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ZEITSCHRIFT DES VEKEI^' ^^
FÜR
THÜRINGISCHE GESCHICHTE
ALTERTUMSKUNDE.
HERAUSGEGEBEN VON
PROFESSOR DR. OTTO DOBENECKER.
NEUE FOLGE. NEUNZEHNTER BAND.
DER GANZEN FOLGE SIEBENUNDZWANZIGSTER BAND.
Mit 15 Kärtchen, 1 Bilde, 1 Stadtplan, 2 Siegelabbiidungen
und 4 Figuren im Text.
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A
JENA,
VERLAG VON GUSTAV FISCHER.
1909.
Alle Rechte vorbehalten,
^1> -
nhalt.
Seite
Abhandlaugen.
I. Zum Ehegüterrecht der heiligen Elisabeth. Von Prof.
Dr. jur. E. Hey mann in Marburg 1
II. Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thü-
ringen. Von Dr. Eichard Wagner aus Apolda . , 23
III. Die Generalvisitation Ernsts des Frommen im Herzogtum
Sachsen-Gotha 1641—1645. Von Fr. Waas, Pfarrer in
Waldmichelbach (Odenwald) 83
IV. Das Jagdschloß des Herzogs Ernst Angust von Weimar
in Stützerbach. Von Prof. Dr. Wilhelm St ieda . . 129
V. Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert. Von
Prof. Dr. Wilhelm Stieda 153
VI. Die Wüstungen im I. und IL Verwaltungsbezirke des
Großherzogtums Sachsen-Weimai*. Von A. Mueller,
Großherzogl. Landmesser in Weimar. Mit 15 Kärtchen
und einem Bilde im Text 199
VII. Wider alte und neue Legenden. Von Paul Höfer . 275
VIII. Die Reichspolitik Hermanns L, Landgrafen von Thü-
ringen und Pfalzgrafen von Sachsen (1190 — 1217). Von
Dr. Ernst Kirmse aus Ronneburg 317
IX. Konrad , Landgraf von Thüringen , Hochmeister des
deutschen Ordens (f 1240). Von Dr. E. Caemmerer
aus Arnstadt 349
X. Die Generalvisitation Ernsts des Frommen im Herzogtum
Sachsen-Gotha 1641—1645. Von Fr. Waas, Pfarrer in
Waldmichelbach (Odenwald). (Fortsetzung) .... 395
XI. Die Anfänge des Kreuzklosters und die Pfarrkirchen zu
Gotha. (Mit 1 Stadtplan von Gotha). Von Dr. Ernst
Devrient . . . .' . . . 423
XII. Nochmals die Ausgrabung im Kloster Cronschwitz. (Mit
2 Siegelabbildungen im Texte.) Von Archivrat Dr. Bert-
hold Schmidt in Schleiz 435
XIII. Zum „Schwedenschreck" im Jahre 1706. Von Prof. Dr.
Jordan in Mühlhausen in Thür 461
IV Inhalt,
Stite
Miszelleii.
I. Die Grabsteine in der Kirche zu Gräfenthal (Sachs.-
Mein.) (Mit 4 Figuren im Text.) Von Ernst Kieß-
kalt, Postsekretär in Nürnberj;- . . . 480
IL Thüringische Tranksteuerregister der Amter Kamburg
und Dornburg 1632—1637. Von Prof. Dr. F. Tetzner
in Leipzig 489
III. Eine Fropsteirechnung für Coburg vom Jahre 1535. Von
Pfarrer Dr. ß erbig in Neustadt bei Coburg .... 497
IV. Inventar, Kleinodien etc. der Kirchen St. Moritz und
St. Nikolaus zu Coburg im Jahre 1528. Von Pfarrer
Dr. Berbig in Neustadt bei Coburg 501
V. Zur Geschichte der Grafen Heinrich XXIV. (f 1444)
und Heinrich XXVI. (f 1448) von Schwarzburg-Sonders-
hausen. Von Dr. G u s t a v S o m m e r f e 1 d t in Königsberg 506
Litersitur.
1. Zwei Schriften zur 300-jährigen Jubelfeier des Gymna-
siums zu Gera. 1. Büttner, R. : Geschichte des Fürst-
Hchen Gymnasiums Rutheneum zu Gera. Festschrift zur
Feier des 300-jährigen Bestehens des Gymnasiums. Gera
1908. IV u. 234 SS. Gr. 8°. Mit einer Tafel und
24 Abbildungen im Text. — 2. Vollert, Wilhelm:
Heinrich Posthumus als lutherischer Christ und seine
Bedeutung für die Thüringische Kirchengeschichte. Gera
1909. 63 SS. Mit 5 Tafeln. Von Berthold Schmidt
in Schleiz • 513
IL Bemmann, Rudolf, Zur Geschichte des Reichstages
im XV. Jahrhundert. Leipzig, Quelle u. Meyer, 1907.
95 SS. 8". = Leipziger Historische Abhandlungen.
Heft VIL Von W. Stechele 517
III. Fehr, Hans, Der Zweikampf. Antrittsrede. Berlin,
Karl Curtius, 1908. 64 SS. 8°. Von W. Stechele . 518
IV. Heldmann, Karl, Mittelalterliche Volksspiele in den
thüringisch-sächsischen Landen. Halle a. S., O. Hendel,
1908. 57 SS. 8". = Neujahrsblätter, hrsg. v. d. Hist.
Kommission f. d. Prov. Sachsen u. d. Herzogtum Anhalt.
XXXIL Von W. Stechele 518
V. Übersicht über die neuerdings erschienene Literatur zur
thüringischen Geschichte und Altertumskunde. Von W.
Stechele und 0. Dobenecker 519
I.
Zum Ehegüterrecht der heiligen Elisabeth.
Von
Prof. Dr. jur. E. Heymann, Marburg a. L.
In der Lebensgeschichte der Elisabeth spielen ihre
Ehegüterrechtsverhältnisse eine besondere Rolle. Die Akten
des Kanonisationsprozesses, und zwar sowohl der Bericht
Konrads von Marburg wie der die Zeugenaussagen wieder-
gebende libellus de dictis quattuor ancillarum, erwähnen
die Vermögensfragen, und dies ist angesichts der werktätigen
Frömmigkeit und des tatsächlichen — wenn auch nicht
rechtlichen — Verzichtes der Heiligen auf den Gebrauch
der Güter zu anderen als frommen Zwecken sehr natürlich.
In neuerer Zeit ist die Frage nach dem Witwengut Elisa-
beths namentlich von Huyskens ^) erörtert worden. Er ver-
wendet die Nachrichten darüber zur Begründung seiner von
der bisher herrschenden durchaus abweichenden Meinung,
daß die sog. Vertreibung der Heiligen nicht von der Wart-
burg, sondern von der Marburg erfolgt sei.
Auf eine Aufforderung K. Wencks beschäftigte ich
mich vor einiger Zeit mit den in Betracht kommenden
Rechtsfragen. Im folgenden gebe ich die an Wenck erteilte
1) Vergl. A. Huyskens, Quellenstudien zur Geschichte der hei-
ligen Elisabeth, Landgräfin von Thüringen, Marburg 1908 (im folgen-
den zitiert: Huyskens).
XXVII. 1
2 Zum Ehegüterrecht der heiligen Elisabeth.
Auskunft 1) in der Hoffnung wieder, damit zur Klärung des
Elisabethlebens eine Kleinigkeit beizutragen. Darüber hinaus
entbehrt die Sache auch für die allgemeine Rechts- und
verfassungsgeschichtliche Betrachtung, insbesondere für die
Verfassungsgeschichte des Ludowingerhauses nicht des
Reizes. Die Vorgänge sind in der rechtsgeschichtlichen
Literatur, soviel ich sehe, bisher nicht verwertet, und sie
fallen in eine Zeit, welche, für Thüringen nicht reich an
güterrechtlichem Quellenmaterial — die ausgiebigeren Stadt -
rechte setzen erst später ein — , die engen Beziehungen
zwischen dynastischem Vermögensrecht und Landeshoheits-
entwickelung stark hervortreten läßt.
Huyskens' Ausführungen haben mich nicht veranlaßt,
meine in allen wesentlichen Punkten ohne Kenntnis seiner
Arbeiten gefaßte Meinung zu ändern ^). Seine Darlegungen
sind aber im folgenden nachträglich berücksichtigt, und es
ist zu ihnen Stellung genommen ^). Auf die von Huyskens
1) Für seinen Vortrag zur Marburger Elisabethfeier, der jetzt
unter dem Titel: K. Wenck, Die heilige Elisabeth, Tübingen 1908,
gedruckt vorliegt (vergl. dort S. 52 n. 24). Bei der Anfrage ver-
wies Weijck auf eine Anzahl für die Rechtsfrage in Betracht kommen-
der Quellenstellen aus dem Quellenkreis des Elisabethlebens. Für
die folgende Untersuchung habe ich das Quellen material dann erheb-
lich vermehrt; jedoch erschien ein Eingehen auf etwa noch vor-
handenes ungedrucktes Material nicht erforderlich, zumal der Charak-
ter der gelegentlichen Auskunft gewahrt bleiben sollte.
2) Huyskens rechtsgeschichtliches Verdienst hegt in der Förde-
rung der Kenntnis des Kanonisationsverfahrens, für das seine Dar-
legungen (vergl. Huyskens, S. 28, 29) neben den Ausführungen
Brackmanns zur Kanonisation Annos (N. Archiv, Bd. 32, S. 153)
Wichtiges beibringen.
3) Die umfangreiche Elisabethliteratur ist, abgesehen von
K. Wencks und Huyskens' Arbeiten, sowie den Schriften von Börner
(N. A. 13, 431 ff.) und Älielke (Zur Biographie der heiligen Elisabeth,
Eostock 1888, Diss.) und den Bemerkungen Holder-Eggers in seinen
quellenkritischen Werken (N. A. 20 und Mon. Germ. bist. Sriptorum,
tomXXX, 1, S. 490ff., vergl. 612) nur gelegentlich herangezogen ; sie
bietet sonst ohnehin für die Rechtsfragen kaum etwas. Vergl. noch
Zum Ehegüterrecht der heiligen Elisabeth. 3
angeregten quellenkritischen Fragen gehe ich im allgemeinen
nicht ein ; soweit Quellenkritisches für die hier zu behan-
delnden Punkte in Betracht kommt, ist es im einzelnen
erwähnt. Fortlaufend aber ist neben der alten Menckeschen
Edition des Libellus de dictis quattuor ancillarumi) der
Huyskensche Druck (H.) nach Seitenzahlen angeführt; der
Zusatz „Nicolaus" bezeichnet dabei diejenigen Stellen, welche
Huyskens auf einen Bearbeiter namens Nicolaus zurück-
führen will, ohne daß damit zu dieser Huyskensschen Ver-
mutung Stellung genommen werden soll.
Die Ehe der Elisabeth mit dem Landgrafen Ludwig IV.,
geschlossen 1221, war güterrechtlich eine Wittumsehe nach
fränkischem Recht 2). Denn die Landgrafen von Thüringen
lebten nach fränkischem Recht:
Sachsenspiegel Ld. R., von der herren geburt (Homeyer,
S. 140): . . de landgreven von düringen . . dit sin
alle vranken.
Das fränkische eheliche Güterrecht galt zudem in
Thüringen (Schröder, Gesch. d. ehel. Güterr., II, 3, S. 299),
ohne daß die späteren Besonderheiten der thüringischen
Stadtrechte (Schröder, 1. c. 11, 3, S. 354) für die Landgrafen-
ehe in Betracht kämen. Vor allem aber ist die fränkische
Wittumsehe überhaupt die Grundform für die Eheverträge
des hohen Adels im Mittelalter und insbesondere jener Zeit,
K. Wenck, Die heilige Elisabeth, Hist. Zeitschrift, 69; derselbe im
Wartburgbuch S. 27 ff., 183 ff. Sonstige Literatur bei Huyskens
1. c, vergl. auch Huyskens, Hist. -pol. Blätter, 1907, Bd. 140,
S. 725. 809.
1) Mencke, Scriptores rerum Germanicarum et praecipue Saxoni-
carum II, 1728, 2008—2032. Über die sonstigen Elisabethquellen
informiert jetzt anschaulich Wenck, Vortrag, 1908, S. 43.
2) Über diese Ehegüterrechtsform E. Schröder, Geschichte des
ehehchen Güterrechts, II, 2, § 24. Hermann Schulze, Das Erb- und
Familienrecht der deutschen Dynastien, S. 88ff.
4 Zum Ehegüterrecht der heiligen Elisabeth.
wobei die einheitlichen Grundgedanken des hochadligen
Eherechts vereinfachend gewirkt haben.
Elisabeth hat von ihrem Vater eine Aussteuer (Heim-
steuer) erhalten, teils in Geld (1000 Mark), teils in kost-
barer Fahrnis, Geradestücken, bestehend:
Dietrich von Apolda I, 2 (Canisii Thesaurus Monu-
mentorum eccl. Ed. J. Basnage I, p. 119): transmisit
quoque cum filia vasa aurea et argentea multa et magna
et varia et diademata . . et ornamenta . . cum alio
suppellectili innumerabili pretiosa. Addit insuper
mille marcarum pecuniae summam necnon et alia
promittens ampliora si vivere contigisset ^).
Libellus (Mencke 2022 A, Huyskens, S. 125): insuper
si qua ei residua fuerunt ornamenta, quae de domo
patris sui regis Ungariae detulerat . . .
Die Höhe der Geldsumme war die bei fürstlichen
Heiraten der Zeit übliche 2) ; auch Kaiser Friedrich 11. gab
seiner Tochter bei Verheiratung mit einem thüringischen
Landgrafen 1000 Mark (Schulze, 1. c. S. 107); die Kost-
barkeiten scheinen dagegen das übliche Maß überschritten
zu haben.
Von Seiten ihres Gatten (bezw. dessen Vater) ist ihr
eine dos, ein Wittum, bestellt worden:
als dos bezeichnet Libellus 2013 C, H. 113 Nicolaus;
2014 D, H. 115; 2021 C, H. 125; 2022, H. 125;
2022 C, H. Nicolaus 126 n. a. ; als donatio propter
nuptias 2021 C, H. Nicolaus 125 n. b. ; als dota-
licium 2019 A. B, H. 121. Wegen der Terminologie
Schröder 1. c. II, 2, S. 216;
1) Über den Quellenwert ungünstig Mielke, Zur Bibliographie
der heil. Elisabeth, S. 34 ; vergl. aber dagegen Holder-Egger, N. A. 20,
S. 633, der die Stelle mit Börner für gute Überlieferung hält.
2) Die Vasallen sollen nach der Aussage der Guda später die
Höhe bemängelt haben. Libellus 2013 C, H. 113 Nicolaus.
Zum Ehegüterrecht der heiligen Elisabeth. 5
und zwar handelt es sich nicht um eine dos am ganzen
Vermögen, sondern um eine „benannte dos": bona specia-
liter in dotem assignata (Libellus 2014 D, H. 115), was
als technischer Ausdruck erscheint:
Friedrich II, 1234 Pertz., Mon. Leg. II, 308: quae
etiam dodaria nos, die nuptiaram nostrarum, prout
est juris et moris, future uxori promittimus specia-
liter assignare.
Das Wittum der Elisabeth bestand nach der Weise
der Zeit in Grundstücken oder Grundrenten, possessiones,
bona, und Elisabeth hatte das Recht auf die Erträge aus
der Zeit der Ehe (Schröder II, 2, S. 230). Sie hat über
diese Erträge während stehender Ehe selbständig verfügt.
Libellus 2014 D, H. 115: de quibusdam bonis specia-
liter in dotem assignatis familiariter sibi et suis
providebat; auch sonst verfügt sie selbständig:
Libellus 2017, H. 118: quendam . . . infirmum
pauperem visitans . . . solvit (sc. debita). Dagegen ist
vielleicht die Verteilung des Getreides de suis grangiis
specialibus und der Verkauf von ornamenta sua zu-
gunsten der Armen (2017 C. D, H. 119, vergl. den
Bericht Conrads von Marburg 1232 Wyss, Hessisches
Urkundenbuch No. 34) auf die erweiterte Verfügungs-
gewalt während der Abwesenheit des Gatten auf dem
Cremonenser Reichstage zurückzuführen.
Wenn Huyskens (S. 55) annimmt, daß es sich bei diesen
von Elisabeth selbst genutzten Gütern nur um eine Morgen-
gabe handeln könne und daß daneben noch eine Wider-
legung, ein Wittumsgut, in Betracht kommt, so kann ich
dem nicht beipflichten. Abgesehen davon, daß Wittum und
Widerlegung nicht begrifflich identisch sind, scheint mir
keine Nötigung zur Annahme einer Morgengabe (wenigstens
einer Immobiliarmorgengabe) vorzuliegen. Es ist möglich,
daß eine solche gegeben ist, eine Mobiliarmorgengabe ist
sogar wahrscheinlich, aber in den Quellen findet sich kein
6 Zum Ehegüterrecht der heiligen Elisabeth.
Hinweis darauf. Es ist immer nur ganz einheitlich von der
dos die Rede^). Die etwa beim Eheschluß gewährte Mobiliar-
morgengabe mußte wirtschaftlich um so mehr in den Hinter-
grund treten, als das Wittum zweifellos schon bei der Über-
nahme des Kindes Elisabeth versprochen worden ist. Auch
der Umstand, daß Elisabeth über die Einkünfte gewisser
Güter selbständig verfügte, nötigt keineswegs zur Annahme
einer Immobiliarmorgengabe. Denn grundsätzlich steht auch
die Morgengabe in den fürstlichen Ehen ebenso wie das
"Wittum in der Verwaltung des Mannes 2). Wenn vertrags-
mäßig in den Eheberedungen des 14. Jahrhunderts die Ver-
fügung über die Morgengabe der Frau freigegeben zu werden
pflegte ^), so ist das eine spätere Sitte. Zudem kommt ge-
legentlich, und gerade in der Nähe des hier fraglichen
Rechtsgebietes, eine sogar von Rechts wegen eintretende
selbständige Verwaltung des Wittums durch die Ehefrau
vor (Kl. Kaiserrecht, II, 51), und vor allem sind observanz-
mäßige und rechtsgeschäftliche Dispositionserweiterungen
zugunsten der Ehefrau möglich ^). Eine solche observanz-
mäßige oder auf Einwilligung des Gatten beruhende ^) Er-
weiterung anzunehmen, liegt hier um so näher, als die Ein-
künfte während stehender Ehe der Elisabeth ohnehin ge-
bührten und nicht dem Nutzungsrecht des Mannes unter-
lagen. Huyskens dürfte auch zu seiner Annahme nur ge-
kommen sein, weil er unzutreffend nicht die Grundsätze
1) Das Zurücktreten der Morgengabe entspricht durchaus der
Praxis des 12. und 13. Jahrhunderts, vergl. H. Schulze, 1. c. S. 102.
2) H. Schulze, 1. c. S. 86 ff.
3) Belege bei Schröder, II, 2, S. 247; nur einer der dort
angeführten Verträge ist aus dem Ende des 13. Jahrhunderts,
von 1286.
4) Vergl. Schröder, Geschichte des ehelichen Güterrechts, II, 2,
S. 8 ff.
5) Vergl. Aussage der Isentrud: Maritus . . . beate Elizabeth
ad omnia exercenda, que ad Dei spectant honorem, liberam concessit
facultatem eam ad anime salutem promovendo, LibeUus H. 121.
Zum Ehegüterrecht der heiligen Elisabeth. 7
der fränkischen Wittumsehe, sondern diejenigen des süd-
deutschen, schwäbisch-bayrischen Eherechts zugrunde legt i),
in welchem es an einem entwickelten Wittumsrecht im
späteren Mittelalter fehlt.
Wo die Wittumsgüter Elisabeths lagen, wird, soviel
ich sehe, im allgemeinen nicht gesagt. Nur Isentrud (Mencke
2021 C, H. 125 Nicolaus) sagt ausdrücklich: . . . idem
oppidum (sc. Marborch) a marito suo in donationem propter
nuptias accepisset. Daß daselbst sämtliche Wittumsgüter
lagen, ist möglich, folgt aber aus der Stelle meines Erachtens
nicht notwendig. Huyskens folgert (S. 55) ein nicht allzu
weites Auseinanderliegen der Güter aus dem Umstand, daß
einige Vasallen zur Dejektion genügten. Indessen handelt
es sich bei den Worten eiecta fuit de possessionibus a quibus-
dam vasallis mariti sui (Libellus 2019 C, H. 121 ; 2028 A,
H. 129) nicht um körperliche Depossedierung aus den
Grundstücken. Denn nach mittelalterlicher Wirtschaftsart
können als Einkünfte der Wittumsgüter nur (Natural-)
Renten in betracht gekommen sein. Diese gingen natür-
lich durch die Hände der landgräflichen — zentralen und
lokalen — Verwaltungsbeamten und von diesen wurden
sie der Elisabeth gesperrt 2). Daß diese Beamten Vasallen
ihres verstorbenen Gatten gewesen waren, müßte auch
dann angenommen werden, wenn die Urkunden nicht er-
gäben, daß Heinrich Raspe das ministeriale Verwaltungs-
personal seines Bruders Ludwig in der Hauptsache beibehalten
1) Behandelt bei Schröder, 1. c. II, 1; Huyskens (S. 55 n. 2 u. 3)
zeigt durch seine Verweisungen auf diesen Teil des Schröderschen
Werkes deuthch, daß er dem für den Nichtjuristen entschuldbaren
Irrtum verfallen ist; erst S. (55 verweist er neben einer Stelle aus
Schröder II, 1 auf eine solche aus Schröder II, 2, wo das fränkische
Recht behandelt wird.
2) In ähnlichem Sinne, jedoch ohne hinreichenden Einblick
in die Rechtslage, spricht Mielke (Zur Biographie der heihgen
Elisabeth, S. 67) von Entziehung der Vermögensrechte und De-
possedierung.
8 Zum Ehegüterrecht der heiligen Elisabeth.
hati). Es leuchtet ein, daß unter diesen Umständen auch
einige Vasallen genügten, um Elisabeth die Einkünfte vor-
zuenthalten. — Nicht als zum Wittum gehörig bezeichnet
wird übrigens diejenige Stadt, in welcher Elisabeth de castro
eiecta bei den fratres minores das Te deum laudamus singen
ließ (Mencke 2019 C, H. 121), vielmehr wird von ihr
nur gesagt, daß opidi dominium ex successione paterua ad
pueros (parvulos sc. der Heiligen) spectäbat (vergl. unten).
Zwar wurde die Nutzung der dos wie gesagt der Elisabeth
vorenthalten, doch wurde ihr von Heinrich Raspe sustentatio
Natural Verpflegung, zusammen mit dem minderjährigen
anderen Bruder ihres verstorbenen Gatten (bezw. Heinrich
selbst) angeboten ; diese lehnt sie aber ab :
Aussage der ancilla Irmgard, Libellus 2028 A, H. 129:
Mortuo marito ipsius non fuit beate Elisabeth permissa
ad tempus uti bonis mariti sui prepedita a frate mariti
sui ; poterat quidem sustentationem habuisse cum fratre
mariti sui, sed de preda et exactione pauperum, que
1) Rudolf US pinceroa, Hermannus dapifer, Heinricus camerarius,
Heinricus marescalcus, Heinricus notarius oder scriptor (letzterer
vielleicht Kleriker) erscheinen unter Ludwig IV., vergl. Cod. dipl.
Sax. I, 3 no. 376 a. 1226, no. 391 a. 1227, no. 393 a. 1227, no. 401
a. 1217—27, no. 404 a. 1217—27; und sie kehren unter Heinrich
Raspe, gelegentlich gemischt mit anderen Trägern der gleichen Amter
wieder, vergl. daselbst no. 409 a. 1228 Heinricus scriptor, no. 411
a. 1228 Rudolfus pincerna de Vargla, Heinricus marescalcus de
Eckhartesberc, notarius Heinricus, no. 412 a. 1228 dieselben, vergl.
no. 414 a. 1228, no. 415 a. 1228, no. 423 a. 1228 Rudolfus pincerna
de Saleke, no. 424 a. 1229 Rudolfus, no. 425 a. 1230 Berthohus et
Cunemundus dapiferi, no. 445 a. 1231 Rudolfus uterque pincerna,
Berchtous Dapifer, Heinricus et Hermanus camerarii: Heinricus
notarius. — Was die lokalen Verwaltungsbeamten anbetrifft, so
kommt hier der Amtmann (viUicus, scultetus) von Marburg in
Betracht. Daß dieser damals als Ritter, und wahrscheinlich als Mar-
burger Burgmann zu denken ist, siehe Küch, Z. f. hess. Gesch.,
N. F. Bd. 29, S. 153. — Über die thüringische Ministerialität und
ihr Verhältnis zum Adel im Allgemeinen His, Z. f. thüring. Gesch.,
Bd 22, S. 1 ff.
Zum Ehegüterrecht der heiligen Elisabeth. 9
sepius in curiis principum fiunt, noluit victum habere
et elegit abjecta esse et opere manuum eins velud
questionaria victum acquirere.
Huyskens (S. 61) erklärt diese Aussage für Klatsch.
Indessen sie ist ganz einwandsfrei. Ein Gegensatz zu der
Aussage der Isentrud und Guda, wonach Elisabeth eiecta
sei, ist gewiß vorhanden (vergl. Boerner, N. Archiv XIII,
1888, S. 463 n. 5), er erklärt sich aber meines Erachtens
aus dem Gegensatze einer feineren Auffassung der Dinge
bei Isentrud iind Guda, zu einer natürlicheren und derberen
bei Irmgard. Was jenen beiden als ein Hinausdrängen
erschien (eiecta), und erst recht von der sensiblen Jiilisabeth
so beurteilt wurde, führt Irmgard naiv auf den einfacheren
— gleichviel ob direkt oder indirekt in Erfahrung gebrachten
— Tatbestand zurück, daß Elisabeth zwar hätte bleiben
können, aber wegen der Vermögensstreitigkeiten und ihrer
damit zusammenhängenden religiösen Bedenken nicht bleiben
wollte (elegit abjecta esse). Dementsprechend stellt auch
Irmgard ruhig fest, daß der Landgraf Heinrich Raspe selbst
der Schuldige ist, während die beiden anderen Zeuginnen
ihn schonen und die Verantwortung den Beamten zuschieben.
Dabei entschuldigt ihn Irmgard im Grunde besser als jene
beiden es mit ihrer formellen Unterscheidung tun (vergl.
unten). Die sehr gut redigierten Zeugenaussagen würden
auch in einem heutigen Protokoll so nebeneinander stehn
können; der äußerliche Widerspruch macht sie nur wert-
voller. Endlich bedeutet die von Huyskens (S, 61 n. 1)
erwähnte Bemerkung einer Handschrift von 1282 : tamquam
dissipatrix et prodiga a quibusdam vasallis sui viri turpiter
et totaliter est eiecta meines Erachtens ebenfalls keineswegs
einen unlösbaren Widerspruch, sondern es werden nur die
Motive der handelnden Vasallen erläutert.
Elisabeth forderte also ihr Wittum. Im Streit darum
versprechen ihr die heimkehrenden Vasallen ihres Gatten
Hilfe (Libellus 2021 C, H. 125) zur recuperatio dotis.
Andererseits nimmt Gregor IX. Elisabeth unter seinen Schutz
10 Zum Ehegüterrecht der heiligen Elisabeth.
und bestellt ihr — offenbar als einer persona miserabilis
— (vergl. c. 15 X de foro competenti 2,2 Honorius III, ein
ähnlicher Fall) — den Magister Konrad von Marburg als
Defensor (Bericht Konrads Wyss 34, H. 156, 157, Irmgard
Libellus 2022, H. 126, Dobenecker, ßegesta diplomatica
Historiae Thuringiae II 2454). Auf Betreiben Konrads wird
die Landgräfin von den Brüdern ihres Gatten befriedigt, und
zwar erfolgt die Befriedigung zum Teil in Geld : 2000 Mark
pro dote. Davon wurden sogleich 500 Mark an die Armen
verteilt (Libellus 2022, H. 125), allmählich ist auch der
Rest in elemosinam verwendet worden, insbesondere wohl
zur Erbauung des Hospitals (quam totam in elemosinam
expendebat, Libellus 2022 C, H. 126 n. a. Nicolaus). Außer
dem Gelde empfing Elisabeth aber Grundstücke zur Leib-
zuoht, und zwar sicher diejenigen, auf denen später das
Marburger Hospital stand :
Urkunde der Schwäger, Wyss no. 25: nihil juris tam in
area quam in aliis, quae supradicto hospitali assig-
naverat, nisi quamdiu viveret, ipsi a nobis fuit assig-
natum.
Endlich finden sich in ihren Händen nach Erledigung
des Streites auch noch erhebliche Reste der kostbaren Ge-
rade, ornamentai (Libellus 2022 A, H. 125), die ihr viel-
leicht überhaupt nicht, oder nur teilweise vorenthalten
worden waren. Darauf läßt die Wendung schließen : pigno-
ribus expositis (Libellus 2019, H. 122, der meines Erachtens
ohne hinreichenden Grund expulsis liest). Soweit Elisabeth
außer dem Wittum (und einer etwaigen Mobiliarmorgengabe)
Fahrnisstücke des Ehemanns, erhielt, haftet sie für dessen
Schulden (vergl. Schröder, II, 2, S. 228); die Wendung im
Berichte Konrads von Marburg: propter reddenda debita
mariti deutet wohl aber hierüber hinaus darauf, daß sie
auch etwaige sonstige Schulden und vor allem die rein
moralische Schuld der preda et exactio pauperum decken
und sühnen wollte. Im Zusammenhang damit wird man
auch an Zahlungen für Seelenmessen denken dürfen, wenn
Zum Ehegüterrecht der heiligen Elisabeth. H
man nicht etwa mit Börner (1. c. S. 461 u. 2) die Stelle
sogar ausschließlich auf solche beziehen will i).
II.
Der eigentliche Streitpunkt mit den Schwägern in der
Wittumssache wird in den Quellen nicht genannt. Er läßt
sich im einzelnen nur vermuten. Vielleicht könnte Näheres
auf Grund umfassender Nachforschungen über die Ver-
mögenslage des landgräflichen Hauses — wie sie für die
spätere Zeit namentlich Küch (Z. f. hess. Gesch., Bd. 29)
angebahnt hat — festgestellt werden. Vorläufig wird man
etwa folgendes sagen können.
Die landgräfliche Familie lebte nach dem Tode des
Landgrafen Hermann — und gewiß auch schon vorher —
in Ansehung ihres Familiengutes in einer privatrechtlichen
Gemeinderschaft ^). Zwar galt für die Landgrafenwürde das
Prinzip der Sukzession des Erstgeborenen, und dieser Grund-
satz ist unter starker Betonung des Amtscharakters der
Würde gerade im Ludowingerhause besonders streng befolgt
worden ^). Davon aber ganz abweichend konnten sich die
Rechtsverhältnisse und insbesondere die Sukzession am
Hausvermögen, der hereditas, gestalten, gleichgültig, ob
dieses Hausvermögen aus Allodien oder aus Lehen oder,
wie meist und insbesondere bei den Ludowingern *) aus Allo-
dien und Lehen (bei den Ludowingern namentlich Kirchen-
1) Vergl. aber Ducange s. v. debitum no. 3, welcher unter
debitum animae überhaupt preces et eleemosinae, quae pro anünae
defuncti offeruntur versteht; bei Elisabeth liegt es besonders nahe,
an Gaben für die Armen zu denken.
2) Vergl. dazu im allgemeinen H. Schulze, Recht der Erst-
geburt, S. 178 ff. 235 ff.
3) Vergl. H. Schulze, Erstgeburt, S. 135 ff.; Diemar, Stamm-
reihe, Z. f. hess. Gesch., Bd. 27, S. 1 ff.
4) Über den Bestand des landgräflichen Vermögenszusammen-
ßtellung bei Ilgen und Vogel: Z. f. hess. Gesch., Bd. 20, S. 201 ff.,
Geschichte des thüringisch-hessischen Erbfolgekrieges.
12 Zum Ehegüterrecht der heiligen Elisabeth.
leben) bestand. Nur die eigentliche Ausstattung des Reichs-
amtes teilte dessen Schicksale i). Sondergut einzelner Mit-
glieder des Hauses war neben dem Gemeindergut möglich.
Wir finden solches später in der Hand des Landgrafen
Konrad (Dobenecker, Eeg. III, 231, 239, 472): de bonis
propriis eidem hospitali . . possessiones . . assignavit.
Für die Annahme einer Gemeinderschaft der landgräf-
lichen Familie am Familiengut spricht zunächst der Um-
stand, daß die jüngeren Brüder Statthaltereien zu erhalten
pflegten 2). Es bedarf aber des Hinweises hierauf gar nicht ^).
Denn es werden vielfach Verfügungen geradezu mit „ge-
samter Hand" vorgenommen:
Codex dipl. Sax. I, 3 no. 344 a. 1225 (Dobenecker 2235)
Ludowicus dei gratia lantgravius . . coadunata
Heinrici [et] Cunradi meorum manu . . advocatiam
resignavi.
Wyss 1. c. no. 13 a. 1225 (Dobenecker 2261) Ludwig IV.
urkundet: . , habito . . consensu fratrum nostrorum
Heinrici et Cunradi, omne jus, quod in omnibus posses-
sionibus eorum, quos habent et habituri sunt in terris
nostris, habere dinoscimur coadunatis manibus
et pari consensu fratribus donavimus.
1) Das war offensichtlich der Standpunkt der Sophie im späteren
hessisch- thüringischen Erbfolgestreit, als sie (Wegele, Friedrich der
Freidige, S. 10 ff.) die Erbgrafschaft mit Eisenach und der Wart-
burg in Anspruch nahm. Vielleicht beruhte auch die Eisenacher
Eichtung von 1250 auf dem Gedanken einer Fortsetzung der Ge-
meinderschaft mit den Wettinern in Ansehung dieser Hausgüter.
2) Hermann Schulze, Erstgeburt, S. 181.
3) Die von Ilgen und Vogel 1. c. S. 208 note 2 gegen Schutzes
Annahme gerichteten Ausführungen greifen nicht durch. Die Titu-
laturen schwanken, und andererseits beweisen einzelne Rechtshand-
lungen einzelner Gemeinder ohne Zustimmung der anderen nichts
gegen die Gemeinderschaft; solche Akte können auf Ermächtigung,
Nutzteilung, Sondergut etc. beruhen und liegen im Falle einer Statt-
halterei besonders nahe. Zudem beweisen die im folgenden gegebenen
Belege, daß Schulze, der übrigens nicht von Gemeinderschaft spricht,
durchaus recht hatte.
Zum Ehegüterrecht der heiligen Elisabeth. 13
Cod. dipl. Sax. I, 3 no. 515 a. 1234 (Dobenecker III,
464) : Die Landgrafen Heinrich, Konrad und Hermann
handeln entsprechend unanimi voluntate et
consensu.
An anderen Stellen wird ausdrücklich von den coheredes
den Gremeindern, gesprochen:
Cod. dipl. I, 3 no. 345 a. 1225 (Dobenecker 2246):
Ludowicus ... ex consensu predilecte matris nostre
Sophie, uxoris nostre Elisabeth, fratrum nostrorum
Heinrici E.(aspe) et Cunradi ibidem praesentium et
universorumcoheredumnostrorum liberaliter
consensimus.
Cod. dipl. Sax. I, 3 no. 412 a. 1228 (Dobenecker III, 15)
Heinricus ... ex consensu predilecte matris nostre
Sophie, uxoris nostre Elisabeth, fratris nostri Conradi
et universorum coheredum nostrorum.
Auch Cod. dipl. Sax. I, 3 no. 305 a. 1222 (Dobenecker 2001)
heredum suprascriptorum, preter quos necdum alios
habui ist auf die Gemeinderschaft zu deuten.
Diese Gemeinderschaft am Familiengut ist zu unter-
scheiden von der Gesamtbelehnung mit dem Reichsamt.
Diese Gesamtbelehnung, an der Ficker (Reichsfürstenstand,
S. 251) noch zweifelte, hat K. Wenck (Wartburgbuch, S. 215
und Note dazu S. 702) für die Zeit nach dem Tode Lud-
wigs IV. dargetan. Das Bestehen einer Gemeinderschaft
am Familiengut würde Wencks Annahme nicht wider-
sprechen, sie vielmehr stützen, da die Gesamtbelehnung in
der Gemeinderschaft eine Unterlage finden müßte. Wurde
doch bisweilen als Voraussetzung für die Gesamtbelehnung
gefordert, daß die zusammen zu Belehnenden wirklich in
gleicher Gewere saßen, „ein Haus und ein Gesinde" hatten
(Homeyer, Ssp. II, 2, 457 f., Schulze, Erstgeburt, S. 235)
Wenn sich dies auch zunächst auf das gemeinsame Sitzen
in der Lehnsgewere bezieht, so mußte in Fällen wie dem
vorliegenden das Verhältnis am Familiengute die gleiche
Rolle spielen, da dieses die tatsächliche wirtschaftliche Basis
14 2um Ehegüterrecht der heiligen Elisabeth.
der hohen Pamilie bildete und nach der herrschenden Meinung
nicht einmal die Wartburg Reichslehn war. Die energisch
durchgeführte i) Gemeinderschaft an der hereditas und die
damit gesicherte Fortexistenz der landgräflichen Grundherr-
schaft als Einheit ist die entscheidende Grundlage ^) für die
tatsächliche Machtstellung der Ludowinger gewesen , die
damals nach der Königskrone greifen konnten.
Mit dem Tode des Landgrafen Ludwig IV., des Gemahls
der Elisabeth, erhielten dessen Anteil an der Gemeinder-
schaft seine Kinder. Doch blieb dieser Anteil ungeteilt
mit den Anteilen der Brüder des verstorbenen Landgrafen
zusammen, und diese konnten während der Unmündigkeit
der Kinder ihres Bruders, als durch dessen Fortfall allein
vertretungsberechtigte Gemeinder, über das Hausgut ver-
fügen.
Wyss no. 25 a. 1232 : hospitale . . in hereditate nostra
situm est, in qua (sc. Elisabeth) ne unum agrum
habet vel habuit, quae ad nos cum area, in qua ipsum
aedificatum est ex parte fratis nostri non devenisset.
Der Text B, welcher patris statt fratris sagt ^), hat den
Zusammenhang nicht voll verstanden, ohne daß übrigens das
Wort patris mit dem Gedanken der Gemeinderschaft un-
1) Um Durchsetzung der Gemeinderschaft handelt es sich ver-
mutlich bei den Differenzen (Ilgen und Vogel 1. c. S. 212) mit den
Lehnsherren der landgräflichen Kirchenlehen. Ein einzelnes Beispiel
der von den Landgrafen gegenüber den eigenen Familienmitgliedern
bei der Durchführung der Gemeinderschaft bewiesenen Energie ist die
sog. Vertreibung Elisabeths von der Wartburg, s. unten S. 18 ff.
2) Wie anders die Entwickelung laufen konnte, wenn das Haus-
vermögen nicht mit dem Reichsamt, der rechtlichen Grundlage der
Landesherrlichkeit, als Einheit verbunden, sondern unter verschiedene
Zweige des Hauses verteilt war, zeigt ein vergleichender Blick auf
die Verhältnisse der Zähringer, wie sie jüngst Fehr, Die Entstehung
der Landeshoheit im Breisgau, Leipzig 1904, dargestellt hat.
3) Offenbar wegen des naheliegenden Gedankens, daß an sich
die Kinder und nicht die Brüder den Landgrafen hätten beerben
müssen.
Zum Ehegüterrecht der heiligen Elisabeth. 15
vereinbar wäre. — Wenn Heinrich Raspe und Konrad nur
von sich und nicht von ihrem Neffen, dem jungen Landgrafen
Hermann, sprechen, so erklärt sich das eben aus dessen Un-
mündigkeit. Es ist für die Gemeinderschaft charakteristisch
daß nach Eintritt der Mündigkeit Hermanns (geboren 28. März
1222. Diemar, Namenreihe S. 11) dieselben Grundstücke
— allodia circa Marburc — um die es sich in der genannten
Urkunde von 1232 handelt, von Heinrich und dem jungen
Hermann als ihnen gehörig bezeichnet werden.
Wyss no. 45 a. 1234 November 6 (Dobenecker III, 464,
cf. 465): Heinricus et Hermannus . . . unanimi volu-
tate et consensu . . . donavimus . . . omnia bona nostra
in villis, que dicitur Rieth, . . . allodium in Grifstete
. , . officium in Gunnestete (etc.) . . et molendinum
juxta hospitale in Marburc cum omnibus allodiis
nostris circa Marburc adjacentibus.
Unter demselben Datum stellen Heinrich, Konrad und
Hermann eine gleichlautende Urkunde aus. Hermann ist
jetzt ebenfalls vertretungsberechtigter Gemeinder geworden.
Mit der Gemeinderschaft steht es weiterhin auch im Einklang,
wenn Isentrud (H. S. 121) mit Bezug auf die Stadt, wo das
Te deum gesungen wurde, sagt : capita puerorum suorum, ad
quos tarnen ejusdem opidi domininum ex successione paterna
spectabat. Das heißt nicht, sie seien ausschließliche Eigen-
tümer, sondern nur, sie seien an der Gemein derschaft an
Stelle des Vaters beteiligt; an ein eigentliches Sondergut der
Kinder oder auch nur an eine Nutzteilung zu ihren Gunsten,
die übrigens an sich möglich wären, braucht man nicht zu
denken.
In einer Reihe von Fällen wirken Frauen — die ver-
witwete Landgräfin Sophie, die heilige Elisabeth, Elisabeth
die Gattin Heinrich Raspes — bei Rechtsakten der Ge-
meinderschaft mit 1). Huyskens (S. 57) schließt aus solchen
1) Dobenecker, II 1814 a. 1218; 1976 a. 1221; 2001 a.r222; 2118
a. 1223 ; 2246 a. 1225 ; Dobenecker III 15 a. 1228 ; 212 a. 1231 etc.
IQ Zum Ehegüterrecht der heiligen Elisabeth.
Mitwirkungen für die Sophie, daß es sich jedesmal um ihre
Wittumsgüter handelt. Vielleicht ist das für einige Fälle
zutreffend. Indessen scheint die Verallgemeinerung doch be-
denklich, schon deshalb, weil neben der Sophie seit 1221,
dem Jahre der Verehelichung Ludwigs IV., regelmäßig auch
dessen Gattin, die heilige Elisabeth, genannt wird, und zwar
bis zur Zeit ihrer Abschichtung. Diese ist offenbar bei der
Beerdigung ihres Mannes erfolgt i), so daß die Urkunden bei
Dobenecker III, no. 14 und 15 vom 16. Mai 1228, bereits
in die Zeit nach der Abschichtung fallend, die Elisabeth nicht
mehr erwähnen. Wenn vorher die Elisabeth neben der
Sophie genannt wird, so müßte es sich, wenn Huyskens
recht hätte, in solchen Eällen um Wittumsgut beider Frauen
handeln, was namentlich bei Vergabungen kleiner Grund-
stücke (z. B. Dobenecker II, 2001) ausgeschlossen ist. Man
wird vielmehr die Mitwirkung der Frauen so zu erklären 2)
1) Damit schied sie aus der Gemeinderschaft aus, und das Recht
auf das Zusammenleben mit der Familie hörte auf. Damit stimmt
die Aussage der Isentrud überein : Post sepulturam (vero) viri sui
commodo eius ab omni neglecto in priori mendicitate stetit et in-
opia, donec ad mandatum magistri Cunradi Marburc se transtulit
etc. Libellus 2021 C, H. 125. In Marburg ist der Abschichtungs-
vertrag von Reinhardsbrunn dann seitens der Familie durch Übergabe
der' Leibzuchtgrundstücke imd der Geldsumme unter Vermittlung
Konrads von Marburg erfüllt worden. Übrigens auch wenn man,
wie Huyskens (S. 66) das zu tun scheint, den Abschichtungsvertrag
nach Marburg verlegen wollte, ändert das nichts. Denn die Urkunden
vom 16. Mai 1228 von Moseburc bei Steinbach-Hallenberg auf der
anderen Seite des Gebirges (vergl. Dobenecker III, 15 note 1) sind
damit ebenso vereinbar, da sie nicht unmittelbar nach der Be-
erdigung ausgestellt sein werden. Zudem bleibt natürlich auch
offen, daß Elisabeth in Moseburc gerade wegen ihres Streites mit
den Verwandten nicht konsentiert.
2) Eine Erklärung aus dem Erbenwartrecht allein würde schon
wegen der Mitwirkung kinderloser Frauen (z. B. Elisabeth 1221,
Dobenecker II, 1976) Bedenken unterliegen (vergl. allerdings Stobbe-
Lehmann II, 1 § 117 n. 25). Doch hängt Erbenwartrecht und Ge-
meinderschaft aufs engste zusammen. Vergl. R. Schröder, R. Gesch.
§ 61 n. 73 ff.; O. Gierke, D. Priv.-R. II § 153 und dort Zitierte,
Zum Ehegüterrecht der heiligen Elisabeth. 17
haben, daß die fürstlichen Ehefrauen und Witwen des Land-
grafenhauses als Mitglieder der Gemeinderschaft betrachtet
wurden, weil ihnen die Wittumsgüter zunächst nur in der
Form der Nutzteilung (Mutschierung) zugewiesen wurden und
sich im übrigen ihre Zugehörigkeit zur Gemeinderschaft
durch das ihnen freistehende Leben im Kreise der Familien-
genossen mit dem Recht auf Naturalunterhalt — sustentatio —
betätigte. Man zog sie deshalb zu wichtigeren Akten, nament-
lich zu Schenkungen zu. Kamen sie auch nicht als Erbinnen
ihrer Gatten (wohl aber ihrer Kinder) in Betracht, so hatten
sie doch am Gesamtgut ein rechtliches Interesse; weil ihre
Wittumsgüter noch ungeteilt im Gemeindergut sich befanden,
wirkten sie bei Verfügungen überhaupt mit. Natürlich konnte
dieser Zustand auch über den Tod des Gatten hinaus für
die Witwen andauern und er scheint insbesondere für die
Sophie angedauert zu haben. Es konnte aber auch eine
Abschichtung der Witwe im Sinne der Tatteilung erfolgen.
Dann bekam sie nicht nur ihre Wittumsgüter, sondern daneben
auch die ihr sonst gebührenden Werte, wie eingebrachte Geld-
summen, Kostbarkeiten, Gerät etc., heraus, löste aber ihre
Zugehörigkeit zur Gemeinderschaft ; die Wittumsgüter, die
sie ohnehin schon genutzt hatte, standen ihr dann zu ge-
wöhnlicher Leibzucht zu, wie sie auch für jeden Dritten am
Gemeindergut begründet werden konnte.
Die Gemeinder leben auf gemeinsamen Gedeih und
Verderb, am gleichen Herd. Die ganze Familie hatte ein-
schließlich der Frauen und Kinder die bereits erwähnte
gemeinsame sustentatio — die Familienmitglieder des Land-
grafenhauses wohl in erster Linie auf der Hauptburg, der
Wartburg. Diese sustentatio ist Elisabeth angeboten worden,
die Nutzung ihres Wittums wurde ihr dagegen vorenthalten.
Sie wollte aber aus Gewissensbedenken — dem früheren
Speiseverbot ihres Beichtvaters entsprechend — nicht aus
insbesondere Schulze, Erb- und Familienrecht, S. 50, aber auch
E. Schröder, Z. f. E.G., Bd. 9, S. 410 ff.
XXVII. 2
J3 Zum Ehegüterrecht der heiligen Elisabeth.
Einkünften leben, die aus der Landgrafschaft flössen. Sie
forderte daher die Nutzung ihres Immobiliar Wittums, das
an dem Familiengut bestellt war. Ihr Verlangen scheint
aber weiter gegangen zu sein: sie beanspruchte offenbar
vollständige Abschichtung, Tatteilung, und zwar scheint sie
nicht nur das Eigentum an den ihr zu Eigentum gebühren-
den Werten, sondern darüber hinaus das Eigentum an den
Wittumsgrundstücken gefordert zu haben, weil sie auch
über diese in elemosinam, durch Vergabungen ad pias causas
in der Weise der Zeit verfügen wollte ; hatte doch Magister
Konrad sie am Armutsgelübde gehindert, wie er berichtet:
propter egenos, quibus volui de hiis, que pertinebant ad
eam ratione dotis subveniri. Daß Elisabeth damit die Vor-
stellung von Immobiliarverfügungen verbunden haben mag,
zeigt ihr späteres, gleich zu erwähnendes Verhalten i).
Die Landgrafen waren zweifellos zur Herausgabe des
Eigentums an den Wittumsgrundstücken nicht verpflichtet,
da das Wittum gewöhnlich und namentlich im Fall einer
Gemeinderschaft nur zu Leibzucht bestellt wurde. Dagegen
hatte Elisabeth ein Recht auf Abschichtung, und ins-
besondere mußte ihr die Sündernutzung der Wittums-
grundstücke gewährt werden. Warum diese verweigert
worden ist, läßt sich aus den Quellen nicht unmittelbar
erkennen. Nahe liegt es aber, anzunehmen, daß Heinrich
Raspe bezw. seine Beamten 2) den Standpunkt vertraten —
1) Wenn Konrad weiterhin berichtet, daß von ihr vor ihrem
Tode substantia et suppellex den Armen bestimmt wird, so deckt
diese Wendung ebenfalls das ganze Vermögen, aber sie wird von
Konrad wohl nur auf die Fahrnis bezogen worden sein.
2) Der ganze Vorgang erinnert an Xiebelungenlied XIX, wo
gegenüber der verschwenderischen milte Krimhilts (ed. Bartsch 1127,
1128) Hagen die Entziehung des Schatzes der Morgengabe Krimhilts
auf sich nimmt: dö sprach aber Hagene: „lät mich den schuldigen
sin" (1131). Nur ist Heinrich Raspes Stellungnahme höchst wahr-
scheinlich im guten Glauben an sein Recht erfolgt, vielleicht sogar
rechtlich einwandsfrei gewesen.
Zum Ehegüterrecht der heihgen Elisabeth. JQ
und mit Rücksicht auf die verschwenderische Freigebigkeit
Elisabeths praktisch durchführten — : eine selbständige
Verfügung der Elisabeth über die ihr gebührenden Ein-
künfte des Wittums sei vor einer endgültigen Abschichtung
unzulässig, diese Verfügung sei ihr etwa nur vom Ehemann
während der Ehe einseitig gestattet worden und seine
Gestattung sei mit seinem Tode wirkungslos. Vielleicht
verweigerten sie darüber hinaus — etwa unter Berufung
auf Observanz — im Interesse der Gemeinderschaft die
Abschichtung.
Als dann unter Vermittelung Konrads von Marburg
die Abschichtung doch erfolgte, hat man sich so geeinigt,
daß Elisabeth einen Teil der Wittumsgrundstücke zu Leib-
zucht erhielt i), an Stelle des anderen Teiles -) aber ein
Teil der Geldabfindung (2000 Mark pro dote, in estimatione
dotis) gegeben wurde, um ihr insoweit die gewünschten
Substanzverfügungen zu ermöglichen. Elisabeth selbst aber
hat offenbar noch bis zu ihrem Tode an dem Gedanken
festgehalten , daß auch die Grundstücke eigentlich ihr
Eigentum wären. Daraus dürfte sich die unrechtmäßige
Veräußerung der nur zur Leibzucht überlassenen Grund-
stücke an den Johanniterorden (Wyss no. 25 S. 22) er-
klären, welche die Schwäger nach dem Tode der Heiligen
auf simplicitas et stultum consilium zurückführen und an
welcher der hinreichend rechtskundige Magister Konrad
offenbar keinen Anteil gehabt hat (vergl. Wyss no. 26, 27
S. 23 ff.).
1) Karl Wenck, Wartbm-gbuch, S. 200 nennt das Hospitalgrund-
stück die wohl einzige Liegenschaft, welche ihr neben der Geldab-
findung überlassen wiude.
2) Der verhältnismäßig geringe (Huyskens, S. 65) Betrag von
2000 Mark harmoniert übrigens aufs beste mit dem Bestreben des
Landgrafen Heinrich, die Substanz des Hausgutes nach Möglichkeit
zu erhalten. Übrigens ist er wohl als die Verdoppelung der ein-
gebrachten 1000 Mark aufzufassen und ist, wie der Vergleich mit
gleichzeitigen Eheberedungen zeigt, nicht ganz so geringfügig.
20 Zum Ehegüterrecht der heiligen Elisabeth.
III.
Zu der Frage, ob die sogen. Vertreibung Elisabeths
von der Wartburg oder von der Marburg erfolgt ist, sei es
gestattet, nur das Folgende kurz zu bemerken. Die ent-
scheidende Stelle in der Aussage der Isentrud lautet:
Post mortem vero mariti eiecta fuit de Castro et omnibus
possessionibus sui dotalicii a quibusdam vasallis mariti
sui, fratre ipsius mariti adhuc juvene existente. Ipsa
vero intrans civitatem sub Castro sitam intravit pau-
perem domum etc. (Mencke 2019 A. B, H. S'. 121).
Die Worte sind meines Erachtens einfach zu übersetzen :
sie wurde aus Burg und Wittumsgut vertrieben. Im streng
juristischen Sinne der Dejektion, Spoliation ist das Wort
eiecta dabei nicht gebraucht, denn es ist nach dem bisher
Ausgeführten an eine eigentliche Dejektion nur in betreff
der Wittumsnutzung zu denken, bezüglich der Burg ist ein
freiwilliges i) Verlassen unter bloß moralischem Druck zu ver-
stehen, das der Isentrud allerdings als erzwungen erschien.
Das ergibt sich aus der Aussage Irmgards und aus der
gesamten Rechtslage. Die Zusammenfassung beider Dinge
mit dem Wort eiecta hat sprachlich nichts Besonderes; wir
können auch heute z. B. sagen: er wurde aus dem Haus
und der Erbschaft seines Vaters vertrieben. Wir wissen
dabei dann ohne weiteres, daß es sich um eine Kombination
von Zwang zum räumlichen Verlassen des Hauses und Ent-
ziehung des Rechtsgenusses handelt, wobei der Zwang zum
Verlassen des Hauses durchaus nicht durch körperliche
Gewalt geübt worden zu sein, überhaupt nicht ein Zwang
im Rechtssinne zu sein braucht. Die Worte sui dotalicii
sind also nur auf omnibus possessionibus, nicht auf castro
zu beziehen; die Burg ist vielmehr die Familienburg, die
Wartburg.
1) Dies ist auch herrschende Meinung: Wenck, Holder-Egger,
Boerner, Mielke, Michael, Zitate jetzt bei Wenck, Vortrag, S. 52
n. 26. Wenck, Wartburgbuch, S. 200, 701; vergl. Huyskens, S. 62.
Zum Ehegüterrecht der heiligen Elisabeth. 23
Huyskens nimmt dagegen körperliche Austreibung aus
Burg und aus Wittumsgrundstücken an. Er folgert daraus
weiter, daß beides zusammengelegen haben müsse. Er be-
zieht dementsprechend sui dotalicii auch auf Castro und
schließt, daß infolgedessen mit dem castrum das an anderer
Stelle als donatio propter nuptias bezeichnete Marburg ge-
meint sein müsse.
Diese Schlußfolgerung kann ich nicht als zwingend er-
achten. Zunächst wird als donatio propter nuptias nur
oppidum , nicht castrum Marburg bezeichnet (s. o. S. 7).
Es ist mehr als fraglich, ob das Marburger Schloß zur
donatio propter nuptias gehörte. Betrachtet man aber auch
Schloß und Stadt Marburg als Einheit, so entscheidet das
auch nicht für Huyskens. Denn die Aussage der Isentrud
zwingt keineswegs zur Auffassung des castrum als Dotal-
burg. Schon rein sprachlich scheint es mir vielmehr am
nächsten liegend, sui dotalicii nur auf possessionibus zu
beziehen. Jedenfalls aber ergibt sich diese Auffassung aus
dem Inhalt der Quelle und der geschilderten Rechtslage.
Liest man die Aussage im Zusammenhang i), und sieht man
namentlich von der vor den entscheidenden Worten einge-
schobenen Bestätigungserklärung der Guda ab, so weist auch
der Gesamtzusammenhang von Isentruds Worten auf die von
ihr vorher mehrfach erwähnte Wartburg. Weiterhin ist
auch nicht einzusehen, warum denn zwar das dominium
der Kinder an der Stadt (s. o. S. 15), nicht aber das
Wittumsrecht der Elisabeth daran betont wird, wenn es
daran bestand. Endlich und entscheidend : wenn die unter
dem castrum liegende Stadt Marburg wäre und daher zum
Wittum gehörte und femer das Wort eiecta, wie Huyskens
will, im Sinne handhafter Gewalt, körperlicher Austreibung
zu verstehen wäre, nicht im Sinne der bloßen Renten-
Vorenthaltung — wie oben ausgeführt — so läge ein
1) Hierauf weist K. Wenck, Vortrag, S. 53 u. 26 hin, sowie
auf einige andere, hier nicht zu erörternde Argumente.
22 Zum Ehegüterrecht der heiligen Elisabeth.
Widerspruch vor, da Elisabeth aus dieser Stadt eben nicht
körperlich eiecta ist, sondern sich darin aufhält.
Die Rechtsverhältnisse am Wittumsgut der Elisabeth
sprechen also meines Erachtens geradezu für die bisherige,
bekanntlich alte Meinung, daß die sogenannte Vertreibung
von der Wartburg erfolgt ist, und geben keine Anhalts-
punkte für die Verlegung des Vorganges nach Marburg.
Mir scheint, daß vom Standpunkt rechtsgeschichtlicher
Betrachtung dieses Stück Wartburgpoesie erhalten bleiben
kann.
I
IL
Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von
Thüringen 0.
Von
Dr. Richard Wagner aus Apolda.
Infolge der verhängnisvollen Doppelwahl vom Jahre
1198 waren über Deutschland die Schrecken des Bürger-
krieges hereingebrochen. Während im allgemeinen der
Süden des Reiches sich für den Staufer Philipp von
Schwaben erklärte, trat der Norden für den Weifen Otto
von Braunschweig ein. In der Mitte aber zwischen den
Machtgebieten beider Gegner lag Thüringen. Hier war der
Inhaber einer alle übrigen Gewalten weit überragenden
Stellung der Landgraf Hermann I. Indem er sich bald der
einen, bald der anderen Partei anschloß, wähnte er, von
beiden Vorteile gewinnen zu können. Namenloses Unglück
brachte er freilich durch eine derartige Schaukelpolitik über
sein Land : abwechselnd hausten hier sowohl die staufischen
als auch die weifischen Scharen. Zwar wurde durch die
Ermordung Philipps von Schwaben und die darauf folgende
allgemeine Anerkennung Ottos diesen Verwüstungszügen
Einhalt getan. Aber schon im Jahre 1211 brach der bruder-
mörderische Streit infolge der Exkommunikation des Kaisers
mit vermehrter Wut wieder aus. Von neuem seufzten die
Gebiete Hermanns, der sich bereits 1210 mit mehreren
anderen Pursten gegen Otto verschworen und die Kandidatur
1) Unter dem Titel „Die Reichspolitik Ludwigs IV., Landgrafen
von Thüringen", ist ein Teil dieser Abhandlung bereits als Inaugural-
Dissertation im Verlag von B. Vopelius, Jena 1908, erschienen.
24 Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen.
des jungen Friedrich II. mitveranlaßt hatte i), unter den
Heimsuchungen des Bürgerkriegs, denen erst ein Ende be-
reitet wurde, nachdem durch das persönliche Erscheinen
Friedrichs und durch die Schlacht bei Bouvines die Macht
Ottos gebrochen worden war. Freilich war es nicht mög-
lich, ihn vollkommen zu unterwerfen : hinter den festen
Mauern seiner Städte und Burgen trotzten er und die
Seinen allen feindlichen Angriffen.
Am Anfang dieser langjährigen Wirren war dem Land-
grafen Hermann am 28. Oktober 1200 ein Erbe geschenkt
worden, der den Namen Ludwig^) erhielt. Seine Mutter
1) Vergl. O. Dobenecker, Eegesta diplomatica necnon epistolaria
historiae Thuringiae, II, No. 1464a, 1468.
2) Cronica ßeinhardsbrunnensis : MG. SS. XXX, 1, S. 563.
Das Leben des heiligen Ludwig, Landgrafen in Thüringen, übersetzt
von Friedrich Ködiz von Saalfeld, hrsg. von H. Rückert, Leipzig
1851, S. 8 (=V. L.); über die Frage, ob Ludwig oder Hermann der
Erstgeborene war, gehen die Meinungen auseinander. Man muß wohl
C. Wenck, Die heilige Elisabeth, Wartburgwerk, Berlin 1907, S. 700,
Anm. zu S. 191, beistimmen, daß Ludwig der älteste Sohn war. Gegen
diese Auffassung spricht nur der allerdings sehr wichtige Umstand,
daß Hermann in einer Urkunde vom 29. Mai 1214 vor seinen Brüdern
genannt wird. Es handelt sich darum, daß der Landgraf Hermann L,
seine Gemahlin und seine Söhne Hermann, Ludwig und Heinrich
genehmigen, daß das Kloster Aulisburg in Hessen verlegt wird.
Vergl. Dobenecker, Eeg. II, No. 1585. Da die Urkunde von Em-
pfängerhand geschrieben ist, so meint Wenck, daß hier wohl ein
Versehen des Schreibers vorliege. Vielleicht läßt sich diese Voran-
stellung auch anders erklären.
Nach Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte, VII, S. 11, war
es möglich, daß die Söhne teilten, wenn der Vater mehr als eine
Grafschaft innehatte. So war es im thüringischen Landgrafenhause
üblich, daß die Grafschaft Hessen auf den zweiten Sohn überging.
Vergl. Ilgen und Vogel, Geschichte des thüringisch-hessischen Erb-
folgekrieges, in : Zeitschr. d. Ver. f. hess. Gesch. u. Altertumskunde,
Neue Folge X, 1883, S. 206 ff. (=:ZHG.); Wenck, Älteste Gesch. d.
Wartburg, Wartburgw., S. 39.
Vielleicht erklärt sich die Voransetzung Hermanns in jener
Urkunde dadurch, daß üun als zweitem Sohn die hessischen Besitz-
ungen bestimmt waren, und daß er infolgedessen an irgendwelchen
Veränderungen in diesem Gebiet das größte Interesse hatte.
Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen. 25
war Sophie, die Tochter des Herzogs Otto I. von Bayern ^).
Hermann hatte sich mit ihr 1189 vermählt 2)^ nachdem seine
erste Gemahlin, die ebenfalls den Namen Sophie führte, in
demselben Jahr gestorben war ^). Aus dieser Ehe waren
nur zwei Töchter entsprossen : Jutta, die später den Mark-
grafen Dietrich den Bedrängten von Meißen und nach dessen
Tode den Grafen Poppo von Henneberg heiratete, und
Hedwig, die der Graf Albert von Orlamünde heimführte.
Von seiner zweiten Gemahlin wurde der Landgraf mit
sechs Kindern beschenkt: Irmengard, Ludwig, Hermann,
Heinrich Easpe, Konrad und Agnes*).
Über Ludwigs früheste Jugend haben wir nur eine
dürftige Nachricht, die wohl auf ihn zu beziehen ist. Im
Jahre 1204 gelang es König Philipp, mit einem großen
Heer in Thüringen einzudringen und Weißensee zu belagern,
das von einer landgräflichen Besatzung hartnäckig verteidigt
wurde. Hermann war nämlich wieder einmal, dvirch Ver-
sprechungen von Otto verführt, zu diesem übergetreten.
Gewitzigt freilich durch Hermanns wiederholten Abfall, be-
gnügte sich Philipp diesmal nicht mit dem Treueid, sondern
er ließ sich eine Anzahl von Geißeln ausliefern, unter denen
sich als wertvollstes Unterpfand des Landgrafen Sohn be-
1) Genealogia Ottonis IL Ducis Bavariae et Agnetis Ducissae :
MG. SS. XVII, S. 376; Cron. Reinh., S. 564; V. L., S. 8.
2) Dobenecker, Reg. II, No. 842, 871, Anm. 1. — Ungenau bei
H. Diemar, Stammreihe des thüringischen Landgrafenhauses und des
hessischen Landgrafenhauses bis auf Philipp den Großmütigen in:
ZHG., N. F. XXVII, 1903, S. 7, No. 32: „spätestens um 1196".
3) Cron. Reinh., S. 544, 564; V. L., S. 7; Dobenecker, Reg. II,
No. 871, Anm. 1.
4) Cron. Reinh., S. 563 f.; V. L., S. 6 ff.; gegen C. Wenck, Ent-
stehung der Reinhardsbrimner Geschichtsbücher, Halle 1878, S. 15,
tritt O. Holder-Egger, Studien zu thüringischen Geschichtsquellen
in: Neues Archiv der Gesellsch. f. ältere deutsche Geschichtskunde
(=NA."), XX, 1895, S. 632 dafür ein, daß auch die genealogischen
Angaben über die Familie Hermanns I. noch den Gesta Ludovici
quarti des Hofkaplans Berthold zuzuweisen sind.
26 Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen.
fand 1), Wird uns dessen Name auch nicht überliefert, so
kann dies doch nur Ludwig gewesen sein, der so an den
Hof Philipps kam. Die Dauer seines Aufenthalts ist unbe-
kannt. Er wird wohl nur so lange zurückgehalten worden
sein, bis die Verschiebung der Machtverhältnisse zugunsten
Philipps nach allgemein menschlichem Ermessen einen Ab-
fall Hermanns nicht mehr befürchten ließ (1206 oder 1207).
Man darf annehmen, daß 1208 wenigstens Ludwig entlassen
war, da in diesem Jahr der Landgraf wieder Verbindungen
mit dem Weifen angeknüpft hatte ^).
Nachdem am 31. Dezember 1216 S), erst fünfzehnjährig,
Ludwigs Bruder Hermann in Eisenach gestorben war,
folgte ihm schon am 25. April 1217 sein Vater, Landgraf
Hermann L, nach ; entsprechend seiner Bestimmung fand er
seine letzte Ruhestätte an der Seite des ihm im Tode voran-
gegangenen Sohnes in dem von ihm gegründeten Katharinen-
kloster zu Eisenach ^). Er war in der letzten Zeit seines
Lebens schwer von irgendwelchen chronischen Leiden heim-
gesucht worden ^) und scheint infolgedessen regierungs-
unfähig gewesen zu sein: schon am 15. Januar 1217 tritt
Ludwig als „Dei gratia Thuringie lantgravius et Saxonie
comes palatinus" in einer Urkunde auf ^), er führt also die
Regierun gsgesch äfte.
1) Cron. Reinh., S. 568; Cron. St. Petri Erford. Mod., S. 203.
E. Winkelraann, Philipp von Schwaben und Otto IV. von Braun-
schweig, I, S. 326 ff. (Jahrb. d. deutsch. Geschichte).
2) Winkelmann, PhiUpp von Schwaben und Otto IV., I, S. 443 ff.
3) Cron. Eeinh. , S. 564, Anm. 6 verwechselt Holder -Egger
diesen Hermann mit dem gleichnamigen Sohn Ludwigs und der heiligen
Elisabeth, vergl. Dobenecker, Reg. II, No. 871, Anm. 1; V. L., S. 7;
Dobenecker, Reg. II, No. 1672, Anm. S. 307; Sifridi de Balnh.
Compendium bist. : MG. SS. XXV, S. 700 : seine Angabe, daß Her-
mann 15 Jahre alt war, mag wohl richtig sein. Diemar, ZHG.,
N. F. XXVII, S. 9, No. 40.
4) Dobenecker, Reg. II, No. 1672, Anm. ; Diemar, S. 7, No. 32.
5) Cron. Reinh., S. 587; V. L., S. 15; Dobenecker, Reg. IL
No. 1672, Anm. S. 307.
6) Dobenecker, Reg. II, No. 1731.
Die äußere Politik Ludwigs IV., Laudgrafen von Thüringen. 27
Offenbar wurde Ludwig ohne Schwierigkeiten die Be-
lehnung mit den väterlichen Gütern von Seiten des Königs
Friedrich IL erteilt i). Rückhaltlos schloß sich der junge
Landgraf an ihn- an und verfehlte nicht, sich in allen
wichtigeren Angelegenheiten des Reiches freudig zu be-
tätigen.
Noch immer hielt sich Otto IV. in seinen braun-
schweigischen Burgen, ja er schickte sich sogar an, zum
Angriff überzugehen. Zwar trieb ihn Friedrich IL im Herbst
1217 wieder zurück und schloß ihn in Braunschweig ein;
aber diese Stadt zu nehmen, vermochte er auch diesmal
nicht. Wahrscheinlich stieß Ludwig mit seinem Kontingent
zu Friedrich, als dieser von Fulda durch Thüringen gegen
den Weifen heranrückte 2). Dazu paßt sehr gut, daß gerade
damals der Graf Heinrich I. von Anhalt, der mit der
Schwester des Landgrafen, Irmengard, vermählt war ^), Otto
verließ und den Staufer^) anerkannte, sicherlich durch den
Einfluß und die Vermittelung seines Schwagers. Auch be-
fand sich Ludwig am 8. November in der Umgebung des
Königs in Altenburg 5), wohin das Reichsheer über Leipzig
zurückgegangen war^).
Erst durch den Tod Ottos wurde der unselige Streit
beendet. Aber noch befanden sich die Reichsinsignien in
der Hand der Weifen, und sie zögerten, sie auszuliefern,
um sich für ihre Übergabe bestimmte Zugeständnisse von
Friedrich machen zu lassen. Auch auf dem Hoftag zu
Fulda im Dezember 1218, an dem neben zahlreichen anderen
1) Cron. ßeinh., S. 589; V. L., S. 16.
2) Anderer Ansicht ist Th. Knochenhauer, Geschichte Thüringens
zur Zeit des ersten Landgrafenhauses (1039 — 1247), herausgeg, von
K. Menzel (Gotha 1871), S. 300.
3) Cron. Eeinh., S. 564; V. L., S. 7; Diemar, S. 9, No. 39.
4) Steudener, Albrecht I., Herzog von Sachsen (1212 — 1260),
Diss. HaUe, 1894, S. 14.
5) Dobenecker, Eeg. II, No. 1770.
6) Winkelmann, Otto IV., S. 462 f.
28 I^ie äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen.
Fürsten der Landgraf teilnahm, war es nicht möglich, eine
Einigung herbeizuführen i).
Inzwischen hatte Ludwig am 6. Juli 1218 in Eisenach
unter großen Feierlichkeiten die Ritterweihe erhalten 2).
Schon im folgenden Jahre sah er sich genötigt, zur
Behauptung seiner Rechte zum Schwert zu greifen.
Die Landgrafen standen in Thüringen wie in Hessen
hinsichtlich zahlreicher Besitzungen im Lehensverhältnis zu
Mainz ^). Auch sie, wie überhaupt der ganze Adel, der
1) Dobenecker, Reg. II, No. 1807, 1808; Winkelmann, Kaiser
Friedrich II., Bd. 1, S. 11 f. (Jahrb. d. deutschen Gesch.).
2) Cron. ßeinh., S. 591; V. L., S. 24; Chr. Haeutle, Landgraf
Hermann I. von Thüringen und seine Familie, in: Zeitschr. d. Ver.
f. thür. Gesch. u. Altertumskde. (=ZThG.), V, 1863, S. 137; Wenck,
Wartburgw., S. 697, Anm. zu S. 42. Über das Zeremoniell bei der-
artigen Feierlichkeiten vergl. A. Schultz, Das höf. Leben zur Zeit d.
Minnesinger, I, S. 181 ff., 2. Aufl. (Leipzig 1889).
Th. Knochenhauer, S. 299, Anm. 3 und E. Bernecker, Beiträge
zur Chronol. d. Regier. Ludwigs IV., des Heil., Landgrafen von Thür.
Diss. Königsberg, 1880, S. 15 ff. sind entgegen der Überlieferung der
Ansicht, daß die Schwertleite schon im Jahre 1217 stattgefunden habe,
indem sie sich darauf stützen, daß die Fehde des Landgrafen mit
dem Erzbischof von Mainz im Jahr danach ausgebrochen ist (vergl.
Cron. Reinh., S. 591 ; V. L., S. 24). Sie behaupten, daß dieser Streit
im Jahre 1218 entstanden sei, ohne daß dies irgendwie durch die
Quellen bewiesen werden könnte; es fällt damit also die Voraus-
setzung, auf der sie fußen (vergl. Holder-Egger, Cron. Reinh., S. 591,
Anm. 2). Daß der Kampf zwischen beiden erst 1219 begann, dafür
spricht ferner der Umstand, daß sie zu gleicher Zeit dem eben er-
wähnten Hoftag zu Fulda (Dezember 1218) beiwohnten (vergl. Böhmer-
Ficker, Regesta imperii, V, 1, No. 965, 966; Wenck, Ludwig IV.,
Allgemeine deutsche Biographie (= A. D. B.), XIX, S. 595 (Leipzig
1884). Dies wäre sicher nicht der Fall gewesen, wenn sie sich schon
danaals mit den Waffen in der Hand gegenübergestanden hätten.
3) In Thüringen : die Komitien Siebleben, Schönstedt (Dobe-
necker, Reg. II, No. 2333), Bergeren, die kleinere Komitie in Mittel-
hausen (mit ihr ist wohl identisch das Gericht, „de Aspe" genannt
im Langsdörfer Vergleich 1263, vergl. Dobenecker, Reg. II, No. 1973),
Burg und Stadt Thamsbrück mit den dazugehörigen Gerichten, die
Burg Spatenberg, der Hof in Greußen usw. In Hessen : die Vogteien
Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen. 29
Kirchenlehen empfangen hatte, bemühten sich, ihre Rechte,
vor allem das der Gerichtsbarkeit ^), über die benachbarten
Kirchengüter auszudehnen, während andererseits die geist-
lichen Fürsten diesen Übergriffen energisch entgegentraten, ja
es sogar nicht an Versuchen fehlen ließen, diese Lehen wieder
zurückzugewinnen ^). Naturgemäß führte dieser Gegensatz
fast stets nach dem Regierungsantritt eines Fürsten zu Zu-
sammenstößen; jetzt glaubten die geistlichen Herren den
Augenblick gekommen, um über strittige Ansprüche eine
Entscheidung zu ihren Gunsten herbeizuführen und so dem
unaufhörlich vordringenden Einfluß des hohen Adels Halt
zu gebieten.
Wie schon zwischen seinen Vorgängern und den Erz-
bischöfen von Mainz, so kam es auch zwischen Ludwig und
dem derzeitigen Inhaber des Erzstuhls, Siegfried IL von
Eppstein, bald zu einem ernsten Konflikt wegen derartiger
Streitfragen. Vielleicht veranlaßte den Erzbischof daneben
noch ein zweiter Grund, dem Landgrafen entgegenzutreten.
Siegfried war aus einer zwiespältigen Wahl hervorgegangen^)
und hatte infolge des langen Wahlstreites und des Bürger-
krieges erhebliche Aufwendungen machen müssen, so daß
die Lage seiner Finanzen eine sehr schlechte war ^). Sollte
es jetzt nicht leicht sein, den noch so jungen Landgrafen
zum Nachgeben in den so lange umstrittenen Ansprüchen
über Wetter, Fritzlar, Breitungen, Hasungen; das Patronatsrecht
über die Kirchen von Wildungen, Eeichenhagen, Felsberg, Wenigen-
Zennern; ferner die Stadt Melsungen usw. Dazu das Marschallamt
des Erzstiftes, vergl. Dobenecker, Eeg. II, No. 1719, 434; Böhmer-
Will, Eegesta archiepiscoporum Maguntinensium, II, S. 324, No. 89
S. 360, No. 97 ; Ilgen und Vogel, ZHG., N. F. X, S. 206, 316 ff., 346 f. ;
Frhr. Schenk zu Schweinsberg, Beitr. z. Frage über d. Bed. d. Land-
grafsch.. Forsch, z. d. Gesch., XVI, S. 535 f.
1) Ilgen und Vogel, S. 211, 223 ff., 247 f.
2) Waitz, Deutsche Verfassungsgesch., VII, S. 337, 368ff.
3) H. Lewin, Der Mainzer Erzbischof Siegfried II. v. Eppstein,
Diss. Bern, Schlüchtern 1895, S. 4 ff.
4) Lewin, S. 20, 32.
30 Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen.
oder zum mindesten zur Zahlung einer Geldsumme zu ver-
mögen ? Als Verhandlungen nicht zum Ziele führten,
machte der Erzbischof unbedenklich von den kirchlichen
Strafmitteln Gebrauch: er belegte Ludwig mit dem Bann
und erklärte zugleich, daß auch dessen Vater im Bann ge-
storben sei 1). Damit betrachtete er augenscheinlich die
Mainzer Kirchenlehen als erledigt.
Ludwig freilich war auch jetzt noch nicht gewillt,
sich zu fügen; er suchte vielmehr die Entscheidung mit
den Waffen herbeizuführen : rasch hat er ein starkes Heer
gesammelt, eilt nach Hessen und geht hier offensiv gegen
den Erzbischof und seine Vasallen vor; weithin werden
ihre Gebiete, vor allem die Besitzungen Hartrads (IV.) von
Merenberg 2) und der Herren von Scharfenstein verwüstet,
entsprechend der damaligen Kriegsführung ^).
Offenbar kam den Gegnern dieser Angriff so über-
raschend, daß sie noch gänzlich unvorbereitet waren, denn
wir hören nichts davon, daß sie mit ihren Truppen im
freien Felde erschienen wären. So sah sich Siegfried durch
die schnellen Erfolge des Landgrafen gezwungen , auf
Eriedensverhandlungen einzugehen , die unter Vermittlung
der Äbte von Fulda und Hersfeld ^) in Fulda stattfanden
und zu dem Ergebnis führten, daß sich die streitenden
Parteien am 20. Juni 1219 in der Kirche des heiligen
Bonifatius versöhnten : der Erzbischof spricht den Land-
grafen, seinen Vater und alle seine Anhänger feierlich von
dem über sie verhängten Bann los ^). Der weitere Inhalt
des Friedensvertrages ist uns nicht überliefert, jedoch ist
1) Cron. Eeinh., S. 5i)l ; V. L., S. 24.
2) Cron. Eeinh., S. 591, Anm. 3; vergl. auch Dobenecker,
Reg. II, No. 2377.
3) Cron. Eeinh., S. 591 ; V. L., S. 24.
4) W. Gerstenberg, Thüringisch-hessische Chronik, in : Schmincke,
Monimenta Hassiaca, II, S. 301.
5) Cron. Eeinh., S. 593; V. L., S. 24; dem Wortlaut gemäß
müßte diese Nachricht eigentlich zum Jahr 1220 gerechnet werden.
Dobenecker, Eeg. II, No. 1831.
Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen. 31
anzunehmen, daß bei der Regelung der Verhältnisse Ludwig
als Sieger seine Stellung behauptet hat. Diese Vermutung
wird dadurch gestützt, daß schon im nächsten Jahr der
Streit von neuem ausbrach, daß also einer der Gegner hin-
länglichen Grund zu haben glaubte, sich bei den Resultaten
dieses Vertrages nicht beruhigen zu dürfen. Alles spricht
dafür, daß dies nur der Erzbischof sein konnte. Ferner
darf man vielleicht dafür folgendes anführen: Als Konrad,
der Bruder Ludwigs, im Jahre 1232 aus ähnlicher Ver-
anlassung mit dem Erzbischof von Mainz in kriegerische
Verwickelungen geraten war, wurden nach einem siegreichen
Feldzug des Landgrafen beim Friedensschluß die Bestim-
mungen der Vereinbarung von Fulda zugrunde gelegt ^).
Gegen Ende Juli 1219 treffen wir die beiden, freilich
nur äußerlich ausgesöhnten Gegner in Erfurt in der Um-
gebung des Königs ^).
Friedrich war damals damit beschäftigt, die nötigen
Vorbereitungen zu treffen, um sich in Italien die Kaiser-
krone zu erwerben und darauf den gelobten Kreuzzug an-
zutreten. Vor seiner Abreise legte er das größte Gewicht
darauf, daß sein noch unmündiger Sohn Heinrich zum deut-
schen König gewählt würde, um so die Nachfolge in seinem
Hause zu sichern. Freilich war es ihm trotz seiner Be-
mühungen noch nicht gelungen, alle Fürsten für seine Ab-
sichten zu gewinnen. Da kamen seinem Vorhaben die
Ereignisse zu Hilfe ^).
Als sich im April 1220 auf den Ruf des Königs die
deutschen Fürsten in Frankfurt versammelten, um über diese
80 wichtige Frage zu verhandeln und zu entscheiden, da
fehlten unter ihnen natürlich nicht zwei so bedeutende
Herren, wie der Erzbischof von Mainz und der Landgraf
von Thüringen. Sofort brach der alte Zwist zwischen
ihnen mit erneuter Heftigkeit aus. Da sie beide mit zahl-
1) Dobenecker, Eeg. III, No. 323.
2) Dobenecker, Eeg. II, No. 1841.
3) Winkelmann, I, S. 12 ff.
32 Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen.
reichem Gefolge erschienen waren, befürchtete man sogar
auf dem Reichstag einen Zusammenstoß mit den Waffen.
Alle Versuche der Fürsten, die Gegensätze durch Vergleich
oder durch gerichtlichen Austrag zu beseitigen, scheiterten.
Angesichts dieser großen Gefahr, die bei der Abwesenheit
Friedrichs den Reichsfrieden auf das Bedenklichste zu
stören drohte, entschlossen sich jetzt auch die bis dahin
noch Schwankenden, der Wahl Heinrichs zuzustimmen.
Wahrscheinlich am 23. April wurde er zum deutschen
König erhoben i). Zugleich schwuren die Fürsten, nicht
eher heimzukehren, als bis eine Versöhnung der Gegner
zustande gekommen wäre ^) ; da sie ferner durch die Wahl
gezeigt hatten, daß sie ernstlich gewillt seien, die Ruhe im
Reich aufrecht zu erhalten, scheint es ihren Bemühungen
doch noch gelungen zu sein, Frieden zwischen den Parteien
zu stiften ; daß freilich Ludwig irgendwelche Ansprüche auf-
gegeben hat, daran ist wohl nicht zu denken ; höchstens hat
er sich vielleicht zu einer Geldzahlung bereit gefunden. Sehr
gut würde dazu stimmen, daß Siegfried am 29. Mai 1220
seinen Gläubigern eine größere Summe zurückzahlen konnte ^).
Auch aus einem Streit mit dem Grafen Hermann von
Orlamünde ging Ludwig siegreich hervor. Am 6. August
1222 *) brach er an der Spitze seiner Truppen in das Ge-
biet des Grafen ein. Es glückte ihm, den Berg Schauen-
forst^) zu besetzen und zu befestigen und so die Verbindung.
1) Dobenecker, Eeg. II, No. 1897, 1899; Wmkelmann, I, S. 39 ff.,
5231, Erläuterung I.
2) Winkelmann, Acta imp. ined., I, S. 157, No. 180.
3) Böhmer- Will, II, S. 176, No. 353; Lewin, S. 42.
4) Cron. Eeinh., S. 598; V. L., S. .32; Bernecker, S. 26; Titt-
mann, Gesch. Heinrichs d. Erl., 2. Aufl., II, S. 156, und Knochen-
hauer, S. 396 setzen diesen Zug in das Jahr 1223.
5) Die Burgruine öchauenforst hegt nordwestlich von Orla-
münde; vielleicht befand sich damals schon auf dem Berg eine kleine
Burg, die Ludwig überraschend nahm .und beträchtlich verstärken ließ.
P. Lehfeldt, Bau- und Kunstdenkmäler Thüringens, Heft VI,
S. 44 (hier S. 45 ein Grundriß der Euine).
Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen. 33
zwischen den beiden feindlichen Hauptburgen, Orlamünde und
Rudolstadt, zu bedrohen. Das übliche Sengen und Brennen
in der Umgegend wird nicht gefehlt haben, so daß sich der
Graf wohl bald, mürbe gemacht, mit Ludwig verglichen hat.
Über den Grund dieses Zwistes ist etwas Sicheres nicht zu
erfahren; man ist lediglich auf Vermutungen beschränkt.
Am ansprechendsten scheint zu sein, daß der Graf von Orla-
münde, getreu der alten Politik seines Hauses, sich energisch
gegen die immer weiter um sich greifenden Souveränitäts-
gelüste des Landgrafen wehrte, und daß es darüber zum
Bruch kam^).
Bald genug eröffnete sich dem jungen Fürsten ein noch
größerer Wirkungskreis, der zunächst alle seine Kräfte in
Anspruch nehmen sollte.
Am 17. Februar 1221 war der Markgraf von Meißen,
Dietrich der Bedrängte, gestorben -); er war mit einer Stief-
schwester Ludwigs, Jutta, vermählt gewesen und hinterließ
einen noch unmündigen Sohn Heinrich, später der Erlauchte
genannt. Noch bei seinen Lebzeiten hatte er seinen Schwager
trotz seiner Jugend zum Vormund und Landesverweser be-
stimmt. Ludwig befand sich Anfang Februar 1221 in Würz-
burg, wo er mit seinem Oheim, dem Herzog Ludwig I. von
Bayern, eine Besprechung hatte ^). Vielleicht versuchte dieser
seinen Neffen zur Teilnahme an dem Kreuzzug zu bewegen,
den er soeben als Stellvertreter des Kaisers antreten wollte ^),
vielleicht hat er ihn nur gebeten, auf sein Land und seinen
1) Lobe, Der Schauenforst, in: Alitt. d. Geschichts- und Alter-
tumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes, VIII, S. 471 ff. (seLue
Vermutungen sind wohl zu verwerfen).
V. Lommer, Orlamünde, S. 24. Tittmanns (II, S. 156) und
Knochenhauers (S. 306) Vermutimg, daß die Fehde mit den deutsch-
dänischen Händeln von 1223 in Zusammenhang steht, fäUt mit der
chronologischen Anordnung.
2) Dobenecker, Reg. II, No. 1953; Diemar, S. 8 f. No. 37.
3) Cron. Reinh., S. 596, Anm. 2; V. L., S. 29; Ann Pegav.:
MG. SS., XVI, S. 270; Bernecker, S. 19 f.
4) Winkelmann, I, S. 146.
XXVII. 3
34 Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen.
unmündigen Sohn Otto ^) ein wachsames Auge zu haben.
Auf der Rückreise, als er eben die Burg Henneberg, deren Be-
sitzer Graf Poppo (VII.) ihn überaus glänzend aufgenommen,
verlassen hatte, traf ihn ganz unerwartet die Meldung vom
Tode Dietrichs. Sofort eilt er nach Meißen, um gemäß dem
Willen des Verstorbenen mit fester Hand die Zügel der
Regierung zu ergreifen 2). Schon am 18. März tritt er hier
zum ersten Male urkundlich auf 3). Nach allen Seiten hin
entfaltet er eine energische Tätigkeit, um die seiner Obhut
anvertrauten Gebiete zu sichern und in ihnen für den Frieden
zu sorgen. Er entbot die Edlen, Dienstmannen und das
übrige Volk an die alten Dingstätten und ließ sie hier im
Einverständnis mit Jutta feierlich, unter Anrufung der
Heiligen, einen Huldigungseid leisten, in dem sie dem jungen
Heinrich als angestammtem Erben und dem Landgrafen als
vormundschaftlichem Regenten Treue gelobten ; für den Fall
aber, daß der Markgraf während seiner Minderjährigkeit
vom Tod dahingerafft würde, wählen sie schon jetzt Lud-
wig zu ihrem Herrn und erkennen ihn als Erben an*). So-
legitimierte und befestigte der Landgraf seine Autorität in
diesen Gebieten und eröffnete zugleich sich und seinem
Haus die großartige Aussicht auf die eventuelle Nachfolge
in den Besitzungen der Wettiner. Noch konnte man frei-
lich nicht absehen, welche Stellung der Kaiser und die
Fürsten zu dieser Vereinigung zweier so bedeutender Terri-
torien in einer Hand nehmen würden. Zwar die Aner-
1) Otto wurde erst 1228 wehrhaft gemacht, war also 1221 sicher
noch unmündig; vergl. Eiezler, Otto II. von Bayern, A. D. B.,.
XXIV, S. 647, 1886.
2) Cron. Reinh., S. 596; V. L., S. 29; W. Füsslein, Hermann I.,
Graf von Henneberg, in: ZThG., XIX, N. F. XI, S. 63.
3) Im Verein mit seiner Schwester und seinem Mündel be-
schenkt er das Kloster Altzelle, in dem die sterblichen Überreste
des Markgrafen ruhten, zum Seelenheil des Toten mit sehr wertvollen
Vorrechten ; vergl. Dobenecker, Eeg. II, No. 1953.
4) Dobenecker, Reg. II, No. 1954; Füsslein, S. 64, Anm. 1.
Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen. 35
kennung seiner vormundsciiaftlichen Regierung i) scheint er
ohne Schwierigkeiten von Friedrich erreicht zu haben. Denn
wenn dieser dem Landgrafen und seiner Schwester am
23. März 1222 verbietet, dem Bischof von Meißen gewisse
Besitzungen weiter vorzuenthalten ^), so setzt dies doch wohl
den Akt der Bestätigung voraus. Sicher ist diese Bestäti-
gung als ein Zeichen besonderer kaiserlicher Gunst und als
ein Beweis aufzufassen, daß auch Friedrich die Bedeutung
dieses jungen Fürsten nicht entgangen war ^). Die Eventual-
belehnung mit Meißen allerdings jetzt schon zu erhalten,
daran war noch nicht zu denken, da Friedrich nicht
gewillt war, sie so leichten Kaufes zu gewähren*). Aber
unverrückt behielt der Landgraf dieses Ziel im Auge, und
wir werden später sehen, wie es Ludwig gelang, seine Ab-
sicht durchzusetzen.
Ludwig sorgte dafür, daß alle die Kirchenlehen, die
Dietrich innegehabt hatte, seinem Mündel übertragen wurden;
dabei setzte er wieder die Bestimmung durch, daß diese
Gebiete nach Erbrecht auf ihn übergehen sollten, wenn
Heinrich minderjährig ohne Erben stürbe ^). Nur der
Bischof Ekkehard von Merseburg wehrte sich energisch
gegen dieses Ansinnen. Er erklärte sich wohl zur Über-
tragung der Lehen auf Heinrich bereit, nahm dafür aber
die vormundschaftliche Regierung über diese Besitzungen
bis zur Volljährigkeit des Markgrafen für sich in Anspruch.
Als Ludwig diese Forderung zurückwies und auch durch
Verwarnungen sich nicht beirren ließ, exkommunizierte er
1) Der Kaiser hätte nach Lehensrecht selbst die Vormund-
schaft beanspruchen können ; vergl. Encyclica Friderici d. d. Capuae,
6. Dez. 1227: Doeberl, Mon. Germ, selecta, V, S. 58; Cod. dipl.
Sax. r. II, 8, S. XXIII, Anm. 39 ; Böhmer-Ficker, No. 1715.
2) Dobenecker, Reg. II, No. 2000.
3) Man vergleiche damit das Verhalten Friedrichs gegen die
unmündigen Kinder Alberts IL von Brandenburg und ihre Mutter:
Dobenecker: Reg. II, No. 1980.
4) Winkehnann , I, S. 379.
5) Cron. Reinh., S. 597; V. L., S. 30. '
36 Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen.
zunächst den jungen Heinrich und seine Ratgeber, d. h.
Ludwig und Jutta, und endlich, als er damit den erwünschten
Erfolg nicht erzielte, belegte er das ganze Land mit dem
Interdikt. Schließlich einigte man sich nach langen Ver-
handlungen dahin, daß der Bischof gegen Zahlung von
800 Mark Silber die verhängten Kirchenstrafen aufhob, die
strittigen Gebiete Heinrich zu Lehen übertrug und die Vor-
mundschaft Ludwigs anerkannte^)
Daß dabei der Landgraf, hierin ganz ein Territorial-
herr seiner Zeit, von den geistlichen Fürsten unbedenklich
auch Rechte verlangte und in Besitz nahm, auf die er nur
mehr oder weniger schlecht begründete Ansprüche geltend
machen konnte, erhellt aus folgendem: Der Bischof Bruno
von Meißen beschwerte sich bitter beim Kaiser darüber,
daß Ludwig Silbergruben, die innerhalb der Grenzen des
Bistums lagen und zu ihm gehörten, mit Gewalt besetzt
habe, über die damit verbundenen Zehnten verfüge und ihn
wegen gewisser Kirchengüter arg belästige. Es gelang ihm,
gegen dieses Vorgehen ein kaiserliches Verbot zu erwirken 2).
Ludwig besuchte das seiner Obhut anvertraute Land
regelmäßig und hielt an den althergebrachten Stätten die
Gerichtsversammlungen ab, in denen er sich vor allem eifrig
1) Chron. Episc. Mereeb. ; MG. SS. X, S. 190 f.; F. v. Posern-
Klett, Cod. dipl. Sax. r. II, 8, Vorrede S. XXIII; Winkelmann,
I, S. 362 f.; F. W. Tittmann, Heinrich d. Erl., II, S. 151 f., 2. Aufl.
Es ist ganz unnötig, mit Tittm. aus einer Urkunde vom 22. Dezem-
ber 1225 (Dobenecker, Eeg. II, No. 2252) auf eine Teilnahme des
Bischofs an der Regentschaft zu schließen. K. Grosse, Gesch. d.
Stadt Leipzig, I, S. 123; G. Wustmann, Gesch. d. Stadt Leipzig,
S. 17 ff. Die Besitzungen, die von Merseburg zu Lehen gingen,
lagen zwischen Saale und Mulde; die wichtigsten waren Leipzig,
Grimma, Naunhof, Borna, Groitzsch und Rötha. Vergl. 0. Küster-
mann, Altgeographische Streif züge durch das Hochstift Merseburg,
in: Neue Mitteil, aus dem Geb. d. hist.-antiquar. Forsch., XVIII,
S. 155 ff.
2) Dobenecker, Reg. II, No. 2000. Tittmann, II, S. 154 ver-
tritt die Ansicht, daß der Bischof versucht habe, sich die Minder-
jährigkeit Heinrichs zu nutze zu machen.
Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen. 37
um die Wiederherstellung und Aufrechterhaltung des Friedens
bemühte ^). Jetzt verstummen die Nachrichten von Auf-
ständen der Ritter und Dienstmannen, die unter Dietrichs
Regierung bis an sein Ende nicht aufgehört hatten'-^).
Bald freilich wurde die friedliche Herrschertätigkeit
des Landgrafen durch die Umtriebe seiner eigenen Stief-
schwester Jutta gestört. Sie, die zuerst die Unterstützung
des Bruders freudig entgegengenommen hatte, mußte rasch,
genug iune werden, daß gegenüber der überragenden Per-
sönlichkeit und dem energischen Eingreifen Ludwigs ihr
Einfluß mehr und mehr schwand ^). An aufreizenden Stimmen
aus den Reihen der unzufriedenen Großen, die die starke
Hand des Regenten nur widerwillig ertrugen, mag es nicht
gefehlt haben ^). Allmählich entwickelte sich diese Ab-
neigung Juttas gegen ihren Bruder zur Feindschaft. Dem
wachsamen Auge Ludwigs waren diese Veränderungen und
die erregte Stimmung im Lande nicht entgangen. Noch
war für ihn kein Anlaß zum Eingreifen vorhanden; um
gegen alle Möglichkeiten gerüstet zu sein, erschien er wohl
schon im Jahre 1222 an der Spitze eines stattlichen Auf-
gebots in Meißen, um hier die Regierungsgeschäfte zu er-
ledigen 5).
Schon am Beginn des folgenden Jahres sollte die ent-
scheidende Wendung eintreten^).
1) Cron. Reinh., S. 597; V. L., S. 30; Cron. Eeinh., S. 598;
V. L., S. 31 f.; Cron. Eeinh., S. 600; V. L., S. 35.
2) Tittmann, II, S. 153 ; v. Posern-Klett, Cod. dipl. Sax. r.
II, 8, S. XXII.
3) Cron. Eeinh., S. 596 f.; V. L., S. 29 f.
4) Ann. Peg.: MG. SS. XVI, S. 269; V. L., S. 34. Auch der
kräftige Widerstand, den Jutta in dem bald ausbrechenden Kriege
leistete, war nur durch ihre Beihilfe möglich.
5) Cron. Eeinh., 8. 598 ; V. L., S. 31 f.
6) Vergl. über diesen Krieg: Cron. Eeinh., S. 598 ff. ; V. L.,
S. 32 ff. ; Ann. Pegav., S. 269 f. ; allerdings muß man wohl ihre Nach-
richten über diese Ereignisse für unglaubwürdig halten, im Gegensatz
zu Winkelmann, Friedrich II., I, S. 380 (Anm. 3), und in Überein-
stimmung mit L. A. Cohn, die Pegauer Ann. aus dem 12. und 13.
38 Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen.
Die Markgräfin Jutta hatte es, wohl im Einverständ-
nis mit ihren Anhängern, für das Beste gehalten, eine zweite
Ehe einzugehen, um dadurch mit einem Schlage der so
drückenden Regentschaft des Stiefbruders ein Ende zu
machen : sie mußte ja gänzlich überflüssig erscheinen, wenn
dem unmündigen Heinrich ein Stiefvater zur Seite treten
würde. Für ihre Zwecke schien am geeignetsten der Graf
Poppo von Henneberg, der seit 1220 verwitwet war : er
verfügte über eine nicht unbedeutende Macht und hatte bis
dahin zu Ludwig in einem sehr freundschaftlichen Verhält-
nisse gestanden, so daß man vielleicht erwartete, daß für
ihn der Landgraf noch am ehesten auf seine Ansprüche
verzichten werde.
Mit der größten Verschwiegenheit war man zu Werke
gegangen. Unter dem Vorwand einer Reise nach Sachsen
eilte Poppo durch Thüringen nach Leipzig, und hier fand
am Dienstag, den 3. Januar 1223, die feierliche Vermäh-
lung*) in der Thomaskirche statt. An demselben Tage traf
Ludwig, wieder begleitet von einem ansehnlichem Gefolge,
auf der Neuenbürg bei Freiburg ein. Seine Absicht war,
sich von hier nach Görschen zu begeben und dort am 9. Januar
ein Landding abzuhalten. Plötzlich erschien Graf Poppo
Jahrh. in : Mitt. d. Gesch.- und Altertumsforsch. GeseUsch. des
Osterlandes, IV, S. 530 ff., 1858. Tittmann, II, S. 157 ff., verlegt
diese Ereignisse fälschlich in das Jahr 1224, ebenso Knochenhauer,
S. 307 ff., dem aber schon Menzel: S. 307, Anm. 3 widerspricht;
auch die übrigen chronologischen Angaben Knochenhauers, die sich
auf diesen Krieg beziehen, sind wohl falsch. Winkehnann, I, S. 380 f.
Füsslein, ZThG. XIX, N. F. XI, S. 65 ff. ; hinsichtüch der Zeitan-
gaben : Bernecker, S. 26 ff. : hier der Beweis, daß diese Vorgänge
dem Jahre 1223 zuzuweisen sind; vergl. dazu auch Holder-Egger,
Cron. Keinh., S. 598, Anm. 4.
1) Die Benennung der in Frage kommenden Handlungen ist eine
sehr schwierige, da der Sprachgebrauch ein sehr schwankender ist;
vergl. I. Ficker, Erörter. z. Eeichsgesch. d. 13. Jahrh., in: Mitt. d.
Inst. f. östr. Geschf. IV, 1883, S. 6 ff.; er unterscheidet drei Stufen:
Verlobung, Vermählung, Verheiratung (Hochzeit).
Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen. 39
am 6. Januar 1) auf der Burg und teilte dem vollkommen
überraschten Landgrafen das Geschehene mit; zugleich lud
er ihn zu der bevorstehenden Hochzeit ein. Der Landgraf
beschränkte sich zunächst auf eine ausweichende Antwort
und lehnte es ab, der Feier beizuwohnen. Er erwartete
erst das von ihm angesagte Landding, um hier die Stimmung
der Bevölkerung, vor allem des Adels, zu erkennen und
danach sein Verhalten zu bemessen. Immerhin war seine
Ausflucht durchsichtig genug: sie bedeutete den endgül-
tigen Bruch der Beziehungen zwischen den Geschwistern.
"Wie hätte auch ein Fürst wie Ludwig auf so weit aus-
schauende Pläne und so bedeutende und wertvolle Ansprüche
verzichten können!
Indessen hatte Jutta nicht versäumt, ihre Maßregeln zu
treffen, um nötigenfalls ihren Bruder durch Waffengewalt
zur Anerkennung ihrer Forderungen zu zwingen.
Eine Anzahl von Burgen hatte sie mit ihren Anhängern
besetzt. Von wie langer Hand sie dieses ganze Unternehmen
vorbereitet, wie geschickt sie dabei zu Werke gegangen
war, das erkennt man daraus, wie sie versucht hatte, sich
Leipzigs zu versichern. Hier hatte Dietrich der Bedrängte,
um die Stadt im Zaume zu halten, im Jahre 1216 drei
Festen aufführen lassen ^). Eine von diesen, in der Dietrich
von Schladebach 3) den Befehl geführt hatte, hatte sie nach
dessen Tode ohne Wissen des Landgrafen mit ihr ergebenen
Leuten besetzen lassen, deren Aufgabe es natürlich war, die
Bürger zum Anschluß an die Markgräfin zu veranlassen,
nötigenfalls zu zwingen.
Als indessen Ludwig am 9. Januar 1223 das Landding
in Görschen abhielt, sind ihm sicher auch Berichte über die
1) Füsslein, S. 65 setzt seine Ankunft mit Unrecht schon auf
den 4. Januar.
2) V. Posern-Klett, Cod. dipl. Sax. r. II, 8, S. XXI f.; Wust-
mann, I, S. 26.
3) Er wird zum letztenmal urkundlich erwähnt am 11. April
1220, vergl. Dobenecker, Reg. II, No. 1878.
40 Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen.
feindlichen Maßnahmen seiner Schwester zugegangen. Als
dann vollends am folgenden Tage gemeldet wurde, daß der
Saaleübergang bei Weißenfels gesperrt, und so ihm der direkte
Weg nach der Neuenburg verlegt sei, als ferner ein Gesandter
aus Leipzig i) eintraf, der ihn im Auftrag der Bürger dringend
aufforderte, in ihre Stadt zu kommen, um sie gegen Über-
griffe der markgräflichen Besatzung zu schützen, da mußte
es Ludwig klar werden, daß es nunmehr hieß, energisch ein-
zuschreiten, wenn nicht das ganze Land seiner Regierungs-
gewalt entzogen werden sollte.
Rasch entschlossen eilte er am 12. Januar mit seinen
Truppen nach Leipzig, um vor allem diese so wichtige Stadt
in seinem Besitz zu sichern.
Sofort beginnt er mit der Einschließung der von den
Truppen Juttas besetzten Feste: während die Bürger sich
von der Stadt aus zum Sturm anschickten, übernahm er mit
seinen kampfgeübten Mannen die gefährlichere Aufgabe; er
ging gegen die außerhalb der Stadtmauern gelegene Front
zum Angriff vor. Als die Besatzung diese Anstalten be-
merkte und sah, daß es keine Möglichkeit des Entrinnens
gab, überlieferte sie den Turm dem Landgrafen, der ihn
dem Erdboden gleich machen ließ, wie er es den Bürgern
versprochen hatte ^).
So hatte Ludwig die Feindseligkeiten eröffnet, und Jutta
mußte den Fernerstehenden als die unschuldig Angegriffene
erscheinen. Sie verfehlte auch nicht, diese für sie so günstige
Stellung nach Kräften auszubeuten. Zur Aufklärung, und
um die noch Schwankenden zu sich herüberzuziehen, sandte
sie durch das ganze Land ein Rundschreiben, in dem sie
sich unter vollkommener Verdrehung der Tatsachen bitter
1) Cron. Eeinh., S. 598, Anm. 5. Nach dieser Auslegung Holder-
Eggers muß man die Ausführungen Berneckers berichtigen, der S. 31
meint, daß die Nachricht aus Weißenfels am 8. Januar eingelaufen,
imd daß Ludwig am 11. Januar in dieser Stadt gewesen sei.
2) V. Posern-Klett, Cod. dipl. Sax. r. II, 8, S. XXIII.
Die äußere Politik Ludwigs IV.. Landgrafen von Thüringen. 41
über ihren Bruder beschwerte und ihn beschuldigte, daß er
nur daran denke, ihr zu schaden.
Ludwig blieb natürlich die Antwort nicht schuldig: in
seiner Erwiderung, die er nach allen Seiten schickte, legte
er die Gründe für sein Verhalten dar und betonte, daß es
ihm nur auf die Sicherung des Friedens und das Wohl-
ergehen der Bewohner ankomme. Bezeichnend ist, daß die
Städte sich rückhaltlos an den Landgrafen anschlössen,
dessen Regierung ihnen die öffentliche Sicherheit, die erste
Bedingung für eine gedeihliche Fortentwickelung ihres auf-
blühenden Handels, verbürgte. Dagegen schlug sich ein nicht
unbeträchtlicher Teil des Adels, der sich durch eine starke
Begierungsgewalt in seinen alten Gewohnheiten bedroht sah,
zu der feindlichen Partei.
Auf beiden Seiten wurden die Rüstungen mit Eifer
fortgesetzt. Jutta hatte ihr Hauptquartier in der Burg
Döbeln aufgeschlagen, die so ziemlich im Mittelpunkt des
von den Aufständischen beherrschten Gebietes lag. Damit
war Ludwig das Ziel für seine Operationen gegeben. Als er
aber, nachdem er sein Heer durch frische Truppen verstärkt
hatte, die Offensive ergriff, gelang es ihm zwar, mehrere kleinere
Burgen zu erstürmen und das platte Land weithin zu ver-
wüsten, aber irgendeinen namhafteren Erfolg zu erringen,
vermochte er nicht. Es scheint, daß der Widerstand, den
er bei seinem Vordringen fand, doch weit kräftiger war, als
er vermutet hatte ; um ihn zu brechen, bedurfte er stärkerer
Kräfte, als er bis jetzt zur Verfügung gehabt hatte. Also
ergingen Befehle an die in der Heimat Zurückgebliebenen,
sich bei ihm einzufinden. Um ihr Herankommen abzuwarten,
ging er nach der Neuenburg zurück : hier traf er am 7. März
ein 1). Nachdem sich dann ein starkes Heer versammelt hatte,
brach er am 2. April wieder auf, um am 16. April die
Operationen von neuem zu eröffnen. Man kann sich wohl
vorstellen, daß während seiner Abwesenheit die Aufstän-
1) Holder-Egger, Cron. Eeinh., S. 599: März 8.
42 Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen.
dischen es an Belästigungen seiner Anhänger, vor allem der
Städte, nicht haben fehlen lassen. Sie galt es vor allem zu
schützen. Um Dresden gegen Plackereien sicherzustellen,
warf er sich auf die starke Feste Tharandt ^), und es gelang
ihm, sie am Ostersonnabend (22. April) durch Sturm zu
erobern. Während der Osterfeiertage nahm er in Dresden
Aufenthalt. Vielleicht zum Schutz Leipzigs und von dessen
Bürgern gerufen, wandte er sich jetzt gegen die Burg Naun-
hof 2), deren Besatzung sich ihm nach heftiger Beschießung
ergab. Die Ausführung dieser Unternehmung nahm min-
destens einen Zeitraum von 2 Wochen in Anspruch^).
Nachdem der Landgraf sein durch Marsch- und Gefechts-
verluste, sowie durch die Abgabe von Besatzungen für die
genommenen Burgen zusammengeschmolzenes Heer durch
heranbeorderte Reserven verstärkt hatte, eröffnete er — man
muß dafür wohl die erste Hälfte des Mai ansetzen — die
Belagerung der starken Festung Groitzsch^). Hier wurde
jedoch die Ausdauer der Belagerer auf eine harte Probe
1) 1"/^ Ml. südwestlich von Dresden.
2) N., jetzt Stadt, südöstlich von Leipzig; vergl. Holder-Egger,
Cron. Reiüh., S. 599, Anm. 2. Übrigens gibt es in Sachsen noch
zwei andere Ortschaften gleichen Namens : 1. nordöstlich von Leisnig,
2. westlich von Radeburg. Bernecker meint S. 38, die Burg, die er
„Nauenhoff" nennt, müsse in der Nähe von Dresden liegen ; infolge-
dessen kommt er in der Zeitbestimmung dieser Ereignisse zu anderen
Ergebnissen. Er zieht ferner bei seinen Berechnungen kaum oder
gar nicht die Zeit in Betracht, die eine Truppe vor einer Belagerung
zum Anmarsch und nach ihrem Ende zur Herstellung der Ordnung
und zur Erholung braucht; am schlagendsten ist folgendes Beispiel:
nach seiner Ansicht fällt Groitzsch am 12. oder 13. Juli; dann wird
Rochlitz, 6 Meilen entfernt, angegriffen, das schnell erliegt; Ludwig
eilt sofort auf die Neuenburg zurück (Luftlinie gegen 80 Kilometer 1)
und trifft hier am 20. Juli mit Otto von Meran zusammen!
3) Die Entfernung in der Luftlinie zwischen Dresden und Naun-
hof beträgt nämlich 85 — 90 Kilometer, so daß allein für den Anmarsch
7 — 8 Tage gerechnet werden müssen ; zählt man dazu den Zeitverbrauch
für die Aufstellung der Geschütze und für die Beschießung, so wird
man einsehen, daß der angegebene Zeitraum nicht zu hoch gegriffen ist.
4) Gr., östlich von Pegau.
Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen. 43
gestellt. Zwar die unterhalb der Feste gelegene Ortschaft
wurde sofort genommen und eingeäschert; aber weiter vor-
zudringen, vermochte man nicht. Es zeigte sich offenbar
wieder einmal die Wirkungslosigkeit der damaligen Artillerie
gegen eine gut befestigte und günstig gelegene Burg, so daß
man wahrscheinlich zur Aushungerung seine Zuflucht nehmen
mußte. Erst nach einer Einschließung von einem Monat
ergab sich die Besatzung der Gnade des Landgrafen.
Nachdem durch die Einnahme von Naunhof und Groitzsch
Hauptstützpunkte der Aufständischen gefallen, und Leipzig
vollkommen gesichert war, gab Ludwig nunmehr seinen
Operationen wieder die Richtung auf Döbeln; zu dessen
Belagerung war vor allem die Einnahme von Rochlitz nötig,
das den Übergang über die Zwickauer Mulde deckte. Als
er gegen die Burg eine Verschanzung aufgeführt hatte,
mußte auch sie sich ihm überliefern.
Inzwischen hatte Jutta, wohl auf die Nachricht von
diesen Erfolgen ihres Bruders und von seinem immer be-
drohlicher werdenden Vordringen gegen den Mittelpunkt
ihrer Macht, sich entschlossen, Ludwig um Einstellung der
Feindseligkeiten zu bitten. Natürlich forderte dieser für
die Erfüllung des Wunsches gewisse Bürgschaften, unter
anderem auch die Auslieferung des jungen Heinrich. Viel-
leicht läßt es sich so erklären, daß der Markgraf am 24. Juni
1223 im Beisein und mit Zustimmung seines Oheims dem
deutschen Orden mehrere Schenkungen machte i). Wahr-
scheinlich, nachdem dann auch die übrigen verlangten
Garantien gegeben worden waren , stellte Ludwig die
Operationen ein und kehrte am 20. Juli als ruhmbedeckter
Sieger nach Thüringen zurück 2).
1) Dobenecker, Keg. II, No. 2062.
2) Holder-Egger, Cron. Eeinh., S. 599, Note o, S. 599, Anm. 6,
S. 600, Anm. 1, weist nach, daß diese Zeitangabe zu den vorher-
gehenden Ausführungen gezogen werden muß, nicht, wie es fälschlich
in der V. L., S. 35, geschehen ist, zu den folgenden. Damit sind
die für unlösbar gehaltenen Schwierigkeiten (vergl. Knochenhauer,
44 Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen.
Freilich sollte sich der Abschluß eines endgültigen
Friedens noch lange hinausziehen. Erst im Jahre 1224
fahrten die Unterhandlungen durch die Bemühungen des
unermüdlichen Herzogs Otto I. von Meran, der durch seine
nahe Verwandtschaft zu den Parteien ^) zu einer Vermitt-
lung am besten geeignet war, zum Ziel ^). Die Einzelheiten
des Vertrags sind uns nicht überliefert. Daran war jeden-
falls nicht zu denken, daß der Landgraf von seinen An-
sprüchen auf die vormundschaftliche Regierung in Meißen
etwas von Belang aufgegeben hätte. Wir finden ihn bis
an sein Lebensende im uneingeschränkten Besitz der Macht
in diesen Gebieten. Zwei Urkunden sind allerdings erhalten,
in denen der Markgraf Heinrich allein Verfügungen trifft,
ohne daß der Einwilligung Ludwigs gedacht würde. Dabei
handelt es sich einmal um die Verleihung der Pfarreien
nebst dem Hospital zu Freiberg an das Kloster Altzelle;
unter den Zeugen steht an erster Stelle Graf Poppe von
Henneberg ^). Hier erklärt sich die Sache wohl so, daß die
vorsichtigen Mönche sich für alle Fälle sichern wollten und
deshalb noch auf die ausdrückliche Zustimmung Heinrichs,
bezw. Poppos und Juttas, Wert legten. In der anderen
Urkunde bezeugt Bischof Ekkehard von Merseburg, daß mit
Bewilligung Heinrichs eine Kirche in Ötzsch gebaut worden
S. 311, Anm. 1) beseitigt; vergl. Füsslein, S. 68, Anm. 1. Füsslein,
S. 67, Anm. 5, behauptet mit Unrecht, durch Holder-Egger sei an
den erwähnten Stellen festgestellt worden, daß der Endtermin der
Belagerung in Groitzsch der 20. Juli sei; vielmehr ist der 20. Juli
der Tag, an dem Ludwig die Rückreise nach Thüringen antrat.
1) Die Gemahlin Ludwigs, Elisabeth, war Ottos Nichte, Graf
Poppo der Sohn seiner Vaterschwester Sophia; vergl. Füsslein, S. 68
und S. 68, Anm. 1.
2) Ludwig hielt sich damals auf der Neuenburg auf; vergl.
Cron. Reinh., S. 600; V. L., S. 35; Dobenecker, Reg. II, No. 2137.
3) Dobenecker, Reg. II, No. 2214; aus demselben Motiv ver-
schafften sich wohl auch die Mönche des Klosters Riesa die Be-
stätigung Juttas zu Schenkungen Heinrichs; hier wird aber aus-
schließlich auch auf die Genehmigung Ludwigs hingewiesen; vergl.
Dobenecker, Reg. II, No. 2275.
Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen. 45
ist und daß dieser zu ihrer Ausstattung eine Hufe geschenkt
hati). Daß der Bischof Ekkehard nach Möglichkeit die
Regentschaft Ludwigs ignorierte, kann nicht wundernehmen,
da er sie ja nur widerwillig anerkannt hatte.
Wahrscheinlich ist Heinrich jetzt seiner Mutter zurück-
gegeben worden, um in ihrer Obhut und Erziehung auf-
zuwachsen 2).
Ferner gab Ludwig nun seine Zustimmung zur Heirat
seiner Schwester mit Poppe ^) und beließ sie in dem Genuß
gewisser Besitzungen, die vielleicht zu ihrem Witwengut
gehörten ^).
Aus dem Jahre 1223 wird überliefert, daß von Ludwig
die Burg Bresnitz zerstört wurde ^) ; da diese bei Annaberg,
nahe der böhmischen Grenze, also weitab vom Kriegs-
1) Kehr, ÜB. des Hofstifts Merseburg, I, No. 192 ; Dobenecker,
Eeg. II, No. 2252.
2) Dobenecker, Eeg. II, No. 2214, 2275, 2336. Mit Tittmann,
II, S. 163 f., und Füsslein, S. 69 aus der Urkunde vom 22. Dezember
1225 (Dobenecker, Eeg. II, No. 2252) auf die Anwesenheit des Mark-
grafen in der Umgebung des Bischofs von Merseburg zu schließen,
ist wohl unmöglich.
8) Wann sie stattgefunden hat, ist unbekannt. Holder-Egger,
Cron. Eeinh., S. 563, Anm, 15, setzt sie, ohne nähere Begründung,
in das Jahr 1224. Füsslein, S. 66, vermutet, daß sie im Juni oder
Juli 1223 vollzogen wurde. Poppe hat übrigens Meißen bald nach
Ausbruch des Kampfes verlassen : am 1. Februar 1223 ist er Zeuge
in einer Würzburger Urkunde; vergl. Dobenecker, Eeg. II, No. 2028;
Füsslein, S. 66, Anm. 4, S. 152, Anm. 4. Unbestimmt ist, ob er dann
später wieder nach Meißen zurückgekehrt ist.
4) Wir haben urkundliche Belege, daß sie als Markgräfin von
Meißen über Güter in der Gegend von Bürgel (Dobenecker, Eeg. II,
No. 2463) und bei Schwerstedt (Dobenecker, Eeg. II, No. 2336) ver-
fügte. Wenn ferner Ludwig sich verpflichtete, eine Burg niederzu-
reißen (Cron. Eeinh., S. 600; V. L., S. 35), die er gegen seine
Schwester gebaut hatte (sollten die Befestigungen bei Eochlitz ge-
meint sein?), so kann diese Bestimmung doch nur dann Sinn haben,
wenn die Feste auf Grund und Boden stand, der der Markgräfin
zugesprochen worden war.
5) Chron. Montis Sereni: MG. SS. XXIII, S. 201.
46 Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen.
Schauplatz, liegen solH), so handelt es sich hier vielleicht
darum, daß die Besitzer auch nach abgeschlossenem Waffen-
stillstand nicht aufhörten, die Gegend unsicher zu machen,
so daß der Landgraf sich genötigt sah, sie von seinen
Truppen zerstören zu lassen.
So kehrte nach harten Kämpfen der Friede wieder in
das so schwer geprüfte Land ein. Ihn vor allem zu sichern,
betrachtete der Landgraf als die Hauptaufgabe seiner Re-
gierung '^). Noch sind uns zwei Urkunden erhalten, die uns
einen Einblick in diese seine friedebringende Tätigkeit ge-
statten.
Schon lange Jahre hindurch tobte zwischen dem Dom-
kapitel von Meißen und den Herren von Mildenstein wegen
der Zehnten im Gebiet von Trankenberg und dem Burg-
wart Goze ein hartnäckiger Streit, der, wiederholt beige-
legt^), immer von neuem ausgebrochen war. Schließlich
hatten die Mildensteiner den Bischof Bruno von Meißen
gefangen genommen, einen Priester schwer verwundet und
die stiftischen Besitzungen furchtbar heimgesucht. Wegen
dieser Schandtaten wurde über sie die Acht und die Ex-
kommunikation verhängt 4). Nun griff der Landgraf ein,
als er am Anfang 1224 5) in Meißen erschien. Er veranlaßte
die Geächteten, eidlich zu geloben, daß sie sich seinem
Spruch unterwerfen würden, und traf darauf mit Hilfe
seiner Getreuen Meinher, Burggraf von Meißen, Ludolf von
Berlstedt, Bernhard von Camenz und Hermann von Schön-
1) Chron. Mont. Ser., S. 201, Anm. 52.
2) Cron. Eeinh., S. 600; V. L., p. 35.
3) Dobenecker, Reg. II, No. 1583.
4) Cod. dipl. Sax. r. 11,1, S.85f., No.92; Dobenecker, Eeg. II,
No. 1995, 2050.
5) Dobenecker, Eeg. II, No. 1995, Anm. 1 setzt diesen Schieds-
spruch frühestens in das Jahr 1222 ; im Hinblick auf das Schreiben
des Papstes vom 31. März 1223 (Dobenecker, Eeg. II, No. 2050), in
dem er befiehlt, über die Mildensteiner die Exkommunikation zu
verhängen, ist es vielleicht richtig, ihn mit Tittmann, II, S. 161 f.
in das Jahr 1224 zu verlegen.
Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen. 47
bürg folgende Entscheidung: Die Herren von Mildenstein
verzichten zugunsten des Kapitels von Meißen auf die strittigen
Zehnten. Zur Buße für die Gefangennahme des Bischofs
überweisen sie dem Bistum Meißen zehn Mark jährliche
Einkünfte, die sie dann vom Bischof zu Lehen empfangen
werden. Dem mißhandelten Priester zahlen sie zwanzig
Mark Schmerzensgeld. Im Büßergewand und mit Geißeln
werden sie mit dreißig Personen in den Synoden der
Bischöfe von Naumburg und Merseburg erscheinen, ihre
Schandtaten bekennen und sowohl dort als auch in den
vier Landdingen die Verzichtleistung wiederholen. Ferner
sollen sie mit fünfzig Personen der Strafe, die „harmescar" i)
genannt wird, verfallen und vor dem Bischof und dem
Kapitel knieend um Verzeihung bitten; dabei hat Arnold
von Mildenstein nochmals auf die Zehnten zu verzichten
lind die Verfügung über sie dem Bischof zu überlassen.
Endlich sollen sie auf 2 Jahre das Land verlassen 2).
Am 28. November desselben Jahres (1224) schlichtete
er im Verein mit den Bisehöfen von Hildesheim und von
Naumburg einen Zwist, der zwischen dem Kloster Altzelle
und den Rittern von Nossen wegen des Zellerwaldes und
einiger Dörfer ausgebrochen, und in dessen Verlauf es zu
Gewalttätigkeiten gekommen war, zugunsten des Klosters ^).
Nachdem Ludwig die Ordnung im Innern der Mark
wiederhergestellt hatte, richtete er sein Augenmerk darauf,
1) Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte, IV*, S. 523. Anm. 2 :
Offenbar bedeutet das Wort „harmiseara" nicht allgemein „Strafe",
wie J. Grimm, Deutsche Kechtsaltertümer, S. 681 (4. Aufl., Bd. II,
S. 255 f.) meint; die Strafe konnte eine verschiedenartige sein, immer
aber in der Weise, daß eine besondere Demütigung damit verbunden
war; besonders wurde das Wort angewendet auf die schimpfliche
Strafe des Sattel- und Hundetragens.
2) Cod. dipl. Sax. r. II, 1, S.85f., No.92; Dobenecker, Reg. II,
No. 1995; Posem-Klett, Z. Gesch. d. Verf. d. Markgr. Meißen im
13. Jahrh., S. 35 f.
3) Cod. dipl. Sax. r. I, 3, S. 235 f., No. 332; Dobenecker, Eeg. II,
No. 2166.
48 Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen.
vor allem die Ostgrenze geg'en die räuberischen Einfälle
und Streifzüge der Polen, die diese Gegenden immer noch
schwer heimsuchten, sicherzustellen. Dazu gesellte sich,
daß er im Namen seines Mündels sehr wohl begründete
Ansprüche auf die angrenzenden Gebiete, die Niederlausitz,
erheben konnte.
Im Jahre 1210 war nämlich mit Konrad von Lands-
berg der Zweig des Wettinischen Hauses im Mannesstamm
ausgestorben , der zuletzt im Besitz der Markgrafschaft
Niederlausitz, der Grafschaften Eilenburg, Groitzsch und
Sommerschenburg gewesen war^). Sein Allodialbesitz fiel
an Dietrich den Bedrängten als den nächsten männlichen
Agnaten, dem es auch gelaug, gegen beträchtliche Geld-
zahlungen von Otto IV. die Verleihung der von jenem
innegehabten Reichslehen zu erhalten 2). Offenbar war es
ihm freilich nicht möglich, die ganze Niederlausitz in seine
Hände zu bekommen, da seine Kräfte zuerst durch den
Thronstreit in Deutschland und später durch schwere Kämpfe
mit seinen Nachbarn und mit seinen eigenen Untertanen
bis an sein Lebensende gebunden waren; vielmehr scheint
es der Herzog Heinrich I. von Schlesien verstanden zu
haben, die Notlage Dietrichs zu benutzen und einen großen
Teil des Landes zu besetzen 3), Wahrscheinlich stützte er
sich dabei auf Ansprüche, die er im Namen seiner Gemahlin
Hedwig, einer Nichte Konrads von Landsberg, geltend machte.
In diesen Zeiten wurde Polen unaufhörlich von Fehden
der unruhigen und ehrgeizigen Teilfürsten heimgesucht. Im
Jahre 1218 (oder 1217) wurde zwischen zwei von ihnen,
1) 0. Posse, Die Wettiner, Taf. II, No. 23.
2) Th. Scheltz, Gesamtgesch. d. Ober- und Niederlausitz, I,
S. 138ff.; Winkelmann, Otto IV., S. 267 f.
3) Ähnlich nimmt Passow, Vergessene märkische Grenzlinien
in ihrer geschichtlichen Bedeutung (in ,,Brandenburgia", XII, S. 90)
an, daß nach dem Tode Konrads von Landsberg auch sein Schwieger-
sohn, Markgraf Albrecht II. von Brandenburg, die Notlage Dietrichs
benutzt und die Grenze des Teltow nach Süden vorgeschoben hat.
Scheltz, I, S. 142.
Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Tliüringen. 49
Wladislaw Laskonogi und Heinrich I. von Schlesien, ein
Frieden vereinbart, wonacli Heinrich die Burg Lebus (wahr-
scheinlich auch die Stadt Lebus und einen Teil des dazu
gehörigen Gebietes) an Wladislaw auf Lebenszeit abtrat;
dafür übernahm dieser die Verpflichtung, keinen Fremden
durch dies Gebiet ziehen zu lassen, der die Absicht habe,
die Mark anzugreifen ^ ). Diese Bestimmung beweist, daß
sich damals die Mark in den Händen Heinrichs befand,
und zeigt die Wichtigkeit der Burg Lebus für die Be-
hauptung der Lausitz. Erst wenn sie in sicherer Obhut
war, war dieses Land gegen die räuberischen Einfälle der
Polen geschützt, die hier die Oder zu überschreiten pflegten.
