
Durch diese Hiobspost wurde die ohnehin nicht sehr grosse
Bereitwilligkeit der deutschen Protestanten, Oranien zu unter-
stützen, nicht gerade verstärkt. Kurz zuvor (um den 14. Juli)
1) Kluckhoktif S. 231, Instruction des Landgrafen vom 27. Juni (Acten).
') L. Wilhelm an Oranien den 26. Juni. Bericht des Scholley
Vom 30. Juni.
») Kluckhokn II, 8* 232, Anra, 1.
m
hatte der Landgraf seinen Kammermeister Simon Bing an
den Kurfürsten August von Sachsen entsandt, um ihn zur
Hergabe einer Geldhilfe für den niederländischen Kriegszug
zu bewegen. Bing hatte sich von dieser Mission keinen
grossen Erfolg versprochen, aber sich dem Drängen seines
Herrn fügen müssen^). In zwei Instructionen, welche er
selbst verfasst und von deren einer er die Reinschrift zu
desto mehrerer Geheimhaltung sogar eigenhändig angefertigt
hatte, legte der Landgraf die Richtungslinien für das Ver-
halten seines Gesandten dar. Dieser sollte nicht sofort und
bestimmt auf Leistung einer Unterstützung dringen, auch
vorstellig machen, wie der Landgraf es missbillige, dass der
Prinz ohne weiteres und ohne noch eine Antwort auf die
vorgebrachten Unterstützungsgesuche erhalten zu haben, zur
Werbung von Kriegsvolk geschritten sei. Auf der andern
Seite sollte er aber dem Kurfürsten die Folgen der Nicht-
unterstützung des einmal begonnenen und nicht mehr rück-
gängig zu machenden Unternehmens eindringlich vorhalten.
Falls dieses misslinge, würden die Evangelischen unter dem
Vorwande, dass sie dabei die Hand im Spiel gehabt, den
ärgsten Anfeindungen ausgesetzt sein. Bereits habe Alba
gegen seinen Herrn sich erboten, wenn er ihm nur Geld,
um Truppen zu werben, zuschicke, ihm ganz Deutschland
zu unterwerfen, die Deutschen seien verzagt wie die Hasen
und würden sich nicht regen, wenn er komme. Ehrensache
der deutschen Fürsten sei es, den übermütigen Spanier des
Gegenteils zu überführen. Doch werde der Landgraf sich in
dieses Unternehmen nicht ohne ihn, den Kurfürsten, einlassen,
falls dieser aber mit 100000 Gulden sich beteilige, zusammen
mit seinen Brüdern^) 30000 Gulden beisteuern, womit in
der That von ihnen mehr als von dem Kurfürsten mit
100000 Gulden geschehe. Keinenfalls könne er für seine
Person mehreren Geldes sich entblössen, da er mit Ausgaben
1) Bing an den Landgrafen den 26. Aug. 68. Vergl. Kessler, Prinz
Wilhelm von Oranien und L. Wilhelm IV. von Hessen im „Hessenland",
X. Jahrgang (1896), Nr. 18 u. 19.
*) Später gab der Landgraf die genannte Summe allein her.
17*
260
für Hessen stets stärker als seine Brüder in Ansprach ge-^
nommen werde, indem er vorn an der Spitze und dem Feuer
am nächsten sitze ^).
Auf das Gerücht von der Niederlage des Grafen Ludwig,
welches den Thatsachen um einige Tage vorauseilte, beauf-
tragte Wilhelm den Abgesandten, falls er den Kurfürsten
schon gesprochen , und ihn günstig gestimmt gefunden,
sogleich wieder umzukehren und zu erforschen, ob sich die
Gesinnung desselben infolge dieses Ereignisses nicht geändert
habe^). Aber gerade an demselben Tage (21. Juli), da der
Landgraf jenen Brief schrieb und die Niederlage wirklich
stattfand, langte Bing in Colditz ^), wo der Kurfürst sich
damals aufhielt, an. In der dem Abgesandten am folgenden
Tage gewährten Audienz erklärte sich August bereit, dem
Prinzen unter der Bedingung strengster Geheimhaltung
100000 Gulden auf 3 Jahre vorzustrecken. Die Summe
sollte durch Wechsler in Leipzig dem Schwager des Prinzen,
dem Grafen Günther von Schwarzburg, übergeben werden
welcher dafür eine in Land und Leuten bestehende Caution
zu stellen hätte ^). Nebenbei Hess der Kurfürst die Geneigtheit
durchblicken, eine kleinere Summe, etwa 20 — 30000 Gulden,
auch ohne Sicherstellung herzugeben ^). Diesen Neben-
vorschlag beachtete Bing für den Augenblick nicht, da er
wusste, dass es dem Prinzen auf eine grössere Summe ankam
und er hoffte, der Graf werde sich zur Stellung jener Caution
bereit finden lassen. Aber dieser wollte sich auf dieselbe
nicht einlassen, weil er nur ein armer Graf sei und seine
Brüder in die Verpfändung des Amtes Frankershausen nicht
willigen würden. Auch konnte Oranien die geforderte Rück-
bürgschaft nicht leisten % unter diesen Umständen erklärte,
^) Kesslers Auszüge.
') L. "Wilhelm an Bing den 21. Juli (Acten).
^) Nicht Gohlis wie Kessler im Hessenland annimmt (im Original
stand wohl „Colliz'*).
*) Kessler, S. 258.
*) Bing an Kf. August den 26. August fMarburger Acten). Vergl.
Eommett Bd. 5, S. 531, der aber "Wahres und Falsches durchoinandermengt.
®) Kessler a. a. 0. Vorgl. Kf. August an Bing den 10. August
(Acten).
261
der Kurfürst die verlangte Summe nicht hergeben zu können
und bearbeitete auch den Landgrafen in einem dem Prinzen
ungünstigen Sinne. Er widerriet ihm, den Obersten von
Roishausen zu Oranien zu beurlauben, wie dieser es ge-
wünscht ; auch des Landgrafen Vater habe seinerzeit erklärt,
er wolle weder heimlich noch öffentlich in diese Handlung
sich einlassen ; schon wegen der abmahnenden kaiserlichen
Mandate sei es höchst gefährlich, nach der Niederlage des
Grafen Ludwig werde Alba nächstens noch die hessischen
Vasallen und Lande bedrohen, wenn er Grund zum Argwohn
habe, dass dem Prinzen von dorther Hülfe komme ^). In der
That langten auch in diesen Tagen Nachrichten beim Land-
grafen an, dass Alba mit seinen Truppen zu Rehden an der
Ems lagere und an die Gräfin von Teklenburg das Ansinnen
gerichtet habe, ihnen in ihrem Lande Quartier zu gewähren ^),
von da bis ins Gebiet der Grafen von Rietberg, die hessische
Vasallen waren, hatte er es aber nicht weit. Wilhelm
instruierte denn auch seinen Secretär Johann Kauffung, den
er an Oranien sandte^), in dem vom Kurfürsten gewünschten
Sinne. In seiner Antwort hob jener hervor, da Roishausen
nicht mehr hessischer Hofmarschall sei — er war es unter
Philipp gewesen — und sein Landvogtamt noch nicht an-
getreten habe, so könne die Mitwirkung dieses Mannes, der
ihm unentbehrlich und als nassaaischer Lehnsmann zur
Heeresfolge verpflichtet sei , den Landgrafen nicht com-
promittieren ^). Gleichzeitig ersuchte der Prinz um ein Dar-
lehen ^). Letzteres schlug Wilhelm ihm rund ab. Auf der
Rückberufung Roishausens bestand er nicht mehr, wies aber
jede Verantwortung für dessen Mitwirkung von sich. Im
Übrigen hob er hervor, er habe dem Prinzen zu Cassel wie
zu Dillenburg jede gewaltsame Erhebung gegen den König
von Spanien, den er allezeit als einen gütigen und milden
1) Rommely Bd. V, S. 631, Anm. 47.
2) L. Wilhelm an L. Ludwig den 29. Juli.
3) Den 28. Juli 1568 bei Pnnsterer I, 3, S. 273.
*) Oranien an Wilhelm den 31. Juli.
5) Oranien an Wilhelm den 29. Juli (Prinsterer 1, 9, S. 89 t). Ge-
deukzettel Oraniens für Kauffung vom 31. Juli. '
262
Herrn habe rühmen hören ^), widerraten und erklärt, er werde
eine solche weder heimlich noch öffentlich unterstützen^).
Man hat wegen dieses Verhaltens, das zu den früheren
Äusserungen und Handlungen des Landgrafen freilich schlecht
genug stimmt, diesem den Vorwurf der Feigheit und Doppel-
züngigkeit nicht erspart^). Das Merkwürdige ist nun, dass
nicht nur wenige Tage, nachdem er dem Prinzen das ver-
langte Darlehen abgeschlagen, am 4. August, er^) ihm und
seinem Bruder Johann von Nassau durch Friedrich von Rols-
hausen, Simon Bing, Hans Tiegel und Georg Gericke gegen
30000 Gulden vorstrecken Hess*), deren Rückerstattung nach
Wiedererlangung der prinzlichen Güter versprochen wurde,
sondern dass er auch durch Simon Bing, der sich aus-
drücklich auf das grossmütige Vorgehen seines Gebieters
berief, bei dem Kurfürsten von Sachsen über die Darlehns-
*) Ähnlich spricht "Wilhelm vom Könige in einem Briefe an Ulrich
Zasius vom 7. Juli, man kannte eben damals Philipp noch nicht. Vergl.
auch Pnnsterer I, 2, S. 447.
«) Wilhelm an Oranien am 27. (?) August 1568 bei Prinsterer I,
3, S. 286. Das Datum ist sicher verlesen. Sämtliche Copien in Marburg
haben den 2. August.
8) Vergl. Prinsterer I, 3, 8. 276, Anm. 1. Bexold^ Briefe des
Pfalzgrafen Johann Casimir I, S. 46.
*) Nicht seine Brüder, wie Prinsterer I, 3, S. 275, Anm. 1 meint.
Diese waren vielmehr dagegen, wie Wilhelm später erklärte, als er jene
Schuld forderung auf seinen Namen übertragen liess (Bing an L. Wilhelm
im August 1577 (Acten). Johann von Nassau an Oranien am 26. Mai
1576 bei Prinsterer I, 5, S. 361.) In seinem Testamente vom 26. März
1576 erklärte L. Wilhelm, er habe diese Summe mit Zustimmung seines
Bruders Ludwig aus den von seinem Vater hinterlassenen, in der Festung
Ziegenhain aufbewahrten sogenannten Defensionsgeldern entnommen. Nach
Ritter, Deutsche Geschichte I, 390 erwirkte Friedrich III. von der Pfalz
durch seine Verwendung wenigstens soviel, dass die hessischen Land^
grafen hinterher (?) doch noch 30 (XK) Gulden zuschössen. In den von
ihm angeführten Belegstellen steht hiervon nichts.
^) Beide Schuldscheine, der ursprüngliche und der veränderte im
Marburger Staatsarchiv. Am 7. Mai 1570 fordert L. Wilhelm die Über-
tragung der Forderung auf ihn (Instruction für Roishausen in den
Acten). Im Mai 1577 hofft Johann von Nassau, dass Hessen von der
Forderung etwas nachlassen werde (Prinsterer I, 6, S. 95, Anm. l\
Im Juli 1577 folgt die Sendung Winthers an Oranien (s. weiter unten),
die resultatlos bleibt. In seinem Testament (1586, Juni 25.) erteilt L.
Wilhelm seinem Sohne den Rat, nur gegen (jut und Pfand Geld aus-
zuleihen. (Vergl. Rommely Bd. V, S. 708, Anm. 205, S. 831, Anm. 331.)
Das Geld war damals noch nicht zurückgezahlt.
263
Sache weiter verhandeln Hess ^). Der Kurfürst machte aller-
hand Winkelzüge, sprach bald von einer kleineren Summe,
die er ohne Sicherheit, bald von der grösseren, die er nur
gegen Sicherheit hergeben wollte, ohne dass etwas zu Stande
kam ^). Das Ausbleiben der sächsischen Geldhilfe ist für
den Ausgang des Feldzuges nicht ohne Bedeutung gewesen^).
Jedenfalls haben aber der Landgraf und seine Beauftragten
es in der Geldfrage an nichts fehlen lassen.
Roishausen, der ruhig in oranischen Diensten blieb,
verlegte freilich den von ihm gewählten Musterplatz (bei
Wildungen)^), aber nicht auf Befehl Landgraf Wilhelms,
sondern weil derselbe dem Feinde bekannt geworden war^).
Während von ihm die landgräflichen Agenten überall aus-
sprengen mussten, dass er nicht mehr in hessischen Diensten
stehe ^), erstattete er dem Landgrafen über den Fortgang
des Unternehmens fortwährenden Bericht, ohne dass von
einer Verstimmung desselben das Geringste zu bemerken
wäre ^). Auch seinem Lehnsmann Otto von der Malsburg,
der für den Prinzen in der Soester Börde Truppen zusammen-
zog, legte Wilhelm trotz seiner Furcht vor Alba nichts in
den Weg und zeigte sich ängstlich besorgt, dass er nicht
*) Bing an Kf. August den 16. Aug. 1568.
«) Bing an L. Wilhehn den 22., 23. und 26. August 1568.
^) Eolshausen an L. Wilhelm den 2. Sepi: „Es ist aber viel
guther Zeit und Gelegenheit verseumpt worden ans der ürsach, dweil
die 100000 Gulden, darauf der Prinz vertröstet worden, ausblieben sein".
Rolshausen an Bing den 9. Sept. {Kessler, Auszüge). (Vgl. Oraniens Äusserung
bei Brantomo, Capitaines etrangers pag. 179.) Und am 27. Sept. : „Wehr
dass Gelt ankommen, so wolte man uff diese Stundt die beste Stodt in
Brabant innen haben, dieweill es aber aussen plieben ist, hatt man zum
Uffzug nicht kommen können, derohalben viel guter Anschlege zurück-
gangen^. In der That scheiterte das Unternehmen schliesslich daran,
dass wegen Geldmangels eine Meuterei unter den Truppen ausbrach.
*) Rommely Bd. V, S. 532, Anm. 47.
^) Bing an L. Wilhelm den 8. August. Ein eingelegtes Schreiben,
auf welches Bing Bezug nimmt, ist nicht mehr bei den Acten.
^) Dies schärft L. Wilhelm u. a. seinem Kanzler Meckbach ein,
den er im Anschluss an den Kurfürstentag zu Bacharach nach Re^ens-
burg entsandte (Sept. 68), damit er von dort aus mit anderen fürsthchen
Abgeordneten beim Kaiser Schritte in der niederländischen Sache thue.
^) Acten des Marburger Staatsarchivs.
264
etwa von dem nicht weit entfernten Grafen von der Megen
überrannt werde ^).
Hält man dies alles zusammen, so wird man sich der
Erkenntnis nicht verschliessen können, dass jener Brief des
Landgrafen, den man ihm so zum Vorwurfe gemacht hat
gar nicht ernst gemeint war. Es war ein ostensibles Schreiben
dazu bestimmt, herumgezeigt zu werden und seinen Verfasser
von jedem Verdacht der Illoyalität gegenüber dem Hause
Österreich zu entlasten. Ganz im Gegensatz zu jenem
Schreiben hat er unter der Hand Alles gethan, das unter-
nehmen des Prinzen zu fördern und es war nicht seine
Schuld, wenn es fehlschlugt). Es schlug fehl, weil Oranien
in den Niederlanden selbst den gehofften Beistand nicht fand.
Von Alba Schritt für Schritt zurückgedrängt, musste er sich
nach Frankreich werfen (17. November 1568), wo er eine
Zeitlang die Hugenotten unterstützte, um schliesslich mit
getäuschten Hoffnungen nach Deutschland zurückzukehren
(Herbst 1569).
3. Von Oraniens Rückkehr nach Deutschland bis
zur Abberufung Albas (Herbst 1569 bis Herbst 1573).
In Deutschland suchte Oranien vergeblich die verwandten
Fürsten zur Unterstützung der bedrängten Protestanten im
Auslände zu veranlassen. Von Meissen aus Hess er durch
Doctor Ehem ^) bei dem Kurfürsten von Sachsen um eine
Audienz nachsuchen^ um ihm Sachen vorzutragen^ die das
Interesse Deutschlands, ja der ganzen Christenheit beträfen,
L. Wilhelm an Bing den 20. Aug. 68.
«) Euters Urteil über L. Wilhelm (Deutsche Gesch. I, 390), das
mit den Worten schliesst: „vor dem Gedanken eines Krieges gegen den
mächtigen Philipp schrak er zurück und wollte dazu weder rathen noch
helfen*^; ist also nicht ganz zutre£Fend. Den Zeitgenossen gegenüber
blieb übrigens die Beihülfe des Landgrafen in der That ein Geheimnis.
Bo sagten die von den Spaniern gefangenen Schatzmeister und Zahlmeister
des Prinzen auf der Folter aus, dass nur Pfalz diesen mit Geld unter-
stützt habe. (Alba an Philipp n. den 20. Mai 1569 in der Correspondance
Philippe II, t. II, p. 89). Und in einer Note „relative ä la position et
aux projets du Prince d^Orange* aus dem December 1968 {Prinsterer I, 3,
S. 311) wird dasselbe gesagt.
3) Über dessen Sendung nach Dresden vergl. Klueldiokn II, 368.
265
allein August wollte weder ihn noch den Herrn von Hausson-
ville, den Abgesandten der Königin von Navarra, empfangen *).
In Weimar verkündeten die Prediger des Herzogs Johann
Wilhelm, dass die französischen und niederländischen Pro-
testanten Aufrührer und Sacramentierer seien, die man zu
Paaren treiben müsse ^).
Auch auf den Landgrafen muss das Misslingen jenes
ersten Unternehmens und die ihm während desselben von
Alba drohende Gefahr doch wohl nachhaltig abschreckend
gewirkt haben, wenigstens sehen wir ihn gegenüber den
niederländischen Dingen niemals wieder eine so active Stellung
einnehmen wie im Jahre 1568. Wohl verhielt er sich gegen
alle Versuche Albas und seines Herrn, ihn zu einer mehr
oder weniger directen Begünstigung ihrer Sache zu ver-
anlassen, ablehnend^), aber auch die nassauischen Fürsten
hatten sich wohl seiner ständigen Sympathie, aber keiner
Unterstützung oder wenigstens einer nur sehr mittelbaren *) zu
erfreuen. Weigerte er sich doch, die gegen Oranien von Alba
ausgesandten Meuchelmörder, Leute, die, obgleich Spanier, sich
so gut aufs Trinken verstanden, dass man sie für bairische
Edelleute hielt ^), falls sie sein Gebiet beträten, verhaften zu
lassen (Januar 1570) und wies er doch den Vorschlag des
Grafen von Anhalt unter den für Alba in Deutschland ge-
worbenen Truppen eine Meuterei zu erregen als zu gefährlich
zurück 6) (October 1572).
Auf dem Kölner Kreistag (29. November 1568) ver-
suchte der hessische Gesandte die Beratung darüber, wie
das niederländische gefährliche Kriegswesen abzuwenden sei,
zu verhindern ^) und der Landgraf selber zeigte sich gegen-
über den Versuchen Oraniens, eine Anleihe von 30000 Kronen
aufzubringen, unzugänghch (Nov. 1568 bis Febr. 1569)^).
») Orauien an L. Wilhelm den 18. Dec. 1569 [Prinsterer I, 9, S. 107).
«) Primterer I 3, S. 333.
3) Bommel V, S. 533 ff. ; Primterer I, 3, S. 344, Anm.
*) Wie durch die Verhinderung der Werbungen Herzog Erichs
von Braunschweig, s. Bommel V, 535.
5) Joh. V. Nassau an L. Wilhelm d. 17. Jan. 1570, L. Wilhelm an
Johann d. 22. Jan.
«) Kluclchohn II, 549, Anm. 1. — ^) Kluckhohn II, 269, Anm. 2.
8) Ebd. 267, 282, 285, 288, Anm. 1.
266
Doch hatte er seine Bemühungen, den Kurfürsten August
zur Hergabe einer Geldsumme zu bewegen, noch im Spät-
herbst des Jahres 1568 fortgesetzt, indem er sich zu diesem
Zwecke selber nach Dresden begab *), allerdings mit keinem
Erfolge. Nur soviel erreichte er, dass der Kurfürst dem
Grafen Johann von Nassau unter seiner, des Landgrafen
Bürgschaft 10000 Gulden vorstreckte, wofür die nassauischen
Familienkleinodien in Pfand gegeben werden sollten*).
Bekanntlich gelang es der oranischen Partei erst am
1. April 1572 durch die Überrumpelung Briels in den Nieder-
landen festen Fuss zu fassen. Diesem glücklichen Schlage
folgte die Erhebung mehrerer wichtigen Städte der nördlichen
Provinzen. Der Landgraf betrachtete diese Erhebung mit
skeptischen Augen ; ohne die Unterstützung Frankreichs oder
Englands meinte er, würden die Aufständischen sich nicht
behaupten können^). Die Unterstützung Frankreichs schien
in der That in Aussicht zu stehen. Mit Hilfe der Hugenotten
bemächtigte sich Graf Ludwig von Nassau am 23. Mai 1572
der Festung Mons. Oranien selber überschritt am 8. Juli
mit Truppen, die er in Deutschland geworben, den Rhein
bei Duisburg und drang in Geldern ein. Noch während des
Marsches trug er Sorge, den Landgrafen über die guten
Aussichten seines Unternehmens zu unterrichten*). Die
Pfälzer bemühten sich eifrig, die deutschen Protestanten für
seine Sache zu gewinnen ^). Es scheinen auch Versprechungen
in dieser Hinsicht erfolgt zu sein, aber der Umstand, dass
der Kaiser die gewaltsame Erhebung missbilligte, verdarb
alles wieder®). Doch Hessen sich auf die Nachricht, dass
Adolf von Holstein für Alba werbe, Kurfürst August und
») Prinsierer I, 3, S. 298, 300.
•) Kltiekhohn 11, 330, Anm. 1 Marburger Acten.
ä) An J. Schwartz den 9. Mai 72, an Julius von Braunschweig
den 26. April. Vergl. einen Brief an Kf. August vom 7. Januar 1571
über einen geplanten, aber nicht zur Ausführung gelangten Anschlag
Oraniens (Acten).
*) Oranien an Joh. von Nassau d. 7. Juli 72 {Prinsierer I, 3, S. 461).
6j Kluckhohn 11, 450 u. 463.
^) Oranien an Ludwig von Nassau d. 24. Juni 72 {Prinsierer I, 3,
S. 449) : Les Princes d^AUemagne m'en avaient donne quelque esperance,
mais tant cela a este renverse par la pratique et lettres de TEuipereur.
267
die hessischen Landgrafen herbei, zusammen mit Pfalzgraf
Johann Kasimir den Herzog abzumahnen ^). Landgraf Wilhelm
schrieb dem Schwager — Adolf hatte seine Schwester Christine
zur Frau — noch im Besonderen einen abmahnenden Briefe),
in dem er es als wünschenswert bezeichnete, dass in den
Niederlanden die eingezogenen Güter restituirt und die Religion
freigestellt werde und suchte auf ihn gelegentlich der Hoch-
zeit des Königs von Dänemark (20. Juni 1572) durch den
Kurfürsten von Sachsen einzuwirken ^). Allerdings vermochten
sie nicht den Herzog, der sich auf eine ausdrückliche Er-
mächtigung des Kaisers berufen konnte, umzustimmen*).
Den Hoffnungen, die man eine Zeitlang nicht ohne
Grund gehegt hatte, dass die von Coligny beeinflusste
französische Krone sich der Niederländer annehmen werde,
machte die Nachricht von der Bartholomäusnacht ein Ende.
Unter dem Eindruck dieser Schreckenskunde versuchte
Friedrich von der Pfalz die deutschen Protestanten zu ge-
meinsamen Abwehrmassregeln zu bestimmen. Vom 16. bis
23. September 1572 wurde zu Heidelberg von pfälzischen,
badischen und brandenburg-ansbachischen Abgeordneten hier-
über verhandelt. Der Abschied, in welchem das Ergebnis
dieser Beratungen zusammengefasst wurde, enthielt folgenden
Passus: „Um die Verbindung des französischen Kriegsvolkes
mit dem des Herzogs von Alba zu verhindern, sei das Beste,
den Prinzen von Oranien bei seiner jetzigen Expedition nach
Möglichkeit auf den Beinen zu erhalten. Dadurch werde
nicht allein der Gegner Vorhaben vom Reich und dessen
Ständen abgewendet, sondern auch des Prinzen Kriegs-
expedition zu beständigerem Frieden fähren können^). In
gleichem Sinne hatte Landgraf Wilhelm am 5. September an
Kursachsen, Brandenburg und andere Fürsten geschrieben.
1) Am 18. Juni 1572 (Acten).
*) Am 1. Juli {Prinsierer 1, 9, S. 133 f, der Laufenburg für Zapfen-
burg als Ausstellungsort liest).
3) L. Wilhelm an Pfalz den 9. Juli 72 (Acten).
*) Schreiben des Herzogs vom 30. Juni (Acten).
») Kluckhohn II, 289 ff. Vergl. hierzu das dort auf S. 523, Anm. 1
Bemerkte.
268
Er hatte u. A. ausgeführt: „jetzt haftet es noch an dem
einigen prinzen von Uranien ; liegt der nieder oder wird
zurückgetrieben oder sonsten ausgemattet, so ist es nicht
wenig zu besorgen, obschon die Chur- und forsten A. C. mit
seiner, des prinzen Sachen nichts zu schaffen haben^ das
doch der ander theil, so ferner bei zeiten nichts dargegen
getrachtet, nicht underlassen werde, sein heil weiter zu ver-
suchen und sich der guten gelegenheit zu gebrauchen"^).
Merkwürdiger Weise protestierte Wilhelm später dagegen^
dass er gerathen haben sollte, den Prinzen auf den Beinen
zu erhalten ^). Er sandte diesen Protest aber erst dann ab,
als er die Nachricht bekommen, dass der Prinz, der nach
anfänglichen Erfolgen Schritt für Schritt vor Alba hatte
weichen müssen, am 6. October bei Ruremonde und Venlo
seine Truppen abgedankt habe^).
Mit Recht hielt ihm Kurfürst Friedrich entgegen, dass
jene Aufforderung den Worten nach in dem Schreiben an
Sachsen und Brandenburg freilich nicht ausgesprochen sei,
dass sie aber dem Sinne nach sicher darin enthalten sei,
ebenso wie in dem Heidelberger Abschied, dass man also
volles Recht gehabt habe, wie dies in dem Concept eines
Schreibens an Brandenburg geschehen sei, sich darauf zu
berufen. Hiermit stimme auch überein, wie sich Landgraf
Wilhelm gegenüber Johann Casimir gelegentlich der Taufe
des Prinzen Moritz in Cassel geäussert*). Man sieht: auch
jetzt wieder dasselbe Verfahren wie im Jahre 1568. Auch
jetzt suchte der Landgraf, als das Glück der Sache, welcher
seine Sympathie gehörte, den Rücken zu kehren schien,
frühere Äusserungen abzuleugnen oder umzudeuten. Auf ihn
selber fand nun Anwendung, was er am 30. Juli an Friedrich
von der Pfalz geschrieben, dass „wann der Prinz in seinem
») Kluckhohn II, S. 497.
•) Am 12. October. L. Wilhelm an Kf. August (verdruckt statt
K. Friedlich) ebd. S. 538.
3) Ebd. In den Acten des Marburger St.-A. findet sich das Concept
einer kürzeren Fassung, die auf Oraniens Rückzug noch nicht hinweist.
*) Kluckfwhn II, 552 (Kf. Friedrich an Wilhelm den 10. Nov. 1672).
269
jetzigen vorgenommenen Zug Glück habe, man alsdann gütliche
Unterhandlung nicht ausschlage, wo er aber unterliegen sollte,
dass sich alsdann wenig Leute seiner annehmen würden" *)•
Und doch war er derjenige, durch dessen Vermittlung Oranien
auf andere Fürsten zu wirken gedachte ^). Das einzige, was
er that, war, dass er gegenüber den von auswärts drohenden
Gefahren eine Zusammenkunft der Fürsten vorschlug, aber
bei der Indolenz, namentlich Sachsens, ohne Erfolg ^).
Nicht nur aus Teilnahme für das verwandte Fürsten-
haus und die niederländischen Glaubensgenossen empfand
L. Wilhelm die Fortdauer des Krieges schmerzlich, sondern
auch im Interesse seines eigenen Landes, dem, wie er am
19. März 1573 an Kurfürst August schrieb, die kriegerischen
Wirren im verflossenen Jahre wegen Störung der Commercien
für 100 000 Gulden Schaden gethan hatten*). Freilich be-
hauptete kurz darauf, am 4. April, der französische Gesandte
Schomberg, der Landgraf habe dem Grafen Ludwig von Nassau
vom Frieden abgeraten, damit nicht die ganze spanische
Macht auf Frankreich falle ^). Allein auf Antrieb desselben
Grafen Ludwig, der zu Ostern des Jahres bei ihm in Cassel
war^), schrieb Wilhelm zur gleichen Zeit an die Kurfürsten
von Sachsen und Mainz und den Bischof von Münster, damit
sie den Kaiser für die Vermittelung des Friedens günstig
stimmen sollten"^). Dem ersteren gegenüber betonte er,
Oranien verfolge keine eigennützigen Zwecke, sondern wolle
nur die Ausdehnung des deutschen Religionsfriedens auf die
Niederlande, wenigstens in der Weise, dass die Protestanten
nicht länger bedrückt würden, sondern ihnen gestattet werde,
das Land zu verlassen und ihre Güter zu verkaufen ®). Hierfür
konnte er sich auf das Zeugnis des Grafen Ludwig berufen,
>) Kluckhohn II, 477.
«) Prinsierer I, 3, S. 508.
3) Kluckhohn II, 552, 550, Anm.
*) Prinsierer I, 4, S. 36 f.
^) Ebd. S. 52 t.
^) Concept zu dem Schreiben aa Kf. August vom 30. Mai.
') Au Ludwig von Nassau den 17. Mai 1573 {Prinsierer I, 4, S. 97).
8) An Kf. August den (30.) Mai 1573 a. a. 0. S. 99. Das Datum
erhellt aus den Acten.
m
der aber freilich betonte, dass sein Bruder nur im äussersteri
Falle auf solche Bedingungen hin Frieden schliessen werde
und daher das öffentliche Bekanntwerden derselben nicht
wünschte ^), In der That wies Oranien auch bald darauf (im
November) ähnliche Vorschläge von der Hand und erklärte,
die Waffen nicht eher niederlegen zu wollen, als bis die
Gleichberechtigung der Bekenntnisse anerkannt und die
spanischen Truppen aus den Niederlanden entfernt seien ^),
Da die Lage der Provinzen in diesem Jahre derartig
war, dass sie ohne auswärtige Hilfe dem sicheren Untergang
entgegenzugehen schienen, so versuchten Graf Ludwig und
die Pfälzer im Verein mit den französischen Agenten den
Landgrafen und andere deutsche Fürsten zu einer Verbindung
mit Frankreich zu bewegen, welche sich gegen das Haus
Österreich richten und auch den Niederlanden zu gute kommen
sollte, aber alle solche Bemühungen scheiterten an seiner
Loyalität und Vorsicht^.
4. Statthalterschaft des Requesens, Friedensver-
handlungen (Herbst 1573 bis Juni 1575).
Als der Herzog von Alba durch Requesens ersetzt
wurde, hoffte Landgraf Wilhelm, der neue Statthalter werde
durch grössere Milde die Gemüter zu gewinnen vermögen*).
So lange freilich die Niederlande durch Spanier verwaltet
würden, sei, das sah er wohl ein, der Friede nicht denkbar ^).
Den Bischof von Münster, der sich verächtlich über die
Macht der Geusen aussprach, wies er auf die Bibel hin, die
an so manchen Stellen zeige, wie Gott durch wenig Leute
grosse Heerschaaren zunichte machen könne®).
Glaubte er nun, dass die Geusen ausser der Hilfe Gottes
keines weiteren Beistandes bedürften, oder war es übertriebene
Vorsicht, er versagte ihnen nicht nur selber jede pekuniäre
1) Ludwig von Nassau an L. Wilhelm den 25. Mai.
*) Juste, Guülaume le Taciturne S. 144.
8) Prinsterer I, 4, S. 97 f bis 118 f (August bis October 1573).
*) L. Wilhelm an Münster den 20. Dec. 1573 (Prinsterer I, 4, S. 294.
^) Wilhelm an den Grafen Hermann von Neuenarden 29. Januar 1574.
«) Den 28. Januar 1574 bei Prinsterer I, 4, S. 294, Anm.
2?1
und militärische Unterstützung, sondern versuchte auch be-
freundete Fürsten von einer solchen abzuhalten. So riet er
dem Grafen Simon von der Lippe ^) ab, an dem Zuge des
Pfalzgrafen Christoph zu gunsten der Aufständischen teil-
zunehmen, so suchte er den Pfalzgrafen selber^) gleichwie
später dessen Bruder Johann Casimir^) zurückzuhalten und
warnte den ältesten Bruder, den Kurprinzen Ludwig, sich
weder gegen Frankreich noch gegen Spanien einzulassen*).
Von sich auf Andere schliessend, betrachtete er denn auch
die Versuche Oraniens, ein Anlehen zu Stande zu bringen,
mit zweifelnden Augen ^). Trotzdem bezeichnete Johann
von Nassau ihn, allerdings einem hessischen ünterthanen ^)
gegenüber als ein instrumentum Dei, dessen die Sache der
Religion ebensowenig entraten könne wie Oraniens. Wenigstens
ermüdete der Landgraf nicht in seinen Bemühungen bei be-
freundeten Fürsten, dass sie den Kaiser zum Eingreifen be-
stimmen sollten ^) und in der That übernahmen es die Kur-
fürsten von Mainz und Sachsen die Vermittlung des Kaisers
anzurufen ^). Auch stand er den nassauischen Brüdern immer-
hin so nahe, dass — nach Aussage des Grafen Johann®) —
kein Stand des Reiches nächst dem Pfälzer Kurfürsten den
Spaniern verhasster war als er und sie sich bemühten, ihn
von jeder Anteilnahme an den Friedensverhandlungen aus-
zuschliessen. Als nun diese Friedensverhandlungen im
Februar 1575 unter Assistenz eines kaiserlichen Bevoll-
mächtigten, des Grafen Günther von Schwarzburg zu Breda
>) Wilhelm an L. Georg den 21. Febr. 74.
2) Priiisterer I, 4, S. 367; Klmkhohn 11, S. 641, Anm. 1.
3) Ebd. S. 871.
*) Den 17. Mai 1574 (a. a. 0. S. 676).
^) An Mainz den 14. Juli 1574 bei Prinsterer I, 5, S. 33.
6) An Scholley den 2. Februar 1575 a. a. 0. S. 135.
^) Job. von Nassau an L. Wilhelm den 10. Juni 1574 : E. f. g.
schreiben ahn die bewuste bede menner, den grossen (?) und den ver-
enderten (?) man, hab ich gestern morgen für meiner abreisen und in
warhoit gantz geheim von e. f. g. Secretaron mir lassen vorlesen, zweiffei
nit, dieselbige werden ohne fruoht nit abgehen, E. f. g. wolle in solchem
christlichen vorhaben nuhr fortfahren, den es feit nie ein bäum von
einem streich.
®) Wilhelm an Johann den 20. Juni 1574,
») An Scholley den 2. Febr. 75 {Prinsterer I, 5 S. 136).
ä7ä
wirklich stattfanden, da glaubte der Landgraf den brieflichen
Mitteilungen dieses Abgesandten za entnehmen, dass der
Prinz von Oranien seine Sache von derjenigen der Provinzen
trennen und namentlich auf religiösem Gebiet zuweitgehende
Zugeständnisse machen könne und gab seinen diesbezüglichen
Befürchtungen in Briefen Ausdruck ^). Zum Glück konnte
Johann von Nassau den Landgrafen sehr bald über die Ab-
sichten seines Bruders beruhigen^) und die Verhandlungen
führten ja auch zu keinem Ergebnis. Auf der Heimreise
vom Bredaer Congresse kam Graf Günther durch Marburg
und Ziegenhain und hatte dem Hauptmann der letztgenannten
Festung, dem hessischen Rathe Simon Bing interessante
Dinge über die Niederländer zu berichten. Er meinte, ihr
sehnlichster Wunsch sei es, einen der Söhne des Kaisers
zum Fürsten zu haben. Nach Cassel zum Landgrafen wollte
er nicht, denn gewisse Leute — es war ungewiss, ob er
damit die Spanier oder den Kaiser und Sachsen meinte —
hätten auf diesen sonderlich ein Auge^).
5. Oraniens neue Ehe. Statthalterschaft des Don
Juan d'Austria (Sommer 1575 bis Herbst 1578).
Das bisherige gute Verhältnis zwischen dem Landgrafen
und Oranien drohte eine unheilbare Störung zu erleiden
durch eine Trübung ihrer verwandtschaftlichen Beziehungen.
Zwar, dass Anna von Sachsen sich vielfältig gegen ihren
Gatten vergangen und des Ehebruchs so gut wie überwiesen
sei, verkannten weder der Kurfürst von Sachsen noch Wilhelm
von Hessen und sie drangen selber darauf, dass die unglück-
liche und schuldige Frau in festen Gewahrsam gehalten werde*).
Als aber Oranien noch bei Lebzeiten Annas und ohne von
ihr gesetzlich geschieden zu sein unter Begünstigung des
Kurfürsten Friedrich von der Pfalz zu einer neuen Ehe mit
*) An Kf. August den 24. März 1575 bei Prinsierer I, 5, S. 154.
(VgL ebd. S. 143, 145.)
«) Den 26. März 75.
*) Bing an L. Wilhelm den 1. Juni 75.
*) Rommel V, 534; Jtiste 170.
273
Charlotte von Bourbon schritt ^), empfanden beide Fürsten
dies als eine persönliche . Kränkung und äusserten sich in
den härtesten Ausdrücken über das Benehmen des Prinzen.
Indes war wenigstens mit dem Landgrafen das Zerwürfnis
nicht dauernd. Schon am 30. April 1576 berichtet Johann
von Nassau dem Bruder, er selber, der Graf, stünde noch
beim Landgrafen im alten Credo ^). Oranien machte ihm
auch Mitteilung davon ^), dass die Staaten Holland und See-
land mit den übrigen Provinzen Frieden geschlossen hätten.
Dieser Friede, die sogenannte Genter Pacification, gewährte
den Niederländern eine gewisse Unabhängigkeit von Spanien,
aber ordnete an, dass die katholische Religion ihre alte
Machtstellung behaupten sollte in den südlichen Provinzen,
während für Holland und Seeland die Entscheidung über
diesen Punkt den noch zu berufenden Generalstaaten aller
Provinzen vorbehalten wurde. Diese letzteren Bestimmungen
erregten das Misstrauen des Landgrafen. Auch missfiel ihm,
dass der Prinz sich überhaupt auf ein Zusammenwirken mit
den Katholiken eingelassen und er sagte daraus entspriessendes
Unheil im Style der Bartholomäusnacht voraus *). Ausserdem
fand er nicht mit Unrecht, dass Kaiser und Reich von diesem
Frieden wenig Gewinn hätten^). Ebensowenig entging ihm
aber, dass hieran die Unthätigkeit der deutschen Fürsten
einen grossen Teil der Schuld trage, welche ohne alle höheren
Gesichtspunkte nur den eigenen Nutzen suchten^). Auch
dass er hierin mit den Andern in gleicher Verdammnis sei,
konnte er sich nicht verhehlen, doch entschuldigte er sich
1) Am 12. Juni 1575.
2) Prinsterer I, 5, S. 344.
3) Den 8. Nov. 1575 {Blök, S. 187 ff).
*) An Johann von Nassau den 16. Nov. 1576 : Es scheine als „wan
man den Printzen hiermit gern in den stock locken und uff die fleisch-
bank lieffern wolle, zu welchen gedancken uns dan umb so viel anleitung
gibtt, dieweil die deputirte von den Stetten und auch die Stetten selbst
Pfaffen und Papisten seindt, dahero wir nicht vermuten können, daß sie
es mit S. L. gutt meinen und besorgen, dieser friedt werde ein endt
nehmen wie die hochzeit zu Pariß.
ß) An denselben den 29. März 1577.
^) An die Heidelberger Räte den 5. Januar 1577. An Julius von
Braunschweig den 2. Dec. 1576 {Prinsterer I, 5, S. 548).
N. F. Bd. xxiii. 18
274
damit, dass sein Land nur klein sei und er daher die
Mächtigen nicht reizen dürfe ^). Auch seien die Niederländer
ein unzuverlässiges Eaufmannsvolk^ das seinen Helfern die
Unterstützung schlecht lohne ^). Durch die Bestätigung, welche
der spanische Statthaltier Don Juan d'Austria der Pacification
im Februar 1577 mittelst des sogenannten „beständigen
Edictes" zu teil werden Hess, wurde dieselbe in einem Punkte
noch verschlechtert, indem nämlich die Aufrechterhaltung
der katholischen Religion im Allgemeinen betont wurde, ohne
die Provinzen Holland und Seeland auszunehmen. Als infolge-
dessen Herzog Julius von Braunschweig anregte, dass das
Reich, weil in dem Edicte nur der päpstlichen Religion ge-
dacht sei, deswegen Erinnerung thun solle, wies Wilhelm
dies doch von der Hand, weil es dazu zu spät und doch
vergeblich sei^). Auf die Nachricht, dass man in den Pro-
vinzen Holland und Seeland die Ausübung der katholischen
Religion nicht dulde, sprach er seine Missbilligung aus,
„wollte Gott", schrieb er, „dass überall beide Religionen
bei einander wären"*).
Im Juli 1577 sandte der Landgraf seinen Amtmann zu
Hauneck und Frauensee, Anton Winther, an Oranien. Derselbe
sollte den Prinzen angehen, dass er die im Jahre 1568 vor-
gestreckte Summe in Geld oder Waaren zurückerstatte oder
in irgend einer Weise sicher stelle. Indes, da der Prinz
beständig in der fürchterlichsten Geldverlegenheit sich befand,
so war in dieser Beziehung nichts zu erreichen. Der Ab-
gesandte sollte ferner Oranien zur Herstellung des Friedens
beglückwünschen. Obwohl es den Anschein habe, „dass alle
Dinge, sonderlich die Religion betreffend, noch nicht so gar
richtig und klar, wie es wohl möchte gewünscht werden",
so sei es doch „hier wiederum an dem, dass den Sachen ein
guter Anfang gemacht, in dem nämlich der Artikel de statu
Religionis im Gentischen Vertrag auf gemeiner Stende Consens
^) Ad L. Ludwig den 1. März 1577. An Johann von Nassau den
29. März.
«) Ebd.
8) Den 22. April 1577.
*) An den Grafen von Neuenar den 18. Mai 1577.
275
verschoben, dan sonder Zweifel Gott mit seinem Geiste auch
werde zugegen sein und die Sache, die sein proper Eigen
sei, zu allem Besten richten und wenden werde". Auch er
selber habe vor 25 Jahren, als der Passauische Vertrag auf*
gerichtet werden sollte, der Religion halben dasjenige, das
er wohl begehrte, nicht vollkommen erhalten können, sei
aber doch dem Rate seines Vaters und anderer alter ver-
ständiger Herren und Fürsten gefolgt, die es sich hätten ge-
fallen lassen, dass dieser Artikel zu Beratung gemeiner Stände
des Reichs sollte gezogen werden ^), was denn auch zum
Guten ausgeschlagen sei. Ferner liess er den Prinzen warnen,
sich auf den gemeinen Pöbel und die Communen zu ver-
lassen ^). Oranien seinerseits hatte am 16. Juli Otto von
Wolmerinckhausen mit mündlichen Mitteilungen über die
Friedenstractaten in den Niederlanden an den Landgrafen
geschickt^) und empfahl ihm am 28. Juli den englischen
Gesandten Daniel Rogers, der im Auftrage seiner Königin
ein engeres Bündnis zwischen den Protestanten aller Länder
anregen sollte*), ein Plan der in diesem und im nächsten Jahre
die Gemüter beschäftigen sollte, von Landgraf Wilhelm warm
empfohlen wurde, aber an der Lauheit der meisten deutschen
Fürsten scheiterte.
In seiner Antwort an Winther wies Oranien den ihm
von verschiedenen Seiten gemachten Vorwurf zurück, als
habe er die Genter Pacification verletzt, während vielmehr
Don Juan dieselbe nicht ausgeführt habe. Dass es in den
Staaten von Brabant zur Einführung des deutschen Religions-
friedens kommen werde, dazu sei leider wenig Hoffnung vor-
handen, da diese Staaten alle papistisch seien ^).
Zur selben Zeit, als der Abgesandte des Landgrafen
bei Oranien weilte, stellte sich heraus, dass ein gutes Ein-
•) Man vorgleiche hierzu die hessische Erklärung vom 30. Juni
1552 bei v. Druffel: Briefe u. Acten zur Geschichte des 16. Jahrh.,
Bd. 111, S. 531.
2) Instruction für Winther vom 8. Juli 1577.
^) Nach den Acten.
*) Bexold I, S. 272, Nr. 57, Anm. 1.
^j Ivolation des Wintlier vom 8. August 1577.
18*
276
vernehmen der Provinzen mit Don Juan unmöglich sei. In-
dem Don Juan sich auf gewaltsame Weise Namurs be-
mächtigte (24. Juli 1577), gab er ge wisser massen das Zeichen
zum Wiederausbruch des Kampfes. An den damals in Frank-
furt tagenden ßeichsdeputationstag (August bis November 1677)
wandte er sich mit einer Schrift, die alle Schuld an den neu
ausgebrochenen Zwistigkeiten auf Oranien warf. Als der Land-
graf von dieser Schrift erfuhr, beauftragte er seine Gesandten
beim Deputationstage, sie sollten, falls die niederländischen
Dinge zur Sprache kämen, Folgendes anzeigen : Es sei zu An-
fang leichter gewesen, diesem Kriege, der dem ganzen Reiche
besonders aber dem Hessenlande so beschwerlich sei, ein Ende
zu machen, wie dies Kaiser Maximilian und andere Reichs-
fürsten so ernstlich gewünscht und geraten, dem Könige von
Spanien und seinen Gubernatoren scheine aber nicht viel
daran zu liegen und auch die Vermittlung des Reiches werde
nicht viel nutzen. Wenn man aber dem Könige Hilfe thun
und die Lande mit Gewalt unterwerfen wolle, so könne er,
der Landgraf, sich Gewissens halber in nichts einlassen,
bevor nicht der König sich entschlossen, die Religion frei-
zustellen und Niemanden mehr deswegen zu verfolgen. Der
fruchtlose Kampf gegen den Prinzen und die ihm ergebenen
Provinzen habe schon über 400 Tonnen Geldes gekostet,
jetzt da die Staaten für einen Mann stünden und des
Schutzes ausländischer Potentaten gewärtig seien, reiche das
Vermögen des Reiches nicht hin, sie mit Gewalt zu unter-
werfen; um Zerschlagung etlicher hölzerner und steinerner
Bilder einen so gewaltigen Krieg auf sich zu laden, würde
allen Benachbarten höchst verdriesslich sein^).
Bei seinem Widerstände gegen Don Juan und das
Wiederaufleben der spanischen Fremdherrschaft hatte Oranien
jetzt auch die südlichen Provinzen auf seiner Seite. Die
Generalstaaten beriefen ihn nach Brüssel, wo er seinen Sitz
im Staatsrat wieder einnahm und von den Ständen von
Brabant zu ihrem Ruwaert erwählt wurde. Eine starke
*) L. Wilhelm an die Gesandten den 2. Oct. 77. Vergl. Rommd V,
S. 535.
277
katholische Partei, die ihm wie dem spanischen Statthalter
gleiclimässig entgegen war, berief den Bruder des Kaisers,
Erzherzog Mathias, zum Generalgouverneur, der ohne Wissen
seiner Verwandten nach den Niederlanden entfloh und dem
der Prinz sich freiwillig unterordnete. Der Landgraf, dem
dieser Gang der Dinge bei seiner Loyalität gegen das Haus
Österreich eigentlich höchst willkommen hätte sein müssen —
hatte doch sein Kanzler Reinhard SchefFer noch vor Kurzem
die Übertragung der Statthalterschaft an einen der Brüder
des Kaisers als den besten Ausweg bezeichnet ^) — fürchtete
daraus die Entstehung neuer Verwicklungen, indem das er-
zürnte Spanien dem Reiche die Türken und Moscowiter auf
den Hals hetzen werde ^). Die Verhältnisse in den Nieder-
landen schienen ihm überhaupt dermassen verwirrt, dass er
es für das Klügste erachtete, die Hände ganz davon zu lassen
Das tiefste Misstrauen flösste ihm der umstand ein, dass
protestantische und katholische Niederländer im Kampfe
gegen Spanien Hand in Hand gingen. Dabei könne für die
Sache der Religion nichts Gutes herauskommen. Als Graf
Johann, von seinem Bruder und den Provinzen Holland und
Seeland gedrängt, eine niederländische Bestallung anzunehmen,
den Freund um Rat fragte, riet Wilhelm dringend, obwohl
zum Glück vergeblich, ab. Er solle lieber an seine Familie
und sein Land denken und sich nicht in diese unsicheren
Verhältnisse begeben. Die Staaten hätten, anstatt neues
Blutvergiessen hervorzurufen, besser daran gethan, sich Don
Juan zu unterwerfen, diejenigen, die den Zorn des Königs
zu fürchten gehabt, hätten auswandern können. Eine solche
Bestallung dürfe man auch nur von der legitimen Obrigkeit
annehmen, diese aber sei für die Niederlande der Kaiser.
Sogar der gerade damals am Himmel stehende Komet musste
dazu herhalten, das Gewicht dieser Warnungen zu verstärken^).
Diese ganze Beurteilung der Sachlage war so ungerecht als
*) An die Gesandten in Frankfurt den 27. üug.
=») An Kf. August den 10. Nov. 1577.
^) L. Wilhelm an Johann von Nassau den 22. Nov» 1577 und
16. März 1578 bei Primterer I, 6, S. 253 und 317.
278
möglich und hätte dem schrullenhaftesten Legitimisten Ehre
gemacht. Damit stimmt denn freilich sehr wenige dass ihm
Oranien, der doch auf die wallonischen Provinzen Rücksicht
zu nehmen hatte, in Sachen der Religion nie weit genug
ging, dass er die calvinistischen Ausschreitungen in Flandern
gegen die Katholiken ^) mit Freude begrüsste und meinte, die
Pfaflfen hätten nur schon längst ausgetrieben werden sollen,
denn wie könne man sich Glückes vermuten, wenn man
Gottes Ehre, darüber der ganze Krieg entstanden, nicht allem
Andern voransetze ^). Die Nachricht, dass man unter Ver-
mittlung des Kaisers wieder über einen Religionsfrieden ver-
handele, worauf er früher immer hingedrängt hatte, war ihm
unter diesen Umständen gar nicht willkommen, denn dies
heisse nur dem Vorschreiten der wahren Religion Halt ge-
bieten, während bei der Fortdauer des Krieges noch Vieles
hätte erreicht werden können, gerade so wie im Jahre 1552
der Passauer Vertrag zu beklagen gewesen sei — man ver-
gleiche oben die entgegengesetzte Äusserung — da ohne ihn
die Protestanten mehr erreicht haben würden^). Nicht sehr
im Einklang mit diesen Ansichten über den Wert eines
Religionsfriedens stand es, dass er dem Abgesandten des
Don Juan, Don Ramiro de Nunez, die Herstellung eines
solchen ans Herz legte*) und die Vermittlung des Kaisers
zu diesem Zwecke willkommen hiess, nur widerriet er die
Beiziehung der geistlichen Kurfürsten, da diese in eine Frei-
stellung der Religion nie willigen würden ^). Mit Bedauern
erfüllte es ihn, dass die Staaten schliesslich von dem Erz-
herzog Mathias so wenig wie von Don Juan etwas wissen
und sich dem Herzog von Anjou, dem Bruder des Königs
von Frankreich, in die Arme werfen wollten. Doch ver-
kannte er nicht, dass das Haus Österreich hieran einen
grossen Teil der Schuld trage, da es den Erzherzog nicht
1) Vergl. Juste, S. 233.
2) An Ehern den 19. Juli 1578, Bexoldl, 116 lag nur ein Fragment
des Briefes vor.
8) Ebd.
*) Bexold 1, S. 314. An Sachsen 1578, October 2.
^) An des Traos 1578, October 3.
279
unterstützt habe und selber in den Erblanden die Protestanten
verfolge ^). Dass auch die Indolenz der deutschen Fürsten
anzuklagen sei, hob selbst ein so eifriger Lutheraner wie
Herzog Julius von Braunschweig hervor. Er meinte, es
würde jetzt übel stehen, wenn die Vorfahren die Sachen
nicht besser in Acht genommen hätten als es jetzt von Chur-
fürsten und Fürsten, die ihren Jagden, wilden Säuen oder
Wollust nachhingen, oder auch von denjenigen geschehe,
welche dem Bauen und andern dergleichen Sachen oblägen ^).
Gegen die allgemeine Fassung dieses Vorwurfs, den er freilich
selber oft genug ausgesprochen, verwahrt sich indes der
Landgraf. Es sei zweifelhaft, was besser sei, ob man sich
des von Gott geschenkten Friedens erfreue oder wie die
Vorfahren sich in auswärtige Händel mische und dadurch
Krieg auf den Hals lade. Jenes könnten am ersten noch
grosse Herren wie Sachsen, Brandenburg oder Württemberg,
die unzerteilte Lande, stattliche Bergwerke, Weinwachs, Zoll
und dergleichen Einkommen hätten, während dies den andern,
die mit sich selbst zu Hinbringung ihres Standes genug zu
thun hätten, schlecht anstehen würde ^). Als Pfalzgraf Johann
Casimir auf die Aufforderung des Erzherzogs Matthias und
der Königin von England den Niederländern zu Hülfe ziehen
wollte, widerriet der Landgraf dies in Übereinstimmung mit
des Pfalzgrafen Bruder Ludwig auf das Dringendste, da
diesen Leuten einmal nicht zu trauen sei*). Nur dann wolle
er die Sache mit günstigeren Augen ansehen, wenn Kaiser
und Reich sich ihrer annehmen würden, in diesem Sinne
habe er auch seine Gesandten zum Wormser Deputationstag
instruiert^). In der That hatte er dieselben beauftragt,
auf die Verbesserung des im Jahre 1548 mit Burgund ge-
schlossenen Vertrages und Freistellung der Religion gemäss
dem Religionsfrieden hinzuwirken ^. Doch gelangte die kaiser-
1) An Pfalz und Sachsen 1578, August 1.
2) An L. Wilhelm den 4. Febr. 1578.
3) An Julius von Braunschweig den 10. Febr. 1578.
4) Am 16. März (PHnsterer I, 6, S. 317). Am 1. Mai, 7. Mai (Acten).
») Brief vom 7. Mai 1578.
6) Vergl. den Brief an Julius von Braunschweig vom 4. April, auf
280
liehe Proposition wegen der Niederlande nur an die Abge-
sandten der Kurfürsten.
Ein Gesuch des Pfalzgrafen um ein Darlehen von
6000 Thalern, das dieser durch Fabian von Dohna anbringen
Hess ^), lehnte Wilhelm zuerst ab, da er im letzten Jahre für
beinahe 40000 Thaler ausserordentliche Ausgaben gehabt^),
Hess sich aber dann doch zur Hergabe von 2000 Thalern
bereitfinden ^). Sein Widerstreben gegen den Zug selbst zog
ihm von Seiten des Pfalzgrafen die spöttische Bemerkung zu,
eine hohe kriegserfahrene Person *) habe geäussert, dergleichen
Zweifel könnten nur von Weibern, Doktoren oder aus ver-
zagten Herzen kommen ^), was den Landgrafen empfindlich
ärgerte^.
Dass der Pfalzgraf, als er wirklich in den Niederlanden
erschien, sich mit Oranien ') nicht stellen konnte und bald
in eine sehr prekäre Lage geriet, dass andererseits der
Herzog von Anjou, der Bruder des Königs von Frankreich,
nach dem Hennegau kam und die sogenannten „Malcontenten"
im Gegensatz zum Erzherzog Matthias und zu Oranien sich
auf ihn stützten, war dem Landgrafen ein neuer Beweis
dafür, dass in den Niederlanden ein confusum chaos herrsche
und dass er recht daran gethan, als er dem Pfalzgrafen ab-
geraten, sich hinein zu begeben. Er befürchtete, dass
infolge der Einmischung Anjous England, der Kaiser und
Erzherzog Matthias sich von den Provinzen abwenden würden®).
den er sich in der Instruction für seine Gesandten vom 20. April beruft
(Acten des Deputationstages). Man vergleiche die ähnlichen Forderungen
Johann Casimirs in dem Schreiben an seinen Bruder Ludwig vom 12. April
(bei Bexold I, S. 299).
') Instniction für Dohna vom 19. Mai.
•) Antwort an Dohna vom 26. Mai.
*) Johann Casimir an L. Wilhelm den 3. Juni 78. Er wollte noch
weitere 2000 Thaler hergeben, aber Johann Casimir bedurfte ihrer nicht mehr.
*) Lazarus Schwendi (K. Ludwig an L. Wilhelm den 5. Juni).
*) Instruction für Dohna den 19. Mai.
®) L. Wilhelm an Johann Casimir den 2. Juni.
') Bittero Äusserungen über Oranien finden sich in den Briefen
Wilhelms an Johann Casimir vom 2. Dccember und an Ehen vom
15. Nov. 1578.
8) An des Traos den 31. Juli 1578 bei Prinsterer I, 6, S. 427. An
Ehom den 26. August und 13. Sept. 1578.
281
Dem gegenüber war es ihm höchst erfreulich zu hören, dass
wenigstens die nördlichen Provinzen von den Franzosen
nichts wissen , und am Kaiser festhalten wollten ^). Im
Übrigen setzte er in die kriegerische Leistungsfähigkeit des
Kaufmannsvolkes nur geringes Vertrauen. Sie schienen ihm
geneigter, die steinernen Bilder als ihre Feinde zu stürmen.
Denn die bilderstürmerischen Ausschreitungen, die jetzt
namentlich in Flandern an der Tagesordnung waren und die
er im Jahre 1566 so nachsichtig beurteilt hatte, verwarf er
jetzt, hierin übrigens mit Oranien einverstanden, entschieden.
„Wohl sei jeder Christ schuldig, die Lehre des Evangelii zu
propagieren, „aber Kirchen und Bilder stürmen, item bona
ecclesiastica zu occupieren und die arme Personen mit Gewalt
auszutreiben, das finden wir nirgend in keinem Evangelio
geschrieben, denn Paulus spricht: fugite, aber nicht : concutite
Idola, so sollte man auch nach der Lehre Lutheri die Bilder
eher außen Herzen nehmen, darnach würden sie wohl aus
den Kirchen selbst kommen" ^).
Durch den am 1. Oktober 1578 erfolgten Tod Don
Juans sah Wilhelm eine Prophezeihung von sich erfüllt. Zu
Anfang des Jahres hatte Don Juan nämlich, um die Furcht
vor dem damals am Himmel stehenden Kometen zu verspotten,
seine Truppen mit Fahnen versehen lassen, auf denen ein
Komet gebildet war. Wilhelm hatte damals darauf aufmerksam
gemacht, der Komet sei bei seinem ersten Erscheinen am
grössten gewesen und habe nachher beständig abgenommen,
ebenso könne es wohl mit seinem Verspotter sein^). Aber
auch nach Don Juans Tod sah er die Verhältnisse trübe an
und führte die missliche Lage der Dinge darauf zurück, dass
die Staaten in fundamento religionis unter sich uneins und
die Empörung gegen ihren König nicht recht sei^).
An des Traos den 31. Oct. 1578. Ebd. S. 450.
2) Ebd.
^) August von Sachsen an L. Wilhelm d. 6. Nov. 1578.
*) An des Traos den 13. Nov.
282
6. Vom Tode Don Juans bis zur Ermordung
Oraniens (Herbst 1578 bis Juli 1584).
Der Erfolg gab den Besorgnissen des Landgrafen hin-
sichtlich der Religionsverschiedenheit Recht. Denn kurz
darauf am 6. und 29. Januar 1579 wurden der Vertrag von
Arras hier, die ütrechter Union dort geschlossen, welche
die ersten Schritte zur Trennung der katholischen und
protestantischen Provinzen darstellen, einer Trennung, welche
nicht sowohl durch die Erfolge der spanischen Waffen als
durch die religiöse Intoleranz auf beiden Seiten unvermeidlich
wurde. Kann man aber darum dem Prinzen von Oranien
Unrecht geben, wenn er bis zum letzten Augenblick an der
Hoffnung festhielt, es werde möglich sein, die religiösen Ver-
schiedenheiten hinter dem Hass gegen die Fremden und dem
gemeinsamen Festhalten an den alten Privilegien zurücktreten
zu lassen? Vielleicht war dieser Gedanke in einer Zeit
religiöser Gährung undurchführbar und konnte überhaupt nur
entstehen in dem Kopfe eines Mannes, der, weil er selbst
den Glauben viermal gewechselt, den religiösen Streitigkeiten
noch kühler gegenüberstand als der im Verhältnis zu den
meisten seiner Zeitgenossen tolerante Landgraf. Hatte Jener
sich aber klar gemacht, dass eine protestantische Politik wie
er sie von Oranien verlangte, da die deutschen Fürsten sich
ihr versagten, nur durchzuführen war im Gegensatz zum
Hause Osterreich, im Bunde mit England und Frankreich?
Don Juans Nachfolger, Prinz Alexander Farnese, setzte
den Krieg mit weit grösserem Erfolg als Jener fort. Wilhelm
fürchtete, Farnese werde „sich mit den Malcontenten,
vielleicht auch mit Anjou vertragen" und dann den Prinzen
angreifen und ihnen den „Backmeister" bringen, ob dann der
gemeine Mann bis dahero beim Prinzen halten und sich der
Gewalt erwehren könne, werde die Zeit geben. „Wir haben
aber in keiner Historien erfahren, dass, qui nituntur factioni
populari, jemals prosperiert seien. Quia populus hält Einen
hoch, aldieweil es ihm wohl ^ehet, wo es ihm aber übel
283
gehet, so ist populus der erste, der uf seine defensores
zuschlägt*' ^).
Im Fortgang des Krieges begannen die Spanier sogar
auf das Gebiet des Reiches überzugreifen, sie bemächtigten
sich (Januar 1579) der Stadt Kerpen im Jülichschen und
machten sich Köln lästig. Der Landgraf war auf dergleichen
Übergriffe seit Langem gefasst gewesen und hatte haupt-
sächlich aus diesem Grunde immer darauf gehalten, in der
Nähe des Kriegsschauplatzes Berichterstatter zu haben, wie
den Bürgermeister Pilgrim zu Köln, den Grafen Hermann von
Neuenar, den französischen Secretär des Traos, die ihn auf
dem Laufenden erhielten. Er hatte es schon immer beklagt,
dass die andern deutschen Fürsten nicht ebenso dächten und
anstatt gegen die drohende Gefahr bei Zeiten Vorkehrungen
zu treffen, die Sache immer wieder auf die lange Bank
schöben. „Denn man spricht albereit, was uns die frembde
welsche Sachen angehen und ist so karg, ehe man ein hundert
Kronen uff Kundschaft auswendete, ehe hinge man ein zwanzig
tausent Kronen unsern schonen Frauen an Schmuck; darum
und weil gemeinlich occasio furem macht, so haben wir
Sorge, es werde einmal den Herren ein Rad an die Schiene
laufen und sie vom Schlafe aufwecken"^}.