Wladislaw Laskonogi lag in jahrelangem, heftigstem
Kampf mit seinem Neifen Wladislaw Odonicz, der seine
ganzen Kräfte in Anspruch nahm und mit wechselndem
Erfolg geführt wurde 2). Auch Heinrich I. war mit dem
Herzog Lesko von Krakau in Streitigkeiten verwickelt
worden, so daß sie sich mit den Waffen in der Hand
gegenüberstanden ^).
Diese für seine Absichten so günstige Sachlage benutzte
nun Ludwig und unternahm im Jahre 1225 einen Zug durch
die Lausitz, um dieses Gebiet dem Herzog Heinrich zu ent-
reißen und endgültig für sein Mündel zu gewinnen. Auch
ihm war es nicht entgangen, daß das Land nur dann zu
halten sei, wenn es ihm gelang, die Burg Lebus zu nehmen ^).
1) St. Smolka, Herzog Heinrich des Bärtigen auswärtige Be-
ziehungen, in der Zeitschr. d. Ver. f. Gesch. u. A. Schlesiens, XII,
S. 104 f. Den Friedensvertrag kennen wir aus der päpstlichen Be-
stätigung vom 9. Mai 1218. Dieses Schreiben ist neuerdings heraus-
gegeben worden von Horoy, Medii aevi BibÜotheca Patristica, II,
S. 733 ff., No. 228. Die Verhältnisse sind sehr vermckelt und unklar.
Sie erfahren eine etwas andere Darstellung bei ß. Roepell, Geschichte
Polens, I, S. 422 ff.
2) Smolka, S. Ulf.; Eoepell, I, S. 424 ff.
3) Smolka, S. 108 f.
4) Über diese Unternehmimg berichtet ausführlich nur die Cron.
Eeinh., S. 600 ff. = V. L., S. 36 ff. Die polnischen QueUen ge-
XXVII. 4
50 Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen.
Stadt und Burg Lebus lagen am linken Ufer der Oder
und waren Sitz eines Bischofs, der der Metropolitangewalt
des Erzbischofs von Gnesen unterstand. Freilich wurde
diese Zugehörigkeit schon seit langer Zeit durch die Erz-
bischöfe von Magdeburg bestritten, die darauf hinwiesen,
daß ihnen von Heinrich V. Lebus geschenkt i) und von
Innozenz IL ihre Rechte bestätigt worden seien 2), Erst
in neuester Zeit waren sie auch von Philipp von Schwaben
anerkannt worden 3). Sehr ansprechend erscheint daher difr
Vermutung^), daß jetzt Ludwig im Einverständnis und im
Bunde mit dem Erzbischof Albert von Magdeburg diese
Unternehmung ausgeführt hat 5)
denken ihrer nur mit wenigen Worten und setzen sie noch dazu in ein
falsches Jahr: „Item anno Doraini 1224 langravius Lubus obtinuit"
in: Ann. Capituli Posnan. : MG. SS. XXIX, S. 439; S. W. Wohl-
brück, Gesch. d. ehem. Bistums Lebus, I, S. 17 ff. ; Scheltz, S. 146 ff.;
Tittmann, II, S. 163. Smolka, S. 109 f. C. Grünhagen, Regest, zur
schles. Gesch. = Cod. dipl. Siles. VII, 1*, S. 150 ff. Knochenhauer
S. 312, Anm. 1, setzt diesen Zug fälschlich in das Jahr 1224. Breiten-
bach, Das Land Lebus unter den Plasten, S. 52 ff., weiß nicht, ob
er sich für 1224 oder 1225 entscheiden soll; Wenck, Ludwig IV. in:
A. D. B. XIX, S. 596 ; Winkelmann, Kaiser Friedrich IL, Bd. I,
S. 381 f. Hinsichtlich der Chronologie vergl. Bernecker: S. 39 ff.;
er weist nach, daß diese Ereignisse in das Jahr 1225 zu setzen sind ;
Holder-Egger, Cron. Eeinh., S. 600, Anm. 5.
1) 1109; vergl. Grünhagen, I, S. 22; Wohlbrück, S. 7.
2) 4. Juni 1133, vergl. Jaffe, Regesta pontif., I, No. 5458.
3) HuiUard-BröhoUes, Hist. dipl. Friderici sec, II, 2, S. 602.
4) Schon Scheltz, S. 149 hat sie ausgesprochen.
5) Wahrscheinlich unterstützte dieser ihn durch Subsidien und
erhielt dafür die Aussicht, daß endlich die so hartnäckig verteidigten
Ansprüche auf Lebus durchgesetzt werden würden. Denn an der
dauernden Besitznahme von Stadt und Land Lebus konnte dem
Landgrafen nicht allzuviel gelegen sein. Es mußte ihm nur ange-
nehm sein, wenn die Verteidigung dieses für ihn so wichtigen
Postens, der durch seine vorgeschobene Lage äußerst gefährdet war,
und für dessen Besetzung er nur das Recht der Eroberung geltend
machen konnte, vom Erzbischof übernommen wurde. Daher erklärt
es sich denn auch, daß er offenbar ohne Widerspruch einwilligte
in die erneute Verleihung von Bistum, Burg und Stadt Lebus an
Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen. 51
Ludwig beabsichtigte, wie es scheint, durch überraschen-
des Vordringen in das feindliche Gebiet sein Ziel zu er-
reichen. In aller Stille versammelte er ein starkes Heer i)
aus allen Teilen seines Gebietes und trat am 15. Juli den
Vormarsch an. Erst nach Überschreitung der Elbe, im Lager
bei Stauda 2)^ machte er es mit der Aufgabe, für die er es
verwenden wollte, bekannt. Wie so oft in ähnlichen Fällen,
zeigte sich zunächst allgemeine Verwunderung, und es mag
auch nicht an Furchtsamen gefehlt haben, die gern umge-
kehrt wären, wenn sie sich nicht vor der Schmach gescheut
hätten: einmütig gelobte schließlich das Heer, zu folgen.
Als Vorhut wurde ein Kommando von 300 auserlesenen
Rittern vorausgeschickt; ihre Aufgabe war es, aufzuklären
und das Ziel schnell zu erreichen, um, wenn möglich, die
Burg durch einen Handstreich zu nehmen, oder im Falle des
Nichtgelingens die Feste zu blockieren und sie von ihrem
Hinterland, abzuschneiden. Ohne Widerstand zu finden —
offenbar war die Überraschung der Polen eine vollkommene
— drangen sie bis Lebus vor; es gelang ihnen in die
Unterstadt einzudringen und sie in Brand zu stecken. Die
Besatzung der Burg freilich scheint den Feind rechtzeitig
bemerkt und die Tore geschlossen zu haben, so daß hier
die Vorhut zum Stehen kam. Sie nahm nun in der Ebene
westlich der Feste eine Beobachtungsstellung ein und er-
wartete das Herankommen Ludwigs mit dem Gros der Armee.
Drei Tage später — am L August 3) — traf der Land-
Albert, die im Juni 1226 in Parma erfolgte : imter den Zeugen wird
Ludwig, Landgraf von Thüringen, genannt. Vergl. Dobenecker,
Reg. II, No. 2320.
1) Die Hist. de Landgraviis Thuringiae, ed. I. G. EccarduB in:
Hist. Geneal. Princ. Saxoniae Sup. Leipzig 1722, S. 416, weiß zu
berichten, daß es über 3400 Wohlbewaffnete zählte, ohne daß er-
sichtlich wäre, woher diese Angabe stammt; vielleicht ist sie richtig;
vergl. Holder-Egger, Cron. Reinh., S. 601, Anm. 3; Wenck, Ent-
stehung d. Reinhardsbr. Geschbücher., S. 17.
2) St., südlich von Großenhain.
3) Cron. Reinh., 8. 601, Note 1.
4*
52 Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen.
graf ein, und jetzt wurde sofort die Blockade in eine regel-
rechte Belagerung umgewandelt.
Die Besatzung hatte indessen ihren Fürsten, den Herzog
Wladislaw Laskonogi, von dem feindlichen Angriff benach-
richtigt und ihn um Unterstützung gebeten. Diese jedoch
ihnen zu schicken, war der Herzog damals wohl kaum im-
stande, da er, wie erwähnt, wieder in einen schweren Krieg
mit seinem Neffen Wladislaw Odonicz verwickelt war, der
alle seine Streitkräfte fesselte i).
Am Mittwoch, den 6. August, begann die Beschießung
mit Geschützen, die sich gegen das Osttor richtete. Bald
genug scheinen sich in der Burg die Folgen dieses gewalt-
samen Angriffes bemerkbar gemacht zu haben. Offenbar noch
am selben Tage erschien im Hauptquartier Ludwigs der Kom-
mandant der Burg mit fünf Offizieren, um in Unterhandlungen
einzutreten. Man einigte sich schließlich dahin: wenn der
Herzog Wladislaw bis zum nächsten Montag, den 11. August,
nicht zum Entsatz erschienen wäre, sollte die Besatzung
an demselben Tag zwischen zwei und drei Uhr kapitulieren
Dafür wurden alle Feindseligkeiten eingestellt. Die sechs
Unterhändler blieben als Bürgen dieses Vertrages im Ge-
wahrsam Ludwigs. Nachdem die festgesetzte Frist ver-
strichen, und ein Entsatzheer nicht erschienen war, über-
gaben die Polen zur bestimmten Stunde schweren Herzens
die Feste. Den Gefangenen wurde freier Abzug gewährt ^).
Die Burg selbst wurde stark besetzt und hinreichend ver-
proviantiert, indem jedermann aus dem Heere dazu nach
4) Es ist wohl Wenck, Entstehung, S. 16 f. und Bernecker,
S. 46, darin zuzustimmen, daß die Erzählung von den Gesandtschaften,
die angeblich vom Herzog Wladislaw geschickt wurden und den
Landgrafen durch Bitten und Drohungen zum Abzug veranlassen
sollten, erst späterer Zusatz ist. Die Cron. Reinh., S. 601, nennt
den Besitzer der Burg „Zlozlaus" (V. L., S. 37, „Solzlaus"); daß
damit Wladislaw Laskonogi gemeint ist, weist Smolka, S. 110,
Anm. 1, nach.
2) Wahrscheinlich war schon in dem Waffenstillstandsvertrage
der Besatzung freier Abzug eingeräumt worden.
Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen. 53
seinen Kräften beitrug. Nachdem die Beute geteilt, und
am 16. August i) ein Kampfspiel, „tjoste" genannt, veran-
staltet worden war, kehrte der Landgraf siegreich an der
Spitze seiner Truppen in die Heimat zurück 2). Wahrschein-
lich auf dem Rückweg wird Ludwig daran gegangen sein,
die Polen aus der Lausitz zu verjagen. Daß damals der
polnischen Herrschaft in diesem Gebiet eine Ende bereitet
wurde, erhellt daraus, daß einige Jahre später der Mark-
graf Heinrich der Erlauchte hier Verfügungen trifft, ohne
daß man von einem neuen Krieg mit den Polen etwas er-
fährt ^). Offenbar konnte Herzog Heinrich I. der Wegnahme
des Landes keinen ernstKchen Widerstand entgegensetzen,
da es ihm ähnlich erging, wie dem Herzog Wladislaw Las-
konogi : verwickelt in andere Fehden und Händel, waren
seine Streitkräfte gebunden^).
Nicht unbedeutend war der Anteil Ludwigs an der
Erledigung der dänischen Frage 5).
1) Nach Bemecker, S. 46, am 18. August; Holder-Egger, Cron.
Eeinh., S. 602, Note g, für den 16. August. Übrigens erscheint es
doch nicht so unwahrscheinlich, wie Bernecker S. 46 f. meint, daß
damals ein Turnier stattfand; über „tjoste" vergl. Schultz, D. höf.
Leben d. Minnesinger, II, S. 126 ff.
2) Das ganze Land Lebus zu erobern, daran hatte Ludwig
nicht gedacht, konnte auch garnicht seinen Absichten entsprechen.
So erklärt es sich, daß Herzog Heinrich I. von Schlesien im Jahre
1229 in diesem Gebiet eine große Landschenkung machen konnte;
vergl. Grünhagen, No. 345.
3) 1235 für Guben ein Stadtprivilegium, vergl. Wilke, Tice-
mannus, Cod. dipl. No. V, S. 21 f. 1249 Bündnis Heinrichs mit
dem Herzog Heinrich III. von Schlesien : in diesem Vertrag zeigt
sich klar, daß Heinrich im Besitz der Lausitz war; vergl. Grün-
hagen, No. 697. 1250: Erlaß Heinrichs, an alle seine Beamten in
der Lausitz; vergl. Grünhagen, No. 727.
4) Smolka, S. 108 f., 111 ff.
5) Vergl. für diese Angelegenheit: Winkelmann, Kaiser Frie-
drich IL, Bd. I, S. 418 ff ; E. Usinger, Deutsch-dänische Geschichte
(1189—1227), S. 286 ff.; I. Ficker, Engelbert der Heilige, S. 119 ff.
Hinsichtlich der Chronologie siehe Bernecker, S. 43 ff. Frhr. Roth
von Schreckenstein, Konrad von Urach, Bischof von Porto und St.
54 Die äußere Politik Ludwigs IV,, Landgrafen von Thüringen.
In ganz Deutschland machte es das größte Aufsehen,
als es im Jahre 1223 dem Grafen Heinrich von Schwerin
gelang, auf der Insel Lyö bei Fünen den König Walde-
mar II. von Dänemark nebst seinem Sohn gefangen zu
nehmen. Damit war mit einem Schlag dem Vordringen
der Dänen in jenen heißumstrittenen nördlichen Marken
Halt geboten.
Im Jahre 1214 nämlich hatte Friedrich II, infolge
des Thronstreites mit Otto IV. in die Abtretung Nordal-
bingiens und Slaviens an Waldemar in aller Form einge-
willigt. Dieser übertrug einen Teil der Gebiete als Lehen
an den Grafen Albert von Orlamünde, der vermählt war
mit Hedwig, der zweiten Stiefschwester des Landgrafen
Ludwig von Thüringen ^). Dann hatte Waldemar für seinen
unmündigen Enkel Nikolaus die halbe Grafschaft Schwerin
besetzt, während Graf Heinrich auf dem Kreuzzug in Aegypten
abwesend war. Nach seiner Heimkehr wartete er natür-
lich nur auf eine günstige Gelegenheit, diese Gebiete zurück-
zugewinnen ; jetzt hatte er sich durch eine tollkühne Tat
der Person des dänischen Königs bemächtigt und sich zum
Herrn der Lage gemacht.
Aber auch von selten des Reichs wollte man diese
schöne Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, die verlorenen
Lande ohne Kampf wieder zu erhalten. Im Auftrag der
Reichsregierung wurden durch den Bischof Otto von Würz-
burg Verhandlungen mit dem Grafen Heinrich eröffnet, die
auf die Auslieferung des Königs an das Reich hinzielten.
Um sie zu einem Abschluß zu bringen, wurde von dem
Erzbischof Engelbert von Köln, der während der Abwesen-
heit Friedrichs IL für den unmündigen König Heinrich (VII.)
die Regierung führte, ein Hoftag für den September nach
Nordhausen berufen. Von den weltlichen Fürsten waren
Eufina, als Kardinallegat in Deutschland 1224 — 1226, in den Forsch-
ungen zur deutschen Geschichte, VII, S. 338 ff.
1) Cron. Eeinh., S. 564 = V, L,, S, 7 ; Cron, Eeinh., S. 587 ;
Diemar, S. 9, No. 38.
Die äußere Politik Ludwigs IV., liandgrafen von Thüringen. 55
freilicli nur zwei anwesend: Landgraf Ludwig und sein
Oheim Herzog Ludwig von Bayern^}. Um so zahlreicher
hatten sich andere weltliche Herren und vor allem die geist-
lichen Fürsten eingefunden. Unter ihrer Mitwirkung kam
am 24. September 1223 ein Vertrag zustande, nach dem
der König gegen Zahlung einer Summe von 52 000 Mark
Silber an den Grafen Heinrich und seine Genossen dem
Reich ausgeliefert werden sollte. Ferner sollten die Dänen
gezwungen werden, die eroberten Gebiete an die alten Be-
sitzer zurückzugeben: damit wäre der Graf Albert von
Orlamünde seiner Lehen in diesen Landen verlustig ge-
gangen. So erklärt sich das lebhafte Interesse, das Land-
graf Ludwig auch weiterhin an der Erledigung der Frage
zeigte. Auf dem Hoftag zu Frankfurt, Mitte Mai 1224 2),
ist er wieder zu finden; hier wurde ein Brief Friedrichs
verlesen, in dem er den Deutschordensmeister Hermann
von Salza für die weiteren Verhandlungen in der dänischen
Angelegenheit beglaubigte. In Begleitung einer Anzahl
ihm beigeordneter, angesehener Persönlichkeiten begab sich
Hermann alsbald zu dem gefangenen König, und nun wurde
zwischen dem Bevollmächtigten des Reiches, dem König
und dem Grafen von Schwerin ein Präliminarfrieden fest-
gesetzt.
Betrachten wir nur diejenigen Artikel, die sich mit
den territorialen Veränderungen beschäftigen : Danach soll
Waldemar auf Transalbingien verzichten; dem Grafen von
Orlamünde werden seine bisher dänischen Lehen in diesem
Land, nunmehr als Reichslehen, gelassen ^), es wird also
von der ursprünglich beabsichtigten Wiedereinsetzung der
früheren Besitzer abgesehen. So erlangten die Dänen be-
deutend günstigere Bedingungen, als man nach dem Ver-
trag von Nordhausen hätte erwarten sollen. Sie verdankten
dies einmal dem Eingreifen des Papstes, der sich entschieden
1) Dobenecker, Eeg. II, No. 2080, 2081, 2087.
2) Dobenecker, Reg. II, No. 2140, 2141.
3) Dobenecker, Reg. II, No. 2145.
56 Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen.
für die Freilassung Waidemars verwandte; dann aber ist
der Einfluß des Landgrafen Ludwig nicht zu verkennen, der
sicher sehr energisch für seinen Schwager eingetreten ist,
und dies mit um so größerem Nachdruck, da er schon seit
einiger Zeit mit dem Kaiser wegen seiner Teilnahme an
dem beabsichtigten Kreuzzug verhandelte.
Dieser Präliminarfriede wurde alsbald auf dem Hof-
tag zu Nürnberg, in der zweiten Hälfte des Juli, den Fürsten
zur Genehmigung vorgelegt. Daß sie sich einverstanden
erklärten, ist neben dem Eintreten des Deutschordensmeisters
und des päpstlichen Legaten Konrad von Porto nicht zum
mindesten dem Einfluß des Landgrafen zuzuschreiben, der
natürlich anwesend war i).
Für die Schlußverhandlung mit den Dänen wurde ein
Hoftag nach Bardewiek berufen, auf dem auch Ludwig nicht
fehlte 2). Von Bardewiek begaben sich die Fürsten Anfang
Oktober nach Bleckede, dicht an der Elbe gelegen ^), um den
Verkehr mit den Dänen, die jenseits des Flusses lagerten,
zu erleichtern und so den Abschluß der Verhandlungen zu
beschleunigen. Trotzdem der Landgraf in Bardewiek heftig
erkrankt war, ging er doch ohne Rücksicht auf seinen Zu-
stand mit nach Bleckede *), um an den Beratungen teil-
nehmen zu können. Diese hatten sich nämlich durch die
unerwartete V^eigerung der Dänen, den Vertrag vom Juli
1224 anzunehmen, äußerst schwierig gestaltet. Sicherlich
haben die Fürsten, allen voran Ludwig, der das Resultat
seiner Anstrengungen gefährdet sah, kein Mittel unversucht
gelassen, um sie umzustimmen. Alle ihre Bemühungen waren
vergebens. Die Dänen brachen schließlich die Unterhand-
lungen ab. Unverrichteter Sache und ganz ratlos zogen die
deutschen Fürsten heim.
I
1) Dobenecker, Eeg. II, No. 2148.
2) Cron. Eeinh., S. 602 (auch Anm. 1); V. L., S. 40.
3) Dobenecker, Reg. II,. No. 2161.
4) Cron. Eeinh., S. 602 (vergl. Anm. 2): = V. L., S. 40, am
Oktober begann die Krankheit des Landgrafen.
Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen. 57
Nunmelir mußte das Schwert entscheiden, und diese
Entscheidung fiel in den Schlachten bei Mölln (1225) und
bei Bornhöved (1227) vollkommen zugunsten der Deutschen.
Ludwig scheint, nachdem seine Anstrengungen miß-
lungen waren, den Grafen Albert seinem Schicksal über-
lassen zu haben. Er erklärte sich sogar damit einverstanden,
daß Friedrich IL im Mai 1226 der Stadt Lübeck den Frei-
brief bestätigte, den ihr 1188 Friedrich I. verliehen hatte i),
obwohl sie zum Machtbereich seines Schwagers gehört hatte.
Einen vollen Erfolg vermochte dagegen seine Politik
zu erringen, als es sich darum handelte, mit wem der junge
König Heinrich (VIL) vermählt werden sollte. Der Eeichs-
verweser Engelbert von Köln hatte die Absicht, ihn mit
einer Schwester des Königs Heinrich HL von England zu
verheiraten, um durch diese Verbindung die deutschen, vor
allem die niederrheinischen Handelsbeziehungen, zu fördern
und einem übermächtigen Erstarken Frankreichs vorzu-
beugen 2). Eine derartige Politik lag aber damals garnicht im
Sinne des Kaisers, und die Durchführung seines Planes
wurde für den Erzbischof um so schwieriger, als auch der
König von Böhmen, Ottokar L, seine Tochter Agnes als Gre-
mahlin für den König in Vorschlag brachte, unterstützt von
einer sehr ausgebreiteten, einflußreichen Verwandtschaft 3).
1) Dobenecker, Reg. II, No. 2304.
2) J. Ficker, Engelbert der HeiUge, S. 124 ff., 133 ff. ; Winkel-
mann, Kaiser Friedrich IL, Bd. I, S. 447 ff.; G. Juritsch, Geschichte,
der Babenberger und ihrer Länder (976—1246), S. 483; A. Huber,
Geschichte Österreichs I, S. 397 f.
3) Ficker, S. 127 f., S. 350 (Gesandtschaftsbericht des Erz-
bischofs Walter von Cariisle); Winkelmann, I, S. 454; A. ßachmann,
Geschichte Böhmens I, S. 467. ; Juritsch, S. 483 f. ; Conr. de Fabaria
Cont. Gas. St. Galli in: St. Gallische Geschichtsquellen, herausge-
geben von G. Meyer v. Knonau, IV, S. 230 f. (Mitteilungen zur
vaterländischen Geschichte N. F. VII, 1879); Contin. Claustroneob.
tert.: MG. SS. IX, S. 636; Cron. Eeinh., S. 607 behaupten, daß
Agnes schon mit Heinrich verlobt gewesen sei; gegen Juritsch,
S. 483, Anm. 5 muß man wohl Ficker, S. 128, Anm. 1, Winkel-
58 -Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen.
Engelbert war es zunächst gelungen, den Herzog Leopold VL
von Österreich durch die Aussicht für sich zu gewinnen,
daß der König von England selbst eine seiner Töchter
heiraten werde i). Im Frühjahr 1225 ging Leopold aber
ganz insgeheim zur böhmischen Partei über 2), für deren
Absichten er so vollkommen gewonnen zu sein schien, daß
ihm sogar Ottokar die zur Braut ausersehene Tochter bis
zur Hochzeit anvertraute ^). Wahrscheinlich hatte der Her-
zog bei dieser Schwenkung seiner Politik die Absicht, die
ihm von seinen Nachbarn drohenden Kriege abzuwenden,
um, gesichert nach allen Seiten, mit um so größerer Aus-
sicht auf Erfolg für seine geheimsten Pläne wirken zu
können 4).
In dieser Zeit war die Verlobung seines ältesten Sohnes
Heinrich mit Agnes, der Schwester Ludwigs von Thüringen,
vollzogen worden ^). Die Vermutung liegt zu nahe, daß
bei den Unterhandlungen über diese Angelegenheit Leo-
pold mit der Absicht hervortrat, den jungen König mit
seiner Tochter Margarete zu vermählen. V7ohl gegen ge-
wisse Zugeständnisse hinsichtlich der Mitgift seiner Schwester
war der Landgraf bereit, Leopold mit seinem ganzen Ein-
fluß bei dem Papst und bei dem Kaiser zu unterstützen.
Im Juni 1225 ^) eilte der Herzog zunächst zum Papst, um
mann, I, S. 454, Anm. 2, Holder - Egger, Cron. Reinh., S. 607,
Anm. 1 zustimmen, daß diese Nachricht falsch ist.
1) Ficker, S. 127; Winkelmann, I, S. 455.
2) Winkelmann, I, S. 456 f; Juritsch, S. 485 f.
3) Cron. Reinh., S. 607 ; V. L., S. 48.
4) Winkelmann, I, S. 4591; Juritsch, S. 486 f.
5) Cron. Reinh., S. 602 f., V. L., S. 40. Ende Juli befanden
sich die landgräflichen Gesandten, die den Papst wegen dieser Hei-
rat um Dispens bitten sollten, in der Umgebung des Herzogs Leopold
bei dem Kaiser; vergl. Cron. Reinh., S. 607 = V. L., S. 48; A. v.
Meiller, Reg. z. Gesch. d. Markgr. u. Herz, Österreichs aus dem
Hause Babenberg. No. 201, 202, 203.
6) Cron. Reinh., S. 607: „medioquadragesime tempore"; V.L.,
S. 48: „umbe mittefastin". Um diese Zeit hatte Leopold wohl ur-
sprünglich beabsichtigt, nach Italien zu gehen, war aber durch eine
Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen. 59
auch diesen für seine Absichten zu gewinnen und von ihm
die Erlaubnis zur Heirat seiner Tochter Margarete mit dem
König Heinrich zu erhalten i). Zu gleicher Zeit trafen bei
der Kurie Rudolf von Vargula und Hermann von Schlot-
heim 2) als landgräfliche Gesandte ein, um für die Ehe der
Schwester Ludwigs, Agnes, mit Heinrich von Osterreich
den päpstlichen Dispens wegen ihrer Verwandtschaft zu er-
wirken s). Daß dießes Zusammentreffen nicht ein zufälliges
war, ist ohne weiteres anzunehmen ; ihren vereinten An-
strengungen und ihrem Zusammenwirken gelang es auch,
die gewünschte Zustimmung des Papstes zu beiden Hei-
raten zu erhalten *). Nunmehr begab sich Leopold, begleitet
von den landgräflichen Gesandten, zum Kaiser selbst, der
sich damals in San Germano aufhielt, und trat mit seinem
Vorschlag, vielleicht unter Vermittlung des Bischofs Kon-
rad IV. von Regensburg ^j, an ihn heran. Er wurde von
Friedrich sehr freundlich aufgenommen, und die Verhand-
lungen begannen. Leopold war vor anderen Bewerbern da-
durch bedeutend im Vorteil, daß er, ohne die kostspielige
Reise zu scheuen, persönlich seine Sache vertrat und so
gegen ihn gerichtete Koalition des Königs von Ungarn und des
Herzogs von Bayern daran verhindert worden. Erst nachdem am
6. Juni eine Verständigung mit Ungarn herbeigeführt worden war,
konnte er seine Keise antreten. Vergl. Winkelmann, I, S. 459 f. ;
Juritsch, S. 486 f.; v. MeiUer, No. 200; Huber, I, S. 398, Anm. 2 ;
Holder-Egger, Cron. Eeinh., S. 607, Anm. 6.
1) Es ist nicht richtig, wie Winkelmann, I, S. 456 und Juritsch,
S. 486 es tun, zu glauben, daß Leopold seine Reise im Auftrage
der böhmischen Partei gemacht habe; an der Stelle der Cron. Reinh.,
S. 606 f. findet sich nichts derartiges. Sie hat wohl Winkelmann, I,
S. 456, Anm. 5 falsch interpretiert ; vergl. Holder-Egger, Cron. Reinh.,
607, Anm. 5; Cout. Garst.: MG. SS. IX, S. 596. Cron. Reinh.,
S. 607 = V. L., S. 48.
2) Vergl. Cron. Reinh., S. 611; Dobenecker, II, No. 2233.
3) Cron. Reinh., S. 602 ; V. L., S. 40.
4) Cron. Reinh., S. 602 = V. L., S. 40 ; Cron. Reinh., S. 607
= V. L., S. 48.
5) Notae St. Emmeram. : MG. SS. XVII, S. 574.
60 I^ic äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen.
unmittelbar auf den Kaiser wirken konnte ^) ; dazu kam die
sehr wesentliche Unterstützung der thüringischen Gesandten
und des Bischofs Konrad IV. von Regensburg.
Friedrich konnte sich nicht entschließen, das traditionelle
Bündnis mit Frankreich aufzugeben: Damit war die von
Engelbert befürwortete Verbindung mit England endgültig
verworfen 2). Auch für die Heirat mit der böhmischen
Prinzessin Agnes versagte er schließlich seine Zustimmung,
sei es daß ihm die Abneigung Heinrichs gegen Agnes be-
kannt war, oder daß ihm die österreichischen Anerbietungen
vorteilhafter erschienen ^). Nach längeren Verhandlungen
entschied er sich endlich für den Vorschlag Leopolds. Von
den Verpflichtungen, die der Herzog natürlich auf sich
nehmen mußte, erfahren wir nur, daß sein Sohn Heinrich
die Schwester des Landgrafen Ludwig ohne jede Mitgift
heimführen sollte*), offenbar eine Belohnung für die guten
Dienste des Landgrafen. Wahrscheinlich mußte Leopold
versprechen, sich an der lombardischen Heerfahrt, die am
30. Juli in San Germano für das nächste Jahr angesagt
wurde % mit zahlreicher Mannschaft zu beteiligen und den
Kreuzzug, der 1227 unternommen werden sollte, nach
Kräften zu unterstützen.
So war den beiden Verbündeten ein diplomatisches
Meisterstück gelungen. Daß freilich die Art, wie sie ihre
Absichten durchgesetzt hatten, vom Standpunkt der Moral
aus betrachtet, sehr bedenklich ist, ist nicht zu verkennen.
Aber darf man denn an das diplomatische Verhalten einer
Persönlichkeit den Maßstab der bürgerlichen Moral anlegen ?
Deshalb ist es wohl ganz überflüssig, wenn unter Verkennung
1) Die Anwesenheit Leopolds wird durch mehrere Urkunden
bezeugt: Böhmer-F., No. 1571—1575.
2) Winkelmann, I, S. 460; Juritsch, S. 488.
3) Winkelmann, I S.461; Juritsch, S. 488.
4) Cron. Eeinh., S. 607; V. L., S. 48.
5) Winkelmann, I, S. 241 f.
Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen. Q1
der Tatsachen versucht worden ist ^), zu beweisen, daß Leo-
pold bei seiner Reise nach Italien zunächst gar nicht irgend-
welche selbstsüchtige Absichten gehabt habe, um ihn so
gegen den Vorwurf in Schutz zu nehmen, daß er die böhmi-
sche Partei hintergangen habe ^).
Der Entschluß des Kaisers wirkte auf die deutschen
Fürsten äußerst überraschend ; am unangenehmsten wurde
davon der König von Böhmen berührt, dem der Wiener Hof
seine Tocher Agnes wieder zurückschickte ^).
Schon am 29. November 1225 fand die feierliche Doppel-
hochzeit in Nürnberg statt : König Heinrich vermählte sich
mit Margarete von Osterreich, Heinrich von Österreich mit
Agnes von Thüringen^). Zahlreiche weltliche und geist-
liche Fürsten , an ihrer Spitze der Herzog Leopold von
Osterreich und Landgraf Ludwig von Thüringen, wohnten
den Festlichkeiten bei °). Wahrscheinlich damals wurde
der Markgraf Heinrich von Meißen, der Mündel Ludwigs,
1) Vergl. Winkelmann, I, S. 459 ff. Auch Juritsch, S. 487 f.
trifft wohl bei der Beurteilung dieser Angelegenheit nicht das Richtige.
Er legt zuviel Gewicht auf das Eingreifen des Bischofs Konrad von
Regensburg, der zuerst mit dem bewußten Heiratsprojekt an den
Kaiser herangetreten sein soll. Bei ihm erscheint es so, als ob Leopold
diesen Erfolg nur durch das zufällige Zusammentreffen verschiedener
günstiger Umstände erreicht hätte, ganz im Gegensatz zu glaub-
würdiger Überheferung, aus der wir entnehmen müssen, daß es sich
hier um eine sehr wohlberechnete, fein angelegte diplomatische
Aktion handelte.
2) Vergl. Ficker, S. 132; Huber, I, S. 398.
3) Cron. Reinh., S. 607; V. L., S. 48.
4) Cron. Reinh., S. 602 f.; V. L., S. 40; Böhmer -Ficker,
No. 3993 a; Gotifr. Viterb. cont. Funiac: MG. SS. XXII, S. 343;
Winkelmann, I, S. 469, Anm. 1; Bernecker, S. 47 f., S. 50; die
übrigen Quellen, die über die Hochzeit berichten, bei Juritsch,
S. 489, Anm. 2 ; hinzuzufügen sind vielleicht noch : Notae S. Emmer.,
S. 574; Ann. S. Rudperti SaUsb.: MG. SS. IX, S. 783; auszu-
schheßen sind die Ann. Herrn. Altah.: MG. SS. XVII, S. 387, da
ihre Nachrichten entlehnt sind aus den Ann. S. Rudperti Sahsb.
5) Böhmer-Ficker, Reg. imp., No. 3995; Dobenecker, Reg. II,
No. 2250.
62 -Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen.
mit einer Tochter Leopolds, Konstantia, verlobt, ein weiterer
Ausdruck der engen Freundschaft, die zwischen beiden
Fürstenhäusern bestand i).
Getrübt wurde freilich die fröhliche Feier durch die
Nachricht von der Ermordung des Reichsverwesers ^j. Als
der junge König über die Mörder zu Gericht saß, entstand
ein Tumult, in dessen Verlauf unter einer zusammenstürzen-
den Treppe mehr als vierzig Menschen begraben wurden ^).
So endeten die Festlichkeiten unter dem Stöhnen und
Ächzen der Sterbenden.
Während aus der Anwesenheit des Herzogs Ludwig
von Bayern auf der Hochzeit^) darauf geschlossen werden
kann, daß er sich mit der überraschenden Wendung der
Dinge ausgesöhnt hatte, konnte der König von Böhmen die
ihm zugefügte Schmach nicht vergessen; er lauerte nur auf
eine günstige Gelegenheit, um an dem verhaßten, glücklichen
Nebenbuhler Rache zu nehmen. Als Leopold Mitte April
1226 mit seinem Schwiegersohn südwärts zog, um an
der lombardischen Heerfahrt teilzunehmen, fiel Ottokar mit
seinen Scharen in Österreich ein, wurde aber durch Leo-
polds Statthalter Heinrich von Kuenring wieder aus dem
Lande vertrieben, ja Heinrich folgte ihm sogar nach Böhmen
selbst nach. Erst durch die Vermittelung des Landgrafen
Ludwig, der dafür durch seine verwandtschaftlichen Be-
ziehungen zu den beiden streitenden Fürsten sehr gut
geeignet war, wurde der Fehde vorläufig Einhalt getan.
Wahrscheinlich von Meißen aus begab er sich Anfang
1) Cont. Scot.: MG. SS. IX, S. 624. Die Nachricht steht un-
mittelbar hinter dem Bericht von der Doppelhochzeit zu Nürnberg.
Über die Nachricht der Ann. Peg. : MG. SS. XXI, S. 270, vergl.,
S. 37 f., Anm. 6.
2) Ficker, Engelbert, S. 152 ff.; Winkelmann, I, S. 465 ff.
3) Cron. Reinh., S. 603; die übrigen Quellen verzeichnet bei
Winkelmann, I, S. 469, Anm. 2; Ann. Erphord. Fratr. Praed.: MG.
BS., XVI, S. 27.
4) Böhmer-Ficker, No. 3995.
Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen. 63
Herbst ^) nach Prag, und von hier nach kurzem Aufenthalt
nach Znaim in Mähren, nahe der österreichischen Grenze.
Man kann annehmen, daß auch Leopold sich hier eingefunden
hat ; für ihn war ja Znaim von Wien aus sehr leicht zu
erreichen. Redlich bemühte sich der Landgraf ungefähr
einen Monat lang in täglichen Verhandlungen mit allen diplo-
matischen Mitteln, die beiden Parteien zu versöhnen, ohne
daß er etwas anderes erreichen konnte, als daß sie sich
endlich bereit erklärten, einen Waffenstillstand bis zum
10. November abzuschließen 2). Nach dessen Ablauf scheint
dann doch noch ein endgültiger Friede zwischen ihnen zu-
stande gekommen zu sein, bevor die Feindseligkeiten wieder
ausgebrochen waren.
Schon Mitte November 3) fand sich der Landgraf wieder
auf dem Hoftag zu Würzburg ein, um an den sehr wichtigen
Verhandlungen teilzunehmen. Es handelte sich darum, den
aufstrebenden Städten entgegenzutreten, die mit allen Kräften
bemüht waren, sich eine möglichst weitgehende Selbstver-
waltung zu verschaffen. Wie schon im Juni durch den
Kaiser [auch damals war der Landgraf zugegen gewesen *)]
wurden jetzt nochmals die Privilegien der Stadt Kamerik
1) Bernecker, S. 52 ff. setzt die Unterhandlungen wohl zu früh
in den August— September 1226; vergl. Holder-Egger, Cron. Eeinh.
S. 607, Anm. 10.
2) Cron. Eeinh., S. 606 f.; V. L., S. 47; Ann. Gotwic: MG.
SS. IX, S. 603 ; MG. Epist. saec. XIII. select. I, No. 347 ; Juritsch,
S. 490 ff.; Winkelmann, I, S. 489; Huber, I, S. 399 1; Knochen-
hauer, S. 321 f.; Bachmann, I, S. 468; die beiden letzteren vermuten,
daß Ludwig im Auftrag des Kaisers gehandelt habe. Riezler, Gesch.
Baierns II, S. 52 setzt die Verhandlungen in Znaim fälschlich in
das Jahr 1225 und nimmt an, daß dort auch ein Waffenstillstand
mit dem Herzog Ludwig von Baiem geschlossen worden sei.
3) MG. LL. sect. IV, Constitutiones, II, S. 407, No. 92: in
octavis beati Martini, also auf den 18. November war der Tag be-
rufen; vergl. Dobenecker, Reg. II, No. 2357, Anm.
4) MG. LL. Constitutiones, II, S. 134 f ., No. 106 (vergl. unten);
Dobenecker, Eeg. II, No. 2329.
64 Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen.
aufgehoben i) ; ferner wurde der königlichen Stadt Oppen-
heim verboten, Untertanen des Erzstiftes Mainz aufzunehmen,
und der Städtebund zwischen Mainz, Bingen, Worms, Speyer,
Frankfurt, Gelnhausen und Friedberg für aufgelöst erklärt 2).
Vollends als am 28. März 1227 in Aachen auf einem
glänzenden Hoftag die junge Gemahlin Heinrichs (VIL) in
Gegenwart zahlreicher Fürsten und Herren von dem Erz-
bischof Heinrich von Köln feierlichst gekrönt wurde, da
versäumte Ludwig nicht, zu erscheinen^).
Als für Ostern 1226 von Friedrich II. ein Reichstag
in Cremona angesagt wurde, um über die Herstellung der
Reichsrechte, Ausrottung der Ketzerei und Maßnahmen für
den Kreuzzug zu beraten^), war auch der Landgraf bereit,
diesem Rufe Folge zu leisten.
Auf die Nachricht aber, daß Friedrich beabsichtige, im
Frühjahr 1226 in der Lombardei zu erscheinen, scharte sich
sofort die Mehrzahl der lombardischen Städte unter der
Führung Mailands zusammen, um einem etwaigen Eingreifen
des Kaiser in die bestehenden Zustände energisch entgegen-
zutreten 5). Als das deutsche Heer, bei dem sich der König
Heinrich und zahlreiche Fürsten befanden, heranrückte, fand
es die berüchtigten Veroneser Klausen gesperrt, so daß es ihm
nicht möglich war, zum Kaiser zu gelangen ^) : nach sechs-
1) MG. LL. Constitutiones, II, S. 407 f. No. 292; Dobenecker,
Reg. II, No. 2357.
2) MG. LL. Constitutiones, II, S. 409 f. No. 294; Dobenecker,
Eeg. II, No. 2359.
3) Cron. Eeinh., S. 607 (vor allem Anm. 11); Chron. reg. Col.,
S. 259; Dobenecker, Eeg. II, No. 2396—2400; Winkelmann, I,
S. 498 ff. ; Bernecker, S. 53 f.
4) Eycc. de S. Germano Chronica priora in : Mon. Stör. Napol.
Ser. I, Cronache, S. 118; HuUl.-Br^h. II, 2, S. 642 ; MG. LL. Con-
stitut., II, S. 136 f.; Winkelmann, I, S. 267, Anm. 2.; Böhmer-Ficker,
No. 1623 a : hier vs'ird mit Unrecht der Tag auf Pfingsten festgesetzt.
5) Winkelmann, I, 8. 267 ff.
6) Winkelmann, I, S. 285 (vor allem Anm. 5). Es war dies nicht
möglich, weil das Heer zum größten Teil aus Eittern bestand und
nur sehr wenig Infanterie zählte; vergl. Job. Codagnelli Ann., S. 77.
Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen. 65
wöchentlichem Warten mußte es unverrichteter Dinge nach
Hause zurückkehren ^). Trotzdem hatten sich doch allmäh-
lich eine Reihe von Fürsten bei dem Kaiser eingefunden;
unter ihnen auch der Landgraf. Er hatte von seiner Burg
Isserstedt 2) aus die Reise nach Italien angetreten, und ihm
war es wohl gelungen, gerade noch die Pässe zu passieren^
bevor sie von den Lombarden besetzt wurden: am 22. April
traf er bei Friedrich in Ravenna ein 3). Dieser hatte in-
folge der veränderten Lage davon Abstand nehmen müssen,
an dem bestimmten Termin die Tagung in Cremona abzu-
halten und erwartete nun in Ravenna das Eintreffen seines
Sohnes und der Fürsten mit ihren Aufgeboten. Ludwig wurde
von ihm auf das freundlichste aufgenommen ; zu Ehren der
Gäste wurden allerlei fürstliche Vergnügen veranstaltet*).
Endlich brach der Kaiser am 7. Mai mit den bis dahin
angekommenen Herren von Ravenna auf und schlug zu-
nächst die Richtung auf Forli ein, um sich mit seinem
Heer zu vereinigen, das in einem Lager bei Cosna stand ^).
1) Chron. reg. CoL, S. 258; Chron. Tolosani in: Docum. di stör.
Ital. YI; Chronache dei sec. XIII, XIV, S. 719, c. 181; Winkel-
mann, I, S. 293 f., S. 285, Anm. 5.
2) Zwischen Jena und Apolda gelegen.
3) Cron. Eeinh., S. 603 f. ; V. L., S. 41 hat zwar den 20. April
als Ankunftstermin Ludwigs, doch muß man sich wohl für den
22. April entscheiden; vergl. Bernecker, S. 56; Dobenecker, Reg. II,
Xo. 2299 a; Steudener, Albrecht I., Herzog von Sachsen, S. 37
meint, daß Albrecht, ebenso wie sein „Schwager" Ludwig, den Weg
durch Österreich genommen habe; er beruft sich dafür auf die Chron.
reg. Col., S. 258: „Quidam autem principes de Saxonia alia via
per Austriam simt ad Imperator em ingressi". Nun ist Albrecht
sicher eher beim Kaiser angelangt als Ludwig (vergl. Böhmer- Ficker,
No. 1599, 1601, 1602). Da der Landgraf schon am 22. April in
Ravenna eintrifft, so muß es für beide noch möglich gewesen sein,
die Veroneser Klausen zu passieren; am 11. April tritt Verona der
Liga bei; frühestens in der zweiten Hälfte des April wurde dann
erst die Sperrung der Pässe beschlossen (vergl. Winkelmann, I, S. 285).
4) Cron. Reinh., S. 604; V. L., S. 41; Winkelmann, I, S. 284.
5) C, zwischen Forü und Faenza ; vergl. Böhmer - Ficker,
No. 1192 b; Chron. Tolos., S. 718, c. 181; Joh. CodagnelU Ann.,
XXVIL 5
66 Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen.
In seiner Umgebung befanden sich der Landgraf Ludwig
von Thüringen, die Herzöge Albrecht von Sachsen und
Reinald von Spoleto, die Erzbischöfe Albrecht von Magde-
burg, Heinrich von Mailand und Lando von E,eggio, die
Bischöfe Rudolf von Chur, Engelhard von Zeitz, Jakob
von Turin und Mainard von Imola, der Deutschordens-
meister Hermann von Salza, die Markgrafen Hermann von
Baden und Azzo von Este, nebst einer Anzahl von Grafen
und Herren ^).
Friedrich beabsichtigte, nach Cremona zu marschieren^
um hier, wenn irgend möglich, doch noch den angekündigten
Reichstag abzuhalten. Er folgte zunächst der alten Heer-
straße, der Via Aemilia, und bog dann vor Eaenza nach
Süden ab, um die Stadt, die sich noch in der Reichsacht
befand, zu umgehen. Am 18. Mai erreichte er über San
Procolo, Imola, Medicina, Modena und Reggio unter mancher-
lei Beschwerden und Fährnissen Parma 2).
Hier nahm der Kaiser einen Aufenthalt von ungefähr
einem Monat ^); während dessen knüpfte er mit den Lom-
barden Verhandlungen an, um den deutschen Fürsten den
Durchzug durch die gesperrten Pässe zu ermöglichen *),
Als jene freilich dafür, die günstige Lage des Augenblickes
benutzend, die demütigendsten Bedingungen stellten ^), da
brach er, im Einverständnis mit sämtlichen anwesenden
S. 77; Cron. Eeinh., S. 604; V. L., S. 41: Aufbruch am 10. Mai.
Hinsichtlich der Chronologie ist wohl Ficker (No. 1605 a) zuzustimmen,
der die genauen Angaben des Joh. Codagnellus, S. 77 ff., derWochen-
und Monatstag angibt, den unbestimmteren der Cron. Reinh., S. 604f.
vorzieht, während Bemecker, S. 55 ff. unbedingt der Cron. Reinh.
folgt. Winkelmann, I. S. 287.
1) Böhmer-Ficker, No. 1604, 1606; sie alle treten wieder in
Parma als Zeugen auf: vergl. Böhmer-Ficker, No. 1608, 1619; Cron.
Eeinh., S. 604; V. L., S. 42.
2) Winkelmann, I, S. 288 ff.
3) Cron. Eeinh., S. 605 ; V. L., S. 43.
4) Chron. Tolos., 8. 719, c. 181.
5) MG. LL. Constitutiones, II, S. 133.
Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen, ß7
Fürsten, die Verhandlungen ab und stellte ihnen eine letzte
Frist, innerhalb deren sie sich mit ihm auszusöhnen hätten,
bis zum 25. Juni^).
Indessen brach der Kaiser am 13. Juni mit dem Heer
nach Borgo San Dounino auf 2); hier verblieb er wieder
längere Zeit, um die Antwort der Lombarden abzuwarten und
verschiedene wichtige Reichsangelegenheiten zu erledigen ^).
Dem Landgrafen gelang es hier, ein langersehntes Ziel
zu erreichen : Der Kaiser belehnte ihn mit der Mark Meißen
und mit der Lausitz für den Fall, daß der junge Heinrich
stürbe, ohne in das mündige Alter gekommen zu sein ; zu-
gleich schenkte ihm Friedrich noch so viel vom Lande
Preußen („Pruscie"), als er zu erobern vermöchte^).
Man hat mit Unrecht gemeint ^) , es sei doch nicht
zusammenzureimen, daß der Kaiser im März 1226 alle
Teile Preußens , die der deutsche Orden erobern würde,
diesem verliehen und 3 Monate später dasselbe Gebiet dem
Landgrafen Ludwig im Beisein Hermanns, des Deutsch-
ordensmeisters, als Eeichslehn aufgetragen habe. Vielleicht
ist gerade dieses Zusammentreffen ein Beweis dafür, daß
hier nur an Preußen gedacht werden kann. Offenbar war
es auch dem Deutschordensmeister nicht unbekannt, wie
vingebändigt und ungebrochen die Volkskraft der Preußen
noch war, und daß es nicht leicht sein werde, ihren Wider-
1) MG. LL. Constitutiones, II, S. 137; Winkelmann, I, S.290ff.
2) Joh. Codagn. Ann., S. 80; Cron. Reinh., S. 605 = V. L.,
S. 43: am 22. Juni. Böhmer-Ficker, No. 1929 a wendet sich schon
gegen diese Angabe, für die aber Bernecker, S. 60, und Winkelmann,
I, S. 293 Anm. 5 eintreten. Holder-Egger, Cron. Eeinh., S. 605,
Anm. 1 zeigt, daß in der Cron. ßeinh. eine Verwechslung mit dem
Tag der Abreise Ludwigs nach Deutschland vorliegt. Dobenecker,
Eeg. II, No. 2330, Anm. 1.
3) Vergl. Dobenecker, Eeg. II, No. 2304, 2328, 2329.
4) Über die Erklärung der verschiedenen Lesarten vergl. Dobe-
necker, Eeg. II, No. 2330, Anm. 2,
5) J. Caro, Zu einer Stelle d. Ann. Eeinh. in: Forsch, z. d.
Gesch., XXIII (1883), S. 330.
5*
68 Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen.
stand zu brechen. Es mußte ihm nur angenehm sein, daß
der Landgraf, der sowohl zu Hermann wie zum Orden selbst
in einem sehr nahen Verhältnis stand i), sich bereit er-
klärte, bei der Eroberung Preußens mitzuwirken, natürlich
unter der Bedingung, daß das von ihm gewonnene Gebiet
auch ihm zufallen werde 2).
Wir erkennen in dieser Verleihung den Ausdruck der
kaiserlichen Dankbarkeit für die stets bewiesene Treue 3),
vor allem für die Bereitwilligkeit, an dem geplanten Kreuz-
zug teilzunehmen.
In diesem Augenblick hatte Ludwig den Höhepunkt
seines Lebens und seiner Erfolge erreicht : er wird des be-
sonderen kaiserlichen Vertrauens gewürdigt ; er sieht sich
im ungestörten Besitz von Thüringen und Hessen, hält fest-
begründete Ansprüche auf Meißen und die Lausitz in Händen,
und es besteht für ihn die beste Hoffnung, in Preußen weite
Gebiete durch die Schärfe seines Schwertes zu gewinnen.
An ein Nachgeben der Lombarden war wohl kaum
noch zu denken; damit war auch jede Aussicht geschwunden,
daß der angekündigte Reichstag in Cremona abgehalten
werden könne. Da ferner der Landgraf für seine Pläne
die kaiserliche Genehmigung erlangt hatte, so trat er am
22. Juni von Borgo San Donnino die Rückreise nach Deutsch-
land an ^).
Der Kaiser betraute ihn hinsichtlich der neuen Reichs-
regentschaft mit besonders wichtigen Aufträgen, die dahin
lauteten, den Herzog Ludwig von Bayern mit allen Mitteln
zu veranlassen, für den ermordeten Erzbischof von Köln die
Vormundschaft über den jungen König Heinrich und damit
die Leitung der deutschen Regierung zu übernehmen.
1) Er beschenkte ihn mit wichtigen Privilegien; vergl. Dobe-
necker, Reg. II, No. 2261; J. Voigt, Die deutsche Ordens -Baliei
Thüringen in : ZThG. I, S. 93.
2) Winkelmann, I, S. 382 Anm. 2.
3) Cron. Eeinh., S. 605; V. L., S. 43.
4) Cron. Eeinh., S. 605; V. L., S. 43; Böhmer-Ficker, Reg. imp.,
No. 1638a; Dobenecker, Eeg. II, No. 2330, Anm. 2.
Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen. 69
Nach Überschreitung des Po bei Cremona — hier über-
nachtete er am 23. Juni — eilte er so schnell als möglich
durch die Lombardei; freilich gelang es ihm trotzdem nicht
mehr, die Fürsten noch in Trient zu treffen, die schon
Mitte Juni nach Deutschland zurückgekehrt waren i). Mit
tunlichster Beschleunigung reiste er ihnen nach, so daß er
bereits am 2. Juli in Augsburg anlangte; hier erwartete
ihn seit ungefähr drei Tagen die Mehrzahl der Fürsten,
wohl durch Eilboten von seiner wichtigen Sendung benach-
richtigt. Als freilich der Landgraf dem Herzog Ludwig
die Bitte des Kaisers unterbreitete, weigerte sich dieser
sehr energisch, die Regentschaft zu übernehmen, im Hin-
blick auf die Schwierigkeiten dieses Amtes.
Erst nach vierzehntägigen langwierigen Verhandlungen
gelang es dem Geschick Ludwigs und dem einmütigen
Andringen sämtlicher anwesenden Fürsten, den Widerstand
des Herzogs zu überwinden und ihn zur Annahme der Vor-
mundschaft zu bestimmen 2).
Nunmehr konnte der Landgraf die weitere Heimreise an-
treten. Als er aber nach Schweinfurt gelangte, wo er von
den Bürgern auf das glänzendste aufgenommen wurde und
die Nacht verbringen wollte, wurden ihm offenbar dunkele
Gerüchte hinterbracht, daß der Graf Poppo von Henneberg,
1) Winkelraann, I, S. 294; vergl. oben S. 64 f.
2) Cron. Eeinh., S. 605; V. L., S. 43 f.; Dobenecker, Reg. II,
No. 2346 a; Böhmer-Ficker, Reg. imp., No, 4011, 4065 (hier tritt
Ludwig von Bayern ausdrücklich als Reichsregent auf). Winkel-
mann, I, S. 486; Riezler, S. 54; diese folgen einer falschen Les-
art der Ann. Rein., S. 189: ,,quia principes ceteri omni restiterunt
conanime", ohne Berücksichtung der V. L., S. 44: „zu letzt batin
doch di furstin unde di hern also sere daz . . ," So meint Winkel-
mann, I, S. 486, der Herzog von Bayern hätte erst, „nachdem alle
anderen Fürsten die Regentschaft von sich abgelehnt hatten'-, diese
übernommen, während die übrigen erzählen, daß Ludwig neben der
Weigerung des Herzogs auch noch den Widerstand der Fürsten
zu überwinden hatte; „restituerunt" hat mm Holder-Egger unzweifel-
haft richtig in „instituerunt" berichtigt; vergl H.-E., Cron. Reinh.,
S. 605, Note 3.
70 Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen.
wohl aus Ärger über seine fehlgeschlagenen Pläne, sich
rüste, um ihn beim Passieren seines Gebietes abzufangen.
Wahrscheinlich hatte nämlich Poppe versucht, die Even-
tualbelehnung Ludwigs beim Kaiser unter Geltendmachung
der Ansprüche seiner Gemahlin Jutta zu hintertreiben oder
zum mindesten eine Entschädigung zu erhalten. Freilich
waren seine Bemühungen ohne ein anderes Ergebnis ge-
blieben, als daß Friedrich dem Grafen ein schon im Jahre 1216
gewährtes i) Berg- und Salzwerksprivilegium erneuerte 2).
Sicher war Poppe nicht selbst erschienen, sondern ließ durch
einen Gesandten am kaiserlichen Hefe seine Ansprüche ver-
treten. Dafür spricht, daß er in keiner der zahlreichen
Urkunden Friedrichs aus dieser Zeit als Zeuge auftritt,
wohl aber als selcher in einer Urkunde seiner Gemahlin
Jutta und seines Stiefsohnes Heinrich am 1. Juli 1226
erscheint; ist auch der Ausstellungsort dieser Urkunde un-
bekannt, so lag er doch unzweifelhaft in Thüringen ^). Da-
mit erweist sich aber auch die Vermutung Füßleins*) als
irrig, daß der Graf erst nach der Abreise Ludwigs, d. i.
nach dem 22. Juni am kaiserlichen Hof erschienen und von
hier nach kurzem Aufenthalt nach Hause eilends zurück-
gekehrt sei, um nun dem glücklicheren Gegner nachzustellen.
Jedenfalls hielt es der Landgraf für geraten, gegen
Feindseligkeiten Poppos auf der Hut zu sein. Nach einer
Besprechung mit seinem Bruder Heinrich Raspe und den
Herren seines Gefeiges beschloß er, sich durch einen Ge-
waltmarsch in Sicherheit zu bringen : gleich nach dem
Abendessen brach er von Schweinfurt auf, marschierte
die ganze Nacht ununterbrochen hindurch und durcheilte
so unangefochten das Gebiet des Hennebergers. Daß er
schon am folgenden Tag die Wartburg erreichte, wie die
Cron. Reinh., S. 606 berichtet, daran ist bei der großen
1) Debenecker, Eeg. II, No. 1674.
2) Dobenecker, Eeg. II, No. 2326.
3) Dobenecker, Eeg. II, No. 2336.
4) S. 71 f.
Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen. 71
Entfernung zwischen Schweinfurt und Eisenach i) nicht zu
denken. Jedenfalls langte er an einem Freitag (vielleicht
den 24. Juli) auf dem Schlosse an, jubelnd begrüßt von
seiner Familie -).
Da wir auch in der Folge von irgend welchen Kämpfen
zwischen dem Landgrafen und dem Grafen von Henneberg
nichts hören, sondern im Gegenteil beide auf dem Hoftag
zu Würzburg (November 1226) treffen ^) und wissen, daß
Poppo auch dem Leichenbegängnis Ludwigs (1228) bei-
wohnte ^), so ist in jenem auffälligen Verhalten des Land-
grafen wohl nichts weiter zu sehen als eine Vorsichts-
maßregel für alle Fälle.
Wahrscheinlich sind bei dem Aufenthalt in Italien auch
die letzten Verabredungen zwischen ihm und dem Kaiser hin-
sichtlich seiner Teilnahme an einem schon lange beabsich-
tigten Kreuzzuge getroffen worden. Am 25. Juli 1215, gleich
nach seiner Krönung, hatte der junge König Friedrich frei-
willig das Gelübde eines Kreuzzuges abgelegt 5). Freilich
mußte er Aviederholt, gezwungen durch die politische Lage,
im Einverständnis mit der Kurie den Antritt des Zuges
verschieben ^). Endlich wurde auf der Zusammenkunft zu
Ferentino, Anfang März 1223, zwischen Papst und Kaiser
verabredet, daß dieser bis zum Johannistag des Jahres
1225 in das heilige Land gezogen sein solle ^). Zugleich
wurde die Agitation für diese Unternehmung von beiden
Gewalten energischer betrieben ^) ; an die deutschen Fürsten
gingen Sendschreiben ab, in denen ihnen vom Kaiser für
den Fall ihrer Teilnahme beträchtliche Geldsummen zu-
1) Sie beträgt in der Luftlinie ungefähr 100 km!
2) Cron. Eeinh., S. 606; V. L., S. 45; Füßlein, S. 70ff.
3) Dobenecker, Reg. II, No. 2357.
4) Dobenecker, Eeg. III, No. 13.
5) E. Eöhricht, Beiträge zur Geschichte der Kreuzzüge, I, S, 4.
6) Eöhricht, I, S. 4 ff.
7) Winkelmann, I, S. 197 ff.
8) Winkelmann, I, S. 216 ff.
72 Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen.
gesichert wurden ^). Auch der Landgraf Ludwig empfing
einen derartigen Brief Friedrichs, in dem ihm als Beihilfe
für seine Rüstungen 4000 Mark Silber angeboten wurden,
während der Papst ihn und sein Land unter den Schutz
der Kirche stellte ^). Wahrscheinlich konnte sich damals
Ludwig noch nicht entschließen, dieser Aufforderung Folge
zu leisten, hauptsächlich, da er ja alle seine Kräfte an-
spannen mußte, um den Widerstand seiner Stiefschwester
in Meißen niederzuwerfen. Sicher hat es der Deutschordens-
meister Hermann von Salza anläßlich seines Zusammentreffens
mit Ludwig auf dem Hoftag zu Nordhausen (Ende Septem-
ber 1223) nicht unterlassen, auf ihn im Sinne des Kaisers
einzuwirken ^).
Die Erfolge der Kreuzzugsprediger waren überall so ge-
ringe, daß Friedrich sich im März 1224 an die Kurie wandte
und sie unter Dai'legung der von ihm unternommenen Schritte
um energischere Anstrengungen bat^). Er selbst sandte
als seinen Bevollmächtigten für die Angelegenheiten des
Kreuzzuges den Deutschordensmeister wieder nach dem
Norden ^), während der Papst sich entschloß, zur Leitung
der Agitation einen Legaten, den Kardinalbischof von Porto,
Konrad von Urach ^), nach Deutschland zu schicken und
für die einzelnen Kirchenprovinzen besondere Kreuzprediger
zu bestellen ; so für die Mainzer Diözese den Bischof Konrad
von Hildesheim und den Magister Salomon, Domherrn zu
Würzburg '').
1) Z. B. MG. Epist. saec. XIII. pont. Eom. sei. I, S. 156 f.,
No. 227.
2) Dobenecker, Reg. II, No. 2059.
3) Dobenecker, Reg. II, No. 2086, 2087.
4) Winkelmann, Acta imp. ined. I, S. 237 ff., No. 261 ; Winkel-
mann, I, S. 220 ff.
5) Dobenecker, Reg. II, No. 2131.
6) Frhr. Roth von Schreckenstein, Konrad von Urach, Bischof
von Porto und S. Rufina, als Kardinallegat in Deutschland (1224
bis 1226) in: Forsch, z. d. Gesch. VII, S. 335.
7) MG. Epist. saec. XIII., I, S. 173, No. 244; A. Potthast,
Reg. pontificum Romanorum I, No. 7193.
Die äiißere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen. 73
Wahrscheinlich als nun Hermann von Salza auf dem
Hoftag zu Frankfurt, Mitte Mai 1224, nochmals mit dem
bedeutend erhöhten Anerbieten des Kaisers an den Land-
grafen herantrat, — jetzt wurden ihm 5000 Mk. Silber, dazu
noch freie Überfahrt und Verpflegung zugesagt, — da mag
er sich endgültig entschlossen haben, teilzunehmen i); zugleich
mit ihm schmückten sich zehn Grafen, viele Ritter und
eine unzählbare Schar des gemeinen Volkes mit dem Kreuz.
Freudig bewegt davon, daß ein so wackerer, reicher und
mächtiger Herr sich angeschlossen hat, konnte der Kreuz-
prediger Oliver, Domscholaster von Köln ^), im Juni den
Prälaten Frieslands dieses Ereignis mitteilen 3). Die Nach-
richt Dietrichs von Apolda^), daß Ludwig das Kreuz aus den
Händen des Bischofs Konrad von Hildesheim empfangen
habe, scheint unzutreffend zu sein, wenigstens läßt sich die
Anwesenheit des Bischofs in Frankfurt nicht nachweisen °).
Wurden so auch noch eine ganze Reihe von bedeuten-
deren Herren gewonnen, so war ihre Zahl doch noch zu
gering, um für einen Zug in das heilige Land zu genügen *5).
Wiederum trat deshalb der Kaiser mit dem Papst wegen
eines Aufschubes in Unterhandlungen, die zu dem Vertrag
von San Germano führten (25. Juli 1225); in ihm sind
die Leistungen, zu denen Friedrich verpflichtet ist, auf das
1) Winkelmann, I, S. 225, Anm. 3; Doeberl, MG. sei. V, S. 58.
Winkelmann, Acta I, S. 238, No. 261 ; erst jetzt werden freie Über-
fahrt und Verpflegung versprochen.
2) Vergl. über ihn : H. Hoogeweg, Die Kreuzpredigt des Jahres
1224, in: Deutsche Zeitschrift f. Geschichtswissenschaft, hrsg. von
Quidde, IV, 2, S. 62 ff. (1890).
3) Dobenecker, Eeg. II, No. 2144.
4) Vita D. Elizab. in : Thesaurus Monum. eccles. ed. Canisius,
IV, S. 131; vergl. MG. Epist. saec. XIIL, I, S. 254, No. 335: Brief
Honorius III. an Ludwig: 11. Jan. 1227: „qui ab olim suscepto
crucis signaculo illi militare vovisti, qui ..." Dobenecker, Eeg. II,
No. 2371, Anm. 1.
5) Böhmer- Ficker, Eeg. imp., No. 3921—3924; Winkelmann,
I, S. 432.
6) Winkebnann, I, S. 227 f.
74 I^ie äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen.
genaueste festgesetzt; er wird gehalten, bis zum August
1227 endgültig die Ausreise anzutreten i).
Als Ludwig sich im Frühjahr 1226 beim Kaiser auf-
hielt, werden ihm wohl die näheren Anweisungen für den
Zug gegeben worden sein. Als spätester Aufbruchstermin
wurde für die Deutschen wahrscheinlich der 24. Juni, der
Johannistag, festgesetzt-). Als endlich das Jahr 1227 her-
ankam, erließ der Papst an alle geistlichen und weltlichen
Fürsten und Herren ein Rundschreiben, in dem er sie ein-
dringlich bittet, dafür zu sorgen, daß alle, die das Kreuz
genommen haben, sich im August zur Überfahrt einfinden ^).
Bald darauf starb der Papst Honorius IIL am 18. März
1227; sein Nachfolger war Gregor IX. ^).
Er beeilte sich, schon am 15. April dem Landgrafen
die Versöhnung des Kaisers mit den Lombarden mitzuteilen
und die dringende Bitte hinzuzufügen, dem gegebenen Ver-
sprechen nachzukommen 5).
Der Erfolg all dieser Bemühungen blieb dann auch
nicht aus. Im Frühjahr 1227 zogen zahlreiche Scharen
von Kreuzfahrern nach dem Süden*'). Von den Fürsten
beteiligten sich außer dem Landgrafen der Herzog Heinrich
von Limburg und die Bischöfe Gebhard von Passau und
Siegfried von Augsburg, daneben eine große Menge von
Grafen und Rittern ^).
Vor seiner Abreise ordnete Ludwig die Verhältnisse
seines Landes auf das sorgfältigste. Für seinen unmündigen
1) Winkelmann, I, S. 234 ff.
2) Bald. Ninov. Chron.: MG. SS. XXV, S. 542; Cron. Eeiuh.,
S. 611; V. L., S. 56; an diesem Tage brachen sowohl die Nieder-
lothringer als auch Ludwig auf. Winkelmanu, I, S. 326.
3) Dobenecker, Reg. II, No. 2371.
4) Winkelmann, I, S. 316 ff.
5) Dobenecker, Reg. II, No. 2401.
6) Job. Codagn. Ann. ed. O. Holder-Egger in: SS. rer. Germ,
in usum schob S. 85. Cron. Minor, Mon. Erphesf., S. 654 : „ad LX.
railia". Winkelmann, I, S.-325.
7) Doeberl, Mon. Germ. sei. V, S. 58 f.; Winkelmann, I, S. 226;
S. 824.
Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen. 75
Sohn bestellte er seinen Bruder Heinrich Raspe als Vor-
mund 1), während die Regentschaft in Meißen offenbar auf
den Herzog Albrecht von Sachsen überging, der wohl durch
seine verwandtschaftlichen Beziehungen zu dem jungen Mark-
grafen dazu am besten geeignet erschien ^).
Dem Magister Konrad von Marburg, der als Beichtvater
Elisabeths am landgräflichen Hofe weilte, übertrug er mit
Zustimmung seiner Gemahlin, seiner Kinder und seiner
Brüder die Gewalt, die Kirchenlehen, deren Patronat ihm
gehörte, nach seinem Gutdünken zu besetzen ^). Dieses Ver-
halten Ludwigs mag zunächst auffällig erscheinen in einer
Zeit, in der die Fürsten die größten Anstrengungen machten,
sich immer mehr Rechte in ihren Gebieten zu sichern und
so allmählich geschlossene Territorien zu bilden. Aber jene
1) Dobenecker, "Reg. II, No. 2450, 246L III, No. 9, 13, 14,
15 usw. H. Mielke, d. heil. Elis., S. 63. Diss. Rostock 1888.
2) Dobenecker, Reg. III, No. 3. Steudeuer, S. 45 f., weist die
Annahme Tittmanns, I, S. 73 mit Recht zurück, daß diese Vor-
mundschaft nicht ohne Zusammenhang mit dem ehemaligen Recht
der Herzöge von Sachsen über Meißen gewesen sei.
Die verwandtschaftlichen Beziehungen sind folgende:
Albrecht der Bär
Hedwig 00 Otto von Meißen Bernhard v. Sachsen
Dietrich d. Bedr. Albrecht I. v. Sachs.
Heinrich d. Erl. (Steudener, S. 46, Anm. 1.)
Dazu war Heinrich verlobt mit Constantia von Österreich, der
Schwester von Albrechts Gemahlin Agnes, die allerdings schon 1226
gestorben war; vergl. Steudener, S. 41.
3) Dobenecker, Reg. II, No. 2409, 2410, 2411 ; Cron. Reinh.,
S. 606; V. L., S. 47. Die Ansicht I. Becks, Konrad von Marburg
(Diss., Breslau 1871), S. 12 ff. ist wohl richtig, daß diese Verleihung
nur für die Zeit der Abwesenheit des Landgrafen bestimmt war.
Dafür auch Wenck, A. D. B. XIX, S. 595; Mielke, D. heil. EHs.,
S. 40; vergl. H. v. Eicken, Gesch. u. System d. mittelalterl. Welt-
anschauung, S. 343.
76 Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen.
gewaltige asketische Strömung, die damals das ganze abend-
ländische Leben durchdrang, war auch an Ludwig nicht
ohne Eindruck vorübergegangen, mächtig gefördert durch
den Einfluß Elisabeths und ihres Beichtvaters. Ferner
traten gerade in diesen Jahren die Bettelorden in Thüringen
auf und gewannen durch ihren Eifer und ihre Predigten
bald eine große Macht über die Gemüter i). Daher ist es
nicht zu bezweifeln, daß für den Entschluß des Landgrafen,
an dem Kreuzzug teilzunehmen, das religiöse Moment aus-
schlaggebend war.
Nachdem so die Regierung der ihm anvertrauten Lande
geordnet war, berief er die Herren und Ritter nach Kreuz-
burg, machte sie mit seiner Absicht bekannt und ermahnte
sie, Ruhe und Frieden zu halten. Danach hielt er einen
Umritt durch seine Besitzungen, besuchte dabei vor allem
die Klöster und empfahl sich den Gebeten der Mönche und
Nonnen 2).
Als Sammelplatz für die thüringischen Kreuzfahrer
war offenbar Schmalkalden bestimmt. Nach herzlicher Ver-
abschiedung von seinen Verwandten brach Ludwig von hier 3)
am 24. Juni , umgeben von einer stattlichen Schar , nach
dem Süden auf '^). Nicht leicht mag ihm die Trennung von
seiner Gemahlin geworden sein; wußte er doch, daß ihr
wieder ihre schwere Stunde nahe war 5), während er selbst
ungewissen, gefährlichen Kämpfen entgegenzog.
In seiner Begleitung, die er, wahrscheinlich bis zur
Ankunft in Apulien , auf eigene Kosten unterhielt ^), be-
fanden sich die Grafen Ludwig von Wartburg, Burchard
1) A. Hauck, Kirchengesch. IV, S. 379 f.
2) V. L., S. 53 f.; Cron. Reinh., S. 609 f.
3) Nicht von Eisenach, wie Röhricht, I, S. 64, Anm. 104 meint.
4) Cron. Reinh., S. 611; V. L., S. 58; Wenck, A. D. B. XIX,
S. 597; Bernecker, S. 63.
5) Cron. Reinh., S. 609; S. 608 (Anm. 5); Diemar, ZHG. N. F.
XXVII, S. 12, No. 47.
6) Cron. Reinh., S. 611; V. L., S. 58; dazu war wohl die Bei-
hilfe des Kaisers in Höhe von 5000 Mark Silber bestimmt.
Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen. 77
von Brandenburg ^) (sie waren Vettern), Meinhard (III.) von
Mühlberg 2) und Heinrich von Stolberg ^) • die Herren Hart-
mann von Heldrungen '*), Ludolf (der Jüngere) von Trefiurfc 5),
die hervorragendsten seiner Hofbeamten : der Schenk Rudolf
von Varguia*'), Marschall Heinrich von Ebersburg '^), der
Truchseß Hermann von Schlotheim ^) und der Kämmerer
Heinrich von Fahner ■') ; ferner die Ministerialen Rudolf
von Bilzingsleben 1°) , Friedrich von Treffurt ^^) , Gerhard
von Ellen 12)^ Dietrich von „Subach" i^), Siegfried der Rote
von Spatenburg 1*), die Brüder Ludwig und Rudolf von
Hausen 15)^ Heinrich von „Meydeburg" ^% Reinhard Varch 1^),
1) Urkundlich erwähnt im Jahre 1227 ; Dobenecker, Eeg. II,
No. 2381, 2382.
2) Dobenecker, Reg. II, No. 2425.
3) Dobenecker, Eeg. II, No. 2420.
4) Dobenecker, Reg. II, No. 2261.
5) Dobenecker, Reg. II, No. 2421.
6) Dobenecker, Reg. II, No. 2421.
7) Dobenecker, Reg. II, No. 2261.
8) Dobenecker, Reg. II, No. 2419.
9) Dobenecker, Reg. II, No. 2418.
10) Dobenecker, Reg. II, No. 2417; bei Röhricht, II, S. 381,
fälschlich Rud. von „Burgsleben" genannt.
11) Dobenecker, Reg. II, No. 2157.
12) Dobenecker, Reg. II, No. 2419; „Elnde" (Cron. Reinh.,
S. 611) ist nicht gleich „Elende", wie Thiele, Memoriale — thüringisch-
erfurtische Chronik — von Konrad Stolle, S. 151, Anm. 4, meint,
sondern identisch mit „Ellen" (Dorf südwestlich von Eisenach; vgl.
Dobenecker, Reg. II, S. 479.).
13) Vielleicht Saubach (Kr. Eckartsberga, vergl. Thiele, S. 151,
Anm. 4) oder Seebach (nordw. Langensalza); 1225 tritt ein Albert
von Seebach („Sebech") in einer Urkunde Ludwigs als Zeuge auf;
vergl. Wegele, Ann. Reinh., S. 204, Anm. 8.
14) Dobenecker, Reg. II, No. 2417.
15) Zuletzt urkundlich erwähnt 1216: Dobenecker, Reg. II,
No. 1706a, ebenso wie Rudolf: Dobenecker, Reg. II, No. 1680.
16) Kommt in thüringischen Urkunden dieser Zeit nicht vor.
Nach Thiele, S. 151, Anm. 4, „Meydeburg" = „Magdeburg".
17) Dobenecker, Reg. II, No. 2334; Cron. Reinh., S. 611, Anm. 2;
„Varch" (V. L., S. 58) ist die deutsche Bezeichnung für „porcellus"
oder „porcus".
78 Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen,
Berthold von Mila i) und Berthold von Heilingen ^), dann
die Kapläne Gerhard, Domkustos in Naumburg ^), Berthold^
der Verfasser der Gesta Ludowici^), Werner, Priester von
Marburg ^), der Schreiber und Notar Konrad von Würzburg
und viele andere Geistliche, Ritter und Ärzte ^).
Ludwig marschierte wohl auf dem Wege, den die
Deutschen, wenn sie nach Italien zogen, gewöhnlich ein-
schlugen : durch Franken , Schwaben , Baj^ern , über den
Brenner, das Etschtal abwärts eilte er nach dem Süden '').
Unterwegs schlössen sich ihm, wahrscheinlich in Augsburg,
der Bischof Sigfrid von Augsburg, fernerhin Ludwig von
Kastei, Ludwig der Altere von Stolberg und viele andere
Herren und Ritter an, so daß er mit einem ansehnlichen
Heer vor dem Kaiser erscheinen konnte ^), als er am
3. August in Troia mit ihm zusammentraf; bis hierher war
Friedrich ihm entgegengeeilt^). Nachdem drei Tage ge-
rastet worden war, marschierte man am 6. August gemein-
sam nach Mein weiter, wo man wieder einen mehrtägigen
1) In Urkunden nicht erwähnt.
2) Urkundlich ein Berthold von Heilingen nicht erwähnt, wohl
aber 1223 ein Johann (Dobenecker, Eeg. II, Xo. 2109) und 1225
ein Albert von Heilingen (Dobenecker, Eeg. II, Xo. 2223).
3) Cron. Reinh., S. öll; diese Stelle wohl durch ein Versehen
des Abschreibers verderbt, richtig in der V. L., S. 58.
4) Holder- Egger, Studien zu thüringischen Geschichtsquellen,
II, XA. XX, S. 631 ff.
5) Dobenecker, Reg. II, No. 1585.
6) Cron. Eeinh., S. 611; V. L., S. 58 f.
7) Vergl. Winkelmann, I, S. 326; V. L., S. 59; Cron. Eeinh.,
S. 611. Wahrscheinlich ist er am adriatischen Meer entlang
marschiert.
8) Ann. Marb., MG. SS. XVII, S. 175.
9) Cron. Eeinh., S. 611; V.L., S. 59; gut paßt dazu die Xach-
richt des Eycc. de S. Germ. (MG. SS. XIX, S. 348) „Eodem mense
(mense Julii) langravius cum cruce signatorum esercitu de Alamannia
in Apuliam venit". Doeberl, Mon. Germ. sei. V, S. 59; ßernecker,
S. 63; S. 65; Winkelmann, I, S. 327; Knochenhauer, S. 326, meint
fälschlich, daß Ludwig schon im Juli mit Friedrich zusammen-
getroffen sei. Böhmer- Ficker, Eeg. imp., No. 1700a.
Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen. 79
Aufenthalt nahm i). Diese Ruhepausen lassen sich am
besten dadurch erklären, daß der Kaiser das Herankommen
aller Pilgerscharen erwarten und Zeit gewinnen wollte zur
Herstellung einer hinreichenden Anzahl von Schiffen, die
sich durch eine unter den Bauleuten ausgebrochene Krank-
heit verzögert hatte 2). Von Melfi gingen die Fürsten
wahrscheinlich das Ofan total abwärts und trafen am 16.
August über Barletta, Bari und Monopoli (15. August) in
Brindisi ein 3).
Hier hatten sich indessen gewaltige Menschenmengen
angesammelt*), so daß infolge dieser Anhäufung wohl bald
Mangel an Lebensmitteln entstand. Dazu gesellten sich
noch eine glühende Sommerhitze und das ungewohnte
Klima : eine furchtbare (wahrscheinlich) typhusartige Seuche
brach aus, die unter den dicht zusammengedrängten Massen
schrecklich wütete. Tausende fielen ihr zum Opfer und
ein großer Teil des Heeres zerstreute sich ^). Der Kaiser
selbst war schon auf dem Marsch nach Brindisi von der
Krankheit geplagt worden, so daß ihm seine Ärzte dringend
rieten, sich zu schonen; unbekümmert freilich um ihren
Rat, hatte er die Reise fortgesetzt, um die Vorbereitungen
zur Einschiffung persönlich überwachen zu können. End-
lich ging in der zweiten Hälfte des August der erste
Transport mit Kreuzfahrern ab, dem acht Tage später die
kaiserliche Kammer und Dienerschaft folgte ^). Indessen war
der Kaiser, der selbst noch nicht ganz wieder hergestellt
war, mit dem Landgrafen nach der kleinen Insel S. Andrea,
1) Dobenecker, Reg. II, No. 2431.
2) Doeberl, Mon. Germ. sei. V, S. 59; Winkehnann, I, S. 328.
3) Cron. Eeinh., S. 611; V. L., S. 59; Bernecker, S. 63 ff.;
Winkelmann, I, S. 327.
4) Joh. Codagn. Ann., S. 85 f.
5) MG.: Epist. saec. XIIL, I, S. 283, No. 368; Doeberl, Mon.
Germ. sei. V, S. 59; Joh. Codagn. Ann,, S. 86; Ann. Scheftl. Mai,
MG. SS. XYIL, S. 338; Notae St. Emmerami, MG. SS. XVII, S. 574;
Winkelmann, 1, S. 328 ff.
6) Doeberl, Mon. Germ. sei. V, S. 59; Winkelmann, I, S. 329 f.
80 Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen.
die dem Hafen von Brindisi vorliegt, übergesiedelt, um sich
in der erfrischenden Seeluft zu erholen und die Zurüstungen
für die eigene Abreise zu leiten i). Aber schon hatte auch
den Landgrafen die tückische Seuche ergriffen ; sein Be-
finden begann sich mehr und mehr zu verschlimmern.
Trotz seines besorgniserregenden Zustandes schifften sich
die Fürsten am 9. September ein und fuhren zunächst nach
Otranto, um sich von der hier weilenden Kaiserin zu ver-
abschieden 2). Am nächsten Tag kamen sie dort an ; nach-
dem Ludwig aber bei der Kaiserin einen Besuch gemacht
hatte und auf sein Schiff zurückgekehrt war, steigerte sich
das Fieber so, daß er sich zu Bette legen mußte und man
das Schlimmste befürchtete. Der Patriarch Gerold von
Jerusalem spendete ihm unter Assistenz des Kardinal-
predigers Leo Brancaleo von S. Cruce in Jerusalem ^) die
letzte Oelung und die Wegzehrung. Hierauf wurde er am
11. September, umgeben von seinen Getreuen, von seinen
Leiden erlöst^). Auf die Trauernachricht von seinem Tod
kehrte der Teil seiner Mannen, der schon vorausgefahren
war, wehklagend nach Otranto zurück, um hier vorläufig
seine irdischen Ueberreste zu begraben, während sie selbst
dann die unterbrochene Fahrt nach dem heiligen Lande
wieder aufnahmen. Als die Thüringer im Jahre 1228 aus
Palästina nach Italien zurückkamen, gruben sie die Gebeine
aus und lösten durch Abkochen das Fleisch von den
Knochen. Die Ueberreste wurden, in kostbaren Schreinen
verwahrt, feierlich nach Deutschland überführt. Überall,
wo die Kreuzfahrer übernächtigten, wurde der Leichnam in
1) Wahrscheinlich dauerte der Aufenthalt hier längere Zeit,
nicht nur einen Tag, wie Ficker, Reg. imp., No. 1709b meint; ihm
folgt Bernecker, S. 68; vergl. Winkelmann, I, S. 330, Anm. 4.
2) Falsch dargestellt bei Eöhricht, I, S. 20.
3) Der Name festgestellt nach C. Eubel: Hierarchia catholica
medii aevi, I, S. 40.
4) Dobenecker, Reg. II, No. 2453, Anm. 1; Röhricht, I, S. 20:
falsch der 14. September als Todestag Ludwigs.
Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen. 31
den Kirchen aufgestellt, und reichliche Spenden sorgten für
das Seelenheil des Verstorbenen. Bis nach Bamberg war
die tiefbetrübte Witwe Elisabeth dem Leichenzug entgegen-
geeilt ; begleitet von ihrem Oheim, dem Bischof Ekbert von
Bamberg, einer zahlreichen Schar von Priestern und einer
gewaltigen Menschenmenge, holte sie die Heimkehrenden
ein. Je mehr man sich dem Ziele näherte, um so mehr
schwoll das Trauergefolge an. Von allen Seiten eilten die
treuen Untertanen herbei, um ihrem Herrn das letzte Gre-
leit zu geben.
Allgemeine Trauer erfüllte das ganze Land um den so
früh dahingegangenen Fürsten, unter dessen starker Re-
gierung der Friede wieder in das so schwer heimgesuchte
Land eingezogen war. Die irdischen Überreste fanden ihre
letzte Ruhestätte im Kloster Reinhardsbrunn i) : in Gegenwart
der so früh verwitweten Elisabeth, seiner Mutter Sophie,
seiner Brüder Heinrich und Konrad, des einstigen Gegners
Grafen Poppo von Henneberg und zahlreicher anderer
Grafen und Herren wurde er unter großen Feierlichkeiten
beigesetzt ^). Zum Andenken und zum Seelenheil des ver-
storbenen Bruders machte Heinrich Raspe dem Kloster eine
bedeutende Landschenkung ^).
Von der Kirche selbst niemals kanonisiert, errang er
beim Volk bald den Ruf eines Heiligen, vor allem, nachdem
Dietrich von Apolda, der Reinhardsbrunner Mönch, der Zu-
sätze zu dessen Werk machte, und der Verfasser der latei-
nischen Vita Ludowici sein Leben mit so wunderbaren
Zügen ausgeschmückt hatten. Dazu gesellten sich sehr
bald Gerüchte, die sich im Laufe der Zeit in direkte Be-
hauptungen verwandelten, daß Ludwig vom Kaiser durch
1) Das Begräbnis muß vor dem 16. Mai stattgefunden haben,
da in einer Urkunde von diesem Tag Begleiter Ludwigs genannt
werden; vergl. Dobenecker, Reg. III, No. 13, Anm. 1, No. 14.
2) V. L., S. 62 ff.; Cron. Eeinh., S. 612 f.; Dobenecker, Reg. III,
No. 13.
3) Dobenecker, Reg. III, No. 13.
XXV IL 6
82 Die äußere Politik Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen.
Grift aus dem Wege geräumt worden sei. Noch findet sich
in dem Manifest des Papstes vom 10. Oktober 1227, in
dem er die Exkommunikation Friedrichs verkündet, nichts
von einem derartigen Verbrechen ^). Aber schon im Jahre
1239, als es galt, die zweite Exkommunikation des Kaisers
zu verteidigen, wird dieser von dem Papst offen des Grift-
mordes beschuldigt ^), eine Behauptung, die in der Folge-
zeit von sehr vielen Quellen nacherzählt worden ist ^).
Ludwig tritt uns in seiner auswärtigen Politik als
ein hervorragender Staatsmann entgegen. Er verfolgt weit-
ausschauende Pläne, ohne dabei das Erreichbare aus dem
Auge zu verlieren. Ruhig und sicher leitet er seine Politik,
seine Zeit abwartend, wenn es ihm nicht gelingt, eine
Forderung sofort durchzusetzen. Mit Energie wendet er
sich gegen jedermann, der seinen Absichten entgegentritt,
und scheut auch vor dem letzten Mittel der Politik, dem
Kampf, nicht zurück. Niemals fehlte er bei der Erledigung
wichtiger Reichsangelegenheiten und stets stand er dem
Kaiser treu zur Seite. Wie er sich freilich bei einem
Zwist zwischen Papst und Kaiser verhalten haben würde,
wer vermag es zu sagen? Das Schicksal hat ihm diese
schwere Entscheidung erspart. Von größtem Einfluß war
auch auf ihn die gewaltige geistige Strömung, die, die
kluniazenische Bewegung fortsetzend, damals in allen Gre-
mütern tiefe Spuren zurückließ.
Daß er trotz seiner Jugend eine der bedeutendsten
Erscheinungen des damaligen Deutschlands ist, darf man
getrost behaupten.
1) Dobenecker, Reg. II, No. 2453.
2) MG. Epist. saec. XIII., I, S. 647, No. 750; Dobenecker^
Reg. III, No. 802.
3) Dobenecker, Reg. II, No. 2453, Anm. 1.
III.
Die Generalvisitation Ernsts des Frommen im
Herzogtum Sachsen-Gotha 1641—1645.
Von
Fr. Waas, Pfarrer in Waldraichelbach (Odenwald).
Die Generalvisitation, die Herzog Ernst der Fromme
sofort nach seinem Regierungsantritt in den Kirchen und
Schulen seines Herzogtums gehalten hat, verdient nach zwei
Seiten hin unser lebhaftes Interesse. Zunächst ist es für uns
von großer Wichtigkeit, genauere Aufschlüsse über das erste
größere Unternehmen dieses bedeutenden Mannes nach An-
tritt seiner Regierung zu erhalten. Durch die Arbeiten von
W. B ö h n e 1) sind in neuerer Zeit die pädagogischen Be-
strebungen des Herzogs, seine Bemühungen um die Erziehung
und Bildung der Kinder sowohl wie der erwachsenen Unter-
tanen, sowie seine Verdienste um das Gymnasium zu Gotha
und die Universität zu Jena auf Grund eingehender archi-
valischer Studien genauer erforscht worden. Über die Ge-
neralvisitation jedoch, die allen diesen Bemühungen voran-
ging und die die Grundlage für alle seine weiteren Reformen
bildete, haben wir in der seitherigen Literatur nur gelegent-
liche Notizen. Es ist bis jetzt weder ihr näherer Verlauf
erforscht, noch sind ihre Ergebnisse verwertet. Und doch
steht diese Visitation im engsten Zusammenhang gerade
mit den wichtigsten Einrichtungen des Herzogs, sie fällt in
seine fruchtbarste Zeit ; das Informationswerk von 1642 ist
1) Das Informationswerk Herzog Ernst des Frommen, Disser-
tation, Leipzig 1885. — Die pädagogischen Bestrebungen Ernst des
Frommen von Gotha, Gotha 1888.
6*
84 Die Generalvisitation Ernsts des Frommen
als eine direkte Folge des Ergebnisses der Visitation zu
bezeichnen, und der Schulmethodus aus demselben Jahr
(zuerst unter dem Titel „I. Special-Bericht" erschienen)
läßt ebenfalls den Zusammenhang mit der Visitation deut-
lich erkennen. Sie hatte die Aufgabe, den Zustand der
Kirchen und Schulen des Landes zu erforschen, damit man
daraus ersehen könne, wo die Reformarbeit des Herzogs
einzusetzen habe. Sie hat die Schäden aufgedeckt, die es
zu bessern galt; sie hat die Ansätze gezeigt, bei denen
Ernst anknüpfen konnte, und die Grrundlagen, auf denen er
nachher weiterbaute. Dabei zeigen uns die verschiedenen
Ausschreiben, Instruktionen und Fragepunkte, die gelegent-
lich der Visitation veröffentlicht wurden, sowie die sonstigen
Nachrichten über die Vorbereitung und den Verlauf der-
selben schon ganz deutlich, worauf das Interesse des Herzogs
hinausging, und bieten uns dadurch eine wertvolle Ergänzung
seines Charakterbildes. Sie zeigen uns Ernst als einen
Fürsten, der in den schrecklichen Zeiten des dreißigjährigen
Krieges in patriarchalischer Weise für sein Volk sorgte,
der sich um jede Einzelheit in seinen Gemeinden be-
kümmerte und überall, wo es nur in seiner Macht stand,
helfend und bessernd eingriff. Wir lernen ihn kennen als
einen Mann , der unter der Herrschaft der strengsten
Orthodoxie doch davon durchdrungen war, daß es letztlich
nicht auf die Lehre, sondern auf das Leben ankomme, der
gegenüber den oft so kleinlichen theologischen Streitig-
keiten seiner Zeit auf den einen Hauptartikel, die Recht-
fertigung aus dem Glauben, hinwies, und der sich bei
seinen katechetischen Bestrebungen nicht damit begnügte,
wenn die Leute sich die Katechismuswahrheiten mechanisch
aneigneten , sondern der auf ein lebendiges Verständnis
derselben und auf ihre Anwendung im Leben drang. Er
verstand es, die rechten Männer an den rechten Platz zu
stellen und alle, die ihm geistesverwandt waren und in
seine Dienste traten, auch dauernd an sich zu fesseln ; er
stand in Beziehung mit allen praktisch gerichteten Theo-
im Herzogtum Sachsen-Gotha 1641 — 1645. 85
logen seiner Zeit, während ihm von Seiten der einseitigen
Orthodoxie die heftigsten Vorwürfe entgegengebracht wurden,
und wir sagen wohl nicht zu viel, wenn wir ihm unter der
Reihe der Männer, die im 17. Jahrhundert das praktische
Christentum hochhielten und dadurch den Pietismus vorbe-
reiten halfen, eine der ersten Stellen einräumen. Gerade
die Greschichte der Vorbereitung und Durchführung der
Generalvisitation von 1641 — 1645 wirft auf diese Seite
seines Bildes ein deutliches Licht.
Doch auch abgesehen von der Person des Herzogs
sind die gothaischen Visitationsprotokolle von 1641 ff. für
uns von der größten Wichtigkeit. Bei der ungeheuren
Gründlichkeit und Genauigkeit, mit der die Visitation
durchgeführt wurde, bieten uns die Protokolle ein bis in
die kleinsten Einzelheiten gehendes Bild der kulturellen,
sittlichen und religiösen Verhältnisse der Gemeinden zu
jener Zeit. Wir erhalten durch sie Aufschlüsse über die
Seelenzahl der einzelnen Dörfer, über den Beruf, die Schul-
bildung und die Familienverhältnisse jedes einzelnen Ge-
meindegliedes ; wir lesen hier Urteile über die Kenntnisse
im Katechismus bei alt und jung, über den Besuch des
Gottesdienstes und die Teilnahme am Abendmahl. Wir dürfen
hineinschauen in die Sitten und Gewohnheiten in Stadt und
Land, die sittlichen Verhältnisse werden mit der größten
Ausführlichkeit behandelt, wir erfahren manches über die
Stellung der Gemeinden zu den adligen Gerichtsherren und
zur Obrigkeit, sowie zu Pfarrer und Schulmeister; die
Wirkungen des Krieges auf die einzelnen Gemeinden lassen
sich aus den Protokollen deutlich erkennen. Wir erhalten
Nachrichten über die Pfarrer, ihren Bildungsgang, ihre
soziale Lage, ihr Einkommen, ihre Familienverhältnisse und
ihren Lebenswandel. Alle die einzelnen gottesdienstlichen
Funktionen des Pfarrers werden aufs eingehendste in den
Protokollen besprochen. Die allgemeine Kulturgeschichte,
die Volkskunde, die Geschichte des Pfarrstandes, des
Gottesdienstes und des Schulwesens können hier wichtiges
86 Die Generalvisitation Ernsts des Frommen
Material finden. Seit man angefangen hat, die Visitations-
akten namentlich aus der Reformationszeit zu studieren i),
ist unsere Kenntnis der Entwickelung der evangelischen
Kirche im 16. und 17. Jahrhundert entschieden erweitert
worden. Aber es ist hier noch außerordentlich viel unbe-
arbeitetes Material vorhanden, und unsere Kenntnis dieser
Zeiten hat noch sehr viele Lücken. So haben wir über
das Herzogtum Gotha aus der Zeit des dreißigjährigen
Krieges nur sehr wenig zuverlässige Nachrichten. Die Zu-
stände, die Herzog Ernst bei seinem Regierungsantritt in
seinem Herzogtum vorfand, werden meist auf Grund einiger
allgemeiner Notizen grau in grau gemalt, um nachher die
reformatorische Tätigkeit des Herzogs in um so hellerem
Lichte erscheinen zu lassen. Erst ein genaues Studium der
Akten ermöglicht es uns, nachzuprüfen, inwieweit z. B. die
allgemeinen Angaben Böhnes^j und Becks 3) über den
traurigen Zustand des Landes auf Wahrheit beruhen. Vor
allem aber lassen diese allgemeinen Angaben durchaus
nicht erkennen, wie vieles sich tatsächlich durch den Krieg
hindurch erhalten hat, was alles dem verheerenden Einfluß
des Krieges hat Trotz bieten können. Erst wenn wir den
Visitationsbefund genau kennen gelernt haben, können wir
beurteilen, inwieweit Herzog Ernst mit seinen Reformen
etwas völlig Neues gebracht, inwieweit er dagegen nur das
Alte, Bestehende erhalten und vor dem Verfall geschützt hat.
Von den beiden so sich ergebenden Aufgaben, der
Untersuchung des historischen Verlaufs der Visitation und
der Verwertung ihres Befundes, will ich zunächst nur die
erste zu lösen versuchen. Die Akten gestatten uns aller-
1) Vergl. für Sachsen besonders: C. A. H. Burkhard, Ge-
schichte der sächsischen Kirchen- und Schulvisitationen 1524 — 1545,
Leipzig 1879 ; W. Schmidt, Die Kirchen- und Schulvisitation
im sächsischen Kurkreis von 1555, Haue 1906; B erbig, Joh. Ger-
hards Visitationswerk in Thüringen und Franken 1613, Gotha 1896.
Außerdem Hering, Nik. Müller, Kayser und viele andere.
2) Die pädagogischen Bestrebungen, S. 28 f., 105 f.
3) Geschichte des gothaischen Landes, I, S. 332.
im Herzogtum Sachsen-Gotha 1641—1645. 87
dings nicht, hier in jeder Beziehung völlig klar zu sehen; wir
sind, namentlich was die Vorgeschichte der Visitation und
ihre Beziehungen zu den Visitationen in Weimar und Eise-
nach angeht, vielfach auf Vermutungen und Kombinationen
angewiesen. Trotzdem erhalten wir ein im wesentlichen
deutliches Bild, wenn auch nicht ausgeschlossen ist, daß
sich noch Akten finden, aus denen sich Ergänzungen oder
Korrekturen des von mir dargestellten Verlaufs ergeben.
Die Verwertung des Visitationsbefundes muß einer späteren
Bearbeitung vorbehalten bleiben.
I, Die Vorgeschichte der Visitation bis zur Landes-
teilung 1640.
1. Die DeUberation des Jahres 1636 und die Schrift über
die „Mängel, Ursachen und Eemedia".
Der Plan, eine allgemeine Visitation der Kirchen und
Schulen größeren Maßstabes in den sächsisch-ernestinischen
Landen zu unternehmen und auf Grund der Ergebnisse
dieser Visitation eine durchgreifende Reform ins Werk zu
setzen, datiert schon aus den Jahren vor dem Regierungs-
antritt des Herzogs Ernst. Die ersten Schriftstücke, in
denen uns dieser Plan deutlich entgegentritt, stammen aus
der Zeit, da die späteren Herzogtümer Weimar, Eisenach
und Gotha noch von den drei Brüdern Wilhelm, Albrecht
und Ernst, Herzögen zu Sachsen, gemeinsam regiert wurden,
nämlich aus dem Jahr 1636. Nachdem Herzog Ernst, der
jüngste unter den drei genannten Brüdern, in den Jahren
1633 und 1634 für seinen Bruder Bernhard von Weimar
das von diesem eroberte Bistum Würzburg verwaltet hatte,
wandte er sich nach der Rückkehr des Fürstbischofs Franz
von Hatzfeld nach Würzburg (Dezember 1634) wieder nach
Weimar zurück, um dort gemeinsam mit seinen Brüdern
die Verwaltung der väterlichen Lande zu übernehmen. Er
war die treibende Kraft bei dem bald darauf auftauchenden
83 Die Generalvisitation Ernste des Frommen
Plan, den Zustand des Landes durch eine bis ins einzelne
gehende Visitation aufs gründlichste zu erforschen und allen
sich ergebenden Mängeln nach Möglichkeit abzuhelfen.
Bereits im Jahr 1635 hatte Ernst versucht, auch in
Sachsen eine Einrichtung durchzuführen, deren Zweckmäßig-
keit er schon in Würzburg erprobt hatte. Er beantragte,
daß außer der General-Superintendentur Weimar und der
Spezial-Superintendentur Königsberg noch vier weitere
Spezial-Superintendenturen errichtet würden i). Die neu zu
ernennenden Spezial-Superintendenten sollten
1) immer Sonntags herumziehen und die Prediger un-
vermerkterweise hören, ob sie auch auf ihre Predigt studiert
hätten,
2) auf die Studien der Dorfpfarrer Achtung geben,
sie examinieren und wöchentliche Exercitia mit ihnen halten,
3) ihren Lebenswandel beaufsichtigen,
4) täglich in die Schulen kommen, sich hinsetzen und
anhören, ob die Schulmeister dem vorgeschriebenen Methode
nach auch in allen Stücken recht instruieren,
5) die Zankhändel unter den Zuhörern, wie auch
zwischen Pfarrer oder Schulmeister und den Zuhörern in
Verhör ziehen und so viel immer möglich vertragen,
6) die Kirchenrechnungen überwachen und
7) auf die Gebäude, die Pfarr- und Kirchengüter eine
genaue Aufsicht haben.
Dieser Vorschlag des Herzogs fand jedoch den heftigsten
Widerspruch von Seiten des Weimarischen Generalsuper-
intendenten M. J o h. K r 0 m a y e r. In einem Schreiben vom
2. Januar 1636 führt er eine ganze Unmenge von Gründen
an, warum diese Einrichtung unter keinen Umständen ins
Werk gesetzt werden dürfe 2). Er sagt hier unter anderem :
es werde an der nötigen Besoldung fehlen ; es würden sich
zu solchen Spezialsuperintendenten nicht wohl tüchtige Leute
1) Herzogl. Haus- und Staatsarchiv zu Gotha, XX 5, 1, No. 1.
2) Was Beck, Ernst der Fromme, Bd. I, S. 505, von diesem
Schreiben angibt, ist unrichtig.
im Herzogtum Sachsen-Gotha 1641 — 1645. 89
finden lassen; als man vor hundert Jahren die kirchlichen
Verhältnisse in Sachsen ordnete, habe man diese Einrichtung
nicht für nötig befunden, er wolle deshalb nicht die Ver-
antwortung dafür tragen, wenn jetzt zu seiner Zeit und auf
seinen Rat hin eine solche Änderung vorgenommen würde.
Vor allem aber fürchtet er, daß „durch Anordnung der
neuen Specialsuperintendenten die Weimarische Superinten-
dentur, die sonst allezeit in hohem Ansehen ist gehalten
worden, würde auf Stücken zerrissen werden. Denn die
Weimarische Superintendenz begreifet nicht nur das Ge-
neralat in sich . . . , sondern sie ist auch ein Specialwerk
und hat unter sich, ohne Mittel, in die 92 Pfarren und bei
134 Schulen. . . . Wenn nun diese Kirchen und Schulen
alle sollten in Specialsuperintendenzen eingeteilt werden,
so behielte ein Superintendent zu Weimar nichts davon als
den bloßen Schatten des Generalats." Wenn man aber ein-
wende, fährt Kromayer fort, „ein Generalsuperintendeut
zu Weimar könne die Kirchen und Schulen im Lande nicht
alle versorgen, so ist gleichwohl zu ermessen, daß man von
hundert Jahren her von meinen hochansehnlichen Vorfahren
in diesem Amt niemals so viel gefordert, auch niemals
sonderliche Klagen derhalben über sie gehabt hat, daß sie
nicht eben alle Sonntage im Fürstentum herumgefahren und
auf die Institution Achtung gegeben haben".
Der Widerspruch Kromayers gegen den Vorschlag
Ernsts zeigt uns aufs deutlichste, wie unbequem die Reform-
bestrebungen des Herzogs ihm und vielen seiner Zeit-
genossen waren. Es stoßen hier zum erstenmal die zwei
Strömungen aufeinander, die uns im Lauf der Zeit immer
wieder begegnen werden. Auf der einen Seite standen
Ernst und seine Ratgeber. Sie empfanden aufs deutlichste
den Unterschied, der zwischen dem Ideal, das ihnen vor-
schwebte, und den tatsächlichen Verhältnissen bestand, sie
übten deshalb scharfe Kritik und waren erfüllt von dem
glühenden Wunsch, eine Besserung der Zustände herbei-
zuführen. Auf der anderen Seite standen Kromayer und
90 i^ie Generalvisitation Ernsts des Frommen
seine Freunde, die Vertreter des Alten, die mit dem gegen-
wärtigen Zustand der Kirche zufrieden waren und in ihrer
Ruhe und Bequemlichkeit nicht gestört sein wollten.
Freilich früher, in seiner Jugend, da war auch Kro-
mayer ein begeisterter Anhänger des Fortschritts gewesen.
Da war er eifrig für Reformen, namentlich auf dem Gre-
biete des Schulwesens, eingetreten. Aber jetzt war er alt
geworden. Der 60-jährige Mann konnte sich nicht mehr in
die Gedankengänge des 35-jährigen Fürsten hineinversetzen.
Infolge der vielen Mißerfolge und Kämpfe seines Lebens
war sein Eifer erlahmt. Er blieb jetzt starr auf dem ein-
mal für richtig erkannten Standpunkt stehen und setzte
allen Reformbestrebungen, die von anderer Seite unter-
nommen wurden, heftigen Widerstand entgegen, zumal da
er eine Zurücksetzung seiner Person durch die Günstlinge
Ernsts befürchtete.
Vorläufig trug Kromayer allerdings den Sieg davon.
Auf sein Gutachten hin unterblieb die Einsetzung von
SpezialSuperintendenten. Doch ruhte Ernst nicht; er suchte
vielmehr seinen Einfluß jetzt in anderer Weise für Hebung
und Besserung der kirchlichen Zustände einzusetzen. Die
Gelegenheit dazu sollte sich bald bieten. Im Januar 1636
fand in Jena ein Landtag statt, auf dem laute Klage über
den traurigen Zustand der Kirchen und Schulen erhoben
wurde. Herzog Wilhelm versprach im Landtagsabschied
vom 1. Februar Abhilfe und beauftragte eine Kommission,
zu der auch Kromayer gehörte, mit der Untersuchung der
Schäden. Die Sache wurde aber nur mit halber Kraft be-
trieben, solange Kromayer an der Spitze stand ^). Da griff
Ernst ein. Er nahm das Werk der Verbesserung des Kirchen-
und Schulwesens selbst in die Hand und berief zu seinen
Gehilfen den Kirchen- und Schulrat Sigismund Evenius
zu Weimar und den Pfarrer Christoph Brunchorst
1) Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und
Altertumskunde, N. F., X (1897), S. 423.
im Herzogtum Sachsen-Gotha 1641 — 1645. 91
zu Frankendorf. Beide waren schon vorher mit ihm be-
kannt und ihre Tüchtigkeit von ihm erprobt worden. Bereits
im Jahre 1634 hatte Ernst während seines Aufenthalts in
Würzburg den ersteren, der sich damals in Regensburg
aufhielt, zusammen mit dem Superintendenten Balthasar
Walther aus Würzburg nach Jena geschickt, damit diese
beiden mit den Professoren der theologischen Fakultät
wegen des Religionsunterrichts, mit denen der philosophischen
wegen des sprachlichen Unterrichts berieten. Evenius
leitete sodann die Verbesserung des Kirchen- und Schul-
wesens im Herzogtum Franken und wurde bald darauf von
Ernst als Kirchen- und Schulrat nach Weimar berufen i).
Er hatte sich die Lehrmethode des Ratichius angeeignet
und erstrebte eine Reform der Schulen nach dessen Grund-
sätzen. Seine Schriften sind meist pädagogischen Inhalts,
so das 1630 herausgegebene „Christianarum scholarum
unicum necessarium". Mit religiös-kirchlichen Fragen be-
schäftigt sich die 1634 erschienene Schrift: „M. Sigismundi
Evenii Rectoris Ratisb. Bescheidentliche Erörterung der
jetzigen Zeit sehr nötigen vnd wichtigen Frage: Wie vnnd
durch wem der Christlichen an allen Orthen höchst be-
drengten vnd zerrütteten Kirchen gründlich zu rathen vnd
zu helffen / damit sie zur erwünschten Leiblichen vnd Geist-
lichen Ruhe / Wolstand vnd Seeligkeit verbracht werde? ....
Gedruckt vnd verlegt zu Nürnberg / bey Wolffgang Endtern /
Anno 1634" 2). In dieser Schrift, die auch den Titel
„Missive oder Sendschreiben" trägt, übt Evenius eine scharfe
Kritik sowohl an der herkömmlichen Praxis des geistlichen
1) Beck, Ernst der Fromme, I, S. 498, 5031; Bohne, Päda-
gogische Bestrebungen, S. 8, 22 f. ; Herzog Ernsts Spezialbericht,
herausg. von Joh. Müller, S. 124 f. Vergl. auch Tholuck, Lebens-
zeugen der lutherischen Kirche aus der Zeit vor und während des
30-jährigen Krieges (Berlin 1859), S. 68 ff., 406 ff.
2) Herzogl. Bibliothek zu Gotha. Theol. 4". p. 338. Vergl.
Bohne, a. a. O. S. 31 f. Tholuck, Lebenszeugen der lutherischen
Kirche, S. 68 f., 411 f.
92 Die Generalvisitation Ernsts des Frommen
Amtes wie auch an dem, was man im Volk im allgemeinen
unter Frömmigkeit zu verstehen pflegte. Die Leute sind,
so führt er aus, mit der äußerlichen Erfüllung der not-
wendigsten kirchlichen Pflichten zufrieden, sie gehen zum
Gottesdienst und zur Beichte; daneben aber richten sie
„alle Sinne und Gredanken, allen Meiß und Arbeit des
ganzen Tags, ja Tag und Nacht, Wochen und Monat, eines
Jahres nach dem andern einig und allein auf das Zeitliche
und sonderlich den schnöden Mammon" . . Sie meinen, „der
Seelen Andacht und Übung in der Gottseligkeit lasse sich
wohl des Tags mit einem halb- oder drei viertelstündigen
Papageiengebet morgens, mittags und abends abspeisen . .
Das Übrige könne in der Todesnot mit einem gläubigen
Seufzen zu Gott verrichtet werden." Die Pfarrer dringen
ebenfalls auf keine entschiedene Betätigung des Christen-
tums bei ihren Zuhörern, sie begnügen sich damit, wenn
diese nur regelmäßig zur Beichte kommen und bei dieser
Gelegenheit eine unverstandene, auswendig gelernte Beicht-
formel hersagen, auf den Zustand ihres Herzens achten sie
nicht. Sie sind mit einer äußerlichen Aneignung der Kate-
chismus Worte zufrieden, wenn auch das Verständnis völlig
fehlt. Dem gegenüber betont Evenius, „daß die bloßen Worte
des Catechismi, wie sie nach der Larve hergeplappert werden,
keine Christen machen, sondern es muß derselben heilsamer
Verstand und seliger Gebrauch dazukommen, weil man
zu Gott nicht nur mit den Lippen allein nahen müsse,
sondern mit gläubigem Herzen". Das Interesse der Schrift
ist also ein durchaus praktisches; immer wieder wird
darauf hingewiesen, daß es auf „die rechte Weise, die Gott-
seligkeit und den Glauben zu üben", ankomme. Das Wort
Gottes soll „nicht allein gehört, sondern auch bewahrt werden
in einem feinen guten Herzen, damit es Prucht bringe in Ge-
duld". Zur Erreichung dieses Zieles aber sollen außer der
Predigt, der sonstigen Verkündigung des Wortes und dem
Schulunterricht vor allem private, durch den Pfarrer anzu-
stellende Katechismus-Informationen dienen, damit
im Herzogtum Sachsen-Gotha 1641—1645. 93
durch sie „der einfältige, unberichtete oder übel informierte
Zuhörer . . . von seinen gefährlichen und schädlichen Ein-
bildungen ab- und zur wahren Erkenntnis und Glaubens-
übung und dann zu einem geistlichen Leben durch Gottes
Gnade gebracht werde".
Diese Schrift des Evenius entspricht in ihren Grund-
gedanken durchaus den Anschauungen und Bestrebungen
des Herzogs. Sein Informationswerk von 1642 bedeutet
den Versuch, dasselbe Ziel, das Evenius vorschwebte, auf
ganz ähnliche Weise zu erreichen. Beiden kommt es auf
eine Besserung des Lebens, der Frömmigkeit und der
Sittlichkeit, an, und beide versuchen dieses Ziel zu er-
reichen in erster Linie durch Einprägung der christlichen
Wahrheiten , durch Belehrung. Evenius hatte seine
Schrift veröffentlicht, bevor er in die Dienste des Herzogs
trat; und es ist nicht unwahrscheinlich, daß Ernst, wie
Gelbke annimmt, durch sie veranlaßt wurde, ihn an seinen
Hof zu ziehen 1).
Ungefähr gleichzeitig mit Evenius war auch Brunchorst,
der spätere Hofprediger Ernsts, nach Weimar gekommen.
Von 1631 an war er Inspektor der Kirchen und Schulen
des Eichsfeldes gewesen, nach dem Prager Frieden (1635)
kam er nach Weimar und wurde bald darauf Pfarrer zu
Frankendorf und Hohlstedt 2). Von dieser Zeit an arbeitete
er mit Evenius zusammen an der Reform des Kirchen- und
Schulwesens. Das Resultat dieser gemeinsamen Arbeit war
zunächst die Herausgabe der Bilder- und der Katechis-
mus-Schule. Beide Schriften erschienen im Jahre 1636,
die erste in Jena, die zweite in Erfurt. Die Vorreden dazu
sind beide datiert Weimar, den 9. Oktober 1635; sie sind
1) Tholuck, a. a. O. S. 410, hält dies für unmöglich, da die
genannte Schrift erst 1637 erschienen sei. Das ist jedoch ein Irr-
tum. In der herzoglichen BibMothek zu Gotha findet sich der
Originaldruck von 1634. Vgl. Bohne, a. a. O. S. 31 ; Gelbke, Ernst
der Fromme, II, S. 254.
2) Beck, a. a. O. II, S. 10; Gelbke, a. a. O. II, S. 245.
94 Die Generalvisitation Ernsts des Frommen
nach Beck beide von Evenius verfaßt i). Sowohl die Bilder-
wie die Katechismusschule ist zum Unterricht der Kinder
in Haus, Schule und Kirche bestimmt. Beide sollen ihnen
die Wahrheiten der christlichen Religion in einfacher, ge-
fälliger Weise nahebringen. Zur Förderung des Bibel-
studiums begannen Evenius und Brunchorst außerdem zu
derselben Zeit, die Herausgabe einer neuen Bibel mit er-
klärenden Anmerkungen vorzubereiten. Bereits im Jahre
1635 hatte Ernst die beiden veranlaßt, den Plan zu einer
solchen Bibel, die die nötigen Anmerkungen enthalten sollte,
um von allen Christen gelesen, leicht verstanden und richtig
gebraucht werden zu können, zu entwerfen. Eine ganze
Reihe der bedeutendsten Theologen wurden nun mit der
Ausarbeitung der einzelnen biblischen Bücher beauftragt.
Die Oberleitung lag in der Hand von Johann Gerhard in
Jena, nach seinem Tode (1637) wurde sie Salomon Glass
übertragen. Ihre Herstellung nahm naturgemäß mehrere
Jahre in Anspruch, erst 1640 lag sie vollständig gedruckt
vor 2),
Hand in Hand mit diesen verschiedenen Arbeiten ging
auch die Vorbereitung zu einer allgemeinen Kirchen-
visitation. Ernst erklärte sich bereit, dem Konsistorium
in dieser Hinsicht bestimmte Vorschläge zu unterbreiten;
auf seine Veranlassung hin verfaßten Brunchorst und Evenius
eine Denkschrift über „die eingerissenen Mängel, deren
Ursachen und Remedia", die der Beratung des Konsistoriums
zur Grundlage dienen sollte. Unter Hinweis auf diese Schrift
berief Herzog Wilhelm sodann die Mitglieder des geist-
lichen Konsistoriums zu Weimar zu einer Deliberation über
1) Job. Müller (Ausg. des I. Spezialberichts), S. 119, bezweifelt,
daß Evenius der Verfasser der Katechismus- und Bilderschule sei,
doch mit Unrecht. Vgl. Bohne, S. 11; Brückner, Goth. Kat.-Hist.,
S. 47—50; Eudolphi, Goth. dipl. pract. I, S. 166, § 7, sowie Joh.
Müller, S. 125.
2) Näheres über die „Ernestinische Bibel" siehe Beck, a. a. O.
I, S. 660 ff.
im Herzogtum Sachsen-Gotha 1641 — 1645. 95
die Erage, „wie mit kräftigem Nachdruck in Kirchen und
Schulen gute Ordnung und Disciplin anzustellen und da-
durch obberührtem Landtagsabschied (vom 1. Februar 1636)
in diesem Passu genug zu tun" sei i). Er forderte die
Konsistorialen auf, sich vorher über diese Sache zu unter-
richten und nötigenfalls sich entweder bei Herzog Ernst
selbst oder bei Evenius, der „sonder Zweifel gute Wissen-
schaft darum hat", die erforderlichen Aufschlüsse zu holen.
Die Beratungen selbst, deren Anfang zuerst auf den 10. bis
12. September festgesetzt war, fanden darauf am 16. — 27.
September 1636 statt. Es nahmen an ihnen außer den drei
Herzögen Wilhelm, Albrecht und Ernst noch folgende Per-
sonen teil : Generalsuperintendent Kromayer, Georg Franzke,
Weimarischer Rat, später Kanzler und Präsident des Kon-
sistoriums zu Gotha, Friedrich Hortleder, Geheimrat in
Weimar, Samuel v. Goechhausen, Kanzler, Hieronymus Prae-
torius, Hofprediger bei Herzog Wilhelm, Dr. Braun, Hof-
und Kirchenrat, M. Salomon Brandes, Archidiakonus, Dr.
Hieronymus Brückner, Rat in Weimar, sowie Brunchorst
und Evenius. Gleich am ersten Tage wurde die Schrift
über die „Mängel, Ursachen und Remedia" verlesen, am
zweiten wurden einige „Dubia und Bedenken" dagegen
vorgebracht und endlich in verschiedenen Sitzungen über
die zu ergreifenden Maßregeln im allgemeinen und über die
Visitation im besonderen beraten. Herzog Ernst selbst
nahm an den beiden ersten Sitzungen nicht teil, da er Be-
denken trug, bei der Verlesung der auf seine Veranlassung
und Verantwortung verfaßten Schrift zugegen zu sein.
Die Schrift über die „Mängel, Ursachen und Remedia",
die uns hier am meisten interessiert, ist, soviel ich bis jetzt
in Erfahrung bringen konnte, leider nicht erhalten. Weder
in Gotha noch in Weimar war sie aufzutreiben. Doch
geben uns die Protokolle über die Deliberation einige An-
1) Herzogl. Haus- u. Staatsarchiv zu Gotha, XX 5, 1, No. 3.
Schreiben vom 19. August 1636.
96 Die Generalvisitation Ernsts des Frommen
haltspunkte, denn wir haben hier einen sehr ausführlichen
Auszug aus den Abschnitten über die „Ursachen der ein-
gerissenen Mängel" und die „Remedia". Als Mängel,
denen abgeholfen werden muß, kommen in erster Linie das
gottlose Leben, die Heuchelei und Bosheit, sowie die mannig-
fachen sonstigen Sünden und Laster in Betracht. Die
Schrift muß ein langes Verzeichnis all der Sünden enthalten
haben, die im Volk im Schwange gehen. Diese sittliche
Verkommenheit, die das Haupt- und Grundübel ist, hängt
aber zusammen mit der Unwissenheit der Leute im Kat-
echismus und ihrem mangelhaftem Verständnis der dort
niedergelegten Heilswahrheiten. Deshalb gilt es, zunächst
die Zuhörer auf Grund der Bibel und des Katechismus
über die rechte Frömmigkeit und Sittlichkeit zu be-
lehren, damit nachher auch eine Besserung des Lebens
eintrete. — Der zweite Teil der Schrift handelt von den
Ursachen sowohl der mangelnden Erkenntnis wie des
gottlosen und lasterhaften Lebens. Es wird hier zuerst
danach gefragt, wie es kommt, daß die Jugend den
Katechismus nicht kennt, versteht und im Leben anwendet,
sodann, wie es kommt, daß die Erwachsenen in dieser Be-
ziehung so viel zu wünschen übrig lassen, ein dritter Ab-
schnitt endlich handelt von den „Ursachen der Heuchelei und
Bosheit". An der Unwissenheit und dem gottlosen Leben
der Kinder tragen Eltern, Lehrer, Pfarrer und Obrigkeit
die Schuld. Die Eltern verstehen selbst nichts vom Kat-
echismus und sorgen nicht für die Unterweisung ihrer Kinder,
die Schulmeister sind lässig im Unterricht, sie lehren nur
die Worte, aber nicht den „Verstand" und „Gebrauch", sie
stellen den Kindern den Zorn Gottes über die Sünde nicht
genügend vor Augen und verführen sie durch ihr böses
Beispiel. Die Pfarrer und Vertreter der Obrigkeit aber
kümmern sich nicht um die Schulen und um die häusliche
Katechismusunterweisung; sie sorgen nicht für die Be-
stellung tüchtiger Lehrer und für eine genügende Be-
soldung. Daß die Erwachsenen so viel Anlaß zu Klagen
im Herzogtum Sachsen-Gotha 1641 — 1645. 97
geben, daran ist vor allem ihre Gleichgültigkeit gegenüber
Kirche, Kinderlehre, Predigt und Katechismusübung schuld.
Sie richten ihre Gedanken auf das Zeitliche und meinen,
es sei gut, wenn sie nur eine „Beichte" auswendig wissen,
die Übung der Gottseligkeit sei nicht von nöten. Die Pfarrer
aber sind nachlässig in der Katechismusübung, sie kümmern
sich nicht darum, ob ihre Zuhörer den Katechismus können,
halten nur selten Kinderlehre und sind zu nachsichtig im
Brautexamen. Ihre Predigten richten sie nicht „ad captum
auditorum", sie halten sich in den Katechismuspredigten
zu lange mit der Erklärung auf und zeigen den „Brauch"
nicht. Sie weisen nicht auf den Kampf des Fleisches und
des Geistes hin, sie „tun nicht rechten Bericht, wie ein
Mensch der Gnade Gottes recht gebrauche und von der-
selben sich müsse züchtigen lassen, und wie die Liebe zum
Nächsten zu erweisen". Sie besuchen die Kranken nicht
ohne Aufforderung, kümmern sich zu wenig um den Lebens-
wandel ihrer Zuhörer, ja sie kennen sie nicht einmal alle
persönlich und geben ihnen ein schlechtes Beispiel durch ihr
eigenes Leben. — Als Ursache der Heuchelei und Bos-
heit wird angegeben, „daß die Leute nicht recht wissen und
verstehen, mit was Aufrichtigkeit und Andacht und nicht nur
dem äußeren Schein nach das Christentum geführt werden
müsse". Sie haben nicht das rechte Bewußtsein von groben
Sünden, sie halten solche für menschliche Schwachheit und
suchen sie aus Gottes Wort zu entschuldigen. Daran sind
aber außer den Hausvätern selbst und den Schulmeistern
vor allem die Pfarrer schuld. Sie zeigen in ihren Pre-
digten nicht deutlich genug, was Heuchelei und was Eifer
im Christentum ist; sie beschreiben die Laster aus Gottes
Wort nicht genug und weisen auf den Untei'schied zwischen
Schwachheiten und solchen groben Sünden, durch die der
Glaube verloren wird, nicht genügend hin. Sie machen
nicht darauf aufmerksam, daß „wahre Erkenntnis nicht in
bloßer Wissenschaft bestehe", sie zeigen den Unterschied
zwischen wahrem und falschem Christentum nicht deutlich
XXVII. 7
98 Die Generalvisitation Ernsts des Frommen
genug. Sie erinnern nicht an die Pflichten eines getauften
Christen, rufen nicht zur Buße, weisen nicht auf den Zorn
Gottes über die Sünde und auf die Gnade, die er dem
reuigen Sünder anbietet, hin. Sie lassen grobe Sünder zum
Abendmahl zu, geben Gottlosen Lob in Leichenpredigten
und sind nachlässig in den Ermahnungen an die Beicht-
kinder. Die Obrigkeit endlich sorgt nicht für die Be-
stellung tüchtiger Prediger und ist nicht streng genug in
der Bestrafung der Sünder. — Am stiefmütterlichsten werden
in der Schrift „von den Mängeln, Ursachen und Remediis",
wenn anders wir unserem Auszug Glauben schenken dürfen,
auffallenderweise die „Re media" behandelt. Es werden
hier nur einige Verfügungen und „Instruktionen" aufgezählt,
die herausgegeben werden sollen, um den verschiedenen in
Betracht kommenden Organen, den Pfarrern, Schulmeistern,
Superintendenten und der weltlichen Obrigkeit, wie auch
den Hausvätern selbst ihre Pflichten vorzuhalten, die Unter-
weisung im Katechismus und die Handhabung der Kirchen-
zucht zu regeln. Von durchgreifenden Maßregeln, wie etwa
von einer allgemeinen Information der Erwachsenen im
Katechismus oder von einer Neueinrichtung des Schul-
wesens, erfahren wir dagegen nichts Genaueres. Man kann
vielleicht annehmen, daß Evenius und Brunchorst vorläufig
mit Absicht und im Sinne des Herzogs noch von solchen
weitausschauenden Reformen geschwiegen haben, weil sie
die Zeit dafür noch nicht für geeignet hielten ; zunächst
kam es darauf an, mit dem Konsistorium über die Visi-
tation und über etwaige kleinere Maßregeln zu beraten i).
Die Verwandtschaft der „Mängel, Ursachen und Re-
media" mit dem „Missive" von 1634 leuchtet sofort ein.
Beide Schriften sind beherrscht von einem durchaus prak-
tischen Interesse, für beide ist es charakteristisch, daß unter
1) Die Protokolle der Verhandlungen, sowie den Auszug aus
der Schrift von den Mängeln etc. siehe im Haus- und Staatsarchiv
zu Gotha, XX 5, 1, No. 4.
im Herzogtum Sachsen -Gotha 1641 — 1645. 99
den Mängeln die falsche Lehre nicht auftritt. Nirgends
wird vor Ketzereien gewarnt, es wird einfach als selbst-
verständlich vorausgesetzt, daß alle Pfarrer der reinen
Lehre zugetan sind. Die intellektualistische Anschauung
von der Religion ist zwar durchaus nicht überwunden, man
hält es für den einzigen gangbaren Weg, durch Wissen
zum seligmachenden Glauben, zur „fiducia", emporzusteigen.
Aber das Interesse bleibt doch nicht bei dem Wissen stehen,
sondern man dringt auf persönliche Frömmigkeit und einen
sittlichen Lebenswandel. Die Hauptaufgabe, die die Kirche
an ihren Gliedern zu leisten hat, ist die, durch Belehrung
über die Wahrheiten des Katechismus, über das Wesen
von Sünde und Gnade, über Buße und Glaube, sowie über
die Früchte des Glaubens zunächst der Unwissenheit und
dann dem gottlosen Lebenswandel des Volkes ein Ende zu
machen. Das Ideal, das den Verfassern der Schrift und
dem Herzog dabei vorschwebt, ist eine Gemeinde, die, gut
geleitet und in Zucht gehalten von der Obrigkeit, dem
Pfarrer und dem Schulmeister, die Lehre des Katechismus
nicht nur den „Worten" und dem „Verstand" nach kennt,
sondern auch richtig zu „gebrauchen", d. h. ihre Glaubens-
erkenntnis in ein frommes sittliches Leben umzusetzen
versteht.
Wie stellte sich nun das Konsistorium zu dieser Schrift?
Es ist wohl selbstverständlich, daß man nicht ohne weiteres
seine völlige Zustimmung erklärte, sondern erst verschiedene
Bedenken und Einwände laut werden ließ. Die mannig-
fachen Bedenken, die im Lauf der Verhandlungen vor-
gebracht wurden, lassen sich im wesentlichen in folgende
Punkte zusammenfassen:
1) Die Laster rühren nicht aus Mangel der Wissen-
schaft oder rechten Verstandes des Katechismus her, sondern
„ex contumacia voluntatis".
2) Die Laster sind nicht so allgemein, wie die Schrift
es darstellt, es sind vielmehr auch fromme Leute vor-
handen. Die Laster sind auch nichts Neues, auch Propheten
7*
100 -l^ie Generalvisitation Ernsts des Frommen
und Apostel haben darüber geklagt, ebenso Lutlier. Es
habe das Ansehen, als wolle man ein engelreines Leben
einführen, da doch solche Laster, so von verderbter mensch-
licher Natur herrühren, auf dieser Welt wohl nicht ab-
geschafft werden können.
3) Die Leute sind in der Lehre gar nicht so schlecht
informiert; es wird vielmehr nur zu viel von ihnen verlangt,
„als von der heiligen Dreifaltigkeit und dergleichen, so nur
vortreffliche Theologen wissen sollen".
4) Die Remedia, die in der Schrift angeführt sind, be-
ziehen sich meistenteils nur auf die Unwissenheit und den
Unverstand, daraus die Laster kommen sollen. Auch seien
die E-emedia viel zu wenig ausführlich in der Schrift be-
handelt.
Trotz dieser Ausstellungen aber war das Konsistorium
darin einig, daß jedenfalls einmal eine genaue Untersuchung
aller Zustände in Kirchen und Schulen angestellt werden
müsse, und nachdem Herzog Ernst auf die „Dubia und
Bedenken" zufriedenstellende Antwort gegeben hatte, ging
man zur Beratung der praktischen Frage über, wie die
Greneralvisitation ins Werk zu setzen sei. Ernst schlug
dazu vor, vorher solle man bei einer ganzen oder halben
Gemeinde Erkundigungen einziehen , ob die Unwissenheit
wirklich so groß sei, und wenn es sich als richtig erwiese,
„sollte von den Deputierten ein gewisses Modell vorge-
schrieben werden, der Unwissenheit in etwas sowohl bei
den Alten als bei den Jungen zu steuern". Auch die Mit-
glieder des Konsistoriums waren der Ansicht, daß die
Visitation „ohne Praeparatoria nicht geschehen könne".
Besonders Kromayer zeigte sich einer sofortigen Inangriff-
nahme der Visitation wenig geneigt. Er meinte, eine
solche könne bei jetziger Zeit nicht so schleunig ins
Werk gesetzt werden. Die Obrigkeit, Pfarrherren und
Schulmeister sollten zunächst einmal ihre Beschwerungen
aufsetzen und hereinschicken. Dann könnten vielleicht
etliche aus der Gemeinde oder auch die ganze Gemeinde
im Herzogtum Sachsen-Gotha 1641 — 1645. ]01
hereingefordert werden, um die Mängel in der „Pietät" zu
erforschen und abzustellen. Nach längerer Verhandlung
kam man schließlich zu dem Beschluß: weil man zu einer
Generalvisitation vorläufig nicht kommen könne, wolle man
zuerst eine SpezialVisitation halten und bei dieser darauf
achten, daß ihre Ergebnisse später in der Generalvisitation
verwendet würden. Bei der letzteren solle dann aber nicht
allein auf die „Pietät" gesehen, sondern auch alle anderen
Mängel erkundet und abgestellt werden. Es wurde ein
ständiger Ausschuß ernannt, der die Vorbereitungen zu der
Kirchenvisitation treffen sollte; zu Mitgliedern dieses Aus-
schusses bestimmte man Kromayer, Prätorius, Braun und
Hortleder i).
2. Die Opposition Kromayers. Der Vorwurf der Ketzerei
gegen Brunchorst und Evenius.
Der Generalsuperintendent Kromaj^er hatte in der
Deliberation kein Hehl daraus gemacht, daß ihm die Be-
strebungen des Herzogs Ernst ziemlich unsympathisch waren.
Wie er sich dem Plan des Herzogs, durch Bestellung von
SpezialSuperintendenten eine bessere Beaufsichtigung der
Pfarrer und Schulmeister zu ermöglichen, aufs heftigste
entgegengestellt hatte, so war er auch hier einer von denen
die der Schrift des Brunchorst und Evenius Zweifel und
Bedenken entgegenbrachten. Während der Beratung ver-
hielt er sich zwar noch ziemlich zurückhaltend : Wenn
er auch im allgemeinen kein Gegner einer Reform sei, so
halte er doch die Beurteilung der Zustände, die in den
„Mängeln, Ursachen und Remediis" ausgesprochen war, für
völlig unzutreffend und übertrieben. Nach der Konferenz
aber trat er mit seiner Feindschaft allmählich immer offener
hervor, und da er gegen den Herzog selbst nichts aus-
richten konnte, wandte sich sein ganzer Zorn gegen Brun-
1) Zeitschrift für Thür. Geschichte u. Altertumskunde, N. F. X,
S. 424.
102 J^iß General Visitation Ernsts des Frommen
cborst und Evenius. Ja er ging so weit, die beiden auf
Grund ihrer verschiedenen Schriften der Ketzerei zu be-
schuldigen i). Den ersten Stein des Anstoßes für ihn bildeten
die Katechismus- und die Bilderschule. Er behauptete,
„man wolle den Katechismus Luthers abschaffen und eine
neue Lehre einführen, die Erklärung des Textes und die
Auslegung Luthers mehr verdunkeln als erklären". Von
der Bilderschule wurde gesagt, die Bilder stimmten oft mit
der Lehre nicht überein ; so sei darin ein Bild von zwei
Stühlen vorhanden, „dadurch man Christo nach der Mensch-
heit eine andere Majestät als des Vaters auf gut calvinisch
wolle zulegen, wie solches I. P. G. Herzog Ernsten in
faciem gesagt worden". Vor allem aber waren es die
„Mängel und Ursachen", die die Kritik Kromayers heraus-
forderten. In einer Unzahl von Predigten, in Schriften und
in Privatgesprächen wurde auf diese Schrift gestichelt und
die unglaublichsten Ketzereien darin gefunden. So be-
hauptete Kromayer, es treten in Weimar neue Geister auf,
„die an Mose und den Propheten nicht genug haben, sondern
wollen eine neue Lehre einführen ; sie verdammen ganz
Weimar, als könne kein Mensch selig werden wegen des
gottlosen Lebens". Sie sagen, unsere ganze Gemeinde be-
stehe aus Hurern, Ehebrechern, Dieben und E-äubern. Sie
rühmen und dringen beständig auf gute Werke, während
doch der Glaube vor Gott erhöhe. Sie rufen immer : Buße,
Buße, Buße, und wissen selbst nicht, was wahre Buße ist.
Sie mengen iustificationem und renovationem ineinander,
sie „treiben Reu und machen Gehorsam, über den Glauben
aber wischen sie hin; sie verdammen treue Lehrer und
1) Beck, I, S. 551 — 554 berichtet auf Grund derselben Akten
ebenfalls über diese Beschuldigungen Kromayers. Da bei ihm aber
der Zusammenhang mit den „Mängeln und Ursachen" und mit dem
Visitationswerk gar nicht hervortritt, bringe ich die Sache hier noch-
mals ausführlicher. — Bohne, S. 59 verwechselt die Vorwürfe, die
hier 1636 gegen ßrunchorst und Evenius erhoben w^erden, mit späteren
Beschuldigungen. — Vgl. Goth. dipl., I, S. 64.
im Herzogtum Sachsen-Gotha 1641 — 1645. X03
Prediger, weil sie den Glauben so heftig treiben". Be-
ständig klagen sie über Laster und Mängel, von falscher
Lehre aber sagen sie nichts. Und doch sind, nicht die
äußerlichen Laster die Ursachen der jetzigen Landstrafen,
sondern vornehmlich die falsche Lehre, der Majorismus,
Anabaptismus und Schwenkfeldismus. Die Kirche ist nun
einmal nicht engelrein, Mängel und Defekte werden bleiben,
solange die Welt steht. Deshalb hat es keinen Zweck,
darüber große Klagen anzustellen; es ist verkehrt, „die
Verstorbenen liederlich zu verdammen. Die Leichenpredigten,
darinnen man der Leute löblich gedenkt, sind nicht er-
logen". Es ist unnütz, die Kinder und das Gesinde mit
Beten und Lesen zu martern und zu quälen, zumal am
Sonntag, der doch ein Ruhetag ist. Das ganze Gebaren
der ..neuen Geister" zeigt eine große Scheinheiligkeit; da-
hinter aber verbergen sich die schlimmsten Irrtümer und
Ketzereien, als Interimistische, Majoristische, Schwenk-
feldische, enthusiastische, Photinianische, halb papistische,
Weigelianische und wiedertäuferische. In ihrer Schein-
heiligkeit lassen sie es sich zum höchsten angelegen sein,
ihre Ketzereien durch das Verbesserungswerk fortzusetzen.
Sie verführen den Fürsten dermaßen, daß er nicht mehr
weiß, was er glaubt und tut. Sie hätten sicherlich das
Fürstentum schon längst mit Schwenkfeldischen Irrtümern
angesteckt, wenn er, Kromaj^er, nicht mit seinen Ketzer-
predigten dem gewehrt hätte. Solche Geister muß man
deshalb meiden; sie gehören nicht in das Fürstentum,
sondern müssen vertrieben werden.
Kromayer hütete sich zwar, in seinen Predigten bei
der Polemik irgend einen Namen zu nennen. Aber aus der
ganzen Charakterisierung der Ketzereien ging deutlich
hervor, auf wen seine Angriffe zielten, und in Privatge-
sprächen trug er kein Bedenken, klar und deutlich zu sagen,
wen er unter den „neuen Geistern" meine. So bezeichnete
er Herzog Ernst gegenüber ausdrücklich Evenius und
Brunchorst als die schlimmen Irrlehrer; ja er ging sogar
104 Die Generalvisitation Ernsts des Frommen
so weit, dem Herzog mit Verweigerung der Absolution und
des Abendmahls zu drohen, wenn er die beiden Männer
nicht aus seinem Dienst entließe. Ernst erwiderte darauf,
„auf solche Weise müßten sie viele Theologen, ja ganze
lutherische theologische Fakultäten abschaffen und ver-
werfen, welche alle das billigten und guthießen, was bisher
geschehen". Wenn Kromayer sie aber wirklich irriger
Lehre überführen sollte, wollte er sie keine Stunde länger
bei sich behalten, sondern sie schleunigst aus dem Lande
vertreiben ^).
Wie kam Kromayer zu diesen überaus scharfen An-
griffen gegen Evenius und Brunchorst? Zunächst mögen
es wohl Gründe persönlicher Art gewesen sein, die ihn
in diese Oppositionsstellung drängten. Er befand sich schon
lange Zeit im Dienst des Hofes zu Weimar. Bereits 1613^
war er von der verwitweten Herzogin Dorothea Maria
als Hofprediger dorthin berufen worden, Herzog Wilhelm
hatte ihn darauf 1627 zum Generalsuperintendenten ernannt.
Während dieser ganzen Zeit hatte er einen maßgebenden
Einfluß auf die Gestaltung des Kirchen- und Schulwesens
im Weimarischen ausgeübt. Selbst ein eifriger Anhänger
der Lehrmethode des Ratke, hatte er bereits unter der
Herzogin Dorothea Maria die Weimarischen Schulen nach
dessen Prinzipien reformiert. Er hatte die katechetische
iLrziehung des jungen Herzogs Ernst geleitet. Von seiner
Tätigkeit im Kirchen- und Schulwesen zeugt das 1624 von
ihm herausgegebene „Kirchenbuch für die Pfarrherren im
Fürstentum Weimar", die „Loci communes theologici teutsch"
1) Vgl. Haus- und Staatsarchiv zu Gotha XX 5, 1, No. 5.
„Catalogus oder Verzeichnuss etlicher starcken mutmassungen theils
auch klaren Beweissungen auss dess Herrn Generali Superint. Mag.
Joh. Kromajers predigten, Schrifften vnd fürnehmen, darauss er-
scheinet, dass Er bisshero Christophorum Brunkorsten vnd M. Sigism.
Evenium Irriger Lehren halben nicht allein in Verdacht gehalten,
sondern sie öffentlich vieler Kätzereyen beschuldigt." (Anfang April
1637.)
im Herzogtum Sachsen -Gotha 1641 — 1645. 105
(Weimar 1632) und das von ihm „New zuegericht Evan-
gelien- vnd Epistel-Büchlein" (Weimar 1625) i). Nun drohte
dieser sein Einfluß auf einmal gefährdet zu werden. Herzog
Ernst, sein ehemaliger Schüler, trat auf mit weitausschauen-
den Reformplänen, in denen Kromayer eine Kritik seiner
seitherigen Tätigkeit sehen mußte. Während Wilhelm sich
in allen Angelegenheiten von dem Generalsuperintendenten
beraten ließ, verstand es Ernst, sich von der Bevormundung
durch den allmächtigen Hoftheologen freizumachen. Er berief
unter Umgehung Kromayers Evenius und Brunchorst zu
seinen Ratgebern und war mit allem Eifer bedacht, das „Ver-
besserungswerk" ohne Rücksicht auf die Tätigkeit des im
September 1636 eingesetzten Ausschusses in die Tat umzu-
setzen. Kein Wunder^ daß Kromayer seinen Plänen ab-
lehnend oder doch wenigstens zurückhaltend gegenüberstand !
Indessen genügt dieser persönliche Gegensatz doch nicht,
um seine Oppositionsstellung völlig zu erklären. Vor allem
läßt sich nicht einsehen, wie Kromayer durch solche persön-
lichen Gründe veranlaßt worden sein sollte, den Leuten
gerade Ketzerei vorzuwerfen. Es trat vielmehr zu dem
persönlichen noch ein sachlicher Gegensatz hinzu. Die
Vertreter des Alten und des Neuen stoßen hier aufeinander.
Hier Betonung der objektiven Kirchenlehre, dort der sub-
jektiven Frömmigkeit ; hier ein Hängen am Alten, dort die
weitgehendsten Reformbestrebungen; hier im wesentlichen
Zufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen, dort die
schärfste Kritik; hier der Gedanke, daß es vor allen Dingen
auf die Rechtgläubigkeit ankommt und daß man über sitt-
liche Mängel unter Umständen hinwegsehen kann, wenn
nur die reine Lehre vorhanden ist, dort bei aller orthodox-
intellektualistischen Auffassung des Glaubens doch ein
deutliches Bewußtsein davon, daß der Glaube nicht in bloßer
Anerkennung der Lehre besteht, sondern daß es im letzten
1) Beck, a. a. O. II, S. 40; Bohne, Päd. Bestr., S. 3; Tholuck,
Lebenszeugen, S. 50; Müller, Ernsts d. Fr. Special- vnd sonderbahrer
Bericht, S. 118.
106 I^ie General Visitation Ernsts des Frommen
Grund darauf ankommt, ob er sich auch im Leben wirksam
erweist; hier die alte strenge lutherische Orthodoxie, dort
der kommende Pietismus. Kromayer ahnte instinktiv das
Neue, das in den Bestrebungen des Herzogs lag, und es kam
ihm verdächtig vor. Die reine Lehre schien ihm bedroht,
die Forderung eines reinen Lebens .schien ihm die Gefahr in
sich zu schließen, daß man die Verderbtheit der menschlichen
Natur durch den Sündenfall leugnete. Die Bestrebungen der
verschiedenen Ketzergemeinschaften, eine „Gemeinde der
Heiligen" auf Erden darzustellen, schienen ihm hier wieder-
zukehren. Das Dringen auf Buße und die Forderung eines
sittlichen Lebenswandels erschien ihm als Weigelianische
oder Schwenkfeldische Ketzerei, die Betonung der Werke
als Majorismus oder gar Papismus.
Durch solche öffentliche Verketzerung von Seiten Kro-
mayers waren Evenius und Brunchorst fast von aller Gesell-
schaft ausgeschlossen und der allgemeinen Verachtung preis-
gegeben worden. „Jedermann redete ihnen Böses nach,
man wies mit Fingern auf sie, ihre Häuser wurden wie die
von Aussätzigen und wie Ketzernester gemieden, und von
männiglich als ein Fluch und Scheusal geachtet, und wenn
einer oder der andere, welchem ihre Unschuld zur Genüge
bekannt war, sie in Schutz nahm und den Wunsch aus-
sprach, daß man sie hören möchte, so hob man die Hände
auf und schlug ein Kreuz vor sich, sprechend, davor sollte
sie Gott behüten, daß sie dieselben hören sollten, sie hätten
Mosen und die Propheten" i).
Dieser Zustand war natürlich auf die Dauer unhaltbar.
Ernst drang deshalb bei seinem Bruder Wilhelm darauf,
1) XX 5, 1, No. 8. „Summarischer Bericht vnd warhafftige
Erzehlung dessen, was in, bey vnd wegen des zu AVeimar fürge-
noramenen Verbesserungs Wercks in Kirchen vnd schneien Mitt vnd
zwischen dem Consistorio vnd fürnemblich dem H. General Super-
intendten M. Johan Kromeyern an einem: vnd denen Christoi^hero
Bronkhorsten Pfarrern zu Hohlsted vnd Franckendorff vnd M. Sigis-
mundo Evenio am andern teil biss ahnhero fürgelaufen vnd gehandelt
worden." — Vgl. Beck, I, S. 551.
im Herzogtum Sachsen-Gotha 1641—1645. 107
daß ein Verhör wegen der Sache angestellt werde. Kro-
mayer erklärte daraufhin, er habe zwar die beiden nicht
als Ketzer bezeichnet, sondern in seinen Predigten nur die
Schwenkfeldische Ketzerei im allgemeinen gestraft; es
gingen jetzt Ketzereien in den großen Städten Lübeck,
Hamburg, Lüneburg, sowie in Erfurt vor^), und es sei
Gefahr vorhanden, daß diese auch nach Weimar übergriffen;
dem habe er in seinen Predigten vorbeugen wollen. Da
aber nunmehr tatsächlich Brunchorst und Evenius bei dem
gemeinen Mann in ketzerischem Verdacht wären, solle man
sie auf einige Punkte befragen und ihr Bekenntnis vernehmen.
Würden sie dann richtig in der Lehre befunden, so könne
man ihnen ein testimonium orthodoxias ausstelle.n und sie
dadurch ihrer Ehr und Lehr halben öffentlich restituieren.
Brunchorst und Evenius waren indessen damit durch-
aus nicht einverstanden. Sie hielten ein Verhör über be-
stimmte Punkte für völlig unnötig und beriefen sich dem-
gegenüber auf Gott und ihr Gewissen, auf ihren Eid, den
sie auf die Konkordienformel geschworen und auf ihre
Unterschrift unter diese, auf das Zeugnis der Personen,
in deren Diensten sie gestanden hätten, sowie der theologi-
schen Fakultäten, die sich für das Verbesserungswerk er-
klärt und damit auch ihre Anschauungen und Bestrebungen
gebilligt hätten. Aber ihr Protest nützte nichts, er war
im Gegenteil nur dazu geeignet, den Verdacht der Ketzerei
noch zu erhöhen. Sie mußten sich deshalb in das Verhör
fügen und baten nur um das Zugeständnis, der General-
superintendent möchte während des Verhörs abtreten, und
es möchten ihnen die Verdachtspunkte vorher schriftlich
eingehändigt werden , damit sie — außer der mündlichen
Antwort vor dem Konsistorium — auch eine schriftliche
1) Bei den Ketzereien in Erfurt ist vielleicht an den Gesinnungs-
genossen Einsts Johann Matthäus Meyfart gedacht, der von seinem
Kollegen Zapf (später Hofprediger und Nachfolger Kromayers in
Weimar) viel Anfeindungen zu erleiden hatte. Tholuck, Lebens-
zeugen, S. 74.
108 ßiß Generalvisitation Ernsts des Froramen
Antwort darauf geben könnten. Allein auch dieser Wunsch
wurde nicht gewährt. Die einzige Zusage, die sie er-
langten, war die, daß Kromayer nur als ein „auditor"
und nicht als ein „judex" bei dem Verhör anwesend sein
solle. Allein mit diesem einzigen Zugeständnis gaben sich
die beiden Angeschuldigten noch nicht zufrieden. Da ihnen
die Bitte um schriftliche Zustellung der Anklagepunkte
abgeschlagen worden war, stellten sie jetzt folgende Be-
dingungen :
1) Wenn sie in der Beantwortung etwas Irriges vor-
brächten, sollte man ihnen das alsbald mitteilen, um zu
vernehmen, ob sie solches „praeter meutern" oder „ex
simplicitate" oder „malitiose et pertinaciter" vorgebracht,
ehe man es als ihre eigene Meinung verzeichnen ließe.
2) Wenn sie etwas nicht zur Genüge beantworteten,
sollte man ihnen das ebenfalls anzeigen, um fernere völlige
Erklärung von ihnen zu vernehmen.
3) Wenn die abgelegte Konfession anderen solle zuge-
schickt werden, sollte man sie ihnen zuerst zur Revision
übergeben.
Wir erkennen aus diesen Bedingungen, wie sehr die
beiden fürchteten, das Verhör möchte zu ihren Ungunsten
ausschlagen ; wir sehen zugleich, wie leicht Personen, die
sich doch keiner Abweichung von der reinen Lehre bewußt
waren , durch unbedachte Antworten bei einem solchen
Verhör gebrandmarkt werden konnten. — Die Bedingungen
wurden genehmigt, und nachdem bereits am 23. März und
21. April 1637 vorbereitende Verhöre stattgefunden hatten,
wurde am 28. April mit Brunchorst und Evenius ein pein-
liches Verhör über 24 Punkte angestellt i). Dieses Verhör
f
1) Vgl. XXV, 1, No. 7. Die Punkte lassen sich aus den Akten
nicht entnehmen. Wir haben nur die Antworten, diese sind aber so
kurz, daß sich die Fragen daraus nicht rekonstruieren lassen. — Das
Datum der Verhandlung war vielleicht auch der 26. April. Das
Protokoll trägt das Datum : Mittwoch, den 28. April; der 28. April
1637 war aber ein Freitag.
im Herzogtum Sachsen-Gotha 1641 — 1645. 109
ergab nun die völlige Rechtgläubigkeit der beiden Be-
schuldigten. Die Consistoriales, von denen manche doch
sicherlich darauf lauerten, den beiden irgendeine Ketzerei
nachzuweisen, mußten erklären, daß sie an der Beantwortung
nichts zu tadeln hätten.
Damit sollte man denken, sei die Sache aus der Welt
geschafft gewesen. Aber weit gefehlt ! Die Beschuldigungen
gingen auch nachher ruhig weiter, die verheißene Restitution
und Erklärung ihrer Orthodoxie dagegen blieb aus. Die
Gegner brachten es vielmehr dahin, daß Herzog Wilhelm
ungeachtet des ersten Verhörs die beiden Beschuldigten
nochmals vor das Konsistorium fordern ließ. Er erklärte,
damals habe man „nicht genugsam gefragt und die indicia,
d,ie man haben konnte, nicht genügend an die Hand ge-
bracht". Deshalb sollen Brunchorst und Evenius nochmals
vor dem Konsistorium erscheinen und dort noch einmal
eingehend befragt werden. Allein auch dieses Verhör führte
nicht zum Ziel. Die Streitigkeiten dauerten fort, sie zogen
sich durch das ganze Jahr 1637 bis in den Sommer des
folgenden Jahres hin. Ja, Herzog Ernst wurde selbst in
den Verdacht gebracht, als ob er die Schwenkfeldischen
und Weigelianischen Irrtümer in seinem Lande zu fördern
suche. Brunchorst wurde schwer krank, trotzdem aber
fand der Streit kein Ende. Der böse Verdacht wurde „bei
den Leuten merklich von Tag zu Tage vermehrt, daß man
fast in allen Zechen und Zusammenkünften von ihnen ge-
redet, ja daneben sich auch verlauten lassen, sie neben dem
Pursten zum Lande hinaus zu steinigen".
Da griff Ernst selbst in die Sache ein. Um die end-
liche Entscheidung zu fördern, richtete er am 19. Juli
1638 ein Schreiben an das Konsistorium, in dem er diesem
zu Gemüt führte, was für Händel man seither mit Brun-
chorst und Evenius angestellt habe, wie man sie, obwohl
sie ihr Bekenntnis abgelegt, dennoch verketzert, seinen
fürstlichen Namen damit beschmutzt und das Hauptwerk
der christlichen Verbesserung in ketzerischen Verdacht ge-
110 I^iß Generalvisitation Ernsts des Frommen
bracht habe. Mit scharfen Worten weist er allen Verdacht,
den man gegen seine Person und gegen das Verbesserungs-
werk ausgesprochen hatte, zurück. Er könne mit Gott und
Grund der Wahrheit bezeugen, daß er „mit berührtem Haupt-
werk nichts anderes als die Ehre Gottes und der Kirche
Wohlfahrt gesucht" habe. Er sei dazu bewogen worden
durch das Interesse, das er an dem Lande nehme; denn
er habe gesehen, wie man sich desselben seither „gar
schlecht und wenig durch gesamte ordentliche Tat ange-
nommen" habe. Man könne ihm und seinen beiden ßat-
gebern nicht vorwerfen, daß sie keinen Beruf dazu gehabt
hätten, Kritik an den bestehenden Verhältnissen zu üben
und sich um eine Besserung zu bemühen. Habe doch
Herzog Wilhelm selbst dem Konsistorium anbefohlen, mit
ihm oder mit Evenius über seine Vorschläge zu beraten i).
Deshalb erwarte er bestimmt, daß man jetzt dem ganzen
langwierigen Prozeß ein schleuniges Ende mache. Wenn
das Konsistorium nicht baldige Antwort gebe, so sehe er
sich wider seinen Willen genötigt, zur Erhaltung der Ehre
Gottes und zur Rettung seines guten fürstlichen Namens
„diese ganze Sache mit dem bis daher verspürten Prozeß
ans offene Tageslicht zu bringen" und ohne Rücksicht auf
etwaige Ungelegenheiten, die sich daraus ergeben könnten,
so zu handeln, wie er es vor Gott und der ganzen ehrbaren
Welt und Christenheit verantworten könne.
Dieses Schreiben, das auf ein von dem Herzog selbst
seinem Sekretär in die Feder diktiertes Protokoll zurück-
geht, verfehlte seine Wirkung nicht 2). Bereits am 24. Juli,
1) Vgl. oben S. 95. — XX 5, 1, No. 3. (Schreiben vom 19. Au-
gust 1636.)
2) Wir haben in den Akten (XX 5, 1, No. 12) sowohl die end-
gültige Form des Schreibens wie das Protokoll. Beide sind mit-
einander sehr nahe verwandt, das letztere trägt die Unterschrift:
„Dieses Protokoll ist von meinem Herrn heute mir also in die Feder
dictieret am 12. Juli 1638 in I. F. Gn. Gemach in der Alabaster-
stuben. Daraus ich ein Concept aufgesetzt u. I. F. Gn. zu der
Hand zugestellet." — Vgl. zum Ganzen Beck, I, S. 552 f.
im Herzogtum Sachsen-Gotha 1641 — 1645. m
also nur wenige Tage später, fand eine abermalige Verhand-
lung im Konsistorium statt, und schon am 25. stellte dieses
den beiden Angeschuldigten das verlangte Zeugnis über
ihre Rechtgläubigkeit aus i).
Durch dieses „Attestatum" hatte der Streit sein Ende
erreicht. Brvinchorst und Evenius nahmen die Attestation
mit einem Handschlag an. Es wurde ihnen zwar nicht ge-
stattet, das Zeugnis von der Kanzel zu verlesen, aber es
wurde ihnen freigestellt, „dasselbe zu distrahieren nach
1) Dieses „Attestatum" hat folgenden Wortlaut:
„Wier dess Fürstl. Sachs, geistl. Consistorii alhier zu Weymar
Verordnete praesident vnndt ßeysitzer, hiermit thun kundt vndt
bekennen , daß die würdigen vnd wohl gelahrten , Ehr Christoff
Brunkhorst, Pfarrer zu Franckendorff , Holstedt vndt Kötzschau,
vnndt M. Sigismund Evenius, Irriger Lehr halben in Verdacht
kommen , vnd darauf voua dem Durchleuchtigen , Hochgebornen
Fürsten vnndt Herren, Herrn Wilhelmen, Hertzogen zu Sachssen,
Jülich, Cleve vndt Bergk etc., vnnserm gnedigen Fürsten vnndt
Herrn, Sie im Consistorio zu vernemen verordnet worden, Dahero
wier mit Ihnen aus gewissen uffgesetzten Puncten conferiret,
Wenn Sie sich denn darauf dermaseun erklähret, dass mann
darmit zufrieden sein können, insonderheit, weil Sie Ihre Confession
vor vnns gethan vnd darbey, solange Ihnen Gott dass Leben fristete,
zu verharren sanctc promittiret vnd versprochen, nehmblich, dass Sie
bey dieser Lande Christi, glaubensbekändtnüss, wie solche aus den
Prophetischen vndt Apostolischen schrifften altes vnndt Neues
Testaments, in der Vnveränderten Augsburgischen Confession, deren
Apologi, Schmahlkaldischen Articuln, Christlichen Concordienbuch
vnndt andern Libris Symbolicis begriffen, vonn grundt Ihres Herzens,
nach wie vor, zugethan verbleiben, vnd darwieder heimblich oder
öffentlich nichts reden, Lehren, handeln oder schreiben wollen.
So haben Avier der Wahrheit zu Steur, vff sonnderbahren Fürstl.
gnedigen befehlch vnndt obberürther Personen ansuchen Ihnen mit
diesem Attestato zustatten zukommen, kein bedencken getragen.
Vhrkundlich mit dem Fürstl. Consistorialsecret bedruckt vnd
geben zu Weymar den 25, Julij Ao. 1638."
L. S.
(XX 5, 1, No. 15. „Abschrift des Attestati, welches H. Brun-
chorsten und M. Evenio von dem fürstl. Consistorio zu Weimar
wegen der Orthodosia gegeben, am 25. Juli 1638.")
112 Die General Visitation Ernsts des Frommen
Gefallen, auch wohl gar drucken zu lassen". Außerdem
wurde Brunchorst beauftragt, den Sachverhalt in einer
Predigt darzulegen, zu der Herzog Wilhelm den Termin an-
geben wolle. Diese Predigt solle „nach geschehener Revision
durch das Konsistorium" zuerst auf den Dörfern, dann
auch in der Stadt gehalten und schließlich durch den Druck
veröffentlicht werden. Endlich aber erklärten sich beide
Teile bereit, die Streitereien künftig ruhen zu lassen.
Bei diesem Ausgang der Sache war Kromayer zwar
äußerlich unterlegen. Seine Beschuldigungen hatten sich
als unwahr erwiesen ; seine Absicht, Brunchorst und Evenius
aus den Diensten des Herzogs zu entfernen, sie womöglich
aus dem Lande zu vertreiben und dadurch ihren Einfluß
auf Ernst völlig zunichte zu machen, hatte er nicht er-
reicht. Und doch ging er wenigstens teilweise als Sieger
aus dem Kampf hervor. Es war ihm gelungen, die In-
angriffnahme des Visitations- und Verbesserungswerkes um
etwa zwei Jahre zu verzögern. Es war ihm gelungen, die
Reformpläne des Herzogs unbeliebt zu machen und einen
Verdacht gegen seine Ratgeber hervorzurufen, der auch
nach der Beilegung des Streites noch haften blieb. Der
Einfluß von Evenius und Brunchorst war geschwächt, Ernst
sah sich in seinen Plänen gehindert durch die entgegen-
stehenden Absichten Kromayers. Wohl ruhte seine Arbeit
auch in den folgenden Jahren nicht, aber sie war gehemmt
dadurch, daß er nicht allein über die zu ergreifenden Maß-
nahmen zu bestimmen hatte, sondern Rücksicht auf seinen
Bruder Wilhelm und auf dessen Ratgeber nehmen mußte.
Seine größten Reformen stammen daher auch nicht aus dieser
Zeit , sondern aus den Jahren nach der Landesteilung
(1640). Erst nachdem er das Herzogtum Gotha zu seinem
alleinigen Besitz bekommen hatte, begann er, und zwar
sofort nach seinem Regierungsantritt, in seinen Landen
eine Visitation großen Stils nach seinen Grundsätzen und
mit den von ihm erwählten Ratgebern durchzuführen, und
auf Grund dieser Visitation entstand schon 1642 das In-
im Herzogtum Sachsen-Gotha 1641 — 1645. II3
formationswerk und dei' Schulmethodus. Bei all diesen
Maßnahmen aber verstand es der Herzog, ihm gesinnungs-
verwandte Männer zu seinen Organen zu machen. Evenius
war allerdings schon am 4. September 1639 an der Pest
gestorben, so daß er die Regierung seines Fürsten und die
Verwirklichung seiner Gedanken nicht mehr erlebte; aber
Brunchorst wurde von Ernst als Hofprediger mit nach Gotha
genommen, und er spielte vor allem bei der Durchführung
der Visitation eine hervorragende Rolle.
3. Die Gutachten der theologischen Fakultäten über das
geplante Visitations- und Verbesserungswerk.
Schon in den Verhandlungen des Jahres 1636 war
wiederholt darauf hingewiesen worden, daß Ernst zu seinem
Vorhaben die Gutachten verschiedener „vornehmer
theologischer (sowie auch philosophischer) Fakul-
täten" eingeholt habe. Aus den Akten geht hervor, daß
Ernst sich bereits vor der Deliberation im September 1636,
wahrscheinlich zwischen Februar und September dieses
Jahres, an verschiedene theologische Fakultäten gewandt
hat, um ihr Urteil über seine Pläne und eventuelle neue
Vorschläge zu vernehmen. Welche Fakultäten und Be-
hörden es waren, die man damals befragt hat, erfahren wir
aus einem ungefähr 1639 aufgestellten „Catalogus oder
Vortzeichnüss Derer Theologischen Sachen, welche bisshero
elaborirt oder noch elaboriret werden sollenn" i). Hier
werden zunächst die bereits „elaborierten Sachen" aufgezählt
und unter diesen auch folgende angeführt:
„26. Christliches vnd in Gottes wort wohlgegründetes
Bedencken, wie dass heutiges tages tieff gefallene Christen-
thumb bey den Erwachssenen vnd verseumeten sonderlich
wieder auf zu richten, vnd ein Gotseliges wesen vnd Leben
bey Ihnen zu pflanzen , welches nach Strassburgk,
1) Gothaisches Staatsarchiv, XX 5, 4, Blatt 36 ff.
XXYIL
Il4 Die Generalvisitation Einsts des Frommen
Helmstadt, Jena vnd Altenburgk verscliieckt vnd
iedes orts Theologen Bedencken darüber ein geholet i).
27. Erwegung vnd Abbildung der in der reinen Luthe-
rischen Kirchen vnd Schneien eingerissenen mängel vnd
wie dieselbe durch Christliche Mittel abzue schaffenn vnd
zuuerbessern, welches nach Dressden geschickt wordenn.
28. Weitleiifftigere Aussführung dessen, sonderlich wass
die Mengel betrifft, sambt Beygefügten Theolog. Testimonijs,
sowohl bey den Mängeln alss Vrsachen vnd remedijs vnd
einen Extract oder Tabella darauss,
29. Vnvorgreiffliches Bedencken, warumb vnd wie dem
ieziger Zeit eüsserst zerrüteten vnd verderbten Christen-
thumb wieder aufzuhelffen, vnd dadurch Gottes Zorn vnd
dessen Zeitliche vnd Ewige straffe abzuwenden, nebenst
stetigen eingeführten Theologicis Testimonijs aus den Kirchen
Ordnungen vnd reden Lutherischer Theologen.
30. Erinnerungen, bey dem Strassburgischen, Helm-
stetischen, Jenischen (doppelt, weitleufftig vnndt kurz, so
mit D. Himmeln communiciret) vnd Altenburgischen Be-
dencken.
31. Extract auss der Strassburgischen vnd Dressdni-
schen Erage.
32. 5 Extract 1. Auss dem Strassburgischen, 2. Helm-
stedtischen, 3. Jenischen, 4. Altenburgischen, 5. Dressnischen
Bedencken."
Aus dieser Aufzählung geht mit Deutlichkeit hervor,
wohin man sich mit der Bitte um Gutachten gewandt hat ;
leider sind nur die Nachrichten sowohl über den Entwurf
einer Reform, den man den Fakultäten und Behörden zu-
gesandt hat, wie auch über die von dort eingelaufenen
Antworten äußerst dürftig 2). Man wird nur so viel ver-
muten dürfen, daß in den oben unter No. 26 — 29 genannten
1) Vgl. Tholuck, Lebenszeugen, S. 224 f.
2) Weder in den Archiven zu Gotha noch in Weimar ist eins
der unter No. 26 — 29 erwähnten Schriftstücke vorhanden, ebenso-
wenig die Gutachten der Fakultäten und Behörden.
im Herzogtum Sachsen-Gotha 1641 — 1645. 115
Schriftstücken der Plan einer Reform im wesentlichen im
Sinne von Evenius' „Missive" und von den „Mängeln und
Ursachen" entwickelt war. Charakteristisch ist es, zu be-
obachten, welche theologischen Fakultäten es waren, mit
denen Ernst in Verbindung trat. Es sind nicht die, an
denen die strengste Orthodoxie im Sinne der Konkordien-
formel herrschte, wie vor allem Wittenberg, sondern Helm-
stedt mit Georg Calixt, Jena mit Johann Gerhard und
Straßburg mit Johann Schmid, alle drei milder, versöhn-
licher gerichtet und mehr für die praktische Seite des
Christentums interessiert. Besonders nahe mußte es dem
Herzog liegen , sich an die Landesuniversität Jena zu
wenden. Denn — ganz abgesehen von der örtlichen Nähe —
hier herrschte eine Richtung, die ihm besonders sympathisch
war, eine Betonung der persönlichen lebendigen Frömmig-
keit gegenüber allem theologischen Formalismus, die den
Einfluß von Johann Arndts „wahrem Christentum" nicht
verkennen ließ und die besonders durch Johann Gerhard
und von 1638 — 40 durch Salomon Glass vertreten war.
Hier wirkten die Männer, mit denen Ernst schon früher in
Beziehung gestanden hatte und die er auch zur Mitarbeit
an seinem großen Bibelwerk heranzog : die „Johanneische
Trias'' Major, Gerhard und Himmel, sowie Johann Michael
Dilherr. Ähnlich stand es mit Helmstedt. Hier war
der führende Geist Georg Calixt. Ihn hatte Ernst
bereits im Jahre 1633 zusammen mit Johann Gerhard und
Salomon Glass zu einer Beratung über die Neugestaltung
des Kirchen- und Schulwesens in dem von ihm verwalteten
Herzogtum Würzburg herangezogen, wobei sich Calixt die
volle Zufriedenheit des Herzogs erworben hatte i). Er blieb
auch weiter mit ihm in Verbindung. Als Ernst die Re-
gierung seines Landes im Jahr 1640 angetreten hatte,
korrespondierte er mit ihm und bat ihn um Auskunft über
1) Tholuck , Lebenszeugen , S. 53 ; derselbe, Das akademische
Leben des 17. Jahrhunderts, I, S. 51.
8*
116 Die Generalvisitation Emsts des Frommen
einige Männer, die er in seine Dienste zu ziehen beab-
sichtigte, sowie über das Visitationswerk und seine Durch-
führung 1). Ja auch nach dem Ausbruch der synkretistischen
Streitigkeiten scheute er sich nicht, noch weiter freund-
schaftliche Beziehungen mit ihm zu unterhalten und seinen
Rat und seine Hilfe bei seinen Unternehmungen heranzu-
ziehen, ohne doch selbst auf seine Seite überzutreten, —
Die dritte der von Ernst befragten Universitäten war
Strasburg. Hier wirkte seit 1623 Johann Schmid,
ein treuer Anhänger der Konkordienformel, zugleich aber
auch der Vertreter einer durchaus praktisch gerichteten
Frömmigkeit. Bei allem Eifer für die reine Lehre hatte
er doch ein klares Bewußtsein davon, daß es im letzten
Grund nicht auf theologische Streitfragen, sondern auf die
Gesinnung ankomme ; so wollte er z. B. die auf die Kontro-
versen gehenden quaestiones von Hutters Compendium aus
dem Gymnasialunterricht entfernt wissen. Unter mancherlei
Anfeindungen von rechts wie von links übte er einen ge-
waltigen Einfluß auf seine Hörer aus. Es muß ein väterlich
seelsorgerliches Verhältnis gewesen sein, in dem er zu den
Studierenden und insbesondere zu seinen Hausgenossen
stand. Manche sprechen es ausdrücklich aus, daß sie ihm
die Erweckung zum geistlichen Leben verdanken. Auch
Spener war sein Schüler, ja er bezeichnet Schmid nicht nur
als seinen Präzeptor, sondern als seinen „Vater in Christo" ^).
Seine Interessen berühren sich auf das deutlichste mit denen
des Evenius und des Herzogs Ernst. Auch er betont den
Schulunterricht, auch er dringt auf eine Unterweisung der
Erwachsenen im Katechismus. Er stand in Verkehr mit
den meisten praktisch gerichteten Theologen seiner Zeit.
„Seine Beziehungen zu Meisner, Gerhard, Andrea, Lütke-
1) Konsistorialarchiv zu Gotha, Loc. 29 b, No. 14. „D. Georg
Calixtus gibt sein iudicium von etlichen Theologis vnd Juristen, vnd
vberschicket, was wegen Kirchen Visitation im Braunschweigischen
aussgangen." 1639. 40. 41.
2) Grünberg, Spener, I, S. 139.
im Herzogtum Sachsen-Gotha 1641 — 1645. 117
mann, Glavius, Mosclierosch und anderen lassen eine Weit-
herzigkeit und Vielseitigkeit seines religiösen und kirch-
lichen Standpunkts erkennen, die über das Maß der ge-
wöhnlichen Schultbeologie hinausging". Auch bei Ernst
stand er in hohem Ansehen, beide korrespondierten ver-
schiedentlich miteinander, ja wir hören sogar, daß Ernst
beabsichtigt habe, Schmid in sein Land zu ziehen i). Wir
besitzen ein Schreiben des Salomon Glaß vom 5. Februar
1640, aus dem hervorgeht, daß Ernst auch in den Jahren
1639 und 1640 mit ihm über die Katechismus-Information
unterhandelt hat. Schmid übersandte ihm auf seine Bitte
einen Vorschlag über diese Angelegenheit, der von den
Vorschlägen des Evenius nicht sehr verschieden war, und
der die volle Zustimmung des Salomon Glaß wie des Herzogs
hervorrief ^).
Über die Antworten der drei Fakultäten haben wir
nur sehr dürftige . Nachrichten. Daß ihr Votum im allge-
meinen wohlwollend war, ist wohl anzunehmen, sonst hätten
Ernst und seine Ratgeber sich nicht beständig auf diese
Vota berufen ; doch ob man unbedingte Zustimmung äußerte,
ist zum mindesten fraglich. Vor allem werden die Jenenser
wohl kaum ihre uneingeschränkte Zufriedenheit mit den
Vorschlägen des Herzogs geäußert haben; finden wir doch
die Professoren Major und Dilherr, die sich doch beide
schon 1636 in Jena befanden, später, 1641, unter den
Gegnern des Visitationswerkes. Genaueres wissen wir nur
über das Fakultätsbedenken von Straßburg^). Es weist
„zur Hebung des gefallenen Christentums" vornehmlich auf
folgende Stücke hin:
1) Bußpredigten, Abschneidung der Kontroversen, weil
man nicht mit widerwärtiger Lehre, sondern mit Legung
1) Näheres über Schmid siehe bes. Tholuck, Lebenszeugen,
S. 217—225, sowie Grünberg, Spener, 1, S. 110 f., 139.
2) Goth. Staatsarchiv, XX 5, 4.
8) Kitschi, Geschichte des Pietismus, II, S. 129,
11g Die Generalvisitation Ernsts des Frommen
eines guten Fundaments zu tun habe, mit Sanftmut, nicht
durch sonderbare Texterklärung oder neue Anstalten,
2) öffentliche Katechismuslehre , der die Alten bei-
wohnen sollen,
3) häusliche Einübung des Katechismus,
4) Hausbesuche, wie sie Christus auch gemacht hat,
5) daß die Christen gelehrt werden, auch in Abwesen-
heit ihres Pfarrers sich mit christlichen Übungen zu be-
schäftigen,
6) Verhör der Kommunikanten i).
Es sind dies (vielleicht abgesehen von den Hausbe-
suchen) dieselben Stücke, auf die es auch Ernst in seinem
Visitations- und Verbesserungswerk besonders ankam. —
Die drei Fakultätsbedenken, sowie das Gutachten von dem
Konsistorium in Altenburg, über das uns alle näheren Nach-
richten fehlen, stammen aus dem Jahr 1636. Anders steht
es mit dem Votum von Dresden. Ein Gutachten von
dorther bat sich Ernst erst aus, nachdem bereits die Be-
denken der Fakultäten eingelaufen waren. Wir besitzen
noch das Schreiben, das er zu diesem Zweck an das Kon-
sistorium nach Dresden geschickt hat. Es ist datiert vom
30. April 1638, setzt also die Eakultätsbedenken und die
Beratungen über das Visitations- und Verbesserungswerk
voraus, ist aber noch vor Abschluß der Verhandlungen
mit Evenius und Brunchorst abgeschickt ^j.
1) Tholuck, a. a. O. S. 225.
2) Goth. Staatsarchiv, XX 5, 6. — In diesem Schreiben sagt
Ernst u. a.: „Wir geben Euch hiermit zu vernehmen, demnach wir
und neben uns noch andere gottesfürchtige fromme Herzen uns die
jetzige böse Zeit, in welcher Gott der Allmächtige mit vielfältigen
leiblichen und geistlichen Strafen, als da sind der so lang währende
und unaufhörliche Krieg, große Teurung und Hungersnot, Pestilenz
und andere abscheuliche Krankheiten, wie nicht weniger auch an
vielen Orten die gänzliche Beraubung oder doch seelenschädliche
Verdunklung des heiligen göttlichen Worts ohne Unterlaß anhalten
tut, beweglich zu Gemüt gezogen und in der Furcht des Herrn dem-
selben nachgedacht, auch nach Anleitung heiliger göttlicher Schrift
im Herzogtum Sachsen-Gotha 1641 — 1645, 119
Gleichzeitig mit diesem Sclireiben sandte Ernst ein
solches an den Oberhofprediger Hoe von Hoenegg, den
Beichtvater des sächsischen Kurfürsten, in Dresden. Er
erwähnt hier, daß er bereits früher mit ihm wegen der von
ihm geplanten Reformen unterhandelt habe. Jetzt über-
sendet er ihm eine „Delineation" des geplanten Werkes
nebst einem ausführlichen „Bedenken"', mit der Bitte, die
genannten Schriftstücke dem Konsistorium zur Begutachtung
vorzulegen^). Daß Ernst sich nicht mit den Gutachten der
so viel befunden, daß solches alles sonder allen Zweifel um der
großen und bei vielen überhand genommenen äußersten Verachtung
desselbigen willen . . . herrühre und verursacht werde: Als haben wir
solches nicht allein mit vornehmen theologischen Fakultäten com-
mimizieret und derselben mit uns einstimmende Meinung gern ver-
nommen, sondern auch uns bemühet und endlich erhalten, daß die
Sache allhier in gemeine Ratschlagung und Deliberation gezogen und
in derselben für hochnötig und nützlich befunden worden, daß des-
wegen eine absonderliche Visitation angestellet, alsdann aber
darauf gedacht werde, wie durch heilsame Mittel in allen
Ständen, sonderlich aber in Kirchen und Schulen Besserung
angerichtet werden möchte. Und deswegen zu solchem heilsamen
Gott wohlgefälligen guten Werk wirklich zu gelangen ein aus den
akademischen Censuren und anderen theologischen Schriften ver-
mehrtes und verbessertes Bedenken aufsetzen und zusammentragen
lassen, welches wir Euch hiermit übersenden, . . . damit . . . also Euer
allerseits Rat und Gutachten darüber vernommen und eingeholet
werde. Und solches um so viel desto mehr, weil Ihr- als vornehme
Säulen und Pfeiler der reinen lutherischen Kirchen Augsburgischer
Confession und Formulae Concordiae von allen solcher Religion zu-
getanen Ständen und dero Kirchen und Untertanen in solchem hohen
Wert und Ansehen auch für diejenigen billig gehalten werdet, welche
nicht allein die Wahrheit mehr besagter reinen lutherischen Religion
zu erhalten und fortzupflanzen ihnen höchst angelegen sein lassen,
sondern auch einig und zum höchsten wünschen, daß alles, was dieser
unserer seligmachenden Religionswahrheit hinderlich und schädlich,
abgeschaffet, und hingegen, was zu derselben Besten und Aufschwung
dienlich, nach äußerster Möglichkeit befördert werde . . ."
1) Die nach Dresden gesandten Schriftstücke sind vermutUch
die oben (S. 114) unter No. 27 — 29 genannten, vielleicht auch nur
27 und 29.
120 Die Generalvisitation Ernats des Frommen
Fakultäten begnügte, ist vielleicht dadurch veranlaßt, daß
er gegenüber den Anfeindungen, die er in Weimar zu er-
fahren hatte, eine Stütze bei dem Konsistorium in Dresden
und dem als streng lutherisch bekannten einflußreichen
Hofprediger Hoe, dem schroffen Gregner der Calvinisten,
suchte. Aus dieser Erwägung heraus ist wohl auch der
Passus in dem Schreiben za erklären, in dem Ernst die
Mitglieder des Dresdener Konsistoriums als „Säulen und
Pfeiler der lutherischen Kirchen Augsb. Conf. und Formulae
Concordiae" bezeichnet. Wie sich Hoe zu Ernsts Plänen
gestellt hat, wissen wir leider nicht. Wenn wir aber be-
denken, wie heftig er später das Ernestinische Bibelwerk
angegriffen hat i), so können wir daraus schließen, daß er
wohl auch im übrigen den Absichten des Herzogs zum
mindesten zurückhaltend und gleichgültig gegenüberstand.
4. Entwürfe und Vorarbeiten zu dem Visitationswerk
aus der Zeit vor der Landesteilung.
Wie vielseitig die Verbindungen des Herzogs mit hervor-
ragenden Theologen aus allen Teilen Deutschlands waren,
geht nicht nur aus diesen Gutachten, sondern auch aus
sonstigen gelegentlichen Notizen über seine Korrespondenzen
hervor. Er stand in Verkehr mit Joh. Valentin Andreae
in Calw (seit 1638 in Stuttgart), mit Johann Saubert in
Nürnberg, mit Joh. Matthäus Meyfart, Bartholomäus Eisner
und Georg Grosshain in Erfurt, zu den Mitarbeitern an seinem
Bibelwerk gehörten nicht weniger als 28 der bedeutendsten
Theologen Thüringens 2). Von allen Seiten wurden Gut-
achten und Ratschläge eingeholt und diese von den Theo-
logen Ernsts zu umfassenden ßeformprogrammen und Ent-
würfen verarbeitet. Der oben (S. 113 £) erwähnte „Catalogus"
1) Beck, a. a. O. I, S. 667.
2) Zahl und Namen der Mitarbeiter am Bibel werk stehen nicht
unbedingt fest. Eudolphi, üoth. dipl., III, S. 348—350.
im Herzogtum Sachsen-Gotha 1641 — 1645. 121
läßt uns einen Blick in diese Arbeit tun. Hier werden
in dem Abschnitt „elaborierte Sachen" nicht weniger als
37 Aufsätze und Arbeiten aufgezählt, die alle mit der
Reformarbeit des Herzogs in Beziehung stehen. Wir finden
hier außer den bereits angeführten Schriften auch die Kat-
echismus- und Bilderschule, sowie die „Mängel, Ursachen
und Remedia . . . welche in der Deliberation anno 1636
übergeben", außerdem eine ganze Anzahl von Entwürfen
zur Reform des Kirchenwesens, eine Sammlung von über
100 Stellen aus Kirchenordnungen und anderen theo-
logischen Schriften, die sich auf das Reformwerk an-
wenden lassen, und anderes mehr ^). Wenn wir auch von
den meisten dieser Arbeiten nichts weiter haben als den
Titel, so gewähren sie uns doch einen Einblick in die
Tätigkeit des Herzogs und seiner Theologen in den Jahren
vor 1640. Es ist im wesentlichen eine Ai-beit mit der
Feder, die hier geleistet wurde; aber man blieb doch
nicht dabei stehen, Entwürfe und Reformprogramme auf-
zustellen, sondern man ging auch gleich daran, die Re-
formen durchzuführen oder ihre Durchführung doch wenig-
stens vorzubereiten.
Zunächst kam es darauf an, durch eine allgemeine
Visitation die Zustände in Kirchen und Schulen bis ins
kleinste hinein genau zu erforschen, um die nötige Unter-
lage für das „Verbesserungswerk" zu gewinnen. Der
Vorbereitung für die Generalvisitation ist die Arbeit der
nächsten Zeit gewidmet. Bereits 1636 war beschlossen
worden, vor der großen Generalvisitation eine Spezialvisita-
tion abzuhalten, deren Ergebnisse man dann bei der ersteren
1) Außerdem enthält der „Catalogus" noch ein Verzeichnis von
9 Punkten, „welche noch zu elaborieren". Neben dem „Catalogus",
der sich auf die theologischen Dinge bezieht, finden wir ferner einen
solchen, der sich mit den „Künsten und Sprachen" beschäftigt und
17 „elaborierte Sachen", sowie 4 ,, Sachen, welche noch zu elaborieren"
enthält.
122 Die Generalvisitation Ernsts des Frommen
verwenden könne ^). Die Ausführung dieses Beschlusses
wurde durch die Verhandlungen mit Brunchorst und Evenius
verzögert; erst 1638 oder 1639 kam, wenn überhaupt, die
SpezialVisitation zustande. Wir besitzen verschiedene Kon-
zepte zu den bei dieser Gelegenheit zu stellenden Fragen,
die jedoch der genauen Datierung entbehren 2). Es heißt
hier, mit der Partikularvisitation solle im Amt Weimar
angefangen werden, und zwar an den nächsten und „nicht
inficierten" Orten 3)^ als Tie£furt, Gaberndorf, Taubach und
Mellingen. Die Pfarrer und Schulmeister sollen vor das
Konsistorium beschieden werden, ihnen werden 23 Fragen
über Predigt und Katechismusübung vorgelegt. Dann wird
die Gemeinde vorgefordert und im Katechismus examiniert.
An den Fragen, die an die Leute bei dieser Gelegenheit
gestellt werden sollen, ist charakteristisch, wie stark hier
das dogmatische Element hinter dem religiösen zurücktritt.
Die Fragen lauten folgendermaßen:
1) Was sie vom Katechismus auswendig können?
2) Ob sie es verstehen? (Da denn die Commissarii die
Fragen ein wenig ändern könnten.)
3) Was sie auf etzliche wenige Generalfragen, so zu
ihrem Christentum und Seligkeit am nötigsten, antworten
können ? Als
1) Ob sie auch hoffen, selig zu werden?
2) Durch wen?
3) Ob sie aber nicht erkennten, daß sie Sünder
seien? Und daß Gott die Sünder verdammen
wolle ?
4) Wessen sie sich denn wider ihre Sünde trösten?
1) Vgl. oben S. 101.
2) Goth. Staatsarchiv, XX 5, 5, Blatt 4 f.
3) Unter „inficierten Orten" haben wir vermutlich die Orte
zu verstehen, wo Brunchorst wirkte: Frankendorf, Hohlstedt und
Kötzschau. Es würde dies in die Zeit vor Abschluß der Verhaud-
limgen wegen Brunchorst und Evenius, also Frühjahr 1638, weisen.
im Herzogtum Sachsen-Gotha 1641 — 1645. 123
5) Mit was Sprüchlein sie dasselbe tun könnten?
6) Wodureh sie der Herr Christus erlöset?
7) Ob sie auch täglich daheim beteten?
8) Wie oft?
9) Ob sie auch ihre Kinder ließen lesen?
10) Wie sie sich an ihrem Ende trösten wollen?
Die Beziehung auf die „Seligkeit" steht hier durchaus
im Vordergrund. Die Zuhörer werden gefragt, ob sie den
Weg zur Seligkeit kennen, damit sie diesen Weg auch
gehen können. Auf irgendwelche einzelnen Lehren wird
dagegen nicht eingegangen. Wir finden hier ein deut-
liches Bewußtsein davon, daß der Artikel von der Recht-
fertigung durch den Glauben nicht ein Artikel neben
anderen, sondern der Grund- und Hauptartikel des christ-
lichen Glaubens ist, ein Bewußtsein, das der strengen Ortho-
doxie des 17. Jahrhunderts mehr und mehr verloren zu
gehen drohte.
Neben diesen Fragen haben wir dann noch ein ausführ-
licheres „ohn verfängliches Concept etlicher Fragen, darüber
neben anderen entweder alle oder doch zum wenigsten
etliche Zuhörer in den Gemeinden auf dem Lande bei
der Specialvisitation möchten vernommen werden". Dieses
Konzept enthält 19 Fragen, die sich auf die Katechismus-
Kenntnisse, sowie auf die Schulbildung der Zuhörer beziehen ;
doch ist hier von einem Hervortreten des religiösen Moments,
von einem Hinweis auf die „Seligkeit" nichts zu bemerken.
Ferner beziehen sich auf die Spezialvisitation, wie wohl mit
Bestimmtheit anzunehmen ist, drei Entwürfe von Fragen
an die Pfarrer, die sich in demselben Aktenfaszikel befinden.
Die Fragen betreffen den Katechismus (47 Fragen), die
Predigten (20 Fragen), die Beichte und Absolution (12
Fragen). Die Entwürfe zeichnen sich dadurch aus, daß in
ihnen die Quellen angegeben sind, die man bei ihrer Aus-
arbeitung benutzt hat. Wir finden hier Hinweise auf
folgende Verfügungen und Kirchenordnungen :
124 J^ie General Visitation Ernsts des Frommen
1) Unterricht der Visitatoren, anno 1528.
2) Herzog Heinrichs Kirchen-Agenda von 1539 bezw.
15361).
3) Kurfürst Augusts Kirchenordnung von 1580.
4) Die Coburgische (Kasimirianische) Kirchenordnung
von 1626.
Außerdem wird an manchen Stellen auf eine Schrift
Kromayers verwiesen , ohne daß ich jedoch feststellen
könnte, welche seiner Schriften bei diesen Zitaten gemeint
ist. Im wesentlichen liegt den Entwürfen die Kasimirianische
Kirchenordnung zugrunde, und zwar gehen die meisten
Fragen über den Katechismus auf Kapitel 7 und 8 des
zweiten Buches dieser Ordnung, die Fragen über die Pre-
digten auf Kapitel 6, die über die Beichte und Absolution
auf Kapitel 10 desselben Buches zurück. Es ist dabei auf-
fallend, daß nicht die in der Kirchenordnung (Buch II,
Kap. 24) für die von den Superintendenten vorzunehmenden
Visitationen vorgesehenen Fragen zugrunde gelegt werden,
sondern die Ordnungen und Bestimmungen, die dort
für die Predigten, den Katechismus, die Beichte und Ab-
solution getroffen werden und die das Verhalten des Geist-
lichen und der Gemeindeglieder in diesen Fällen regeln
sollen.
Ob und inwieweit Ernst und seine Ratgeber bei der
Ausarbeitung dieser Fragen beteiligt waren, läßt sich nicht
sagen. Doch spricht für eine Beteiligung derselben nicht nur
das Katechismusexamen, das nach Charakter und Tendenz
1) Über diese Kirchenordnung findet sich bei den Akten folgende
Bemerkung: „Notabilia aus H. Heinrichs Kirchen-Ordnung. 1. H.
Heinrichs KG ist nicht von H. Heinrichen immediate, auch nicht
von Luthero gestellt, sondern von Justo Jona, D. Georg Spalatino,
Caspar Crucigero, Frid. Myconio, Justo Menio, Joh. Webero .... 5.
Ihr Datum ist: 19. Sept. an. 1536, wie das Jenische an. 1600 ge-
druckte Exemplar setzet, aber Kurf. Aug. KD setzet an: 1539." —
Vgl. dazu Sehling, Kirchenordungen, I, 1, S. 88 ff. (264 ff.).
im Herzogtum Sachsen -Gotha 1641 — 1645. 125
auf derselben Stufe steht wie das in der Instruktion von
1641 für die Generalvisitation in Gotha vorgesehene, sondern
auch der rein äußerliche Umstand, daß sich die betr. Akten-
stücke im Archiv zu Gotha befinden, und zwar in dem-
selben Faszikel mit einem Entwurf zu den Präparations-
fragen, die am 5. Januar 1641 an die Pfarrer in den
Herzogtümern Eisenach und Gotha abgegangen sind.
Ob die SpezialVisitation allerdings gerade so ausgeführt
wurde, wie hier vorgesehen ist, und ob die uns vorliegenden
Fragen alle Fragen darstellen, die bei dieser Gelegenheit
gestellt wurden, läßt sich nicht ausmachen, da alle näheren
Nachrichten über ihre Durchführung fehlen. Ja es ist nicht
einmal sicher auszumachen, ob die Spezialvisitation über-
haupt zustande gekommen ist. Jedenfalls ist auffallend,
daß nicht nur weite Gebiete der pfarramtlichen Tätigkeit,
wie die Taufe , Kopulation , Krankenseelsorge und Be-
erdigung, sondern auch das religiöse und sittliche Leben
der Gemeinde , sowie die äußere Lage von Pfarrer und
Gemeindegliedern überhaupt nicht berührt werden.
Eine gewisse Ergänzung in dieser Hinsicht bieten nun
allerdings die Fragen, die Kromayer im Jahr 1639 den
Pfarrern und Schulmeistern zur schriftlichen Beantwortung
übersandte i). Wir haben hier zunächst einen Entwurf von
33 Artikeln aus dem Februar dieses Jahres; da diese
Fragen aber, wie ausdrücklich bei dem Entwurf bemerkt ist,
nicht zur Absendung gelangten, brauchen sie uns hier nicht
näher zu beschäftigen. Ein Ausschreiben vom 13. Februar
desselben Jahres betrifft sodann den „Unterhalt der Prediger
und Schuldiener". Alle Pfarrer und „Schuldiener'- sollen
innerhalb 14 Tagen schriftlichen Bericht über 12 Punkte
an das Konsistorium einschicken. Von diesen 12 Punkten
beziehen sich 8 auf das Pfarr- und Kircheneinkommen,
1) Konsislorialarchiv zu Gotha, Loc. 19, No. 19, „Weimarische
Visitationsaeta". — Vgl. auch Zeitschrift für Thür. Geschichte und
Altertumskunde, N. F. X, S. 425.
126 Die Generalvisitation Emsts des Frommen
während die übrigen von der Zahl der Einwohner, den
Schulen, der Lehre und den Predigten, den Sünden und
Lastern handeln. Am Schlüsse heißt es: Die übrigen
Punkte, „die zu künftiger Visitation gehörig, werden jetzo
gespart, auf obige aber soll alsobald geantwortet werden."
Da indessen die Antworten nicht rechtzeitig einliefen und
vielfach nicht ausführlich genug gearbeitet waren, sandte
Kromayer am 2. Juli 1639 nochmals ein Ausschreiben mit
16 Fragen an die Pfarrer und Schulmeister, das innerhalb
dreier Tage schriftlich beantwortet werden solle. Diese
neuen Fragen betreffen indessen nur das Pfarr- und Kirchen-
einkommen. Eine Verwandtschaft der verschiedenen Fragen
mit denen der Spezialvisitation ist von vornherein ausge-
schlossen, da sich beide ja auf ganz verschiedene Gegen-
stände beziehen. Auch eine Verwandtschaft mit der Kur-
fürstlichen oder der Kasimirianischen Kirchenordnung ist
ebensowenig wie eine solche mit den späteren Gothaischen
Visitationsfragen festzustellen.
Einen weiteren Schritt zur Durchführung der Visitation
bedeuten sodann die Fragen, die Kromayer am 28. Februar
1640 an die Pfarrer der Ämter Ichtershausen, Georgenthal
und Reinhardsbrunn richtete *). Auch dies sind nur wenige
Fragen: 3 betreffen den „Pfarracker", 10 die „Special-
Kirchen- Agenda". Zu diesen Fragen liegen uns auch die
Antworten von 12 Pfarrern und 2 Schulmeistern vor; doch
beziehen sich diese meistens nur auf den zweiten Abschnitt.
Auch hier ist von einem Zusammenhang mit den früher be-
sprochenen Fragen nichts zu bemerken. Von Wichtigkeit
ist ferner der ebenfalls 1640 von Kromayer verfaßte „un-
vorgreifliche Fürschlag wegen einer Weimarischen Kirchen-
1) Kons. -Archiv zu Gotha, Loc. 29b, No. 15. — Die ge-
nannten Ämter gehörten bis zur Landesteilung zur Superinten dentur
Weimar. Wahrscheinlich hat Kromayer seine Fragen nicht nur
an die Pfarrer dieser Ämter, sondern an die der ganzen Super-
intendentur gerichtet.
im Herzogtum Sachsen- Gotha 1641 — 1645. 127
Ordnung", der sich namentlich auch mit der Ordnung des
Schulwesens befaßte i). Daß Ernst auf die Ausarbeitung
dieser verschiedenen Entwürfe und Fragen einen maß-
gebenden Einfluß gewonnen habe, ist wohl nicht anzu-
nehmen.
Leider ist es uns nicht möglich, ein völlig klares Bild
von den Bemühungen des Herzogs Ernst um Hebung der
kirchlich- sittlichen Verhältnisse im Land in der Zeit vor
der Landesteilung zu gewinnen; die Vorgeschichte der
Generalvisitation und der aus ihr folgenden Reformen liegt
zum großen Teil im Dunkeln. Nur so viel läßt sich deutlich
erkennen, daß Ernst sich schon vor seiner Thronbesteigung
im Verein mit gleichgesinnten Ratgebern in verschieden-
artiger Weise bemüht hat, der „höchst bedrängten und
zerrütteten Kirche gründlich zu raten und zu helfen". Alle
seine Bestrebungen hatten in erster Linie den Zweck, der
sittlichen Verkommenheit des Volkes abzuhelfen ; dieses
Ziel suchte er aber zu erreichen vor allem durch Belehrung
der Leute über den Weg zur Seligkeit, damit sie, wenn sie
den Weg wissen, ihn dann auch finden können. Diesem
Ziel soll zunächst die Visitation dienen. Sie ist das
erste Glied in der Reihe der Maßregeln des Herzogs. Er
sieht in ihr nicht ein untergeordnetes Werk, sondern er
will tatsächlich den ganzen Zustand des Landes er-
forschen. Die kleinsten Einzelheiten sollen aufgedeckt,
alle Fehler und Mängel abgestellt werden. Zu diesem
Zweck ist ihm kein Mittel zu schwierig und zu kost-
spielig. Er verlangt mehr von den Visitatoren, als man
sonst zu verlangen pflegte, er erwartet aber auch mehr
von der Visitation.
Diese Bestrebungen mußten selbstverständlich auf
Widerstand stoßen. Der Gegensatz zwischen Ernst und
1) Zeitschr. f. Thür. Geschichte und Altertumskunde, N. F. X,
S. 425.
128 l^iö Generalvisitation Ernste des Frommen etc.
Kromayer mußte zu Streitigkeiten führen, zumal da Kro-
mayer einen großen Einfluß auf Herzog Wilhelm ausübte
und da auch persönliche Eifersüchteleien zu dem sach-
lichen Gegensatz hinzutraten; Ernst sah sich in der Aus-
führung seiner Pläne gehindert, Wilhelm und Kromayer
aber fühlten ihren Einfluß bedroht. Alle diese Schwierig-
keiten hätten die Reformtätigkeit des Herzogs Ernst noch
lange zurückhalten und hemmen können, wenn nicht mit
einem Schlag ein Umschwung eingetreten wäre: durch die
Landesteilung des Jahres Iß-lO.
(Fortsetzung folgt.)
IV.
Das Jagdschloß des Herzogs Ernst August von
Weimar in Stützerbach.
Von
Wilhelm Stieda.
Die Baulust des Herzogs Ernst August, des Großvaters
von Karl August, ist bekannt. Sie betätigte sich nicht
nur in einem feinen geläuterten Geschmack, wie an den
Schlössern zu Belvedere und Dornburg ersichtlich, sondern
stand auch in Verbindung mit der Freude am mannhaften
Weidwerk. Sie bewog ihn, eine Anzahl von Jagdgebäuden
erbauen , ausbessern und verbessern zu lassen , z. B. in
Ettersburg, Ilmenau, Zillbach, Wilhelmsthal und veranlaßte
ihn auch, kleinere Pirsch- und Brunsthäuser in verborgener
Waldeinsamkeit hinzustellen ^). Es lag nahe, diese in eben
solchen Gegenden errichten zu lassen, in denen der Wild-
bestand ein reicher war. Zu diesen bevorzugten Landes-
strichen gehörte Stützerbach und Umgegend. Im Orte
selbst lud überdies der die ganze Ansiedlung so sehr be-
herrschende später sogenannte Schloßberg zur Aufrichtung
eines größeren weit hinausragenden Gebäudes förmlich ein.
Auf eben diesem Berge ließ der Herzog Ernst August
seit 1733/34 ein Gebäude erbauen, dem freilich nur eine
kurze Dauer beschieden war. Die Bezeichnung „Dianen-
burg", die ihm in einem Aktenstück vom Jahre 1748 bei-
gelegt wird, läßt über dessen Zweck, als Jagdschloß zu
1) Beaulieu-MarcoiiDay, Ernst August, Herzog von Sachsen-
Weimar, 1872, S. 237.
XXVII. 9
130 I^3,s Jagdschloß des Herzogs Ernst August von Weimar
dienen, keinen Zweifel. Mit der ihm in Bausachen
eigenen Ungeduld ließ der hohe Herr sich angelegen sein^
den einmal beschlossenen Bau tunlichst zu fördern. Am
20. Mai 1735 wies er von Ilmenau aus, wo gleichzeitig ein
Schloß erbaut wurde, das später abbrannte, einen Teil der
Forst- und Amtsrevenuen zur Deckung der „vorjährigen
Bauschulden" an ^). Der vierte Teil der Schulden sollte auf
diese Weise getilgt, die anderen drei Viertel aber aus den
laufenden für den Bau ausgeworfenen Geldern genommen
werden. Diesem Befehle war jedoch der Amtsverwalter
nicht nachgekommen, denn am 12. August 1735 erging vom
Jagdhaus München bei Berka ein neues Reskript:
„Nachdem Wir in höchsten Ungnaden vernommen
haben, dass diejenigen Gelder, die Wir einzig und allein zu
Bestreitung derer Bau Kosten zum Ilmenauischen, haupt-
sächlich aber zum Stützerbacher Bau angewendet wissen
wollen, zu Bezahlung derer vorher restirent gewesenen Bau
Kosten genommen und bezahlet worden und dann dieses
schnurstracks wieder Unsern Willen und gnädigste Intention,
so wird hiemit angeordnet, die Baugelder einzig zu dem
Zweck zu gebrauchen den Stützerbacher Bau in 14 Tagen
fertig zu stellen."
Das scheint jedoch nicht zu erreichen gewesen zu sein.
Vielmehr mußte der Herzog noch einmal den säumigen
Amtsverwalter an seine Pflicht erinnern. Ein eigenhändig
vom Herzog geschriebenes Brouillon zu einem neuen Re-
skript, datiert aus Ettersburg vom 21. September 1735, läßt
unverkennbar den Ärger des hohen Herrn hervortreten. Er
schreibt :
„Wir haben zu empfindlichen Missfallen wahrnehmen
müssen, dass das in Stützerbach neu angelegte Gebäude so
gar langweilig von statten gehet und Wir aber solches zu
Ende jetzt laufenden Monaths Septembris mit Mahlerey und
allem in fertigen Stand gesetzet wissen wollen. Als geben
1) Wilhelm Stieda, Ilmenau und Stützerbach, eine Erinnerung
an die Goethe-Zeit, Leipzig 19Ü2, S. 96.
in Stützerbach. \^\
Wir euch hiermit die geschärffte Ordre, dass ein jeder von
euch, soviel ihme nach seiner Function dabey oblieget, das
dazu benöthigte ohne Verzug betreibe und veranstalte, auf
den Unterbleibungsfall aber gewärtig seye, was Wir vor
Messures dieserwegen vorkehren werden. Wornach sich zu
achten" i).
Vom 21. September desselben Jahres hat sich auch
noch ein anderes Schreiben an denselben Amtmann Fleisch-
mann in Ilmenau erhalten, ebenfalls aus Ettersburg datiert 2).
Es bleibe dahingestellt, ob beide Briefe abgesandt wurden.
Von beiden hat sich nur ein Entwurf erhalten, und es
wäre ja denkbar, daß der eine durch den anderen ersetzt
worden wäre, weil die erste Niederschrift nachher nicht
mehr den Beifall ihres Urhebers fand. Die Tonart ist in
beiden Fällen recht scharf.
„Nachdem Wir", so beginnt der andere Entwurf, „das
zu Stützerbach neu angelegte Gebäude ohne Verzug zu
Stande gebracht wissen wollen und dahero nöthig seyn
will, dass die darum befindlichen Stöcke ausgerottet, die
Löcher wieder zugeworfen und planiret werden, A. B. W.
D. G. 3). Du wollest denen Stützerbacher Unterthanen die
geschärfte Auflage thun, dass sie die Stöcke vorgeschriebener
massen ausrotten und alles wiederum planiren oder gewärtig
seyn, dass auf den Fall ihres Ungehorsams ihne die Wisch ^)
eingezogen werden, welches Du auch nachdem vor einiger
Zeit an Dich ergangenen gnädigen Befehle bey der Roda-
ischen Gemeinde ohne Anstand zu betreiben hast, damit in
Unterbleibung dessen Wir uns nicht genöthigt finden mit
der Schärfe zu verfahren. Datum Ettersburg am 21. Septbr.
1735."
Möglicherweise ist der zweite Brief als eine Ergänzung
1) Rechnungsamt Ilmenau, Abt. V, II, No, 1; SLieda, a. a. O.
S. 96/97.
2) Großherzogl. Geh.- und Hauptarchiv in Weimar, B. 8765, S. 46.
8) Also befehlen wir Dir gnädigst.
4) Wiesen.
9*
132 Das Jagdschloß des Herzogs Ernst August von Weimar
des ersten aufzufassen, da ja ein neuer Auftrag hinzukam,
nämlich die Ausrodung der Baumstubben, und die Dorf-
insassen zur Fortsetzung der Arbeit streng unter der An-
drohung ihre Wiesen einzuziehen angehalten werden sollten.
Die wiederholten Mahnungen dürften ihre Schuldigkeit
getan haben. Es ist sicher, daß sowohl im Jahre 1734 als
1735 fleißig an dem Gebäude gearbeitet wurde. Ob es nun
aber bis zum Oktober 1735 so weit gefördert war, daß es
den erlauchten Jagdherrn mit Bequemlichkeit aufnehmen
konnte, steht freilich dahin. Ein Schreiben vom 30. Juli
1736 an den Wildmeister Ludwig und den Amtsverwalter
Eisfelder läßt es zweifelhaft erscheinen. In ihm drückt
nämlich der Herzog den Wunsch aus, die Gebäude in
Ilmenau wie in Stützerbach so schnell gefördert zu sehen
im Bau, daß er sie Ende August benutzen könnte.
„Nachdem Wir wollen, dass der Ilmenauer sowohl als
Stützerbacher Bau möglichstermassen poussiret wird, dass
letzterer zu Ausgang künftigen Monaths Augusti in völligen
Stand gesetzet werde, also haben Wir gnädigst resolviret
Unsern Major von Busch zu committiren die Ober Aufsicht
auf gedachtem Baue zu führen und alles nach Unseren
ihme bekannt gemachten gnädigsten Intention zu Wercke
zu bringen und befehlen euch beyden hiermit auf das nach-
drücklichste: ihr wollet gedachten Major von Busch in
allen Vorfallenheiten mit Hülfe und That an Händen gehen
und Besorgnis tragen, damit er sowohl mit dem benöthigten
solte secundiret als auch die Arbeits Leute richtig bezahlet
werden, damit Wir in dessen ünterbleibung nicht Ursache
haben mögen euch dieserhalb empfindlich zu bestrafen.
Weimar d. 30.July 1736" i).
Der Major von Busch sollte also offenbar, weil es mit
dem Bau nicht rasch genug ging, künftig die Aufsicht über
ihn führen. Er sollte auch — ein hübscher Zug in dem
Wesen des Fürsten — dafür Sorge tragen, daß die am Bau
]) Großherzogl. Geh.- und Hauptarchiv in Weimar, B. 8765, S. 64.
in Stützerbach. 133
beteiligten Arbeitsleute ihren verdienten Lohn richtig be-
kämen. Gerade weil es an den nötigen Mitteln zum Bau
mitunter fehlte und die Baviten zu den sonstigen Staats-
ausgaben nicht in richtigem Verhältnis stehen mochten,
geriet die Fortsetzung der Bauten oft ins Stocken. Nun
wollte der Herzog wenigstens die Arbeiter unter diesem
ihm gewiß selbst verdrießlichen Umstände nicht leiden
lassen.
Das Jagdgebäude zu Stützerbach wurde mit einiger
Eleganz hergerichtet. Was es überhaupt im ganzen ge-
kostet hat, läßt sich nicht mehr ermitteln. Allerdings hat
sich eine vom Amtsschreiber Gebhard Hans Hamp in Ilmenau
geführte Baurechnung erhalten, die die Bau- und Reparatur-
kosten in seinem Amtsbezirk während des Rechnungsjahres
1734/35 nachweist. Aber die systematisch nach den be-
teiligten Gewerbetreibenden und Lieferanten aufgeführten
Ausgaben beziehen sich keineswegs auf die Dianenburg in
Stützerbach allein, sondern auf die verschiedenen Jagd-,
Pirsch- und Brunsthäuser und Vogelherde , die auf dem
sogenannten Wildstalle (bei Stützerbach), beim „Gückel-
hähngen", im Gabelbach usw. errichtet worden waren.
Insgesamt waren in dem erwähnten Zeiträume einschließ-
lich der Fuhrlöhne, Tagelöhne, Ankauf von Baumaterialien
u. dgl. m. 2487 Fl. 2 Gr. 43/^0 Pf für die der Jagdlust
bestimmten Gebäude verwandt worden.
An der Ausschmückung des Stützerbacher Jagdhauses
war der Stukkateur Buzzi beteiligt. Er hatte einige Hirsch-
köpfe und ein Hirschgeweih angefertigt („poussirt"). Auch
ein Brustbild, dessen Gegenstand nicht angegeben wird,
war von ihm geliefert worden. Was für ein Honorar ihm
dafür zuteil wurde, ist leider nicht angegeben. Wohl aber
ist mitgeteilt, daß Johann Georg Schmidt, der „die von Gips
gegossene Hirschhörner und Formen von Ilmenau nach
Stützerbach tragen müssen", für diese Leistung 12 Gr. er-
hielt. Er hatte sechsmal gehen müssen. Am 29. September
1735 wurden dann dem Stukkateur Buzzi für „die Grotte
134 Das Jagdschloß des Herzogs Ernst August von Weimar
in Stützerbach", über die nichts weiter bekannt ist, 15 Fl.
5 Gr. ausgezahlt. Vielleicht steckte in dieser Summe auch
das Honorar für die erwähnte künstlerische Schöpfung.
Von dem Kaufmanne Johann Christian Stieda in
Arnstadt waren wiederholt Bleiweiß und Farben bezogen
worden, die zur Ausmalung der Räume nötig waren. Die
ihm gezahlten Beträge sind mehrfach angeführt.
Das gräflich Schulenburgische Hüttenwerk zu Katz-
hütte i) hatte 10 Öfen geliefert zu IVs ßtlr. pro Zentner.
Ihm wurde am 27. Juli 1735 für 39i|2 Zentner, die das
Gewicht der Öfen darstellten, die Summe von 84 Fl. 13 Gr.
6 Pf. ausgezahlt. Der Hoftöpfer Leonhard Holmberger in
Altenburg hatte dazu 8 Ofenaufsätze geliefert, die ihm mit
5 Rtlr. das Stück honoriert wurden. Von Johann Lorenz
Huber rührten andere 5 Aufsätze her auf „die eisernen
Oefen im Jagdhauss", für die ihm 12 Fl. 8 Gr. bewilligt
worden waren.
Ein Bildhauer Jopflf empfing am 13. August 1735 4 Fl.
dafür, daß er „16 Stück Schnürckel (!) ins fürstliche Sallet
nachher Stützerbach machen lassen". Die Malerei im
Innern des Gebäudes hatte dem Johann Heinrich Straubel
obgelegen, der in 41J2 Wochen „die beyden Palcons an
denen Pavillons mit Oelfarben staffiret und vergüldet". Er
wurde dafür mit einem wöchentlichen Lohne von 2 Fl. ent-
schädigt.
Die übrigen Nachweisungen in der Baurechnung be-
treffen die gewöhnlicheren gröberen Arbeiten und die ge-
lieferten Baumaterialien.
„Vor Brether und Pallisaden zu schneiden, so aufs
Jagdhauss in Stützerbach und Wildstall kommen" wurden
16 Fl. 15 Gr. 6 Pf. eingetragen.
16 Fl. 19 Gr. erhielt Johann Michael Greiner (in
Stützerbach) „vor Thielen, Latten und Leisten zum Stützer-
1) Über dieses Hüttenwerk siehe Eduard Kühne, Chronik von
Katzhütte, 1891, S. 65, und Wilhelm Stieda, Die Anfänge der
Porzellanfabrikation auf dem Thüringer Walde, 1902, S. 72/73.
I
in Stützerbach. 135
bacher Jagdhausse". In dessen Hause war es auch, daß
der Maurer Casper Höhn „2 Heerde und CastruUe zurechte
machen müssen als Hochfürstliche Herrschaft nach Stützer-
bach gehen wollen". Am 18. Dezember 1734 erhielt der
Maurer für diese Leistung 11 Gr. Für 5450 Schindeln „aufs
fürstliche Jagdhauss zu machen" wurden in der Rechnung
11 Fl. 5 Gr. 2 Pf. angesetzt.
Der Zimmermeister Nikiaus Köchert empfing „accor-
dirter masen vor sämtliche Arbeit an einem Pavillon beym
fürstlichen Jagdhauss in Stützerbach" 77 Fl. 15 Gr.; dem
Steinhauer Nikel Geyer aber wurden „vor 1571 Ciibic
Ellen Mauer an dem Fürstlichen Neuen Bau in Stützerbach,
imgleichen vor 181 Felder auszumauern" 67 Fl. 5 Pf. aus-
geworfen. Johann Paul Grimm mußte 11 Türen im Stützer-
bacher Bau beschlagen. Er erhielt dafür am 28. Juni
1735 27 Fl. 9 Gr. Johann Kobe wiederum ließ sich „die
sämmtliche Tischer-Arbeit im fürstlichen Jagd-Pavillon zu
Stützerbach" mit 59 Fl. 9 Gr. vergüten. Er war es dann,
dem der Auftrag im Januar 1735 zufiel, „2 Clafter Tannen-
holtz zu schlagen als welches Holtz zu Einheitzung herr-
schaftlicher Zimmer in Stützerbach verbraucht worden".
Teilweise bemühte man sich, sparsam zu sein, indem
anderweitig überflüssig gewordene Baumaterialien beim
Stützerbacher Bau wiederum verwandt wurden. Johann
Nikolaus Lincke z. B. erhielt 5 Gr. für die Mühe „wegen
Aussuchung der alten Schloss-Fenster, so alsdenn auf
Stützerbach verbraucht worden".
Auf einen in der Nähe des Jagdschlosses belegenen
Wasserbehälter deutet folgender Eintrag in der Amts-
rechnung unter dem 3. September 1735: „3 Fl. 8 Gr. 3 Pf.
vor 3 Eymer 18 Maass Bier, so auf gnädigen Befehl des
Herrn Oberlandjägermeisters von Volgstädt an die Berg-
leuthe, so an dem Bassin zu Stützerbach gearbeitet, ver-
abfolgt worden". Man könnte an die Anlage eines Spring-
brunnens denken, obwohl von einem solchen keine Rede
ist, oder an den großen Teich bei Stützerbach, der bei der
136 Das Jagdschloß des Herzogs Ernst August von Weimar
Erbauung der Eisenbahn von Ilmenau nach Schleusingen
im Jahre 1905 zugeschüttet worden ist.
In der Hauptsache dürfte nach den vorliegenden
Rechnungen der Bau des Jagdgebäudes in den Jahren 1734
und 1735 vor sich gegangen sein. Wahrscheinlich hätte
er schneller erfolgen können, wenn immer die erforderlichen
Gelder flüssig gewesen wäi'en. Daß man spätestens seit
dem Herbst 1734 am Bau beschäftigt war, erweist auch
der Eintrag eines Botenlohnes von 19 Gr. vom 7. Oktober
1734 an Johann Christoph Sturm „als welcher einen
Brieff wegen des fürstlichen Baues in Stützerbach an Ihro
Excellence den Herrn Oberlandjägermeister von Volgstädten
nachher Weimar bringen und auf Antwort warten müssen".
Es läßt sich nicht mehr ermitteln , wann der hohe
Jagdherr zum ersten Male in seinem neuen Schloß erschien
und sich persönlich davon überzeugte, inwieweit die Aus-
führung seinen Wünschen entsprach. Ist er im Oktober
1734, wie einer der oben erwähnten Einträge vermuten läßt,
wirklich in Stützerbach gewesen, so hat er es jedenfalls
noch in recht unfertigem Zustande gesehen. Einige Jahre
gingen nun dahin, in denen der Herzog sich seines Besitzes
erfreute und hoffentlich die schönen Forsten, innerhalb deren
es sich befand, behufs Ausübung des Weidwerks häufig
aufgesucht haben dürfte. Bald aber sagten ihm die Räume
nicht mehr zu, und er entschloß sich, einen neuen Pavillon
beim Jagdhause erbauen zu lassen. Ein Reskript vom
21. November 1738 setzt den Amtsverwalter in Ilmenau
davon in Kenntnis :
„Nachdeme Wir entschlossen im künfFtigen Erühjahr
ein neues Pavillon in Stützerbach aufbauen zu lassen, alss
wird Unser Amts -Verwalter hierdurch befehligt, die zu
diesem Bau erforderliche Werckstücke und zwar von weissem
harten und nicht gelbstreifigten Steinen bey jetzigem hartem
Wetter brechen und durch die Bau- und Stützerbacher
Frohnfuhren hinauf führen zu lassen, den Betrag dess
Brecherlohns ad 64 Rthlr. 1 Gr. 6 Pf. von denen Amts
«
I
in Stützerbach. I37
Revenuen zu zahlen, wie er dann auch die darzu benöthigte
Backsteine von gutem Letten und nicht von blosser Erden
brennen zu lassen , und zwar soll alles erforderliche in
Zeiten angeschaffet werden, daß dieser Bau im April ange-
fangen und umb Johannis Tag in fertigem Stande seyn
könne. Weimar d. 21. November 1738."
Die Absicht zu diesem Neubau muß schon zeitig sich
geltend gemacht haben. Denn am 7. Februar und am
15. April 1738 beklagte sich Serenissimus in einem an den
Oberlandjägermeister gerichteten Reskripte, daß das zu den
Stützerbacher und Ilmenauer Gebäuden nötige Holz noch
nicht gefällt sei. Holz sollte doch geschlagen werden, ehe
der Saft in die Bäume trete ^).
Indes so rasch, wie der Herzog gewünscht hatte, konnte
der Neubau nicht gefördert werden. Vielleicht war ein
rauhes Frühjahr dem Vorhaben nicht günstig. Genug, statt
im April den Bau des Pavillons zu beginnen, hatte Herr
Landbaumeister Gottfried Heinrich Krohue sich erst am
6. Juni 1739 mit dem Ilmenauer Amtsschreiber und den
Handwerkern nach Stützerbach begeben, um alle Anord-
nungen „nach dem gnädigst approbirten Riss" zu treffen;
was er dort vorfand, erschütterte ihn offenbar dermaßen,
daß er erst nach einigen Tagen den Mut fand, dem Herzog
zu berichten. Am 12. Juni 1738 sandte er ein längeres
Schreiben an den Herzog ab, in dem es u. a. heißt: „da ich
nicht nur die neu anzubauenden Pavillons accurat zum
Grundgraben abgestecket und zu den neuen Aufsatze gleich-
massige Veranstaltungen machen wollen, so hat sich bey
nochmaliger genauen Untersuchung des in sehr Übeln Um-
ständen befindlichen Souterrains gefunden, dass kein Ge-
wände noch Bandmauer mehr in Stande ohne baldige Hülffe
nun das jetzige Gebäude ohne die gröste Gefahr zu tragen,
welches lediglich daher rühret, weil von denen in diesem
1) Großherzogl. Geh.- und Hauptarchiv zu Weimar, B. 8765,
S. 120 und 126.
138 Das Jagdschloß des Herzogs Ernst August von Weimar
Früh Jahr öffters gewesenen Sturmwinden nicht nur das
Souterrains sondern auch sogar das obere Gebäude sehr
zerrüttelt und ausser Verbindung gesetzet worden und ohne
die grösste Gefahr auf dieses Gebäude nichts mehr zu
bauen ist." Er veranschlagt nun die Kosten des Neubaues
auf im ganzen 2407 Rtlr. 16 Gr., stellt es jedoch der
gnädigsten Disposition anheim, ob die Arbeit vorzunehmen
ist, „besonders da der Gebrauch dieses Gebäudes vor Ew.
Hochfürstl. Durchlaucht eigenen Hohen Person nicht sicher
herzustellen ist".
Trotz dieser nicht erfreulichen Sachlage muß es doch
möglich gewesen sein, über die entgegenstehenden Hinder-
nisse zu triumphieren, denn zwei Rechnungen aus Ilmenau
vom 3. Oktober 1739 weisen nach, daß dieses Jahr auf den
Stützerbacher Bau verwandt worden waren 427 Rtlr. und
9 Gr.i).
Im September 1739 wird somit, als der Herzog nach
Stützerbach kam, er seine Wünsche erfüllt gefunden haben.
Aber, charakteristisch für ihn, hegte er, kaum daß seine
Baulust durch Aufrichtung des Pavillons befriedigt worden
war, schon wieder neue Pläne. Am 27. September befahl
er von Stützerbach aus dem Oberjägermeister und dem
Amtsverwalter, daß das „Hauptgebäude zu Ilmenau" bis
zum kommenden Frühjahr noch vor seinem Geburtstage,
den er in Ilmenau zu feiern gedachte, in wohnhaften Stand
gesetzt werden möchte''^).
Im übrigen war der Herzog mit der Ausführung seiner
Vorschriften nicht immer zufrieden. Einige Wochen später
beschwerte er sich beim Bauamt, daß bei seinen Bauten
„so gar nicht nach Unserer gnädigsten intention verfahren,
sondern alles nach eigenem Gefallen zu Unserm grössten
Schaden und Nachteil veranstaltet" werde. Was ein Privat-
mann für 16 Groschen bauen könne, müsse der Fürst mit
1) Großherzogl. Geh.- u. Hauptarchiv zu Weimar, B. 8765,
S. 202.
2) Großherzogl. Geh.- u. Hauptarchiv zu Weimar, B. 8856 d.
in Stützerbach. 139
einem Reichstaler und „noch weit theuerer" bezahlen. Bei
alle dem werde dabei kein einziges Gebäude zustande
gebracht.
Nur vorübergehender Unmut kann dem hohen Herrn
einen derartigen Vorwurf entlockt haben. Vielleicht mochte
für ihn zu teuer gebaut worden sein, aber jedenfalls ge-
schah schließlich alles , was er gewünscht oder befohlen
hatte, und die Hauptschwierigkeit für die Baubeamten wird
darin gelegen haben, daß den verfügbaren Mitteln seine
Pläne vorauseilten.
Nach einem Bauextrakt aus Weimar vom 6. Februar
1740^) waren von 1728 bis 1740 auf den Bau des fürstlichen
Schlosses, auf Jagd- und Lusthäuser im Amte Ilmenau
68000 Tlr. 12 Gr. 71/4 Pf. verwandt worden. In allen
Ämtern belief sich die Ausgabe insgesamt auf 287 653 ßtlr.
11 Gr. 7Yg Pf., und die noch zu bezahlende Bauschuld
wurde auf 16136 Rtlr. 22 Gr. und l^/g Pf- beziffert. Das
mag, mit heutigem Maßstabe gemessen, ja keinen großen
Aufwand bedeuten. Für jene Zeiten und den damaligen
Etat des Herzogtums war es vermutlich ein großer Betrag.
Für das Stützerbacher Jagdhaus macht dieselbe
Rechnung einen Überschlag, der jedoch die erstmalig auf
den Bau verwandten Gelder schwerlich in sich schließt.
Aufs Jagdhaus zu Stützerbach wurden ausgegeben:
von Michaelis 1735—1736 2924 Fl. 2 Gr.
1736—1737 2013 „ 16 „ S^/^ Pf.
1737—1738 326 „ 15 „ IOV2 ^
1738—1739 1084 „ 13 „ 8V5 „
Obwohl, hiernach zu urteilen, alles geschah, was tun-
lich war, konnte der Herzog mit den Neubauten doch nicht
völlig zufriedengestellt werden. Er hatte namentlich in
bezug auf Türen und Fenster später noch verschiedene
Anordnungen erlassen, die bis zum Februar noch nicht aus-
1) Großherzogl. Geh.- u. Hauptarchiv in Weimar, B. 8765,
S. 212, 215.
140 ^^s Jagdschloß des Herzogs Ernst August von Weimar
geführt zu sehen, ihn verstimmte. Um so ärgerlicher war
ihm die Unterlassung, als er aus seiner Privatschatulle für
diese Reparaturen 200 Rtlr. ausgeworfen hatte. Dem Amts-
verwalter Hävecker bezeugte er daher unter dem 23. Febr.
1741 sein entschiedenes Mißfallen über die Nichtbeachtung
seiner Befehle:
„Dem Amtsverwalter Hävecker zu Ilmenavi ist wissend
was Wir voriges Jahr sowohl vor als auch nach Unserer
Reisse von Nürnberg vor ernstliche Befehle wegen völliger
Verfertigung des Jagd Schlosses zu Stützerbach ergehen
und zu dessen mehrerer Beschleinigung zweyhundert Rthlr.
aus Unserer Scatul selbigen zahlen lassen: Da Wir nun
aber zu grösten Verdruss hören müssen, dass diesen Unsern
nachdrücklichen Befehlen noch keine gehorsamste Folge
geleistet und was zu ändern gewesen, gefertigt worden,
Alss bezeigen Wir Unsere dieserhalb geschärfte Ungnade
hierdurch und befehlen nochmals hiemit ernstlich dasjenige
was an gedachten Jagd-Schlosse annoch fehlet, und Unserer
geäuserten Anordnung nach nicht in fertigen Stand gesezet
worden, so fort und ohne Verzug vollkommen fertigen zu
lassen, wiedrigenfalls solches in 14 Tagen als zu welcher
Zeit Wir daselbst seyn wollen, nicht gesehen, Wir die
dazu erforderliche Kosten dem Amtsverwalter bey Heller
und Pfennigen an der Besoldung abziehen lassen werden.
Wornach sich zu richten. Weimar den 23. Februar 1742')."
Hoffentlich gab sich der Herzog, nachdem diese Re-
paratur erledigt war, zufrieden und erfreute sich für die
kurze Zeit, die ihm noch auf Erden vergönnt war, seines
hübschen Besitzes. In den Akten, aus denen wir die vor-
stehende Erzählung geschöpft haben, ließen sich weitere
herzogliche Reskripte nicht finden.
In hohem Grade anziehend wäre es, wenn von dem
Jagdgebäude, um dessen Herstellung und Vervollkommnung
der Herzog sich so angelegentlich bemühte, ein Bild vor-
1) Großherzogl. Geh.- u. Hauptarchiv zu Weimar, B. 8765, S. 307.
in Stützerbach. 14J^
handen wäre. Leider hat sich bis jetzt ein solches nicht
nachweisen lassen. Dasjenige, welches im Sitzungssaale
der Gemeinde Gabelbach hängt, beruht auf Phantasie des
Malers. In Stützerbach erzählt man, daß ein dort in Privat-
besitz befindlich gewesenes Bild an den Hof nach Weimar
gelangt und dort verschollen sei. Um so erfreulicher ist
unter diesen Umständen, daß sich im Rechnungsamte zu
Ilmenau eine Aufzeichnung vom Jahre 1748 erhalten hat,
die aus der Feder des Amtsschreibers Hillardt eine Be-
schreibung der sämtlichen Pirsch-, Jagd- und Brunsthäuser
im Amte Ilmenau liefert. Von der Dianenburg, dem Jagd-
hause zu Stützerbach, weiß er das Folgende zu bemerken:
„Inventarium
über das Fürstliche Jagd - Gebäude zu Stützerbach , die
Dianen-Burg genant, wie solches den 18. Februar 1748 be-
funden worden, als
Der Wall, so um das Haupt-Gebäude doppelt herum
gehet, ist in- und auswendig mit roth angestrichenen
Brethern beschlagen , aber alles verfaulet und sehr bau-
fällig, und stehen auf dem Wall herum 4 steinerne Kugeln.
Zwischen denen Wällen, ingleichen im Schlosshofe, sind
fichtene Hecken angeleget, auch Linden und Eberäschen
angepflantzet.
Im vorderen Hofe stehen 2 Haupt- Wachen , so mit
Schindeln gedecket und mit Brethern beschlagen und ge-
mahlet, vor jeder eine Doppel-Thür mit 2 paar Bändern,
Schloss und Drücker, 2 Fenster, jedes mit 2 Flügeln und
Zugehör, in der Haupt- Wache rechter Hand ein eisernes
Lang Oefgen mit töpffern Aufsatz. Es sind aber beyde
Wachten sehr baufällig und ruiniret. Neben beiden Wachten
quer vorm Hoff ein Wall -Graben, so auf beiden Seiten mit
roth angestrichenen Brethern beschlagen, über welchen
1 höltzerne Brücke. Ist aber alles schlecht und Einfall
unterworfen.
Auf beyden Seiten dieses Hoffes sind Parriers mit
Bohlen beschlagen und roth angestrichen ; rechter Hand
142 Das Jagdschloß des Herzogs Ernst August von Weimar
hinter der Parrier 1 großer Pferde Stall, worinnen Rauffea,
Krippen, Lattier-Bäume, und alles Zugehör. Vor welchen
Stall 1 Doppel-Thür mit Schloß und Bändern versehen,
4 Tafel-Penstergen. Dieser Stall ist inwendig noch ziem-
lich gut, in der Dachung aber baufällig. In diesem Stall
ist 1 Stübgen, wovor 1 einfache Thür mit Zugehör. In
der Stube Fenster mit kleinen Tafel-Scheibgen, 1 eisernes
lang Oefgen mit töpffernem Aufsatz. Aus dieser Stube
gehet 1 Thür in das Kämmergen, so mit Brethern be-
schlagen, woran 2 Bänder, Schloß und Zubehör. In der
Kammer 1 Fenster auch mit 4 eckigen Täfelgen; neben
diesem Stalle unten quer vor stehet 1 Schoppe zum Heu,
so mit Schindeln gedeckt, aber bereits halb eingefallen.
Noch ferne her stehen die Hunde-Zwinger, so auch sehr
ruiniret.
Nun folget das Corps de Logis. Vor dessen Eingang
1 steinerne Treppe, auf jeder Seite 8 Stuffen, 1 eisernes
Geländer und auf steinernen Postamentern 4 steinerne
Kugeln.
Die Haupt-Thür in das Vorzimmer oder Vorsaal hat
2 Flügel mit Bändern, Schloss und Zugehör. In diesem
Vorzimmer sind 2 grosse Bogen-Fenster, jedes mit 2 Flügeln,
weisen Tafeln und allem Zugehör. Vor jedem Fenster noch
2 Laden, 1 Schliess-Schlössgen nebst 2 Vorreibern; noch
3 ovalrunde Fenster über denen grossen und der Thür, auch
mit Tafeln. Das Zimmer ist ringsherum gemahlet und hat
einen Estrich-Boden. Aus diesem Zimmer gehet 1 Thür
ins Tafel - Zimmer mit 2 Flügeln , 4 Kutsch - Bändern,
1 Schloss nebst Schlüssel und Zugehör, auch 2 Riegeln.
Das Tafel- Gemach, darinnen 2 grosse Bogen-Fenster,
jedes mit 2 Flügeln und Zugehör, 2 Laden nebst Schlössgen
und Vorreiber, 3 ovalrunde Fenster, 8 Hirsch-Köpffe, wor-
auff starcke Gehörne, 1 Schenck- Tischgen, so gemahlet und
mit vergoldteten Leisten, unter diesem Schenck- Tischgen
befindet sich 1 Schranck, worvor 1 Thür mit 2 Kutsch-
Bändern, Schloss und Schlüssel, 1 ovalrundes Täfelgen nebst
!
ia Stützerbach. 143
Gestelle, 1 eiserner queer Ofen mit weiss und grün glassur-
tem Aufsatz, Dieses Tafel-Zimmer ist ringsherum gemahlet,
auch der Plavon.
Aus diesem Zimmer rechter Hand gehet 1 Thür mit
2 Flügeln, 4 Bändern, 4 Haacken, 1 Schloss mit Zugehör,
auch 2 Riegeln ins Neben-Zimmer, worinnen neben der Thür
lincker Hand 1 Wand - Schränckgen , wovor 1 Thür mit
2 Kutsch-Bändern, 1 Klincke nebst Zugehör, 1 Fenster mit
4 Flügeln und Zugehör, 2 Laden nebst Schloss und Vor-
reibern.
Rechter Hand der Thür 1 eiserner Ofen mit glassurtem
Aufsatz. Neben diesen 1 Thür, so ins andere Zimmer gehet,
woran 2 Bänder, 2 Haacken Schloss, Schlüssel und Zugehör.
Neben dieser Thür wieder 1 Wand -Schränckgen, wovor
1 Thür mit 2 Kutsch-Bändern, 1 Klincke. Das Zimmer ist
ringsum gemahlet und die Decke mit Stuccatur- Arbeit.
Aus diesem Zimmer gehet 1 Thür ins hintere Zimmer,
woran 2 Bänder, 2 Haacken, 1 Schloss nebst Schlüssel und
Zugehör. In diesem Zimmer nun sind 2 Bogen-Fenster,
jedes mit 2 Flügeln und Zugehör, auch 2 gebrochenen
Laden mit Zugehör, 1 Cammin von Stein, so aschfarbig
angestrichen, die Decke mit Stuccatur-Arbeit und Farben
ausgesetzt.
Aus diesem Zimmer gehet 1 Thür ins Schlaaf-Zimmer,
woran 2 Bänder, 2 Haacken, Schloss nebst Schlüssel und
Zugehör. Neben dieser Thür lincker Hand 1 schmal
Thürgen zum Abtritt, woran 2 Bänder, 2 Haacken, 1 Schloss
mit dem Riegel und Zugehör. In dem Zimmer befindet sich
1 Fenster mit 2 Flügeln nebst Zugehör, 2 Laden und alles
Zugehör.
Aus diesem Zimmer gehet 1 Thür ins Vorzimmer, woran
2 Bänder, 2 Haacken, Schloss nebst Schlüssel und Zugehör.
In dem Zimmer sind 2 Wand-Schräncke, jeder mit
1 Thür, 2 Bändern und 1 Klincke, 1 eiserner quer Ofen
mit glassurtem Aufsatz, 1 Fenster mit 2 Flügeln und allem
Zugehör, auch 2 Laden mit Zugehör.
144 I^as Jagdschloß des Herzogs Ernst August von Weimar
Aus diesem Zimmer gehet 1 Thür in Vorsaal, woran
2 Bänder, 2 Haacken, Schloss, Schlüssel und Zugehör.
Dieser Thür gegenüber gehet 1 dergleichen Thür in das
hintere Zimmer, woran 2 Bänder, 2 Haacken, Schloss,
Schlüssel und Zugehör. Diese Seite ist in Zimmer, Fenster,
Thüren, Oefen in allem wie die rechte Seite. Unter diesem
Haupt-Gebäude und zwar unter der steinernen Treppe gehet
1 Thür ins Souterrain, welche mit 2 Flügeln, 4 Bändern,
4 Haacken, 2 Riegeln, 1 Schloss nebst Schlüssel und Zu-
gehör. Dieser Thür gegenüber im Souterrain gehet 1 Thür
in den Abtritt, woran 2 Bänder, 2 Haacken, 1 Schloss ohne
Schlüssel. Neben dieser Thür rechter band gehet 1 Thür
in die Hoflf-Stube, woran 2 Bänder, 2 Haacken, 1 Schloss,
Schlüssel, Handhabe und alles Zugehör. In dieser Hoff-
Stube sind 2 Fenster, jedes mit einem Schieber und eisernen
Stäben. Aus dieser Stube gehet 1 Thür in die Kammer,
woran 2 Bänder, 2 Haacken.
In der Kammer rechterhand 1 Fenster mit 1 Schieber
und 3 eisernen Stäben, In dieser Kammer liegen alte
Fenster, Thüren und Fenster-Läden. Neben dieser Kammer
ist noch 1 Stube, wovor 1 Thür mit 2 Bändern, 2 Haacken,
Schloss, Schlüssel und Zugehör. In dieser Stube 1 Fenster
mit 1 Schieber und 3 eisernen Stäben. Die andere oder
lincke Seite des Souterrains ist in allem wie die rechte.
Vor der Hoff-Stube sind 2 Fenster, jedes mit 1 Schieber
und 3 eisernen Stäben. Der Bavillon übern Stalle, vor
welchen 1 Auftritt von 8 steinernen Stuffen, ringsum mit
Brethern beschlagen, 2 steinerne Kugeln auf 2 dergl.
Postamentern. Vor dem Bavillon 1 Thür mit 2 Flügeln,
4 Haacken, 4 Bändern, 2 Riegeln, Schloss und Schlüssel.
Im Auftritte befindet sich 1 Fenster mit 2 Flügeln nebst
Zugehör. Von gedachten Auftritt in dem Bavillon gehet
1 Thür auf die Gallerie mit 2 Kugeln, 4 Bändern, 4 Haacken,
Schloss, Schlüssel nebst Zugehör und 2 Riegeln. Auf der
Gallerie gehet linckerhand 1 Thür in das erste Zimmer,
woran 2 Bänder, 2 Haacken, 1 Drücker Schloss nebst
in Stützerbach. j^45
Drücker, Schlüssel und Zugehör. In diesem Zimmer 2 Fenster,
jedes mit 2 Flügeln und allem Zugehör, die Fenster sind
mit grünen Zeug ausgeschlagen, 1 eiserner queer Ofen mit
glassurten Aufsatze. Das gantze Zimmer ist mit gedruckten
ieinwandenen Tappeten ausgeschlagen.
Aus diesem Zimmer gehet 1 Glass-Thür mit 2 Flügeln
ins Cabinet, woran 4 Bänder, 4 Haacken, 2 Riegel, Schloss
und Zugehör. In diesem Cabinet 1 Fenster mit 2 Flügeln
und Zugehör, 2 Schräncke jeder mit 1 Thür, woran 2 Kutsch-
Bänder mit 1 Klincke. Dieses Cabinet ist auch ringsum
mit Ieinwandenen gemahlten Tapeten beschlagen. Die andern
2 Zimmer sind ebenfallss wie die ersten 2 beschaffen und
stehen in selbigen wie am Ende specificiret. Diesen letzten
2 Zimmern gegenüber sind noch 2 dergleichen in Thüren,
Fenstern, Schlössern und Tappeten. Das fordere Zimmer beym
Eingang rechter Hand, die Cammerdieners Stube genannt, da-
vor 1 Thür, woran 2 Bänder, 2 Haacken, 1 Schloss, Schlüssel
und Zugehör. lu dieser Stube sind 2 Fenster jedes mit 2
Flügeln und Zugehör, 1 eiserner Ofen mit glassurtem Aufsatze.
Das Zimmer ist mit Ieinwandenen Tappeten ausgeschlagen.
Auf der Gallerie 2 doppelte Caminthüren , jede mit
2 Flügeln, 4 Bändern, 4 Haacken und 1 Klincke, 1 Thür
zum Abtritte mit 2 Flügeln, 4 Bändern, 4 Haacken, 2 Riegeln,
Schloss und Schlüssel.
Die Treppe in die Obere Etage, worauf 1 Fenster mit
2 Flügeln und Zugehör. Ueber diesem Fenster sind noch
2 Fenster, jedes mit 2 Flügeln und Zugehör. Linckerhand
oben auf der Treppe ist das Camin zum Einheitzen. Neben
diesem die Obere Stube, davor 1 Thür, woran 2 Bänder,
2 Haacken, Schloss, Schlüssel und Zugehör. In dieser Stube
ist befindlich 3 Fenster, jedes mit 2 Flügeln und Zugehör,
1 eiserner Ofen mit schwartzen töpffernem Aufsatze, Aus
dieser Stube gehet 1 Thür in die Kammer, davor 2 Bänder,
2 Haacken, Schloss, Schlüssel und Zugehör. In der Kammer
1 Fenster mit 2 Flügeln und Zugehör.
Unter diesem Bavillon befindet sich der Pferdte-Stall,
wovor 1 alte Thür mit 2 Flügeln, 2 Bändern, 2 Haacken.
XXVII. 10
146 I^äs Jagdschloß des Herzogs Ernst August von Weimar
Im Stalle befinden sich 12 Pferdte-Stände mit Rauifen,
Krippen und allem Zugehör, 6 kleine Tenstergen, jedes mit
1 Schieber und 4 eisernen Stäben. Aus diesem Stalle gehet
1 Thür in die Stall-Stube, wovor 2 Bänder, 2 Haacken,
Drücker-Schloss, Drücker und Schlüssel. In der Stube 1
eiserner Ofen mit 1 alten töpffernen Aufsatz, 2 Fenster,
jedes mit 1 Schieber und vor einem 3 eiserne Stäbe.
Aus dieser Stube gehet 1 Thür ins Cabinet, so mit
Brethern verschlagen, woran 2 Bänder, 2 Haacken und
altem unbrauchbaren Schloss. Im Cabinet 2 Eenster, jedes
mit einem Schieber, noch 1 Thür aus der Stube aufs Privet,
daran 2 Bänder, 2 Haacken, 1 Drücker-Schloss, 1 Fenster
mit 1 Schieber.
Nun folget der Bavillon über der Küche. Dieser
Bavillon ist in der mitlern und obern Etage accurat wie
der Bavillon überm Stalle gebauet, sowohl an Thüren,
Penstern und Öfen, nur sind auf denen Öfen keine glassur-
ten sondern schwartze töpfferne Aufsätze, auch sind keine
Zimmer mit Tappeten ausgeschlagen , auch keine Glass-
Thüren und Wand-Schräncke in selbigen.
Unter diesem Bavillon befindet sich die Küche, wor-
innen 4 Thüren vor 4 Apartements und 6 Penstergen, jedes
mit 1 Schieber und 3 eisern Stäben.
In sämtlichen Gebäuden befinden sich folgende Meubles.
12 gemahlte Spiel-Tischgen,
10 beschlagene schwartze Lehn-Stühle,
3 Peld-Stühlgen,
3 Peld-Tische mit Wachstuch überzogen,
4 Glatte Tische,
3 Schranck-Betten mit Zugehör,
23 Holländische Stühle mit braunledernen Küssen,
6 dergleichen Taboretts,
10 alte höltzerne Lehn-Stühle,
1 Laterne,
1 Carbiner,
2 Pistolen,
in Stützerbach. 147
6 Stück Feuer-Eymer,
6 Stück Hand-Spritzen,
4 halbovale Tischgen.
Johann Georg Hillardt."
Weiter unten ist diesem Schriftstück von anderer Hand
hinzugefügt eine „Specification derer Sachen, welche noch
unterm dato 12ten Martii 1748 auf der Dianenburg zu
Stitzerbach befunden, alss (es folgt nun dasselbe Ver-
zeichnis wie oben, das außerdem noch folgende Gegenstände
nachweist, nämlich) :
I Oval-Tisch im Sali,
4 Spiegel,
II Cardinen von rothstriefigter Leinewand,
6 Span-Betten,
8 unbrauchbare Stroh-Säcke.
Eine ganze Kammer voll unbrauchbarer Laden und
Thüren."
Nach dieser Beschreibung hätte man sich ein ein-
stöckiges Gebäude, wahrscheinlich von erheblicher Längen-
ausdehnung, vorzustellen, das einen Vorsaal, einen Eßsaal,
zwei Wohnzimmer und ein Schlafzimmer mit Vorzimmer,
im ganzen 6 Räume enthielt. Rechts und links vom Haupt-
gebäude befanden sich die beiden Pavillons, der eine über
dem Stall und der andere über der Küche. Sie werden zur
Aufnahme etwaiger Gäste, der Jagdbegleitung und der
Dienerschaft bestimmt gewesen sein. Die innere Ausstattung
zeigt namentlich den Speisesaal durch Bildhauerarbeit deko-
riert, die Decken zum Teil mit Stukkaturarbeit geschmückt.
An Möbeln war aber, wenn das im Jahre 1748 aufge-
nommene Inventar nicht vielleicht nur einen Rest der
einstigen Einrichtung wiedergibt , die Ausstattung be-
scheiden. Einige Lehnstühle, holländische Stühle mit Leder-
kissen, einige Schrank- und Spanbetten , einfache Tische
und Spieltische, Gardinen von Leinwand vervollständigen
die für einen Fürsten sicher nicht luxuriöse Einrichtung.
Bei den Akten befindet sich außerdem ein Nachweis
des Zinngeschirrs, das im November 1749 von dem Amts-
10*
148 Das Jagdschloß des Herzogs Ernst August vou Weimar
Schreiber Hillardt auf Befehl der Obervormundschafts-
kammer abgeliefert werden mußte. Es ist nicht gesagt, daß
dieses Zinn lediglich aus dem Jagdgebäude von Stützerbach
stammte, aber in hohem Grade wahrscheinlich, daß es sich
um dessen Geschirr gehandelt hat. Das Schloß zu Stützer-
bach wurde ja niedergelegt, während die anderen Schlösser
und Gebäude stehen blieben. Also ist es nicht anzunehmen,
daß man die letzteren, auf deren weitere Benutzung man
gefaßt sein mußte, ihrer Einrichtung beraubt haben wird.
Das bemerkenswerte Verzeichnis läßt doch auch nicht mehr
als das Notwendige, keinenfalls Luxus, in den für die Tafel-
freuden bestimmten Geschirren zutage treten.
„Specification
des alhiesigen Fürstlichen Zinnes, so wie solches laut meines
Inventarii zeithero bestanden und von Stück zu Stück auf
hochfürstl. Obervormundschafftl. Ober Cammer Befehl hiermit
überlieffert worden, alss:
2 ovale grosse Schüsseln,
12 grosse und 2 etwas kleinere dito,
4 Potage Schüsseln,
7 Assietten,
2 getriebene Tarrains mit dergl. Glocken und zuge-
hörigen Unterschaalen,
2 glatte grosse Suppen-Schaalen mit Glocken und zu-
gehörigen Unterschaalen,
5 eintzelne getriebene Suppen-Schaalen,
6 Saliers,
1 getriebener und
4 glatte Leuchter,
2 messingene Leuchter
2 Tafel-Leuchter, jeder mit 4 Armen,
41I2 Dutzend zinnerne Teller, worunter etliche Stücke,
so Stücke herausgeschmoltzen,
2 grosse zinnerne Thee-Kessel,
4 Thee-Kängens,
2 Milch-Kängen,
1 grosser zinnerner Schwenck-Kessel,
in Stützerbach. 149
2 getriebene Lavoirs mit dergleichen Giess-Kannen,
2 Mittelschüsseln mit A. J. bezeichnet.
Ilmenau d. 19. Novbr. 1749. -
Johann Christoph Rost.
Dass von alhiesigen Fürstl. Amtschreiber Herrn Johann
Georg Hillardten der Lieferungs-Schein von dem alhier befind-
lichen Zinne, so zu meinem mir gnädigst anvertrauten Inven-
tario gehörigen, verabfolget worden, wird hiermit attestiret.
Ilmenau d. 5. Dezember 1749.
Johann Christoph Rost i)."
Die Beschreibung der Dianenburg durch den Amts-
schreiber Hillardt läßt die Baufälligkeit des Gebäudes er-
kennen. Wiederholt spricht er von verfaulten Brettern,
baufälliger Bedachung. Immerhin lassen diese Wendungen
nicht den Eindruck hervortreten, daß es sich um ein dem
Untergange rettungslos geweihtes Gebäude handelt. Um
so auffälliger wirkt der nur ein Jahr später — am 28. Juni
1749 — vom herzoglichen Landbaumeister Gottfried Heinrich
Krohne, der zur Besichtigung der herrschaftlichen Häuser
in Ilmenau und Stützerbach von der Obervormundschafts-
regierung abgeordnet war, erstattete Bericht. In diesem
heißt es: „Zu Stützerbach sind die fürstlichen Jagdgebäude
dergestalt runiret und verfaulet, dass keine dauerhaffte Re-
paratur mehr anzubringen. Die vielen Fenster Thüren
Öfen und Fussböden, auch übriges Holtz und Brether
Werck wäre noch anderswo mit mehrern Nutzen zu ge-
brauchen." Daraufhin wurde von der Obervormundschafts-
kammer beschlossen, den Bau niederzulegen, und der Dominus
Tutor in Obervormundschaft seines unmündigen Vetters, des
Erbprinzen Ernst August Konstantin zu Weimar, genehmigte
am 2. August den Antrag. Fünf Tage darauf hatte die
herzogliche Obervormundschafts- und Landes-Administration-
Kommission die Kammer angewiesen, dementsprechend vor-
zugehen. Damit war das Schicksal des Hauses, das seinem
Erbauer offenbar viel Vergnügen bereitet hatte, besiegelt.
1) Großherzogl. Geh.- u. Hauptarchiv zu Weimar, B. 8857.
150 J^as Jagdschloß des Herzogs Ernst August von Weimar
Heute erinnert nur noch eine Akte betreffend „die
Demolirung des fürstlichen Jagdgebäudes zu Stützerbach"
im Großherzoglichen Geh.- und Hauptarchiv zu Weimar i)
an das einstige stattliche Gebäude. Sie weist nach, was
seit dem 22. September bis zum 3. Oktober 1749 von der
Dianenburg verkauft, an andere Orte für herrschaftliche
Zwecke gebracht oder noch am Orte selbst vorhanden war.
Verschiedene Privatpersonen beeilten sich, von der wohlfeilen
Einkaufsgelegenheit Gebrauch zu machen. Johann Gundlach
von der Franzenshütte erstand 36 Stück teils zerrissene,
teils noch ganze Bohlen für 2 Rtlr. und die eine Haupt-
wache zum Eingange linker Hand für 8 Rtlr. Die andere
Hauptwache rechter Hand erstand Heinrich Jahn für
10 Rtlr. Für ein altes Spanbett bezahlte Friedrich Wiegand
8 Gr. und 2 Gr. für „3 Stückgen alte gemahlte Brether".
Ebensoviel gab Michel Kobe für eine alte halbe Tür ohne
Beschläge. Zwei hölzerne Lehnstühle erwarb Friedrich
Wiegand für 4 Gr. Die alten Dachschindeln fanden zum
Preise von je 6, 7 und 8 Gr. pro Hundert verschiedene
Liebhaber.
Der Erlös aus den verkauften Materialien bezifferte
sich im ganzen auf 79 Rtlr. 22 Gr. 11 Pf. Dagegen be-
liefen sich die für die Demolierungsarbeiten den Zimmer-
leuten, Maurern, Schreinern usw. entrichteten Tagelöhne
auf 64 Rtlr. 1 Gr. 3 Pf., so daß sich ein Reinertrag von
15 Rtlr. 21 Gr. 8 Pf. ergab. Aber alles, was für das
Jagdgebäude einstmals geliefert worden war, hatte sich
seither nicht bezahlen lassen. So waren noch Beträge von
insgesamt 42 Rtlrn. 16 Gr. 1 Pf. zu berichtigen, für welche
zunächst nicht mehr als die 15 Rtlr. 21 Gr. 8 Pf. vor-
handen waren. Demnach schloß die Niederlegung zuletzt
mit einem Defizit in der Höhe von 26 Rtlrn. 18 Gr. 5 Pf.
Manches von dem, was einst das Jagdhaus geschmückt
hatte, wurde als an anderer Stelle noch verwendbar erachtet.
Einiges ging nach Kammerberg, anderes nach Hmenau.
1) Großherzogl. Geh.- u. Hauptarchiv zu Weimar, B. 8869 a.
in Stützerbach. 151
„519 Schu gehauene Steinplatten" wurden zur Reparatur an
die herrschaftliche Schenke nach Kammerberg abgegeben.
Ebenso gelangten dahin „75 Schu gehauener Steinstufen und
4 Stück Ofen-Füssgen", eine verdoppelte Tür mit Schloß und
Beschlägen, 3 Türen mit eingefaßten Füllungen samt den
Beschlägen, 1 Tür mit Schloß und Beschlägen, 1 Tür mit
2 Flügeln, auch Schloß und Beschlägen. Fenster und Tür-
futterstücke kamen teils nach Kammerberg, teils nach Ilmenau.
Nach dem letzteren wurden gebracht Bretter, „4 grosse Tafeln,
8 Stück Termes (!) nebst 8 Hirschköpfen mit Geweihen,
2 Stück gemalte Brether, worauf Landschaften gemahlet",
5 Stück einfache Türen mit Beschlägen, aber ohne Schloß
und 4 Türen mit Schloß und Beschlägen.
Mit die wertvollsten Stücke waren die Öfen. Über
ihren Verbleib gibt ein Blatt in dem erwähnten Inventar
aus dem Rechnungsamte Ilmenau Auskunft.
„Specificatio derer eisernen Oefen, welche auf Hochfürstl.
Obervormundschafts-Cammer gnädigsten Befehl aufm Schlosse
zu Stützerbach ingleichen ausm Wildstaller Brunst - Hause
abgenommen und nachher Weimar geliefert werden müssen :
1. Ausm Küch-Pavillon , welcher sehr baufällig, ein
eiserner Lang-Ofen mit dergleichen Aufsatze. Darzu ge-
hören 11 Stücke Blatten und G Schrauben.
2. ein dergleichen Lang-Oefgen, worauf ein eiserner
Bogen - Aufsatz und hat 21 Stücke nebst einer kleinen
blechernen Zug-Röhre.
3. und 4. zwey eiserne Queer-Oefgen, worauff töpfferne
Aufsätze gewesen und hat jeder 9 Stück Blatten und eine
blecherne Zug-Röhre.
5. ein dergleichen Queer-Ofen, hat ebenfalls 9 Stücke.
6. ein eiserner Lang-Ofen ohne Halss, worauff auch ein
töpfferner Aufsatz gewesen und hat 5 Stücke.
7. ein dergleichen Lang-Ofen mit dem Halss, worauff
auch ein töpfferner Aufsatz gewesen, und hat 9 Stücke.
8. Ferner aus der Stall - Stube unterm Pavillon ein
eiserner Lang-Ofen mit dem Halse worauf gleichfals ein
töpferner Aufsatz gewesen und hat 9 Stücke.
152 I^^s JagdscKloß des Herzogs Ernst August etc.
9. Aus der Stall-Stube am grossen Stalle ein eiserner
Lang-Ofen mit dem Halse und hat 9 Stücke, worauf auch
ein töpferner Aufsatz gewesen.
10. Aus der Hauptwache rechter Hand ein langer
eiserner Wind- Ofen mit 5 Stücken und einer Wind-Röhre.
11. Ausm Wildstaller Prunsthause ein eiserner Lang-
Ofen mit dem Halse, worauf ein töpfferner Aufsatz gewesen,
hat 9 Stücke.
Hmenau den 13. Novbr. 1748.
Johann Georg Hillardt.
Nota : eines jeden Ofens Numer stehet auf jeden darza
gehörigen Stücken mit Rodel geschrieben. Die Ofen-Füsse,
so meistens von Sand-Stein, können auf Verlangen auch nach-
geschicket werden.
Vorstehende 11 eiserne Öfen sind geliefert worden
und an folgende Orte gekommen nehmlich:
3 Stück ins Grosse Schloss bey die Gothaische Com-
mission,
2 Stück in der Durchl. Prinzessin Ernestinen Zimmer,
1 ins Justiz- Amt,
1 ins rothe Schloss auf des Bereiters Intras Stube,
2 in die ehemaligen Forst-Amts Zimmer,
2, so an Herrn Kammermaister Hainisch verkaufft
worden sind, welches hiermit attestiere."