Als nun die Spanier sich in Kerpen festgesetzt, machte
Wilhelms Bruder, Landgraf Ludwig, den Schwager Ludwig
von der Pfalz auf die (fefahr aufmerksam, dass sie sich
baldigst über die dem Rheine zunächst liegenden Gegenden
ergiessen könnten. Jener antwortete darauf sehr kühl, einen
Einfall der Spanier habe wohl nicht die Pfalz, sondern Hessen
zumeist zu fürchten, da schon Alba früher geäussert, er
werde einstmals das Rüsthaus des Krieges, worunter er vor-
nehmlich Nassau und Hessen verstanden, heimsuchen^).
Wilhelm bemerkte zu jener Antwort, sie gemahne ihn an
das „französische Lied":
^) An des Traos den 7. December 1578.
2) An des Traos 0. D. (1578, Aug.).
3) Den 23. Januar 1579.
284
Me disoit
Un jour un cocu,
Quant on sa femrae fontoit:
C'est Celle d'un autre.
Übrigens habe Hessen mit den beiden grossen Potentaten
Spanien und Frankreich immer gut gestanden, während Pfalz
beide vielfältig gereizt und daher mehr zu befürchten habe ^)
Er seinerseits wandte sich an die Erbeinigungsverwandten
Sachsen und Brandenburg, fragte an, ob er vorkommenden
Falles auf ihre Hülfe rechnen könne und bat, die Aufmerksam-
keit der andern Kurfürsten auf diese Dinge zu lenken ^). Die
Antworten, die er erhielt, lauteten nicht sehr verheissungsvoll
Brandenburg erklärte sich zur Hilfe nur dann bereit, falls
die Gefahr von Hessen unverschuldet sei, worauf Wilhelm
spitz ei'widerte, ein Grund zum Angriff sei jederzeit leicht
gefunden, „wenn man einen Hund schlagen will, so hat er
Leder gessen" ^). Auch der Kurfürst von Sachsen meinte,
dass besonders Nassau unter dem Scheine deutscher Freiheit
Spanien und Frankreich vielfältig gereizt habe *). unter diesen
Verhältnissen war es ein Glück zu nennen, dass die Spanier
sich gegen Geldern wandten und die Gefahr für den Augen-
blick vorüber war.
Mit begreiflichem Interesse verfolgte der Landgraf die
Friedensverhandlungen, die im Frühling und Sommer 1579
zwischen niederländischen, spanischen und kaiserlichen Ab-
geordneten zu Köln stattfanden. Er begleitete den Fortgang
derselben, über den ihn rein x\gent des Traos auf dem Laufenden
hielt, mit grösserem Optimismus als er durch die Verhält-
nisse gerechtfertigt war. In Bezug auf die rein politischen
Forderungen der Staaten freilich zeigte der Abgesandte des
Königs, der Herzog von Terra Nova einiges Entgegenkommen,
Er versprach Amnestie alles Geschehenen, Rückgabe der ein-
gezogenen Güter und Ehrenstellen, Entfernung aller aus-
») An L. Ludwig den 2. Febr. 79.
2) Ebd. An Sachsen den 27. Jan. 79.
») An Brandenburg den 17. Febr. 1579. Vergl. Bommel V, S. 596,
Anni. 86.
*) Ebd.
285
ländischen Truppen, Verwaltung der einzelnen Provinzen
durch Einheimische^). Der Landgraf fand, dass der König von
Spanien, dessen Milde und Vorsichtigkeit er noch ebenso wie
früher ^) pries, den Staaten sehr weit entgegengekommen sei,
so weit, dass, wenn er selber seinen Unterthanen soviel ein-
räumen wollte, er sich nicht mehr für einen Herrn seiner
Lande als nur dem Namen nach achten würde ^). Er vergass
hierbei nur, dass die Niederlande eben von Alters her kein
Einheitsstaat wie Hessen gewesen waren und dass ihre Ver-
fassung eher der des Reiches zu vergleichen war. Eben nur
das lose Gefüge des letzteren ermöglichte das Nebeneinander-
bestehen beider Konfessionen, das der Landgraf auch für die
Niederlande so sehr wünschte. Hiervon wollte aber der
Konig nichts wissen, der vielmehr die Aufrechterhaltung der
katholischen Religion für seine vornehmste Pflicht erklärte.
Er glaubte schon sehr viel zu thun, wenn er durch
seine Vertreter den Andersgläubigen für eine gewisse Frist,
etwa für die Dauer von 4 Jahren, freien Aufenthalt in den
Provinzen zusichern Hess, vorausgesetzt, dass sie kein Ärgernis
gäben, d. h. auf die öffentliche Ausübung ihres Gottesdienstes
verzichteten. Spätestens nach Ablauf dieser Frist sollten sie
das Land räumen. Doch sollten sie ihre Güter durch Andere
verwalten lassen können*). Dem hielten die Abgeordneten
der Staaten mit Recht entgegen, dass hierdurch die Genter
Pacification verletzt werde, welche den Provinzen Holland
und Seeland die freie Übung der reformierten Religion zu-
gestanden hatte. In den übrigen Provinzen sollten die
Protestanten unbehelligt leben dürfen unter Verzicht auf die
öffentliche Ausübung ihres Gottesdienstes, doch sollte es
ihnen unbenommen sein, zu diesem Zwecke Städte, in denen
solcher stadtfände, aufzusuchen ^). Man sieht, die beiden
*) Responsum I Ducis Terrae Nouae etc. als Beilage zu dem Berichte
dos dos Traos vom 29. Juni.
') Vergl. üben S. 262.
♦) An des Traos den 27. Juli 1Ö79.
*) S. oben.
^) Responsum Ordinum Belgii Deputatorum ad Media pacis ineundae
otc. als Beilage zu dorn Bericht des de» Traos vom 20. Juli.
286
t^arteien gingen in ihren Forderungen recht weit auseinander^
der Landgraf aber meinte, in dem letzterwähnten Vorschlage
einen Ausweg gefunden zu haben, gegen dessen Anwendung
auch der König von Spanien nichts haben werde. So schlug
er denn vor, es einige Jahre hindurch auf folgende Weise
zu probieren. Jeder solle in seinem Hause unbehelligt gelassen
werden und ihm verstattet sein, etliche Male in jedem Jahre
Orte aufzusuchen, an denen die Religion, zu der er sich be-
kenne, öffentlich ausgeübt werde. In der Zwischenzeit könne
Gott auf bessere Mittel denken, denn der Obrigkeit und der
Herstellung des Friedens müsse man viel zu Liebe thun und
ein altes Sprichwort sei : Es ist besser schielen als blind sein ^).
In seinen religionspolitischen Ansprüchen war also der
Landgraf gegen früher sehr bescheiden geworden. Die Frage,
wie es denn in den Provinzen Holland und Seeland gehalten
werden sollte, berührte er dabei gar nicht. In der That kam
denn auch zu Köln ebensowenig wie früher oder später eine
Einigung zu Stande.
Merkwürdig wie ein gewisses Misstrauen gegen Oranien
bei Wilhelm zuweilen hervorbricht. Als der Prinz sich den
calvinistischen Ausschreitungen der demokratischen Führer
und des pfälzischen Predigers Dathenus in Gent entgegen-
stemmte ^), beklagte der Landgraf sich darüber, dass Jener
den Katholicismus dort wieder hergestellt habe und meinte,
er finge in der Religion an zu wackeln und die Religions-
verwandten wollten nichts mehr von ihm wissen^). Der
Theologe Beza musste ihn erst darauf aufmerksam machen,
dass Oranien kein souveräner Fürst sei, sondern mannigfache
Rücksichten zu nehmen habe und dass es Unrecht sei, Anders-
gläubige durch Zwang zu seiner Meinung zu bekehren*).
Vielleicht hängt jene falsche Beurteilung Oraniens zusammen
mit der Annäherung an die Calvinisten, von der Johann von
») An des Traos den 27. Juli 1579.
«) Juste, S. 258 ff.
8) Vergl. BeKoU 1, S. 347 Nr. 172 aus dem Herbst 1579.
*) An L. Wilhelm den 9. Dec. 1579 bei Heppe: Epistolae, quas
Theod. Beza ad Wilhelmum IV. misit S. 22. Marburg 1860.
287
Nassau zu melden weiss ^) und die wohl eine Folge der
Streitigkeiten um die Koncordienformel war. Dann konnte
wieder Graf Johann dem Bruder berichten, Wilhelm habe
seine Freude darüber geäussert, dass Oranien seine Verdienste
um die niederländische Sache anerkenne, es sei wohl wahr,
was Jener von ihm gesagt: Er ist der Einzige nächst Gott
— unter den deutschen Fürsten nach dem Tode des Pfälzers —
der uns erhält^).
Aber zur selben Zeit erregte die berühmte Apologie
Oraniens wegen der darin enthaltenen Angriffe gegen den
König von Spanien, den Kaiser und die deutschen Fürsten
seine lebhafte Missbilligung ^). An August von Sachsen,
schrieb er darüber ^), er habe die Apologie erst nicht für
echt gehalten, sondern für verfasst von Jemandem, der dem
Prinzen schaden wolle. Da dieser sich aber selber öffentlich
dazu bekannt, „parum abest, quin cum Cicerone dicamus,
quod omnes stulti insaniant". Er wolle mit den Schmähungen,
die zum Theil auch ihn selber beträfen, nichts zu schaffen
haben.
Richtig ist allerdings, dass die Apologie sehr scharfe
Ausdrücke und zum Teil nicht begründete Beschuldigungen,
die von Oraniens eigenen Freunden nicht gebilligt wurden,
namentlich gegen den König von Spanien enthielt^), aber
das wird entschuldbar erscheinen, wenn man bedenkt, dass
sie die Antwort war auf eine Achtserklärung, die einen Preis
auf den Kopf des Prinzen setzte. Seine Klagen über die
ünthätigkeit des Kaisers und der deutschen Fürsten aber
waren nur zu sehr begründet.
Zu der Missstimmung des Landgrafen gegen den Prinzen
trugen noch die Einflüsterungen Beutterichs, des vertrauten
Rathes des Pfalzgrafen Johann Casimir, das Ihrige bei. Sollte
doch Wilhelm auf eine derartige Einflüsterung hin gesagt
1) Bei Prinsterer I, 7, S. 539.
2} Ebd. S. 547 im April 1581.
3) Ebd. S. 544, 547.
*) Am 13. Mai 1581.
^) Vergl. Jusie, S. 275 ff.
288
haben : „Wo das wahr ist, so kent ich den Prinzen nit mehr,
wan er schon itzt für mir stünde"^).
Da Kaiser und Reich die Niederlande im Stich Hessen,
so entschlossen sich die Staaten auf den Antrieb Oraniens
dem Herzog von Anjou (früher von Alengon) die Souverainität
zu übertragen, sie ernannten ihn zum Herzog von Brabant
und Grafen von Flandern, während Erzherzog Matthias das
Land verliess (Febr. 1582).
Je sehnlicher Wilhelm von Hessen gehofft hatte, dass
vielleicht gerade der niederländische Aufstand dazu dienen
werde, wieder eine engere Verbindung der ProviTazen mit
dem Reiche herbeizuführen, desto schmerzlicher war ihm die
Aussicht, sie ganz in die Hände der Franzosen gerathen zu
sehen. Aber nicht weniger unheimlich bedünkte es ihn, dass,
wie das kaiserliche Ausschreiben zu dem auf den 22. April
1582 nach Augsburg berufenen Reichstage erwarten Hess,
das Reich veranlasst werden sollte, die Franzosen mit Waffen-
gewalt zu vertreiben. Denn dies hiess, wie er an seinen
Bruder Ludwig schrieb ^), nichts anderes als einen allgemeinen
Krieg entfesseln, die Polen nach der Mark, die Türken nach
Osterreich, die Franzosen an den Rheinstrom bringen. Und
dies um Länder willen, die ausser einer geringen Türkensteuer
dem Reiche nichts leisteten und mit ihm weder in Religions-
sachen, noch im Steuer- oder Münzwesen etwas gemein hatten.
Schon im Jahre 1577 hatte sich Wilhelm auf dem
Frankfurter Reichsdeputationstage jedem Versuche, das Reich
zur Einmischung in die niederländischen Dinge und zwar zu
Gunsten des Königs von Spanien und zum Nachteil der
Protestanten zu veranlassen, widersetzt^). Auch jetzt war
er zu dem gleichen Verhalten entschlossen. Auf einer Zu-
sammenkunft zu Grünberg, die er mit seinen fürstlichen
Brüdern am 28. März 1582 hatte, wurde die Instruction für
die auf den Reichstag zu entsendenden hessischen Gesandten
festgestellt. Nach dieser, die in einer kürzeren Fassung vom
^) Johann von Nassau an Uranien bei Prinsierer I, 7, S. 543.
«) Den 13. April 1582.
») Roirwiel V, S. 535. S. oben S. 276.
289
28. März und einer ausführlicheren vom 28. Mai vorliegt —
wegen des Todes des Kurfürsten von Mainz zögerte sich
nämlich die Eröffnung des Reichstages bis zum 27. Juni
hinaus — sollten die Gesandten, was die niederländischen
Dinge betrifft, falls der Kaiser darauf dringen würde, den
Herzog von Anjou für einen Reichsfeind zu erklären und
gegen ihn mit den Waffen vorzugehen, darauf hinweisen,
dass man sich dadurch nicht nur die Franzosen, sondern
auch andere Nationen auf [den Hals ziehen würde. Würde
von jener Seite behauptet, man müsse dem burgundischen
Kreise, als einem Gliede des Reichs zu Hilfe kommen, so
sollten die Gesandten darauf aufmerksam machen, dass diese
Lande seit 1548 vom Reiche fast völlig gelöst seien und ihr
Herrscher trotz der Abmahnungen von Seiten des Kaisers
und des Reiches die jetzigen Unruhen veranlasst habe, ohne
sie durch Gewährung des Religionsfriedens zu dämpfen. Der
Kaiser sollte darauf hinzuwirken suchen, dass in denjenigen
Provinzen, die noch nicht in Händen der Franzosen seien,
der Religionsfriede eingeführt, die alten Privilegien wieder-
hergestellt und Amnestie für das Vergangene gegeben würde,
dies sei das beste Mittel, auch die Abgefallenen wieder zu
gewinnen. Falls Anjou den Reichstag beschicken und als
Herzog von Brabant Session im Fürstenrat verlangen würde,
so sollten die Gesandten sich nach denen der andern Fürsten
richten, jedenfalls aber eine Mittelstrasse halten und in dieser
knifflichen Sache weder das Haus Österreich noch Anjou vor
den Kopf stossen^).
Darauf, den Reichstag in Person zu besuchen, musste
der Landgraf verzichten, da er durch die Gicht sehr im
Gehen behindert war. Er konnte, wie er seinem Bruder
Ludwig schrieb, keine Treppe steigen, ohne einen Lakaien
an jeder Seite zu haben, und er wollte nicht, dass man auf
dem Reichstage mit Fingern auf ihn zeigen sollte^).
Als am 9. Juli die kaiserlichen Propositionen vor den
1) Die Instructionen wie das Folgende aus den Reichstagsacten des
Marburger Archivs.
2) Den 3. Juni 1582.
N. F. Bd. XXIII. 19
290
Reichstag gebracht waren, fand Wilhelm die auf die Nieder-
lande bezügliche, die sich in allgemeinen Klagen über die
dortigen Zustände und das Verhalten der Reichsstände ihnen
gegenüber erging, etwas weitläufig. Der Kaiser drang in die
Stände, auf Mittel zu denken, wie der Friede in den Nieder-
landen wiederhergestellt und jene Lande zum Beiche und
dem Hause Österreich zurückgebracht werden könnten, wie
ferner die den Prinzen benachbarten Stände vor den lästigen
Ein- und Überfällen zu Lande und zur See sicherzustellen
seien, wie endlich die Werbungen und Musterungen für fremde
Kriegsdienste, die den Constitutionen des Reiches zuwider
auf dem Boden desselben stattfänden, abgestellt werden
könnten. Hierzu bemerkte der Landgraf, dass man freilich
nicht besser daran sei, wenn man die Franzosen als wenn
man die Spanier zu Nachbarn habe und Handel und Wandel
litten durch den Krieg erheblichen Schaden. Das Beste
wäre, einen Religionsfrieden herzustellen, aber der spanische
König habe ja erklärt, er wolle eher die ganzen Lande in
die Schanze schlagen als etwas in der Religion nachgeben
oder, wie der spanische Gesandte Don Ramiro de Gusman
sich ausgedrückt, als einen einzigen Lutheraner unter sich
wissen. Nun habe man es dahin gebracht, dass ein schwererer
Vogel im Neste sitze, von dem es lieisse: Turpius eiicitur
quam non admittitur hospes. Dass aber die kaiserliche Pro-
position den Reichsständen jede Verbindung mit fremden
Potentaten, alle Werbungen für sie untersagen wollten, hielt
er für einen Eingriff in die teutsche Freiheit ^). Er war
sogar der Ansicht, früher habe man das liberum imperium
gehabt, jetzt aber decliniere die libertas immer mehr zur
servitus^). Man könne den Protestanten nicht zumuten,
ihren Glaubensverwandten jeden Zuzug abzusperren und wo
möglich die Gegner zu unterstützen. Erst wenn der Religions-
friede hergestellt sei, Burgund sich den Reichsconstitutionen
in Münz- und andern Sachen unterwerfe und sich verpflichte,
ohne Bewilligung der Reichsstände nichts Gefährliches zu
*) An K. Ludwig und Johann Casimir von der Pfalz den 26. Juli.
') An K. Ludwig von der Pfalz den 24. August.
^91
unternehmen, sei es an der Zeit zu beratschlagen, wie fremden
Potentaten der Zuzug abgestrickt werden könne ^). Da ver-
lautete, Anjou wolle den Keichstag beschicken, schrieb der
Landgraf seinen Gesandten^), man dürfe seine Botschaft nicht
ohne Weiteres abweisen, besonders wenn er mit den von ihm
eingenommenen Landen beim Reiche verharren wolle; viel-
leicht könne man den König von Frankreich angehen, dass
er seinen Bruder von dem Unternehmen abmahne.
Der Vorschlag des Landgrafen, die Herstellung des
Religionsfriedens zu empfehlen, wurde im Ausschuss des
Fürstenrates für die niederländische Frage ausser von Hessen
von Pfalz-Neuburg und Württemberg befürwortet, sie erlangten
mit Mühe, dass man dem Plenum des Fürstenrates davon
eine Andeutung thun wollte^). Im Fürstenrat aber war die
Mehrheit nämlich die geistlichen Fürsten, verstärkt durch
Osterreich, Baiern und Jülich für scharfe Edicte gegen alle
Werbungen für Anjou und die Staaten, während solche für
den König von Spanien als Glied des Reiches gestattet sein
sollten*). Der Kurfürstenrat hingegen beschloss, das Reich
solle sich der Niederlande wegen in keinen Krieg einlassen,
auch keine der streitenden Parteien beschicken. Von der
Werbung für Anjou sei nicht namentlich abzumahnen, dagegen
die gegen ausländische Werbungen überhaupt gerichteten
Edicte von Speier (1570) und Regensburg (1576) zu erneuern.
Der Fürstenrat trat dem bei ^) und auch der Reichstagsabschied
trug diese gegen die ursprünglichen katholischen Forderungen
sehr abgeschwächte Fassung.
Während so jedes Zerwürfnis des Reiches mit Anjou
vermieden wurde, verschwand auch bald die so bedrohlich
scheinende Gefahr, dass die Niederlande den Franzosen in
die Hände gerieten. Anjou, darauf bedacht, sich eine selb-
ständige Macht zu verschaffen, versuchte sich der Stadt
^) An die Eäte in Augsburg den 14. Sept.
^) An dieselben den 14. August.
3) Die Räte in Augsburg an L. Wilhelm den 2. August.
*) Dieselben den 5. August. Vergl BexoJd I, S. 509 Nr. 380.
^) Die Räte zu Augsburg an L. "Wilhelm den 13. August.
19*
292
Antwerpen zu bemächtigen. Der Versuch misslang (den
17. Januar 1583) führte aber ein Blutbad herbei, machte
Anjous Stellung unhaltbar und zwang ihn schliesslich das
Land zu verlassen. Der Landgraf sah durch diesen Vorgang
seine alte Meinung bestätigt, dass die Protestanten mit den
Katholiken und nun gar mit den Urhebern der Bartholomäus-
nacht nicht zusammenwirken dürften ^). Nun schien ihm der
Moment gekommen, wo der Kaiser einschreiten und unter
Herstellung des Religionsfriedens die Provinzen wieder an
das Reich bringen könne ^). Aber Kaiser und Reich wussten
auch diese Gelegenheit nicht zu benutzen.
Seinen Anteil auch an dem persönlichen Ergehen
Oraniens an den Tag zu legen, fand sich für den Landgrafen
in jenen Jahren häufiger Veranlassung, da der Prinz in jener
Zeit der Zielpunkt mannigfacher Mordanschläge war. Im
März 1582 warf ihn das nur halb gelungene Attentat des
Jaureguy auf ein langes Krankenlager. Am 29. März sprach
Wilhelm dem Grafen Johann von Nassau seine Freude über
das Misslingen des Attentates aus und übersandte ein Heil-
mittel für die Wunde, auch Hess er sich für seine Sammlung
der Porträts fürstlicher Zeitgenossen ein „Kontrefeit" des
Prinzen und der Prinzessin schicken^). Die Wunde des
Prinzen war in bester Heilung begriffen, als das Aufbrechen
einer Ader einen gefährlichen Rückfall herbeiführte. Über
die Veranlassung zu demselben wurde dem Landgrafen aus
Antwerpen, wo das Attentat stattgefunden und der Prinz
krank lag. Folgendes berichtet: Als Oranien gerade eine
seiner Töchter bei sich gehabt, sei der Herzog von Anjou
ins Zimmer gekommen, habe das Fräulein angesprochen und
ihr einen Kuss gegeben. Darauf habe das Fräulein entrüstet
erklärt, das schicke sich nicht, das möge in Frankreich Sitte
sein, aber nicht in Deutschland. Hierüber habe der Prinz
heftig lachen müssen und infolge dessen sei die Ader auf-
^) An den Amtmann zu Schmalkalden und den Kanzler Meckbach
den 21. Januar 1583 bei Prinsterer I, S. 141.
') An K. August den 21. Januar 1583. An Johann von Nassau
den 22. Febr. bei Prinsterer I, 8, S. 164.
8) Den 4. Mai.
293
gebrochen ^). Trotzdem die Ärzte an seinem Aufkommen
verzweifelten, kam er diesmal doch mit dem Leben davon,
um 3 Jahr später am 10. Juli 1584 in Delft der Kugel des
Gerard zu erliegen. Der Landgraf klagte auf die Nachricht
von seinem Tode, dass der gute, fromme Josias Beigines
einen so jämmerlichen Ausgang genommen ^\ Ausdrücke, die
das Wesen des Prinzen freilich nicht eben trefifend wieder-
geben.
Wenn Johann Von Nassau den Landgrafen in einem
Briefe^), in dem er ihn um seine Verwendung für Oraniens
Hinterbliebene angeht, als dessen „fürnembsten Freund" be-
zeichnete, so ist das wohl nur eine Höflichkeitsphrase ge-
wesen. Als wirklichen Freund hat sich der Landgraf wohl
nur im Jahre 1568 erwiesen, späterhin aber es an that-
kräftiger Unterstützung, zum Teil daran freilich behindert
durch die Kleinheit seines Landes, durchaus fehlen lassen
und auch für die Politik des Prinzen nicht immer das richtige
Verständnis gehabt. Die Erkenntnis dessen, was für Deutsch-
land hier auf dem Spiele stand, ist ihm nicht fremd gewesen,
aber auf seinen Willen hat sie nur sehr ungenügend zu
wirken vermocht. An seinem bescheidenen Teile ist auch
Wilhelm von Hessen nicht ohne Schuld daran, dass diese
herrlichen Lande dem Reiche verloren gingen.
^) L. Wilhelm an Johann von Nassau den 15. April 1582.
2) An die Käte in Kassel den 12. Juli 1584.
3) Vom 13. Juli. 1584.
VI.
Briefe eines marbnrger Studenten ans den
Jahren 1606-1611.
Herausgegeben von
Prof. G. Freiherr von der Ropp.
|ie nachfolgenden Briefe des marburger Studenten Johann
Eberhard Schmidt verdanke ich der Liebenswürdig-
keit des Herrn Pfarrer Allmenröder zu Oberbiel. Er hat sie
vor einigen Jahren unter Akten des seiner Obhut unterstellten
fürstlich solmsischen Archivs in Braunfels gefunden, zusammen
mit gegen zwanzig weiteren Schreiben, welche derselbe Brief-
steller als Angehöriger der Schule in Herborn in den Jahren
1605 und 1606 an seinen Vater gerichtet. Diese Schüler-
briefe hat Herr Prof. Deissmann in der „Denkschrift des
königl. preuss. evang.-theolog. Seminars zu Herborn für die
Jahre 1893—1897" veröffentlicht^) und zugleich ihren hohen
Wert für die Erkenntnis der Zustände der herborner Schule
eingehend erläutert.
Dessenungeachtet können unsere Briefe den Anspruch auf
eine weiter reichende Bedeutung erheben. In Marburg erwuchs
der Schüler zu einem fleissigen Studenten, dessen Interessen-
kreis sich zusehends ausdehnt, und neben der grösseren
Mannigfaltigkeit der zur Behandlung gelangenden Gegenstände
gewährt auch die Betrachtung des geistigen Entwicklungs-
processes des Schreibenden einen eigentümlichen Reiz.
^) Die hier S. 14 n. 4 abgedruckte undatirte lateinische Stilübung,
welche lediglich mitteilt, dass der Schreiber keines Geldes bedürfe, gehört,
wie bereits Deissmann vermutet, nach Marburg und zwar gemäss der
Randbemerkung über das Carmen in das Jahr 1608, s. unten n. 29, 30,
295
Der Briefsteller war der Sohn ^) des solmsischen Schult-
heissen Johann Schmidt in Hungen und dem solmsischen
Gebiet entstammt auch die grosse Mehrzahl der Studien-
genossen, deren die Schreiben gedenken. Fast alle sind
Beamten- oder Pfarrerssöhne, meist nahe mit einander ver-
wandt und bereits in Herborn zusammen auf der Schule ge-
wesen ^). Auch in Marburg halten die „Wetterauer** fest
zusammen und teilen treulich Freud und Leid, wenn es auch
an Verstimmungen und Reibungen selbstverständlich nicht
mangelt ^).
Die Pest, welche im Herbst 1606 in Herborn ausbrach,
veranlasste ihre Übersiedelung nach Marburg *). Hier wurden,
wie die Universitätsmatrikel (f. 104 b, 105 und 105 b) ergiebt^),
von den in unsern Briefen Aufgeführten zu gleicher Zeit als
„paedagogici" recipirt :
124 Johannes Eberhardus Fabritius Hoingensis
125 Johannes Conradus Lohr Hoingensis
126 Johannes Georgius Chelius Weissalanus
128 Philippus Theophilus'ä Rhe Lichensis
132 Nikolaus Weisselius Muschenheimensis
142 Wigandus Lisfeldt Bellersheimensis
148 Johannes Fabritius Muschenheimensis
178 Mathaeus Grubius Welfersheimensis.
*) Wann er geboren, bleibt unbekannt; sein Geburtstag war der
6. März. Er feierte ihn 1609 in Marburg partim laetitia partim maestitia,
weil der Vater kein Geld gesandt hatte, n. 36.
2) So die Vettern Joh. Konrad Löhr, und die beiden Reguli (Zaun-
schlifl'er); die beiden Emmelii u. A. Die Matrikeln der beiden Hochschulen
weisen für diese Zeit überhaupt einen sehr regen Austausch von An-
gehörigen auf.
») S. n. 6.
*) Leider ist n. 1 nur zur unteren Hälfte erhalten.
^) Prof. Caesar hat die Matrikel zusammen mit den ihr einverleibten
Universitätsannaien in 14 Abschnitten bis 1628 in den Einladungen zu
den akademischen Eönigsgeburtstagsfeiern 1872—1886 abdrucken lassen
(fortab citiert Caesar 1 ff.), leider jedoch von 1576 ab die Namen der
Schüler nur zum geringsten Teil aufgenommen. Demzufolge fehlen bei
ihm wie die Obenstehenden so auch fast sämtliche sonst in unsern Briefen
Erwähnte. Auch die Nummern, welche in der Matrikel für Studirende
und Paedagogici regelmässig durchlaufen, hat er fortgelassen, obgleich sie
bei den Schülern manchen Aufschluss über den Zeitpunkt der Aufnahme
gewähren, vergl. z. B. unten n. 1,
296
Hans Eberd war bereits im Mai 1606 in Herborn nach
Prima versetzt worden ^) und stieg in Märburg vom 24. der-
selben Klasse (n. 3) zum Primus auf (n. 20). Im Sommer
1608 wurde er eximirt und in Anerkennung seiner Leistungen
gewährte sein Landesherr, Graf Otto von Solms-Hungen,
ihm ein Stipendium auf zwei Jahre (n. 32). Dieser Zuschuss
gestattete ihm den vorschriftsmässigen philosophischen Kursus
zu absolviren und im Herbst 1610 den Magistergrad zu er-
werben, worauf er noch ein Semester in Marburg Jura
studirte. Auch aus Marburg hat ihn dann die Pest, welche
1611 die Universität nach Frankenberg auswandern liess,
vertrieben, zumal sich die Aussicht zerschlug, Erzieher im
Hause von Vultejus zu werden (n. 72). Ob sich dafür die in
n. 71 erwähnte Hoffnung auf Erlangung einer ähnlichen
Stellung in Heidelberg verwirklicht hat, wissen wir nicht.
Über seinen weiteren Lebenslauf können die Akten des braun-
felser Archivs vielleicht näheren Aufschluss geben. Bei der
Briefsammlung befindet sich nur noch ein Bericht des münzen-
berger Kellers Johann Grieb an den „ehrnvesten wolgelehrten
hern Johan Eberd Schmidt, obristen secretario zu Hungen"
vom 13. Februar 1621 über die Einquartierung ligistischer
Truppen in zehn solmser Dörfern.
Wichtiger als der Lebenslauf von Hans Eberd ist der
Inhalt seiner Briefe. In ihrer kindlichen Treuherzigkeit und
ungesuchten Einfalt gewähren sie uns einen trefflichen Einblick
in die Verhältnisse des mittleren, wenn auch nicht wohl-
habenden so doch behäbigen Bürgerstandes in Mittel-
deutschland vor dem dreissigj ährigen Kriege. Und noch aus-
giebiger sind sie für die Geschichte des höheren Schulwesens
jener Zeit, sowie für die Erkenntnis des Wesens der täglichen
Nöte und Freuden eines Scholaren.
Das treffliche Verhältnis des Sohnes zu den Eltern und
Geschwistern gelangt fast in jedem Briefe zum Ausdruck, und
auch die töchterreichen Grosseltern (altvatter und altmotter)
^) Deissmann n. 15.
297
Hayl ^) hatten sich in reichem Masse der Anhänglichkeit des
hier und da etwas anspruchsvollen^) Enkels zu erfreuen.
Die jüngeren Schwestern verfertigen für den Bruder „Schneub-
tücher", Mutter und Grossmutter fügen den häuslichen
Sendungen ausserordentliche „Guthaben'* bei, der Gross vater
gewährt Bücher aus seiner Bibliothek und führt den Enkel
bei Vultejus ein ; der Vater steht mit dem Sohne in ununter-
brochenem Briefwechsel, besucht ihn v^iederholt in Marburg,
um sich persönlich nach seinem Ergehen zu erkundigen, und
trägt schliesslich die für seine Verhältnisse nicht unbeträcht-
lichen Kosten der Disputation und Promotion des Sohnes
ohne vieles Murren ^). Der Sohn wiederum sendet der Mutter
und den Geschwistern fast regelmässig kleine Geschenke
vom marburger Elisabethmarkt und zu Neujahr ^) „soweit der
Beutel es leidet" ; er nimmt lebhaften Antheil an grösseren
und kleineren Unfällen im elterlichen Hause ^), dringt v^ieder-
holt darauf, dass auch dem Zweitgeborenen Karl gleich wie
ihm selbst die Mittel zum Studium gewährt würden. Derlei
kleine Züge Hessen sich leicht noch vermehren; hervorheben
möchte ich nur die köstliche Auseinandersetzung über das
ihm in die Schuhe geschobene Verschwinden des Rosinen-
und Zuckervorrats der Mutter. Bei der Näscherei der grossen
Rosinen hat der Student fleissig mitgewirkt, die kleinen
dagegen und den Zucker unangetastet gelassen (n. 41).
Das marburger Paedagogium befand sich bei dem Ein-
tritt von Schmidt nicht in einem gedeihlichen Zustande^).
^) Der Gross Väter war nach der Widmung der Dissertation, s. u.,
Priifekt und Rat des Grafen Otto von Solms-Hungen. Drei Töchter waren
an den Vater Schmidt, den Keiler Löhr, Vater des vielgenannten Johann
Konrad, und an den braunfelsischen Sekretair Mag. Martin Zaunschliffer,
Vater der beiden Reguli, verheiratet. Die Personalien der letzteren s. bei
Deissmann^ S. 7. Hinsichtlich des Vaters sei dazu nachgetragen, dass
er 1586 in Marburg disputirte, v. d. Linde, Nass. Drucke 2, 5.
2) Vergl. die anscheinend unerfüllt gebliebene Bitte um Überlassung
eines Ringes, n. 60.
3) Sein Schwager Löhr versagte dem Sohne die Promotion.
*) Die heutige Sitte der Weihnachtsbescheerung existirte noch nicht.
^) Vergl. die gutgemeinten, aber inhaltlich wie formell argen Verse
in n. 17.
^) Vergl. z. Folgenden Beppe, Beitr. z. Gesoh. des hess. Schulwesens
im 17. Jahrh. (4 Suppl. Heft d. Zeitsohr, d. Ver. f. hess. Gesch.) S. 6 ff.
298
Die Einführung der sog. Verbesserungspunkte durch Landgraf
Moriz — unsere Briefe gedenken ihrer und namentlich der
dadurch veranlassten Gründung der Universität Giessen merk-
würdiger Weise mit keinem Worte — hatte wie an der
Universität so auch am Pädagogium den Abzug von Lehrern
und Schülern zur Folge. Allein nach Giessen sollen 60 Schüler
ausgewandert sein. Mit der Frequenz verlor sich aber auch
die innere Ordnung, sodass neben dem Pädagogium eine
Privatschule für Söhne von Edelleuten, Professoren und Be-
amten erstand und Landgraf Moriz 1607 eine Visitation des
Pädagogiums anbefahl. Die Kommission gab dem Pädagoge-
archen unter Anderm den Rat, die schwierigeren Lectionen
aus dem Lehrplan zu entfernen und die Anforderungen an
die Schüler beim Abgange zur Universität herabzusetzen.
Ob dieser Rat ebensowenig befolgt worden ist wie die übrigen
Vorschläge der Kommission, wissen wir nicht ^) ; nach n. 2
gab es in der marburger Schule jedenfalls bedeutend mehr
Stunden und Exercitien als in der zu Herborn ^). Auch
konnte der Pädagogearch im Frühjahr 1607 trotz alledem
„eine ausbündige comoedia vom König Saul cum magno
applauso spectatorum" von den Schülern aufführen lassen
und damit den guten Stand der Anstalt bekunden. Auch
Hans Eberd wirkte mit, wenigstens erbat er sich dazu vom
Vater einige Batzen (n. 12).
Er war denn auch sowohl mit dem Pädagogearchen,
Theodor Vietor, als auch mit seinem Präceptor Lilius^ der
für das Semester einen Reichsthaler erhielt, überaus zufrieden
Die Namen der Lehrer und einzelner Schüler verz. Koch^ Gesch. d. Päda-
gogiums in Marburg, zuerst 1828 erschienen und 1868 von Münscher im
Gymnasialprogramm neu abgedruckt. Auf schultechnische Einzelheiten,
wie das Dekurionenwesen (n. 3) u. a. gehe ich nicht ein. Vergl. die
treffliche Übersicht bei Paulsen^ Gesch. d. gelehrt. Unterrichts " 1, Kap. 4 u. 6:
Äussere Gestalt und Unterrichtsbetrieb der protestantischen Universitäten
und Gelehi-tenschulen am Ende des 16. Jahrhunderts.
*) Eine neue Visitation im Jahre 1616 ergab, dass Alles beim
Alten geblieben und hatte den Erlass der hessischen Schulordnung von
1618 zur Folge.
2) Den Lektionsplan des Pädagogiums für d. Jahr 1607 hat Heppe
S. 9 mitgeteilt. Vergl. die ältesten Statuten des Pädagogiums bei Hüae-'
brand^ Urk. -Samml. über die Verfassung d, Univ, Marburg S, 96 ff,
299
and sorgte dafür, dass nach dem Grundsatz, kleine Geschenke
erhalten die Freundschaft, von Hause hin und wieder ein
Kuchen für den einen oder andern gesandt wurde. Vietor
insbesondere bewährte sich in der Zeit der Not. Im Mai 1607
befiel die Pest auch das Haus am Grün, welches Schmidt
und Genossen bewohnten. Sie mussten es schleunig räumen,
desgleichen ein zweites, und fanden schliesslich nach langem
vergeblichen umherlaufen nur durch die Vermittlung von
Vietor ein kleines Stübchen in der üntergasse, in dem sie
zu fünft wohnten und kochten (n. 16 fiF.). Dazu mussten
sie die Schule eine Zeitlang meiden, doch tröstete Hans
Eberd den Vater mit der Versicherung, dass er dadurch nichts
versäume^ und sich selbst durch Verspeisung eines für Lilius
bestimmten mütterlichen Kuchens.
Den breitesten Raum in den Briefen des Schülers wie
des Studenten nimmt indessen, neben der Kleidung, die Sorge
um die Leibesnahrung ein, und sie führt uns den Untergang
der mittelalterlichen Lebensordnungen für die Angehörigen
der Universitäten am auffälligsten vor Augen. Der mittelalter-
liche Scholar wohnte regelmässig in den der Universität ge-
hörigen Kollegienhäusern oder in den von ihr anerkannten
Bursen unter der Aufsicht und Zucht der Magister. Die
reichen Herren, welche für sich wohnten, bildeten ebenso
Ausnahmen wie die armen Burschen, welche als Erzieher in
Bärgerfamilien Aufnahme fanden. Diese Einrichtung hatte
jedoch den Coelibat der Magister zur Voraussetzung und
kam mit ihm im 16. Jahrhundert an den protestantischen
Universitäten in Wegfall. Die Reformation machte dadurch
den Scholar zum Studenten, der, mit Ausnahme der in
Konvikten vereinigten Stipendiaten, sich selbst seine Wohnung
und Nahrung suchen musste, dafür aber sein Leben nach
eigener Neigung einrichten konnte. So spielen denn, wie
bereits in den herborner Briefen so auch in unsern, Wohnung
und Mittagstisch andauernd eine hervorragende Rolle, denn
die wesentlichsten Lebensmittel sandte in unserm Falle das
elterliche Haus und die Einrichtung und Führung eines ge-
meinsamen Mittagstisches erwuchs zu einer Frage ersten
Ranges für Hans Eberd.
300
Der Wohnungsverhältnisse gedenkt er, abgesehen von
der durch die Pest verursachten Notlage (n. 16 fiF.), weniger
eingehend, hauste aber bis auf den Sommer 1611 stets mit
mehreren Kameraden zusammen und ofienbar recht eng ^).
Doch äussert er sich wiederholt recht zufrieden über seine
Wirtsleute und lobt deren Gefälligkeit. Die Wirtin kocht,
erledigt kleine Besorgungen auf dem Markt und erhält zur
Beförderung ihres guten Willens mitunter etwas Flachs oder
dergleichen von Hause; er gewährt in der Regel Credit bis
zum Beginn des nächsten Semesters und schiesst in dringenden
Notfällen wohl auch einiges Geld vor. — Weit häufiger wird
der Mittagstisch erwähnt. Je nach der Zahl der Teilnehmer
entfiel für den Einzelnen die Pflicht, eine bestimmte Zeit
hindurch für die Gesamtheit zu kochen, d. h. die Mahlzeit
durch die Wirtin herrichten zu lassen. Die rechtzeitige Be-
schaffung der nötigen Lebensmittel, das Entleihen solcher von
Freunden, Ankauf, Aufbewahrung, Verwendung der Reste
u. a. m. werden uns zum Teil mit köstlicher Naivetät und
so eingehend geschildert, dass ich Liebhabern die Zusammen-
stellung von Speisezetteln aus unsern Briefen nur empfehlen
kann. Verwöhntere Gaumen werden vielleicht an manchem
Anstoss nehmen ^) ; sie seien auf die Anerkennung verwiesen,
welche Hans Eberd den Kochkünsten seines Vetters Johann
Konrad zollte fn. 39). Andererseits lassen sich in manchen
Zügen wie in den Gesetzen, welche der Mittagstisch sich
giebt (n. 26), in der Verurteilung von Weissei zur Zurück-
zahlung eines Darlehens durch die Tischgenossen (n. 53)^),
unschwer die Anfänge des späteren landsmannschaftlichen
Verbindungswesens erkennen *).
Hans Eberd war offenbar ein braver Junge, etwas
*) Vergl. die Mitbenutzung seines Bettes durch Chelius und die
Bitte um ein Kissen, weil der tertius bey uns schlafft, n. 33, 34.
') Z. B. daß flasschmalz viel besser den botter, n. 2; dagegen
durchaus sachverständig in n. 33, Schweinefett sei die gemüs zu bezwingen
nüzlicher als anderes.
^) Woissel zahlte trotzdem nicht in baar, sondern liess Hans Eberd
bei seinem Wirt, einem Schuhmacher, ein Paar Schuhe an Zahlungsstatt
machen, n. 55.
*) Vergl. die Schlesier, n. 22,
301
pedantisch, bedächtig und ehrbar in seinem Gehaben, ungleich
seinem ihm trotz manchem Streit herzlich zugethanen Vetter
Johann Konrad, der bereits in Herborn mitunter ausgeschlagen
hatte und auch in Marburg das studentische Leben mit
volleren Zügen genoss. Dennoch zwangen die Anspräche
des täglichen Lebens auch des Schultheissen Sohn mehr als
einmal zu kleinen Anleihen und Notbehelfen, wie sie die
Studienzeit wohl Niemandem, der sie hat mit erleben dürfen,
erspart. Indessen regelmässig beichtete er dem einsichtigen
Vater, und wenn man vielleicht den Vorschlag inbetreff
der Benutzung der seidenen Strümpfe des Vetters und die
Aneignung des Dukatens des Grossvaters, wie sie n. 67
schildert, bedenklich finden kann — ich möchte darin Bauern-
schlauheit erblicken — so lässt sich dem gegenüber die un-
verhüllte Betonung der Hoffnung auf eine angemessene
„Lösung" bei Übersendung eines Carmen und die sittliche
Entrüstung über die Anzweiflung seiner Autorschaft ins Feld
führen (n. 29, 30).
Ungleich weniger als von dem täglichen Leben erfahren
wir von dem Gange des Studiums ^). Doch herrschte dazumal
noch Lehr- und Lernzwang, Studienfreiheit gab es nicht,
sodass der Student die Kenntnis des festgeregelten ünterrichts-
kursus als selbstverständlich voraussetzen konnte. Nur über
den Abschluss seiner philosophischen Studien durch Disputation
und Erwerbung des Magistergrades verbreitet Hans Eberd
sich eingehender, und diese Briefe (n. 55 ff.) erteilen in
mancher Hinsicht neue Aufschlüsse über das Promotionswesen
jener Zeit^).
Rudolf Goclenius d. Ä., neben Vultejus wohl der be-
liebteste Lehrer der damaligen Hochschule, der während
seiner vieljährigen Wirksamkeit mehr als 600 Studirenden
den Magisterhut aufgesetzt haben solP), erweckte auch in
Hans Eberd den Wunsch, die Absolvirung des philosophischen
') S. Paulsen a. a. 0., • 1, S. 256 fP.
^) Am eingehendsten handelt hierüber K Born: Die Disputationen
und Promotionen an den deutschen Universitäten, vornehmlich seit dem
1«;. .lahih. (11. Beiheft z. Centralbl. f. Bibliothekswesen) Leipzig 1893.
^) Dtlich, de urbe et academ. Marpurgensi ed. (Mesar 4, 44.
m
Karsas auch äusserlich und zwar zunächst durch eine öffent-
liche Disputation zu dokumentiren. Die Ausführung der
Absicht erheischte die Inanspruchnahme des Geldbeutels des
Vaters. Präses, Drucker, Pedell wollten honorirt, ein kleines
Convivium veranstaltet, auch eine angemessene Kleidung und
ein Kranz „mit eychelln" beschaflft werden. Diese Schwierig-
keiten wurden indessen um so leichter überwunden, als auch
der Vater den Sohn stets zur Disputation ermahnt hatte
(n. 56). So wurde denn die Abhandlung bereits vor Einlauf
der väterlichen Antwort Goclenius vorgelegt und, nachdem
dieser sie beim Genuss eines Viertel Weines durchgesehen,
in den Druck gegeben.
Die ständische Landesbibliothek in Kassel bewahrt ein
Exemplar der Arbeit und diesem sind die nachstehenden
Angaben entnommen.
Der Titel lautet : »Disputatio physica continens quasdam
TtQoragsig de finibus rerum naturalium cum annexa diatribe
de monstris quam — praesidio — d. R. Goclenii senioris —
praeceptoris sui venerandi, publice in majori philosophorum
peripato exercitii gratia ^) ad candelam veritatis perlustrandam
discutiendamque proponit Joannes Eberhardus Fabricius
Hoingensis Wedderavus. Marpurgi Chattor um. Ex typotheca
Rodolphi Hutvvelckeri a. Chr. 1610«. (3 Bogen, klein 4^,
eng gedruckt).
S. 2 enthält die übliche Widmung, welche einige Über-
legung kostete. Auswahl; Reihenfolge und Bezeichnung der
Angehörigen und Gönner wurde von Vater und Sohn erörtert
und schliesslich wie folgt festgestellt:
Amplissimis consultissimis longoque rerum usu et gravitate
spectatissimis viris
dn. Eberhardo Hiltmanno, illustris et generosissimi
comitis ac domini, dn. Joannis Alberti; comitis in Solms etc.
*) Vergl. die Auseinandersetzung über den Untorschied zwischen
dem disputiren exercitii und dorn niagisterii gratia, sowie über die Gering*
Schätzung des Baccalaureats in n. 58. Sie ergänzt die Ausführungen von
Hörn S. 82 ff. über die Titelblätter-Formalien und giebt einen wertvollen
ßeitrag zur Geschichte des Niedergangs des Baccalaureats.
m
ßraunfelsii praefecto dignissimo, patri suo lustrico omni
reverentiae cultu sibi prosequendo.
dn. mag. Joanni Hay], illastris item et generosissimi
comitis magnanimique herois domini Ottonis comitis in Solms
etc. Hoingae praefecto et consiliario fidelissimo, avo meo
aeternum amando.
item
dn. mag. Martino Zaunschliffer supradicti comitis in
Braunfels secretario, viro doctrina et virtute magno, cognato
meo jugiter colendo.
nee non
gravissimis dignissimisque viris dn. Joanni Loer et dn.
Joanni Schmidt, quaesturae et praeturae civitatis Hoingensis
administratoribus sedulis et percautis, Uli cognato, huic patri
unice colendis et suspiciendis.
tandem
reverendis doctissimisque viris dn. mag. Joanni Waldt
et dn. Antonio Rodenschüttero Hoingensis et Langsdorffensis
gregis Christi pastoribus fidelissimis et exercitatissimis, cognato
et fautoribus suis peramandis.
Has frugum suarum primitias pro multorum beneficiorum
sera tandem aliqua pensione omnisque deinceps gratitudinis
et observantiae certo chirographo submisse sistit, consecrat
et exhibet
Johannes Eberhardus Fabricius A. et R.*).
Der Widmung folgt die gleichfalls übliche Vorrede, d. h.
eine captatio benevolentiae lectoris, worauf der Text in
62 nummerirten Sätzen de natura entium handelt und in
50 weiteren die Frage: an natura intendat monstra? zu be-
antworten unternimmt. Den Beschluss bilden, wiederum her-
kömmlicher Weise, 18 „Corollaria" (sonst wohl superpondia
oder auch mantissa genannt), die eigentlichen Streitsätze für
die mündliche Disputation.
Der Text enthält so gut wie nichts Eigenes und ist
aus Citaten aus allerhand Autoren zusammengesetzt, ent-
^) D. h. autor et respondens.
S04
sprechend dem im Prooemium ansgesprochenen Gestandnies:
»Ego (cam AJbinio fractnm legendi hone jndicans, ut aemalenmr
qaae in aliis probamas et quae in aliomm dictis acriptisve
miramur in usum nostrum opportuna derivatione convertamm),
Gollectam thesiam physicaram fiarraginem publicae censcosie
subjicere constitui«. Mehr wurde auch nicht verlangt, wenn
die Dissertation, wie in unserm Falle, vom Respondenten
verfasst war.
Von der Natur der CoroUaria dagegen mögen nsustb-
stehende zeugen :
5. Quaeritur : An si lapis posset loqui perfector (!) eaaet? Non
7. Q. : An vir malus se vere possit amare? Non.
10. Q.: An in divinis liceat quaerere quomodo? D.^
17. Male habet res cum appetitua sensitivns sub jugo liaJb«t
rationem.
Die Disputation fand am 8. September statt, nachdeia
die Thesen hergebrachter Weise einige Tage zuvor vor d«r
Kirche ans Brett geschlagen worden waren. Sie danerie
drei Stunden und ihr folgte das Convivium, welches hoffentlidi
ebenso ,,excellent" verlaufen sein wird, wie die Zeche vc»
Johann Konrad^ der im November dem Beispiel des Vetters
folgte (n. 64),
Schwieriger war es, vom Vater die Erlaubnis zur Er-
werbung der Magisterwurde zu erlangen. Die Höhe der Un-
kosten'"^ Hessen ihn anfangs die Bitte des Sohnes versagen;
ein Fürschreiben von Goclenius stimmte ihn indessen soweit
um, dass er sich sogar in eigner Person und ausgestattet
mit seinen besten Kleidern zu der Feier am 19. December
in Marburg einfand. Leider müssen wir demzufolge eine
nähere Beschreibung des durch die Gegenwart des Landgrafen
Moriz verherrlichten Aktes entbehren^).
Ergiebiger sind die Briefe für andere Bereiche aus der
innern Geschichte unserer Hochschule.
^) Dubito oder Dubium.
') Sio werden Id n. 60 auf aogefahr 30 Golden berechnet, vergi.
den Eingang von n. 66.
") Die Univ.-Annalen, Caesar 11, 13, berichten kurz, dass im
'*)ecember 1610 14 Magister promovirt worden seien.
S05
Das Institut der Pädagogen und Privatlehrer wird freilich
in den herborner Briefen anschaulicher geschildert. In Herborn
wohnte der Erzieher mit seinen Schülern zusammen, in Marburg
mindestens nicht regelmässig, und der Primaner war nach
n. 26, 27 mit seiner Abwesenheit ganz einverstanden. Dafür
wird hier das Verhältnis und der persönliche Verkehr zwischen
Professoren und Studenten weit öfter berührt und die Persön-
lichkeiten von Vietor, Goclenius, Vultejus treten uns menschlich
nahe, wenn wir den einen dem auf die Strasse gesetzten
Schüler Mut zusprechen (n. 16 flf.), den andern bei einer
Zeche (n. 64), den dritten im Hause (n. 62, 72) den Studenten
anspornen, belehren oder ermahnen sehen.
Weniger erfreulich stellt sich das Verhältnis zwischen
Studenten und Bürgerschaft dar, doch ist zu beachten, dass
unsere Briefe seiner nur bei Ausschreitungen, sei des einen,
sei es des andern Teiles, gedenken und deshalb keinen voll-
ständigen Aufschluss geben. Immerhin war die Stimmung
der Bürgerschaft der Jurisdiktionellen Ausnahmestellung der
Universitätsangehörigen nicht günstig, und dazu regte sich
bei ihr der Verdacht, dass der Landesherr Partei für die
Studenten ergreife (n. 69). Die Unruhen von 1605 gelegentlich
der Einführung der Verbesserungspunkte waren noch unver-
gessen !
Die Einzelfälle, über welche Hans Eberd berichtet, sind
im übrigen sehr disparater Natur. Die Misshandlung eines
Studenten durch einen Bürger war durch die Trunkenheit
des ersteren veranlasst und ist in dem Process die Begründung
der Ablehnung der von dem Kläger gestellten Zeugen be-
achtenswert (n. 7, 9). Der zweite Fall, die Tödtung eines
Ackerknechts durch einen Studenten, ist auch in den Uni-
versitätsannalen (ed. Caesar 10, 26 ff.) breit und weitläufig
dargestellt, doch schildert n. 22 das Gedränge vor dem Ge-
fängnis, das Treiben der Studenten und die Beschwichtigungs-
versuche der akademischen Behörden so anschaulich und
drastisch, dass man sich des Eindrucks kaum erwehren
kann, Rektor und Senat haben mehr Respekt vor den jungen
Herren gehabt als umgekehrt. Auch die hiermit zeitlich
N. F. Bd. XXIIL 20
306
zusammenfallende neue Ausstattung der Universität durch
Landgraf Moriz, welche den durch die Gründung der Uni-
versität Giessen entstandenen Einnahmenausfall ersetzen sollte,
entspringt für Hans Eberd lediglich der Furcht vor dem an-
gedrohten Abzug der Studenten, und er ärgert sich nicht
wenig, dass nur die Professoren bedacht worden (n. 23, 24).
Der dritte Fall (n. 68) illustriert den zu aller Zeit und an
jeder Hochschule obwaltenden Gegensatz zwischen Studenten
und Scharwache. Bemerkenswert ist hier die Wirkung des
im 16. und 17. Jahrhundert so weit verbreiten Aberglaubens
vom „Festsein** mancher Leute. Das börsgen, so bezeichnet
Hans Eberd regelmässig die Studentenschaft, zog gegen den
neuen Wachtmeister, der einst in Hungen die Strassen ge-
pflastert, mit Stangen zu Felde, „dann weyl er fest, nicht
durchstochen noch durchhawen kann werden, also ist kein
besser remedium als stangenfuder**.
Der bedenklichen Lockerung der Disciplin, welche sich
auch in andern kleineren Zügen offenbart^), hatte der Senat
1610 durch ein Edikt gegen das Fenstereinwerfen, Lärmen
und Schiessen auf der Strasse und Eindringen in fremde
Wohnungen zu begegnen gesucht (Caesar 11, 5). Aber der
Erfolg war ausgeblieben und selbst der brave Hans Eberd
berichtet uns schmunzelnd und mit sichtlichem Behagen, dass
er zur Fastnachtszeit von einer sog. „Dischrückung** betroffen
worden sei. Vermummte Gesellen überfielen den Ahnungs-
losen des Abends in seiner Wohnung und wohl oder übel
musste der des Geldes gänzlich Entblösste ihnen Wein vor-
setzen, „denn nicht gespilt haben wollen, auch sie ledig ohne
einen trunck zu dimittiren, wer mir gewaltig übel uffgemuzt
worden** (n. 51). Das Schreiben ist ein kleines Kabinetsstück
und erhält seine volle Beleuchtung durch das bald darauf
erlassene Verbot von „Penalschmauss und Discbrückung**,
welches der Universitätsmatrikel im Originaldruck einverleibt
worden ist (Caesar 11, 10).
nach dem
1) Hans Eberd trifft z. ß. selbst als Schüler fast regelmässig erst
em Beginn der Vorlesungen wieder in Marburg ein, n. 13, 31, 37, 43.
30?
Von sonstigen Universitätsnachrichten sei noch der
Bericht über die erste Sektion einer Leiche durch den neuen
Professor der Anatomie, Petraeus aus Schmalkalden, hervor-
gehoben (n. 49).
Hinsichtlich der Stadt ergeben die Briefe, dass Marburg
dazumal für Handel und Gewerbe ungleich mehr als heute
Mittelpunkt eines grösseren Kreises gewesen. Jetzt hat
Giessen in dieser Hinsicht die Führung übernommen. Die
Beleuchtung der Strassen war freilich unbekannt (n, 9) ^) und
die Reinlichkeit der Gassen Hess vieles zu wünschen übrig
(n. 27), aber der Elisabethmarkt übte trotz des Wegfalls der
Pilger seine Anziehungskraft bis in die Wetterau hin aus,
und wiederholt mu«s Hans Eberd die marburger Frucht- und
Kornpreise nach Hause melden oder Bestellungen bei hiesigen,
meist saumseligen Handwerkern erledigen. Beiläufig scheint
der Hausierhandel der Sälzer von Allendorf eine ähnliche
Rolle gespielt zu haben wie der Wein- und Fischhandel der
Töpfer von Grossalmerode bis in die neueste Zeit (n. 45).
Auf diesen wirtschaftlich günstigen Zustand der Stadt
wirkte der häufige Aufenthalt des Landgrafen Moriz und
seines Hofes unfraglich ebenso günstig ein wie auf den der
Universität. „Praesentia principis Mauricii hunc locum studiis
et reliquis rebus reddit exoptatissimum et delectissimum"
ruft Hans Eberd aus (n. 30), und sorgsam verzeichnet er
jedes Kommen des Fürsten, seine Gäste und Feste (n. 32),
Musterungen und Ordnungen. Sein Verhalten findet nicht
immer die Billigung des Briefstellers, aber seine Persönlichkeit
und sein Thun erwarben sich unwiderstehlich dessen Achtung
und Anerkennung. „Landgraf Moritz helt hofiF hie, besucht
und träwet die lectiones fleisig zu besuchen, welches denn
die professores embsig zu lesen und die auditores fleisig zu
sein incitiret'* heisst es inbezug auf die Universität (n. 61),
und noch drastischer lautet es inbetrefif der Stadt: „kein
gassen, kein winckel oder kein ort ist in der stat, da er
nicht hinkrieche" (n. 29).
*) Vergl. auch den Übergang von der ünschlittkerze zur Rüböl-
lampe, n. 47, 48.
20 •
30Ö
So liefern unsere Briefe schliesslich auch zwar kleine
und unscheinbare aber beachtenswerte Beiträge zur Charak-
teristik dieses geistig hervorragendsten Fürsten seiner Zeit.
Zum Abdruck sei bemerkt, dass die Briefe ausnahmelos
an den Vater gerichtet sind. Sowohl um Wiederholungen
zu vermeiden, als auch um Raum zu sparen, konnten deshalb
Adressen und Unterschriften fortgelassen werden.
Die Adressen lauten, so lange Hans Eberd sich auf dem
Pädagogium befand, ähnlich wie in den herborner Briefen,
abwechselnd lateinisch und deutsch, doch überwiegen die
deutschen und von 1608 ab bedient sich der Student aus-
schliesslich der Muttersprache. Die lateinische Adresse lautet
in der Regel : Patri suo amantissimo et fidelissimo ^) Johanni
Fabricio, praetorio Hoingensi, viro integerrimo ^), hae literae
tradantur et in proprias advolent manus. Die deutsche:
Dem ehrnhafften und vornehmen Johann Schmidden, schul-
teissen zu Honigen, meinem freundlichen^) und vielgeliebten
vatter, kome diser brif zu eigenen banden *). Honigen ^).
Die Unterschriften dagegen lauten umgekehrt bei dem
Schüler überwiegend : „ewer gehorsamer und getrewer söhn
Hans Ebert", seltener Johan Eberhard Schmidt, während der
Studentsich fast ausschliesslich: Filius obediens^) J. Eb.
Fabricius') zeichnet. 1609 und 1610 fügt er gelegentlich
— im Ganzen 7 Mal — den Namen philosophiae studiosus
bei, 1611 ein Mal legum studiosus.
Die Briefe sind je nach Umfang auf ganzen, halben und
viertel Bogen geschrieben. Das Papier lieferte nach n. 60
die grossväterliche Kanzlei und es weist auch durchgehends
das gleiche Wasserzeichen auf. Der Briefverschluss, soweit
er erhalten, erfolgte bis zur Beschaffung eines „pitschirs"
*) Oder carissimo, suavissimo.
^) Oder dignissimo.
^) Oder lieben und getrewen.
*) Oder zu behendigen, zu erpreohen.
*) Hoingen, Hüngen.
•) Oder toto animo obediens, deditissimus.
') Ein Mal Faber, n, 18.
309
(n. 48, vergl. n. 15), in recht primitiver Weise mit Wachs;
seit n. 47 mit Lack unter Aufdruck des Siegels. Dieses
stellt einen Vogel in einem helmgekrönten Schilde dar; der
Helm ist mit demselben Vogel geschmückt und an dessen
Seiten die Buchstaben J. E. F. — H. eingraviert.
Die Rechtschreibung der Texte ist regellos und unver-
ändert wiedergegeben, nur die Häufung der Konsonanten
in Wörtern wie inn, undt, baldt ist beseitigt^) und die Inter-
punktion sinngemäss gestaltet worden.
1. Mittagrstisch. Schulnachrichteu. — 1606 [Okt.].
Der Eingang des Schreibetis ^ handelte^ wie das Folgende 1606,
ergiebtf von der Einrichtung des Miüagstisches und den daran
Theilnehmenden^)^ welche die Zeit wenn an uns kochen ist
(welche ist über 14 tag), werden sie herauff in uns losament
komen. Und so wir ins pfarhers hauß von Muschenheim
bey derselben würthin hetten lasen kochen, so hetten wir
ihr eben so wol 2 thaler wie die andern musen geben, so
bleiben wir bey unser würthin. Darft uns gar nichts schiken,
es kom dann weider schreiben davon, und allen obend, weil
doch Eller ^) vor unserm haus vorüber gehet, spricht er uns
zu und gehet auch wieder mit uns heim^). Schreibt wider
ob es euch gefalle oder niht, denn wir komen in 6 wochen
der mühe alle ab, da wir sonst 24 wochen hetten zu laufen
gehabt. Diser bott hat ewer petter Johan^), den der Schreiber
von Bircklar bey ihm hett, hierauf geführet, und sein bey
seiner deposition gewest. Ich hab hie den Ovidium niht
können bekommen, bitt wölt altvattern ansprechen, das er
mir des Ovidii metamorphosin schicke, und könt daselbig
>) Nicht bei Verbalformen wie würdt, werdt, hatt u. dergl. m.
2) Die obere Hälfte des Blattes fehlt.
3) Die Namen Lisfeld und Busius ab Oberwalz sind noch zu er-
kennen.
*) Jobannes Eusebius Ellerus Bircklariensis trat 1603 in das Päda-
gogium ein. Matrikel f. 79 n. 272.
^) Seil, vom Essen.
«) Fabritius Muschenheimensis s. S, 295.
310
mit nechster gelegenheid thun. Ich hab an Lilio^) ewert
halben amicum praestantissimum, desgleichen an paedagoge-
archa^) homine excellentissimo. Dismahl weiss ich euch
nichts mehr zu schreiben, Wölt mit nechster gelegenheid
mir den Ovidium und ein glönglin zwirn schicken. Marpurg
anno 1606.