Es wäre nicht ohne Interesse, zu ermitteln, was von
diesen Gegenständen sich bis heute noch an der Stelle, für
die sie ursprünglich nicht bestimmt waren, erhalten hat.
In Stützerbach ist alle Erinnerung an das Gebäude fast
geschwunden. Nur dem Eingeweihten verraten einige Er-
höhungen über der Oberfläche, vielleicht die früheren Wall-
anlagen, den Platz, wo mutmaßlich das Haus sich erhoben
hat. Im übrigen aber gilt von dem Jagdhause zu Stützer-
bach dasselbe, was A. Kopisch einst von Aquileja ge-
sungen hat: daß man nichts als die Stätte und nicht die
Stätte fand!
V.
Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert.
Von
Wilhelm Stieda.
1. Die Gründung und Entwickelung der Hütte.
Bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts war auf dem
Thüringer Walde eine ganze Reihe Glashütten allmählich in
Gang gekommen. Von den mutmaßlich ältesten unterhalb
Judenbach am Glasbach, auf der Wiefelsburg bei Steinach,
am Hüttengrund im Schleusinger Forst, an der langen
Silbacher Wand und an anderen Orten mehr weiß man nicht
viel mehr als daß sie einst bestanden und vermutlich wegen
Mangel an Brennholz eingehen mußten i). Historisch besser
beglaubigt sind die Glashütten im Zillbachgrunde, an der
Winckelmühle in der Torgauer Heide, in Langenbacb, einem
Seitentale des Schleusegrundes, in Fehrenbach und Lauscha,
die dem 15. und 16. Jahrhundert entstammen. Sie haben,
mit Ausnahme der beiden letztgenannten, ebenso wie die
im 17. Jahrhundert in Grumbach und Tambach in Betrieb
gesetzten, bald ihre Tätigkeit wieder einzustellen sich be-
wogen gefühlt. Außer den Hütten zu Lauscha und Fehren-
bach haben sich auch spätere, dem 17. und 18. Jahrhundert
entstammende Hütten, wie die zu Piesau, zu Schmalenbuche,
zu Gehlberg, zu Altenfeld, zu Stützerbach und zu Allzunah,
lebensfähiger erwiesen. Sie bestehen zum Teil bis auf den
heutigen Tag.
Den Bedarf der Bewohner des Thüringer Waldes an
Hohl- und Tafelglas hätten diese Etablissements sicher zu
1) A. Freysoldt, Die fränkischen Wälder im 16. und 17. Jahr-
hundert, 1904, S. 150; Ernst Koch, Die ehemalige Glashütte zu
Langenbach, 1908, passim.
154 Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert.
decken vermocht. Sie hatten sogar immer über den ein-
heimischen Bedarf hinaus erzeugt und einen mehr oder
weniger flotten Handel in andere deutsche Länder, selbst
ins Ausland, namentlich nach Holland einzuleiten gewußt.
In den Gewinnen, die hierbei erzielt wurden, ist vermutlich
der Grund zu suchen, daß das 18. Jahrhundert eine ganze
Reihe neuer Gründungen brachte. Die Landwirtschaft hat
in Thüringen niemals viele zu ernähren vermocht. Wenn
es auch in älterer Zeit vorgekommen sein mag, daß ge-
legentlich mehr Frucht gebaut worden ist, als man brauchte,
und auf der Werra über Bremen nach Spanien und Portugal
Getreide ausgeführt wurde, wenn an den Ufern der Saale
der Weinstock gedeiht und in der Ebene von Erfurt, wo
einst blühende Waidkulturen bestanden, heute ein intensiver
Gartenbau getrieben wird, — im ganzen laden doch weder
Klima noch Bodenbeschaffenheit, von einigen bevorzugten
Gegenden abgesehen, zu eifriger Feldarbeit ein.
Dafür aber bot der Wald, der schöne ausgedehnte
Forst, den man sich keineswegs als undurchdringlichen Ur-
wald, unwegsam und verlassen vorzustellen hat, für einen
ansehnlichen Teil der Bevölkerung eine schier unerschöpf-
liche Quelle von Möglichkeiten, den Lebensunterhalt zu ge-
winnen. Von jeher war dieser Wald nicht nur der beste
Freund, nein auch der Schützer und Ernährer der armen,
schwer um ihr Dasein kämpfenden Menschen i). Nicht nur,
daß man in ihm das nötige Feuerungsmaterial schlug und
das Holz zum Bau von Häusern erhielt, daß er auf seinen
Wiesen und Triften dem Vieh im Sommer eine kräftige
Weide und ausreichendes Futter für den Winter verab-
folgte — so setzte er viele fleißige Hände in eifrige Be-
wegung, die seine natürlichen Reichtümer auszubeuten und
klingendes Geld für sie einzutauschen verstanden.
Im Walde verdiente der Handarbeiter seinen Tagelohn.
In seinen Gründen fanden die Laboranten, Balsamträger und
1) Vgl. Kius, Das Forstwesen in Thüringen im 16. Jahrhundert ;
H. Heß, Der Thüringer Wald in alten Zeiten, 1898; A. Freysoldt,
Die Fränkischen Wälder im IG. u. 17. Jahrhundert, 1901.
Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhunderc. 155
Olitätenliändler jene heilbringenden Kräuter und Gewächse,
die sie zu Pillen, Wundwässern, Balsamen u. dgl. m. ver-
arbeiteten, mit denen sie armen Leidenden zu Hilfe kamen.
Erd- und Himbeeren, Pi'eisel- und Schwarzbeeren in ihm zu
sammeln, ist auch heute nicht aus der Mode gekommen.
Mehr als andere brauchte den Wald der Köhler. In
einer Zeit, die Steinkohlen noch wenig kannte, war der
Bedarf an Holzkohlen seitens der Waffen-, Huf-, JSTagel-
und Hammerschmiede, der Kupfer- und Eisenhütten ein ge-
waltiger. Während heute die Köhlerei als ein harter, müh-
seliger Beruf erscheint, der in Wind und Wetter, am Tage
und in der Nacht unausgesetzte Aufmerksamkeit erfordert,
drängten sich früher die Leute zu dieser Tätigkeit so sehr,
daß man sich im Jahre 1548 genötigt sah, die Holzmengen,
die ihrem Zwecke dienten, an vorgeschriebenen Orten fest
zu bestimmen.
Ansehnliche Gegenstände des Handels waren Pech,
Kienöl und Kienruß, die von den sogen. Harzern oder Pech-
leuten aus dem Harze des Nadelwaldes gewonnen wurden.
An Pottaschesiedereien fehlte es ebenfalls nicht. Auf sie
rechneten die zahlreichen Glashütten , die den Sand des
Waldes und sein Holz zum Feuern nicht entbehren konnten.
Dazu kamen die Schneidemühlen, die große Holzmengen ver-
arbeiteten. Man fand sie nicht nur an den größeren Gebirgs-
wässern, die noch heute deren Räder treiben, sondern auch
in den entlegenen Tälern, die von damals wasserreichen
Bächen durchzogen waren. Man mußte ihnen im Laufe der
Jahre Einhalt tun, weil die Waldverwüstung, die sie ver-
schuldeten, zu arg wurde. Noch im Jahre 1812 waren 128
vorhanden ^).
Hand in Hand mit ihnen gingen alle jene Handwerker,
die auf Holz angewiesen waren, als Schindler, Büttner,
Felgen- und Muldenhauer, Wagner, Sieb-, Korb-, Kammacher,
Löffler, Drechsler, Schnitzer. Bereits seit dem 14. Jahr-
hundert pflegten nachweislich deren Erzeugnisse auf den
1) von Hoff und Jacob, Der Thüringer Wald, besonders für
Reisende, 1807, II, S. 487.
156 Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert.
Markt zu Erfurt zu gelangen. In den noch heute mit ihren
Holzwaren herumziehenden Hausierern aus dem Altenburger
Holzlande haben wir die Reste jener einst blühenden G-ewerbe.
Mit dem Walde im Zusammenhange stand der Berg-
bau. Galt die mühevolle Arbeit nicht dem edlen Golde, das
übrigens stellenweise im Sande der Flüsse sich ebenfalls
fand, so war an Eisen-, Stahl- und Kupferhämmern, an Blau-
und Erischfeuern, an Hochöfen und Drahtwerken kein Mangel,
Auf diesen Stoffen beruhte die weitverzweigte mannigfaltige
Metallindustrie , vornehmlich in Suhl und Schmalkalden.
Allen diesen Tätigkeiten diente der Fuhrmann, der in Abfuhr
des Überflusses und Zufuhr des Notwendigen eine ungleich
wichtigere Rolle in der Volkswirtschaft als heute spielte.
Fehlte es auf diese Weise einem gewerbefleißigen und
tätigen Völkchen an Gelegenheit zur Beschäftigung nicht,
so mochte doch fünf Jahrzehnte nach dem 30-jährigen Kriege
bei der nun wieder stärker sich vermehrenden Bevölkerung
mitunter ein Mangel eintreten. Das 18. Jahrhundert, be-
sonders seine zweite Hälfte ist die Zeit, in der überall fast
wegen der Nahrungs- und Erwerbslosigkeit geklagt wird.
Eben jener Periode gehören vielfache Projekte und Kom-
missionen an, die sich bemühen, Stadt und Land wirtschaft-
lich zu heben. Daß die Waldbesitzer darauf bedacht waren,
ihren Holzbestand besser zu verwerten und darum die
Begründung von Glashütten begünstigten, mag für die erste
Hälfte des 18. Jahrhunderts vielleicht gelten. Später schaffte
die aufkommende Flößerei auf den Waldströmen, der Gera,
Hm, Schwarza, Saale, Werra, Haslach, Kronach und Rodach
viel Geld ins Land, und als im letzten Drittel des Jahr-
hunderts die Porzellanfabriken aufkamen, gebrach es bald
an vielen Orten am erforderlichen Brennholze. Die Glas-
hütten des 18. Jahrhunderts sind mit vereinzelten Aus-
nahmen Gründungen kleiner Leute oder wohlhabender Kapi-
talisten, aber jedenfalls solcher Personen, die sich um Privi-
legien zur Beschaff'ung des Brennmaterials bemühen müssen.
So ist es, glaube ich, mehr der Wunsch, der wachsenden
Bevölkerung den Unterhalt zu bieten, der in den Jahren
Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert. 157
1707 — 1745 nicht weniger als 10 Glashütten an ver-
schiedenen Orten des Thüringerwaldes entstehen läßt. Ja
bei zweien, den Hütten zu Manebach und Ilmenau, ist aus-
gesprochen der Wunsch maßgebend gewesen, vorhandene
Steinkohlenlager ausnutzen zu können.
An dem Aufkommen der Glasindustrie war das Herzog-
tum Sachsen-Weimar ebenfalls beteiligt. In Stützerbach war
um 1656, in Allzunah, anderthalb Wegestunden davon, um
1691 eine Glashütte eröffnet worden. Zu ihnen gesellte sich
seit dem Jahre 1735 eine neue Hütte in Ilmenau. Da die
Stützerbacher Glashütte sich ganz gut anließ, wird dem
Herzog Ernst August die Begründung einer zweiten Anstalt
in Ilmenau nahe genug gelegen haben. So berief er den
Glasmachergesellen Martin Müller im Jahre 1731 zur Leitung
der neu anzulegenden Hütte in Ilmenau i).
„Von Gottes Gnaden Wir Ernst August Hertzog zu
Sachsen, Jülich, Cleve und Berg, auch Engern und West-
phalen uhrkunden und bekennen hierdurch, dass wir den
bissherigen Glassmachergesellen zu Stützerbach , Martin
Müllern, in Ansehung seiner guten Geschicklichkeit zu
unsern Glasmeister bey der jetzt anzurichtenden Glass-Fabric
zu Ilmenau in Gnaden ernennet (worüber ihme nechstens
die Instruction zugefertiget und er darüber verpflichtet
werden soll), auch ihme hiernechst zu seinem jährlichen
Gehalte 200 Rthlr. an Gelde nebst dem freyen Logis vom
1. September curr. anni ausgesetzet. Gleichwie wir nun
der richtigen Abgabe halber ohnverzüglich Verfügung thun
werden, also haben wir dieses Bestallungs-Decret auszu-
fertigen befohlen und solches unter unserer eigenhändigen
Unterschriflft und vorgedruckten fürstlichen Insiegel dem-
selben wissentlich zustellen lassen. Datum Weimar den
8. Septembr. 1731.«
So lautete das Dekret, das den Glasmachergesellen zum
wahrscheinlich viel beneideten Glasmeister in bevorzugter
1) Nach Akten im Großherzoglichen Geheimen und Haupt-
archiv zu Weimar, ß 6447, 6451, 6466, 8856 c.
158 Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert.
Stellung berief, und offenbar noch in demselben Jahre ist
der Betrieb begonnen worden. Denn schon im folgenden
Jahre wurde vom Herzog ein Bericht eingefordert, den der
Glashüttenfaktor Burgkhard auch getreulichst abgestattet
hat. Leider ist er, einem Bericht des Amtsschreibers
Eisfeld in Ilmenau vom 16. Januar 1733 angeschlossen,
nicht auf uns gekommen. Wie es den Anschein hat, war
der Herzog mit den Ergebnissen nicht zufrieden, und ver-
mutlich von der Überzeugung durchdrungen , daß zur
Förderung des Werkes Betriebsmittel gehörten, wies er von
seinem Lustschloß Belvedere die Kammer an i), dem Ober-
jägermeister von Volgstedt 200 Rtlr. zum Behufe der Glas-
hütte in Ilmenau zu zahlen. Offenbar handelte es sich um
den Ankauf von Holz aus den fürstlichen Forsten. Sogleich
hatte er auch für seinen Glasmeister, dessen Geschicklich-
keit ja schon im Dekret gerühmt wurde, ansprechende Auf-
gaben. Er ließ ihn im Januar 1735 schleunigst nach Weimar
kommen, um über die Anfertigung von Kronleuchtern („Cronen-
Leuchter"), zu denen die Zeichnungen bereits in seinen
Händen waren, sich zu besprechen.
Jedenfalls war die Hütte im Betrieb. Über die Er-
gebnisse der Kampagne vom 18. Februar bis zum 15. Juni
1737 liegt eine Rechnungsablage vor, die Einnahmen von
1759 Rtlr. 10 Gr. und 1 Pf nachweist 2). Leider war
gleichzeitig die Ausgabe nicht unbeträchtlich, im ganzen
1743 Rtlr. 18 Gr., so daß ein Reinertrag von nicht mehr
als 15 Rtlr. 18 Gr. und 1 Pf sich ergab 3). Dabei war
die Besoldung des Rechnungsführers und des Glasmalers
noch gar nicht in der Ausgabenrechnung mitenthalten. Doch
war Aussicht auf eine freundlichere Gestaltung der Zu-
kunft , da man von vornherein einen hohen Grad der
Geschicklichkeit erreicht hatte. Die Mannigfaltigkeit der
Gläser, sowohl der Hohlgläser als des Tafelglases, die man
1) Am 4. Septbr. 1734.
2) Großh. Archiv Weimar, B. 6447, S. 15.
3) Anlage 1.
Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert. 159
herstellen konnte, ist nicht gering. Auch die nächste Rech-
nung, die sich über die Zeit vom Michaelis 1736 bis eben-
dahin 1737 erstreckt, zeigt noch kein erfreuliches Ergebnis.
Denn der gesamten Einnahme von 3574 Tlr. 17 Gr. 1 Pf.
standen Ausgaben in der Höhe von 3503 Tlr. und 1 Gr.
gegenüber. Somit war der Reinertrag noch nicht größer
als 71 Rtlr. 16 Gr. 1 Pf.i).
Die Anlage läßt die Verschiedenartigkeit der Produk-
tion in jener Zeit erkennen. Wie bemerkenswert sie sein
mochte, bei einer Hütte, die noch nicht lange im Betriebe
war, so genügte sie doch dem herzoglichen Ehrgeize durch-
aus nicht. Bald darauf berief er, im August 1738, den
Glasmacher Johann Gottlieb Crahmer aus Böhmen, der im
Rufe stand, in der Fabrikation von Spiegelglas vorzüglich
bewandert zu sein und besonders die Zusammensetzung des
„englischen Glassatzes" zu beherrschen. Er sollte mit „mög-
lichsten Fleisse" die Spiegelfabrikation einführen. „Seine
einzige Sorge" sollte sein, „diese Fabrique immer je mehr
und mehr in besseres Aufnehmen zu bringen" ^). Es ist
zwar in diesem Vertrage der Ort, an dem die Spiegel-
fabrikation vor sich gehen sollte, nicht genannt. Aber man
kann doch kaum etwas anderes annehmen, als daß die Her-
stellung von Spiegelglas als ein besonderer Zweig an das
bestehende Etablissement angeschlossen werden sollte. Kurz
vorher ^) hatte der Herzog seinen Berghauptmann v. Imhoff
beauftragt, ihm „einen habilen Mann" zu verschreiben, der
die Anlage einer Glashütte mit dem Brande von Steinkohlen
verstehe, die bei Ilmenau — er meinte wohl die Kohlen-
werke von Kammerberg — „in ziemlicher Qualität gewonnen"
würden. Einige Jahre später schickt er den Amtsschreiber
Tromler nach Voßfeld zu dem dortigen Pfarrer, dessen
Namen nicht genannt wird, der aber in der Optik sehr er-
fahren sei und bei dem Rat Tschirnhausen in Dresden
1) Anlage 1.
2) Stieda, Anfänge der Porzellan fabrikation, S. 19.
3) Am 22. Septbr. 1736.
160 Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert.
gelernt hätte ^). Augenscheinlich sollte von diesem sach-
und fachkundigen Manne irgendeine Auskunft zur Ver-
besserung des herzustellenden Glases eingezogen werden.
Der Fachmann, der den Steinkohlenbetrieb kannte,
wurde zunächst nicht gefunden, und am Ausgange des
Jahres 1737 mußte die Hütte eine Zeit lang stillstehen.
Zu Beginn des neuen Jahres 1738 liegt eine Eingabe des
Tafelglasraachers Michael Heintze vor, ihm das versprochene
Wartegeld von einem Taler wöchentlich, sofern die Glas-
hütte stillstehe, auszahlen lassen zu wollen. Auch ein
verdienter Lohn in der Höhe von 30 Thalern wäre ihm
noch nicht geworden.
Aber die bösen Zeiten gingen vorüber, und am 5. Juli
1738 traf ein herzoglicher Befehl beim Oberjägermeister
von Volgstedt ein, die Glashütte in Ilmenau wieder in
Gang bringen zu lassen. Von dem zu diesem Zweck ge-
schlagenen Holz sollten 80 — 100 Klafter zur Flöße gefahren
und an die Glashütte gebracht werden.
Kurz vorher hatte der stellvertretende Amtsverwalter
Wirsing in Hmenau ein sehr ungnädiges Reskript bekommen,
dahin lautend, daß die Glashütte ordentlich in Betrieb kommen
sollte und den Glasarbeitern der verdiente Lohn verabfolgt
werden möge. Vermutlich waren dem erwähnten Gesuche
Heintzes andere gefolgt. Er, Wirsing, werde sich wahr-
scheinlich seinen Lohn „ordentlich nehmen", dann sollte es
aber mit den Arbeitern ebenso gehalten werden. Der Herzog
wollte aus seiner Schatulle im verflossenen und im laufen-
den Jahre 8000 Tlr. zum Besten Ilmenaus hergegeben
haben. Wozu daneben die Amtseinkünfte verwandt worden
wären, konnte er sich nicht erklären. „Und ich werde gewiss",
schloß der Befehl, „ein anderes Procedere machen, woferne
einigen Unterschleif hinterkommen sollte, dahero selbiger
besser thut, er entdecke es freywillig und weil es noch Zeit
ist, damit nicht am Ende das Zuchthauss erfolgen müsse."
1) Bericht Tromlers vom 10. Mai 1744, B. 8447, S. 98—102,
Anlage 5.
Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert. \Ql
So schlimm, wie der Herzog vermutete, lag indes die
Sache keineswegs. Wirsing war mit Eecht sehr gekränkt
über die „geringe Confidence", die der Herzog ihm schenke.
Er fühlte sich in seinem Gewissen vollkommen frei und
erbot sich sofort, sowohl eine Kaution zu stellen als auch
seine Rechnungen von dem ßentamte in Ilmenau prüfen
zu lassen. Daß die Glashütte bis jetzt keinen Reingewinn
abgeworfen habe, erklärte er aus den Schulden, die er bei
seinem Amtsantritt vorgefunden hatte und die er hatte ab-
tragen müssen, um deren Kredit zu erhalten.
Zugleich bereitete Wirsing alles zum Beginn der Arbeit
vor. Das Holz war angefahren, die nötigen Glashäfen
standen zur Aufnahme der Masse bereit und alle Veran-
staltungen, den neuen Glasofen zu setzen, waren gemacht.
Nur die Beschaffung der Glasmacher stieß auf Schwierig-
keiten. Denn alle Hütten in der nächsten Umgebung von
Stützerbach hatten zu arbeiten begonnen und die verfüg-
baren Kräfte an sich gezogen. Die fürstliche Arbeitsstätte
mochte um so williger von ihnen aufgegeben worden sein,
als in der letzten Zeit die Ruhepause lange gedauert haben
mochte.
Wirsing stellte jetzt einen Ueberschlag für die dem-
nächst erforderlichen Betriebskosten auf:
30 Ethh-. vor Potasche
2 „ 12 Gr. vor Gipss
4 „ vor Besoldung dem Glasmeister Müller
3 „ dem Glassmeister Greiner
5 „ dem Tafelraacher Heinzen
4 „ denen 2 Vorbläseren
2 „ 20 Gr. denen 2 Rhürern
2 „ 12 Gr. denen 2 Knopff- und Bodenmachern
1 „ lö Gr. denen 3 Eintragjungen
1 „ vom Sandwaschen und Glasseinbinden
— „12 Gr. vor Schmiedekosten
57 Rthlr. Summa ^).
1) „Specificatio des baaren Verlags, so bey alhiesiger hochfürst-
lichen Glasshütte allwöchentlich unumgänglich erfordert wird",
Ilmenau den 24. July 1738. Geh. Haupt- u. Staatsarchiv in Weimar
B. 6447, S. 40.
XXVII. 11
162 Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert.
Diese 57 Rtlr. wöchentlich anweisen zu wollen, wurde
der Herzog ersucht. Da oiFenbar hierbei neue Schwierig-
keiten vorauszusehen waren, erbat Wirsing die Zustimmung,
Hohlglas anfertigen zu dürfen. In diesem Falle würde er
von einigen Kaufleuten Vorschüsse auf die zu liefernden
Gläser in der Höhe von einigen 100 Rtlr. erwirken können.
„So werde dann das Werck Ew. Hochfürstlichen Durchlaucht
hohen Intention gemäss mit Avantage getrieben werden."
Des Herzogs Sinn aber war auf Höheres gerichtet,
Trinkgläser waren von jeher in den thüringischen Glas-
hütten angefertigt. Der Herzog wollte jetzt die Spiegel-
fabrikation einführen. Außerdem war sein Augenmerk auf
die Schonung seiner Wälder gerichtet. Daher bestand die
zweite Neuerung, auf die er es abgesehen hatte, in der Ver-
wendung von Steinkohlen. Demgemäß ließ er sich von
Johann Christoph Glasser aus Bischofsgrün i) am 20. Januar
1739 einen Bericht über die Durchführbarkeit seiner Pläne
erstatten. Sehr ermunternd fiel dieser gerade nicht aus
Glasser hatte auf einer Spiegelhütte im Sultzbachischen ^)
mit den dortigen Arbeitern Rücksprache genommen und
diese hatten anerkannt, daß die Steinkohlen eine weit
größere Hitze gäben als Holz, allein zur Herstellung eines
feinen weißen Glases taugten sie nicht. Die Flamme sei
schweflicht und das Verbrennen erzeuge viel Staub und
Asche, wodurch das Glas „gelb, schwartz, finster und un-
gestalt" werde. Nicht einmal gewöhnliches grünes Glas
lasse sich mit Steinkohlenfeuer gewinnen, wie er sich in
Saarbrücken und in Lück^), wo fürstliche Hütten mit
1) Über die Glasfabrikation in Bischofsgrün vergl. Alb. Schmidt,
Die Geschichte der Glas- und Perlenfabrikation im Fichtelgebirge,
Bayreuth 1900, S. 10 ffg.
2) Welches Sulzbach gemeint ist, ließ sich nicht ermitteln,
3) Von einer Glashütte in Friedrichstal, in Nassau-Saarbrücken,
berichtet Goethe, Wahrheit und Dichtung, Cottasche Ausgabe von
1809, Bd. XXII, 2. Teil, 10. Buch, S. 105. Einen Ort Lück vermag
ich nicht nachzuweisen. Lyck in Ostpreußen wird wohl schwerlich
gemeint sein.
Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert, 163
Steinkohlenfeuer in Betrieb wären, überzeugt hätte. Auch
in London erzeuge mau feines Glas nur mit Holzfeuer und
in Holland sei kürzlich ein Versuch, eine Spiegelglashütte
mit Steinkohlen zu feuern, mißglückt.
Was die Herstellung von Spiegelglas anbelangt, so war
nach der Ansicht des Gutachtenden „es rathsamer, wenn nur
die 2 mittleren Häfen zu den Ausgüssen genommen würden
und die anderen 4 Haffen herausgearbeitet, das sie geblasen
würden, es käme ein größerer Nutzen heraus, indem man
Spiegel blaasen und machen kann, dass sie uf 36, 38, auch
wohl uff 40 Zoll hoch kommen". Das dabei erforderliche
Personal bezifferte er auf 7, „die giessen und blaasen",
ferner 1 Strecker, 1 Tafelschneider, 1 Kompositionsbereiter,
2 Schürer und 2 Holzträger. Für die Schleif- und Polier-
arbeiten aber seien 14 Schleifer, 6 Polierer, 1 „Beleger, der
das Folio trauff macht", und 1 Zieraten-Schleifer nötig.
Zur Herstellung der baulichen Vorrichtungen sowie zu
dem Ankauf der metallenen Platten und der Schleife seien
5000 Rtlr. erforderlich. An Holz werde die Spiegelhütte
wöchentlich 25 Klafter brauchen. Das Flößholz tauge dazu
nicht und daher müsse die Spiegelhütte im „wilden Wald"
erbaut werden ^).
Der Herzog ließ sich durch diese kostspielige Auf-
stellung des Bedarfs keineswegs entmutigen. Wenn auch
zunächst auf die Verwendung von Steinkohlen verzichtet
worden zu sein scheint, an der Idee, Tafel- und Spiegelglas
anzufertigen, hielt der hohe Herr mit Hartnäckigkeit fest.
Im September 1739 schickte er einen Sachverständigen
nach Steuerwald 2), um die dortige Glasfabrik zu besichtigen
1) Bericht Joh. Christoph Glassers aus ßischofsgrün v. 20. Jan.
1739. Ueber die Geschichte der Spiegelfabrikation vergl. Bruno
Schönlank, Die Fürther Quecksilber-Spiegelbelegen und ihre Arbeiter,
1888, S. 1—64; v. Karmarsch, Geschichte der Technologie, 1872,
S. 540.
2) Ein Dorf dieses Namens findet sich in der Provinz Hannover,
unweit HUdesheim; von einer Glashütte daselbst ist nichts bekannt.
11*
164 Ei'ic Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert.
und über „Flammiscbe Scheiben" nähere Erkundigungen
einzuziehen. Aus Groß-Almerode in Hessen ließ er feuer-
festen Ton zur Herstellung der Glashäfen anfahren, in
denen die Glasmasse geschmolzen wurde. Aus Eisfeld be-
zog er Gips, aus Weimar Salpeter und in Kulmbach leitete
er Verhandlungen ein, um von dort regelmäßig Pottasche
beziehen zu können. Vermutlich lieferten die Pottasche-
siedereien im Bezirk Ilmenau keine ausreichende Menge, da
auch noch andere Glashütten zu versorgen waren und außer-
dem die Seifensieder auf sie Anspruch erhoben.
Für alle diese Materialien und zur Bestreitung sonstiger
Unkosten hatte die fürstliche Kasse vom 13. Oktober 1739
bis zum 26. März 1740 1666 Rtlr. und 16 Groschen her-
gegeben. Es war auch gelungen, in dieser Zeit 2604 Scheiben
anzufertigen. Nach einer späteren Aufstellung waren bis
zum Anfang August 1740 1919 Tlr. 8 Gr. IOV2 d. ver-
ausgabt worden, wogegen die 2604 Scheiben, zum Preise
von 18 Groschen das Stück, einen Wert von 1953 Rtlrn.
repräsentierten. Die Produktion hätte noch umfangreicher
ausfallen können, wenn die Arbeiter von vornherein genügend
erfahren gewesen wären und keine so strenge Kälte ge-
herrscht hätte.
An Stelle von Wirsing, der nur vorübergehend den
Posten eines Verwalters bekleidet zu haben scheint, trat
der Amtsverwalter Hävecker in Hmenau. Die eigentlich
fachmännische Inspektion über die Hütte wurde seit dem
Mai 1740 in die Hände des Glasmeisters Beyer gelegt.
Zwei Kocher, die den „englischen Glassatz zu mischen ver-
standen", wurden gesucht. Der Glasmeister Müller sollte
die Masse verarbeiten und dafür Sorge getragen werden,
daß die Hütte vor „unnützem Besuch fremder Personen"
bewahrt bleibe. Wahrscheinlich fürchtete man, daß die
Mischung des neuen Spiegelsatzes von unberufenen Augen
erforscht werden könnte.
Trotz aller dieser verständigen Anordnungen gelang
es nicht, die Hütte zu der Blüte zu bringen, die dem
Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert. 165
Herzog vorschwebte. Obwohl mit der Berufung des Glas-
faktors Wenzel von der Glashütte zu Frauenwald i) ein sehr
glücklicher Griff geschehen war, wollte die Entwickelung
keinen gedeihlichen Fortgang nehmen. Am 10. Juni 1741
forderte ein fürstlicher Befehl, aus Ilmenau datiert, den
Geheimrat von Volgstedt auf, in eine Untersuchung darüber
einzutreten, warum „Wir durch die hiesige Glashütte in so
großen Schaden gesetzet seien und woher der üble Fort-
gang der Fabrique rühre". Es war wohl die Folge des
darauf eintreffenden Berichts, der sich nicht erhalten zu
haben scheint, daß Ende Oktober 1741 empfohlen wurde,
die herrschaftliche Glashütte fortan ausschließlich mit Holz
zu betreiben. Dem Berginspektor Tromler wurde die In-
spektion und dem Faktor Wenzel die Ueberwachung eines
Neubaues übertragen. Wenzel sollte den Glasofen „nach
der englischen Fa9on in die Rundung anlegen, daß acht
Häfen, nemlich 2 ganz allein vor uns, 4 zu Tafelglas und
2 zu currenten Sorten eingesetzet und daraus gearbeitet
werden kann, doch noch ä parte Platz gelassen werde,
damit ein kleiner Ofen auf Spiegelglass angeleget werden
könne".
Demnach trat die auf die Herstellung von Spiegelglas
gerichtete Absicht etwas zurück und es sollte neben der
Anfertigung von Tafelglas auch „currenteste Waare", d. h.
wohl Trinkgläser, nicht vernachlässigt werden. Die Masse
der 2 Häfen „ganz allein vor uns" mochte dann vielleicht
zur Fortsetzung der Experimente dienen. Unter dem neuen
Regime stellte sich nun die finanzielle Gebahrung folgender-
maßen: Von Michaelis 1741 bis zum 10. März 1742 waren
vereinahmt worden 512 Rtlr. 17 Gr. 10 d.
und verausgabt 229 „ 18 „ 4 „
Demnach ergab sich ein Ueberschuß von 282 Rtlr.
23 Gr. 6 d. Indes gingen von dieser Summe noch für
1) Es wird die Glashütte von Allzunah nahe bei Frauenwald
zu verstehen sein.
166 Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert.
Löhne ab, die erst teilweise bezahlt worden waren, 280 E,thlr.
20 Gr. 8Y2 <ä., so daß auf diese Weise ein ganz geringer
Ueberschuß von 2 Rtlrn. und einigen Groschen und Pfennigen
nachblieb.
Scheinbar war dieser Abschluß nicht so ungünstig, in-
dem ein nicht unerheblicher, auf 822 Rtlr. und 11 Groschen
bewerteter Vorrat an fertigem Glas vorhanden war. Dieser
setzte sich aus folgenden Stücken zusammen:
„an verschiedenen Sorten Hohlglass, so in der
Glasskammer noch lieget und noch nicht ein-
gepackt ist 295 Rthlr.
an 5 Küsten Glass, so gepacket und zum Verkauff
fertig stehen 354 „ 11 Gr.
an theils geschnittenem, theils ungeschnittenem
Tafelglass excl. desjenigen Tafelglasses, so zu
denen Fenstern in's Ilmenauer Hauptgebäude
geschnitten worden 124 „
an 309 Stück Tafeln 30 „
an 800 eckigten Scheiben 14 „
an 400 runden Scheiben, so aus denen von voriger
Hitze gefertigten Flammischen Scheiben ge-
schnitten worden 5 Rthlr."
Aber undurchsichtig, wie die Rechnung war, kamen
nun noch Schulden in der Höhe von 413 Rtlrn. 8 Gr.
und 4 d. zum Vorschein, so daß als Reingewinn nur
409 Rtlr. 2 Gr. und 8 d. sich ergaben. Und auch dieser
Reingewinn verflüchtigte sich bei näherem Zusehen, denn
davon mußte noch das Holz bezahlt werden, in welchem
Betrage, ist wohlweislich nicht angegeben.
Dieses Ergebnis war schwerlich dasjenige^ das der
Herzog erwartet hatte. Daher kann man nicht erstaunt
sein, daß der Glasmeister Wenzel am 18. April 1742 darum
nachsuchte, den Ofen für 4 — 5 Wochen auslöschen zu
dürfen. An Tafelglas und sonstigen „currenten Sorten" sei
ein großer Vorrat, den man zuvor zu Gelde zu machen an-
streben müßte, ehe man weiter arbeite. Hartes Holz sei
nicht mehr vorhanden, die Rohstoffe müßte man auf Borg
nehmen und die Arbeitslöhne beliefen sich auf 28 Rtlr.
die Woche. Unter diesen Umständen war gewiß der Vor-
schlag, zeitweilig eine Pause im Betrieb eintreten zu lassen,
Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert. 167
ganz angebracht. Allein in Weimar ging man darauf nicht
ein. Denn 4 Wochen später meldet Tromler i), daß der
ganze Einsatz zu dem englischen Glas, der auf 15 Rtlr.
zu stehen gekommen wäre, aufgearbeitet sei. 50 Stück
extrafeine Gläser habe man aus ihm hergestellt. Also war
doch wohl weitergearbeitet worden.
Wie sich der Aufwand in der Glashütte herausstellte
und wie hoch man ungefähr den Reinertrag anschlagen
könne, berechnete Wenzel im Jahre 1744. Danach belief
sich die Ausgabe wöchentlich auf 134 Rtlr. gegen 57, die
im Jahre 1738 als erforderlich angesehen worden waren.
Den Reinertrag aber schätzte er aus dem verkauften Tafel-
glase, den Scheiben und dem Hohlglase auf 150 Rtlr., so
daß man also ca. 16 Rtlr. Reingewinn wöchentlich erhalten
haben würde. Hierbei war Voraussetzung, daß der Absatz
beständig vor sich ging ; wenn er einmal stockte, war aller
Gewinn dahin.
Ob man nachträglich auf Wenzels Vorschlag einging
oder sich im Laufe des Jahres 1743 die Notwendigkeit er-
gab, den Ofen ausgehen zu lassen, entzieht sich unserer
Kenntnis. Erst im Juli 1744 wird wieder mitgeteilt, daß
die herrschaftliche Glashütte in Ilmenau seit drei Wochen
im Betriebe sei. Es ließ sich jetzt auf ihr alles Glas an-
fertigen, das der Herzog wünschte : Tafeln von verschiedener
Größe, ganze und doppelte Scheiben, kleine „Buschinger
Scheuben", Hohl- und Beinglas. Und damit für die Fort-
dauer die nötige Garantie geboten sei, waren aus Böhmen
Glasarbeiter verschrieben worden.
Nachdem auf diese Weise der Betrieb sich flott ent-
wickelte, fragte Wenzel, der um seine Stellung besorgt sein
mochte, in Weimar an, ob er die Aufsicht über die Hütte
behalten sollte und was für eine Entschädigung man ihm
alsdann bewilligen wolle. Sofort bestätigte der Herzog den
Faktor Wenzel, der ja offenkundig Proben seiner Geschick-
1) Am 19. Mai 1742.
163 Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert.
lichkeit in der Verwaltung der Hütte abgelegt hatte, als
Aufseher, warf ihm 100 Kaisergulden i) als Vergütung
für die dreijährigen Dienste aus und setzte sein weiteres
Einkommen auf 1 Groschen pro Talerwert verkauften
Glases an.
Wenzel war mit dieser Abfindung nicht zufrieden,
sondern verlangte mehr. Er faßte seine Forderungen einige
Wochen später wie folgt zusammen : Er wünschte ein
Wohnhaus nebst Stube und Kammern, die Bewilligung eines
gewissen Einzählgeldes, da er bei Einnahme und Ausgabe
des Geldes manche Einbuße habe , etwas Deputatholz,
Diäten, wenn er verreisen müsse, ein Einfuhrverbot fremden
Glases und 1000 Klafter Holz für die Hütte jährlieh.
Tromler suchte seine Forderungen insofern zu ermäßigen,
als er dem Wenzel vorschlug, den Gedanken an ein neues
Wohnhaus aufzugeben und sich damit zu begnügen, wenn
auf das jetzige Haus eine Mansarde gelegt würde. Was
aus der Anregung wurde, ist nicht ersichtlich, doch ist
vermutlich der Herzog auf die kaum als unbillig zu be-
zeichnenden Wünsche des Mannes eingegangen, der wesent-
lich den Betrieb zu einem so flotten gemacht hatte. Bald
danach bezeugt Wenzel auch sein dauerndes Interesse,
indem er erneut Verbesserungsanträge formulierte. Er regte
an, einen Zoll von einem Taler auf 100 Gläser bei der
.Einfuhr zu legen oder noch besser die Einfuhr fremden
Glases ganz zu untersagen. Für den Verkauf des Ilmenauer
Glases sollten in Rudolstadt, Allstädt, Hardisleben, Buttstädt
und Stadt Suiza Niederlagen eröffnet werden. Zur Vervoll-
kommnung der Erzeugnisse wünschte er die Anstellung
eines Glasmalers und eines Glasschneiders. Endlich regte
er die Anlage eines eigenen Pottaschewerks an. Man könnte
für ca. 50 Rtlr. jährlich Asche zusammenkaufen und daraus
Pottasche sieden. Man würde auf diese Weise den Bedarf
1) Ein Kaisergulden war ein Gulden des 20-Guldenfußes iii
Oesterreich, gleich 2,10 Mark.
Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert. 169
billiger decken können, da die Pottasche von auswärts zu
beziehen immer schwerer falle.
Auf alle diese Anträge einzugehen, wird man in Weimar
keine Möglichkeit eingesehen haben. Daher fragte Wenzel
im Juni 1745 an, ob die Hütte denn noch weiter betrieben
werden sollte. Nachdem am 4. Februar 1745 der Ofen
ausgelöscht worden war, hatte man im Mai die Häfen
wieder eingesetzt. Dabei ergab sich, daß in Ilmenau un-
gleich teuerer als auf anderen Glashütten produziert wurde.
Während man überall frisches und wohlfeiles Holz zur
Verfügung hatte, konnte man in Ilmenau nur schlechtes
faules Holz für teueres Geld bekommen. Vor allen Dingen
aber war die Pottasche stark im Preise gestiegen. Während
man sie früher für 5, 5V6 oder Sy^ Rtlr. pro Zentner ge-
kauft hatte, mußte man jetzt 6Y2 Rtlr. zahlen. Da man
wöchentlich 7 — 8 Zentner nötig hatte, so ergaben sich
daraus Mehrkosten von ca. 9 Rtlr. in der Woche. Unter
diesen Umständen hielt Wenzel es für ausgeschlossen, daß
der fürstlichen Schatulle durch den fortgesetzten Betrieb
pekuniäre Vorteile erwachsen könnten.
In Weimar wird man einen derartigen Bericht offenbar
mit geteilten Empfindungen aufgenommen haben und konnte
sich lange nicht zu einer Antwort entschließen. Und so
wiederholte Wenzel am 14. Dezember 1745 seine Anfrage.
Seit drei Monaten stand die Hütte damals still. Pottasche
war unterdessen auf 8V2 Rtlr. pro Zentner gestiegen.
Daher mußte man das Bund Tafelglas um 4 Groschen und
das Hundert Scheiben um 3 Groschen höher als bisher im
Preise ansetzen. Die Kammer in Weimar wußte nun nichts
anderes vorzuschlagen, als die Glashütte an Wenzel zu ver-
pachten, um aller zu erwartenden Einbuße aus dem Wege
zvi gehen ^). Diese Idee fand indes keine Zustimmung und
die Folge war, daß die Hütte ihre Tätigkeit einstellte. Auf
die Dauer war man damit in Weimar nicht einverstanden
1) Am 18. Dezbr. 1745.
170 Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert.
und eines Tages ^) erging daher an Wenzel in Ilmenau die
Anweisung, die Hütte wieder schleunigst in Betrieb zu
setzen. Er sollte 2 besondere Oefen erbauen und die
Feuerung auf Steinkohlen und Holz einrichten. Der Ofen
für die Masse zu Hohl- und anderem Glas sollte mit Stein-
kohlen und der andere für die Herstellung von Tafelglas
mit Holz geheizt werden. Gleichzeitig wurde der Amts-
schreiber Hillardt angewiesen, laut einer ihm übergebenen
Zeichnung eine Hütte als Wohnung für die Glasarbeiter
bauen zu lassen.
Wenzel folgte den erhaltenen Befehlen gern, und im
Mai 1747 war der Ofen für Steinkohlenheizung fertig. In
14 Tagen gedachte er, so meldete er am 6. Mai 1747 2) an
den Geheimen Kabinetssekretär in Weimar, Feuer in der
Hütte anmachen zu lassen. Man sollte ihm nun jemanden
aus der Kammer in Weimar schicken, um das ganze Werk
zu regulieren, auch einen Betriebsfonds auswerfen. Aus
Kammerberg wünschte er für 200 Rtlr. Steinkohlen und
wegen des Verkaufs sollten Patente im Lande ergehen, die
einerseits auf das Erzeugnis der Ilmenauer Hütte aufmerk-
sam machten, andererseits bestimmten, daß ohne Zollzahlung
fremdes Glas nicht mehr ins Land hineindürfte. Endlich
regte er die Ernennung eines Gegenschreibers oder Rech-
nungsführers an.
Ueber die Möglichkeit, mit Steinkohlen feuern zu können,
sprach sich Wenzel sehr hoffnungsvoll aus. Er hoff'te über
100 Rthlr. dabei (im Jahre ?) sparen zu können. So schnell
als er gedacht hatte, kam es indes zum Beginn der Arbeiten
nicht, denn am 29. Juli 1747 meldete er, daß die Hütte
seit 6 Wochen im Betriebe wäre. Er hatte insofern mit
Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt, als ihm unzureichende
Pottasche geliefert worden war und er daher die Glasmasse
hatte umsieden müssen. Dann war alles seinen erfreulichen
Gang gegangen, Glas war massenhaft erzeugt worden, allein
1) Am 21. April 1747.
2) B 6447, S. 127.
i
Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert. 171
der Absatz stockte. Während die Glasmacher ihren Lohn
verlangten, seien keine Abnehmer des Glases da. Damit
im Zusammenhange steht offenbar die Verordnung vom
10. August 1747, daß kein fr.emdes Glas heimlich ins Land
gebracht werden dürfe.
Mit der letzten Mitteilung schließen die Akten in
Weimar, die von der Ilmenauer Glashütte im Zusammen-
hang melden.
Noch einmal scheint Aussicht vorhanden gewesen zu
sein, die Glashütte in Ilmenau zu neuem Leben zu er-
wecken. Im Jahre 1755 erbot sich der Glasfaktor Wenzel,
die herrschaftliche Glashütte auf einige Jahre zu über-
nehmen, wenn man ihm jährlich 150 Klafter „Aflfter-Schlag-
Holtz gegen gewöhnlichen taxirten Preiss" zugestehen
wollte ^). Die Glashütte wurde in dieser Eingabe an die
Kammer als eine „seit längerer Zeit bestehende, bald ver-
fallende" bezeichnet. Die Klafter Holz stellte damals einen
Wert von 1 Rtlr. dar. Herzog Franz Josias fragte nun
bei Oberforstmeister von Schütz an ^), ob man dem Wenzel
zu diesem Preise das Holz überlassen könne. Einen höheren,
etwa 1 Tlr. und 6 Gr. wolle er nicht bezahlen.
Wahrscheinlich glaubte der auf die Erhaltung des
Waldes und seine tunlichst gewinnbringende Verwertung
bedachte Forstmann den gebotenen Preis nicht annehmen
zu können. Wenigstens kam die Glashütte nicht wieder in
Aufnahme und im Jahre 1773 heißt es einmal in Akten des
Rentamts zu Ilmenau ^), „zu dem wüsten Flecke, wo sonsten
die herrschaftliche Glashütte gestanden", findet sich ein
Käufer.
1) Wenzels Eingabe vom 10. Januar 1755, Afterschlagholz : der
auf einem Holzschlag zurückbleibende schlechtere Teil des Holzes.
Freysoldt, Die fränkischen Wälder 1904, S. 5, Anm. 3.
2) Am 26. August 1755. Dieses Schreiben, wie das vorher-
gehende, im Besitze des Herrn Schneidemühlenbesitzers Wenzel in
Ilmenau.
3) IV A, III, 18.
172 Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert.
2. Das Personal.
In sehr großem Umfange ist die Hütte wohl niemals
betrieben worden. Die Zahl der an ihr beschäftigten Per-
sonen wird auch in den besten Jahren schwerlich über
12 hinausgegangen sein. Dennoch herrschte unter ihnen
eine strenge Arbeitsteilung. Im Jahre 1737 waren tätig i
Glasmeister, Garmacher, 2 Vorbläser, 2 Knopf- und Böden-
macher, 1 Tafelmacher, 2 Schürer und 3 Einträger. Außer-
dem wird noch eine Frau, die beim „Einstoßen des Glases"
behilflich zu sein pflegte und der Holzspalter erwähnt.
Im folgenden Jahre, 1738, werden nachgewiesen: 2 Glas-
meister, 1 Tafelmacher, 2 Vorbläser, 2 Schtirer, 2 Knopf-
oder Bödenmacher, 3 Einträgerjungen. Wieder einige Jahre
weiter war die Zahl der Arbeiter noch mehr gestiegen. Im
Jahre 1744 sind genannt: 4 Tafelmacher, 1 Scheibenmacher,
1 Glasmeister mit seinem Vorbläser, 4 Einträgerjungen, 4
„Mateurenmacher" i), 2 Schürer, 4 Holzspalter, d. h. im
Ganzen 19 Personen. Sie hatten alle einen Schwur beim
Beginn ihrer Tätigkeit in der Hütte abzulegen. „Ich, N. N.",
so lautete er, „schwehre hiermit zu Gott dem Allmächtigen
einen leiblichen Eyd, daß ich bey der allhiesigen fürstlichen
Glasshütten-Arbeit und bey meinen Verrichtungen vornehm-
lich ein Gott wohlgefälliges Leben und Wandel führen,
mich jederzeit treu, ehrlich, redlich, verschwiegen und
rechtschaffen halten, keinen Zanck oder Verhezung erregen,
dasjenige was ich in gedachter Glasshütten sehen lernen
und erfahren werde, be}^ mir behalten und weder Vater
noch Mutter, Bluts- oder anderen Freunden das mindeste
davon offenbahren, sondern solches mit in meine Grube
nehmen, mich eines stillen und nüchtern Lebens befleissigen,
alles Vollsaufen in Brandewein oder Bier unterlassen, in
keine fremde Dienste noch auser Landesgehen, binnen der
Zeit als die fürstliche Glasshütte gebauet wird, in keiner
frembden Hütten arbeiten, mich aber in allen Stücken so
1) Derjenige, der die Mischung bereitete.
Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert. 173
verbalten will, als es meine Pflicht und Schuldigkeit er-
fordert, so wahr mir Gott helfe und sein heiliges Wort
durch Jesum Christum Unsern Herrn und Seeligmacher.
Amen."
Unter allen diesen Persönlichkeiten war die Tätigkeit
des Schürers oder Schmelzers eine außerordentlich wichtige.
Er hatte, nachdem der Ofen erbaut worden war, für dessen
allmähliche Anwärmung zu sorgen. Eine plötzliche starke
Hitze würde die Steine auseinandertreiben. Ist dann der
Ofen genügend erwärmt, so wird in der Schüre zunächst
mit ungedörrtem Holz eingeheizt, was man Kaltschüren
nannte. Unterdessen hatte in den Scheitöfen das Holz ge-
dörrt werden müssen. Das hierzu erforderliche Holz mußte
besonders gespalten sein und bei 6 Schuh langen Scheiten
bekam man durch Spaltung die für den Ofen richtige
Länge der Holzstücke. Im Scheitofen wurde das Holz nun
so dürr, daß, wenn es der Flamme des Schmelzofens ge-
nähert wurde, sofort brannte. Auch das Feuer, durch das
die Häfen anzuwärmen waren, mußte er regieren. Ferner
beim Einlegen des Gemenges in die Häfen helfen und die
sogenannte Glasgalle abschöpfen, wenn die Masse zum
Schmelzen gebracht war. Es war auch seine Aufgabe, den
Schmelzofen täglich zweimal zu reinigen, d. h. das Glas,
das übergesprungen oder aus den aasgehenden Häfen ge-
flossen war, fortzuschaffen.
In die eigentliche Arbeit teilten sich dann der Bailot,
2 Vorbläser und Fertigmacher, in Ilmenau als Knopf- oder
Bödenmacher, Vorbläser und Glasmeister bezeichnet. Sie
arbeiteten sich gegenseitig in die Hände, und es ist schwer
zu sagen, wessen Tätigkeit die wichtigere war. Es hing
von ihnen allen ab, und von ihrer Geschicklichkeit, ob das
Erzeugnis befriedigend ausfiel. Der Bailot war mehr Ge-
hilfe, er hatte die Pfeife bereitzuhalten, die Knöpfe ein-
zublasen, neues Glas aus dem Hafen herauszureichen, wenn
der Vorbläser dessen bedurfte, die Böden aufzublasen. Der
Vornehmste war der Fertigmacher, in der Regel der Werk-
174 Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert.
besitzer oder Besitzer wenigstens eines Standes. Eine Vor-
stufe zu den Tätigkeiten der genannten Glasarbeiter
repräsentiert der Einträger, gewöhnlich ein Junge, der eine
Art Lehrzeit durchmachte. Er hatte den Platz, wo der
Meister mit seinen Gehilfen hantieren wollte, sauber zu
halten, Werkzeuge und Geräte im Stand zu halten.
Scheren und Zwackeisen bereitzustellen und schließlich
mit der Eintragsschaufel die fertigen, noch heißen Gläser
in den Kühlofen zu befördern i).
Keine dieser 5 Persönlichkeiten durfte an einem
Stande fehlen, wenn der Betrieb ungehindert fortgesetzt vor
sich gehen sollte. Als der Amtsverwalter Cotta im Winter
1743/1744 einen unbotmäßigen Vorbläser eingesteckt hatte
und 4 Wochen brummen ließ, kam eines Tages vom Herzoge
aus Wilhelmstal ein herzhafter Verweis. Er sollte den
Schuldigen sofort freigeben, da man seiner Mitarbeiterschaft
auf der Hütte nicht entbehren konnte und seine andauernde
Abwesenheit schwer empfunden hatte.
Die Namen der wackeren Männer in der herrschaft-
lichen Glashütte zu Ilmenau sind in der Regel in den
Akten nicht genannt. Ein Garmacher Hartwig, sowie die
Glasmeister Müller und Beger sind nachgewiesen. Müller
war leider kein ganz zuverlässiger Arbeiter. Er mochte
geschickt sein, aber der brennende Durst, der sich am
Ofen entwickelte, plagte ihn auch außerhalb der Hütte.
Als der neue Glasfaktor Wenzel die Geschäfte der Hütte
übernahm, im Jahre 1741, mußte er den Müller zur Rede
stellen, indes ohne dauernden Erfolg. Zwei Jahre später
war es so weit mit ihm gekommen, daß die Regierung von
Weimar aus anweisen mußte, auf ihn besser aufzupassen
und, falls er betrunken angetrorfen würde, ihn einsperren
und krumm schließen zu lassen. Zuletzt mußte er doch
wegen seiner üblen Aufführung entlassen werden. Er kehrte
dann nach Stützerbach zurück, von wo er seiner Zeit an
1) Hochgesang, Historische Nachricht von Verfertigung des
Glases, abgefasset 1780. Neudruck von 1898, S. 31 ff.
Eine Glashütte ia Ilmenau im 18. Jahrhundert. 175
die Glashütte in Ilmenau übergesiedelt war. Von hier aus
machte er Jahre 1750 bei der Kammer in Weimar Forde-
rungen geltend. Vom Herzog Ernst August in Gnaden als
Glasmeister mit 200 Rtlrn. und freiem Logis angestellt ge-
wesen, sei er vor einigen Jahren entlassen worden, habe
aber noch „etliche hundert Thaler an rückständigen Salario"
zu fordern. Weder in Weimar noch beim ßechnungsamt
in Ilmenau habe man ihm etwas zubilligen wollen, „weil
die Glas-Fabrique diejenigen Jahre über, da ich bey der-
selbigen gedienet zuweilen eine Zeit lang stille gestanden
und keine Arbeit benöthigt gewesen". Die Schuld an diesen
Pausen habe er nicht getragen. Er sei doch immer be-
schäftigt gewesen, indem er einerseits für den verstorbenen
Herzog andere Glashütten besichtigt und auch „Serenissimo
pie defuncto bald diese bald jene Sorte Glas" habe an-
fertigen müssen. Für den Besuch fast aller Glashütten
Deutschlands, nach deren Einrichtung er sich habe erkun-
digen müssen , seien ihm nur die Reisekosten vergütet
worden. Demnach bat er, den noch rückständigen Gehalt
ihm jetzt auszuzahlen, nannte indes keinen Betrag. Die
Kammer, vom Herzog Franz Josias, der für seinen minder-
jährigen Vetter die Vormundschaft führte, zum Bericht auf-
gefordert, stellte fest, daß bis zum Jahre 1737 der Glas-
meister Müller seinen Gehalt bezogen habe ; dann habe der
Herzog angeordnet, dem Müller für die Zeit, in der er auf
der Glashütte nicht tätig gewesen wäre, nur die Hälfte
seines wöchentlichen Gehalts zu übermitteln. Demgemäß
sei mit dem Glasmeister verfahren worden und er hätte
somit nicht mehr als 45 Rtlr. und 16 Groschen noch zu
fordern. Der Herzog erklärte sein Einverständnis damit,
dem Petenten diesen Betrag auszuzahlen, doch war das bis
zum 1. Februar 1751 noch nicht geschehen.
Für die Veredlung des Glases waren andere Persön-
lichkeiten tätig: der Glasmaler, der Glasschneider und der
Glasschleifer. Durch Bemalen ein Glas zu verschönern, ist
eine alte Kunst. Das Altertum kannte sie, Griechen und
176 Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert.
Araber haben sie geübt, in der Herstellung der bunten
Kirchenfenster leistete sie im 13. und 14. Jahrhundert
Hervorragendes. Zisterzienser und Kluniazenser haben sich
ihrer befleißigt und, wenn es auch kaum richtig ist, daß die
Deutschen die Erfinder der Glasmalerei gewesen sind, so
spricht doch der Mönch Theophilus im 12. Jahrhundert von
dem Bemalen des Glases als einer gewöhnlichen Technik.
In Murano scheint dann das Bemalen des Glases mit Email-
farben um die Mitte des 16. Jahrhunderts aus der Mode
gekommen zu sein. In Deutschland aber kam sie damals
recht auf, und die Eichtelberger Gläser aus der zweiten
Hälfte des 17. und dem 18. Jahrhundert beweisen, daß
man an ihren Leistungen viel Gefallen fand^).
Hochgesang teilt uns mit, daß sie zu seiner Zeit nicht
so hoch wie ehedem gehalten wurde und schlecht vergütet
zu werden pflegte. Daher sah man selten Eleiß, Mühe und
Kunst auf sie verwandt. Bei ihm hören wir auch von der
Technik. Aus Mennige bereitete sich der Glasmaler die
gelbe, aus Kupferwasser die rote, aus Kobalt die blaue,
aus Zinnasche die weiße, aus Eisen und Braunstein die
schwarze und durch Mischung der gelben und blauen Farbe
die grüne. Mit solchen Farben malte der Maler Figuren
auf die Gläser, wärmte die, auf ein Blech gestellten,
damit der Sand nicht in das Gemälde eindrang, bemalten
Stücke in dem Kühlhafen im Aschofen allmählich an, und
holte das Glas, „wenn es heiß satt", mit dem Hefteisen
durch das kleine Loch aus dem Aschofen. Alsdann kam
es in den Schmelzofen, damit die Farbe anschmelze, und
schließlich ließ er das Stück kunstgemäß kalt werden 2).
Derartige Künstler gab es somit auch in Thüringen.
In Gehlberg werden um das Jahr 1737 in dem dortigen
1) Gessert, Geschichte der Glasmalerei, 1839. — Sepp, Ursprung
der Glasraalerkunst im Kloster Tegernsee, 1880. — Lobmeyr, Die
Glasindustrie, 1874, S. 54 ff., 77—79 ff. — Friedrich, Die alt-
deutschen Gläser, 1884, S. 123 -155, besonders S. 137.
2) A. a. O., S. 41-42.
Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert. 177
Kirchenbuche Kaspar Heinz und Johann Schmid, um das
Jahr 1755 Johann Andreas Heinz als Glasmaler genannt.
In Ilmenau wird uns zu gleicher Zeit von dem Glasmaler
Negele (oder Wegele) erzählt, der ein sehr geschickter
Künstler gewesen sein dürfte. Was er in der Zeit "vom
25. Februar bis zum 2. Mai 1737 in der Bemalung von
Porzellan geleistet hat, ist uns durch einen Zufall auf-
bewahrt. Vasen, Kannen, Chokoladebecher, Lavoirkannen,
Butterbüchsen wußte er geschmackvoll zu verzieren i). Wenn
man nicht annehmen mag, daß Meißner Porzellan weiß ver-
kauft worden war, das er nunmehr dekorierte, so kann er
nur Fayence bemalt haben. Eine Porzellanfabrik gab es
damals noch nicht in Thüringen. Fayence war eine kurze
Zeit in Saalfeld gemacht worden und wurde in Dorotheen-
thal und Rudolstadt angefertigt 2). Über Negeles Leistungen
als Glasmaler kann man so lange nicht urteilen, als keine
Stücke von ihm nachgewiesen sind.
Eine andere Veredlung betraf das Schleifen und Polieren
des Glases. Der Glasschliff reicht bis tief in das Altertum
zurück. Man kannte den Kugel- und Facettenschliff, und
auch im Abendlande ging diese Kunst während des Mittel-
alters nicht verloren 3). Hochgesang beschreibt das Ver-
fahren etwas undeutlich, wie folgt ^}: „Der Sand, aus
welchem das Glas verfertigt wird, wie auch Sandsteine,
müssen mit Wasser vermenget und genetzet, durch Reiben
oft das Ungleiche, welches in der Arbeit nicht hat können
vermieden werden, dem Glase benehmen, oft ihm viel schmale.
Ecken geben, weil die Hand des Künstlers bey der Ver-
fertigung sie nicht hat ertheilen können. Aber durch diese
Arbeit wird das Glas riesig und dunkel. Dieser üblen
Gestalt abzuhelfen, wird es wieder mit Schmergel glatter
1) Anlage 2.
2) Wilh. Stieda, Die Anfänge der Porzellanindustrie auf dem
Thüringerwalde, 1902, S. 10—12.
3) Friedrich, a. a. O. S. 201.
4) Hochgesang, a. a. O., S. 40.
XXVII. 12
178 Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert.
gemacht und durch die Politur in ein solches Ansehen ge-
setzet, dass dessen voriger Glanz dem jetzigen nicht gleich
zu schätzen ist; das heisset alsdenn ein geschliffen Glas."
Die Glasschneiderei als ein besonderer Zweig der
Glasschleiferei ist wohl den Sarazenen abgesehen und über
Italien, besonders Venedig, nach Deutschland gelangt^).
Kaspar Lehmann wird in einem Privileg Kaiser Rudolfs II.
vom 10. März 1609 als Erfinder des Glasschneidens be-
zeichnet, ohne daß ersichtlich wird, worin seine Erfindung
eigentlich bestanden hat 2). Hochgesang beschreibt das
Verfahren folgendermaßen : „Der Glasschneider bedient sich
einer Maschine, die einem Tische gleich sieht. Unten ist
nach der linken Hand zu ein Schwungrad angebracht;
gerade über ihm auf dem Tische ist eine hölzerne Docke
über einen Schuh hoch. Auf dieser Docke ist ein Viereck
von Eisen befestigt, über zween Zolle breit und einen
halben stark. Die Seiten des Vierecks sind mit bleyernen
Sätzen ausgefüttert, in deren Mitte ein Loch, in welchem
die Queere eine eiserne Spindel gehet, welche mit einem
Rade versehen ist, das in der Mitte des Vierecks zu stehen
kommet und durch eine Schnur vom Schwungrade gedrehet
wird. In diese Spindel werden mit Bley begossene Dornen
gesteckt, an deren Ende ein Kupferrad befestigt ist Mit
einem derartigen Schneidrade, deren der Künstler mehrere
von verschiedener Stärke und Größe haben muß, wird das
Glas geschnitten Es wird mit klarem, in Öl gemischtem
Schmergel am Rande bestrichen und vermag alsdann das
Glas zu schneiden" ^).
Solche Glasschneider hat es gewiß mehrfach auf dem
W^alde gegeben, und ich bin überzeugt, daß manche kunst-
fertig geschnittene Gläser, die heute als venetianische.
Nürnberger oder böhmische gelten, auf Thüringer Künstler
zurückzuführen sind. In Ilmenau saß um 1721 ein Glas-
1) Friedrich, a. a. O. S. 210—211.
2) Friedrich, a. a. O. S. 213.
3) Hochgesang, a. a. 0. S. 41.
Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhvmdert. 179
Schneider Johann Kaspar Eichhorn, der früher in Weimar
seinen Wohnsitz gehabt hatte. Er bat den Herzog Wilhelm
Ernst von Sachsen- Weimar (1662—1728) am 23. März 1721
bestimmen zu wollen, daß alle Glasverstecher und. Ausspieler
im Weimarischen ihre Gläser von ihm nehmen möchten i).
Schon vor Jahren war ihm ein derartiges Monopol zuge-
standen, aber in den letzten Jahren nicht mehr gehörig
geachtet worden, wodurch er in seinem Erwerbe sehr
zurückgekommen wäre.
Leider sind uns die Namen anderer Glasschneider in
Ilmenau nicht aufbewahrt. Doch standen solche sicher im
Dienste der Hütte. Denn im November 1741 werden
Zeichnungen zu „Caravinen" erwähnt, die der herzogliche
Kammerdiener überbracht hat. Offenbar hat es sich doch
um Anweisungen für das Schneiden der Flaschen gehandelt.
Inspektor Tromler berichtete damals, daß die Anfertigung
der Gläser begonnen habe, aber mit der Wiedergabe der
Zeichnungen man nicht zurechtgekommen wäre. Im folgen-
den Jahre überschickte derselbe Tromler dem Herzoge
einige Gläser mit der Bitte um Angabe, wie sie geschnitten
werden sollten. Hierbei erfährt man auch einmal von der
Vergütung, die dem Künstler zuteil wurde. Er erhielt
16 Groschen für jedes Glas. „Wan aber die gezeichnete
Arbeit erhaben und muschlicht geschliffen würde", verlangte
er 3 Taler für das Stück, Diese Bemerkung macht es
wahrscheinlich, daß auch die Glasätzerei, die Heinrich
Schwanhardt gegen das Jahr 1680 erfunden hat, in
Thüringen nicht unbekannt war ^). Das muschlichte Schleifen
konnte offenbar nur mit dem Rädchen ausgeführt werden.
Im ganzen war das Glasschneiden eine langwierige Tätig-
keit. Vieles zerbrach unter den Händen, besonders wenn
das Glas nicht dickwandig genug war. Zur Herstellung
einer größeren Zeichnung brauchte der Künster wohl an
1) Geh. und Hauptstaatsarchiv in Weimar, ß. 6432.
2) Friedrich, a. a. O. S. 217.
12*
180 Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert.
die 8 Tage. Weil der Glasschneider in Ilmenau die
fürstlichen Wünsche nicht so schnell erfüllen konnte, wandte
man sich nach Prauenwald, wo indes der Glasschneider
ebenfalls stark in Anspruch genommen war. Über den
Künstler in Ilmenau klagte der Inspektor Tromler noch
4 Wochen später, daß er mit der Zeichnung „nicht ganz
zurecht komme, er könne sie nicht accurat treflfen". Leider
ergibt sich aus den Akten nicht, auf welchen Gegenstand
sich die Darstellung beziehen sollte.
3. Die Fabrikate.
Die Glashütte in Ilmenau fertigte sowohl Tafel- als
Hohlglas an. Die Herstellung des ersteren war die schwerere
Aufgabe. Von ihr redet z. B. Hochgesang noch nicht, so
daß man annehmen muß, daß auf den thüringischen Hütten
dasselbe weniger oft angefertigt wurde. Gerade aber auf
diese Produktion legte der Herzog Ernst August großes
Gewicht. Dem Tafelmacher an der Hütte, der offenbar
Fensterglas bereitet haben wird, wurde für die Zeit vom
18. Februar bis zum 15. Juni 1737, d. h. also für 4 Monate,
der Betrag von 82 Rtlr. 10 Gr. ausgezahlt. Er hatte in
dieser Zeit 7 Wagen und 13 Blatt Tafelglas zu 10 Etlrn.
(welche Einheit?) gemacht. Sein Einträger erhielt außer-
dem 8 Gr. wöchentlich, was für 16 Wochen 6 Rtlr. 2 Gr.
ausmachte. Die Tafeln wurden in verschiedener Größe an-
gefertigt. Große und Doppelscheiben, auch sogen. Buschinger
Scheiben wurden hergestellt.
Sehr viel mehr Mannigfaltigkeit tritt bei der Anferti-
gung des Hohlglases entgegen. Man kann drei Gruppen
von solchem unterscheiden.
1) wurden Apotheker- und Medizinalgefäße hergestellt.
Derart waren : Retorten, Kolben, Phiolen, Rezipienten i), Prob-
gläser, Helme, Uringläser.
1) Rezipienten sind Gefäße zum Aufnehmen und Ansammeln
flüchtiger Stoffe.
Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert. Igl
2) Gefäße zum Aufbewahren von Flüssigkeiten und
Trinkgläser. Zu ihnen gehören: Deckelpokale, Weinkelche,
ordinäre Kelche, Römer und Römerkelche, Karavinen,
Kannen, Paßgläser i), Biergläser, Bierbecher, Rossolis-Kelche,
Prinzenkelche, nackigte Jungfern, geformte Kelche, Mund-
gläser, Glockenkelche, Weinkrüge, Mängelsgläser.
3) Gläser, die im Haushalt für verschiedene Zwecke
gebraucht wurden, wie : Zuckerhäfen, Weinheber, Flaschen,
Bouteillen, Wettergläser, Kammertöpfe, Lichtgläser, Essig-
kännchen, Melonenglocken, Taschengläser, Laternen, Kon-
fiturengläser.
Wie mannigfaltig diese Aufzählung zu sein scheint, so
erschöpft sie keineswegs die Leistungsfähigkeit der thüringi-
schen Glashütten. Daß ein Hochgesang, der um das Jahr
1780 sein Büchlein über die Glasfabrikation schrieb, mehr
Sorten aufzuzählen vermag, ist vielleicht nicht auffällig.
Aber es gibt einen gedruckten Preiskurant vom Jahre 1735,
der auf einer Vereinbarung sämtlicher Glasmacher Thüringens
beruht, und in ihm werden verschiedene Stücke genannt,
die in Hmenau offenbar nicht gemacht wurden und die
man heute überhaupt nicht mehr kennt. Im wesentlichen
handelt es sich dabei um Trinkgefäße. Zu ihnen gehören :
Brabanter-, Burgunder-, Casselische, Schloß-, Englische,
Champagner- , Flöden- , geformte , Knossen-, Marissen-,
Schwedische und Stiefel-Kelche, Storchbeine, Spitz-Mäusel,
Schweizer Hosen, Angster, Aufsteher, Hahneknie, Humpen,
Cordianter-Becher mit Öhren, Johannis-Becher, Schuppen-
Becher, Englische lange und kurze Becher, Berlinische
Becher, Mützen.
Verschiedene dieser Gefäße, die sämtlich Hilfsmittel
zur Stillung des Durstes waren, wurden in mehrfacher Aus-
führung geboten. Die englischen Kelche hatte man 6eckigt,
„in Wasser viel Perlen" und „mit der Kugel". Die Flöden-
1) Paßgläser sind Gläser von hoher zylindrischer Gestalt, deren
Mantelfläche durch parallele horizontale Ringe in Zonen geteilt ist,
in denen Malereien oder Inschriften Platz fanden.
182 Eii^ß Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert.
kelche unterschied mau „von runder ra9on" und „6-eckig
oder Seckigt geformt". Bei den Glocken hielt man aus-
einander „1) ausgeschweifte, 2j solche mit einem rundten
Wasser, darinnen ein Bläslein, gleichen langen Stengel,
3) mit ungewendten Knöpfen, 4) Kelche, die statt des
Fußes eine formale Glocke mit dem Knöpfel aufweisen".
Bei den „nackigten Jungfern" wiederum unterschied
man solche 1) mit einem Bläslein, 2) mit einem Bläslein,
aber ein wenig ausgeschweift, 3) mit Perlen, 4) mit accurat
gedrehten Schlangen, 5) mit Stengel 6-eckig und gemuschelt.
Zum Teil gewinnt es den Anschein, als ob die Trink-
gefäße, je nach dem Getränk, für das sie bestimmt waren,
verschiedene Gestalt annahmen, etwa dick- oder dünnwandig
waren. So erhielt der Herzog Ernst August im Jahre 1743
von seiner Hütte in Ilmenau : 4 Dutzend Kelche zu Ungarisch
Wein, 4 Dutzend Kelche für Moselwein, 4 Dutzend Kelche
zu Burgunderwein, 4 Dutzend Kelche zu „Rheinwein".
Andererseits mögen die Gläser in Gestalt und Umfang
abweichend ausgefallen sein, je nachdem für welches Land
sie in erster Linie ausersehen waren. Bei „englischen
Kelchen" mag das vielleicht nicht stimmen. Hier läßt sich
auch an die Glasmasse denken, deren Mischungsverhältnis
aus England stammte und die das gesuchte schöne Kristall-
glas lieferte. Das englische Glas ward wegen seines reizen-
den Farbenspiels gern dem sogenannten Brillantschliff unter-
zogen 1). Was der Herzog Ernst August sich im Jahre
1742 nach Weimar schicken ließ, waren sicherlich Probe-
stücke aus dem englischen Glassatz. Er erhielt nämlich 2) ;
„100 Stück Englische Kelche, Nackigte Jungfern genannt,
6 „ Englische Römer- Kelche,
1 ,, Englisch Mundglas,
2 Kelche von ordinairem Glas, vom Glasschneider geschnitten,
1) Lobmeyer, Die Glasindustrie, S. 177.
2) „Verzeichnuss derer Gläser, welche in der Schachtel sich
befinden", vom 18. April 1742, Geh. und Haupt-Staats-Archiv in
Weimar ß. 6447, S. 74.
I
Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert. 183
1 Stück von englischem Glass, so nach der Zeichnung hat ge-
schnitten werden sollen,
6 Stücke von demjenigen, wass in die fürstliche Küche und Con-
ditorey gelieffert worden.
Notabene: 30 Stück Englische Kelche befinden sich hier noch vor-
räthig, auch boU ein Pocal noch gemacht werden".
Aber abgesehen von diesen englischen Kelchen, werden
andere Gläser nach Brabanter, Portugalöser, Amsterdamer,
Münsterer, Weseler und Züthphener Maße angefertigt,
d. h. je nach den Gewohnheiten der Empfänger größer oder
kleiner. Demgemäß werden sie vermutlich im Handel
unterschieden worden sein.
Unschwer erkennt man in dem Nachweis aller dieser
Gefäßformen den allgebieteuden venetianischen Einfluß. Von
dort her stammt der Kelch, den man in außerordentlich
vielen Variationen von dem zierlichsten bis zum schwereren
Deckelpokal herzustellen verstand. Inwiefern deutscher
Sinn die fremde Form einheimischem Geschmack anzupassen
wußte und eigenartige Formen schuf, bleibe auf sich be-
ruhen. Etwas Originelles war offenbar der englische Römer-
kelch, von dem wir freilich nicht wissen, wie er aus-
gesehen und der auch die Nachwelt nicht zu erobern
gewußt bat, wenigstens nicht unter diesem Namen. Nach
diesem vereinigte er die deutsche Spezialität mit der vene-
tianischen. Allein die deutsche Glasindustrie hat nicht nur
das unsterbliche Verdienst, den Römer erzeugt zu haben
— ihr verdankt man auch das Bierglas, den zylindrischen
Humpen, den Becher. Dagegen sind Krug, Schale und
Flasche Überlieferangen aus sehr alter Zeiti).
Die kostbarsten Gläser waren nach dem Preiskurant
die „6- oder 8-eckigt geformten Flödenkelche, die Glocken-
Stumpf-, Schwantzkelche", Kelche, die statt des Fußes eine
formale Glocke aufwiesen, die Casselischen Schloßkelche,
die englischen Kelche, die Römerkelche, die „uackigten
Jungfern " .
1) Carl Friedrich, Die altdeutschen Gläser, 1884, S. 260-261.
184 Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert.
Auch an Gebrauchsgegenständen bieten die Thüringer
Glashütten nach dem erwähnten Preiskurant eine größere
Auswahl, als gerade die Hütte in Ilmenau in der kurzen
Zeit ihres Bestehens fertigzustellen pflegte. Dahin sind zu
zählen : Brennglas, Kredenzteller, Gluntz-Becher (Leimtöpfe)^
Tintenglas , Glocken auf die Wanduhren , Illuminations-
gläser, Leuchter, Löffel, Lichtkugeln, Machina zu Konfi-
türen mit G Armen und Deckel, Nadelbüchsen, Querpfeifen,
Trichter , Vogelgläser mit weißen oder blauen Knöpfen,
Trompeten u. a. m.
An Medizinalgläsern nennt Hochgesang noch Bader-
Köpfe und Brustgläser.
Die Preise für alle diese Fabrikate waren sehr ver-
schieden normiert. Zum Teil rechnete man nach 100 Stücken,
so bei den Kelchen und einigen anderen Sorten. Außerdem
wurde nach Schauben i) gerechnet. Von gewissen runden
Fläschchen, deren Herstellung eine schwierigere sein mochte,
gab es 6 — 8 auf einen Schaub. Bei anderen Gläsern gingen
2 — 3 auf einen Schaub, ja es gab sogar solche, bei denen
Stück und Schaub identisch waren. 26 Schaub bildeten
ein sogenanntes Hüttenhundert (104 Stück). Schließlich
gab es verschiedene Gläser, deren Preis pro Stück angesetzt
war, vermutlich die weniger gangbaren. Bei den Kelchen
galt der Hundertpreis zunächst für solche „nach dem
ordinairen Fuß mit Portten". Verlangte man sie mit ab-
geschnittenen oder glatten Füßen, so kostete das Hundert
2 Gr. mehr. Für die Sorten jedoch , deren Hundertpreis
über 2 Rtlr. hinausging, war bei abgeschnittenen oder
glatten Füßen ein Zuschlag von 4 Gr. üblich.
4. Der Absatz.
Man kann sich denken, daß für sämtliche Erzeugnisse
den Absatz zu finden , nicht immer ganz leicht war.
Thüringen selbst konnte unmöglich alle Gläser verbrauchen,
1) Schaub ist ursprünglich die Verpackung des Hohlglases in
Langstroh, wobei das eine in das andere gesteckt zu werden pflegte.
Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert. 185
also war man gezwungen, sich nach Abnehmern in der
Fremde umzusehen. Wie das geschah, läßt sich einstweilen
noch nicht mit Sicherheit angeben. Wahrscheinlich hat
auch hierbei der thüringische Fuhrmann eine wesentliche
Rolle gespielt. Mit seiner Hilfe versandte mau bestellte
Sachen ins Ausland, und in nicht seltenen Fällen mochte
er auch unbestellte Sachen mitnehmen, die er den Handels-
herren in den größeren Städten, insbesondere den Hafen-
städten anbot. Daneben war es üblich, durch Hausierer
im Lande die Glasware feiltragen zu lassen.
Der Glashandel war, wie eine Eingabe sämtlicher Glas-
meister des Thüringerwaldes an den Herzog Ernst August
vom 4. Juli 1735 ausführte, seit einigen Jahren in Verfall
geraten. Daher hatten sich alle Glashütten auf bestimmte
Preise geeinigt, die in einer gedruckten Taxe allen
Interessenten bekannt gegeben wurde. Der Glasmeister
Heinrich Gottlob Wentzel in Allzunah wurde zum Faktor
ernannt, d. h. man beabsichtigte durch ihn den Absatz zu
den angegebenen Preisen in die Wege zu leiten. Von ihm
oder durch ihn wird man Gläser haben beziehen können.
Vielleicht sollte er auch überwachen, daß zu anderen Preisen
als den festgelegten keine Hütte ihre Ware abgab. Die
Glasmeister baten nun den Herzog, ebenfalls die „kurren-
tensten Glaswaaren" nur zu den in der Taxe angegebenen
Preisen verkaufen zu lassen. Offenbar hatten sie die auf
der herrschaftlichen Hütte erzeugten Gläser im Auge, denn
daß Hütten außerhalb der Preiskonvention geblieben wären,
kann man schwerlich annehmen. War das aber der Fall,
so wird der Herzog schwerlich in der Lage gewesen sein,
diese zur Einhaltuug der gleichen Preise zu veranlassen.
Es erhellt denn auch aus den Akten nicht, daß der Herzog
auf die Eingabe geantwortet hätte.
Der Absatz in die Fremde umfaßte im wesentlichen
deutsche und holländische Städte. Unter den ersteren sind
Braunschweig, Bremen, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover,
Hildesheim, Kiel, Köln, Leipzig, Lübeck, Limburg, Minden,
186
Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert.
Münster, Rostock, Warendorff, Wesel und Zella hervor-
gehoben. Unter den letzteren werden genannt Amsterdam,
Ammerfort, Zwolle und Züthphen. Doch waren sicher mehr
holländische Städte an diesem Handel beteiligt.
Für die Hütte in Hmenau wurde am 11. März ebenfalls
eine Taxe aufgestellt, die insofern bemerkenswert ist, als
sie die Orte erkennen läßt, nach denen für gewöhnlich der
Handel neigte und die für einzelne Sorten besondere
Neigung zeigten. Die hauptsächlichsten Plätze für Ilmenauer
Glas waren Frankfurt a. M., Hamburg, Köln, Münster und
Wesel, sowie Mastricht. Mit den Preisen der Taxe von
1735 lassen sich die der Hmenauer Erzeugnisse nicht ver-
gleichen, da Sorten, Formen, Größe nicht übereinstimmen.
Der Preiskurant lautet:
So nach Frankfurth gehen :
Rossolis-Kelche 1 Tlr. 12 ür.
Priiitz-Kelche von denen kleinsten oder Cölnisch Maass 1
Dergl. etwas grösser nach Münster- und Weseier Maass 1
Dergl. Franckfurther Mittel-Maass oder dritthalb in's
halbe Nösel
Dergl. von den grössten oder Spanisch Maass . . .
Nackigte Jungfern von den kleinsten oder Cöllnisch
Maass
Dergl. etwas grösser nach Münster- und Weseler Maass
Dergl. Franckfurther Mittel-Maass oder dritthalb in's
halbe Nösel
Dergl. von den grössten oder Spanisch Maass . . .
Geformte Kelche von den kleinsten oder Cöllnisch
Maass
Dergl. etwas grösser oder Münster und Weseler Mass
Dergl. Frauckfurther Mittel-Maass oder dritthalb ins
halbe Nösel 2
Dergl. von den grössten oder Spanisch Maass ... 2
Dergl. noch etwas grösser 2
Chur-Pfältzische Mund-Gläser mit glatten Füssen . 2
Dergl. von den grössten 3
Glas-Sorten nach Mastrich:
Rossolis-Kelche Nro. 1 1
Printz-Kelche Nro. 7 1
Dergl. Nro. 11 1
Dergl. Nro. 10 2
Englische Glocken-Kelche Nro. 11 1
Dergl. Nro. 10 2
Nackigte Jungfern Nro. 14 1
Dergl. Nro. 9 2
Dergl. von den grössten Nro. 13 3
16
18
20
04
16
18
20
18
18
20
04
08
12
Tk.
12 Gr.
16 „
20 „
20 „
20 „
Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert. 137
Glas-Sorten nach Hamburg, Cöln, Münster und Wesel:
Caravin, glatt, von eine guten halben Nösel .... 4 TIr. 12 Gr.
Dergl. gestrifft 2 „ 12 „
Mängels-Bier-Gläser, Cöllnisch oder Weseler Mass 2 „ 06 „
Es hat den Anschein, daß man bei der Aufstellung dieses
Tarifs sich nicht ganz sicher fühlte, denn schon 14 Tage
darauf, am 26. März 1737, wurde eine neue Taxe auf-
gestellt, die freilich erhebliche Veränderungen nicht hervor-
treten läßt. Immerhin führt sie, als bisher noch nicht nach-
gewiesene, Nuß-Kelche, zu 3 Tlr. 8 Gr. bis zu 4 Tlrn. und
Perl-Kelche zu 3 Tlr. 12 Gr. bis 4 Tlr. auf. Und bei den
nach Mastricht gehenden Gläsern wurden noch mehr
Nummern und Muster auseinandergehalten, z. B. Printz-
Kelche erstes Muster No. 2 zu 2 Tlrn. und Printz-Kelche
erstes und zweites Muster No. 10 zu 2 Tlrn.
Den Preiskurant hat man sich nach allen wichtigeren
Orten versandt vorzustellen. Indes schlug er nicht in dem
Maße ein, wie erwartet wurde. Denn ein Bericht des Amts-
verwalters Hävecke in Ilmenau vom 8. August 1740 klagt
darüber, daß niemand gekommen sei, Glas zu holen. Nach
Holland drohte der Absatz ins Stocken zu geraten, denn
der Weg sei weit und der Bruch, der unterwegs unvermeid-
lich sei, fiele dem Absender zur Last. Allerdings habe die
Firma List und Pfeiler in Amsterdam Proben von Ilmenauer
Gläsern in Kommission verlangt.
In Deutschland bemühte man sich, den Absatz zu be-
günstigen, indem man an bekannte oder vertrauenswürdige
Firmen in größeren Städten, wie Erfurt, Wesel, Rudolstadt,
Proben schickte. Für den Verkauf von Spiegelglas trug
man sich im Jahre 1740 mit dem Gedanken, in einzelnen
Städten Niederlagen einzurichten. Ob es zu seiner Ver-
wirklichung kam, steht dahin.
Eine wichtige Rolle spielte endlich der Hausierer. Für
ihn wurde eine besondere Legitimation eingeführt, mit deren
Ausweis er in den weimarischen und eisenachischen Landen
ungestört und ungehindert seinem Gewerbe nachgehen
durfte. Ihr Wortlaut war:
138 Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert.
„Nachdem Vorzeiger dieses Stück geschnittenes,
Stück gemahltes, Stück verguldes und
Stück ordinair glatt Glas bey hiesiger Fürstlich
Sächsischer Weimarisch- und Eisenachischen Glas-Fabrique
bey mir eingeladen, ud solches auch allenfalls in bemeldten
demselbigen gegenwärtiger auf Wochen geltenden
Schein zu dem Ende mitgetheilet, damit wann er solche
Glas-Waaren in Weimarisch- und Eisenachischen zu ver-
kaufen gewillet, die Herren Beamte dienstlich ersuchet
werden, diesem mit inländischen Glase mit keinem Haussier-
Geld zu beschweren, derselbe auch von dem auf fremden
Glas, nemlich 100 Stück 1 bis 2 Rtlr. stehenden Impost
oder einiger Confiscation der Waare verschonet bleiben
möge. Warum die Herren Beamte oder wenn dieses an
einem oder dem anderen Ort concerniret unter reciprocirten
anderweiten angenehmen Diensten dienstlich ersuchet werden.
Gegeben auf Fürstl. Sachs. Weimarisch- und Eisenachischen
Glas-Fabrique zu Hmenau".
Nun konnte dabei freilich nicht gehindert werden, daß
die Hausierer auch die Erzeugnisse ausländischer Hütten
vertrieben. Das mußte natürlich mißfallen. Statt Glas nach
Holland zu schicken, hätte man lieber gesehen, es in den
weimarischen Landen selbst absetzen zu können. Daher
erwog man gegen Ende des Jahres 1739, die Hausierer mit
einem solchen „Impost" zu belegen, daß wenig oder gar
kein ausländisches Glas mehr ins Land gebracht werden
könnte. Im übrigen sollte man in jeder Stadt einen Handels-
mann ausfindig zu machen suchen, der von der Ilmenauer
Hütte eine gewisse Menge Gläser übernähme und sie zu
angemessenen Preisen vertriebe. Dieser Gedanke kam
später in einer Verordnung vom 12. Juli 1742 zum Aus-
druck. Man teilte mit, daß alle Sorten Tafel- und Hohl-
glas in Ilmenau zu haben wären mit Ausnahme von ge-
schliffenem und kleinem grünen Apothekerglase. Zugleich
erging die Aufforderung, an jedem Orte im Weimarischen
einen bemittelten Mann ausfindig zu machen, der in Ilmenau
Glas einkaufen und an dem Sitze seines Wohnortes ab-
setzen könnte. An den Stadtrat zu Jena war bereits
Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert. 189
am 19. Februar 1742 ein Mandat des gleichen Inhalts
ergangen ^).
Schon einige Jahre vorher, im Jahre 1737, war
eine Verordnung erlassen worden, laut welcher weder
Fensterglas noch anderes Glas, namentlich keine Butzen-
scheiben, eingeführt und vertrieben werden durften. Alle
Interessenten wurden auf die inländischen, insbesondere die
Ilmenauer Glashütte verwiesen. Sicher aber kam man
diesem Reskript nur unvollkommen nach, sonst wäre die
spätere Verordnung nicht erforderlich gewesen. Es ergibt
sich auch daraus, daß die zur Regierung verordneten Räte
am 9. Mai 1741 anfragten, ob das Einfuhrverbot von 1737
während der Jahrmärkte ebenfalls gelten sollte. Es ver-
stand sich wohl von selbst, daß, wenn man diese Freiheit
zugestanden hätte, das Einfuhrverbot überhaupt von geringer
Bedeutung gewesen wäre.
Willkommene Abnehmer waren natürlich die Glaser.
Aber die Herren Fenstermacher waren nicht so leicht zu
behandeln. Einmal klagten die Eisenacher, im September
1743, daß sie kein Glas aus Ilmenau hätten bekommen
können, obwohl sie schon 8 Wochen darauf warteten. Es
sei in Eisenach gar kein Glas mehr zu haben. Nun sei
ein böhmischer Glashändler auf dem Wege nach Mühlhaussn
erschienen, und man wünschte lebhaft, bei ihm den Bedarf
decken zu dürfen. Die Kammer, die diese Eingabe der
Glaser zu der ihrigen machte, fragte deswegen bei dem
Herzoge an. Indes war dies vermutlich ein Versuch, das
lästige Einfuhrverbot zu umgehen. Denn in Jena, Allstedt
und Buttstädt waren Niederlagen von Ilmenauer Glas und
an der Hütte selbst ein größerer Vorrat. Unwirsch wies
daher der Herzog die Kammer, die vielleicht auch sonst
seinen volkswirtschaftlichen Ansichten entgegengetreten sein
mochte, an, ,,ihre unanständige Conduite endlich einmal ab-
zulegen und sich zu besserer Befolgung und Beachtung
seiner Befehle zu gewöhnen".
1) Anlage 4.
190 Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert.
Diese Mahnung wirkte. Am 6. März 1744 erklärten die
Herren Glaser aus Eisenach, — es waren ihrer nur drei, —
sich bereit, alles Tafel- und Scheibenglas, auch Hohlglas,
soviel als im Inlande erzeugt würde, der fürstlichen Hütte
abzunehmen. Die Preise wurden für ein Bund Tafeln auf
1 Tlr. 10 Gr. und für 100 Scheiben auf 23 Gr. angesetzt.
Das Hohlglas sollte ihnen nach Maßgabe des jeweiligen
Preisstandes überlassen werden. Sie wollten die Ware bar
bezahlen und versprachen, eifrig den Absatz in die Wege
leiten zu wollen. Die Hütte sollte franko nach Eisenach
liefern und für unterwegs vorkommenden Schaden haften.
Bei Ankunft der Ware in Eisenach sollte ein fürstlicher
Beamter anwesend sein, um beim Auspacken festzustellen,
was zerbrochen sei. Diese Stücke sollten in einer Kiste
gesammelt und offenbar nicht bezahlt werden. Ihrerseits
stellten die Glaser der Hütte in Aussicht, Glasscherben zu
4 Groschen pro Zentner außer der Fracht zur Verfügung
zu stellen. Sie meinten, 12 — 16000 Ilmenauer Scheiben, die
wohlfeiler als die Nürnberger waren, jährlich vertreiben zu
können. Die Kammer war mit diesem Arrangement ein-
verstanden, und da die Fenstermacher sich beschwerten,
nicht genug Buschinger Scheiben bekommen zu können, die
von Nürnberg nur bei gleichzeitiger Bestellung von Spiegel-
scheiben geliefert zu werden pflegten, ordnete man sofort
deren Anfertigung auf der Ilmenauer Hütte an^).
Indes die Genugtuung über die Vereinbarung mit den
Glasern und die Verleihung des Rechts zum Glashandel an
einzelne Persönlichkeiten war keineswegs allgemein. In
Jena lehnten sich die böhmischen Glashändler Kaspar König
und Christoph Heucke dagegen auf. Sie betonten in einer
Eingabe an den Herzog, daß sie eine Niederlage von
guten echten und fein geschnittenen , auch geschliffenen
böhmischen Gläsern von allerhand Gattungen in Jena seit
Jahren führten und jährlich für das Recht zum Glashandel
1) Am 7. März 1744.
Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert. 191
und Hausieren 12 Taler bezahlten. Nun hätten die Brüder
Georg und Nikolaus Ungere aus Schmiedefeld versprochen,
ilmenauisches und böhmisches Glas zu vertreiben und dafür
mehr als sie zu zahlen. Ihnen sei daraufhin geboten worden,
sich des Glashandels zu enthalten. Indes diese beiden ver-
kauften kein böhmisches Glas, wonach sehr starke Nach-
frage, auch wenig ilmenauisches, sondern meist Glas, das
sie aus Hütten bei Gräfental holten. Die böhmischen
Händler versprachen, ihre Abgabe auf 20 Tal er jährlich zu
erhöhen und einen geschickten Glasschleifer aus ihrer
Heimat zu besorgen, der zur Hebung des Ilmenauer Glas-
handels beitragen könnte, wenn man ihnen das Recht zur
Fortsetzung ihres Glashandels ließe. Ob in diesem Falle
das Gesuch, das sich überhaupt gegen die Monopolisierung
des Handels, nicht speziell gegen die Glaser richtete, etwas
half, wissen wir nicht. Bald darauf baten die Material-
warenhändler in Eisenach den Fürsten, das dem Glaser
Zahn und Konsorten verliehene Monopol des Glashandels
wieder zurücknehmen zu wollen i). Ihr Erwerb litte darunter,
und das Publikum käme auch zu kurz, vermutlich weil die
Glaser ihre privilegierte Stellung ausnutzten. Und die
Glaser selbst, denen sich die aus Weimar und aus Jena
angeschlossen hatten, fanden bald ein Haar in dem Ge-
schäft. Sie beschwerten sich, daß die Hütte entgegen dem
Vertrage die Preise in die Höhe getrieben hätte ^}. Sie
hätten vereinbart, für 100 Spiegelscheiben einschließlich der
Fracht 23 Gr. zu zahlen , man nähme ihnen aber jetzt
1 Rtlr. und 2 Gr. ab. Und für ein Bund Tafelglas
ä 1 Rtlr. 8 Gr. sollten sie 1 Rtlr. und 16 Gr. geben. Das
könnten sie nicht leisten, denn für diese Preise fänden sie
keinen Absatz im Lande. Das böhmische Glas sei wohl-
feiler. 100 Spiegelscheiben kosteten nicht mehr als 20 Gr.
und ein Bund Tafelglas, das noch „ein ziemlich Teil größer
1) Mai und Juni 1744.
2) Am 29. August 1746, Geh. Haupt-Archiv in Weimar, B. 6451.
192 Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert.
sei als das hiesige", 1 Rtlr. 8 Gr. Dazu falle die Lieferung
nicht immer einwandsfrei aus. Neulich habe in der Nieder-
lage zu Weimar sich Glas gefunden, das schon etliche
Jahre gelegen. Daher baten die Glaser, daß man die Be-
stimmungen der Abmachung einhalten und zu den verein-
bax'ten Preisen zurückkehren möge. Der Herzog sah die
Billigkeit des Verlangens ein und wies die Kammer an,
den Glaskontrakt so zu gestalten, daß das Werk nicht
ruinieret werde. Der Fürst hatte also die richtige Einsicht,
daß, wenn man den Wettbewerb mit dem fremden Glase
aushalten wollte, es vor allem darauf ankam, nicht teurer
zu sein, als z. B. die Böhmen.
Es muß dahingestellt werden, ob die Verwaltung in
der Tat darauf Rücksicht nahm. Wenige Jahre danach
war die Glashütte geschlossen.
Anlagen.
1. Bilanz der Glashütte zu Ilmenau über die Zeit von
Michaelis 1736 bis ebendahin 1737.
(Geh.-Haupt u. Staatsarchiv in Weimar. B. 6467, S. 28.)
Extract aus alhiesiger fürstlichen Glasshütten -Rechnung de
Mich. 1736 bis dahin 1737 und zwar sind an Glasswaaren bey heuriger
Hitze gefertiget und verkauf f et worden, wie folget alss:
23 Stück Poeale
109 270 „ ord. Kelche
172 „ Eöhmer
734 „ Caravinen
25 „ Essigkänngen
1 „ Weiuheber
9 „ Weinkrüge
26 „ Kannen
1 Hh ') Bassgläser
20 Hh 11 Schaub Bierglass
30 „ 22 „ Becher
144 Stück Zuckerhäfen
174 „ Bouteillen
251 „ Flaschen
24 „ Melonenglocken
7 „ Probgläser
2 „ Windleuchter
400 „ Wettergläser
1) Hh = Hüttenhundert.
Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert. 193
2 Hh 2 Seh. Taschengläser
2 „ 4 „ Uringläser
8 Stück Laternen
282
11
Weinkelche
8
11
Cammertöpffe
98
n
Betörten
20
15
Violen
10
Kolben
8
11
Helme
10
Eecipienten
623
11
Cont'iturgläser
756 Bund Tafelglass
150 Stück Scheiben.
Beträgt an Gelde in Summa 3396 Rthlr. 17 Gr. 6 ^. Hierzu
kommt noch 177 Ethlr. 20 Gr. — ^. an verbliebenen Vorrath von
heuriger Hitze alss an 132 Bund Tafelglass excl. 14 Wagen 1472 Blatt
und an alten Vorrath.
6 Stück Pokale
21 „ Weinkelche
18 Schaub ord. Kelche
3 Stück Caravinen
7 Hh 15 Seh. Bierglass
5 Seh. Becher
115 Stück ßouteillen
20 „ Flaschen.
Summa aller Einnahme Geld
3574 Rthlr. 17 Gr.
Ausgabe Geld:
Rthlr. Gr. o).
1296 8 10 vor allerhand Glassmaterialien an Potaschen,Gipss etc.
520 — - vor 364 Clafter Scheit ä 1 Rthlr. 6 Gr.
206 18 — vor 181 Clafter Schürholtz ä 1 Rthlr.
19 1 — vor 50 Clafter Stocken ä 8 Gr.
981 1 — an Wochen- und Jahrlohn denen Glässern und anderen
Arbeitern
92 12 — dem Glassmahler Negele
23 4 — vor Schmiedearbeit
169 — — an Holzslagerlohn
142 1 — Anfuhr und Flösserlohn
34 — 2 an Baukosten
18 17 1 ingeraein.
Summa aller Ausgabe Geld
3503 - 1
Diese gegen die Einnahme gehalten so erscheinet Ueberschuss
71 17 1
Ilmenau den 17. October 1737.
Joh. Herm. Wirsinger.
Vom I8ten Februario bis löten Juni sind an Glasswaaren
auss alhiesiger herrschaff tlicher Glasshütten gefertiget worden, wie
folget alss :
XXV n. 13
194 EiJ^e Glashütte in Ilmen&u im 18. Jahrhundert.
9 Stück Poeale mit Deckel
72
„ grosse Weinkelche
56 532
„ ordinaire Kelche diverser Sorten
1283
„ Böhmer und Eöhmer Kelche
444
„ Caravinen
400
„ Wettergläser
3
„ Weinkrüge
14
„ Kannen
1
,, Weiüheber
1 hundert Bassgläser
12
„ 24 Schaub Bierglass
16
7 „ Becher
12 Stück Zuckerhäfen
186
„ Bouteilleu
180
„ Flaschen
18 Schaub Uringlass
6 Stück Cammertöpfe
58
„ Betörten
10
„ Kolben
8
„ Violen
6
„ Recipienten
2
„ Lichtglässer
433 Blatt Tafelglass.
Ausgabe Geldt bey hochfürstlichen Glashütten vom 18. Febr.
bis 15. Juni 1737.
vom Glassofen umzusetzen und andere gefertigte
Mauerarbeit
vor 2 Fuder Hafenerde
,, 6 Stück Kühlhäfen
„ 847^ Ctnr Potasche ä 57, Rthlr.
„ 55V2 Sümmere Gipss a I673 ßthlr., sojbis löten
Juny ausgangen
vor IV4 Cntnr Braunstein
vor 2 0 Wachss
vor 257 Clafter Holtz, so bis hieher ausgangen,^ alss
108 Gl. Schürholtz ä 18 Gr. und 149 Cl. Scheit-
Holtz ä 1 Ethlr.
vor Holtzschlagerlohn von diesem Holtze
solches zur Flösse anzuführen
selbiges zu flössen und auszusetzen
Lohn auf 16 Wochen ä 18 Gr. das floltz Ibey die
Hütten zuführen
Besoldung auf 74 Jahr von Mich. 1736 bis Johannis
1737 dem Glasmeister Müllern, bez.
dem Gohrmacher Hartwigen auf 18 Wochen ä 3 Rthlr.
denen beiden Vorblässern auff diese Zeit, jeden
wöchentlich 2 Rthlr.
denen 2 Knopff- und Bödenmachern auff obige Zeit
ä 30 Gr. jeder wöchentlich.
denen 2 Einträgern auf 16 Wochen ä 16 Gr. Jedem.
dem Einträger beym Tafelmacher ä 8 Gr. pro 1 Woche
Zuschuss
Rthlr.
Gr
13
11
22
18
6
6
585
6
44
4
__
15
—
20
262
18
77
8
54
14
109
7
13
15
171
9
54
18
73
3
45
15
24
8
6
2
Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert.
195
Ethlr. Gr. d).
51 17 — denen beyden Schörern auff 16 Wochen ä 34 Gr.
Jedem
82 10 — dem Tafebnacher vor 7 Wagen 13 Blatt Tafelglass
ä 10 Rthlr. Arbeitslohn
12 12 — vor distiUirzeug, Bouteillen und Flaschen zu blassen
diesem.
18 6 — der Glasmeister Müllerin vom Glass Einstossen auf
16 Wochen ä 1 Ethlr.
2 — — vor Stroh zur Einstossung des Glasses.
16 — — vor soviel Fuder Sand anzuführen.
3 1 — „ selbigen zu graben.
— 18 — „1 Sandsieb.
8 8 — „ gefertigte Schmiedearbeit
6 17 — „ tischerarbeit
— 18 6 „ brether
1 18 — „ Schlosserarbeit
1 11 — „ bothenlohn, Kühlhäfen zu hohlen und arbeitsleute
zu bestellen.
Summa aller ausgäbe gelte
1743 18 —
2. Leistungen des Glasmalers Negele im Porzellanmalen
vom 25. Febr.— 2. Mai 1737.
(Geh. Haupt.- u. St.-Arch. Weimar, B. 6447, S. 27.)
Specificatio derer sämtlicher Porcellainwaaren durch den
Glassmahler Negele vom 25ten Februarii c. a. bis jetzo gemahlet
worden alss:
3 Stück grosse Vasa zu einem Aufsatz mit dem Hochfürstlichen
Nahmen und Wappen.
2 „ Kannen mit Deckel auf obige Fa§on gemahlt.
12 „ Chocolade Becher mit Henckel, worauf der hochfürstliche
Nähme verzogen.
18 „ dergl. mit Indianischen Figuren
6 „ „ Schwarz gemahlt
6 „ noch dergl. mit gebrochen Stabe
1 „ Lavor Känngen^)
1 „ Butterbüchsse.
Ilmenau d. 2. May 1737.
Joh. Herm. Wirsing.
3. Produktionsaufwand in einer Woche bei der Glas-
hütte in Ilmenau 1744.
(Geh. Haupt- u. Staatsarchiv Weimar, B. 6447, S. 88—89.)
Anschlag des Auffwandes, welcher bey dem Umtrieb einer Glas-
hütte wöchentUch erfordert wird.
1) Kännchen zum Waschbecken.
13^
196 Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert.
Rthk. Gr.
32 — vor 24 Clafter Holz , halb Tannen und halb Fichten
ä 1 Ethlr. 8 Gr.
44 — vor 8 Centner calcionirter Podasche ä 5 ßthlr. 12 Gr.
2 — vor 3 Simmer Gips ä 16 Gr.
1 — „3 Karn Sand ä 8 Gr.
1 — „ Baukosten zum Glassoffen.
2 — „ Coburger Thon zum Glassoffen und Häffenn
— 12 „ Kühlhäffen Drat, Bindfaden, Stroh und Futter
— 12 vor das gehörige Eiseuwerck zu halten.
— 6 vor Braunstein , Kobalt , Greide , Gelbwachs und Anti-
monium
16 — vor 4 Taffelmacher Arbeitslohn
1 8 vor 2 Jungen solchen einzutragen
3 — „1 Scheibenmacher
— 14 „1 Jungen solchem einzutragen
4 — vor den Glassmeister Martin Müller
2 — „ dessen Vorbläser
1 — „1 Knopff- und Fussmacher
— 14 „1 Jungen zum Eintragen
2 — „1 Mateurenmacher
2 12 „2 Schürrer
4 — „4 Holzspalter
5 12 „ die Niederlaggebühren vor 132 Rthlr. Glass ä 1 Gr.
4 6 „ 127^ Centner Glassfracht ä 8 Gr.
1 — ,, die Kisten zum Glasseinpackeu
3 — ohngefähr vor den Bruch bei Liefferung des Glasses
134 — Summa.
Wöchentlicher Ertrag nach Abzug aller Kosten.
Ethlr. Gr.
114 16 vor 86 Bund Taffelglass ä 1 Ethlr. 8 Gr.
18 — „ 1800 Stück Scheiben ä 1 Ethlr.
17 8 „ allerhand Sorten Hohlglass
250 —
Ilmenau d. 22. Jan. 1744.
Johann Heinrich Gottheb Wentzel.
4) Herzogliches Reskript an den Stadtrat zu Jena in
Sachen des Glashandels. 1742, Febr. 19.
(Grossherzogl. Haupt- u. Staatsarchiv Weimar, B. 5119, Stück 41.)
L. G. Nach dem Wir in Unserm Fürstenthum Weimar das
lUmenauer Glas schon vorlängst eingeführet unnd dahero wollen,
dass solches in Unsern übrigen Landen und also auch in der Jena-
ischen Portion auss Unsrer Hütten zu lllmenau genommen werden,
a. b. W. h., ihr wollet zu Jena einen wohlhabenden und ansässigen
Mann ausmachen, welcher sowohl Tafeln, Scheiben, Bouteillen und
alle andere Sorten Gläser um billigen Preiss aus der Illmenauschen
Hütten hole, solches wieder verkaufe, auch andere darmit verlege,
wobey Wir die Einfuhr alles fremden Glases ausgenommen ge-
«chlieffener Waare hiermit ernstlich verbieten, wie denn alle Sorten
Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhmidert. 197
so nur vertrieben werden können , daselbst gemacht und bestelt
werden und habt ihr hiernächst dahin acht zu haben, dass derjenige
Manu, welchen ihr hierzu ausmachen werdet, nicht etwann ein
Monopolium einzuführen suche, noch die Leute im Preiss übersetze
und vervortheile. An dem etc.
Weimar d. 12. Febr. 1749.
5. Aus einem Schreiben Christ. Friedr. Trommlers in
Ilmenau au Herzog Ernst August von Sachsen-Weimar in
Wilhelmsthal 1744, Mai 10.
(Grossherzog. Haupt- u. Staatsarchiv Weimar, B. 6447 S. 98.)
.... „Was Ew. Hochfürstl. Durchl. wegen desjenigen Glasses
gedencken, worinnen 3 Sortten von Brennspiegel etngeschliffen werden
sollen, dabey ist unterthänigst zu gedencken, wie in derjenigen
Zeichnung, welche Herr Cammerdiener Jahr überbracht und dem
Glassmeister Müller dieses lange Glass darnach zu verferttigen ge-
geben, nur ein einziger Falss (: worauf ein Brennglass zu liegen
kommen soll:) angemerckt ist, dahero ich sofort mich mit Herrn
Ludwigen nach Vossfeld begeben, um mit dem Herrn Pfarr
daselbsten alles nach Ew. Hochf. Durchl. hoher Intention zu ver-
abreden, damit die Glässer zuförderst gemacht werden und der Glass-
schneider in Frauenwalde diese hernach gehebe einpassen kan. Ge-
dachter Herr Pfarr will auch alles sofort bewercksteUigen, wann er
nur erst das Glass darzu von Nürnberg erhalten haben wird, welches
er binnen 14 Tagen gewärttig ist, massen er kein geblasenes sondern
dazu ä part besteltes und auff Sand in dicken Stücken gegossenes
Glass gebrauchen kan. Es scheinet dieser Mann in der Optic sehr
erfahren zu seyn ; er hat sich in seiner Jugend zu Dresden bey dem
berühmt gewesenen Rath Zschernhaussen auffgehalten ; er ist erbötig
(:wenn Ihro Hochf. Durchl. gnädigst beliebten Jemanden zu ihm zu
schicken:) denselben diese Wissenschafft in Zeit von 4 bis 6 Wochen
bey zu bringen ; er ist auch gesonnen mit denen Glässern Ew. Hochf.
Durchl. Selbsten unterthänigst aufzuwartten. Der Ort Vossfeld wird
5 Meilen von der Zillbach obliegen, von daher aber müste er ab-
geholet werden. Mit dem Herrn Hoffrath Schrecken ist er ganz
genau bekandt, welcher öffters zu ihm kommt. Von dem hoch-
seeligen Prinz Carln von Meiningen hat er ein Decret als Hoff-
opticus, dergleichen er dem Vernehmen nach, auch von Hildburg-
hausen gewärttig ist. Die dasigen 2 durchlauchtigen Prinzen besuchen
ihn öffter und nehmen von ihm Unterweisung zu der Optic. Er hat
verschiedene Monita gemacht (:wie in beyliegenden zu ersehen:) welche,
bey denen Brennglässern in Sonderheit an der Machine, worinnen
solche zu liegen kommen, zu observiren wären
Der beiliegende Zettel von anderer (eben doch wohl
des Pfarrers) Hand:
1. Wenn die radii solares durch viel Gläser gehen, werden sie
sehr debilitiret, dahero 2 genug.
2. Wenn das objectum estibile unten an der Spitze des coni
heiss wird, wird der conus zerspringen.
198 Eine Glashütte in Ilmenau im 18. Jahrhundert.
3. Wenn das objectum rauch fängt, können die concentrirten
radii solares weiter nicht würcken und das kleineste convexe ßrenn-
glass wird vom Rauch anlaufen.
4. Ist es höchst unbequem, wenn man ein experiment machen
will, die Gläser allezeit herauszunehmen und wieder einzusetzen.
5. Wird es viel mühe kosten die Proportion der Convexiteten
zu finden, dass der Breunpunct gerade nicht weiter und näher
komme sondern fast die Spitze des coni berühre.
6. Wenn die Brenngläser concaviteten geschliffen werden, so
verliehren sie fast die helffte ihrer Force aus richtigen optischen
Ursachen.
VI.
Die Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirice des
Großherzogtums Sachsen-Weimar.
Von
A. Mu eller,
Großherzogl. Landmesser in Weimar.
Mit 15 Kärtchen und einem Bilde im Text.
Die ursprüngliche Absicht des Verfassers war, nur
eine Beschreibung der Wüstungen und Elurgenossenschaften
mit ihren Hegemalen in der Nähe von Weimar zu geben.
Nachdem mir aber die vielfachen Ungenauigkeiten und
Irrtümer in Werneburgs : „Namen der Ortschaften und
Wüstungen Thüringens" klar wurden, entschloß ich mich,
die Arbeit auf die sämtlichen Wüstungen des I. und II.
Verwaltungsbezirks des Großherzogtums Sachsen- Weimar
auszudehnen, da mir in länger als 40-jähriger Dienstzeit
meine Arbeiten, die mich von der Rhön bis Allstedt, von
der Werra bis zur Elster führten, vielfach Gelegenheit
geboten hatten, die Orts- und Flurverhältnisse namentlich
der Gegenden von Weimar, Apolda, Jena etc. genau
kennen zu lernen.
Außer eigener Kenntnis habe ich als Hilfsmittel ge-
habt: das von Großherzogl. Staatsministerium, Departement
der Finanzen, mir zur Benutzung freigegebene Karten-
material, sowie die Urkunden und Akten des Haupt- und
Staatsarchivs in Weimar; Dobenecker, Regesten; ferner das
rote Buch von Weimar, herausgegeben von 0. Franke ;
4as Jenaer Urkundenbuch von Martin ; Beyer, Urkundenbuch
von Erfurt; Böhme, Urkundenbuch von Pforta; Dominikus,
200 Die Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
Erfurt; Otto und Rein, Thuringia sacra; Zeitschrift des Ver-
eins für Thür. Geschichte und Altertumskunde ; Mitteihingen
des Vereins für Geschichte etc. von Erfurt; Zenker, Jenaer
Taschenbuch ; Schmid, Burggrafen von Kirchberg ; Schumann
und Kronfeld, Weimarische Landeskunde ; Lippert und Be-
schorner, Das Lehnbuch Friedrichs des Strengen, u. a.
Zu großem Danke bin ich verpflichtet den Herren vom
Archiv in Weimar für freundliche Unterstützung, Herrn
Postsekretär Heinrich in Buttstädt, sowie Herrn Pfarrer
Gärtner in Berka (Hm) für mancherlei wertvolle Mitteilungen.
Ein alphabetisches Verzeichnis ist am Schlüsse bei-
gefügt.
a) Die Wüstungen und Flurgenossenschaften bei Weimar.
Von den westlich von Weimar und nördlich davon am Etters-
berg gelegenen, um die Mitte des 15. Jahrhunderts noch vorhandenen
Dörfern ist das eine, „Herren- oder Großroda", vollständig ver-
schwunden, während von den drei anderen: „Wenigen- oder
Kleinroda", Lützendorf und Wallendorf, noch einzelne
Baulichkeiten übrig geblieben sind.
Herren- oder Großroda
lag oberhalb Becks Haus auf der westlichen Seite der Ettersburger
Straße nach Lützendorf hin. Der Platz des Dorfes ist jetzt mit
Holz bestanden, der Name existiert aber noch in der Flurkarte als
Wüstung. Wann die Gründung des Ortes, der dem Namen nach
germanischen Ursprungs gewesen, stattgefunden hat, läßt sich so wenig
ermitteln wie bei den übrigen Orten, so viel steht aber bezüglich
aller 4 Ortschaften fest, daß sie im Bruderkriege (1447 — 1451), aus
welchem die meisten Wüstungen in Thüringen stammen, ihren Unter-
gang gefunden haben. 1301 wird Herrenroda zuerst als Dorf ge-
nannt. Unterm 10. Mai d. J. bekennt Graf Hermann von Orla-
münde, daß er Vj^ Hufen im Felde des Dorfes Groß-Rode, auf
denen Conrad und Heinrich, Gebrüder, genannt Eoten, wohnen, und
welche Ritter Gotefried Mulich von Walter v. Varila zu Lehen hatte,
auf Bitten Gottfried Mulichs dem Konvente der Klosterjungfrauen
in Oberweimar zueigne.
Der Ort war wohl nur klein, aus einigen Gehöften, Freihöfen,
bestehend, während Wenigen-Roda bevölkerter gewesen sein wird. Im
Jahre 1533 kommt der Ort als Wüstimg vor; in diesem Jahra
des Großherzogtums Sachsen-Weimar.
201
belehnt Johann Friedrich, Herzog zu Sachsen (der Beständige), Jörg
V. Denstedt mit 7 Hufen Land, 7 Hainen, mit Wiesen, Weiden und
mit der Wüstung Großroda, diese wieder zu bebauen (d. h. das Land
anzubauen), ein Vorwerk dort anzulegen, ingleichen dem wüsten Dorf-
raum, mit aller Nutzung, mit den Schafen, Vieh etc. Nach dem
roten Buche gab der Ort am Ende des 14. Jahrhunderts der Herr-
schaft in Weimar an Zinsen 28 Schillinge und 5mal im Jahre
Küchenspeise, jedesmal 5 Schillinge. Der Herrschaft, der alle Ge-
richte im Dorfe und der Flur zustanden, mußten Frondienste ge-
leistet werden.
Wenigen-Roda, Heinroda,
jetzt „das Ködchen" genannt, lag östlich von Herrenroda, zu dem
es gehörte. Die runde Anlage des Dorfes deutet auf slavische Nieder-
lassung, d. h. dessen Bewohner waren unterjochte Wenden, Leib-
eigene der deutschen Bevölkerung von Herrenroda. Diese runde
Wustizruj KleiTtr^oda CdA& Rödch^rv)
-i. HOOO
Fig. 1.
Dorfanlage zeigen in der Nähe von Weimar noch die Orte Ober-
grunstedt, Schoppendorf, Kleinschwabhausen (Windisch - Schwab-
hausen, Suabehusa slavica), ein Zeichen, daß die slavische Bevölke-
rung vor ihrer Unterjochung sich weit nach Thüringen hin aus-
202 Die Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
gebreitet hatte. Zuerst kömmt der Ort urkundlich 1323 vor, in
welchem Jahre das Kloster Oberweimar daselbst 1 Hufe Land er-
hält; 1374 verleiht Landgraf Wilhelm dem weimarischen Bürger
Hans Ute 32 Schilling und 7 Fastnachtshühner ebendaselbst; 1379
werden die dortigen Güter des Dietrich Nefen der Martinskirche auf
der Burg Weimar zugeeignet; 1387 gibt Landgraf Balthasar dem
Kloster Oberweimar 2 dort gelegene Hufen, und 1434 wird der Ort
wieder in oberweimarischen Urkunden genannt. Die dasige Pfarr-
kirche zu St. Georg wird schon 1433 als baufällig bezeichnet, und
da die Gemeinde zu arm war, die Kirche wieder aufzubauen, so
werden die beiden Orte — Groß- und Kleinroda — nach Weimar
eingepfarrt, und von den Einkünften der Pfarrei und Kirche die
St. Georg-Brüderschaft in der Stadtkirche St. Peter und Paul ge-
stiftet. Nach Weimar zogen auch später die Bewohner beider Orte
und bewirtschafteten von hier aus ihre Grundstücke; noch bis in
das zweite Jahrzehnt des vorigen (19.) Jahrhunderts hat zwischen
den beiden Wüstungen ein der Familie Koch gehöriger Gutshof ge-
standen. Im Bruderkriege ist die baufälhge Kirche vollends zerstört
worden.
An Zinsen gab gegen Ende des 14. Jahrhunderts das Dorf
1 Mark (= 50 Schillinge) und 5mal des Jahres Küchenspeise, wofür
jedesmal 5 Schillinge gerechnet wurden. Frondienste und Gerichte
gehörten der Herrschaft auf der Burg. Außerdem waren nach einer
späteren Notiz noch 4% Malter Hafer, Erfurter Gemäß, und 3 Scheffel
Hopfen zu entrichten.
Südwestlich von Herrenroda lag
Lützendorf.
Auch dieses Dorf war im Bruderkriege arg verwüstet worden, so
daß nur einige Höfe, die Wallfahrtskirche zu St. Gangloff und eine
bei derselben befindliche Klause übrig geblieben waren. Nach Hort-
leder soll im Jahre 1525 nur noch die Kirche und die Klause ge-
standen haben, darin ein Klausner und eine Klausnerin gewohnt.
Aus den übrig gebliebenen Höfen ist später das Kammergut ent-
standen. Erwähnt wird Lucendorf schon 1295; im Jahre 1310
vergleicht Graf Hermann von Orlamünde das Kloster Oberweimar
wegen Gütern bei Lützendorf gelegen ; 1358 verleihen die Grafen
von Orlamünde dem Deutschen Ritterorden Land daselbst. 1424
besitzt Dietrich v. Hesseier dort Zinsen an Va H'ife Landes, die er
zur Stiftung einer Messe in der Pfarrkirche zu Weimar an mehrere
Bürger daselbst verkauft. In einer Urkunde von 1435 belehnt Land-
graf Friedrich (IV.) Wittich v. Krumsdorf, sowie Lutolf, Heinrich
und Gottschalk v. Krumsdorf (Großkromsdorf) unter anderem auch
des Großherzogtums Sachsen-Weimar. 203
mit Land zu Lützendorf. 1492 fordert der Kurfürst Friedrich (der
Weise) zur Unterstützung für Erhaltung und Erweiterung der sehr
baufälligen Kirche in Lützendorf auf; 1495 ist infolgedessen die
Kirche restauriert worden, wodurch die Wallfahrt dahin sehr zu-
genommen. Allein schon 1530 geht die Kirche ganz ein. Im Jahre
1541 verkaufen Kurfürst Johann Friedrich (der Beständige) und
Herzog Johann Ernst an den Schösser Johann Kunolt 35 Acker
Land in der wüsten Dorfflur Lützendorf, wofür er ein Haus (Vor-
werk) auf der Stelle der Kapelle bauen mußte, den jetzigen Gasthof
(1544). 1657 am 6. März tauscht es Herzog Wilhelm von seinem
Bruder Ernst gegen andere Güter ein und vermehrt damit das
Wittum seiner Gemahlin Eleonore Dorothea, und am 24. Januar
1726 schenkt es Herzog Ernst August seiner Gemahlin Eleo-
nore Wilhelmine auf Lebenszeit. Später wurden das Vorwerk und
die Güter der Kirche in ein Kammergut verwandelt.
In Lützendorf (in der Kirche oder Kapelle) soll der Leichnam
des im Jahre 1510 in Erfurt hingerichteten Vierherrn Heinrich
Kellner, nachdem er 10 Wochen am Galgen gehangen, bestattet
worden sein. Wenn man aber die Art der Überführung — durch
2 Männer, die den Körper in einem Sack durch Stangen getragen
— bedenkt, so erscheint die Erzählung etwas zweifelhaft. Die vor
mehr als 30 Jahren durch den Archivdirektor Geh. Hof rat Burk-
hardt in den Gewölben der alten Kapelle vorgenommenen Nach-
forschungen nach den Gebeinen sind resultatlos gewesen.
Südwestlich von Lützendorf, zwischen Gaberndorf und Weimar,
nördlich des Eisenbahndammes, lag bis gegen das Ende des 14, Jahr-
hunderts noch ein Dorf : Krakeudorf (Krakindorph) ^), das aber
schon im roten Buche als „desolata" bezeichnet ist und wahrschein-
lich im Grafenkriege (1342 — 1345) der Zerstörung anheimfiel. Die
frühere Flur Krakendorf ist in der Flur Gaberndorf aufgegangen.
Im roten Buche heißt es : Petir Fride, residens in villa Gaberndorff
dat de uno manso 8 sol., 1 pull. (8 Schilling und 1 Huhn). Item 5
med. frum. wimar. maßis Michaeli. Item ouch ist daselbins eine
wese czu czweyen fudern houwis (d. h. eine Wiese, die zur Burg
gehört und 2 Fuder Heu ergibt). Item, ouch gebit Ditherich Gor-
licz, myns hern furster (der wohl in Gaberndorf saß), czween gense
erbecinze uff Mich, von eyn halbin hufin, die gelegen ist daselbinst,
die etzwan ist gewest Frederich Kesseler. Item ouch hat man da-
selbinst alle gerichte yn felde unde yn dorfe, obirste unde nedirste.
Item ouch hat man daselbinst weitgelt 3 sol. von deme acker, wer
da weyt sehit (säet). Wie aus vorstehendem hervorgeht, haben sich
1) Werneburg gibt die Lage von Krakendorf ganz unrichtig an.
204 I^ic Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
die Bewohner des zerstörten Ortes nach dem zunächst gelegenen
Gaberndorf gewendet. Peter Fride wird im Weimarischen Handels-
buche: „von Gaberndorff" und als weimarischer Bürger genannt.
Zuerst wird Krakendorf in einer Urkunde von 1217 erwähnt, laut
welcher Bischof Otto von Würzburg den Grafen Albrecht und Hermann
von Orlamünde 6 Hufen in Crakendorf schenkt ; im Jahre 1283 am
25. März schenkt Graf Otto von Orlamünde dem Klosterkonvente
in Oberweimar die Güter in Tasdorph (Daasdorf a./B.) und 1 Hufe
in Krakendorf, in denen er das Vogteirecht hat; 1345 eignen die
Grafen von Orlamünde V2 Hufe zu Krakendorf dem Deutschordens-
hause zu Weimar; 1374 erhält Hans Ute, Bürger zu Weimar, vom
Landgrafen Wilhelm 1 Malter Weizen und 7-2 Hufe zu Krakendorf
in Lehen ; 1375 sind die Gebrüder Kyrnemilch dort begütert, und 1387
verkauft Landgraf Balthasar dem Kloster Oberweimar Land im Felde
des Dorfes Krakendorf. Später kommt der Ort nicht mehr vor.
Eine zur Flur Kleinobringen bei Weimar gehörige Wüstung^
deren Lage in der Natur noch wohl zu erkennen ist, befindet sich
auf dem nördlichen Abfall des Ettersberges, unmittelbar an der Straße
von Weimar nach Ramsla, und wird in der Flurkarte bezeichnet:
„das Rödigen". Der Ort hat nur aus wenigen (3—4) Höfen be-
standen, die in der Nähe der jetzigen Straße lagen, während die Flur
sich nach Westen hin erstreckte; jetzt ist die Flur ganz mit Wald
bestanden. Urkundliche Nachweise über den Ort und dessen —
wahrscheinlich auch im Bruderkriege erfolgten — Untergang haben
sich nirgends auffinden lassen.
Das im XIII. Bande der Zeitschr. f. Thür. Geschichte u. Alter-
tumskunde enthaltene Verzeichnis der 10 Bezirke (Termineien) der Er-
furter Augustinermönche (ord. S. Augustini eremitarum) im östhchen
Thüringen, das wahrscheinlich 1381 aufgestellt ist, führt unter den
Ortschaften der Terrainei Weimar an: Lutendorf (Lützendorf),
Rodechin (Kleinroda), Obernrode (Groß- oder Herrenrode), die also
damals als Dörfer noch bestanden. Wallendorf wird nicht erwähnt;
ebenso nicht Krakendorf, ein Zeichen, daß dasselbe in dem mit-
genannten Gaberndorf am Ende des 14. Jahrhunderts schon auf-
gegangen war.
Von allen Orten in der unmittelbaren Nähe von Weimar, die
heute zu seiner Flur gehören, war
Wallendorf (Waldindorf)
wohl der bedeutendste und bekannteste, den im Bruderkriege das-
selbe Schicksal betroffen, wie die zuerst genannten. Wallendorf
besaß eine berühmte Wallfahrtskirche St. Nicolai imd wird zum
erstenmal in einer Urkunde vom Jahre 1279 genannt, als Graf Otto
des Großherzogtums Sachsen- Weimar.
205
von Orlamünde Va Hufe daselbst dem Kloster Oberweimar, dem
Hauskloster des Orlamünder Grafengeschlechts, schenkt. Auch im
Jahre 1295 kommt der Ort urkundlich vor, als Walther v. Vargula
demselben Kloster Oberweimar seine Güter in Waldindorf verkauft,
sowie diejenigen Güter, welche er daselbst aus seines Bruders Bert-
hold, Pfarrers zu St. Jakob in Weimar, künftigen Erbschaft zu er-
warten hat, an 3V2 Hufen mit zugehörigem Hofe und dem Kirchlein
zu Ulla (01a), auch 3 Mark jährlichen Zins in Lützendorf und Wal-
dindorf. 1291 wird in einer Jenaer Urkunde Albrecht, Komthur von
Zwätzen, genannt von Waldindorf, erwähnt. 1307 verkauft Hermann
von Oberweimar Vg Hufe dort an Hans Schyn. — Eudolf, Heinrich
und Johannes von Gleißberg (Kunitzburg) geben 1345 dem Kloster
Fig. 2.
Oberweimar V2 Hufe Feld in Waldindorf, und 1360 bekennt der vor-
genannte Heinrich v. Gleißberg, daß er 6 Pfennige jährlichen Zinses
von V2 Hufe in Waldindorf an den Geistlichen Nicolas Eobill ver-
kauft habe; 1379 eignet wieder Graf Otto von Orlamünde dem
Kloster Oberweimar IV2 Hufen in Tobach (Taubach) und '/^ Hufe
in Waldendorf zu, welche Dietrich Zazernei besessen. 1382 werden
die weimarischen Bürger Heinrich und Dietrich Uthen als Grund-
besitzer in WaUendorf aufgeführt; 1401 gibt Dietrich Rost, gesessen
zu Heldrungen, dem Spitale vor dem Kegel tore in Weimar 1 Hufe
Land in Waldindorf, und in demselben Jahre, 21. Oktober, bestätigen
Hans Jegher und Hans v. Jehne, sowie die Ratsmeister und Rats-
leute von Weimar die Überlassung von weimarischen Spitalgüterii
in Waldindorf an Andreas Kluge und Andreas Haufeld gegen einen
206 Die Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
jährlichen Zins. 1412 verkauft der Rat zu Weimar Grundstücke zu
Waldendorf an den gestrengen Hans v. Gutenshausen (Gutmanns-
hausen), und 1417 werden Zmsen von V/^ Hufen zu Waldindorf an die
Pfarrei des deutschen Ordens in Weimar verkauft ; 1458 verkauft der
Schösser Heinrich Funke in Weimar einen Weingarten in Wallendorf.
1447 wird der Ort im Bruderkriege von den Scharen des Kur-
fürsten Friedrich so verwüstet, daß nur die Kirche und die Mühle
stehen geblieben sind. Die Kirche, die auf der Anhöhe über der
Mühle stand, suchte man zu erhalten, baute 1513 den Chor neu auf,
schoß aber 1540 dieselbe, da sie immer baufälliger wurde, mit großen
Büchsen (Kanonen), die man probieren wollte, ganz ein.
Nach dem roten Buche von Weimar gab das Dorf den Grafen
von Weimar-Orlamünde im 14. Jahrhundert an Zinsen : zu Michaelis
25 Schill. 8 Pfg. jährlich; auiäerdem 1 Scheffel Korn, 3 Scheffel
Hafer, 1 Scheffel Hopfen. Weiter heißt es : „ouch was eyne hufe
do, die cinste ouch also vyl, die üch myn here von Orlamunde Fri-
derichin Risebutele, die lac wüste unde ist verlegt (die Grenzen
sind verlagt, festgestellt). Item ouch habin unsir heren alle gerichte
in felde unde yn dorffe. Item Hermann Scheffel gebit 2 hunire uff
Michaehs de V2 manso ibidem, olim Risebutels". Nach dem Dresdener
Register gab vermutlich dieselbe halbe Hufe, als sie Risebutel noch
besaß, 1 tal. (Pfund Pfennige) und 1 Lämmchen.
Nach der Zerstörung des Dorfes; das sich von der Mühle an
in westlicher Richtung im Grunde hin erstreckte, zogen die Ein-
wohner, die den Ort nicht wieder aufbauen wollten, teils nach
Weimar, teils nach Niedergrunstedt, behielten aber die gesonderte
Flurgenossenschaft, ihre Gemeindelade mit Urkunden und Insignien,
wie den Heimelstab (Hegemalsstab) bei und wählten ihre Heim-
bürgen, bis infolge der Grundstückszusammenlegung nach 1870 durch
Vereinbarung die Flurgenossenschaft aufgehoben und die bisher ge-
sonderte Flur Wallendorf mit der Flur Weimar vereinigt wurde*).
b) Wüstungen am westlichen Fuße des Ettersberges.
Außer den in Abschnitt a) aufgeführten Wüstungen, die sich
sämthch auf dem südlichen Abhänge des Ettersberges befinden, gibt
es am westlichen Fuße noch 4 Wüstungen. Während südöstlich
von Gaberndorf (nicht nordwestlich, wie Werneburg angibt) der Ort
Krakendorf lag, war nordwestlich davon, über Ottstedt a./B. nach.
Niederzimmern zu : Getoru oder Thorn , das ebenso wie Kraken-
dorf schon im Grafenkriege 1343 der Zerstörung anheimfiel. Bereits
im roten Buch von Weimar, etwa 1379 begonnen, heißt es : Thom,,
1) Über das Hegemal etc. später.
des Großherzogtums Sachsen- Weimar.
207
daz wüste dorff , daz da gelegin ist gensyt Tostorff (Dassdorf a/B. etc.".
Es lag also der Ort in der Nähe von Niederzimmern, wie auch aus
einer Urkunde vom 22. Sept. 1348 hervorgeht, die abgedruckt ist
in Beyers Urkundenbuch der Stadt Erfurt. Nach dieser Urkunde
erkennen die Grafen Friedrich und Hermann von Orlamünde —
welche 1346 das Dorf Niederzimmern an Erfurt abgetreten hatten
— das von Konrad dem Jüngeren von Tannroda gefällte Urteil an,
daß : „das Dorfstadil zu Geturn, das etwann eyn gebuwet dorff
Wüstungen amEüershepde
Wei mar.
se^K^
Fig. 3.
was" zu Erfurt gehören solle. Die Stadt Erfurt und die Grafen von
Orlamünde scheinen gemeinschaftlichen Besitz daselbst gehabt zu
haben, und da die Bewohner des zerstörten Ortes sich dem Anschein
nach nach Zimmern gewendet hatten, dieses aber durch den Land-
grafen Friedrich an Erfurt gekommen war, so fiel die Entscheidimg
Konrads v. Tannroda zugunsten Erfurts aus. Es kommt auch die
Bezeichnung vor: stadil und getorn, so daß die irrige Ansicht ent-
stand, es seien zwei Dörfer gewesen. Ganz richtig bemerkt Franke
im roten Buche : , .vermutlich hat man stehengebüebene Wirtschafts-
208 I^iß Wüstungen im I, und II. Verwaltungsbezirke
gebäude des eingegangenen Ortes mit (dem auch jetzt noch übhchen
Ausdrucke) stadil, stadel (Stall) bezeichnet, die zu Getorn gehört
haben", aber vom Orte entfernt lagen und allgemein „der stadil"
genannt wurden.
Auch das Stift Hersfeld hat, wie wir bei Ranigisdorf sehen
werden, Gerichte und Gefälle in den Dörfern am Fuße des Etters-
berges gehabt.
Der Ort hat vielleicht zu den ältesten Orten in Thüringen gehört,
denn nach Dronke, Cod. diplom. überträgt Graf Erpho (Erphold)
etwa im Jahre 860 die Orte Zimmern (Zimbron) und Getorn (Gu-
torne)^) in Thüringen dem heiligen Kilian neben anderen Orten in
Thüringen und im Grabfeld. Eigentümlich ist es, daß schon im
13. Jahrhundert der Ort als Wüstengetorn bezeichnet wird. In
einer Urkunde ohne Datum, die aber sicher in die Zeit von 1250 bis
1260 fällt, zwar mit einem Siegel versehen ist, aber ohne Angabe
von Zeugen , bekennen Reinhard und VoLrad , und die übrigen
Kinder, von Kranichfeld, daß sie die Nutznießung etlicher in „Wusten-
geturne" gelegenen Güter, welche Ritter Ekkehard von Weimar
1) Gewöhnlich, und mit viel Wahrscheinlichkeit, wird Alt- oder
Großgottern bei Langensalza für dieses Gutorne angenommen , in
welchem Falle Zimbron das südlich davon gelegene Zimmern sein würde.
Es könnte aber auch unser Geturn und das dabei liegende Nieder-
zimmern gemeint sein. Werneburg hat Getorn nicht unter den Wüstun-
gen aufgeführt, er hält es irrigerweise für „Göttern" nordöstlich von
Blankenhain (besser: südlich von Magdala), das aber in Urkunden nur:
Gittern, Jittern und Gitterde genannt wird. Schon v. Tettau hat hin-
gewiesen auf diesen Irrtum Werneburgs, dem übrigens namentlich
bezüglich der Lage der Wüstungen zahlreiche Irrungen untergelaufen
sind. So ist auf der Werneburgschen Karte die Lage der Wüstungen
Ranigsdorf (richtiger Ranigisdorf) Mannzimmern, Gebeisborn, Kra-
kendorf, Herrenroda falsch angegeben, Mannzimmern liegt da, wo
Ranigisdorf verzeichnet ist, und umgekehrt, Herrenroda liegt nörd-
Uch von Lützendorf, nicht südUch, Krakendorf südlich von Gabern-
dorf, nicht nordwestlich. Derselbe Fehler wie bei Werneburg be-
züglich der Lage der Wüstungen Mannzimmern und Ranigisdorf
befindet sich in der zu Bd. XIII. der Zeitschrift des Vereins für
die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt gehörigen Karte,
aus der er in Werneburg und neuerdings in die „Geschichte der
Stadt Erfurt" von Beyer übergegangen ist. Nach den älteren Karten
von Ollendorf und Eckstedt liegt der Distrikt „in Mannzimmern"
an der Flurgrenze Udestedt-Eckstedt, also in der Flur Ollendorf
nicht aber in den Fluren Ottstedt oder Niederzimmern.
des Großherzogtums Sachsen-Weimar. 209
von ihnen zu Lehen hatte, dem Konvent zu Weimar (Kloster Ober-
weimar) übertragen haben etc. Da Zeugen und Datum fehlen, scheint
die Übertragung nichl perfekt geworden zu sein.
Die Lage des Ortes läßt sich ziemlich sicher nachweisen und
jetzt noch erkennen; in der Flur Niederzimmern — wohin sich die
Einwohner gewendet — war nach Ottstedt a./B. hin ein Distrikt :
„am Tornschen Kirchhofe".
Oebelsborn (Gebelichesborn), jedenfalls wie die benachbarten
Orte Mannzimmern und Ranigisdorf im Bruderkriege zerstört, lag
nach Ausweis der alten Karten von Ottstedt aus nach Hottelstedt
zu und wird nebst Getorn xind Ranigisdorf in einer Urkunde vom
31. Otober 1366 erwähnt, laut welcher der Abt und der Konvent
des iStiftes Hersfeld zur Wiedereinlösung von Dorf und Schloß
Gebese dem Rate zu Erfurt für 735 Mark Silber wiederkäuflich alle
ihre Gerichte und Gefälle aus verschiedenen Dörfern in der Nähe,
darunter: Zimmern, Ollendorf, „czu Getorn, czu Otstete, czu Nan-.
gisdorf (verschrieben statt Rangisdorf ), czu Gebelichesborn" verkaufen.
Noch existiert die Flurdistriktsbenennung „auf dem Göbels-
berge" südlich vom Wege von Ottstedt a./B. nach Hottelstedt.
Ranigisdorf lag zwischen Ottstedt und Ollendorf, mit dem
es verbunden war und wohin sich nach der Zerstörung die Be-
wohner gewendet haben werden. 1490 Mai 5. verkauft Heinrich
Hüttener — Bürger zu Erfurt — seinen aus einem Hofe und einem
Vierteil der Gerichte zu Ollendorf, Gebeisborn, Ranigisdorf und Ge-
torn bestehenden Besitz an den Rat zu Erfurt. In der Flur Ott-
stedt am Ollendorfer Wege und an der Ollendorfer Flurgrenze finden
sich noch die Benennungen: „am Höfchen" und „beim Spende-Gute",
wodurch die Lage des Ortes Ranigisdorf wohl bestimmt wird. Der
Ort scheint danach nur klein gewesen zu sein.
Bedeutender war jedenfalls der zwischen Ollendorf, Udestedt
und Eckstedt gelegene Ort Mannzüumeni. Nach der Zerstörung
des Ortes im Bruderkriege scheinen sich die Bewohner in die drei
vorgenannten Orte zerstreut zu haben, denn in allen drei Fluren,
da wo deren Grenzen zusammenstoßen , kommt die Flurdistrikts-
benennung „in Mannzimmern" vor.
1383 verkauft das Peterskloster in Erfurt seinen Anteil an
Mannzimmern an Härtung von Diffort; 1518 März 15. belehnt Graf
Sigmund von Gleichen, als Oberlehnsherr, mit diesem Anteil des Ge-
richts und 272 Hufen Landes daselbst die Familie v. Utzberg.
1519 März 21. wird Aßmann Schade, Erfurter Bürger, damit belehnt,
und 1532 verkaufen die Grafen Philipp, Ernst, Sigmund und Hans
von Gleichen die Hälfte des Gerichts zu Mannzimmern für 3500 Gul-
den an den Rat zu Erfurt. Ein Viertel des Gerichts daselbst war
XXVII. 14
210 I^ie Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
schwarzburgisches Afterlehn unter sächsischer OberlehnsherrlicKkeit.
Dasselbe wurde 1502 von Dietrich und Heinrich Paradies — Er-
furter Patriziern — für 1000 Rh. Gulden an den Rat verkauft. Den
übrigen Teil des Ortes und Gerichts soll schon 1344 die Stadt Erfurt
als Entschädigung für die von ihr im Grafenkriege dem Landgrafen
Friedrich, dem Ernsthaften, gegen die Grafen von Orlamünde und
Schwarzburg (Arnstadt) geleisteten Dienste und Kosten — („das
Dorf Zimmern unter dem Ettersberge, welches auch Mannzimmern
genannt werde") — erhalten haben. Vergl. v. Tettau, Geschicht-
liche Darstellung des Gebiets der Stadt Erfurt etc.
c) Die Wüstungen in der Nähe von Jena, bei Buoha,
Göttern, Magdala.
Wenn auch die meisten Kriege und Fehden im Mittelalter der
Hauptsache nach in der Verwüstung und Zerstörung feindUcher
Dörfer bestanden, um den Gegner materiell zu schädigen, so ist
dies in solchem Umfange und mit solcher Gründhchkeit niemals
geschehen wie im Bruderkriege. Auch die Wüstungen bei Bucha
und Göttern stammen aus jener Zeit.
Vöb.
^cluyrhcc.
OssinariH
Fos&ro
Fig. 4.
Fünf Wüstungen liegen in unmittelbarer Nähe der vorgenannten
Ortschaften: Niederbucha, Uhrda, Wilgelau (Willelo) —
manchmal auch Wigelau genannt, in den Flurbüchern und Karten
aber bloß mit Wiegelau bezeichnet — Iritz und Gauga, auch
bloß Gau und Ingau geheißen. Nach der Zerstörung haben sich
die Einwohner der vier zuerst genannten Orte nach Bucha, diejenigen
von Gauga nach Göttern gewendet.
des Großherzogtums Sachsen -Weimar. 211
Von den Ortschaften bei J e n a werden in dem oben erwähnten
Verzeichnisse der Termineien der Erfurter Augustinermönche als zur
Terminei Jena gehörig genannt: Bucha, Schorbe, Dorbitze (Döbr-
itschen), Oßmaritz ; zur Terminei Weimar dagegen merkwürdiger-
weise: Posen (Posen, das also damals noch ein Dorf war), Willelo
(Wilgelau), Urden (Uhrda), Jugowe (Ingau, Gauga), Jeteren (Göttern).
Die Verteilung der so nahe beieinander liegenden Ortschaften , Bucha,
Posen, Oßmaritz, Ingau, Wilgelau und Uhrda auf zwei Termineien
erscheint unklar.
Iritz wird überhaupt nicht erwähnt; vielleicht war es schon
damals Wüstung und in Bucha aufgegangen. Niederbuche
scheint als zu Bucha mitgehörig betrachtet worden zu sein.
Bacha,
der Hauptort, zeigt, nach seiner Anlage, daß es slavischen Ur-
sprungs ist. In seinem nördhchen Teile ist die runde, slavische
Ortsanlage noch vollständig erhalten, während sie im südlichen Teile
mehr verschwunden ist (s. Fig. 5). Wahrscheinlich bauten sich in
diesem Teile die zugezogenen Bewohner der zerstörten Nachbardörfer
an. Mit Bucha war die im Amte Burgau begüterte Famihe Puster
in Drackendorf belehnt.
Außer unserem Bucha gibt es in der Nähe noch zwei Ort-
schaften, die diesen Namen führen: Bucha im Neustädter Kreise des
Großherzogtums Sachsen und nordöstlich von Ziegenrück, und Bucha
südwestUch von Eanis im Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt.
Beide können ihrer Gestalt nach ebenfalls wendischen Ursprungs
sein. Ein weiteres Bucha hegt im Kreise Eckartsberga. Südlich von
unserem Bucha, an dem bei Maua sich in die Saale ergießenden
Leutrabache, liegt ein Gut Posen oder Posen (früher 3 Höfe), und
in der Nähe des bei Ziegenrück gelegenen Dorfes Bucha ein anderer
kleiner Ort Posen, ein Umstand, welcher der früher schon zutage
getretenen Ansicht, daß unser Bucha eine Kolonie dieses gleich-
namigen Ortes sei, einigen Halt verleihen könnte. Das Gut Posen
wird genannt in einer Urkunde vom 8. März 1642 ausgestellt in
Weimar, in welcher Herzog Wilhelm zu Sachsen bekennt, daß er
die Magdalene v. Nesselrott, geb. v. Diemar, mit einer Jahresrente
von 3 Maltern Korn, 3 Maltern Gerste, 1 Malter Weizen, 1 Malter
Hafer, 8 Klaftern Holz, 1 Tonne Wildbret, V2 Zentner Karpfen
und 15 Gulden Geld als Ablösung der auf dem anheimgefallenen
Gute Posen stehenden 1000 Gulden Ehe- und Wiederlagsgeld be-
gabt habe.
Urkundlich wird Bucha oft genannt. 1338 JuH 25 bekennt
Propst Hermann und der ganze Konvent des Klosters Kapellendorf,
14*
212 -Die Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
daß sie dem Henrich, genannt Longus, Bürger in Jene, und seiner
Frau Lucardis den halben Teil der Mühle „unter dem Berge" zu
dauerndem Besitze übertragen haben, wofür sie jährlich an Jacobi
24 Groschen und ebensoviel an Christi Geburt, und zwar an jedem
Termine 8 Groschen dem Konvent und 16 Groschen dem Herrn
Conrad, Pfarrer in Bucha, und der Begine Jutte Faber zu zahlen
haben. Aus einer Ur-
kunde des Propstes
Kuno der heiligen
Frauen in Jhene er-
hellt, daß der ge-
nannte Pfarrer Con-
rad von Bucha in
Jhene einen Hof be-
sitzt. In einer Jenaer
Urkunde vom 29.
Nov. 1382 wird unter
den Jenaer Eats-
meistern auch ein
Hannus von Bucha
aufgeführt, und 1364
— 1372 kommt ein
Ratsmeister Conze
von Bucha vor; 1406
22. Sept. wird ein
Hans Plone in Gro-
ßenbucha erwähnt,
in einer Urkunde des
Schenken Rudolf v.
Tautenburg vom 24.
Nov. 1412 unter den
Zeugen Wyrich v.
Kirch berg , Pfarrer
in Bucha. 1465 Au-
gust 9 belehnen die
Gebrüder Ernst,
Kurfürst, und Albrecht, Herzog zu Sachsen den Nickel Puster mit
Schloß Lobdeburg und zugehörigen Ortschaften, darunter auch
Bucha. Am 4. Febr. 1469 beauftragt Papst Paul II. auf Bitten
des Abtes in Posau den Abt des Georgen klosters in Naumburg nach
vorhergängiger Erkundigung über den Sachverhalt, die Pfarrkirche
in Bretzenitz (Jena-Prießnitz) mit ihren Tochterkirchen zu Löbichau,
Wintberg, Ziegenhain, Kirchberg, Oberlöbichau und Bucha aufs
Fig. 5.
des Großherzogtums Sachsen- Weimar. 213
neue dem Kloster Posau zu inkorporieren. Seitens des Klosters in
Jena werden unterm 12. Juli 1483 an Hans, Conz, Ludwig und
Christoffel Gebrüder Sommerlatte Güter und Zinsen in Bucha
übertragen; 1491 Okt. 28 gestatten Kurfürst Friedrich und Herzog
Ernst zu Sachsen dem Adam Puster zu Drackendorf, die Güter in
Bucha, die er gemeinschaftlich mit seinen Brüdern besessen, seiner
Ehefrau Anna zu übertragen. 1674 erwirbt W. J. v. Treschow zu
Zwätzen von Günther v. Bünau als Vormund des v. Harras Güter etc.
in Lobeda etc. und auch in Bucha, und 1707 Nov. 2 wird mit
diesen Gütern J. Chr. v. Treskow in Lobeda belehnt gegen Gestel-
lung eines Eitterpferdes etc. 1679 Mai 10 verleiht Joh. Ernst
Herzog zu Sachsen für sich und seinen Vetter etc. etc. dem Geh.
Rat und Professor in Jena Dr. Georg Adam Struwe die Zinsen,
welche einst denen v. Hollbach gewesen in verschiedenen Orten,
unter denen auch Bucha, zu rechtem Mannlehn, und 1699, Juli 5
bekennt Herzog Joh. Wilhelm zu Sachsen, daß er nach dem Tode
seines Bruders Joh. Georg dem Hanß Michael Förster in Burgau
Güter und Gerechtigkeiten in verschiedenen Orten , so auch in
Bucha, gegeben habe, nebst Nieder- und Koppeljagd und den
Diensten, welche einige Einwohner in besagtem Bucha und Win-
zerla vermöge der alten und neuen Erbzinsbücher zu leisten haben.
Der frühere Ort und spätere Wüstung
Nieder-Bueha,
jedenfalls von Bucha aus angelegt und bevölkert, lag nur etwa
500 m östhch von Bucha (Groß-Bucha), und der zwischen beiden
Orten gelegene Flurteil hieß bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts
noch : „zwischen den Dörfern". Adrian Beier nennt es in seinem
Geogr. Jenens. „Niederbucha auf dem Buchischen Berge", und J. C.
Zenker in seinem Taschenbuche von Jena „Niederbucha bei Oßmaritz
(Ushimbritz)" da es von Bucha nach diesem Orte hin lag. Die Flur
Niederbucha grenzte an die Fluren Nennsdorf, Posen, Bucha und
Oßmaritz.
Auch Niederbucha zeigt in seinem Grundriß Spuren slavischer
Gründung wie Bucha (s. Fig. 6), die Abtrennung vom Mutterort
muß also wohl schon frühzeitig geschehen sein. Mit Niederbucha
war ebenfalls die Familie Puster in Drackendorf belehnt ; urkundlich
wird der Ort oft genannt, häufig in Verbindung mit Bucha.
Nach dem Jenaer Urkundenbuche, herausgegegen von Martin,
überträgt — Jhenis 1380, 17. März — Markgraf Friedrich von Meißen
der Frau Clara, Gattin Conrad Pusters, verschiedene Zinsen und
Weinberge als Leibgedinge, so in Niederbucha (in inferiori Bucha)
XII. modios tritici, IIIj (4) modios ordei, V quartas piscorum, XI
214 Die Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
l/^üsf
Ni ederbiLCiha^.
solidos denariorum, XXII pullos etc. Unterm 22. Mai 1395 belehnt
Markgraf Friedrich die Brüder Nickel und Heinrich Puster — jeden-
falls die Söhne des Vorgenannten — mit ihren ganzen Gütern auch
in Niederbucha, und unterm 16. Mai die Frau Feiice, Gattin Hein-
richs V. Bockedra — Tochter Hans Pusters — mit Gütern und
Zinsen in Klein -Bockedra, Eodel (ßödelmisch?)^), Ober und Nieder-
bucha etc. etc. als Leibgedinge, und zwar in Oberbucha mit Vs Hufe
Landes, die Concze Conrad besitzt, und in Niederbucha auch mit
Va Hufe, „dy Jaooffs Porczen eydem" (Eidam) besitzt. — 1427 am
14. Januar bekundet Herzog Friedrich von Sachsen, daß er folgende
Jahrzeichen mit allen
Gerichten, Eechten und
Zugehörungen, die ihm
der bisherige Lehns-
träger Hans Puster mit
Bewilligung seines Bru-
ders Burgolt Puster und
seines Vetters Nicol
Puster aufgelassen, an
Hans Pusters Ehefrau
Kethe als Leibgedinge
geüehen habe, nämlich
18 Scheffel Weizen, 10
Scheffel Gerste, ß'/*
Scheffel Hafer, 1 Schock
7 Gr. 3 Pf., und 20 Hüh-
ner zu Niederbucha. Am
28. Oktbr. 1461 wird
Anna, Nickel Pusters
Frau, damit belehnt.
1498 Mai 8 bekundet
Hans V. Grevendorf zu
Knaw; daß er mit Ein-
willigung seiner Vettern alle seine erbHchen Zinsen im Amte Burgau,
darunter die in Bucha und Niederbucha, für 80 gute rheinische Gulden
an John Puster zu Drackendorf verkauft habe, dessen unmündiger
Sohn Hans 1516 Jan. 30 nebst seinem Oheim Adam Puster von Her-
zog Johann zu Sachsen — in Vertretung seines Bruders Kurfürsten
Friedrich (des Weisen) mit diesen Zinsen belehnt wird. Diese Be-
lehnung erneuert 1533 Febr. 10 Kurfürst Joh. Friedrich, und 1539
Aug. 23 wird nach Adam Pusters Tode Hans allein belehnt.
Fig. 6.
1) Wahrscheinlicher die Wüstung Rodeln bei Isserstedt.
des Großherzogtums Sachsen-Weimar.
215
Niederbucha wird später nicht mehr erwähnt, es scheint am
frühesten in Bucha aufgegangen zu sein, eine gesonderte Flur blieb
es bis zur Grundstückszusammenlegung.
Südlich von Döbritschen und wohl näher diesem gelegen, als
Bucha, befand sich das Dorf
Uhrda (Vrde, Ugirde),
dessen Flur an Döbritschen, Vollradisroda, Ammerbach, Gauga und
Bucha grenzte. Adrian Beier schreibt: Die Wüstung Uhrda am
Döbritscher Holze hat noch 1448 gestanden (d. h. als Dorf bestanden),
soll aber kurz hernach in dem damaligen Bi aderkriege zerstört
worden sein, und G. A.
V. Wette, Evangelisches Wastwi,^ UKrda,.
Jena, führt 3 Wüstun- ~
gen als zu Bucha ge-
hörig auf: Uhrda am
Döbritscher Holze, Nie-
derbucha und Iritz.
Getrennt blieben
die Fluren auch hier,
denn der Landmann
sagte : „ich habe meine
Grundstücke in Uhrde",
bis die Separation alles
ausgeglichen hat.
Uhrda war unbe-
dingt slavischen Ur-
sprungs, wie auch die
Bauart, d, h. die runde
Form der Anlage ergibt.
Am 5. Mai 1383
verkaufen die Gebrüder
Albrecht, Ludolf, Hein-
rich und Otto v. Bran-
denstein und ihre Schwester Adelheid an das Michaeliskloster in
Jena das Dorf Uhrda (Vrde) und das Holz in dem Wepnitz für
150 Pfund und 25 Schill. Pfennige. Am 16. Mai beurkunden Con-
rad Lutzmann, Vogt zu Burgau, und Albrecht v. Schleiz, Richter
zu Jena, diesen Kauf und setzen das Michaeüskloster in das Dorf
ein; von den erworbenen Gütern in Uhrda verkauft das Kloster.
4. Juni 1383, 1 Pfund Geld jährUchen Zinses an die (Kloster-)Jung-
frau Adelheid v. Wolframsdorf.
In einer Jenaer Urkunde vom 15. März 1366 wird ein Nikolaus
Fig. 7.
216 I^'e Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
von Ugirde (Uhrda) erwähnt, der „in der Ginne" (wohl Altengönna)
sedecim grossos communes et quatuor pullos gibt, wahrscheinlich
derselbe Nicola Urden, der in einer anderen Jenaer Urkunde unter
den Zeugen genannt wird.
Weitere urkundliche Nachweise über den Ort haben sich nicht
ermitteln lassen; nur 1579 wird die Flur Uhr da nochmals erwähnt,
als zwischen der Gemeinde Bucha und den Schäfereien zu Burgau
Döbritschen und Magdala Triftirrungen stattfinden wegen einer
4V5, Acker (IV3 ha) haltenden Lehde „jenseits dem Döbritsch" in
der Wüstung Uhrda, die zuungunsten von Bucha entschieden worden.
Daß Uhrda mit Bucha, anstatt mit einem der viel näher ge-
legenen Orte Döbritschen oder Vollradisroda, vereinigt worden ist,
könnte vielleicht in verwandtschaftlichen Beziehungen oder der
größeren Sicherheit, die eine zahlreichere Vereinigung bot, seinen
Grund haben.
Die Wüstung
Wiegelau,
in den Urkunden gewöhnUch Wygelau, auch Wilgelau, in den Flur-
karten und im Volke nur Wigelau genannt, lag nordwestlich von
Bucha und grenzte an die Fluren Göttern, Bucha, Schorba, Gauga
(Ingau) , mit welchem
"WüstuTtg Wie^eiau-. es gewöhnlich zusam-
men erwähnt wird, des-
halb wohl, weil beide
ein hersfeldisch Lehen
waren und zum Amt
Kapellen dorf gehörten.
1350 wird urkund-
lich der Ort zum ersten-
mal genannt. Am 10.
Novbr. d. J. verkauft
Burggraf Hartmann v.
Kirchberg die Dörfer:
Hohlstedt , Hanpmer-
stedt, Hausdorf (jetzt
Wüstung bei Kapellen-
dorf) Ditterstedt (Wü-
stung bei Apolda),
Schwabhausen, Coppanz, Ingau und Wigelau. Aus dieser Urkunde
geht hervor, daß die beiden letztgenannten Dörfer ein Lehn des
Klosters Hersfeld waren, und unterm 11. Nov. weisen die Burggrafen
Hartmann und Albrecht die Lehnträger für die Zukunft an die Stadt
Fig. 8.
des Großherzogtums Sachsen-Weimar. 217
Erfurt, als Besitzerin des Amtes Kapellendorf. In dem Verzeichnis der
Bestandteile des Amtes Kapellendorf von 1352 werden aufgeführt:
„Frankendorf, Hammerstedt, Hohlstedt, Husdorf (bei Kapellendorf)
sind alle eigen ; Schwabhausen und Coppanz gehen vom Kaiser und
Eeich; Ingau und Wigelau gehen zu Lehn vom Abte zu Hersfeld;
Stobrau und Hermannstedt (Hermstedt) gehen von unserm Herrn
V. Mayntz; das Meißenkorn zu Hohlstedt gehet von unserm Herrn
dem Margrafen; Slotewin (Wüstung bei Isserstedt) gehet von den
Grafen zu Gleichen etc. etc. 1357 Mai 10 bekennt Henrich v. Bran-
dinsteyn, Ritter, daß er mit Zustimmung seiner Ehefrau Adelheyde
und seiner Erben Zinsen, welche er vom Rate in Erfurt zu Lehn
hatte, demselben Rate verkauft habe, darunter: Albrecht Lock von
Va Hufe und 1 Hofe zu Ingau 40 Groschen, Henrich und Dietrich
von Wigelau von 1 Hufe und 1 Hofe zu Wigelau auch 40 Groschen.
Was die vierte Wüstung
Iritz (Örze)
betrifft, die, nördlich von Bucha gelegen, dem Namen nach auch
wendischen Ursprungs ist, so hat Urkundliches in bezug auf dieselbe
nicht ermittelt werden können. Auch aus den ältesten zur Verfügung
stehenden Karten war die Lage und Bauform des Ortes nicht zu
erkennen. Nur die Flurbezeichnungen „am Iritzberge" und ,,im
Iritzborne" erinnern an den Ort. Die letztere Bezeichnung dürfte
wohl die Lage des Ortes nachweisen, wenn man annimmt, daß der
Iritzborn der Dorfbrunnen gewesen, wie es sich bei der Wüstung
Stöllborn in der Nähe von Vogelsberg und anderen nachweisen läßt.
Während die übrigen Wüstungen noch bis ins 19. Jahrhundert als
besondere — mit Bucha vereinigte — Fluren fortbestanden haben,
ist Iritz schon bald in der Flur Bucha aufgegangen.
Die fünfte der eingangs genannten Wüstungen liegt bei Göttern
in dem von Bucha herabführenden Wiesengrunde.
Göttern (Gitterde, Gittern, Jetyrde, Guttirn),
das etwa 5 km nordwestlich von Bucha liegt und in Urkunden eben-
falls öfter genannt wird, ist dem Namen und der Bauart nach ger-
manischen Ursprungs. Ob Heinrich von Guttern, der in einer Ur-
kunde des Grafen Heinrich von Orlamünde vom 23. Aug. 1324 als
letzter unter den Zeugen vorkommt, zu unserm Göttern in Beziehung
steht, oder zu Gottern bei Gotha, mag zweifelhaft sein. Aber schon
in einer in Erfurt ausgestellten Urkunde vom 13. Mai 1290, in
welcher Volrad und Volrad, Ritter, genannt von Kranchfelt, be-
kennen, daß sie das Eigentum an einer Hufe in Lenveld (Legefeld
bei Weimar) der Kirche und den Klosterfrauen in Oberweimar auf-
218 Die Wüstungen im I. und IL Verwaltungsbezirke
gegeben haben, kommt unter den Zeugen Tbeoderich, Pfarrer in
Jetyrde, vor. Ferner erscheint als erster unter den Zeugen in einer
Urkunde vom 6. Jan. 1357, nach welcher Heinrich von Prag, Priester,
Conrad, Pfarrer in Kunitz, und Friedrich genannt Klotz, Pfarrer in
Gumperda, in der MichaeUskirche in Jena eine ewige Messe stiften,
„dominus plebanus in Gitterde", aber ohne Namen. — Unter den
von dem Mark- und Landgrafen Friedrich zu Lehen gehenden Gütern
in Jena und Umgegend, 1348 und 1349, befinden sich: „in villa
Getterde" II marcas (2 Hufen), welche Thüring von Aczmastete
(Oßmannstedt) übertragen sind. 1437 Juli 20 bekennt Burggraf
Hartmann v. Kirchberg, daß Gurt und Otto v. Wirczburg, Gebr.,
dem Nikele Sennewille, Bürger in Jhene, Zinsen mit Recht und Ge-
richt über die Zinsleute in Gittern und Otstede (b. M.) wiederkäuf-
lich verkauft haben. 1455 Okt. 21 verkaufen Heinrich v. Brand instein
und sein Bruder Hans dem Abte Erhard von Bürgel und dem
ganzen Konvent für 230 alte Schock Zinsen in vielen Orten um
Jena, darunter in Gitterde 17? Scheffel Weizen, 3 Scheffel Gerste,
'/j Viertel Erbsen und 1 Huhn von Claus Zewitz; 1 Schill, von
1 Hofe und 74 Land von Hans Beyer, und an einem Weingarten,
dem Eymannsberg ; 1^/., Scheffel Weizen, 3 Scheffel Gerste, '/^ Viertel
Erbsen und 1 Huhn von Hans Hannel an 1 Hof und ^|^ Land.
Am 3. Nov. desselben Jahres bestätigt Herzog Wilhelm (HL) von
Sachsen diesen Verkauf, sowie den Verkauf von Zinsen in Jena etc.
und Gutterode an den Abt Rüdiger von Saalfeld, und 1486 ver-
leiht Herzog Wilhelm Friedrich von Lonerstedt (Lenstedt) Zinsen
zu Gittern und Bucha.
Zwischen Bucha und Göttern, aber näher dem letzteren, lag
das ebenfalls im Bruderkriege zerstörte und eingegangene Dorf
Iiigaii,
auch blos Gau, im Volksmunde, alten Karten und Flurbüchern
aber Gauga genannt. Urkundlich kommt der Ort nur in Verbindung
mit Wiegelau vor, auf das wir daher verweisen können. Die Ein-
wohner von Gauga, das, wie die Karte zeigt, nur ein kleiner Ort und
jedenfalls germanischen Ursprungs gewesen, haben sich nach Zer-
störung ihres Dorfes nach dem nahe gelegenen Göttern gewendet, in
dessen Flur die ihre aufgegangen, trotzdem Ingau Hersfelder Lehn
war, während Göttern vom Markgrafen zu Meißen zu Lehn ging.
Die Nähe des größeren Ortes, vielleicht auch verwandtschaftliche Be-
ziehungen mögen zu dieser Verschmelzung beigetragen haben.
Durch den Erfurter Rezeß vom 26. April 1667 verzichtete
Erfurt gegenüber Sachsen auf Wiedereinlösung des Amtes Kapellen-
dorf, also auch auf Ingau und Wiegelau.
des Großherzogtums Sachsen-Weimar,
219
Sei es mir gestattet, an dieser Stelle noch eine allgemeine Be-
merkung zu machen: Noch bis über die Mitte des vorigen Jahr-
hunderts hinaus war vielfach nicht nur die Lage der Dorfstätten
der WüstuDgsfluren genau zu erkennen, auch die Fluren selbst be-
standen zumeist noch als solche. Die Zusammenlegung der Grund-
stücke (Separation), die auch bei ims um die Mitte des 19. Jahr-
hunderts begann, hat, so günstig sie für die Landwirtschaft war, der
Geschichtsforschung unersetzliche Verluste gebracht. Die Wüstungs-
fluren sind durch Ver- yj... ^ p f.
Schmelzung mit anderen , —-$} ^ — '
verschwunden und die
noch deutlich erkenn-
baren Dorflagen durch
den Pflug so eingeebnet,
daß ihre Stätten nur
selten noch zu erkennen
sind.
Aber mindestens
ebenso wichtig für die
Kultur- und Geschichts-
forschung waren die oft
ins hohe Altertum hin-
aufreichenden Distrikts-
benennungen der ein-
zelnen Feldlagen. Auch
diese sind durch die
Grundstückszusammenlegung vielfach verschwunden und vernichtet.
Neue Wege und Gräben, neue Grenzen, die alten vielfach durch-
schneidend, sind hergestellt, neue örtliche Zustände geschaffen worden,
die mit den alten keine Ähnlichkeit mehr haben. Man hat wohl
versucht, die alten Lagebenennungen auf die neuen Feidiagen wieder
überzutragen, hat aber dadurch die Verwirrung noch vermehrt, weil
eben die alten Bezeichnungen zu den neuen örtlichen Verhältnissen
nicht mehr passen und häufig — wie sich an vielen Beispielen nach-
weisen ließe — auch ganz falsch angewendet worden sind.
Schon vor 40 Jahren machte der Verfasser den damaligen
Leiter des Vermessungswesens im Großherzogtum Sachsen- Weimar
auf diesen Übelstand aufmerksam und schlug vor, daß die Geometer
bei Flurmessungen ein Verzeichnis der üblichen alten Distrikts-
benennungen, mit Angabe der Lage und Form der Grundstücke,
Bodenbeschaffenheit, Umfang etc. etc. anfertigen sollten. Es hat
dieser Vorschlag damals keine Berücksichtigung gefunden.
Wenn nun auch bereits der größte Teil der Fluren des Groß-
herzogtums separiert ist, so ließe sich doch bei der wieder in Aus-
220 l^ie Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
sieht stehenden Zusammenlegung nach dieser Eichtung noch manches
retten und erhalten. —
Noch zwei Wüstungen in der Nähe von Bucha sind hier an-
zuführen : Unter-Leutra und Gleine.
Etwa 3 km östlich des Dorfes Leutra, nach Göschwitz zu, be-
findet sich auf dem rechten Ufer des Leutrabaches eine JMühle,
welche die Stelle bezeichnet, wo ehemals das Dorf Unter-Leutra
gestanden, das in der sog. Thüringer Sintflut am 29. Mai 1613 seinen
Untergang gefunden. Die Flurdistriktsbenennungen: „im Unter-
leutraschen Holze", „überm Dorfe" und „am Baumgarten" existieren
noch und außerdem östlich von Leutra, nach der Mühle hin, die Be-
zeichnung: „zwischen den Dörfern". Jetzt gehört die Wüstung zur
Flur Leutra. Nach einer Urkunde von 1394 (Jen. Urk.-B., Bd. I,
S. 460) belehnt Markgraf Friedrich von Meißen die Gattin Konrads
V. Wirzburg mit Gütern zu Kothenstein, Burgau, Ober- und Unter-
leutra etc. etc. zum Leibgedinge.
Zwischen Winzerla und Oßmaritz, auf der Höhe des Gries-
berges lag das im Bruderkriege zerstörte Dorf Gleine, dessen Flur
unter die Orte Leutra und Winzerla geteilt worden ist. Auf der
Stelle des untergegangenen Dorfes legte zu Ende des 17. Jahrhunderts
Friedrich v. Kospoth ein nach ihm „Kospoth" benanntes Vorwerk
an. 1743 beansprucht die Gemeinde Osmaritz die Gräserei in den
Gleinaer Feldern auf Grund eines Vertrages von 1619; Burgau, der
ehemalige Wohnsitz der Herren v. Gleina, beanspruchte das gleiche
Recht. Es wurde entschieden, daß beiden Gemeinden das Recht der
Gräserei zustehen solle.
1320 schenkt Hartmann v. Lobdeburg, genannt v. Burgau, der
Alteste, Herr zu Gleina, dem Predigerkloster zu Jena einen Wein-
berg, den er vom Ritter Konrad Buler für 20 ]Mk. Silber gekauft
hat, und laut Urkunde von 1321 stiftet er mit dieser Schenkung ein
Seelgeräte für sich und seine Vorfahren. 1390 Juli 27 belehnt
Markgraf Friedrich von Meißen Frau Anna, Gemahlin des Burg-
grafen Dietrich von Altenberga, mit Zinsen zu Gleina und anderen
Dörfern. In Urkunde von 1525 Februar 19 wird neben anderen
Dietrich v. Lichtenhain zu Gleina als Schiedsrichter in einer Streit-
sache zwischen dem Abt Michel zu Bürgol und Volkmar v. Beulbar
genannt, und 1535 April 26 kommt derselbe Dietrich v. Lichten-
hain in gleicher Eigenschaft in einer anderen Streitsache vor.
1450 scheint der Ort noch bestanden zu haben, denn am 31. Juü
stellt Kurfürst Friedrich IL von Sachsen einen Lehnbrief für Albrecht
V. Welnitz und dessen rechte Leibeserben über das Dorf Dorren-
glyne — nicht Dürrengleina im Altenburgischen — aus, nebst allen
Rechten und Gerichten etc., sowie einem wüsten Gute, Tietsch ge-
nannt, etc. etc., auch 2 wüste Hufen zu Nobis (bei Coppanz).
des Großherzogtums Sachsen- Weimar. 221
Wüstung Liskau'). Im roten Buche von Weimar, also
gegen Ende des 14. Jahrhunderts, heißt es: „Hannes von Nore,
Heinrich unde Hanß von Elleuben habin von myme herren czu
lehene in deme dorffe Lezig drie maldir korns gersten unde haffern."
Es ist darunter die jetzige Wüstung Liskau zu verstehen, südlich
von Göttern, zwischen Tromlitz imd Schorba. In dem Teilungs-
vertrage der Grafen von Orlamünde, Lauensteiner Linie, vom 29. Juni
1414 wird der Ort unter den zu Magdala gehörigen Dörfern Lesike
genannt. Wie die Orte Wilgelau, Gauga, Fördern etc. fiel auch
Lesike (Liskau) im Bruderkriege der Zerstörung anheim, die Be-
wohner wandten sich nach Schorba, Milda und Tromlitz. Schumann
erwähnt in seiner Weimar. Landeskunde als zu Tromlitz gehörend:
„ein Freigut in der Wüstung Liskau, 1 Haus, 8 Einwohner; die
Wüstung Liskau, zu Schorba gehörig, hält 127 Vs Acker." Es ist
diese Fläche jedenfalls bloß der nach Schorba gekommene Teil der
Flur, denn 1758 wird die Fläche der Flur Liskau, welche Schorbaer
und Mildaer Nachbarn innehatten, auf 241 Acker angegeben, ein-
schheßlich eines Rasenplatzes von 3 Acker 45 Qu.-Ruthen, jedenfalls
der Stätte des zerstörten Dörfchens. Den einen Teil der Wüstungs-
flur besaßen die erwähnten Nachbarn von Schorba und Milda, den
anderen der Kammerrat v. Griesheim auf Niedersynderstedt-Tromlitz.
Bereits zu Ende des 17. Jahrhunderts kommen wegen der Schaftrift
in Liskau Irrungen zwischen Mildaer Einwohnern und den Ritter-
gütern Tromlitz und Niedersynderstedt vor, die sich bis 1781 wieder-
holen.
Nach Zenker, Taschenbuch von Jena, 1836, soll in der Wüstung
Liskau „vor einigen Jahren" — also um 1830 ^ ein Kelch gefunden
worden sein.
Noch bis zum Jahre 1880 bestand ein zum Rittergut Tromlitz
gehöriges Vorwerk Liskau (das erwähnte Freigut), oft der Unter-
schlupf von allerlei Gesindel, weshalb es der Besitzer des Rittergutes
Tromlitz, Junge, in gedachtem Jahre einlegen ließ.
Wir führen hier gleich noch eine Wüstung, in der Nähe von
Göttern bei Niedersynderstedt (Magdala) gelegen, an, um uns dann
wieder zu den Wüstungen bei Jena zu wenden.
Siehmanusdorf. In einer Kirchberger Urkunde von 1298 wird
auch das Dorf Sichmannsdorf erwähnt, das Burggraf Otto v. Kirch-
berg nebst der beim Orte gelegenen Mühle, womit Johannes v. Mag-
dala belehnt war, dem Kloster Kapellendorf überweist. In über-
1) Werneburg hat die Wüstung Liskau (Lesike) überhaupt nicht ;
an die ungefähre Stelle der Flur setzt er eine Wüstung Ziskau, die
aber nicht hier, sondern bei Closewitz (Jena) liegt.
222 Die Wüstungen im L und II. Verwaltungsbezirke
zeugender und geistvoller Weise hat Herr Pfarrer Alberti in Flur-
stedt die Lage des ehemaligen Dorfes in der Flur Niedersynderstedt
bei Magdala nachgewiesen , so daß wir nur auf die erschöpfende
Darlegung in der Zeitschrift des N^ereins für Thür. Geschichte und
Altertumskunde, Bd. XIII, S. 335 ff. hinzuweisen für erforderlich
erachten.
Mit diesem Sichmannsdorf (Sickeudorf) ist verwechselt worden
ein ziemlich gleichnamiger Ort Schichiuaunsdorf, im Mühltale bei
Jena, in der Nähe der jetzigen Papiermühle, das allem Anschein
nach um die Mitte des 14. Jahrhunderts im Grafenkriege, wenn nicht
schon im Jahre 1304 bei Einnahme der Kirchberger Burgen durch
die Erfurter seinen Untergang gefunden. In einer Streitsache mit
dem Landgrafen Georg Wilhelm (1401) macht der Rat zu Erfurt
seine Ansprüche geltend an eine „Fehemestatt" im Mühltale bei Jena
„unseres Gerichtis das wir habin in dem moltal in feldin unde im
flure der dorfstat (d. h. der Stätte des ehemaligen Dorfes, das also
schon damals nicht mehr bestand) Schickmannsdorff obir hals unde
obir hand, vornne an dem bach der da fällit von der nasenmol ^)
unde zugehöret czu Capillendorff , unserem sloße" etc. In einem
anderen Schreiben des Erfurter Rates heißt es: „Die Fehemstat (Ge-
richtsstätte) unnd das gerichte zcu Schigsmannsdorff in dem moltal"
und weiter: „Fehemstat in dem moltal by Jhene pobin der nasemol."^
Die Lage des ehemaligen Dorfes ließe sich danach also mit ziem-
licher Sicherheit bestimmen. Weitere Urkunden und Nachweise über
den Ort haben sich nicht gefimden.
In der Nähe von Rothenstein zwischen Jena und Kahla (Rodo-
stein ca. 800, Zitemorotensteni 876) die Wüstung Rotensteiuichen
oder Kleinrotenstein. 1683 wird die Wüstung der Gemeinde Rothen-
stein seitens des Herzogs Wilhelm Ernst von Weimar gegen einen
jährHchen Zins von 40 Gulden abgetreten und 1695 Oktober 14 ver-
kauft Joh. Georg, Herzog zu Sachsen, noch das auf der sog. Wüstenei
bei Rothenstein aufstehende Holz an die Gemeinde für 800 Gulden.
Das Örtchen lag südwestlich von Rothenstein nach dem alten-
burgischen Dorfe Altendorf hin und mag im Bruderkriege zugrunde
gegangen sein. — S. auch Bd. XXIII, S. 409 dieser Zeitschrift.
An der Wöllmisse lag, zur Lobedaburg gehörig, ein Ort Seltz-
dorf (Seldensdorf, Seidisdorf, Seldigsdorf). In einer Urkunde von
1) Im Jahre 1658 wurde an Stelle der sog. Nasenmühle (Mahl-
mühle) im Mühltale von Oberweimar aus eine Papiermühle errichtet,
die mm auch abgebrochen ist. Oberhalb der Mühle die Nasenkuppe
(Felsvorsprung), nach der wohl die Mühle ihren alten Namen er-
halten haben mag.
des Großherzogtums Sachsen-Weimar. 223
1291 0. D. (MCCLXXXX primo, indicione quarta) werden zwei bei
der Burg Lobdeburg „nach Seidenstorf hin gelegene" Weinberge
erwähnt, und in einer Urkunde von 1436 Juli 13 tritt Hans von
Borgowe, Herr zu Lobdeburg, an Nikel Pusters Frau Margarethe
zu Drackendorf unter anderen Gütern auch „den Acker zu Seldis-
dorf" ab. Als Zeugen erscheinen in Jenaer Urkunden 1371 Hencze
von Seidenstorf und 1384. Henriche Seldestorff als Jenaer Bürger.
1468 Juni 8 überläßt Nicolaus Puster, Komthur des Deutschen Hauses
zu Altenburg, das ihm verpfändete Schloß Lobdeburg dem Kur-
fürsten Ernst und Herzog Albrecht von Sachsen mit Ausnahme
der Weinberge Ammerbach, Seltzdorf etc. etc. In der Flur Lobeda
noch ein Flurdistrikt: „das Selzdorf". Zenker im Taschenbuch von
Jena sagt S. 141 : „Zum oberen und mittleren Schloß (Lobdeburg)
gehören noch das Lobdeburgsche Ackergebäude, gewöhnlich Draken-
dorfer Vorwerk genannt, ferner das wüste Vorwerk Seltzdorf in der
Nähe des mittleren Schlosses, welches 1468 noch in baulichem Wesen
stand, davon besteht noch der Seltzdorfer Brunnen." Zenker schöpft
wohl diese Nachricht aus dem Geograph. Jenensis (1626) von Adrian
Beier. Auf welche Weise der Ort zugrunde gegangen, hat sich nicht
ermitteln lassen.
Unterhalb der Kirchberger Schlösser (Wintberg) nach dem
Wogauer Tale hin lag der frühzeitig untergegangene Ort Schleii-
dorf, wahrscheinlich eine Ansiedelung der Burgmannen von Kirch-
berg, wie Kunitz von Gleisberg. Adr. Beier nennt im Geogr. Jen.
S. 326 unter den wüsten Orten der Umgegend : „Schiendorf unter
dem zerstörten Schlosse Windberg, davon ist noch übrig der Schleen-
garten am Hausberge gegen den Jentzig", und Hortleder schreibt:
„Schiendorf ist heutzutage nichts mehr als eine leere Dorfstätte mit
Bäumen, noch also gebauet und in Rundung abgezirkelt, daß man
daraus spüren kann, es sei vor Zeiten ein Dorf etwan dagestanden."
Nach Schumann, Landeskunde, wurde das Dorf 1303 zerstört, was
aber wohl ein Irrtum ist, denn erst 1304 erfolgte die Belagerung
und Einnahme der Kirchberger Schlösser und gleichzeitig die Zer-
störung des Dorfes durch die Erfurter, Mühlhäuser etc. Erwähnt wird
der Ort noch 1455 Okt. 21 und Nov. 7, als die Gebrüder Heinrich
und Hans v. Brandenstein in verschiedenen Orten, so auch in
Schiendorf (Wüstung) Zinsen verkaufen an den Abt Ehrhard zu
Burgelin, wozu Heinrich Eeuß von Plauen als Lehnsherr seine Ge-
nehmigung gibt. In dem Geschoßbuch des Stadtrats von Jena von
1406 wird Siendorf mitgenannt*). Auch in einem zu Anfang des
16. Jahrhunderts aufgestellten Erbbuche des Klosters Bürgel, welches
1) S. auch Bd. III, S. 136 f. der Zeitschrift.
224 Die Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
sich im gemeinschaftlichen Sächsischen Archiv in Weimar befindet,
wird Schlehendorf erwähnt. Nach diesem Erbbuche hatte Ludwig
Stockheim, Bürger zu Jena, einen Acker in Schlehendorf; Nikel
Apell einen Baumgarten, der junge Apell Holz auf dem Berge und
den Leiten (Lehde) zu Schlehendorf ; die Kastenherren und Wolf
Druckscherf zu Jena einen Weingarten. Bei Werneburg wird Schlen-
dorf nicht erwähnt.
Zwei Wüstungen Kalthausen begegnen uns in der Nähe,
die eine bei Kunitz, die andere bei Thalbürgel, eine dritte, auf die
wir später kommen, bei Wickerstedt (Apolda).
Kalthausen bei Kunitz lag zwischen Kunitz und Golmsdorf
zwischen zwei Armen der Saale, wie eine Handzeichnung in Weimar.
Staatsarchive ergibt, gegenüber der Burg Gleisberg (Kunitzburg).
In der Flur Kunitz besteht noch ein Distrikt „in Kalthausen" und
„die Hofstatt" auf dem rechten Saalufer, Porstendorf gegenüber.
Das bei Schmid , Kirchberger Schlösser, S. 161 — 1295 Aug. 25 —
erwähnte Kalthausen kann auch das bei Wickerstedt gelegene sein.
Henricus de Glizberg tut in einer Urkunde: Naumburg 1299 Sept. 9
kund, daß er seine langjährigen Ansprüche auf Güter bei Porsten-
dorf etc. etc., das Wehr nebst beiden Ufern der Saale unterhalb des
Dorfes Kalthausen und eine kleine Insel oberhalb des Wehres, eine
kleine Wiese neben Kalthausen etc. zugunsten des Klosters Pforta
aufgebe. In einer im Jenaer Urkundenbuche enthaltenen Urkunde
— 1317 Juni 15 — entsagen Friedrich und sein Oheim Konrad,
genannt v. Wirtzburg, allen Ansprüchen auf einen Weinberg bei
Jena, der Mönch genannt, und auf 1 Hufe in Kalthausen, über die
sie mit dem Propst Heinrich und dem Kloster Heusdorf lange ge-
stritten. Über den Zeitpunkt der Zerstörung des Ortes ist urkund-
lich nichts bekannt; wahrscheinlich aber ist dieselbe bei Zerstörung
der Burg Gleisberg 1451 erfolgt.
Nach Wenigenjena hin lag bei Kunitz noch der Ort Wenigen-
Kiuiitz, wahrscheinlich eine Ansiedelung unterworfener Slaven. Die
Lage des Ortes wird durch die Flurbezeichnung ,,zu Wenigen-Kunitz"
innerhalb der Flur Kunitz bezeichnet. In einer Urkunde von 1343
April 20 tut Heinrich, Vogt von Plauen, kund, daß er der Michaelis-
kirche in Jena einen Zins in Wenigen-Kunitz übertragen habe.
Noch weiter saaleabwärts wird in Pfortaer Urkunden (Böhme, Ur-
kundenbuch) aus dem 13. Jahrhundert ein Dorf erwähnt: Crout-
sene, in der Nähe — südlich — von Dorndorf a./S. In Urkunde
von 1264 Juni 29 bezeugt Ritter Beringer von Brisenitz, daß er
Güter im Dorfe: „einst Groutsene, jetzt Dorndorf genannt", dem
Abte und der Kirche in Pforta für 150 Mark Silber verkauft habe,
und bestätigt diesen Verkauf durch Urkunde vom 1271 Juli 31. In
des Großherzogtums Sachsen-Weimar. 225
•emer anderen Urkunde dagegen, 1274 März 5. — 3 Tage vor den
Nonen des März — wird Groutsene als „wüst liegendes Dorf" be-
zeichnet (sitis in villa Groutsene deserta). Dazu bemerkt Böhme:
„In No. 229 (Urkunde vom 1271) werden die von Beringer verkauften
Güter sita in villa Groutsene dicta, ohne den Zusatz quondam und
nunc autem Dorndorf nominata bezeichnet, und daneben andere
Besitzungen juxta villam Dorindorf aufgeführt, die Beringer 1268
an Pforta verkauft hat. In No. 251 (Urkunde von 1274) heißt Gr.
villa desolata. Daraus wird zu schließen sein, daß nicht etwa Grout-
sene und Domdorf, das auch schon viel früher genannt wird (Werne-
burg: 1193?), verschiedene Namen für ein und dasselbe Dorf sind,
sondern daß die Flur des verlassenen Dorfes Groutsene mit der von
Dorndorf vereinigt worden ist." Groutsene lag südöstlich von Dorn-
dorf in durch die Saale gefährdeter Lage, weshalb die Bewohner sich
wahrscheinlich nach dem geschützteren Dorndorf zogen ^).
Bei Golmsdorf-Porstendorf wird noch ein jetzt verschwundener
Ort genannt: Hnmmelstedt. In Urkunde des Kaisers Otto IV.
1209, sieben Tage vor den Kaienden des Januar, in welcher die Be-
sitzungen des Klosters Pforta bestätigt werden, wird auch „Hnmmel-
stedt mit der Mühle und dem anliegenden Weinberge", und vorher
der Meierhof ßorsendorf (Porstendorf) genannt. Weiter : in Urkunde
von 1209 oder 1220 (Pfortaer Urkunden) erteilt Bischof Bruno IL
von Meißen seine Zustimmung zum Verkaufe einer Hufe in Ummel-
stete, die Conrad von Borsendorf, seinem leiblichen Bruder, gehört
(Böhme, Pfortaer Urkunde B.). Böhme bemerkt dazu: „Hnmmel-
stedt scheint nach der Urkunde des Bischofs Bruno IL von Meißen,
in Verbindung mit der Urkunde des Pabstes Honorius III. von 1220
Nov. 9 in welcher er dem Kl. -Pforta den Besitz einer Hufe mit
Mühlstelle etc. etc. in Hnmmelstedt, die dasselbe vom Ritter Conrad
von Borsendorf erworben bestätigt, dicht bei Porstendorf gelegen
zu haben." — Wir glauben in Hummelstedt das Dorf, in Porsten-
dorf den Herrschaftshof erblicken zu sollen, dessen Name sich er-
halten hat, während ersteres zugrunde gegangen oder in dem Namen
des Haupthofes aufgegangen ist, nachdem Pforta auch die dortigen
Besitzungen des deutschen Hauses in Zwätzen erworben hatte. Wir
verweisen in dieser Beziehung auch auf den in Bd. IX der Zeitschrift,
S. 153 ff. enthaltenen Aufsatz „über die Porstendorfer Besitzungen
des Klosters Pforta", wonach Porstendorf eine Ansiedelung von
1) Bei Dorndorf, auf dem rechten Ufer der Saale am Golms-
dorfer Wege heißt noch ein Flurbezirk „im wüsten Graitschen".
Unmöglich wäre es nicht, daß die Bewohner sich weiter östlich an-
gesiedelt und das heutige Graitschen gegründet hätten.
XXVIL 15
226 I^iß Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
mehreren Höfen, Mühlen etc. war und sogar eine Kirche mit einem
Diakonus und Subdiakonus besaß; s. a. Zs. f. Thür. G., XXI, 362 ff.
Aufwärts im Gleistale in der Flur Löberschütz finden sich die
beiden Wüstungen Lotschen und Rasdorf; von letzterer liegt ein
Teil auch in der Flur Jenalöbnitz. Beide Wüstungen werden in
A. Beiers Geogr, Jen. und in Zenkers Taschenbuch erwähnt. Hort-
leder meint. Lotschen sei schon 1450 wüst gewesen, und Zenker läßt
die Zerstörung im Hussitenkriege stattfinden. Wahrscheinlicher
aber ist es, daß dieselbe im Bruderkriege stattgefunden. Nach
Schmid, Geschichte der Lobdeburg, verkaufen Hermann der Altere
und Hartmann und Hermann seine Söhne dem Kloster Lausnitz
für 70 Mark S. den ganzen Ort Lotschen mit Zubehörungen, 1256
April 12. — Lotschen wird weiter in einer Urkunde von 1278 ge-
nannt [Martin, Jenaer LTrkundenbuch: Im Lande der Herren v.
Lobdeburg galt das fränkische Recht ; das Landgericht zu Eisenberg
entscheidet über die Frage, nach welchem Eechte die Einwohner des
Dorfes Luschen (Loczen) welches (1256) die von Lobdeburg an das
Erlöster Lausnitz verkauft haben, gerichtet werden imd ihre Güter
besitzen sollen*)].
Nordösthch und unweit vom Dorfe Löberschütz die Flurdistrikte
„zu Lutschen" (am Gleisbache), „die Lotschen kirche" und „Lotsch-
graben" und an der Grenze mit Beutnitz „zu Raasdorf". Ueber
Ilasdorf war Weiteres nicht zu ermitteln.
Kalthauseu bei Thalbürgel wird in Zenkers Taschenbuche auf-
geführt. Bertha von Glizberg, die Gemahlin des Markgrafen Heinrich
von der Lausitz, gründete 1132 die Abtei Thalbürgel und machte
1133 noch eine Stiftung für 7 fromme Schwestern, Kalthausen genannt.
Nach Devrient soll die betreffende Urkunde eine Fälschung sein.
In der Zeitschrift f. Thür. Geschichte und Altertumskunde,
Bd. III, S. 288, über das vormalige Kloster Burgelin von H. Heß,
heißt es: „In mäßiger Entfernung von dem Ort Thalbürgel und
oberhalb der westhch von selbigem gelegenen großen Fischteiche
lassen sich in einem niedrigen Graben und wenigem Mauerwerk
noch die Spuren des früher zum Kloster gehörigen Vorwerks Kalt-
hausen erkennen, das nach einer Notiz in dem Gleichensteinschen
Werk (über die berühmte Abtey und Kloster Burgelin fol. 107) im
Jahre 1678 auf Anordnung des Herzogs Bernhard von Jena ein-
gelegt und das Steinmaterial mit zum Bau einer neuen Kirche im
Orte Taupadel verwendet wurde."
Schölldorf und Ziskan. Nordöstlich von Closewitz bei Jena, nach
Lehesten hin, lag das Dorf Schöndorf und westlich von Closewitz
1) S. auch Bd. IX, S. 239 der Zeitschrift.
des Großherzogtums Sachsen-Weimar. 227
Ziskau. Ein Flurdistrikt in Closewitz nach Lehesten hin heißt
noch heute „der Schöndorfer Garten". Beide Dörfer scheinen im
Grafenkriege ihren Untergang gefunden zu haben, denn Ziskau wird
schon 1351, iSchöndorf 1355 als „wüst" bezeichnet. Nach Martin,
Urkundenbuch von Jena, eignet 1322 Mai 25 Friedrich v. Hel-
drungen, als Lehnsherr der beiden Orte, auf Bitten des Priesters
Conrad, genannt Buckellin, 2 Hufen in Schöndorf und Vg Hopfen-
berg vor dem jenaischen Forst dem Allerheiligenspitale in Jena zu.
Hencze (Heinrich) v. Mollwitz und seine Erben verkaufen an das
Michaeliskloster in Jena das Dorf Closewitz und das ,, wüste Dorf
Cziskow" mit Vogtei, Gerichten etc. sowie 1 Hufe in Schöndorf
1351 Jan. 20, und am 22. Jan. geben auch die Lehnsherren Albrecht
und Friedrich v. Heldrungen zu dem Verkaufe ihre Genehmigung.
Weiter verkaufen 1355 Dez. 13. die Gebrüder Johannes und Fried-
rich V. Mollwitz an das Michaeliskloster 3 Hufen „in dem velde
und flure des wüsten dorffes Schöndorff". In Jenaer Urkunden
1341 und 1351 kommt Cyscowe, Cystowe als Personenname vor.
Daß Schöndorf erst 1355 (Ziskau 1351) als „wüst" bezeichnet
wird, mag darin begründet sein, daß in diesem Orte — wie in so
manchem anderen wohl auch — sich nach der Zerstörung einzelne
Gehöfte notdürftig erhielten, deren Besitzer, durch die Verhältnisse
gedrängt, allmählich erst zur Übersiedelung nach dem größeren Orte
— hier Closewitz — sich entschlossen.
Werneburg verlegt irrig Ziskau, das er offenbar mit Liskau
verwechselt, in die Gegend von Schorba bei Magdala (s. Liskau).
In der Nähe von Zwätzen befanden sich noch zwei urkundlich
nachgewiesene Ortschaften : Proschitz und Kötschen. In einer
Gleisberger Urkunde von 1293 März 26 tut Walter v. Gleißberg
kund, daß er den Brüdern vom deutschen Hause in Zwätzen ver-
kauft habe : die Vogtei und das Gericht über Personen und Sachen
„in den beiden Dörfern Zwätzen und Proschitz". In einer späteren
Urkunde vom Dez. 1293 läßt Walter v. Gleißberg dem Grafen
von Stollberg die Güter auf, die er den Brüdern vom deutschen
Hause verkauft habe in „den beiden Dörfern Zwätzen und Pro-
schitz". — 1302 Jan. 7 verkauft Heinrich v. Gleißberg den Brüdern
vom deutschen Hause in Zwätzen seine sämtlichen Güter, die er
noch in Zwätzen und Proschitz besitzt. Die Lage des Ortes war
nach Eödigen zu, wo heute noch ein Flurdistrikt: „die wüste
Kirche". — Bereits 1290 April 4 verkauft der oben genannte
Walter v. Gleißberg den Brüdern vom deutschen Hause Güter in
Zwätzen und Cozstin (Kötschen). Derselbe Walter v. Gleißberg
verkauft weiter 1290 Okt. 13 an Konrad Messerschmidt, Bürger in
Jena, das Lehnrecht über 2 Hufen in Cotsin etc. und überträgt
15*
228 ^iß Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
auf Bitten des Käufers alle Rechte dem deutschen Hause in
Zwätzen (Martin, Jenaer Urkunden buch). Östlich von Zwätzen die
Flurdistrikte : „das Kötschfeld" und „der Kötschmar". Die Ursache
und Zeit der Entstehung der Wüstungen hat sich nicht ermitteln
lassen.
In westlicher Richtung von Jena, nach Großschwabhausen-
Lehnstedt hin treffen wir auf die Wüstungen : Schlotwein, Grunis-
dorf, Neusis und Nöbis bei Coppanz.
Zwischen Großschwabhausen und Isserstedt lag das Dorf
Schlotwein oder Schlettwein, dessen Zerstörung im Bruder-
kriege erfolgt sein wird, denn 1429 scheint der Ort noch bestanden
zu haben. Zuerst tritt uns Schlotwein urkundlich entgegen in
einer Urkunde vom 23. April 1322, nach der die Vettern Berthold
und Dietrich v. Ißerstete dem außerhalb der Mauern der Stadt Jena
gelegenen Spitale eine Hufe in der Flur des Dörfchens (in campis
villule) Slotewin eignen (Martin, Jenaer Urkundenbuch). Weiter
schenkt 1324 Mai 24 Dietrich von Isserstedt der Michaeliskloster-
kirche in Jena 1 Hufe im Felde des Dorfes „Slotewin". Laut einer
Urkunde von 1330 April 21 hat Burggraf Hartmann v. Kirchberg
im Kloster Kapellendorf der Jungfrau Maria einen Altar errichtet
und denselben nebst anderen Gütern auch mit 9 Hufen in Slotewin
dotirt, von denen 18 Scheffel Korn und Hafer gezinst werden. 1337
Febr. 16 bekennt Ortolf v. Divorte, daß er außer anderen Gütern
bei Jena 1 Hufe mit 1 Hofe zu Slotewin an Bertold v. Ködircz
— Ködderitsch — und dessen Bruder, den Priester Apetz v. Kodirtz
und Alebrecht v. Flurstete für 21 Mark verkauft habe. Nach dem
in der Zeitschrift (Bd. XIII, S. 132 ff.) von Martin veröffentlichen
Verzeichnisse der Termineien der Erfurter Einsiedler Augustiner-
ordens in Thüringen von 1381 wird Schlotwein — slestwin — unter
den zur Terminei Weimar gehörigen Dörfern genannt.
Das Jenaer Urkundenbuch bringt (Bd. II, No. 170) eine Urkimde
von 1429 Sept. 13, laut welcher ein Siedelhof mit 1 Hufe Land zu
Schlottwein, Lehen der Herzöge von Sachsen, dem Kloster Kapellendorf
für 32 rheinische Gulden versetzt und demselben pfandweise über-
geben wird.
Die Jurisdiktion über den Ort stand dem Amte Kapellendorf,
also Erfurt zu, dem der Ort 1350 d. d. Christabend von Härtung
V. Isserstedt überlassen worden war.
Nach einem Berichte des Pfarrers Dillinger m Pfiffelbach vom
10. Dez. 1721 an das Amt Kapellendorf erhält der dortige Pfarrer
laut Pfiffelbacher Pfarr-Matrikel von 1673 aus der Wüstung Schlot-
wein jährlich 3 Groschen Zins von 2 Vierteln Landes daselbst. Über
den Ursprung dieser Abgabe läßt sich nichts ermitteln. — Die Vieh-
des Großherzogtums Sachsen-Weimar. 229
und Schaf fcrift in Schlotwein stand dem Gute Eemderode zu; 1613
entstanden Streitigkeiten, weil sich Großschwabhausen diese Trift
angeeignet. Im Jahre 1827 wird die Wüstung geteilt und Ys an
Isserstedt, -/g au Großschwabhausen gewiesen (Kronfeld behauptet
irrig das umgekehrte Verhältnis). Im Jahre 1717 ist im sog. Schlett-
weiner Grunde (nach dem Mühltale hin) eine Ziegelscheune nebst
Gasthof erbaut worden, deren Demolierung 1728 und 1733 angeordnet
und ausgeführt wurde, jedenfalls weil das isolierte Gehöft der Schlupf-
winkel verdächtigen Gesindels geworden war. — 2 km südöstlich von
Isserstedt beim Mühltale die Wüstung Rodeln (Rodel) — nicht zu
verwechseln mit der gleichnamigen Wüstung bei Laasdorf (Sachsen-
Altenburg) — . 1356 April 11 bekennt Lucardis v. Isserstedt, daß
sie das Gut „zu den radiin" ihrem Oheim Beringer v. Meldingen
verkauft habe, und 1357 Aug. ;^23 bekennen Albrecht und Friedrich,
Herren zu Heldrungen, daß sie dem ehrbaren Knechte ßeringer
V. Meldingen das Dorf ,,zum Rodel" verliehen haben, wie es Frau
Lucardis v. Isserstedt besessen. Weiter bekennen in Urkunde von
1361 Mai 9 Friedrich und Heinrich sein Sohn, Ritter, Herren zu
Heldrungen, daß Beringer v. Meldingen alle Güter, die er „zu dem
Rodiln" hatte, „das ehemals ein Dorf bei Isserstedt war", dem Kloster
Kapellendorf für 40 Schock schmale Groschen verkauft haben. —
Nach der Cospedaer Flurgrenze hin existiert noch, von der alten
Straße Apolda-Jena umschlossen, ein Holz ,,das Rodel". Den Unter-
gang hat das Dorf wahrscheinlich im Grafenkriege gefunden.
Westhch von Kleinschwabhausen, nach Lehnstedt zu, lag
Gruningsdorf (Grieningsdorf). Schumann (Landeskunde) und das
Weimarische Staatshand buch erwähnen die Wüstung beim Orte
Lehnstedt, wohin wohl die Einwohner nach dem Untergange des
Ortes sich gewendet haben mögen. Genaueres hat sich nicht er-
mitteln lassen. Die Lage des auch im Bruderkriege untergegangenen
Ortes wird durch einen Flurdistrikt in Lehnstedt „auf dem Grünings-
dorfe" am Wege nach Döbritschen bestimmt. Auch in der Flur
Kleinschwabhausen befindet sich nach Lehnstedt zu ein Flurdistrikt
„am Grenings- oder Gerningsdorfe", ein Zeichen, daß die Flur der
Wüstung zwischen Kleinschwabhausen und Lehnstedt geteilt worden ist.
In der Nähe von Mellingen — wohl nach Umpferstedt hin, aber
noch in der Flur Lehnstedt gelegen — wird noch eine Wüstung ge-
nannt: Neusis. In Urkunde von 1337 Mai 31 bekennen Heberhard ge-
nannt Stich, seine Frau und Kinder, daß sie eine Gelenge im Felde des
Dorfes Meldingen, an dem Platze, der das „Nuscze" genannt wird, der
Kirch-St. Petri in Oberweimar zugeeignet haben ; danach scheint damals
ein Dorf nicht mehr bestanden zu haben. In Schumanns Landeskunde
heißt es : „die Acker in der Flur der Wüstung Neusis besitzen die Lehn-
230 l^iß Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
stedter Bewohner als Laßgüter von der Propstei Mellingen, weshalb
die Äcker auch das Propsteifeld genannt werden." An der Mellinger
und Umpferstedter Flurgrenze die Flurbezeichnung „im Neusis".
Zwischen den Dörfern Ammerbach, Coppanz, Münchenroda
und VoUradisroda lag Nöbis (Nebis, Nobis), im Jenaischen Forst.
Zenker im Taschenbuch von Jena sagt S. 149: „die nahegelegene
[ — d. h. nahe bei Coppanz — ] Wüstung Nöbis, gewöhnlich Mövis",
auch jetzt noch so genannt, „gehört halb nach Ammerbach", zur
Hälfte nach Coppanz, wie auch Adrian Beier angiebt. In Lobdeburger
Urkunde von 1227 wird der Wald „Nobus" bei Coppanz erwähnt.
In einer Urkunde im Weimar. Archiv von 1236 o. D. bekennen
Hartmann und Hermann, Herren der oberen Lobdeburg, daß sie der
Kirche in Hugesdorf 60 Acker Gehölz und 15 bebaute Äcker an
dem Walde „Nobus" bei Coppanz übertragen haben. In Urkunde
von 1233 Sept. 1 bekennt Heinrich, röm. König, daß er auf Bitten
seines Getreuen Hermann v. Lobdeburc 150 Acker Gehölze an dem
Berge Nobus gelegen, die dieser von ihm zu Lehn hatte, der Kirche
zu Hugesdorf zu dauerndem Besitze übergeben habe. — In einem
Lehnbriefe des Kurfürsten Friedrich I. von Sachsen 1450 Juli 31
über das Dorf Dürrengleina (Dorrenglyne) an Albrecht von Welnitz
werden als Zubehörungen auch 2 wüste Hufen in Nobis aufgeführt,
der Ort wird also wohl schon im Grafenkriege zugrunde gegangen sein.
Martin, Urkundenbuch von Jena, bringt eine Urkxxnde bei
1328 Jan. 6, nach welcher ein Johann von Nöbis, Bürger in Jena,
nebst seiner Frau Jutta dem Kloster zu Hausdorf einen Hof zu
Leutra überlassen. — In Hortlederschen Aufzeichnungen im Weimar.
St. A. heißt es: „Nöbis, rustice Nibis, bei Münchenroda nach
Döbritschen zu, zinset dem Stadtrathe zu Jena; mag zum Brücken-
hofe gehört haben." Weiter heißt es: „Von der Wüstung Nöbis,
haben die von Ammerbach Zinsen erblich angenommen" etc. Es scheint
also die Wüstung Nöbis zum Teil nach Ammerbach gehört zu haben.
In einem Zinsbuche aus der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts werden
20 Personen aus Bucha, Jena und Winzerla namentlich aufgeführt,
welche die Grundstücke in der Wüstung Nöbis besitzen.
d) Wüstungen bei Dornburg, Apolda (Suiza)
und Kapellendorf.
Im Weimarischen Staatshandbuch 1843, 1864 und in Schumann,
Weimar. Landeskunde werden bei Dornburg selbst zwei Wüstungen
aufgeführt: Bernsrode und Herreslai de, die Werneburg danach
auch aufgenommen. Die Flurkarte von Dornburg weist nach Hirsch-
roda und Würchhausen hin einen Distrikt nach „auf Bernsroda"
des Großherzogtums Sachsen-Weimar. 231
wahrscheinlich die Stätte eines untergegangenen Dorfes, über dessen
Existenz sich jedoch nichts hat auffinden lassen. In der Nähe davon
ein Distrikt „die Herrenleite", der sicher zu Bernsroda gehört und
aus dem man später ohne weiteres eine eigene Wüstung „Herreslaide"
konstruiert hat. Westlich vom heutigen Dornburg die Bezeichnung
„die alte Stadt", die frühere Stätte des Ortes, der später an die jetzige
Stelle verlegt worden ist.
Nördlich von Jena und westlich von Dornburg nach Suiza- Apolda
hin besteht noch eine Eeihe von Wüstungen, die zum großen Teile
der Bruderkrieg geschaffen hat. Nennen wir zuerst Schemnitz (Zempt-
zitz) zwischen Nerkewitz und Lehesten ; Kronfeld verlegt die Wüstung
in die Nähe von Lehesten. Werneburg nimmt ohne weiteres die
Jahreszahl 1237, die unrichtig ist, aus dem Weimarisehen Staats-
handbuche und aus Schumanns Landeskunde. 1337 Mai 4 treten
die Gebrüder Albrecht und Hermann, Burggrafen v. Kirchberg, dem
Dekan der Kirche zu ßibra verschiedene Lehnstücke ab, darunter
„montem dictum Byzekenberg situm in pago ville deserte Schenschitz
propa Leysten". Der Ort scheint also schon frühzeitig zerstört
worden zu sein, vielleicht bei der Belagerung und Zerstörung des
Schlosses Lehesten durch die Erfurter, 1304. Im Jenaer Urkunden -
buche von Martin verkaufen 1374 Juni 15 Heinrich v. Kunitz und
seine Ehefrau Kune an das Michaeliskloster in Jena 3 Groschen Zins
und eine Lehde — wüsten Acker — zu Zemptzitz.
Im Weimar. Staatshandbuche von 1843, 1864 wird bei dem
Dorfe Stiebritz die Wüstung Lichteiidorf — jedenfalls nach Kößnitz
hin — aufgeführt. In Lichtendorf hatte das Kloster Heusdorf
wie in Schoten, Herressen, Oberkösnitz und Stiebritz sein eigen
Gericht über Hals und Hand (Dresdener Copialbuch 2, Fol. 248).
Als 1544 Kurfürst Johann Friedrich Kloster Heusdorf gegen das
Rittergut Tiefurt an Georg v. Denstedt vertauscht, erhält letzterer
außer Heusdorf noch die Wüstungen ßoda — bei Weimar — und
Lichtendorf. Die Zerstörung des Ortes fällt in den Bruderkrieg.
Oberhalb — südlich — des Ortes Kösnitz, nach Stiebritz hin,
lag an dem nach Utenbach fließenden kleinen Bache Ober-Kösnitz.
Die im Weimar. Staatshandbuch von 1864 angegebene Jahreszahl
1212 war nicht zu kontrollieren; wahrscheinlich 1312. Nach Kron-
feld, Landeskunde, II, S. 201, soll Landgraf Albrecht 1312 dem
Kloster Heusdorf alle Güter in Ober-Kösnitz zugeeignet haben, die
es daselbst erwerben könne. Rudolf vicedominus de Appoldia et
Heinricus pincerna jun. de Appoldia treten 1362 Febr. 2 Getreide-
zinsen von Gütern in villa superiori Kosenicz an das Kloster Heus-
dorf ab. Der Ort Groß-Kosenitz, das jetzige Kösnitz, wohin nach
der Zerstörung von Oberkösnitz im Bruderkriege sich dessen Be-
232 I^ie Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
woliner gewendet, kommt vor in Urkunden 1346 Nov. 13 und 1349^
Jan. 18, sowie 1352 März 6. Den slavischen Ursprung bezeugen
Name und Ortsanlage.
Qberkösynitz b. Domh-wraf.
Fig. 10.
In der Nähe von Apolda lagen bei Utenbach Zeptritz, Herm-
nitz und Kraudorf. Nach Stobra und Kösnitz zu lag Zeptritz;
in der Flur Utenbach kommen noch die Flurbezeichnungen: „in
Zeptritz", „an der Zeptritzer Hohle" vor. Hermnitz lag nach
Apolda hin; der „Hermnitzer Anger", am Hermnitzer Berge", „am
Hermnitzer Graben" kommen noch heute in Utenbach vor. Kran-
dorf war nordöstlich von Utenbach, nach Flurstedt zu. Werneburg
hat die Lage der drei Wüstungen ziemlich richtig angegeben.
In Urkunde von 1325 Nov. 22 bekennt Al(bert) v. Schowin-
vorst, Propst in Saalburg, daß auf den in Hermnitz liegenden, mit
Adil V. Werchhausen dem Konvente in Oberweimar abgetretenen
Gütern keinerlei Verpflichtung liege. 1353 März 6 stiftet Thimo
V. Nedischitz (Neidschitz) in Dornburg in der Michaeliskirche in
Jena eine Vikarie und überweist außer anderen Gütern zur Unter-
haltung dieser im Dorfe resp. der Flur Hermnitz 4 Schock Groschen
von 2 Hufen, außerdem 12 Groschen und 12 Hühner (Martin, Ur-
des Großherzogtums Sachsen- Weimar. 233
kundenbuch von Jena, I, S. 232). 1335 Dez. 7 verkaufen Bernger
de Werchhusen, Wernher, Heinrich und Heinrich seine Söhne 1 Hufe
in Hermenicz dem Propste Heinrich und dem Konvente in Heus-
dorf. — Laut Urkunde von 1365 ohne Datum bekennen Thitherich,
Henrich und Hermann, Gebrüder, geheißen v. Weychmar (Wich-
mar bei Camburg), daß sie dem Propste von Kapeilendorf 17, Mark
weniger 4 Groschen und 9 Hühner jährlichen Zinses von l'/g Hufen
und 7* Landes im Dorfe und der Flur Hermeliz verkauft haben,
und versprechen , den Käufer gegen jede Einrede zu schützen. —
Der Untergang des Ortes scheint im Bruderkriege erfolgt zu sein.
Zepti'itz. Im Weimar. Staatshandbuche von 1864 wird bei
Utenbach „Zeupitz" aufgeführt mit der Jahrzahl 1443. Nach Rein,
Thur. s. bekennt in einer Urkunde von 1349 Juli 25. Dietrich, Vitz-
tum V. Apolda, daß er außer anderen Zinsen dem Kloster Heus-
dorf auch „eynen Vyerdunt" (Virdung) von ^|^ Hufe in Zeptritz zu
einem Seelgerete abgetreten habe. Auch dieser Ort wird wohl zu
gleicher Zeit wie der vorige eingegangen sein.
Die Wüstung Krandorf lag nach Alberti nordöstlich von Uten-
bach — s. Zeitschr., Bd. XV, S. 575. — Die im roten Buche von
O. Franke — S. 64, Wersdorff, Krandorff — erwähnte gleichnamige
Wüstung lag zwischen Gassala und Wersdorf, der Lage nach wohl
noch erkennbar (siehe bei Pfiffelbach). Über beide Wüstungen findet
sich Urkundliches nicht vor. Die Zerstörung des ersteren hat im
Grafeukriege, die des letzteren wohl im Bruderkriege stattgefunden.
Das Weimar. Staatshandbuch führt bei Dorfsulza eine Wüstung
an, ßielstedt, mit der Jahreszahl 1268. Stechele, Ztschr. f.Thür. Gesch.,
Bd. IX, S. 129, hält dies Bielstedt für das im brev. Lulli aufgeführte
Bilistat (um 800) ; S. 309 aber sieht er unter Bilistat Bellstädt, öst-
lich von Ebeleben, an, was vielleicht richtiger. Weder im Eegistrum
subsidii von 1506, noch in dem Verzeichnis der Termineien der
Erf. Einsiedler Augustinerordens in Thüringen (Zeitschr., Bd. XIII,
S. 132 ff.) 1381 wird der Ort genannt.
Eine andere Wüstung AUstädt bei ßergsulza führt das Weimar.
Staatshandbuch an , über die sich aber gar nichts hat auffinden
lassen und die auch Werneburg nicht hat.
Bei Großheringen wird die Wüstung Grünstedt erwähnt,
Weimar. Staatshandbuch Grunestete 1294 (??), Grymstete 1346 (??).
Nach Schumann, Landeskunde, soll die eine Hälfte der Wüstung
nach Großheringen, die andere nach dem jenseits der Saale ge-
legenen 3 km entfernten Hassenhausen gehören. Der Ort gehörte
zu Kirchberg. 1319 März 31 eignen die Gebrüder Otto, Albrecht
und Hartmann v. Kirchberg dem Kloster Heusdorf Güter zu Grün-
stedt zu (Schmid, Kirchberger Schlösser). Die Zugehörigkeit zu
Kirchberg mag wohl auch die Ursache der Zerstörung des Ortes
234 I^iö Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
gewesen sein in der 1345 wiederbeginnenden Grafen fehde, an der Graf
Albrecht, Schwager der Grafen von Schwarzburg, nach Zerstörung
seiner Burg Altenberga durch den Landgrafen Friedrich teilnahm.
Das Kartenmaterial im Weimar. Staatsarchiv erwähnt eine
Wüstung Grunstedt bei Großromstedt, südlich von Apolda, doch
ist Näheres nicht aufzufinden.
Etwa 2 km nordwestlich von Wickerstedt, rechts der Straße von
Weimar nach Eckardtsberga, lag Kaltliauseu, dessen Lage wohl noch
zu erkennen. Rein, Thur. sacra, bringt verschiedene Kalthausen be-
treffende Urkunden bei. 1289 Aug. 25 bekunden Albert v. Vippach und
Frau Hedwig, daß sie an Theodorig Vitztum v. Apolda und seinen Sohn
Berthold einen Teil der Güter in Kalthausen, die sie durch den Tod
von H. Holzapfel erhalten, gegeben haben. 12.92 Jan. 29 eignet Land-
graf Albert 2 in Kalthausen gelegene und von den Brüdern Konrad
und Dietrich, Schenken v. Doberschen (Döbritschen), aufgelassene
Hufen ; am 4. Februar desselben Jahres beurkunden die Vorgenannten,
daß sie dem Propst Heidenreich und dem Kloster Heusdorf diese
2 Hufen um 24 Mark Silbers verkauft und dem Landgrafen Albert
aufgelassen haben. 1301 Okt. 12 bekundet Günther d, Ä., Graf
von Schwarzburg, daß die Brüder Heinrich, Heinrich, Heinrich und
Ludwig in Roßla 1 Hufe in Kalthausen durch den Notar Konrad
vor ihm aufgelassen haben, und eignet diese Hufe auf Bitten des
Propstes Heidenreich dem Kloster Heusdorf. 1302 Jan. 26 be-
fiehlt Landgraf Albert seinen Vögten in Buttelstedt, das Dorf Kalt-
hausen zu schützen und in keiner Weise zu belästigen. Nach
Reizenstein, Orlamünder Regesten, eignet 1295 Mai 20 Hermann,
von Gottes Gnaden Graf von ürlamünde, dem Kloster Heusdorf
2 Hufen, 1 Weinberg und Weidig mit allen Gütern, welche die
Brüder Heinrich und Johann genannt von Wormstedt in Kalthausen
von ihm zu Lehen hatten.
Bei Niedertreba, 2\f^ km südöstlich nach Schmiedehausen hin
lag das Dorf Escherode, das in Lehnbriefen der Schenken von
Tautenburg im 15. und 16. Jahrhundert in Verbindung mit Nieder-
trebra vorkommt. So in Urkunde der Herzöge Friedrich und Wil-
helm von Sachsen 1443 Dez. 10, worin sie den Gebrüdern Rudolf,
Burkart, Hans, Busse und deren Vetter Ludwig, Schenken von
Tautenburg außer Tautenburg und Niedertrebra auch das Dorf Eschen-
rode verleihen ; ferner 1461, 1483, 1486, 1506 und besonders in Ur-
kunde von 1525 Jan. 4 des Herzogs Georg von Sachsen, in welcher
ein Streit zwischen dem Schenken Hans von Tautenburg und der
Gemeinde Niedertrebra geschlichtet wird. Aus dieser Urkunde geht
hervor, daß Escherode damals schon kein Dorf mehr war, sondern
nur noch ein Vorwerk, zu dessen Bewirtschaftung die beiden Orte
des Großherzogtums Sachsen- Weimar. 235
Niedertrebra und Pfuhlsboru Frondienste leisten mußten (Lehnbuch
Friedrichs d. Str. von Lippert und Beschorner, S. 312 Anm.), Noch
heute ist das Vorwerk mit Schäferei an der Stelle des alten Dorfes
vorhanden. Den Untergang des Dorfes hat der Bruderkrieg herbei-
geführt. Als zur Terminei Apolda gehörig wird es im Verzeichnis
der Erfurter Augustiner als „Herßerode" angegeben.
Dieterstedt und H.aiisdorf.
Bei der zum ehemaligen Kloster (Amt) Kapellendorf gehörigen
Wüstung Wiegelau (Wilgelau) sind zwar einige Bestandteile des
Amtes angegeben, wir führen aber zur Vervollständigung aus Beyer,
Urkundenbuch der Stadt Erfurt, welcher das Amt Kapellendorf seit
1350 gehörte, das Verzeichnis der Bestandteile dieses Amtes von
1352 nochmals vollständig auf, weil die beiden oben genannten
Wüstungen Zubehörungen dieses Amtes waren: „Das Schloss etwan
genannt Aspann und jetzt Kapellendorf ist eigen bis an das Wässer-
lein, die Werntze geheißen. Anderseit der Werntze vor dem Hause
( — der Burg —) liegt das Kloster Kapellendorf, darüber haben
unsere Herren die vogtei von unserm Herren von Fulda und aller
•enden über das Eigentum desselben Klosters. Zum selben Hause
Kapellendorf gehören diese nachbeschriebenen Dörfer: Frankendorf,
Hammerstete, Holstete und Hustorf (Hausdorf) bei Kapellendorf,
sind alle eigen; Swabehusen und Coppantz gehen vom Kaiser und
reich; Ingau (Gauga) und Wygelau gehen zu Lehen vom Abte zu
Hersfeld; Stobre und Hermanstete gehen von unserm Herrn von
Maintz ; das meißenkorn [GetreidezinsJ von Holstete gehet von unserm
Herrn dem Markgrafen ; Slotewin gehet von den grafen von Glichen ;
<lie Vogtei zu Swabsdorf und in der gasse des heil. Kreuzes zu
Gosserstete gehen vom Abte zu Oldisleben ; Dieterstedt geht erb-
lich von den klosterjungfrauen zu Kapellendorf, davon man gibt
2 pfund wachs purificationis zum Altar S. katharinae; 100 Acker
Holz zu Goßerstete, oder mehr, haben wir von dem abt zu Oldis-
leben ; 40 acker weniger einen acker Holz gelegen am Belange ge-
hören zum Schloss Kapellendorf gekauft von Dietrich Egstherre zu
Kotendorf, jeglichen Acker für 16 shillinge heller, und gehen von
den Schenken von Apolda; die guter und Hölzer Dietrichs Lauwin
von Schouwenforst gehören noch zum schloß Kapellendorf." — (Über-
setzt aus einer älteren Abschrift.)
Ungefähr ö'/o km südwestlich von Apolda, zwischen Sulzbach
und Oberndorf, lag Dieterstedt, dessen Flur an Oberndorf, Eödigs-
dorf und Oberroßla grenzte. Von den Unbilden des Bruderkrieges
scheint der Ort, obgleich er als selbständiger Ort sich noch bis gegen
das Ende des 15. Jahrhunderts gehalten, sich nicht wieder erholt
236 JDie Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
zu haben, und die Bewohner haben sich wohl allmählich nach dem
nächstgelegenen Oberndorf gewendet. Wie bei so vielen anderen
Orten haben die Besitzer dann in Oberndorf eine eigene Flur-
genossenschaft gebildet, mit Gerichtsschöppen, Ältesten und Heim-
bürgen, bis am Ende des 19. Jahrhunderts durch die Grundstücks-
zusamraenlegung eine vollständige Verschmelzung der Flur Dieter-
stedt mit Oberndorf stattgefunden hat. In Kapellendorfer Zins-
büchern aus den Jahren 1454 und 1473 wird das Dorf noch als be-
stehend und werden die einzelnen Zensiten (15 resp. 16) namentlich
aufgeführt; 1512 aber wird das Dorf schon als Wüstung genannt.
In einem Berichte des Amtes Dornburg von 1008 heißt es, daß in
der Flur Dieterstedt weit über 100 Jahre kein Haus mehr gestanden.
In Kapellendorfer Urkunden kommt der Ort öfter vor: 1256
Okt. 22 bekennen Heinrich von Wida, Prior der Predigerbrüder in
Erfurt, und Albert, Dekan der St.-Marienkirche daselbst, daß sie
von dem Erzbischof von Mainz den Auftrag erhalten, die mißlichen
Verhältnisse des Klosters Kapellendorf zu verbessern. Da nun im
Kloster 9 Frauen, außerhalb desselben aber deren 15 wohnten, so
sind die bisher gemeinschaftlich benutzten Güter geteilt worden, und
es haben die auswärtigen außer anderen Gütern bei Taubach etc., auch
6 Hufen bei Dieterstedt erhalten. Ebenso findet der Ort Erwähnung
in Urkunden von 1287 und 1292, Weimar. Archiv. 1327 verkauft das
Kloster den Ort Dieterstedt mit allen Zubehörungen an Burggraf
Hartmann v. Kirchberg und dessen Frau Jutta für 80 Mark Silber,
doch sollen die Käufer und ihre Erben zum Altar der heiligen
Katharine jährlich 1 Pfund Wachs geben. Am 16. April 1327 räumen
die Käufer dem Konvente zu Kapellendorf das Vorkaufsrecht ein
im Falle eines Wiederverkaufes. Dieser Fall tritt schon 1350 Nov. 10
ein, indem die Burggrafen Dieterstedt nebst 10 anderen Dörfern an
Erfurt verkaufen; unterm 11. Nov. weisen die Burggrafen Albrecht
und Hartmann ihre Lehnsleute zu Dieterstedt an, daß sie ihre Be-
lehnung künftig vom Eate in Erfurt zu empfangen haben. Das
Kloster hat also, wahrscheinlich mangels der erforderlichen Mittel,
von dem Vorkaufsrecht keinen Gebrauch gemacht. Im roten Buche
von Weimar wird Dieterstedt unter den Orten genannt, welche Burg-
futter ins Schloß geben : Dyterstete eyne Hufe ; da [davon] gibet man
unßirn Heren von 2 mod. frumentl, 5 mod. avenae. Nota: etzliche
meynen daz noch eyne huffe daselbins suUe syn, daran uußir heren
— die Landgrafen, vorher die von Orlamünde — recht habin. —
1405 Mai 14 bekennt Propst Nicolaus v. Lybergen zu Kapellendorf,
daß der ßat zu Erfurt seinen armen Leuten in Dyderstete, welche
daselbst 11 Hufen erblich von ihm haben (d. h. vom Kloster) und
für jede Hufe 2 Malter Korn und 2 Malter Gerste entrichten, nach-
des Großherzogtums Sachsen- Weimar. 237
gelassen habe 9 Jahre lang statt Gerste Hafer zu geben. Während
des 30-jährigen Krieges blieb fast die ganze Dieterstedter Flur, weil
von Oberndorf zu weit entfernt, unbebaut liegen. 1672 Nov. 7 bitten
die Grundstücksbesitzer der Wüstung Dieterstedt den Herzog Bern-
hard in Jena wegen Mißwachses und großer Dürftigkeit um Erlaß
der nicht unbeträchtlichen Zinsen , '200 Jenaer Scheffel Getreide,
nebst Geld, und stellen 1756 die gleiche Bitte wegen Hagelschlages.
Infolge fortwährender und langjähriger Differenzen mit den
Grundstücksbesitzern der Flur Oberndorf, die zum Amte Dornburg
gehörten, bittet 1794 die Gemeinde Dieterstedt, welche dem Amte
KapeUendorf unterstellt war, die Regierung in Weimar, den Ort
wieder aufbauen zu dürfen. Sie wird jedoch abschläglich beschieden,
weil das Dorf zu klein werden würde, da viele Grundstücke der
Flur Dieterstedt sich in auswärtigen Händen (Sulzbach, Rödigs-
dorf etc.) befänden. Kronfeld teilt mit, daß bei den Arbeiten der
Separation im Jahre 1876 man die Grundmauern der Kirche auf-
gefunden habe. Die steinernen Türgewende eines Hauses in Obern -
dorf, die offenbar sehr alt und mit einem D verziert sind, sollen
ehedem die Einfassung der Kirchtür in Dieterstedt gebildet haben.
— Auch Dieterstedt wird im Verzeichnis der Termineien der Erfurter
Einsiedler Augustinerordens als zur Terminei Appoldia gehörig mit-
aufgeführt.
Hausdorf, das oft mit Dieterstedt zusammen genannt wird,
und ebenso wie dieses zu Kapellendorf gehörte, lag nordöstlich von
diesem. Nebst Dieterstedt gehörte es zu den Ortschaften, welche
Burggraf Hartmann v. Kirchberg 1350 Nov. 10 an die Stadt Erfurt
verkauft. 1271 August 1 verkauft Otto Burggraf zu Kirchberg sein
Vogteirecht über 8V2 Hufen zu Hausdorf an die Kirche zu KapeUen-
dorf für 26 Mark Silber (Jenaer Urkundenbuch), und 1291 April 20
bezeugt Konrad Reinfridi neben anderem, daß Burggraf Otto den
Verkauf von 1 Hufe in Hausdorf an den Pfarrer Bertold in Schwab-
hausen für das Kloster genehmigt habe. Erwähnt wird Hausdorf
noch in Urkunden des Grafen Otto IV, v. Kirchberg aus den Jahren
1274, 1282, 1288, 1291, 1292, 1296. Die Zerstörung des Ortes hat
im Bruderkriege stattgefunden.
Zwischen Niederroßla und Oßmannstedt auf dem linken Ufer
der Um lag Alzendorf, im roten Buche Alchendorf genannt und im
Bruderkriege untergegangen. Dort heißt es : Alchimdorf 8V2 hufen ;
da gibet man unßirn heren von iglichen huffen 5 mod. avene Mich.,
summa 4272 ^od. avene. Der größte Teil der Flur gehört nach
Oberroßla. Nach der Zerstörung des Ortes sollen sich nach Kron-
feld die Einwohner größtenteils nach Oberroßla gewendet und sich um
<Jen inneren Häuserkomplex der sog. 14 Mittelhöfe angebaut haben.
238 I^iß Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
e) Wüstungen in der Gegend von Buttstädt (Pfiffelbach >
Buttelstedt etc.) — CöUeda.
In der Nähe von Pfiffelbach bei Buttstädt haben wir 4 Wü-
stungen, denn das von Wemeburg angeführte Oberhofen ist nichts
weiter als eine in späteren Zeiten angelegte und wieder abgebrochene
Schäferei ^).
Südlich von Pfiffelbach, zwischen Goldbach und Wersdorf, am
Ursprünge des den letzteren Ort durchfließenden kleinen Baches
— Schmalbach — lag Gassala (Gasla). Der Ort wird schon im
9. Jahrhundert genannt, s. Dobenecker, Eeg., I, S. 65, no. 287.
Dithmar der Jüngere und seine Söhne Hermann und Beringer von
Willerstedt übergeben der Kirche des Klosters Kapellendorf 1 Hufe,
im Felde von Gosla gelegen, die gegenwärtig Hermann sartor, ge-
nannt V. Pfiffelbeche, besitzt, 27. Mai 1302, nachdem am 24. Mai
der Lehnsherr Graf Günther von Schwarzburg die nachgesuchte
Genehmigung zu dieser Schenkung erteilt, sich aber das Blutgericht
vorbehalten hat. Zwischen Gassala und Wersdorf, mit letzterem im
roten Buche gleichzeitig genannt, am beide Orte durchfließenden
Schmalbache, Krandorf (s. bei Utenbach).
Im roten Buche heißt es: Gassala, villa desolata und B o t z i n -
dorf (nach Aussprache der Leute und in der Flurkarte Puschen-
dorf) „die wüsten dörffer beide, die gehören yn daz dorff Pfheffel-
beche, unde unszir heren (d. h. die Landgrafen Friedrich III.,
Wilhelm und Balthasar) habin alle gerichte weydirsyte (beiderseits)
daselbins yn felden unde yn dorffern".
Beide Dörfer waren also schon Wüstungen zu Ende des
14. Jahrhunderts, zerstört vielleicht im Grafenkriege oder entvölkert
durch die Pest.
Nach Förtsch, Geschichte der Parochie Pfiffelbach- Wersdorf,
liegt in der Nähe von Pfiffelbach ein Hügel ,,der GasseLhügel",
wahrscheinlich ein Grabhügel, und südlich vom Orte heißt das Feld
„am Gasseiberge"; da aber, wo das Dorf gestanden, befindet sich
noch jetzt der „Gasseiborn". Ein Rasenrain, der sogenannte Totenrain,
führte von Gassala nach Pfiffelbach; ein Teil davon, in der Nähe
Pfiffelbachs, besteht noch. Das ßächlein, an dessen Ursprung Gassala
lag, durchfließt auch Wersdorf, das damals ebenfalls wüst war und
erst unter Herzog Wilhelm Ernst wieder aufgebaut worden ist.
Das schon genannte Bozlndorf (Puschendorf) -) lag westlich
1) Auf die zahlreichen Werneburgschen Unrichtigkeiten und
Ungenauigkeiten werde ich später zurückkommen.
2) In einem Verzeichnis der vom Landgrafen Friedrich IL (dem
Ernsthaften) zur Lehn gehenden Güter — 1348, 1349 — heißt es :
des Großherzogtums Sachsen-Weimar. 239
von Pfiffelbach, am Ursprung des Pfiffelbach durchfließenden Pfiffel-
baches. Nördlich von Puschendorf, zu dem es früher gehört haben
mag, befindet sich das sogenannte Blößen- oder Komthurei-Holz,
früher Besitz der Komthurei Liebstedt, jetzt allgemein als Pfiffel-
bacher Holz bekannt. Es stehen an der Stelle, wo der Ort gestan-
den haben [soll, noch einige Bäume, und ringsum befanden sich
Gärten, wie sich aus älteren Karten erkennen läßt; auch Gemäuer
ist dort gefunden worden. Im Norden des Dorfplanes, der früher
Gemeindetrift von Pfiffelbach war, stand auf einer kleinen Erhöhung
ein steinernes Kreuz, nach welchem noch heute der Flurdistrikt
„beim Kreuzchen" heißt. Hier soll ein Wallfahrtsweg von Butt-
städt nach Kapellendorf geführt haben.
In einem Vertrage zwischen Markgraf Friedrich von Muißen
und Graf Heinrich von Schwarzburg vom St. Stephanstage 1344
wegen Abtretung der Burg Eckartsberga an ersteren wird Pot-
schendorf nebst Pfiffelbach, Ober- und Nieder-Sulzbach, Krippen-
dorf und anderen Dörfern, dem letzteren mitverpfändet und als zu
dem Gerichte „Bothelsteten" gehörig bezeichnet. Gebhard v. Sulzbach
erhält außer anderen Zuweisungen noch Zinsen, genannt „weytgelt"
in Poschendorf. In einer Urkunde des Klosters Heusdorf vom
10. Dez. 1356 wird als Klosterschwester Adelheid v. Puczendorf
genannt, ebenso wie ein Johann de Potschendorf. In einer an-
deren Pfortaer Urkunde von 1382, conversione S. PauUi bekennen
Hans V. Poczschendorff und seine Erben, daß sie dem Kloster
Pforta alles Lotgeld, das sie im Felde und im Dorfe Großobringen,
wenn jemand Waidsamen säet, erhalten, verkauft haben um einen
Hengst und 5 Pfund guter Denare.
Förtsch (Geschichte der Parochie Pfiffelbach etc.) gibt an, daß
ein zwischen Oberreißen und Rohrbach gelegenes Vorwerk Ober-
hofen zu Puschendorf gehört habe, wie schon eingangs bemerkt, eine
später angelegte und wieder eingegangene Schäferei.
Östlich von Pfiffelbach, an dem diesen Ort durchfließenden
und bei Zottelstedt in die Um einmündenden Weiden- oder Pfiffel-
Item Ulrich de Lichtenhain et sui fratres habent in foedum a do-
mino in villa Poschendorf 1 mansum, item in Liebenstete 1 mansum
et curiam. — Da Puschendorf mit dem ganz in der Nähe gelegenen
Liebstedt zusammen genannt wird, so scheint der genannte Ort eher
unser Puschendorf (Bozindorf) zu sein, als das bei Weimar-Berka
gelegene Possendorf, für welches Martin im Jenaer Urkundenbuch,
Bd. I, no. 218 — S. 203 — es hält, und ebenso Lippert und Be-
schorner , Das Lehnbuch Friedrichs des Strengen , S. 208 ; vergl.
Zeitschr. d. Ver. f. Thür. G. u. A., Bd. XXIII, S. 410.
240 ßiö Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
bache lag Niederndorf; an der Stelle des Dorfes befindet sich
noch ein Brunnen. Der Flurdistrikt nördlich davon heißt „überm
Milchbrunnen", und die dortigen Ländereien werden als Gärten be-
zeichnet ; Mauerüberreste sind gefunden worden.
Fig. 11
In einer Urkunde vom 12. Mai 1170 bekennt Markgraf Otto
von Meißen, daß er unter anderen Grundstücken (Mühlen etc.) auch
Ya Hufe in Nietherendorf der Kirche der heiligen Jungfrau und des
heiligen Godehard in Hugesdorf (Heusdorf) übertragen habe. 1252
und 1254 erscheint der Ort als Niederendorff und 1350 in einer
Urkunde des Klosters Oldisleben als Niederndorff.
des Großherzogtums Sachsen-Weimar. 241
Über Zeit und Ursache des Unterganges des Ortes fehlen alle
Nachrichten; die Vermutung liegt nahe, daß auch dieser Ort schon
im Grafenkriege den Untergang gefunden.
Nordöstlich von Pfiffelbach, in einem kleinen Seitentale des
Weiden baches südlich der sogenannten Weinstraße, lag das Dorf
Weiden (Widin). Ein Flurdistrikt dort heißt noch heute „in
Weiden" und etwas südlich davon ein Holz mit Quelle, „in De-
litzsch". In Pfiffelbach nimmt man an, der untergegangene Ort
habe Delitzsch geheißen, und es sei die Quelle der Dorfbrunnen;
doch läßt sich dieser Name urkundlich nicht nachweisen, während
„Weiden" urkundlich genannt wird. In einer Urkunde von 1265,
am Sonntag Oculi, erklärt der Ritter Heinrich von Liebenstete
(Liebstedt), daß sein Vater, der Konverse in Pforta, Heinrich von
Liebenstete, sowie er selbst etc. etc. zum Seelenheil ihrer Voreltern
und aller derer, denen sein vorgenannter Vater früher irgendwie
Schaden zugefügt habe, SVj Hufen dem Kloster Pforta zugewiesen,
wovon 27^ Hufen in Gebenstete (Gebstedt) und 1 Hufe in Widin
„bei Pfiffelbeche" liege, von welchen die Brüder Heinrich und Her-
mann , die sie in Benutzung hätten , jährlich 2 Malter Gerste,
2 Malter Weizen und 1 Malter Hafer entrichten. Dafür müsse
aber der Kellner in Pforta dem Pleban in Liebenstete 1 Paar neue
Stiefeln geben, wenn dieser 8 Tage nach Peter und Paul nach Pforta
käme und sich dieselben ausbäte.
Während Weiden an die Pfarrei in Pfiffelbach keinen Decera
gab, besaßen — nach Förtsch — das freie Eeichsstift St. Crucis in
Nordhausen, das Pfarrwitwenstift und die Pfarrei Mattstedt in Wei-
den Zinsen. Weiden soll ein Filial von Mattstedt gewesen sein.
Im roten Buche wird — neben Gassala, Botzindorf und Wers-
dorf — noch eine Wüstung Krandorf erwähnt, über die jedoch
gar nichts weiter bekannt ist. Der Ort hat, wie der Augenschein
ergibt, zwischen Wersdorf und Gassala gelegen und ist sicher im
Grafenkriege untergegangen, da er schon 1381 wüst war.
Nicht weniger als 15 Wüstungen finden sich auf der Strecke
Buttstädt- Sömmerda,
von denen wohl die meisten dem Bruderkriege ihre Entstehung
verdanken.
Nach Stolle (Thüringisch - Erfurtische Chronik) hat Kurfürst
Friedrich auf seinem Wegzuge von Erfurt (1450) [wo er mit dem
Rat wegen eines engeren Bündnisses verhandelt] nach Gera, das er
zu entsetzen beabsichtigte, „den Nuwenmark (Neumark), Bottelstete
vnnd vele dorfere" verbrannt. Nach Härtung Kammermeisters
dhronik kann es auch sein, daß Kurfürst Friedrich erst nach seiner
XXVII. 16
242 I^iß Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
Rückkehr von Meißen nach Thüringen, nachdem er sich verstärkt
— August 1450 — von Eckartsberga aus nach Buttstädt, Mannstedt,
Brembach, Neuhausen, Cölleda, Vogelsberg, Sprötau gezogen ist;
„alle dorfere verbrante her reyne", heißt es bei Kammermeister.
Sechs Wüstungen allein liegen in der Nähe von Buttstädt, von
denen nur eine, Wenigen-ßuttstädt, erst durch den 30-jährigen Krieg
dazu geworden ist.
Dem Herrn Postsekretär Heinrich in Buttstädt, der sich um
die Lokalgeschichtsforschung sehr verdient gemacht und vieles in
dieser Richtung veröffentlicht hat, verdanke ich viele Rlitteilungen
über die Wüstungen Emsen und Wenigen-Buttstädt.
Östlich von Buttstädt (3V2 km) lag Emsen, dem merkwür-
diger-, vielleicht auch erklärlicherweise seitens der Buttstädter Be-
wohnerschaft der biblische Name „Emmaus" beigelegt wird.
Emsen bestand aus zwei Teilen, der größere — das eigentliche
Dorf — am Ursprrmge des Emsebaches hieß Großemsen, der kleinere,
mehr südöstlich gelegene, näher der preußischen Grenze bei Troms-
dorf, Kleinemsen. Nach beiden Orten führten vor der Grundstücks-
zusammenlegung von Buttstädt aus Wege: der Groß- und der Klein-
emsener Weg.
Im Brev. S, Lulli, also ums Jahr 800, wird Umisa aufgeführt
(Dobenecker, Reg. I, No. 70), entweder unser Emsen, oder eine
gleichnamige Wüstung am Emsbache bei Stadtsulza, slavischen Ur-
sprungs jedenfalls — hubas de Sclavis manentibus.
Daß Emsen schon 933 durch die Ungarn zerstört worden sein
soll, ist eine durch nichts begründete Sage; es werden damals
viele Dörfer der Zerstörung anheimgefallen und wieder aufgebaut
worden sein.
Nach einer Urkunde vom 18. April 1063 (XIV. cal. Mayi;
Dobenecker, Reg. I, No. 837) schenkt Pfalzgraf Friedrich II. dem
von ihm zu errichtenden Kloster Suiza den Zehnten von Suiza und
12 Dörfern, unter denen auch Imese. Nach Schumanns Weimar.
Landeskunde wird der Ort 1246 unter dem Namen Emese erwähnt
und dessen Untergang im Bruderkriege auf 1447 verlegt.
In 2 Urkunden vom 12. März 1276 und 19. Mai 1277 wird ein
Streit zwischen dem Kloster Pforta und Berthold, dem Verwalter
der Kapelle in Rudersdorf — 2 km südlich von Emsen — über eine
Hufe im Dorfe Emese zugunsten des Klosters entschieden.
Daß Emsen noch zu Ende des 14. Jahrhunderts als Dorf be-
standen, dürfte aus dem Bd. XIII, S. 133—137 der Zeitschrift be-
findlichen Verzeichnis der Termineien der Erfurter Augustiner-Ein-
siedler in Thüringen hervorgehen, wo es unter der Terminei Botil-
stete als „Sinse" — jedenfalls verschrieben oder verlesen statt Emse
— aufgeführt wird. Aber bereits in dem, ebenfalls am Ausgang des
des Großherzogtums Sachsen-Weimar.
243
14. Jahrhunderts aufgestellten, roten Buche von Weimar wird es
„daz wüste dorff" genannt; es scheint, wie Franke sagt, an den
Folgen des Grafenkrieges allmählich verkümmert zu sein. Die An-
gabe von Schumann, daß der Ort 1447 im Bruderkriege zugrunde
gegangen, erweist sich demnach als irrig.
In dem Sühnevertrage von 1347 zwischen Landgraf Friedrich
von Thüringen und den Grafen Friedrich und Hermann von Orla-
münde wird unter den abgetretenen und wieder aufgetragenen Orten
auch Emse aufgeführt.
Wugtiin^^ Einsen.
50OO
Fig. 12.
1380 Nov. 16 bekennen Hermann Worm zu Tunczenhausen und
Lehne, seine eheliche Wirtin, daß sie mit Gunst und Eat Ulrich
Worms, seines Bruders, und Konrads, seines Vetters, ein ,,Selen-
gerete im Kloster zu Obirweimar" gestiftet und dazu verschiedene
Zinsen bestimmt haben: 1) von einer Hufe Landes, in dem Felde
zu Emse gelegen, die Heinrich Oberriche und seine Erben, Hunayl
und Begker und ihre Erben besitzen, 1 Malter Korn, 3 Erfurter
Viertel Gerste, 11 shill. Pfennige und 10 Hühner, 2) etc. etc.
Die Bewohner des Dorfes hatten sich nach Buttstädt gewendet,
während die Flur als solche noch für sich fortbestand mit jährlichem
Hegegericht und Markt. Im Besitze der Gemeinde Buttstädt resp.
des dortigen Altertumsvereins befindet sich noch ein sog. ,, Kegenten-
buch" der früheren Gemeinde Emsen über deren Einnahmen von
1685 — 1716. Dieses sog. Regentenbuch enthält am Schlüsse folgenden
16*
244 Die Wüstungen im I, und II. Verwaltungsbezirke
Eintrag: „Ao. 1529 ist der Marck auß Emsen auf Kastenburch
(Rastenberg) gelögt wordten, wie es die Rastenburcher Bücher
ausweisen und hat gehüßen der Jacobi Marck. — Dieses hat
Valentin Reuß, jun. zur Nachricht beigebracht, welches er selbst
aus ihren Rastenburger Büchern gelesen, ist solches zur Nach-
richt registriert. Datum Buttstädt den 25. Juli 168!)." |— Dieser
Jakobimarkt soll auf
dem Platze bei der Ka-
pelle abgehalten worden
sein, wo das Hegemal
gehalten wurde. Die
Stätte des Hegegerichts
befindet sich auf einer
hügelartigen, von Bäu-
men umgebenen Bo-
denerhebung , wie der
Grundriß und die von
Hrn. Photogr. Berbig
in Buttstädt besorgte
photographische Auf-
nahme ergeben.
Die Fläche der Flur Emsen betrug ca. 190 ha, von denen etwa
11 ha der Gemeinde Emsen selbst gehörten. Nur diejenigen Nach-
barn waren in der Gemeindeversammlung (Hegegericht) stimm-
berechtigt, die mindestens SVo Acker — 1 ha — besaßen.
Erst mit der Grundstückszusammeulegung und der Einverleibung
der Flur Emsen in der Flur Buttstädt hat im Jahre 1881 dies jähr-
liche Hegegericht seine Endschaft erreicht ^).
Zwischen Buttstädt und Nermsdorf lag der Ort Stiebsdorf,
dessen Flur an Wenigen-Buttstädt, Buttstädt, Schafendorf und Nerms-
dorf grenzte, jetzt zu letzterer Flur gehört und von der Straße Nerms-
dorf-Buttstädt durchschnitten wird. Die noch jetzt bestehenden Flur-
distriktsbezeichnungen : „zu Stiebsdorf", „beim Stiebsdorfer Brunnen"
und ,,der Anger" lassen die Lage des Ortes erkennen; früher standen
an dieser Stelle mehrere Linden, „die Stiebsdorfer Linden" genannt,
die aber beim Bau der Straße von Nermsdorf nach Buttstädt, welche
gerade hindurchführte, in Wegfall gekommen sind; an deren Stelle
setzte man eine Linde dicht an die Straße. In der Flur Nermsdorf
existieren außerdem noch die Flurnamen „in den Stiebsdorfer
Wiesen", „am Stiebsdorfer Berge", „zu Stiebsdorf an der Stange"
und „der Stiebsdorfer Rasen", in der Flur Niederreißen die Be-
zeichnung „unter dem Stiebsdorfer Raine", d. h. beim Grenzrain
Fig. 13.
1) Über die Abhaltung des Hegemals in Emsen später.
des Großherzogtums Sachsen- Weimar. 245
zwischen Stiebsdorf und Niederreißen. Erwähnt wird Stiebsdorf
(Stewisdorff) in einer Wenigen-Buttstädt betreffenden Urkunde im
Magdeburger Stadtarchiv vom Sonntag nach U. l. Fr. Empfängnis
1388.
Nach der Zerstörung des Ortes im Bruderkriege übersiedelten
die Bewohner wohl zum größten Teile nach Nermsdorf. Aber noch
über 400 Jahre bestand Stiebsdorf als Flurgenossenschaft fort. Erst
am 30. Juli 1858 wurde — nach einer Mitteilung des Herrn Post-
sekretärs Heinrich in Buttstädt — seitens der Regierung die Auf-
lösung der Genossenschaft ausgesprochen und die Einverleibung in
Flur und Gemeindebezirk Nermsdorf bewirkt. Der Ackerbesitz der
Genossenschaft ward öffentlich versteigert, der Erlös (3171 Thaler)
unter die Flurgenossen verteilt. Durch die 1860 begonnene Zu-
sammenlegimg der Grundstücke in Nermsdorf ist nun die Flur
Stiebsdorf vollständig verschwunden.
Der Rat in Buttstädt besaß die niedere Jagd in der Flur, denn
am 18. Januar 1589 tritt er dieselbe in der Buttstädter. Wenigen-
Buttstädter und Stiebsdorfer Flur an den Herzog Friedrich
Wilhelm von Weimar ab.
Nordöstlich von Stiebsdorf, rechts der jetzigen Straße von Butt-
städt nach Niederreißen war Schafeudorf gelegen, etwa l'/o km
von Buttstädt entfernt, dem Augenschein nach nur ein kleiner Ort
von nichtslavischer Bauart, dessen Bewohner sich nach der ebenfalls
im Bruderkriege erfolgten Zerstörung wohl auch nach Buttstädt ge-
wendet haben , in dessen Flur es aufgegangen ist. Urkundliche
Nachrichten über den Ort fehlen.
Crellwitz, Kröllewitz, Krollwitz wird im roten Buche
in Verbindung mit Oberreißen erwähnt, das als Oberdorf bezeichnet
werden kann, und das 1253 denen v. Heldrungen als Reichslehn
gehörte, während das untere Dorf Crellwitz hieß und später in Ober-
reißen aufging ; dieser nördliche Teil zeigt auch noch heute in seiner
Bauart slavischen Charakter. Im roten Buche von Weimar heißt
es: „Friederich von Slynicz, Hermann syn bruder und Hans Lichtin-
berg und ire erbin habin samptlehin von mynem hern (Landgraf
Friedrich II. und dessen Söhne Friedrich III., Balthasar und Wil-
helm) dise nachgeschribin gute etc. etc. Item czu Obirn-Risen und
czu Krollewitz 10 phund phennig geldis, IV2 maldir korns, IV2 maldir
gerstin" etc. etc.
Nach dem Verzeichnis der Termineien der Erfurter Einsiedler
Augustiner-Ordens (1381) gehörte Crellwitz mit Ober- und Nieder-
reißen zur Termine! Botilstete; Crellwitz und Niederreißen waren
Filiale der Pfarrei Wenigen-Buttstädt (s. d.). Noch 1720 hatte das
nördliche Unterdorf von Oberreißen — CreUwitz — eine eigene
Kapelle und Friedhof, deren Stätte heute noch erkennbar ist.
246 -^ie Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
Die Einkünfte der Geistlichen damaliger Zeit scheinen sehr
kärghch gewesen zu sein, wie verschiedene Beschwerden erkennen
lassen. Am 7. Okt. 1567, weiter am 15. März 1570 und am 14. März
1575 beschwert sich der Pfarrer von Wenigen- Buttstädt darüber, daß
der Pfarrer von Oberreißen das zu Wenigen-Buttstädt gehörige Filial
Crellwitz an sich zu ziehen suche und ihm seit 3 Jahren die Ein-
künfte der Kapelle in Crellwitz vorenthalte, und bittet um Ent-
scheidung, ob dem Pfarrer von Oberreißen Seelsorge und Einkünfte
von Crellwitz übertragen sei.
Zwischen Oberreißen, Nermsdorf und Eohrbach lag noch ein,
wohl nur aus wenigen Gehöften bestehender, Ort Hohendorf ^), jetzt
zur Flur Oberreißen gehörig. Er lag, wie die älteren Karten er-
geben, an der sog. Weinstraße und der Rohrbacher und Nermsdorfer
Flurgrenze, wo heute noch die Bezeichnung „das Hohendorfer Feld"
sich findet, und von wo früher ein Weg, „der Frauenrain", nach
Oberreißen führte. Urkundlich habe ich über den Ort nichts fest-
stellen können.
Eine der wenigen Wüstungen, die durch den 30-jährigen Krieg
veranlaßt worden sind, über welche aber die meisten urkundlichen
Nachrichten sich finden, ist Weuigen-Buttstädt, südwestlich von
Buttstädt, an Stiebsdorf grenzend. Daß der Ort slavischen Ur-
sprungs, ist nicht nur aus dem Namen (Wenigen-Buttstädt, Buttstete
minor, Buttstete slavorum), sondern auch aus der Bauart zu er-
kennen. Nachdem der Ort im Laufe des 30- jährigen Krieges schon
mancherlei Drangsale erlitten, ist er im Jahre 164] durch kaiserliche
Völker vollständig verwüstet worden; die Einwohner zogen nach
Buttstädt.
In dem mir durch Herrn Postsekretär Heinrich in Buttstädt
zugänglich gemachten, schon erwähnten ßegentenbuche heißt es :
„Weil das Dorf Wenigen-Buttstädt in dem 30-jähr. Kriege schon
eingegangen, als wurden auf des Buttstädter Raths Gutachten die
noch übrig gebUebenen Häuslein, weil sich darin nur Raubgesindel
aufgehalten, anno 1641 vollends abgerissen, und hat also auch Ge-
meinde und Kirchspiel ein Ende nehmen müssen. Heinrich Gerlach,
der letzte Pfarrer, ein Buttstädter Stadtkind, wurde nach Gutmanns-
hausen berufen." — Nur die mit Ziegeln gedeckte Kirche blieb
stehen, die aber nach und nach bis auf einiges Mauerwerk zerfiel.
Nach mündlichen und schriftlichen Überlieferungen war die Kirche
1) Werneburg verlegt fälschhch die Wüstung Hohendorf nörd-
lich von Olbersleben. Das „Hoendorff", welches in dem Sühne-
vertrage zwischen Landgraf Friedrich und Hermann von Orlamünde
1347 mitaufgeführt wird, ist Hohndorf nordöstlich von Eckardts-
berga (4 km).
des Großherzogtums Sachsen-Weimar.
247
nur klein, mit nur einem Eingange nach Mittag zu. Die Trümmer
ließ Herzog Ernst August von Weimar zum Bau eines Jagdschlöß-
chens (Fischhaus) bei Großbrembach verwenden, ebenso wie die
Steine der wüsten Kirche von Oberndorf bei Buttelstedt. Noch
lange führte der Pfarrer zu Niederreißen den Titel als Pfarrer zu
Wenigen-Buttstädt und genießt bis auf den heutigen Tag dort seine
Pfarräcker und Wiesen etc. Filiale von Wenigen-Buttstädt waren
Niederreißen und Grell witz bei Oberreißen.
Wust
lVeTÜ<^erL r B^ttt^tcdi ,
Fig. 14.
Von den 3 Glocken der Kirche von Wenigen-Buttstädt soll das
Dorf Allerstedt bei Wiehe die größte von Heinrich v. Werthern, der
sie gegen Metall — zum Guß einer anderen Glocke in Buttstädt —
vom dortigen Rat erworben, im Jahre 1660 für 100 Taler gekauft
haben ; die beiden kleineren dagegen von Diebsgesindel vom Turm
gestohlen worden sein. Die große Glocke soll die Lilie aus dem
Buttstädter Stadtwappen und die Inschrift enthalten : Anno MDCXXV
goß mich Hieronymus Mehringk zu Erfurdt. die Zeit wahren her
Immanuel Lonerus Pfarrher, Ambrosius Becker, Jobst Eierkuchen,
Heimbürgen. Am unteren Eande : Nicolaus Schmidt, Schulmeister
zu Wenigenbuttstädt, und Jacob Keilhau, Mathes Manner, Altarleute.