2. Kleidung« Essen« Schule. Jahrmarkt« — 1606, Nov. 11«
1606j Benutzt die Oelegenheii, um xu berichten, dass erstlich
' unser studiren belangend, so wird daran kein mangel durch
Gottes segen. Die kleidung anbelangend, so hab ich sonderlich
nichts vonöden, dann nur allein ein paar schuhe oder ledder
uf die alten. Das essen belangend, so haben wir nun uf
den 12. hujus 14 tag kocht, darinn wir mit einer mas botter,
mit dem grünen fleisch und dem schinken und 3 kaesen
gelangt haben, und ein mit^) körn gebacken, davon 14 tag
gessen. Und haben also noch rest zu kochen 5 wochen,
dazu haben wir was meel anlangt genug und noch 5 achtmas
botter. So wollet uns noch ein maß botter und ein mas
flasschmalz (welcher viel besser den botter) schicken, so sein
wir die zeit mit botter versorgt. Darnach wollet uns auch
schicken 1 kaes oder 2 und 1 kaulkaes oder 20, und noch
etwas von dürrfleisch ein Seiten oder schincken, welhes uns
alles ohne einiges uschelden, den man weis wol wie das ist
so man den disch vol hat, schicken. Zum lezsten gelt^ wie
wol ich euch noch mein lebenlang umb kein gelt hab ge-
schriben, weil ich [zu]*) haus bin gewest, so thue ich es
doch izt, dann wir bezahlen all ding so halt, hier etc. Und
must denken, so die zeit herüber ist, so hab ich darnach
den gantzen winder essen und trincken saat, so uns Gott
gesund last. — Vatter Dimpel ist uf meiner seiten ; er hat
*) Conradus Lilius Marpurgensis wird 1603, Mai 24. immatrikulirt ;
Lndovicus Lilius Marpurgeusis in demselben Jahre in das Pädagogium
aufgenommen, Matr. f. 79 b n. 304. Fohlt in dem Vorzoichuiss der Lehrer
bei Koch.
») Theodor Vietor, vergl. Dilich u. Caesar 4, 87,
8) Maß.
zu fehlt Or.
?
V
311
mir ein grosen kaes gegeben (tacendum), darnach so haben
wir Stams Heintzen söhn ein halb honig vor ein kaes geben,
deren keiner über acht tag weret. Bittet das Oewünschte
und mein ander hutschnur, welche vileicht uf der oberstuben
in trisur ligt, durch den Boien^ der nach Marburg kommen
tvirdy XU senden. Die praeceptores anbelangend, so haben
wir an paedagogearcha, homine praestantissimo meoque fautore,
und Lilio gute freund. Bey Lilio gehen wir privat und haben
was anlangt studiren ein gantzen tag niht ein stund zeit,
den da zu Herborn 6 lectiones waren, so sein hie 16 oder 17,
und schreiben 6 oder 7 exercitia publice ein woch in der
schul. — Hospes und hospita sein fromme ehrliche leut und
gar dinsthafftig. Zum lezsten so hab ich euch auch wollen
schreiben, 9 tag nach Martin ist ein marck hie, der Eisbether
marck, und wie ich vernomen, so werden gewis der pfarher
von Muschenheim, sein ayden Busius von Oberwalz, vatter
Johan Dimpel von Minzenberg, Henrich Michael, Schreiber
von Bircklar, heruf zihen. Wolt ihr nun, so ihr abkomen
kond, mitzihen, so könd uns auch hie besehen, so stehts euch
frey. Das diser bott aber mit supra dictis niht ausbleibe.
Datum den 11. novembris Marpurgi ex musaeo anno 1606.
3. Kleider. Lebensmittel. Sitzordnung in der Schule« Kirmes-
Geschenke für Mutter und Geschwister. — [1606, Nov. 20].
Freundlicher lieber vatter. Ewer schreiben hab ich 1606,
empfangen und daraus allerhand verstanden, und erstlich ^^'
des Schreibens halben, so hatt vor 14 tagen Gerlachs fraw
hinab wollen gehen und alzeit ufgeschubet, so haben die brif
nicht hinab können komen, derhalb hab ich sie euch mit
disen uberschickt, daraus ihr allerhandt zu vernemen. Den
kragen anbelangt ist mir derselb unversehens mitgegeben
worden, derhalben habt ihn wider zu empfangen. Wir haben
albereit 3 wochen gekocht und noch 4 zu kochen, drumb
wolt nicht weilen mit dem botten, sondern vortschicken so
ihr keinen bekomen könt. So hatt sich Enders von Muschen-
heim erbotten, sobald wider heruf zu gehen. Den wir dasselb
was wir mitgenomen beynahe ufgessen. In den andern brifen
312
hab ich nichts unnötigs geschriben, wird uns alles vonöten
thun. Und wölt ewern brif, weil ich ihn eher bekomen als
ihr mein, gegen einander abzihen und was ich euch drin
geschriben nahkommen. Des huts halber werdt ihr auch
verstendigt werden und dergleichen wieviel gelt Johannes in
seiner zeit verthan. Drumb weil ihr mir IV2 g. geschickt,
will ^) ich die auslegen. Wisset das unser studia wol vort-
gehen, Gott sey lob und dank. Mag nichts mehr schreiben ;
so ihr etwas mehr begert zu wissen, schreibt mir, will euch
mit nechster botschafft verstendigen. Es kan ja Henn mit
einem hotten gehen, damit sie alles desto besser können
tragen. Darnah unsere locos ihm paediog anlanget, so ist
SnabeF) 14 in prima, ich 24, und Johan Conrad 25. Niclas^)
von Muschenheim ist in 2 classe 16, und ewer petter von
Muschenheim Faber ^) ist penultimus in 2 classe ; Lisfeldt ist
in 4 decuria sextus, also ist er der 45 in 2 classe. Nos
omnes adhuc Dei gratia valemus.
Keine ^) krag bedarf ich, wölt aber bey Margarethen
nobis carissiraae, anhalden, das ich ein schneubtuch oder
2 krige. Die schuhe sein mir recht, wolt mir aber, weil ihr
viel ledder habt, ein soln oder 4 uf alia und auch uf dise so
sie zubrechen schicken. Matri meae carissimae schicke ich
zur kermes von unserm marck^) ein kämm vor 6 albus,
darnah ein stück kuchen, wollet solches meo nomine under
die kleinen theilen. Grösere kermes hat der beutel niht
leiden wollen.
4. Lebensmittel. Geld. Geschenke. Kleidniigr. —- 1606, Nov. 26.
1606 Dankt für das Uebersandte, hat noch 3 Woche^i zu
Nov. 26. j^Q^f^Q^ y^Ytd bisher nur 1 Käse von 3 0, Va [Mas] Butter und
1) will — auslegen übergeschrieben anstatt der durchstrichenen :
hab ich Hartman noch ein halben darzu lasen thun, den Johan Conrad
nichts mehr hat und ich ihm werd leihen muson.
*) Christophorus Schnabelius Hoingensis war 1604 ins Pädagogium
eingetreten, Matrikel f. 85 n. 13,
8) Weissei.
*) 8. n. 1 Anm. 5.
*) Die Nachschrift am Rande.
•) Nov. 19.
V
313
6& Fleisch beim metzler gekauft und bezahlt; verhofif also,
wir wollen mit dem izt geschickten langen, wo nicht, wird
es an mittein nicht mangeln. Wir bezahlen all ding; ich
hab Johan Conraden 19 albus gelehnt gehabt, wird mir sie
wiedergeben, verhofF auch nun mit disem gelt zu langen.
Das fleisch wollen wir einsalzen, wie auch das andere curiren
uf das beste. Ich hoff, das motter ihr kermes animi grati
memoria bekommen ; ob ihr daselbige gefallen oder nicht,
hab ich nicht können verstehen; hett villeicht gern ein besser
geschickt, quod tamen pro ratione temporis fiet. Ein däsch
soll sie, Gott will, noch bekomen. Das auch der kam nicht
verloren werde, ich hoff ihn noch zu sehen, wen ich kome.
(Wer^) weiß wie lang ich hie bleibe, ich sag nihts weider,
latet anguis in herba). Dankt der Mutter und Orossmutter
für ihre guthaten. Das mitgenommene Oemilse hat 3 Wochen
gelangt^ den wir alle tag einmal oder 3 drüber gangen; hat
nun für die letxten 4 Wochen mit der Wirthin vereinbart,
dass sie für einen Frankfurter Gulden alle Tage Gemüse gebe.
Unser vitam anlangend ist es also, das keiner von den andern
begert zu ziehen, es sey denn dass er mus, und wollen bei
ander leben so lang es sein kann wie fratres. Haec mea
declaratio. Das körn und frucht gelegenheit euch zu schreiben,
hab der zeit nicht gehabt, den Enders den tag umb 6 uhr
komen und den andern tag umb 6 weggangen; wills mit Eller
Jörg dis woch noch schreiben. Sack und sacklin, döpfen und
ander gezeug, so viel mir enthraten, schicken wir euch. Und
liabt ihr erstlich vor euch zu nemen 2 dippen, ein sak, den
leimetsen ermein, ^) das saklin da das salz inn wer. Der
nechst nach uns wird speisen des pfarhers söhn von Bellers-
heim Wiegand Lisfeldt. Den hut belangt wil ich noch warten
bis diselbige botschaft von Bellersheim heruf gehet; wölt mir
die hauben schicken, aber nicht so grob. Schuhe und sonst
kleider anlangt, will ich mich behelfen. Ich weis nicht, ob
mein runde hutschnur noch daheim ist; so es ist, könt sie
mir auch schicken. — Marburg 1606^ Nov. 26,
*) Wer — herba im Or. eingeklammert.
■) Der erste Buchstabe korrigirt und undeutlich.
314
5. Kochzeit ^eht za Ende. Käse entliehen. Yerwendung
der Reste. — 1606, Dec. 12.
1606 Benutzt die Oelegentieit, um zu melden^ dass er noch 5
Tage kochen muss und keinen Mangel gelitten hat; hat jedoch
4 ß Käse gekauft und vorher von Lisfeld einen Käse entliehen,
den wir noch nich restituiret, und haben 3 wochen lang die
würthin uf den mark geschicket, einen wider zu kaufen, hat
keinen können krigen; und ob wir sich schon erbotten, ihm
dagegen Holländisch kaes zu kaufen, will er nicht sondern
sein kaes dagegen haben; bittet deshalb, ihm durch Henne
einen Käse und die Haube zu schicken; hat an Geld noch 1
g. 11 albus, hofft damit zu langen, wiewol wenn mir ufhören,^)
müssen wir ein virtel weins geben; hat noch übrig Weizen-
mehl, davon er einen Kuchen backen lassen will, und die Hälfte
von Reis und Erbsen^ können wir ins künftig halden; die
würst haben wir bequemlich bei zeiten verspeist, das sie nicht
zu schänden gegangen; das fleisch eingesalzt und kochen
noch davon; botter belangt hoffen wir auch zu langen, und
wird Lisfelds söhn bis donnerstag anfangen zu kochen; wir
hoffen alle tag uf Hennen und den von Bellersheim, wo sie
nicht innerhalb mitwochen komen, wird er übel stehen ; ich
hoff, ihr werdt mir wieder schreiben, so der bott heruf ist
und nach gelegenheid und ewern gutdincken etwas schicken. —
Marburg, 1606 Dec, 12.
6. Fruchtpreise. Haube. Verhältniss zu Loer Vater und Sohn.
Geld. — [1606] Dec. 14.
[1606] Herzallerlibster 2) vatter ! üf nechstes an euch mit Walter
Dec. 14. pj^jjgjjj gethanes schreiben habt ihr mir bald respondiret,
und was ihr in gegenwertigen brif von mir begert zu wissen
will euch verstendigen. Die frucht belangt wird das körn
allhie grose mas wie zu Herborn um 8 albus, die gersten acht-
halb, die erbes 10 oder 11, der weiz umb 9 verkauft. Darnach
das ihr allerhand von kleidung geschrieben, hab ich dismal
euch disen gantzen winder darumb nichts zu klagen, wie ich
*) Seil, zu kochen.
') flerallerlibster Or.
315
aber umb den Christag die haube bekomme, so bin ich zu-
frieden, den die haub einen wermer helt den der hud, sonderlich
wie der windt einen so umb den köpf blaset Und auch vom
cellario ^) geschriben wie das er zum halben theil in causa,
mus ich auch bisweilen vom filio einen leiden, stell aber
solches an seinen ort, nee te quid moveat sondern ich bin
mit ihm zufrieden. Den mittwoch der künftig wollen wir Deo
volente ein end zu kochen machen. In paterno tuo animo qui
in me talis est ut nil desiderem, nil ego requiro. Mir müssen
noch einen guten stos^) gelt in fine des kochens
ledigen, den mir müssen ein virtel weins geben, auch sehen
wie wir einen brod mähen. Ich hab noch 1 g. 6 albus. (Johan^)
Conrad wird nicht gelt genung haben, werd ihm müssen
lehnen). So Lisfeld kompt will ich euch wieder schreiben
weil Jörg geeilet. Meo nomine rursus matrem ut spero adhuc
bene valentem mihique charissimam, omnes etiam amore nobis
conjunctos meo nomine plurimum salvere jubebitis. Datum
Marpurg 14. decembris.
7. Kochzeit bceudet. Haube. Pest auf der Ketzerbach« Pistorius
in der Truiikeuheit von einem Bürger böse zugerichtet. — [1606],
Dec. 17.
Berichtet, dass unser kochens gestern den 16 hujus ein [1606]
end genommen, damit wir ohn einigen mangel Gott lob wol ^^' ^^'
concludirt haben ; so haben wir nun rhu und ihr auch,
können unsern studiis abgewarten und haben den gantzen
winter saat essen und trincken. Darnach lieber vatter, weil
ihr geschriben, der hauben eine kost so viel wie der hut
zween, so weis ich nicht, welches am rähtlichsten ist, stell
solches zu ewrer gelegenheid, gutdincken und gefallen ; bittet
iviederholt um Zuwendung seiner andern Hutbinde, die er
*) Vater Loer.
*) Das Ende der Zeile durch das Siegel zei-stört.
3) Johann-lohnen durchstrichen und a. R. ereetzt durch; er hat
izt noch 10 h. bekommen, sobald als ihr könd schickt mir nicht mehr
den ein halben gülden bazen, darnach nichts mehr. Ich hab gesehen
das cellarius Johan Conrad frey hat heraus gebutzt, doch ich hab noch
gloider genung und beger nichts.
316
daheim gelassen, und um ein handswiP) oder 2, den die
würthin hat uns also noch dargethan in dem wir gekocht
haben, thnts aber nicht mehr. Die pest davon cellarios za
wissen begert, ist es also mit^). Es ist uf der Eetzerbach
beym Deutschen haus, das nun schrecklich weit von der
rechten stat ist, in 3 häusern gewest, ist aber 4 wochen
still gestanden, hoff aber, es soll sich stillen. Wir haben an
Pistorio ^) ein besuchen spigel und exempel petulantiae *),
davor wir uns fleisig, quod et facimus, hüten sollen. Solches
alles weil ich doch izt der zeit hab ich euch zu schreiben
nicht wollen underlasen. Es ist Ehwalds bruder von Muschen-
heim am sonabend allhie gewesen und mit ihm gedruncken,
das er bezeht ist heimgangen. So ist Dimpelius kommen,
welchen er, als er wider nah heim wollen gehen, hat ihn
Pistorius wollen beleiden. Und als er uf die gas kommen«
hat er gegrischen, so hat ein burger gesagt, das der gut
kerlen doch sich zu bett ligte und von der gassen ginge.
So hat ihn Pistorius heslich geschmeht und herausgefordert,
so ist er kommen und sein die zween über einander kommen,
das ihn Pistorius heslich geworffen. Und als den burger
übel hat wollen gehen, hat er geruffen, so ist noch ein burger
kommen, seinem mitburger zu helfen. Als solches Pistorius,
herr Hermans söhn, gesehen, hat er wollen ausreisen, und
als er vor sein thür kommen, ist sie zugeschlossen. So kömpt
der burger binden nach und gibt ihm ein streich mit einer
dicken stangen uf den köpf, daran er zu leiden hat, den er
hat ihm den köpf und hirnschal aller eingeschlagen. Und
ist zu besorgen, das er sein leben lang nichts zu studiren
taug, welches die ärzt sagen. Und als der burger den andern
streich wollen führen, ist ein fraw kommen und ihn ufgehalden,
den er doch gnung mit dem ein zu thun gehabt. Hiruf ist
der man der ihn geschlagen, nicht der den Pistorius heraus-
*) Handtuch, Zwehle.
*) Die Universitätsannalen gedenken der Pest erst zum Jahre 1607
{Caesar 10, 23).
^) Johannes Pistorius Muschenheimensis trat 1603 in das Paoda-
gogium ein, Matrikel f. 78 b n. 251.
*) petulatianciae Or.
317
gefordert, carcerirt und wird also den donnerstag den
17 J) hujus die sach vom landvogt ausgetragen werden;
welcher nun wird verlihren und wie es gehen wird, will ich
euch nechst verstendigen. Hiezu kömpt auch lieber vatter,
das die böse schwachheid hie ist darzu kommen, also das er
sie gar oft gehabt, hatt ihn aber nun ein weil wider verlassen.
Was sich weider wird zutragen, will euch hertzlich gern ver-
stendigen. Ecce carissime parens habes miserandae hujus
tragoediae omnes circumstantias, und solche zeitung, ob Gott
der allmechtig will, solt ihr nimmermehr von mir erfahren,
sondern alles gutes. Aber lieber vatter, ich besorge mich,
ich werde euch mit meinem vielen schreiben auch oftem
verdrüslich sein, aber solhes wie ihr selbst abnehmen könt,
ist filialis amoris indicium. Orüsst alle Angehörige^ hett in
etwes gekauft nisi crumena ^) jam seu marsupium ^} morbo
laboraret; ich hab noch V» g-, hab nichts mehr auszugeben,
habt ihr botschaft, schickt mir mit supradictis ein bazen
oder 3. Datum Marpurg 17. ^) decembris.
8. Wirthin verlangt vorzeitig Zahlung. — 1606, Dec. 20.
Hat underschidlich mahl geschrieben, hofft, dass der Vater 1606
die B7iefe erhalten und bittet um Zusendung der darin ^^' ^^'
e)'betenen hutbinden, handszwiln, den kees etc. ; hat 1 Oulden
bis auf Christtag verborgt; darnach so hatten wir mit der
würthin gedingt, das wir sie sollen abbezahlen, so wir ab-
zöhen, so will sie das gelt izundt haben, so sind wir ihr in
unser kochzeit vor allerhand gemus, milh etc. jeder 23 albus
schuldig worden, will sie so bald bezahlt haben, drumb könnet
Vorsehung thun, wie ich etwas bekomme. Dürft in keinen
wegen sorgen, das ich gehe und verluder das gelt, den ich
weis wie sawer es einem zukömpt. Ich hoff darnah Dimpel
soll mir den gülden geben, und so wir die würthin ab-
bezahlt, so hab ich noch den gülden, davor ich liht und
sonst allerhand kaufifen will. — Marburg 1606, Dec, 20.
») L. 18.
«) Beutel.
•) 17 korrigirt aus 16.
SIÖ
ft. Dank für Sendan^« Process Pistorius. Neujahrs^eschenke. —
1606, Dec. 24.
1606, Freundlicher lieber vatter. Aus ewerm schreiben hab
' ich allerhand vernommen ewer gesundheid und contra, hofif
es soll ob Gott will besser werden ^). Das ander> alles ist
mir gelibdt kommen, soll angelegt sein. Die hud sein einer
gattung gleich gut und fein ; die strumpf sein mir reht, und
habt mit den hud reht gethan, last es mit der hauben bleiben.
Das gelt belangt, solt ihr bis uf ostern kein Schreibens der-
halben von mir bekommen. Pistorium belangt, so werden
heut 3 zeugen abgehört, wie es weider wird gehen, will ich
euch schreiben. Die pars contraria will seiner zeugen kein
annehmen, erstlich den von Beilersheim, Lisfeld und Weissein
niht, seyen sein landsleut und stubengesellen, darnah die
magd auch nicht in seim haus, dieselb sey ein falscher zeug;
Dimpeln auch niht, sey sein eidsbruder, und darnach noch
ein burger allhie, der sein vetter ist, wollen ihn auch niht
annehmen. Weis niht was geben wird. Gott der allmechtige
behüte mich allzeit vor solchem fall! Den kees belangt
hoff ich, ihr werdt Vorsehung thun, das er heruf kom ; ih
halt, Hergen von Muschenheim komme nah den heiligen
tagen wider heruff. Die schneubtücher sein mir vorwar ge-
wünscht kommen von sororibus ; doch es hab sie gemacht
wer da will, sentiet me gratum et memorem, et quia jam
vis pecuniae non patitur alias animum gratum perspiciet,
quisquis ex mihi charis suerit qui literarum mearum voluit
esse satisfactor, den ich hatt newlich davon geshriben. Scriba,
weis niht was es ist, hatt mein leuchtgen mit genomen, hetts
niht vorthan umb viel gelt, mus alle tag in der naht über
die gassen laufen, da wer es mir so gut zu. Eönd sehen
das ich es wider bekomme. Omnia prospera de me speres
volo, precor et opto. Snabelius^) ist in der promotion niht
gewesen, hat solhes gelt, wie er sagt, an bücher gewendt,
wiewol er dignissimus gewest wer. Sein 13 magistri et
') S. n. 10
«) S* n* 3.
319
3 doctores, alle medicinae, promovirt worden *). Des kees
vergest niht, den ihn Lisfeld, der ihn uns gelehnt, alle tag
bedürftig ist, must ihn mit einander schicken, uf 3 Ö" weigt
er. Ih schicke Johan Conradgen, fratri charissimo, allhie
ein newjärgen, auch den andern etwas ; könd sagen, ih hett
kein gelt mehr gehabt, et omnes quos profecto ex animo
diligo valetudine prospera et saluberrima uti meo nomine
jube. Ih beger nihts mehr, ist etwas das ich gern hett und
euch dünckt vonöden sein, so ich euch schreibe, hof ich
animum paternum non defuturum sed mihi missurum. Alias
plura. Datum raptim Marpurg den 24. decembris anno 1606.
Matrem ^) aviam omnesque cognatos meo nomine ex Dei
gratia ut valeant quam plurimum meo nomine jubeas volo.
Hett woll dupfen und ander gezeug gehabt, will aber
sehen wie ich sie euch mit gelegenheid schicke.
Und weis niht wie ich euch soll genungsam dancksagen
vor alles das ihr mir geschicket, dann auch das ihr mir so
fein schicket darumb ich schrieb, wer werth so ichs niht
erkennete, ut non filii legitimi nomine vocerer sed appeller
filius degener.
10. Bücherkauf. Oeld. Pistorius. Heizung zu thener. *- [1607],
Jan. 10«
Dankt für den übersandten Käse, hat ihn xurückgegeben, [1607 J
hat ein halb ß zu viel gewigen ; Johann Conrad hat sein ^^* •^^^*
Oemüsegeld und daxu für sich V2 Oulden erhalten, verthut
viel mehr gelt als ich, den er hat 1 g. bey einem Minzen-
bergensi entnommen, hat aber solhes so verklavert, das er
nihts davor gekauft hat ; so hab ich wol auch 1 g. entnomen,
aber solhes dergestalt: es stand mir ein gelegenheid, die ich
niht besser hett können bekommen mit 2 büchern, so noch
new und zween logici, mir so nutz und gut das es überaus ;
dürft deshalben nicht sorgen, das der gülden übel angelegt,
den ich niht underlasen können, solhe bücher umb halb gelt
1) Am 18. und 22. Dec, Caesar 10, 19.
') Nachschriften am Bande des Blattes.
S2Ö
Äu kaufen, sonderlich weil ich hiebevor noch kein logicum
gekaufft hab und solhen zu mein studiis sehr bedarf. Hat von
Dimpel noch einen halben Oulde7i, den er ihm geliehen, zu
erhalten. Bittet um die 23 Albus Gemüsegeld, denn die
würthin schweigt wol, hetts aber doch gern, xumal Johann
Conrad seinen Antheil bezahlt hat; urird den vom Grossvater
(altvater) gewünschten Katalog der nothwendigen Bücher mii-
bnngeny damit er sie in der Messe [xu Frankfurt] besorge,
weis aber niht wie lang wir hie bleiben. Gelt zu meim
eignen usui bedarf ich nicht, wird genaue Rechnung mit-
bringen. Der handel mit Pistorio ist noch nicht ausgetragen,
geht nicht ein wenig gelt ihm druf, wies sich aber hinfort
wird verlaufen, solt ihr künftig erfahren. Sonsten allerhand
kleider belangt klag ich nichts. Fratrem Johannem Conradum
convaluisse spero. — Ewer brief ist sehr kurtz gewesen,
weis niht wie es kompt. Eller Jörgen söhn wird uns wol
halten; maneat, rogo, tecum. Datae 10. januarii anno 1606.
über alles aber das ich euch schreib prast ich mich
nicht so sehr, den das wir so überaus thewer gedingt haben.
Wir werden von jederman noch zu unserm schaden verspottet,
den wir 6 thaler zu hitzen geben, da es doch umb 5 gülden
gehitzt sonst wird. Cellarius hat viel zu stötzig gedingt
wenn wir diesen winder vor 1 g. holtz gehabt hetten, wölden
mir gelangt haben, den er sehr warm gewesen. Darauss
so Gott will so wollen wir uf den sommer ein wenig besser
und vorsichtiger in allem dingen, den wir sich izt vorwahr
in allem weidt verguckt.
11. Pest ^). Stiidcntcii und Professoren ziehen ab. — 1607, Jan. 29.
jQQ'^ Herzallerliebster vatter. Ewern brif hab ich bekommen
29. Jan. und daraus allerhand verstanden. Und weil ewer Jörg sobald
weggezogen, das ich niht hab können widerschreiben, so ist
so bald wider ein bott von Minzenberg kommen, mit welchem
Pistorius und Dimpelius weggezogen. Und geh euch demnach
hirmit zu verstehn, wie das in der zeit, alß ir weggezogen,
so bald in ein haus kommen, darin sich das gantz haus ge-
*) S» n. 7 Anm. 2.
321
legt und auch eins begraben. Doch beger niht hinwegzuzihen
wiewol die andern all itzt willen hatten so bald mit den
zween zu zihen, aber ich wolt niht, wiewol es nun niht kann
verhütet werden. Und so ihr dis niht glaubet und vielleicht
meinet, ich lüge, köndt ihr es wol vom Dimpelio erfahren,
das bereits viil Studenten weggezogen sein, denn kein professor
mehr liset. Doch ich will . . .^) secundum voluntatem et
nutum paternum leben. Ist nicht von nöten, das ir mir den
krug schicket, hab ihr noch gnug hie, den so ich komme
nah dem examen, mus ich doch 10 oder 7 mit nemen, so
darfs ichs nit. Denck auch es werdt nun zeit sein das
[ir ei]n ^) geltstuck mir zu schicken zu schiist, des ich mich
nun bis uf ostern beh[elfenj ^) will, wiwol ich werdt ausgeben
müssen zu der comoetien, da man [in] ^) der band haben
mus. Vielleicht so es noch in ein haus vortfehrt, werdt die
schul transferirt, will auch niht, ir wollt dan, bis sie weg
heirazihen, wiwoll die Lichenses über 8 tag auch werden
heimzihen. So ist schon [der ^) professor, der poet ^)J, da ich
euch newlich von sagt, weggezogen, so wirdt Goclenius itzt
nach Cassel zihen und nicht wider kommen vor ostern. Doch
was sich eins oder das ander wirdt zutragen, es sey was es
will, will euch mit botschafft zuschreiben. Weis euch dismal
niht mehr zu schreiben den seit alle cum matre suavissima
dem lieben Gott befohlen. Datum Marpurgi 29. januari,
anno epochae christianae 1607.
12. Bitte um Ueld zur Komödie *). Examen. Pest. — 1607, Febr. 18.
Freundlicher liber vatter. So ihr noch mit den unsrigen 1^07 ,
gesund seid, hör ichs gern ; mich belangt bin ich Gott lob
^) Or. durchlöchert.
*) der — poct im Or. elugeklammert.
^) Hermann Kirchner.
*) Eeppe^ Beitr. z. Gesch. d. hess. Schulwesens (Ztschr. f. hess.
Gesell., 4 Suppl.) S. 11 berichtet, dass das Pädagogium im Frülyahr 1607
durch seine Schüler „eine ausbündige comoedia vom König Säule magno
cum api)Iauso spectatorum von m. Joanne Braschio (wofür der letztere
der acadeiniae zu ehren und dem paedagogio zu lobe 12 guld. aufwendete"),
aufführen Hess.
N. F. Bd. XXIIL 21
322
noch wol uff. Ich verwunder mich, lieber vatter, das ich
nun so lange zeit kein brif von euch empfangen noch etwas
verstanden, wie es daheim steht, das ihr mir mit m. Casparn
woll hett kennen schreiben, aber ihr vielleicht niht gewust,
derohalben kann ich itzund nihts von euch begeren dan nur
gelt. Und daselbige wegen des man izt zu der comoetien,
so gehalten werden soll, gelts vonöten hatt, darumb, wie
euch dinckt, kont mir doch ein bazen oder 10 schicken, der
ich dazu bedürfe; will, wie es ausgegeben, euch rechenschafift
geben, den ich die schuhe wil flicken lasen, dazu ich auch
von denselbigen legen will. Ich will sehen, das ich mit
gelegenheid mein alt geredt, den alten mantel und das lidirne
wambs und sonstiges s]chicke ^), damit ich post examen mit
ihnen desto besser uf dem weg fortkommen kann. Und den
krug solt ihr daheim lassen, den ich ihn doch nun halt wider
mitneme. Das examen wirdt über 3 wochen gehalden werden,
so mus man noch 8 tag nach der exemption warten. Die
pest hat hie ufhören zu grassiren und ist nihts mehr. De
nostrorum carissime valetudine me certifices obnixe rogo.
So ihr so bald kein botschafift habt, so schickt mir über ein
tag oder 10 ea quae petivi mit Fabers von Muschenheim,
ewers pettern bottschafft, die zu essen ihm bringen wird, und
das gewis. Ich wil sehen das mater bald ein hupsch gebett-
buch bekomme. So ihr vielleicht etwas zu wissen begert,
so verstendigt mich, will ich euch verstendigen. Ex hisce
vale dies plura. Datum Marpurg den 18. februarii anno 1607.
Omnes suos ad nos pertinere scis valere jube. Dises
eingelegte brifelein wölt sehen das er quam primum nach
Minzenberg Dimpelio ewerm pettern zukome.
13. Ankunft. Beginn de» Unterrichts und Kochens. Bezahlung
des Wirthes. — 1607, April 22.
1607, Freundlicher lieber vatter. Euch kurzlich hiemitt zu
April 22, verstendigen, wie es uns gangen, habt ihr hirgegen zu ver-
nemen, das wir bey guter tagzeit umb 6 uhr ankommen,
1^——— ■■■■ ■■■
1) Loch Or.
ä23
frisch und gesund mit dem geschir. Die collocation ist am
sambstag ^) gewesen, die lectiones den montag ^) angangen.
Weis nicht quoti wir sein den wir noch nicht im pediog
gewest ; will euch mit nechster bottschafft verstendigen, es
ist noch aber kein Wedderawer komen ausgenomen wir. Ihr
habt von Kappen zu empfangen mein alten mantel, das
liddirne wambs dazu ihr das borchen . . .^) verbraucht
werden, 2 paar socken, wir bis uf den winder hinzuhalden,
4 alte schneubtucher. Wolt mit Emmelio das gelt so viel
euch dinckt, das schlii . . .*) auch da mit schicken, und sampt
den socken meine heuben biss uf den winder halden. Ihr
habt auch zu empfangen ein schurtztuch, ein altes und newes,
so in der kuhen gewesen; item ein sack darin 2 leib brots
gewest. Sonst was noch hie ist haben wir eyl halben nicht
könen einpacken, werden es mit gelegener bottschafft heim-
schicken. Also fangen wir den don[ner]stag ^) den 22.®) hujus
an zu kochen als fort bis das wir al bey ein seint, das die
zeitt ausgetheilt wirdt. Den grosen sack oder ziehen, alles
was drinnen ist, ist ewer, den der sack ist bas ürseln. Bey
Conraden, so er sin ein zeitt lang gebraucht, habe zu fordern
die cosmographiam. Weis euch dismals niht mehr zu schreiben,
den das der wirth das gelt allen genomen wie es gelegt und also
alles Gott lob bezahlt, wollen nun ferner unser studia favente
Deo fort traiben, damit der sumptus und grose muhe an-
gelegt sey. So ihr auch etwas wider begert zu wissen, will
ich auch mit der ersten bottschaft verstendigen. Und halt
diser schrifft, die niht so gar pur, eil halben zu gutt, will
uf ain ander mal besser schreiben. Matrem verbis amicis
meo nomine salvere et bonam spem promissi fovere jubere
liaud dedigneris. Datum Marpurg den 22. aprilis a. 1607.
Vestram ^) omnium valetudinem per tempus aestivum
valde noxium curate diligentissime.
1) Apr. 18.
2) Apr. 20.
«) Unloserlich, Oelfleck.
*) Ende der Zeile verwischt.
^) Ausgerissen.
«) L. 23.
y) A. R. 21*
324
14. Goldvorliältiiisse. Sitzordnung. Knclicii fttr die Lehrer.
Klcidiiiigr. — 1607, Mai 9.
1GÜ7, Freundlicher lieber vatter. So ihr sampt den ewerigen
noch wol uff; ist es mir ein frewd zu hören. Mich belangend
bin ich Got lob und danck noch wohl uff. Nachdem ich,
lieber vatter, bottschafft hab gehabt, hab ich nicht under-
lassen können, euch zu verstendigen deses was ihr zu wissen
begert. Und anfanglich zwar als ich alles bezahlt und m.
L[ilio] seinen reichsthaler gegeben, welchen ich von Johann
Conraden genommen und ihm klein gelt dar vor gegeben,
aber noch 10 albus schuldig, den so ich ihn alles bezahlt,
hett ich mich zu sehr entblöst und nit kochen können. Und
hat der hospes den reichsthaler vor 42 albus, den königs-
thaler vor 46, den ducaten vor 2V2, den goltgulden vor
2 gülden genommen. Darnach sein wir collocirt worden und
bin ich erst 7 geworden, bin aber izt 9, weil noch andere
jungen kommen sein ; hoff aber niht weider zu kommen. Das
kochen belangt, haben wir die zeit halb gekocht, den es
einen 19 tag ist, und haben noch Gott lob damit wir auch
bis zu end gedrawen zu langen. Was wir aber noch gern
hetten, auch erstlich vergessen haben, werdet ihr aus Johan
Conrads schreiben können vernemen, dass mir izt kein gemas
bekomen können, und was wir kochen das werden wir vorwar
von dem unserigen kochen müssen, aber Gott lob noch keinen
mangel gelitten. Johann Conrad hatt irst 3 gülden mit-
genommen, dargegen ich 18 albus gehabt ; hat izt noch
V2 gülden, schreibt seinem vatter wider umb gelt. Ich hab
noch 2 gülden, hab aber meines so zu raht gehalden und
genaw angegriffen, das ich izt nun noch hab, beger zu dem
kochen nicht mehr. Ist das ich ein halben gülden oder wiviel
es mag sein, entlehnen werde, kent ich allzeit widergeben ^).
kompt schreiben, da er dan herkommen und sie
bekommen kann. Meine kleidung, schuhe und anders belangt
stehe ich Gottlob noch woll mit; wenn ich nur umb Jacobi
hinaus uf meine Laubacher schuhe ein geläbgen bekomme,
^) Dio untere Hälfte des Blattes mit der Adresse fohlt.
325
will ich mich wol den sommer hinaus leiden. Darnach so
werdet ir wol wissen, wie ihr gesagt von einem kuchen
paedagogearchae und Lilio zu verehren, welches so es izt
nechst pfingsten mit einem hupschen geschehenen könde,
nichts feineres könte sein, des auch mehr unsern favorem
bey domino paedagogearchae behilten, denn viro isto nil
nobis preciosius nil amabilius nobis unquam. Derhalben wer
es gar hupsch und fein, so ihr ein hupschen kuchen ihm
schickt, den der ihm newlich so wol gefallen das er seines
oft gedacht. Mit dem mantel so ihr ihm werck seit, könt
es lasen bleiben, den ich ihn lieber winders trag, da einer
durch kain hecken geht, als sommers da ainer uf geburliche
tag hin und wider lauft. Weis nichts dismals weider zu
schreiben ; so ihr villeicht etwas begert, verstendigt mich
zugleich mit disem, will ich euch verstendigen ; aber desen
wes hirin gedacht und ich wider bericht sein mus, was ihr
gegenberichts nothwendig bedürfen werden, bericht mich, vor-
nehmlig . . .^) der halben. Und grust alle die ewrigen inter alios
aviam avumque carissimum, matrem sororesque et ceteros
meinthalben. Datum Marpurgi e musaeo d. 9. maii a. 1607.
15. Wiederholung von Bitten« Tasche der Mutter. Siegrel«
Laute. — 1607, Mai 23.
Weil, lieber vatter, Mezel Winder ist ausblieben, so jJ^Pl].
könt ihr mit briifzeigern wol heruff verschaffen darumb wir
geschriben umb einen feinen kuchen, umb ein wenig gelt,
wie viel nun des mag sein und euch gefeit, ein wenig hirsen,
ein geläpp uf meine alte schuhe und darnach auch ein
phingsthäner kermes, ein dutschet ^) riemen oder etwas. Ich
hab mutters däsch bey mir, um 11 albus eine hupsche däsch;
ein habermann ^) hab ich umbsonst bekommen. Ich hoff auch
ihr werdt, wie ich newelich geschriben, ein pitschir und ein
blauten lasen verfertigen. Wie es mit Ehwalden, mit den
Knöpfen undt wie es mit Conradten seiner bücher halber
>) Unleserlich Or.
•) Dutzend.
*) Haferkorb,
326
stelle^ verstendigt mich. Datum raptim Marpurgi vibesiÖMi
tertia may anno 1607. ' :
Tricesimo hujus mensis may die, Deo nos bene javänte^
tempus nostrum coquendi finietur. Ob ihr von Eidel nnd
wie ihr den briflf bekommen verstendigt mich.
16. Pest im Hause« Haben mit Mühe ein Unterkommen gefnndeiiy
dürfen niclit in die Scliule gelien. Was tlmn ? — [1607, Ende Mai]«
1607 j Cuncta mutata repente. Lieber vatter. Ich kann euch
EndeMai. zxjl schreiben nicht underlassen, sindemal grose not und elend
uns dazu treibt. Es ist in dem haus, da wir mit der erst
in gewohnt haben, ein fraw, welcher das haus ist, sie aber
das haus verlehnt und uf dem schlos famuliret. Nun neben
unserm haus oder in derselben gasse dieselbe fraw, die uf
dem schlos ist, ein dochter hat gehabt, weihe gestorben. In
welher frawen kranckheid ihr motter vom schlos, nulens
volenS; hat musen gehen ihr billih als ihrer dochter zur band
gehen. Als sie nun gestorben ein klein unmündig kind sie
hinderlasen, welhes sie als avia hat genommen, und weil sie
niht uf das schlos hat dürfen zihen, sie in uns hospitium
als ihr haus jure, nobis vel repugnantibus, gezogen ist
Ferner ist parvulus infans kranck worden, ein tag oder 10
sehr schwach gelegen; nach disem hat hospita principalis
vom schlos noch ein jung töchterlein gehabt, weihe sich als
am dinstags morgen gelegt und des freytags morgen gestorben.
Wir aber, ehe dis alles geschehen, mature satis emigravimus
in ein haus, das zwischen ihrer und ihrer tochter haus steht,
welhes mir wol in eil haben musen thun, den wir so balt
kein ander stuben hatten können bekomen. Sindemal waren
wir noch zwey stund drinn bliben, wiwol noch niemands ge-
storben war, uns doch a lictore civitatis war drin zu bleiben
gebotten worden. Nun sein wir in itzgemeltem haus ein tag
gewest, so ist die fraw drumb angegangen worden, das sie
uns sub tectu suum (!) recepirt hat, drumb uns auch e vestigio
locum mutare gebotten. Uf dises sein wir in der statt
adjuncto nobis a domino paedagogiarcha famulo umbgangen
und ein losament dingen wollen, die leut aber, so bald sie
Vi
327
erfahren, wo wir gewohnt, uns abgeschlagen ; zudem wir
auch frequentatione paedagogei prohibirt, sindemal unser
keiner nicht ein kranck aderlin hat. Auch ist ein solhe
kranckheid hie eingefallen, das wer des abends frisch und
gesund zu bett gangen, des morgends tod gewest. Exemplum:
mein alt wirth, der Geisler beym schanckkeller, darin wir
den winder gewohnt, ist den pfingstdinstag ^) in seinen
sammetin schuhen in der kirch gewest, des morgends am
andern tag tod gefunden. Desgleichen noch 3 ander weibs-
persohnen an diser gehen schwachheid gestorben. (Hernah ^)
auch noch ein Schneider nah dem haus gestorben). Was
nun weiter gibt? Das wer dises. — Wir haben Gottlob
den donnerstag nach pfingsten ^) auskekocht, all ding be-
zahlt, auch nichts schuldig ; bitt aber mir das gelt zu schicken,
drumb ich euch newlich geschriben. Non falsa scribo.
Meinen Worten habt keinen glauben und schickt zusamen,
ihr und die andern, ein hotten heruf, der es erfahr. Wie es
nun anzugreiffen sey, wölt uns verstendigen. Es ist unmöglich,
das es den sommer mit dem sterben anstehe, doch weil ich
gekocht hab, das es einreist, so musten uns die andern gelt
geben, davon wir hie bezahlen können. Und haben auch
noch übrig, sed haec hactenus. Ich forcht, ihr seid halt
meines briefsschreibens lesen müd, wie ich gleichfals des
Schreibens, sed cogimur. Hirnah ihr euch zu richten und
schreibt, wie es mit euch stehe.
Filius tuus et reliqui ejusdem contubernales
commensales singuli et universi.
Vor^) disem allen dürft euch gar nicht entsezen, wir
Gott lob noch all frisch und gesund. Schickt mir doch ein
wenig gelt, uf das so ich ja hinweg mus zihen, mir das
geringe allhie mit einem albus oder 10 oder 15 bezahlen.
Mit den 2 gülden und 18 albus, die ihr mir gegeben, hab
ich ausgekocht und auch Johann Conraden sein restirend
Mai 26.
2) Heruah — gestorben zwischen den Zeilen nachgetragen.
3) Mai 28.
*) Nachschrift a. R.
328
gelt vom thaler gegeben. Mit dem honigkuchenbecker oder
sonst mit botschaft schreibt wider. Wir haben all ding aus
dem haus, nur noch 2 kisten, aber nicht drinnen, weihe man
bis uf den winder kan lasen stehen.
Post scriptum ^). Nach langem umblauifen und fleisiger
bitt paedagogiarchae haben wir noch ein stub in der Under-
gassen bekommen, (welche ^) ein arme fraw et insuper nescio
quales sint, und sein unser 5 in der stub, da kaum recht
einer drinnen kann sein, den nur ein bett), darinn wir auch
kochen. Und geben vor das alles da wir bisher gewohnet
jure academico nicht ein heller oder pfennig. Und haben
ein stub gedingt, daraus wir folgends 2 gülden 5 albus sollen
geben. Halt ja derwegen unnötig, das ihr heruf kompt, soll
ja einer heruf kommen, so könt es ein ander thun, den ihr
den winder hie seit gewest. Allein mit dem honigkuchen-
becker wölt mir das darumb ich nechst mit ihm geschriben
hatt, schicken und sonderlich des ledders nicht vergessen.
Es sein sieben Braunfelser in einem haus gewohnt, hart an
uns, haben alle locum mutirt. Caspari Löeri filius jam
coquit. Nos valemus Deo gratia, vale cum nostris bene
juvante Deo. Schreibt mir doch mit disem hotten, was ewer
meinung von dem allen sey gewest. An unserm disch sein 8 :
ego, uterque Löer, filius praetoris Muschenheimensis, filius
Georgii Bircklariensis, studiosus Giesensis et filius Ottonis
Rhe Lichensis. WeiP) mir auch die pfingsten nicht viel
kuchen haben gessen, bitt doch wölt uns ein sampt dem
andern, wie ihr wol wist, schicken. Vale.
AU*) die leut scheuhen sich vor uns und weil wir nicht
in paediog dürfen gehen, weis ich nicht quid faciendum.
Ich weis niht was hir zu thun ; mir sein in 30 losamenten
gewest, so wie gefragt, wo mir gewohnet, ist es alsbald ab-
geschlagen worden. Das sterben reist gar sehr hie ein.
*) Auf einem anliegenden Zettel.
*) welche — bett a. R. nachgetragen.
2) Weil — schicken unterstrichen,
*) All — ein a. ß. nachgetragen,
329
17. Dank für Sendung. Freude über des Vaters Erfolg in Huugen.
Schulnachrichten — 1607, Jun. 3.
Freundlicher lieber vatter. Ewer aller gesundheid hab 1607 y
ich mit hertzlicher frewd vernommen, geb auch hinwider *'^^^- ^*
unser gesundheid zu verstehen. Aus beigeligtem schreiben^),
welches ich lang gehabt, habt ihr allerhand zu vernemen,
den ich in solchem unsrem elendt, das wir vorwar gleich mit
euch gehabt haben, haben wir keinen hotten können be-
kommen, sein aber nun Gott lob alle beide daraus erledigt
und in vorigem esse. Die zwen kaes hätten wir niht ge-
durfft, den wir lang ausgekocht undt haben uberal aus unsrem
kochen, da wir keinen mangel gehabt, übrig behalden 2 mas
botter, 1 mas fett, ein schincken, zwey saitten speck und ein
riemen rindfleisch ; haben gar kein mangel gehabt, wollen
solches bis uf hyemem halten. Ich hab gezweiflet, ob wir
die kaes solten behalden oder zurückschicken, hab [aber]^)
doch mich bedacht und sie hir gehalten. Bin auch niht
ein heller oder pfenning schuldig ; das kochgelt und fuh[r]gelt,
will mich von disem den sommer über behelfen. Von der
botter wollen wir neben der malzeit nach notturft den sommer
über so wir hie bleiben genisen. Sed ad priora. Quid non
chare pater preces apud Deum efficiunt. Hoc tibi de me
persuadeas. Das ich, wie mich mater ein mal gelehrt, als
Johannes frater meus ein mal kranck gewesen, das kein mal
solt hingehen das ich niht ein mal vor ihn bette. Solche
lehr hab ich bishero behalden und sag auch darzu, das kein
mal ist hingangen da sich zu bitten geburet, das ich nicht
von Gott solt gebeten haben 1. das er generoso gegen euch
wöU ein genediges gemut verleihen, 2. das er euch wöll bey
ewern ehren behalden, verissimum est. Welches, da es ge-
schehen, ich certo Gottes genad kann abnemen. Sed jam
tandem discussa secta et haeresis nostrorum Honigensium et
pars quaeque in locum suum est restituta integrum. Ergo
') N. 16.
») Oder Or.
330
Maxima caelesti sit laus et gloria patri
Maxima sit nato gloria lausque suo
Maxima spiritui sit laus et gloria sacro
Maxima sit triadi gloria lausque tibi
Magna major Triadi^) sit maxima gloria tote
Mensura cujus caelica regna carent.
Nuncius gegen uns rogatus von euch und den ewrigen
alles guts und ehrlichs gered; scilicet quia victores estis et jam
in ipsos potentiam habetis. Welches so euch mislungen wer,
er auch vielleicht anders geredt hett. — Beyde ßeguli^) sein
hir und als sie vom paedagogearcha solten collociret werden,
hatt er mich evociret und gesagt, ihr vatter hett geschriben,
sie weren uns alzeit pares gewesen, wie ers machen sölt,
was sie doch vor processus zu Herborn gehabt, und gleich
darauf geandwort: isti sunt vobis multo minores, ego ipsis
tribuam locum dignum. So ist der grose in secunda 10 undt
der kleine 24. Wir aber sich societate ipsorum niht viel
annehmen, den sie sich allhie mit ihren condiscipulis also
hilten, das keiner gern niht viel mit ihn will zu thun haben.
Ich hab nun lieber vatter uf disen sommer genug an essen
und gelt, zur noth will sehen, das ich ein buch mir auch
zeuge davon und doch auch vor mich behalte. Ego, Löer
uterque, Faber Muschenheimensis et Weissei werden das
paediog zu meiden gebotten, weil wir in dem haus gewest,
aber können und lehrnen daheim so viel als immer im paediog,
wiwol wir nichts verseumen, sondern all ding abschreiben.
Wir betten gar kein hospitium können bekommen, wo nicht
paedagogearcha, amicus verissimus et integerrimus, uns hett
underbracht. Mit dem ledder könnet ihr verzihen und mir
schicken so Wesselii speis (aber gewis) wirdt heruff gefuhrt.
Ich schicke matri die täsche und den haberman; die täsch
wirdt mir geborgt bey unserm alten w^ürth, welcher ein
') Unterstrichon und a. R. durch sanctae trinitati erklärt Or.
*) Johannes Eberhardus und Otto Regulus (Zaun schliffer) ans
Braunfels wurden 1607 als Paedagogici inscribirt, Matrikel f. 110 n. 124
und f. 110 b n. 134. Sie kamen aus Herborn und war ihr Verhältniss zu
den Vettern schon dort nicht das beste gewesen.
331
sathler, bis wir wider heruff zihen ; hab niht gewust ob ich
bockenkerner solt kauifen. Hatt mutter villeicht ein buch
oder gefalt ihr die täsch, kan sie beides heruf schicken. So
mir mater ain hain izt mäht ist genug, beger sonst nihts.
Hab noch kleider und al das genung, hof aber ich werde
ewer sammetin hosen, so ihr sie auslegt, of den winder be-
kommen. Der bott ist mittwochs im 8 uhr hier kommen
und im ailff wider weggangen. Fratres et sorores salvos
spero, inter quos ut Carolus dihgenter instituatur rogo. Ich
bin in 1 classe 10. Was Conrat mitt seinen bucher will
anfangen, schreibt. Ich hab ein elendig gemärtel an den
brifen. Ich hof uf das bitschir und uf die planten, welche
mir sehr von nöten thut. So ihr über dises noch etwas
begert zu wissen, schreibt, will euch mit nehster botschafft
verständigen. Datum Marpurg d. 3. junii a. 1607.
So matri die däsche gefeit, kan sie die kerner ab-
schneiden und sie tragen.
18, Scliuliiaclirichten. Pest* Kncheu für die Lehrer.
Kleiduu^% — 1607, Jun. 8.
Freundlicher lieber vatter. Euer gesundheit ist mir zu 1^07^^
vernehmen ein herzliche freud gewesen und geh euch hin-
wider zu vernemen, wie das wir Gott lob noch alle wol uf
und Deo gratia gesundt sein. Ist uns woll etwas elendig
gangen aber doch izt wider und Gott sey lob und danck;
undt ist das wir sich noch etwas zu trösten, uns nicht allein
also gangen sonderen noch anderen 7, welche neben unsrem
alten haus gewohnet haben, solches haben musen austehen,
aus welchen 2 Reguli cum paedagogo, filius pastoris Leunensis ^)
et filius cellarii Gridelensis qui dicitur Kammerer, Philippi
Hiltmanni Braunfelsensis filius cum Martino Geisio Braunfelsensi,
idem nobiscum pati sunt coacti. Sie aber gehen ins paediog,
^) Thcodorus Dampfius Leunensis wird gleichzeitig mit den beiden
Reguli, s. n. 17, Henricus Camerarius Butzbacensis und Nicolaus Hiltman
HrauufoIsoDsis 1607 ins Paedagogium aufgenommen, Matrikel f. 110 n.
122, 132, 133. Goisius wurde am 8. Mai 1607 immatrikulirt. Dampf
disputirte 1613 in Herborn, desgl. Camerarius 1610 (phil.) und 1612 (jur.),
V. d. Linde, Nass. Drucke 1 S. 132 u. 474, 149 f. n. 605. 607.
Jun. 5.
332
wir aber weil wir in dem haus gewohnt, sein wol davon ab-
gehalden worden. Und vorwar cum magna paediarchae molestia,
welcher solches niht seinethalben sondern etlicher losen jungen
halben geschehe, uns sagte, solten uns auch solches niht
verdriesen lasen und ein kleine zeitt warten. Wie halt wir
nun wider werden frequentiren, will ich euch verstendigen.
Wir aber nihts desto weniger daheim so fleissig sein als je
im paediog. Die pest anlangend dinkt mich, es werde gar kein
bestandt haben, denn es also dröpfeliche vortfehrt und man
nicht weis was es ist; wir aber uns wol in die stad gethan
haben. In der einen gassen da wir in gewohnt haben, hir
unden am Grünen, 7 gestorben sein, was noch in der statt
ist. Das aber der veterator ^) Bessinger gesagt hatt, das ich
so gleinmutig sey und mein sinn nach heim stehe, kann ich
mich niht verwundern, den da in der zeit sie alle einer schryet,
der andere packt die bucher in, der ander wölt morgen
heimzihen, ich allein, ita me Dens (qui jam me verum scribere
noscit) amet, das ich in solchem allen, das sie mir auch
musen zeugnus geben, am starcksten und besten gehalden
hab, hab aber gleichwohl gesagt, mir sey nihts umb das
leben das ich so solt schlincken schlagen gehen, wölt viel
lieber ins paediog gehen. Scilicet da der nequam niht hat be-
kommen, was er gewolt, den da er uns das gelt gelifert, er
gesagt, hie geb ich euch gelt, seid ihr rechtschaffene kerlen,
so werdt ihr mir ja ein mas wein davor geben. Als er die nicht
bekommen, hatt er woll, wie mehr mal zu Herborn geschehen,
mit ligen umb sich musen werifen. Und mögt wohl wiessen,
das ich in disem falle fortissimus et valetudine utens pros-
perrima bin. Wir sein nun Gott lob uf die zeit, die wir
noch hie bleiben, ein woch oder zehen, woll versorgt und
ist nicht vonnöthen, das ihr carissime pater aut mater omnesque
omnino nostri im geringsten hirinnen unsert halben bekümmert
seyen, sed vos caute vos domi gerite, nos hie quod nostrum
postulat officium, seduli apparebimus. Ist auch nicht von-
nöthen, das ihr oder einer [von]^) euch hieruf mit Unkosten
1) Schelm. — «) Von fehlt Or.
333
bewegt, es sey den das praetor Muschenheimensis mit filil
speis beruf zu wenden sich nibt bemubete und unser ge-
legenbeidt verneme; ist sonst gar nibt von nötben. Mit
solber ^) Weisselii botscbafft weis icb nibts anders zu begeren
dan ein stück ledders, damit icb meine scbube flicken lise,
(und ^) ein mutter pfenninglein davor icb bisweilen, so icb
aus dem garten bleiben soll, kirscben kauffe; icb bab das
guldengelt nocb bey einander). Hoffe icb sollt nocb die planten
vorm examine, ehe wir abziben, bekommen. Den kuchen
belangt haben wirs also (et quidem ut recte mihi videtur)
gethan, das weil jederman der uns kent, bishero ein eckel
vor uns gehabt, auch etwas von uns zu nemen sich geschewt,
bab ich ibn weder Lilio, viel weniger paediarchae offeriret,
idque non sine consilio aliorum meorum, boflfe aber uff se-
quentia, das das was billicb ist geschehen soll, und weil
wir sonst haben können underkommen, sein unser fünf in
eim kleinen stubgen und kochen noch alle zusamen, hoffe
aber in eim tag oder 8 wider zu frequentiren, welches uns
nocb genedig, den Brickmann von Minzenberg ^) hatt 7 wochen
das paediog müssen meiden, darumb das er auch in eim haus
nicht gewohnt sondern nur gewest wer. Betten und alles
zur gotsforcbt gehörig, wisset das von uns nibts underlasen
wirdt, den es heist „Disce bonos mores sie te comitantur
bonores". Den baberman habe ich Bessingern nibt gegeben
gehabt, wol im briff gesezt, aber als wir mitt einander sein
hinaus gegangen, bab icb zu dem kerlen, der mir ibn gegeben
hat, geben wollen und ibn holen, ist nicht daheim gewest
sondern weggezochen, auch nocb nibt kommen, soll gewis ibn
nf den sonabend mit Weisseis hotten bekommen. Hoffe auch
die täsch werdt matri gefallen, wo nicht kan sie remittiren.
Hans Jörgen quondam mihi suavissimum comitem, jam domi,
ut puto, quem meo nomine salvere jubebis humanissime. Mit
dem barstreng mantel könnet es bleiben lasen, den es levis
*) solhem Or.
^) und — einander a. R. nachgetragen.
^) Conrad US Brickman Müntzebergensis trat 1603 in das Paedagogium
ein, Matrikel f. 79 n. 283; wohl gleichzeitig wurde Johann Daniel Brick-
mau am 5 Mai 1603 immatrikulirt.
m
materia ist, den Johan Conradi inantel bereits anfangt ztl
reisen. Hoffe aber genzlich, ich werde uf den winder ewer
sammetin hosen bekomen, will sie woll inbringen. Sonst an
allem ding zu kleidung gehörig haben wir keinen mangel. Dift
4 stuck oder sewen fleisch, die zwo mas botter, die 2 kaes
wollen wir uf den winder halten, aber die gesalzen botter
nah der malzeit nah notturft essen. Weis nihts mehr zu
schreiben, ist das ihr begeret, schreibt mir proxime tribus
literis, will euch significare. Datum Marpurg d. 8 junii
anno 1607.
19. Schulbesuch. Pest. Abzug von Studenten. Exemtion.
[1607, Juni/Juli].
2ßQ'^ Freundlicher lieber vatter. Aus communi ad nos data
/MmV'/w/i.epistola hab ich verstanden ewer begeren, geb ich hirgegen
zu verstehen, das wir nun wider 8 tag ins paediog gangen
und nichts verseumet. Sein mir wol zuvor [zu] haus blieben,
wist das damals doppel so viel ist gestudirt als izt. Die
pest anbelangt geht (eloquar an sileam?) hundertfeltige ge-
schrey hie, davon ich doch eilents einen rechten wahren und
wie ich ihn vernommen hab bericht thun will. Es stirbt
hie, ja es stirbt und nicht ein wenig, den zum wenigsten
kein tag ist, das man nicht 1, 2, 3, 4 etc. uf und ab begrab;
so sein professores ungewiss , wo sie die academiam hin
sollen legen, were sonst lang publicirt gewesen. Zu dem
hats der rector lang angeschlagen, aber er sehr ungern hie
von dannen weicht. So sein auch, wie ich ex communi
studiosorum famulo vernommen, über die 50 studiosi weg-
gezogen, so wollen auch Reguli von Braunfels, Hiltmannus,
Dampf Leunensis heut wegziehen, aber wissen nicht wohin,
denn sie verstanden, sie solten nach Honigen ad avum, wissen
nicht obs sey, drumb wölts uns verstendigen. Es geht niht
ab, ein gros sterben reist hie ein, den es alle Hessen schier
eingenommen; alle tisch werden verstört und in summa,
was uns hirin zu thun schreibt uns. Wir wollen doch nicht
abzihen, es sey den gewis ob die schul hinwegkomme. Da
den so sie hinwegkompt wir alles verwahren und wie ihr
geschriben uf Muschenheim kommen wollen, auch was wir
schuldig ein verzeichnus mitbringen wollen. Ad haec, quia
spem exemptionis habeo, so schreibt mir doch consilio avi,
wie ichs machen soll, ob ich, ehe ich wegziehe, a domino
paedagogiarcha testimonium exemptionis petiren soll, welches
so er es sich wegert, wölt ich ehe der 7 oder 8 wochen
halben der schul nahzihen, wen ichs daselbst bekomen konte,
den ich nun halt anderthalb jähr in prima gesessen. So ich
nun izt ein weil daheim wer und wider darnah an ein ort
zihen und wider ins paediog daselbst gehen solt, wer mir
ungelegen. Kan aus dem paediog so viel studiren als drin.
Drumb schreibt mir ein brief, den ich paediarchae kan uf-
legen, ihr bittet, das er uns eximire, so thut ers gern.
Drum was euch dunckt schreibt. Ich woll das ihr den hotten
so halt wider heruf last gehen, das wir wisen woran wir
weren, den wir niht ein tag gewis sein. Unser haben halt
4 gekocht: ego, Lör major et minor et Weissei. So haben
noch zu kochen Eidel, alter studiosus, Rehe Lichensis, Faber
Muschenheimensis, und so unser 2 der schul nachzögen, so
müsten die auch hernach die kochten. Man hat heut, da
ich den brif bekommen, wider 3 begraben und 2 aus einem
haus. Es ist ungewis, in wie viel heusen es ist, wölt sonst
schreiben. Ich hab dem hotten so etwes ufgelatten, den so
ich ja heimziehe, ich der last zu tragen leichter wer. Ich
schicke euch 4 bticher, 2 hemder, 1 krag, 2 nachthauben,
das new wams, den ichs niht durf den es gewis das wir
niht hie bleiben. Die andern sein niht hie gewest, betten
auch wol etwes ufgeladen; hett ich ihm den noch etwas uf-
geladen ^), das möcht ihm nicht gefallen haben. Können
aber doch noch underdes botschaft zu tragen bekomen. Weissei
hat noch 6 tag zu kochen. Auch 2 schneubtuch, der ich
ja noch 3 hie hab, und so wir hie bleiben, kann ich des aller
entrathen, so wir aber heim ziehen, hab ich es zum besten.
Ich hab noch 1 g. 3 h., [so] ^) wir weg[ziehen] ^) kan
ich mir ein buch oder 2 gekaufen.
^) Ufgeladen hett was ich ihm gegeben hett, das tautologisoh Or.
«) Fehlt Or.
336
20. Pest. Küche. Wein. Schule. Kleider. — 1607, Okt. 22.
1607, Salutem plurimam. Freundlicher lieber vatter. Wenn
Okt. 22, jjjj. gajjjpt (Jen, unsrigen noch alle wol uif seidt, ist mir es
ein grosse frewd zu hören. Mich belanget bin ich, Gott
lob, noch wol uff frisch und gesundt. In ewerm izt an
mich gethanem schreiben hab ich verstanden, wie das ihr
erfahren, es fange die pest allhie zu Marpurg ufs new an
zu grassiren, solches aber wie wenig es der warheid gemes,
so wenig acht ich es bald noth davon zu schreiben, denn
in mancher zeitt kein mensch hie gestorben, auch man von
keinem sterben mehr weis. Das kochen belangendt haben
wir die halbe zeit gekocht und hofen auch in diser gantzen
zeit uns nicht vonnöthen sein werde, ohne kaesz. Unsere
commensales belangendt habt ihr sie hie zu vernemen: ego,
Löer uterque. Weissei, Lisfeldt, Faber, Michael ille Wilfers-
heimensis ^), expectamus adhuc Camerarium Buzbazensem.
Wir haben holz gekaufft und haben of gros pitten magistri
Caspari Löers ejus filium bey uns genommen. Es sein uns
zukommen 4 £b liht; diselbige spricht Johan Conrad seyen
sein, doch sollen sie gegen den wein queit sein ; solhes ich aber
gar nicht begert, dürft derwegen nihts mit was ürseln
handelin, welche sie geschickt, den wir uns privatim den
wein wölln nutz mähen. So haben selbst wir ein & gehabt,
dargegen sie auch 5 ß müssen kauffen, mit welchen 10 S
conjunctim wir wol wollen disen winder uns behelfen. Es
sein in prima 26, desen Weysel 19, in secunda sein 40, in
minori paedagogeo etlich und 50. So bin ich noch primus ^).
Es ist magister Caspar Löhr an Ellero gewest, denselben
angefangen zu tribuliren mit dem kochgelt, so hatt Eul sich
erboten 20 albus zu geben, er aber noch nicht zufrieden
sondern will ihn vor den rectorem fordern. Was sich weider
zutragen wirdt, ob er es geben wird oder nicht, will ich
euch berichten. Kann man darnah auch handeln. Summa
*) Nicolaus Michael Wilfersheimensis wurde am 22. Okt. 1606
immatrikulirt.
«) Vgl. n. 22.
357
fruor domini paedagogearchae favore et benevolentia; is mea
quibus potest modis studia promovet. Kleider belangt habjch
gar kein mangel ohne das meine schuhe sich haaren, denn ich
die newen halte; so ihr nun das ledder und schuster habt,
so last mir doch ein paar schuhe und pantoflfeln oder wie
es euch gefeit machen. Wir haben noch niths lediges,
wollens euch sonst schicken, wollen aber doch alles uf ge-
legenheid heim zu schicken halten. Ist etwas das ihr begert
zu wissen verstendigt mich, will euch widerschreiben. Ich
hoff ihr seid noch alle gesundt. Et vestram valetudinem
summopere quibus potestis modis ad nostrum commodum
conservate. Matrem omnesque bene mihi cupientes mep
nomine saluta. Datae Marpurgi 22. octobris a. 1607.
21. Billo um Schuhe, Käse, Obst. Neuigkeiten. — [1607, Nov.].
Freundlicher lieber vatter. Ich hoff ihr solt noch all .[I607
gesund sein, ich Gott lob bin noch wol uf. Johan Conrad -^^'^J
hat mit dem pulverknecht geschriben, mit demselbigen so
ihr uns nicht könt geschicken, des uns doch sehr lieb wer,
bitte ich, wolt es doch mit Gerlachs frawen unverzüglich
schicken, aber wo eher desto lieber und besser, nemlich
1. und so ihr sie habt, 2 paar schuhe, 2 kees von 7 £1, den
sie Christoffel uns gelehnt und er nun kochen mus; mir
haben vor 10 tagen ausgekocht. Bitt fleisig, wolt solche
gelegenheid zu schicken nicht vorüber gehen lassen. Und
so sie es thun will, schickt uns doch ein mest oder 2 biern
oder öpfel, den die andern all mit ihnen hatten gebracht.
So wird Johan Conrads vatter ihm auch gelt schicken. Ich
hoff noch beger den ganzen winter nichts von euch.
Nova. Mir haben ein newen magister im paediog,
magistrum Aegidium Schroterum, apothecarii filium. Ist ein
bott vor Marpurg gar elendig zugericht und geschlagen und
mit dem leib uf 2 hern land gelegt gefunden, jedoch in des
landgraven land begraben. Hat ein student ein bawers-
knecht beym Schwan vorm thor mit eim dolch bey dem
schulterblat hineingeworfen, der so bald gestorben, er aber
N. F. Bd. XXUI. 22
338
von Studenten und aus dem carcere mit list hinweggebracht *).
Ist ein man beym Langen oder Weysen stein bey Eirchhain
erstochen. Ist uf disen marckt einem ein band und sonst
glieder abgehawen etc. Was mir droben gebeten, bitt wöUts
uns doch schicken.
NB. Es hat der edel ^) Agricola, der das pulver euch
verkauft hat, Christoffeln das gelt vors kochen musen geben,
auch nicht ein «d^ nachgelassen, drumb wollt es mit Eller
Jörg dort anfangen oder mir schreiben wie ichs machen
soll, den w^egen ihres schmehens und scheltens will ichs
ihrer keinem nachlasen^ quod memineris. Ich hab es in
eyll geschrieben, bitt wolt der schrift zu gut halden.
22. Schuhe. Huud. Kochgreld. Kleiduug:. Rechnuugeu. Schule
zu Hun^cu. Todschlag. Studenteiiauflauf ^). — 1607, Dec« 7.
lG07y Salutem plurimam. Freundlicher lieber vatter. Ewer
/ ec. 7, schreiben sampt dem uns zugeschickten zeug, gelt auch ewer
gesundheidt haben wir mit frewden vernommen. Wisset
uns alle noch frisch und gesundt. Habt hiergegen zu wissen,
das ich erstlich der schue halben so plumpfweis gehandlet, hab
ich gemeint und genzlich verhoffet, weil der Löber auch
in beysein meiner zugesagt, ihr werdt sie lang bekommen
und euch uf instehenden winter mit schuhen wol versehen,
solhes aber das ihr mich hirgegen bericht , so ich es in
keinem fall gewist, hoff ich und bin der zuversiht, ihr
werdt bey dem vätterlichen gemüt bleiben. Das ich sie
aber soll alhie kauffen, ist das schlechste paar schuhe an
20 oder 22 albus gesezt, derwegen dieweil ihr versichert,
uf Christag mir zu schicken, will ich mich leiden, denn
weil das fest izunder nahe ist, mus man den pedellen ein
new jähr kauffen. Item so haben wir 2 wagen voll holz
gekaufft, wollen wir noch einen kauffen, das also das gelt
1) Am 13. Nov., Caesar 10, 26. S. n. 22.
*) edel und Or. Die Nachschrift a. E. und wie der ganze Brief
sehr schlecht geschrieben.
3) Vgl. dazu die eingehende Darstellung der üniversitätsannalen,
Caesar 10, 26 ff.
339
niht am geringsten niht soll verlohren sein, denn ich vom
ersten gelt noch gehabt, auch dazu ein buch vor V2 g.
gekaufft, auch im kochen gelangt, das ich nichts schuldig
bliben , da Johan Conrad an 18 albus schuldt gemacht.
Den hund belangend haben wir ihn uf 14 tag in der stuben
gehabt, auch niht mit uns hinaus genommen; da ist er
einsmals von Johan Conraden unversehens hinausgelasen
und von Schlesiern ufgefangen , dem wir noch alle tag
nachstellen, das wir ihn widerbekommen. Das werck an-
belangt, davon ich geschriben mitt EUero und Agricola, bin
ich bericht Agricolae als eines pulverhendelers knecht, der
wolte in die Wedderaw fahren und dan von Honigen pulver
das sie bestelt bringen. Nun ist der knecht niht nach
Honigen sondern nach Fridberg gefahren. Sonst hatt ich euch
geschriben unser kochgelt, so es sich thun lies nu einzuhalden,
so ihr aber es vor unnöthig haltet, ist es mir wol genügt, weil
er auch Christoffeln hat geben müssen. Sonst ihr schmehen
belanget, ist es nur darumb, weil wir niht bey ihnen haben
wollen wohnen noch kochen, solhe beide aber der paediarch
niht haben wollen. Solches aber wörtlich zu melden, ist zwey-
tracht zu vermeiden villeicht niht nötig. Meine kleider be-
langt bin ich huud und ander kleider halben wol zufriden, allein
so ihr mir entweder fuddertuch schicken wollet, so wölt ich
alhie mein braune hosen wennden oder mihr mähen lasen, wo
niht mir eine schlecht paar borchen hosen uf ein gewis zeit
mähen lassen. So will ich euch alsdann mein grawe hosen
und das weis borchen wambs zurückschicken, könd ihr Carlen
ein kleid draus lasen mähen. Den mantel belangt pfleg ich
seiner so fleisig ich kann und behelt er seine haar noch zimlich,
drumb ich es gar vor unnötig halte, ein newen zu machen.
Jedoch ewer will geschehe, das maas habt ihr sampt dem schuh-
maas hiebey. Christens zettel belanget hab ich in einsmals
under den briven hervorgesucht und gerechnet, das uf den
V2 g., so ich ihm gegeben, über allen abzug, desen er doch
eines sehr geringen aber qua conscientia gedencket, ihr ihm
12 albus schuldig bleibt, so es in all flickwerck so hoch soll
genommen werden wie ers gesezt. Ist der zettel wider ver-
22*
340
worffen und bleibt hiebey, begert er mehr so mus er nfleged,
afiirmanti enim incumbit probatio. Er hat viel, ja viel lanb
brot bekommen, der er gar wenig gedenckt. — Den lehzettel
belangt hab ich ihn von Munchoffman bekommen, aber ihn
niht zu mir genommen, sondern als mir ihn gegen Eller Jörg
ufgelegt Niclaus Spar, ewer factor, ihn hat zu sich genommen ;
wird ohne zweifei bey demselben zu bekommen sein, drtimb
ihr nachforschung bey ihm könt thun, ob er ihn hab oder niht ;
so nicht, wem er ihn gegeben, denn es ist gewiss, das ich ihn
uberliffert. Scholam nostram Honigensem belangt bitt ich
euch ander guter leut halben umb Gotts willen, last niht zu,
das officina virtutis, seminarium ecclesiae gar zu boden geht,
den solhes hat wol gewust der keyser Julianus Apostata, als er
die Christen sampt ihrem republicam hat wollen vertilgen, hat
er zuerst die schul der Christen von grund zerstört, certo
sciens das an schulen herkommen leut, die den gemeinen
nutzen und die kirch Gottes defendiren guberniren und con-
serviren können. Darumb thut an Gottes statt beforderung
gegen die knaben, es geht ja sonst druff, und verordnet so
etwas zu einem beneficio, exempli gratia Reppio, welcher zu-
friden das sein dargegen zu legen, das der knab etwas stndire,
auch der knab selbst bone indolis und ein lusten hat zu
studiren. Carolum halt fleisig zur schulen gleich wie auch
mich, des ich euch und Gott dem almechtigen grossen danck
weis. Das paediog alhie belangt, halt sichs noch im alten
streich uff 140 jungen uberal. Regulus major ist in prima 24,
minor in secunda 9, Christoffel in tertia penultimus. Weissei
in prima 20 ^). — Das wurmeel belangt halt ich es soll gut
sein, und solt es mit milch oder sonst getränck alle morgen ihn
eingeben.
Nova. Es sein in kurtzem umb Marpurg herumb 4 tod-
schläg geschehen, deren der ein von einem Studenten geschehen
nichts guts ausbracht. Accipe rem ordine. Als der todschläg
von etlichen truncken doch einen gewissen . . . ^) und Studenten
gethan, haben sie den dolch in der wunden hinter dem schulter*
1) S. n. 20.
«) Loch Or.
341
blat lasen stecken und davon geeilet, da ihnen so baldt mit
post ist nachgeeilet , und weil sie malae conscientiae stimu-
lis acti und ufgehalden, haben sie niht von der stat kommen
können und sein also ergriffen in des schulteisen haus braht
und verwaht. Als solhes under die bors kommen, mähen sie
ein Zulauf bey dem haus aber niht intromittirt worden. Zu-
lezst aber permissu landvogts et rectoris zu den captivis
hineingelasen, da ein solh wunderlich perlament angefangen,
der eine der ist hinein, der ander hinaus gelaufFen, bis sie zu-
lezst als sie andere kleider hineingetragen, den Studenten ver-
kleidet und mit sich herus gebracht haben, da er alsbald die
naht ist wegkommen. Sein gesellen wurden ein zeit lang im
collegio behalden, darnah uf falsche berichtung und fug-
schwenzen, so dem fursten wider die Studenten geschehen, als
der fürst ergrimmet, ihn entbotten so ufs schlos ins gefengnus
zu thun. Welches geschehen. Darauf der ganze häuf studio-
sorum uf dem kirchhof zusamen kommen, deliberirt, des ein
gedencken gehabt, es konde niht möglih sein, das sie privilegia
hetten, den sonst dis niht geschehen wer, den in denselben von
Carolo quinto vorsehen, das kein student under die weltliche
band körne. Weil nun solhes wider die privilegia geschehen,
wer zu vermuthen das nihts wer, sonderlich weil sie suspiciones
hetten. Die vornembste privilegia der Studenten belangende
waren vor etlih jähren uf grose bit landgraven Wilhelms von
Vulteyo einzogen und verpunckelt worden ^), das also landgrave
Wilhelm die Studenten desto besser packen könne, so sie uf
kein privilegia passen dörften. Und ist noch einmal den
andern tag ein versamlung geschehen, zum rector gangen, von
ihm begert, das sie die Studenten los gieben oder sie wollen
alle wegzihen, den sie uf der schul nihts mehr nuzen so die
privilegia weg weren. Daruff ist das consistorium zusamen
kommen und sein also von den studiosis getriben, die privilegia
zu weissen, des sie alle uf dem consistorio geweinet, so lang
druf verharret bis in die naht, das die Studenten, so das ganz
1) 1575, hera von Caesar im LectioDSverzeichDiss für das Sommer-
semester 1879. Herrn. Vuitejus war an der Abfassung nicht betheiligt.
Justus Vuitejus bereits vor dem Erlass gestorben.
342
paediog ingenommen und den poeten, so ein oration recitiren
wollt, warteten aber vergebens. Des andern tags haben sie
sich umb 9 uhr wider all umb creuzgang im paediog uf 200
und drüber versamlet, und nach gesehener oration, die der
poöt gethan und sie darin vermahnt, das sie wollen zufrieden
sein, haben sie abermal die privilegia begert zu sehen und zu
lesen, da den der rector einen grosen brief mit einem grosen
Siegel gezeigt und gelesen, desen inhalt gewest, das Carolus
quintus 1541 die academi gekrundet, aber von der studiosorum
freyheid nihts gedaht. Do die Studenten erregt und sie ge-
triben, das sie wider den willen des fursten die Studenten vom
schlos gethan und ganz los gegeben, da die sag gegangen, der
fürst wer der tag ein gewiss kommen oder sey bereits hie und
wer auch ein oration zu den Studenten thun, das sie inhilten,
und wer auch über die alte privilegia noch newe hinzuthun zu
gröstem gefallen der Studenten. Weihes lauter nihts und nur
drumb geschehen, das sie diese Studenten also ufhilten. Gewis
ist aber das der fürst, so er niht hie, gewis kommen wird ;
was dan werd geschehen werd ihr selbst entweder mundlich
oder von mir schriftlich erfahren. Der fluchtige aber ist
ofentlich zu halsgericht primo vocirt, das er uf den 12. junii
anno 1608 erschine und sein sah vertheidige. — Darnah so ist
auch ein Jäger alhie ersoffen, das pferd aber ist davonkommen ;
er ist gefunden und begraben. — Wollt ihr ja, das ich gar
gern hette uf Christag 2 paar schuhe, ein einfehtig mit sampt
einem sollledder und ein paar geduppelte; item mit der hosen,
wie euch dinckt, heruf schicken. Kont ihr ein paar kuchen
heruf schicken, das wir Lilio offeriren, den wir seiner gar
wol genisen. Schicke matri ein haberman, den sie wol
brauchen und anlegen kan. Reliquis vero meis et nostris viel
guts et optima mei officia. Datae Marpurgi, d. 7. decembris
anno 1607.
23. Schuhe. Geld. Studenten aus dem Gefängniss entlassen.
Promotion. — [1607], Dec. 23.
7, Freundlich lieber vatten Als Leisen Hansen Conrad
' hinweggefahren, ist Hartmann kurz hernach kommen und mir
343
die schuhe braht, so bitt ich euch doch wölt mir zu gut
halden, das ich so oft drumb geschriben ; sie sein mir eben
recht, so ihr mir aber wölt lasen mähen, last sie noch ein
halb glied lenger mähen und neben am ball ein wenig enger.
— Das gelt hab ich empfangen, soll kein mangel dran sein,
das ich, wen ich holz davor gekaufFt und dem pedeln ein
new jähr davon gegeben, den winter aus langen werd. Wir
haben noch 13 wochen uf examen. Nehst sontag wird Loer
minor anfangen zu kochen und kocht izt der von Wilvers-
heim. — Die Studenten sind los gelasen uf vieles ihres zu-
sammenlaufen und anhalden der andern allen. Der fürst wird
uf newjarstag herkommen, wie die sag geht, und zu den
alten privilegiis noch frische hinzuthun. Weihes lauter nihts,
nur das er die Studenten beysammen halte, das sie sich nicht
verstrewen, den über 700 Studenten hie sein und an 150 im
paediog. Die promotion belangt kan ich vorwahr nihts gewis
schreiben , den Goclenius nah Cassel gezogen , wird ohn
zweivel den fursten uf die promotion invitiren. So ist gewis,
das der fürst ^) so den geschefFten vorgefallen sein,
so mus die pro[motion] *) sein halben difFerirt werden ; will
gewis mit Dimpels boten verstendigen ; der magister sein 20.
Christoffel hat 3 korb vol öpfel und 4 stattlihe küchen be-
kommen, welher so mir genisen, mir sich mit ihm musen
halden. Die hosen habt zu empfangen, 2 feslin hab ich
mit ihm geschickt. So ihr mir wolt lasen schue mähen, so
last sie vom Stumpf mähen. Datum Marpurg d. 23 decembris.
24. Uiiiversitätsprivilegien. Schöufeld Rektor. Promotiou.
Ausgabeiirechnaug'. — 1608, Jan. 14.
Lieber vatter. Ewern briff hab ich bekommen und 1608,
daraus ew er aller gesundheid verstanden, habt hirgegen hiraus ^^'
auch unser gesundheid zu vernemen. — Wir haben nechst-
vergangenen montag aus der oration, so der poet gehalden,
verstanden, was und wie die privilegia gethan, weihe dise
seind. Erstlich in einer iedern facultet hat er 3 oder 4
') Endo der ZeiloD mit dem Siegel beim Oeffoen abgeschnitteD.
344
onÜMarios professores gemacht, die fleisig sollen profitiren,
uff das die studiosi nihts zu klagen, welhes sie vor eines
rehen. Darnach das solhe arbeit ihnen deste leihter sey,
hat der fürst de suo et proprio all jähr noch ein summ gelt
hinzugeschossen, davon ihnen gelohnet; welches Privilegium
den thut vor die professores. Darnach hat er beschlossen
alle die coUegia und auditoria zu renoviren, abzubrechen
und ufs neue zu bawen, auch 4 classes separatim und sonders
mähen, dazu er ein gros summ gelt gegeben, welche bey
Vultejo ligt ^). Mehr sollen sie gewarten, wen ins künftig der
fürst sein alt domicilium zu Marpurg wird einnehmen und
allhie sein hofhaltung anfangen. Dis is uns in praesentia
cancellarii, procancellarii, vicecancellarii und der rhäten ver-
kündet. — D. Schönfeld ist am newen jahrstag rector aca-
demiae et theologiae professor primarius et ecclesiastes et
praeco verbi divini Ordinarius gemäht worden, quae officia
summa cum laude et honore exegit. Postea die 7. januarii
ist die promotio 20 magistrorum solenniter gehalden, in
welcher Goclenius promotor gewesen, et filius pastoris Lichensis
Wagneri fuit numero nonus ^). Mein kleider belangt hab ich
gar kein mangel ; ih hab die hosen lasen wenden und futtern,
davor ich 7 albos gegeben. Mir haben noch holz zur notturfft
und verbrennen es, das mir uns damit betragen können.
Das gelt anbelangt, weil ich sehe unde proficiscatur et mihi
mittatur, hat mich bedünkt, es werde meines ampts sein,
dasselbig erstlich wol anlegen und zu nuz vergelten. Darnah
auch daz ir wisset, wo es hinkompt, derhalben habt ihr
Verrechnung über das gelt, das ih diesen winter ausgeben,
zu sehen. 1. zum kochen hat ich 3V2 gülden, davon ich
allerhand hier und sonst gekauft; als mir mit dem kochen
fertig worden, hab ich 20 albos übrig behalden, davor ich
vor V» gülden ein buch gekauft, welches Goclenius gemacht,
und der heller werth ; vor die andern 8 albos holz zusammen
») Vgl. dio ÜDiv. AnnaleD, Caesar 10, 39. Die ZuweDdungen er-
setzten den durch die Gründung der Universität Giessen entstandenen
Ausfall an Einnahmen aus den darmstädtischen Gebieten und standen mit
dem Studentenauflauf in keinem Zusammenhang,
*) S. Caesar 10, 41 und unten n. 42.
345
gekaufft. 2. habt ihr mir wider geschickt underschiedlich
2 gülden, davon ih geben 9 albos wider vor holz, 7 ajbos
die hosen zn fudern, 6 albos dem pedellen zum newen jähr,
welches übrig genug gewesen. Item wider 3 albos ein buch
einzubinden, 3 albos wider an einem karren holz gelegt.
Hab derohalben noch 24 albos vom alten und den ^/s gülden
den ihr mir itz geschickt; wie ichs ausgebe solt ihr hinfort
verstendigt werden. Den beiz zu machen will ich verschaffen,
wie ihr mihr geschriben, und euch in kurtzem was er kosten
wird, verstendigen. Ihr kont uns ja ein mahl ein paar kucheu
schicken, der wir Lilio einen geben. Proxime plura. Dabantur
raptim Marpurgi den 14. januarii 1608.
25. Reise. Einrichtung:. Bruder Karl. — 1608, April 21.
Salutem plurimam. Freundlicher lieber vatter. Euch 1608,
sampt meiner lieben mutter hofl und wünsch ich allzeit ^'
frisch und gesund, wisset mich woU auff. Mit gegenwertiger
gelegenheid euch zu verstendigen hab ich vor gut angesehen.
Erstlich aber wist, das wir nach unser ausfahrt durch einen
unbekannden weg sind noch bis gen Allendorf kommen, da
wir pernoctirt und folgendes tags umb 10 uhr zu Marpurg
sind ankommen. Da wir nah genommenem einem freund-
lichen abschied das new losament ingenommen haben.
Kann euch auch nicht pergen, das ich nach begnügter meiner
schuld hab 3 gülden übrig behalden, mit weihen ich wol
auslangen will, denn vatter Döngel von Langsdorf, welchen
wir aliorum jussu angesprochen, ein viaticum mitgetheilet
hat. Wie mir mit dem kochen werden eintreten, will ich
euch verstendigen. Habt auch hiraus zu mercken, was ich
euch widergeschickt hab, nemlich die 2 ziehen, einen grosen
sack, 2 gleinen sampt ewer schuhen, einen wircken leilach,
einen strumpf, einen korf, ein kann, ein schneubduch. An
essenspeis hab ich genung, kan vor ein schreckenberger
50 eyer kaufen, mit welchen ich genung habe; wie es aber
mit der botter ist, weis ich nicht, den meine motter 2 mas
hat gegeben, so hab ich noch 3 eicht mas hiroben, so hat
346
was ^) Ursula ein mas nur gegeben ; stunde zu vergleichen,
das wir die irst bekomen, denn wir sonst niht so gar wol
langen, kan über ein woch oder 7 geschehen. Die bücher
belangt; will ich mit dem man ufs nehest handeln, das er mir
was ich ja nothwendig bedarf lasse, binde und borge bis zu
instehender mes. So ihrs aber ir bezahlen wolt, will ich euch
hirnehst verstendigen, was sie gekost. Könd ihr, so ihr
hiruf wollet reisen, mit euch bringen. Des ich also nun Gott
lob genungsam von euch versorgt und bestelt. Dazu euch
Gott allzeit wolle bewahren, und seid sampt meiner liebsten
mutter in seinem schuz und schirm im trewlich bevohlen.
Dabantur Marpurgi 21. aprilis a. 1608.
Ih schicke Carlen 4 bücher, 2 nomenclaturas, weihe der
beste, das er sie consilio ludimoderatoris lehrne, ein bonum
diem, daraus er wol lehrnen kan^ und darnah ein catehismus,
da das Deutsch bey, kan das Lateinisch auswendig lehrnen
in sommer ; er will angehalden und dem Schulmeister zum
ersten bevohlen sein. So ich bis nechst kom, will ich ihm
colloquia und ein grammaticam mitbringen, darinn er den
andern winter anfange. Das er sie fleisig ufhebe und niht
vertetschele.
26. Mittagstischeiurichtung" und Bedarf. Lehrer. — 1608, Apr.
1^08y Salutem a salutis authore. Freundlicher lieber vatter.
^^* Nechst meines ahn euch gethanes schreiben werdet ihr
zweivelsohn vom fuhrmann behendigt empfangen und daraus
allerhand verstanden haben. Da ich den ob oder wie wir
kochen werden noch nichts eigentlichs geschriben. Mittler
zeit aber wir sich undergethan und nach geschehener losung
das los zu kochen mir nechst nach dem der izt kocht ge-
fallen ist, welches ich auch zu wegern oder ausschlagen nicht
hab dörfen noch können thun. Ersuch euch derhalben dis-
mahl freundlich, wie doch dasjenige was wir in unser hin-
fahrt, beitz aus unahtsamkeid beides weil es niht aller dings
zu bekommen gewessen, dahinden haben gelassen, mir doch
*) L. bas.
347
so bald als ihr immer könd mit Hangen schicken wollet.
Denn mein datum zu kochen strackes uf den ersten majum
feldt, da das wes ich hirzu bedarf, kein verweilung noch
remoram leiden kann. Was aber noch sey desen ich bedürftig
wer, ist vors erste 4 G schmalzspeck, 5 mas gesalzen botter,
wo sie zu bekommen were, und gedörte öpfel oder biernen
^) es ist undereinander. Es hat ja mater aus den
erfrornen öpfeln etwas gedört. [Hir] ^) kein gedürte biern zu
bekommen weren, must sie je derselbigen nemen und der
guten ein wenig drunder thun, das ich ja etwas bekommen
mag (so viel als ihr entrathen könt). Denn noch nicht viel
grün gemues allhie zu bekommen. Dazu ihr auch Hennen
die eyer, die bey der band gewesen, ufladin könnet, das ich
sie halb und Johan Conrad halb bekomme, das er also eine
traglast bekomme. Die zeit aber meines kochens leufft strack
uf 20 tage, denn unser 7 sind : ich, Löhr, Weissei, Lisfeld,
Eisenwald Lichensis,^) monachus Grünigensis, Ellerus, alle
gute kerlen. Dazu wir haben leges sampt angehenckten
straffen gemäht, das einer koche wie der ander; keiner den
andern beleidige noch verleze noch einigen anlas zur un-
einigkeid oder zanckerei gebe, nach welchen klein und gros
sich richten müssen. Es geht im handel, das wir einen
paedagogum zu uns ins losament bekommen, ein gelehrten
kerlen; da wir den von euch begeren zu wissen, wie woll
ewer meinung sey, das wir ihm nah der stuben und bett ein
b . . tens^) an gelt sollen thun, das wir sich bey dem pae-
diarchen darnah wissen zu richten. In summa ob wir ihn
disraahl bey uns ins haus sollen nehmen oder zu ihm gehen,
ist sehr nothwendig zu wissen. Darumb uf dis mein schreiben,
so bald ihr immer könd, mir sampt dem begerten zeug
widerantwort schicket, denn wir ja sonst ein eignen botten
wolten hinabschicken. Es sizen allhie uf 15 facinorosi und
gefangene, deren 2 Marpurgenses und sonst noch einer von
tag zu tag vermeint werden, das sie hinausgeführt und mit
^) Endo von 2 Zeilen ausgerissen.
2) Trat 1604 ins Paedagogium ein, Matrikel f. 85 n. 9.
^) Unleserlich.
348
dem rath und virtheilen werden hingericht werden. Dises hab
ich euch dis mahl nicht wollen verhalden, und erwarte eines
gegenberichts und bescheids. Und seid dem almechtigen
sampt meiner lieben mutter und allen den unsrigen in den
schuz Gottes bevohlen. Dabantur Marpurgi raptim anno
1608 die aprilis.
Was und wie mir es in dem kochen wird gehen, will
ich euch ins künftig berichten. Bitt wollet dem hotten den
lohn geben.
27. Lehrer. Kleidung. Fttrstliche Verordnung. Verbrecher«
1608, Mai 6.
1608y Freundlicher lieber vatter. Ewer schreiben sampt desen
Mai 6 ....
inhaldt und geschickten victualibus ist mir wol behendigt
worden. Und hab aus dem brif verstanden, wie mir es mit
dem vorgeschlagenen privato machen sollen, welhem bescheid
mir also wollen nachkommen, den mich ja sonst der kerlen
nicht viel lusten in unser stuben haben deuchte. Was ihr
mir geschickt, ist dasselbe ufhebens und verwahrens werth,
will derhalben dasselbe zum fleisigsten und trewlichsten uf-
heben und verwahren. Ich schicke euch allhie zurück die
Schachtel, 2 alte hembden, ein meelsack, ein paar willne
underhosen, vor welchen ich das willen hempt uf den winder
halld, ein tuch, ein säcklinn, ein topfen denn sonst gar keines
mehr ledig, Karlen ein Schreibzeug, das er ufheb (man ^) mus
es ufschrauben). So der mantel gemacht wird, so last den
kragen etwas breit und lang machen und mit schnüren fuglich
besezen, und das er etwas gefalden werde. Ih weis Gott lob
nichts des ich bedarf; mit den buchern hat es kein noth,
denn ich sie geborgt kan bekommen. Ih weis vor dismahl
gar nihts weider zu schreiben ; ist etwes so bald ichs in
vestrum adventum. Und seid sampt matre carissiraa Gott
in seinen schütz bevohlen. Datum Marpurg den 6 maii 1608.
Der fürst hat offendlich lasen befehlen, alle das geströh
und hew, das das volck vor der statt in den heuserlin hat
*) Zusatz a. R.
ligen, in die statt zu schaffen. 2. soll kein bürger bey
schwerer straff über naht ausbleiben. 3. sollen sie allen
treck und gehölz von der gassen schaffen, das sie rein sey.
4. sizen 3 kauffleute hir gefangen, weihe einen, doch ungern,
erschossen. So kommen alle tag uf 9 oder 10, der woU uff
30 all hir sein, und bürgen wollen werden. 5. Von tag zu
tag wart man, wo man 3, so zum rath und virtheilen, und
ein Zauberer arzt, so zum brennen verurtheilt, hinausführe.
28. Mantel. Geld. Haudschuhe. — 1608, Mai 20.
Patri suo quem novit semper ut fidelissimo ita dilectis- 1608,
simo et in perpetuum honorando epistolium hoc ad proprias
advolet manus.
Freundlicher lieber vatter. Ich hoff ihr seid allesampt
noch gesund ; mich belangend so bin ich Gott lob noch wol
auf. Ich hatt uf den mantel diese pfingsten gewartet, weil
ich ihn aber niht bekommen, hats nun kein noth ; dörft des-
wegen kein eigenen hotten herschicken, sonder so euch villicht
gelegenheid vorstöst, denselben sampt dem andern mir zu-
schicken. — Das gelt belangt, hab ich 2V2 gülden gehabt,
davor ich gekocht und nun fertig bin. Das ich nun dis nicht
allein ufs kochen gewand sonder auch darbey sonst ausgeben,
ist nicht ohn. Derhalben ihr auch villeicht wissen werdet, wie
der Johan Conrad begert hat, den keiner ohne 6 gülden kann
auskochen, derhalben ihr mir so viel der beutel leidet mit
nächster botschafft schicken könnet. Mich wundert, dass
Bellersheimensis ^) so wol mit gelt steht ; er hat izt ein golt-
gulden bekommen und hir zuvor 3 gülden nah gethaner be-
zahlung gehabt, und geht dis sein kochgelt nicht ahn, den
so er kocht er speciatim noch anders bekompt. Ewers ge-
habten Unglücks und gelidenen Schadens izt unnöthig ist zu
gedencken, allein Gott sampt euch wache und hütte, daz
gröser Unglück abgewendet werde. Vor die handschen sag
auch grosen danck, will in gleichen matri was sie begert
1) Lisfeld.
350
hir verschaffen. Ex hisce paucis jam vale. Datae raptim
Marpurgi a. 1608 20. maii.
Hodierno ^) die quatuor facinoroöi variis iisque acerbis-
simis mortis generibus affecientur.
29. Mantel zum Aboiidnialil. Widmung oinos Camiou. L« Moritz. —
1608, Juni 17.
lOOS, Salutem plurimam. So es euch noch woll gehet, lieber
' vatter, wer es mir lieb; mich belanget bin ich Gottlob noch woll
uff. Dismahl euch ettlicher sachen halben zu schreiben hab
ich vor gut angesehen. Und erstlich den mantel belan-
gend sampt den hembdern und kragen wer es mir lieb das
sie verfertigt und mir zugeschickt werden, denn ich des
mantels in 14 tagen bedürftig, weil ich zum nahtmahl gehen
will. Darnah gegenwärtig packet belanget, hab ich so ein
geringes Carmen nah gelegenheid der zeit, weihe ih dem
studiren hab abbrechen dürfen, gemäht, verfertigt und euch,
wie es von altem herkommen, sampt altvattern und dem
keller gebunden, welhes ih verhoff, mir werdet zu gut halten
und es vor gut nach der kurzen zeit, die ich dazu gehabt,
annehmen. Altvatters brif belangend ist dis fere der inhalt,
das ich mich excusire, diweil ich hiobevor so gar nihts nu
oder einmahl geschriben, und zugleich auch warumb ih selbes
Carmen euch hab zugeschickt ; das ih aber drinnen bisweilen
gesezt, weil ich euch gebunden, so ist es billich, dass ihr
euch löset. (Habs aber gleichwohl so deutlich niht gesezt
sondern es obscure etwan berurth.) Dürft euch niht ver-
drisen lassen, als wenn ich villeicht munera affectirt, sondern
wisset das solhes moris ist und ich oft und vil mahl in andern
carminibus derglichen gesehen. — Von Mauricio wer vil za
schreiben aber ehe etwas hir geschiht, ist bey euch groser
denn es je gedaht ist worden. Als er ist seiner fürstin of
ein halb meil entgegen gezogen, hat er alle nobiles studiosos
allhie uf pferden mit sich genommen und darnach zu hoff
ad caenam invitiret. Kein gassen, kein winkel oder kein ort
*) Auf der Rückseite unter der Adresse.
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ist in der stat, da er niht hinkrieche. Er hat dem ausschuss
lasen sagen, wo man das zweyt mal mit der trummen wird
umbschlagen, das sie in ihrer rüstung fertigt werden, das ich
halt, sie sollen villicht einem zugeschickt werden. Weis dis-
mahl euch niht mehr zu schreiben. Datum Marpurg
17 junii a. 1608.
30. Carmen. Promotion. L. Moritz. Ausgaben. Todesfälle. —
1608, Jnni 28.
Freundlicher lieber vatter. Ewer sampt dem zuge- 1008^
schickten gezeugt hab ich woll behendigt empfangen, 2 krag '
2 hembder und den mantell, mit welchem ihr euch gnung-
sam und woll gelöst. Sag derhalben sampt matri grosen
danck davor. Altvatters briff belanget hab ich denselben,
gar kurz und succincte geschrieben, woll verstanden und hat
mich daruff nicht gespizet, war auch das Carmen derhalben
nicht angestellt, aber weill es also ist, ist nicht auszuschlagen.
Hab ohn noht gehalden (ob es sich woll gebühret) gratias
ihm darvor zu sagen, soll keines wegs gleichwoll underlassen
werden, es geschehe per literas oder coram, denn die zeit
unsers adventus ist sehr kurz, in 6 oder 7 wochen. Omni
enim tempore per tesquam hirta per saxa per ignes tibi, avo
nostrisque universis mea constabunt officia, meo nomine tarnen
gratias pro misso munere ut maximas ut diligentissime referre
et me omni tempore relaturum esse significare non gravaberis.
Mein Carmen belangend, vatter, findet sich je und alle zeitt
Momi und Coili, welche etwas im hirn haben stecken, tibi
sit dictum et a filio dictum accipe: es thut manchem in
sein äugen wehe, ubi splendor aliquis virtutis aut eruditionis
(quod a te sine invidia intellectum, a me vero sine arrogantia
dictum esse accipias) in aliquo elucet. Haec dicta sufficiant.
Und dörften woll ettlichen sagen, ich hab gethan wie die
kräe (taceas velim), den als die krehe gesehen, das sie ganz
schwarz fettern gehabt, hat sie alle vögel gebetten, das sie
ihr doch wollten der bundachten fettern mittheilen, das sie
ihr leib auch zieren könne, daher bey uns ist ein Sprichwort
bey uns entstanden, ornare se alienis plnmis, welches pro*
352
verbium mir izt auch etliche dürften vorsingen. Haec omnia
perplacida et porrecta fronte animoque legis velim. Gelegen-
heid und ursach meines carminis haec sunt. Als Johan
Conrad heimgezogen die pfingsten feyertag, da dann mir ge-
meiniglich mit unsern büchern inducias oder ein stillstand
mähen und rebus sacris abwarten, so ist dis modus animum
relaxandi optimus, das man etwes lustig vor sich neme zu
tractiren, damit der unlust und verdrus, so sich die zeit über
in animo gesamlet, vertriben werde. Welches ich auch ge-
than, welches Carmen ich auch gemacht, ih und kein ander.
Ut vobis certius et liquidius constet, will ich, so ich komme^
all die Charten und brief, da ich es uf corrigirt und compo-
nirt, mitbringen, da ihr den mein und niht eines andern
werck erkennen sollt. Ja über das, so dies noch niht genung
ist, weil ja mir in den feriis müsig gehen, will ich alles
mistrawens und zweifeis zu verhüten, simile specimen mähen.
Lieber vatter, dis versteht niht dahin, als wer es aus rhum-
reisigen und hochprächtigen herzen gered, sondern das es
mich verdreust, wenn man dergleichen etwes versucht, das
den ein ander die nas drüber rumpelt ; pisci velim dictum sit.
Zum letzten mein Carmen zu vertheidigen, neme ih alle die-
jenige zu zeugen mit den ich umbgehe ; so ich komme wollen
mirs weider erörtern, lila vero opinio animum tuum irrepat
nolo, als das ich dem andern studiren abbrehe und solhem
ding abwarte, solhes hab ich horis succisivis und neben-
stunden gethan. In unserm coUegio hab ich 2 mahl latine
declamirt und werd in vier wochen graece, welches ich den
von domino magistro und paedagogearcha bescheiden, auch
declamiren ; wils alles mitbringen, andere drüber lasen ur-
theilen und zu defendiren mich understehen. Has literas,
quas ex animo arroganti scriptae non sunt, vel supprimas
vel paucis legendas communices impense etiam atque etiam
rogo. 28 junii wird ein doctorat hie gehalden werden, da
2 doctores juris werden promoviren; 1. Franciscus Klein,
civitatis Goslar in Saxen syndicus, welher Goddei dochter
genommen und doctorat und hochzeit mit einander helt.
2. David Gurnofius auch juris. Cui solennitati princeps ipse
353
intererit^). Praesentia principis Mauricii hunc locum studiis
et reliquis rebus reddit exoptatissimum. Mein schuld be-
langend hütt ich mich so viel als ich kann viel schuld zu
mähen. Ich hab mein Johannen wie auch noch andere 3
musen lösen. Was dis halb jähr uf den tisch, weil er etwas
gut gewesen, ist ufgangen, will ich in futurum parcius in-
bringen. Register drüber will ich mitbringen. — WeilF) ich
erfahren, das unser kirsbaum vor andern wol stehen, bitt ich
sie zu verwahren und einmahen, welches gar kut studenten-
kost anstad anders ist. Der mantel ist mir gar reht und
bequem gemäht, will ich ja hoch gnug halden. Ih weis
sonderlihs weiter nihts zu schreiben. Es sein 3 plözliche
tod hie gewesen. Ein fraw ist in garten gegangen und tod
drinnen funden. Ein man ist von der waht vom schlos
kommen und so bald gestorben. 3. ein man hat ein kutschen
in ein schewer wollen leiten, und weil die kutschen etwas
hoch uf einem berglin gestanden, ist er vorn an die geiseil
gegangen, und als die kutsch in lauf kimpt, ubernimpt sie
den man und mitten in der schewer ist ein seul gestanden,
wider weihe sie ihn gedrückt, gerennet und das herz ab-
gestosen, das er so bald tod blieben. Princeps mustert sein
volck lieisig und hat ihnen schützenröck laa^n mähen. Und
geht das geschrei das sie vort sollen. Hisce vale, alias plura.
Datum Marpurg 28. junii a. 1608.
Matri propter collaria et indusia missa meo nomine
gratias age immensas, sentiet illa officia in ingratum non esse
locata.
31. Ankunft. Einriclitung. — [1608, Okt.].
Freundlicher lieber vatter. Mir sind gesund ankommen [IGOS^
und in diesem haus ein ander bequemer losament vor eben das '■'
gelt ingenommen ; wollen sehen ob wir noch ein bekandten
zu uns können bekommen. Hie hapt ihr zu empfangen die
schwartz laden, den kragen, ein par Überschlag, allerley duch
1) Die Promotion fand am 25. Juni statt, vgl. Caesar 10, 42.
Dieser Thoil des Briefes ist somit vor Juni 25. aufgesetzt worden.
2) Der Scbluss dos Briefes ist mit flüchtiger Hand nachgetragen.
N. F. Bd. XXIII 23
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und sack werck. Ich hab willen mit den schnltlenten gemacht,
das sie zu friden. Die lectiones sind vor etlich wenig tagen
angangen. Sontags umb 8 uhr sind mir gen Marpnrg und
sonabends umb 4 uhr gen Oströ£P kommen, allda pernoctirt.
Ihr werd mit den andern dran sein etc. Erimns qnod jnssisti.
Gott mit allen bevohlen. Matri salutem.
Simon Gorgen will ich erfahren, wie bald die kindtanff ')
(cum cupit) sein werd und bis nechst ihm zuschreiben.
32, Geld« Haube. Stipendium. Kfiidtaufc. Kleiduugr. Theuemiig«
Studium« Koruprcise« — 1608, Nov« 3.
1608, Freundlicher lieber vatter. Ewer doppel schreiben
^ ' ' sampt eingelegtem gelt und haube hab ich wol verwahrt be-
kommen. Das gelt anlangt hab ich davon bezahlt und was
übrig blieben zu mir genommen, dasselbige zu meinem nuzen
zu brauchen, und will dasselbige also tractiren^ das ich so
lang ich immer gereichen kann, davon ausgeb. Wir haben
2 wagen voll holz vor zwen röder gülden gekauflfl, dasselbige
nah nottur£Ft einhizen, und also leben das wir wissen, das
ja unser facultas und geringes vermögen ertragen kan. Die
haube belangt ist dieselbe reht, allein weis nicht wovon das
kompt, das ich ettliche würm gleich keesmaden draus hab
sehen fallen und gelesen^), halt aber wohl, wie mir andere
gesagt, das dieselbige, so sie in die lufft getragen, wird ver-
gehen. Will derselbigen zu infallender kelte also mich ge-
brauchen, das sie uf izigen winder niht allein soll gemäht
und gebraucht sein. — Das Stipendium belangend hab ich
dasselbe mit grosem lust vernommen, und wist das ich nun
ein bessere lust und mutigkeid bekommen, solhen ange-
fangenen cursum philosophiae zu continuiren und vollenden,
weil ich das zihl vor mir habe, nemlich die 2 jähr, darnah
ich meine studia rihten will und mus. Dunckt mich aber
gleichwohl, ihr habt es zu lang binausgestellt, uf anderthalb
jähr wer mein meinung gewesen. Wie dem allem, was ihr
») Die Taufe fand am 17. Okt. statt, Caesar 10, 41. S. h. 32.
*) Offenbar Mottenraupen.
355
gemäht und gemäht ist, das ist sehr gut, und wo länger die
gegebene zeit ist, desto mehrer und besser ioh mein officium
ausrichten kann. Allein mir das anligt, ob es auch einen
obligire und verbinde, das ein guter geselle, da ihm gelegen-
heid ufstunde, von J. G. ^) zu ihren diensten avocirt und
beruffen v^erde, und also warten wo in J. G. herschafft ein
gelegenheid vor einen da wer. — Das kindauff belangt sind
mir den zweyten tag umb 2 uhr hinaufkommen, allda von
gebraten fleish und wein genung gehabt und daselbst, sie
volente domino secretario, umb 8 uhr wider haben müsen
erscheinen, den die caena, weil ein comedia gehalden, sich
so lang hinaus erstreckt hat. Da mir den Gottlob genung
gehabt und uns also gehalden, das wie ich hoff kein klag
wird kommen. Under anderm secretarius gesagt und lange
zeit mit mir red gehalden, da er den gesagt, es were vom
generoso auch Vertröstung gegeben, wo das ich meine studia
wol anlegte und in solhen terminis meines angefangenen
lebens beharte, wolle J. G. auch gelegenheid und under-
haldung mittheilen, desgleichen auch andere, nemlich Philips
etc. vom stipendio gesagt, ich in solhem allem mih ange-
nommen das ich ettwes davon wüste. Nah gehaltenem essen
hat er uns zwey mahl bevohlen nechst kommenden morgen
umb 7 uhr in seinem losament, welhes in domini Vulteji
haus gehabt, ihn anzusprechen, welhem mir also nachkommen
und sind in J. G. gemach zwey mahl gewesen, da er selbst
ist zugegen gewesen ; er aber einen pfalzgraven und andere
zwen graven bey sich gehabt, da mir denn under andern
J. G. diener nach der gebühr gestanden. Da auch dominus
secretarius ahn J. G. kommen, wein holen lassen und mit
uns zween stando temperanter getruncken, da dan allerhand
reden und inquisitiones in unser leben, studia und wandel
von ihm geschehen, mir auch interrogati nah der gebühr
ihm geandwortet haben. Den process und praht, der in der
tauff und derselben handlung gehalden und getriben, auch
andere ufzug und lustiren hernah, haben wir wol, wie auch
') Ihren Gnaden; der Graf Otto von Solms-Hungen. S. n. 56.
23*
356
andre stndiosi gesehen. In summa [wir sein wol gehalden.
Den andern abend, weil mir niht nf das schlos geben mögen,
baben mir mit J. 6. diener nf dem ratbans zn essen gangen,
daselbst gar wol tractirt worden. — Hett aacb den mekack
za empfangen *). — Hie babt ibr den scblüssel und ewer
scbnbe zu empfangen. Die leinen strimpf kan icb disen
winder, weil icb kein socken oder nibts bab, under die ge-
strickten strimpf anziben^ und kond meiner docb, so ibr den
scbubmacber zu eucb ins baus nemet, mit einem par scbuhe
ingedenckt sein, den ibr was das ein paar genuzt selbst ge-
sehen ; aber icb bab die läppen an den strimpfen lasen ab-
nehmen, das sie niht gesehen werden. Es ist alles hir sehr
thewer, gemus und anders, wegen der hoffbursch, welche in
der stat hin und wider zu tisch geben und ist nibts das
mich mehr gerewt, auch von der wurthen uns mehr ufge-
rnckt, den das wir betten sollen ein paar sak mit ruhen
mit uns gebraht haben. Sie auch noch sagt, es könne ein
knecht mit einem pferd uns wol ein sack vol, so icht uns
zu thun, herufbringen ; niht das sie nuzen davon hett, sondern
das sie des lauffens und kauffens, des sie viel hett, ohn und queit
zum theil möht werden. Ihr auch ein man von Groningen
ein sack vol verheisen, den sie bekommen wird. Stell es
euch heim. Das instrument belangt hett ihr warlicb darüber
niht zu sorgen noch zu klagen gehapt, denn icb Deum testor
wol in 4 oder 5 tagen niht drüber komme noch es uftbue
sondern dies noctesque in philosophia elaborire, das icb den
guten berg, der darin zu steigen ist, möge hinder mich
legen und drüber kommen. Solhes so es geschehen, gehts
darnah den berg hinab und ist alles leichter. Die frequens
und menge der Studenten allbie ist sehr gros und viel frey-
herr, ritter und stattliche kerlen, weihe der academiae zier
und wolstandt sein. Lectiones, templum et alias spiritus
sancti officinas diligenter a me frequentari, vitam pro spiritus
sancti gratia inchoatam continuari^ officioque meo debito
jugiter me incumbere, victu et amictu pro eo ut possum
nostraqne facultas patitur, me uti et frui omniaque fine
>) liost des Blattes, 3—4 Zeilen, abgerissen.
357
considerato fieri scito. Quicquid agis prudenter agas et
respice finem, nam moderante Deo prospera cuncta cadunt.
Matrem cum omnibus nostris carissimam bene valere meo
nomine jubete. unser stuben anbelangt haben mir noch
kein stubengesellen, den was zusamen will, das thuts und
bestellte bey zeit ; wiwol wir ihrer betten können bekommen,
so sie gar köndlih und vor uns waren, jedoch ist das precium
tolerabile und studirt sich auch desto ruhiger, wo weniger
in der stuben bey einander sizen. — Der rosenobel niht
mehr als 6 franckfurter gülden hat gelden wollen. So ihr
mir ein ledlein wolt lasen mähen, kond ihr bestellen, das
es niht zu gar klein gemäht werde, aber das es fest und
vil verwarth sey, den es alhie zu Marpurg vonöten thut, so
will ich das wider euch zuschicken, den ich so viel dran
verhüte als ich kann. Meinen gröwen mantel brauch ich
zuweilen, so man in die erst lection morgens, do es finster
noch etwes ist, und so ich bey abend oder sonst in regen
und ungewitter gehe, auszugehen ; ist doch noch starck und
vast genung hirnechst ihn sonst zu verkleiden oder zum rock
zu gebrauchen. Das körn marpurger mas wird wie er sagt
um 2 marpurger gülden verkaufft; der waiz marpurger mas
umb 2 V2 gülden; sagt darnah, betten ihrer etliche 900 achtell
körn umb 2 gülden 4^/2 albus gekaufft zu Weisell ^) beyn
commeder ligen, und aht den weiz ein wie den andern,
wolle auch weiz hirumb gewachsen lieber zu backen brauchen
den der von uns. Datum Marpurgi a. 1608 d. 3 novembris.
33. Hausluiltuug. Wirthiu. Reise nach Braunfels. Promotion« —
1608, Dec. 3.
Hat ivegen Mangel mi Oelegenheit lange nicht geschrieben. 1608,
Weil! dann das gewohnliche datum und termin vor der thuer * *
ist, da man aus frisch ingesammleter speis der haushaltung
den Studenten pflegt mitzutheilen und zu schicken, und aber
zu besorgen, das ihr niht so woU wissen mögt als mir die
es allliie betrifft, als hab ich was mich anbelangt vor gut
1) Niederweisel, Jobt^niterkomtliurei.
358
angesehen, euch ein kurzen catalogum za schicken, das ihr
desto besser euch zu richten wisset. Hat sich bisher mit
dem MHgenommeneii (2 Käse^ 2 Mass Butter, 2 Schinken
U7id 1 Mass gesalxene Butter) beholfen und bedauert nicht
mehr eingepackt xu haben\ bittet um Zusendung von frischem
Fleisch, Würsten und was ihr habt, und namentlich um einen
Topf Schweinefett, den dasselbig so viel ich mich dmff
verstehe, die gemüs zu bezwingen nuzlicher. Femer Linsen^
Oerstenmehl, Rübe?i, Aepfel, Möhren etc. davon ich newiich
geschriben. Und ja nicht meinen, das solhes unser bospitae
zu vortheil oder nuz gereichen sole, den wir ja achtung dmff
geben. Die hospita, weihe vor allen meinen gehapten
wirthinnen mir gefeit und sich sehr woll umb uns verdinty
hat um ein kauden flachs oder etlich gebeten^ derobalben
ihren guten willen und zuthetigkeid gegen uns zu behalden und
zu continuiren, will ich mein und ihretwegen sehr fieissig
und hefFtig gebeten haben, ihrer ohne vergess mit ettlichen
kauden gebüzter flachs, wie vill ihr sein, 6, 8 oder wie viel,
zu einem newen jähr ingedenckt sein und mit nechster bot-
schafFt, denn ich ihr gut Vertröstung gegeben, mir allhier
zu schicken. Bittet um Bescheid, ob er in den Christtagen
die in den Ferien stets verschobene Fahrt nach Braunfek
machen soll. Regulus ivill 7iach Hause gehen und dominus
praefectus, unser patte, hat ihm urie schon öfters befohlen^
mich mitzubringen ; hat daraufhin das euch bewuste Carmen
verfertigt perpolirt und continuirt, um es ihm xu überreichen;
tvürde auch noch andere Braunfelser xu Oefährten haben,
Obn das die nechst kommende Cbristag mit feriis und
promotionibus zubracht werden, und izt bereit, den 1. de-
cembris sein coronirt 2 doctores juris, Andrecht, des canzlers
söhn von Cassel, 2. Pistorius von Schwert aus Westphalen,
3. Aizen von Hamburg, juris licentiatus. 2 doctores medicinae,
1. Moltherus, da ihr von wist, der bey euch einsmahls ge-
wesen, 2. Truppius von Hamm aus Westphalen '). Der
Studiosus davon ich newiich geschriben, hat aus dem carcere
gebrochen und sich nach Giessen gemacht; ist die sag, er
») S. Caesar 10, 42.
359
sey da ingezogen, weis niht, obs sey oder niht. Mein stuben-
gesell ist dismahls auch heimgezogen, hat ein pferd be-
kommen, den einer von den Fidlern zu Weyssel hochzeil
halten will. Bittet ausser um Fleisch und Gemüse auch um
ein Paar Schuhe^ einen oder drei gute Kuchen, um eine
Antwort von Anna Margaretha auf seinen Brief, Marburg^
1608, Dec. 3.
Mir haben sonderlich weil der tertius bey uns schla£Fl
niht ein so gutten läger, denn wir kein pölbet oder küssen
haben^ könd uns ja des einen schicken. Item mirmatrem(!)
ein paar andere leiltücher schicken, so will ich diese zurück-
schicken, den sie zureis, sollten bald zutretten werden.
Bittet um Antwort durch Chelius^ wann er die Sendung
erwarten kann,
34. Reise nach Brannfels. Chelins, Neujahrsgrüssc. — 1609, Jan« 1«
Dankt für Schreiben^ Glückwunsch und Uebersendung 1009,
von allerhand edulia und leibsnahrung und wünscht gleichfalls ' ^^*
ein glückseliges neues jähr. Die Reise nach Braunfels ist
unterblieben, iveil M. Martinus ein tag zuvor seim filio ge-
schriben, er sollt ihm niht sub conspectum kommen ; was
die Ursachen sind, weis ich nicht. Chelii leben und kost
belangt, geht er allhie zu tisch, gibt ein woch ein röder
gülden ; das er bey uns schiäfft und unsers betts usum habe,
gibt er ein franckforder gülden, denn man sonst ein jähr aus
einem bett 4 thaller gibt, ein halb jähr 2 thaler, welches 3
gülden mäht; nun sez ich, wenn mir das bett von einem
allhie gedingt betten, weil unser 3 gülden wert, is einem
1 gülden, haben also unser bett verlehnt, wie sie von statt-
lichen leuten verlehnt werden, da es doch niht also bestellt,
wie sie allhie gemäht werden. Jedoch er woU damit zu-
friden und mir uns woll mit einander betragen. Das fleisch
hat 34 ß gewigen, mustet gegen das newlihe abzihen. AUt-
vatters buch hab ich bekommen, welhes mir sehr gewünscht
ist und grosen nuzen daraus haben kann, den darinnen uni-
versa philosophia begriffen wird. Monachus von Groningen
360
aus der Wedderau ist in lezster gehaldener promotion 15 de-
cembris under den magistris summa cum laude primo loco
gesezt und creirt worden. Den samen werd ihr in der braunen
hosen finden. WesseJius ist ein gute zeit her in patria ge-
wessen, könd mit ihm, si tibi quid in votis est sciendum,
mir schreiben, will euch certificiren. Munera quae fratribus
et sororibus strenae loco mittam, sane mecum non habeo.
Sunt siquidem hac in parte omnes feliciores et beatiores
praedicandi quam ego, cum quotidie iuo aspectu et communi
tecum nutrimento fruantur, cum mihi qualicunque portione
hie sit acquiescendum. Strenam igitur a me cum matre
accipe animum filialem et tua ad jussa tuaque nuta omni
tempore paratum ; fratribus et sororibus impertire animum
fraternum, quem ubivis locorum experientur talem qualem
desiderant et pro re nata fortunae conditio requirit. Marpurg,
calendis januarii a. 1609.
Wollen also bey diessen kuchen und dem andern unser
Christfest celebriren, davor ich matri tibique gratias sage
quas possum immensas. Werd allerhand sack und tuchwerk
neben ettlichen topfen, so ich zurükgeschickt, bekommen.
Carlen hab ich ein Lobwasser quatuor vocum geschickt, den
ich ein andern hab ; kann er diesen bald brauchen und
verwahren.
35.
1609, Hat weder Nachricht erhalten noch welche gesandt •
TP JtM> f)fi
^ ' ' benütxt den Boten von Miischenheim, um mitxutheilen, dass er
noch allerhand Essen nöthig habe ; das Uebersandte ist seit
Neujahr zumeist aufgezehrt; bittet um Speck, Butter, Erbsen etc.
und da der Bote es dorh nicht tragen kann, so lasst auch
einige Laib Brot auf den Karren laden, den man bei unserm
becker nicht allzeit bekommen kann. — Mir aber daneben
ein wenig pecuniam zu schicken, wenns bey der band, wollt
euch doch nicht graviren noch vergessen lassen. Marburg^
1609 Febr. 26.
361
36. Eiilschuldigrt, dass er sclleu geschrieben, — 1609 Mrz. 6.
Danld für die übersandte Speise; dachte auch ein ^^09,
. ... Marx 6.
wenig pecuniolae zu finden aber vergebens, da ich mich nicht
zu entsinnen gewusst, was wol die ursach sein möcht, denn
ich ja in einer gutten lieben zeit kein pfennig gehabt; beim
Abzug Ph Gidden u?id am 1. Jan. 1 Qidden, tvährend Jo-
hann Conrad iviedei^holt welches erhalten hat und für mich
hat auslegen müssen. Als ich nun in sothanen suspenso animo
gestanden, ist mirs ja zu band von dem hotten erzehlt und
gesagt worden, das weil ich mich nicht so viel bemüht, das
ich euch schreiben könd. Ey so hett ihr auch so viel der
weil nicht, das ihr mir etwes schriebet. Welche newe bot-
schafft mich gar nicht betrübet noch einiges wegs bestürzt
hat, denn ich so bald in dise gedancken kommen : das hat
gute weg, wenn kein ander obstacul und schuld da ist als
eben diese, dem ist wol zu helffen. Hat nicht geschrieben,
iveil seit Neujahr kein Bote da geivesen und der jüngere Sohn
des praetor Weisselius, der an die vier Tage hier bleiben
ivollte^ abgereist war als ich ihin einen Brief brachte. Dann kam
Magister Caspar Ehwald, Muschenheimensis ludimoderator, aber
er besuchte uns nicht und ich tvusste nichts wo ihn zu finden^
als bin ich under disser occasion hinderher gangen und ja
unzeitlich zwischen zween stüllen undergesessen ; verspricht
Besseimng für die Zukunft und hofft, ihr ward mich excusa-
tum und pristino loco gratiaeque restitutum haben und das-
jenige darumb es sonderlich zu thun gewessen (pecuniam
scilicet) mich ultra modum zu cariren nicht lassen, den es ja
zeit und man bey uns niht umb ein teruncium umbsonst
etwas bekompt. Dabantur Marpurgi sexto martii, qua ut
puto dies mens est natalitius, quem adventu hujus nuntii
partim laetitia partim maestitia recolirt und gehalden hab,
anno 1609.
Mein kleider sampt dem andern werk, so ich bedürfftig
sein werd, wird euch der bott liflfern. Die zeit unser zukunfft
weis ich so gar gewiss nicht, doch hab ich das datum uf
sonabend vor oculi {18 Marx) gemäht, denn ja ihr viell
bereits wegzihen und alle tag nun zihen werden.
362
37. Ankunft. Chelius. L. Moritz. Bücher. — 1609, Mai 13.
Mi 13 Salutem. Wir sindt lieber vatter glücklich nach Vollender
reis antreffen und ja niht so lang ausbliben, den man aller
erst 4 oder 5 tag hat lectiones gehalden, welches mir in sehr
geringer zeit sine ullo labore leichtlich können resarciren
und vollends sine interruptione ad finem aestatis continuiren.
Bey unser hospita können wir kochens halben niht wol zu-
kommen, denn sie sonst neun frembde kerlen (so niht in
ihrem sondern in einem hart anstossenden haus wohnen) alles
umb den pfenning kaufft und kochet. Werden uns derhalben
anderer gelegenheydt zu erfahren und zu gebrauchen von
nöten haben. Chelius unser vorige und alter stubengesell
ist nach geschehener Vergnügung der schulden, so uns und
dem würth zugestanden, avecta suppellectili gen Altendorpf ^)
ad salinas Hassiacas gezogen, daselbst sein studia zu con-
tinuiren. Mauricius Hassiae landgravius ist an die 8 tag
wider allhie gewest und noch hie ; hat bey sich den jungen
margraven von Brandenburg, weihen man sagt, das er sins
sey das herzogthumb Jülich, so izt villeicht lehr und ohne
regenten steht, einzunemen. Georg Ellern köndt ihr uns nun
heruff schicken, uff das doch einsmals mit den büchern etwas
gehandelt werde, welhes den kaum, so es seinem anschlagen
nach geschehen würdt oder kan etc. Dieses zur widerschrift
zu bringen und euch zu verstendigen hab ich nicht under-
lassen wollen. Interea omnes meo nomine salvere jubeto.
Datum Sonnabend vor cantate, anno 1609.
Ich hab ufl der weg zu Oestroff ein schien welche ab-
gangen uffschlagen lassen. Meine bücher halb, welche ich
niht zu gebrauchen, will ich bis nechst, weil izt zimlich
uff dem kam gewest, zurückschicken, unser hospes ist hoff-
schmidt, welcher abends und morgents zu haus, die ander
zeit aber stets uf dem schlos arbeitet. Derhalben mir bey
disem, si qua opus, können gefunden werden. Johann Con-
radus ist dabey gepliben, das was ist ausgelegt worden, ich
halb und er halb hab müssen darlegen. Mein klingen ist im
*) Allendorf an der Werra.
363
auspacken und herufftragen verzollt worden. Ewer hut soll
verfertigt werden. Mein calendarium, welchen ich wohl ge-
sucht und niht finden können, so er villeicht sich wider findt,
mir zu zu schicken wollt euch nicht beschweren. Nichts
mehr denn euch alle dem lieben Gott bevohlen.
38. Mittagstisch. Bücherkauf. — 1609, Mai 19.
Wir haben ebener masen wie Wildius und Löer minor 1609,
in unserm hospitio nicht wollen kochen, ob wir es schon
gekondt und die hospita uns und ihnen zu kochen sich er-
potten, denn sie sonst noch neun studiosos hat, den sie kocht
und alles umb den pfenning kaufft, und mir mit unserm kochen
ihnen nicht zu vergleichen gewesen, hetten demnach statt
er weil warten müssen bis sie fertig und den andern ufge-
tragen ; lässi sich deshalb gleich den Andern von der Frau
von Haiis Hector kochen imd hat sich init Joh. Conrad in
die Zeit derafi getheilt, dass Johann beginnen soll; Johann
hat seine Vorräthe Z2ir Köchin tragen lassen, die ihm einen
Sdirank daxu eingeräumt; bittet mit der fuhr welche die
brawpfann abholen wird, gesalxene Butter, Linsen, Reis (den
nach geschehener theilung einer 1 0» reis nur bekommen)
und Kochbutter xu senden, damit ich ja auch Johan Conraden,
wie er angefangen, mög gleich thun, wie ich den was er
kocht ufzeichne ; was essig, eyer, grünkraut etc. anlangt,
will ich hir umb das geld kauffen. Beim Verkauf der Bücher
des Pastor von Odenhausen hat Georg gener die besten
fettern ausgeropft und bey seiden gelegt, andetx hat ein
marburger Student mir vor dem maull weggenommen; ich
habe eine teutsche ganz übergöUte Herbornische bibel, welche
Eydel umb 3 ^'^ gülden gezeugt, umb 2 gülden thornus be-
kommen, und wer zu vermuten auch zu hoffen gewest, ich
liett sie umb tolerabilius pretium bekommen können, wo nicht
Weisselius zuvor solhen pact uf dis gelt gemacht hett, über
welhes ich nicht hab weniger wollen bieten. Zu disem hab
ich noch 2 in eim band gekaufft, weihe ihn 24 albus ge-
Eller, ß. n. 37.