248 -Die Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
Urkundlich erwähnt wird Wenigen-Buttstädt oft. So über-
eignen nach einer Magdeburger Urkunde 1327 Heinrich und Konrad,
Herren in Azmanstete, auf Bitte des Bertold, genannt Tuser aus Butt-
stete, dem Prior und den Brüdern des Augustiner-Ordens zu Erfurt
die Zinsen von einer Hufe in Butstete minori, welche Tuser von ihm
in Lehen, und von diesem wieder Nicol Becherere in majori But-
stete und Nyol gen. Harraz in minori ßuttstete in Afterlehn hat.
In einer Erfurter Urkunde vom 20. Febr. 1350, Sabbato ante
diem Sti. Petri, schenkt Heinrich v. Hardisleben, Kanonikus zu
Bibra, dem Marienstifte in Erfurt eine Hufe mit einem Hofe in
Wenigen-Butstete. Über diese Schenkung stellen die Grafen Friedrich
imd Hermann von Orlamünde, Herren in Weymar, am 15. Juni
1350, in die Sti. Viti, dem Marienstifte in Erfurt einen Eigentums-
brief aus.
1366 Febr. 6 (Beyer, Urkundenbuch von Erfurt). Lutholff
Marschalk, gesessen zu Steinburg, genehmigt lehnsherrUch, daß Jo-
hann V. Pochzendorf — Puschendorf bei Pfiffelbach — und Anna
seine Frau dem Erfurter Bürger Dyther v. Topztete 2^1^ Malter
Weizen, 2^1^ Malter Hafer, 27 shill. Erfurter Pfennige imd 4 Hühner
jährlichen Zinses von 2 Hufen Artlands bei Wenigen-Buttstete für
70 Pfund Pfennige verkaufen.
Das Magdeburger Stadtarchiv enthält 3 Urkunden: 1385, am
Mittwoch nach S. Peter und Paul (5. Juli). Das Jungfrauenkloster
zu sente Martin vor Erforte in dem bruel verschreibt der Kloster-
jungfrau Katharlne Brückener 2 Pfund Geldes jährl. Zinsen an
verschiedenen Dörfern, darunter 872 shill. zu Wenigen-Buttstete, auf
Lebenszeit,
1385, Sonntag nach U.L.Frauen Empfängniß (10. Dez.) Hensel
V. Deren übereignet dem Augustiner - Kloster in Erfurt für eine
ewige Messe 2 Malter Korn, ewigen Zinses, auf einer Hufe zu
kleinen Butstete.
1386 Januar 1 genehmigt Landgraf Balthasar die vorstehende
Abtretung mit Vorbehalt älterer fürstlicher Ansprüche. Laut einer
Urkunde vom 25. Juni 1448 verkaufen Dechant und Kapitel U.L.Fr.-
Kirche in Erfurt das Dorf Wenigen-Buttstädt mit allen Zu-
gehörungen und Einwohnern, Gerichten etc., ausgenommen 8 Malter
jährl. Zinses, für 130 Mark lötigen Silbers, Erfurter Zeichens, auf
Wiederkauf an den Rat zu Buttstädt. Am 9. Juü desselben Jahrea
steUt das Kapitel U.L.Fr. einen Revers gegen die Käufer des Dorfes
aus, welche statt der Zahlung Bürgschaft gestellt und Pfänder hinter-
legt haben. (Erfurter Dom-Archiv.)
1542 bestand Wenigen-Buttstädt aus 19 Häusern; das steuer-
bare Vermögen betrug 1553 Gld. 11 gr.
des Großherzogtums Sachsen- Weimar. 249
Da die durch den SO-jährigen Krieg herbeigeführte Verödung
des Landes auch auf die Einnahmen des Staates von den traurigsten
Einflüssen war, Heß es sich Herzog Wilhelm schon gegen das Ende
des Krieges, ganz besonders aber nach dem Friedensschlüsse, an-
gelegen sein, die wüsten Güter wieder in Betrieb zu bringen durch
Wiederaufbau der zerstörten Hof reiten und den Verkauf herren-
losen Grundbesitzes an Fremde. Auch den Wiederaufbau von
Wenigen-Buttstädt hatte die Weimar. Regierung ins Auge gefaßt.
Schon 1679 wird, da sich Fremde zum Wiederaufbau gemeldet, in
dieser Richtung seitens der Fürstl. Regierung an den Rat zu Butt-
Btädt geschrieben und derselbe angewiesen, den jetzigen Besitzern zu
eröffnen, daß sie entweder die wüsten Hofstätten wieder aufbauen
oder dieselben nebst Zubehörungen verkaufen sollten. Die Kirche
müsse auch wieder aufgebaut werden, „denn Ihrer Durchlaucht
Interessen ruheten hierunter, daß sie Unterthanen hätte". Der Rat
reicht ein Verzeichnis ein, nach welchem die Hofstätten von Wenigen-
Buttstädt sämtlich im Besitz von Buttstädter Bürgern seien.
1698 am 2. September erfolgt wiederum eine Anfrage der Weimar.
Regierung beim Rat wegen Wiederaufbaues des Ortes Wenigen-
Buttstädt, da sich Fremde zum Wiederaufbau und Erwerbung der
Güter gemeldet. Der Rat erklärt, daß Wenigen-Buttstedt, das dem
Stift St.-Severi in Erfurt (1) gehört, vom Rate zu Buttstedt für
1000 (I!) Mark lötigen Silbers mit Zinsen und Ober- und Unter-
gerichten erkauft worden sei; mehr wie 20 Häuser seien daselbst
nie gewesen, die Feldgüter hätten nach Buttstädt gehört, die Flur
sei 130374 Acker groß gewesen. Schon 1683 sei aus Fürstl. Kammer
ein Befehl wegen Wiederaufbauung ergangen, allein man habe wegen
Brandes und Krankheit den Aufbau unterlassen müssen. Abtretung
von Hofstätten, welche Buttstädter Bürgern gehörten, seien nur um
viel Geld zu erlangen, was die fremden Bauern, die den Wieder-
aufbau vornehmen wollten, nicht besäßen.
Im September desselben Jahres melden sich auch Schul-
pfortaer Untertanen zum Wiederaufbau; unterm 7. Oktober aber
lehnt der Rat jeden Verkauf von Ackern an P'remde ab. 1699 am
21. August melden sich wieder zu demselben Zwecke „einige In-
wohner zu Pöppeln", werden aber unterm 2. Novbr. von Fürstl.
Kammer abgewiesen, wahrscheinlich weil sie nicht die erforderlichen
Geldmittel besessen. Seitdem ist von einem Wiederaufbau nicht
mehr die Rede. Die Flur blieb mit Buttstädt vereinigt, die Orts-
lage wird jetzt durch Gärten und blühende Obstanlagen gebildet.
Da, wo die Straße von Buttstädt nach Großbrembach die Staats-
chaussee Weimar- Buttelstedt-Cölleda trifft, befindet sich die Wüstung
Hauthal die, durch den Grafenkrieg herbeigeführt, noch jetzt durch
250 I^J6 Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
einen Brunnen und einige alte Linden — im Volksmund Hotelinden
— kenntlich gemacht wird; auch einzelne Mauerreste finden sich
vor. Schon zu Ende des 14. Jahrhunderts war Hauthal — Hewen-
thal — Wüstung, wie sich aus dem roten Buche ergibt, wo es „das
wüste dorff" genannt wird. In der Flur Buttstädt befand sich bis
zur Grundstückszusammenlegung ein nach Großbrembach führender
Weg, der Hotelweg, und eine Flurbezeichnung : zwischen dem Hotel-
wege und Großbrembacher Wege. 1297 wird Howental erwähnt in
einer Urkunde — März — in welcher Albrecht, Landgi'äf in Thü-
ringen, ^/g Hufe „in campis ville Howetal situm", die Heidenreich
V. Groß und dessen Bruder Berthold ihm aufgelassen haben, dem
Kloster Pforta eignet.
Im Jahre 1310 gibt Propst Heidenreich dem Kloster Heusdorf
3 Mark Zins in Hewenthal (Rein, Kloster Heusdorf). Laut Urkunde
vom 17. Septbr. 1349 verkaufen Conrad v. Aldenkerchen und dessen
Frau Adelheid nebst ihren Söhnen Vg Hufe „in campis viUe Howe-
tal für I6V2 Mark Silbers, Erfurter Gewichts, an den Priester Theo-
doricus de Brambach. Theodoricus und Berthold fratres, vicedomini
de Appoldia, geben als Lehnsherren ihre Zustimmung. Im Jahre
1422 schenkt Andreas Eeiche Land im Felde zu Houwental an
zwei Nonnen in Oberweimar. Jetzt gehört die Wüstung ganz zu
Großbrembach.
Rödchen, 3 km nordöstlich (nicht östlich, wie Alberti meint)
von Eastenberg, ebenfalls im Bruderkriege zerstört. Im roten Buche
von Weimar heißt es: Rödechin bie Eaßinborg; da habin unßir
heren — die Landgrafen — ynne czu rechten erbeczinse 3 talente
5 seh. den. Mich. Item daselbins uff ostern 9 sex. ovor. (9 Schock
Eier) cinses Mich. Item daselbins 45 hunire cynße Mich. Item ouch
habin sie da frondinst, alle gerichte unde recht yn felde vnde in
dorffe. In einer Urkunde von I6O8 Okt. 6 werden die Güter bei
Eastenberg als „am Eöderwege", „auf der EöderhÖhe" und „auf das
Eod stoßend" aufgeführt, und in der Flurkarte von Eastenberg
kommen noch jetzt die Benennungen vor: „zu Roda", „die Eodaer
Gärten", ,,am Eodaer Graben".
Südwestlich von Eastenberg, westlich von Hardisleben und
nördlich von Mannstedt resp. nordöstlich von Gutmannshausen lag
Rockstedt. Die gewöhnliche Annahme, daß der Ort im Bruderkriege
untergegangen, ist unrichtig, denn bereits im roten Buche (um 1380)
wird Eockstedt als wüstes Dorf bezeichnet. Es heißt dort: „Ouch
habin sie — die Landgrafen — daz wüste dorff Eochstete gelegin
danebin — neben Gutmannshausen — da sie alle gerichte habin yn
felde unde yn dorffe." Franke bemerkt dazu: Wüstung nördlich
— richtiger nordöstlich — von Gutmannshausen, erwähnt in einer
Urkunde des Erzbischofs Konrad v. Mainz 1193. Im Jahre 1554
des Großherzogtums Sachsen-Weimar. 251
Jan. 29 verleiht Johann Friedrich Herzog zu Sachsen seinem Ge-
treuen Caspar Worm Land zu Rockstedt. Im Dresdener Register
heißt es : „Item haben meyne herrn 6 huner zcinß an gericht." Nach
dem Weimar. Staatshandbuch von 1843 soll Rockstedt das 780 und
874 erwähnte [Tjricasti resp. [TJricusti sein, was sehr zweifelhaft
erscheint, da von den daneben aufgeführten Orten keiner in die
Gegend paßt. Erwähnt wird Rockstedt in einer Urkunde von 1580
Sept. 6, nach welcher Georg Rudolf Marschalk zu Gutenshusen der
Gemeinde Mannstedt die Schenkstatt daselbst gegen einen jährlichen
Zins von 12 fl. überläßt, wogegen die Anspanner und Hintersiedler
Spann- und Frondienste in Gutmannshausen und Rockstedt über-
nehmen wollen. Bestätigt wird der Vertrag unterm 18. Sept. 1580
vom Grafen Ludwig von Gleichen, Herrn zu Blankenhain. — In einer
Urkunde von 1609 Okt. 6 bekennt Ludwig Wurmb zu Wolkrams-
hausen, daß er als Stellvertreter des Kurfürsten von Sachsen den
Hans Bartholdt mit Gütern bei Rastenberg beliehen habe, darunter
Grundstücke „in Rockstedt", „auf der Rockstedter Höhe" etc. Die
Flurkarte von Rastenberg weist nach Gutmannshausen-Olbersleben
hin die Flurbezeichnungen nach: „zu Rockstedt" und „am Rock-
stedter Berge". Nach der Zerstörung des Ortes scheinen sich die
Bewohner zerstreut zu haben, denn die Flur Rockstedt ist unter
Gutmannshausen, Mannstedt und Olbersleben geteilt. — Über die
Wüstung Hohenlindeu, in Gutmannshausen aufgegangen und nach
Olbersleben hin gelegen, hat sich Urkundliches nicht ermitteln lassen;
der Bruderkrieg hat auch diese Wüstung geschaffen.
Etwa 2 km westlich von Buttelstedt, nach Krautheim hin, be-
fand sich noch bis zur Mitte des vorigen (19.) Jahrhunderts eine
Schäferei mit ummauertem Platz (Kirchhof), welche die Stelle des
ehemaligen Dorfes Oberndorf bezeichneten. Es lag auf der Höhe
am rechten (nördlichen) Ufer der Scherkonde und soll neben Wenigen-
Buttstädt einer der wenigen Orte sein, die ihren Untergang im
30-jährigen Kriege gefunden, indem es 1641, nach Kronfeld, durch
kaiserliche Soldaten völlig zerstört worden sein soll. Später scheint
eine notdürftige Wiederherstellung der Kirche und einiger Häuser
stattgefunden zu haben, die aber allmählich wieder eingingen, bis
nur die Schäferei mit Wohnhaus und StaUung übrigblieb. Auch
diese Reste sind durch die Grundstückszusammenlegung 1856 ver-
schwunden und nur die Flurdistriktsbezeichnungen bestehen noch:
„über Oberndorf", „hinter Oberndorf", „der alte Markt"»). Nach
1) Von der Kirche waren noch einige Mauerreste und die etwa
IV2 Dl lange Altarplatte vorhanden, die durch den damaligen Be-
sitzer des Grundstückes, Graneß, nach Buttelstedt geschafft wurde
und vor dessen Haustür liegt.
252 I^ie Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
Schumanns Weimar. Landeskunde soU Oberndorf ehemals ein Wall-
fahrtsort gewesen sein. Bedenken gegen die Richtigkeit der Angabe
Kronfelds über die Zeit der Zerstörung des Ortes könnte der um-
stand erregen, daß in dem etwa 1381 aufgestellten Verzeichnis der
Termineien der Erfurter Augustiner-Einsiedler der Ort Oberndorf in
der Terminei Bottilstete nicht genannt wird, während alle übrigen
Kirchen und Dörfer in der Nähe aufgeführt sind. Sollte der Ort
schon im Grafenkriege seinen Untergang gefunden haben!
In einer Urkunde von 1333 wird unter den betepflichtigen
Grundstücken im Distrikt Bottilstete auch Obirndorf aufgeführt.
1554 Okt. 16 wird Albrecht v. Meusebach von Herzog Joh. Friedrich
dem Mittleren, Joh. Wilhelm und Joh. Friedrich dem Jüngeren mit
Lehen, Zinsen und Gütern in Buttelstedt, Oberndorf, Krautheim etc.
begabt. — In den Aufzeichnungen des landgräflichen Oberschreibers
(Kanzlers) Thomas v. Buttelstedt 1440—1443 heißt es unter den
Zugehörungen zu Buttelstedt (Diss ist unser gnedigen hem — der
herczogen czugehorunge zu Bottelstete) : „item die von Obirndorff
gebin 36 Schillinge."
Kornberg, das Werneburg als Wüstung zwischen Berlstedt
und Schwerstedt erwähnt, wird anderwärts nirgends genannt und
weder in den Karten noch Volkserinnerung findet sich eine Spur.
Beim Dorfe Leutenthal, und zwar nach Daasdorf b./B. zu, wo
der von Großobringen herabfUeßende Bach sich in die Scheekonde
ergießt, lag ein Ort Neuenstete, eingegangen vielleicht schon im
Grafenkriege, denn im Augustiner-Termineiverzeichnis kommt der
Ort nicht mehr vor, und in einer Urkunde von 1359 wird er schon
als wüstes Dorf bezeichnet (s. Alberti, Bd. XXIIl, S. 410 der Zeit-
schrift).
In Urkunde von 1367 am Sonntage nach der Geburt Mariae
heißt es : „supra weitgelt (Waidgeld) in pago villae, quondam dictae
Nuestete". Am Wege nach Daasdorf und an der Scheekonde noch
die Flurbeuennungen „am Naustädter Anger", „die Naustädter
Wiesen" und „in der Hofstätte". Bis zur Grundstückszusammen-
legung soll noch ein großer Stein an der Stelle des Dorfes gestanden
haben, den die Bewohner von Leutenthal für einen Gedenkstein des
Gottesackers hielten.
In dem Wiesengrunde zwischen Großobringen und Leutenthal
verzeichnet die Generalstabskarte eine „Wüstung Samsborn". Die
alte Flurkarte von Großobringen hat dort noch die Distrikts bezeich-
nung „im Samstborne", und bei den Bewohnern von Großobringen
hat sich die Kunde von einem untergegangenen Orte erhalten, dessen
Stätte sich in dem von einem Bächlein durchflossenen Wiesengrunde
ungefähr noch erkennen läßt. Urkundliches hat sich nicht ge-«
des Großherzogtums Sachsen-Weimar. 253
funden, der Untergang hat vielleicht wie bei Neuenstete schon im
Grafenkriege stattgefunden, denn auch diesen Ort nennt das Terminei-
verzeichnis nicht mehr.
Nördlich von Großbrembach die Wüstung Ebsdorf, früher
Ebersdorf, die im roten Buche von Weimar als zum Stuhl (Gericht)
Vogelsberg gehörig bezeichnet wird, ebenso wie FüUborn — vylborn.
1433 erhält die Georgenbrüderschaft in Weimar Land in der Flur
zu Ebirsdorff und Brantpach. In einem alten Zinsverzeichnis aus
dem Anfang des 15. Jahrhunderts werden Zinsen in Fulborn — vil-
bom — , Ebsdorf — ebersdorff — und Nermsdorf als „Windisch
Gut" bezeichnet.
Füllborn, Fölborn — vylborn — lag zwischen Groß- imd Klein-
brembach zwischen der Verbindungsstraße beider Orte und der
Scherkonde, wo noch jetzt die Benennungen „im Füllborner Grunde"
und „bei der Füllborner Linde" bestehen. In einer Pfortaer Urkunde
von 1521 Jan. 29 (Böhme, Urk. — B), ausgestellt in Nordhausen, ver-
kauft das Stift zum heil. Kreuz in Nordhausen eine Wiese in Vilborn
— pratum situm in Vilburne — für 6 Mark Silber an das Kloster
Pforta. In der Überschrift zur Urkunde heißt es : „de prato, juxta
brantbach". Nach Wolff ist diese Wiese des Klosters Pforta dieselbe,
die in Urkunden von 1264, 1267 und 1274 erwähnt wird als : ,.pratum
Portense", oder „apud pratum ejusdem ecclesie in Brantbach" etc. etc.
Ob die Zerstörung der Orte im Grafen- oder im Bruderkriege statt-
gefunden, läßt sich mit Sicherheit nicht nachweisen.
Das nahegelegene Brembach (brantbach, brampach) wird schon
im 8. Jahrhundert als dem Kloster in Hersfeld zehntpflichtig er-
wähnt, 876 dem Kloster Fulda zinspflichtig; daß Füllborn ebenso
alt, läßt sich bezweifeln.
In Groß- und Kleinneuhausen, sowie zum Teil auch in Cölleda
ist aufgegangen die bis zur Grundstückszusammenlegung nach der
Mitte des 19. Jahrhunderts als selbständige Flur bestandene Mark
Wallendorf. Dieselbe grenzte, auf dem rechten Ufer der Lossa
gelegen, an die Fluren Vogelsberg, Orlishausen, Groß- und Klein-
neuhausen, sowie Cölleda. Urkundliches über den Ort findet sich
nicht; die Zerstörung soll im 30-jährigen Kriege stattgefunden
haben, wahrscheinücher jedoch bereits im Grafenkriege (1342), in
welchem auch das angrenzende Bussindorf, Pissendorf unterging.
Im Weimar. Staatshandbuch wird bei Großneuhausen noch eine
Wüstung Altbansen aufgeführt, über die sich Urkundliches auch
nicht ermitteln läßt, die aber in Gegensatz tritt zu Neu hausen.
Neben dem älteren Orte ist wahrscheinlich in vorteilhafterer Lage ein
neues Hausen angelegt worden, das ältere allmählich eingegangen
während der neuere Ort sich später in ein Groß- und Klein-Neu-
254 I^ie Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
hausen entwickelte. Da Neuhausen — Nihusna — schon am Ende
des 8. Jahrhunderts genannt wird, dürfte Althausen wohl eine der
ältesten Ansiedelungen sein.
Dahingegen läßt sich nachweisen bei Großneuhausen eine
Wüstung Bissings- oder Beßing'sdorf, In Urkunden des 16.
und 17. Jahrhunderts werden der „Bißing-Hof und die ^Bißing-
Güter" erwähnt, und noch heute heißt ein Flurdistrikt nach Back-
leben (preußische Grenze) hin : „In Bisdorf . Der Zerstörung wird es
anheimgefallen sein, gleich den meisten Orten der dortigen Gegend,
im Bruderkriege.
Im roten Buche von Weimar (herausg. von Otto Franke) wird ge-
sagt S. 46: „item ouch habin sie (die Landgrafen) daselbinst yn deme
phul da man antvögel ynnestellit czu Bussindorff yn erme (ihrem)
eygingerichte, d. h. im Stuhl, Gericht, zu Vogelsberg". Bussindorf,
jetzt Wüstung Pissendorf lag im Riete auf dem linken Ufer der
Lossa am Wege von Vogelsberg — nördUch — nach Cölleda. An
Pissendorf — das mit Vogelsberg vereinigt ist — grenzte nordösthch
die Mark Wallendorf; noch jetzt existiert nach Kleinneuhausen zu
die Flurbezeichnung: „wüste Mark Wallendorf ". Daß schon zu Ende
des 14. Jahrhunderts das Dorf wüst gewesen, erfahren wir auch aus
dem roten Buche, in welchem es heißt : „Bussindorff, yn dem wüsten
dorffe, da habin imssir heren — die Landgrafen — alle gerichte und
recht, unde nymant myt yn." Die Zerstörung fällt also in den
Grafenkrieg 1345, wofür auch das spricht, daß der Ort in dem Ver-
zeichnis der Termineien der Erfurter Augustiner- Einsiedler nicht mehr
aufgeführt ist.
Dahingegen wird in diesem Verzeichnis unter der Termin ei
Cölleda der Ort Stelborn, Stölborn, Steilbom, aufgeführt, der^
damals noch bestehend, erst im Bruderkriege seinen Untergang ge-
funden hat. Stölbjrn liegt 37? km südlich von Vogelsberg, 47^ km
von Neumark. Der große, schön übermauerte Dorfbrunnen besteht
heute noch. — 1379 April 24 versetzt Otto Graf von Orlamünde, für
einige Grafen von Schwarzburg seine Korngilde zu Brerabach und
Steilborn mit Gericht und Zinsen an die weisen Leute Harrich und
Diethrich und ern Hartmann, Bürger zu Erfurt, für 400 Mk. Silber.
Im roten Buche heißt es: „Gräfe Hans von Swarzburg hat von
myme hern etc. etc. etc. item czu Steylborn 7 phund geldis". In
Urkunde von 1395 Okt. 3, dem Vertrag des Markgrafen Wilhelm
von Meißen mit den Erfurtern, Schiedsgericht betreffend, werden die
Dörfer Brampach (Groß-), Brampich (Klein-), Stailborn, Spreten und
Eychilborn „der sich die von Erforde und die iren undirczogin haben",
(angemaßt haben), erwähnt, und aus dem Friedensvertrag zwischen
Markgraf Wilhelm und der Stadt Erfurt von 1396 Novbr. 24, ver-
des Großherzogtums Sachsen-Weimar. 255
mittelt durch Landgraf Balthasar, den Mainzischen Provisor Lodewig
zu Weißensee und den Kat zu Mühlhausen geht hervor, daß die vier
erstgenannten Dörfer von Graf Hans von Schwarzburg an Landgraf
Balthasar gekommen sind und daß die — d. h. der Rat — von Er-
furt „und die yren von hern Wilhelm vorgenant und den synen
unbeteidingt (d. h. unbehelligt) bliben sollen". Das Recht der Er-
furter auf die vier Dörfer ward also von den Schiedsrichtern aner-
kanut. In einer Urkunde von 1271 Jan. 9 des Klosters Heußdorf
wird eine Jutte von Steilborn als Käuferin von 4^2 Hufen in Brant-
pach genannt.
Noch eine Wüstung Neißig: erw^ähnt das Weimar. Staatshand-
buch bei Kleinbrembach, und Schumann, Weimar. Landeskunde,
sagt kurz beim Dorfe Kleinbrembach: „in der südlichen Nähe die
Wüstung Neißig", also nach Thal born hin, wo allerdings eine Stelle,
an der ein Dorf gestanden haben kann. Etwas UrkundUches war
nicht zu ermitteln. In den alten Karten von Neumark, nach Vogels-
berg und Kleinbrembach hin und dicht an der Vogelsberger Grenze,
findet sich die Flurbezeichnung „zu Neußig" und „die Neußische
Straße".
f) WüstuDgen bei Sohloßvippach-Sömmerda.
Zwischen Schloßvippach und Sprötau, etwa 2^1^ km von beiden
Orten entfernt, befindet sich, vom Wege und einem kleinen Bach durch-
schnitten, eine Stelle, an der heute noch eine Dorflage zu erkennen
ist, die Stätte des ehemaligen Dorfes Kaltenborn , im Volksmunde
Kalbern. Beim Pflügen fortwährend zutage geförderte Ziegelstücke
deuten auf den (etwas erhöhten) Platz der Kirche hin, deren Glocken
nach der an so vielen Orten verbreiteten Sage von Schweinen aus-
gewühlt worden sein sollen. Bis zur Grundstückszusammenlegung
war die Ortslage bezüglich der einzelnen Grundstücke noch deutlich
sichtbar. Kaltenborn dürfte wohl zu den ältesten Orten Thüringens
gehören, falls darunter das von Stechele (Bd. IX, S. 131 dieser Zeit-
schrift) angeführte Katonbure (874) verstanden werden könnte. In
einer Jenaer Urkunde (Martin, Urk., Bd. I, S. 9) von 1257 Aug. 7
wird unter den Zeugen : dominus Conradus de Caldenburnen an erster
Stelle aufgeführt, worunter der Sachlage nach nur unser Kaltenborn
verstanden werken kann. Im Archidiakonatsregister von Thüringen,
Registr. subsidii (Wenck, Hessische Landesgeschichte) wird in sedes
Summerde auch Kaltenborn mitaufgeführt. Im roten Buche heißt
es: Kaldinborn, in dem dorffe da habin unssir heren — die Land-
grafen — gerichte und recht, unde gehören czu gerichte yn den stol
czu Voylsburg. Item ouch habin sie daselbinst dinst und frondinst.
256 I^iß Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
Item ouch habin sie daselbinst 20 maldir Kornguld und 20 malder
ordei (Gerste) jerlichen. — Bis zur Grundstückszusammenlegung
(1860) wurde jährlich im Juli, am Donnerstag nach Margarethen, in
der Flur Kalten born mit Sprötau ein Rügegericht über Feld- und
Grenzangelegenheiten abgehalten, da eine besondere Flurgenossen-
schaft noch bestand. Der Zerstörung anheimgefallen ist der Ort im
Bruderkriege.
Das rote Buch führt auf S. 58 an: Item die Kotelinge ist der
herrn mit dem gericht. Über den Ort Eoteling'eu, dessen Stelle
heute noch gut nachweisbar ist, setzen wir das hierher, was darüber
Pfarrer Alberti in Bd. XV, S. 574 erschöpfend und berichtigend aus-
geführt hat: „Kotelingen war ehemals ein Dorf bei Vippachedel-
hausen, welches Werneburg S. 62 fälschlich zwischen Vippachedel-
hausen und Thalborn setzt, und dem v. Tettau im Jahrb. d. Kön.
Akad. gemeinnütz. Wissenschaften zu Erfurt, Bd. XIV, S. 159 darin
nachgefolgt ist. Es lag in Wirklichkeit zwischen Vippachedelhausen
und Ballstedt, ^/^ Std. südlich von Vippach, links am Wege nach
Ballstedt, wo noch jetzt ein Flurteil von Vippachedelhausen „in
der Kötteling" heißt. Nach v. Tettau a. a. O. leistet Landgraf Al-
brecht von Thüringen im Jahre 1270 Verzicht auf 1 Hufe zu Kote-
lingen, welche das Stift S. Severi in Erfurt von Helferich v. Berlstete
erkauft hat (Archiv der Marienkirche in Erfurt). Bei Würdtwein
Thuringia et Eichsfeldia in archidiaconatus distincta commentatio,
I, S. 80 heißt es: „Ad capellam S. Petri in Kottelingen nuncupatam
extra villam Vippich-Fedilhusen sitam inst. Georgius Knauff, per
abbatem Vallis S. Georgii praesent". Im Registr. subsidü des Jahres
1 506 wird die Capella Kottilingen (zum sedes Oltendorf gehörig) auf-
geführt. Zerstört wurde der Ort im Bruderkriege, die Kapelle allein
scheint länger erhalten geblieben zu sein.
Zwischen Schloßvippach und Sömmerda befanden sich 3 Dörfer,
die vielfach zusammen genannt werden, von denen aber nur zwei:
Ober- und Kieder-Marbach, im Großherzogtum Sachsen — Flur
Schloßvippach — eins, Eanstedt, im Königreich Preußen —
Flur Sömmerda — liegen. 1230 eignet Landgraf Heinrich (Raspo)
dem Kloster Ichtershausen 1 Hufe in Martbech. In einer Erfurter
Urkunde von 1322 Dez. 10 erscheint unter den Zeugen : Conradus
de Marpeche clericus, der 1323 Juli 28 wiederum vorkommt. 1328
Juni 7 belehnt Günther, Graf v. Kevernburg, Dittmar und Heinrich
V. Martbeche, Gebrüder, zu Stuternheim mit einer Hufe zu Marbach.
In einsr Pfortaer Urkunde (1345) über Verkauf von Gütern in
Endeleben kommt unter den Zeugen auch ein frater Hermann de
Martpeche vor. Ernst Graf von Gleichen verleiht 1350 Nov. 11 dem
Bürger Dietrich Unsote in Erfurt Kornzinsen in Marbach ; 1379
März 1 verkaufen Kunne v. Sömmerda und Claus v. Kerchheim
des Großherzogtums Sachsen-Weimar. 257
Güter in Ranstedt und Martpeche an Albrecht, Otto und Friedrich,
Gebrüder, Herrn zu Vippach für 26 Pfund Pfennige. 1387 Nov. 25
verkauft der vorgenannte Otto v. Vipeche dem Rat zu Erfurt Schloß
und Ort Vippach, sowie die Dörfer und Gerichte in Ranstedt, über-
und Xieder-Marpach ; und kurze Zeit darauf, 1388 März 20, schreibt
derselbe dem Abte zu Fulda, daß er aus dringender Not das Dorf
Nieder-Marpeche ganz, die Dörfer Obern-Marpech und Ranstete je
zu ^/^ mit allen Gerechtigkeiten und Gerichten dem Rate zu Erfurt
verkauft habe, und bittet diesen damit zu belehnen. Alle 3 Dörfer
waren fuldaisches Lehn. Auch die Herren von Taunroda waren
in Schloßvippach und Marbach begütert. In ersterem Orte noch
heute die Benennung ,,im Tannrodaer Teiche". 1393 Juli 17 be-
kennen Conrad von Tannroda, herre zcu Stußforte, Conrad der eider
und Conrad der junge von Tannroda, seine Söhne, daß sie ihren
Teil am Gerichte und Kirchlehn zu Marbach an den Rat zu Erfurt
verkauft haben, welchen Verkauf Heinrich Graf v. Hoenstein etc.
und Heinrich und Ernst, seine Söhne, auf Bitten seines Schwagers
Conrad v. Tannroda 1394 Jan. 9 gewährleisten. 1469 verkaufen
mehrere Bauern in ,,Lawenvipeche und Obern marbeche" Zins an
einen Erfurter Bürger. Vippach, Martbeche und Ranstedt kommen
auch im Verzeichnis der Termineien der Erfurter Augustiner, als zu
Weißensee gehörig, vor (1381) und erscheinen ebenso im Registr.
subsidü (15U6), wo Ranstedt und Niedermarbach zur sedes Sömmerda,
Obermarbach aber zu Gutmannshausen gerechnet wird. Die 3 Orte,
wohl auch im Bruderkriege zerstört, sollen 1528 noch nicht ganz
wüst gewesen sein. In Schloßvippach wird der Untergang der Orte
der Pest zur Last gelegt. 1529 herrschte — nach Müller — aller-
dings in den sächsischen Ländern eine pestartige Seuche, der eng-
lische Schweiß genannt. — Eine Wüstung Unter-Marbach ist mir
an Ort und Stelle nicht bekannt geworden.
In der Flur Kranichborn befinden sich 2 Wüstungen Hohen-
berg-en und Herbisdorf, über die sich Urkundliches nicht hat er-
mitteln lassen (Werneburg, S. 99 nennt nach v. Hagke die Wü-
stung Herbelsdorf und gibt die Jahreszahl 1543 an, verlegt den Ort
auch fälschlich nach Preußen). Hohenbergen lag östlich von Kranich-
born, wo noch heute die Flurbenennung: „Auf Hohen-Bergen'" —
aber nicht südwestUch von Rohrborn, wie Werneburg angibt — ,
Herbisdorf lag westhch von Kranichborn nach Werningshausen
hin. Dort war bis zur Grundstückszusammenlegung die Dorflage
noch vorhanden, wie sie die beigefügte Zeichnung (Fig. 15) nachweist;
die Hofstättenplätze (Gärten etc.) hießen : „die Höfchen" ^). Die sla-
1) In einem Berichte an die Fürstl. Kammer in Weimar vom
19. Sept. 1738 heißt es: „die wüste Herbsdorfer Marke, so vor diesem
XXVIL 17
258 I^ie Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
vische Dorfanlage ist unverkennbar ; dort waren jedenfalls die unter-
worfenen Wenden angesiedelt. Große Ähnlicbkeit hat die Orts-
anlage mit der von EQeinroda bei Weimar.
Herbisdorf.
1Ö30.
'/irccmcfi^orTi
Fig. 15.
1343 verkaufen der Propst Heinrich, die Priorissa Margarethe
und der ganze Konvent des Neuwerk-Klosters in Erfurt ihren Mit-
schwestern Wunne von Halle und Wunne von Wechmar auf beider
Lebenszeit 25 Schillinge Erfurter Währ aus einer fuldaischen Hufe
— 40 Acker — zu Herboldisdorf bei Craynborn. 1483 werden Georg
und Thilo v. d. Sachsen mit Gütern in Cranichborn und Herbs-
dorf belehnt. Nach Hellbachs Archiv für Geographie und Geschichte
der Grafschaft Gleichen, I, 209 ff. wurden nach Aussterben der
Grafen von Gleichen die Grafen von Hohenlohe außer anderen Be-
sitzungen auch mit Herbelsdorf belehnt, 1709 Febr. 28, „mit der
Kirche, den Ackern und was dazu gehört". 1738 wurde der Wieder-
aufbau des Ortes von abgedankten Soldaten beabsichtigt, resp. be-
antragt, jedoch die fürstliche Genehmigung dazu versagt. Ehemals
Hoff gen soll genannt gewesen sein" und weiter: „Herbsdorf oder
Höfgen vorgenannt".
des Großherzogtums Sachsen-Weimar. 259
war H. Filial von Kranichborn, weshalb der Pfarrer daselbst noch
Haferzinsen von den Besitzern von Grundstücken der Flur Herbis-
dorf erhielt. Ob die Zerstörung des Ortes schon im Bruderkriege
erfolgt ist, erscheint ungewiß.
Auch Haßleben enthält 2 Wüstungen: Moßendorf und Eude-
leben, von denen Werneburg nur die letzte angibt; bei Kron-
feld II, S. 82 wird Moßendorf aufgeführt. Moßendorf lag süd-
östlich von Haßleben, die Flurbezeichnung ,,in Moßendorf" besteht
heute noch in Karten und Flurbüchern. — Endeleben, nach Leh-
feldt 1 km nördlich von Haßleben, nach Vehra hin, soll 1543 noch
als Dorf bestanden haben, was sehr zweifelhaft ist, da die Zerstörung
des Ortes in den Bruderkrieg fällt. Die Dorfflur wird, nach den
Bezeichnungen in Büchern und Karten, sehr umfängHch gewesen
sein. Noch bestehen die Flurbezeichnungen : „das Endelebener Feld",
„der Endelebener Anger", „der Kirchhof". Begütert war in Ende-
leben das Kloster Pforta, von welchem im 14. Jahrhundert viele
Erwerbungen nachgewiesen sind, Böhme, Pfortener Urk.-B. 1300
Mai 15 eignet Graf Heinrich von Gleichenstein 3 Acker bei Vehra
dem Kloster Pforta zu, die Hermann v. Emundeleben für 6 Pfd. Er-
furter Denare gekauft hat. Verkäufe von Ländereien und Höfen
an das Kloster finden vielfach statt, so 1317 Aug. 10 3 Höfe und
je 17 Acker in den drei Eudelebener Feldern durch Johann v. Can-
bur (Cannawurf ?), Hugo in Ballhausen und die Söhne Herimanns
von Herbsleben für 10 Pfd. Erfurter Pfennige, welche Berthold von
Nordhausen von ihnen zu Lehen hat, und weitere 5 Acker, die nach
dem Tode des jetzigen Besitzers an das Kloster übergehen sollen.
1320 März 1 eignet Hermann Graf v. Gleichen dem Kl. Pforta die
Besitzungen in Emendelybin zu , welche die Knappen (armigeri)
Berthold Wustefeld und Dietrich ßintfraß demselben verkauft haben,
und 1320 Sept. 13 wiederum 5 Hufen und 10 Acker nebst Zinsen
für 84 Mk. Silber, und außerdem noch ^2 Hufe; 1323 Juni 3 eignen
die Brüder Eudolf und Johann v. Herbsleben dem Kloster „eyne
Gelenge" von 5 Ackern zu ; 1324 März 8 Hugo v. Ballhausen 1 Haus,
Hof, Garten und 4 Acker Feld ; 1326 Nov. 9 die Brüder Rud., Joh.
und Heinr. v. Herbsleben 1 Hufe „in Emudisleyben", und 1333
Mai 30 noch 2 Hufen. Aber schon 12 Jahre später, 1345 Aug. 1
muß das Kloster Schulden halber dem Pleban Hermann von Hoch-
dorf resp. dem Augustinerkloster in Erfurt 4 Hufen und 1 Hof in
Endeleben für 56 Mk. verkaufen. In verschiedenen Pfortaer Urkunden
kommen unter den Zeugen Besitzer und GeistUche von Endeleben
vor, so 1286 Albert von Emmendeleiben, 1299 März 22 Heinricus
viceplebanus in Emundisleuben ; 1301 Jan. 17 Albertus junior de Emund-
leuben ; 1315 Sept. 1 Hermann Creye de Emindeleybin ; 1324 April 2ä
17*
260 Die Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
Albertus dictus Nacht et Rapoto de Emdeleybin, — Daß die Zer-
störung des Ortes in den Bruderkrieg fällt, geht auch daraus hervor,
daß derselbe noch im Verzeichnis der Termineien der Erfurter
Augustiner 1381 vorkommt, aber nicht mehr im Eegistr. subsidii 1506.
Die an Haßleben angrenzende Flur Alperstedt enthält 2 Wü-
stungen: nach Süden 4 km Neuendorf, nach Osten 3 km Zellen-
dorf, zwischen Alperstedt und Großrudestedt ; beide Jagen an einem
von Stotternheim herabfließenden Bache, ,,die Klinge", der sich in
die Gramme ergoß. Die beiden Wüstungen hatten bis zur Grund-
stückszusammenlegung noch eigene Fluren und sind dann erst mit
Alperstedt vereinigt worden. In Urkunde von 1534 Nov. 24 tun
die Räte des Kurfürsten Joh. Friedrich kund, wie sie den Frantz
V. d. Sachsa und die Gemeinde Alperstedt mit Christoph Georg
und Eoban Ziegler wegen verschiedener Gerechtigkeiten an den
Wüstungen Neuendorf und Czellendorf nach Gehör der ältesten
Leute vertragen haben, worauf eine Neuversteinung der Flurgrenze
von Alperstedt und der beiden Wüstungen vorgenommen worden
sei. Weitere Streitigkeiten zwischen der Gemeinde Alperstedt und
der Famihe Ziegler in Erfurt, die auch noch im 18. Jahrhundert
das Rittergut in Alperstedt besaß, wegen der Trift in beiden Wü-
stungsfluren werden 1655 Juli 4 von der Fürstlichen Kanzlei in
Weimar zugunsten der Gemeinde entschieden. — Die Zerstörung
beider Orte ist im Bruderkriege erfolgt. Nach Urkunde im Archiv
der Weißfrauen (Ursulinerinnen) in Erfurt, 1296 Juni 28, setzen die
Gebrüder Ludolf und Hermann von Stotternheim ^i\ Hufen zu
Neuendorf zum Pfände, bis die von anderen erhobenen Ansprüche
an die Weißfrauen wegen einer diesen verkauften halben Hufe
Erledigung gefunden. Wigand, Provisor, und Elisabeth, Priorissa
(der Weißfrauen), rekognoszieren gerichtlich die von dem Erfurter
Bürger Gerhardt v. Tutelstete (Töttelstedt) mit 2^^ Hufen etc.,
in Neuendorf und Alperstedt gelegen, gestiftete Vikarie in ihrer
Kirche 1314 Dez. 20 (Mitteil. d. Vereins f. d. Gesch. u. Altertumsk.
von Erfurt). — Zellendorf wird 1410 erwähnt. 1693 Febr. 24
verkauft die Rentkammer Herzog Johann Georgs 67^ Acker Lehden
in der Zellendorfer Flur für 24 fl, an Phihpp Köhler in Alperstedt ;
jedenfalls infolge des 30-jährigen Krieges herrenlose und wüst ge-
wordene Grundstücke.
Zwischen den Dörfern Udestedt und Stotternheim befindet sich
ein alter runder, nicht sehr hoher Turm, wie es in der Karte zu
Werneburg heißt: „Turm des ehemaligen Klosters Barkhatisen".
Es ist dies unrichtig, trotzdem man in der Umgegend glaubt, daß
hier ein Kloster gestanden; es stand vielmehr hier bis ins 18. Jahr-
hundert ein Wirtschaftshof des dem Kloster Georgenthal gehörigen
des Großherzogtums Sachsen -Weimar. 261
sogenannten Georgenthaler Hofs in Erfurt. Noch bis in die letzte
Hälfte des 19. Jahrhunderts hielt die „Gewerkschaft — d. h. die
Flurgenossenschaft — Barkhausen" jährlich zu Pfingsten ein so-
lennes Hegegericht ab, und bis heute bildet B. eine besondere, mit
keiner anderen vereinigte Flur. Wir verweisen auf den im ßd. IV,
S. 331 ff. dieser Zeitschrift enthaltenen Aufsatz von Keinhold Schmid:
„Das Gericht der Gewerkschaft Barkhausen, ein Überbleibsel alt-
deutschen Gerichtswesens".;
g) Wüstungen in der Gegend bei Weimar, Berka,
Kranichfeld, Blankenhain, Magdala.
In der Flur des etwa 10 km südöstlich von Erfurt gelegenen
weimarischen Dorfes Klettbach befindet sich die Wüstung Heßel-
born, ungefähr 2 km südöstlich von Klettbach. Nach dem Weimar.
Staatshandbuch von 1843 soUen noch damals Trümmer des zerstörten
Dorfes vorhanden gewesen sein. In Dominicus, Erfurt, II, S. 218
(1793) heißt es : „In dem Thale unter dem Haarberge stößt man auf
einen Platz, welcher „die Hesselborner Schänke" genannt wird, und
der Überrest eines zerstörten Dorfes Heßelborn ist' , und weiter
S. 276: „Hesselborn in der Klettbacher Flur auf einer Anhöhe mit
einem noch vorhandenen Brunnen ; die Schenke steht am Wege nach
Tonndorf, und die Flurläufer (1680) gaben 5 Hofstätten an. „Die
Hesselborner Schenke", sagt Schumann (Weimar. Landeskunde, 1836),
„ist jetzt nur noch ein wüster Platz." Die Schenke stand unten im
Tale an der Straße, das Dörfchen lag auf der Höhe. In dem Augu-
stiner-Termineiverzeichnis wird als zur Terminei Tannrode gehörig
zwischen Nauendorf und Klettbach auch Heßelborn genannt. Eine
Notiz in der Zeitung Deutschland, Weimar, 24. Sept. 1893 besagt :
„In der Nähe von Nauendorf trifft man auf der Höhe ab und zu
noch auf die Überreste des im 30-jährigen Kriege dem Erdboden
gleichgemachten Dorfes Heßelborn. Einem Klettbacher Einwohner
stieß dort kürzüch folgender Unfall zu : Beim Steinabfahren — [es
werden anscheinend die Steine der alten Gebäude als Bausteine in
Klettbach verwendet) — verschwand plötzlich das Pferd des Land-
manns; es war nämlich durch ein altes Kellergewölbe gebrochen."
Eine Wüstung Wetterode oder W i 1 1 e r o d e befindet sich
unweit der vorigen in der Flur Hohenfelden, nach Eiechheim zu.
Kronfeld, II, S. 60 gibt an : ^|^ Stunde von Hohenfelden ist die Wü-
stung Witterode. Von dem ehemaligen Dorfe, dessen Untergangszeit
nicht zu bestimmen ist, ist noch der Brunnen erhalten, und bis 1850
waren die Trümmer der Kirche zu sehen; man fand beim Ein-
ebnen des betreffenden Grundstücks den Altar und den Fußboden
262 ^ie Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
der Kirche." Genau zu erkennen war die Lage des Ortes noch im
Jahre 1880. Auch Dominicus, Erfurt, II. S. 276 (1793) bestätigt,
daß Spuren von Straßen und der Kirche, der Brunnen und die
Linde bei der Schenke noch vorhanden gewesen ; von den Steinen
des Wetteroder Kirchturms sei die Kirche von Hohenfelden gebaut
worden; von Wetterode aus sei Nieder-Hohenfelden, jetzt Hohen-
felden, bevölkert worden.
In Urkunde von 1297 o. D. bekennen Volrad v. Kranichfeld
und sein Sohn Hermann, daß Theoderich v. Azmestete (Oßmann-
stedt) und sein Sohn Hermann 1 Hufe im Felde Witenrode, die sie
von ihnen zu Lehn gehabt, den Klosterfrauen in Berka geschenkt
haben. Vielleicht rührt von dieser Klostererwerbung der Berkaer
Pfarreizins in Hohenfelden. Das aus der ersten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts stammende Berkaer Erbzinsbuch bezeichnet mehrere zins-
pflichtige Grundstücke als „in Witterode", und „in Witterode bei der
Kirche" gelegen.
Da wo jetzt — auf s.-meiningischem Gebiet — die Hornmühle
steht, hat ehemals das von Niederhohenfelden aus gegründete Dorf,
jetzt Wüstung, Ober-Hohenfelden gestanden.
In der Urkunde von 1119 Mai 1, in welcher Graf Wichmann
der Marienkirche in Erfurt 10 Kirchen in Thüringen schenkt, werden
derselben auch 2 Waldungen mitzugeeignet, von denen die eine in
Diephenburnen liegt, die andere sich bis an die Feldflur —
campestria — Welemannesdorph erstreckt. Wo Welemannesdorph
gelegen, wird sich schwerlich nachweisen lassen, auf alle Fälle aber
nicht allzuweit von Erfurt. Dahingegen könnte sich die Lage von
Diephenburnen vielleicht ermitteln lassen. Gewöhnlich hält man
Diephenburnen für Tiefengruben, bei Berka und Tonndorf (so auch
Dobenecker, Reg., I, 238), aber schon EUe, Geschichte der Herrschaft
Berka, sagt mit Recht : „wahrscheinlicher aber deutet der Name auf
den noch heute bestehenden Forstbezirk Tiefborn am Wege von
Berka nach Troistedt" — resp. nach Gutendorf. — Da, wo die
Straße nach Troistedt sich von der nach Gutendorf durch den Tief-
born er Grund führenden abzweigt, hat dieser Grund eine Ausbuch-
tung, die wohl ein Dörfchen aufzunehmen imstande wäre. Das
Wasser der etwa l^/j km weiter westlich gelegenen Quelle — der
Tiefborn — läuft auf der südlichen Seite des Tales nach Berka hin ;
die auf der Südseite des Wiesengrundes sich hinziehenden, sanft an-
steigenden Höhen wären wohl zur Anlage von Gärten und Feldern
tauglich. Möglich aber könnte es immerhin sein, daß eine 74 km
weiter nach Südosten hin gelegene Verbreiterung des Grundes, an die
sich ebenes Feld anschheßt, dem, wie alle Ortsanlagen jener Zeit, nur
kleinen Dörfchen Platz gewährt hätte. Schon frühzeitig muß das-
des Großherzogtums Sachsen-Weimar. 263
selbe verschwunden sein, dem in der Urkunde von 1422 Juli 14,
nach welcher Kerstan von Witzleben mit Berka belehnt wird, werden
als Zugehörungen „München und andere wüste Dörfer" — Weyde-
hausen und Tiefborn — genannt.
Nach dem Staatshandbuch und nach Schumanns Landeskunde
liegt in der Flur Berka (lim) eine Wüstung Weydehauseii , die
auch Werneburg ohne nähere Angabe aufgenommen, derselben aber,
wie so vielen anderen, eine unrichtige Lage gegeben hat. In einer
Urkunde von 1280 o. D. schenkt die Gräfin Elsa v. Kabenswald,
Besitzerin von Berka, dem dortigen Nonnenkloster außer anderen
Gütern und Zinsen auch 4 Hufen zu Nieder- Weydehausen. Hierzu
sagt Elle in der Geschichte der Grafschaft Berka: „Im Volksbewußt-
sein hat sich auch nicht die mindeste Kunde von einer solchen
Wüstung und von der Ortschaft, die einst an ihrer Stelle gestanden,
erhalten, aber die alten Renten- und Steuerbücher von Berka reden
allerdings von Grundstücken in Weydehausen, und auch das jetzige
Kataster hat noch die Distriktsbezeichnung „in den Weydehäusern",
•oder „in der Weydigsgemeinde". Die Nummern der im Kataster
so bezeichneten Grundstücke weisen uns in die Gegend nach München
— Tannroda — zu. Im zweiten Berkaer Kopialbuche des Archivs zu
Weimar S. 86 vnrd angeführt: „Apel Vitzthums Lehns-Revers an
Mainz über einen Theil des Holzes Hart, das Dorf Nauendorff (Nauen-
dorf), eine Mühle genannt Weydehausen und das Dorf Saufeld
1440." Somit scheint Weydehausen eine Mühle weiter oben nach
Tonndorf zu und 1440 im Besitz der Herren von Tannroda befind-
lich, und Nieder- Weydehausen ein Weiler weiter unterwärts, wohl
nur aus wenig Häusern bestehend und zu Berka gehörig, gewesen
zu sein." Weydehausen lag also in dem Tale oberhalb, nordwestlich
München. „Der Name Weydhausen, Weydigshausen", fährt Elle
fort „ist nicht von Weide (Viehweide), oder Weidicht (kleines Ge-
hölz), sondern von Waid, Wayd, jener Farbepflanze, abzuleiten, die
vor Einführung des Indigo zum Blaufärben verwandt wurde." Werne-
burg verlegt den Ort fälschlich nach Tiefengruben zu. Da 1440 der
Ort noch bestand und den Vitztums gehörte wird die Zerstörung
wohl im Bruderkriege erfolgt sein.
Wüstung Ramsdorf, Ramstal, auch „das Dörfchen" genannt,
3 km südlich von Rittersdorf und südwestlich der meiningischen
Enklave Treppendorf, gehörte zum jetzigen Rittergute Tännich.
In einer Urkunde von 1534 Juni 8 wird Ramstall (Ramsdorf) als
Wüstung genannt, in Verbindung mit der Wüstung Newendorff
(Nauendorf, später wieder aufgebaut) und den Dörfern Ehrenstein
und Treppendorf. Auch hier scheint der Bruderkrieg den Unter-
gang des Ortes veranlaßt zu haben. Die Distriktsbenennung „im
264 Die Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
Ramsthal", nach Treppendorf hin, besteht noch. Im Augustiner-
Termineiverzeichnis wird Ramesdall vor Rittersdorf genannt.
Von einer Wüstung Markersdorf, zur meiningischen Enklave
Treppendorf, nördhch von diesem, gehörig, existieren noch Rudera
der Kirche, die den gotischen Bau erkennen lassen. Stechele,
Bd. IX, S. 133 dieser Zeitschrift, nimmt an, daß das 874 genannte
Meiskestorph unser Markersdorf sei, was immerhin möglich. Die
Zerstörung des Ortes soU im Bruderkriege stattgefunden haben, denn
in einer Urkunde von 1462 heißt es: „die Wüstung Markersdorf".
Aber in Verträgen über die Oberherrschaft Kranichfeld und einem
Verzeichnis der Laßäcker der Untertanen dieser Herrschaft von
1615 wird Markersdorf als selbständiger Ort neben Treppendorf ge-
nannt, scheint also damals nicht wüst gewesen zu sein, was daraus
zu erklären, daß manche Orte nach der Verwüstung im Bruder-
kriege wieder aufgebaut wurden. Im SO-jährigen Kriege hat die
endgültige Zerstörung stattgefunden. Auffallend ist es und läßt
einen Schluß auf eine noch frühere Verwüstung zu, daß in dem
Termineiverzeichnis der Erfurter Augustiner zwar Treppendorf und
Rittersdorf, aber nicht das dazwischen liegende Markersdorf auf-
geführt ist.
Südlich von Hochdorf bei Blankenhain Gabritz (Gaberwitz).
Topf, „Die Herrschaft Ober- und Niederkranichfeld" schreibt: „Nicht
weit von Hochdorf bezeichnete sonst ein steinernes Kreuz den Ort,
wo im Bruderkriege ein Gefecht stattgefunden und der Ort Gabritz
zu einer Wüstung gemacht sein soll." Es sind an dieser Stelle noch
Grundmauern und Steine gefunden worden. Die Bauart des Ortes
war, wie die Karte erkennen läßt, unbedingt slavisch. Aufgeführt
wird Gaberwitz im Termineiverzeichnis der Erfurter Augustiner
zwischen Neckerode (Nowekenrode) und Rettwitz (Repnitz). 1366
Febr. 8 (Erf. Urk.) verkaufen Berwig Ewe, Berwigs Sohn, seine
Ehefrau etc. ihre Lehngüter zu Großmonra, Lengefeld, Hoch-
dorf und Gaberwitz, die sie von Cuno v. Blankenhain zu Lehn
tragen, dem Kloster St. Martini im Brühl von Erfurt. — Noch be-
stehen in der Flur Hochdorf die Distriktsbenennungen: ,, hinter
Gabritz", „vor Gabritz" und „unter Gabritz".
Im Weimar. Staatshandbuch wird, als zur Flur Lengefeld süd-
lich von Blankenhain gehörig, eine Wüstung Gerbersdorf an-
gegeben, von Lehfeldt und Werneburg ohne nähere Untersuchung
aufgenommen und von letzterem, wie so oft, an unrichtige Stelle
verlegt. Archivalische Nachrichten fehlen allerdmgs, in der Flur-
karte und den Flurbüchern von Lengefeld aber erscheinen zwischen
Kottenhain und dem meiningischen Rittergut Spahl die Distrikts-
benennungen „in Körpersdorf" und „unter Körpersdorf". Den Unter-
des Großherzogtums Sachsen-Weimar. 265
gang wird, wie bei sämtlichen Wüstungen dortiger Gegend, wohl
auch der Bruderkrieg herbeigeführt haben.
In die Flur üttstedt bei Magdala ist die Wüstung Eicher
(Eichorne) inbegriffen. Pfarrer C. Alberti, der auch die Stätte des
verloren gegangenen Sichmannsdorf ermittelt hat, weist treffend
nach, daß dieses Eichorne, in welchem laut Urkunde des Erz-
bischofs Konrad v. Mainz vom Jahre 1164 die Pfarrei Orlamünde
37^ Hufen besaß, bei Ottstedt b. Magdala gelegen habe und jetzt
im Volksmunde Echer genannt werde. Die Stelle des ehemaligen
Ortes war bis zur Grundstückszusammenlegung in den 60er Jahren
des vorigen Jahrhunderts durch Trümmerhaufen noch zu erkennen.
Bis zum Jahre 1851 hatte die Pfarrei Orlamünde die Lehen über die
Wüstungsgrundstücke, von welchen die Besitzer Erbzinsen dahin
entrichten mußten. Der Ort lag etwa 27^ km nordwestlich von
Ottstedt — nicht südöstlich, wie Werneburg angibt — utid es stieß
die Flur nördlich und östlich an Mellingen, südlich und östlich an
Ottstedt und Maina, westlich und nordwestlich an Linda. Da, wo
der alte Dorfbrunnen war, ist noch heule eine Quelle, deren Abfluß
in die Madel sich ergießt. Da Eichorne in dem Verzeichnis der
Termineien der Erfurter Augustiner nicht mehr vorkommt — trotz-
dem Ottstedt, Maina, Magdala etc. genannt werden — so läßt sich
annehmen, daß es um 1381 schon, also wohl im Grafenkriege, zer-
stört worden ist. Nach einer Überlieferung in Ottstedt soll Eicher
nur 8 Häuser gehabt haben; die Einwohner wandten sich wahr-
scheinlich nach dem größeren Orte Ottstedt (Utstete), der in einer
Urkunde von 1354 im Domarchive zu Erfurt auch als „wüst" be-
zeichnet wird.
Zwei Orte namens Wittigerode lagen in nicht allzu großer
Entfernung voneinander, der eine südlich — 2 km — von Possen-
dorf, der andere südlich von Ottern und Buchfart. Werneburg gibt
die Lage des letzteren ebenso falsch an, wie die von Hainroda und
Eicher. Schon in den Aufzeichnungen des landgräflichen Ober-
schreibers Thomas v. Botilstete (ca. 1406) wird unter den Zugehörun-
gen der Pflege Weimar Wetigenrode (bei Possendorf) mit 6 Schock
30 gr. pro 1 marg aufgeführt. Im roten Buche heißt es: „Wetigin-
rode gibt geschoß Mich. 1 marck" etc., sodann: „marg Wusten-
Withinginrode gibt 4 scheffel haffer burgfutter Mich, an gericht".
Daraus erhellt, daß die Angabe Frankes, daß 1378 schon ein Teil
des Dorfes wüst gewesen, wohl zutreffend ist; im 30-iährigen Kriege
soll nach Schumann, Landeskunde, der Ort völlig zerstört und der
letzte Einwohner, Heinrich Schmidt, nach Possendorf gezogen sein.
1435 wird Wittche v. Krumsdorf mit Gütern in Weimar und Kroms-
dorf und einer Holzmarke in Wetigenrode belehnt. „Die auch au»
266 I^iß Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
anderen Urkunden nachweisbaren Beziehungen des Ortes zu der
Kromsdorfer Familie, in welcher der Name Witigo, Wittche, häufig
erscheint, könnten, wie Franke meint, zu der Annahme berechtigen,
das Dorf verdanke diesem Geschlechte seine Entstehung." Die
Kopie einer alten Urkunde von 1605, die Rechte der Gemeinde
Wittigerode betreffend, befindet sich nach Schumann, Landeskunde,
in der Gemeindelade von Possendorf. — Die Lage des Ortes und
der Standpunkt der ehemaligen Kirche läßt sich noch erkennen.
Wittigerode bei Ottern schenkte 1319 Nov. 30 Heinrich III.
Marschall von Tiefurt dem Kloster Kapellendorf. Im Verzeichnis
der Termineien der Erfurter Augustiner 1381 wird auch VVeteginrode,
zwischen Kiliansrode und Ottern, genannt, ein Zeichen, daß der Ort
damals noch bestand, und wohl erst im Bruderkriege der Vernichtung
anheimfiel. Wittigerode ward mit Ottern, das zu Blankenhain ge-
hörte, vereinigt. Zwischen dem Gräflich Hatzfeldschen Amte Blanken-
hain nun und dem weimarischen Amte Kapellendorf kam es zu
fortwährenden Irrungen und Streitigkeiten wegen der Gerichtsbar-
keit über Wittigerode, die erst 1816 aufhörten, als Blankenhain an
Weimar gefallen war.
Zur Flur Kiliansroda gehört die Wüstung Hainrode, Han-
rode, Hoenrode. Ackermann, Geschichthche Nachrichten über Stadt
und Herrschaft Blankenhain (1828), sagt S. 8: „Von Hanrode, welches
die Schweden im 30-iährigen Kriege verwüsteten, sieht man noch
ein Keller- und ein Thurmgemäuer." Im Bruderkriege lagerte dort
Herzog Wilhelm. In einem undatierten Briefe — wahrscheinhch
aber aus Burgau vom 10. Aug. 1450, und an Adolf v. Gleichen ge-
richtet — schreibt derselbe: „vnd wullen uns Im namen gots vff
morne — morgen — von hynnen erheben vnd czihen bei das dorff
Hoenrode uff der Ilmen, zwuschen Wymar vnd Blankenhayn ge-
legen. Auch czu stund unsere Wagenburg mit allen sachen czum strite
anrichten." (Weim. Ges.-Arch.) Daß die Angabe Ackermanns vom
Untergang des Ortes im SO-jährigen Kriege nicht richtig sein kann,
beweisen 2 Urkunden von 1615 und 1627, in denen Hainrode schon
als Wüstung bezeichnet wird. 1615 April 26 werden 3 Hufen in der
„Wüstung" Hanrode gegen einen Laßzins von 3 Malter weimar.
Hafer an Wolf Veit v. d. Planitz überlassen, welche 3 Hufen dann
1643 März 2 demselben gegen 200 Taler, welche Herzog Wilhelm
ihm schuldet, eigentümlich zugeschrieben werden. — 1627 Sept. 17
ibelehnt Hans Ludwig Graf zu Gleichen in Blankenhain den Hans
Heinrich v. d. Planitz, als Vormund des Georg v. d. Planitz, mit
Kiliansroda und dem übrigen Teile der „Wüstung" Hanrode. Im
Termineiverzeichnis ist auch Hoenrode aufgeführt.
Ebenfalls im Verzeichnis der Termineien wird mit Hoenrode
des Großherzogtums öachsen-Weimar. 267
und Mechelrode aufgeführt Weißeukirehen fWizzenkerche) ,
Wüstung bei letztgenanntem Ort, nach Müllershausen zu, jetzt mit
Buchenwald bedeckt. Ackermann, Stadt und Herrschaft Blanken-
iiain, berichtet: „Auf der Wüstung Weißkirchen, bei dem Gerichts-
•ort Mechelrode, wo im Bruderkriege ein blutiges Gefecht stattgefunden
haben soll, hat der Pachter auf dem Gute vor 25 Jahren" — also
etwa 1800 — „eine Lanzenspitze, einen Sporen und einige Wolken-
batzen (?) gefunden". In einer Gleisberger Urkunde von 1239 Okt. 1
kommt unter den Zeugen vor Henricus Wizenkirken. Den Unter-
gang des Ortes führte wie bei Hainrode der Bruderkrieg herbei. In
Urkunden von 1334 verschreibt Rudolph v. Kindehausen seiner
Muhme und nach deren Tode dem Kloster Berka V2 Mltr. Weizen
und 5 sh. Pfennige „im Dorfe Weißenkirchen", und 1376 verschreiben
wieder die von Kindehausen (Kühnhausen) dem Kloster V2 Mltr.
Weizen und 3 sh. in Weißenkirchen zu einer ewigen Messe für ihr
Geschlecht.
Drei Wilstuug'en liegen an der Um, zwischen Berka und Weimar.
Etwa 1 km südöstlich von Hetschburg (Oberheitingsburg) lag Nieder-
heiting-sburg unterhalb der auf einem westlichen Ausläufer des
Adlersberges befindlichen sog. Martinsldrche. Über letztere, die un-
weifelhaft auf einer heidnischsn Opferstätte (Wodans) errichtet worden,
haben Götze in der Weimar. Ztg. v. 14., 15., 16. Febr. 1890, und Mitschke
in Nr. 181 vom 5. Aug. 1883, sowie in den Mitteilungen des Vereins
für d. Geschichte u. Altertumskunde von Erfurt, 1894, XVI, S. 151
bis 153 sich des näheren ausgelassen, weshalb wir nur auf diese Stellen
verweisen. Noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (1867
bis 1870) befanden sich, wie dem Verfasser aus eigener Anschauung
bekannt, auf dem nach der Um vorspringenden Plateau, fast in der
Mitte, die etwa 1 m hohen Beste eines runden Turmes von ca. 2^1^ m
Durchmesser, der allerdings auf ein nur kleines Gotteshaus schließen
läßt. Nach den älteren Karten lag der Ort Niederheitingsburg wohl auf
beiden Ufern der Um, die Mühle auf dem rechten Ufer, durch Brücke mit
dem übrigen Orte verbunden. Niederheitingsburg — Heidi ngesburch —
erscheint zuerst urkundlich 1119 Mai 1 in der Schenkungsurkunde
des Grafen Wichmann, in welcher er 10 Kirchen, darunter die von
Heidingesburch der Marienkirche in Erfurt übergibt. Vielleicht war
diese Kirche die Martinskirche gegenüber dem Dorfe. Ober-Heytings-
burg, das jetzige Hetschburg, ist eine spätere Ortsanlage. — Im
Lehnbuche Friedrichs des Strengen wird Johannes de Golmsdorf
mit 10 Schffl. Hafer und 10 Hühnern in Heytingsperg belehnt. —
Nach Niederheytingsborg benannte sich ein Dienstmannengeschlecht
der Grafen von Orlamünde. In einer Urkunde von 1348 wird ein
Lutold von Heytingsburg genannt, der in Buchfart wohnt, „unser
268 Die Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
Getreuer", d. h. Burgmann des Orlamünder Schlosses, und unter den
Zeugen ein gleichnamiger Lutold von Heytingsburg, „der daselbst
— nämlich in Heytingsburg — wohnt". Als Zeugen, namentlich in
Orlamündarr Urkunden erscheinen die v. Heytingsburg öfter, so 1367
„her Theoderich von Heitingisburg, rittere, etc. Das heutige Hetschburg
(Ober-Heytingsburg) gehörte von Anfang an zur Herrschaft Berka,
während Nieder-Heytingsburg einem nach ihm benannten Ritter-
geschlecht, Orlamündaer Vasallen, zustand. 1534 Febr. 26 werden
die Gebrüder von Witzleben, als Besitzer von Berka, von Kurfürst
Joh. Friedrich, außer anderen Besitzungen auch mit „Niederheidels-
berg halb" belehnt, so vor Zeiten derer von Heideisberg gewest".
Das Geschlecht scheint also damals ausgestorben. Nach heute heißt
die Gegend auf dem linken Ufer der Um gegenüber dem Martins-
berg „in Niederheitingsberg".
Auf dem linken Ufer der Um, unterhalb — U/, km nördlich
— von Kiliansroda befindet sich die zu Ottern gehörige „Neue
Mühle" als Überrest des im Bruderkriege untergegangenen Dorfes
Fördern. Als zur Terminei Weimar gehörig wird Vrotterer
(Fördern) neben Otterer (Ottern) im Termineiverzeichnis der Erfurter
Augustiner genannt. Unter den Orten, in welchen laut Urk. v.
15./16. April. 1120 (Dobenecker, Eeg., Bd. I, S. 240) Graf Wichmann
dem von ihm gestifteten Kloster Kaltenborn Besitzungen zuweist,
befindet sich auch Fördern — Vurtheren — mit 1 Hufe. In der
schon bei Niederheitingsburg erwähnten Orlamünder Urkunde von
1367 Nov. 7 wird dem Kloster Berka 1 Hufe und 1 Hof „geleyn
zu Fortirn imfelde und im dorff" überwiesen. 1316 Aug. 22 bekennt
Günther v. Mellingen, daß er ^/, mansus im Felde des Ortes Forther
und 12 Acker im Felde des Dorfes MeUingen dem Heinric, Kapellan
des Grafen Hermann von Orlamünde, verkauft habe. Im Bruder-
kriege ging der Ort, der 1432 Vortir, Vortern genannt wird unter,
die Gemeinde Fördern blieb aber bestehen. 1587 Sept. 1 wird durch
Bescheid des Herzogs Friedrich Wilhelm zu Sachsen eine Streitig-
keit zwischen Kirsten Gottschalkh in Meilingen und der Gemeinde
Fördern, welche dem ersteren Holz entwendet haben sollte, ge-
schlichtet. 1728 ist für Fördern noch ein Schulze und Heimbürgen
vorhanden, von denen der eine als in Kiliansroda wohnhaft bezeichnet
wird. Die Einkünfte in der W^üstung Fördern wurden jährlich „unter
freiem Himmel", d. h. wohl beim, oder nach dem Hegemale, von den
Ackerbesitzern verzehrt. Nach Protokoll v. 16. Febr. 1728 gehören
die Grundstücke in der Wüstung nach Ottern, Kiliansroda und
MeUingen. Bis zur Grundstückszusammenlegung bildete Fördern
noch eine eigene Flur, dann ist es in Ottern aufgegangen. Die
Grundstücke in Fördern waren zinspflichtig: dem Amte Weimar^
des Großherzogtums Sachsen- Weimar. 269
dem Amte Berka, dem Gotteskasten in Weimar, der Superin tendentur
in Orlamünde, Rittergut Meilingen, Gaberndorf, Amt Blankenhain.
Noch heute bestehen die Distriktsbenennungen: „in Fördern" und
„am Fördener Berge".
Unweit Fördern, aber auf dem rechten Ufer der Um, lag
Tamfurt (Dammfurte, Thanffurt), ebenfalls im Bruderkriege zer-
stört und zu Ottern geschlagen. In Urk. v. 1471 — Dienstag nach
den Dreikönigstage — bekennt Hans Beringer, Amtmann und Schosser
auf dem Schlosse zu Weymar, daß die 2 Pfd. Wachs, welche der
Konvent zu Ober- Weimar als Zins von der Mühle, Weide und Wiese zu
Thanfurtt, oberhalb Mellingen gehabt, von des Herzogs (Wilhelm III.)
wegen auf die Mühle zu Mellingen gelegt worden sein. Es geschah
dies deshalb, daß das Kloster Ober- Weimar durch Wegfall des Zinses
von der im Bruderkriege mitzerstörten Mühle keinen Schaden er-
leide. Wegen der Gerichtsbarkeit fanden auch hier Streitigkeiten
zwischen Blankenhain und Weimar statt. 1567 Juni 4 bekennen
die Eäte des Herzogs Wilhelm zu Sachsen, in welcher Weise sie die
Irrungen zwischen dem Amte Weimar und Ludwig Graf zu Gleichen
in Blankenhain wegen Gericht, Hut und Trift in der Gegend der
Tamfurdischen Steige, sowie in Mechelroda und Ottern ausge-
gUchen haben.
Die im Zuge der Straße von (Weimar-) Mellingen nach Blanken-
hain über die Um führende Brücke heißt noch heute die „Damm-
furter Brücke", für deren Benutzung früher ein Brückenzoll erhoben
wurde. 1755 Aug. 4 bittet der Pachter dieses Brückenzolls, Georg
Christian Grüner, um Pachterlaß, der ihm auch von Herzog Franz
Josias von Sachsen-Coburg, in Vormundschaft von Ernst August
Konstantin, gewährt wurde.
Eine bis jetzt noch gar nicht genannte Wüstung Weyherode,
Weyenrode, befindet sich südlich des Waldes bei Belvedere, am Wege
von Belvedere nach Ottern, etwa 2 km von letzterem Orte entfernt.
Eine Notiz des Herausgebers des roten Buchs, O. Franke, lautet:
„Die mit obigen beiden Namen bezeichnete Flur" — jedenfalls bloß
ein Flurteil, denn ein TeU der Flur kam an Köttendorf — „Lst
Eigentum des Taubacher Ortsbürgers Wenzel. — 1895 — Derselbe
ist mehrfach auf Mauerreste, kellerartige Höhlungen, Kalkstücke etc.
gestoßen. Da auch an einer Stelle viele Hohlziegeln vorkommen,
so läßt sich wohl annehmen, daß diese vom Dache einer Kirche
oder Kapelle herrühren. Ein unter den Überresten gefundener,
eiserner Schlüssel, stark verrostet, etwa 15 cm lang, endet am Griff-
teile in einer rhombenartigen, mit kleinen Buckeln verzierten Form
und könnte dem 15. Jahrhundert angehören. Eine Kaufurkunde
von 1760 im Besitze des p. Wenzel läßt erkennen, daß das Grund-
270 I^ic Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke
stück ein Mellingensclies „Kirchgut" war. Der Kauf ist von
„Fürstl. Obervormundschaf tl. Consistorio" genehmigt. Die Schreib-
weise der Flur variiert, wie oben angegeben, auch heißt es einmal:
„in der Flur Weyenrode oder im Haynfeld". ,, Hainholz" ist noch
jetzt der Name eines Teils des Holzes, südUch von Belvedere, nach
Köttendorf hin."
1618 Mai 4. verkauft Joh. Wilh. Förster, „Obrist der Stadt
Erfurt", dem Herzog Joh, Ernst dem Jüngeren zu Sachsen 42 Acker
Artland, „auf dem Weyrode" an den Köttendorfscheu Vorwerks-
feldern gelegen, für 4000 Gulden. Der Ort wird im Bruderkriege
ebenfalls den Untergang gefunden haben.
h.) Wüstungen in den Ämtern Allstedt und Ilmenau.
In der zum Amtsbezirk Allstedt gehörigen weimarischen Ex-
klave Oldisleben befinden sich 4 Wüstungen : Kapellendorf, Mellen-
dorf, Eumsdorf und Priesendorf, von denen Werneburg nur Kapellen-
dorf und Rumsdorf in die Flur Oldisleben setzt, Priesendorf fälsch-
lich nach Heldrungen verlegt und Mellendorf (allerdings wohl nur
eine Kapelle mit kleiner Ansiedelung und Vorwerk) gar nicht erwähnt.
Unter den Besitzungen des Klosters Oldisleben wird 1227
April 19 auch Kapellendorf genannt; 1297 Mai 22 bekundet
Graf Heinrich von Stolberg, daß er von seinem Eigen 1 Hufe in
der Flur Kapellendorf zur Vergebung seiner Sünden der Marien-
kapelle in Meilendorf geschenkt habe. 1319 Jan. 31 erhält das
Veitskloster in Oldisleben 2 Hufen in der Flur des „ehemaligen"
Dorfes Kapellendorf. Vielleicht war der Ort im dem Kriege Albrechts
des Entarteten mit seinen Söhnen Friedrich und Diezmann zerstört
worden, später aber wieder aufgebaut, denn 1348 und ]354 wird das
Dorf ohne diesen Zusatz erwähnt, und 1360 Febr. 28 geben die
Grafen Heinrich und Hermann, Gebrüder, von Beichlingen dem
Kloster Oldisleben wieder 1 Hufe in der Flur des Dorfes Kapellendorf.
Nach Graichen, „Eeg. des Amts Sachsenburg", lag Meilen-
dorf (Malindorf, MöLndorf) zwischen dem Oldislebener roten Berge
und der Sachsenburg und soll 1525 im Bauernkriege zerstört worden
sein, was viel wahrscheinlicher als die Zerstörung im 30-jährigen
Kriege nach Kronfeld. 1259 März 17 bekennt Propst Simon und
der ganze Konvent des Marienklosters in Memleben, daß dasselbe
großer Schulden wegen vom Abte Theodorich von Oldisleben und dem
Provisor Cristan der Kapelle in Meilendorf 70 Mk. Silbers auf-
genommen und dafür 15 Hufen in Cannewurf versetzt habe. 1262
Dez. 9 bekundet Abt Heinrich III. von Hersfeld, daß die Kapelle
in MeUendorf 15 Hufen, das Vorwerk in Meilendorf, an Oldisleben
des Großherzogtums Sachsen- Weimar.
271
verkauft habe. In Urkunden von 1261, 1262, 1265 und 1266 kommt
die KapeUe Meilendorf öfter vor und hat im 14. Jahrhundert ver-
schiedene Schenkungen erhalten. Beim Landgrafen Albrecht dem
Entarteten scheinen die Priester der Kapelle Meilendorf sehr in
Gunst gewesen zu sein; 1308 Sept. 12 bestätigt und erneuert
Friedrich, Landgraf von Thüringen, die von seinem Vater Albrecht
1302 Sept. 29 angeordnete jährliche Überlassung von einem Fuder
„besseren" Weins von Wißenburg und Uthenhusen an die Marien-
kirche zu Mellendorf zum Lohn für die dasigen Priester. In der
Lieferung der Weinspende an die Priester mögen aber Unregel-
mäßigkeiten im Laufe der Zeit eingerissen sein, denn laut Urkunde
von 1391 Aug. 29 beauftragt Landgraf Balthasar seinen Kellermeister
in Weißensee, der Marienkirche in Mellendorf nach der von seinen
Vorfahren getroffe-
nen Anordnung jähr-
Hch ein Fuder des
„besten" Weins zur
Belohnung der Prie-
ster aus dem dasi-
gen Keller regel-
mäßig zu liefern.
— 1479 Mai 17 be-
lehnt Herzog Wil-
helm (III.) von
Sachsen Jobsten v.
Filtzsch (Feiütsch)
mit einem Vorwerke zu Molndorf — bei Oldisleben. — In der Flur
hat sich noch, nach Sachsenburg hin, die Bezeichnung erhalten „zu
Möllendorf", ebenso wie nördlich von Oldisleben, links der Straße
nach Esperstedt noch die Distriktsbenennxmg erhalten ist: „zu Ca-
pellendorf am Damme", und „auf dem Höfchen".
Ebenfalls nordöstlich von Oldisleben an der Esperstedter Straße,
aber rechts derselben, lag Rumsdorf (Romßdorff, Eomendisdorf),
nach Kronfeld erst im 30-jährigen Kriege untergegangen. 1296
Aug. 8 beurkunden Henning und Ywan, Gebrüder, Ministerialen
von Heinrigisberge, daß der Abt Christian des Klosters Oldisleben
eine Hofstatt in Eomendisdorf für die KapeUe der heiligen Maria
in Mellendorf von ihnen erworben habe, und schenken diese der
Kapelle ohne Vorbehalt.
Die vierte Wüstung Priesendorf lag östlich von Oldisleben,
1% km, nach Heldrungen hin, und wird in Urkunden häufig genannt.
1293 Juni 19 kauft Christian v. Oldisleben 1 Acker in Priesendorf.
Die Grafen von Honstein imd die von Beichlingen waren daselbst
Fig. 16.
272 J-^i^ Wüstungen im 1. und II. Verwaltungsbezirke
lehnberechtigt. 1311 Febr. 10 bekennt Graf Otto von Ascania und
Fürst von Anhalt, daß er dem Priester Godefrid von Eannersdorpfe,
Kaplan in Meilendorf, und der Frau Konigunde, die daselbst dient,
7o Hufe in Priesendorf gegeben habe. 1322 Jan. 21 tauscht Abt
Bertram gegen 2 Hufen Gehölz zu Trebra (nördlich von Greußen)
von Heinrich und Dietrich, Gebrüder, Grafen von Honstein, 2 Hufen
Land in Prisendorf ein. 1350 verpfänden die Gebrüder Heinrich
und Hermann, Grafen von Beichlingen außer anderen Gütern: das
Niederschloß Sachsenburg und den Hof zu Freysindorf (Prisendorf)
dem Eate zu Erfurt. Die älteren Karten weisen noch eine Hofstatt
nach: „das Priesendorfer Höfchen", die erst durch die Separation
verschwunden ist. — 1449 Jan. 11 bekundet Johann, Abt des
Klosters Oldisleben, daß er auf Bitten des Grafen Hans von Beich-
üngen die Verpfändung einer dem Kloster zu Lehen gehenden Wiese
von 120 Acker zwischen Prysendorf und BretJa (Bretleben) an seinen
Vetter Hans v. Honstein gestattet habe. Nach Urkunden von 1485
April 18 hat eine weitere Verpfändung dieser Wiese („Beichlinger-
wesen") stattgefunden, und der Abt Heinrich löst sie von Jacuff
Hacke und Jacuff v. d. Asseburg wieder ein. 1494 Mai 15 bekunden
die Eheleute Melchior und Elizabet v. Sundershusen, daß sie eine
Wiese von 6 Acker von ihrem „Freigut zu Priesendorf", welche an
der Unstrut bei den „Bawernwesen" gelegen ist, mit Genehmigung
des Lehnsherrn Grafen von Beichlingen, an das Kloster Oldisleben für
337-2 Schock Groschen verkauft haben. 1500 Febr. 3 erwirbt das
Kloster wiederum 16 Acker Wiesen in Brisendorf.
Die zum Amtsbezirk Ilmenaa gehörige weimarische Exklave
Bösleben bei Arnstadt umfaßt ein untergegangenes Dorf Goinmer-
stadt (Gummerstadt), etwa 3 km nordöstlich von Bösleben. Gommer-
stadt gehört vielleicht mit zu den ältesten Orten Thüringens, wie
aus Bd. IX, S. 128 und 312 der Zeitschrift hervorgehen kann. Nach
Gommerstadt nannte sich im 13. und 14. Jahrhundert ein Zweig der
Familie v. Witzleben; so tritt in einer Urkunde von 1286 Juli 9
unter den Zeugen ein Heinrich von Gummerstat auf. 1332 Mai 27
wird ein Streit zwischen dem Frauenkloster in Arnstadt und dem
Weißfrauenkloster in Erfurt wegen einiger Güter in Gommerstadt
beigelegt. Im Grafenkriege, in welchem sich, mit Ausnahme von
Kerstan v. Witzleben, das Geschlecht auf selten der Schwarzburg-
Orlamünder befand, wurden Witzleben sowohl, wie Gommerstadt
von den Landgräflichen zerstört; der Ort lag nach Wülfershausen
hin ; die Dorflage war noch im 18. Jahrhundert zu erkennen. Noch
bestehen die Flurbezeichnungen „Wiesen zu Gommerstadt" und „über
die Gommerstädter Wiesen". Im Termineiverzeichnis wird Gommer-
stadt mit aufgeführt.
des Großherzogtums Sachsen- Weimar.
273
In der Nähe von Ilmenau befand sich ein Dorf Diet-
hartswinden (Dietrichswenden), zwischen Martinroda und Heyda
gelegen. Schmidt, Beschreibung der Bergstadt Ilmenau, sagt:
„An seinem Fuße — Frohnberg bei Martinroda — fließt, von Heyda
kommend, der Titterswint, ein Bach, welcher sich mit dem von
Roda herabkommenden Eeichenbach — die Trockene genannt —
vereinigt." Auch Völkel, ,,Das Thür. Waldgebirge", nennt den Bach
,,Titterwint''; er heißt aber ,,der Kirchbach" und durchfließt den
Flurdistrikt „in Dieterswind", welcher die Stelle des ehemaligen Ortes
bezeichnet. Erwähnt wird der Ort 1170. Im Henneberger Lehn-
verzeichnis von 1317 heißt es : „Gundelach v. Guberstat der hat von
uns zu Lehen den Zehenden zu Diethartswinden." Der Ort wird im
Augustiner-Termineiverzeichnisse nicht genannt, wohl aber Behringen,
zweimal Oberberingen genannt im Gegensatz zu dem noch bestehen-
den Sondershausener Orte Behringen, Niederbehriugen. Der Ort lag
nordöstlich von Wipfra und grenzte an Neuroda und Kettmanns-
hausen. 1239 wird Behringen noch als Dorf erwähnt; in Henne-
berger Urkunden von 1351 Jan. 31, laut welcher Graf Johann
von Henneberg Schloß und Amt Ilmenau wiederkäuflich an die
Grafen Heinrich und Günther von Schwarzburg überläßt, wird der
Ort als „Obern-Beringen aufgeführt, ebenso in Urkunden von 1418
Nov. 18, in -welcher das Dorf mit Gericht über Hals und Hand und
mit 3 shill. 20 Pf. Geldes, 11 Hetzen Hafer pp. dem Grafen
Wilhelm von Henneberg zugewiesen wird."
Alphabetisches Verzeichnis der Orte.
Allstädt b. Bergsulza
233.
Althausen 253.
Alzendorf 237.
Barkhausen 261.
Behringen b. Ilmenau
273.
Bernsrode 230.
Bielstedt 233.
Bissingsdorf (Beßings-
dorf) 254.
Botzindorf s. Puschen-
dorf 238.
Bucha 1 Nieder-Bucha)
210. 211. 212. 213.
214.
Bussindorf s. Pissen-
dorf.
XXVII.
Buttstädt (Wenigen-)
246.
C s. K.
D.
Dammfurt s. Tamfurt.
Delitzsch s. Weiden.
Dieterstedt 235. 236.
Diethards wi n den
( Dietrichs winden)
273.
E.
Ebsdorf 253.
Eicher (Echer) 265.
Erasen 242.
Endeleben 259.
Escherode 234.
P.
Fördern 268.
Füllborn (Vylbom)
253.
Gabritz 264.
Gassala 238.
Gauga s. Ingau
Gebeisborn 209.
Gerbersdorf (Körpers-
dorf) 264.
Getorn (Tom) 206.
207. 208.
Gleine (Kospoth) 220.
Göttern 210. 217.
Groutsene (Wüsten-
Graitschen) 221.
Grunisdorf (Gru-
ningsdorf ) 228. 229.
Grünstedt 233.
Gommerstedt 272.
Hainrode
266.
H.
(Hanrode)
18
274 Die Wüstungen im I. und IL Verwaltungsbezirke etc,
Hausdorf (Hustorf)
235. 237.
Hauthal 249.
Heitingsburg (JNie-
der-) (Hetschburg)
2Ö7.
Herbisdorf 257.
Hermnitz 232.
Herreslaide 230.
Hesselborn 261.
Hoben bergen 257.
Hohendorf 246.
Hohenfelden (Ober-)
2ö2.
Hohenlinden 251.
Hummelstedt 225.
I.
Ingau (Gauga)
219. 220.
Iritz (.Orze) 217.
£■
Kaltenborn 255.
Kalthausen b. Bürgel
226. ^^ .^
Kalthausen b. Kunitz
224.
Kalth'ausen b. Wicker-
stedt 234.
Kapeilendorf b. Oldis-
leben 270.
Kornberg 252.
Körpersdorf s. C^er-
bersdorf. .
Kösnitz (Keßnitz)
Ober- 231. 232.
Kospoth (s. Gleme)
220.
Kotelingen 256.
Kötschen 227. .
Krakendorf b. Wei-
mar 203. ^ ^
Krandorf b. Utenbach
233.
Krandorf b. Wersdorf
241.
Krellwitz (Crellwitz,
Cröllewitz; 245.
Kunitz (Wenigen-) 221.
L.
Leutra (Unter-) 220.
Lichtendorf 231.
Liskau (Lezig, Lesike)
221.
P.
■R.
Kamsdorf
263.
Ranigisdorf 209.
Ranstedt 256.
Rasdorf 226.
Rockstedt 250. .
Roda (Groß-) b. Wei-
mar 20O.
Roda (Klein-) b. Wei-
mar 201.
Rödchen b. Rasten-
berg 250.
Rödigen am
berge 204.
Rodeln (Rodel) 229.
Rotensteinigen 222.
Rumsdorf b. Oldis-
leben 271.
S.
Samstbom 252.
Bchafendorf 245.
Schemnitz 231.
Schichmannsdorf b.
Jena 222.
Schiendorf 223.
Schlettwein, öchlot-
wein 228. 229.
Schöndorf 226. 227.
Seltzdorf, Seldisdorf
b. Lobeda 222. 223.
Sichmannsdorf b.
Magdala 221.
Stiebsdorf 244.
Stölborn (SteUbom)
254.
X.
Tamfurt, Dammfurt
269.
Thorn (Getom) 206.
207. 208.
Tiefborn (Diephen-
burnen) 262.
■ü.
Uhrda 215.
W.
Wallendorf b. Weimar
204.
Wallendorf,Mark-253.
Weiden (Delitzsch) b.
Pfiffelbach 241.
Weißenkirchen 267.
Weydehausen 263.
Weyherode, Weyen-
rode 269.
Wetterode (Witterode,
b.Hohenfelden^261.
Wiegeiaa, Wilgelau
216.
Wittigerodeb. Possen-
dorf 265.
Wittigerode b. Ottern
266.
Zellendorf 260. ^
Etters- 1 Zeptritz 232 233.
Ziskau 226. ^<i7.
VII.
Wider alte und neue Legenden.
Von
Paul Höfer.
Meine Untersuchungen über die sächsische Legende zum
thüringisch-fränkischen Kriege von 531 n. Chr. im Bd. XXV dieser
Zeitschrift ist in dem zweiten Hefte desselben Bandes durch Herrn
Prof. Dr. H. Größler in Eisleben in einer sehr auffälligen Weise
angegriffen worden, indem dieser Herr meinen Ausführungen auf
Schritt und Tritt folgt, und sie teils in hochtrabendem, teils in ge-
reiztem und hämischem Tone als falsch oder wenigstens als für ihn
nicht maßgebend darzustellen sucht. Auf den Ton dieser angeblichen
Kritik brauche ich nicht einzugehen, er ist Ausfluß des Charakters,
und der Charakter des Herrn Größler geht mich nichts an. Aber
zu dem Versuche, meine durch sorgfältige Untersuchung gewonnenen
und durch gute Gründe gestützten Ergebnisse den Lesern dieser
Zeitschrift durch oberflächliche Einwendtangen, Verdrehungen vmd
unrichtige Behauptungen herabzusetzen und unglaubwürdig er-
scheinen zu lassen, zu dem Versuche, richtige Forschungsmethoden
und Erkenntnisse zu bekämpfen, nur damit die früher gegebene
eigene Darstellung als die richtige erscheine — muß ich leider noch
einmal das Wort ergreifen, gezwungen und nicht gern; für ernste
Prüfer und Kenner war die Verteidigung nicht nötig, wie ich aus
geschriebenen und gedruckten Besprechungen entnehmen kann ; aber
die Zahl derer, denen eine solche Nachprüfung nicht möglich ist,
die sich vielleicht durch absprechende Behauptungen imponieren
lassen, ist wahrscheinlich größer; und wer wird sich die Mühe geben,
für diese die Irrgänge der Größlerschen Polemik aufzudecken, wenn
ich es nicht selber tue?
Von vornherein muß ich dem Vorgeben Größlers widersprechen,
als sei meine Abhandlung von 1906 dazu geschrieben, um ihn zu
kritisieren (S. 459, 470) ; er gibt sich dadurch eine viel zu wichtige
Stellung. In Wirklichkeit war mir bei meiner Forschung Herr
Größler ganz nebensächlich; für einen Geschichtsforscher wird ihn
18*
276 Wider alte und neue Legenden.
niemand halten, der seine Studie über den Sturz des thüringischen
Königsreichs (dieser Zeitschr., Bd. XIX, 1899) gelesen hat; nur da,
wo er nicht zu umgehen war (weil seine Auffassung der Erkenntnis
des Richtigen im Wege stand), ist er von mir erwähnt worden.
Dennoch ist es gerade die Rücksicht auf ihn, den seit lange mir be-
kannten Erforscher von Gaugrenzen, Wüstungen, Ortsnamen, Orts-
sagen u. dgl., gewesen, die mich jahrelang davon abgehalten hat,
meine Ergebnisse über diesen Gegenstand zu veröffentlichen, weil
ich ihm die Finderfreude nicht verderben wollte. Mit dieser Be-
gründung habe ich unter anderen zweimal die Aufforderung Brechts ab-
gelehnt, meine Untersuchungen über diesen Gegenstand zu veröffent-
lichen, ich war der Überzeugung, daß bei den neueren Forschungs-
methoden die Sache auch ohne mein Zutun bald geklärt werden würde.
Und meine Erwartung wurde teilweise schon erfüllt, als Pelka
seine vortreffliche Quellenkritik in dieser Zeitschrift (Bd. XXII, 1904)
veröffentlichte, die einen Teil dessen enthielt, was ich zu sagen ge-
habt hatte und zwar in höchst gründlicher und widerspruchsfreier
Form. — Erst als Herr Größler sich berufen fühlte, über diese
Forschung herzufallen, als er die treffliche und sehr nötige Unter-
suchung der sog. sächsischen Quellen, die Größler bei seiner Studie
mit keinem Finger angerührt hatte, für überflüssig und unbegründet
erklärte, da hielt ich die allzu große Rücksichtnahme nicht mehr für
angebracht. Dennoch hätte Herr Größler bemerken können, daß
ich ihn schonte und jede Beschämung fernzuhalten suchte; schon
daraus hätte er es erkennen können, daß ich mit keinem Worte seine
wunderliche Deutung der Kreuzsteine von Benthe und der Erdfälle
von Empelde erwähnt habe. — Anstatt dessen scheint er mir aus
diesem Nichterwähnen noch einen Vorwurf machen zu wollen (S. 470).
Herr Größler macht mir ferner einen Vorwurf daraus, daß ich
frühere Bearbeiter dieses Themas nicht genügend erwähnt oder be-
nutzt habe, daß ich vielmehr „zu den Quellen selbst hinabzusteigen"
mich entschlossen habe und ,, durch Vergleichung und Würdigung"
derselben zu meiner Auffassung gekommen bin. — Es ist viele Jahre
her, daß ich ältere Bearbeiter dieser Sache gelesen habe; hätte ich
einen gekannt, der schon das gesagt hat, was ich zu sagen hatte, so
hätte ich mich gern von jeder weiteren Bemühung dispensiert, dann
hätte aber auch eine solche Darstellung wie die Größlersche vom
Jahre 1899 nicht entstehen können. Der einzige, der einen wichtigen
Teil meiner Aufgabe vorweggenommen hat, ist Pelka gewesen, dessen
sorgfältige Forschung und wichtigen Ergebnisse ich gebührend aner-
kannt habe^).
1) Vorläufig nur so viel auf Verdächtigungen wie die S. 485,
Z. 2—3.
Wider alte und neue Legenden. 277
Da nun Herr Größler über das „Herabsteigen zu den Quellen"
die spöttische Anmerkung macht: „als ob alle seine Vorgänger —
Lorenz, Pelka und ich (Größler) eingeschlossen — das nicht auch
getan hätten", so muß ich nun doch noch die Art kritisieren, wie
er das Herabsteigen zu den Quellen im Jahre 1899 gemacht hat,
denn duo si faciunt idem, non est idem.
Größler stellt Textstellen, welche über den Thüringer Feldzug
handeln, d. h. Ausschnitte aus 3 fränkischen und 3 sächsischen
Quellen, nebeneinander. Um Untersuchungen über den Wert, über
Originalität oder Abhängigkeit der verschiedenen Quellenschriften
kümmert er sich nicht, Aimoin aus dem 11. Jahrhundert (1005), der
gar keinen selbständigen Wert besitzt, wird als gleichwertig benutzt
mit Gregor aus dem (j. Jahrhundert. — Der Quedlinburger Annalist
wird als selbständige Quelle verwandt (S. 11, wie auch jetzt wieder).
Die Annahme, daß Widukinds Erzählung von derjenigen Rudolfs
unabhängig sei, ist die einzige Bemerkung, die zur Würdigung der
Quellen gemacht wird, sie ist aber unrichtig. Die großen Wider-
spräche in Widukinds Erzählung sieht er nicht. „Manches Sagen-
hafte" in den sächsischen Berichten wird zugestanden, — aber das
soll sich ja leicht erkennen und ausscheiden lassen (Z. Thür. G.,
Bd. XIX, S. 19).
Aus den 6 als gleichwertig behandelten Berichten wird nun
ein gemischter Bericht zusammengestellt; was der eine nicht hat,
das hat der andere, man muß nur jedes Stück an die passende
Stelle unterzubringen wissen, so entsteht ein Mosaik, das viel mehr
enthält als jede einzelne Quelle. Zwar wissen die Franken nichts
von einer Belagerung von Burgscheidungen, die Sachsen (Widukind)
nichts von der vernichtenden Schlacht an der Unstrut; — aber
Gründe für das Schweigen lassen sich finden (z. B. soll Widukind
von der letzteren Schlacht deshalb nichts wissen, weil die Sachsen
vor 400 Jahren nicht dabei gewesen sind [S. 21], trotzdem ist er der
einzige, der den Ort der ersten Schlacht [Eunibergun] nennt, ob-
wohl die Sachsen auch dort nicht dabei gewesen sind). Es werden
die Schlachtfelder, der Marsch, die Furten, die benutzt sind, die
Lager der Franken und der Sachsen vor Burgscheidungen unter
Aufbietung recht problematischer Erwägungen und Namendeutungen
ermittelt, und damit ist der wirkliche Verlauf des Krieges aufs beste
erwiesen.
Die wichtigen zeitgenössischen Nachrichten über diesen Krieg
bei Prokop und im Briefe des Königs Theudebert an Jusiinian, die
Nachrichten aus den Gedichten des Venantius Fortunatus und aus
der Lebensbeschreibung der Eadegunde werden nicht berücksichtigt. —
Schwer gemachthat sich Herr Größler seine Aufgabe im Jahre 1899 nicht.
278 Wider alte und neue Legenden.
Auch in anderer Beziehung ist sein „Hinabsteigen zu den
Quellen" unzureichend gewesen. Von den Quellenschriftstellern, die
er zitiert, hat er gerade nur die wenigen Stellen in Betracht gezogen,
die von dem Verlauf und nächsten Erfolg des Feldzuges reden ;
auch diese nicht vollständig, insofern ja die Rede des königlichen
Dieners bei Widukind etwas ganz anderes über die Gegend der ersten
Schlacht sagt, als Herr Größler aus Widukind entnimmt. Was sonst
die Quellen enthalten über das politische Verhältnis der Sachsen zu
den Franken , über die Herkunft und das damalige Gebiet der
Sachsen, über andere Feldzüge der Franken nach Thüringen, über
die Ausübung herrschaftlicher Gewalt in Nordthüringen durch die
Frankenkönige, darum bekümmert sich Herr Größler nicht. —
Gerade aber diese sonstigen geschichtlichen Nachrichten geben uns
das wichtigste Material an die Hand, um die späten dichterischen
Erzählungen auf die geschichtliche Wahrheit ihres Inhalts zu prüfen.
Herr Größler hat diese Aufgabe nicht angerührt.
Zu welchen Irrtümern das nur stückweise Lesen der Quellen
führen kann, dafür erhielt ich eine Probe, als ich in der Dissertation
von Wüstenhagen (Beiträge zur Siedelungskunde des Ostharzes,
Halle 1905) mit Verwunderung las, die aus Italien zurückgekehrten
Sachsen , .wollten die (in Nordthüringen) neu angesessenen Stämme
wieder vertreiben, wurden aber geschlagen, und der Frankenkönig
siedelte sie zwischen den genannten Stämmen in ihrem alten
Lande an". Der Verfasser beruft sich für diese Angabe auf Größler,
Besiedelung der Gaue Frisenfeld und Hassegau (Zeitschr. d. Harzv.,
Bd. VIII, S. 92 ff.); und wirkUch wird dort S. 108 von den Über-
bleibseln der geschlagenen Sachsen gesagt, es scheine, daß sie im
Hassegau eine Heimatstätte gefunden, wenigstens berichte Gregor
von Tours (IV, cap. 42): ,,Die Sachsen aber zogen zum König
Sigibert und erhielten in der Gegend, aus der sie früher ausgezogen
waren, Wohnsitze." Gregor erzählt dies von den Sachsen, als sie,
aus Italien durch das Frankenreich ziehend, die Erlaubnis erbaten,
in das früher besessene Land zurückzukehren (vgl. meinen Aufsatz,
Zeitschr., XXV, 1906, S. 21 u. 28). Größler aber bezieht die Worte
auf die in ihre frühereu Sitze zurückgekehrten, von den Schwaben
fast aufgeriebenen Sachsen, was natürlich einen ganz falschen Sinn
gibt. Ein solcher Irrtum, der die Erzählung in lib. IV, 42 mit der
in V, 15 zusammenwirft, ist doch nur möglich, wenn man die
Quellenschriftsteller nicht im Zusammenhange, sondern nur stück-
chenweise liest. Herr Wüstenhagen aber kann aus dieser Erfahrung
lernen, daß man auch gegenüber Größlers Angaben gut tut, zu den
Quellen selbst hinabzusteigen.
Es kommt als dritter Mangel in der Benutzung der Quellen
Wider alte und neue Legenden. 279
hinzu die falsche persönliche Stellung, die Herr Größler den Quellen
gegenüber einnimmt. Deutlich charakterisiert er diese auf S. 463
seiner letzten Veröffentlichung (Zeitschr., XXVI) in den Worten:
„Bei der Stellung, die Höfer zu den thüringischen Ereignissen ein-
nimmt, muß ihm daran gelegen sein, die Bedeutung dieser Quellen
und namentlich die Zuverlässigkeit Widukinds herabzusetzen." —
Nach Herrn Größler ist es also selbstverständlich, daß der Geschicht-
schreiber zuerst seine Stellung zu den Ereignissen einnimmt und
dann die Quellen je nach seinen Bedürfnissen wertet, sie hochstellt oder
herabsetzt. Das heißt allerdings die Aufgabe des Historikers auf den
Kopf stellen! Aber wir dürfen aus diesem unabsichtlich offenherzigen
Geständnis entnehmen, daß für Herrn Größler auch bei seiner letzten
Auslassung über dies Thema zuerst die Stellung zu den Ereignissen
feststand, und daß nach dieser vorgefaßten Stellung die Quellen und
die aus ihnen gezogenen Schlüsse gewertet worden sind. — Wie ich
dazu hätte kommen soUeu, mich zuerst für oder gegen irgendein
Ereignis zu entscheiden und erst danach die Quellen zu beurteilen,
ist mir gänzlich unverständlich.
Obwohl nun die im Jahre 1899 von Herrn Größler unter-
nommene Behandlung dieses schwierigen geschichtlichen Problems
auf keinen Fall als eine musterhafte oder auch nur genügende be-
zeichnet werden kann, so scheint Herr Größler doch jedem andern
eine abweichende Art der Behandlung verbieten zu wollen ; wenigstens
ist er nun schon zum zweiten Male mit Leidenschaft über diejenigen
hergefallen, die den Gegenstand nach der Methode der neueren
Geschichtschreibung zu untersuchen sich zur Aufgabe gemacht haben
und dabei zu anderen Resultaten gekommen sind als er. — Aber
Leidenschaft handelt nicht besonnen, und wir werden sehen, daß
auch diese allzu eifrigen Angriffe es an ernster und sorgfältiger
Prüfung fehlen lassen und der uns gestellten Aufgabe, die Wahrheit
zu ermitteln, nicht dienen.
Prüfen wir zuerst diejenigen Einwendungen, die gegen meine
Würdigung der Quellen erhoben werden; zunächst diejenigen über
Gregor von Tours und die übrigen Quellen des 6. Jahrhunderts.
Ich habe auf 28 Zeilen Gregor als gelehrt, wahrheitsliebend und
furchtlos charakterisiert, wir er mir bei der Lektüre seiner Werke
entgegengetreten ist; ich habe ferner bewiesen, daß er von dem
fränkischen Feldzuge in Thüringen genaue Kenntnis hatte, und darauf
hingewiesen, daß er „außer den fränkischen Nachrichten und Er-
zählungen" die Mitteilungen der am nächsten beteiligten Frau, der
thüringischen Königstochter Eadegunde, zur Verfügung hatte. Was
sonst noch zur allgemeinen Charakteristik der damaligen Geschieht-
280 Wider alte uod neue Legenden.
Schreibung und derjenigen Gregors von anderen Männern gesagt ist,
hier abzuschreiben, habe ich nicht für zweckmäßig gehalten, da es
sich hier nur um die Glaubwürdigkeit der Nachrichten über den
fränkisch-thüringischen Feldzug handelte, und Bücher, wie die von
Wattenbach, über Deutschlands Geschichtsquellen leicht nachgesehen
werden können.
Dagegen setzt Herr Größler, der früher sich um den schrift-
stellerischen Charakter des Mannes gar nicht gekümmert hatte,
4 enggedruckte Seiten mit einem Schwall von Zitaten aus Arndt,
Monod, Gloel, Lippert, die alle nichts von dem bestreiten, was ich
gesagt habe. Herr Größler betont dabei besonders diejenigen Aus-
sprüche dieser Männer, die erwähnen, daß Gregor von Tours viel-
fach auf mündliche Überlieferungen angewiesen war (wie ich ja
hinsichtlich der Radegunde besonders hervorgehoben habe). Als ob
nicht alle Erzähler von Zeitgeschichte bis auf den heutigen Tag
vielfach auf mündliche Mitteilungen anderer oder auf deren Briefe
angewiesen wären ! Hierdurch soll aber der Schein erweckt werden,
als sei die Überlieferung Gregors über den fränkisch-thüringischen
Krieg nicht besser als die Widukinds, der ebenfalls aus mündlicher
Überlieferung geschöpft habe. Die Hauptsache aber, das für die
Bewertung der Quellen entscheidende Moment, wird in den Hinter-
grund geschoben, nämlich, daß Gregor nur 44 Jahre nach dem Er-
eignis schrieb, Widukind dagegen 437 Jahre. Das heißt: Gregor
schöpfte seine Kenntnis über die Eroberung Thüringens durch die
Franken aus den Mitteilungen von solchen, die die Sache noch er-
lebt hatten, Widukind aus einer von geschichtlichem Boden gänzlich
entfernten, von Dichtern frei behandelten und nach Belieben um-
gestalteten epischen Erzählung. Wenn es schon Gregor trotz red-
lichen Bemühens nicht gelungen ist, sagenhafte Züge aus dem Leben
Chlodwigs fernzuhalten, das doch nur 60 Jahre zurücklag, oder Er-
zählungen über das thüringische und das burgundische Königshaus,
wie sie bei den Franken umgingen, kritisch zu sichten, — so ist
doch wohl handgreiflich, daß es für Widukind ganz unmöghch
war, aus der durch Jahrhunderte verdunkelten, mündlichen und
dichterischen Überlieferung etwas Zuverlässiges zu erfahren über
Zeiten und Geschehnisse, die für ihn mehr als 400 Jahre zurück-
lagen, und von deren sonstiger Geschichte er nicht die geringste
Kunde hatte.
Größler sucht sich noch immer dieser Einsicht zu entziehen.
Gregor soll Erzählungen der Kleriker aufzunehmen nicht verschmäht
haben, er soll auch epische Erzählungen aus der Vorzeit der Mero-
winger zur Hand gehabt haben — man könnte auch betonen, daß
er sein Werk mit der Erschaffung der Welt begonnen hat. — In
Wider alte und neue Legenden. 281
diesen Dingen ist gewiß Kritik nötig. Das alles trifft aber seine
Nachrichten über den Krieg der Franken gegen die Thüringen gar
nicht, wie es seinen Charakter als walirheitsliebenden Schriftsteller
und als beste Quelle für die merowingische Zeit nicht herabsetzt.
Wenn aber der Hauptgewährsmann Größlers, W. Arndt, die Über-
zeugung gewonnen hat, daß Gregor niemals als Lügner sich erweist,
daß er vielmehr sich dessen wohl bewußt gewesen ist, daß bei der
Geschichtschreibung überall die Wahrheit zu erforschen sei, — so
hätte Größler wohl Ursache gehabt, die von mir gerügte Behauptung
zurückzunehmen, als ob Gregor gegen besseres Wissen die Sachsen-
hilfe im Thüringer Kriege verschwiegen habe, weil er „nicht wagte,
mißüebige Dinge, die dem fränkischen Nationalstolz wehe taten, zu
berichten" (vgl. meine Abhandlung Zeitschr., XXV, S. 8). — Diese
Behauptung war aber durchaus nicht nebensächlich, durch diese
Behauptung wollte Größler vielmehr erklären, wie es möglich ge-
wesen, daß von einer so wichtigen Tatsache, wie der Saehsenhilfe
und Sachsenbeute, bei dem wichtigsten Quellenschriftsteller kein
Wort zu finden ist.
Dieser Schriftsteller hatte, wie Größler inzwischen aus seinen
Zitaten gelernt haben wird, für die Roheit der Franken nur Tadel
und Abscheu (S. 460); wie sollte er dazu kommen, aus Rücksicht
auf ihre Empfindlichkeit die Wahrheit zu unterdrücken! — Und
wenn gar, wie jetzt (S. 461) vermutet wird, die ersten 6 Bücher gar
nicht zu Gregors Lebzeiten, sondern erst nach seinem Tode heraus-
gegeben sind, — wie sollte er aus Furcht vor fränkischem National-
stolz die Geschichte gefälscht haben, während er die furchtbare
Fredegunde nicht im geringsten schonte!
All dies Gerede kann den hohen Wert und die Zuverlässigkeit
Gregors für den größten Teil seiner Geschichtschreibung — näm-
lich für diejenigen Zeiten, die seiner Erkundung zugänglich waren —
nicht im geringsten herabsetzen. Zugänglich war aber seiner Er-
kundung ganz besonders der fränkisch-thüringische Krieg, schon
deshalb, weil er mit der Augenzeugin Radegunde persönlich bekannt
und mit dem Freunde und Dichter dieser bedeutenden Frau, Venantius
Fortunatus, befreundet war. Hierüber schweigen die Zitate Größlers.
Irrtum erweckend ist dabei das Zitat S. 462, als haben dem Geschicht-
schreiber für die Zeiten Chlodovechs und seiner Söhne andere als
mündliche Belehrungsmittel fast gar nicht mehr zu Gebote ge-
standen; erwiesen ist vielmehr, daß die Ravennatischen Fasten in
der zu Arles vorgenommenen Überarbeitung und Ergänzung (An-
nalen von Arles) von Gregor benutzt worden sind, ebenso Annalen
von Angers und burgundische Annalen, wie auch Geschichtschreiber
282 Wider alte und neue Legenden.
von ihm gekannt und benutzt sind, deren Namen wir ihm allein
verdanken ^).
Gregor ist übrigens nicht der einzige, der im 6. Jahrhundert
über den thüringisch-fränkischen Krieg von 531 berichtet. Ich habe
Prokops Angabe betont, der von der Unterwerfung der gesamten
Thüringer durch die Franken 20 Jahre nach dem Ereignis Nachricht
gibt (bell. Goth. I, 13). Ich habe auf die Elegien des Venantius
Fortunatus hingewiesen, welche die Klagen der Radegunde über den
blutigen Untergang der Ihren und die Zerstörung ihrer Heimat zum
poetischen Ausdruck bringen, ohne diese Taten den Sachsen zuzu-
schreiben , vielmehr durch vorsichtiges Verschweigen des Namens
und durch die Andeutung iterum hostes fratre iacente tuli die Franken
als Täter bezeichnend (Zeitschr., XXV, 8. 68); auch nach der Lebens-
beschreibung der Eadegunde, von Fortunat gleich nach 587 ge-
schrieben, ist ihre thüringische Heimat durch den Sieg der Franken
zerstört worden.
Als schwerwiegende Bestätigung für den Bericht Gregors habe
ich den Brief Theudeberts an Justinian angeführt mit dem Satze:
feliciter subactis Thoringiis et eorum provinciis acquisitis, denn hier
sagt der fränkische König (zwischen 534 und 547), daß nach Unter-
werfung der Thüringer die Provinzen derselben an sein Reich ge-
kommen sind, nicht etwa, daß er sie mit den Sachsen geteilt hat.
Von diesen sagt er vielmehr gleich darauf, daß die Sachsen und
Juten sich „uns" freiwillig ergeben haben.
Die Art, mit welcher Größler (S. 473 — 474) sich diesem wichtigen
historischen Zeugnis zu eutziehen sucht, das ja allerdings sein
eigenes Phantasiegemälde zu Boden wirft, wird schwerlich jeder-
manns Billigung finden.
Während ich (S. 16) die Stelle nach dem in den Mon. Germ,
ep. Merov. et Karol, T. I, p. 132 — 133 enthaltenen ursprünglichen
Text zitiere, druckt Größler einen anders geformten Text, ohne ein
Wort über diese Abänderung zu sagen ; daß in dem ursprünglichen
Text Italien mitgenannt wird, weiß er nicht imd streicht mir diesen
Namen mit einem Ausrufungszeichen an (S. 473). Darauf wundert
er sich, daß ich mich getraue, diesen Text zu übersetzen, weil er
„annehmen möchte", daß es wenige gibt, die sich rühmen, diese
Stelle verstanden zu haben. Und dann wirft er die Angabe des
Königs Theudebert, daß sich ihm (nobis) die Sachsen und Juten
1) Vgl. Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittel-
alter bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts, Bd. I, S. 56. 98. 92;
Holder-Egger, Neues Archiv für ältere deutsche Geschichtskunde, I,
S. 268—276.
Wider alte und neue Legenden. 283
freiwillig unterworfen haben , leichtfertig über Bord , weil „nach
allem, was wir (d. i. Größler) von dem Verhältnisse der Sachsen
zu den Franken in jener Zeit wissen, das (nämlich die Unterwerfung
der Sachsen) eine ganz unglaubliche Sache ist" (S. 474).
Warum ich mir nicht getrauen sollte, einen lateinischen Text
zu übersetzen, auch wenn er die bei den Franken damals übliche
Vernachlässigung der Endungen aufweist, ist mir unerfindlich.
Über den Sinn der Stelle ist trotz der gegenteiligen „Annahme"
des Herrn Größler bei den Männern, die die Sprache der fränkischen
Schriftsteller kennen, kein Zweifel. Der Herausgeber der Mero-
wingischen Briefe in den Monumenten Germaniens, W. Gundlach,
z. B. gibt als Inhalt des Briefes an : Theodebertus I exponit, regno
suo fines Thuringiorum et Nordsuavorum et Saxonum et Euciorum
et totam Franciam et Italiae Pannoniaeque partes contineri. Er hat
also ebenso übersetzt wie ich mit Einschluß des Wortes Italien. —
Der für die deutsche Stammesgeschichte grundlegende K. Zeuß
(„Die Deutschen und ihre Nachbarstämme", 1837) sagt S. 387: „Mit
dem Sturze der thüringischen Macht durch die Franken sind auch
schon die Sachsen in die Abhängigkeit des übermächtigen Franken-
reichs gekommen. Theodebert meldet darüber: (Zitat). Nirgends
kommen die Euten (Juten) unter der Benennung Sachsen vor; beide
Namen sind also zu trennen. Sachsen und Juten schlössen sich,
wie Baiern, an den mächtigen Sieger an." — Derselbe S. 500 : ,,Nach
Unterjochung der Nachbarvölker, der Thüringer und der Nord-
schwaben, kamen auch die Euten wie die Sachsen unter die Herr-
schaft der Franken durch freiwillige Unterwerfung, wie König
Theodebert an den Kaiser Justinian berichtet." Ahnlich S. 357
und S. 371, Anm. 2. — Zeuß hat also den Brief Theudeberts ebenso
übersetzt wie ich, auch den jetzigen Versuch Größlers, aus 8axones
und Eucii einen besonderen, irgendwo vegetierenden, unbekannten
Volksstamm zu kombinieren, schon vor 70 Jahren abgewiesen.
Waitz bezieht sich auf denselben Brief Theudeberts in der
Deutschen Verfassungsgeschichte, II (Aufl. 2), S. 74: „daß derselbe
in einem Brief an den Kaiser Justinian rühmt, nach Besiegung der
Thüringer hätten die Norsavi sich freiwillig unterworfen, wären
Sachsen und Euthen unter seine Herrschaft getreten, die von der
Donau und den Grenzen Pannoniens bis zu den Küsten des Ozeans
reiche . . ." „Zu der großartigsten Stellung haben sich die fränkischen
Könige erhoben, sie sind die mächtigsten Fürsten Europas, sie ver-
einigen den größten Teil der deutschen Völker und stellen sich mit
ihnen den Versuchen der Oströmer zur Wiederherstellung Römischer
Herrschaft auch im Westen auf das kräftigste entgegen." Waitz
versteht also den Brief ebenso wie ich, und beide, Waitz wie Zeuß,
284 Wider alte und neue Legenden.
haben ihm wichtige Kenntnisse über das Verhältnis der Franken zu
den innerdeutschen Stämmen im 6. Jahrhundert entnommen. —
Größler dagegen versichert den Lesern dieser Zeitschrift: „Nach
allem, was wir von dem Verhältnisse der Sachsen zu den Franken
in jener Zeit wissen, ist das (die Unterwerfung der Sachsen und
Juten) eine ganz unglaubliche Sache."
Der Leser kann schon an diesem Beispiel erkennen, wie vor-
sichtig man gegenüber den absprechenden Äußerungen dieses Autors
sein muß.
Die Wahrheit ist vielmehr folgendes: Nach allem, was wir von
dem Verhältnis der Sachsen zu den Franken in jener Zeit aus guten
Quellen wissen, rebellierten die Sachsen schon 555 gegen die Franken
(Greg. Tur. IV, 14), „weil sie die Tribute, die sie in jedem Jahre
zu leisten gewohnt waren, zu entrichten verschmähten" ; die Sachsen
müssen also schon vor 555 von den Frauken abhängig gewesen sein.
Eine weitere Angabe desselben Kapitels sagt, daß sie schon dem
Bruder und den Neffen Chlothars, also Theuderich, Theudebert und
Theudebald Tribut gezahlt haben. Diese Nachrichten stimmen sehr
gut zu der Angabe im Briefe Theudeberts, daß die Sachsen sich
freiwillig den Franken (nobis) unterworfen haben. Und gerade diese
Angabe Theudeberts gibt uns die Aufklärung über die Entstehung
des sächsischen Tributs, der bis 632 bestand und 747 von neuem
aufgelegt wurde. Die Nachricht Theudeberts stimmt also vortreff-
lich mit dem überein, was wir sonst über das wirkliche Verhältnis
der Sachsen zu den Franken wissen. Der Brief Theudeberts ist eine
sehr wichtige Geschichtsquelle.
Um trotz alledem ihren Wert herabzusetzen, führt Größler noch
ein besonderes Kunststück vor, iind zwar in gesperrtem Druck, und
mit beigefügter Verwunderung darüber, daß ich diesen ,, Umstand
ganz außer acht gelassen" habe, nämlich den Umstand, „daß Leute,
die sich aus eigenem Willen einem fremden Herrscher unterwerfen,
ihm vorher nicht tributpflichtig gewesen sein können , was doch
Höfer von den nordthüringischen Sachsen behauptet" (S. 474). Das
klingt überwältigend, ist aber ganz und gar unrichtig. Ich habe
nichts von dem behauptet, was Größler hier den Lesern der
thüringischen Zeitschrift als meine Behauptung vorführt. Die Sache
liegt sehr einfach: Theudebert, der Sohn des Königs Theuderich, ein
tüchtiger und rüstiger Krieger, hatte bekanntlich 531 seinem Vater
im Kriege gegen Thüringen Beistand geleistet. Wenn infolge dieses
Krieges und der Eroberung Thüringens u. a. die Sachsen und Juten
sich den Franken freiwillig unterworfen haben, so konnte Theudebert,
als er König war, mit vollem Eecht sagen : „die sich uns freiwillig
ergeben haben" (qui se nobis voluntate propria tradiderunt), auch
Wider alte und neue Legenden. 285
wenn die ersten Jahrestribute noch bei Lebzeiten seines Vaters (bis 534)
gezahlt wurden. Möglich ist außerdem, daß Theudebert selbst die
Unterwerfung der Sachsen entgegengenommen hat, da er ihnen am
nächsten, in Ripuarien (Köln), residierte. Eine Schwierigkeit oder
ein Widerspruch in diesen Angaben ist meines Erachteus bei normaler
Logik nicht zu entdecken. Zeuß z. B. betont gerade (S. 387), daß
König Theudeberts Angabe von der freiwilligen Unterwerfung der
Sachsen durch die späteren Nachrichten vom sächsischen Tribut
bestätigt wird. — Auch ieh habe demgemäß nirgends behauptet, daß
die Sachsen schon vor ihrer Unterwerfung den Franken tribut-
pflichtig gewesen seien, sondern ich sage S. 16, daß die ,, durch
Tributzahlung sich ausdrückende Abhängigkeit der Sachsen" durch
die im Briefe Theudeberts erwähnte freiwillige Unterwerfung der-
selben entstanden ist, und S. 17, daß diese „Unterwerfung der
Sachsen nicht etwa bloß auf Bewohner früherer thüringischer Ge-
bietsteile zu beziehen ist, sondern auf das ganze Volk".
Herr Größler dagegen schließt diesen Teil seiner Verwirrung
mit dem fröhlichen Resultat: ,, Folglich bietet auch der Brief Theude-
berts an Justinian der Höferschen Hypothese (sie !) nicht die geringste
Stütze." Dies unkundigen Lesern einzureden, war ja wohl der Zweck
des Kunststücks. Leider heiligt der Zweck die Mittel nicht.
Übrigens ist es keineswegs eine Hypothese von mir, daß die
Sachsen den fränkischen Königen einen Zins von 500 Kühen haben
bezahlen müssen und daß sie schon seit Theuderich und Theudebert
in dieser Abhängigkeit waren. Die besten Quellen bezeugen es, sie
sind in meiner Abhandlung S. 14 abgedruckt. Hätte Herr Größler
nicht so leichtfertig sich seine Urteile gebildet, sondern etwas genauer
studiert, so hätte er schon vor Abfassung seines Aufsatzes von 1899
wissen können, daß diese Untertänigkeit der Sachsen eine gut be-
glaubigte und längst bekannte historische Tatsache ist.
Keinen Deut besser als der eben besprochene Versuch Größlers
gegen den Brief des Königs Theudebert ist der auf S. 471 unter-
nommene Versuch, die Glaubwürdigkeit der Nachrichten über den
sächsischen Tribut dadurch herabzusetzen, daß er emen Widerspruch
etablieren will zwischen den späteren Erwähnungen dieses Tributs
bei Fredegar und Aimoin, wo er als durch Chlothar I auferlegt
bezeichnet wird, und der Nachricht bei Gregor, nach welcher er
schon an Chlothars Bruder Theuderich zu zahlen war. „Wer hat
nun recht?" „Höfers Aufgabe wäre es gewesen etc."
Es berührt wirklich kläglich, wenn dieser Herr, der sich seiner
eigenen Aufgabe und Pflicht so wenig bewußt ist, sich herausnimmt,
mir vorzuschreiben, was meine Aufgabe gewesen wäre!
Wer Gregors Text und auch den von Marius von Avenches
286 Wider alte und neue Legenden.
(bis 581 geschrieben) verstehen kann, der liest dort, daß die Sachsen
dem neuen Herrn über Ostfranken, Chlothar I. (555), den früher an
Theuderich gezahlten Tribut nicht zahlen wollten. Darauf hat
Chlothar in drei schweren Kriegen gegen die Sachsen gefochten
(Greg. IV, 10; Mar. Av. zu 555. — Greg. IV, 14; Mar. Av. zu 556.
— Greg. IV, 16 und 17). Erst durch den dritten Krieg ist es ihm
gelungen, sie zu bezwingen (Fortiter tunc rex Chlothacharius contra
Saxones decertabat). Wenn nun in der Folgezeit bei Fredegar und
seinen Nachfolgern der Tribut als von Chlothar auferlegt bezeichnet
wird, so liegt nach meinem Urteil darin kein Widerspruch gegen
die ältere Nachricht, daß der Tribut schon früher an Theuderich
gezahlt, aber unter Chlothar verweigert worden war. Chlothar hatte
es sich in der Tat schwere Mühe kosten lassen, den Tribut von
neuem aufzulegen, der seinem Bruder durch freiwillige Unterwerfung
gezahlt worden war. Die Aufgabe, hier einen Widerspruch zu lösen,
lag für mich nicht vor.
Um sich trotz alledem der bewiesenen Tatsache zu entziehen,
daß die Sachsen schon seit den Zeiten Theuderichs, des Eroberers
von Thüringen , dem Frankenkönige tributpflichtig gewesen sind,
also nicht die siegreichen Bundesgenossen und freien Mitbesitzer
Thüringens gewesen sein können, nimmt Herr Größler (S. 472) seine
Zuflucht zu der Behauptung, daß die Nachrichten über die Rebellion
und die Tributpflicht der Sachsen sich nur auf einen Teil der Sachsen
bezögen und sicherlich nicht auf die Ostweser- oder nordthüringischen
Sachsen, sondern auf die Westwesersachsen, oder, wie Größler ganz
bestimmt weiß, nur auf die Bewohner des pagus Hessi-Saxonicus,
d. h. des Winkels zwischen Diemel und Weser. Herr Größler stellt
also ohne jeden Beweis und ohne jeden Anhalt in den Quellen, aber
m der Tonart ausgemachter Wahrheit, als selbstverständlich hin, daß
die Sachsen westlich der Weser ein anderes Staatswesen gebildet
haben als die östlich der Weser, und auch von den Westwesersachsen
trennt er wieder den südlichen Teil als für sich bestehend ab, und
sagt dann den Lesern, ich hätte die Pflicht gehabt, nachzuweisen,
um welchen Teil der Sachsen es sich in den betreffenden Berichten
handelt, obwohl er ganz gut weiß, daß ich entsprechend den QueUen
nur ein Volk der Sachsen kenne.