364
standen, ih vor 13 bekommen. — Die bucher sein gewaltig
wolfeyl angeschlagen und wolfeyler verkaufft, also das groses
lauffen darnach gewest ist, sodass Georg aus den besten
über 22 gülden und drüber bekommen; was nun noch vor
alte scarteken da sind, wird er schwerlich zu kauff bringen.
Landgravius Mauricius hat sein Sommerlager allhie zu bleiben
widerumb ufgeschlagen. Bitte xii Pfingsten ein Paar Sirümfe
(von einer hübschen färb, welche mir auch nicht zu kurz)
und ein Paar Schuhe nach heifolgendem Mass xu schicken.
— 1609 (freytag nach cantate) Mai 19.
39. Essen. Schuhe niul StrUmpfo. >\eis8cl. — [1609] Jon« 3.
[1609], Hatte kiirxlich um Zftisendnng von Vorräthen gebeten,
Juni 3. fif^^y^^if^ (iiß Fuhre, welche die Braupfanne abholen sollte; da
letxtere nicht fertig tvird, so hat der Ueberbringer^ der kuchen-
becker, der hier nächstens Korn abholen tvill, sich erboten
alles 7nitx7ibri7igen, was er erhalten würde ^); es wird aber mein
datum zu kochen sich anfangen mittwochen nach pfingsten
über 4 wochen ^), und überall mir sein zu kochen 7 wochen.
Modum den Johan Conrad im kochen und speissen observiret,
consignir ich von mahle zu mahle, darnah ich mich dann
reguliren will, uf das ich ihm respondir und gleich thue,
denn er uns vorwahr sich wol helt und uf seiner Seiten uns
zimlich tractirt. Brevis recapitulatio der victualien so ich
gern hette ist diese: 1. gesalzen botter, denn er ein malzeit
umb die ander kaes und botter ufFsezt ; 2. honig, 3. reis und
hirsen 1 !ii, 4. linsen, 5. kochbotter, 6. ein stücklein schmalz-
speck; soidet das vermisste Mass für ein Paar Schuhe bey
dem newen schuster zu verfertigen, er soll sie über den reyen
wol weiten ; bittet um ein Paar Strümpfe von feiner Farbe
oder um 16 — 17 Bat\en^ damit er sie in Marburg kaufen
kö7Uie. Es hat Weisselius seinem patri bevohlen, im ein
paar viol färben zu kaufen, welches er darumb gethan hat,
das sie sich uf sein kleid schickten. Sed haec clarius. Er
1) Vgl. n. 38.
*) Juli 5., s. n. 40.
565
ist ebenermasen wie ich (sed mecum est alia ratio) über sein
kleider respectu aliorum uberdrüsig gewesen, und uneracht
ob er schon 2 gute kleider hat, er zu einem kleid, inscio
patre, violfarb lindisch tuch ausgenommen und bezahlt. Und
weis nicht, ob sein vatter Wissenschaft drumb hab ; hett und
wollt nicht gern, das ihr es euch vernehmen lässt, denn er
ja allzeit uns insinuirt und verdächtig helt, wann seiner ding
etliche an tag kommen, es geschehe durch uns. Und lezlich
hat er zu diesem kleid ein pariser hut (quod novit parens)
vor einen königsthaler gekauft, und sagt, hett noch nach
bezahlung 3 gülden übrig, et quidem in numerato ! Habt
hiemitt ewern hut zu empfangen, den ich ufs beste hab ver-
fertigen lasen und 3 bazen geben. Es ist mein neben ge-
samlet pecuniola, ohne die 1^1 2 gülden, die ihr mir geben,
schir allgemach uf introitus, so mir hospiti et coquinae
geben, item uf essig, eyer etc. kauffen usgelaufen. Ein
kuchen oder zween und meinen pfingstkermes wollt under-
desen auch nicht vergessen. Wer das duch gebleicht, könd
mir mater die leilducher und zum paar strimpf flachsentuch
schicken, will ich sie hir machen lassen. Datum Martispurgi,
Sonnabend vor pfingsten.
40. Essen. Geld. Musikunterricht. — 1600, Jul. 4.
Hat weniger geschrieben, weil er nichts zu melden und 1609,
bisher auch nichts nöthig hatte, weill ich mit Joh. Conraden *^"^* ^•
7 Wochen gessen und heut dato solcher terminus ein end
hat und das officium cibandi mir ist heimgefallen ; bittet des-
halb, da er mit dem Mitgenommenen (ein eicht mas honig,
1 mas kochbutter, linsen, reis) nicht auslcommen werde^ um
Zusendung von gesalzener Butter, Kochbutter, 1 S oder 1 V2
schmalzspeck. Conrad hat sontags jedesmahl ein pfund grün-
fleisch oder 4 gekaufft, denn sonst einem solhe 2 waden und
2 riemen nicht langten, meint ja das ich solhes euch berge ;
falls die letzthiii erbetenen Schuhe nicht erhältlich^ sendet
Sohllcder für die alten; inbetreff des Geldes stels nach ewer
gelegenheid euch heim und bin ja wol zufrieden wenn ich so
366
woll als J. Conrad und andere meinesgleichen leidlich haben
möge.^) — Datum Marpurgi, dienstag nach Johannis welcher
in julium feit a. 1609.
Gefelts und dünckt euch gut sein, das ich ein mond
oder 2 mich läse ufm instrument lehren, kann ich ein monat
mit einem gülden auskommen, denn ich zwar privatim horis
successivis et plene extraordinariis, quae omnino a studiia
vacant, lehrne aber doch, wie man wol selbst verstehn kan,
sine fundamento^ denn niemand aus ihm selbst ein meister
würd nisi accedat externa institutio. Und därft ganz nicht
meinen, das es mir ein avocamentum a studiis sey, den ich
in diesem fall wol weis was mir zu thun, und hett ir ja
nicht gern, me sie aliis fieri inferiorem. Expecto responsnm.
41. Veraiitworliiiigr wogen RosiiioiinUscIieroi. -— 1609, Jul. 16.
IGOOy Freundlicher lieber vatter. Ewer an mich gethanes
T 1 ' 1 f*
schreiben hab ich wol behendigt bekommen und daraus ewer
meinung vernommen wegen des entführten zuckers und rosein,
dargegen ich meine resolution thue : 1. ob es schon sich lest
ansehen als ein ding welches nicht so gar principal oder
etwas antrifft, doch weil ihr ewer ursach habt, anderwehrts
euch darnah zu richten. 2. ist dies mein zweyt argument :
wann niemands mehr wehr in dem hause oder drin gewesen
als ich allein, da ich daheim war, wers ein ding das ichs
gethan hett. 3. solches gar nicht uf mich kan gelegt werden,
denn der korb, darin es alles gewesen, lange zeit uf der
oberstuben kammer gros und klein im gesiebt und angriff
gestanden. 4. da es darnach schon in die kist gesezt, hat
doch die kist alzeit ufgestanden und die Schlüssel drinnen
gewesen, also das glaublich und vermudlich, das die andern
auch drüber sein gegangen und zugegriffen. 5. ist es gar
leichtlich und eine gute ausflucht der straff, wenn etwas be-
gangen oder geschehen durch mishandlung, dasselbige zu
*) Am Ivande von der Hand des V^atcrs bemerkt: gesalzen botter,
*/2 mas honig, 1 mas kochbotter, 7« 8* spek, grün Heisch, newe schuh
oder sohlleder, 2 gülden gelt, dach zu strumpfen.
86?
legen und zu werflfen uff den der nicht vorhanden sondern
abwesend und sich nicht vertheidigen kan. 6. dunckt mich
ungereimt sein, das izt allererst ist gespürt worden, das nicht
ein kornlin da gewesen, als wenn underdes nieraands über
dem korb gewesen denn izt allererst der gesehen oder sehen
können was noch da war. Sondern es ist ja bisher noch
etwas vorhanden gewesen, solches so lange es gewehrt, hat
man nichts geklagt, nun aber da man es in instanti haben
soll, spricht man, es sey aller damahls usgetrieben da ich
drunnen war, da doch dismahls gleich oder under der band
solhs hat können gespürt werden. 7. schreibt ihr ganz cate-
gorice, es sey niht ein körnlin von den 3 stücken da gewessen,
daruf ich andworte, das nicht so gar ohn das ich hab helfen
mitzehren, aber von den grosen rosinen, welcher doch noch
zimlich da gewesen ; aber von den kleinen rosinen und meus-
zucker kann ichs niht bey mich lasen kommen, das solhes
mir kann heymgeschoben werden, sindemahl derselben noch
sehr viel da gewesen als ich weggezogen, und ja, da bis daher
sind noch etwes da gewest, kein klag gefallen ist. Sag der-
halben paucis, was die grosen rosein anlangt, hab ich mit
geholfen, also das noch ziemlich etwas dagewesen, was aber
das ander anlangt, sag ich, hab also damit gestanden, das
ihr wol und genungsam desselb hett können brauchen. 8. es
ist gewesen 1 ß gros und 1 ffi klein rosein und 1 ffi meus-
zucker , welches S 3 bazen gekost ; was das ander weis
ich nicht.
Dieses hab ich euch hinwider zu grundlicher resolution
und Offenbarung der warheidt nicht sollen noch wollen ver-
halden, aus weihen meinen gesezten propositionibus ihr nun
selber concludiren und abnehmen köndt, das es gar absonum,
das sie nun aller erst kommen und solches uf mich legen,
da doch ein lange zeit verlauffen, in welcher wol hat können
gespührt und geklagt werden, das nichts mehr da wer. Thue
euch allesampt hiemit in den schütz Gottes trewlich be-
vehlen.. Dabantur Marpurgi 16. julii a. 1609.
368
IßOO Dank für Brief und EssenspeLä: nechstkommendeii
jyH]^ freytag hab k-h halb gekocht Hans Hedor und Georg
Wagner^ Organisi xu Lich^ haben des dechant söhn Ton Lieh,
Just Wagnern,^) in nechstrerschienen tagen Ennckels, eines
pfarhers toehter zn Wehm bey Willingen, ein jung meidlräi
gefreyt, da sie izt hingezogen, den weinkanff zu hald^i.
Barimann Weissely der mir Geld für ein Aehid Korn geben
sollte, hat nichts verkauft und einen anreom hinterlassen, dem
ich mit Johann Conrad iheilen sollte , da aber Johann noth
halben ihn ganz haben icoUtey obgleich er noch 10 Twmos
ton seiner Mutter bekommen, so hab ich mich mit ihm nicht
mögen einlasen. Endlich was &tadere in Ubris anlangt hoff
ich, es soll kein klag noch mangel sein, aber in instromento
diseere reqairit nammos, den die docentes alsbald geld wollen
haben, mos mich also mit mir und bey mir behelffen. Da-
bantur Marpnrgi mane 5 a. 1609. [Ende JuliJ
4^ Wäeliterlionier. Ma^. BaeknaBii. BegiBB der TorlesvBgm. —
[1609] Okt. 24.
J609 Lieber Tatter. Mir seindt Gott lob woll ankommen und
[OÜ.24]. niig^f losament ingenommen ; wir hoffen also dies losament
soll uns bequem sein. Ich hab nach wechterhömem in Tray
Aolershanssen gefragt, hab aber an keinem ort nichts be-
kommen können, wie ingleichen kein tranckgrüg, wie ich
bevelh hatt, hab aber auch keine bekommen können, und
zugleich auch kein measmeel, denn die apoteckem keins
wollen verkauffen. Will aber sehen, das ich wechterhömer,
die ich bestelt, bekomme und will hernach die blechene auch
lasen machen and euch zuschicken. Die reichsthaler kann
man vor 43 albus ausgeben. Bachmannus hat uns sein
theses dedicirt^ scilicet denen allen die den sommer bey ihm
'j AVurde am 28. Apr. IGOo immatrikolirt, 1606 Magister, s. d. 24.
*) Johannes Daniel Bachinann Mintzenbergenzis wuiSe 1606 Mai 14
immatriknlirt und vertheidigte 1609 eine Disputatio metaphysica naturam
et categoriam entiam rationis exhibens (praeside R. Go<.'Ienio). Sie war,
abgesehen von 4 Gönnern , adolescentibos stadiosissimis dn. Johanni
369
im collegio gewesen sein, drum schreibt mir mit dem hotten^
den avus zurückschicken wirt, wider, wie ich mich verhalden
soll, (doch ^) denck ich, wie sie es machen, also mach ichs
auch.) Es hat mit dem sterben kein noth mehr. Dasjenig
was im fäsgen und schwarzen laden ist, steht euch zu. Die
lectiones publicae sind noch nicht angangen, dan die im
paediogogeo am montag erst angangen. Die bücher so
ich hinab schicke kan Carlen brauchen ; ich hab sie uffge-
schriben und wolt ihm ernstlich einbinden, das er sie ver-
wahre. Euch alle dem lieben Gott bevehlend, 24. octobris.
44. Bachmann. Lcbcusmittel. Bücher. — 1609 [Okt.].
Uff ewer schreiben hab ich nicht umbgehen können
euch zu berichten und wisset erstlich, das mir Bachmannum
zu einem privato wider haben, welcher in seiner disputation
optime et summa omnium cum laude bestanden hat und uns
desselben tages, da er Goclenium und andere magistros bey
sich zu gast gehabt, uns auch geladen, sind auch bey ihm
gewessen und hat ihm jeder pro dedicatione und vor sein
mühe den sommer, einen reichsthaler geschenckt, damit er
wol zufrieden gewessen. Wir haben die zeit ausgetheillet, die
ich halb kochen will und Johann Conrad halb, drumb wird
von nöthen sein, das inskünfftig was an einen oder den
andern heruff geschickt wird, das mir dabey verstendigt
werden, welchem under uns es zustehe, das es keinen irthumb
gebe; also hab ich angefangen zu kochen und will so lang
fortfahren, bis ich noch etwas habe, habe ich nichts mehr
soll er anfangen bis ich wider bekom. Das gemus ist gewaltig
thewer hie, sonderlich das kraut, desen jedes haupt, eins ins
ander 20 ^ kostet, drumb wer es rhatsam, wenn fuhr heruff
gehet, es sey wer es wöU, das ich noch ein fäsgen mit sawer
kraut, welches newlig ist verseumbt worden, bekommen
möge ; item linsen, welche ihr bey dem spengeler bekommen
Dimpelio, dn. Johanni Venatori, dn. Johanni Busio, dn. Johanni Eberhardo
Fabiitio, d. Johanni Chunrado Loehr, dn. Heniico Eberhardo Pincior,
,iC(iualil)us suis et studiorum sociotato conjunctis — amicitiae Signum ge-
widmet. (Ex. auf der Landesbibliothek zu Kassel.)
*) doch — auch a. 11, nachgetragen Or.
N. F. Bd. XXIII. 24
m
köndt, den er sie den tag da wir wegzogen^ gewaschen hat.
Ich hoff, Ehwaldt werd das beste bey Carlen thun und ihn
in allem fleisig underrichten ; so ihm bücher von nothen thun
verstendigt mich erst znvor^ ob ich sie noch habe oder nicht,
ehe ihr etwas kauffet. Halt an^ das ich d. pastoris buch,
das noch bei Yietori ist, bekommen möge. Last ihr schuhe
machen, bedenckt mich auch mit einem gutten paar. Matri
salutem. Datum Marpurg a. 1609 in eille.
Als ihr mit dem keller abrechnet, was er vor gelt in
der mes hat vor euch ausgelegt, ist auch mit mir gerechnet
worden das gelt, welches meine schuhe zu kaufen wer dargelegt
worden oder nicht, sohls bericht mich mit ehester gelegen-
heydt. Hat avus der bücher keine, so ich euch consigniret
hatt, bitt ihn doch, das er mihr schicke oder zum wenigsten
lehne zu preuchen Peucerum de divinatione; will ihm ufs
ehest selbst schreiben.
45.
1600, TIat wechterhörner und bettwärme bestellt ; der Kupfer-
^^^' Schmied will die letxtere ohie Stil und uf 4 ff schwer
anfertigen^ das ß für ^'12 Quklen; auf der Messe sollen sie
mit Stil billiger sein. Der Keller hat geschnebeUf alle über-
sandten Rüben und Möhren gehörteyi Johann Conrad; tote
verhält es sich damit und sind die in Frankfurt gekauften
Schuhe bezahlt? Fragt an, ob sein Buch von Bon xurück
gekommen und wo das Buch des Pastors, welches Victor ent-
liehen, geblieben. J. Conrad hat 7 ß Lichte geliefert, so die-
selben verbränndt sein, wirds geben an mir sein, drumb ob ihr
underdes werdet lichter machen oder ob ihr sie wollet drunnen
zu wegen bringen und mir schicken, verstendigt mich. Datum
Marpurg, sontag nach Martini fNov. 12) 1609.
Der Pasto7' von Muschenhei^n wird ohne Frage xum
Elisabethmarkt nach Marburg kommen oder Jemand senden,
drum verseumpt solh gelegenheid ja nicht. Ich wölt 1 S
oder 4 castanien gekauft haben, so werden sie von den krämern
371
verkauft wie bei euch ; sonsten wenn sie mit den karren von
den sälzern hergeführt werden, kann man das pfundt umb
1 albus bekommen ; will hernach schicken.
46. Kathschlag: über den Oangr des Studiums. — 1609 Nov. 19.
Vo?i de7i 4 bestellten Wächterhörnern ist nur eins ge- ^^^^»
rathen, welches ich euch hie schicke; weisz nicht obs ge-
troffen oder obs wasz lauten werde. Will das blechene ver-
fertigen lassen. Bittet durch den Ueberbringer die dem Pastor
gehöngen und von Victor entliehenen disputationes ethicae
domini Goclenii zu schicken oder zum wenigsten das wehr
so es fertig ist, so habt ihr die blauten dagegen widerumb.
J. Conrad verlangt von mir 2 Batzen^ welche der Keller in
Frankfurt für Schuhe ausgelegt^ ebe?iso wie er bei dem Oe-
müsc mihr hat wollen persuadiren, es wäre allesz sein ge-
wesen ; bedarf noch einiger Rüben und etwas Kraut. Das
ander belangend bin ich gar woll zufriden wie ihrs macht,
allein vorbehalden das ich in studio philosophico usque ad
gradum fortfahre. Darnach auch wenn einer sollt ex professo
jura studiren, so gehört vill zeit dazu und mus einer vile
jähr bis ins mannlich alter studiren. Exemplo est noster
secretarius. Solches aber vill kosten wurde und zugleich
euch beschwerlich sein, sonst post gradum ein jähr oder
zwey oder was es were solches zu studiren, ging noch hin.
Camerarius von Buzbach, der kellersen söhn ^), ein jung klein
kerlen, hat allzeit Studium theologicum erwehlet und auch
schir ein jähr die conciones excipirt, nichst desto weniger
hat er animum mutiret und sich auf Studium juris begeben;
solcher ist ein jähr nach uns eximirt. Item Emmel Wilfers-
heimensis ^) auch sich uf jura begeben. Solche sag ich so
sie ettwes praestiren wollen und zu seiner zeit können
werden, meint ich, ich wollt, Deo volente, mich dazu acco-
modiren ; stellt die Entscheidung dem Vater anheim, — Mar-
purg den 2. sontag nach Martini 1609.
S. n. 18.
^) Zwei Emmolii worden 1606 Mai 16 immatrikolirt.
24*
372
Wenn es mit obligiren und verbinden, wie es ja fallen
möcht, sollt zugehen^ solches würdet ihr ohn zweifei nicht
eingehen und ich zu gleichem wollt mein sinn nicht conjun-
giren.
47. Oellampe anstatt Lichte. NahmngrHmitteL Geld.^ —
1609 Not. 30.
7ÖÖÖ, Weil nun die zeit herbeyrücket, uff welche die brawpfann
fertig zu machen ist vertröstet worden, und mir nun längst
sich druff gedröstet in hoffnung, wir wurden durch solche
gelegenheid von haus bekommen, dardurch wir disen winter
rasten könden, als hab ich euch dismahls nicht underlassen
wollen zu schreiben, wie mir der licht halben endlichen ent-
schlossen sein. Sindemahl mir ein geraume zeit hero be-
funden, das bey solchen übel gemachten gekaufften unschlitt
lichten zu studieren ein unbequem ding ist und dem gesiebt
mercklich nachtheil zufüget, als haben mir nach exempell
anderer hinfort öli zu brauchen vorgenommen. Drum hab
ich von dem lichtgelt eine ampell gekaufft, wann aber der
oel hie nicht wol zu bekommen und mir wol wissendt ist,
dasz ihr rübensamen habt, desen öel sich am allerbesten dazu
schicket, als wollt ich gebeten haben, von demselben mir ein
mas zu schicken, welches mir gegen einander wollen abzihen^
so mir rechnen werden, wasz 7 ß licht, welche er^) gegeben
und dan die von mir gekaufte ampel und der künfftig kom-
mende öel tragen werden ; bittet um einige Laib Brot, denn
das mitgenommene Achtel Mehl langt nichts (denn es gar klein
ist gewessen), ferner, falls geschlachtet worden, um allerhand
für die Ferien, die er in Marburg verbringen iviü; sodann
um 42 Albu^ Buchbinderlohn, die er uf Christlag erlegen
muss — Johafin Conrad hat sein Oeld bereits erhalten und
bezahlt — und um Oeld xum Holxkauf, denn es lest sich
ansehen, als wolle es ein kalter winter werden ; mird seine
*) A. R. von des Vaters Hand: 1 mas rübsamon ohli, 2 meste rücken-
mehl oder ettlich laib brots, würst und grünfleisch, 42 albus buchbinder,
1 g. oder was sein kann für [holzj.
«) J. Conrad, s. n. 45.
373
Ausgabenrechnung demnächst schickefi^ hat bald Jcein Oeld
mehr; das wechterhorn und bettwärme wird gewiss fertig
werden. — Dabantur Marpurgi in die divi Andreae a. 1609.
48. Oel. Oeld. Abrechnnngr, Petschaft. — [1609 Dec]
Hofft auf baldige Zusendung des Oels^ um welches e?^ ^^^^
jüngst gebeten ; hat inztvischen hier Oel gekauft, welher sehr
thewer ist ; muss den Buchbinder uf Christag bezahlen, bitt
wollet mir solhes mit ehester gelegenheid schicken und vor
mich etwas dazu schiessen ; hat 6 Wochen gekocht und für
Essen^ Oemüse, Essig, Bier, Sülxe (silzen), Milchwerk, ge-
sahene Butter, Backgeld und vor alles ander, welhes jedes zu
specificiren unnötig, 8^/2 Oulden ausgegeben ; femer 1 Oulden
für Iloh, V2 Ö. für die Ampel und ein nessel Oel, 10 Albus für
2 Bücher, V2 Ö. zu Martini vor wein mit dem hospite ver-
than, welhes uns der keller in discessu bevohlen ; 1 g. extra-
ordinarie ausserhalb dem kochen, 1 g. dem pedellen vors
zerbrochen wechterhorn, vorn gürtell, hosenbendell etc. ; weis
balt niht obs euch dises alles also zu specificiren und zii
lesen lästiger oder verdrislicher sein werde, lasz es derhalben
bleiben und köndt euch genzlich überreden, das ich alles gelt
was ich ausgegeben, wol angelegt und es jeder zeit zu ver-
andworten bereit bin. Hoff derwegen, ihr werdet euch an
diser ratione expensi begnügen lasen und mich dasz ich
wider anhalte entschuldigt haben, denn die accidentia mancher-
ley sein. — Marpurg, 1609.
Die Bettwärme imrd gegen 2 G,, das blecherne Wächter-
hörn 10 Albus kosten, ein messingen bittschirring, weihen ich
euch graben lasse, wol wissendt, das ihr eines kleinen be-
dürftig seyd, so stehts euch frey, 9 alb. ; ihr könnt das Oeld,
icenn ihr ivollt, durch Dimpel von Minzenberg schicken, der
ohne Zweifel in der nächsten Woche heruff uf die promo-
tionem magistrorum zihen wird.
374
49.
/^^^m Dankt für das Geld, hat Buchbinder und Bing 6e-
xahlt ; die Bettwärrne soll mit der Braupfanne xusammen
fertig werden; hatte das Wächterhorn bei einem Bleekarbeiter
um 10 Albtcs bestellt, der es nach dem Muster der städtischen
Homer anfertigen wollte; als er aber eins gesehen, hat er
gemerckt, dass wedder seiner materi noch seines handtwerks
dran sey, denn sie nicht aus blech gemacht sondern ans
kupfer gegossen werden, welche arbeit den rothgiessern, wie
sie genennet werden, zustehet; der Bothgiesser, %u dem er
hierauf gegangen, fordert 2 schlechte Thaler für das Hörn,
fragt an, ob er es bestellen soll ; den rinng habt ihr hie ; tmeder^
holt die Bitte um ein Mass Rüböl (welher keinen rauch
giebt); die 7 U Licht, welche Conrad geliefert, kosten 29
Albus, hat erst 16 verausgabt ; bittet auch um Erbsen und einige
Laib Brod, die er gleichfalls entliehen ; fragt an, ob er nach
Beendigung der Kochzeit heimkommen soll, hat noch 7 Wochen
XU essen; hatte die Schuhe bereits vergessen, hofft mit dem
mitgenommenen Paar auszukommen^ sie sind mir aber recht;
hat an M. Ehwald gesehrieben und ihm Karl empfohlen. —
Marburg 1610 Jan, 16.
Diese zeitt hero hat ein junger medicus allhie mit
nahmen Petraeus von Schmalkalden,^) einen dieb, welcher
zuvor ist gehenckt worden, darnah herab gethan und ana-
tomiret, das ist den ganzen leib zerlegt und jedes glieds
natur, ampt und eigenschafft gezeiget, welches 6 oder 7 tag
gewehret und mir selbst darbey gewesen.
50.
j^jQ Erinnert an die in den letzten Schreiben geäusserten
Febr. 11, Bitten um Oel^ Lebensmittel und Brot oder 1 mist meell
und an die Frage wegen seines Nachhausekommens^ zu
welchem ich doch nicht gar so viel lust hab, sondern wollt
das ich essen hie hett, wollt gleichwohl hinabziehen ettlicher
*) Er wurde am 3. Jan. 1610 Ordinarius für Anatomie, Caesar 11., 5.
376
Sachen mich mit euch zu befragen. Hat von Dimpel 14 S
Brot enUieheUy bittet, diese und das Oel, welches gar schwer-
lich hie zu hekontmen, sei es durch den Ueberbringer sei es
mit der fuhr und geschirr xu schicken, — Marburg, 1610
Febr, 11
51. FastuachtsüberfalL») — Keller Löhr. — 1610 Febr. 18.
Dankt für Schreiben und Sendung; der Kupferschmied leio,
hat die Bettwärme trotz vielfacher Mahnung noch gar Glicht ^^' ^*^*
angefangen, sodass die Abbestellung keinen Verdruss ein-
tragen ivird; wird, wie [der Vater wünscht, nach Hause
komme/t und sich mit ihm über ettliche sachen berathen;
möchte aber bald nach Marburg zurücklcehren und alsdann
die essenspeis für den Sommer mitnehmen; bittet jedoch, ihm
7nit dem Boten, den der Praetor von Muschenheim in acht
Tagen 'tiach Marburg schicken wird, ein halb öell zu senden,
liat von Weisselius ein nessel geborgt; ettlich sack und ge-
zeug hab ich noch hir sampt dem fäsgen, hab solches diesser
fuhr nicht mögen uffladen in sorg sie werden unwillig; hat
das Oeld für die Bettwärme, welches der Vater geschenkt,
an Weissei, so es nothwendig bedörffte, verliehen und während
ich mit gelt nicht versehen, hat sich ein solcher fall zu-
getragen. Weill es izundt um die fastenacht zeit ist und
allerley handell getrieben worden, ist eben uff den abendt,
da der keller kommen in der herberg gewesen, da Johann
Conrad bei ihm gewesen und ich allein uff meinem museo
gesessen, ist mir, der sich eines solchen ganz und gar nicht
versehen noch verhofft, ein solcher uffzug und mummen-
schanz in mein losament gekommen, das ich nicht gewust
wie mir geschehen. Als sie nun nach gewonheid heraus-
geschlagen und mich zu spiellen provociret, wie es denn mit
') Vgl. hierzu das Mandat des derzeitigen Rektors, Landgraf Wil-
helm, vom Nov. 1610 gegen „Pennaischmauss" und „Dischrückung,"
Caesar 11 S. 10. Die letztere, alter helluationis modus, wird geschildert :
facto onim tanquam in praelium impetu, gulae studiosi in musea et
cüticlavia aliorum irruunt, vina adferri sibi poscunt, nolentibus libros et
vcstinioMta auferuut, ablata aliis oppignorant, qua plus quam hostili vi
atqiio injuria deterriti novitii quidam et boni adolescentoß hinc discedere
cuacti buut. Inaudita otiam in hostium castris baibarios.
376
solchen die mnmmenscfaantz tragen der branch ist, hab ich
uff solch beysizen und provocation propter defectum pecuniae
nicht können respondiren, hab derwegen underdesen zum
keller in die herberg schicken und ihn umb ein wenig an-
sprechen lassen. (Wer selbst zu ihm gangen, das börsge aber be-
reits uff meiner stuben war.) Er aber weil er bereits schlaffen,
hat mihr entboten, ich sollt den wärth ansprechen, das er
sein glauben oder gelt vor mich interponiret, wollte er dar-
nach pro me richtig machen. Hab derhalben, weil ich nicht
beyzusezen gehabt, die schannz verloren und hab müssen
ihnen, weicherer sechs gewesen, ein virthill wein verehren,
denn nicht gespilt haben wollen, auch sie ledig ohne einen
trunck zu dimittiren, wer mir gewaltig ubell uffgemuzt
worden. Seind mir doch underdes noch unbekandt gewesen,
bis sie sich detractis larvis zu erkennen gegeben, und sein
mir solche kerlen bekandt gewesen, denn sie mit mihr
in ein collegium gehen und ich zu ihnen gute kund
hab. — Der keller ist, als er alles uff ein ort gemacht, mit
etlichen männem^ die mit der sach zu thun gehabt, in des
Hectors haus gegangen und daselbst in eine zech zum besten
gegeben, dazu mihr und Weisselio, welcher bey mir gewesen,
einen boten oder 2 geschickt. Weil aber Niclas krank ge-
wesen und ich mit dem briffschreiben zu thun gehabt, son-
derlich aber weil sie all miteinander gar bezecht gewesen,
denn sie zuvor lange bey dem oberschulteissen gezecht hatten
und mihr sich villeicht, so mir zu ihn gingen, rabensauUens
(das ichs also nenn) und altercation besorgten, sind wir nicht
zu ihm gangen. Welches er euch ohn zweivell möcht mit
verdrus vorbringen, hab also hiemit wollen praeoccupirt und
mich entschuldigt haben, sonderlich weil ich den abend zuvor
mich saatt wein getrunken. — Datum Marpurg d. 18. februarii
a. 1610. Der keller ist einmahl und ein geringe zeit uf
unserm losament gewest, villeicht vor vilen geschefften.
52. Anknnft. Durchzug von Soldaten. — 1610 Mai 3.
1610y Lieber vatter ! Wir sind sicher und gesund bey gutter
tagzeit zu Marpurg ankommen und unser alt losament in-
377
genommen, können aber noch nicht wissen, wo und mit
weihen wir kochen werden, haben aber doch ein thei! fleisch
und anders, das wir ohne einen koch ein weil leben können.
Der pulvermacher hat zugesagt, in 14 tagen das restirende
pulver naher Honigen zu liffern, das der von ihm bewilligte
centner ganz werde. Heut donnerstag werden, geliebts Gott,
7 doctores juris promovirt ; ihre nahmen aber und wo sie her
sind, weis ich nit. Was sonsten das kriegsgeschrey und wesen
anlanget ist es still allhie, nur das vor 8 tagen 236 reisigen
sind durchgezogen, welche mit 1. Morizen soUdaten und
ausschuss sind geleydet, das sie den geringsten schaden nicht
gethan. Sie haben aber nicht sagen wollen, wohin oder zu
welchen sie ziehen wollten. Nichts mehr dismahl, denn euch
alle in Gottes schuz bevehlend. Signatum Marpurg 3. maii
a. 1610.
53. Mit tagrsti seil. Abrechnung. Ermordung K. Heinrichs IV.
1610 Mai 21.
Freundlicher lieber vatter. Ich hoff ihr seyd noch alle- lew,
sampt frisch und gesund, wisset mich gleichfalls, Gott lob, ^^* ^^*
noch wol uff. Dismahls hab ich euch verstendigen wollen,
das kurz nachdem wir ankommen, hir mit börsgen einen
disch gemacht, da ich den anfang zu speissen gethan und
hab 12 tag gespeisset. Es sind aber unser 11: ich, Löer
uterque. Weissei, mag. Bachmann, Hayl von Buchenbrücken,
Busius uterque, Kreuterus Buzbacensis, Heckman von Langk,
Faber Muschenheimensis, alle studiosi ohne Löer minor,
Busius minor und Fabricius minor ^). Hab also mit dem das
ich von haus mitgenommen wol gelanget und auch Gott lob
übrig behalten. Allein weil ich Weisseis gelt nicht bekommen,
Iiab ich entlehnen müssen, zu dem hat er mir uf anhalden
*) Johannes Heilius Essen hoimensis Wotteravius wurde am 15. Sept.
160S, Johann Bussius Gambacensis am 22. Okt. 1C06, Caspar Kreutoras
Butzbachensis am 30. Apr. 1610, Johannes Hackmannus Langensis am
6. Mai 16 JO immatrikulirt, Christophorus Lhör Bruchenbrükensis trat 1607,
(leorgius Busius Gambacensis 1609 ins Paedagogium ein, Matrikel f. 110b
n. 141, f. J?9b n. 138. Die Uobrigen s. S. 295, n. 1,43. Heil war im
März 1610 in eine Prügelei mit Lithauem verwickelt, leistete aber einen
Koiuiguiigsoid, Caesar 11 S. 9.
378
des tisches solches uf Johannis za zahlen versprochen. Dar-
nach hab ich auch noch 6 laub wetterawisch brot von Basio
entlehnet, solches ihr mir wol mit diser fuhr schicken könnet,
uff das ich es wider gäbe. Ich hab vor ein gülden grün-
fleisch genommen^ das ich also noch ein Seiten und zween
riemen dürrfleisch übrig behalden, auch nur an 5 eichtmas
botter verkocht, hab noch ein ganze mas übrig. Mit dieser
fuhr schickt mir doch meine bläwen hosen, uff das, so ich
dise läse machen, ich diselben habe. Desgleichen die spizen,
davon mater weis, welche ich daheim gelassen, so sie von
ulla sororum weren genommen oder sonst verlegt; und das
stück damast wollet mihr schicken, und zugleich mich ver-
ständigen, ob ich der welschen kragen tragen soll oder nicht.
So ich soll, könnt ihr mihr ja uffm pfingstmark ein wenig
leinwat kauffen ; zu einem oder 5 hab ich allbereit. Matris
gurtell ist schon gemacht, weihen ich ihr uff den marckt
schicken will. Dieses aber ist ein verzeichnus der ausgab
meines gelts. 2 g. 12 tag vor hier, rechnet alle tag 8 mas,
sampt dem zu bierribel und birbrot, alle mahlzeit 4 mas,
sind unser 11 ; 14 albus vor allerhand gemüs, gersten, grün
mus, mihrn ; 12 albus vor weck und milch ; 20 alb. vor
kalbfleisch, das ich bezahlt, item hering, silzen, gelunng.
Also nun dises mit dem winter Überschlag, hab ich den
winter in 7 Wochen mit zween 3 g. 16 alb., den sommer izt
3 g. 20 alb. verthan, mit wenig mühe hab nun noch lange
zeit ruhe. Einen pfingsthaint kuchen will ich von euch
bitten und gewertig sein. Und thue euch in Gottes scboz
bevehlen und seinen segen euch allen und mihr wünschen.
Marpurg d. 21. maii a. 1610. Item auch 13^2 alb. vor
anderhalb mas wein mit Ehwalden verthan, welcher uf den
appelssontag mit uns lustig gewesen.
Nova vom könig in Frankreich, welcher von einem
dazu von den Jesuiten bestellten schellmen uf seiner kutschen
hinder 15 tausend man, welche er uf den musterplaz geführt,
ist erstochen worden, werdt ihr bereits haben. Mauritius
landgravius ist allhier und am mittwoch ein stattliche mu-
sterung mit den reisigen und fusvolck gehalden und die rei-
379
sigen gegen das fusvolck schlachtsweis streiten lassen. Ist
sehr lustig und listig zugangen.
54. Müuzverhältuisse. L. Moritz. Soldatenmustcrun^. —
1610 Jun. 2.
Freundlicher lieber vatter. Ewer gesundheyd und pfingst- ^^70,
frewden hab ich aus ewerm schreiben vernommen ; wisset
auch mich noch wol uff. Gott behüte uns zusamen lang
frisch und gesund. In meinem letzten schreiben hab ich des
gelts gedacht, desen ich von haus nach abbezahlter schuld
ungefehr umb zween gülden übrig behalden, welches ich aus-
geben und noch darzu entlent hab 2^/j g., welches nachdem
ich ausgekocht, weitter uff allerhand ist druff gangen, nemlich
Va g. vor 1 Umschlag zu machen, 5 alb. meine calceos zu
flicken und denn sonst allerhand viel accidentia und extra-
ordinaria seindt, da gelt zu gehöret, auch zulezst, dasz ich
bekenne, sit venia verbis, in dieser warmen zeit bisweilen
ein heller uf ein trunck hier gehet. Auch habe ich das gelt
von Weisselio nicht bekommen, hab mich vor oder nach
Johanns tag nicht druff zu warten, jedoch will ich underdes
zufriden sein. Der eine thaler, den ich mitgenommen, ist
ein böser thaler gewesen, hat nicht anders als vor ein reichs
gülden thaler ausgehen wollen ; must mich und dem er ge-
wesen druff erinnern, das er daruff euch gebe und es ganz
mache; es gelten aber die reichsthaler allhie gern 44 alb.,
ducaten 2 g. bazen 20 albus, königsthaller 52 alb. Der land-
graf hat die zweite mosterung uff der nähe bey Marpurg ge-
halden, da sein reisiger zeug mit dem gerüsten fusvolck in
schanzen wacker mit einander sich gedommelt, und ist in
groser solennitet und celebritet zugangen in beysein aller
doctoren und professoren. Ist kurz hernach uff den muster-
plaz, welcher um Wezflar soll gehalden werden, mit seinen
gerüsten geharnischten und kürissen sampt 7 oder 8 Studenten
gleichfalls gewapnet gezogen, da er bis noch ist und das
volck mustert, welches so bald hinein wird geschickt werden.
Der pulvermacher wird die ander woch das pulver lieffern.
Ich hab dem Vigelio den brieff gebracht, welchen avus ge-
380
schrieben^ darin etlich gelt, 7 reichsthaller, gelegen und soll
in die canzlei gelieffert werden, ein urtheil heraus za bringen ;
welches sobald es geschieht, soll es euch fürderlich mit der
quittung zugeschickt werden. Ich hat newlich von meinen
hosen geschrieben , welche Emanuel izt hett können mit-
tragen ; nur darumb das ich sie zuweilen anzihe, wenn ich
die andern machen Hesse. Nichts mehr dismahl denn uns
allesampt dem lieben Gott in seinen schuz bevehlendt. Datum
Marpurg 2. junii a. 1610.
55. Dispntatioii. Kosten. Abrccliiiaiigr* Dcdlcatloii der Thesen. —
1610 [Juli 21.J
Hat längere Zeit tvedei' ein Schreiben erhalten, ivohl ^^
der Erntearbeiten halber, noch eins abgesandt, weil es ihm so- ^
tvohl an Gelegenheit wie an materiam gemangeli\ ist jedoch
inxwischen gleichfalls fleissig bei der Ernte gewesen ivnd ge-
doilä sie mm auf Anrathen imd Eimahnung Anderer in die
Scheuer (boden) xu bringen, dazu denn frembder leute hülff
mus gebraucht werden, welches ohne gelt nicht geschehen
kann. Hab derwegen ipsa re urgente nicht wollen nnder-
lassen, euch mit dessem missiven anzusprechen, ein vatterliche
und in ehrlichen loblichen vorhaben schuldige hülff und bey-
standt mir zu leisten. Zwar meine disputatio ist verfertigt
und wartet ad typographum getragen zu werden, in welcher
ganzer sach ohne gelt nichts auszurichten ist. Habt aber
hiebey die particularem computationem zu sehen, wie vil ich
stücksweis gelts und wann ichs benötigt bin. Anfanglichs
wenn ich den praesidem anspreche und ihm die theses zu
sehen gebe, mus ich ein halb virthel weins haben. 2. in
der truckerey den gesellen und corectori auch so viell oder
mehr. 3. von einem bogen thesium zu trucken ein reichs-
thaler, der hab ich 3 bogen. Dieses mus ich sobalt haben.
Nach gehaltener disputation dem praesidi einen aureum, dem
pedellen einen albus oder 10 zu leuten; item vors convivium
und wein vor ein person oder 5 : praesidi, zween Opponenten,
me et Löer. Und ehe ich disputire, will ich euch wider-
schreiben etlicher Sachen halben von essenspeis^ knchen etc.
381
und könnet wol etwes willdtes zuwegen bringen, solches
aber kann und mus in 14 tagen geschehen. Hat von Hecior
keinesivegs 1 g. entliehen, Joh, Conrad hat von ihm 1 Du-
katen geno7nmen, obwohl er 6 g, hatte als er anfing xu kochen^
und gegen 3 g, von Hause 7nithekomme7i hatte; hat von
Weyssel nichts xzirückerhaltenfUnd mus mir an bezahlung ein
paar schuhe von seinem würth, der ein schuster ist, lasen
machen ; hat insgesammt bisher 5 g. 20 alb. (des alten gelts)
erhalten und davon einen Theil am Johanstag verzecht, ferner
5 umbschlag und 2 Wischtücher machen lassen, und was sich
under der hand sonst ausgibet. Mein praeses wird sein der
alte Goclenius. Nach altem gebrauch aber des dedicirens
halben deliberier ich mit euch, denn ich zwar derer keinen
die ich vorschlage, wol praeteriren kann, nemlich 1. suscep-
torem praefectum Braunfelsensem, 2. avum, 3. m. Martinum,
4. Anthonium, 5. nostrum pastorem, de hoc dubito et mentem
tuam scire cupio, si placet, scire velim an sit praeditus gradu
magisterii ; 6. cellarium, 7. ihr. Wie ich dise Ordnung aus-
stellen oder mutiren soll, mus ich wissen ^) ; bittet um um-
gehende Antwort und Geld binnen 2 Tagen, Der landvogt
Rudolff Rauhe ist vor ettlichen tagen an einer nicht bekanten
oder gemeinen schwachheydt gestorben, ligt zu begraben.
Die furstin aber hat zu Cassel ein junges fräwlein geboren ^) ;
bittet um certum responsum, bonum consensum, opportunum
successum, debitum auxilium. r- Datum Marpurgi a. 1610.
Dieses schreiben aber wollet so viel supprimiren, ne
veniat ad alienas manus, auch so wenig daraus propaliren,
so viel ihr immer könnet.
56. Bitte um Antwort auf n. 55« Disputation. -— 1610. Aug. 1.^)
Lieber vatter. Vor einem tag oder 10 hab ich mit 1610^
einem Juden von Minzenperg ein schreiben an euch abgehen ^^' ^*
^) S. S. 302 f.
'') Sabine, 1610 Juli 5.
^) In dorso unter der Adresse bemerkt : Cito, citissime. Bitt
doch dominum mag. Dimpeiium zu Groningen gantz fleissig, diesen prief
nach Honingen zu schicken. Wollt ihm newes geschriben haben, wirdt
solches vom fuhrmann erfahren. Vale.
UscrK 4««^« i^h^lt, so ihrs bekommen, euch zweivelsohn be-
kÄmit wJrd «v^JiUs Aber ob ihr langsam oder bald bekommen
KäM^ viv'i« \<i^ nicht, sindemahl ich mich versehen hett, ihr
wöivl^tv wio allzeit geschehen, an fürderlichem promoviren
i^kI^I ttwngt^ln lasen, wird aber die ursach sein, das das
^-^hir^iiWn Hich langsam zu banden kommen. Geh derhalben
UW m^woriale ahn euch und halte ahn umb bericht desen
vUxStWr ich bericht von euch begert. Auch welches ich ehr-
Ui<AhU vergessen, wollt ich gern wissen, ob ich in der dedi-
v^atiou altvattern soll ein praefectum generosi nostri so ge-
Jitorben ist^) heisen oder wie ichs machen soll; bitt doch
wollt solches mir sampt allem andern zuschriben. Die ursach
davumb ich so eyle, macht die kurze zeit, die mir hir noch
sein werden und dieselbe gar ungewiss. So ihr aber villeicht
den prieff nicht bekommen, so must er von Schlum Juden
von Minzenperg, welcher feil feil trägt, zu fordern sein. Hoff
derhalben in kurzen tagen uf das darumb ich geschriben,
und wollt mir doch ein kuchen oder zween schicken, denn
vill mit ausrichten kann. Köndt ihr darnach widerumb über
14 tag, so ich disputiren werde, wider ein hübschen schicken,
den ich zum convivio habe. Euch allesampt Gott bevohlen.
Datum in eyll, Marpurg d. 1. augusti a. 1610.
Der ander briff ist nicht datirt gewesen, ist aber den
21 julii gegeben. So ihr villeicht nicht haben wollt, das ich
disputire, kann solches nicht umgewendet werden, denn schon
Goclen die theses gesehen und ich ihn gesprochen, den ich
gemeint, ob ich schon solches euch unbegrüst thete, es würde
recht sein, weil mir alzeit sein dazu vermahnt worden.
57* Disputation« Kosten* J. Conrad. Kleidung. — 1610 Angr. 4.
1610, Freundlicher lieber vatter. Ewer schreiben sampt bey-
-4i^. 4. ligendem gelt hab ich woU behändigt bekommen und aus
dem schreiben ewer geschehene resolution verstanden. Thue
mich derwegen zum ersten entschuldigen, das ich einen un*
*) Graf Otto von SoIms-HuDgen war am 23. Juni 1610 bei Mols-
heim gefallen. S. n. 32.
datirten und nicht bezeichneten brief an euch geschickt, denn
solches aus unwissenheid geschehen, denn der brief des abends
geschriben, welchen ich des morgens hab wollen concludiren und
warten, ob mir underdes noch etwas würde einfallen, aber des
morgends in der eyl ohn beygesetzt datum versigelt. Hab so
bald dran gedacht und leichtlich gemerkt, es würde irthumb
geberen und drumb hirnach noch ein zettel hinab geschickt, da
ich ihn gesezt hab. Mein disputiren anlangen thut weis ich am
besten was zu thun ist, denn ich ja alle tag sehe studiosos
disputiren, gegen welche ich mich halte, und darumb wol
schlissen kann, was mir zu hoch oder zu wenig ist. Die
Ordnung derer dedicanten will ich halten und kann ja nichts
schaden, so ich euch darbey setze. Das convivium belangend
kann ich das fleisch dazu beym mezler nehmen, so hab ich
noch botter und dürrfleisch ; die andern gericht kann ich auch
hie bekommen, so ich allein von euch ein fein paar kuchen
bekomme und ein nessel gesalzen botter. Sonst weis ich
nichts. Der wein gilt 9 albus hie, mus ich allzeit ein mas
oder 12 haben ; köndt ich mit weniger davon kommen, wollt
ichs gern thun. Dem trucker geb ich 3 ^h reichsthaler, einen
zu 44 albus. Mit dem Goclenio hab ich getruncken 1 halb
virthel weins, da er die theses durchsähe ; item den trucker-
gesellen 18 albus. Könnet derwegen underdes uf Niclasen
botschaft acht geben, die ihm sein essen bringen werden,
und mir damit noch ein gülden oder 5 schicken. Item die
kuchen und so ihr etwes sonst in ewer haushaltung hettet,
das ich gebrauchen könte, wollet mir solches auch schicken,
sey was es wöll. (Könnet^) es ein hoher gemahlter kuchen
sein, wer mir so vil lieber und ehrlicher, doch die anderen
unveracht). Meine theses werden den nechstkünftigen mit-
wochen den 8. augusti fertig, so werde ich innerhalb 14 tagen
disputiren. über 4 wochen hat unser tisch ein ende, achte
alsdann mit euch vor gut, zu euch zu kommen. Ihr habt
auch hie die quittung der 7 reichsthaler zu empfangen. So
wird ja Johan Conrad auch ohn zweiffei nun auch disputiren,
denn sein vatter ihm deswegen geschriben und vermahnt
^) A. K. nachgetrageo. Or.
384
hat, weil ihr im gesagt^ wie ich ebener gestalt disputirM
wolle. Wie wollet ihr dann mich (ignosce) abwendig und
zaghaft machen. Hettaber solches nicht gethan, wo er nicht
durch mein exempel wer bewogen worden. Wird derhalben
nun auch widerumb botschaft vonnöten haben, die ihm gdit
bringe, welcher ihr geniessen könnet, oder ja so mir das
convivium könneten mit einander und uf ein mahl halten,
were desto besser und ertreglicher. Solches wird die zeit
geben, ob sichs schicken werde oder nicht. Ich hab mir
müssen ein paar strimpf vor 36 albus ausnehmen und dieselben
bezahlt, denn ich die newen nicht alle tag mögen anzihen«
Sonst meine kleidung belangen thut, will ich mich behelfen,
bis ich nach haus komme, da sie gebessert können werden«
Ich hab im lezten schreiben gefragt, ob ich generosi comitis
Ottonis bey altvatters nahmen gedenken soll und habs gethan,
denn ich mehr exempel, da gleicher fall mir ist, in thesibas
gesehen und gelesen. Dismahl weis ich nicht weiter zu
schreiben, sondern will mich nun alle tag zur disputation
schicken, euch aber alle sampt mir thue ich in Gottes schnz
bevehlen. Datum Marpurg den 4. augusti a. 1610.
58. Dank. Anschlag der Thesen. Unterschied des exercitii nnd
magisterii gratia Dispntirens. — 1610 Aug. 9.
^öiö, Salutem plurimam. Freundlicher lieber vatter. Das
^' ' ich mit wenig Worten den anfang und eingangk meines
Schreibens mache, befinde ich nichts mehrers bey mir, and
da ich mein gemüt auschultire, dictirt und gebeut mir dasselb
nichts höhers und vornehmers, dann das ich mich mit gröster
und heyligster dancksagung und kindtlicher demut zu euch
verfüge und uf das fleisigste mich bedancke, das ihr under
und beneben so viel haus und amptsgeschäfften, sonderlich
iziger zeiten, meiner ingedenck und dran seid, das mir nichts
an dem so zu ehren und notthurft von nöten mangelle ; solches
alles wie ich es zum fleisigsten erwege, also soll es in keiner
zeit von mich vergessen und hindann gesetzt werden. Nun
aber, ob ihr woll die Muschenheimer botschaft nicht so gar
füglich habt können gebrauchen, hat solches nicht noch hoch
ä85
noth, denn ihr ohn zweifFel noch potschaft mit Johan Conraden
haben könnet, mit welcher ihr mir das übrige gelt vollendt
schicken könnet. Diessen ducaten aber belangend geht er
gar gern vor 2 frankfurter gülden 16 alb. aus. Das ich aber
weiters etwas von euch begere, dacht ich irgend, es solt bey ^)
euch feiste hämmel haben ; wo nicht hats kein gefahr, ich
wills hie bekommen wie es hie ist. Was mein disputation
anlangend schlag ich dieselbige nechsten sontag den 12 augusti
nach gewonheyd vor die kirchen ans brett. Über 6 tag her-
nach, nemblich den 18 augusti, wird die disputation gehalten,
wo nicht, quod Deus avertat, ich oder der praeses schwach
oder irgend ein anstos von publicis negotiis bekämen ; weis
aber gar nichts, das uns hindern möchte. Könnet derhalben
den freytag zuvor, den 17. nemblich, oder wann ihr ein wenig
zuvor potschaft habt, was ihr mir schicken wollet, anhero
bringen lasen. Und wann ja Johan Conrads potschaft viel
eher sollt heruff gehen, könnet ihr mit derselben zum we-
nigsten das schicken, was sich ein zeit lang halten lis, und
solltet ihr der kuchen halben eigen potschaft nemen, könnt
ihrs gar bleiben lasen, wann wollt dann der kuchen halben
ein eigenen boten herufFschicken. Ich wollt euch ein exem-
plar von meinen thesibus geschickt haben, weil sie aber noch
beym trucker und mit der nacht gewesen, das ich das
schreiben uberliffert, hab ich sie nicht bekommen können ;
werdet sie zu anderer zeit bekommen. Hiernechst fragt ihr
und begert grundlich zu wissen den scopum und intent
meiner angestelten disputation, ob sie exercitii oder magi-
sterii acquirendi causa angefangen sey? Darauf geb ich euch
zur andwort, das, ob man woll in disputiren entwedder ad
exercitium oder ad magisterium sihet, werden doch dise zwey
stück nicht re ipsa underscheiden, dann man woll exercitii
gratia disputiren kann und doch daruff honorem magisterii
petiren. Das aber die studiosi in ihren disputationibus bis-
weilen des exercitii gedencken, sehen sie doch auch zu
Zeiten primario uf magisterium, denn es nicht gebrauchlich
^) bow Or.
N. P. Bd. XXllI. 25
386
ist des magisterii gedenckeii, quia est Signum ambitionis,
aber exercitii gratia est signum modestiae, ob schon ander
solchem schein ein adspiratio ad magisterium verborgen ]igt
und mit dem wort exercitii gratia verdecket wird. Das nun
hinwiderumb die studiosi solches verhalten, geschieht viiler
Ursachen wegen. Erstlich das sie nicht gern haben, das
andere wissen villes vexirens halben, sonderlich wegen des
baccalaurei, wie sie es nennen, welcher grad gar verächtlich
ist, und mus einer bis uf die zeit des magisterii, nativitatis
Christi, also genant werden. 2. können viel Ursachen and
inopinati casus darzwischen fallen bis zu der zeit das einer
irgend nicht promovirt, wegen abzihens, schwachheyd oder
anderer zufall halben. Hat deswegen nicht gern, das am
tag ist gewesen, das er hat wollen promoviren. 3. Ettliche
halten es verborgen wegen der untuchtigkeid der person,
armut der lehr und erudition, welche sie underdes noch za
acquiriren sich understehen. Hat also einer jede zeit macht
zu thun wie er will, wo er sich noch nicht anzeigt und des
magisterii gedacht hat, abzusehen oder zu promoviren, sonder-
lich wo er sieht, das wenig competitores da sein, die mit
promoviren, oder aber das alles sehr thewer, welche zwey
izt alle beydes im weg stehen. Denn beyds wenig und schlecht
bors vorhanden ist und auch alles thewer, welches wegen
es hoch hinaus laufFen wurde. Nun mich belangend, ob ich
wohl uf und ab gedacht hab, ich das exercitii gratia dabey
gesezt, also vorbehalten zu thun wie man will, auch nicht
das ich eben mit dieser disputation wollte gradum petiren,
denn ich mich noch nicht hinforo nicht zu disputiren ver-
lobt hab. Zum beschlus : exercitii gratia disputiren ist exer-
citii und magisterii gratia disputiren und verbindt keinen,
aber dabey gesetzt magisterii gratia disputiren, ist woll auch
exercitii gratia disputiren sed respicit et praesupponit exe-
cutionem et eventum, ut de facto pro magisterio dispatasse
dicamur. Dieses ist mein in dieser geringen sach resolution. • —
Von brieffzeigern hab ich verstanden, das ihr jacturam eines
pferds et quidem nobilissimi gelidden, welches mir nicht
weniger als auch euch leyd ist. und wünsche hoffend, Gott
387
wolle solchen schaden und riss erstatten und an einem andern
ort ersezen. Nechst kommenden sontag haben wir mercatum
anniversarium s. Laurentii. Man will sagen, es wolle Mau-
ricius Hassiae lantgravius seinen kindtaufF von Cassel naher
Marpurg allhieher transferiren und celebriren. Dismahl nichts
weyter als dem lieben Got alle bevohlen. Mater (!) cum
patre cunctisque domesticis a me salvere jubemini. Datum
Marpurg, den 9 augusti anno 1610.
Könnet ihr ein häslein bey euch bekommen, solchen
meinem praesidi zu ehren ufzusezen, oder ein paar junge
gänslein, so sie zu bekommen, was köndt es schaden ?
59. Dank für Sendung. Briefbestellung. — 1610 Aug. 18.
Salutem plurimam. Freundlicher lieber vatter. Ewer ^^^^»
schreiben sampt dem gelt und essenspeis hab ich gewünscht
empfangen, also das mich dasselb gar nicht ufgehalten hat,
will also daselb zurichten lassen, das ich hoff damit zu be-
stehen. Hie schick ich euch ein exemplar von den thesibus,
die andern will ich etwes rein inbinden lassen und sie mit
mir bringen. Ich hoff mit dem gelt genung zu haben, wes
ich bedarff noch zu kauffen. Hie schicke ich dise kragen
uf ein forsorg, welche ich nicht vil zu tragen gedencke, so
ich nicht mus, hab noch einen hie uf die weg behalden. Ich
hett nicht gemeint, das Dimpel so segnis solt sein, den brieff
zu lieffern, sonderlich da ich ihn so officiose gebeten und
bitten lassen, solchen mit einem eigenen boten euch zuzu-
schicken. Aber es ist nicht wunder, er hats mehr und anderen
auch gethan. Der briff aber den ihr schreibt, das ihr ihn
vom Judden noch nicht empfangen habt, wird der sein, den
ihr newlich geschriben, das ihr ihn von einem Bellersheimer
empfangen habt. Innerhalb 14 tage hat unser tisch ein ende.
Ncwes dismahl hab ich nichts, also das ich mit disem meinen
briff schlisse und euch allesampt in den schuz Gottes bevehle.
Datum Marpurg, den 18 augusti anno 1610.
25'
388
60« Disputation« Wünsclie. Unkosten der Magisterpromotion« -^
1610 Sept. 3.
1610y Salutem. Gehorsam, kindliche lieb und trew euch zu-
^ ' ' vor sampt wündschung alles guten. Freundlicher lieber vatter.
Ewer resolutori an mich abgelauffen schreiben hab ich mit
groser begierd erwartet, mit höchsten fleiss gewündschet und
mit gröster frewd empfangen, darauss ewern sinn und mein-
ung wol verstanden. Geb euch hiemit zu verstehen, das ich
wol das gelt nechsten freytag zu mittag haben müst, hab
aber bey decano paedagiarchae erlanget, das er mit mir kein
noth haben soll, wo es nur nechst erleget werde, an welchem
ihr nicht gebrechen werden lasset. Denselben freytag*) von
11 bis 2 muss ich trey stundt schwizen und hie von einem^
dort von einem anlauff erwarten, welche auszustehen Gott
mir gedult verleihe und verstand, geschicklichkeit und sein
segen. Mein kleyd kann ich underdesz noch wol machen
lassen und will es uf die mesz zu bezahlen ausnehmen.
DörfFt aber die haube nicht mitschicken, denn es der gebrauch
nicht ist; allein schicket mir eine von den zween gülden
krüngen ^) oder binden, allzeit die gröste, und dazu ein kränz
mit eychelln^ denn ich sehe hie was üblich und bräuchlich
ist. Mein ja altmotter würde zu solchen meinen ehren mir
einen von den ringen, die sie uns gezeigt hat, schicken oder
schencken ; wüste nicht mit was ausschlag sie solches wegem
könde oder abschlagen. Es ist noch zweivels voll, wie bald
und gewiss die promotio sein werde, allzeit ist dieses gewiss,
wie ich izt von decano verstanden, das sie noch vorm Christag
sein werde; will derhalben alsdan, so ich widder potschaft
bekomme und der sach underdess gewisser werde, euch zu-
schreiben, das ihr alsdann mitsampt altvattern anhero kommet
und solche solenniteten sehet und zieren helffet. Erwarte
aber von euch mit nechster potschaft das gelt, welches ich
halt specificiren will, ein ring, mein mantel, die geflechte
binden mit einem eychelln kränz. Wann der knecht widder-
1) Sept. 8.
') Vgl. kringel, krengel = circulus, ambitus, Frisch.
389
umb wird herufF gehen, pitt, wollet ihm doch ein faslin mit
wein von einer mas oder 8 schicken ; köndt ihr dazu etwas
von wildpret bekommen, wer so viel so besser. Könte ich
mir damit freunde machen, nicht zwar sie zu bestechen,
sondern ihn eine angetragene benevolenz zu remunerieren.
Partitio pecuniae: 9 reichsthaler (et quidem reichsthaler) zum
examini; Ve reichsthaler alsdan dem pedellen vor seine mühe;
1 reichsthaler dem oratori, der mein declamation revidiret
und bey derselben ist wen sie gehalden wird ; ^/a thaler die
theses zu trucken , die publice noch disputiret werden ; 2 g.
zum convivio, das nach derselben disputation gehalden wird ;
1 g. vor fackeln und feldtz eichen dem jungen der die fackel
trägt ; 1 reichsthaler oder ungefehr in der contribution zur
Verehrung, die dem promotori offeriret wird; 6 oder 5 g.
zum convivio promotoriali, welches ungewiss, nachdem es
verdingt wird. Lauffen noch ander incidentia mit ein, als
nemblich Verehrung dem cantori, der uf dem actui pro-
motionis musiciret, Verehrung den zinckenpläsern etc., welches
alles ich euch specialius sagen werde, so ihr hieher kompi
Pitt derwegen in disem fall, als* in meiner hochzeitstewer,
ewer liberalitet und zuthätigkeid sehen lassen und zu solchen
ehren mihr nichts mangeln lassen. Könnet mir schicken,
was ihr könnet und wollet, soll euch ad teruncium usque
verrechnet werden, allein das ich in allem wo es auslegens
gilt bestehen könne. Werdet derhalben aus diesem meinem
entwerffen sehen können, was euch heimfallen wird, ich an
meinem ort will thun quod est in viribus. Und ^) wags Gott
vollbringe es. So underdess was nöhtigs würd vorfallen,
will ich mit künftiger gelegenheyd, so in 4 oder 5 tagen
mir zukommen wird, euch zuschreiben. Euch allesampt mit
mir göttlicher protection empfehlend. Gegeben Marpurg,
3 septembris anno 1610.
NB ! Pitt ganz fleissig, so altvatter noch nicht kommen,
mit altmottern in die canzley jemand zu schicken und mir
doch ein buch papier oder 3 geben, den es allhie nichts
taugt, und ich solches sehr zu brauchen benötigt.
^) Das Gesperrte im Or. mit grossen Buchstaben.
390
61. Ankunft. L. Moriz. — 1610 Sept. 27.
leiOy Lieber vatter. Wir sind frisch und gesund zu Marpurg
^' 'sontag^) umb 9 uhr ankommen, daselbst so bald bey unser
alten köchin eingezogen, und mach ich den anfang im kochen.
Unser sind 10 : 2 Löern, 2 Fabricii, 2 Busii, 2 Leuresii, Lis-
feld, Gribius Wilfersheimensis. Es kocht einer 14 tag. Die
zwo kannen, darinnen honig und latwergen innen gewest,
sind umbgestürzt, welches, so ichs schon verhelen wollte,
würdet ihrs doch an der laden wol sehen. Und haben also
das ander so dabey gestanden, etwas beschmiret, hat aber
kein noth, wann der schade nicht geschehen were. Das buch
beim Schreiber könt ihr abfordern und mir mit gelegenheyd
zuschicken. Landgraf Moriz helt hoff hie, besucht und träwet
die lectiones fleisig zu besuchen, welches denn die professores
embsig zu lesen und die auditores fleisig zu sein incitiret
Diesmahl weis ich nichts mehr zu schreiben, denn ich wegen
der kürze der zeit nichts erfahren ; so weis ich dismahl auch
nichts darumb ich weyter schreibe, so mir in kochender zeit
nichts einfeit. Es ist allhie noch kein new wein gewest,
würd aber heut sontag ankommen und ohn zweivel under
6 albus nicht verkauft werden. Gott bevohlen. Gegeben zu
Marpurg, den 27 septembris anno 1610.
62. Vnltejus. Rechtsstudium. — 1610 Okt. 27.
1610, Freundlicher lieber vatter. Ewer schreiben beysampt
dem gelt hab ich von Simon dem hotten wol behändiget
empfangen, und meine es werden die darin liegenden boesen
Pfenning in ihrem werth mit anderen vortkommen. Altvatter
hat mir occasionem gemacht mit izigem schreiben, das ich
zu domino Vultejo bin kommen, wie er dann in gleichem
auch mich ihm trewlich und fleisig commendiret hat, welches
ich bey des aus copia seines an d. Vultejum schreiben in
meinem brief mir mitgetheilt, dann auch selbst aus doctoris
verhalten gegen mich verstanden hab. Dann weil er aas
Sept. 23.
391
avi schreiben verstanden, das ich werde nunmehr ad Studium
juris mich begeben und darinnen seines consilii et manu-
ductionis benöthigen, als hat er, doctor, wie ichs angreiffen
lind compendiose pertractiren soll, mir sehr wol zu verstehen
gegeben. Es hat auch altvatters Vorschrift vor mich so viel
zuwegen gepracht, das er, doctor, mir hinfüro einen frey-
willigen und liberum accessum ad se wollmeynend vergönnet
und gestattet hat. Wegen welches alles ich nicht wüste,
was mir liebers und angenemers hett wiederfahren können,
und hoffe auch, ich wolle mich darinnen wol reguliren und
caute verbanden, das solche von altvattern gegebene Vor-
schrift und von ihm doctore angebottene benevolentia wol
angewendet gebrauchet, mir aber zu keinem nachtheil jemals
gereichen werde. Halte also davor, ich werde mein pecunio-
lam, welches ich gehabt, an bücher anlegen, die er doctor
mir zu kauffen und anfenglich zu prauchen genennet hat.
Und pitte demnach lezlich, wollet doch bey notario Zuckelio
anhalten, das ich das mir von dem keller vergönte buch
füglich möge zur band bekommen, das ich das decretirte
werck ad opus bringe. Thue euch hiemit alle in den schütz
Gottes des allmechtigen trewlich bevehlen. Gegeben zu
Marpurg, den 27 tag octobris anno 1610.
63. Bücliorkauf. Magr. Sprenger. Vultejus. Mantel. — 1610 Nov. 2.
Freundlicher lieber vatter. Ewer ahn mich gethanes l^^O.
schreiben ist mir wol zu banden kommen und daraus ein-
geführte Sachen wol verstanden. Geb euch derhalben hiemit
widerumb zu wissen, das was die mir von doctore Vultejo
angegebene bücher belangen thut, ich dabey auch domini
niagistri Johannis Heyderici Sprengeri ^) rhat gelebet, und haben
sie beyde in communicando consilio ubereingestimmet. Hett
auch, wie dann ewer schreiben meldet, mit dem bücherkauffen
*) Aus Marburg, wurde 1603 in Herborn eximii-t. S. v. d. Linde,
Nassauer Drucke S. S. 212 n. 1080 (juristische Thesen v. 1604), S. 294
n. 1797 (Gedicht auf seine Hochzeit am 13. März 1610) und S. 372 n. 63
(Inimatiikulation des Mag. J. H. S. Marpurgensis, secretar. Hadamar am
4. Mai 1603).
392
eingehalten, wo ich nicht gegenwertige gelegenheyd mit
Sprengero angesehen und er selbst solche za kauffen mich
nicht vermahnt hette. Das ihr aber wissen möget, was es
vor eine gelegenheyd habe, das ich hierinnen magistrum
Sprengerum bemellden thue, könnet ihr hiebey verstehen,
das sein herr der hochwolgepome grav, herr Johann Ludwig
von Nassaw, sich bey ihrer fürstlichen gnaden zu hoff be-
geben und also diesen winter allhier verharren würd. Wenn
dann er, gemeldter Sprengerus, auch hie bleiben würd und
oft bey uns ist, als hat er, nachdem er mein vorhaben in
studio juris vernommen, in betrachtung der freundtschaft, so
er verschienen mit altvattern gemacht, in betrachtung auch
des kellers und ferner zu Wohlgefallen euch selbsten, letzlich
auch ihme zu einer kurtzweyl und die zeit zu vertreiben, mir
aber zu nutz und beforderung, sich erpotten, diesen winter,
wenn er hie ist, ein tag 2 stundt mit mihr zu halten,
und darinnen mit disputiren in dem was vor mich ist also
handeln und verfahren, das ich keinen schaden, räw oder
missfallen daran haben werden soll. Dieses aber uff das
füglichst und förderlichst anzufangen, wie er schon hat an-
gefangen, hat er mihr solche bücher zu kauffen bevohlen,
und ist gantz nichts daran gelegen. Denn erstlich solche
bücher, weyl sie frisch und new, würdt sie ohn zweivell alt-
vatter nicht haben; zum andern so seins nur trey, welche
ich vor 2 gülden gekaufft und bezahlt habe ; zum dritten ge-
sezt altvatter hett sie gehabt und mir gegeben, wollt ich sie
doch gekaufft und mir zu eygen erzeyget haben, dann nisi
prius mihi esset cautum und ich sie heute oder morgen wie
zu befahren ist, wider herausgeben sollte und ich alsdann nichts
haben. Hieran aber gar viel gelegen ist, das einer ein buch,
darinnen er allzeit gelesen und ihm bekandt gemacht, allzeit be-
halte, das er wo ein jedes anzutreffen sey, accurate wiesse, mehr
als wann mit büchern viel variieren wille. Was ihr weydter
wegen doctoris Vulteji gemeldet, will ich solches uff weyter er-
kundigung deponiren ; allzeit das wahr ist, gelt nicht so sehr als
anders etwas von frucht oder wildprätt ihm gefallig sey. Das
bey euch liegende buch, wo nicht mit kurtzem Nicolaus hiruff
393
zihen würdt, wüst ich nicht, wann nicht andere gelegenheyd
dazwischen fiele, wie mir es füglicher könte zukommen als
mit der Bellersheimer fuhr, welche in 14 tagen ohne zweivell
hieruff kommen würdt, derer ihr euch zu erkundigen und zu
geprauchen hettet. Ewern alten mantel belangend, hette ich
ihn wohl so paldt zurück geschicket, wann ich nicht gesehen,
das er bey unstetem wetter, item abends zu tisch zu tragen
und den andern zu custodiren dienlich were. Gleichwohl wo
ihr solchen zu haben und zu prauchen willens, soll dies izt
angezogen mein vortheil ewern nutzen oder notthurft nicht
ufhaldten. Habt also ufF diesmahl dieses von mir zu einem
widerantwortlichen schreiben, in welchem so ich ewers
hoffens und begerens nach mich mit wiedderantwort nicht ver-
halten, werdet ihr mich, so ich das schreiben ahn altvattern
und dann mein ufF Johann Conradts disputation studieren
einwenden werde , gnungsam entschuldiget halden. Thue
euch hiemit in Gottes gnaden und gnädigen schuz trewlich
bevehlen. Gegeben zu Marpurg, 2 novembris anni 1610.
64. Sprenger. J, Conrads Disputation. Promotion. Bruder Karl.
Aus^abenrechnun^. Wünsche. — 1610 Nov. 19.
Salutem plurimam. Freundlicher lieber vatter. Ewer ^^^ jg^
schreiben sampt einligendem gelt und beygeschickten büchern
hab ich wol behändigt empfangen, und hoff ich dieselbigen
sollen zu meinem nutz und guetem gebrauch gelangen. Vor
solches Studium und operam, die ihr anwendet mich zu pro-
moviren, sag ich euch höchsten danck und will solches in
der that scheinlich beweisen. Geb euch weytter hiruff zu
wissen, das ich mit mag. Johann Heydderich Sprengern vort-
fahre die stundt zu halten, wie er angefangen, mir die in-
stitutiones juris zu expliciren und dann nach demselbigen
horam in lingua Gallica zu halten ; hoffe derselbigen mühe
werde ich kein räuwhe oder diffidentz haben. Johan Conrad
hat vor 14 tagen disputiret, ich hab ihm opponiret, daruff
haben wir ein excellenten zech gehabt, dabey paedagogiarcha
Goclenius, Combachius ^) professor philosophiae und unser
') Vgl. Düich ed. Caesar 4,33.
394
privatus^ mag. Heinzenberger^ ein magister so im haus wobnt|
magister Bachmannus, Busius : dieses alles über Joban Conrads
beuttel, wie in gleichem mir auch geschehen. Aber nicht
genugsam kann ich euch schreiben, mit was treiben, anhalten,
persuadiren, er^) an mir gewesen, das ich promoviren solle^
mit Vertröstung er wollte das beste thuen, und muhet mich
auch noch^ das ichs nicht gethan, wo ihr nicht dawidder ge-
rathen. Und gleichwohl wird Venator promoviren, der mit
mir eximirt ist und noch nicht disputirt hat; item andere
mehr die meiner studiorum socii und aequales gewesen sein.
Die promotion wörd ungefehr in 4 wochen sein, und komme
ich zu dieser nicht, ist doch uff instehenden lenzen eine
zu Heydelberg, davon altvatter geschrieben, dazu so ihr nicht
lust habt, ^) kann ich warten bis über ein jähr und under-
desz mein facultet studiren. Und da ihr lust dazu habt^ will
ich mein gelegenheyd darnach richten, das ich uff das end
dieses winters ein disputationem ethicam halte, die doch
nicht so viel kosten sollte als diese. Beger davon ewer
guthincken, wenn ihr wollt, zu vernemen. Ich het gewollt,
das am nechsten mahl, da mag. Ehwaldt, mit der kuthsch den
Junckern hieher gepracht und deponieren lassen, dass Carlen
zugleich wer mitgepracht und deponiret worden. Kann zu
anderer zeit geschehen, nemblich mit kellers knecht, wenn
er Johann Conraden würd essenspeis herführen. Und will
hiebey gepetten haben, wollt euch solches gefallen lassen
und uff dieselbe zeit hierhero schicken, will ich ihn, weyl
ich kundtschaft mit den pedellen hab, deponiren lassen. Und
wüst ja warlich nicht, das ich ewers gedinngs auch gedencke,
ob ich ihn nicht ebener gestalt oder geringer wollt haben,
denn so ich itzt 10 tage vor ihn gekocht hett, hett er ein
halb jähr zu essen gehabt. Und sehe ich an meinem ort
es vor nützlich ahn, das er in kurzem hierher käme, denn
er vermercklichen sollt bey mir profitiren ; so were er ja auch
an einem frembden orte, da ehr allerhand sehen und selbst
eines frembden lebens gewohnen könte, Stells gleichfalls zu
*) Goclenius.
») hat Or.
395
ewerm guttünken. Wir haben mag. Compachium zu einem
privato und sein unser 18, darunder 4 Ungarn, grose alte
bartichte kerlen von 40 jähren. Die andern sind alle feine
stattliche gelehrte studiosi.
Ratio expensi über 11 V2 gülden gelt. Erstlich zum
kochen: 2 g. vor hier von einem fass und das hier zu tragen,
item 7 mas ; 18 albus mein mehl zu backen, und weyl ich
mit meinem mehl nicht gelanget, habe ich noch vor 14 albus
kaufen müssen, denn unser 12 sein; 20 alb. 4 mahl
sillzen, jedes mahl vor 5 albus ; 6 alb. 2 mahl platteisen, ^)
jedes paar 1 alb.; 3 alb. weck in milch; 9 alb. milch zu
weckenmilch, reisbrey und haferbrey; 6 albus essig in seel-
gereed, linsen, wursten etc. ; 2 albus sawerkrawt ; 2 alb. 2
mahl rüben, mihrn ; 4 V2 alb. seelgereed, 20 ^ beringe 8 alb.
V2 mas botter, 2 alb. licht, 1 alb. zwibbeln, 1 /di hafermeel,
2 ^ gersten. Summa 5 g. 16 alb. b ^. — Paratitia Wesen-
becii 18 pazen ; Comineus historicus 5 bazen; jurisprudentia
Romana Vulteji 7 bazen ; institutiones juris Crispini 16 alb. ;
ethica Danaei christiana 18 alb. Summa 3 g. 7 alb. —
9 alb. mit dem knecht verthan, 14 ,d\ einem mann, so die
laden helfen transportiren ; 10 /Sj krappen ^) an mein hosen ;
1 alb. 1 ü castanien ; 2 bazen ein piccendilgien ^) uff mein
new wambs zu machen ; 18 ^5^ handschuhe ; 7 alb. ahn meinem
instrument etwas lasen machen; 10 ^ seydten; 4 alb hier
cxtraordinarie; 12 alb. 1 halb virthel wein mit unserm ma-
gister zu introitu. Summa 1 g. 16 albus. — 14 .^i eine
bürsten; 5 alb. catechismus und münzordnung; 2 alb. schwerzen;
3 alb. zu Martini über unserm tisch neben andern vortheylen
verthan ; 6 alb. mit Sprengero ein mas wein verthan. Summa
17 alb. 6 ^ : summa 11 g. 13 alb. 3 ^. (Uff*) dem marck
10 alb. vor ein halb elen leinwat, 8 /Sj nadeln und speenadeln,
^) „Plattoisen oder Schollen," Taxordnung von 1622.
2) Ilakon, vgl. Limburger Chron. od Wyss (M. G. D. Chron. 4)
S. 52,13: Disolbon lorsen (Hoson) hatten krappen, einen krappen bi dem
aridorn von dor grosHon zohen an bit oben usz.
^) ychnüreV vgl. cannetille, cantillen, gewundener Drath, Achsel-
troddoln.
*) UiT.— spizen a. B. nachgetragen.
396
3 alb. spizen.) Bitte wollt doch bey altvattem Dach diesen
2 büchern fragen. Erstlich lexicon juridicum Schartii, 2.
Bodinus de republica. Wolle ihm, wie billig gewesen were,
zur dancksagnng dismahl geschriben haben, aber weyl ich
besorgt, er würde schon hinweg sein, 2. weyl ich ihm newlich
nach einander weytläuftig 2 mahl geschriben, 3. gesezt er
sey noch daheim, er doch wegen vorstehender reisz meines
Schreibens nicht abwarthen. Doch zum 4. ich uffs ehest mit
gelegenheid, was mir gebüren ward jegen ihn, ich mich
schriftlich zu erkennen verheise und gelobe. Mag. Sprengeros
ist dismahl nicht hie sondern in der eyl nach Dillenporg
geritten, aber sein herr ist und bleibt hie, so wird er ufe
kürzst Widder kommen, soll altvatters schreiben ihm präsen«
tiret und er, altvatter, widerantwort bekommen. Keine ca-
stanien sind dismahl zu bekommen gewesen, doch so halt
ihrer ankommen, will ich 4 oder 5 ß bey mich kaufen und
euch füglich zuschicken. Innerhalb 8 tagen wird fuhr von
Beilersheim heruff fahren, könnet derselben, si quid ad me
scriptum velis geprauchen. Hettet wol dismahls ewers gueten
weins ein fläschlin schicken können, denn mir allhie elende
wehr haben. Kann uf ander mahl geschehen. Und wollet
des nechstgedachten puches nicht vergessen. Und thue euch
allesampt in Gottes schuz bevehlen. Gegeben zu Marpurg,
19. novembris in die dominae Elisabethae anno 1610.
65« EJiitrcteu von Ooclcnius fär Bewerbung mn die Ma^isterwärde«
1610 Nov. 25.
1010, Freundlicher lieber vatter. Ewern Wohlstand und gesund-
' heyd zu vernehmen, was köndte mir liebers und angenehmers
sein? Daran ich nun nicht zweivellend begehre desgleichen
von mir zu halten und zu wissen. Und daneben euch nicht
perrgen wollen, wasser gestalt in nechstverflossenen tagen er
paedagogearcha ein schreiben an euch abgehen lassen, da-
rinnen umb ewern will und consensum angehalten, dass wir
mögen competitores bonorum magistralium uns einstellen
und deshalben auch die zeitt ettliche tag lang zurückgeworffen.
Solches nun alles ist mir unwissend geschehen und mir beyds
397
angenem zum theil auch ungelegen zu hören gewessen. Ein^
mal das er sich unserer so hoch annimpt und uns zu be-
förderen re ipsa testatur; widderumb das er mit solchem
seinem schreiben so lang verzogen und die zeit zu nahe
herbey hat fliessen lassen. Dieses alles nuhn, es sei ge-
schehen in waserley gestalt und condition, hoffe ich doch
gentzlich, ihr werdet solch schreiben erkennen und erkandt
haben, also das ihr vor dem termin, den er euch ohn zweivell
drinnen gesetzt, ihr widderumb an hierher ewer meinung
und Sentenz bringen lassen, denn es wol wunderliche deutung
bey ihm finden möchte, das ihr uff sein schreiben so still
gehalten und nicht widderantwortliche erklerung zugeschickt.
In erwegung dessen, auch in befahrung seiner jegen uns
ungehaldenheyd, als das wir mit unserm stillschweigen und
keinen bescheyd solche solenniteten wollen hinderen odder
ufflialten, hab ich nicht umbgehen wollen, euch deswegen
zu schreiben und zu pitten, das wo ihr ewer meinung de-
cretiret, dieselbe uffs kurzste in waserley qualitet zu tag und
nacht anhero sendet, in allen andern einen besseren fortgang
zu haben. Und zwahr wüste ich nicht, was es ufhalten könte,
was mich anlanget, so hab ich meines gleichen. Ex parte
vestra nullum adeo est impedimentum, so ich einen gülden
oder 30 hette ; kleydung wollt ich hie ausnehmen, uf die
mess zu bezahlen, und in Gottes nahmen solch ufstehend
glück annehmen. Denn was kleydung anlanget, müsste ich
mich ja dahin richten, das ich anderen, die mir gleich, höher
und geringer seyn, proportionaliter gelte. Werdet deswegen
meine meinung hiemit verstanden haben und dargegen mir
ewere unversäumblich zu tag und nacht zuschreiben und
damit euch selbsten zu berühmen, meinen nuzen aber nicht
ufzuhalten, nicht begehren. Und so ihr in meine meinung
incliniret, müstet ihr mir meinen mantel und futterduch hieher
schicken, das ander will ich nach notturfft, nach gelegenheyd,
nach notturfftigem wohlstandt und nach erforderung solcher
ehren all hie woll verschaffen. Diesem sey nuhn wie es wolle,
so werdet ihr in betrachtung der geringen zeit ganz forder-
lieh mich wissen lassen, wessen ich mich in einem odder
398
dem andern theil zu verhalten haben werden solle. Thae
euch allesampt hiemit göttlicher allmacht bevehlen. Gegeben
Marpurg, den 25. novembris anno 1610.
Die promotion wirdt sein die woch vor dem Christag
odder hat euch paedagogearch ein anders geschrieben^ weys
ich nicht.
G6. Einladnng zur Promotion. — IGIO Dec. 11.
IGlO, 1). Zwöllff thaler, darunder 2 königsthaler^
10 reichsthaler, item 10 g. klein gelt hab ich sampt dem
mantel und binden ohne brieif wol empfangen und behendigt
bekommen^ solches zur rechtmesiger ausgab zu pringen. Und
ist nun an dem, das ich euch zu solchem meinem ehrentag
lade. Wollt gern altvattern sonderlich durch schreiben ge-
laden haben, aber wegen vieler geschafft nicht gekönt, wollt
ihr derwegen meinthalben solche spartam uf euch nehmen,
ihn laden und mittwochens abendt vor dem Christag*) all-
hieher mit euch pringen. Was ihr vor gute kleyder habt,
köndt ihr wol mitpringen, nemblich ewern trawermantel, dasz
Brückisch borchen kleyd, denn er, princepS; item andere
graffen und freyhern daruff geladen werden. Pitte derhalben
nicht allein ganz Heisig, sondern begere auch ganz freundlich,
ewer datum dahin zu machen, das ihr von anderen geschefiften
gemüsiget mit altvattern anhero kommet und solche solenni-
teten besehen und zieren helffet, solches würd mir zum
wolsein und euch zur frewde gereichen, und daselbig in alle
andere weg zu ewigen tagen mit kindlicher lieb und trew
zu verwidderen, bin ich so schuldig so willig. Werdet aber
den ring, den ihr ohn zweivell im vergessenen brief ver-
schlossen, alsdann mitpringen, und weyl ja Johan Conrad
nicht promoviren will, bas Urselln eychelln kränz mitnehmen,
dann derselbig noch ganz und schön ist, unserer aber gar
nicht zu prauchen stehet. Item so ihr könt das gedachte
papier und ein paar solen ledder, so ihr habt, mit euch
pringen. Köndt ihr cellarium mitpringen, wer mir lieb, würde
1) Das Vorderblatt fehlt.
«) Dec. 19. — Vgl Ouesar 21,13.
899
er ohn zweivel nach gehaltenem actu zur rewhe gepracht
werden wegen seines grosen und vielen difFicultirens, damit
er sein filium ufgehalden. In welchem fall, Gott lob, ich
nichts zu klagen, sondern mir hefftig zu gratuliren weis.
Weytter nichts weis ich zu schreiben oder euch zu verhalden,
ohne das ich in zweivell gestanden, ob ich recht gethan hette,
so ich andere gute freund als ein bräutigam zu meinem ehren-
tag angesprochen hette, das solche wo nicht leiblich doch
geistlich mit erschienen weren. Hab solches euch unbegrüst
und zweivels voll nicht thun wollen. Gegeben zu Marpurg,
11. decembris anno 1610.
Könt ihr durch gelegenheyd mit einem potten, der uff
euch ohn das warten mus, ein fäslein wein mitpringen, köndt
ihr an vielen ohrten damit gratificiren.
67. Strümpfe von J. Conrad. Dukaten des Grossvaters. —
1610 Dec. 11.
Lieber vatter. Weyl ich von Johan Conraden ver- lew,
standen, dass er oftmahls seiner mutter von einem paar seyden ^^^- ^^•
strimpf ihm zu schicken geschriben hat aber noch nicht be-
kommen, also däucht mich, ihr könt solche mitpringen, das
ich sie einmahl anzöge. Nicht zwar prachts oder stolz
halben sondern beids das ich kein new paar kauifen dörffte,
darnach auch weyl die strimpf hie sehr thewer und nichts-
S(")llig sein. In erwegung dises köndt ihr, so ihr heruff-
zihet, dieselben strimpf bey ihr fordern unvermerckt und
daselb nicht so sehr das ich sie begehrt zu brauchen als das
ihr sie im zu pringen wollt mitnehmen. Dises also zu
schreiben hat mich gut gedünckt, gefelts euch nicht oder
kan nicht effectuirt werden wegen irgends Verhinderung, will
ich doch of ein forsorg ein paar ausnehmen mit vorbehält,
weyl ich von hauss gewärtig wer, dieselben dem kremer, so
ich meine bekam, wider zuzustellen und widerzunehmen.
Bin also und bleib der strumpf mit dem ring, eychelkranz,
solUeder und papier gewertig. Gegeben den 11. decembris,
Marpurg anno 1610.
400
Post^) Es tawrete Johan Gonraden das fein golt widder
nach hause zu schicken, hat derhalben etwas gethan, weys
nicht obs recht oder unrecht. Vor unser theses dedication
hat er zween ducaten zurück behalden und mir einen ge-
geben, doch altvatter geschriben, wenn er nicht zufriden
wer, sollt er sie allzeit bey uns widder finden. Ist er also
causa hujus rei, und da er einen hat behalden und mir einen
gegeben, hab ich ihn nichts wollen ausschlagen. Seyd lezlich
noch einmahl geladen und kompt selbsttritt heruff. Valete.
Könd mich excusiren non esse factum me jubente aut urgente,
ne incurram in vitium avaritiae aut invidiae apud avum.
68. Procoss wo?roii Todsclila^ eiiios Wacht meist ers*)« Milnz-
onliiiiii^^). (locloiiiiis. Kniiikheitoii. Vnltejiis. King^. Bmder
Karl. — 1611, Jan. 16.
767/, Freundlicher lieber vatter. Nach eröffnung ewers an
mich gethanes Schreibens ist mir nichts ähnlichers als von
ewer gesundheyd zu lesen, auch da ich solche wol verstanden,
nichts liebers noch angenehmers gewesen. Durch Gottes
gnad bin ich noch starck, Got geb lang. Hiernechst begert
ihr bericht über zwey ding. Erstlich über den process mit
dem newlich entleibten Wachtmeister, zum andern was es
vor einen vortgangk mit der münzordnung gewinne, und
zwar erstlich, die bezüchtigten anfanger und ursächer dieses
todschlags sind noch allesampt in harten haflFten und Ver-
wahrsam, ohne das, wie man sagt, 1 oder 2 fuga sich
salviret haben, welchen man gar nicht nachgesezet hat. Das
malefitzurtheil ist auch allbereits über sie gehalten, aber
noch nichts geschlossen ; läset sich doch ansehen, als werde
es dahin gespielet, das sie mit einer geltstraff durchschnappen,
sonderlich weyl der von der wacht verwundte studentenjung
vor zween tagen mit tod abgangen, aber der auch verwundete
nobilis noch in der cur ligt. Doch wie dem allem ist nechst
^) Nachschrift auf einliogondom Zettel.
') Vergl. Univ.- Annaion, Caesar 11, S. 5 f.
8) Die Münzordnung wurde am 10. Nov. 1610 mit Wirkung vom
1. Jan. ICH erlassen. Druck von Paul EgenolfT, Marburg 1610,
401
verschienenen montag das zweyte halsgericht angestelt ge-
wessen, weys aber nicht durch was verhindernuss verplieben.
In demselben auch mit interessirt ist filius pastoris Dick-
haudii ^), ein buchbinders gesell allhie, welcher in solchem
tumultu mit reichung eines rappirs einem Studenten ist bey-
gesprungen und darüber vor ein todschleger angeklaget würdt.
Solcher würdt ohn zweivell wol in die büchsen müssen blasen,
wie er sich dann seihest getröstet hat. Zwar gewisses kann
man nicht davon sagen; wo es hinaus will; allein es sich
ansehen last, das J. F. G. gar ernsthaft und streng in den
Sachen verfahren lest. Solches unangesehen ist das ander
börsgen etlich mahl mit stangen under dem newen wacht-
meyster gewesen, mit stangen sag ich, dann weyl er fest
ist, nicht durchstochen noch durchhawen kann werden, alss
ist kein besser remedium als stangenfuder» Solcher new
angesetzte Wachtmeister ist seines handtwercks ein wegsezer
und hat hiebevor das pflaster zu Hungen gemacht, wird euch
ohn zweivel bekannt sein ; sein nam ist Barthell Soff. Die
ursach aber dises von den Studenten gefasten hasz ist, das
er zu strengk und ernsthaft ist in bestellung der wacht,
beydes uff der gassen, dann auch sonderlich umb die ge-
fangene, welche er ihr geschlecht hindangesezt zu hart an-
fesselt. Endtlich was das halsgericht anbelanget, wird solches
gewiss gehalten werden, das aber sie beklagten nicht zugegen
als andere ubelthäter gestellet werden mögen, ist durch groser
leut vorbitten zurückgetrieben.
Die eingeführte müntzordnung belangend ist dieselbe
nach geschehener in calendis januarii publication in strengen
gang kommen, also das ettliche, so sich ihr haben wollen
wieddersezen, in grose straff gerathen sein. Es hat aber
solche gestalt darmit, das nun im ganzen Hessenland heller,
so man Binger pfenning nennet, und pfenning sie seyen wie
sie wollen, in einem werth und valor sind, und also heller
pfenning und pfenning heller sind. Der albus wird zu 12 ^
gezehlt und bezahlt, mit vorbehält einer reduction desjenigen
1) 1G08 wurde Georgias Guarinus alias Dückhudius Weisselianus
ins Paedagogium aufgenommen. Matrikel f. 123 n. 10.
N. F. BcL XXIII. 26
402
was nmb das gelt gekanft wird. Exempli gratia: ein ehlen
duch vor 3 galden verkauft würdt per redactionem umb
2 galden, den albus zu 12 /S{ verkauft^ et res eodem recidit.
Wann aber solche reductio nicht vorbehalten wird, gibt man
den album zu 8 /^. Weyl aber solch hellermüntz nichts
nuzt in andern herschaften und orten zu negotiiren, als am
Bhein im weinkauifen; zu Franckford in allerhand gewerb-
schaften zu treiben, alss ist durch Vorschub eines Wechsel
dahin die sach gepracht, das alles ander gelt umb heller
gedauscht^ gesammlet würd und auif solch auslandisch parthiren
zurückgehalten, sonderlich da solch ander gelt hie nicht aus-
gegeben werden kann^ sondern nothwendigk muss verwechselt
werden. In welchem allem dann gar kein verlust ist, denn
silberne und gülden Sorten viel ein höher werth überkommen
als sie zuvor gehabt haben. Dann ein ducaten vor 3 gülden
ausgegeben würd; den albus 8 /^ oder 2 ^ albus 12 /^,
ein goltgulden 2 g. 8 albus, 1 königsthaler 2 g. etc. Weyl
dan derjenig so allhie sein will; heller haben muss, solche
aber nirgendts dann in Hessenland tüchtig sind, alss mus
güldene und silberne münz, so von auslandischen hieher ge-
pracht, verwechselt und widerumb ahn solch auslandisch
parthiren gewendet werden, und weyl die weynhern die
hellem an frembden orten nicht anspringen können, als
müssen sie andere Sorten, wollen sie derselben haben, völliglich
wechseln. Weyl dann wiederumb solche von ihn thewer uf-
gewechselte münz am ßhein etc. so hoch nicht gilt, alß
haben sie zu erholung und relaxation desselben uf jede mas
wein 4 ^ weyter gesezt, welches ihnen den schaden vor-
sezet. Goclenius senior ist calendis januarii mit allerer Ver-
wunderung zu einem rectori erkorn ; bei solchem seinem
rectorat würd sich mit der zeit auch etwas verlaufen. Haupt-
schwachheyd und die präun regieret gar sehr allhie, das
bisweylen am tag 2, 3, 4 begraben werden, und wird des-
wegen princeps halt ufbrechen. Ein planneckenhayen, so
hiebevor der furstin von Morien ^) kuchenmeister gewesen
^) Merlau; Maria TVittwe Landgraf Ludwigs III., s. Rotnmd^ Hess.
Gesell. 6, 56.
403
und nun ein zeit lang allhie gewesen, da er sich heimlich
von Morien entzogen und sein abschied hinder der thür
genommen, disser hat vor 2 tagen den hals durch einen fall
von einem pferd gebrochen. Disser hat einen bruder allhie,
welcher dises principis consiliarius ist. Neben der euch
ebrmahls mitgegebenen commission über doctoris Vulteji
instrument hab ich ihm Organisten kurz hernach geschrieben
und in gepetten, das er solch instrument uifs ehest wolle
verfertigen. Könnet ihr nunmehr anhalten^), das geeylet
und es fertig gemacht wurde, als were daraus zu spüren^
das mihr solche von doctore angemaste bitt fürderlich
effectuiret hetten. Den begerten und beklagten ringk hab
ich noch bey mihr, et ita me Dens bene amet, hab ich ihn
dismahl von meinem finger^ daran ich ihn seydt newlich
trage, nicht können ausbringen, auch hett ich den tod darob
sollen leyden. Villeicht weyl der finger, weyl es gegen abend
etwas ufgelaufen. Des morgends aber die botten mir zu
früe sind hinweggegangen, und hett ihn dennoch dismahl
auch nicht ausbringen können. Muss ihn mit vortheil von
dem finger bringen, also das ihr ihn hiernechst gewiss sollt
zu gewarten und zu empfangen haben, noch einig sorg oder
klag deswegen entstehen soll, allein dismahl nicht gekönt,
Deum testor. Gefiel es euch noch Carlen mit des kellers
karrh heruifzuschicken, sollt er gedeponiret werden, könte
man es den sommer mit ihm vornehmen wie man wollte.
Izt aber hör ich, das ihr ihn wegen ingerissener haupt-
schwachheyd habt abholen lassen, weyl es sich ahn lisse sehen,
als wollte solche schwachheyd gefahr haben, und dann
sonderlich auch weyl vetter Johann gestorben, daraus wir
exempels genug haben, wie gar ungewiss hora mortis sey,
und deswegen wir sich qualibet hora dazu sollen geschickt
finden lassen. Mein schreiben ende ich mit der clausul, da
ihr ewern brief mit geschlossen, und seze gegen die von
euch zum studieren gethane vermahnung gute hoffnung und
vertrawen und einsmahls geleiste prob, welche ein gröser
^) anhielten Or.
26*
404
stimnlus ad ulteriora sein ward; si qaidem me in hiis con^
quiescere libet. und hiermit euch, matri cnm domesticis et
Omnibus aliis göttlichen segen, glück; protection wündschend,
thue ich mich nechst Gott each allen commendiren^ bevehlen
und damit mein schreiben schliessen. Gegeben zu Marpurg,
16. januarii anni 1611.
69. Krämer. Münzordnnng. Process. Mittagstisch. — 1611,
Febr. 9.
l^llf Antwortet auf die Frage des Vaters^ ob der Krämer
Fßbf Q
* vor der mess zu bezahlen und in waserley münz valor, dtw»
der Krämer zufrieden ist, auch wenn die Zahlung geraume
Zeit nach der Messe in der alten münzordnung erfolgte; und
gesezt, er wollte uff die new müntzordnung bezahlt sein,
welches er doch nicht begeret, so muste nach der regel der
reduction entwedder die wehr geringer angeschlagen oder
von dem gelt der virde theil abgezogen werden. Exempli
gratia, welchem ich hiebevor bin schuldig gewesen 6 gülden
alt wehrung, dem geb ich 4 gülden new. — Die studiosi
captivi sind noch in der ha£ft und fahrt man fort mit dem
malefizgericht; obs pro forma oder pro serio geschehe, ist
nicht genung offenpar^ doch allzeit uf das erste will man
mummeln, als solt es nur vor einen schein geschehen, den
burgern suspitionem conniventiae, welche sie vielleicht meinen,
das princeps sie gegen studiosos trage, zu benemen. Das
gericht wird von senatoribus Marpurgensibus und ettlichen
jurisconsultis besessen und sind zur anklag uf sie, studiosos,
60 artikel gestellet. Johan Conrad ist nicht der letzt im
kochen, sondern sein vetter Cristoifel Löer wird schliessen,
also das wir innerhalb 4 wochen abziehen werden. Weysel
ist Widder bey uns und hat sich durch einen contract mit
den cibanten an den tisch incorporiret, will bis zum abzug
hie pleiben. — Gegeben zu Marpurg, den 9. februarii a. 1611.
70. Ankunft. Pest. Münzordnung. Lade. — 1611 Mai 5.
1611, Ist gestern Abend um 5 Uhr gesund in Marburg an-
Mai 6, gej^Qffi^en, der ihm mitgegebene Bote Heinrich hat das Bündel
405
m Allendorf, weiss nicht ob aus faulheyd seines leibes oder
aus schwer der last, abgelegt, hab also daselbst ein andern
dingen müssen, einen kleinen Jungen von 16 Jahren, der
die Last ohne Klage bis Marburg getragen; hat ihm 6 Albus
gegeben und mit Heinrich verabredet^ dass diese ihm von
seinem Lohne in Rungen abgezogen werden sollen; hat im
übrigen beide, Heinrich und den Jungen^ gespeyset, getränket
und beherberget, also dass ihrer keiner deshalben klagen werden
könne. Mein losament und tisch anbelangen thnt, kann ich noch
zur zeyt nichts gewisses schreiben; weys auch nicht, ob ich
mich darinnen lasen werde, denn es sich ansehen lest, auch
kund und notorium ist, das pestis in ettlichen orten und
gassen allhie iuris gethan, also das ungewiss, quid hoc
tempore nubilo serus vesper laturus sit. Das hoffwesen ist
ganz still und abgeschafft, wie auch turba studiosorum sehr
dünn und gering, villeicht aus forcht itzgedachter ein-
schleichender seuch. Die muntzordnung aber ist noch in
vorigem esse, will gleichwohl ufs nechste und ehest, wie es
damit gangen, euch zuschreiben. Würde Johan Conrad fuhr
mitnehmen, so seyd doch darann, wie ich die fünf grose
bücher möge mitbekommen; hett auch gewollt, das ich die
bey herrn Liriaco stehende laden hir oben hette, denn beyde
gehanck an der breyten laden, die ich habe, durch viel und
offtes uff und abschlappen und wanderen zersprungen sein,
also das ich nichts verwahrlichs darinnen ufhalten und
verwahren kann. — Marpurg, den 5. maii a. 1611.
71. Fest. Wohnung. Aussicht auf Stellung in Heidelberg.
Lisfeld erkrankt. Zahluug. — 1611 Mai 11.
Berichtet in Ergänzung seines letzten Schreibens ^i^ii,
(No. 70), dass die unbeständigkeyd und scheinende trawrig-
keyd allhie hat mir verpotten mich in eine gesellschaft mit
zu interessieren, sintehmahl es sich last ansehen, als wölt es
etwas allhie auskehren, welches ihr von zeygern dieses, so
er richtig zubekennen will, erlehrnen könnet. Dann in der
vorstatt Weydenhaussen nun allzeyt an die etliche und treysig
gestorben sein, mit welchen dann auch zuweylen qines aus
Maim
406
der statt mit anderlauft. Sollte es überhand nemen, würde
foey zeyten de translatione scholae deliberiret werden. Gott
sey davor, das nicht geschehe, dann ich aas verdrass mein
gezeag in ein newes and frembdes losament za tragen^ in
meiner vorigen herberg geplieben bin, darinnen ich ein klein
beqaem and heymlich losament ingenommen; darinnen ich
vermeinet diesen sommer vollends etwas zu leysten, wann
ich nicht mit andern durch unvermeyntes einreysen der seuch
uffzubrechen genötiget wurde. Sollte underdess mein ge-
legenheyd zu Haydelpergk ufstehen, lieber vatter, so helft
mir fort, das mir nicht ein ander ins nest falle. Hierbey
lass ich mir in einem anstossenden haus kochen, and essen
ich und Venator mit einander, kochen einer umb den ander
mittages. und hett solches Johann Conrad auch gern gethan,
wo er sich nicht vor seinem abziehen mit eytel Hessen in-
gelosiret hett, von welchen er nun nicht abkommen kann;
muss auch sein gedingte losament allein bewohnen, denn
sein angenommener stubengesell Löhr ist ab nach Giessen
gezogen, so ist der ihm substituirte Lisfeld in eine blözliche
schwachheyd paroxismo febrili gerathen und lieget in einem
frembden hauss zu bett. Was darauss werden würd, wird
die zeyt geben. Dabey befind er grosse hauptsschmerzen,
welche ihn zu underschiedenen und gewissen mahlen an-
kommen. Müssen derhalben alle von tag zu tag erwarten,
was infallen würd. Doch weyl man underdess sonder essen
nicht leben kann und aber der mir zugegebene bott alles nicht
ertragen könde, auch wohl dasjenige, was er hett tragen
sollen, allhie besseres kauffs gefunden würd, als hoff und mein
ich, es werde ewer wiedderwill dabey nicht sein, so ich brott,
fleisch, botter etc. allhie kauifen, nach notturft verbrauchen
werde, als sollches von hauss bringen lassen; bittet nur um
einen pfingsthaynkuchen, den die Fuhre des Honigkuchen-
bäckers oder der Bote, der die fünf Bücher bringen tvird,
mitnehmen kann; hat den Krämer bezahlt^ so weyt es hat
langen wollen, dann er die leichte ducaten in solchem verlor
gar nicht hat nemen wollen, also das ich von ihrem werth
etwas hab müssen lassen abgehen; hat die rohe materien
407
von büchern und einen umbschlag vergessen'; hat an Weysd
geschrieben, biiiet für eine Antwort xu sorgen; fragt an^ ob
ein Schreiben von Zaunschlieffer aus Heidelberg gekommen;
was sonsten turbam stadiosorum anlanget^ ist sie noch in
allem esse, also das derselbig wedder incrementum noch
decrementum zu spüren. Marpurg, in eyll, den Sonnabend
vor pfingsten, a. 1611.
72. Hat die Stelluug eines Erziehers im Hanse von Yultejus nicht
erhalten. Pest, — 1611, Mai 18.
Hat Dr. Vultejus wegen seiner Studien consulürt und 1611,
under andern das euch wohl bewuste paedagogi werck unver- * '
merckt erörtert; inbetreff des letzteren hat Vultejus so viel
zu verstehen gegeben, das meinetwegen bey ihme wohl ge-
worben, wie in gleichem auch er selbst meinetwegen bedenckens
getragen hab, das aber solches widder verhoffen nicht effectuirt
sei, hab er solche motiven^ das ich gern zue frieden und, das
es nicht geschehen, frohe billich sein solt. Dann sagt er,
mir vielleicht unwissend, was bey solchen jungen, ungeschickten,
unruhigen jungen zu thuen were, an welche ich meine zeyt,
derer ich ganz nicht entberen mit jactur meines studierens
nicht hett anwenden sollen noch können, so were ich Gott
lob desen Vermögens, das ich mit ruhe und nicht mit mühe
mein studieren solte pertractiren, und noch zuer zeyt nach
solcher gelegenheyd nicht streben, sondern solche anderen
so besser der zeyt entbehren und schwerlicher auskommens
hetten, gerne gönnen, wie dann an izigem seinem paedagogo
wahr und kundpaar were, mit welchem er sich auch, wie
mir denn selbst wissend, vor meinem anwerben in handlung
eingelassen und nicht wohl wiedder abweysen können. Doch
hette er mir in dem fall wohl willfahren wollen, so sie er-
wachsen, zu publicis lectionibus gepracht und etwan ver-
schicket hetten werden sollen. Sollt mich gleichwohl endlich
zu ihme versehen und trösten, das ob ich nicht bey ihme
zue hauss, ich mich doch alzeyt seiner hulf und rath anzu-
messen und zu ersuchen fug und macht haben soll. Grüset
408
hiemit euch nnd altvattern ganz freundlich und fleisig.
Bittet um Äntwm^t auf seine letzten Briefe und namentlick
um die Zusendung der Bücher und des Umschlags; der
Honigkuchenbäcker hat erklärt, er würde die Bücher gern
mitgenommeji haben, wenn er sie erhalten hätte; das Sterben
bessert sich nicht, sondern weytter und mehr allgemach ein-
reyst. — Gegeben in aller eyl zue Marpurg, den 18. maii
a. 1611.
VII.
Das Kloster S. Georgenberg bei Frankenberg
nnd das dasige Angnstinerinnenhans.
Von
August Heldmann,
Pfarrer zu Michelbach.
|ie althessischen Klöster sind arm an Klosterchroniken;
selbst Kopial- und Totenbücher sind nur selten vorhanden.
Man ist deshalb hinsichtlich ihrer Geschichte wesentlich auf
die vorhandenen Urkunden angewiesen und beschränkt. Für
das Kloster Georgenberg und die verschiedenen Stadien seiner
Entwickelung und Leitung kommt uns indessen der Lokal-
chronist und fürstliche Kaplan Wigand Gerstenberger, gen.
Bodenbender, aus Frankenberg durch seine Frankenberger
Chronik zu Hilfe, deren Angaben mit den noch vorhandenen
Urkunden der beiden Frankenberger Frauenklöster genau
übereinstimmen und, soweit sie von allgemeiner Bedeutung
sind, auch in die späteren hessischen Chroniken über-
gegangen sind.
Das Kloster Georgenberg bei Frankenberg, welches zu
den grösseren hessischen Frauenklöstern zählt, hat alle übrigen
hessischen Klöster um 40 Jahre überdauert. Deshalb ist
auch sein Urkundenbestand ziemlich vollständig erhalten und
bei der Uebernahme des Klosters in die staatlichen Archive
gelangt. Der Urkundenbestand war noch im Anfang des
17. Jahrhunderts; mit Ausnahme einer auch bei anderen hes-
sischen Klosterurkundenbeständen vorkommenden Lücke im
Anfange des 15. Jahrhunderts, wie es scheint, vollständig
410
erhalten. Als das kaiserliche Bestitationsedikt vom Jahre 1629
auch auf das Kloster Georgenberg angewandt werden sollte,
hatten die von der Regierung des Landgrafen Georg IL vei^
fassten Deduktionen noch mehr Urkunden zur Verfügung, als
dermalen vorhanden sind. Aus diesen Deduktionen hat J,
O. Estor im 3. Bande seiner Kleinen Schriften, 1753, eine
Anzahl dieses Kloster betreffende Urkunden abdrucken lassen.
Selbst noch im letzten Jahrhundert sind nicht wenige Ur^
künden, deren Inhalt indessen in den alten Bepertorien ver-
zeichnet ist, dem Schicksale aller irdischen Erzeugnisse an-
heimgefallen. Ebenso sind einige von C. P. Kopp, Geist-
liche Gerichte etc. 1769 und in S. Wiirdtwein, Diöc. Mogunt.
1768 ff. com. IX. gegebene Urkunden inzwischen verloren.
Die Ursache der erwähnten Lücke im Anfange des 15. Jahr-
hunderts wird vorerst unaufgeklärt bleiben müssen. Wenn
auch um jene Zeit die Zuwendungen und Stiftungen für die
Klöster abnahmen, so reicht dieser Umstand doch nicht hin,
diese Lücke zu erklären. Das Urkundenmaterial befindet
sich mit nur wenigen Ausnahmen im Staatsarchive zu Mar-
burg. Die wenigen auf die Klosterreform im Ausgange des
15. Jahrhunderts bezüglichen Urkunden zeigen, dass der
kirchengeschichtlichen Forschung hier ein noch wenig er-
forschtes Gebiet zur Erforschung dieser segensreichen kirch-
lichen und klösterlichen Bewegung vorbehalten ist, zu welcher
die nachfolgenden Zeilen wenigstens einen kleinen Beitrag zu
bringen versuchen.
Die Stadt Frankenberg hatte vor der Beformation nicht
weniger ein reiches gottesdienstliches Leben und kirch-
liche Anstalten, wie Marburg. Waren es in Marburg die
Deutschherren, welchen die Pflege der Heiligtümer anvertraut
war, so waren es in Frankenberg die Johanniterbrüder des
Hauses Wiesenfeld , welche das Kirchenwesen seit dem
Jahre 1392 leiteten, ohne dass die städtischen Bechte in der
Verwaltung der äusseren Kirchensachen beeinträchtigt wurden.
Wie der Frankenberger Chronist Wig. Gerstenberger berichtet,
hatten seit dem Anfange des 15. Jahrhunderts noch andere
411
Orden in besonderen Häusern Ordensbrüder stationiert, welche
in der Fastenzeit wöchentlich einmal des Morgens von 8 bis
10 Uhr predigten, nämlich die Wilhelmiten von Witzenhausen
Montags, die Augustiner von Alsfeld Dienstags, die Karme-
liter von Cassel Mittwochs, die Franziskaner von Marburg
Donnerstags, die dasigen Dominikaner oder Predigermönche
Freitags ; dann habe man darnach zu einer Messe geläutet,
und diese vielen Gottesdienste, sagt er, sollten niemand Wunder
nehmen, denn es seien zu der Zeit in Frankenberg viele
Herrschaften auf dem Schloss, viele Edelleute und Burgmänner
und viele reiche Bürger und Müssiggänger dort gewesen,
dagegen Sonnabends sei des Wochenmarkts wegen die Pre-
digt ausgefallen. Ebenso hätten diese Orden an Sonn- und
Feiertagen nach der Essenszeit eine Stunde lang predigen
lassen. Das Kloster Haina hatte eine eigene Kapelle auf der
Haide. Ausser der Pfarrkirche St. Marien, welche seit dem
Jahre 1286 erbaut wurde, und bei deren Grundsteinlegung
am 8. April Landgraf Heinrich I. persönlich theilnahm und
ein schönes Opfer auf dem Stein Unser lieben Frauen dar-
brachte, waren die vom Kleriker Otto Fryling 1315 gestif-
tete St. Johannes- und Marienkapelle auf dem Schafhofe
unter dem Hain in der Neustadt, über welche die Familie
Fryling das Patronatsrecht hatte, sowie die St. Mauritius-
kirche des Klosters Georgenberg und die Kapelle zu Wickers-
dorf die hauptsächlichsten kirchlichen Gebäude. Zu der
letzteren fand jährlich am St. Urbanustag (25. Mai), sowie
nach Wolkersdorf am Markustag (25. April) eine grosse Pro-
zession statt. Eine Anstalt der Barmherzigkeit war das
Elisabethenhospital in der Neustadt, nach der Edder hin ge-
legen, das jedoch mit dem heutigen städtischen Hospital nicht
identisch war.
Im Jahre 1242 stiftete Konrad, Herr von Itter, zur
Ehre der hl. Jungfrau und zum Seelenheile seiner Vorfahren
ein Cisterzienser - Nonnenkloster zu Butzebach, einem
kleinen unter Sachsenberg auf der heutigen Landesgrenze auf
der linken Seite des Nuhneflusses, wo derselbe nach Süden
biegend sich der Edder zuwendet, gelegenen Dorfe. Er über-
412
gab dasselbe einem Mönche Hermann von Bertlingdorf. Der
Stiftungsbrief ist bezeugt von den Pfarrern zu Lotheim, Orke
und Yöhl und zwei Brüdern zu Haina. Ob der Ort noch zum
Stifte Mainz oder schon zum Stifte Cöln gehörte, dessen
Grenze die Nuhne bildete, ist ungewiss. Erzbischof Konrad
(von Hochstaden), der Erbauer des Cölner Doms, bestätigte
1247 die Stiftung und Privilegien des Klosters und gab ihm
in den Jahren 1248 und 1249 vier Kollekten- und Ablass*
briefe für seine Diözesanen. Konrad war jedoch auch päpst-
licher Legat, hat aber dem Kloster eine wesentlich nach
Westfalen hin neigende Richtung gegeben, welche es bis
zu seiner Aufhebung behalten hat. Konrad von Itter räumte
den Nonnen seinen Haupthof (curia) zu Butzebach ein, gab
dem Kloster die Villa Albernhausen und befreite es von dem
Vogteigerichte. Er hatte dort ein Schloss (castellum). Ausser-
dem wird wiederholt eine alte Umwallung erwähnt, welche
einen ziemlichen Umfang gehabt haben muss^ da der Zehnten
darin dem Kloster gegeben wird (1252). Ein von Johann
von Deifeld lehnbares Dritteil dieser alten Umwallung bei
Butzebach gab der Bürger Heinrich de Palude zu Medebach
1257 dem Kloster.
Doch schon 1245 genehmigten des Stifters Söhne Rein-
hard und Konrad von Itter auf Bitte des Landgrafen Hein-
rich von Thüringen und seiner Gemahlin Beatrix die Ver-
legung des Klosters nach Hadebrandsdorf auf battenbergischem
Gebiete vor die Stadt Frankenberg, wo dasselbe grösseren
Schutz gegen die Fehden der Zeit genoss, und bestätigten
die Stiftung ihres Vaters.^) Ein blühendes städtisches Ge-
meinwesen ohne klösterliche Einrichtungen war nach der
Sitte jener Zeit undenkbar. Zeugen dabei waren der Propst
Konrad von Berich und der Pfarrer Eckhard zu Geismar,
zu dessen Pastorat damals Frankenberg noch gehörte. Auch
in der Folgezeit haben die Herren von Itter die Stiftung
Konrads bestätigt und vermehrt, so namentlich Reinhard von
^) Daher conventus in Hadebranzdorf (1249) genannt. Während
die Cisterziensor-Männorklöster meist einsam gelogen waren, lagen die
Frauenklöster in unmittelbarer Nähe der Städte und Dörfer.
413
Itter (1252) durch eine Hufe zu Morslo bei Butzebach und
den erwähnten Haupthof zu Butzebach, den die Nonnen an-
fangs bewohnt hatten, und (1257) durch den Zehnten in der
alten ümwallung. Im Jahr 1253 ertheilte auch Erzbischof
Gerhard I. von Mainz dem Kloster einen Kollekten- und Ab-
lassbrief.
Nach dem Aussterben des thüringischen Fürstenhauses
nahm die Landgräfin Sophie dasselbe in ihren Schutz (11. Fe-
bruar 1249). Damals waren die Klostergebäude noch im
Bau begriffen. Die Kollekten, besonders aus dem Erzstifte
Cöln, müssen reichlich eingegangen sein. Denn noch in dem-
selben Jahre (1249) kaufte das Kloster je ein Gut zu Geismar
von den Vögten von Keseberg, zu Bringhausen von Bertold
Kule und zu Beltersdorf von den Brüdern von Meidersdorf,
sowie die Mühle zu Butzebach. Auch die in der Umgegend
begüterten Klöster unterstützten die neue Pflanzung. Das
Kloster Weissenstein bei Cassel überliess ihr eine Hufe zu
Nenchersdorf (1254) käuflich und das Albanusstift zu Mainz,
welches die Zehnten nebst Pastorat zu Röddenau und einigen
dasigen jetzt wüsten Orten besass, beschenkte das Kloster
mit dem Zehnten zu Dornbrechtsdorf gegen Debernahme der
Atzungskosten bei dem Send zu Röddenau und einen Zins
von 2 Pfund Wachs. Im Laufe der Zeit fielen diese Wüst-
ungen bei Röddenau und Birkenbringhausen fast sämmtlich
dem Kloster zu.
Am 1. Juni 1264 löste Widekind, Vogt von Keseberg,
als Patron der Parochie Geismar die Kapelle der heran-
wachsenden Stadt Frankenberg aus dem Pfarrverbande zu
Geismar in- honorem beati Georgii martiris los. Papst
Alexander IV. genehmigte darauf am 10. Oktober 1255 die
Uebertragung des bis da dem König-Landgrafen Heinrich
Raspo zugestandenen Patronatrechtes über die Frankenberger
Kapelle auf das Kloster Georgenberg. Durch den Langs-
dorfer Vertrag vom 11. September 1263 machten Sophie und
ihr Sohn Heinrich I. die Städte Frankenberg und Grünberg
zu mainzischem Lehen, das nach Erlöschen des hessischen
Mannsstammes an das Erzstift fallen sollte. Als dann später
414
die heutige Pfarrkirche seit 1286*) erbaut worden war, in-
korporierte Erzbischof Gerhard IL von Mainz, am 30. Mai 1291
dieselbe dem Kloster, damit dasselbe den genügenden Unter-
halt habe, mit dem Vorbehalt eines dieselbe bedienenden Priesters,
welcher das zu seinem Unterhalte nötige Einkommen (con-
grua) und zur Bestreitung der ihm obliegenden Lasten an
den Bischof und Archidiakon vorab aus den Kircheneinkünften
beziehen solle. Das Domkapitel zu Mainz bestätigte am
14. März 1337 aufs neue diese Einverleibung. Bischof und
Kapitel bezeichnen das Patronatrecht über die Kirche als
ihnen zustehend. Das Kloster verpflichtete sich damals der
Domkirche für diese Einverleibung zu einem jährlichen Zins
von 2 Pfund Wachs (19. März). Doch schon 1293 hatte ein
Priester Gerlach Goz aus Frankenberg eine päpstliche Ver-
leihung der Pfarrstelle erschlichen, welche der Erzbischof
durch Schreiben an den Dekan zu Kesterburg (21. Juli 1293)
für ungültig erklärte, indem er einen Werner von Haubern
zum Verweser bestellte. Es entstand darüber ein langer kano-
nischer Prozess, in welchem das Kloster seine Vertretung
dem Landgrafen übertrug. Gerlach Goz, dessen Bruder
Heinrich Kanonikus des Stifts Wetter war, behauptete jedoch
seine Stelle und erscheint noch 1290 darin. ^)
Im Jahre 1302 gab Landgraf Heinrich L aufs neue das
Präsentationsrecht der Pfarr- und Propststelle dem Kloster
dergestalt, dass dasselbe unter Zuziehung der Burgmänner,
Scheffen und Vornehmsten der Stadt eine zum Amt und zur
Regierung der Kirche geeignete Person dem Landgrafen zur
Bestätigung präsentieren, den Bestellten aber nicht ausser
wegen Excesse oder Unvermögens entlassen solle. ^) Ob der
Propst selbst stets Stadtpfarrer gewesen oder neben ihm ein
Vikar mit dem Titel eines Stadtpfarrers, ist nicht gewiss.
Diese Ordnung bestand bis zum Jahre 1392.
') Den Tag der Grundsteinlegaog, welchen Rörtg, die Kirche za
Frankenberg, S. 3 bezweifelt, gibt der Chronist Ahrahcum Satter, Diar.
bist. 1582, S. 151 ausdrücklich an, den 8. April.
«) Wmek, Hess. Urk. B. 111, S. 160. Böhmer- Will, Reg.-Mog. II, 360.
') EstoTf Orig. juris publ. p. 300. Ledderhose, Kl. Schriften
1795. 5,227.
415
Im Jahre 1392 (Dez. 7.) entzog Landgraf Hermann die
Pfarrei Frankenberg dem Kloster Georgenberg und übergab
sie unter Vorbehalt seines Patronatrechtes über die Altäre
der Pfarrkirche dem Johanniterhause Wiesenfeld mit der
Bestimmung, dass der Komthur von jetzt ab im Pfarrhause
wohnen, das Haus Wiesenfeld aber mit 2 oder 3 Brüdern
versehen solle, deren einer oder zwei Priester sein sollten.
Dieselben sollten alle Tageszeiten (horae canonicae) halten,
an den Quatembern (quatuor tempora) Mittwoch Abends
Vigilie singen und Donnerstag Morgens eine feierliche Messe
halten (solempniter celebrare). Sie sollten ferner dem Kloster
Georgenberg 8 Pfund Heller jährlich auf Georgentag (23. April)
geben und einen Klosterkaplan halten. Doch soll, wie be-
merkt, den Landgrafen das Patronatrecht über die Altäre
der Pfarrkirche, deren Altaristen dem Komthur gehorsam sein
sollen, verbleiben, auch der Komthur und seine Brüder in
allen Streitigkeiten mit dem Kloster Georgenberg die end-
giltige Entscheidung bei den Landgrafen unter Ausschluss
einer Appellation an die geistlichen Gerichte suchen und
nehmen ; sie sollen ferner keinen Handel treiben, keine bürger-
lichen Güter erwerben, etwa ihnen durch Testament zuge-
fallene Güter aber binnen 8 Tagen nach dem Anfall ver-
kaufen und im Falle der Unverkäufiichkeit in Geschoss,
Steuer und Bede verhalten. Die äusseren Kirchensachen des
Kirchenbaues und des Kirchenvermögens sollten, wie ander-
wärts, den sog. Baumeistern verbleiben.
Die Veranlassung zu dieser Aenderung der kirchlichen
Leitung ist nicht ersichtlich, scheint aber mit dem Eintritt
des damaligen Stadtpfarrers und Propstes in den Johanniter-
orden zusammen zu hängen. Pfarrer war seit 1383 Gottfried
von Diedenshausen, ein angesehener Herr, der letzte seines
Geschlechts, welcher um 1430 als Bruder im Hause Wiesen-
feld starb. Diese neue Kirchenleitung, welche bis 1527 be-
stand, gab unter dem Komthur Heinrich von Dersch (1448
bis 1478) zu vielen Klagen über nachlässige Versehung der
Pfarrkirche Ursache, so dass das Provinzialkonzil des Jo-
hanniterordens zu Speier im Jahre 1478 den Komthur sogar
416
mit Gefängnis bedrohte. Seit dem Ende des 15. Jahr-
hunderts schwebten mehrfache Streitigkeiten zwischen den
Johannitern und dem Kloster Georgenberg über gegenseitige
Leistungen und Gefälle, besonders über die Haltung eines
Elosterkaplans. Landgraf Wilhelm III. Hess am 8. Juli 1493
einen für 20 Jahre giltigen Vergleich deshalb durch Schieds-
freunde aufrichten. Im Jahre 1510 schlössen beide Theile
über diese Leistungen einen neuen Vertrag. Im Jahr 1511
verzichtete zwar das Haus Wiesenfeld auf die Kollation über
die Altäre im Kloster, doch musste es laut der Vereinbarung
von 1392 sich am 9. Februar 1512 aufs neue zur Haltung
eines Kaplans verpflichten, welcher an den vier ersten Wochen-
tagen im Kloster Messe halten sollte^ während ihm die übrigen
Tage das Kloster vergüten musste.
Das Kloster trug den Namen des hl. Ritters Georg,
jenes römischen Hauptmanns aus Kappadocien (ecciesia oder
monasterium s. Georgii extra muros Frankenberg) und dessen
Bild im Konventssiegel. Auch die Kirche des Klosters trug
den Namen eines tapfern römischen Hauptmanns und Mär-
tyrers, des hl. Mauritius, des Führers der sog. thebaischen
Legion. Das Kloster war reich an Reliquien, namentlich an
solchen der Eilftausend Jungfrauen, sowie an Ablassbriefen,
deren es fast von jedem mainzischen Weihbischof zu Erfurt
hatte, im Ganzen mindestens 24, davon 5 nicht mehr vor-
handen sind. Der merkwürdigste ist der des Italieners Jo-
hann Angelus Arcimboldi, welcher päpstlicher Nuntius cum
potestate legati a latere und Propst von Arcisate war. Joh.
Angelus Arcimboldi, aus Mailand gebürtig, war vom Papste
mit dem Vertrieb des Ablasses für den Bau der Peterskirche
zu Rom in den nordischen Ländern sowie in den Diözesen
Cöln, Bremen, Meissen und Cammin beauftragt und in den
Jahren 1516 und 1517 namentlich in Lübeck thätig, wo er,
wie Paolo Sarpi, der Geschichtschreiber des tridentinischen
Konzils, sagt, sein Geschäft als Ablassprediger mit dem Ge-
schicke eines vollendeten genuesischen Kaufmanns betrieb.