Die Sache liegt so: In früherer Zeit hat sich mancher Ge-
schichtschreiber zu der Auskunft genötigt gesehen, verschiedene
staatlich getrennte Teile der Sachsen anzunehmen, um die älteren
Nachrichten von der Tributpflicht der Sachsen mit der jüngeren
sächsischen Darstellung von ihrem tributfreien Besitz Nordthüringens
in Einklang zu bringen. Dagegen handelt es sich in meiner Unter-
Wider alte und neue Legenden. 287
suchung gerade darum, den Widerspruch der älteren Quellen gegen
die jüngere Darstellung aufzuweisen — wie kann man mir nur damit
kommen, jene Ausgleichsversuche und Verlegenheitsdeutungen, die
den Quellen Gewalt antun, als quellenmäßige Wahrheit aufzutischen,
nach der ich mich hätte richten müssen ! — Quellenmäßig ist das
Gegenteil: König Theudebert berichtet dem Kaiser Justinian die
freiwillige Ergebung der Sachsen, nicht eines Teiles derselben, während
er doch bei Aufzählung von Pannonien und Italien nur Teile (septen-
trionalem plagam) als ihm unterworfen nennt. König Theudebert
sagt, daß nach jener Unterwerfung der Sachsen und Juten , sein
Reich sich bis an die Küste des Ozeans erstreckt, Herr Größler
aber verlangt, daß unter jenen Saxones, Eucii, die sich freiwillig
unterworfen haben, nur die Bewohner des Winkels zwischen Diemel
imd Weser verstanden werden dürfen. — Chlothar, der mächtige Be-
herrscher zweier Frankenreiche, kämpfte in 3-jährigem schweren
Kriege mit den rebellischen Sachsen, bis er sie mühsam zur Tribut-
pflicht zurückführen konnte, und wir sollen glauben, daß er es nur
mit einem Grenzgau zu tun gehabt hat! 72 Jahre später bewarben
sich die Sachsen durch eine Gesandtschaft an den Frankenkönig
um Ablösung dieses Tributes, und die Gesandten beschworen den
Vertrag für das Sachsenvolk.
Ich meine, wer gegenüber solchen Quellennachrichten mit der
Behauptung auftritt, es habe sich bei dem allen um einen kleinen
Teil der Sachsen, nämlich den pagus Hessi gehandelt, der hätte
die Pflicht des Beweises. Aber die einzige Begründung, die Herr
Größler für eine so unglaubliche Behauptung vorbringt, ist der Hin-
weis, daß die eine Entscheidungsschlacht im Kriege Chlothars gegen
die Sachsen, südlich der Diemel und westlich der Weser (an der Nablis,
der von mir nachgewiesenen Nebeibecke), d. h, an der sächsisch-
fränkischen Grenze stattgefunden habe; als ob nicht sehr oft die
Entscheidungsschlacht eines Volkes an dessen Grenze stattgefunden
hätte 1 Die Entscheidungsschlacht im thüringisch-fränkischen Kriege
531 ist ebenfalls an der thüringischen Grenze gekämpft, und auf
dem Jenaer Schlachtfelde wurde 1806 das Schicksal von ganz Preußen
entschieden, nicht bloß das der südwestlichen Grenzgaue.
Während nun Herr Größler für seine Umdeutung der Quellen-
nachrichten den Beweis schuldig geblieben ist, will ich den Beweis
antreten, daß es sich bei der freiwilligen Unterwerfung und der
Tributpflicht der Sachsen um das ganze Volk und nicht etwa nur
um irgendeinen Teil der Sachsen gehandelt hat:
Als im Jahre 632 König Dagobert zum Feldzug nach Thüringen
bereit mit seinem Heere in Mainz stand, iim das in Thüringen ein-
gebrochene Heer der Wenden zu bekämpfen, schickten die Sachsen
288 Wider alte und neue Legenden.
dorthin die oben erwähnte Gesandtschaft und versprachen, daß sie
die ihnen benachbarte fränkische Mark (limes) gegen die Wenden
verteidigen wollten, wenn Dagobert ihnen den an den Fiskus zu
leistenden Tribut erlassen wollte fFred. IV, aap. 74). Die fränkische
Mark gegen die Slaven lag aber nicht etwa bei den Westwesersachsen,
im Winkel der Dierael und Weser, sondern an der Saale und Elbe,
also bei den östlichsten Sitzen der Sachsen, dort mußte sie ver-
teidigt werden. Das Versprechen, das man dem westlichen Nachbar
für Aufhebung des Tributes gab, mußte an der Ostgrenze des Sachsen-
gebietes eingelöst werden. Das beweist aufs deutÜchste, daß nicht
bloß westhche Sachsen oder die Bewohner des Hessigaues, sondern
das ganze zwischen der fränkischen und der slavischen Grenze
wohnende Volk der Sachsen an dem Tribut und seiner Aufhebung
beteiligt war.
Ferner: Im Jahre 747 zog Pippin durch Thüringen nach
Schöningen und an die Oker, um die Sachsen wegen ihrer Ver-
bindung mit dem aufrührerischen Griffo zu strafen. Da das sächsische
Heer den Kampf nicht wagte, sondern entwich, verwüstete Pippin
40 Tage lang fast ganz Sachsen (totam pene Saxoniam) und nötigte
dadurch die Sachsen, um Frieden zu bitten. Sie ergaben sich der
fränkischen Oberhoheit, wie es vor alters üblich gewesen war (ut
antiquitus mos fuerat), und versprachen, die Tribute, die sie einst
Chlothar geleistet hatten, in vollständigster Zahlung von nun an
wieder zu entrichten (et ea tributa quae Chlotario quondam prae-
stiterant plenissima solutione ab eo tempore deinceps esse se reddi-
turos, vgl. Fred. Cont. 117, unter Pippin aufgezeichnet; und Ann.
Mett. ad 748).
Hier ist wiederum deutlich vom ganzen Volke der Sachsen die
Eede, nicht von irgendeinem Grenzdistrikt oder Gau westlich der
Weser und südlich der Diemel. Gerade im Ostweserland fanden
die entscheidenden Heeresbewegungen und der Friedensschluß statt.
Aus den Friedensbedingungen geht hervor, daß der damals fest-
gesetzte Tribut die Erneuerung des alten Tributes sein sollte, welcher
also ebenfalls das ganze Sachsenvolk betroffen hatte.
Es ist demnach eine unbegründete und irrige Behauptung, daß
nur ein Teil der Sachsen tributpflichtig gewesen sei, der östliche
oder (wie Größler sagt) der nordthüringische aber nicht. Vielmehr
ergibt sich für das 6. und 7. Jahrhundert derselbe politische Zu-
sammenhang des sächsischen Volkes und die Gemeinsamkeit des
Handelns im Kriegführen und Friedenschließen, wie sie uns für das
8. Jahrhundert durch die einzige und merkwürdige Nachricht über
die Verfassung des sächsischen Volkes in heidnischer Zeit, nämlich
in Hucbalds Vita Lebuini, überliefert ist (M. G. SS II, p. 361—362).
Wider alte und neue Legenden. 289
Über solche aus den Quellen zu entnehmenden Tatsachen sich
hinwegzusetzen und dafür seine eigenen Meinungen und Einfälle
einzusetzen, entspricht nicht der Methode, die ich in meinen Unter-
suchungen befolge.
Alle jene Abänderungen und Anzweifelungen guter Quellen-
nachrichten entspringen derselben Fehlerquelle: man wollte jene
Nachrichten in Einklang bringen mit den späten sächsischen Er-
zählungen, deren Sagenhaftigkeit doch allgemein bekannt war. Es
wurde hier dasselbe falsche Verfahren angewandt, das Waitz, Watten-
bach und viele andere Historiker hinsichtlich der Benutzung von
Sagen längst als unkritisch verworfen haben: „Wohl hatte man
schon früher einzelnes als unhaltbar aufgegeben, aber immer suchte
man doch wieder historisches Material aus dem Wüste der Fabeln
zu gewinnen ; man konnte sich nicht entschließen, auf dasjenige,
dessen späte betrügliche Entstehung einmal nachgewiesen war, nuu
auch gänzlich zu verzichten ; und auch jetzt noch ist für viele dieser
Entschluß zu schwer : man will doch nicht alle scheinbare Ausbeute
aufgeben für Zeiten und Gegenstände, von denen man sonst gar
nichts weiß .... So ist es nur zu gewöhnlich, daß man das gänz-
lich Unhaltbare verwirft, aber dasjenige, was nicht in sich unmöglich
ist, behält — ein durchaus unhistorisches Verfahren." (Wattenbach,
Deutschlands Geschichtsquellen, Bd. I, S. 39.) Oder: ,,Es ist hier
geschehen, was manchmal geschieht und die Leute beruhigt: man
hat zeitig die besonders groben und anstößigen Behauptungen ent-
fernt, und dann gemeint, daß das, was allenfalls wahr sein könnte,
nun auch Anspruch habe, wirklich dafür zu gelten, während die
wahre Kritik anerkennt, daß ein solches Abhandeln bei Sage und
Erdichtung meist gerade am allerwenigsten zur historischen Gewiß-
heit führt" (Waitz, Gott. Gel. Anz., 1855, S. 274j.
Von der hier geforderten klaren Stellung zu sagenhaften Über-
lieferungen ist Herr Größler weit entfernt, er hat offenbar gar kein
Verständnis dafür. Auch er läßt aus seiner sagenhaften Quelle die
besonders groben und anstößigen Behauptungen weg, z. ß. die Ab-
stammung des Frankenkönigs Thiadrich und der thüringischen
Königin Amalberga von einem Frankenkönig Huga, die Beleidigung
des ersten durch die zweite als Ursache des Krieges, das wunderbare
Feldzeichen der Sachsen , die märchenhafte Geschichte von der
Tötung der Könige Irmenfrid und Thiadrich durch den untreuen
Vasallen des ersteren, namens Iring, und vielleicht noch einiges
andere; das übrige aber gilt ihm als gut überlieferte Geschichte.
Als Pelka durch gründliche Quellenanalyse nachwies, daß die
spätsächsischen Erzählungen vom Eingreifen der Sachsen im thüringisch-
XXVIL 19
290 Wider alte und neue Legenden.
fränkischen Kriege „auf ein seinem historisclien Detail nach gänzlich
unglaubwürdiges Heldenlied zurückgehn", — da stellte Größler die
naive Frage: „Welchen Zweck hat denn überhaupt Pelkas Versuch,
eine gemeinsame Quelle der sächsischen Berichte nachzuweisen, wenn
er weder diesen noch jener irgendwelche Beweiskraft zusprechen
will?" (Zeitschr., Bd. XXII, S. 253.) Nicht ohne 8arkasmus
antwortete Pelka: „Ich habe in der Tat nicht geglaubt, diesen
Zweck noch kommentieren zu müssen. Wenn ich nachweise, daß
die sächsischen Berichte auf ein seinem historischen Detail nach
gänzlich unglaubwürdiges Heldenlied zurückgehen, so müssen eben
auch die Ableitungen als historisch unglaubwürdig verworfen werden"
(diese Zeitschr., Bd. XXIV, S. 402). — Über diese Zurechtweisung
äußert sich Herr Größler in seiner nächsten Entgegnung gegen
Pelka (Zeitschr., Bd. XXV, S. 452—459) überhaupt nicht, obwohl
sie doch das Wichtigste in Pelkas Abwehraufsatz war. Hat er sie
nicht verstanden? Oder rechnet er auf die Vergeßlichkeit der Leser ?
Offenbar in Vertrauen auf diese Vergeßlichkeit wagt er es zu
behaupten, daß Pelka sich über den Wert der sächsischen Quellen
nicht bestimmt ausgesprochen habe (Zeitschr., Bd. XXV, S. 453).
Da er selbst aber die Glaubwürdigkeit der fränkischen Bericht-
erstatter, im besonderen die Gregors von Tours „mit guten Gründen"
in Zweifel gezogen habe, so sei keine Aussicht, daß auf Grund der
bisher bekannten Quellen in Zukunft ein wesentlicher Fortschritt
in der Erkenntnis stattfinden könnte, er sei also berechtigt, von
seinen topographischen Forschungen diesen Fortschritt zu erwarten.
— Damit ist nun der vagen Phantasterei Tür und Tor geöffnet;
wie früher der anekdotenhafte Reiherjäger in Widukinds Legende
von Größler für eine historische Person gehalten ist, für deren Ritt
durch die Unstrut die benutzte Furt nachgewiesen wurde, so wird
jetzt sogar der kindliche Einfall, daß die Erdfälle bei Empelde, die
7 Trappen bei Benthe und die Kreuzsteine ebendaselbst von der
Schlacht bei Runibergun herrühren sollen, von neuem, und nunmehr
als entscheidendes Argument vorgetragen. — Welcher Grad von ge-
schichtlicher Gewißheit würde uns bleiben, wenn wir, anstatt auf
die historischen Quellen des 6. Jahrhunderts, auf die Vermutungen
und Deutungen angewiesen wären, die ein auch in archäologischen
Dingen recht unkritischer Urteiler') an einige ihm unverständliche
Naturerscheinungen oder menschliche Gebilde anzuknüpfen sich ge-
müßigt fühlt!
In dem gegen mich gerichteten Aufsatz schlägt Herr Größler
ein anderes Verfahren ein, um die kritische Verurteilung der sächsischen
1) Vgl. hierzu Verhandl. der Berl. Anthrop. Gesellsch., 1900.
S. 270, Anm. 3.
Wider alte und neue Legenden. 291
Sagen und ihre Unvereinbarkeit mit der wirklichen Geschichte ver-
gessen zu machen: er stellt sich an, als müsse er den Wert Widu-
kinds als historische Quelle gegen mich verteidigen. „Gehen wir . . .
zu der Hauptsache über, zu dem von Höfer versuchten Nachweise
der Unbrauchbarkeit Widukinds als historische Quelle" (so wörtlich
S. 4651). Ferner: „So wirft Höfer dem Widukind vor, er wisse
von der Abstammung und früheren Geschichte seines Volkes gar
nichts, und darum seien alle seine Nachrichten nicht glaubwürdig"
(so wörtlich S. 4691), ,,dem derart verfemten Widukind" (S. 468),
„der von Höfer als geistig beschränkter Mönch hingestellte Widu-
kind" (S. 477).
Es ist ein dreistes Quid pro quo, daß hier den Lesern dieser
Zeitschrift geboten worden ist. — Mir ist es, wie sich von selbst
versteht, nie eingefallen, die Brauchbarkeit oder vielmehr den hohen
Wert Widukinds als historische Quelle in Frage zu stellen. Jeder-
mann weiß, daß Widukind, soweit er seine Zeit schildert, eine höchst
wichtige und zuverlässige Quelle ist. ,,In allem, was ihm nahelag,
zeigt er sich durchaus zuverlässig, unbefangen und wahrheitsliebend"
(Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen , S. 311). Noch in
meinem Aufsatz, „Die Frankenherrschaft in den Harzlandschaften",
der früher erschienen ist, als Größlers Streitschrift, habe ich hervor-
gehoben, daß mit Widukinds, Thietmars und ähnlichen Geschichts-
werken das hellere historische Licht für unsere Gegenden beginnt
(Zeitschr. des Harzv., Bd. XL, S. 117), und ich zitiere Widukind
dementsprechend reichlich als wichtigsten Gewährsmann für das
10. Jahrhundert. — Aber wie der geschichtschreibende Mönch schon
diejenigen Vorgänge seiner Zeit, die seinem Gesichtskreise ferner
lagen, z. B. die außerhalb Sachsens liegende Tätigkeit Ottos des
Großen, unrichtig auffaßte oder überhaupt nicht kannte, so war
es ihm, wie ich gezeigt habe, ganz unmöglich, sich von den geschicht-
lichen Vorgängen des 6. Jahrhunderts, die über 400 Jahre vor seiner
Zeit zurücklagen, eine einigermaßen richtige Kenntnis zu verschaffen;
er beweist das unter anderem durch gänzliche Unkenntnis der be-
kannten fränkischen Könige im 6. Jahrhundert, Chlodwigs und seiner
Söhne, wie auch durch gänzliche Unkenntnis der Ausbreitung der
Sachsen im 6. Jahrhundert.
Also nur diese „Anfangskapitel" habe ich als „aus trüben
Überlieferungen und Vorstellungen zusammengemischt" bezeichnet,
und nur auf diese bezog sich das Urteil, daß sie als historische
Quelle nicht zu verwenden sind (vgl. S. 8 meines Aufsatzes,
Zeitschr., Bd. XXV). — Widukind ist so ehrlich gewesen, seine
Unkenntnis selbst einzugestehen, indem er gleich zu Anfang seiner
Geschichte sagt, daß er in dem Abschnitt über den Ursprung und
19*
292 Wider alte und neue Legenden.
frühesten Zustand der Sachsen fast ausschließlich der Sage folgen
muß, indem das zu große Alter fast alle Gewißheit verdunkelt *).
Widukind hat also eine Warnungstafel aufgerichtet; er ist nicht
schuld, wenn ein neuer Geschichtenschreiber, zu eilfertig, um solche
Warnungstafel zu lesen, sich auf den bequem gebotenen, die Phantasie
angenehm beschäftigenden Stoff stürzt und ihn als historischen Tat-
sachenbericht vorführt, trotz der in der Erzählung selbst enthaltenen
Warnungen und trotz des epischen Charakters in Form und Inhalt,
der schon manchen Hörer feineren Taktes sofort an Ihas und
Nibelungenlied erinnert hat.
Auch Herr Größler kann den epischen Charakter dieser Er-
zählungen nicht mehr leugnen; aber er schreitet nunmehr kühn zu
der neuen Behauptung, daß diese in Sagen und Volksliedern durch
die Jahrhunderte geflossene mündliche Überlieferung ebenso alt und
glaubhaft sei, wie die 40 Jahre nach dem Ereignis erfolgte Nieder-
schrift eines kundigen und wahrheitsliebenden Geschichtschreibers,
wie Gregor von Tours (S. 465). — Auf dieses Muster einer konfusen,
allerlei Wahres und Falsches durcheinander mischenden Begründung,
hat Größler über 5 Seiten (S. 465—470) verwendet ; es ist ihm sauer
geworden, seine Leser oder auch sich selbst derart zu verwirren,
daß sie nicht merken sollten, wie gänzlich ziellos die Beweisführung
verläuft. Sie besteht in der Hauptsache aus folgenden Sätzen, denen
ich iu Klammer eine kurze Kritik beifüge:
„Jedes Heldenlied kann nur in der Zeit entstanden sein, deren
Helden und Taten es feiert." (Homer und die deutschen Volks-
epen lehren die Irrigkeit dieser Prämisse.) — „Diese Lieder konnten
nur das erzählen, was ihre Verfasser selbst erlebt oder von persönlich
Beteiligten in Erfahrung gebracht hatten." (Von der schöpferischen
Kraft dichterischer Phantasie scheint Herr Größler nie etwas be-
merkt zu haben.) — „Aus ihrer Verschiedenheit schließe ich (Größler)
auf die alsbald nach den Ereignissen stattgehabte Entstehung einer
Mehrheit von sächsischen Heldenliedern, deren jedes die Erlebnisse
eines oder mehrerer Teilnehmer an den Begebenheiten überliefert."
(Ein ganz willkürlicher Schluß. Die Verschiedenheit der mündlichen
Überlieferungen entsteht naturgemäß durch die Mannigfaltigkeit der
Weitererzählung, durch verschiedene Begabung, Geschmack, Kunst,
Neigung, Kenntnisse, Bedürfnis der verschiedenen Erzähler, Um-
und Neudichter, durch die im Laufe der Jahrhunderte veränderten
Verhältnisse, Anschauungen und Bildung, durch Eindringen von
1) Wid. I, cap. 2, M. G. SS. HI, p. 417: Et primum quidem
de origine statuque gentis pauca expediam, solam pene famam sequens
in hac parte, nimia vetustate omnem fere certitudinem obscurante.
Wider alte und neue Legenden. 293
neuen Stoffen , Erinnerungen an jüngere Begebenheiten , jüngere
Sagen, und durch viele andere Möglichkeiten.) Es heißt dann
weiter: „Diese Lieder sind die Vorläufer unserer Zeitungen", „sie
haben damals die Stelle der Annalen vertreten", und den Schluß
dieser Beweisführung macht der Satz: „Daß es einem Sänger zur
Zeit König Konrads L, nachdem ganz andere Ereignisse die Auf-
merksamkeit der Späterlebenden in Anspruch genommen hatten,
eingefallen sein sollte, nun erst Dinge, die fast 400 Jahre zurück-
lagen oder geschehen sein sollten, dem Volke durch eine Dichtung
bekannt zu machen, das heißt denn doch dem heutigen Geschlecht
etwas zu viel zumuten."
„Das heutige Geschlecht" wird hier allein durch die Persön-
lichkeit des Herrn Größler repräsentiert; keinem anderen wird der
Gedanke unannehmbar erscheinen, daß alte Sagen oder Dichtungen,
die zur Verherrlichung eines Volkes oder eines Volkshelden bei-
tragen, auch 400 Jahre nach der besungenen Begebenheit von neuem
gedichtet und gesungen werden. Vielmehr sind derartige Neudich-
tungen eine ganz bekannte Erscheinung: die uns überkommene.
Fassung des Epos vom Trojanischen Kriege ist sicherlich 3 — 4 Jahr-
hunderte nach den zugrunde liegenden Begebenheiten neu gedichtet;
noch niemand hat behauptet, daß diese allgemein angenommene
Ansicht dem „heutigen Geschlecht" zu viel zumutet. — Die Lieder
von Dietrich von Bern lebten in märchenhaften Um- und Neu-
dichtungen, nicht minder die von Hugdietrich, dem Theuderich des
fränkisch -thüringischen Krieges von 531, bis ins 15. Jahrhundert
fort. Glaubt Herr Größler wirklich, daß diese Lieder „in der Zeit
entstanden seien, deren Helden und Taten sie feiern", daß sie ,,nur
das erzählen, was ihre Verfasser selbst erlebt oder von persönlich
Beteiligten in Erfahrung gebracht hatten" ? — Das Lied von König
Eother in Unteritalien (Bari), der um die Tochter des Königs von
Konstantinopel wirbt, ist um 1170 gedichtet, also nur 200 Jahre
nach der Werbung König Ottos des Roten um die griechische Kaiser-
tochter, und was hat Dichterphantasie in dieser kurzen Zeit aus der
historischen Begebenheit gemacht! — Die historischen Elemente des
Nibelungenliedes stammen aus der Zeit der Völkerwanderung; eine
Neudichtung hat aber zur Zeit Ottos IL stattgefunden, wie die ein-
geflochtenen Personen des 10. Jahrhunderts, die Markgrafen Gero
und Eckewart, der Bischof Pilgrin von Passau, wohl auch der junge
Giselher und andere Beziehungen beweisen ; und wieder umgedichtet
ist der Stoff nach den Kreuzzügen und der Zeit des blühenden
Rittertums. — Sagen von Karl dem Großen und Roland als den
Vorkämpfern des Christentums gegen das Heidentum wurden in
Frankreich von neuem gesungen, als 800 Jahre später ein neues
294 Wider alte und neue Legenden,
christliches Heldentum den Kampf gegen die Ungläubigen aufnahm.
— Die Sage von Kaiser Friedrichs Schlaf im Kiffhäuser hat erst
1817 Friedrich Rückert gesungen, nachdem seit ihrer Entstehung
„ganz andere Ereignisse die Aufmerksamkeit der Späterlebeuden in
Anspruch genommen hatten" ; und Heinrich v. Kleist hat 1809 sogar
die . Hermannsschlacht, die 18 Jahrhunderte „zurücklag", seinem
"Volke neu gedichtet. — Man sieht: die Belehrungen des Herrn
Größler über die Entstehung der Heldenlieder beruhen auf sehr
subjektiven Vorstellungen.
Gerade das gehobene und erregte Nationalgefühl der Sachsen
im Anfang des 10. Jahrhunderts läßt eine Neubelebung alter Sagen
erwarten, Neudichtungen, die den Mut, die Kraft und die Helden-
taten der alten Sachsen priesen und sie als anderen Stämmen, nament-
lich den Franken, überlegen schilderten. Widukind selbst macht
die Bemerkung (II, 6), daß die Sachsen durch die Oberherrschaft
ihres Königs ruhmredig geworden waren (gloriosi facti); und von
der Ruhmredigkeit ihrer Sänger erhalten wir auch eine ausdrück-
liche Probe, wenn uns Widukind (I, 23) erzählt, daß nach dem Siege
des Herzogs Heinrich von Sachsen über P^berhards fränkisches
Heer bei Eresburg im Jahre 915 die sächsischen Sänger triumphiert
haben: „Welche Hölle wohl groß genug sei, um die erschlagenen
Franken aufzunehmen!"
Herr Größler will von einer solchen Poesie nationalen Stolzes
und nationaler Eigenliebe durchaus nichts wissen; die Sänger oder
Sagenerzähler sollen nur das erzählt haben können, was vor Jahr-
hunderten von Mitkämpfern, Teilnehmern oder Zuschauern erzählt
ist, und die Verschiedenheit der epischen Erzählungen des 10. Jahr-
hunderts soll nur von der Verschiedenheit der Erlebnisse der Teil-
nehmer an den Begebenheiten im 6. Jahrhundert herrühren können
(S. 466) ! — Zur Durchführung dieser wunderbaren Belehrung würde
noch eine Erklärung darüber nötig sein, auf welche Weise die an-
geblichen Teilnehm er berichte des 6. Jahrhunderts sich unverändert
bis ins 10. Jahrhundert erhalten haben sollen.
Herr Größler hat eine Auskunft über dieses Problem nicht
gegeben. Dafür schlägt er um so heftiger auf meine Anschauung
los, daß auch die Nachricht von einem schon durch Hugdietrich
erlangten freien Besitz der Sachsen über Nordthüringen aus einer
mit der historischen AVahrheit frei schaltenden poetischen Quelle
geflossen sei. Diese Ansicht scheint er als eine ganz besondere,
gegen ihn gerichtete Bosheit aufzufassen. Meinen aus guten Ge-
schichtsquellen geschöpften unumstößlichen Beweis, daß es einen
freien Besitz der Sachsen über Nordthüringen im 6. Jahrhundert
nicht gegeben hat, daß die Sachsen vielmehr den Frankenkönigen
Wider alte und neue Legenden. 295
tributpflichtig waren, kann er trotz heißen Bemühens und trotz
aller der gesuchten und falschen Einwendungen — wie oben gezeigt
— nicht umstoßen, wenn er auch S. 473 vorgibt, dies geleistet zu
haben. Als Haupttrumpf wird deshalb die angebliche Überein-
stimmung der sächsischen Quellen ins Feld geführt.
Alle sächsischen Quellen sollen nach Größler (S. 471) überein-
stimmen in der Behauptung von der freieigenen Erwerbung des
nordthüringischen Landes durch die Sachsen, sie „müßten sich ja
geradezu verschworen haben, die Nachwelt zu täuschen"! Alle drei,
Euodolf, Widukind und der Quedlinburger Annalist, „sind von-
einander unabhängig und keiner hat auf den anderen eingewirkt".
— „Ein hoher Grad von Voreingenommenheit gehört demnach dazu,
alle drei des gemeinsamen Irrtums oder wohl gar der beabsichtigten
Täuschung ihrer Mit- und Nachwelt zu beschuldigen, wie Höfer das
tut, indem er behauptet, sie hätten in einer Zeit der Machtzunahme
ihres Stammes durch diese Fälschung den Nachweis führen wollen,
daß auch die Vergangenheit ihres Stammes eine gleich ruhmvolle
gewesen sei wie die Gegenwart."
Um mich der Voreingenommenheit beschuldigen zu können,
schreibt mir Herr Größler wieder eine Behauptung zu, die ich nicht
gemacht habe. — Ich habe vielmehr gesagt (S. 32): „Schon zur
Zeit Ottos I. war die Art der Erwerbung (Nordthüringens) bei den
sächsischen Schriftstellern vergessen. Aber das hochgehende
Selbstgefühl der Sachsen glaubte gern und machte gern glauben,
daß diese Besitzung schon seit 400 Jahren, seit dem Fall des thü-
ringischen Königreichs, den Sachsen gehöre und von den Franken-
königen ihnen übergeben worden sei. Sächsische Sänger kündeten
die Mär, und der Corveyer Mönch, dessen erstes Buch noch manche
Volkssage enthält, die man ihm heute nicht glaubt, nahm auch diese
zur Verherrlichung seines Volkes so geeignete Legende im ganzen
Umfange auf, zumal sie das einzige enthielt, was er über die Früh-
geschichte seines Volkes in Erfahrung bringen konnte." — Ich habe
also weder Widukind noch Ruodolf noch den Quedlinburger Anna-
hsten der beabsichtigten Täuschung oder Fälschung beschuldigt,
sondern im Anschluß au die allgemein zugestandene Tatsache, daß
die Widukindsche Erzählung aus Sagen und epischen Liedern ge-
schöpft ist, darauf hingewiesen, daß auch die Nachricht von der
Überlassung Thüringens durch Hugdietrich auf dichterischer Legende
beruht. — Wer Legende für Geschichte hält, ist doch darum noch
lange nicht bewußter Täuscher oder Fälscher!
Der Wahrheit nicht entsprechend ist auch die zur Verstärkung
des eben besprochenen Vorwurfes vorgebrachte Behauptung, daß die
genannten drei sächsischen Quellen voneinander unabhängig seien und
296 Wider alte iind neue Legenden,
keiner auf den anderen eingewirkt habe (S. 471). — Auch Größler
hätte wissen können, daß, wenn drei Schriftsteller ihre Nachricht aus
derselben Quelle, d. h. hier aus einer im Sachsenvolke immer reich-
licher ausgestatteten Volkssage geschöpft haben, sie im Urteil der
historischen Kritik nicht als drei selbständige, voneinander unab-
hängige Zeugen gelten, sondern nur als drei verschiedene Relationen
ein und derselben Quelle. — Außerdem hatte ich als meine durch
Vergleichung der beiden Texte gewonnene Überzeugung ausgesprochen
(S. 7, 9 Anm. 2, 45), daß Widukind die Schrift Rudolfs gekannt und
benutzt hat; und längst bekannt, auch von mir S. 40 und 59 her-
vorgehoben ist es, daß der Bericht in den Quedlinburger Annaien
auf Grund von Widukinds Darstellung verfaßt ist. Wattenbach
(Deutschlands GeschichtsqueUen im Mittelalter, 1885) sagt S. 320:
„Widukinds Werk kann ihm (dem Verfasser der Quedlinburger
Annalen) nicht unbekannt gewesen sein" und weiter: „Auch hier
finden wir Stücke aus der alten Heldensage, die zum Teil mit
Widukinds Erzählung übereinstimmen, aber sie sind hier nur ganz
äußerlich eingeschoben. Es fällt darunter . . . eine lange Erzählung
vom Thüringerkriege, welche ganz aus dem Charakter des übrigen
Werkes heraustritt. Hiervon hat nun L. Hoffmann nachgewiesen,
daß weder Ekkehard noch der sächsische Annalist und Chronograph
sie in ihrem Exemplar gelesen haben, daß dagegen der Verfasser
des Chronicon ducum Brunsvicensium sie gekannt hat ... sie muß
also im 12. Jahrhundert vorhanden gewesen sein. Aber zum ur-
sprünglichen Werke gehört sie nicht." — Also eine in die Quedhn-
burger Annalen später eingeschobene, im Anschluß an Widukinds
Erzählung verfaßte Geschichte bezeichnet Herr Größler als das un-
abhängige Zeugnis des Quedlinburger Annalisten; und auf solche
falsche Voraussetzungen gründet er die hochtrabenden Behauptungen :
„sie müßten sich geradezu verschworen haben, die Nachwelt zu
täuschen !" und ähnliche Phrasen.
Was bleibt also übrig von den drei „unabhängigen" „sächsischen
Zeugen", von denen „keiner auf den anderen eingewirkt hat" (S. 471)?
Eine sagenhafte Angabe, die zuerst der Fuldaer Mönch Rudolf im
Zusammenhang mit ganz ungeschichtlichen Vorstellungen über die
Herkunft der Sachsen in seiner Translatio S. Alexandri (zwischen
863 und 865) vorgebracht hat, und die in ähnUcher Weise von Widu-
kind imd dessen Ausschreiber nacherzählt ist.
So wertvoll auch die annalistische Zeitgeschichte ist, die wir
von dem nicht unbedeutenden Rudolf in den Annalen von Fulda
über die Zeit von 839—863 erhalten haben, so hatte doch auch er
über die Vorzeit der heidnischen Sachsen so wenig eigene Nach-
richten, daß er die Beschreibung ihrer Sitten und ihrer Religion aus
Wider alte und neue Legenden. 297
der Germania des Tacitus entnehmen mußte (vgl. Waitz, Forschun-
gen, X, S. 602).
Wie er dazu kommen konnte, den sächsischen Besitz Nord-
thüringens nicht nur, sondern auch Norddeutschlands von der 300
Jahre vor seiner Zeit geschehenen Unterwerfung des thüringischen
Königreichs durch den Frankenkönig Theuderich herzuleiten, habe
ich in meiner Abhandlung S. 23 und 30 erörtert: Eine Vorherrschaft
über die Schwaben und Hassegauer, also über Nordostthüringen bis
zur Unstrut hatten die Sachsen im 8. Jahrhundert erreicht (Saxoues
qui Nordosquavi vocautur, Ann. Mett. ad 748). Der Umfang des
sächsischen Bistiuns Halberstadt war durch Karl den Großen oder
Ludwig den Frommen (814) bis zur Unstrut reichend festgesetzt.
Diese Ausdehnung der sächsischen Sphäre mußte erklärt werden und
forderte zu Vermutungen auf. — Daß es sich nur um ungeschicht-
hche V^ermutung handelt, lehrt die Erzählung Rudolfs selbst. Denn
nach dieser sind die Sachsen erst in eben der Zeit an der deutschen
Nordküste (Hadeln) von Britannien aus angekommen, in welcher der
Frankenkönig Thiotrich die Thüringer bekämpfte. Durch Beteihgung
an diesem Kriege sollen die Sachsen mit einem Schlage das ganze
Land von Hadeln bis zur Unstrut erlangt haben. — Und derartiges
soll „eine zu gleicher Zeit oder gleich nach den Ereignissen ent-
standene und offenbar treu bewahrte Überlieferung" sein, „welche
von Mitkämpfern, Teilnehmern und Zuschauern der Ereignisse her-
rührt?" (Vgl. Größler, S. 466.)
In allen Zeiten, wo die Forderung unbedingter Zuverlässigkeit
noch nicht als höchstes Gesetz dem Gewissen des Geschichtschreibers
eingeschärft war, haben die Chronikenschreiber keinen Anstoß daran
genommen, den Mangel einer sicheren Überlieferung durch eine
ihnen richtig scheinende Vermutung zu ersetzen. In seinen Schriften
über das Leben der heiligen Lioba und über die Wunder der bei
seinen Lebzeiten nach Fulda gebrachten Reliquien hat derselbe
Rudolf eine solche Fülle von Wundergeschichten berichtet, daß jeder
Leser erkennen kann, wie wenig die Forderung strenger Kritik in
die Gewissen auch der besseren Erzähler eingeschrieben war. Bei
der Naivetät, mit welcher Geglaubtes an die Stelle des Gesicherten
gesetzt wurde, ist es deshalb ganz unzulässig, von Fälschung zu
reden, wenn ein solcher Erzähler sich mit einer Vermutung beholfen
hat, wo ihm sichere Nachrichten fehlten. Stammten derartige Vor-
stellungen aber aus Liedern der Volkssänger und Geschichten-
erzähler, so wäre der Vorwurf der Fälschung geradezu lächerlich;
daß derart Leute über die Großtaten und Erfolge der Vorfahren
Dinge zu rühmen wissen, für die sie sich auf historische Nachrichten
oder gar Augenzeugenberichte nicht stützen können, ist jedem be-
298 Wider alte und neue Legenden.
kannt, der von Homer oder den deutschen Heldenliedern etwas ge-
lesen hat.
Ich habe in meiner Abhandlung (S. 23 und 80) darauf hin-
gewiesen, daß mit demselben Dichterrechte, wie jene sächsischen
Epiker, der schwäbische Verfasser der Origo Suevorum im 12. Jahr-
hundert die Mitwirkung bei der Zerstörung Thüringens und die Er-
beutung des Landes bis zur Unstrut den Schwaben zugeschrieben
hat; — ob er darum für einen Fälscher erklärt wird, müssen wir
abwarten.
Wer solche Erzählungen für genauen historischen Bericht hält
und dadurch in Irrtum gerät, sollte nicht über die Fälschung der
Poeten oder über die ungläubigen Kritiker, sondern über die eigene
Urteilslosigkeit klagen. Wer aber den Glauben an die Zuverlässig-
keit solcher Erzählungen festzuhalten sucht, auch nachdem ihre
Ungeschichtlichkeit erwiesen ist, der hat am allerwenigsten den
Beruf, über die Ergebnisse sorgsamer Quellenprüfung anderer sein
Urteil zu verkünden.
Bei genauerer Prüfung geben die angebUch übereinstimmenden
Angaben der sog. sächsischen Quellen über die Besitzung thüringi-
schen Landes einen merkwürdigen Aufschluß über ihre Entstehung
und ihren W^ert. — Rudolf sagt, daß die Sachsen wegen der ge-
ringen Zahl der Übriggebliebenen das ihnen zugewiesene Land nicht
haben besetzen können imd darum den östlichen Teil an Kolonisten
übergeben haben, welche ihr Ackerlos gegen Tribut bearbeiteten.
Er hat hier zweifellos auf die Tatsache Rücksicht genommen, daß
in Wirklichkeit der östliche Teil des angeblich den Sachsen zuge-
fallenen Landes nicht von Sachsen, sondern von Schwaben, Hoh-
singen, Frisen eingenommen war. Uns ist aber aus guten Quellen
bekannt, daß es nicht die Sachsen gewesen sind, welche jene
Schwaben und andere Völkerschaften in jenen östlichen Gegenden
des nördlichen Thüringens augesiedelt haben, sondern die Franken-
könige Chlothar I. und Sigibert (Greg. Tur. V, 15; Paul. Diac. II, 6).
Man sieht, daß auch dieser Versuch Rudolfs, die Sachsenlegende
mit den Tatsachen in Einklang zu setzen, lediglich der Vermutung
oder dichterischer Kombination entsprungen ist.
Eine ähnliche, aber nicht übereinstimmende Auskunft schließt
Widukind seiner epischen Erzählung an. Nach ihm „nahmen die
Sachsen Besitz von dem Lande (Thüringen) und lebten im tiefsten
Frieden als Freunde und Bundesgenossen der Franken". Eine Be-
schränkung des Besitzes bis zur Unstrut ist hier überhaupt nicht
mehr erwähnt. Dagegen fühlt auch seine Erzählung das Bedürfnis,
sich mit der Tatsache abzufinden, daß ein großer Teil des angeblich
eroberten Gebietes von Schwaben und anderen Völkern bewohnt
Wider alte und neue Legenden. 299
war. Hier lautet die Auskunft, die Sachsen hätten einen Teil ihrer
Ländereien mit ihren Freunden, die ihnen zu Hilfe gekommen waren,
und mit freigelassenen Kxiechten geteilt. Auch das ist eine Ver-
legenheitsauskunft. In der vorhergehenden Erzählung von der sieg-
reichen Eroberung Scheidungens kommen solche hilfreiche Freunde
nicht vor, die Sachsen haben vielmehr allein gekämpft und allein
gesiegt. Die geschichtliche Tatsache, daß Schwaben und die anderen
Völkerschaften durch die Frank enkönige eingesetzt sind und
nicht durch die Sachsen, daß sie vielmehr gegen die rückkehrenden
Sachsen ihr Besitztum erfolgreich verteidigt haben, läßt auch diese
Auskunft als das erkennen, was sie ist.
Die dritte sächsische Quelle, nämlich die in den Quedlinburger
Annalen nachträglich eingeschobene Erzählung, fühlt schon kein
Bedürfnis mehr, die Anwesenheit nichtsächsischer Einwohner im
angeblich eroberten Lande zu erwähnen; sie sagt: Theodorich über-
gab den siegreichen Sachsen das ganze Thüringerland, mit Ausnahme
des Landes zwischen Louvia und Harz, zu ewigem zinsfreien Besitz.
So viel über die „übereinstimmende" Überlieferung der drei an-
geblich „voneinander unabhängigen" sächsischen Zeugen.
Ehe ich diesen Teil über die Quellen verlasse, seien noch kurz
einige Urteile Größlers über Quellen hier erwähnt, die nicht un-
widersprochen bleiben dürfen : Meine aus Fredegars Chronik (III, 68)
entnommene Nachricht, daß die 20 000 Sachsen aus den Gegenden
des späteren Schwaben- und Hassegaues nicht 568 freiwillig nach
Italien ausgewandert sind, sondern auf Befehl des Königs Theudebert,
also schon vor 548 (Saxones, quos Theudebertus in Aetalia miserat),
nennt Herr Größler eine haltlose Vermutung von mir (S. 475). Von
dem Werte der von mir zitierten Quelle, die um 642 geschrieben ist,
weiß er also nichts. Dagegen behauptet er frischweg, daß der um
785 schreibende Langobarde Paulus Diaconus gerade in Italien über
den früheren Besitz der Sachsen in Nordthüringen die genaueste
Kunde habe erlangen können, weil jene Sachsen sich mehrere Jahre
bei den Langobarden aufgehalten haben (NB. 200 Jahre vor Paulus
Diaconus). Herr Größler hätte durch Nachschlagen und Nach-
lesen ersehen können, daß Paulus Diaconus alle Nachrichten über
diese Sachsen aus Gregor von Tours, zum Teil wörtlich, entnommen
hat, wie ich S. 18 geschrieben habe, bis auf die eine von der Ver-
anlassung zu ihrem Auszuge nach Italien. Warum ich die von
Paulus gemachte Angabe über den Auszug im Jahre 568 für falsch
halte gegenüber der älteren Nachricht Fredegars, ist leicht einzu-
sehen, nämlich weil das leer gewordene Gebiet — auch nach Paulus
Diaconus — durch die Frankenkönige Chlothar I. und Sigibert neu
besiedelt worden ist, Chlothar aber schon 561 gestorben ist (vgl.
300 Wider alte und neue Legenden.
S. 19 meiner Abhandlung). Und nun lese man, welche konfuse
Begründung meines Urteils mir Herr Größler auf S. 474 zuschreibt !
Wir kommen zu dem zweiten Teile, zu den politischen, geo-
graphischen und sonstigen sachlichen Gründen, die nach meiner An-
sicht das aus den Quellen gewonnene Urteil bestätigen. Herr Größler,
der sich auch hier an meine Fersen heftet, beginnt seine wohlfeilen
Angriffe mit der Bemerkung, daß dieser zweite Teil überflüssig wäre,
wenn der erste beweiskräftig wäre. Keinem anderen wird es un-
bekannt sein, daß ein Beweis an Überzeugungskraft gewinnt, wenn
die zu erhärtende Tatsache auf verschiedenen Wegen bewiesen wird:
„Doppelt reißt nicht" sagt der Volksverstand. Es wäre übrigens
recht wünschenswert, wenn das Gefühl für das Überflüssige dem
Herrn bei seineu eigenen Veröffentlichungen zu Gebote stände,
manche unnütze, breitgetretene und grundlose Auseinandersetzung
wäre dann erspart worden. — Wenn ihm meine ferneren Betrach-
tungen ,, nicht die geringste Klarheit über die vorliegende Frage ge-
bracht haben", so ist das sicherlich nicht meine Schuld; viele andere
Männer von mehr Verständnis für logische Folgerungen haben meine
Beweise für schlagend und die Frage für endgültig erledigt gehalten.
Charakteristisch für die Art des Größlerschen Angriffes ist die
Wendung, „ich hätte dem Leser nicht erspart", die Entwickelung
der thüringisch-sorbischen Mark usw., ja sogar die Ausbreitung des
Sachsennamens bis zum Jahre 1423 in allen ihren Phasen zu zeigen,
die er, Herr Größler, schon seit Jahrzehnten in der Schule gelehrt
habe (S, 476). — Meine immerhin ganz kurze Aussprache hierüber
(S. 35) war nötig geworden lediglich durch die seltsame, aber mit
großer Emphase vorgetragene Behauptung Größlers : „Kann etwa die
Tatsache umgestoßen werden, daß seit dem Sturze des thüringischen
Königreichs durch die Franken das ganze Nordthüringer Land
Sachsenboden geworden und seitdem geblieben ist, jene Tatsache, die
den Anstoß dazu gab, daß der Sachsenuame erst auf die heutige
Provinz Sachsen (so!), dann auf das Kurfürstentum und Königreich
und die thüringischen Herzogtümer sich verbreitet hat? Das Vor-
dringen des Sachsennamens zunächst bis an die Unstrut, die Helme
und den Sachsgraben wäre ganz unbegreiflich, wenn die Sachsen
keine entscheidende Rolle in dem thüringischen Trauerspiel gespielt
und die Frankenkönige nicht zur Anerkennung ihrer Ansprüche ge-
nötigt hätten" (diese Zeitschr., Bd. XIX, S. 18—19).
Dieser rhetorische Rückschluß aus der späteren Ausbreitung
des Sachsennamens auf die einstige Beteiligung der Sachsen an
Thüringens Zerstörung war im Jahre 1899 die Hauptstütze für die
Meinung gewesen, daß dem legendarischen Bericht der späten
sächsischen Quellen geschichtliche Wahrheit innewohne. — Ich
Wider alte und neue Legenden. 301
habe diesen großartigen Schluß für einen Trugschluß erklärt und
auf die bekannten Tatsachen hingewiesen, durch welche die Aus-
breitung des Sachsennamens in Wahrheit sich zugetragen hat, und
zwar auf ganz andere Weise, als durch vermeinthche Eroberungen
im 6. Jahrhundert. Anlaß und Zweck dieser meiner Ausführung ist
deutlich auf S. 34 und 35 meiner Abhandlung ausgesprochen, Herr
Größler kannte sie — und nun beschwert er sich darüber, daß ich
den Lesern die wahren Angaben über die Ausbreitung des Sachsen-
namens nicht erspart habe ! Jetzt besinnt er sich darauf, daß er diese
Angaben seit Jahrzehnten in der Schule gelehrt habe ! — Was kann
ich dafür, daß er in seinem Aufsatz über den Sturz des thüringischen
Königreichs von dieser Kenntnis keinen Gebrauch gemacht, daß er
den Lesern dieser Zeitschrift etwas ganz anderes gelehrt hat als
seinen Schülern ? — Mit dem Trugschluß sank freilich der Boden
zusammen, auf dem Herr Größler sein Gebäude bis ins einzelnste
ausgeführt hatte. Leider fand er den Mut nicht, die Konsequenzen
daraus zu ziehen.
Die geographischen Gründe, die gegen einen Zug des fränki-
schen Heeres gegen Thüringen über Weser und Hannover deutlich
sprechen, haben für den keine zwingende Kraft, der sie durchaus
bekämpfen will und muß, um nur ja recht zu behalten. Nur die
dagegen vorgebrachten Schiefheiten und falschen Behauptungen
seien berichtigt: — Weil Karl der Große es endlich wagte, gegen die
Sachsen über die Weser nach Ührum an der Oker vorzugehen, so
soll dies ,,auf das stärkste dafür sprechen" (S. 479), daß 244 Jahre
früher der Merowinger Theuderich den Marsch nach Thüringen
über Weser und Hannover gemacht habe ! 1 — Ob es Leute gibt, die
das glauben?
Unbekümmert um die Richtigkeit wird weiter fortgefahren, ich
hätte „ohne den geringsten quellenmäßigen Anhalt behauptet, auf
der sog. Kinzigstraße, der kürzesten und ältesten" Verbindung von
Mainz nach Thüringen, ,, müsse der Anmarsch der Franken im Jahre
531 erfolgt sein", das sei Phantasiegemälde; „nur einen einzigen
Fall vermag er übrigens anzuführen, daß ein fränkischer Heerzug
gegen die nordthüringischen Sachsen durch Thüringen gegangen ist,
das ist der Zug Pippins im Jahre 747" (S. 479). — Man sieht auch
hier, wie oberflächlich Herr Größler liest, wie schnell er vergißt.
Gänzlich vergessen hat er meinen Hinweis (S. 42) auf das wichtige
Beispiel vom Jahre 641, wo König Sigibert seinen Heereszug gegen
den aufständigen Statthalter Thüringens, Herzog Radulf, durch
die Buchonia machte nach dem durchaus glaubhatten Bericht des
gleichzeitigen Gewährsmannes Fredegar (c. 87). Durch die Buchonia
führt aber gerade die Kinzigstraße. — Totgeschwiegen ist ferner mein
302 Wider alte und neue Legenden.
Hinweis auf König Dagobert, der 632 nach Thüringen ziehen wollte,
um es gegen die Wenden zu schützen, und der zu diesem Zwecke
mit den Austrasiern nach Mainz zog (S. 43, Anm. 1). — Die Straße
(platea), auf der die Kaufleute in Merowingerzeit von Thüringen
nach Mainz und umgekehrt zogen, wird, wie ich S. 41 zeige, im
Leben des heiligen Sturm für das Jahr 736 uns deutlich bezeichnet,
sie führte oberhalb von Hersfeld durch die Fulda, das kann nur die
Kinzigstraße sein.
Herr Größler, der von allen diesen Dingen bisher keine Ahnung
gehabt hat, behauptet frisch drauf los: ich hätte „ohne den ge-
ringsten quellenmäßigen Anhalt" und in Phantasie diese Straße als
die im Jahre 531 naturgemäß zu benutzende bezeichnet. Er tut so,
als hätte ich nur von dem Wege der fränkischen Mission nach
Thüringen (über Fulda und Hersfeld) und von dem Heereszuge
Pippins 747 gesprochen, obwohl auch diese viel mehr beweisen, als
Herr Größler glauben machen will.
Dagegen hegt für die Benutzung des Umweges über Weser
imd Hannover durch ein fränkisches Heer aus merowingischer Zeit
kein einziges Zeugnis vor; auch die gegen die Sachsen energisch
Krieg führenden Pippiniden haben die Weser nie überschritten, auch
Karlmann nicht, der doch die Hoohseoburg in Nordostthüringen 743
und zum zweiten Male 744 einnahm (Ann. Lauriss. M. G. SS. I,
p. 134). — Die Nennung des Namens Runibergun durch Widukind im
Jahre 968 muß für den hypnotisierten Anhänger dieser Vorstellung
jeden Beweis ersetzen, jede Analogie und Wahrscheinlichkeit umstoßen.
Und auf wie schwachen Füßen steht diese Nennung und die
aus ihr gezogenen Folgerungen ! — Nachdem es zweifellos nach-
gewiesen ist, daß die in den Quedlinburger Annalen enthaltene Er-
zählung vom Thüringer Kriege ein späteres Einschiebsel ist, aus
Widukinds Erzählung geschöpft, so bleibt die aus epischen Liedern
entnommene und mit gelehrten Zutaten vermehrte Erzählung Widu-
kinds die einzige Quelle für diesen Namen. Der ältere Erzähler der
sächsischen Tradition, Rudolf von Fulda, hat ihn noch nicht ^). Auch
in Widukinds Hauptquelle, dem Heldenliede, ist der Name nicht
genannt gewesen (oder wenn er genannt war, so ist dort auf keinen
1) Daß ich mich auf diesen berufe, trifft zwar bei Größler auf
gänzliches Unverständnis : ich dürfe das nicht, meint er, weil ich die
sächsischen späten Nachrichten überhaupt für legendenhaft halte.
Es ist aber doch wohl leicht einzusehen, daß ich mich auf Rudolf
nur deshalb berufe, um zu zeigen, daß vor Widukind auch in der
sächsischen Tradition Name und Schlacht von Runibergun noch
nicht genannt war. Das Gleiche läßt sich aus der Origo Suevorum
erschließen.
Wider alte und neue Legenden. 303
Fall der Ort bei Hannover, sondern ein Ort in Thüringen gemeint
gewesen); das zeige ich auf S. 39, und ausführlich Pelka (Zeitschr.,
Bd. XXIV, S. 402—403). Größler schweigt darüber; Runibergun
bei Hannover gehört ihm trotz alledem zur sichersten Überlieferung,
so überzeugend auch schon von früheren Autoren und zuletzt von
Pelka erwiesen worden ist, daß dieser Ort mit dem sonstigen Texte
Widukinds unvereinbar ist. Wenn ich den Namen für alt über-
liefert halten müßte, würde ich anstatt an das hannoversche Eonne-
berg viel eher an die thüringische, in altem Straßendefilee gelegene
Ruhnsburg bei Amt Lohra denken, eine einstige Wallburg, von der
die Sage geht, daß sie durch Bonifatius zerstört worden sei.
Um nun die Anmarschlinie über Weser und Hannover auch
anderen annehmbar zu machen, nachdem er sie nun einmal früher,
ohne an Schwierigkeiten zu denken, angenommen hat, versucht
Größler eine Eeihe aus der Phantasie geschöpfter Vorstellungen den
Lesern als historische Tatsachen einzureden: das Königreich Thü-
ringen soll nördlich des Harzes sogar bis in die Gegend von Han-
nover sich ausgedehnt haben, eine Ansicht, die durch kein histo-
risches Zeugnis gestützt, durch die Dialektforschung widerlegt wird,
welche in den nordharzischen Gegenden die Dialekte der Warnen
und der Angeln erkennt.
Ferner: der König des Ostfrankenreichs in Metz und Eheims
soll den König von Thüringen, der seinen Stützpunkt an der Un-
strut hatte, an der vermeintlichen Nordgrenze des thüringischen Ge-
bietes, bei Hannover angegriffen haben, wo er von dem Kern der
thüringischen Macht noch fast ebenso weit entfernt war wie an dem
fränkischen Ausfalltor nach Thüringen, in Mainz.
Es wird nun des längeren ausgeführt, daß die Hilfstruppen
Theuderichs, nämlich die Eipuarier, die Neustrier — auch die Be-
wohner der Auvergne Averden genannt — bequemer und kürzer
hätten den Niederrhein erreichen können als Mainz, was für
Neustrien (Paris und Soissons) durchaus nicht zutrifft, von der
Auvergne gar nicht zu reden. Für Eipuarien war allerdings Köln
die Hauptstadt; aber auch von Köln führt der Weg ins Herz
Thüringens, nicht über Hannover — ein solcher Marsch wäre vielmehr
ein spitzer Winkel — sondern über Cassel, wo die alte Holländische
Straße noch bekannt genug ist. — Herr Größler übersieht außer-
dem gänzlich, daß zur Zeit Theuderichs der König der Ostfranken
noch nicht in der Lage war, seine zum Heerdienst verpflichteten
Franken hierhin oder dorthin zu kommandieren, wie etwa heute der
höchste Kriegsherr über seine Heere und Heerführer disponiert.
Die ursprünglich freien Franken hatten auch damals noch ein die
Souveränität des Königs beschränkendes Mitbestimmungsrecht, das
304 Wider alte und neue Legenden.
sie auf der großen Heerversammlung auf dem Märzfelde ausübten ^).
In Austrasien, wo diese Einrichtung am längsten bestanden hat,
fand die Versammlung in Metz statt (z. ß. 575, Hist. Franc, epit.
M. G. SS reg. Merov. II, p. 284). Auch 531 hat Theuderich,
wie aus Gregors Darstellung (III, 7) deutlich hervorgeht, erst
die Franken versammelt und sie durch eine Ansprache und durch
krasse Schilderung thüringischer Freveltaten für den Feldzug ge-
neigt gemacht (Convocatis igitur Francis, dicit ad eos). Vorher
konnte er über den Heerbann nicht disponieren. Von der Beratung
ist man sofort zum Feldzuge aufgebrochen (Quod illi audientes et
de tanto scelere indignantes, uno animo eademque sententia[m]
Thoringiam petierunt). Das Märzfeld der Austrasier kann aber nur
in Austrasien stattgefunden haben ; von dort aus, von der Haupt-
statt Metz aus, setzte sich der Heerbann in Bewegung.
Ob Theuderichs zur Hilfeleistung bewogener Bruder Chlothar,
König von Neustrien, und ob Theuderichs Sohn Theudebert eben-
falls den Heerbann aufgeboten haben, oder ob sie nur mit ihren
Gefolgsleuten oder scarae teilgenommen, wissen wir nicht-).
Über die Marschrichtung wird im Liber historiae Francorum
0. 22 gesagt: jene drei Herrscher hätten mit dem Heere der Franken
den Rhein überschritten und die Richtung nach Thüringen ge-
nommen gegen Ermenfred (Renum transeuntes in Toringam dirigunt).
Genaueres darüber, wo bei einem Feldzuge gegen Thüringen der
Rhein überschritten wurde, erfahren wir bei Gelegenheit der Feld-
züge Dagoberts und Sigiberts aus Fredegars Chronik. Dagobert ist
632 mit den Austrasiern von Metz durch die Ardennen nach Mainz
marschiert, um dort den Rhein zu überschreiten und nach Thüringen
zu gelangen (Fredeg., IV, 74; cum exercito de regnum Austra-
siorum de Mettis urbem promovens, transita Ardinna, Magancia cum
exercito adgreditur, disponens Renum transire). Als 9 Jahre später
König Sigibert den von Dagobert eingesetzten Statthalter Thüringens,
Herzog Radulf, unterwerfen wollte, entbot er alle seine austrasischen
Männer, zog mit ihnen über den Rhein, hier scharten sich die
Völkerschaften aus allen überrheinischen Gauen seines Reiches um
ihn (Fredeg., IV, 87). Auch diesmal ist der Rhein bei Mainz
überschritten , wie deutlich aus dem folgendem Satze hervorgeht :
1) Sohm, Die fränkische Reichs- und Gerichtsverfassung, 1871,
S. 38 ff. — Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. II, S. 146 ff.
und 521 ff.
2) Im Jahre 632 hatte König Dagobert, als er mit dem Heere
der Austrasier nach Thüringen ziehen wollte, aus Neustrien und
Burgund nur die scara auserlesener tapferer Männer bei sich, Fred.,
IV, 74.
Wider alte \uid neue Legenden. 305
„Wie Sigibert mit seinem Heere in Eile durch die Buchonia nach
Thüringen zog" ; denn die Straße nach Thüringen durch die Buchonia
(Rhön und Vogelsgebirge) war die von Mainz ausgehende, die auch
der Heiüge Sturm an der Stelle ihres Überganges durch die Fulda
im Jahre 736 berührte (pervenit ad viam, quae a Turingorum regione
mercandi causa ad Magontiam pergentes ducit; ubi platea illa super
flumen Fuldam vadit, ... ibi magnam Sclavorum multitudinem
reperit, Eigil, Vita Sturmi, c. 22). Wir ersehen also aus gut be-
glaubigten historischen Nachrichten deutlich, wo in merowingischer
Zeit die Frankenheere, die nach Thüringen zogen, den Rhein über-
schritten und wo sie ihre rechtsrheinischen Truppen an sich zogen,
nämlich bei Mainz. Ich meine, daß derartige geschichtliche Bei-
spiele einen ganz anderen Wert für uns haben, als die ungeschicht-
lichen und ungeographischen Vorstellungen des Herrn Größler.
Herr Größler versichert uns S. 482, daß er an seiner bisherigen
Auffassung festhält. — Wem liegt daran?
Über den anderen schwerwiegenden Grund, der einen Marsch
des Frankenheeres über Hannover unmöglich machte, geht Herr
Größler fast mit noch größerer Leichtfertigkeit hinweg. Daß ich
den geschichtlichen Beweis über die damalige Ausdehnung des
Sachsenlandes bis zur Lippe geführt habe, kann er nicht bestreiten,
wiU es aber auch nicht eingestehen; durch einige gequälte Witze
wird der Sache ein zweifelhafter Schein gegeben, und das vollwichtige
Zeugnis des Geographen von Ravenna, der aus den ersten Jahr-
zehnten des 6. Jahrhunderts die Nachricht hat, daß die Lippe ein
sächsischer Fluß ist, wird den Lesern dieser Zeitschrift aus den
Händen gespielt mit Phrasen, die der Wahrheitserforschimg sicher-
Uch nicht dienen (S. 483).
Trotz Herrn Größlers Anzweifelung steht es fest, daß ein
fränkischer Marsch im Jahre 531 vom Rhein nach Hannover größten-
teils durch sächsisches Gebiet geführt haben würde; während doch,
wie der Ravennatische Geograph von seinem Gewährsmann aus dem
Anfang des 6. Jahrhunderts weiß, Rheinfranken an Thüringen an-
grenzte, so daß dies „sozusagen vor dem Angesichte Rhein frankens"
lag^). — Der Frankenkönig Theuderich hatte es in seinem Kriege
gegen den Thüringerkönig mit einem Feinde zu tun, der ihm ge-
wachsen war, er hatte darum seinen Bruder Chlothar durch Ver-
sprechung von Beuteanteil zur Hilfeleistung bewogen ; und nun wird
ihm zugemutet, daß er anstatt da vorzugehen, wo das Frankenreich
1) Geogr. Rav., IV, 25. Iterum desuper ipsam quomodo ut
dicamus ad faciem patriae Francorum Rinensium (in welchem nach
IV, 24 die Flüsse Lahn, Nidda, Tauber, Main, Roer, Inde, Erft
fließen) est patria quae dicitur Turringia.
XXVII. 20
306 Wider alte und neue Legenden.
an Thüringen grenzte, ganz unnützerweise, nur um auf die Nord-
seite von Thüringen zu gelangen, einen weiten Umweg durch das
Gebiet der Sachsen mit Weserübergang gemacht haben soll, der
ihm doch die Feindschaft imd den Widerstand der Sachsen hätte
eintragen müssen und seine Rückzugs- und Verbindungslinie den
größten Gefahren aussetzte!
Dieser zwingenden Folgerung sucht zwar Herr Größler zu ent-
schlüpfen durch die wohlfeile Einrede (S. 480), daß die Sachsen
vor Niederwerfung des thüringischen Königs „keine bedeutende
Bolle gespielt haben können" ; und doch geht das heiße Bemühen
desselben Herrn dahin , sich und seinen gläubigen Lesern die
Meinung beizubringen, daß der Frankenkönig nur durch die Hilfe
von 9000 Sachsen den thüringischen König habe niederwerfen
können! — Aber auch abgesehen von dieser späten Legende wissen
wir ja aus zuverlässigen historischen Nachrichten , wie gefährlich
die Sachsen schon im 4 Jahrhundert gegen das römische Galhen
auftraten (Zosimus III, 6—9; Ammianus XXX, 7); und ferner,
daß in den Jahren 555, 556 und 557, also nur 24 Jahre nach jenem
angeblichen Frankenzuge durch Sachsen, die Sachsen dem König
Chlothar, dem mächtigen Herrn des Frankenreiches, mit solcher
kriegerischen Kraft entgegengetreten sind, daß sie ihm eine schwere
Niederlage beibrachten und nur in jahrelangen mühevollen Kriegen
bezwungen werden konnten^).
Wer nun, wie ich, den Anmarsch des fränkischen Heeres über
Ronneberg bei Hannover für unmöglich hält, der wird sich auch
die Frage vorlegen, wo die natürliche Anmarschlinie lag und wo
der fränkische Angriff auf Thüringen vermutlich stattgefunden hat.
Ich sage auf S. 49: ,,am meisten Wahrscheinlichkeit wird die Ört-
lichkeit für sich haben, wo auch in späterer Zeit thüringisch-sächsische
Heere die von Frankfurt kommenden fränkischen erwartet haben,
nämlich 1075 bei Behringen, nordöstlich von Eisenach, 1080 bei
Flarchheim, 12 km nördlicher." Größler macht daraus folgendes:
„Wo aber" ? Höfer antwortet (S. 49) : „Höchstwahrscheinlich bei
Behringen oder bei Flarchheim." — Warum gerade dort? — Antwort:
„Weil da anno 1075 und 1080 auch einmal Schlachten stattgefunden
haben." — Dieser Herr verwandelt also meine Aussage ins Thörichte
und führt sein Machwerk mit Anführungsstrichen an, als wären
es meine Worte!! Es genügt, dies Beispiel niedriger zu hängen.
Mit dem Rest der Größlerschen Äußerungen will ich so kurz
wie möglich verfahren. Meine Darlegung über die Entwickelung
der deutschen Burgen ist ihm zu lang oder zu lehrhaft, obwohl er
1) Greg. Tur. IV, 10, 14, 16; Mar. Avent. chron. a. 555 u. 556.
Wider alte und neue Legenden. 3Q7
dokumentiert, dajß er von den wichtigen Ergebnissen der Burgen-
forschung in den letzten 10 — 15 Jahren, an denen ich in mannig-
facher Weise teilgenommen habe, keine Kenntnis hat. Für den
Nachweis, daß Scheidungen im 6. Jahrhundert als gemauerte Burg
noch nicht existiert haben kann, war die Darlegung nötig trotz des
Mißbehagens des Herrn Größler. Sie ist und bleibt auch richtig
trotz der oberflächlichen Einwendung, als hätte ich das lateinische
Wort murus über die Maßen gepreßt. Wenn Herr Größler seinen
Lesern die Meinung beibringen will, daß murus auch etwas anderes
bedeuten könne, als die nach den Eegeln der Maurertechnik her-
gestellte, richtig gefügte und mit Mörtel gebundene Mauer, so be-
lehrt er sie falsch. Die Worte Mauer, althochdeutsch möra, und
Maurer, ahd. mörari, sind mit der Maurertechnik aus der römischen
Baukunst in die deutsche übernommen, zuerst bei den Franken, und
durch diese, besonders aber durch die christUchen Geistlichen ist
der Mauerbau langsam in das innere Deutschland eingeführt. Die
deutschen Geschichtschreiber des 10. und späterer Jahrhunderte ver-
stehen unter murus nur jene neu aufgekommene, nach den Vor-
schriften der Technik geführte Mörtelmauer, sie denken gar nicht
daran, einen Steinzaun, von bäuerischer Hand geschichtet, oder einen
heidnischen Steinwall als murus zu bezeichnen; für derartige bar-
barische Befestigungen gab es die Bezeichnungen maceria oder
maceries, moles lapidea, strues, vallum lapideum, sepes ex siccis
lapidibus. Unbestimmterer Bedeutung ist das Wort moenia, das,
mit munire zusammenhängend, im allgemeinen Schutzwehrbauten
bezeichnet und sowohl Mauern als auch geringere Schutzbauten
umfaßt. Mit Bedacht hat deshalb Widukind dies Wort gewählt,
wenn er sagt, daß es außerhalb der von Heinrich I. erbauten Be-
satzungsburgen keine oder nur minderwertige Schutzbauten gegeben
habe (I, 35: vilia aut nulla extra urbes fuere menia).
Wer sich in diese Studien nicht vertiefen will, dem steht in
Werken wie jenem des reich belesenen Moritz Heyne (Das deutsche
Wohnungswesen, 1899) Belehrung so bequem zur Verfügung, daß
jedes vage Gerede hierüber ausgeschlossen sein sollte, z. B. S. 135 :
„Neben dem Turm charakteristisch ist die Einführung der Mauer
(NB. im 9. Jahrhundert langsam, im 10. Jahrhundert rascher,
S. 132). Der Name selbst zeigt, daß sie ein ganz anderes Werk ist,
als die Umfassung von Gärten und Weinbergen, die durch Steine im
Trocken verband hergestellt wird und die man treffend steinzün nannte;
murus dagegen ist das Kunstwerk fremder Einführung, mit dem sich
von vornherein der Begriff der wehrhaften Festigkeit verbindet."
Eine solche durch Mauer wehrhafte Burg des 10. Jahrhunderts
hat Widukind im Sinne, wenn er von dem Bollwerk einer Burg
spricht, in welches Irminfried sich eingeschlossen habe (urbis
20*
308 Wider alte und neue Legenden.
circumdatur claustro); die Thüringer sind daselbst von Mauern ein-
geschlossen (clausi muris) und machen einen kühnen Ausfall aus
den Toren (audacter erumpunt portis). In der Nacht steigen die
Sachsen über die Mauern (irruunt super muros), die sie ohne
Wachen finden und dringen in die Burg (ingressi sunt urbem cum
clamore valido) ; die Thüringer suchten teils ihr Heil in der Flucht,
teils irrten sie wie Trunkene längs der Straßen und Mauern der
Burg (per plateas et muros urbis).
Ich sollte meinen, daß Widukind die Mauern der Burg deuthch
genug hervorgehoben hat und daß es nur an der Oberflächlichkeit des
Lesens liegt, wenn jemand diese Beschaffenheit der geschilderten Burg
nicht bemerkt. — Diese Beschaffenheit ergibt sich aber auch aus
dem erzählten Vorgang. Die Burg soll so fest gewesen sein, daß
das fränkische Heer untätig davor lag, ohne daran zu denken, sie
zu erstürmen; während die Franken doch durch ihre römische
Schulung vom Bau und von der Eroberung der Burgen sehr viel mehr
verstanden als die Stämme des inneren und nördlichen Germaniens.
Burgen von solcher Wehrhaftigkeit und Verteidigungsfähigkeit sind
erst durch den Mauerbau geschaffen ; und es ist doch wohl schon
den Schülern bekannt, daß die ungarischen Raubscharen im Anfang
des 10. Jahrhunderts deshalb so ausgedehnte Plünderungszüge in
Thüringen und Sachsen ungehemmt ausführen konnten, weil es dort
widerstandskräftige Burgen nicht gab, und daß aus diesem Grunde
König Heinrich I. den neun-jährigen Waffenstillstand dazu benutzte,
um alte Burgen, wie Merseburg oder auch neue mit einer Mauer
zu versehen (Thielm. Chron. I, 10. Ex miraculis S. Wigberthi). Eine
Burg, in welcher ein geschlagenes Heer dem siegreichen Feinde
trotzen konnte, mußte mit Mauern umgeben sein, deshalb mußte
sich Widukind die thüringische Feste, die dem Frankenheere Wider-
stand leistete, ummauert denken ; anders war die RoUe gar nicht
möglich, die er ihr im thüringisch-fränkischen Kriege zuschrieb.
Auch das oppidum, der bewohnte Ort am Fuße der Burg, der
zuerst genommen und verbrannt wird, zeigt uns, daß Widukind
eine Burg des 10. Jahrhunderts im Sinne hat, an deren Fuße sich
das suburbium, die Vorburg (faubourg), die Vorstufe der späteren
Stadt entwickelt. Im suburbium von Merseburg siedelte Heinrich I.
die Legion der Mesaburier an (Wid. II, 3); im suburbium der
Burg Nordhausen erbaute Mathilde die Kirche und die Wohnungen
der Stifts] ungfrauen.
Wer die Unmöglichkeit einer solchen Burg, die noch dazu
ca. 9000 Streiter aufgenommen haben soU, im 6. Jahrhundert in
Thüringen kennt, und wer aus zahlreichen Angaben der Annalen
weiß, wie wenig Widerstand germanische Volksburgen (firmitates)
fränkischen Heeren entgegengesetzt haben, der handelt gewiß nicht
Wider alte und neue Legenden. 309
willkürlich, wenn er diese rhetorisch und dichterisch ausgeschmückte
Erzählung von der Belagerung Scheidungens, die nur ein später,
aus Liedern der Volkssänger schöpfender Gewährsmann im Gegen-
satz zu besseren Quellen überliefert hat, in das Eeich der Dichtung
verweist.
Zu welchen Strohhalmstützen derjenige greifen muß, der den
quellenkritischen wie den archäologischen Gründen zum Trotz an
seiner einmal gefaßten Lieblingsmeinung festhalten will, das zeigen
die letzten Gegengründe Größlers. Amalberga, die Schwester des
Gotheu Theodahad und Nichte Theoderichs, durch diesen an den
Thüringerkönig Irminfrid verheiratet, „kann in ihrem Gefolge Leute,
die des römischen Mauerbaues kundig waren, aus Italien mitgebracht,
oder von dort bezogen haben" (S. 464). Ein solches Gefolge von
italischen Maurern existiert nur in der Phantasie des Herrn
Größler. Von der exakten Methode der prähistorischen Forschung,
die derartigen unbewiesenen Vermutungen und Phantastereien mit
der strengen Forderung des Beweises durch Funde ein Ende ge-
macht hat, hat er leider keine Ahnung; sonst würde er wenigstens
versuchen , Spuren seiner italischen Maurer nachzuweisen. Frei-
lich hätten bekannte kulturgeschichtUche Beobachtungen derartige
vage Behauptungen von vornherein ausschließen sollen: Wenn
einzelne Männer oder Frauen derartige Umgestaltungen des Kultur-
zustandes und der Technik eines Landes hätten bewirken können,
dann hätten die vielen Germanen, die im römischen Heere gedient
haben, einen solchen Fortschritt in ihrer Heimat viel eher herbei-
führen können als eine landfremde Prinzessin; aber das ist nicht
geschehen, selbst jene suevischen und alamannischen Germanen, die
am Rhein und jenseit des Stromes römische Villen und Städte in
Besitz genommen und bewohnt hatten, bauten ihre Häuser wieder
in väterlicher Weise, wenn die römischen Steinhäuser verfielen.
Es bleibt gegenüber solchen Einfällen, wie dem Mauerbau der
Amalberga, bei der geschichtlichen Tatsache, daß erst die Franken
durch längeres Wohnen in Gebieten mit provinzialrömischer Kultur
sich allmählich mit den Vorteilen der befestigten Orte vertraut ge-
macht und den Wert römischer Befestigungsweise anerkannt haben,
und daß erst durch die Franken derartige Bauten in das östlichere
Germanien, frühestens durch Karl den Großen, gebracht worden
sind, ursprünglich als Grenzbefestigungen. Und zwar haben anfangs
auch diese Schutzbauten im inneren Deutschland „kaum aus Stein,
vielmehr aus Erde und Holz bestanden" (M. Heyne, Deutsches
Wohnungswesen, S. 131 — 133); das von Schuchhardt untersuchte
Kastell Karls des Großen bei Höhbeck an der Elbe (808) war aus
Holz, Flechtwerk und Lehm aufgeführt (Atlas vorgeschichtlicher
Befestigungen, VI, No. 46); und Merseburg, schon im 9. Jahrhundert
310 Wider alte und neue Legenden.
Grenzburg gegen die Slaven, erhielt erst durch Heinrich I. die Mauer
(Thietm., I, 10).
Gegenüber der ausgemachten Tatsache von der späten Ein-
führung des Mauerbaues in Deutschland macht Herr Größler S. 468
noch den unglücklichen Versuch, sich auf die Steinwälle des Kleinen
Gleichberges , einer vorgeschichtlichen Burg der La Tfene-Zeit, zu
berufen, er hätte ebenso gut auf andere keltische Festen mit ge-
schichteten Steinwällen, z. B. die Milsenburg in Hessen, die Burg-
stätte von Stradonice in Böhmen, sich berufen können, die von der
eigentümlichen Steinbefestigungskunst der Kelten Zeugnis geben;
aber diese zyklopischen Bauten des älteren Kulturvolkes zeigen eben
einen starken Gegensatz zur Kultur und Lebensweise der Germanen,
die solche Festen nicht gebaut und bewohnt haben; sie sind auch
etwas ganz anderes, als die auf römischer Technik beruhenden
Mörtelmauern (muri), von deren Einführung im 9. und 10. Jahr-
hundert hier die Rede war. Das Zusammenwerfen jener keltischen
Steinwälle mit den von den Franken eingeführten Mörtelmauern
beruht auf Konfusion und kann die Leser nur verwirren.
Auf Konfusion oder Willkür beruht es auch, wenn 8 Skelette,
ohne Beigaben in nächster Nähe der Wüstung Seigerstadt gefunden,
verwendet werden, um etwas für Scheidunger Kämpfe des 6. Jahr-
hunderts zu beweisen (S. 486), während es doch am nächsten liegt,
die Stelle als Begräbnisplatz der einstigen Ansiedelung zu betrachten.
Eine von einem Knecht gefundene und (von wem?) für fränkisch
gehaltene Axt (S. 486) soll gleichfalls etwas beweisen! — Daß man
sich unter Umständen einen beweisenden Franken zurecht machen
kann, zeigt die Besprechung eines Fundes bei Oberschmon durch
Größler in den Mansfelder Blättern, XIX, 1905, S. 201 : Gefunden
ist ein kegelförmiger, in eine Stangenspitze auslaufender Schildbuckel
und ein Langschwert. Nach Kossinnas zuverlässiger Chronologie
gehört diese Art Schildbuckel dem 3., höchstens noch dem 4. Jahr-
hundert an. Nach Lindenschmit ist ein derartiger, in der Picardie
gefundener Buckel mit römischem Stempel versehen (Handbuch,
1880). Trotzdem wird der Fund unter Zitierung von Kossinna und
Lindenschmit einem „vornehmen fränkischen Krieger" zugewiesen
und unter dieser Voraussetzung „als beachtenswerte Bestätigung"
bezeichnet für die Annahme, „daß die gegen Burgscheidungen
heranziehenden Franken über Eisleben und Querfurt gekommen
sind"(!). Jener Krieger von Oberschmon lag aber schon 200 Jahre
im Grabe, ehe die Franken in Thüringen einrückten.
Was hat es nun wohl für Wert, wenn ein solcher Beurteiler
S. 487 behauptet, die merowingischen Funde in Weimar seien von
mir „bedeutend überschätzt", weil ich sage, kein anderer Ort in
Thüringen habe ein so gut begründetes Anrecht, für den Sitz der
Wider alte und neue Legenden. 311
thüringischen Könige gehalten zu werden, wie Weimar, wo wahrhaft
königlich ausgestattete Gräber aus dem 5. und 6. Jahrhundert zu-
tage gekommen sind und darin jener silberne Löffel, der die In-
schrift Basenae trägt. — Basina ist als Mitglied der thüringischen
Königsfamilie bekannt ; nach Gregors und Fredegars Erzählung hieß
so die Gemahhn des Königs Bisinus, die nachher des Frankenkönigs
Childerich Frau und Chlodwigs Mutter wurde. Der Name ist außer-
dem durch die bei Venantius Fortunatus genannte Namensform
Bassinus für den Vater Irminfrids, den Großvater der Eadegunde,
als zur thüringischen Königsfamilie gehörig bestätigt (vgl. Waitz,
Das alte Recht der sahschen Franken, S. 49). Durch die erwähnten
Funde ist also der Zusammenhang jener Fundstättte nüt dem
thüringischen Königshause in einer Weise angedeutet, wie sie bei
germanischen Altertumsforschungen höchst selten vorkommt, denn
auf ein schriftliches Zeugnis ist für jene Frühzeit sonst kaum zu
rechnen. — Größler dagegen verlangt „Funde von größerer Beweis-
kraft" (Ö. 487); und welchen Fund stellt er diesen weimarischen ent-
gegen , um Burgscheidungen als thüringischen Königssitz zu er-
weisen? Gräber, die 1727 in einem „unterirdischen Gewölbe" auf-
gedeckt sind, in denen kostbare Waffen und andere Wertstücke
aufgefunden, von denen ein kleines Stückchen eines brokatartigen,
„mit echten Perlen und Türkisen in Weintrauben form besetzten Ge-
wandes" erhalten ist. — Und welchen Beweis bringt er dafür, daß
diese Gräber aus der Zeit der thüringischen Könige stammen ?
„Sofort nach dem Funde verbreitete sich das Gerücht, der
thüringische Königsmantel, der größeren Wert habe als ganz Burg-
scheidungen, sei gefunden" ; und auf dem Zettel, in den das Ge-
wandstückchen eingeschlagen ist, steht von gleichzeitiger Hand ge-
schrieben: „Ein Stückchen Zeug von einem Gewand, welches man
im Jahre 1727 beim Schloßbau zu Burgscheidungen in einem ge-
mauerten Grabe gefunden , welches man für das Grab eines
thüringischen Königs gehalten hat." Das Gewand, so heißt es bei
Größler weiter, „setzt in der Tat einen Besitzer von königlicher
Machtstellung voraus" ; „eine hervorragende Stellung Burg-
scheidungens wird durch diesen Fund unzweifelhaft verbürgt;
jedenfalls sind die Weimarer Funde an Kostbarkeit mit ihm
nicht zu vergleichen" (I!). Das ist Altertumskunde! — Und der
Mann, der solches schreibt, vriU mich kritisieren ! — Einen Versuch,
das Alter jenes perlenbestickten Gewandstückchens zu bestimmen,
wagt er nicht; eine neue Legende, nämUch das Gerücht, das sich
1727 in der Gegend von Burgscheidungen verbreitet hat, muß den
Beweis ersetzen ; und wer hat wohl dort eine Ahnung davon gehabt,
wie ein Grab des 6. Jahrhunderts aussieht, und wie der Mantel
eines thüringischen Königs beschaffen gewesen ist! Schließlich wird
312 Wider alte und neue Legenden.
die Kostbarkeit betont, durch welche die Burgscheidunger Perlen-
stickerei die weimarischen Funde echt merowingischen Schmuckes
übertreffen soll. Es gibt gewiß noch viele Kostbarkeiten des Mittel-
alters und der Neuzeit, die reicher sind als die Reste merowingischen
Schmuckes; aber dadurch wird doch ihre Herkunft von den
thüringischen Königen des 5. und 6. Jahrhunderts nicht bewiesen.
Wie Gräber, auch solche der Vornehmen, aus den Zeiten
Bisinos und Irminfrids aussehen, ist uns nicht nur durch die zahl-
losen Reihengräber Westdeutschlands, sondern auch durch die von
Weimar gezeigt. Auch das berühmte Grab König Childerichs und
seiner Gemahlin mit reichen Schätzen an Schmuck und Geld auf
dem Friedhofe der Kirche zu St. Brixius in Doornik (Belgien) war
ein Er d grab. Jenes in Scheidungen aufgefundene dagegen war
„ein Gewölbe", ein „gemauertes Grab" und zeigt schon dadurch,
daß es nicht älter sein kann, als der Bau der steinernen Kirchen
im Inneren Deutschlands. — Und die Perlenstickerei? Ist der-
gleichen schon einmal in einem fränkischen, alamannischen oder
gotischen Grabe zutage gekommen ? Wer sich mit den Trachten
der germanischen Völker, der Italiener und der Byzantiner zur Zeit
Justinians bekannt gemacht hat, der weiß, daß nicht das ganze Ge-
wand, sei es Mantel, sei es Rock, sondern nur die Borte, der Um-
fassungsstreifen mit Stickerei, Goldblechen, Steinen verziert gewesen
ist. Dabei konnte der Stoff, wenn er besonders reich war, mit
Gold- und Silberfäden durchwebt sein, ein Luxus, der in Italien
schon seit Anfang der Kaiserzeit bekannt war (attalische Gewänder).
Aus solchem Stoff ist das Prunkgewand Justinians auf dem Bilde
in St. Vitale zu Ravenna (f)47) und der Schultermantel der Kaiserin
Theodora ebendaselbst. Auch die Gewebreste im Grabe Childerichs
(481) waren mit Gold durchwirkt. Karl der Große trug bei fest-
üchen Gelegenheiten einen mit Gold durchwirkten Rock. Aus solchem
Stoff könnte ein thüringischer Königsmantel gewesen sein, wenn er
besonders prunkvoll und byzantinischer Herkunft war. Perlen er-
scheinen auf byzantinischen Prunkgewändern dieser Zeit nicht
(Arkadius, Justinian, Theodora), sondern werden nur am Diadem
und an den davon herabhängenden Schnüren, als Halskette, am
Haarnetz und auf den Purpurschuhen einzeln aufgenäht getragen.
Die germanische Kleidung begnügte sich, ähnlich wie die
ältere römische, mit farbigen Säumen, die bei Karl dem Großen von
Seide waren, bei seinen Nachfolgern (Lothar, Karl dem Kahlen) mit
weitläufig angeordneten Edelsteinen besetzt, die in Gold gefaßt waren,
so auch noch im prunkhaften Ritterzeitalter (Barbarossa, Nibelungen-
lied). Kriemhilde verwendet bei Anfertigung von 24 königlichen
Prunkgewändern zwar viele Edelsteine, aber keine Perlen. Erst spät,
z. B. am Prunkmantel der Kaiserin Leonora, Gemahlin Friedrichs III.,
Wider alte und neue Legenden. 313
auf ihrem Grabmal von 1467 erscheinen breite, dicht mit Perlen
und dazwischen mit einigen Steinen besetzte Bordüren, Demnach
hat Götzinger gewiß im ganzen recht, wenn er im Reallexikon der
deutschen Altertümer schreibt: „Perlen werden als besonders kost-
barer Schmuck neben Edelsteinen wohl schon früh im Mittelalter
erwähnt, dagegen als Halsbänder und gewöhnlicher Hut-, Hauben-,
Kragen-, Ärmel- und Handschuhbesatz der Damen erst eigentlich
im 16. Jahrhundert. An den Höfen hielt man zur Anfertigung
solcher Arbeiten eigene Perlenhefter."
Der Zeugrest aus dem Gewölbe von Burgscheidungen ist noch
gut erhalten, ebenso die Fäden, mit denen Perlen und Steine auf-
geheftet sind, es ist deshalb wahrscheinlich, daß der P\md einem
Sarge entnommen worden ist. Der Pfarrer Dr. Schmidt nennt in
seiner urkundlichen Geschichte Burgscheidungens (S. 146) diesen
, .Fetzen eines dicken seidenen Gewandes mit echten Perlen und
Türkisen in Weintraubenform bestickt" — „ein an die Zeit der alten
thüringischen Könige erinnerndes, vielleicht aber auch aus späterer,
etwa der Zeit des Besitzes der Edeln Herrn v. Querfurt stammendes
Stück". Er macht damit der lokalpatriotischen Vermutung von
1727 zwar auch seine Reverenz, aber er salviert doch sein Gewissen.
Da der Besitz der Querfurter Edelherren bis 1496 gedauert hat, so
kann der perlenbesetzte Mantel in der Tat von einem Mitgliede
dieses Hauses herstammen'). — Den Versuch, einen mittelalterlichen
Grabfund als thüringischen Königsmantel zu produzieren und darauf
einen historischen Beweis zu gründen, wollen wir hiermit [abgetan
sein lassen.
Ein Beweis, daß die Scidingeburg älter sei als die übrigen im
1) Übrigens berichtet A. Ad. Bergner 1828, daß die in Burg-
scheidungen 1700 aufgefundene ,, Heidenleiche" eine weibliche ge-
wesen sei und daß die kleinen Perlen, mit denen ihr seidenes Kleid
,, groteskenartig" besetzt war, an Größe einem Schrotkorn, welches
man Vogeldunst nennt, kaum gleichkommen (Kruse, Deutsche Alter-
tümer, II, H. 5—6, S. 99—100). — Der bekannte Kulturhistoriker
Gust. Klemm sagt 1836 über dasselbe Seidenzeug, von dem er
ein Stückchen in seiner Sammlung hatte, daß es ,,mit kleinen Perlen
und grünen Schmelzkügelchen besetzt" war (Handbuch der ger-
manischen Altertumskunde, Dresden 1836, S. 58). Die Kostbarkeit
dieser kleinen Perlen und Schmelzkügelchen ist schwerlich so groß,
wie Herr Größler annimmt; ob die Echtheit der Perlen xmd Türkise
(Schmelzkügelchen?) schon jemals durch chemische oder mikro-
skopische Untersuchung festgestellt ist, wird nicht einmal erwähnt.
Ein so besticktes Seidengewand geht nicht über die Kleiderpracht,
hinaus, die im Mittelalter bei festlichem Anlaß üblich war.
314 Wider alte und neue Legenden,
Hersfelder Zehntverzeichnis genannten fränkischen Schutzburgen des
Hassegaues und Frisenfeldes, wird durch ein falsch gedeutetes Grab-
gewölbe nicht gewonnen. Dagegen enthält gerade jenes Schriftstück,
das erheblich älter ist als die Nennung Scheidungens durch Widu-
kind, den Beweis für die Entstehung der Burg im 9. Jahrhundert.
Das Zehntverzeichnis besteht aus 4 Abschnitten , von denen der
erste und umfangreichste alle zehntpflichtigen Orte im Gau Frisen-
fcld (einschließlich des Hassegaues) aufzählt, d. h. nach der Schenkung
Karls des Großen vom Jahre 777 alle Orte dieses Gaues, soweit sie
christliche Einwohner hatten. Der zweite Teil stellt ausschließlich
die Burgen desselben Bezirks, nämlich 18 an Zahl, ebenfalls als
zehntpüichtig zusammen. — Nach der sprachwissenschaftlichen Unter-
suchung Schröders ist der erste Abschnitt [zwischen 830 und 850
verfaßt; der zweite im letzten Drittel des 9. Jahrhunderts (Mit-
teilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung,
Bd. XVIII, S. 1 — 13). Der erste Abschnitt gibt nur 2 Orten den
Zusatz civitas, nämlich Merseburg und Gosek, außerdem werden
noch 5 Orte durch ihre Namen als Burgen bezeichnet (Niunburc,
Seoburc, Gerburgoburc, Fizenburc, Cucunburc); die übrigen 11 Orte,
welche im zweiten Verzeichnis zusammen mit den hier genannten
7 Orten als urbes aufgeführt und mit der Endung bürg zusammen-
gesetzt sind, erscheinen im ersten Register noch ohne die Endung
burc, auch ohne den Zusatz civitas, als einfache unbefestigte Orte;
es sind dies Bornstedt, Helfta, Allstedt, Schraplau, Lettin, Querfurt,
Holleben, Scheidungen, Mücheln, Werben (der elfte Burgort Sueme-
burg ist unsicher). Aus der Vergleichung dieser beiden Aufzählungen
ergibt sich, daß bei Herstellung des ersten Verzeichnisses die letzt-
gcMiannten 10 oder 11 Orte noch nicht mit Burgen versehen waren
und daß das zweite Verzeichnis erst nach Erbauung dieser letzteren
Burgen zur Ergänzung des ersten Verzeichnisses verfaßt worden ist.
Die Erbauung dieser letzteren Burgen, auch der Seidingeburg, muß
also nach Mitte des 9. Jahrhunderts stattgefunden haben. — Der
frühchristlichen Zeit gehören auch die ältesten Gräber Burgschei-
dungens an, nämlich Einzelgräber, die der Körperform entsprechend
in den Sandsteinfelsen eingehauen waren, nordöstlich der hoch-
gelegenen Kirche. (Vgl. Jahresschrift für die Vorgeschichte der
sächs.-thür. Länder, Bd. I, 1902, S. 170—171.)
Zum Schluß müssen wir uns noch kurz mit der neuesten Stütze
beschäftigen, die Herr Größler seinem wankenden Gebäude angefügt
hat. In seinem ersten Angriff auf Pelka (Zeitschr., Bd. XXII, 1904)
trug er zur Rettung seiner Ron neberg- Hypothese den Einfall vor,
daß Erdfälle in der Feldmark von Empelde, also Naturprodukte,
durch unterirdische Auswaschung mineralogischer Schichten ent-
Wider alte und neue Legenden. 315
standen, die Reste der durch Irrainfrids Kriegslist angelegten ver-
deckten Gräben sein könnten, der Bach Fosse vielleicht mit jenen
von Gregor erwähnten fossae in Beziehung stehe, und daß die
7 Trappen und die 7 oder 8 Kreuzsteine in der Gegend von Benthe
an der Chausse von Hannover [^nach Neundorf von dem blutigen
Zusammenstoß der Franken und Thüringer im Jahre 531 herrührten.
Dazu kam noch eine herzhafte Sageudeutung und mehrere eben-
solche Namendeutungen. — Pelka hat in seiner „Abwehr" (Zeitschr.,
Bd. XXIV, 190(3) zwar die Erdfälle mit guten Gründen, die Sagen-
deutung weniger glücklich abgelehnt ; aber die Berufung auf Trappen
und Kreuzsteine unerwähnt gelassen.
Das scheint Herrn Größler Mut gemacht zu haben, daß er
nunmehr (Bd. XXV, H. 2, 1907, S. 458) frischweg als „Tatsache"
behauptet, daß dort auf dem voraussetzlichen Schlachtfelde von
Runibergun „eine ganze Reihe von Grabsteinen aus me-
rowingischer Zeit sich bis auf die Neuzeit erhalten
hat". „Schon das Vorhandensein dieser Steine fällt schwerer ins
Gewicht, als alle Ausführungen Pelkas." — Ich würde mich nicht
wundern, wenn Pelka für Leute, die derartiges schreiben oder die
sich derartiges bieten lassen, überhaupt nichts mehr schreibt. Auch
von mir wird man ein weiteres schriftliches Eingehen auf etwaige
künftige Behauptungen dieses Gewährsmannes nicht verlangen dürfen.
Beim ersten Vorbringen dieser Steine von Benthe („Neues über
den Sturz des thüringischen Königreichs", diese Zeitschr., Bd. XXII,
S. 266) zitiert Herr Größler die Zeitschrift des Historischen Vereins
für Niedersachsen, 1862, S. 171, und entnimmt von dort die be-
treffenden Sagen ; er kannte also die dort gegebenen Zeichnungen
der Kreuzsteine, die der Oberlandbaumeister Vogell auf Grund von
einer „vor 30 Jahren" angefertigten sorgfältigen Zeichnung des
Herrn Drosten von Münchhausen geliefert hat, und aus diesen
Zeichnungen entnahm er die Belehrung zuerst, daß die Steine mero-
wingischen glichen, darauf, daß sie aus merowingischer Zeit stammten.
Nun zeigen aber die beiden ersten Steine auf jenen Zeichnungen
unverkennbar gotisch stilisierte Kreuze (gotisch im Sprachgebrauche
der Architektur) auf kreisförmiger Steinplatte mit Fuß. No. 3 und 4
zeigen auf rechteckiger, oben flach gewölbter Platte das Kreuz in
Form des Eisernen Kreuzes, wie sie bei den Mordkreuzen des Mittel-
alters sehr gebräuchlich ist. Die übrigen zeigen das Kreuz mit
langem Unterschenkel, und zwar ist Stein 8, der dieselbe Kreuzform
aufweist, in spätgotischer Form gestaltet. Mithof sagt deshalb in
seinem Werke „Kunstdenkmale und Altertümer im Hannoverschen",
Bd. I, S. 36: „Zwischen Empelde und Emsloh befinden sich die
sogenannten Sieben Trappen; es sind dies sieben mit einem Kreuz
versehene, teils in gotischen, teils in späteren Formen angefertigte
316 Wider alte und neue Legenden.
Steine, wie sie in früheren Zeiten an Stellen aufgerichtet zu werden
pflegten, wo ein Mord begangen, oder wo jemand verunglückt, auch
wohl eines jähen Todes gestorben war."
Das Alter derartiger Steine läßt sich nicht nur durch den
Kunststil bestimmen, sondern auch durch ähnlich geformte Steine^
die eine Jahreszahl tragen. Mithof erwähnt (ebenda S. 149) einen
ähnlichen rechteckigen Stein bei Neustadt am Rübenberge unterhalb
der großen Leinebröcke, auf beiden Seiten mit einem gotischen, auf
einem Halbkreise ruhenden Kreuz, und an der vom Flusse abge-
wandten Seite neben dem Fuße des Kreuzes mit 2 Schuhmacher-
geräten versehen und am oberen Rande mit nachfolgender Inschrift
in gotischer Minuskel: Anno Dni MCCCCLXIII submersit Hans
Stoter. Wenn die Inschrift nicht wäre, hätte der Stein ebensogut
wie die von Benthe als Denkmal der Schlacht bei Ronneberg aus-
gerufen werden können. — Dem Grafen von Wunstorf, dessen Vogt
Staz von Bevelte den Stiftshauptmann Reyners erschlagen hatte,
wurde 1410 unter anderem die Errichtung eines steinernen Kreuzes
zu W^unstorf auferlegt (ebenda S. 36). — Ein zu Linden bei Han-
nover, jetzt im V. Altenschen Garten wieder aufgestellter Stein in
Form einer ovalen Platte mit aufgehauenem Kreuz in Gestalt de&
Eisernen Kreuzes trug die noch erkenntliche Jahreszahl 1413 (Han-
noversche Geschichtsblätter, 10. Jahrg., 1907, S. 821). — Bei Leveste
befindet sich eine rechteckige Quaderplatte mit einem kunstlos darauf
eingehauenen Kreuze an der Stelle, wo Herzog Magnus Torquatus
1378 seinen gewaltsamen Tod gefunden hat (Mithof, Bd. I, S. 121).
Die sieben Steine von Benthe gehören dem 14. — 16. Jahrhundert
an und bezeichnen nach dem Aufsatz des Amtsrichters Fiedeler
diejenige Stätte, wo das Gericht zu Benthe, ein üntergericht des
Gehrdener Gohgerichts, gehalten wurde, z. B. im 15. Jahrhundert
(Zeitschr. für Niedersachsen, 1862, S. 169). Auch die lokale Sage
leitet Steine und Gruben von dem hier gehaltenen „Landgerichte"
her, vor welchem ein Mann durch frechen Meineid die Strafe
Gottes herausgefordert haben soll. An dem Zusammenhange der
Gruben und Steine mit dem einstigen Gericht zu zweifeln, liegt nicht
der geringste Grund vor. Herr Größler hat aus diesen mittel-
alterlichen Kreuzsteinen Denksteine für dort bestattete vornehme
fränkische Krieger aus der Schlacht des Jahres 581 gemacht und
ist ungehalten darüber, daß jemand „ihre Bedeutung krittelnd ab-
zuschwächen versucht" (S. 457 der Zeitschr., Bd. XXV). — „Neues
über den Sturz des thüringischen Königreichs" nannte er 1904
(Zeitschr., Bd. XXII) diese Stütze seines wankenden Hypothesen-
gebäudes. Die Stütze ist von demselben Material wie das Gebäude i
Neue Legende, erfunden zur Rettung alter Legenden.
Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Po hie) in Jena. — 3432
VIII.
Die Reichspolitik Hermanns I., Landgrafen
von Thüringen und Pfalzgrafen von Sachsen
(1190—1217).
Von
Dr. E. Kirmse, Ronneburg in S.-A.
Frühzeitig schon hat Thüringen in dem Gang der Reichs-
geschichte eine wichtige Stellung eingenommen. Unter den
karolingischen Herrschern und auch noch unter den Sachsen-
kaisern des 10. Jahrhunderts bot es einen zuverlässigen
Stützpunkt gegen die andringenden Slaven. Noch höhere
politische Geltung genoß es im späteren Mittelalter infolge
seiner bevorzugten Lage: als das Mittelland zwischen den
beiden weifischen Herzogtümern war sein Besitz für das
jeweilige Reichsoberhaupt von der äußersten strategischen
Wichtigkeit. Diese Bedeutung wuchs noch dadurch, daß
gerade in der Zeit der großen Kämpfe der Weifen mit
den Staufern die Träger seiner landgräflichen Würde dem
staufischen Herrscherhause nahe verwandt wurden durch
die Vermählung Ludwigs IL mit Jutta Claricia i), der Halb-
schwester Barbarossas 2). Noch jetzt denkt der Thüringer,
1) Dieser Name „Claricia", der nach zeitgemäßer Sitte zweifellos
nur ein zweiter Vorname der Fürstentochter ist, findet sich Ottonis
et Eahevini Gesta Friderici I. imperatoris, editio altera rec. G. Waitz,
Hannoverae 1884 (öcriptores in usum scholarum [abgek. Script, in us.
schol.]), über I, cap. 22,
2) Über die Verwandtschaft des Geschlechts mit den Staufern
8. Arnoldi Chronica Slavorum (abgek. Arn. Chron. Slav.), ed G. H.
Pertz, Hannoverae 1868 (Script, in us, schol.), über VI, 5 ; Burchardi
et Cuonradi Urspergensium chronicon (abgek. Chron, Ursp.), ed.
O. Abel et L. Weiland, Hann. 1874 (Script, in us. schol.), p. 77.
XXVII. 21
318 I^ie Eeichspolitik Hermanns I., Landgrafen von Thüringen
der den politischen Entwickelungsgang seines Heimatlandes
einer liebevollen Betrachtung unterzieht, mit leisem Stolze
dieser glänzenden Periode, die auch der Historiker willig
als Blütezeit thüringischer Landesgeschichte anerkennt.
Dem Bunde Ludwigs II,, jenes willensstarken Fürsten,
der in Sage und Greschichte als der „eiserne" Landgraf
fortlebt, mit der Staufin Jutta (Judith) i) entsprossen 4 Söhne
— Ludwig, Friedrich, Heinrich, Hermann 2) — und eine
Tochter, die nach ihrer Mutter Jutta genannt wurde. Diese
vermählt sich später mit dem Grafen Hermann III. von
Eavensberg (in Westfalen) und verläßt damit den Schau-
platz der thüringischen Geschichte. Von den Söhnen aber
werden wir uns im folgenden hauptsächlich mit Hermann,
dem jüngsten, beschäftigen, auf die anderen dabei gelegent-
lich zurückkommen.
Wann Hermann geboren ist, läßt sich nicht genau fest-
stellen; bekannt ist jedoch die Zeit der Vermählungsfeier
seines Vaters, die in das Jahr 11 50 3) fällt. Dies und das
spätere Auftreten des jüngsten Sohnes gibt uns wohl das
1) So nennt Hermann seine Mutter. S. O. Dobenecker II, 1040.
So zitiere ich die Regesta diplomatica necnon epistolaria historiae
Thuringiae, Bd. 2 (1152 — 1227), namens des Vereins für thüringische
Geschichte und Altertumskunde bearbeitet und herausgegeben von
Otto Dobenecker, Jena 1900. — Es sind stets die Nummern der
Regesten angegeben.
2) In der Reihenfolge der landgräflichen Söhne habe ich mich
H. Diemar, Stammreihe des thüringischen Landgrafenhauses und
des hessischen Landgrafenhauses bis auf Philipp den Großmütigen,
Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde
(abgek. Zs. f. hess. G. u. L.), N. F. Bd. 27 [1903], S. 6 a. 11 angeschlossen,
übereinstimmend mit: Cronica Reinhardsbrunnensis, ed. O. Holder-
Egger, SS. XXX 1, 536; Historia brevis principum Thuringiae, ed
G. Waitz, SS. XXIV, 822 (besser: De ortu principum Thuringiae,
vgl. O. Holder-Egger, N. A. 20, 595 ff.).
3) Vgl. Chr. Häutle, Landgraf Hermann I. v. Th. und seine
Familie. Eine historisch-genealogische Skizze. Zeitschrift des Vereins
für thüringische Geschichte und Altertumskunde (abgek. Zs. f. thür.
G. u. A.), Bd. 5 (1863), S. 69 ff.
und Pfalzgrafen von Sachsen (1190—1217). 319
Recht, die Geburt Hermanns in die Zeit bald nach 1155
zu setzen.
Auch über die erste Jugend des Prinzen wird nirgends
berichtet. Wir wissen nur, daß Ludwig 11. große Sorgfalt
in der Erziehung seiner Kinder bewies, vor allen Dingen
auf ihre wissenschaftliche Ausbildung bedacht war. Alle
seine Söhne sollten zu ihrer Vervollkommnung die berühmte
Universität der französischen Hauptstadt besuchen. Aus
einem Briefe des Landgrafen Ludwig ü. an König Lud-
wig VII. von Frankreich (vom Jahre 1162) i), in dem er
zwei seiner Söhne dem königlichen Schutze empfiehlt, läßt
sich auf einen zeitweisen Aufenthalt der beiden älteren
Brüder, Ludwigs und Friedrichs, in Paris schließen ^) ; ob
sich jedoch auch Hermann Studien gewidmet hat, ist
gänzlich ungewiß ^). Wir haben nicht den geringsten An-
haltspunkt dafür.
Im Jahr 1172 starb Ludwig der Eiserne, dessen
kräftige und klugwägende Regierung seinem Lande zu
offenbarem Segen gereicht hatte, auf der Neuenburg*).
Noch einmal zeigte sich sein weitschauender Blick 0) bei
der Erbteilung. Er hatte sie so geregelt, daß die Macht
1) Henricus Denifle, Chartularium universitatis Parisiensis,
Tom. 1, Parisiis anno 1889, p. 39, setzt den Brief nach Sept. 1162.
S. a. M. Frommann, Lgr. Ludwig III. der Fromme von Thüringen,
Zs. f. th. G. u. A., Bd. 26, N. F. Bd. 18, Jena 1908, S. 180.
2) Besonders da Friedrich später in den geistlichen Stand trat.
3} Wenck und Martin allerdings nehmen es — doch wohl mit
Unrecht — in neuester Zeit wieder als gewiß an. S. K. Wenck,
Die heilige Elisabeth, in : Die Wartburg, ein Denkmal deutscher Ge-
schichte und Kunst, dem deutschen Volke gewidmet vom Großherzog
Karl Alexander von Sachsen, Berlin 1907, S. 190, und ebendaselbst
E. Martin, Der Minnesang in Thüringen \md der Sängerkrieg auf
der Wartburg, S. 171.
4) Die Literatur darüber s. Frommann a. a. O. S. 175.
5) Vgl. Th. Knochenhauer, Geschichte Thüringens zur Zeit des
ersten Landgrafenhauses (1039 — 1247) [mit Anmerkungen herausg.
von Karl Menzel, mit Vorwort und einer Lebensskizze des Verfassers
von K. UsingerJ, Gotha 1871, S. 180.
21*
320 I^iß Reichspolitik Hermanns I., Landgrafen von Thüringen
des Hauses möglichst geschlossen blieb. Ludwig, der Erst-
geborene, folgte dem Vater im Besitz der Landgrafschaft
und des Titels *). Neben ihm erhielt nur Heinrich Raspe
die rheinischen und hessischen Besitzungen sowie die Vogtei
über Hersfeld 2). Unser Hermann dagegen ist allem An-
scheine nach gänzlich unberücksichtigt geblieben und gleich
ihm der ältere Friedrich. Väterlichem Wunsche entsprechend^)
war dieser 1171 in den geistlichen Stand getreten; bis 1175
treffen wir ihn als Propst zu S. Stephan in Mainz ^). Po-
litische Rücksichten veranlaßten ihn jedoch dann im An-
fang des Jahres 1178 5) der priesterlichen Weihe zu ent-
sagen und 1186 eine Verbindung mit der Gräfin Luchardis^)
von Ziegenhain in Hessen einzugehen, so daß wir ihm in
der Folge nur als „Grafen von Ziegenhain" begegnen'').
Dem jungen Ludwig III. war keine ruhige Regierung
beschieden; Fehde reihte sich an Fehde. Tatkräftig und
bereitwillig stand Hermann schon frühzeitig dem Bruder
als hilfreicher Berater und Kampfgenosse zur Seite ^). Er ^)
1) Annales S. Petri Erphesfurtenses maiores, abgek. Ann. S. P.
mai., und Cronica S. Petri Erfordensis moderna, abgek. Cr. S. P.
mod., in Monumenta Erphesfurtensia saeculi XII., XIIL, XIV.,
abgek. M. E., ed. O. Holder-Egger, Hann. et Lips. 1899 (Script, in
US. schol.), S. 60. 186.
2) Knochenhauer, a. a. O. S. 180; Dobenecker II, 481. 558 a. 1.
3) S. den schon auf voriger Seite Anm. 1 erwähnten Brief: „Der
am meisten (zum Studium) Befähigte solle ganz dabei verbleiben."
4) Dobenecker II, 432.
5) Dobenecker II, 534: Juni 9. 1178 befindet er sich als „Bruder
des Landgrafen" mit diesem imd Hermann in Naumburg.
6) Dobenecker II, 1346.
7) So Dobenecker II, 753. 756. 842. 867. 1010. 1042. 1110.
1111. 1281. 1346. 1428. 1447. 1485.
8) Urkundlich verzeichnet finden wir ihn zum ersten Male am
9. Juni 1178 in Naumburg (Dobenecker II, 534: s. o. Anm. 5), wo
auch sein Bruder Friedrich uns zum ersten Male als in den welt-
lichen Stand zurückgekehrt erscheint.
9) Knochenhauer, a. a. 0. S. 189 nennt irrtümlicherweise statt
seiner ohne jeden Quellennachweis Heinrich Easpe.
und Pfalzgrafen von Sachsen (1190—1217). 321
nahm im Oktober 1179 mit ihm teil an der Belagerung
der welfischen Grrenzfeste Haldensleben ^), um die sich seit
dem 30. September des Jahres die ganze Macht der nord-
deutschen Fürsten konzentriert hatte, und gab, nachdem
das Unternehmen gescheitert, im Gefolge des Bruders dem
heimkehrenden Erzbischof von Köln, Philipp von Heinsberg,
bis zur Weser das erkaufte Geleit ^j. Auch das folgende Jahr
zeigt ihn uns im Felde. Wieder galt es Heinrich dem Löwen,
der Anfang Mai einen verheerenden Einfall in Thüringen
gemacht und selbst die Reichsstadt Nordhausen verbrannt
hatte •^). Die Unbill zu rächen, eilten Ludwig und Hermann
herbei. Bei Weißensee ^) stießen sie am 14. Mai 1180
auf das weifische Heer. Allein der stürmisch begonnene
Angriff der Thüringer endete bald mit einer völligen Nieder-
lage, die landgräflichen Brüder selbst wurden nach tapfer-
ster Gegenwehr gefangen genommen ^). Über Braunschweig
schickte sie der Herzog zu strengem Gewahrsam in das
feste Lüneburg^), ly^ Jahr waren die thüringischen Fürsten
in weifischer Gefangenschaft auszuharren gezwungen. Als
1) Alt-Haldensleben nordwestlich von Magdeburg unweit des
Zusammenflusses von Bever und Ore.
2) S. Arnold Peters, Die Eeichspolitik des Erzbischofs Philipp
von Köln (1162—1191), Marburger Diss., Marburg 1899, S. 53, und
Hermann Hecker, Die territoriale Politik des Erzbischofs Philipp
von Köhi (1162—1191), Leipzig 1883 (Histor. Studien, 10. Heft), S. 38,
Anm. 1.
3) Ann. Pegavienses et Bosovienses S. S. XVI, p. 263. S. a.
W. V. Giesebrecht, Gesch. d. deutschen Kaiserzeit, Bd. 5, Braun-
schweig 1880, S. 924.
4) Zwischen Weimar und Sondershausen.
5) Die Hauptquellen für die Schlacht s. Frommann a. a. O.
S. 202. Nach den Annales Patherbrunnenses , aus Bruchstücken
wiederhergestellt von P. Scheffer-ßoichorst, Innsbruck 1870, S. 176,
gerät Hermann durch Freunde des Herzogs bereits vor dem Feldzuge
in weifische Gefangenschaft. Ein weiterer Anachronismus dieser An-
nalen — sie bezeichnen Hermann schon jetzt als „Pfalzgrafen" —
läßt uns aber ihren alleinstehenden Bericht ungewiß erscheinen.
6) Arn. Chrou. Slav. hb. II, cap. 20.
322 Die Reichspolitik Hermanns I., Landgrafen von Thüringen
dann Friedrich Barbarossa 1181 siegreich bis Lüneburg
vordrang, wurden sie auf herzoglichen Befehl nach dem
sicheren Segeberg an der Trave gebracht, und erst, als
nach der Einnahme Lübecks durch den Kaiser Heinrich der
Löwe den aussichtslosen Kampf aufgeben mußte, schlug ihnen
die Befreiungsstunde. Eine stattliche Schar weifischer Ritter
gab den Brüdern bis Goslar, wo ihr kaiserlicher Oheim
sie empfing, ehrenvolles Geleit. Kurze Zeit danach finden
wir beide auf dem Reichstage zu Erfurt i) (Nov./Dez. 1181)
anwesend, wo sich der bezwungene Löwe dem Kaiser auf
Gnade und Ungnade unterwarf. Sie einigten sich hier
über das Erbe ihres Bruders Heinrich Raspe , der bald
nach der Schlacht von Weißensee, wahrscheinlich am 18. Juli
1180, kinderlos gestorben war^). Ludwig übernahm die
gesamte Hinterlassenschaft des Verstorbenen und verzichtete
dafür ^) auf die im vorhergehenden Jahre ^) erworbene Pfalz-
grafschaft von Sachsen, die der Kaiser nunmehr Hermann
übertrug. Friedrich blieb bei der Teilung ganz aus dem
Spiel ; er hat überhaupt, soviel wir zu erkennen vermögen,
seines anfänglich geistlichen Standes halber nie Erbansprucb
irgendwelcher Art erhoben.
Auch in der Folge blieb der nunmehrige Pfalzgraf,
der seinen Sitz auf der Neuenburg a. d. Unstrut (dem
jetzigen Freyburger Schlosse) nahm, in enger Verbindung
mit seinem Bruder Ludwig^), und als dieser 1184 Barba-
rossa nach Italien begleitete, führte er für ihn in Thüringen
die Regierung. Auf dem Reichstage zu Mainz, der be-
1) S. Frommann a. a. O. S. 205.
2) Nach Frommann a. a. O. S. 205.
3) Also nicht „aus freien Stücken", wie Cr. S. P. mod. in M.
E. 191 sagt: Ibi Hermannus frater Lodevici provincialis comitis
palatinus Saxonie constituitur, germano ipsius eodem principatu ultro
se abdicante. S. a. Cronica Keinhardsbrunnensis SS. XXX, 1, 563.
4) Auf dem Reichstage zu Gelnhausen am 6. April 1180. S. a.
Frommann a. a. O. S. 199.
5) Er ist Zeuge in zahlreichen Urkunden Ludwigs ; s, Dobenecker
II, 642. 643. 647. 651. 652. 700. 719. 753. 760. 761.
und Pfalzgrafen von Sachsen (1190—1217). 323
rühmten „Kurie Christi", nahm am 27. März 1188 unter
vielen anderen deutschen Fürsten auch Landraf Ludwig das
Kreuz 1). Beruhigt konnte er im Juni 1189 nach Apulien auf-
brechen, er wußte ja sein Land in des Bruders treuer Obhut ^).
Es erübrigt sich für uns, hier näher auf diesen Kreuz-
zug einzugehen. Genugsam bekannt ist, wie auch er wieder
erfolglos verlief. Nur Trümmer des gescheiterten glanz-
vollen Unternehmens kehrten nach unsäglichen Mühsalen
und Entbehrungen in die Heimat zurück. Zu den Opfern
aber, die der gefahrvolle Kriegszug gefordert hatte, gehörte
auch der Landgraf Ludwig von Thüringen ; er starb am
16. Okt. 1190 auf der Rückreise 3).
Im Reiche führte seit dem Abmärsche des Kreuzheeres
der noch jugendliche Sohn Barbarossas, König Heinrich VI.,
mit Kraft und Geschick die Verweserschaft. Unruhen
im nördlichen Deutschland, wo Heinrich der Löwe wort-
brüchig von England zurückgekehrt war, waren bald unter-
drückt; nun konnte er nach dem Frieden von Fulda im
Juli 1 1 90 unbehindert daran denken, seinen Erbanspruch
auf Sizilien, den er durch seine Vermählung mit Konstanze
erworben hatte, durchzuführen. Dort war nach Wilhelms II.
Tode 1189 ein Bastard des ausgestorbenen Königshauses,
der tapfere Tankred von Lecce *) , zum König erhoben
worden. Papst Cölestin III. hatte ihn bereits anerkannt
und Richard von England, der Schwager Heinrichs des
Löwen, sich nicht gescheut, Unterhandlungen wegen eines
Bündnisses mit ihm einzugehen ^). Um sich sein Erbe mit
Waffengewalt zu erobern, gedachte jetzt Heinrich VI. mit
1) Dobenecker II, 785 a. Annales Marbacences qui dicuntur,
ed. H. Bloch, Hann. et Lips. 1907, p. 59.
2) Über die Beteiligung Hermanns am Kreuzzuge s. Frommann
a. a. O. S. 225, dessen Ansicht ich vollkommen beipflichte.
3) Die Literatur s. Frommann a. a. O. S. 243, Anm. 1.
4) A. Cartellieri, Philipp II. August, König v. Frankreich,
Bd. 2, Leipzig 1906, S. 127.
5) Cartellieri, a. a. 0. S. 143 f.
324 Die Reichspolitik Hermanns I., Landgrafen von Thüringen
ansehnlichem Heer über die Alpen zu ziehen, Ende Sep-
tember 1190 hielt er in Schwäbisch-Hall Heerschau ab,
und im November erfolgte von Augsburg aus der Aufbruch
des deutschen Heeres. Da drang plötzlich die Kunde vom
Tode Barbarossas und des Landgrafen Ludwig ins Reich.
Kurz entschlossen schickte der König den Erzbischof Phi-
lipp von Köln mit dem Kern des Heeres voran, er selbst
eilte nach Thüringen, um die heimgefallene Landgrafschaft
einzuziehen i). Dazu berechtigte ihn das strenge Gesetz des
Lehnsrechtes, das die Nachfolge der Nebenlinien allein von
der Gnade des Kaisers abhängig machte, vor allem aber
forderte das kaiserliche Interesse aufs dringendste, gerade
hier nach Sachsen, dem Herde so häufiger reichsfeindlichen
Bewegungen, den staufischen Besitz auszudehnen. Und
Heinrich VI. zeigte sich in seinem Bestreben, das Thüringer-
land der staufischen Hausmacht als erwünschteste Ergän-
zung hinzuzufügen, nur als Erbe der Politik seines Vaters,
der schon das Pleißner Land mit Kolditz und Leißnig er-
worben hatte 2).
Allein schon unterwegs erfuhr der König, daß die
Durchführung seines Planes — besonders unter den ob-
waltenden Umständen — so leicht nicht von statten gehen
würde: Plalzgraf Hermann war gewillt, auf Ludwigs III.
Erbe, wenn nötig, mit den Waffen in der Hand Anspruch
geltend zu machen. Konnte sich Heinrich aber gerade jetzt
auf einen sicherlich langwierigeren Kampf einlassen? —
Unwillig vernahm der König in Saalfeld 3) den Rat der
zur Vermittlung daselbst vereinten Fürsten^), den Pfalz-
1) Chronica regia Coloniensis, ed. G. Waitz, Hann. 1880
(Script in us. schoL), p. 148: audita morte patris et Ludewici lant-
gravii, Coloniensem archiepiscopum premittens, ipse (rex) in ThurLn-
giam proficiscitur, eam sibi subicere temptans.
2) Vgl. R. Scholz, Beiträge zur Geschichte der Hoheitsrechte
des deutschen Königs, Leipz. Stud., Bd. 2, Heft 4, S. 56.
3) Dobenecker, II, 862.
4) Der Bischöfe von Halberstadt, Merseburg und Naumburg
und des Herzogs Bernhard von Sachsen. Vgl. O. Abel, König
und Pfalzgrafen von Sachsen (1190—1217). 325
grafen in die brüderlichen Lehen einzusetzen und sich so
einen Freund zu schaffen ; denn Heinrich VI. war zwar
„geneigt, selbständige politische Kräfte anzuerkennen, wenn
sie als solche sich ihm unterwarfen, seinen Plänen dienen
wollten" ^), doch hier ließ ihn sein scharfer Blick nicht all-
zuviel vom Charakter des ehrgeizigen Vetters versprechen.
So zögerte er; dann aber zwangen ihn die Ereignisse in
Italien, die seine Anwesenheit dort immer dringender er-
heischten 2), zum Nachgeben. Nur zwei Städte und einen Teil
des Landes mußte Hermann an das Reich abtreten 3).
Auch von anderer Seite sollte der Landgraf als Erbe
seines Bruders nicht ohne Anfechtung bleiben. Wie einst
diesem ^), so machte jetzt ihm der Abt Siegfried die dem
landgräflichen Hause zuständigen Hersfelder Lehen streitig,
und Hermann erhielt sie schließlich nur dadurch, daß er
die Abtei zu Burg-Breitungen a. d. Werra samt der Vogtei
und allen zugehörigen Rechten dem Kloster überließ ^).
Ebenso verweigerte Abt Heinrich von Fulda ihm Kloster-
güter, welche sein Bruder Ludwig und schon sein Vater
erkauft oder zu Erblehen empfangen hatten. Doch bald
mußte auch dieser Fürst bewaffneter Übermacht weichen
und des Landgrafen Forderung nachgeben.
Philipp der Hohenstaufe, Berlin 1852, S. 27. — Aus ihrem Ver-
halten dürfen wir schließen, daß der Anspruch der Fürsten auf Erb-
lichkeit der großen Lehen bereits allgemein tiefe Wurzeln ge-
schlagen hatte.
1) H. Bloch, Forschungen zur Politik Kaiser Heinrichs VI.
in den Jahren 1191—1194, Berlin 1892, iS. 31.
2) Eben jetzt kam der Vertrag zwischen Tankred und Eichard
Löwenherz zustande, s. a. Bloch a. a. O., S. 7. Den Bündnisver-
trag zwischen E. und T. selbst s. Cartellieri a. a. 0. S. 144 — 147.
3) Cronica Eeinhardsbrunn. SS. XXX, 1, p. 551: sed pru-
denti auxiliatorum adiutus consilio sub duarum civitatum et unius
provincie resignacione principatum obtinuit. — Was jedoch eigent-
lich abgetreten wurde, erfahren wir nicht.
4) Vgl. Ph. Hafner, Die Eeichsabtei Hersfeld bis zur Mitte
des 13. Jahrhunderts, Hersfeld 1886, S. 100 ff.
5) Dobenecker II, 897.
326 Die Reichspolitik HermanDs L, Landgrafen von Thüringen
Durch eigene Kraft und Energie, und gefördert durch,
die Gunst glücklicher Umstände, war es so Hermann ge-
lungen, sich als Nachfolger seines Bruders zu behaupten.
Unbestritten stand er jetzt da als „Landgraf von Thüringen
und Pfalzgraf von Sachsen" ^) und konnte nunmehr —
einer der mächtigsten Reichsfürsten der Zeit — an den
Angelegenheiten des Reiches nah und fern tätigen Anteil
nehmen.
Von Saalfeld aus hatte sich König Heinrich eilig nach
Italien begeben, wo er am Ostermontag, dem 15. April
1191, aus der Hand Papst Cölestins die Kaiserkrone em-
pfing. Doch ein erster Versuch, sich des sizilischen
Erblandes seiner Gemahlin zu bemächtigen, scheiterte an
den festen Mauern Neapels. Enttäuscht und halb krank,
aber ungebrochenen Mutes kehrte er im Dezember nach
Deutschland zurück ; wichtige Aufgaben harrten seiner ^).
Heinrich der Löwe hatte, als er den Kaiser fern wußte,
entgegen den Bedingungen des Fuldaer Friedens seine An-
griffe auf das Gebiet Adolfs von Schaumburg fortgesetzt,
während der Graf sich im heiligen Lande befand. Als
dieser aber im Frühjahr 1191 dank der Unterstützung des
Herzogs Bernhard von Sachsen und Ottos IL von Branden-
burg nach Holstein gelangte und sofort den Kampf auf-
nahm, wandte sich das Blatt. Mit dem jungen Bernhard
von Ratzeburg belagerte der Schaumburger Lübeck; ein
weifisches Entsatzheer unter Konrad von Rode wurde bei
Boizenburg völlig geschlagen ; zu Anfang des nächsten Jahres
fiel Stade, und Lübeck stand vor der Übergabe. Die Lage
des Wellen gestaltete sich noch drohender, als jetzt im
Frühjahr 1192 auf das Drängen der sächsischen Fürsten
bin Heinrich VI. selbst ein Heer gegen ihn zu führen
1) Schon kurz nach dem Saalfelder Tage hält er Landding ab
als „Landgravius Thuringie, comes palatinus Saxonie". Dobenecker,
II, 867.
2) Vgl. Bloch a. a. O. S. 18.
und Pfalzgrafen von Sachsen (1190—1217). 327
versprach. Der alte Löwe sah das Aussichtslose eines
solchen Kampfes ein und bat den Kaiser um Gnade und
Frieden. Aber Heinrich ging weder auf Verhandlungen
mit dem gedemütigten Weifen ein, noch brach er zum
Beistande der sächsischen Fürsten nach der Oker auf.
Ihn beschäftigten zunächst die Vorbereitungen für einen
zweiten sizilischen Feldzug, dann aber war es vor allem
die Neubesetzung der erledigten Bistümer, die seine volle
Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen. Am meisten zu
schaffen machte dem Kaiser in dieser Beziehung Lüttich.
Dort war eine Doppelwahl eingetreten : dem kaisertreuen
Albert von Rethel stand der antistaufische Albert von Bra-
bant, der Bruder des regierenden Herzogs Heinrich, gegen-
über. Um in einer so wichtigen Stellung am Niederrhein
einen zuverlässigen Vertreter seiner Interessen zu haben,
bestimmte Heinrich VI. mit Einwilligung der Fürsten ^)
keinen der beiden Gewählten, sondern Lothar von Hoch-
staden. Inzwischen aber hatte Albert von Brabant die
Bestätigung Cölestins erlangt, und eben jetzt, am 21. Sep-
tember empfing er in Reims die bischöflichen Weihen. Da
brach der Kaiser, um weiterer Opposition vorzubeugen,
kurz entschlossen nach Lüttich auf, um Lothar mit Gewalt
die allgemeine Anerkennung zu verschaffen. Herzog Heinrich
selbst wurde von ihm zur Huldigung gezwungen 2). Hein-
rich VI. hielt hiernach die Stellung seines Schützlings für
hinreichend gesichert und wandte sich Anfang Oktober
nach dem nördlichen Thüringen, um endlich die sächsischen
Kämpfe beizulegen ^). Zu diesem Zwecke schrieb er einen
1) Gislebert, La Chronique de Gislebert de Mons, nouv. ed.
p. p. Läon Vanderkindere, avec une carte du comt^ de Hainaut ä la
fin du XII. siede, Bruxelles 1904, Oommission royale d'histoire.
Eecueil de textes pour servir ä l'etude d'histoire de Belgique, cap.
182. S. a. Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter,
abgek. Reg. episc. Col., Bd. 2 (1100—1205), bearbeitet von R. Kuip-
ping, Bonn 1901, No. 1434.
2) 24. Sept. 1192. Gisl. 1. c. p. 279.
3) Schon vorher hatte er, um die zur Zeit zwischen der säch-
sischen und weifischen Partei (vorläufig bis Michaelis) bestehende
328 I^iß Eeichspolitik Hermanns I., Landgrafen von Thüringen
Hoftag nach Nordhauseu aus, und hier finden wir am
21, Oktober die hauptsächlichsten Führer im Kriege gegen
die Weifen, die Bischöfe von Hildesheim und Halberstadt,
den Abt von Korvey und Herzog Bernhard von Sachsen,
um ihn versammelt i). Von dem Ergebnis der dortigen
Verhandlungen ist leider nichts überliefert.