Der erwähnte Ablassbrief, welcher zu Medebach 15. April 1517
ausgestellt ist, also in demselben Jahre, in welchem Dr. Luther
417
zu Wittenberg gegen den Ablass auftrat, ist ein gedrucktes
Formular, in welches je nach Ort und Personen das Nötige
eingefügt ist. Angehängt ist ein besonderes Blatt mit den
Namen der Empfänger, der Klosterpersonen des Georgenberg,
51 weibliche und 8 männliche, und angeschrieben die Abso-
hitionsformel. Es wird darin Sündenvergebung für die ärgsten
Verbrechen und Schandthaten, an welche die Insassen des
Klosters Georgenberg gewiss auch nicht einmal nur gedacht
haben, z. B. Mordanschläge gegen den Papst, die Bischöfe
und Prälaten, Waffenlieferungen an die Türken, Verfälschung
päpstlicher Bullen u. s. w. verheissen und. die Herstellung
der Reinheit und Unschuld des Taufstandes, für die Todes-
stunde aber die offenen Himmelspforten zugesagt. Der Nun-
tius erlaubt ihnen auch, weil, wie er vernommen, Deutsch-
land kein Olivenöl hervorbringe, in der Fastenzeit Butter
und Käse zu essen. ^)
*) Arcimboldi begab sich darauf nach Kopenhagen, wo er von
König Ciiristian II. die Erlaubniss zum Ablassvertrieb mit 1100 fl. er-
kaufte, verwickelte sich aber tief in die Streitigkeiten der nordischen
h'cicho. In Kopenhagen war er ein eifriger Anhänger des Königs, der
ihn in seinem Interesse auch in Schweden verwenden wollte. In Stock-
iiolm, wollin er 1518 kam, sparte jedoch der Reichsvorsteher Steen Sture
im Streite mit dem Erzbischof Gustav Trolle von Upsala, dem Haupte
der dänischen Unionspartei, kein Opfer diesen einflussreichen Mann zu
gewinnen und versprach ihm das reiche Erzbistum Upsala. Arcimboldi
teilte ihm dafür alle Geheimnisse, die er in Kopenhagen erfahren hatte,
mit. Der Erzbischof Trolle wurde von der Reichsversammlung abgesetzt,
Arcimboldi von den Domherrn gewählt und um seine Bestätigung bei dem
Papste geboten. Arcimboldi wollte das Bistum durch den früheren
nischof Jakob Ulfsen versehen lassen, aber in Italien die reichen Ein-
künfte verzehren. Als Christian II. von dieser Untreue Kunde erhielt,
licss er in seinem Zorn Arcimboldis ganze Habe, gesammelten Gelder
und Kostbarkeiten, Eisen und Butter, zwei Schiffe voll, beschlagnahmen.
Aiciniboldi musste eiligst aus Dänemark flüchten. Als er nach Lübeck
zurückkam, fand er an den Kirchthüren eine Bulle angeschlagen,
durch welche der Papst, der die Absetzung Trolles untersucht und
der \yahl Arcimboldis die Bestätigung verweigert hatte, über Steen
Sturo und alle, welche an dem Verfahren gegen Trolle teilgenommen,
den Bann aussprach. Durch die Vorgänge in Wittenberg fand Arcim-
boldi die Lage bereits so verändert, dass, wo ihn früher Glocken -
geliiuto empfangen, er jetzt mit Hohn über den Ablass und über
andere Anstösse der römischen Kirche überschüttet wurde. Arcimboldi
nuissto sich durch einen Eid über die gegen Christian IL begangene
Untreue reinigen, fiel aber doch bei dem Papste in Ungnade und wurde
erst 1525, weil Kaiser Karl V. seiner Familie die Einnahme Mai-
lands verdankte, zum Bischof von Novara bestellt. Er bestieg
N. F. Bd. XXIIL 27
418
Am Sonnabend nach dem Johannistage, d. i. am Tage
vor dem Ablasstag, wurde eine grosse Prozession aus der
Pfarrkirche mit dem Heiligtum, mit Fahnen und Kerzen
zum Kloster Georgenberg und von da unter dem Hain
wieder zur Stadt vor der Vesper gehalten, ebenso am anderen
Morgen von der Pfarrkirche zur Kapelle auf der Haide. Bis
zum Jahre 1316 war der Sonntag Rogate der Ablasstag ge-
wesen, wurde aber damals von Erzbischof Peter von Mainz,
ebenso auch von demselben 1312 die Dedikationsfeier der
Kapellen auf der Haide, unter dem Hain und zu Wickersdorf,
sowie der Altäre des hl. Kreuzes und der hl. Barbara im
Kloster auf den Sonntag nach Johannistag verlegt. Doch
behielt der Sonntag Rogate auch noch in der Folgezeit eine
durch Zierat und Geläute ausgezeichnete Feier.*)
Grosse Unglücksfälle, namentlich Brände, welche vielen
Klöstern verderblich wurden, haben das Kloster, soweit
die Nachrichten lauten, nicht betroffen, wohl aber wurden
seine Gebäude und die Obermühle durch einen Ausbruch des
von Landgrafen Heinrich I. angelegten grossen Teiches im
Jahre 1297 zerstört. 2)
Die Klosterjungfrauen trugen weisses (graues) Kleid
mit schwarzem Schleier, Skapulier und Gürtel, die Laien-
schwestem braunes Habit. Der Orden hiess deshalb der
graue Orden. In dem Kloster gab es mehrere Dignitäten, die
der Aebtissin und Priorin, im 16. Jahrhundert auch noch die
der Subpriorin, ausserdem gab es eine Küsterin, welche die
gottesdienstlichen Geräte in Stand zu halten hatte, eine No-
vizenmeisterin und Kellnerin. Zur Visitation der Cisterzienser-
im Jahre 1550 sogar den erzbischöfLicheo Stuhl des hl. Ambrosius za
Mailand; f 1555. Arcimboldi hat das Verdienst um die Wissenschaft,
dass er auf seinen Ablassreisen die 5 ersten Bücher von Tacitus Annalen
im Kloster Corvey entdeckt hat. Wetxer und Weite, K. Lexikon, 1, S. 1268.
Herzog^ Realencyklopädie, 1, S. 616.
') Die Dedikationsfeier der Hainkapelle in der Neustadt, in welcher
es ausser dem St. Johannis-Evangelisten und St. Antoniusaltar auch einen
St. Cyriakusaltar (1397) gab, wurde im Jahr 1399 auf dem Cyriakustag
(8. August) verlegt. In dem grossen Brande am 9. Mai 1476 gieng diese
Kapelle mit ihren 2 Glocken und 3 Altären zu Grunde. Kuckenbecker,
Anal. Hass. V. 189.
«) Anal. Hass. V, 187.
419
Nonnenklöster waren die Aebte benachbarter Ci&terzienser-
klöster vom Generalkapitel zu Citeaux bestellt. Diese Vater-
äbte mussten jährlich die ganze Ordnung, besonders die Ver-
mögensverwaltung, einer Prüfung unterziehen. Sie setzten
die Zahl der Nonnen fest, damit dieselben genügenden Unter-
halt hätten und nicht durch eine Ueberzahl zu betteln ge-
nötigt wären. Die Visitatoren bestellten den Nonnen ehr-
bare und verständige Männer, meistens Mönche ihres Ordens,
zu Beichtvätern. Das Kloster Georgenberg war jedoch bis
ins 16. Jahrhundert dem Generalkapitel nicht unmittelbar
unterstellt, sondern teils den Landgrafen, teils den Erz-
bischöfen von Mainz. Die Zahl der Konventsschwestern setzte
Erzbischof Peter im Jahre 1308 bei Meidung von Kirchen-
strafen auf nur 36 fest, damit dieselben ihr genügendes Aus-
kommen hätten. Im 15. Jahrhundert war die Zahl viel
kleiner, 1517 hatte das Kloster, wie bemerkt, 51 weibliche
und 8 männliche Insassen.
Die Insassen der Cisterzienser-Nonnenklöster zerfielen
in mehrere Klassen. Ausser den Konventsjungfrauen, welche
meistens dem Adel oder den wohlhabenden Bürgerfamilien
zu Frankenberg angehörten und im Kapitel Sitz und Stimme
hatten, war darinnen eine beschränkte Zahl von Laien-
schwestern. Beide werden bezeichnet und unterschieden als
sorores und sustrices. Zur Besorgung von ökonomischen
Arbeiten, zu welchen Frauen nicht im Stande waren, sowie
der Vermögensverwaltung und des Gottesdienstes war auch
männliches Personal erforderlich. Daher kommen auch meh-
rere Laienbrüder, conversi ordinis oder conversi monialium,
vom Konvente auch »unsere Mönche« genannt, vor, welche
ins Kloster traten und das Ihrige dem Kloster zuwendeten.
Das Verhältniss zu diesen Mönchen war jedoch kein befrie-
digendes. Mit einigen derselben, welche über ihre Güter
zum Nachteil des Klosters verfügen wollten, geriet das
Jvlostor vor dem mainzischen Offizial zu Amöneburg in Streit,
l^^inem derselben, dem Bürger Lolz Hille in der Neustadt,
erlaubte der Konvent sogar ausserhalb des Klosters in der
Stadt in weltlicher Kleidung zu wohnen (1388). Im 15. Jahr-
27*
420
hundert werden auch Donaten, Pfründner, erwähnt, welche
sich und das Ihrige gegen den Bezug einer Klosterpräbende
ins Kloster wandten. Noch kurz vor der lutherischen Re-
formation hatte sich des im Jahre 1503 verstorbenen Ritters
Johann von Hatzfeld, Witwe, Katharina, geb. von Hatzfeld-
Wildenberg, ins Kloster Georgenberg begeben, um dort ihren
Witwenstand in einem geistlichen Leben zu beschliessen.
Sie starb 1523 und schenkte dem Kloster einen grossen
Kelch und Messgewänder und stiftete zu ihres Hauswirtes
Seelenheil mit 80 6fl. ein ewiges Licht auf dem Kloster-
kirchhof.^)
Diese männlichen Personen verband man dadurch dem
Kloster, dass man sie Profess thun Hess. Sie mussten dann,
wie die Novizen, ein Probejahr durchmachen, nach dessen
Ablauf vor dem versammelten Konvent erscheinen , beim
Eintritt niederknieen und nach Vorhalt der Strenge der
Ordensregel dem Orden dienen zu wollen und Keuschheit zu
halten geloben und dem Eigentum entsagen. Nachdem
dann die Ordensregel der Aebtissin auf den Schoss gelegt
war, sprachen die Aufzunehmenden mit über dem Buch ge-
falteten Händen zur Aebtissin : »Ich gelobe Euch Gehorsam
bis zum Tode.« Darauf antwortete die Aebtessin: »Es gebe
Dir Gott das ewige Leben,« der ganze Konvent aber sprach
dazu: »Amen.« Die Aufgenommenen küssten die Ordensregel
und verliessen dann den Kapitelsaal. So waren diese Männer
an die gleiche Regel und Lebensweise gebunden, wie die
Nonnen.
Die Beichte wurde durch ein enges mit Eisenstäben
versehenes Fenster abgelegt. Um des guten Rufes willen
war es den Nonnen nicht gestattet, mit Personen, die nicht
zum Orden gehörten, anders als durch ein solches Fenster
zu reden. Nur die Aebtissin und Kellnerin durften in Be-
^) Katharina war auf Befehl der mainzischen Richter vom 20. De-
zember 1519, weil sie in einem Prozesse mit einem Scholaren wogen
Zehnten und anderer Dinge den auferlegten Eid zu leisten in zwoi Ter-
minen säumig gewesen, in den Kirchen zu Marburg, Wetter, Wiesonfeld,
Frankenberg, Geismar und Röddenau bei angezündeten Lichtern und unter
Glockenschlag exkommuniziert worden.
421
gleitung zweier Nonnen zur Besorgung der Geschäfte aus-
gehen und mit der Welt anders, ebenso die Nonnen mit
ihren Verwandten ohne Zeugen verkehren und reden, dagegen
mit anderen Leuten nur in Gegenwart der Aebtissin. Der
Visitator redete mit den Nonnen im Kapitelsaale. Ver-
heiratete Frauen durften nicht im Kloster" wohnen. Im
Kloster Georgenberg wurden jedoch bis zur Reform vom
Jahre 1489 diese Bestimmungen nicht in dieser Strenge
überall eingehalten. Einzelne Nonnen hatten noch ähnlich,
wie die Kanonissen, Eigentum, über das sie verfügten, und
das auch nicht einmal immer ohne Widerspruch und Verzicht
der nächsten erbberechtigten Verwandten an das Kloster fiel.
Auch die Pröpste in den Frauenklöstern waren häufig
Ordenspersonen. Der Propst hatte die Leitung der äusseren
Geschäfte des Klosters, namentlich der Vermögensverwaltung.
Er wohnte bis 1392 im Pfarrhofe, von da an im Kloster.
Nach einem Beschlüsse des Generalkapitels vom Jahre 1267
sollten die Vorsteher nicht Pröpste oder Prioren, sondern
nur Prokuratoren heissen. Indessen blieb es bei Georgenberg,
wie überhaupt in Deutschland, vorerst bei dem herkömmlichen
Titel. Auch wurde hier der Propst nicht, wie sonst vor-
geschrieben war> durch den visitierenden Vaterabt, sondern
durch den Landgrafen bestätigt. Ob der Propst auch stets
der Beichtvater der Nonnen gewesen, wie dieses in kleineren
Klöstern die Regel bildete, oder auch die Kapläne die Beichte
hören mussten, ist nicht gewiss, doch das letztere wahr-
scheinlich, da die Nonnen das hl. Abendmahl jährlich sieben-
mal empfangen mussten.
Zur Aufnahme ins Kloster bedurfte es eines Alters
von wenigstens 10 Jahren. Jede Jungfrau oder Witwe,
welche in das Kloster einzutreten beabsichtigte, wurde in das
Kapitel geführt, kniete dort vor der Aebtissin nieder, letztere
fragte sie: „was suchest Du?" Sie antwortete: „Gottes und
Eure Gnade". Dann steht sie auf. Die Aebtissin hält eine
Ansprache an sie: „Liebe, bist du in der Absicht hier, um
den hl. Orden anzunehmen und das Ordenskleid zu empfangen,
und willst du unserm Herrn gern hier dienen, so musst Du
422
zum ersten Gott deine Reinheit geloben und dein Eigentum
übergeben, darfst kein Gut ohne den Willen deiner Oberin
haben und musst deiner Oberin in jedem Stück gehorsam
sein. Auch musst du dein Wesen umwandeln, demütig sein
und gelassen in Worten und Werken, musst alle deine Arbeit
treulich nach deinen Kräften thun. Aus diesem Kloster darfst
du nicht gehen, ausser wo es zum Nutzen desselben geschieht,
und dann auch nur mit Urlaub. Im Chor, Schlafsaal, Bemter
und im Kreuzgang musst du Schweigen beobachten und die
bestimmten Zeiten im Gebet zubringen." Der Eintrittstag
war ein Freuden- und Ehrentag, an welchem die Verwandten
und Freunde sich versammelten und dem Konvente ein fest-
liches Mahl gaben. Die Aufgenommene machte dann ein
Probejahr als Novize durch. Nach dessen Ablauf erfolgte
die Aufnahme und Einkleidung durch den Vaterabt, in Georgen-
berg durch den Propst. Die Novize wurde von der Novizen-
meisterin ins Kapitel und dann in die Kirche geführt. Die
Feier begann mit dem Gesang: „Komm, heiliger Geist'*.
Singend: „Prüfe mich, Herr, und versuche mich, läutere
meine Nieren und mein Herz" (Ps. 26, 2) tritt die Nonne
vor den Altar, macht ein Kreuz, neigt sich und legt den
Professbrief auf den Altar. Derselbe lautete : „Ich verspreche
Euch, der Aebtissin und Euren Nachfolgern, in allen göttlichen,
ordentlichen und redlichen Sachen gehorsam zu sein, und ein
keusches, reines und wohlberüchtigtes Leben zu führen. Und
würde ich hierin gebrechlich gefunden, so will ich darum die
gesetzliche Pönitenz leiden und mich bessern. Würde mir
ein Amt vom Kloster übertragen, so will ich dasselbe zu des
Klosters Nutzen treulich fähren. So helfe mir Gott und
seine Heiligen." Dann tritt sie zu den Altarstufen zurück
und singt drei Mal: „Suscipe me", wirft sich dann nieder
vor dem Altar, während der Chor der Jungfrauen singt:
„Herr sei mir gnädig". Der Abt oder Propst weiht nun das
Ordenskleid mit dem Gebete: „Herr Gott, Geber aller guten
Gaben und Spender alles Segens, wir bitten dich inbrünstig,
du wollest dies Gewand, welches deine Magd N. zum Zeichen
deines Dienstes anziehen will, segnen und heiligen, damit sie
423
unter den übrigen Frauen erkannt werde als dir geweiht".
Dann besprengt er das Gewand und die Nonne mit Weih-
wasser, nimmt den Kopfschmuck (corona) vom Haupt und
scheert ein wenig vom Haupthaar ab. Nachher zieht er ihr
das weltliche Kleid aus mit den Worten: „Der Herr ziehe
dir den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in
rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit". Während die
Neueingekleidete an den Altarstufen kniet, singt der Chor:
„Salvam fac ancillam tuam", darnach betet der Propst:
„Nimm, o Herr, deine Magd auf unter die Zahl deiner Gläubigen,
und da wir sie in unsere Gemeinschaft aufgenommen haben,
so gib ihr Beständigkeit auszuharren und Gnade, zur ewigen
Seligkeit zu gelangen''. Die Feier schliesst mit der Kommunion.
Die Eltern werden dabei darauf aufmerksam gemacht, dass
es nach der Ordensregel nicht erlaubt ist, in die Welt zurück-
zukehren ^). Die hauptsächlichste Beschäftigung der Nonnen
war die Theilnahme am Gottesdienst und das kanonische
Stundengebet. Daneben beschäftigten sie sich mit Feld- und
Gartenarbeit und „ahmten in Allem den Ordensmännern nach".
In den Klöstern Georgenberg und Caldern wurde auch die
Spinnerei, Weberei und Färberei von Tuchen frühzeitig be-
trieben, und die Fabrikate zu Markte gebracht und verkauft.
Die Aebtissin wurde vom Konvent gewählt, musste
wenigstens 30 Jahr alt sein und war stets aus dem Adel
oder den ersten städtischen Geschlechtern. Sie hatte die
Klosterzucht zu handhaben, war aber dem Visitator ver-
antwortlich. Sie führte neben dem Konvent ein besonderes
Siegel, welches eine Aebtissin mit dem Stabe zeigte. Von
den Aebtissinnen sind verhältnissmässig nur wenige dem
Namen nach bekannt:
Kichmud oder Riginod, 1254, f vor 1261.
Margaretha, 1330.
Christina, 1337.
Jutta von Gifflitz, um 1355.
Mechtilde, 1373.
') Winter^ Die Cisterzionser des nordÖBtIichen Deutschlands, 2, 10 fif.
424
Katharina von Bachenan aas der hinterländischen Familie,
1378-1384.
Bechte Ospracht von Münchhansen aus der Familie zu
Frankenberg, 1394.
Margaretha von Babenol, 1407.
Agatha Claaer, 1434, resignierte.
Mechtilde von Treisbach, 1446—1486.
Anna Toley von Meschede, 1489 — 1515.
Anna von Hatzfeld, 1523—1557.
Eida von Hatzfeld, 1557—1567.
Ebenso sind auch von den Pfarrern zu Frankenberg
and Pröpsten des Klosters nar wenige dem Namen nach
bekannt :
Eckbert, Pleba^ zu Frankenberg, 1249—1252.
M. von Bischofshausen, Propst. 1252.
Symon, Pleban za Frankenberg, 1267 0-
Gebhard, Propst zu Frankenberg und Dekan zu Kester-
burg, 1268-1288.
Gerlach Goyz, Pleban, 1293—1299, Propst, 1311-
Heinrich von Rauschenberg, Propst, 1343.
Heinrich von Dersch, religiosus, Propst, 1373.
Gottfried von Diedenshausen, Propst und Pfarrer, 1383,
t um 1430.
Dietrich, Pfarrer, 1402.
Hermann Wetzel, Pfarrer, 1403.
Johann Wissen, Pfarrer, 1445—1448.
Johannes, Propst, 1455.
Hermann Günther, Propst, 1486—1490.
Antonius, gewesener Abt zu Bredelar, Prokurator zu
St. Georgenberg, 1490.
Hermann, Prokurator, 1517.
Heinemann Schele, frater, pastor plebejus, f 1517.
Heinrich Soldan, welcher 1505 zu Erfurt studiert hatte,
Pleban, nahm die Reformation nicht an und wurde 1528
Priester an der Kapelle zu Brinkhausen in den Birken*).
*) Kopp, Histor. Nachr. von den Herrn von Itter, 8. 189, 202,
203, 206.
«) Hess. Zeitschr. N. F. 17, 54.
425
Ausser dem König Heinrich Raspe von Thüringen, der
Landgräfin Sophie und ihrem Sohne Heinrich I. wandten
auch deren Nachkommen, sowie die Grafen von Battenberg,
zu deren Gebiet die ganze Umgegend und auch Hadebrands-
dorf gehörte, — es bestand darüber ums Jahr 1365 Streit,
— dem Kloster ihre Gunst und Gnade zu. Graf Wittekind
von Battenberg und seine Gattin Elisabeth verliehem ihm
auf Bitten der Aebtissin Riginod und des Abtes Gottschalk
von Haina die üblichen Freiheiten von der Civilgerichtsbar-
keit und der Grafenbede (1256), jedoch unter Vorbehalt der
wichtigeren Entscheidungen, zu denen die Kirche ausser
Stande sei, für den Grafen und schenkten ihm für ihre in
dasselbe eingetretene Tochter Margarethe einen Hof zu
Röddenau (1286). Ebenso bestätigte Langraf Otto 1323 die
dem Kloster schon 1291 von der Stadt Frankenberg verliehene
Berechtigung, Tuche jeder Farbe anzufertigen und gleich
den Bürgern auf dem Markte zu verkaufen. Die im Kloster
und in der Stadt betriebene Wollenweberei war danach nicht
unbedeutend. Auch Heinrich H. bestätigte 1336 die Pri-
vilegien des Klosters.
Aus den Klosterurkunden sind die Nonnen vieler früh
erloschenen Geschlechter, welche Zuwendungen und Verkäufe
an das Kloster gemacht haben, bekannt, die sonst selten oder
gar nicht vorkommen, z. B. von Halgehausen, Röddenau,
Rengershausen, Meidersdorf, Berghofen, Dunzelshausen, Belters-
hausen, Beltersberg, Lilienberg, Scharfenberg, ganz besonders
aber vieles über die städtischen Geschlechter zu Frankenberg:
Fryling, von Münchhausen, von Cassel, von Battenberg, Goz,
Süss, von Röddenau, Solde (Soldan), Gude (Gudenus), Lücke
(Lauke, Lucanus) u. a., welche dem Kloster ihre Töchter
zuführten, Güter verkauften und Jahrgedächtnisse darin
stifteten.
Das Kloster besass mehrfache P a t ro n a te. Schon 1254
vereinbarte Adelheid von Beltersberg mit demselben eine
wechselweise Bestellung des Kaplans zu Beltersberg; später
teilte es dieselbe mit dem Hause Wiesenfeld. Ausserdem
hatte es neben den von Fleckenbühl und von Erfurtshausen
426
einen Teil des Kirchenpatronats zu Niederasphe , dessen
Herkunft unbekannt ist^). Eigentümlich war ihm ausser
der Klosterkirche die alte Klosterkirche zu ßutzebach, deren
Priester die Aebtissin präsentierte und deren Bau das Kloster
zu besorgen hatte. Ueber den Margarethenaltar in der
Haidekapelle übte es die Verleihung mit dem Kloster Haina
gemeinsam aus, wenn derselbe einem Weltpriester verliehen
wurde, während das Kloster Haina denselben an seine Ordens-
glieder selbständig verleihen konnte.
Die Zehnten zu Frankenberg und Hadebrandsdorf
waren mainzische Lehen der Grafen von Solms und von
Spanheim, von welchen wiederum die von Biedenfeld zu
Berghofen u. A. und von diesen bürgerliche Familien damit
belehnt waren. Im Jahre 1340 war Graf Siegfried von
Wittgenstein vom Erzbischof Heinrich mit dem Zehnten zu
Frankenberg, jedoch auf eine Ablösung mit 100 Mark belehnt.
Das Kloster erwarb 1303 den halben Zehnten zu Hadebrands-
dorf von den Gebrüdern Nagel mit Zustimmung der von
Biedenfeld, 1291 den halben Zehnten zu Beltersdorf von
Siegfried von Köddenau und 1305 den von Nassau lehn-
rührigen Zehnten zu Beltersdorf von den Vögten von Keseberg,
1385 den Zehnten in der Wüstung Beste bei Wangershausen
von dem Schöffen Konrad von Röddenau mit Genehmigung
des Lehnsherrn Adolf von Itter.
Der Güterbesitz des Klosters beschränkte sich auf
den heutigen Kreis Frankenberg und die Aemter Battenberg
und Wetter. Nur weniges gieng darüber hinaus: ein Hof zu
Wallau (1302), ein Gut zu Eisoff von Gerlach von Tudichen-
berg (1270) erkauft, die Mühle daselbst, Güter zu Anzefahr,
Münchhausen bei Amöneburg, ein Haupthof zu Mornshausen
bei Dautphe. Der letztere war von Gumpert von Buchenau
für seine ins Kloster aufgenommene Tochter Swenhild (1314)
*) Dieser Teil beruhte wahrscheinlich auf dem Haupthofe zu
Niederasphe, welchen das Kloster teils durch Kauf, teils als Seelgerät-
stiftung von Siegfried Girbuch, welcher selbst ins Kloster trat, 1307 und
1308 erhalten hatte.
427
geschenkt. Auf dem benachbarten waldeckischen und kur-
cölnischen Gebiet hatte das Kloster kaum nennenswerten
Besitz. Eine der wertvollsten Erwerbungen war der von
den von Diedenshausen lehnrührige Hof Rodenbach bei
Röddenau von dessen Lehnsträger Konrad von Berghofen (1297).
Von diesem Hofe aus wurde auch die Mark des wüsten
Frondorf gebaut. Rodenbach war ein grosses Vorwerk,
welches vom Kloster selbst bewirtschaftet wurde und den
Haushalt hauptsächlich unterhalten musste. Auch zu Franken-
berg hatte das Kloster eigenen Ackerbaubetrieb, Pferde und
Gesinde.
Mit dem Nachlassen der religiösen Begeisterung seit
dem Ausgang des 14. Jahrhunderts hatte auch das Kloster
Georgenberg um seinen Besitz zu kämpfen. Die von den
Humanisten aufgebrachte und von neueren Theologen und
Nichttheologen nachgesprochene Meinung von dem Reichtum
und Ueppigkeit der Klöster trifft wenigstens auf den grösseren
Teil der hessischen Klöster bei der geringen Ertragsfähigkeit
des Bodens nicht zu. Diese haben so gut, wie die Tagelöhner
bei der Unsicherheit der Zeit mit der Not zu kämpfen ge-
habt. Bei ausserordentlichen Ausgaben durch Bauten waren
die Einnahmen unzureichend. Kollekten und Ablässe mussten
dann zu Hilfe kommen. Schon um 1365 war ein Verfall ein-
getreten. Im Jahre 1366 wies Papst ürban V. den Dekan
des St. Stephansstifts zu Mainz an, die dem Kloster ent-
wendeten Güter wieder beizubringen. Einen neuen Aufschwung
gab dem Besitze des Klosters damals der Priester Heinrich
Wigliard aus Frankenberg, Altarist des Kreuzaltars im Kloster,
welcher nicht bloss selbst mehrere Güter dem Kloster zuwandte,
sondern auch Käufe für dasselbe besorgte und die Rechte
klarzustellen suchte, z. B. durch Erwerb beider Butzmühlen
von verschiedenen Teilhabern. Landgraf Heinrich II. erteilte
1364 einem von Wighard erkauften Hause in der Neustadt
Frankenberg Freiheit von den bürgerlichen Lasten, obgleich
dieser Fürst erst 1358 den Erwerb durch die Kirche in
Frankenberg sehr beschränkt und bestimmt hatte, dass alle
von der Kirche erworbenen bede- und geschosspflichtigen
428
Güter abgabenpflichtig bleiben sollten. Wighards Neffe
Gerlach Wighard aus Frankenberg, welcher Schreiber des
Kardinals Pileus war, erteilte 1383 seinem Oheim Vollmacht,
auch über seine Güter zu Gunsten der Kirche zu verfügen.
Auch die Pfarrkirche bedachte Heinrich Wighard mit mehreren
Stiftungen, mit einer vor dem hl. Sakrament brennenden
Ampel, mit 3 Wachskerzen, welche am Trinitatistage vor
dem Hochaltar bis zur Oktave dieses Festes in der Frühmette,
Messe und Vesper zur Ehre der hl. Dreieinigkeit brennen
sollten, und mit Geschenken für die am Trinitatisfeste am
Gottesdienste und an der Prozession des Markustages teil-
nehmenden Priester, sowie an die Schüler und an die Kalands-
herrn (1390).
Einen zweiten Befehl, für die Beibringung der dem
Kloster entwendeten Güter zu sorgen, erliess auf dessen
Bitte das Konzil zu Basel, auf welchem der Orden durch
28 Aebte vertreten war, an den Dekan zu Fritzlar (1434).
Das Kloster, welches seinerseits durch Aufnahme von Donaten
und andere Verpachtungsweise seiner Güter sich aufzuhelfen
suchte, teilte unter der Aebtissin Mechtilde von Treisbach
(1446—1486) den allgemeinen Verfall der Frauenklöster und
hatte ungefähr die Stellung der weltlichen Kanonissenstifter.
Im Jahre 1452 bestand sein Konvent nur noch aus 6 Jung-
frauen. Seit dem Jahre 1445 drang das Generalkapitel zu
Citeaux energisch auf eine Reformation der Klöster und
schärfte seitdem oftmals den Vateräbten eine pünktlichere Aus-
übung ihrer Visitationspflichten ein. Die Reform Georgen-
bergs ist ihrem Verlauf und Wesen nach ziemlich dunkel.
Erzbischof Adolf H. beabsichtigte und genehmigte auf eigenen
Antrag des Klosters eine Reform am 9. Nov. 1465 dergestalt,
dass nach dem Vorgange mehrerer Klöster in den Diözesen
Hildesheim und Paderborn, namentlich zu Lemgo, Herford,
Detmold u. a. laut einer Genehmigung des Papstes Pius H.
vom Jahr 1460 die Patres des in demselben Jahr 1465 in ein
Augustinerchorherrnkloster umgewandelten Klosters Volkar-
dinghausen bei Arolsen oder die Patres des Kugelhauses zu
Marburg dem Kloster unter Beibehaltung der bisherigen
429
Kleidung die Regel des Augustinerordens geben sollten ^).
Diese Urkunde Adolfs IL, welche sich weder unter dem
heutigen, noch unter dem früheren ürkundenbestande des
Klosters findet, ist entweder gar nicht oder sicher wenigstens
nicht sogleich zur Ausführung gekommen. Im Jahr 1483
unternahm der Abt Johann von Citeaux persönlich eine
Visitationsreise nach Deutschland, auf der er nach Alten-
berg, Hessen und Thüringen kam. Auch Papst Innocenz Vlll.
forderte 1487 infolge vieler Klagen der Fürsten Abstellung
der Missbräuche und bedrohte den Orden mit Aufhebung.
Die Reform Georgenbergs ist erst 24 Jahre nach jenem
eigenen Antrage und zwar durch fremde Schwestern aus
Westfalen erfolgt. Dass diese neuen Georgenberger Schwestern
Augustinerinnen gewesen, wird zwar weder von dem Chronisten
Wig. Gerstenberger, noch von den Urkunden ausdrücklich
gesagt, ist aber wahrscheinlich, da die Augustiner damals
der die Klöster reformierende und mit neuem Leben und
Streben erfüllende Orden waren. Gewiss ist, dass diese
Reform Georgenbergs mit der Klosterreform, welche Erzbischof
Hermann IV. von Cöln, Landgraf Wilhelms III. Oheim und
Vormund, in Westfalen eifrig betrieb, zusammenhing. Gersten-
berger sagt: „1487 beschloss Landgraf Wilhelm das Kloster
Georgenberg und in demselben Jahre kamen die Süstern
vors erste und machten einen Konvent daselbst unter der
Regel St. Augustini", ebenso in der hessisch-thüringischen
Chronik: „1487 da kamen die Süstern uß Westphalin geyn
Frankenberg und bestunden dar zu wohnen. Auch Hess
Landgraf Wilhelm d. J. den Georgenberg zusliessen". „Im
Jahre 1490 gab Landgraf Wilhelm den Süstern einen Freiheits-
brief und nahm sie in seinen Schirm und Beschützung als
andere geistliche Leute in Hessen, und sollten sich die Süstern
ihrer Arbeit nähren und nicht des Bettelstabes leben, auf
dass die Stadt nicht damit beschweret werde" ^). Aus dieser
^) Die Urkunde auf Papier befindet sich im Archive zu Würzburg,
ist aber weder besiegelt, noch in die gleichzeitigen Ingrossaturbücher
eingetragen, kann daher ebensowohl eine Abschrift, wie ein ürkunden-
entwurf sein.
'') Kuchenbecker ^ Anal. Hass. V, 234; Schmincke^ Monum. Haas. II, 554.
430
Nachricht, welche fast wörtlich in alle übrigen hessischen
Chroniken übergegangen ist^ hat man die Reformation 4^8
Klosters Georgenberg für identisch gehalten mit diesem neaen
Konvent unter der Augustinerregel. Es wird aber nur von
Gerstenberger gesagt, dass in dem Jahre 1487^ in welchem
Landgraf Wilhelm III. den Georgenberg „beschlossen" habe,
auch Schwestern nach Frankenberg gekommen und daselbst
einen Augustinerinnenkonvent gebildet haben. Auch der Aus-
druck „beschloss" kehrt bei Gerstenberger und den anderen
hessischen Chronisten hinsichtlich der Klosterreformen wieder*).
Das „beschloss" ist eine Uebersetzung des lateinischen „clausit"
und kann nur heissen mit Mauern umgeben und die Klausur
einführen. So ist auch Georgenberg zur Handhabung strengerer
Klosterzucht damals abgeschlossen worden. Es werden daher
auch später (1512) Bestimmungen getroffen über die Aemter,
welche an den innerhalb und ausserhalb der Klausur gelegenen
Altären des Klosters gehalten wurden. Beide von Gersten-
berger u. A. erzählten Vorgänge, der von den Schwestern
gebildete Konvent und die georgenberger Klosterreform sind
nicht identisch.
Landgraf Wilhelm III. gab nämlich am Tage vor St. Johan-
nis des Täufers Tag, 23. Juni 1490, dem Kloster Georgen-
berg einen Freiheits- und Schutzbrief, „um ihres geistlichen
reformierten Lebens willen'*, und übernahm die Bezahlung der
Handschulden, „welche dieselben Jungfern in dem Kloster,
als sie itzt von nuwem dar kommen sind, funden han". Er
versprach, sie mit dem alten Propste Hermann Günther un-
beschwert zu lassen, und befreite sie von der Mühlenzinse
*) Kuchenhecker, Anal. Hass. III, 57 u. 67 ; VI, 403. In ähnlioher
"Weise schreibt Graf Johann IV. von Nassau 1461 an den Prälaten von
Arnstein : „also wir verstanden hain, das ir in meynunge sint, die junf-
frauwen zu Keppel zu beslyssen, begern wir noch zu wissen, das uns
solichs sehr woi gefeit, uf das syc des zu baß ombekrodet von der werüit
(ungestört von der Welt) vorter me unsme hern gode dienen mogent*^.
Hiernach widerlegt sich die Auslegung, welche Rom?nelf Gesch. von
Hessen 3, 131 fP. dem Worte „beschliessen" gibt, welcher dasselbe mit
„schliesson" und die Aufnahme neuer Mitglieder verbieten erklärt. Weder
Georgenberg, noch Wirborg, noch Hainchen smd in diesem Sinne ge-
schlossen worden, sondern haben bis zur Reformation weiter bestanden.
„Violfach banden sich in der Zeit des Verfalles die Nonnen gar nicht mehr
an die Klausur, sondern schritten in der Welt einher". Winter a. a. 0. 3, 32«
431
und anderen Diensten und fürstlichen Abgaben, auch sicherte
er ihnen die Wiederbeibringung etwa abgebrachter Renten
und Klostergefälle zu. Es sind dann auch in der Folge
wiederholt Zuwendungen an das Kloster, Einkaufsgelder und
dergleichen von Landgraf Wilhelm III. bestätigt und bereit-
willig Dispensation vom Verbote des Erwerbs durch die tote
Hand erteilt worden ; so (28. Februar 1492) beim Eintritt
der Margarethe von Dernbach und ihrer Magd, bei der Zu-
wendung einer Fischerei auf der Edder durch den Hofmeister
Hans von Dörnberg (1494). Nach den obigen Worten ist es
sicher, dass, gleichwie in den benachbarten westfälischen
Frauenklöstern, auch in Georgenberg die Schwestern auf eine
ganz geringe Zahl herabgegangen waren, dass die Wieder-
besetzung und Reform des Klosters durch fremde, westfälische
Schwestern erfolgt, und dass wahrscheinlich infolge dessen,
sei es auf Anregung Erzbischof Hermanns IV. von Cöln oder
des Landgrafen Wilhelm III. noch mehrere nach Frankenberg
kamen, wo sie willige Aufnahme und ein für sie bereitetes
Arbeitsfeld fanden und einen besonderen Konvent bildeten.
Üb nun der Georgenberg laut der erwähnten päpstlichen
Genehmigung von 1460 und der erzbischöflichen von 1465
die Augustinerregel unter Beibehaltung der Cisterzienser-
Kleidung und Namens angenommen oder auch die Cisterzienser-
regel behalten, und die Augustinerinnen zu ihr übergetreten,
darüber fehlen die Nachrichten. Das letztere ist nach der
Nachricht Gerstenbergers das Wahrscheinlichere; er würde
gewiss nicht unterlassen haben, eine solche förmliche Um-
wandlung des Klosters zu berichten. Nach dem kanonischen
Recht ist der üebertritt von der laxeren zu der strengeren
Regel, als welche die der Cisterzienser gilt, erlaubt. Endlich
nennt sich Georgenberg bis zur lutherischen Reformation
stets „Cisterzienser Ordens'* ; die Cisterzienseroberen führten
über das Kloster die Aufsicht und Visitation, und Antonius,
der resignierte Abt des westfälischen Klosters Bredelar, er-
scheint seit der Reform als Prokurator des Klosters Georgen-
berg und in demselben wohnend.
Der von Gerstenberger erwähnte neue Augustine-
432
rinnenkonvent bestand neben dem Georgenberg. Land-
graf Wilhelm 111. gab nämlich am folgenden Tage, an St.
Johannis des Täufers Tag, 24. Juni 1490 diesem Konvent
ebenfalls einen Schutz- und Freiheitsbrief. Ein Priester
Johann Eidotter hatte von dem Schultheiss Joh. Giebelhaus
ein Haus, Hof, Scheuer und Garten gekauft und mit des
Landgrafen Genehmigung die Augustinerinnen hineingesetzt.
Diese Stiftung Eidotters bestätigte der Landgraf in diesem
Schutzbrief vom 24. Juni 1490, dessen Inhalt Gerstenberger,
wie bemerkt, kurz, aber richtig wiedergegeben hat, doch
unter schwereren Bedingungen, als früher den Orden auf-
erlegt waren. Er gab zwar diesem Hause die üblichen
geistlichen und weltlichen Freiheiten, die Schwestern sollen
sich jedoch ohne Betteln durch ihrer Hände Arbeit ernähren,
zur Erhaltung ihres Hauses ihre Arbeiten verkaufen, aber
keinen Handel als Kaufleute treiben. Sie dürfen so viele
Personen aufnehmen, als ihnen bequem ist, und das Haus
ertragen kann ; sie sollen von den weltlichen Gerichten be-
freit, diese ihnen aber in der Beitreibung der Gefälle behilflich
sein; sie sollen keine bedepflichtigen Güter erwerben, etwa
ihnen zugewendete Güter binnen Jahresfrist verkaufen und,
sofern solches nicht möglich, Bede und Geschoss davon
entrichten. Dafür sollen die Schwestern Gott täglich für
das hessische Fürstenhaus bitten. Sofern aber das Haus in
seinem ehrbaren, geistlichen und züchtigen Leben nachlassen
und in merkliche Gebrechen fallen sollte, behält sich der
Landgraf vor, dasselbe durch den Prior zu Volkardinghausen
und einen Pater des Fraterhauses (Kugelherrn) zum Löwen-
bach zu Marburg zu visitieren, reformieren und zu einem
geistlichen Leben anzuhalten. Sofern dann die Schwestern
sich von dem wilden, ungeistlichen Leben nicht bekehren
wollten, so soll ihnen ihr Gut genommen und an andere
Orden und Geistlichkeit vergeben werden, damit alles zu
Dienst, Lob und Ehre Gottes und der Seelen Heil unveräussert
verwendet werde ^).
») Kopialbuch Wilhelms 111., fol. 54 ff. Die Urkunde ist unge-
druckt.
433
Ueber diesen Augustinerinnenkonvent liegen nur noch
drei weitere, bis da bekannte, ungedruckte Urkunden vor:
1. 1511, Okt. 7. verschreibt Wigands von Biedenfeld
Witwe, Margarethe, geb. Huhn, nebst ihren' Kindern für eine
Schuld von 22 fl., welche sie dem Henne Berghöfer zu Allen-
dorf (bei Battenberg) schuldig gewesen, und an dessen Tochter
Eischen Christmann und nach deren Eintritt in das Augustine-
rinnenhaus an dieses gekommen, eine Rente von 12 Mesten
Korn und 2 Mesten Hafer aus einem Landsiedelleihhofe zu
Allendorf. Siegler ist der Burgmann Heinrich von Dersch
d. J. zu Battenberg. An demselben Tage (Sergii et Bachi
martirum) stellen die Mater Alheid Cappes, die Meisterin
Anna Hecker, die Prokuratrix Kath. Eubel und der Konvent
den Wiederlösungsrevers unter ihrem Konventssiegel aus.^)
2. 1513, Juni 27. verpflichtet sich die Mater Alheid und
der übrige Konvent gegen das Haus Wiesenfeld, welches sie
vormals bei ihrem Anfange und auch jetzt bei dem Bau
ihrer Kirche unterstützt hat, dem Pfarrer zu Frankenberg
jährlich 18 Weisspfennige zu geben in der ersten Woche,
„als wir das heiige olie vor ausser kirchen von ine laissen
holen." Diese Urkunde ist laut obiger Bestimmung vom
Prior Antonius zu Volkardinghausen und vom Kugelhauspater
Bernhard Rotert zu Marburg genehmigi
Ueber das Schwesternhaus und seine um 1513
erbaute Kirche lassen uns die Chronisten Wig. Gersten-
berger, Joh. Emmerich und der spätere Abraham Sauer völlig
im Dunkeln. Auch bei den Neueren sucht man vergeblich
Aufschluss. An einem Strebepfeiler der Südseite der heutigen
reformierten Kirche zu Frankenberg findet sich die Jahr-
zahl 1515.2) Man wird daher in dieser spätgothischen Kirche
den im Jahr 1513 begonnenen Kirchenbau und im heutigen
Hospital den Hof und das Haus der Augustinerinnen wieder zu
erkennen haben. Auch sonst hat diese Kirche das Aussehen
anderer Nonnenkirchen und von aussen nach der Stadtseite
^) Diese Urkunde befindet sich im Milchling von Schönstadt'schen
Familienarchive, jetzt im Kgl. Staatsarchiv zu Marburg.
2) Eochhuth, K. Statistik, S. 654. Lotx, Baudenkmäler, S. 46.
N. F. Bd. XXIIL 28
434
hin sichtbare Zeichen eines Zusammenhangs mit einem nahe
gestandenen Gebäadekomplex durch einen Eingang auf den
sog. Nonnenchor. Von einer sog. Krypta, welche in dieser
Kirche von einigen Neueren erwähnt wird, kann keine Rede
sein. Die Zeit der Krypten, welche sich in den romanischen
Kirchen finden und zu gottesdienstlichem Gebrauche, nament-
lich zu den Vigilien dienten, war längst vorüber. Das keller-
artige Gewölbe dieser Kirche hat daher entweder wirklich
als Keller oder nur als Unterbau zur Erhöhung des Chores
gedient.
Das Haus hat es in der kurzen Zeit seines Bestehens
in Folge der ihm auferlegten Erwerbsbeschränkung zu keinem
nennenswerten Besitz gebracht. Dasselbe hatte daher zur
Zeit der Reformation nicht die Bedeutung anderer älterer
Klöster, und nach der Abfindung seiner Schwestern wäre für
den Landgrafen nichts übrig geblieben. In den drei vor-
handenen Abfindungsregistern der Klosterpersonen in Hessen
vom Jahre 1527 ff. werden die Augustinerinnen zu Franken-
berg nicht aufgeführt. Diese auffallende Auslassung wird
durch die dritte zu erwähnende Urkunde, welche Landgraf
Philipp am 10. April 1529 ausgestellt hat, erklärt. Darnach
hatten „die Sustern in der Stadt Frankenberg^' aus Unter-
richtung der göttlich/in Schrift sich bereits aufgelöst, und der
Landgraf ihnen erlaubt, zur Bezahlung ihrer Schulden, und
damit jede Schwester „in einen anderen und besseren Stand
sich begeben könne," ihre in und bei Frankenberg erwor-
benen Güter zu verkaufen und den Erlös unter sich zu
teilen. Weil jedoch ihre neuerbaute steinerne Kirche un-
verkäuflich war, so übernahm der Landgraf dieselbe tausch-
weise für 250 fl. Kaufgeld, welches er für das an den Rent-
meister Joh. Sommerkorn verkaufte sog. Steinhaus zu Franken-
berg ^) erhalten hatte, und liess diesen Betrag durch den
*) Den grössten Gewinn aus der Aufhebung der Klöster wussten
die Rentmeister und fürstlichen Käte zu ziehen, welche für ein geringes
Kaufgeld beträchtliche Klostergütor an sich brachten, z. B. der Rent-
meister Heinr. Orebe zu Homberg a. d. Ohm ein halbes Gut des Kugel-
hauses zu Einhausen (1528), der Kanzler Feige eine Rente von 20 Mött
Frucht, 4 Gänsen, 4 Hahnen, 2 Hühner aus einem Kugelhausgut zu
435
Kugelhausvogt Johann Thenner zu Marburg unter die
Schwestern verteilen. ^) Wann und wie das Haus zum Ho-
spitale geworden, darüber fehlen bis da alle Nachrichten.
Seine Kirche wurde im Jahre 1679 der im Jahre 1662 ge-
gründeten reformierten Gemeinde gegeben.
Der bei der Auflösung des Augustinerinnenhauses vor-
gefundene Kirchenornat und Vermögen war gering. Es waren
vorhanden : 2 Kelche, von welchen die Schwestern einen be-
hielten, den anderen in den vom Landgrafen angeordneten
gemeinen „Kasten" abliefern mussten, 6 Caseln in den ver-
schiedenen Farben schwarz, rot, blau, braun, lederfarb, von
Sammet, Halbtuch und Damast. An Urkunden (Briefen)
waren nur 21 Stück vorhanden, darunter die erwähnte Stif-
tungsurkunde Landgraf Wilhelms HL und die Verwilligung
der Stadt Frankenberg über das Haus und andere Güter.
Von den übrigen 19 Briefen lautete einer über Va fl. Zins
von einem Hause zu Fritzlar, einer über 2 Malter partim von
einem Gütchen zu Münchhausen. Diese Gefälle waren von
zwei Schwestern mitgebracht, — 2 Briefe über 4 Pfund
Geldes von der sog. Hobewiese bei Amönau, 1 Brief über
einen Garten bei der Edder, 4 Briefe über 4 Morgen Acker-
land bei Frankenberg, 5 Briefe über 5 Morgen Acker, 4
Briefe über 2 Gärten und 2 Aecker, lösbar durch die Familie
Emmerich zu Frankenberg mit 100 fl. Diese Güter hatten
die Schwestern im Gebrauch. Zwei Briefe lauteten über
63 fl. Hauptgeld, wovon 50 fl. vor 37 Jahren von einer
Niederwalgern, und den Zehnten zu Niederweimar (1528), der Statthalter
Burkh. Gramm und seine Brüder das umfangreiche Johanniterhausgut zu
Wiesenfeld, dessen Gebäude und Eisenwerk aus der Kirche sie verkauften
und zu Geld machten, Dietrich, Herr zu Plesse, das Johanniterhaus zu
Grebenau als Erbleihe (1527) u. s. w.
1) Neuere {Hörig, 8. 58. Schenk, Kr. Frankenberg 1894, S. 187)
beziehen diese Urkunde, welche in einer Abschrift Thenners vorhanden
ist, unrichtig auf das Kloster Georgenberg, welches jedoch niemals
als in der Stadt Frankenberg, sondern „bei Frankenberg gelegen",
namentlich auch in den Urkunden Landgr. Philipps bezeichnet wird.
Auch heissen die Insassen Georgenbergs selbst nach der luth. Refor-
mation „Aebtissin und Konvent", während die Benennung der Augustine-
rinnen als „Süstern" ganz mit der obigen Gerstenbergers übereinstimmt
Endlich hat Georgenberg seiner Aufhebung und der Reformation Philipps-
widersprochen und seine Kirche weiter gebraucht.
28*
436
Schwester ins Haus gebracht waren, welche jetzt austrat und
ihr Eingebrachtes zurückhaben wollte; die übrigen 13 fl.
waren „aus fremden Händen gelöst".^)
Im Kloster Georgenberg ist seit der Reform Landgr.
Wilhelms HI. Anna Tholey Aebtissin. Der Name wird
verschieden geschrieben : Toley, Tolei, Toleyge, Tuleige, Zu-
leige ; sie stammte aus Westfalen, wo es in Brilon noch 1553
eine Bürgerfamilie Toley oder von Toley gab.^) Sie wird
einmal (1499) auch Anna von Meschede und der Geistliche
Johann von Meschede (1508) ihr Bruder genannt. Der letztere
wurde nebst dem Subprior Heinrich von Büren zu Marien-
felde in die Bruderschaft des Klosters Georgenberg auf-
genommen. Ausser der Subpriorissin Katharina von Ense
begegnen auch noch andere westfälische Namen. Mit den
neuen Schwestern kam neues Leben in das Kloster und
in die ganzen kirchlichen Verhältnisse der Stadt. Im Jahre
1493 (Juli 10.) bestätigte Erzbischof Bertold von Mainz die
Statuten der dasigen Kalandsbruderschaft unter Erteilung
eines 40tägigen Ablasses.^) Der Weihbischof Georg Fabri
verlegte in demselben Jahre (13. Sept.) die Dedikationsfeier
der St. Moritzkirche im Kloster von Sonntag nach Maria
Himmelfahrt auf den Sonntag vor Michaelis.
Im äusseren Bestände ist nach der Reform der Er-
werb der Güter des mainzischen Albanustif tes
d. h. der Pfarrei, des Zehnten und anderer Güter zu Röd-
denau und dessen zugehörigen Wüstungen das wichtigste
Ereignis. Das Albanusstift, zu Ehren des im Jahre 406 zu
Mainz gestorbenen und bei der Stadt begrabenen Märtyrers
Albanus vom Erzbischof Richolf ums Jahr 796 gegründet*),
war schon vor dem Jahre 1108 zu Röddenau begütert. Im
Jahre 1108 schenkte eine Gräfin Mathildis, deren Gemahl,
^^ Verzeichnis der Klostergüter 1528.
') Fahne, Urk. ß. des Geschlechts von Meschede, S. 185 und 186,
wo Gerwin von Meschede, Bürger zu Brilon, für die Toley 's siegelt, also
verwandt war.
*^ Die Kalandsbruderschaft bestand in Frankenberg bereits seit 1337. .
^2 lii seiner grossen Kirche wurde Karls d. Gr. Gemahlin Fastrada,
sowie Kabanus Maurus und viele andere Erzbischöfe von Mainz be-
graben. Wagner, Geistl. Stifte, 2, 334 ff.
437
Graf Meginfried, diesem Kloster einige Güter zu Krummel-
bach mit Gewalt geraubt^), zur Sühne zwei Hufen mit zwei
Hörigen und einige andere Güter zu Röddenau, welche ihr
von ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn Kunemund mit
dessen unehelichem Halbbruder Ebbo in Gegenwart vieler
Zeugen zu Battenfeld hierzu übergeben worden waren, dem
Kloster. Da diese zwei Hufen dem Ebbo von seinem Vater
Adalbert und seinem Bruder Kunemund zur Leibzucht be-
stellt waren, so überliess der Abt Dietrich zu St. Alban, da-
mit die Uebergabe desto fester sei, dem Ebbo die Zehnten
zu Röddenau und Meidersdorf für seine Lebenszeit vorbehalt-
lich ihres Heimfalls nach seinem Tode an das Kloster, wo-
gegen Ebbo schon damals die zwei Hufen dem Kloster über-
und aufliess. Das Kloster hatte zu Röddenau vordem einen
besonderen Brüderkonvent stationiert. Auch die Vogtei und
das Gericht zu Röddenau, genannt das Gericht in den vier
Steinen, waren ein Lehen des Albanusstiftes, von welchem
in älterer Zeit die von Helfenberg damit belehnt waren.
Von diesen erkaufte es um 1350 Konrad von Diedenshausen.
Nach dem Erlöschen der Diedenshausen ums Jahr 1400 kam
dasselbe in den Streitigkeiten ihrer Allodialerben an die von
Biedenfeld zu Berghofen, welche zwei Teile desselben am
19. Dezember 1449 an Friedrich von Dersch als Brautschatz
verpfändeten. Am 23. August 1480 wurden die Vettern
Heinrich und Johann von Dersch vom Propste des Albanus-
stiftes, Wilhelm von Wertheim, mit der Vogtei Röddenau
und dem Gerichte in den vier Steinen zu Mannlehen belehnt.
Mit der Umänderung dieses Benediktinerklosters in ein Ka-
nonikatstift (1419) wurde demselben dieser entfernte und im
Vergleiche zu seinen rheinischen Gütern wenig einträgliche
Besitz lästig. Mit einigen dieser Güter, dem kleinen Zehnten
zu Warmshausen, dem grossen zu Beltershausen, den ge-
nannten zwei Hufen zu Röddenau und dem Rottzehnten zu
1) Krummelbach ist eine Wüstung bei Erxdorf. Landau^ Wüste
Ortschaften, S. 273. Der Graf Meginfried war ein Graf von Felsberg,
Adalhcit uud sein Sohn Kunemund von Battenberg. Q, Schenk x/u
Schiveimhergj Hess. Arohiv, 14, S. 705 ff.
438
Odersdorf war 1406 der Knappe Hermann von Geismar vom
Stifte belehnt, andere zu Dornbrechtsdorf, Frondorf und Rek-
kersdorf hatte das Stift schon frühzeitig (1254 und 1290) an
Georgenberg überlassen. Das Stift hatte dann später durch
seinen 1496 verstorbenen Kanonikus Syfert von Biedenfeld,
welcher Inhaber des Pastorats zu Battenfeld war, die Auf-
sicht führen lassen. Seitdem waren diese Einkünfte in Un-
ordnung geraten. Das Stift, dem die Erhebung beschwerlich
war, überliess daher am 22. Juni 1499 dem Kloster Georgen-
berg diese Zehnten und Zinsgüter für 3 Jahre gegen eine
jährliche Fruchtrente von 20 Malter und verkaufte ihm die-
selben am 1. Mai 1503 wiederkäuflich für 1090 rheinische
Gulden mit der Bedingung, dieselben niemals zu zersplittern.
Gleichzeitig erkaufte das Kloster auch noch die andere Hälfte
des von den von Biedenfeld lehnrührigen Zehnten zu Hade-
brandsdorf von dem Schöffen Ludwig Dietrich zu Wetter fUr
310 Gfl. Zur Beschaffung des Kaufgeldes verpfändete es
einen beträchtlichen Teil seiher Güter. Der Pfarrer Men-
gotus Snelle zu Wetter streckte ihm 100 fl. auf Güter bei
Battenberg, 200 fl. auf solche zu Niederasphe vor. Der
mainzische Weihbischof Joh. Bonemiich von Lasphe kam ihm
am 1. August 1503 mit einem Indulgenzbrief zu Hilfe, und
Erzbischof üriel inkorporierte ihm 1511 (Dez. 18.) mehrere
damals durch den Tod ihrer Inhaber und durch Resignation
erledigte geistliche Benefizien zu seiner besseren Unterhaltung.
Die Verwaltung war jedoch so gut, dass schon im Jahre 1514
diese Schulden gedeckt und die Pfandbriefe wieder eingelöst
waren. Die erwähnte Einziehung von Altarbenefizien hing
mit grösseren Umbauten der Klosterkapellen zusammen.
Kurz vor der lutherischen Reformation hatte nämlich
das Kloster seine Kirche neu gebaut oder umfangreich
repariert. Es war dieses der dritte Kirchenbäu. In der
ältesten Klosterkirche befanden sich drei Altäre, der Altar
St. Moritz, der 1312 vom Ritter Eckhard von Helfenberg
dotierte hl. Kreuzaltar und der im Jahre 1311 von dem
georgenberger Propste, Mag. Gerlach Goz, des Bürgers Heinrich
Goz Sohn und des wetteriscben Kanonikus Heinrich Goz
439
Bruder, aaf seine Kosten erbaute und mit Gütern zu Wesende
bei Frankenau begabte St. Barbaraaltar, welchem die Bürgerin
Zeisa Rabe bald nachher weitere Zinsen und einen Garten
am geismar'schen Thore testamentarisch hinzufügte. Im
Jahre 1337, in welchem auch die Pfarrkirche vollendet, deren
alte Altäre abgebrochen, neu errichtet und dotiert wurden,
wurde eine neue Klosterkirche, nova capella, auch „das Münster
im Georgenberge'' genannt, erbaut mit drei Altären: 1. dem
St. Johannis des Evangelisten, und St Jakobi d. A. Altar
im Chor, 2. dem von der Nonne Mechthilde Süss (1337)
dotierten Allerheiligenaltar, 3. dem Altar zur Not Gottes
(altare angnstiarum, 1373) und St. Anna. Den Jakobusaltar
im Chore hatte die Familie Fryling mit dem sog. Frylings-
gute zu Münchhausen dotiert Für den AUerheiligenaltar
hatte die genannte Nonne MechtUde Süss den Priester Gerlach
Wetzel (1336) bestellt Im Jahre 1352 hatten der Schöffe
Heinrich von Münchhausen und seine Erben diesen Altar zu
verleihen. Beide Kapellen bestanden neben einander weiter,
sicher bis zum Jahr 1511. An dem Kreuzaltare der alten
Kapelle war der obige Priester Heinrich Wighard (1365 — 1395)
Altarist. Im Jahre 1511 inkorporierte, wie erwähnt, Erz-
bischof üriel dem Kloster auf seinen Antrag und zu seiner
besseren Unterhaltung mehrere dieser Benefizien, welche zu
dem Barbara-, Kreuz-, Not Gottes- und St Annen-*, Mauritius-
und Allerheiligenaltare gehörten, üeber den näheren Zu-
sammenhang dieser Einv^leibung mit den umbauten geben
jedoch die Urkunden keinen Aufschluss.
Noch im Jahre 1522 trat das Generalkapitel der
reformatorischen Bewegxmg entgegen und verbot unter An-
drohung der Exkommunikation allen und jedem im Orden
die Annahme der neuen Lehre, „die von einem Menschen,
Namens Luther, herrühren solle", und das Lesen seiner
Schriften, welche von den Vorstehern der Stadienanstalten,
wo sie bei den Schülern gefunden würden, verbrannt werden
sollten ^). Ln Jahre 1523 ordnete da9 Generalkapitel g^en-
1) Winter, a. a. 0. 3, 148.
440
über dem drohenden Zerfall durch die Reformation eine
Visitation aller Klöster an. In Niederdeutschland sollte der
Abt Gerhard zu Altenberg (Maria in Bergis) dieselbe vor-
nehmen. Dieser übertrug sie für Georgenberg dem Abte zu
Bredelar unter Zuziehung des Abtes zu Haina. Auch der
junge Landgraf Philipp hatte noch am 24. Februar 1524 dem
Kloster wegen „seines reformierten geistlichen Lebens" die
unter seinen Vorfahren erteilten Freiheiten bestätigt. Da
kam im Jahr 1527 auch über Hessen die Reformation.
Der Landgraf hatte anfangs die Absicht, alle Klöster aufzu-
heben und ihre Insassen mit Abfindungen zu entlassen. Nach
dem am 9. September (Nativ. Mariae) 1527 aufgenommenen
Register befanden sich 25 Jungfrauen, darunter 13 Adelige,
und 22 Schwestern, also mit dem Prokurator und Kaplan
ungefähr 50 Personen im Georgenberg. Hatte sich der
Landgraf für seine Maassnahmen auf das Wort Gottes und das
darin gebundene Gewissen berufen, so setzte ihm die Aebtissin
Anna von Hatzfeld und der Konvent gleichfalls ihr in der
Ordensregel gebundenes Gewissen entgegen. „Diese ob-
geschriebenen (25) Jungfrauen, Mater und ganze Konvent
sampt den Schwestern bitten den gnädigen Herrn, sie bei
ihrer Regel und Statuten zu lassen und wider ihre Consciencien
nicht zu dringen und sie allesamt im Kloster daselbst zu
lassen." Die eigenhändige Resolution Philipps lautete:
„Welche Personen vom Adel sein, sollen Macht haben, zu
kiesen gegen Kaufungen oder Wetter, welche aber nicht vom
Adel sein, gegen Germerode". Es gab also noch viele Ordens-
personen, welche ihre Regel und Klöster nicht verlassen
wollten ^). Diese sollten, soweit sie adelig waren, zu Kaufungen
oder Wetter, die bürgerlichen zu Germerode untergebracht
*) Anch das Cisterz.-Kl. Caldem, welches damals 41, darunter
viele alte und schwache weibliche Insassen hatte, widersprach seiner
Aufhebung. Landgraf Philipp gieng aber einfach damber hinweg, die
Frauen wurden alle entlassen, nur der Aebtissin ausser einer Rente von
8 fl. und 8 Malter Frucht, das Haus des Klosters zu Marburg eingeräumt.
Wie viel politische Rücksichten für den Fortbestand Georgenbergs, des
deutschen Hauses u. s. w. entscheidend gewesen sind, kann hier ausser Be-
tracht gelassen werden.
441
werden. Seitens des Adels geschahen Erinnerungen an den
Landgrafen. Der Adel hatte seine Töchter stets im Stifte
Wetter versorgt. Mit Georgenberg war es nicht anders.
Der Landgraf wurde milder und erklärte noch 1540 in seiner
zu Marburg ausgegangenen Schrift gegen den Herzog Heinrich
d. J. von Braunschweig, dass er die Ordenspersonen nicht
aus den Klöstern hinaustreiben wolle, sondern, wer darin
bleiben wolle, dem solle das gestattet sein, wenn sie nur
sich „unserer Religion gemäss halten wollten"; so seien
Gronau, Berbach, Georgenberg und das deutsche Haus zu
Marburg in ihrem Zustande gelassen. Das Kanonissenstift
Wetter wurde bald nach Ostern 1528 aufgehoben. Georgen-
berg blieb bestehen. Die Jungfrauen behielten die klösterliche
Kleidung und die Ordnung des kanonischen Stundengebets.
Nach der Vereinbarung des Landgrafen mit den Landständen
vom 15. Oktober 1527 wurde zur Vermögensverwaltung ein
Klostervogt, der Rentmeister Joh. Sommerkorn (1528 — 1538),
welcher jährlich Rechnung legen sollte, bestellt. Nach diesem
erscheint der Rentmeister Heinrich Kraushain seit 1542 als
solcher bei Erbleihen und Veräusserungen. Doch kommen
auch selbständige Handlungen der Aebtissin, namentlich Güter-
tausche vor. Auf eine Klage des Junkers Joh. Huhn wegen
einer Fischerei am Hofgericht brachte die Aebtissin Anna
von Hatzfeld die Sache an den Statthalter Georg von Kolmetsch,
weil der Fürst alle ihre Güter habe inventarisieren lassen und
die Jungfrauen nur die Leibzucht daran hätten. Der Land-
graf wies, weil es sich um ein von seinen Vorfahren lehn-
rühriges Wasser handele, den Statthalter an, den Rechtsweg
abzuschneiden, den Huhn abzuweisen, ihm aber den Rekurs
an den Landgrafen offen zu lassen (24. August 1542).
Bei der im Jahre 1528 vorgenommenen Inventarisierung
der Klostergüter war der Kirchenornat des Kl. Georgenberg
nicht bloss nach der Ordnung der Cisterzienser einfach,
sondern geradezu dürftig. Er bestand in 1 Kelch, welcher
den Jungfrauen belassen wurde, und 6 Caseln, darunter zwei
alte, in den Farben schwarz und grün je zwei, blau und
442
weiss je eine, aus Sammet, Seide, Damast und Halbtuch.
Die Zahl der vorhandenen Briefe betrug 176. ^)
Trotz des Protestes der Aebtissin und der Zustimmung
aller Schwestern zu demselben gab es doch auch im Georgen-
berg solche Naturen, welche sich aus dem Klostergewahrsam
und dem inneren Widerspruch, in die sie teilweise in un-
mündigem Alter hineingebracht waren, heraussehnten. Luthers
Lehre von dem Unwert und der Verdienstlosigkeit des Kloster-
lebens, das siegreiche Fortschreiten seines Werkes und das
Beispiel anderer Klöster, aus welchen nach dem Berichte
eines Zeitgenossen bereits seit dem Jahre 1522 zahlreiche
Austritte erfolgt waren, entvölkerte auch den Georgenberg ^).
Nachdem die Thüren geöffnet waren, traten die bürgerlichen
Jungfrauen und Schwestern unter Verzicht an das Kloster
gegen Fruchtrenten, welche im Betrage des beim Eintritt
Eingebrachten ablösbar sein sollten, aus, während die Adeligen
noch einige Jahre verblieben.
Nachweisbar wurden abgefertigt:
1. Eila Fett aus Wetter, 7. Dezember 1527 mit 7 Malter
Frucht partim, ablösbar mit 130 fl.
2. Katharine Herpels aus Wetter, 7. Dezember 1527
mit 3 Malter aus dem Hainaer Hof zu Wetter, ablösbar
mit 40 fl.
3. Eischen Fett aus Wetter, 7. Dezember 1527 mit
15 Malter Frucht partim, ablösbar mit 300 fl.
4. Margarethe Schwimmen aus Marburg, 7. Dezember
1527 mit 15 Malter Frucht partim aus dem Kugelhause
zu Marburg, ablösbar mit 300 fl. Sie war schon binnen
Jahresfrist verheiratet und quittiert mit ihrem Ehemanne
Jost Oswalder 11. November 1528 über die Ablösung.
5. Margarethe Orth und
6. Christine Orth aus Marburg, 14. Dez. 1527, welche
im Beisein des Rentmeisters Peter von Sachsen zu
Wetter 300 fl. eingebracht, mit 15 Malter Frucht partim,
1) Verz. der Klostergüter 1528, S. 405.
*) Die chronistischen Aufzeichnungen des Bruder Göbel aus BH.-
Böddeken. Zeitschr. für Vaterländische Gesch. Westfalens 1858, S. 189 fP.
443
ablösbar mit 300 fl. Sie waren Töchter des Rentmeisters
Ludwig Orth.
7. Katharine Orth aus Marburg, welche 100 fl. eingebracht,
wurde mit einem Schuldbrief über 180 fl. „so zu Alsfeld
im Augustinerkloster Eckhen Mainzer betrifft", entlassen.
8. Margarethe Schwind 1528 mit 80 fl.
9. Katharina Dippel wurde 1531 mit 15 fl. in Baar und
einer Rente von 4 Malter und 4 Mesten partim aus
zwei Klostergütern zu Allendorf bei Battenberg, ablösbar
mit 115 fl., also in Summa mit 130 fl. abgefertigt. Sie
starb 1543, worauf ihre Geschwister Günther und
Gertraud diese 115 fl. erhielten.
10. Elsa von Floxtorff stellte 6. Febr. 1532 Verzicht
und Quittung aus. Die Summe ist nicht genannt.
11. Katharina von Löwenstein im Jahre 1532 mit 100 fl.
12. Gertrude Volk wein aus Attendorn 1532 mit 80 fl.
13. Kunegunde aus Marburg 1532 mit 80 fl.
14. Katharine Schütze aus Röddenau, welche sich in den
Ehestand begeben, erhielt 1533 eine von ihrem Vater
1521 dem Kloster verkaufte Wiese bei ihrem Hofe als
Abfertigung zurück.
15. Margarethe von Eppe, 1535 mit 200 fl.
16. Johann Schuhe, der Klosterdiener, 1537 mit 30 fl.
17. Katharina von Biedenfeld, 13. April 1537 mit 120 fl.
18. Charitas von Oegenhausen aus Brilon, 26. Februar
1538 mit 50 fl. Sie war die Schwester des Pastors
Heinrich Oegenhausen zu Bigge an der Ruhr, welcher
ihren Verzichtsbrief unterschrieb.
Obwohl durch eine fürstliche Instruktion an eine
Kommission, bestehend aus zwei Adeligen, dem Superin-
tendenten Adam Krafft und Hauptmann Heinz von Lüder
im Jahre 1528 die Aufnahme neuer Schwestern untersagt
worden war, so wurden doch noch zwei weitere, Elisabeth
von Wahlen und Apollonia von Grönebach, aufgenommen,
wahrscheinlich zur Zeit des schmalkaldischen Krieges, wo der
Erzbischof Sebastian von Mainz in Geltendmachung seiner
Diözesanrechte auch dem Kloster Georgenberg seine gedruckten
444
Patente wegen Annehmung des Interims insinuieren liess, und
diese das Kloster auch annahm. Als dieser Punkt im Jahre
1629 gegen den Landgraf Georg II. zwecks Restitution des
Klosters geltend gemacht wurde, half man sich mit der Aus-
rede: diese zwei seien nicht als Ordenspersonen oder Schwestern,
sondern als Jungfrauen aufgenommen worden ; Jungfrauen
aufzunehmen, sei ihnen nicht verboten gewesen, gleichwie
man hinsichtlich des Tragens des Ordenskleides sich auf den
kanonischen Grundsatz berief: quod non habitus, sed professio
monachum faciat.
Die Aebtissin Anna von Hatzfeld übte noch 1556 nach
dem Tode des Frühmessners zu Sachsenberg und Pfarrers
der Butzbachskirche Konrad Feuring das Verleihungsrecht
über diese Kirche, welche sie damals dem früheren Kloster-
kaplan, dem Pfarrer Joh. Wiedenhofer zu Viermünden, verlieh,
welcher darauf nebst dem Pfarrer zu Frankenberg und dem
Diener der Aebtissin die Butzbachspfarrgüter „apprehendierte^',
nach Empfang der Register die Lehnsleute belehnte und der
Aebtissin Revers ausstellte (27. März 1556). Die Aebtissin
hatte mit dem Vogte Heinrich Kraushain zu Feurings Leb-
zeiten diese verfallende Kirche (1542 — 1554) restaurieren lassen
und das Geld dazu durch Verpfändung von 5 in die Pfarr-
kirche Butzbach gehörige Wiesenstücke in dem Nienzegrund
auf 20 Jahre für 40 fl. an einen Bürger zu Frankenberg auf-
gebracht. Die Aebtissin verpflichtete sich aber, nicht nur
diese Wiesen nicht weiter zu verpfänden, noch mit Grund-
zinsen zu beschweren, sondern auch etwaige Insage und
Ausfall an diesen Wiesen aus anderen Klostergütern zu er-
statten.
Die Aebtissin Anna von Hatzfeld starb im Jahre 1557,
wahrscheinlich zu Griefstedt, worauf der Landgraf eine Neu-
wahl gestattete, aus welcher ihre Schwester Eida hervorgieng,
bei deren im Jahre 1567 erfolgten Tode noch 7 Jungfrauen
vorhanden waren. Diese richteten wenige Tage nachher an
den Statthalter zu Marburg eine Bittschrift, dass der Land-
graf, welcher sie bis da bei des Klosters Verwaltung gelassen
und das vorige Mal eine neue Aebtissin zu wählen verstattet
445
habe, jetzt, wo sie ihr äusserstes Alter erreicht, ihre Un-
vermöglichkeit ansehen und sie bei diesen Gütern belassen
möge, die sie von ihrer Jugend auf mit saurer Arbeit hätten
bessern helfen, um ihr Alter zu erhalten, und nach ihrem
Ableben dem Fürsten unbeschwert zukommen würden. Weil
sie nun nicht mehr viel zu thun im Stande seien, und doch
ihren nötigen Unterhalt haben möchten, so bitten sie, dass
Jemandem aus ihrer Freundschaft befohlen werden möge, zu
ihnen zu ziehen, um ihre Haushaltung zu führen und sie
Zeit ihres Lebens zu verpflegen, denn ein Fremder, führen
sie aus, möchte vielleicht, an ihrem Alter und Unvermögen
Verdruss haben, und ihnen nicht das Nötige gereicht werden,
während sich ein Blutsfreund vor aller Welt dazu würde ver-
pflichtet fühlen müssen, damit sie keinen Mangel litten ^).
Mit der Reformation war ein allgemeiner Verfall des
Kirchenvermögens eingetreten. Mit rauher, schonungsloser
Hand waren die Stiftungen und Vermächtnisse zusammen-
geworfen und das Gedächtnis der Stifter verwischt worden.
Die Jahrgedächtnisse in den Kirchen und Klöstern, welche
dasselbe den Nachkommen erhalten sollten, fielen mit der
Messe dahin. Neue Stiftungen erfolgten infolge der Predigt
von der Verdienstlosigkeit der guten Werke nicht mehr, die
Ablässe und Opfer, die Eintrittszuwendungen hörten auf. Das
Kloster Georgenberg konnte trotz seines grossen und im An-
fange des 16. Jahrhunderts durch den Erwerb der Albanus-
stiftsgüter zu Röddenau vermehrten Besitzes und trotzdem
durch Austritt und Absterben die Zahl seiner Mitglieder auf
wenige herabgegangen war, sich nicht mehr erhalten. Schon
im Jahre 1538 hatte es ein Gut zu Bockendorf an das Hospital
Haina verkaufen, 1537 eine Schuld von 80 fl. machen müssen.
Die Schulden waren in der Folge bis zu 700 fl. gewachsen.
Durch eine Vereinbarung vom 14. Dezember 1569 traten
daher die noch vorhandenen 5 Klosterpersonen, die Priorin
Anna Clauer, die Jungfrauen Margarethe und Elisabeth von
Wahlen und die Schwestern Elisabeth Brungheimer und
») Deduktion vom Jahre 1629, S. 624 S,
446
Apollonia von Grönebach das Kloster mit allen Gütern, Ge-
fällen und Rechten, sowie allen Lasten und Schulden an den
Landgrafen Ludwig IV. gegen ihre lebenslängliche Unterhaltung
im Kloster ab. Der Uebergabsbrief ist vom Pfarrer und
Superintendenten Kaspar Tholde und dem Bürgermeister und
Bat zu Frankenberg besiegelt und im Namen der Jungfrauen
vom Bentmeister Heinrich Kraushain in Gegenwart des
hessischen Hofmeisters Joh. von Linsingen unterschrieben.
Die Jungfrauen mussten die Klosterkleidung ablegen und ,,die
Missbräuche abstellen, welche dem Worte Gottes nicht gemäss
waren" (Sauer). Es wurde ihnen erlaubt, entweder in ihren
Zimmern zu verbleiben oder unter Mitnahme ihrer Kleider
zu ihren Verwandten zu ziehen^ ihnen auch weiter jährlich
5 Mött Korn verwilligt, um auch fernerhin Almosen an die
Armen spenden zu können. Der Landgraf Hess das Kloster
durch den Bentmeister Kraushain in Besitz nehmen und
seinen Besitz und Güter inventarisieren (6. Oktober 1567).
Klostervogt war Adam Helfricb. Die letzte Schwester,
Elisabeth Brungheimer, starb 1581.^) Ihre Hinterlassenschaft
wurde auf Befehl des Fürsten ihren Verwandten übergeben.
Heinrich Kraushain war der erste hessische Bentmeister,
welcher im Kloster wohnte ; der letzte hessische und erste
preussische Wilhelm Quentin war der letzte überhaupt
(Februar 1869). Nach ihm wurde die Wohnung einem Ober-
förster eingeräumt.
Schon im 16. Jahrhundert diente das Kloster wiederholt,
wie in der Gegenwart, zu Beamten Wohnungen, wenn die
Beamten und Universität vor der Pest aus Marburg flüchteten.
Es geschah dieses sechsmal : 1. im Jahre 1530; 2. vom Ok-
tober 1554 bis März 1655 ; 3. vom August 1564 bis Mai 1665 ;
4. im Herbst 1575 bis 2. Mai 1576; 5. im August 1585 bis
') Wenn die von dem sog. städtischen Exercitienbuche als am
15. März 1582 verstorben genannte Margarethe von ßicken anderwärts
(Rörig, S. 59; Schenk, S. 188) als die letzte Klosterperson aufgeführt
wird, so ist dieses ein Irrtum. Maigaretbe von Bicken, die Tanto des
Kurfürsten Joh. Adam von Mainz, war die Witwe des Joh. HuhA zu
Ellershausen und starb in dem huhnischen, früher treisbachischen Burg-
sitz hinter der Pfarre.
447
Frühling 1586; 6. im Jahre 1611. Während des 3. Auszugs
wohnte der Statthalter Burkhard Gramm darin, während des
4. starb dort der hessische Kanzler Heinrich Lersner d. Ä.
9. März 1576 und wurde in die Pfarrkirche begraben*).
Die Mauritiuskirche des Klosters, welche in
der Vorzeit einen Dachreiter hatte, war nach der Aufhebung
des Klosters unbenutzt. Die grössere Glocke derselben über-
liess Landgraf Moritz im Jahr 1608 der Pfarrkirche, deren
Turm und B Glocken am Sonntage Exaudi 1607 infolge
eines Blitzschlages zum zweiten Male zerstört worden waren.
Die Klosterkirche wurde dann von Landgraf Wilhelm VL der
im Jahre 1662 gegründeten reformierten Gemeinde überwiesen
und^ als diese 1679 die Augustinerinnen- oder Hospitalkirche
erhalten hatte , hielt der Prediger der 1687 angelegten
Hugenottenkolonie Luisendorf Adraham Fontaine, welcher zu
Frankenberg wohnte, in ihr (1688 — 1702) für diese Gemeinde
französischen Gottesdienst, bis ihr Landgraf Karl im Jahre 1700
eine Kirche am Orte erbaute.
Die Patronate des Klosters, namentlich sein Teil
an der Pfarrkirche zu Niederasphe ^), ferner das vom Albanus-
stifte erworbene Patronat zu Röddenau, sowie das über die
alte Butzbachsklosterkirche giengen auf die Landgrafen über,
die sich jedoch den mit den Gütern überkommenen Bau-
verpflichtungen möglichst zu entziehen suchten. Die
Butzbachskirche, für deren Versehung noch Landgraf
Ludwig IV. dem Pfarrer Wiedenhofer 1568 einen Zusatz von
zwei Klaftern Holz aus den Waldungen der breiten Struth
gewährt hatte, gieng ihrem Verfalle und Untergange entgegen.
Sie war schon unter Landgraf Moritz so in Verfall, dass die
unter Landgraf Georg IL eingesetzte Generalkirchenvisitations-
kommission im Jahre 1629 sie ungesäumt zu verwahren an-
ordnete, damit sie einer Kirche ähnlich sei. Vollends der
spätere Landgraf Karl, welcher den eingewanderten Fran-
*) Cäsar, Catalogus, 1878, pag. 18.
*) Der Anteil der von Fleckenbühl und Erfurtshausen, bezw. Dersch
an diesem Patronate gieng nach deren Erlöschen durch Belehnung mit
ihren Gütern auf die Landgrafen zu Rumpenheim über.
448
zosen unter Verleihung weitgehender Privilegien auf Staats-
kosten, Kirchen, Schulen und Pfarrhäuser baute und deren
Prediger, Lehrer und Bürgermeister auf Kosten der deutschen
Landeskinder besoldete und seine Residenz mit den gross-
artigsten Prachtbauten schmückte, hatte so wenig ein Herz
für diese Landebkinder, noch ein Bewusstsein der mit den
Klostergütern überkommenen Verpflichtungen, dass die zur
Butzbachskirche gehörigen Unterthanen nichts weiter, als ein
offenes Patent der Regierung zu Marburg im Jahre 1717 er-
halten konnten, um in Waldeck und im cölnischen katholischen
Westfalen eine Kollekte zu ihrer Herstellung zu erheben.
Sie wurde, nachdem die übrigen in alter Zeit zu ihr gehörigen
Ortschaften im Laufe der Zeit sämtlich wüste geworden
waren, nur noch von den Bewohnern der Butzmühlen und
des Dorfs Hommershausen, und seitdem der lutherische Gottes-
dienst zu Schreufa unter Landgraf Karl 1692 unterdrückt
worden war, auch von den lutherischen Einwohnern zu
Schreufa bis 1775, besucht. Am 7. Januar 1759 wurde aus
ihr die Glocke gestohlen. Bei schlechter Witterung suchten
die sachsenberger Schäfer mit ihren Heerden in ihr Schutz
und Obdach. Dieselbe wurde daher endlich 1817 abgebrochen
und nach Hommershausen verlegt, die Beibehaltung eines
Stücks ihres Toten hofes aber dem Besitzer der unteren Butz-
mühle gestattet (1827).
Die Güter, welche den Landgrafen, bezw. dem
hessischen Staate mit dem Kloster zufielen, waren ausser den
erwähnten Zehnten viele einzelne Hufen und Grundstücke zu
Frankenberg, viele Wiesen im Nienze- und Nuhnethal und
unterhalb Sachsenberg. Das wertvollste Stück war der
Hof Rodenba eh. Derselbe, im umfange von 365 Casseler
Acker, war seit 1533 (Februar 14.) an einen Klosterdiener,
seit 1542 geteilt an zwei Pächter auf 9 Jahre für ein Dritt-
teil des Ertrags und sonstige Leistungen an Vieh und Fuhren
verpachtet. Im vorigen Jahrhundert betrug die Pacht 146 Thlr.
Im 17. Jahrhundert war die eine Hälfte an die Familie Grebe
verpachtet, aus welcher die in der Neuzeit bekannten casseler
Realschulmänner dieses Namens hervorgegangen sind; im
449
vorigen Jahrhundert waren Heinrich Trus und Joh. Beutel
Pächter. Da der erstere verschuldet war und im Jahre 1777
die Pacht zu Ende gieng, nahm der Rentmeister Lange zu
Frankenberg den schon 1711 erwogenen Plan einer Vererb-
leihung wieder auf und beantragte 19. November 1774 die
Anlage eines Dorfes. Es bewarben sich alsbald die fran-
zösischen Kolonisten zu Wiesenfeld auch um dieses Kloster-
gut, um dasselbe mit 10 Familien aus ihren Kindern zu be-
siedeln. Das Gesuch wurde jedoch durch Resolution vom
3. März 1775 abgeschlagen und die Bittsteller angewiesen,
sich lieber bei Cassel anzusiedeln. Hierzu zeigten dieselben
sich jedoch nachgehends nicht geneigt. Zufolge einer fürst-
lichen Resolution vom 4. April 1777 wurde die Anlage eines
Dorfes verfügt, der Hof in 6 Portionen nebst 4 Plätzen
für Handwerker geteilt und an deutsche Kolonisten aus
Ernsthausen bei Frankenberg auf Erbleihe gegen einen jähr-
lichen Zins von je 25 Thlr., sowie ein Laudemialgeld für
dieses Erbleiherecht von zusammen 400 Thlr. im Jahre 1781
ausgethan ^). Das nötige Bauholz wurde unter Verwendung
der bisherigen Pachtgebäude den Kolonisten forstfrei geliefert,
die Kosten der Vermessung und des Baumeisters vom Staate
getragen. Jeder der 6 Beständer sollte jahrlich 4 Klafter
Holz aus dem Staatswalde gegen Bezahlung erhalten, auch
denselben auf Ansuchen die Teilung der Portion in zwei
Hälften gestattet werden. Ebenso wurde den 4 Handwerkern
ausser 4 Casseler Acker Land die Mitbenutzung der Hute
gegen ein billiges Hirtengeld bewilligt^). Die Leihe wurde
*) Diese Kolonisten waren Feter Gercke, Konrad ßaumann, Karl
ßeinbott, Heinrich Gronau (später sein Eidam Heinrich Pfuhl), Jost
Nicolaus Gronau (später sein Eidam Joh. Landau) und der bisherige
Pächter Joh. Beutel (Joh. Jost Gross); die ersten Handwerker: der
Schmied Daniel Heller aus Sachsen-Meiningen, der Scherenschleifer
Konrad Schmelzer aus Böhmen und ein Maurer.
*) Bericht der Kriegs- und Domänenkammer vom 18. März 1777
und Allerh. Approbation vom 26. März 1777. Die Anlage eines besonderen
Totenhofes wurde den Kolonisten 27. Juni 1788 abgeschlagen. Gleichwie
die Pächter mussten auch die Kolonisten an die Pfarrei Röddenan einen
6spänmgen Wagen Heu liefern.
N. F. Bd. XXIII. 29
450
bei jedem Todesfall des Fürsten, wie des Lehnsbeständers
erneuert^ das Lehnsverhältnis^ sowie die Steuerfreiheit schon
unter der kurhessischen^ die Berechtigungen der Güter in der
Neuzeit unter der jetzigen Regierung abgelöst und auf-
gehoben.
vm.
Vom Melsiing:er Gerichte^).
Von
Dr. Lr. Armbrust.
Simmem (RheinproT^inz.)
n einer der ältesten Erwähnungen Melsungens ist vom
Gaue Milisunge ^) die Rede. Der Umfang dieses Gerichts-
bezirks wird sich mit den Grenzen des kirchlichen Sprengeis
gedeckt haben, und diese lassen sich in ihrer frühesten Aus-
dehnung ziemlich genau verfolgen. Die Melsunger waren
nämlich vor Zeiten nach Grebenau eingepfarrt, und nach ur-
kundlichem Zeugnisse^) hatte dies Grebenauer Kirchspiel fol-
genden Umkreis. Es begann auf dem Wildesberge bei
Swerzelvurde, dem vor 100 Jahren abgerissenen Hofe
Schwerzelfurt. In der Nähe der Fahre überschritt die Pfarr-
und Gerichtsgrenze die Fulda und ging auf dem linken Ufer
nach Dakenbrunnon (HOB Dakenbrunnen, 1438 Tagken-
>) Hauptsächliche Quellen : Melsunger Saalbuch von 1675 (Abschrift
von 1787). Melsunger Kämmereibüoher seit 1640. Melsunger Urkunden
und Akten im Marburger Staatsarchive (M. U. bezw. M. A.). Koppt
Hessische Gerichtsverfassung. Maurer, Städteverfassung III, 280 fde.
^) Pagus Milisunge bei Dronke, Traditiones Fuld. oap. VI, 97, 115.
Weucky Hess. Landesgesch. II, 402 Anm. weist nach, dass die eine
Schenkung im 11. Jahrhundeit stattgefunden hat, die andere wird
schwerlich einer späteren Zeit angehören.
») Wenck^ Hess. Landesgesch., Urk. zum II. Bd. Seite 12 Nr. X.
Die angeblich am 31. Aug. 786 ausgestellte Urkunde ist „mindestens
veiunechtot'': Sichel^ Karolinger Regesten 1867 S. 47. Böhmer^ Reg. Imp.
(Mülilbacher). 1889. — Die Schrift weist auf das 11.— 12. Jahrhundert
hin. Die Grenzen des Grebenauer Kirchspiels werden darin wohl richtig
angegeben sein.
29*
452
borne), einer Wüstung, die eine Viertelstunde unterhalb von
Malsfeld zu suchen ist. Darauf durchschneidet sie in schräger
Richtung den Markwald (das Beurische Holz) und führt an
Medelhereshuson (Melgershausen) vorbei über Eessel-
berg und Quiller. In dem Nisdenbahc, den sie kreuzt,
möchte man den Freitagsgraben vermuthen. Man gelangt
dann weiter nach H um b e n r o t , einer Oertlichkeit bei Wagen-
furt, da es in einer Urkunde von 1457 heisst: „in dem
Hommenrode bei Wainfort.'^ Bucenenwird d. h. Büchen-
werra gegenüber macht die Grenze am linken Fuldaufer halt
und geht im Flussbette wieder stromaufwärts (sursum per
ejusdem fluminis alveum) bis zum Ste ini ncruce. Ein
Kreuz bildete öfter ein Grenzzeichen ; so endete nach dem
Saalbuche die Schwarzenbergische Fischerei des Landgrafen
bei einem Kreuze vor Röhrenfurt. Dieses wird wohl nicht
gemeint sein, sondern eher eine Stelle auf dem Steinfelde
(auch „auf dem Stein" genannt) oberhalb von Körle, auf dem
rechten Fuldaufer. Das Saalbuch erwähnt nämlich dort „vier
Rodtäcker bei dem Steinkreuze." Der folgende Grenzort ist
Breidenbahc. Ein Bach dieses Namens mündet dicht bei
Röhrenfurt in die Fulda, und 1269 lagen zwei Dörfer, Alt-
und Neubreitenbach, daran. Zwischen dem Breitenbache und
dem Steinfelde bei Körle liegt das Scheidgehege, das von
der alten Pfarrgrenze seinen Namen entlehnt haben kann
(Scheid == Grenze). Dann wird man geradeswegs nach Norden
bis zum Watdenbahc, dem Wattenbache geführt, darauf
wieder südwärts zurück zur Milzisa (Mülmisch), deren
oberer Lauf gemeint sein muss. In der Nähe von Eiterhagen
geht die Grenze auf das linke Ufer der Mülmisch über und
zwar in Massenbrunnon hin; diese Wasserader heisst
jetzt „im nassen Born,*^ zwischen Eiterhagen und Kehren-
bach. Ueber die folgenden beiden Grenzorte, Crepeles-
sore und Rodenhart, sind nur Vermuthungen möglich.
Crepelessore möchte man als „Krüppelssöhre'V) ,^leine
Söhre** übersetzen, zumal da 1577 im benachbarten Gerichte
^) Nach Vtlmars Idiotikon kommt im Hessischen Krepel statt
Krüppel vor.
453
Spangenberg eine „hohe Soer^* vorkommt. Wenn der Name
Söhre wirklich auf sor {dürr, trocken) zurückgeht, dann ist
Crepelessore zwischen Kehrenbach und Quentel in der „dürren
Wand*' zu suchen, auf welche die Wasserrinne „im nassen
Born" in gerader Richtung hinweist. Die Grenzlinie zieht
sich hierauf über Rodenhart hin (et sie super Rodenhart).
Hart bezeichnet einen Wald. Man kann kaum im Zweifel
sein, dass Rodenhart sich im Riedforste befindet. ^) Vom
Riedforste führt die Grenze die Wald Strasse hinab (deor-
sum per silvaticam viam) zurück nach Schwerzelfurt. Die
in späteren Schriftstücken (z. B. 1534 — 1575) nicht selten
erwähnte Waldstrasse wird 1387 als Grenze des M ei-
sung er Stadtgebiets erwähnt.^) Jetzt heisst nur der
Weg, der vom Riedforste über den Karlshagen geht bis zur
alten Fuldabrücke der Stadt Melsungen Waldstrasse; früher
muss sich diese Bezeichnung auch auf die Fortsetzung der
Strasse über den Galgenberg erstreckt haben.^)
Wenn die Deutung dieser alterthümlichen Grenznamen
richtig ist, so umfasste das Grebenauer Kirchspiel und damit
der ursprüngliche Melsunger Geriehtsbezirk nur folgende
Ortschaften: Grebenau, Wagenfurt, Lobenhausen,
(Neu- und Alt-Breitenbach), Röhrenfurt, (Wen-
disdorf). Seh warzenberg, Eiterha'gen, Kehren-
b'aeh? Melsungen, Obermelsungen, Fahre und
(Schwerzelfurt)*) Von diesen Ortschaften wurde in un-
bekannter Zeit Eiterhagen dem Melsunger Gerichte entzogen
und als halber Schöppenstuhl dem Amte Neustadt-Kassel
überwiesen.
Als Melsungen zur Stadt erhoben wurde (vor 1265) er-
weiterte man anscheinend den ursprünglichen Gerichtsbezirk.
*) Hier darf nicht verschwiegen werden, dass der Pfiefrain unter
dorn Galgenberge 1387 und 1575 den Namen Rodenstein führt, und
dass liart auch „steinigen Boden*^ bezeichnen kann. Dann würde die
silvatica via aber zu einem gewöhnlichen Waldwege herabsinken.
^) Friedensburg, Landgraf Hermann IL und Erzbischof Adolf L
von Mainz in der Zeitschr. f. hess. Gesch. N. F. XL Beilage 19 S. 280.
8) Landau im Hessengau S. 99 und wörtlich danach Dr. Zilch im
Melsunger Wochenblatt 1878 Nr. 17 ziehen mit Unrecht von Büchenwerra
a'< dio Grenzen viel weiter.
*) Dio eingeklammerten Ortsnamen sin4 "Wüstungen.
454
Gewöhnlich pflegte man nämlich bei der Gründung einer
Stadt drei benachbarte Gerichte zu vereinigen. So kam wohl
das Gericht Körle zum Melsunger Sprengel. Zu jenem Ge-
richte gehörten die Ortschaften Emp fershausen, Körle,
Albshausen und Wollrode. Dass Körle mit seiner Um-
gebung auf dem rechten Fuldaufer einen eigenen Gerichts-
bezirk bildete, dafür finden sich folgende Beweise. Körle
hatte noch 1299 (später nicht mehr) einen eigenen Pfarrer
und bildete eine Parochie, also ein Kirchspiel.^) Ein solches
pflegte sich aber regelmässig an die uralte Gerichtseintheilnng
anzuschliessen. Ausserdem spricht sich das Saalbuch von
1575 ganz unzweideutig aus, dass in Körle alljährlich zwei-
mal die landgräflichen Beamten Gericht halten mussten, eins
auf Walpurgis, das andere auf Michaelis. Dort hatten dann
die umliegenden Dörfer „ihre Rüge zu thun," nämlich Woll-
rode, Albshausen, Wagenfurt, Lobenhausen und Emp-
fershausen^). Mit Recht führt Kopp dieses Rügericht
zu Körle auf ein altes Centgericht zurück. Wagenfurt und
Lobenhausen werden hier zum Gerichte Körle gerechnet, die
Grenzen dieses und des Melsunger Gerichts waren also um
1575 verwischt. Den Bewohnern von Lobenhausen (ebenso
wie denen von Empfershausen) legt das Saalbuch ausdrück-
lich die Pflicht auf, nach Melsungen oder nach Körle zu
gehn, wohin sie gerade von den Beamten vorgefordert
würden. Aehnlich, wenn auch weniger deutlich, spricht es
sich bei Wagenfurt aus. ^) Die Zugehörigkeit zu Melsungen
war also noch nicht vergessen. Wie es scheint, hatte der
Bezirk Körle seine Gerichtsstätte bei Empfershausen „am
Steinmahl." Jakob Grimm erklärt diesen Flurnamen wenig-
stens für eine alte Richtestätte (Ztschr. f. hess. Gesch. 1840
II, 147).
') Lennep, CJodex probationum zur Landsiedelleihe Marb. 1768
Seite 442 Nr. 173: plebanum Conradum in Corle ecclesie . . . eoclesie
seu parrocchiae in Corle.
*) Diese Ortschaften werden mit Körle später als „Unteramt
Melsungen '^ zasammengefasst, vgl. Seite 458 Anm. 1.
») Blatt 114: Wainforth, Müßep , . . an die Gerichte volgen, wie
andere ünterthanen im Ambte,
455
Um den Galgenberg unter der Koppe des Schöneberges,
auf dem rechten Fuldaufer, gruppiren sich einige Ortschaften,
die auch noch im Mittelalter zum Gerichte Melsungen ge-
schlagen sein müssen. Dies sind Kehrenbach, das hart
an der Grenze des Grebenauer Kirchspiels liegt und vielleicht
diesem noch zuzurechnen ist, ferner Kirchhof, (Reinwerke-
rode) und Adelshausen; letzteres wird 1438 erwähnt
als „im Gerichte Melsungen gelegen/*^) Dagobertshausen
und Ostheim, die früher in Homberg ihr Eecht suchten,
wurden um 1542 vom Landgrafen Philipp nach Melsungen
gewiesen. In dem adeligen Elfershausen hatte der
Landgraf nur das Blutgericht („das höchste Gericht"),^)
Zur Zeit der Reformation mag das Gericht Gux-
h a g e n oder Breitenau den Zusammenhang mit dem städ-
tischen Gerichte in Melsungen erlangt haben. Der Vorsitzende
führte dort nach dem Saalbuche den Amtsnamen Vogt, wie
in geistlichen Gebieten regelmässig die Blutrichter genannt
wurden.^) Dieser Vogt war aber der Melsunger Schultheiss.
Ihm standen etliche Schöffen aus der Stadt oder dem Amte
zur Seite.
Der Melsunger Bürgermeister sass als erster Schöffe zur
Rechten des Schultheissen, die Schöffen aus Guxhagen,
Ellenberg und Büchenwerra zur Linken. Zu diesen
kam dann noch der Stadtschreiber, häufig auch zwei Raths-
herren aus Melsungen. Der Vogt gab ihnen Kost und Lohn,
während die Beamten und Schöffen, wenn sie beim Körler
Gericht thätig waren, vom Landgrafen eine Entschädigung
für die Mahlzeit erhielten. Die Melsunger Schöffen, die sich
zum Breitenauer Gerichte oder zum Walpurgis- oder Mi-
chaelisgericht nach Körle begaben, empfingen einen kleinen
Beitrag aus der Stadtkasse. Später hielt man das Walpurgis-
und Michaelisgericht auf dem Melsunger Rathhause, trotzdem
blieb die Entschädigung der Schöffen bestehn. 1683 verbot
der landgräfliche Revisor der Kämmereirechnungen jede Zah-
*) Vgl. Landau, Hessengau S. 101.
*) Nach dem Melsunger Saalbucbe vpu 1575.
3) Maurer III, 494.
456
lung aus der Stadtkasse für die Theilnahme am Breitenauer
Gerichte. ^)
Zu den Gerichtspersonen gehörte, wie aus den vorher-
gehenden Zeilen schon hervorgeht, einmal der herrschaft-
liche Schultheis s. Er war ursprünglich Civilrichter, hatte
dann auch den grössten Theil der Eriminalgerichtsbarkeit
übernommen^), die anfangs in Breitenau dem Vogte und
in Melsungen dem Burggrafen zukam. Um 1623 konnte
man die angesehene Stellung des Burggrafen noch darin er-
kennen, dass er ein bares Jahresgehalt von 30 Gulden bezog,
während sich Schultheissund Bentschreiber mit je 18 Gulden
begnügen mussten. Erst im vorigen Jahrhundert (1737)
wurde das Burggrafenamt mit dem des Bentmeisters ver-
schmolzen^); damals war der Burggraf aber bereits zum
blossen Schlossverwalter herabgesunken.
In der ältesten Zeit hiess der Schultheiss Villicus oder
Verwalter, so kommt 1235 der Villicus Giselher vor.*)
Seit 1269 ist dann aber stets vom Scultetus die Bede. *)
Sechs Jahre später wird ein Scultetus von Melsungen mit
Namen genannt: Gerhard (wahrscheinlich Sagittarius =
Pfeil), der allem Anscheine nach 1288 noch Schultheiss war.
Die Schultheissen nahm der Landgraf meist aus angesehenen
Bürgerfamilien, zuweilen auch aus dem Adel. Dem letzteren
ist mit Sicherheit wohl nur Johann von Hebeide (1452)')
zuzurechnen, er stammte jedenfalls aus dem Bittergeschlechte
derer von Falkenberg. Vielleicht hiess der Schultheiss 1269
Bitter Giso Sprengel und war also ebenfalls adeligen
Standes. Gerlach Tuker (1384) gehörte dagegen einer
hervorragenden Bürgerfamilie Melsungens an. Ueberhaupt
lässt sich, abgesehen von Henrich Kirchain (1400), der
*) Naeh dem Melsunger Kämmereibuohe von 1683.
«) Momr&r III, 494.
») M. A.
*) Landau^ Geschichte der Familie von Treffurt, in der Ztschr,
für hess. Gesch. IX, 189 Anm.
') Landau, Handschriftliche Bemerkungen zur Geschichte von
Melsungen, auf der Kasseler Landesbibliothek.
®) M. U. Die Zahlen bedeuten immer nur das erste und letzte
Vorkommen in den Urkunden oder Akten.
4
457
sich zwölf Jahre später Henrich von Kirchain nennt, bei
fast allen folgenden Schultheissen ihre Herkunft aus Mel-
sungen nachweisen. 1430 war Henne Pyen Schultheiss,
1438 Johannes Struss, 1449 Hermann Flesser,
1457 Hencze Flecke, vor 1486 Heintz Luley, 1490
C 1 o b e s (Nicolaus) Fyge, 1535 Hans Phuraen, 1541 bis
1601 Martin Berckhöffer. Offenbar verbargen sich aber
unter dem letzteren Namen zwei verschiedene Männer, wohl
Vater und Sohn ; denn 1561 studirte ein Martin Barckhover
aus Melsungen auf der Universität Marburg.^) Aus Mel-
sungen stammten ferner die Schultheissen Johann Lauze
(1607), der zugleich Rentmeister war,^) Breithauwe (1614)
Nikolaus: Ellenberger (1633—1653) und Johann,
Konrad Brambeer, gleichfalls Rentmeister (1673 — 1693),
der wohl nur vertretungsweise die richterlichen Geschäfte be-
sorgte; nicht nachzuweisen ist die Abstammung von Christoph
Seiler (1662—63), Johann Schmol (1668—71), Konrad
Baumgarte (1680—88), Musculus (? vor 1697) und von
dem ersten der drei Mitglieder der Familie Ostercamp, die in
einem grossen Theile des vorigen Jahrhunderts (1697 — 1760)
im Besitze des Schultheissenamts war. Als der letzte
Schultheiss Ostercamp am 17. Mai 1760 im kräftigsten
Mannesalter den Stürmen des Siebenjährigen Krieges erlag,
war das hessische Ministerium einen Augenblick gewillt —
wie es im 17. Jahrhundert mehrfach geschehen war — die
Schultheissenstelle mit der des Rentmeisters zu vereinigen.
Der damalige Rentmeister Karl Ludwig Reiche!, den man
1737 auch zum Burggrafen ernannt hatte, war aber nicht
juristisch vorgebildet und hieran scheiterte hauptsächlich die
Vereinigung der beiden Aemter. Für Ostercamp wurde
daher Lennep Amtsschultheiss, nach diesem bis 1770 Mer-
geil. Das Amt Melsungen umfasste damals zwanzig Dörfer
und fünf Höfe und zerfiel in das Oberamt, das Unteramt
1) Stöhel, Hessische Studierende 1368—1600, in der Ztschr. f.
hess. Gesch. N. F. V. Suppl.
*) Melsunger Stadtbuch von 1598 im Marburger Staatsarchive.
458
und das Gericht Breitenau.^) Obwohl also ein Schaltheiss
Arbeit genug fand, legte man 1776 die Aemter Melsungen
und Felsberg zusammen. Der Sitz des Schultheissen, der
nun meistens Amtmann genannt wurde, blieb aber Mel-
sungen. Dahin siedelte denn auch der Amtmann Giesler
(1776—1783) von Felsberg über, und nach ihm werden noch
Amtmann Suabedissen (1786 — 1788) und Burchardi
(1799) erwähnt. Mit der Westfalenzeit starb dann der Name
des Schultheissen völlig aus.
Neben dem Schultheissen, der die Untersuchung leitete
und das Urtheil verkündete, sassen die Schöffen zu Ge-
richt, die eigentlichen Urtheilsfinder. Vereinzelt scheinen
sie auch Geschworene genannt zu sein (1373) In anderen
hessischen Städten wurden sie jährlich neu gewählt. Dass
dies in Melsungen auch der Fall war, darf man vermuthen«
Jedenfalls finden sich aber dieselben Personen mehrere Jahre
hinter einander als Schöffen. Also muss man mindestens
eine regelmässige Wiederwahl annehmen. Im 16. Jahr-
hundert ging, nach dem Ausdrucke des Saalbuches, die Wahl
mit Wissen der Beamten vor sich und wurde von diesen be-
stätigt. In unruhigen Zeiten nahm indessen die Herrschaft
das Recht in Anspruch, die Schöffen ohne weiteres zu er-
nennen. So erwählte Landgraf Hermann der Gelehrte (1379)
zwölf Schöffen aus dem Rathe und verfügte, dass diese lebens-
lang verbleiben sollten. ^) Die Zahl der Schöffen betrug schon
1288 allem Anscheine nach zwölf, wie bei allen grösseren
Gerichten. Unter ihnen waren der erste und der zweite
Bürgermeister. Zeitweise wurde streng darauf gesehen, dass
Vater und Sohn oder zwei Brüder nicht zu gleicher Zeit das
Schöffenamt bekleideten. Leider kamen aber auch viele Ab-
*) Zum Oberamte gehörten : Schwarzenberg, Kehrenbach, Kirchhof
Obermelsuogen, Adelshausen, Dagobertshausen und Ostheim nebst den
adligen Dorfschaften Malsfeld, Elfershausen und Schnegelshof. Im ünter-
amte befanden sich: Körle, Lobenhausen, "Wagenfurt, Albshausen, Woll-
rode, Empfershausen; im Gerichte ßreitenau: Guxhagen, Ellenborg,
Büchenwerra, Kloster Breitenau, Hof Fahre, Schwerzelshof. Nach Kopp^
Hess. Gerichts verf.
') Schmincke's Auszüge aus dem Reporter. Aulicam Ziogenhainense
in der Kasseler Landesbibliothek.
459
weichungen von dieser bewährten und überall verbreiteten
Bestimmung vor: 1288 waren Thitmar am Markte und sein
Sohn Hermann Schöffen, 1412 Cort Schuler Bürgermeister
und Henne Schuler Schöffe. In späteren Jahrhunderten,
zumal nach dem Dreissigj ährigen Kriege, lassen sich noch
mehr Beispiele nachweisen. Die Schöffen richteten nur nach
dem Herkommen. Im 16. Jahrhundert weigerten sie sich
einmal, beim ungebotenen Dinge ein Buch zu benutzen.
Sie Sassen unter dem Vorsitze des Schultheissen über alle
peinlichen Fälle zu Gericht, soweit diese nicht dem Landes-
herrn vorbehalten blieben, ausserdem waren die Schöffen
für die Personalklagen gegen Burgmannen zuständig ^). Da-
gegen hatte der Bürgermeister (nicht der landgräfliche Schult-
heiss) die Leitung der bürgerlichen Personal- und Bealsachen.^)
Eifersüchtig wachte man darüber, dass der Schultheiss von
solchen Angelegenheiten nichts vor seinen ßichterstuhl zog.
Besonders nach dem Dreissigj ährigen Kriege erhoben sich
darüber Zwistigkeiten. 1688 erlaubte der Schultheiss Baum-
gardt (Baumgarte) einem Bürger, die Kuh, die ihm vom
Bürgermeister abgepfändet war, ohne weiteres wieder aus
dem Pfandstalle zu holen. Und 1693 nahm sich der Rent-
meister Johann Konrad Brambeer, der zugleich das Richter-
amt bekleidete, einen anderen Debergriff heraus: er wollte
den Bürgern ihre Kaufbriefe und Wehrschaften, d. h. Ein-
weisungen in ein neu erworbenes Eigenthum, bestätigen.
Beide Male beklagten sich Bürgermeister und Rath bei' der
Regierung und baten, „die Stadt in ihrer althergebrachten
Jurisdiktion und Exekution zu schützen". Die Wehrschaften
blieben dem Bürgermeister und Rathe bis in die Neuzeit,
aber von den peinlichen Sachen wurden die Schöffen all-
mählich ganz zurückgedrängt; diese standen, wie der Stadt-
aktuar TilP) 1805 bemerkt, dem Schultheissen allein zu.
Eine solche Beschränkung muss erst aus der Mitte des
vorigen Jahrhunderts stammen. Denn 1644 führt das Mel-
») Vgl. auch Maurer III, 259.
*) Till, Nachrichten von der Stadt Molsungen § 13. Hdschr. auf
der Kasseler Landesbibiiothek and dem Melsunger Bathhaose. .
460
sanger Kämmereibuch Ausgaben an für die Befragung der
juristischen Fakultät in Kassel, die über die Folterung einer
schweren Verbrecherin ihr Gutachten abgeben sollte; 1667
werden die Kosten für ein peinliches Gericht angeführt, und
noch 1712 liess die Stadt ein Holzgerüst aufschlagen für das
peinliche Gericht über eine Witwe und deren Tochter ans
Kirchhof. Da alle drei Fälle Verbrecher aus dem Oberamte
und dem Gerichte Breitenau, aber nicht aus der Stadt be-
trafen, so konnte die Stadt doch nur dann zu solchen Aus-
gaben angehalten werden, wenn ihre Schöffen beim Gerichte
noch mitwirkten. Später verschwinden diese Ausgaben in
der That.
Vereinzelt kam es vor, dass Melsunger Schöffen bei
auswärtigen Gerichten mitwirkten, so in Lichtenau „zwei Bath-
mannen" 1475 und „zwo Scheffen'^ 1616.^)
Die Eidesformel, die die Melsunger Schöffen in den
letzten Zeiten ihres Bestehens beim Antritte des Amtes
schwören mussten, hat sich erhalten: Sie lautete:
„Nachdem Ihr zu einem Gerichtsschöppen des Ge-
richtsstuhls N. N. denominieret und erkoren worden,
auch Amts und Obrigkeits wegen jetzo zu Ablegung
Eurer Pflichten vorgestellet werdet: als sollet Ihr ge-
loben und schwören zu Gott dem Allmächtigen und
seinem heiligen Wort, dass Ihr in fürfallenden Irrungen
und sonst in Gerichtssachen, dazu Ihr erfordert werden
möchtet, jedesmals auf der Beamten Befehle willig er-
scheinen^ dasjenige^ was strittig und Euch nebst anderen
zu schlichten aufgetragen wird^ so viel an Euch ist, nach
Eurem Verstand ohne einige Partheylichkeit in Acht
nehmen, auch nicht ansehen wollt Freund, Gebrüder,
Nachbarn und Gevatterschaften, niemanden weder aus
Hass, Feindschafft, Gunst, Gabe und Geschencke oder
aus eigenem Nutzen wissentlich und fürsetzlich be-
schweren, sondern einem jeden, wer es auch sey, und
so weit Euch zukommt, zu seinem Recht, und was der
*) Siegdy Geschichte der Stadt Lichtenau in der Ztsohr. f. hess.
Gesch. N. F. XXII, 51 Anm. 2.
461
Billigkeit gemäss ist^ verhelfen und in allem dergestalt
Euch verhalten wollet, wie einem getreuen, verpflichteten
Gerichtsschöppen, auch sonsten insgemein ehrlich- und
aufrichtigen Leuten eigent und gebühret. Ihr sollt auch
alles dasjenige, was Ihr strafbares erfahret, und wider
die Hochfrstl. Edikte und Verordnungen ist, ohne An-^
sehen der Person der Obrigkeit ohnverzüglich anzeigen
und darüber selbst gebührend halten. So wahr u. s. w/^
Das Gericht selbst, wenigstens das Bügegericht zu Gux-^
hagen, wurde folgendermassen gehegt. Der Vorsitzende, also
der Schultheiss, begann:
„Nachdem die Zeit nunmehro erschienen, dass die Rüge-
gerichte pflegen gehalten zu werden, und dann der heutigö
Tag dasselbe alhier zu halten anberahmet worden, als frage
ich die Schöpfen :
1. Frage. „Ob es Tag, Zeit und Stunde sey, dem
Durchlauchtigsten Fürsten und Herrn (voller Titel) ein Rüge-
gerichte alhier zu hegen und zu halten?"
Der Burgermeister zu Milsungen als erster Schöppe ant-
wortet hierauf:
Antwort: „Wann der Richter will und der ümstandt^)
vorhanden, so dünket uns Zeit und Stunde zu seyn, . Ihru
Hochfürstl. Durchlaucht unsern u. au w. ein Bögegericht alhier
zu hegen und zu halten.**
2. Frage. „So frage ich dann weiter, wie soll ich es
dann halten, dass es Kraft und Macht habe?''
Antwort: „Der Herr Richter soll es h^en und halten,
wie es Herkommen und gebräuchlich an diesem Ort und
Gerichtsstuhle ist. Er soll das Unrecht verbieten und das
Recht gebieten, wie auch dem Umstand alle Frevelworte ver^
bieten bey der Strafe; es soll auch keinernichts verschweigen,
mit Reimen (?), Steinen, Scheltworten Schaden ihun, oder
wie es Namen haben mag; es soll auch keiner herzutreteni
er thue es dann mit Erlaubnüs des Herrn Richters.'*
^) D. h. die HenunstehendeD, Zuiduniir.
462
Der Richter spricht : ,^So will ich dann Rügegericht
auf solche Art und Weise, wie es von denen Schoppen an-
jetzo vorgebracht worden, in Höchstgedachtem Ihro Hoch-
fürstl. Durchl. Namen geheget haben. Wer nun dabey
etwas anzuzeigen oder zu reden hat, derselbe kann solches
gebührender Masen fürbringen'^ ^)
Die Gerichte zerfielen, wie überall, in gebotene und
ungebotene Dinge. Die letzteren waren der Ersatz für die
alten Gaugerichte, stellten also die höhere Gerichtsbarkeit
dar. Jährlich fanden drei ungebotene Dinge statt : am Drei-
königstage (6. Januar), Philippi Jacobi oder Walpurgis (1. Mai)
und Michaelis (29. September). Indessen hielt man sich nicht
ängstlich an den Kalender. 1641 fand das Michaelisgericht
am 4. Oktober statt, 1598 am 19. Oktober, das Dreikönigs-
gericht 1599 am 8. März, 1601 am 2. April.«) Da die Ge-
richte in früherer Zeit unter freiem Himmel abgehalten
wurden, musste man auf Wind und Wetter Bücksicht nehmen.
Und als später die Gerichtsstube auf dem Bathhause ein-
gerichtet ward, gehörte die Unregelmässigkeit in der Tagung
der ungebotenen Dinge bereits zum Herkommen. Bei den
drei ungebotenen Gerichten bezahlte der Landgraf den
Schöffen und Beamten die Mahlzeit. Dagegen pflegte er zu
den sechs gebotenen Gerichten, die später als jene, jedesmal
mit einem Zwischenräume von vierzehn Tagen stattfanden,
keine Entschädigung zu leisten.^)
Ein besonderes Becht hat sich in Melsungen nicht
ausgebildet. Nur findet sich ein eigenthümliches Erbrecht,
das aber auch in anderen Fuldastädten wiederkehrt. Wenn
nämlich weder Kinder vorhanden sind, noch Testament, noch
Ehevertrag, so fällt dem überlebenden Ehegatten die gesammte
Erbschaft zu.*)
Schlieeslich werfen wir noch einen Blick auf die
Strafen, die das Melsunger Gericht verhängte. Die
*) jKopjp, Hessische Gerichtsverf.
^) Nach dem Melsunger Stadtbuche von 1598. Marb. Staatsarch.
8) Melsunger Saalbuch von L575 in der Abschrift von 1737.
^) Melsunger Stadtbuch (Brief des Bürgermeisters und Rathes an
Volpert Riedesel vom 12. April 1623). IUI § 21.
m
schwersten Verbrecher wurden auf dem Kesselberge, dort wo
der alte Melgershäuser Weg in den Wald eintritt, auf das
Rad geflochten. 1575 und noch heutzutage heisst die Flur
dort „vor dem Rade/^ In der Nähe, entweder auf der
Melgershäuser oder auf der Nordeckschen Wiese, erhob sich
ehemals der Galgen. Der Flurname „unter dem Galgen"
(1575) ist zwar verschollen und vergessen, allein der Hohl-
weg, der dorthin und weiter nach Melgershausen führt, heisst
noch jetzt „die Galgengasse." Hier oben an dem Melgers-
häuser Wege lag die Richtestätte in den letzten Jahrhunderten.
Auf dem rechten Fuldaufer findet sich aber unter der Koppe
des Schöneberges ein zweiter Galgenberg, schon im Saal-
buche von 1575 häufig erwähnt. Die Yermuthung liegt nahe,
dass hier die anfängliche Gerichtsstätte für die Ortschaften
Kehrenbach, Kirchhof, Reinwerkerode und Adelshausen lag,
die wir oben nicht in den ältesten Melsunger Gerichtsbezirk
einzuschliessen vermochten.
Wenn ein Galgen aufgerichtet wurde, dann läuteten die
Glocken der Stadt, und die Bürger strömten nach der Richte-
stätte. Sie brauchten aber keine Hand dabei zu rühren,
auch wohnten Bürgermeister und Rath der Aufrichtung
nicht bei. ^)
Als Gefängnis wurde anfangs der Diebesturm
zwischen dem Rotenburger und Fritzlarer Thore benutzt, der
seit 1690 Eulenturm heisst.^) Trotz seines stattlichen und
festen Aussehens bot er aber keine unbedingte Gewähr gegen
den Ausbruch der Verhafteten. Einstmals war hier, wie der
Rentmeister Philipp Hertzog am 9. Februar 1653 der Kasseler
Regierung berichtete, ein Dieb untergebracht, der in Malsfeld
etliche Mass Butter und Kochfett mittels Einsteigens ent-
wendet hatte. Man schloss ihn im Turme an beiden Beinen
mit Fesseln und Hess ihn durch zwei Wächter Tag und Nacht
bewachen. Dreizehn Tage hielt das der Spitzbube aus, dann
brannte er in einer Januarnacht durch und ward nicht mehr
gesehen. Nach der Darstellung des Rentmeisters musste er
*) Nach einem Aktenstücke von 1614. M. A.
^} M. A. Melsunger Eämmereibach von 1690.
464
erst im Innern des Turmes vier Ellen in die Höhe klettern,
dann durch ein Loch kriechen, durch das ein anderer kaum
den Kopf stecken konnte, und endlich mit geschlossenen
Fesseln fünf Ellen hoch herabspringen. Wahrscheinlich
wird ihm der goldbeladene Esel die Sache etwas erleichtert
haben. 1 676 brach abermals ein Dieb aus dem Diebesiurme
aus, man fing ihn aber wieder und schickte ihn unter der
Bedeckung von elf Ausschössern (Soldaten) nach Kassel.
Nach diesen übelen Erfahrungen richtete man 1688 den „Ge-
horsam^' am Brückenthore auf. ^) Allein hier scheint es den
Spitzbuben nicht besser gefallen zu haben^ denn sie brachen
seitdem noch eben so häufig aus. Erst das jetzige Gefängnis
hinter dem Amtsgerichte, bei der alten „Hobestadt," wahr-
scheinlich auf der Stätte des früheren Schlosses^ hält seine
Insassen fester.
Eine grosse Rolle spielten die Geldstrafen. Nach
dem Saalbuche galt im allgemeinen der Grundsatz, dass die
Bussen für alle Vergehen dem Landgrafen zufielen. Nur
diejenigen Geldbussen, die bei Gelegenheit eines freien Jahr-
markts den Straffälligen auferlegt wurden, waren Eigenthnm
der Stadt; zumal wenn ein Händler eine Waare teurer ver-
kaufte, als von den Beamten oder dem Bürgermeister fest-
gesetzt war. Die Bussen vom Feldfrevel theilten Landgraf
und Stadt mit einander, ebenso die Forstbussen aus dem
alten Schöneberge ; die aus dem neuen kamen seit der Mitte
des 16. Jahrhunderts der Stadt allein zu.^) Zeitweilig nahm
die Stadt noch einen grösseren Teil der Gerichtskosten für
sich in Anspruch, ob mit Recht, ist schwer zu entscheiden.
Bei dem grossen Rathausbrande von 1554 waren viele wich-
tige Urkunden verbrannt, darum suchten Bürgermeister und
Rat ihre bisherigen Rechte und Befugnisse durch Nieder*
Schrift und eidliche Erhärtung festzustellen. Unter dem
Namen der unständigen Busse verlangten sie die Hälfte der
*) Melsunger Kämmereibuch von 1676 und 1688.
•) M. A. (Resolution des Landgrafen Wilhelm vom 4. Juni 1668).
Kämmereibuch von 1640 und die Verzeichnisse der Forstbussen auf dem
Melsunger Rathause.
466
Geldstrafen für Körperverletzung („als bludig und blaw und
ander"). Unter der ständigen Busse gebührte der Stadt an-
geblich die Hälfte der Geldstrafen, die aus üebertretungen
beim Verkaufe und bei den freien Märkten und aus Feld-
und Gartenfreveln flössen, und die gesammten Bussen für
Waldfrevel auf dem Schöneberge. ^)
Die Gerichte waren eine nicht unwichtige Einnahme-
quelle für die Herrschaft und bereiteten ihr nur geringe
Kosten. In einem nicht sehr günstigen Jahre vor dem 30-
jährigen Kriege brachten sie 91 Gulden 2 Albus ein bei
1137 Gulden 8 Albus ^/2 Heller Gesammteinnahme aus dem
Amte; nur zwei Posten zeigten eine höhere Einnahme: das
Kuhgeld 104 und das Forst- und Holzgeld 460 Gulden, und
doch stand das gesammte Einkommen aus dem Amte Mel-
sungen in diesem Jahre dem in der Mitte des 16. Jahr-
hunderts um 300 Gulden nach. ^)
In welchem Verhältnisse bei den alten Melsungern Ver-
gehen und Strafen zu einander standen, darüber klärt ein
Stücklein aus einem Bussverzeichnisse von 1459 und 1460
auf.^) Ein Bürger wurde in eine Geldstrafe von 2 Pfund
(etwa 5 Mark) genommen, weil er sich mit dem Henker auf
dem Rathause gezankt und diesen thätlich beleidigt hatte.
Ein anderer Mann war so gewaltthätig gegen ein Mädchen,
dass es um Hülfe schrie ; ihn traf die verhältnismässig ge-
ringe Strafe von 3 Pfund. Lebendigere Zeugnisse des Zeit-
geistes sind die folgenden beiden Strafaufzeichnungen. Zwei
Frauen hatten sich geschlagen. Vor dem Richter schob, wie
immer in solchen Fällen, jede der anderen die Schuld zu.
Der Schultheiss wusste sich zu helfen, er nahm seine Zuflucht
zu einem Gottesurtheile. Welche von den beiden Frauen in
einem Zweikampfe vor seinen Augen fiele, die sollte die drei
Pfund bezahlen. Eine von denselben Frauen hatte ihrer
Gegnerin nachgesagt, sie hätte sie verzaubert und ihr die
Milch genommen. Die Sache schien so ernst, dass der Schult-
') Till § 21. Stadtbuch von 1598. — «) M. A.
3) Veröffentlicht von Landau in der Ztsohr. f. hess. Gesch. 1840,
II, 376 ; darnach von Zilch im Melsunger Wochenbl. 1878 Nr. 31.
N. F. Bd. XXIII. 30
466
heiss die eine Frau, sicherlich die angebliche Zaaberin, der
Gnade des Landgrafen überwies. Damit wurde ein Gerichts-
verfahren auf Tod und Leben eröffnet, denn nur die aller-
schwersten Fälle hatte sich der Landgraf selbst vorbehalten.
Dazu gehörten also auch die Hexenprozesse. Sonst galt
immer, soweit es sich aus den Quellen erkennen läset, das
Kasseler Obergericht als die höhere Instanz^ diet dem Mel-
sunger Gerichte übergeordnet war.^)
^) Eämxnereibücher von 1643, 1665 u. s. w.
i*«
Berichtignng.
Stammtafel Brunet auf dem Frauenberge. Zu Johann ^ckardt
nach „Altenteils"':
Dieser hat den Hof schon wieder an seinen Schwiegersohn
Johann Peter Dörr aus WoUershausen übertragen.
(]
Anlage B.
Die Reihenfolge der Inhaber'der drei Höfe des
Erbleihegutes Frauenberg.
Thomas Brunet
Sohn desDr.med.Thomas
1) 1688—1734 [Br.
2) 1746—1756 (f 1766)
Thomas Brunet
1734-17.46 (t 1746)
Thomas Brunet
1755-1800 (t 1803)
Johannes Brunet
1800-1834 (t 1835)
Benjamin Brunet
1834—1865 (t 1879)
Johannes Brunet
1865.
Johann Brunet
Sohn des Dr. med. Tho-
mas Br.,
1699-1731 (t ?)
Weigand ■ Brunet
1731— ? 1771 (t 1778)
Conrad Brunet;
? 1771—1781 (t 1781)
Conrad Rein
(verm. mit derWitwe von
Co. Br. und Vormund der
Kinder) 1781—1799.
Heinr. Brunet
1799-1829 (t ?)
Conrad Brunet
1829—1865 (t 1874)
Joh. Eckh. Brunet
1865—1893
Jacques Guigues
1688-1727
Thomas Guigues
1727—1749 ?
Peter Guigues
? 1749-1776
Joh. Hei. Schneider
1776—1798 ?
Heinr. Schneider
? 1798—1812 ?
Eckh. Schneider
? 1812-1837 ?
Heinr. Schneider
Ex^kh. Schneider
T , TT Joli- Erkel
Johannes. Heuser vermählt mit EHsabeth
1893.
Schneider
1884.
Der Antritt des Besitzes im rechtlichen Sinne beginnt
nach dem Ehe- und Anschlags- Vertrage von dem Tage der Ver-
mählung ; doch führt der noch lebende Vater aus verschiedenen
Gründen, namentlich, weil noch unerwachsene Kinder da sind,
die Herrschaft im Hause meistens nqch länger.
1
Anlage B.
Die Reihenfolge der Inhaber der drei Höfe des
Erbleihegutea Frauenberg.
Thomas Brunei
Sohn desDr.med.Thomas
1) 1688 1734 [Br.
2) 1746 1755 (f 1766)
Johann Brunei
Sohn des Dr. med. Tho-
mas Br.,
1699-1731 (t ?)
Weigand Brunei
1731-?1771 (t 1778)
Jacques Guigues
1688-1727
Thomas Brunei
1734—1746 (t 1746)
Thomas Guigues
1727-1749 ?
•
Conrad * Brunei:
? 1771—1781 (t 1781)
Peier Guigues
? 1749-1776
Thomas Brunei
1755—1800 (t 1803)
Conrad Rein
(verm. mit derWitwe von
Co. Br. und Vormund der
Kinder) 1781-1799.
Heinr. Brunei
1799—1829 (t ?)
Joh. Hei. Schneider
1776 1798 ?
Johannes Brunei
1800 1834 (t 1835)
Heinr. Schneider
? 1798-1812 ?
Eckh. Schneider
. ? 1812-1837 ?
Benjamin Brunei
1834 1865 (t 1879)
Conrad Brunei
1829—1865 (t 1874)
Heinr. Schneider
Johannes Brunei
1865.
Joh. Eckh. Brunei
1865 1893
Eckh. Schneider
Johannes. Heuser
1893.
Joh. Erkel
vermählt mit Elisabeth
Schneider
1884.
Der Aniriti des Besitzes im rechilichen Sinne beginni
nach dem Ehe- und Anschlags- Verirage von dem Tage der Ver-
mählung; doch führi der noch lebende Yaier aus verschiedenen
Gründen, namentlich, weil noch unerwachsene Kinder da sind,
die Herrschaft im Hause meistens npch länger.
Zeitschrift
^£reins für hessische Geschichte
und Landeskunde.
ße Folge. Dreiundzwanzigster Band
(Der gtiiizcn Folge XXXIIi. Band.)
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