Allen diesen für den Verlauf der Reichsgeschichte
wichtigen Händeln hat Landgraf Hermann ferngestanden.
Hier aber, auf dem Hoftage zu Nordhausen, tritt seine
Person nahezu in den Vordergrund. Doch nicht mit dem
besten Klange wird sein Name genannt ; er wird vor Kaiser
und Keich des Hochverrats bezichtigt. Welche Bewandtnis
es mit dieser unerhörten Anschuldigung hatte, wie sie zu-
stande kam — dies zu erfahren, müssen wir kurz den
Gang der Ereignisse in Thüringen seit Hermanns Regie-
rungsantritt verfolgen.
In dem östlichen Grenzland Thüringens, der Mark
Meißen, war im Herbst 1191 der ränkesüchtige und hab-
gierige Markgraf Albrecht, mit seinem jüngeren Bruder,
dem Grafen Dietrich von Weißenfels ^), über die reichen
Bergwerke des Erzgebirges, an denen nach des Vaters
Vermächtnis beide Anteil hatten, in offenen Streit ge-
raten ^j. Mit zahlreichem Heere zog Albrecht unerwartet
vor Dietrichs Feste Weißenfels. In seiner Bedrängnis ging
Dietrich den Landgrafen Hermann um Hilfe an. Dieser
versagte anfänglich seinen Beistand und hielt den Grafen
Waffenruhe zu verlängern, seinen Oheim, den Pfalzgrafen Konrad,
nach Sachsen geschickt. S. a. Bloch a. a, O, S, 38,
1) Dobenecker, II, 905 ; Bloch, a. a. O, S 38 und 36, Anm. 4, Vgl.
a. Toeche a. a. O. S. 238, der glaubt, nur auf die spätere Denun-
ziation Markgraf Albrechts von Meißen (s, S. 380, Anm. 2) hin käme
Heinrich VI. nach Sachsen,
2) S. C. Wenck, Ein meißnischer Erbfolgekrieg am Ende des
12. Jahrhunderts, in Z. f. thür. G. u. A., N. F, Bd. 2, S. 200.
Genealogia Wettinensis, ed. E. Ehrenfeuchter, S. 23, p, 229.
3) Düringische Chronik des Johann Rothe, herausg. von E. v.
Liliencron, Jena 1859, in Thüring. Geschichtsquellen III, 314,
und Pfalzgrafen von Sachsen (1190—1217). 329
mit Ausflüchten hin. In kalter Berechnung zögerte er,
bis Dietrich, in die äußerste Enge getrieben, sich jeder
Forderung gefügig zeigen mußte. Hermann machte die
Verlobung seiner damals 10-jährigen Tochter Jutta zur
Bedingung, und notgedrungen gab der Graf schließlich
seine Einwilligung. Tatkräftig griff jetzt der Landgraf in
den Zwist ein. Eine persönliche Unterhandlung, in der
Hermann völligen Frieden für seinen Schwiegersohn for-
derte, zerschlug sich an dem störrigen Sinn des Markgrafen,
und so mußte das Schwert entscheiden. Mit 1800 Ge-
waffneten rückte der Landgraf vor Camburg und nahm es
nach kurzer Belagerung. Hierdurch erschreckt, ergab sich
ihm eine Burg und eine Stadt nach der anderen. Schon
streiften seine schnellen Reiter nahe an Leipzig, da endlich
mußte sich der Markgraf zum Frieden bequemen : er ver-
stand sich zu gleichmäßiger Teilung mit Dietrich und stellte
Oeiseln i).
Für jeden, der Albrecht genauer kannte, war jedoch
hierbei klar, daß dieser eben geschlossene Friede nur von
geringer Dauer sein würde. Ein maßloser Grimm erfaßte
den Gedemütigten gegen den Landgrafen Hermann, dessen
rasches, entschlossenes Handeln dem Bruder zum Siege
verhelfen hatte und dessen Macht er, Albrecht, nicht ge-
wachsen war. Er sah ein: wollte er mit Aussicht auf Er-
folg gegen Dietrich auftreten, so mußte er vor allem diesen
Helfer ihm zu entziehen suchen. Und dies zu erreichen,
schreckte sein Charakter selbst vor niedriger Verleumdung
nicht zurück; er beabsichtigte, den Landgrafen beim Kaiser
des Hochverrats zu beschuldigen. Der Augenblick dazu
war der denkbar günstigste, Heinrich VI. sagte ja gerade
den Hoftag für Nordhausen an.
So also ist der schwerwiegende Vorwurf gegen Hermann
entstanden. Sein unedles Vorhaben auszuführen, erschien der
1) Cronica Reinhardsbrunn. SS. XXX, 1, p. 551. S. a. Toeche
a. a. O. S. 237 ff.
330 Die Reichspolitik Hermanns I., Landgrafen von Thüringen
Markgraf von Meißen in Nordhausen i) und erhob vor dem
Kaiser und den versammelten Fürsten laut Klage ^) gegen
den Landgrafen von Thüringen: er sei das Haupt einer
gegen das Leben Heinrichs VI. gerichteten Verbindung der
sächsischen Fürsten, die „sich in den unbeschränkten Besitz
ihrer Güter setzen wollten" ^). Zugleich erklärte sich
Albrecht bereit, die Wahrheit seiner Aussage im Zwei-
kampf"^) zu erhärten. Der Kaiser berief hierauf den Land-
grafen nach Nordhausen, damit er sich dort vor ihm und
dem Reichstag verantworte ^). Ohne zu zögern rüstete sich
Hermann, der Ladung Folge zu leisten; im Geleit zahl-
reicher Lehnsmannen brach er auf, sich dem Markgrafen
zu stellen, da verlegte der Kaiser in Rücksicht auf politi-
sche Verhältnisse den Hoftag nach Altenburg. Neue Un-
ruhen im südöstlichen Deutschland schienen ihm wichtig
1) Daß Albrecht v. Meißen schon vorher in der Umgebung
des Kaisers geweilt hat, ist möglich, aber nicht wahrscheinlich. Ur-
kundlich ist es jedenfalls nicht zu erweisen. Wenn Knochenhauer
a. a. O. S. 226 es als sichere Tatsache hinstellt im Hinweis auf
Heinrichs VI. Urkunde für Magdeburg vom I.Juni 1192 bei Gercken,
Cod. dipl. Brand. IV, p. 432 (aus Cop. [Magdeb. Cop. f, 26 Cod.
no. 103] Geh. A. Berlin), so ist er im Unrecht; denn die Zeugen-
reihe eben vom 1. Juni in Gelnhausen gehört zu Ende November
oder Anfang Dezember nach Altenburg. Dobenecker II, 898.
2) S. Bloch a. a. O. S. 44; Toeche a. a. O. S. 554: „Am
4. Oktober ist der Kaiser noch in Sinzig, am 27. zu Herzberg am
südlichen Harz. Zwischen diese Termine setze ich Albrechts Mit-
teilung." Ganz unzutreffend aber ist die Hypothese vorher : ,, Offenbar
eilte Heinrich sofort nach Sachsen, als die Denunziation Alberts ihm
die Höhe der Gefahr enthüllte." S. darüber die Ausführungen
Blochs a. a. 0. S. 37 und, sich an Toeche anschließend, P. Schwartz,
Die Fürstenempörung von 1192 und 1193, Diss. Eost., 1879, S. 21
und 41.
3) Bloch, a. a. O. S. 46 : Cronica Reinhardsbrunn, (irrtümlich
ad. a. 1195) SS. XXX, 1, p. 552.
4) Cron. Reinhardsbrunn. SS. XXX, 1, p. 552.
5) Bis in den Anfang November hält sich Heinrich VI. in der
Nähe der Reichsstadt auf : Okt. 27. Burg Herzberg, Dobenecker II, 906.
Nov. 4 MühJhausen, Dobenecker II, 907.
und Pfalzgrafen von Sachsen (1190—1217). 331
genug, sich zu persönlicher Vermittlung selbst in die Nähe
der böhmisch- bayrischen Grenzen zu begeben i).
In vollem Bewußtsein seiner Unschuld erschien nun
in Altenburg der Landgraf Hermann, um sich zu recht-
fertigen ; und unschwer gelang ihm dies. Schon in Nord-
hausen mochte Heinrich VI. den Worten Albrechts von
Meißen wenig Glauben schenken ; dafür war die Persön-
lichkeit des Markgrafen, der sich einst ^) nicht gescheut
hatte, den eigenen Vater gefangen zu halten, und zu Beginn
des sizilischen Feldzuges trotz versprochener Heeresfolge
heimlich aus des Kaisers Lager entwichen war ^), zu wenig
vertrauenerweckend; weiterhin aber mußte die ganze Haltung
Hermanns und der sächsischen Fürsten ihm auch den letzten
Schein von Verdacht nehmen, und vollständig überzeugt
von der Schuldlosigkeit des Landgrafen und seiner Freunde,
erhob er nunmehr in Altenburg selbst Anklage gegen Albrecht
wegen Verleumdung. Vom näheren Verlauf dieses Ver-
fahrens wider den Markgrafen ist uns nichts bekannt. So
viel nur steht fest, daß noch in Altenburg, und zwar allem
Anschein nach mit Wissen und Wollen des Kaisers^), der
Herzog von Sachsen Hermann und Albrecht durch guten
Zuspruch versöhnte.
1) In Altenburg finden wir vom 17. November an die Großen
von Böhmen und Österreich um Heinrich VI. versammelt; vgl. die
Zeugen in folgenden Urkunden: Nov. 17 Altenburg — Dobenecker II,
912 und 913. Nov. 20 Altenburg — Dobenecker II, 914. Dez. 1
Altenburg — Dobenecker II, 915. Hierher gehört (s. oben S. 380,
Anm. 1) auch die Zeugenreihe von Dobenecker II, 898 (II, 915 a).
Die Reichersperger Annalen , Magnus presbyter Reicherspergensis,
Annales, SS. XVII, p. 519 sagen dazu: iubente namque imperatore
pax facta et confirmata est inter eosdem principes intrante mense
Decembrio 8. Idus eiusdem mensis, iudicta curia generali Ratisponae
8. Idus Januarii.
2) Im Februar 1189, s. Wenck a. a. 0. S. 194.
3) Wenck, a. a. O. S. 199.
4) Bloch, a. a. O. S. 44 — erst Bloch hat in neuerer Zeit Licht
in dies Dunkel gebracht durch seinen ebenso scharfsinnigen wie
richtigen Nachweis, daß „im Herbst 1192 in Sachsen eine Fürsten-
empörung nicht stattgefunden hat", Bloch, a. a. O. S. 47.
332 Die Eeichspolitik Hermanns I., Landgrafen von Thüringen
Auch die Erbfolge des Markgrafen und seines Bruders
Dietrich von Weißenfels wurde hier durch Heinrich VI.
geregelt, und zwar hat der Kaiser seine Entscheidung in
dieser Trage einzig und allein nach dem Gutachten der
Eürsten getroffen, die ihm noch vor kurzem nach Thron
und Leben getrachtet haben sollten ^).
Damit hatte Heinrich VI. seine vielseitige Tätigkeit
in Sachsen beendet. Die meisten Fürsten trennten sich
von ihm, und nur mit geringem Gefolge zog er im Anfang
Dezember westwärts, über Merseburg 2) und Allstedt ^) nach
Nordhausen *), um sich von da zum Reichstag nach Regens-
burg zu begeben. Mit Albrecht von Meißen sowie dem
Herzog Bernhard von Sachsen gab der Landgraf von
Thüringen dem Kaiser bis Merseburg das Geleit^).
Aber dieses jetzt so freundschaftliche Verhältnis
zwischen Hermann und Heinrich VI. war von Seiten des
Landgrafen nur ein scheinbares, äußerliches, seine zuvor-
kommende Begleitung des Kaisers nur ein Beispiel für die
leichte Täuschung, die in der Höflichkeit liegt. Schon aus
der — wenn auch natürlich mit Unrecht höchst über-
triebenen — Anschuldigung des Markgrafen von Meißen
können wir immerhin eine Mißstimmung Hermanns gegen
Heinrich VI. herauslesen, die uns die Eolgezeit bestätigen
wird. Obwohl des Staufers naher Verwandter, gehörte
Hermann doch entschieden zu den Fürsten, denen die Herr-
schaft eines Kaisers, der alles nur seinem Willen unter-
worfen wissen wollte, am wenigsten behagte. Ein leichter
Schatten feindseliger Gesinnung mochte in dem empfind-
1) Dobenecker II, 9ö2 — 1194, 4. Dez., Palermo: Heinrich VI.
heißt Herzog Bernhard von Sachsen , betreffs des Markgrafen
A. V. Meißen sich mit den Fürsten, die der Verhandlung zu Alten-
burg (Nov./Dez. 1192) beigewohnt haben, zu besprechen usf.
2) 8. Dez. 1192 — Dobenecker II, 916.
3) 14. Dez. 1192 — Dobenecker II, 917.
4) 18. Dez. 1192 — Dobenecker II, 918.
5) Sie sind Zeugen der Urkunde Heinrichs vom 8. Dez. 1192.
und Pfalzgrafen von Sachsen (1190—1217). 333
liehen Gemüt des Landgrafen überdies auch von dem Saal-
felder Tage ^) her zurückgeblieben sein, wo Heinrich so
unverkennbar ihm sein Erbe zu entziehen willens war.
So finden wir schon wenige Monate später den Land-
grafen Hermann offenkundig unter den Gegnern des Kaisers,
als ein Glied der Fürstenverschwörung des Jahres 1193,
die der Ermordung Alberts von Brabant folgte, des von
Heinrich VI. vertriebenen Bischofs von Lüttich. Am 24. No-
vember 1192 war dieser in Reims, wo er Zuflucht gefunden
hatte '^), durch die Hand deutscher Ritter gefallen, ver-
mutlich als ein Opfer privater Rache ^). Allgemein aber
traf der Verdacht den Kaiser. Und nun loderte überall
im Reiche der lange verhaltene Unwillen über des Staufers
strenges Regiment zu offenem Aufruhr empor ^). Noch vor
Weihnachten schloß der Bruder des Erschlagenen, Herzog
Heinrich von Brabant, mit seinem Oheim, dem Herzog von
Limburg, und dem Erzbischof Bruno von Köln ein festes
Bündnis gegen Heinrich VI. Offen wurde dabei (in Köln)
zugleich ausgesprochen, daß es sich um eine Verschwörung
wider den Kaiser handle ^), den man absetzen wolle, um
anstatt seiner den Herzog Heinrich von Brabant auf den
Thron zu erheben ^). Daß der Plan auch die Billigung
Papst Cölestins finden werde, ließ sich bei dessen Miß-
stimmung gegen Heinrich VI. mit Bestimmtheit erwarten.
Ebenso durften die Verbündeten im nördlichen und öst-
lichen Deutschland allenthalben auf Anhänger rechnen, und
bereits zu Anfang des neuen Jahres (1193) traten, durch
1) S. oben S. 324
2) S. oben S. 327.
3) S. die Erörterungen bei Bloch a. a. O. S. 22, Anm. 2, und
S. 23.
4) Über die gesamte Fürsten erhebung des Jahres 1193 stehen
nur wenige Nachrichten zur Verfügung, da es nicht zu Feindselig-
keiten kam.
5) Reg. episc. Col. 11, no. 1440.
6) Gislebert, a. a. O. cap. 194.
XXVII. 22
334 I^ie Reiclispolitik Hermanns I., Landgrafen von Thüringen
Erzbischof Konrad von Mainz veranlaßt, Ottokar von Böhmen,
sein Schwager Albrecht von Meißen und eben auch Her-
mann von Thüringen der Verschwörung bei ^). So bildeten
binnen kurzem die mächtigsten Reichsfürsten einen ge-
schlossenen Bund, der auch den schwächeren Mut machte,
dem gewaltigen Herrscher Trotz zu bieten.
Zum offenen Ausbruch der Empörung kam es indessen
nicht. Am 21. Dezember 1192 war Richard Löwenherz,
der im weiteren Verlauf der Dinge doch zweifellos den ge-
fährlichsten Gegner des deutschen Kaisers bedeutet haben
würde, bei Wien entdeckt und gefangen nach Herzog Leo-
polds Schloß Dürnstein an der Donau gebracht worden.
Dieser glückliche Zufall bedeutete eigentlich schon den
Wendepunkt zugunsten Heinrichs VL Zwar hinderte, wie
auch Bloch mit Recht bemerkt 2), für den Augenblick die
Gefangennahme des englischen Königs keineswegs, daß der
Aufstand immer weiter um sich griff, im Gegenteil : gerade
die Nachricht von dem überraschenden Ereignisse mag erst
Heinrich den Löwen, des Königs Schwager, bewogen haben,
der Opposition beizutreten ; aber später zog der Kaiser doch
allen Vorteil aus der augenblicklichen Ohnmacht Englands,^
indem er geschickt Richard und die empörten Fürsten gegen-
einander auszuspielen wußte.
Mit scharfem Blicke hatte Heinrich VI. sofort erkannt,
welch günstige Handhabe sich ihm bot, wenn er Richard
von England, den Feind des Reiches und zugleich den Freund
der Empörer, in seine eigene Gewalt bekäme. Ungesäumt
war er deshalb mit Herzog Leopold in erfolgreiche Unter-
handlung getreten ; am 24, März wurde der hohe Gefangene
in Speyer dem erfreuten Kaiser ausgeliefert und nach Trifels
in sicheres Gewahrsam gebracht. Eben jetzt hatte aber auch
die Empörung ihren Höhepunkt, ihre größte Ausdehnung er-
1) Cronica Eeinhardsbr. SS. XXX, 1, p. 552.
2) Bloch, a. a. O. S. 50.
und Pfalzgrafen von Sachsen (1190—1217). 335
reicht, und für Heinrich VI. war der Zeitpunkt gekommen,
wo er sich genötigt sah, mit den rheinischen Fürsten in
Unterhandlung zu treten. Diese so bald als möglich zu
Ende zu führen, tat der Kaiser einen meisterhaften Schach-
zug. Er erweckte den Anschein, als sei er den Anträgen
des französischen Königs, der gegen große Geldsummen
die Auslieferung Richards oder wenigstens die Verlängerung
seiner Gefangenschaft verlangte, gar nicht so abgeneigt.
Die Aussicht, in die Gewalt seines erbittertsten Feindes zu
gelangen , mußte den unglücklichen Fürsten natürlich in
nicht geringen Schrecken versetzen; die nahe Gefahr trieb
ihn schließlich, mit allen Mitteln die Fürsten, von denen ja
gerade die Führer, Heinrich von Brabant und Heinrich der
Löwe, das lebhafteste Interesse an ihm hatten, zum Frieden
zu bewegen ^), und damit hatte Heinrich VI. seinen Zweck
erreicht; denn Richards Bemühungen waren von Erfolg
gekrönt, die Fürsten gaben — besonders wohl auch aus
Furcht vor dem Schreckgespenst eines staufisch-französischen
Bündnisses — seinen Bitten willig Gehör. Mitte Juli 1193
schon schlössen die meisten Glieder der Opposition 2) in
Coblenz unter höchst annehmbaren Bedingungen für sie ^)
ihren Frieden mit dem Kaiser. Neben Albrecht von Meißen
war auch der Landgraf Hermann von Thüringen erschienen *),
um sich mit Heinrich VI. auszusöhnen ^). Und wie es den
Anschein hat, ist dieser von allen anwesenden Großen gerade
Hermann, seinem „lieben Vetter", mit größter Huld begegnet;
„auf jedwede Art und Weise suchte er sich seine G.eneigt-
heit zu verschaffen", so berichtet wenigstens voller Genug-
tuung der auf seinen Landesherrn stolze Annalist von Rein-
1) Weitere Ausführungen siehe bei Bloch a. a. O. S. 63 — 65.
2) Siehe Toeche a. a. O. S. 282.
3) Nach Bloch a. a. O. S. 65, Anm. 2.
4) Dobenecker II, 925.
5) Irrtümer Toeches a. a. O. S. 279 und Wencks a. a. O.
S. 207 f. berichtigte schon Bloch a. a. O. S. 65, Anm. 2.
22*
336 I^iß Keichspolitik Hermanns I., Landgrafen von Thüringen
hardsbrunn ^). Von Coblenz begab sich der Kaiser mit dem
Landgrafen 2) und zahlreichen anderen Fürsten ^) zu weiterem
Ausgleich nach Worms, wo zur Zeit der englische König
weilte. Am 25. Juni begannen dort die Verhandlungen *),
die Heinrichs VI. Erfolg befestigen sollten. Durch einen
Vertrag wurde Richards Befreiung gesichert, und damit
waren die rheinischen Fürsten zufriedengestellt. Herzog
Ottokar von Böhmen wurde zur Strafe für seinen Abfall
seiner Würden entsetzt und an seiner Stelle Bischof Heinrich
von Prag mit dem Herzogtum belehnt ^). Unversöhnt allein
im Reiche standen dem Staufer nur noch die Weifen und
Konrad von Mainz gegenüber.
Mit den Wormser Tagen hatte die so gefahrdrohende
Fürstenverschwörung des Jahres 1193 nahezu ihr Ende
erreicht. Geschichtlich bedeutsam ist die gewaltige Be-
wegung wegen der Vereinigung des rheinisch-brabantischen
und sächsisch-weifischen Fürstenbundes, die einmal der lang-
gehegte Unmut über die staufisch -italienische Politik, zum
andern das Ziel der Befreiung Richards von England zu-
stande gebracht hatte. Kluge Mäßigung im rechten Augen-
blick ließen den Kaiser schließlich das Feld behaupten;
anfangs in fast aussichtsloser Lage, rettete ihn die ge-
1) Cron. Eeinhardsbr. SS. XXX, 1, p. 552: Imperator, quibus
artibus potuit, lantgravium favorabilem sibi constituit. Siehe Bloch
65 ff. Vgl. aber Knochenhauer a. a. O. S. 229.
2) Hermann ist am 28. Juni in Worms. Dobenecker II, 928.
3) Siehe die Reihe der in Worms anwesenden Fürsten bei
Toeche a. a. O. S. 282.
4) Roger von Howden, Chronica Magistri Rogeri de Hovedene
ed. by W. Stubbs, 4. Bde., 1868 — 71 (Rar. Britannic, Script.),
Bd. III, 214.
5) Gerlaci abbatis Milovicensis annales 1167 — 1198 in S.S. XVII,
683—710, p. 707. Die Cron. Reinhardsbr. SS. XXX, 1, p. 552 be-
richtet die Entsetzung Ottokars fälschlich als gleichzeitig mit den
Gunstbezeugungen Heinrichs VI. gegenüber dem Landgrafen Her-
mann (s. o. Anm. 1).
und Pfalzgrafen von Sachsen (1190—1217). 337
schickte politische Ausnutzung eines Zufalles, der ihm in
der Gefangennahme des englischen Königs unerwartet zu
Hilfe kam.
Voll reger Teilnahme ist den diplomatischen Händeln
dieses unruhigen Jahres Landgraf Hermann gefolgt. Wie
weit er in den einzelnen Fällen selbst in die Ereignisse
verflochten ist, vermögen wir freilich nicht zu entscheiden ;
immerhin scheint uns die auffallende Haltung Heinrichs VI.
zu Coblenz, die in der Reinhardsbrunner Chronik so aus-
drücklich Erwähnung findet i), genugsam zu beglaubigen, daß
dem Landgrafen unter den verschworenen Fürsten eine
keineswegs unbedeutende Rolle beizulegen ist. Auf seinen
geheimen Groll gegen Heinrich VI. und seine Befürch-
tungen gegenüber dessen skrupelloser Hausmachtspolitik
haben wir schon oben hingewiesen 2) : es kommt aber noch
ein weiteres Moment hinzu, das ihn bewog, sich der Op-
position anzuschließen. Ein Hauptzug seiner Politik, der sich
allerdings hier zum erstenmal bemerkbar macht, den wir
später aber häufig wiederkehren sehen, war nämlich, stets
der Partei im Reiche beizutreten , die ihm selbst " den
meisten Vorteil einzubringen versprach. Unzweifelhaft lieb
war ihm hierbei, wenn es galt, gegen das nach immer
größerer Macht strebende staufische Herrscherhaus vorzu-
gehen, zu dem ihm mit dem Tode seiner Mutter ^) jegliche
verwandtschaftliche Neigung geschwunden zu sein schien.
So gerade jetzt, zu Beginn des Jahres 1193, welch günstige
Gelegenheit: der Riesenbund, der vereinigten Fürsten und
ihm gegenüber in halber Ohnmacht der staufische Vetter!
Kaum aber wird sich dann Hermann der veränderten Sach-
lage bewußt, des Vorteils, den der geistesgewaltige Kaiser
aus der Gefangennahme Richards für sich herauszuschlagen
1) Siehe auf voriger Seite Anm. 1.
2) Siehe oben S. 332 f.
3) 1191, siehe Knochenhauer a. a. O. S. 224.
338 Die Reichspolitik Hermanns I., Landgrafen von Thüringen
weiß, so lenkt er ein ; persönlich eilt er nach Coblenz, um
sich mit Heinrich VI. wieder zu versöhnen. Und der nimmt
ihn gern und huldvoll auf; befindet er sich doch in ähn-
licher Lage wie 1190 in Saalfeld: ein zweiter, schon lange
vorbereiteter Feldzug soll ihm jetzt die sizilische Königs-
krone bringen, doch vorher muß erst in Deutschland der
Friede gesichert sein. Von Coblenz begibt sich Hermann
nach Worms, um an den Verhandlungen zwischen dem
Kaiser und Richard Löwenherz teilzunehmen. Will er sich
für den englischen König verwenden? — Heinrich VL
fordert für dessen Freilassung 150000 Mark und das Ver-
sprechen, Heinrich den Löwen zur Heeresfolge gegen Tan-
kred und damit zum Frieden zu bewegen. Allein Eichard
ist nicht gesonnen, durch des Schwagers Überredung dem
Kaiser Ruhe in Deutschland zu verschaffen. Da schreiten
die Fürsten, die sich eben wieder mit Heinrich VL ver-
glichen haben, zur Vermittlung. Sie wirken zugunsten des
Königs; denn ihnen — und wir dürfen wohl Hermann be-
sonders dabei hervürheben — will die volle Wiederher-
stellung des kaiserlichen Einflusses in Deutschland wenig
behagen. Und es gelingt ihnen schließlich durchzusetzen :
daß Richard, falls er sein Versprechen, Heinrich den Löwen
betreffend, nicht erfülle, dem Kaiser dann nur weitere
50000 Mark als Entgelt zu entrichten habe.
Landgraf Hermann ist dann wohl unmittelbar, nach-
dem er gleich den anderen anwesenden deutschen Fürsten
die Wormser Abmachungen beschworen hatte, in die Hei-
mat zurückgekehrt. Kurze Zeit darauf schon finden wir
ihn in eine Fehde mit Erzbischof Konrad von Mainz ver-
wickelt i). Nach dem Bericht des Reinhardsbrunner Chro-
1) Die Fehde fand also nicht im Frühjahre statt, wie Schwartz
a. a. O. S. 27 und Wenck a. a. O. S. 208 dartun, sondern im Herbst.
Konrad von Mainz söhnte sich mit dem Kaiser erst 1194 (St. 4845)
aus. Siehe auch Bloch a. a. O. S. 65, Anra. 2.
und Pfalzgrafen von Sachsen (1190—1217), 339
3iisten ^) war dieser ergrimmt über das eigenmächtige Ver-
halten des Landgrafen, der, durch sein Zureden erst für
die Opposition gewonnen, plötzlich wie im Spiel ohne ihn
sich wieder dem Kaiser zugewandt hatte, und suchte die
Verbündeten gegen ihn aufzuwiegeln. Doch entspricht
die Darstellung, Hermanns unerwarteter Parteiwechsel
lediglich habe diesen Kriegszug zur Eolge gehabt, wohl
kaum den Tatsachen. Die Fehde wird wie zahlreiche frü-
here der Erzbischöfe von Mainz gegen die Landgrafen von
Thüringen, so auch diesmal privater Natur gewesen sein.
Hermanns vorsichtiges Handeln, das den Erzbischof ja
natürlich erbittert haben mag, hat sie bloß gezeitigt. Mit
Knochenhauer*) anzunehmen, es sei das Übereinkommen
zwischen dem Landgrafen und dem Kaiser zu Coblenz auf
Kosten des Erzbistums getroffen worden, sehe ich keine
Veranlassung; es fehlt darüber jeder Quellennachweis.
Auf die Kunde von Konrads Umtrieben sammelte Her-
mann rasch ein Heer und fiel im Bunde mit Albrecht von
Meißen, der eine Gelegenheit zum Dreinschlagen nur höchst
ungern vorübergehen ließ, in die Mainzer Lande ein. Die
Einnahme von Melsungen bereitete dem Kampfe ein baldiges
Ende, der durch die Schnelligkeit des thüringisch-meiß-
nischen Angriffes völlig überraschte Erzbischof bequemte
sich zum Frieden. Noch in demselben Jahre finden wir
beide Fürsten in friedlicher Zusammenkunft ^).
Über dem Streit mit Konrad von Mainz hat der Land-
graf nicht den Gang der Dinge im Reich aus den Augen
verloren. Noch immer stand der Ausgleich Heinrichs VI.
mit den Weifen bevor. Da endlich, am 29. Januar 1194,
1) Cron. Eeinhardsbr. SS. XXX, 1, p. 552. Dazu Wenck
a. a. O. S. 209, Anm. 1.
2) Knochenhauer, a. a. O. S. 229.
3) Vgl. auch Bloch a. a. O. S. 48, der die Ausstellung dieser
Urkunde — wohl mit Unrecht — vor den Beginn der Fehde setzt.
340 ^iö Eeichspolitik Hermanns I., Landgrafen von Thüringen
erschien zu Würzburg der jun^e Heinrich von Braun-
schweig, der kurz vorher durch seine unerwartete und ge-
heime Vermählung mit Agnes, der Tochter des Pfalzgrafen
Konrad ^ ), in verwandtschaftliche Beziehung zu dem Kaiser
getreten war, am Hofe des Staufers, an seiner Seite als
Fürsprecher Hermann von Thüringen ^). Deutlich sehen
wir hier die kluge Politik des Landgrafen, Keine der
beiden Parteien kann ihm jetzt sein vorjähriges Verhalten
gegen sie nachtragen: Heinrich VI. nicht, daß er gegen
ihn die Fahne der Empörung hob, und die Weifen nicht,
daß er um seiner eigenen Sicherung willen treulos die Sache
der gegen den Staufer Verbündeten aufgab. Ja, beide
sind ihm jetzt gewissermaßen noch zu Danke verpflichtet.
Großmütig verzieh der Kaiser dem jungen Weifen.
Auf einem Reichstage zu Saalfeld Ende Februar 3) wollte
er dann auch Heinrich den Löwen in Gnaden aufnehmen.
Ein Sturz vom Pferde hinderte aber den greisen Weifen
am Kommen, und so fand die Aussöhnung mit ihm erst
Anfang März in Tilleda, der kaiserlichen Pfalz am Fuße
des Kyffhäusers, statt ^). Damit hatte nach langen Mühen
Heinrich VI. den deutschen Landen endlich den Frieden
wiedergegeben ; mit Heinrich dem Löwen fiel das letzte
Glied antistaufischer Opposition. Stolze Genugtuung durfte
den jungen Herrscher erfüllen, wenn er diesen glänzenden
Erfolg seiner Staatskunst überschaute. Jetzt war auch an
dem Gelingen eines zweiten Zuges nach Apulien kaum noch
zu zweifeln: in Sizilien war eben, am 20. Februar, der zum
König erhobene Tankred gestorben ^), und dem Banner des
Staufers folgte diesmal die gesamte Heeresmacht der Weifen.
1) Annales Stederburgenses 1000 — 1194, auctore Gerhardo prae-
poslto SS. XVI, 197—231, p. 227.
2) Dobenecker II, 951.
3) Dobenecker II, 952. 953.
4) Dobenecker II, 954.
5) Toeche, a. a. O. S. 322.
und Pfalzgrafen von Sachsen (1190—1217). 34I
Landgraf Hermann scheint nach dem Würzburger
Tage sich eifrig den Angelegenheiten seines Landes ge-
widmet zu haben. Weder in Saalfeld noch in Tilleda ist
seine Anwesenheit nachweisbar. Doch nicht lange war
ihm friedliche Betätigung beschieden; schon bald nach des
Kaisers Aufbruch aus Deutschland (im Mai 1194) mußte
er von neuem die Waffen ergreifen. „Des Nichtstuns
müde"i), hatte der streitlustige Markgraf von Meißen aber-
mals seinen Bruder angegriffen und belagerte die Burg
Wunnenfels ^). Des Landgrafen vermittelnder Bitte, sich
weiterer Feindseligkeiten zu enthalten, achtete er nicht.
Ja er ging in seinem Übermut so weit, einen Reichsmini-
sterialen Bernhard zu blenden ^). Diese Untat nun führte,
gleichsam als dehnte er sein pfalzgräfliches Amt auch auf
Meißen aus, den Landgrafen ins Feld. Mit einem starken
Heere fiel er in die Mark ein, Albrechts Burgen zu er-
obern. Die einen zerstörte er, andere zwang er zur Über-
gabe und übertrug ihren Schutz dem Grafen Dietrich*).
In dem Glauben, des Markgrafen Macht völlig gebrochen
zu haben, verließ er dann siegreich das Land. Bereits
drohte ihm von Westen her neue Gefahr. Konrad von
Mainz hatte die Gelegenheit der Fehde Hermanns mit
Albrecht von Meißen benutzt, um die Niederlage des vorigen
Jahres wettzumachen, und dabei in dem über des Land-
grafen Siegeszug mißgünstigen Erzbischof Adolf von Köln
einen willigen Bundesgenossen gefunden ^). Vereint waren
1) Cron. Reinhardsbr. S.S. XXX, 1, p. 5521; Wenck a. a. O.
S. 209.
2) S. dazu Cron. Reinhardsbr. S.S. XXX, 1, p. 553, Anm. 2.
3) Ausführliches darüber siehe Wenck a. a. O. S. 209 ff.
4) Cron. Reinhardsbr. SS. XXX, 1, p. 553.
5) Cron. Reinhardsbr. SS. XXX, 1, p. 553 berichtet wieder
von einer Verschwörung der Fürsten gegen den Landgrafen; aber
soviel wir wissen, hat sich nur Adolf von Köln noch an dem Kampfe
beteiligt.
342 -Die Eeichspolitik Hermanns I., Landgrafen von Thüringen
die beiden Prälaten in das landgräfliche Gebiet eingefallen
und hatten Grrünberg (in Hessen) verbrannt. Noch war
Hermann gegen sie unterwegs, als ihn die Nachricht traf,
Markgraf Albrecht habe während seiner Abwesenheit das
Meißner Land wieder in seinen Besitz gebracht und über-
schreite jetzt die Saale, um in Thüringen selbst einzu-
dringen. Da überließ der Landgraf kurz entschlossen den
Kampf im Westen einstweilen seinen Lehnsleuten, er selbst
wandte sich zum Schutze seines Landes gegen den an-
rückenden Markgrafen. Trotz aller Ermüdung durch den
Marsch griff er den Gegner gleich beim ersten Zusammenstoß
an und erfocht einen vollständigen Sieg ^) bei Reveningen ''^).
Zahlreiche Feinde gerieten in Gefangenschaft, Albrecht
selbst entkam nur mit genauer Not. Es ist ungewiß, ob
Hermann nach Beendigung des Kampfes mit dem Mark-
grafen sich noch einmal persönlich dem westlichen Kriegs-
schauplatze zugewandt hat, da wir über den Verlauf dieser
Fehde nicht näher unterrichtet sind ; jedenfalls aber kam
noch in demselben Jahre der Friede zustande.
Für die Folgezeit scheint das Verhältnis des Landgrafen
zu Konrad von Mainz überhaupt eine günstigere Wendung
genommen zu haben ; wir hören von keiner Fehde mehr
zwischen den beiden Verwandten ^).
Auch von selten Albrechts von Meißen sollte der Land-
graf in Zukunft unbehelligt bleiben. Auf dem Wege von
Freiberg nach Meißen ereilte schon im folgenden Jahre, im
Juni 1195, den Markgrafen ein plötzlicher Tod*).
1) Chronicon montis Sereni (Lauterberg), abgek. Chron. mont.
Ser., ed. E. Ehrenfeuchter, SS. XXIII, 166.
2) Heute Röblingen (Ober- und Unter-) an der Helme, westlich
von Halle, südlich von Sangerhausen.
3) S. Dobenecker II, 871.
4) Cron. Eeinhardsbr. SS. XXX, 1, p. 554; Chron. mont.
Ser. SS. XXIII, p. 166. Siehe auch Wenck a. a. O. S. 189
und 212.
und Pfalzgrafen von Sachsen (1190—1217). 343
Kaiser Heinrich war inzwischen in Italien äußerst
glücklich gewesen. Bereits am 25. Dezember 1194 konnte
er sich in Palermo die normannische Königskrone aufs
Haupt setzen. Auf der Rückkehr nach Deutschland machte
er die Erfolge seines zweiten italienischen Feldzuges voll-
ständig, indem er sich mit der Kurie aussöhnte; nach
kurzen Verhandlungen mit Cölestin nahm er am 31. März,
dem Karfreitag des Jahres 1195, das Kreuz. Im Sommer
war der Kaiser eifrig darauf bedacht, auch die deutschen
Pursten für den Zug zu gewinnen. Ein Reichstag in dieser
Angelegenheit konnte freilich infolge einer Erkrankung des
Kaisers erst Ende Oktober in Gelnhausen zusammentreten.
Zahlreiche geistliche und weltliche Fürsten , Grafen und
Edle erklärten sich hier für die Kreuzfahrt, unter ihnen
der Landgraf Hermann i). Nicht weniger günstig für die
Sache des heiligen Landes war der Erfolg auf einem
zweiten Reichstage, der am 6. Dezember zu Worms statt-
fand 2).
Lange schon hatte Heinrich VI. den gewaltigen Ge-
danken gehegt, eine Weltmonarchie zu gründen. Die Er-
oberung Siziliens und vor allem der Kreuzzugsplan ließen
ihn jetzt von neuem und stärker als je in ihm aufkommen.
Zu diesem Zwecke suchte er zunächst das deutsche Wahl-
reich zu einem staufischen Erbreich umzugestalten, d. h. die
Nachfolge in Deutschland, das er mit Sicilien zu einem
Reiche verbunden wissen wollte, für sein Haus durch Reichs-
gesetz erblich zu machen ^). Die Fürsten aber sollten für
den Verzicht auf ihr Wahlrecht unbeschränktes Erbrecht
— auch in kognatischer Nachkommenschaft — erhalten.
1) Dobenecker II, 983 a. Dobenecker zitiert hier irrtümlich
Toeche S. 389 ; es müßte besser heißen : vgl. dagegen Toeche
S. 390.
2) Dobenecker II, 986-988.
3) Toeche, a. a. O. S. 396—417, 436-446 und daselbst Bei-
lage X.
344 ^iß Eeichspolitik Hermanns I., Landgrafen von Thüringen
So hatte er schon kurz vor dem Gelnhauser Reichstage im
Oktober zu Mainz ^) der daselbst anwesenden nicht zahl-
reichen Fürstenversammlung seine bekannte Reichserbfolge-
ordnung ^) vorgelegt, aber nur geringes Entgegenkommen
gefunden. Zu weiterer Beratung wurde zu Anfang April 2)
ein zweiter Reichstag nach Würzburg angesagt. Noch ehe
dieser zusammentrat, finden wir am Hofe des Kaisers den
Landgrafen Hermann^), der dem Plane Heinrichs offenbar
das größte Interesse entgegenbrachte und, wie wir gleich
sehen werden, bald darauf in Würzburg zu seiner Förderung
wesentlich beigetragen hat.
Es war eine stattliche Versammlung, die hier zusammen-
kam. Energisch drang der Kaiser in die Fürsten, ihm ihre
Zustimmung zu geben. Nach langem Zögern, mit sichtlichem
Widerstreben willigten sie schließlich ein, „einige durch
Überredung gewonnen , andere durch Drohungen einge-
schüchtert", und besiegelten die darüber ausgestellte Ur-
kunde 5). Deutlich zeigte sich aber , wie der Landgraf
Hermann bei seiner schnellen Bereitwilligkeit dem Plane
Heinrichs VI. gegenüber nur seinen persönlichen Vorteil
im Auge gehabt hatte. Kaum hatte er unterschrieben, so
gab er dem neuen Gesetz seine erste Anwendung; er ließ
unter dem Zeugnis der versammelten Fürsten seiner noch
unmündigen Tochter Hedwig vom Kaiser das Recht auf
die Landgrafschaft übertragen ^).
Bald nach dem Würzburger Tage begannen jedoch die
1) Wenck, a. a. O. ö. 214, Anm. 1. Siehe auch Dobenecker
II, 982.
2) Toeche, a. a. O. S. 399—417.
3) Toeche, a. a. 0. S. 414; Dobenecker II, 1004. 1005.
4) März 6 in Gelnhausen. Dobenecker II, 1002.
5) Toeche, a. a. 0. S. 414; Cron. Eeinhardsbr. SS. XXX, 1,
p. 556; dazu die Zeugenunterschriften der gleichzeitigen Urkunden
des Kaisers bei Dobenecker II, 1004. 1005.
6) Cron. Eeinhardbr. SS. XXX, 1, p. 556.
und Pfalzgrafen von Sachsen (1190—1217). 345
Fürsten den Plan des Kaisers mit Mißgunst zu betrachten.
Selbst den Landgrafen Hermann, der doch — allerdings
nur aus selbstischen Gründen — am ersten die Forderungen
Heinrichs VI. gutgeheißen hatte, finden wir binnen kurzem
unter den entschiedenen Gegnern des kaiserlichen Projektes.
Ihn entfremdete dem Kaiser vor allem ein Umstand, der
wohl auch den Argwohn der anderen Fürsten wachrief;
analog der Belehnuug Hedwigs mit den landgräflichen
Recbten hätte auch Graf Dietrich von Weißenfels die Mark
Meißen erhalten sollen , besonders da die gesetzmäßige
Frist — nach Reichsrecht mußte ein erledigtes Fahnen-
lehen binnen Jahr und Tag vom Kaiser wieder verliehen
werden ^) — damals gerade ablief. Heinrich VI. hatte diese
Belehnung nicht eintreten lassen 2). Schon am 7. August
versammelten sich zu Keuschberg bei Merseburg mehrere
Fürsten „zur Beratung von Reichsangelegenheiten", wie es
in einer dort ausgestellten Urkunde heißt ^), jedenfalls aber,
um sich zwecks Wahrung der fürstlichen Interessen zu ge-
meinsamer Opposition zu verabreden. In ihrem Widerstand
wurden sie noch bestärkt durch die Nachricht, daß auch
der Papst den universalistischen Ideen des Staufers feind-
lich gegenüberstand. War ihnen von Cölestin etwa sogar
die Entbindung von ihrem Eide in Aussicht gestellt
worden ?
So brachte die Fürstenversammlung im Oktober 1196
zu Erfurt^), die Heinrichs VI. Gesandter Gebhard von
Querfurt einberief, um den Fürsten die wichtige Angelegen-
1) Constitutiones et Acta publica Imperatorum et Eegum (in
M. G. I. LL. Sectio IV), ed. L. Weiland, Hann. 1893, Tom. I,
p. 248.
2) Cron. Reinhardsbr. SS. XXX, ], p. 554; Chron. mont. Ser.
SS. XXIII, p. 166.
3) „ubi (Cuschburk) tunc pro negotiis imperii conveneramus".
Dobenecker II, 1057.
4) Cron. Remhardsbr. SS. XXX, 1, p. 557.
346 I^iß Reichspolitik Hermanns I., Landgrafen von Thüringen
heit der Erbfolge nochmals vorzulegen und sie zur Be-
schleunigung ihrer Rüstungen für den Kreuzzug anzutreiben,
dem Kaiser wenig Erfreuliches. Betreffs des Planes konnte
Gebhard seinem Herrn nur von sichtlicher Abneigung der
Fürsten berichten ; aber auch der Eifer für den Kreuzzug
war infolge der allgemeinen Mißstimmung erkaltet. Hein-
rich VI. hatte sich in seinem Schreiben besonders an den
Landgrafen von Thüringen gewandt, der naturgemäß seit
dem Reichstage zu "Würzburg in der kaiserlichen Gunst
hoch gestiegen war. „Wenn er ein gutes Beispiel gebe,
so würden auch die Saumseligen angefeuert werden; wenn
dagegen der Eifer des Hauptkämpfers für das heilige Land
erkalte, würden alle Anstrengungen der kleineren Fürsten
vergeblich sein" i). Die Antwort aber, die ihm Hermann ^)
übermitteln ließ, mußte ihn in seinen Erwartungen bitter
täuschen ; denn trotzig erklärte jener dem Gesandten, „er
habe weder aus Rücksicht auf die Kreuzpredigt, noch aus
Furcht vor dem weltlichen Schwert, sondern im Verlangen
nach göttlichem Lohn das Heilszeichen genommen ; wenn
ihm also die Zeit zum Aufbruch passend sei, dann werde
ihn keines Menschen Furcht oder Gunst vom Zuge zurück-
halten" ^). Die übrigen Fürsten schlössen sich dem ab-
lehnenden Bescheid des Landgrafen an *) ; deutlich bekundet
sich darin das Ansehen, das Hermann in ihrem Kreise
genoß.
Mit dieser Erklärung aber schwand auch für den Plan
der Erbfolge jede Aussicht auf Verwirklichung; gerade der
Fürst, der im Frühjahr am ersten seine Zustimmung gegeben
hatte, war ja in die Reihen der Opposition getreten. Da
faßte der Kaiser mit jener bewunderungswürdigen Mäßigung,
1) Toeche a. a. O. S. 442.
2) Des Landgrafen Anwesenheit in Erfurt bezeugt Cron. Rein-
hardsbr. S.S. XXX, 1, p. 556; siehe auch Dobenecker II, 1039.
3) Toeche, a. a. O. S. 442.
4) Cron. Reinhardsbr. S.S. XXX, 1, p. 557.
und Pfalzgrafen von Sachsen (1190—1217). 347
die ein Erbteil seines Vaters zu sein schien, den Entschluß,
von dem Plane abzustehen i), um wenigstens das für den
Augenblick Nötigste, die Wahl seines Sohnes zum Nach-
folger, zu erreichen. Ohne Schwierigkeit bewilligten
dies die Fürsten ; gegen Ende des Jahres noch wählten
sie in Frankfurt Heinrichs VI. kaum zweijährigen Sohn
Friedrich zum deutschen König und schwuren ihm den
Treueid 2).
Nun stand dem Kreuzzuge nichts mehr im Wege. Mit
Beginn des neuen Jahres kam er zustande. Ende März ^)
brach auch Landgraf Hermann von Thüringen auf, nachdem
er vorher noch einmal in Reinhardsbrunn Abschied ge-
nommen natte.
Kaiser Heinrich VI. war im Hochsommer 1196 über
die Alpen gezogen. Er sollte Italien nicht wieder verlassen.
Bereits am 28. September 1197 starb der geistesgewaltige
Sohn Barbarossas zu Messina, in der Blüte seiner Jahre
durch tückisches Fieber dahingerafft.
Im heiligen Lande hatte der Kreuzzug einen günstigen
Anfang genommen. Da traf im Februar 1198 die Nach-
richt von dem plötzlichen Hinscheiden Heinrichs VI. ein
und lähmte alle Unternehmungslust. Und noch so nach-
haltig wirkte die Persönlichkeit selbst des toten Kaisers
auf die Fürsten ein, daß sie gleich nach dem Empfang der
Trauerkunde seinem unmündigen Sohn Friedrich vor Berytus
den Treueid erneuerten. Dann aber rüsteten sich die
meisten zu eiligem Aufbruch in die Heimat. Nur wenige
zögerten mit der Abreise, unter ihnen Landgraf Hermann.
Und diesen wurde das einzige nennenswerte Ergebnis der
1) Selbst der Chronist von Eeinhardsbrunn, der entschiedene
Parteigänger seines landgräflichen Herrn, kann ihm hierfür seine
Anerkennung nicht versagen. Cron. Reinh. a. a. O. p. 558.
2) Die Literatur darüber siehe A. Hauck, Kirchengeschichte
Deutschlands, 4. Teil, Leipzig 1903, S. 676, Anm. 4.
3) Dobenecker II, 1039—1042.
348 Die Reichspolitik Hermanns I. etc.
Kreuzfahrt zu danken : um dieselbe Zeit etwa, als in Mittel-
deutschland Herzog Philipp von Schwaben zum König ge-
wählt wird, finden wir die thüringer Fürsten, Landgraf
Hermann, Dietrich von Meißen, Konrad von Landsberg und
Bischof Berthold II von Zeitz unter den Teilnehmern des
Konzils von Accon, wo der deutschen Spitalbrüderschaft
der heiligen Maria die Würde eines Ritterordens verliehen
wird 1).
1) Dobenecker II, 1072. Siehe auch Arnoldi Chron. Slav. Lib. V,
p. 211 ff.
(Fortsetzung folgt.)
IX.
Konrad, Landgraf von Thüringen, Hochmeister des
deutschen Ordens (f 1240).
Von
Dr. E. Caemmerer aus Arnstadt.
Nach den Stürmen des Bürgerkrieges zwischen dem
staufischen und weifischen Geschlechte am Anfange des
13. Jahrhunderts, der auch über die thüringischen Lande
überaus schwere Heimsuchung gebracht, war mit der
Regierung des jungen, tatkräftigen Landgrafen Lud-
wigs IV., des Heiligen, vorwiegend eine Zeit der Ruhe
und des Friedens angebrochen. Als er nach der unruh-
vollen Regierung seines Vaters Hermanns L dessen Erbe
antrat, war die weifische Macht, besonders nach dem Tode
ihres Hauptes, Ottos IV., zu einer wirksamen Opposition
gegen die Staufer viel zu schwach. So ergab sich für ihn
der politische Anschluß an den jungen Hohenstaufen
Friedrich II. leicht.
Als dessen Freund hat Landgraf Ludwig seine be-
sonders auf Stärkung und Erweiterung seiner Territorial-
macht gerichteten Pläne fördern können. Im Jahre 1221
fiel ihm nach Markgraf Dietrichs von Meißen Tode die Vor-
mundschaft über dessen jungen Sohn Heinrich, seinen
Neffen, und zugleich die Anwartschaft auf dessen Besitz-
tum für den Fall des vorzeitigen Todes seines Mündels zu.
In seiner Stellung als Reichsfürst hat der Landgraf, der
an zahlreichen politisch wichtigen Fragen regen Anteil
nahm, eine hervorragende Rolle gespielt. Die lombardische
Politik des Kaisers hat er tätig unterstützt. Mit ihm nahm
XXVII. 23
350 Konrad, Landgraf von Thüringen,
er auch das Kreuz zum Kampfe für die heiligen Stätten
des Orients. Im fernen Polen hat er gegen den Herzog
Wladislaw Laskonogi sein Ansehen und Recht zu wahren
verstanden. Ebenso zielbewußt und erfolgreich behauptete
er die in den Marken errungene Stellung als Regent und
Vormund des jungen Heinrich gegen den mächtigen Henne-
berger Grafen, der diese Stellung durch die Ehe mit seiner
Stiefschwester Jutta bedrohte. Die unter seiner Regierung
mit dem Erzbistum Mainz sich wiederholenden Kämpfe haben
die Ruhe seiner Lande nicht erheblich zu stören vermocht.
Denn gerade weil seine Regierung nach langwierigen
Kämpfen heilsamen Frieden und strenge Verteidigung des
Rechtes wiederbrachte, ist sie eine glückliche gewesen.
Der frühe Tod des Landgrafen vereitelte dessen weitere
Pläne und beraubte Thüringen zur Unzeit des umsichtigen
Fürsten i).
Bevor wir uns unserm eigentlichen Thema zuwenden,
ist eine kurze Übersicht über die Familie Hermanns L,
des Vaters Landgraf Ludwigs IV., unerläßlich,
Landgraf Hermann war zweimal vermählt gewesen.
Seiner ersten Ehe mit der Gräfin Sophia aus rheinischem
Geschlechte waren nur 2 Töchter, die schon genannte Jutta
und Hedwig, entsprossen. Seine zweite Gemahlin gleichen
Namens war die älteste Tochter des Herzogs Otto I. von
Bayern. Von ihr hatte er außer 2 Töchtern 4 Söhne ^).
Ludwigs, des ältesten, gedachten wir bereits kurz. Dem
nächstfolgenden, nach dem Vater Hermann genannt, war
wegen seines vorzeitigen Todes keine Bedeutung beschieden.
In weit höherem Grade gilt dies wieder vom dritten,
Heinrich, dem Nachfolger Ludwigs IV. als Landgraf, und
1) Vgl. über Landgraf Ludwig IV. jetzt besonders: R. Wagner,
Die äußere Politik Ludwigs IV., in : Zeitschr. d. Vereins f. thüriug.
Gesch. u. Altertumsk. (= Z. Thür. G.), Neue Folge (== N. F.)
Bd. 19, 23 ff.
2) Vgl. Wagner, S. 24 f.
Hochmeister des deutschen Ordens. 351
von Konrad, dem vierten und jüngsten der Söhne Landgraf
Hernaanns 1. 1).
Ludwig IV., einer der sympathischsten Erscheinungen
unter den thüringischen Landgrafen, dem Gemahle der
heiligen Elisabeth, hat die Geschichtsschreibung von jeher
Interesse entgegengebracht. Auch Heinrich Raspe, bekannt
als Gegenkönig Kaiser Friedrichs II., ist oft Gegenstand
eingehender wissenschaftlicher Untersuchungen geworden.
Von Landgraf Konrad besitzen wir keine zusammenfassende
Schilderung seines Lebens und seiner politischen Tätigkeit^).
So mag der folgende Versuch, ein Bild von seinem
Leben und Wirken zu geben, gerechtfertigt erscheinen.
Über Konrads Geburtsjahr wissen uns die ältesten
Quellen nichts zu berichten, und die Angaben über das
Alter der Landgrafen , wie sie der spätere thüringische
Chronist Johann ßotbe bringt, lassen sich an den fest-
stehenden Geburtsjahren Ludwigs IV., nämlich 1200, und
seines Sohnes Hermanns IL, 1222, als falsch widerlegen.
So verdient auch Rothe, wenn er Konrad 1203 geboren
sein läßt, keinen Glauben ^).
1) Die Altersreihenfolge der zwei ältesten Söhne Hermanns I. ist
strittig. Vgl. Dobenecker 11, 1585, Anm. 1. So zitiere ich O. Do-
benecker, Kegesta diplomatica necnon epistolaria historiae Thuringiae,
Bd. 2 (1900) und Bd. 3 (1904, 1. Teil). Die Regesten werden stets
nach Nummern, die des 3. Bandes ohne Bandzahl angeführt. — Ich
folge den neusten Untersuchungen von K. Wenck, Die heil. Elisabeth
(S. 181—210); in: Die Wartburg, ein Denkmal deutscher Geschichte
und Kunst (= Wartburgb.), Berlin 1907, 1. Anm. zu S. 191 (S. 700),
und Wagner, S. 24, Anm. 2.
2) Vgl. über ihn Th. Ilgen, Konrad v. Thüringen, in AUg.
deutscher Biogr. XVI, 625 ff.
3) Vgl. die düringische Chronik des Johann Eothe, ed. R. v.
Liliencron in Bd. 3 der thür. Geschichtsquellen, Jena 1859, Kp. 473,
dazu ebenda S. 390 f., Anm. 5. — Über Hermanns II. Geburtsjahr
vgl. Cronica Reinhardsbrunnensis, ed. O. Holder-Egger: M. G.
SS. XXX, 597 ; Dobenecker II, 2118, Anm. 1, über das Ludwigs IV.,
Cron. Reinh. 5t)3, auch 607.
23*
352 Konrad, Landgraf von Thüringen,
Dagegen bietet uns für die Bestimmung des Alters
der Söhne Landgraf Hermanns I. die von ihm, seiner
Gattin Sophia und seinen drei ältesten Söhnen ausgestellte
Marburger Urkunde vom 29. Mai 1214 einen wichtigen
Anhaltspunkt^). In ihr heißt es: Hermann, Landgraf von
Thüringen und Pfalzgraf von Sachsen, genehmigt mit seiner
Gemahlin und seinen Söhnen Hermann, Ludwig und Heinrich,
die zwar noch im Knabenalter stehen, aber schon aus-
gezeichnet sind durch sittliche und geistige Reife, die Ver-
legung des Klosters Aulisburg ^). Diese Stelle, welche die
drei ältesten Söhne Landgraf Hermanns durch die ange-
führten Worte auf die gleiche Stufe stellt, schließt einen
größeren Altersunterschied zwischen ihnen aus. Konrad
steht offenbar auf einer jüngeren Altersstufe. Auf ihn
war jene obige, auf seine Brüder zutreffende Bezeichnung
damals noch nicht anwendbar. Da Ludwig 1200 geboren
ist, und sich also für Hermann etwa 1202, für Heinrich
1203 oder 1204 schließen lassen kann 3)^ darf für Konrad
mit großer Wahrscheinlichkeit 1206 oder 1207 als Geburts-
jahr angenommen werden. Später wird es nicht anzu-
setzen sein*).
1) Dobenecker II, 1585. Über die Datierung Anm. 1.
2) Die Stelle lautet: puerili quidem adhuc indole florentes sed
pietatis et ingenii iam maturitate excellentes.
3) Vgl. über Heinrichs Geburtsjahr Böhmer-Ficker, Regesta
imperii V (1198—1272), Innsbruck 1881—1901, 4860 b. Die Regesten
werden stets: ßöhmer-Ficker und stets nach Mummern zitiert.
4) A. Rübesamen, Landgraf Heinrich Raspe von Thüringen,
Hallische Diss., Halle 1885, S. 4, Anm. 1, der als Heinrichs Ge-
burtsjahr 1206, bez. 1207 annimmt, hat fälschlich auf das „aetate
tenerum" im Schreiben Papst Gregors IX. vom 7. Juni 1235 (Monum.
Germ. Epistolae saeculi XIII. e regestis Pontificum Romanorum
selectae, Bd. 1, ed. C. Rodenberg, Berlin 1883, No. 643; Dobenecker
536) zu großes Gewicht gelegt, indem er daraus schloß, daß Konrad
1235 „höchstens im Anfang der zwanziger Jahre" gestanden haben
könne. In demselben Schreiben wird aber die 1235 im Alter von
27 Jahren stehende Tochter des Königs Ottokar I. von Böhmen,
Agnes (geb. 1208 ; vgl. L. A. Cohn, Stammtafeln z. Gesch. d. deutschen
Hochmeister des deutschen Ordens. 353
Über seine Jugend fehlt uns ebenso wie über die
seiner Brüder nähere Kunde. Seinem ältesten Bruder
Ludwig war die Vormundschaft über die jüngeren Brüder
zugefallen i). Sonst haben diese neben Ludwig keine Re-
gierungsrechte, auch nicht Heini'ich als der ältere, bis zum
Tode ihres regierenden Bruders ausgeübt. Beide werden
bis 1227 in Ludwigs Urkunden stets ,,Brüder des Land-
grafen" genannt 2).
Im übrigen scheint das Verhältnis Konrads zu seinen
Brüdern bis zu Ludwigs IV. Tod ein freundliches gewesen
zu sein ^), während über das zu seiner Schwägerin Elisabeth,
der Tochter des Königs Andreas II. von Ungarn, mit der
Ludwig seit 1221 vermählt war, nichts Näheres bekannt
ist. Wenn die spätere Tradition von einem L'belwollen
gegen Elisabeth wegen ihrer zu dem Leben am Hofe im
Gegensatz stehenden kirchlich-asketischen Lebensführung,
ja, von einer ihr feindlichen Partei, der ihre Schwieger-
mutter Sophia nicht ferngestanden haben soll, zu erzählen
weiß, so entbehren solche Angaben jeder historischen Be-
gründung. Von solchen Erzählungen, mit denen vor allem
unser Konrad in keiner Beziehung steht, hebt sich die
innige Frömmigkeit der Landgräfin-Mutter, die sie um
1221 in das Eisenacher St. Katharinenkloster eintreten
ließ, ihre sicher bezeugte Fürsorge für Elisabeth seltsam
Staaten und der Niederlande, Braunschweig 1871, Tafel 42) ebenfalls
„aetate tenera" genannt.
1) H. Rückert, Das Leben des heil. Ludwig, Landgrafen von
Thür., Leipzig 1851, S. 16.
2) Vgl. Th. Ilgen u. R. Vogel, Geschichte d. thüring.-hessischen
Erbfolgekrieges (1247— -1264), in: Zeitschr. d. Vereins f. hessische
Gesch. u. Landeskunde (= Z. Hess. G.), N. F. X, 214. — Nur
in einem Falle (Dobenecker II, 2415) erscheint Heinrich Raspe in
einer Urkunde seines Bruders als erster der Zeugen unter dem
Titel „Graf", woraus wir keinen weiteren Schluß ziehen können.
3j Theodoricus' v. Apolda libri octo de s. Elizabeth, in: The-
saurus monumentorum ecclesiastic. et historic. sive H. Canisii Lec-
tiones antiquae, ed. J. Basnage, Tom. 4, Amsterdam 1725, Bch. 3,
Kp. 8; Cron. Reinhardsbr. : M. G. SS. XXX, 606.
354 Konrad, Landgraf von Thüringen,
ab ^). Auch war der lebensfrohe, oft frivole Ton, der ehe-
mals am Eisenacher Hofe herrschte, damals längst einem
ernsteren gewichen.
Am thüringischen Hofe genoß der zu Anfang des Jahres
1226 zum Beichtvater der Landgräfin Elisabeth berufene
Magister Konrad von Marburg großen Einfluß. Vor seiner
Kreuzfahrt begabte ihn Ludwig mit Einwilligung seiner
Gemahlin, seiner Kinder und Brüder mit dem Verleihungs-
rechte der geistlichen Lehen, deren Patronat ihm zustand ^).
Diesem Magister soll auch, wie wir aus einer gleichzeitigen
Quelle erfahren, die Erziehung unseres jungen Konrad ob-
gelegen haben 3). Diese Nachricht vermögen wir nicht näher
zu prüfen ; in Anbetracht der späteren Beziehungen beider
zu einander ist sie durchaus glaubwürdig.
In Urkunden findet sich Konrads Name in jener Zeit
fast nur, wenn wir von der üblichen, mehr konventionellen
Zustimmung der nächsten Familienmitglieder in die Re-
gierungsakte des herrschenden Fürsten hören. So erscheint
er in mehreren Urkunden Ludwigs IV. mit seinem Bruder
Heinrich konsentiereud , wenn es sich um Schenkungen,
fromme Stiftungen, oder überhaupt meist um weniger wichtige
Regierungsakte handelt*). Im November 1225 finden wir
1) Vgl. G. Börner, Zur Kritik der Quellen f. d. Gesch. d. heil.
Elisabeth, in : Neues Archiv d. Gesellschaft f. ältere deutsche Ge-
schichtsk. (= Neues Archiv), Bd. 13, 453 ; H. Mielke, Zur Biographie
d. heil. Elisabeth, Rostocker Diss., Eostock 1888, S.45ff.; K. Wenck,
Die heil. Elisabeth, Hist. Zeitschr. LXIX, 220 f . Über Elisabeths Ver-
hältnis zu Sophia : Wenck, Wartburgb. bes. 190 ; ders. : Die
heil. Elisabeth und Papst Gregor IX., in: Monatsschrift „Hochland",
Novemberheft 1907, 8. 7ff. ; ders.: Die heil. Elisabeth, in: Samm-
lung gemeinverständlicher Vorträge und Schriften aus dem Gebiet
der Theologie und Eeligionsgesch., Heft 52, Tübingen 1908, S. 4 ff.
2) Vgl. Wagner, Z. Thür. G. N. F. XTX, 75, bes. Anm. 3.
3) Cäsarius' v. Heisterbach Vita s. Elisabeth im Auszug bei
Börner. Neues Archiv XIII, 505; vgl. über Cäsarius' gen. Werk ebenda
S. 466 ff., auch A. Huyskens, Quellenstudien z. Gesch. der heil.
Elisabeth, Marburg 1908, S. 5 ff., siehe S. 62, Anm. 1.
4) Zuerst in einer Urkunde Ludwigs IV. von 1218 (Dobeneckerll,
1814); Dobenecker II, 1976. 2118. 2137. 2235. 2246. (2409); aUer-
Hochmeister des deutschen Ordens. 355
Konrad mit Heinrich auf dem landgräflichen Schloß zu
Neuenburg bei Freiburg im Gefolge Ludwigs IV. ^), bevor
sieb dieser an den Hof König Heinrichs VII. nach Nürn-
berg begab. Im folgenden Jahre, 1226, ist Ludwig in
Oberitalien bei Kaiser Friedrich, dem er sich damals zu der
schon früher versprochenen Kreuzfahrt verpflichtete. Welcher
Art die Verwaltung der thüringischen Landgrafschaft 1226
während Ludwigs Abwesenheit war, erfahren wir nicht.
Wahrscheinlich wurde sie schon damals von Heinrich Raspe
ausgeübt ^). Konrad ist bestimmt in Thüringen geblieben 2).
Nach Regelung der Verhältnisse seines Landes und
der Beziehungen zu einigen auswärtigen Fürsten nahm
Ludwig in Schmalkalden im Juni 1227 von seinen Ver-
Avandten Abschied. Mit zahlreichem Gefolge brach er zum
Kreuzzuge auf. In Unteritalien traf er mit dem Kaiser
zusammen. Bald danach wurde auch er von einer unter
den Kreuzfahrern ausgebrochenen Seuche ergriffen und starb
am 11, September 1227 zu Otranto^).
Der rechtmäßige Erbe der thüringisch-hessischen Lande
war Ludwigs des Heiligen ältester Sohn, der 1222 geborene
Hermann II. Da er beim Aufbruch seines Vaters zum
Kreuzzuge erst fünfjährig war, hatte Ludwig für die Zeit
dings auch in dem wichtigen Privileg für den deutschen Orden
(Dobenecker II, 2261).
1) Dobenecker II, 2246.
2) Daß Heinrich Raspe die Reise nach Italien mitunternommen,
wie Th. Knochenhauer, Gesch. Thüringens zur Zeit des ersten Land-
grafenhauses (1039—1247), mit Anm, hrg, von K. Menzel, Gotha 1871,
S. 320 vermutet, ist unwahrscheinlich. Er ist dem über Schweinfurt
zurückkehrenden Bruder (Cron. Reinh. : M, G. SS. XXX, 606) wohl
nur entgegengekommen. Daß die Brüder in der Heimat verblieben
waren, dürfte aus der Schilderung der Freude über Ludwigs Rück-
kehr hervorgehen. Vgl. Theod. v. Apolda, bei Canisius-Basnage,
Lectiones antiquae, Tom. 4, Bch. 8, Kp. 8; Cron, Reinh., S, 606;
vgl. Leben des heil. Ludwig, S. 45.
3) Vgl. über Ludwigs Kreuzfahrt Wagner, Z. Thür. G. N. F.
XIX, 76 ff.
356 Konrad, Landgraf von Thüringen,
seiner Abwesenheit von Thüringen Heinrich mit der stell-
vertretenden Verwaltung der Landgrafschaft betraut ^). Durch
des Bruders Tod wurde Heinrich als ältester der Oheime
Hermanns, schon durch Ludwig selbst bei seiner Abreise
als solcher bestimmt, dessen natürlicher Vormund und damit
für die Zeit von dessen Minderjährigkeit Regent der
thüringisch-hessischen Besitzungen, zunächst wohl noch ohne
das Einverständnis Kaiser Friedrichs. Daß dieser die un-
eingeschränkte Nachfolge des jungen Hermann zunächst
tatsächlich anerkannte, geht deutlich aus seiner nach Land-
graf Ludwigs Tode für dessen Sohn erneuten Eventual-
belehnung mit der Markgrafschaft Meißen und den zu-
gehörigen Ländern hervor 2).
Im Frühjahr 1228 brachten die thüringischen Mannen
die Gebeine ihres toten Herrn von Süditalien nach Thüringen
zurück. Der feierlichen Beisetzung des Fürsten im Familien-
kloster zu Reinhardsbrunn zu Anfang des Mai wohnte
mit den ungezählten Getreuen die gesamte landgräfliche
Familie bei, die Landgräfin-Mutter Sophia, die Landgräfin
Elisabeth, Landgraf Heinrich und unser Konrad 3). Er be-
teiligte sich auch an der Schenkung, die Landgraf Heinrich
im Anschluß an die Beisetzungsfeierlichkeiten dem Kloster
zuwandte, für das zu sorgen dem Landgrafen „eine von
seinen Vorfahren auf ihn übergegangene Pflicht geworden
1) Vgl. Börner, Quellenkritik, Neues Archiv XIII, 458, Anm. 4.
— Heinrich urkundet nach Ludwigs Abreise als Pfalzgraf von Sachsen
und Landgraf von Thüringen, Dobenecker II, 2450.
2) Dobenecker II, 2444.
3) Über Datierung und Hauptquellen hierzu vgl. Wagner,
S. 81, Anm. 1 und 2. Vgl. Libellus de dictis quatuor anciLlarum
s. Elisabethae, in: J. B. Mencken, Script, rerum Germanicarum, Bd. 2
(1728), 2021. — Die Anwesenheit des jungen Hermann erwähnen
die Historia Pistoriana de landgraviis Thuringiae, in : Pistorius-
Struve, Script, rerum German., Bd. 1, Kp. 40, S. 1323, und die
Historia de landgr. Thuringiae, in: J. G. Eccardus, Historia genea-
logica principum Saxoniae superioris (= Historia Eccardiana), Leipzig
1722, S. 420 f.
Hochmeister des deutschen Ordens. 357
ist" 1). Wir werden noch sehen, daß die Brüder diese übex'-
nommene Verpflichtung nicht vergessen haben.
Nach dem Hinscheiden seines Bruders Ludwig haben
Konrads rechtliche Befugnisse zunächst keine Ausdehnung,
überhaupt keine Änderung erfahren. Würde Konrad die
Regentschaft in Hessen, die er von 123 L an ausübt, schon
gleich nach Ludwigs Tode zugefallen sein, so müßte sicher-
lich eine Spur davon, etwa eine Schenkung an ein hessisches
Kloster oder eine hessische Kirche, wie wir solche seit
1231 zahlreicher finden, schon in jenen Jahren nachweisbar
sein 2). Nirgends wird Konrad in den Urkunden, die wir
aus jenen Jahren besitzen, Landgraf genannt, sondern nur,
zunächst als Zeuge in Heinrichs Urkunden : Bruder des
Landgrafen ^). In den meisten Fällen wird aber unter dem
gleichen Titel nur sein Konsens wie früher erwähnt*). Für
die obige Behauptung läßt sich auch geltend machen, daß
die gemeinsame Ausstellung von Urkunden durch Heinrich
und Konrad eigentlich erst mit dem Jahre 1231 einsetzt. Eine
ganz strenge Scheidung läßt sich in diesem Punkte aller-
dings nicht durchführen. Denn in einem Falle erscheint
schon 1228 Konrad als Mitaussteller einer zugunsten des
1) Dobenecker 13.
2) Der Beweis hierfür ist noch nicht eingehend geführt worden,
wenn auch Ilgen und Vogel, Erbfolgekrieg, Z. Hess. G. N. F. X,
219, Ilgen, AUg. deutsche Biogr. XVI, 626, K. Wenck, Gesch. d.
Landgrafen und d. Wartburg als fürstlicher Residenz vom 13. — 15.
Jh. (S. 211 ff.), im Wartburgb. S. 215, ungenau H. Diemar, Stamm-
reihe des thüring. Landgrafenhauses und des hess. Landgrafen-
hauses, in: Z. Hess. G. N. F. XXVII, 10: „spätestens 1231" Konrads
Regentschaft von 1231 an gerechnet haben.
3) Dobenecker 29. 93. — Gegen die urkundlichen Beweise ist
die Bezeichnung Konrads mit dem Titel Landgraf beim Begräbnis
Ludwigs IV. (1228) im: Leben d. heil. Ludwig S. 66, in der Historia
Pistoriana, Kp. 42, S. 1324 (zum Jahre 1229 statt 1228) und in der
Historia Eccardiana S. 421 nicht stichhaltig.
4) Dobenecker 13 (bei Konrads Anwesenheit in Reinhards-
brunn). 14. 15. — Auch Dobenecker 29 und 212 gehören hierher.
358 Konrad, Landgraf von Thüringen,
Klosters Reinhardsbrunn erlassenen Urkunde ^). Im Januar
1230 befindet er sich mit seiner Mutter am Hofe seines
Bruders Heinrich zu Eisenach ^). Doch auch in der ersten
Hälfte des folgenden Jahres ist Konrad noch in Thüringen
nachweisbar. Er nimmt mit seinem Bruder und seiner
Mutter an der Beisetzung von Heinrichs Gemahlin Elisabeth
zu ßeinhardsbrunn teil ^). In dieser zeitlich sicher noch
vor den Antritt seiner Regentschaft in Hessen fallenden
Anwesenheit zu Reinhardsbrunn werden wir für jene Zeit
das letzte Zeugnis für Konrads Aufenthalt in Thüringen in
der Umgebung seines regierenden Bruders zu erblicken haben.
Fassen wir Landgraf Heinrichs Tätigkeit in diesen
Jahren kurz ins Auge, so finden wir in ihr ein weiteres
wichtiges Zeugnis für das rechtliche Verhältnis, in dem
die beiden Brüder zu einander standen. Heinrich hat damals
der großen Politik ganz fern bleibend gerade den hessischen
Angelegenheiten seine Fürsorge in den Jahren 1228 — 1230
unverhältnismäßig mehr zugewandt, als es seit 1231 der
Fall ist. Im März 1228 ist er selbst in Marburg diplo-
matisch tätigt). Auch der hessischen Klöster nimmt er
sich an und erneuert ihnen zum Teil die früheren Ver-
günstigungen. 1228 beauftragt er seine in Marburg und
Grünberg ansässigen Untertanen mit dem Schutze des Klosters
Arnsburg in der Wetterau ^), wie er damals auch dem
hessischen Kloster Lippoldsberg seinen Schutz, aber auch
Dienst- und Abgabenfreiheit gewährt ^). Im November
1) Dobenecker 39.
2) Konrad ist Zeuge in Landgraf Heinrichs Urkunde vom
19. Januar 1230, Dobenecker 93.
3) Dobenecker 212. — Über Elisabeth vgl. neben Ch. Häutle,
Landgraf Hermann I. v. Thür. und seine Familie, iu : Z. Thür. G. V,
171 ff. auch Diemar, Stammreihe, Z. Hess. G. N. F. XXVII, 10.
4) Am 25. März 1228 schließt Heinrich ein Schutz- und Trutz-
bündnis mit den Grafen von Battenberg, Dobenecker 9.
5) Dobenecker 25.
6) Kloster Lippoldsberg an der Weser, A.G. Karlshafen. —
Vgl. Landgraf Heinrichs am 10. Juli 1229 auf der Wartburg aus-
Hochmeister des deutschen Ordens. 359
1230 befreit Landgraf Heinrich je ein dem Kloster Arns-
burg gehöriges Haus zu Marburg und Grünberg von Ab-
gaben und Diensten für seine Meier und Bürger i). In allen
diesen Urkunden wird Konrads mit keiner Silbe erwähnt.
Heinrich übt hier ganz allein Rechte aus, die seit 1231
zum mindesten Konrads Mitwirkung hätten erwarten lassen.
Von 1227 — 1231 hat also Heinrich die ungeschmälerte
Herrschaft seines verstorbenen Bruders behauptet, ohne
daß Konrad irgendwelche rechtliche Stellung neben ihm
bekleidet hätte.
Seit dem Jahre 1231 nimmt Konrad neben seinem
Bruder ganz bedeutenden Anteil an der Regierung der
Landgrafschaft. Er erscheint als Regent in den hessischen
Besitzungen der Ludowinger, während Landgraf Heinrichs
Regierungstätigkeit daselbst von 1231 ab gegen die Konrads
erheblich zurücktritt.
Diese hessischen Gebiete machen großenteils den Westen
der Landgrafschaft aus. Durch die Ehe Landgraf Ludwigs I.
mit Hedwig, der Erbtochter des Grafen Giso IV., und seines
Bruders Heinrich mit deren Stiefmutter waren die alten
Allode der in Hessen reich begüterten gisonischen und
wernerischen Grafen, vor allem die Burg Marburg mit
Zubehör und das Amt Grünberg, die Grafschaft Hessen
um Gudensberg (Kreis Fritzlar), die Burg Homberg an der
Ohm, die Vogteien besonders über die Klöster und Stifter
Breitenau, Fritzlar, Hasungen, Wetter, die alle vom Erz-
stift Mainz zu Lehen rührten, auf die Ludowinger über-
gegangen 2). Diese hessischen Güter und Gerechtsame, die
gestellte Urkunde, in der er dies seinen Beamten in Eisenach und
anderen Orten mitteilt, Dobenecker 66; vgl. auch Ch. Rommel,
Geschichte von Hessen, Teil 1, Marburg und Kassel 1820, Anm. 245,
No. 142.
1) Dobenecker 137.
2) Vgl. G. Landau, Der Übergang der gisonischen und werneri-
schen Besitzungen auf die Landgrafen von Thüringen, in : Z. Hess.
360 Konrad, Landgraf von Thüringen,
im Landgrafenhause bis zu Landgraf Hermann I. der zweite,
bezw. dritte Sohn des regierenden Landgrafen zu erhalten
pflegte 1), gingen jetzt, wenn auch nicht ausschließlich, in
Konrads Verwaltung über.
Mit dieser neuen Stellung in Hessen war auch eine
bedeutsame Rangerhöhung Konrads verbunden. Denn seit
1231 tritt er uns zugleich auch in selbständig ausgestellten
Urkunden mit dem Titel Landgraf, auch jüngerer Landgraf,
und mit dem Pfalzgrafentitel entgegen. Von 1232 an er-
scheint er ausschließlich im Besitze der neuen Würden,
auch in den von Heinrich und ihm gemeinsam ausgefertigten
Urkunden 2), in päpstlichen Schreiben und — was am
wichtigsten ist — in kaiserlichen Urkunden '^). Von Konrads
Würde als Pfalzgraf von Sachsen hören wir nur aus dem
sich in Urkunden beigelegten Pfalzgrafentitel. Im einzelnen
ist uns über die Verwaltung dieses wichtigen Reichsamtes,
G. IX, 314 ff.; Nachtrag dazu von Büff in derselben Zeitschr.
N. F. III, 364 ff. ; O. Dobenecker, Über Ursprung und Bedeutung
der thüringischen Landgrafschaft, in: Z. Thür. G. N. F. 7, 299 ff.,
besonders 324 f.
1) Vgl. über die früheren Teilungen Ilgen und Vogel, Erb-
folgekrieg, Z. Hess. G. N. F. X, 206 ff.
2) In einer gemeinsam am 1. Nov. 1231 ausgestellten Urkunde
(Dobenecker 218) wird Konrad auffallenderweise noch „Bruder des
Landgrafen" genannt. — Die ebenfalls gemeinsam für Kloster Ahna-
berg ausgestellte, undatierte Urkunde, von O. Posse, Codex diplo-
maticus Saxoniae regiae, 1. Hauptteil, 3. Bd. (1196—1234) Leipzig
1898, No. 5:^4 (= Codex dipl. Sax. reg. 1, 3, Nr.) und von Doben-
ecker 471 : „1231—1234.. Nov. 18" datiert, in der Konrad ebenfalls
unter dem eben genannten Titel urkundet, wird, da uns Konrad
seit 1232 ausnahmslos als Landgraf, bezw. Pfalzgraf begegnet, dem
Jahre 1231 zuzuschreiben sein.
3) Konrad wird vom Kaiser selbst ,, jüngerer Landgraf" in der
Urkunde bei Dobenecker 439 (Rieti 1234, Juli) genannt. Vgl. auch
Ilgen, Allg. deutsche Biogr. XVI, 626. — Konrad selbst zeugt als
Landgraf von Thüringen in kaiserlicher Urkunde gleichen Datums
und Ausstellungsortes (Dobenecker 442). — Über den Titel „jüngerer
Landgraf" vgl. J. Ficker, Vom Reichsfürstenstand, Bd. 1, Innsbruck
1861, S. 251.
Hochmeister des deutschen Ordens. 3ßl
soweit es Konrad angeht, nichts überliefert. Im Gegensatz
zu Landgraf Heinrich führt Konrad oft den bloßen Pfalz-
grafentitel i). Höchstwahrscheinlich hat Heinrich auch als
Pfalzgraf die oberste Verwaltung geführt, analog seiner
Stellung als eigentlicher Träger der Regierungsgewalt in
der Landgrafschaft.
Denn der neben seinem Bruder selbständig in Hessen
regierende Herr ist Landgraf Konrad nicht gewesen. Dies
geht schon aus einigen gemeinsam von Heinrich und ihm
ausgefertigten Bestätigungsurkunden für hessische Klöster
hervor 2). Bei Schenkungen hessischen Allodialgutes lag
natürlich ebenfalls die Einwilligung Landgraf Heinrichs
vor. Anderseits ist Konrad an der Verfügung über thürin-
gische Eigengüter des Landgrafenhauses beteiligt ge-
wesen ^). Bei größeren Schenkungen, ganz besonders an
den deutschen Orden, überhaupt bei allen wichtigen An-
gelegenheiten, bei denen die Macht und das Ansehen des
ludowingischen Hauses in Frage kamen , sind beide ge-
meinsam vorgegangen, so beim Ausgleich der Gebietsstreitig-
keiten mit den Grafen von Ziegenhain*), ohne Zweifel auch
bei dem Kampfe mit dem Erzstift Mainz. Die höchste
Entscheidung hat dann natürlich in Heinrichs Hand ge-
legen.
Ein solcher Fall, daß zwei, 1234 für die kurze Zeit
von Hermanns Volljährigkeit S) bis zu Konrads Eintritt in
1) Dobenecker 379. 399. 400. 447. 467.
2) So für Kloster Ahnaberg zu Kassel (Dobenecker 471) und
für Kloster Aulisberg (nö. Marburg) bei Dobenecker 470; vgl. Ilgen
und Vogel, Z. Hess. G. N. F. X, 220 Note 1.
3) Vgl. Dobenecker 310. 311. 447.
4) Vgl. Dobenecker 369.
5) Wenck (Wartburgb. S. 215 f. u. 3. Anm. zu Ö. 215 [S. 702])
rechnete Hermanns II. Volljährigkeit nach salisch-fränkischem Rechte
vom vollendeten 12. Lebensjahre ab. Darauf deutet auch schon der
Umstand, daß Hermann nach vollendetem 12. Jahre zuerst neben
Heinrich und Konrad den Landgrafen- und Pfalzgrafen titel führt;
Dobenecker 464. 465. 466. Als analoge Beispiele für Volljährigkeit
362 Konrad, Landgraf von Thüringen,
den deutschen Orden (18. November 1234) sogar drei Regenten
den Landgrafen- und Pfalzgrafentitel führen, hat in der
früheren Geschichte des Landgrafenhauses noch nicht vor-
gelegen.
Darüber, wie im einzelnen die mit dem Jahre 1231
sich neu gestaltenden Machtverhältnisse in den thüringisch-
hessischen Landen sich durchgesetzt haben, ist uns keine
Nachricht erhalten. Jedenfalls sind sie 1231 geregelt
worden. Da aber Konrad im August und September des
Jahres 1231 zuerst als Landgraf und Pfalzgraf urkundet^),
so muß notwendig die den Landgrafen erteilte Gesamt-
belehnung in der ersten Hälfte des Jahres erfolgt sein ^).
So werden wir fast zwingend auf den glänzenden Wormser
Reichstag hingewiesen, den König Heinrich im April und
Anfang des Mai 1231 abhielt. Die Belehnung der thüringi-
schen Landgrafen ist sicherlich eine Folge der Bevorzugung
der Fürsten durch die Regierung gewesen, wie sie in den
I
mit 12 Jahren führt Wenck im Wartburgb. S. 216 an: 1) Heinrich
das Kind von Hessen, geb. 1244, volljährig 1256; vgl. V. F. von
Gudenus, Codex diplom. I (Göttingen 1743), S. 640 f.; Hgen und
Vogel, Z. Hess. G. N. F. X, 317. 2) Den Wettiner Albrecht den
Entarteten, geb. 1240; vgl. O. Posse, Die Wettiner, Leipzig und
Berlin 1897, Beilage VII; urkundet zuerst 1253; vgl. F. X. Wegele,
Friedrich der Freidige und die Wettiner seiner Zeit (1247—1325),
Nördlingen 1870, S. 56 Anm. 1. Ich erinnere noch an Heinrich
den Erlauchten von Meißen, der bestimmt vor vollendetem 15. Lebens-
jahre mündig war, wahrscheinlich ebenfalls nach vollendetem 12.;
vgl. F. W. Tittmann , Gesch. Heinrichs des Erlauchten , Bd. 2,
Leipzig 1850, S. 168 mit Anm. 92; Posse, Wettiner, S. 50. — In
der früheren thüringischen Gesch. gibt es keinen analogen Fall. Vgl.
noch W. Th. Kraut, Die Vormundschaft nach den Grundsätzen des
deutschen Rechts, Göttingen, Bd. 1 (1835), S. 113 f., bes. Anm. 27,
Bd. 3 (1859), S. 113 ff., R. Schröder, Lehrbuch der deutschen Rechts-
geschichte, Leipzig 1902, * 8. 270 Anm. 6; Dobenecker 464 Anm.,
dagegen 737 Anm.
1) Dobenecker 211. 216.
2) Daß eine Gesamtbelehnung stattfand, deutete schon J. Ficker,
Vom Reichsfürstenstand, 8. 251 an. Vgl. Rübesamen, Heinrich Raspe,
S. 9 mit Anm. 13; Wenck im Wartburgb. S. 215.
Hochmeister des deutschen Ordens. 3ß3
dort erlassenen Gesetzen, grundlegend für die weitere Aus-
bildung fürstlicher Landeshoheit, sich äußerte^). Weder
Heinrichs noch Konrads Anwesenheit zu Worms ist bezeugt.
Aber schon früher hat Heinrich ohne Zweifel in nähere •
Beziehungen zu Kaiser Friedrich und König Heinrich zu
treten gesucht, um mit deren Einverständnis seine recht-
liche Stellung, besonders sein Verhältnis zu dem jungen
Mündel geregelt zu wissen. Da auch dem Kaiser daran
liegen mußte, nach Landgraf Ludwigs IV. Tode Thüringen
weiterhin durch einen in reiferem Alter stehenden Fürsten
vertreten zu sehen, so wird Heinrich leicht Entgegenkommen
bei Friedrich IL gefunden haben. Schon im Januar 1231
wird Landgraf Heinrich in einem päpstlichen Schreiben
unter den Bürgen des im vorhergehenden Jahre geschlos-
senen Friedens von Ceprano genannt '^), für dessen Zustande-
kommen der Kaiser wieder in erster Linie den Fürsten
verpflichtet war. Im Dezember des Jahres 1231 und später
ist er in Ravenna an Kaiser Friedrichs Hof ^). Bei ihm
wird er die Bestätigung der Gesamtbelehnung mit den
thüringisch-hessischen Landen für sich, seinen Bruder und
seinen Neffen eingeholt haben, während die Vormundschaft
über den letzteren zunächst fortdauerte. So erklärt es sich
auch, wenn in der folgenden Zeit nirgends urkundlich zum
1) Vgl. bes. das statutum in favorem principum bei M. Doeberl,
Monum. Germ, selecta V, 68 ff. ; über den Wormser Eeichstag :
E. Winkelmann, Kaiser Friedrich II. (Jahrbücher der deutschen
Gesch., Bd. 1 [1889], Bd. 2 [1897]); zum Unterschied von dem
früheren Werke desselben über Friedrich II. mit dem Zusätze:
Jahrbücher zitiert), Bd. 2, 238 ff.; A. Heusler, Deutsche Verfassungs-
gesch., Leipzig 1905, S. 168 ff. ; Schröder, Kechtsgesch., S. 585 ff.,
bes. 590. — Die sehr wahrscheinhche Vermutung, daß die Belehnung
der Landgrafen mit den Wormser Beschlüssen zusammenhänge, fand
ich bei Wenck (vgl. vorige Note) bestätigt.
2) Dobenecker 179; vgl. E. Winiielmann, Gesch. Kaiser Fried-
richs II. und seiner Reiche (Bd. 1 [1863], Bd. 2 [1. Abteilung:
1235-1239, 1865]; zitiert: Winkelmann, Friedrich IL), Bd. 1, 341;
Eübesamen, Heinrich Raspe, S. 10.
8) Dobenecker 229. 230. 252. 254.
364 Konrad, Landgraf von Thüringen,
Ausdruck kommt, daß Heinrich, bezw. Konrad etwa eine
nur vormundschaftliche Regierung führen, daß überhaupt
Hermanns bis 1234 in keiner landgräflichen Urkunde ge-
dacht wird 1),
Im ersten Jahre seiner Regentschaft ist Konrads Tätig-
keit durchaus friedlicher Art gewesen. Gleichsam auf die
neuerworbene Stellung stolz, hat er gerade im Jahre 1231
zahlreiche Urkunden, in denen besonders hessische Klöster
und Kirchen bedacht werden, unter dem neuen Titel aus-
gefertigt. Im August urkundet er zu Homberg an der Ohm
für Kloster Hasungen ^). Im folgenden Monat finden wir
ihn zu Kloster Ahnaberg in Kassel ^), das von seinen Vor-
fahren, Landgraf Ludwigs des Eisernen Bruder Heinrich II.
und dessen Mutter, gestiftet worden war. Auch die Klöster
Rohr und Breitenau haben damals Vergünstigungen durch
Konrad erhalten^).
Wichtiger sind nun die im folgenden Jahre sich wieder-
holenden Kämpfe mit dem Erzbistum Mainz. Infolge der
oft schwierigen Lehensverhältnisse, in denen die Landgrafen
1) Nur in einem Falle erscheint Hermann in einer Urkunde
Landgraf Heinrichs vom 24. Januar 1234 konsentierend (Dobenecker
393). — Vgl. Ilgen und Vogel, Z. Hess. G. N. F. X, 218. In An-
betracht der Lage der Dinge erscheint Heinrichs und Konrads
Handlungsweise Hermann gegenüber keineswegs so tadelnswert, wie
Ilgen und Vogel 215 ff. und andere es darstellen. Hie Annahme
eines solchen Verhaltens ist wohl vielfach durch den unbegründeten
(vgl. später) Glauben an eine förmliche Verstoßung seiner Mutter
Elisabeth durch die Landgrafen, besonders Heinrich, mit beeinflußt
worden. Vgl. auch Börner, Quellenkritilr, Neues Archiv Xlll, 458 f.
2) Dobenecker 211. — Auch Landgraf Heinrich hat für Kloster
Hasungen eine Urkunde gleichen Inhalts mit der Konrads ausgestellt.
Vgl. Dobenecker in Anm. zu 211 und Eommel, Gesch. Hessens, an
den von Dobenecker zitierten Stellen. — Hasungen im A.G. Zieren-
berg, w. von Cassel.
8) Vgl. die zu Ahnaberg ausgestellte Urkunde Konrads für die
Kirche zu Berich (im heutigen waldeckischen Ederkreis) bei Doben-
ecker 216.
4) Dobenecker 231. 239. — Kloster Breitenau an der Fulda,
Kreis Melsungen, Rgb. Kassel.
Hochmeister des deutschen Ordens. 3ß5
zu den Erzbischöfen standen, der hart aneinander stoßenden
Besitzungen beider Fürsten waren solche Fehden nie selten
gewesen. Besonders in Hessen, wo die landgräfliche Herr-
schaft nicht so alt und fest begründet war wie in Thüringen,
mußte die von den Landgrafen erst angestrebte strengere
Durchführung der Landeshoheit von vornherein auf den
schroffen Widerstand der Mainzer Erzbischöfe stoßen, die
ihrerseits ähnlichen Bestrebungen nachgingen. So hatte noch
Landgraf Ludwig IV. mit Erzbischof öigfrid II. erbitterte
Fehden zu bestehen gehabt i).
Diesmal kam es über das 1186 von Erzbischof Konrad
befestigte Schloß Heiligenberg bei Gensungen an der Eder
zum Streite zwischen den Landgrafen und Sigfrid III.,
der 1230 seinem gleichnamigen Oheim im Amte gefolgt
war. Es handelte sich auch noch um einige andere Dörfer
und Besitzungen, also offenbar nur um Differenzen terri-
torialer Art 2j. Näher sind wir über den Anlaß zum Kampfe
nicht unterrichtet ^). Die 1 and gräflichen Scharen führte, da
1) Vgl. Wagner, Z. Thür. G. N. F. XIX, 28 ff.
2) Über die Ursache zum Kampfe vgl. vor allem den Brief
Papst Gregors IX.: Anagni 1233, Febr. 4, bei Dobenecker 333, vgl.
auch Codex dipl. Sax. reg. I, 3, No. 483. Ähnlich ist die Begründung
bei J. Trithemius, Ann. Hirsaugienses , Bd. 1, St. Gallen 1690,
8. 546. — Die Hauptquellen für den Kampf sind: Ann. Erphor-
denses fratrum Praedicatorum in: Monumenta Erphesfurtensia, ed.
O. Holder-Egger, Hannover und Leipzig 1899, (Script, rer. German.
in US. schol.) [= Ann. Erphord. fr. Praed. in Mon. Erph.), S. 82 f.
und Chronica regia Coloniensis , rec. G. Waitz , Hannover 1880
(Script, rer. Germ, in us. schol.), S. 264. — Die Zerstörung Fritz-
lars melden die Ann. breves Wormatienses : M. G. SS. XVII, 75
(Konrad als filius [1] Ludowici) und die Ann. Moguntini: M. G.
SS. XVII, 2.
3) Die vom Reinhardsbrunner (M. G. SS. XXX, 613 f.) und den
späteren Chronisten noch hinzugefügte Begründung mit der Züchti-
gung des Reinhardsbrunner Abtes durch Sigfrid III. und des
letzteren Bedrohung durch Landgraf Konrad in Erfurt ist spätere
Tradition. Sonst müßte sich ohne Zweifel in den gleichzeitigen
Erfurter Aufzeichnungen wenigstens eine Andeutung hiervon finden.
Vgl. auch O. Posse, Thiiring. Sagen, in : Hist. Zeitschr. XXXI, 58 ff. ;
XXVn. 24
366 Konrad, Landgraf von Thüringen,
die strittigen Gebiete in Hessen lagen, aber sicher im Ein-
verständnis mit seinem Bruder, Landgraf Konrad. Am
15. September 1232 eroberte dieser die wichtigste dem
Erzstifte in Hessen gehörige Stadt Fritzlar, die großenteils
in Asche gelegt wurde. Auch die Kirche des Ortes wurde
arg zugerichtet ^). Am grausamsten zeigten sich bei der
Plünderung der eroberten Stadt die Leute Friedrichs von
Treffurt, der, aus einem bekannten thüringischen Adels-
geschlechte stammend, sich oft in der Umgebung der Land-
grafen, besonders Heinrichs findet 2). Seine Spießgesellen
schonten in die Kirche eindringend nicht der Gebetbücher,
der Kelche, des Kirchenschmuckes, der Gebeine der Heiligen.
Dabei fiel ihnen auch das Geld, das von den Fritzlarer
Bürgern zur größeren Sicherheit, die die Räume der Kirche
zu bieten schienen, in deren Schatzkammer geborgen war,
als Kriegsbeute in die Hände. Die ärgste Beschuldigung
gegen die landgräflichen Krieger dagegen, daß der heilige
Eübesamen, Heinrich Raspe, S. 12 Anm. 21 ; Holder-Egger in M. G.
SS. XXX, 013 Anm. 3. — Auch der Kampf selbst ist schon vom
Reinhardsbr. Chronisten und später mehr durch sagenhafte Züge
(Hohn der Weiber von Fritzlar u. a.) entstellt worden ; vgl. auch
Wenck, Entstehung der Reiohardsbr. Geschichtsbücher, Halle 1878,
S. 20.
1) Die Cron. Reinh.: M. G. SS. XXX, 614, aber auch wiederholt
die Ann. Erphord. fr. Praed. in Mon. Erph. S. 95 bei der Schilderung
der Buße Konrads von 1238, aber in Bezug auf 1232 reden über-
treibend von mehreren Kirchen. Es gab aber 1232 in Fritzlar nur
das Petersstift. Vgl. darüber Holder-Egger, Studien z. thüring.
Geschichtsquellen, Teil 6, Neues Archiv XXV, 91 Anm. 2. Den von
ihm gebrachten Beweisen füge ich noch die päpstlichen Schreiben
(Dobenecker 351. 535; A. Potthast, Regesta Pontificum Romanorum,
Bd. 1, Berlin 1874, No. 8720) und die Urkunde Sigfrids III. (1233,
Dez. 2, bei Böhmer-Will, Regesten zur Gesch. der Mainzer Erz-
bischöfe, Bd. 2, Innsbruck 1886, S. 230, No. 111; vgl. den Abdruck
bei C. ß. N. Falckenheiner, Gesch. hessischer Städte und Stifter, Bd. 2,
Kassel 1842, S. 177) hinzu, wo nur von einer Kirche die Rede ist.
2) Über die Gesch. der Familie von Treffurt vgl. G. Landau,
Z. Hess. G. IX, 145 ff.; W. Rein, Die erloschenen Adeisgeschlechter
des Eisenacher Landes, in : Z. Thür. G. IV, 203 ff.
Hochmeister des deutschen Ordens. 3ß7
Leib des Herrn von einigen zu Boden geworfen sei, ist
nur ein von unserm Chronisten wiedergegebenes Gerücht,
dessen Wahrheit er selbst bezweifelt i). Die Anzahl der
im Kampfe Gefallenen war immerhin eine beträchtliche.
An zweihundert Ritter, mehrere, besonders Fritzlarer Kano-
niker, an ihrer Spitze der Wormser Bischof Heinrich IL,
der Propst Gumbert von Fritzlar und der Propst Heinrich
von Heiligenstadt wurden in Fritzlar von den Thüringern
zu Gefangenen gemacht.
Über die Kriegstaten des Gegners Konrads, Sigfrids IIL,
wissen wir nur, daß dessen Truppen die landgräfliche Stadt
Witzenhausen an der Werra zerstörten, wie aus dem zwischen
den Fehdeführenden später geschlossenen Vertrage hervor-
geht. Ob sie dabei als Angreifer oder als Rächer der Heim-
suchung Fritzlars vorgingen, steht nicht fest. Die mainzischen
Mannen scheinen sich auch der den Landgrafen gehörigen
Stadt Wolfhagen bemächtigt zu haben. Denn noch im
August 1231 sehen wir sie als landgräfliches Allod ^), beim
späteren Friedensschlüsse ging sie — wir werden darauf
noch zurückkommen — auf Landgraf Konrad als Lehen vom
Erzbischof über.
Die Vermittlung, die nach diesen Kämpfen geschlossen
wurde, kam verhältnismäßig rasch, schon gegen Ende des
Jahres 1232 zustande. Sie ging von Magister Konrad von
Marburg aus, der auch hier sein schon öfters bewährtes
Geschick in diplomatischen Geschäften bekundete ^). Das
1) Dies geht aus dem hinzugefügten : Fertur etiam a quibusdam
(Ann. Erphord. fr. Praed. S. 83) und dem : ut dicitur (ebenda S. 95)
hervor.
2) Wolfhagen im Rgb. Kassel, an der waldeckischen Grenze.
Vgl. Dobenecker 211. — Da es sich in der Urkunde um Verschenkung
von Grundbesitz in Wolfhagen durch Landgraf Konrad (und Heinrich)
handelt, wird die Vermutung, Konrad könne damals ungenau von
,4n nostro opido Wolfhain" als von einem mainzischen Lehen ge-
sprochen haben, hinfällig.
3) Über seine Vermittlung in dem Nienburger (A.G. Bernburg)
Klosterstreite vgl. Dobenecker II, 1782. 1917; B. Kaltner, Konrad
von Marburg und die Inquisition in Deutschland, Prag 1882, S. 88 f.
24*
368 Konrad, Landgraf von Thüringen,
Ziel, dem er damals gerade so eifrig nachging, die Heilig-
sprechung seines vor Jahresfrist verstorbenen fürstlichen
Beichtkindes, mußte ihn mit Erzbischof Sigfrid und vor
allem mit den Landgrafen in nahe Verbindung bringen.
Denn in diesem Punkte berührten sich seine Interessen mit
denen der Landgrafen Konrad und Heinrich schon damals.
Überhaupt hatten seine Beziehungen zum Landgrafenhause
auch nach dem Aufgeben seiner früheren einflußreichen
Stellung am Hofe Ludwigs IV. ununterbrochen fortgedauert.
Dies bezeugt wieder seine Vermittlung. So kam denn
durch seine Bemühung der Vergleich zustande, der wieder
auf den 1219 zwischen Landgraf Ludwig IV. und Erz-
bischof Sigfrid IL vereinbarten zurückging, ohne wichtige
Gebietsveränderungen zu enthalten. Konrad erhielt die
Stadt Wolfhagen vom Erzbischof mit dem Rechte der Ver-
erbung auf seine Söhne, in Ermangelung solcher auf seine
Töchter, zu Lehen. Auch durfte er mit Sigfrids Genehmigung
die Belehnung mit Wolfhagen auf seinen Bruder Heinrich
und seinen Neffen Hermann übergehen lassen ^). Die Burg
Heiligenberg selbst, die den Hauptanlaß zum Streite ge-
bildet, ist vielleicht auch damals von den Thüringern zer-
stört worden, da wir später von ihrem Wiederaufbau hören,
der von den Brüdern Hermann und Heinrich von Wolfers-
hausen im Auftrage des Erzbischofs unternommen wurde ^).
Es ist nicht überliefert, daß über Landgraf Konrad vom
Erzbischof im Verlauf des Kampfes der Bann verhängt
worden ist. Zieht man aber von den Fehden der Land-
grafen Hermann I. und Ludwig IV. mit den Erzbischöfen
einen Rückschluß, so liegt auch für Konrad die Annahme
der Bannung durch Sigfrid von Eppenstein sehr nahe. Dann
1) Der Vertrag findet sich inseriert in dem Vidimus des Guar-
dians und Konventes zu Fritzlar vom 25. März 1247, Dobenecker 323.
1492; Codex dipl. Sax. reg. I, 3, No. 480.
2) Vgl. die in Fritzlar am 26. März 1247 von den Brüdern von
Wolfershausen ausgestellte Urkunde bei Dobenecker 1493; siehe
Ilgen und Vogel, Z. Hess. G. N. F. X, 246, Anm. 1.
Hochmeister des deutschen Ordens. 369
aber wurde ohne Zweifel der Bann mit dem Abschluß des
Vertrags von Konrad genommen, wie auch bei Ludwigs IV.
Fehde mit Sigfrid II. (1219) die Absolution vom Banne un-
mittelbar dem zwischen ihnen geschlossenen Ausgleich ge-
folgt war 1).
Ohne Zutun Landgraf Konrads — es ist sagenhaft,
wenn er damals dazu beigetragen haben soll — begannen
die Verhältnisse in dem arg verwüsteten Fritzlar sich zu
ordnen. In den folgenden Jahren hören wir mehrfach von
der Wiederherstellung des Petersstiftes, zu der die Stadt
auch durch zwei päpstliche Indulgenzbriefe die erforder-
lichen Mittel erwarb ^). Erzbischof Sigfrid selbst suchte
durch Unterstützung der Peterskirche und ihrer Diener
helfend in Fritzlar einzugreifen ^). Ihm lag überhaupt an
der vollständigen Beilegung der Differenzen offenbar am
meisten. Er wandte sich an Papst Gregor mit der Bitte
um Bestätigung des neuen Vergleichs, die dann schon am
4. Februar 1233 erfolgte -i).
Damit war der Friede wiederhergestellt. Schon im
gleichen Monat sehen wir einerseits den durch Konrad in
Fritzlar gefangenen Propst Gumbert von Fritzlar und zwei
andere, wahrscheinlich ebendort gefangene Fritzlarer Ka-
noniker ^), anderseits den schlimmen Plünderer der Stadt,
Friedrich von Treffurt, in seiner Umgebung ^). Darin werden
wir mit Recht einen Beweis dafür erblicken, wie rasch die
Versöhnung zwischen Konrad und seinen gerade am meisten
geschädigten Gegnern erfolgte.
1) Dobenecker II, 1831.
2) Dobenecker 351. 535. Vgl. Weber, Der ehemalige Stiftshof
auf dem Friedhofe zu Fritzlar, in : Z. Hess. G. N. F. IV, 317 ff.
3) Siehe Sigfrids am 2. Dezember 1233 in Fritzlar ausgestellte
Urkunde im Abdruck bei Falckenheiner, Hess. Städte und Stifter,
Bd. 2, 177.
4) Dobenecker 333; Codex dipl. Sax. reg. I, 3, No. 483.
5) Chron. regia Coloniensis S. 264.
6) Siehe die Zeugen in Konrads in Homberg am 25. Februar
1233 ausgestellter Urkunde bei Dobenecker 340.
370 Konrad, Landgraf von Thüringen,
Schon früh entstand bei den Chronisten der Glaube,
Konrad sei wegen der Vorgänge in Fritzlar dem päpst-
lichen Banne verfallen. Diese Nachricht findet sich in
den ältesten Quellen nicht , widerspricht aber auch voll-
kommen der tatsächlichen Lage der Verhältnisse. Schon
das erwähnte Zusammentreffen Konrads mit den Fritzlarer
Kanonikern macht eine solche Annahme durchaus unwahr-
scheinlich. Vielmehr sind die freundlichen Beziehungen
zwischen Papst Gregor und dem Landgrafen nicht im ge-
ringsten gestört worden. Unmittelbar nach der Zerstörung
Fritzlars durch Konrads Scharen beschäftigten den Papst
eifrig die Schicksale Elisabeths, Konrads verstorbener
Schwägerin, und das von ihr zu Marburg gegründete Ho-
spital^). Wie wohlwollend Konrad selbst der Erhöhung
Elisabeths gegenüberstand, mochte Gregor bereits bekannt
sein. In dem regen brieflichen Verkehr zwischen Anagni,
Gregors damaligem Aufenthaltsorte, und Mainz selbst gegen
Ende des Kriegsjahres 1232 wird des zwischen Landgraf
Konrad und dem Erzbischof vorgefallenen Streites mit keinem
Worte gedacht. Er handelt nur von Elisabeths Wundern
oder den gegen die Ketzer zu ergreifenden Maßregeln ^).
Am deutlichsten aber zeigt sich das ungetrübte Verhältnis
zwischen Papst Gregor und Landgraf Konrad darin, daß
ersterer den Landgrafen am 20. Oktober 1233 mit den
freundlichsten Worten der Anerkennung für seine dem
apostolischen Stuhle bewiesene Treue und Ergebenheit in
seinen Schutz nimmt ^). Zugleich wird der Hildesheimer
Bischof Konrad II. mit dem Schutze Konrads vor jeglicher
Anfeindung beauftragt*).
Vielmehr hatten Heinrich und Konrad bald Grund, sich
ihrerseits über den rücksichtslosen Prälaten zu beschweren,
als er den Kirchen, deren Patronat den Landgrafen zustand,
1) Dobenecker 284. 285. 288. 289. 291.
2) Dobenecker 286. 290. 293. 294.
3) Dobenecker 363 ; vgl. auch Codex dipl. Sax. reg. 1, 3, No.487, 1.
4) Dobenecker 364.
Hochmeister des deutschen Ordens. 37]^
eine neue, ungebührliche Steuer in Gestalt des Zwanzigsten
auflegte. Offen spricht Gregor seine Mißbilligung über diesen
feindlichen Schritt Sigfrids in einem Schreiben an diesen
aus, ausdrücklich hebt er hervor, daß die Landgrafen es
diesmal vorgezogen, seine Vermittlung anzugehen, als andere
Wege einzuschlagen. Vielleicht liegt in diesen Worten eine
Anspielung auf den zwischen Konrad und Sigfrid von Mainz
ausgefochtenen Kampf i).
Damit dürfte die Erzählung, daß Konrad hauptsächlich
um der Absolution willen sich 1234 bei Papst Gregor IX.
in Italien einfand, eine Erzählung, die fast alle späteren
Chronisten in die Geschichte aufgenommen haben, in das
Gebiet der Sage verwiesen sein ^). So blieb jener Kampf
mit dem Erzstift für Landgraf Konrad von Thüringen ohne
weitere Folgen.
Wir hatten schon gesehen, daß die Politik der thü-
ringischen Landgrafen in Hessen naturgemäß auf eine Stär-
1) Vgl. Gregors IX. Schreiben vom 22. Juni 1234 an Erz-
bischof Sigfrid bei Dobenecker 413 imd im Codex dipl. Sax. reg. I,
3, No. 498.
2) Dies erzählen bes. die Historia Pistoriana Kp. 45, S. 1325 ;
Hist. Eccardiana S. 423 (beide fälschlich zu 1233) ; Joh. Eothe, Bd. 3
d. thür. Geschichtsquellen, Kp. 470; W. Gerstenberg, Thür.-hess.
Chronik bei F. Ch. Schmincke: Monimenta Hassiaca, Bd. 2, Kassel
1748, S. 379 ; Monachus Pirnensis bei Mencken, Script, rer. Germ., Bd. 2,
1459 ; Ann. ecclesiastici, fortges. v. O. Kaynaldus, Bd. 13, Köln 1694,
ad a. 1232 Kp. 11, S. 388. — Auch die meisten neueren Darsteller
haben danach fälschlich die Bannung Konrads durch Gregor oder
Absolution vom Banne als Hauptmotiv für seine Reise nach Rieti
(1234) angenommen, so u. a. Knochenhauer, Gesch. Thüringens,
S. 339; Kaltner, Konrad von Marburg, S. 125; Rübesamen, Heinr.
Raspe, S. 12; J. Feiten, Papst Gregor IX., Freiburg i. B. 1886, S.224
(vgl. auch 230); E. Fink, Sigfrid III. von Eppenstein, Erzbischof
V. Mainz, Rostocker Diss., Berlin 1892, S. 82; auch noch C. Held-
mann, Gesch. der Deutschordensballei Hessen, in : Z. Hess. G. N. F.
XX, 19. Den richtigen Beweggrund haben Häutle, Hermann I.
und seine Familie, Z. Thür. G. V, I88f., O. Posse, Thür. Sagen, Hist.
Z. XXXI , 61 , vor allem Wenck (Wartburgb., S. 207) angedeutet.
Die Beweisführung fehlte noch.
372 Konrad, Landgraf von Thüringen,
kung der landesherrlichen Stellung gerichtet sein mußte.
Diese in seinem Hause befolgte hessische Politik scheint
auch Konrad, soweit es die Umstände gestatteten, gefördert
zu haben. Der mit dem Erzstift ausgefochtene Kampf, aus
dem Widerstreit der dortigen Interessen des Landgrafen
und Sigfrids III. entsprungen, hatte allerdings im Grunde ohne
wichtige Entscheidung für den einen oder andern Teil geendet.
Landgraf Ludwig IV. hatte von Burchard VI., Burggrafen von
Magdeburg, dem Gemahle Sophias aus dem Ziegenhainischen
Hause, die Schlösser Wildungen und Keseberg durch Kauf
erworben i). Auch Schloß Reichenbach war auf ihn über-
gegangen 2). Die Stellung des Grafen Gottfried von Reicheu-
bach aus der jüngeren Ziegenhainischen Linie scheint sich
den Landgrafen gegenüber zu einem Abhängigkeitsverhältnis
gestaltet zu haben ^). Mit den Grafen von Ziegenhain, deren
Gebiet in anglücklicher Lage zwischen den thüringisch-
hessischen Besitzungen eingekeilt war, hat es auch unter
Konrads Verwaltung Hessens nicht an Streitigkeiten ge-
fehlt, wenn es auch nicht bestimmt ist, daß sie an Seite
des Erzbischofs sich in den thüringisch-mainzischen Kampf
des verflossenen Jahres eingemischt haben *). Jedenfalls
kam gegen Ende des Jahres 1233 auch mit ihnen ein end-
gültiger Vertrag zustande, den Konrad nach vorheriger Er-
mächtigung durch seinen Bruder mit den Ziegenhainischen
Grafen Gottfried IV. und Berthold I. am 25. November zu
Marburg abschloß. Konrad gibt den Grafen den Besitz
1) Vgl. die Urkunde Sophias vom 2. April 1247 bei Dobenecker
1497 (vgl. Dobenecker II, 2427). — Wildungen im Waldeckischen,
w. Fritzlar. Keseberg ö. Bringhausen an der Eder, jetzt wüste Burg.
2) Vgl. Cron. Reinh.: M. G. SS. XXX, 602 ; Dobenecker II, 2202.
3) Darauf deutet wohl die Bezeichnung der Landgrafen Hein-
rich und Konrad als „domini provinciales" (Dobenecker 3(58) durch
Gottfried von Reichenbach und seine Bezeichnung als „fidelis" der
Landgrafen (Dobenecker 470) hin. Vgl. Ilgen u. Vogel, Z. Hess.
G. N. F. X, 223 f.
4) Dies nahmen Ilgen u. Vogel, S. 246, u. Fink, Sigfrid III.,
S. 88 an.
Hochmeister des deutschen Ordens. 373
innerhalb der Gräben Ziegenhains, soweit ihn einst sein
Oheim Friedrich von Wildungen besessen, zu Lehen und
entsagt seinem Anrechte auf Schloß Staufenberg und auf
seine Güter zu Treysa. Beide Parteien verpflichten sich,
die Leute des andern ohne dessen Zustimmung nicht als
Kolonen aufzunehmen und von der Anlegung von Burgen
im Gebiete des andern abzustehen. Die Ziegenhainischen
Grafen aber verzichten ihrerseits endgültig auf ihr Recht
an den Burgen zu Reichenbach und Keseberg, die Land-
graf Ludwig IV. seinem Hause erworben hatte. Der neue
Vergleich wird durch ein Schutz- und Trutzbündnis be-
siegelt ^). Nicht mehr unter Konrad, erst unter seinen Nach-
folgern in der Verwaltung Hessens, seinem Bruder und
seinem Neffen, kam es wieder zu Reibungen. Ihr Bestreben
nach Erweiterung ihrer Befugnisse in Hessen scheint sie,
besonders wohl Heinrich, mehrfach zu einem gewaltsamen
Vorgehen gegen hessische Grafen, so die von Wolfershausen^)^
von Battenburg, denen sie 1238 die Jurisdiktion über die
Grafschaft Stifft zum Teil entrissen ^), verleitet zu haben.
Ein solches Vorgehen mag vielfach dazu beigetragen haben,
die Geschädigten in die Arme des Mainzer Erzbischofs
zu treiben, der bei seiner rücksichtslosen hessischen Politik
sich jeden derartigen Vorteil vortrefflich zu nutze zu machen
verstand *).
Die gleiche Förderung und Beschenkung hessischer
Kirchen und Klöster, die wir schon früher bei ihm kennen
gelernt, hat Landgraf Konrad auch weiterhin diesen wider-
fahren lassen. Am 25. Februar 1233 weilt er auf der land-
1) Siehe den Vergleich bei Dobenecker 369 und im Codex dipl.
Sax. reg. I, 3, No. 490. — Staufenberg n. Gießen; Treysa w. Ziegen-
hain an der Schwalm.
2) Vgl. den Revers der Grafen bei Dobenecker 1493.
3) Dobenecker 740. 74]. — Schloß Battenburg ist nicht mehr
erhalten, Ort Battenberg an der Eder, Kreis Biedenkopf.
4) Über die Territorialpolitik der Landgrafen vgl. auch Ilgen
u. Vogel, S. 223 ff. ; über die Sigfrids III. dieselben S. 247 ff. u. Fink,
Sigfrid III., S. 80 ff.
374 Konrad, Landgraf von Thüringen,
gräfliclien Burg Homberg an der Ohm, wo er das in Not
geratene Kloster Spieskappel durch Anweisung einiger Güter
zur Verpachtung unterstützt i).
Auch in anderer Beziehung konnten sich die Land-
grafen, besonders Konrad, als eifrige Söhne der christlichen
Kirche zeigen. In den Jahren 1232 und 1233 erreichte
die berüchtigte Ketzerverfolgung ihren Höhepunkt in Deutsch-
land. Magister Konrad von Marburg, der sich bekanntlich
unerbittlichstes Vorgehen gegen die Häretiker zur Aufgabe
machte, übte, mit weitgehenden päpstlichen Vollmachten
ausgestattet, besonders in Mitteldeutschland und am Rhein
seine gefürchtete Tätigkeit aus, die, um das Mißfallen des
neu beschwichtigten apostolischen Stuhles zu vermeiden,
auch durch den Kaiser unterstützt wurde. Bei den nahen
Beziehungen zwischen den Landgrafen und Magister Konrad,
bei dessen Wirken in Thüringen selbst ^j, lag auch für die
Landgrafen die Stellungnahme zur Inquisition sehr nahe.
Doch erst von Bischof Konrad II. von Hildesheim, dem
unter den deutschen Bischöfen eifrigsten Verfechter rück-
sichtsloser Verfolgung der Häretiker, der nach Magister
Konrads Tode in Thüringen und Sachsen das Kreuz weiter
predigte ^), empfingen es auch die Landgrafen Heinrich und
Konrad. Papst Gregor hatte schon in seinem früheren
Schreiben an Konrad dessen kirchlichen Eifer im Hinblick
auf die damals so verbreitete Seuche der Häresie belobt
und ihn wohl dadurch zur Teilnahme an der Bekämpfung
der Ketzerei bewegen wollen*). Im Februar 1234 wird
Konrad auf sein Ansuchen bei Papst Gregor hin als mit
dem Kreuze Bezeichneter abermals des päpstlichen Schutzes
teilhaftig samt seinen Hofbeamten, seinem Lande und Be-
1) Dobenecker 340; Homberg so. Fritzlar, Rgb. Kassel.
2) Anfang Mai 1232 wurden in Erfurt vor Konrad von Marburg
Ketzer verbrannt. Ann. Erphord. fr. Praed. in Mon. Erph. S. 82.
3) Ann. Erphord. fr. Praed. S. 84.
4) Dobenecker 363. 364.
Hochmeister des deutschen Ordens. 375
sitze 1). Wieder werden Bischof Konrad selbst und zwei
andere hohe Prälaten mit dem Schutze beider Landgrafen
betraut '^). Während wir aber über Landgraf Heinrichs
Beteiligung an der Vertilgung der Ketzerei nichts Näheres
erfahren, scheint Landgraf Konrad schon den Marburger
Prediger in seiner Tätigkeit unterstützt zu haben. Er
setzte auch nach des Magisters Tode (Juli 1233) dessen
Werk in Hessen fort und ließ im gleichen Jahre die hessi-
schen Ketzerschulen, besonders die zu Willandsdorf zer-
stören ^). Hatte aber schon mit Konrads Tode die Ketzer-
verfolgung in gemäßigtere Bahnen eingelenkt, so suchte
bald König Heinrich selbst, unterstützt von den vornehmsten
deutschen Prälaten, den Übergriffen derselben am Frank-
furter Reichstage im Februar 1234 energisch ein Ziel zu
setzen *). Damit fand auch Landgraf Konrads Vorgehen
gegen die Häretiker ohne Zweifel sein Ende.
Das Jahr 1234 brachte über die thüringischen Lande
mehrfach Unruhe und Kämpfe, wodurch auch Landgraf
1) Dobenecker 399. Das Schreiben an Landgraf Heinrich bei
Dobenecker 397,
2) Dobenecker 398. 400.
3) Willaudfe)sdorf jetzt Wilnsdorf so. Siegen. — Vgl. Gersten-
bergs Thür.-hess. Chronik, S. 3831; Excerpta Chronici Eiedeseliani
Hassiaci, in J. Ph. Kuchenbeckers Anal. Hassiaca, Collectio 3 (1730),
5 f. ; Genealogia und kurtze Chronika der Landgrafen, bei Kuchen-
becker ebenda, Coli. 6 (1731), 250. Vgl. O. Lorenz, Deutschlands Ge-
schichtsquellen im Mittelalter seit der Mitte des 13. Jahrb., Berlin,
Bd. 2, 1887 «, S. 921; H. Vildhaut, Handbuch der Quellenkunde
zur deutschen Gesch., Bd. 2, Arnsberg 1900, S. 404 1 Über Gersten-
berg vgl. J. Pistor, Z. Hess. G. N. F. XVII, Iff., bes. 20fl 59 fl 831
Da diese Nachricht Gerstenbergs auf den hessischen Chronisten Joh.
Riedesel zurückgeht, wird ihr im Gegensatz zu den zahlreichen auf
Konrad bezügUchen , späteren thüringischen Chroniken entlehnten
Nachrichten Gerstenbergs historischer Wert nicht abzusprechen sein.
4) Ann. Erphord. fr. Praed. in Mon. Erph. S. 85 f 1 ; Böhmer-
Will, Regesten d. Mainzer Erzb., Bd. 2, S. 231 f., No. 123 ; vgl.
Kaltner, Konrad von Marburg, S. 175 fl ; A. Hausrath, Konrad von
Marburg, in: Kleine Schriften religionsgesch. Inhalts von dems.,
Leipzig 1883, S. 219 fl
376 Konrad, Landgraf von Thüringen,
Heinrichs Tätigkeit öfters in Anspruch genommen wurde.
Schon im August des vergangenen Jahres waren die Auf-
forderungen zur Kriegsfolge gegen Bayern, die Erzbischof
Sigfrid auch an Erfurt richtete, auf den Widerstand der
dortigen Bürgerschaft gestoßen. Keine Partei gab nach.
Der Gegensatz verschärfte sich bis zur Bannung und
Ächtung Erfurts durch den Erzbischof, bezw. König Heinrich.
Die Vermittlung fand durch Landgraf Heinrich statt, durch
die Erfurt am 1. August vom Banne gelöst wurde, wohl
noch ehe der Schutz, den Kaiser Friedrich selbst den Er-
furtern auf ihre Bitte gewährt hatte, eine Wendung hatte
herbeiführen können i). Daß Landgraf Heinrich zugunsten
Erfurts, das seinem Hause seit langem feindlich war, ver-
mittelte, ist auffallend. Sicherlich hängt diese Entscheidung
mit der Fehde Landgraf Heinrichs mit dem Grafen Heinrich
von Gleichen zusammen, in deren Vei'lauf ersterer am
18. Mai 1234 das Schloß des Grafen zerstört und eine
Anzahl Gefangener als Rebellen hatte hinrichten lassen 2).
Landgraf Heinrichs Intervention zugunsten Erfurts ist die
Antwort auf die Heinrich unwillkommene Einmischung des
Erzbischofs in die Fehde mit dem Grafen von Gleichen.
Diese Einmischung Sigfrids zeigt sich darin, daß er vom
Landgrafen die Erfurter Vogtei, die dieser dem Grafen
von Gleichen geraubt, eingelöst und ihn mit seinen Ein-
künften zu Gottern abgefunden hatte ^).
1) Vgl. über diesen Streit die Ann. Erphord. fr. Praed. S. 87 f.;
Dobenecker 406. 426. 443; Fink, Sigfrid III., S. 42 ff. — Kaiser
Friedrich II. nahm Erfurt im Juli 1234 in Eieti in seinen Schut-z;
Dobenecker 440.
2) Ann. Erphord. fr. Praed. S. 88; Dobenecker 408a; Werne-
burg, Geschichtliches über die Grafen von Gleichen, in: Mitteil. d.
Vereins f. d. Gesch. u. Altertumsk. von Erfurt, Heft 6, S. 34 ff.
Über die nicht feststehende Lage des Gleichenschen Schlosses siehe
Dobenecker 438 Anm., über den Namen des Grafen auch Doben-
ecker 1425 Anm. 1.
3) Vgl. Ann. Erphord. fr. Praed. S. 88; Dobenecker 438. —
Gottern nw. Langensalza.
Hochmeister des deutschen Ordens. 377
Von außerordentlicher Wichtigkeit und. Tragweite wurde
für Landgraf Konrad der Einfluß, den seiner Schwägerin
Elisabeth Wandel und Wundertätigkeit auf ihn ausübte.
Schon früh war Elisabeth mit den Ideen des heiligen
Franz von Assisi, die seit 1221 auch in Deutschland gewaltig
an Boden gewonnen hatten, bekannt geworden, Freiwillige
Armut, Entäußerung irdischen Besitzes und weltlicher Macht
waren ihr, schon bevor Konrad von Marburg ihr Beicht-
vater wurde, von einem Bruder Rodeger i) verkündet worden,
und durch ihr ganzes späteres Leben zieht sich ein starker
Zug franziskanischer Lebensideale hindurch. Sie bilden
den Grundton ihres Wesens. Sie besonders ließen sie
nach des Gatten Tode dem fürstlichen Stande und dem
Hofe ihrer Verwandten entsagen 2) ; denn Landgraf Heinrich
trägt an diesem Schritte seiner Schwägerin nur geringe
Schuld, und vollends Konrad kann kein Vorwurf irgend-
welcher Art gemacht werden. Unsere ältesten Quellen
geben uns von seinem Verhalten gegen Elisabeth in jenen
Tagen keine Kunde ^).
Elisabeth , nur zur Beisetzung ihres Gemahls noch
einmal nach Thüringen zurückgekehrt, siedelte im Sommer
1228 nach Marburg über, wo sie im gleichen Jahre auf
1) Vgl. über ihn Wenck, in: Sammlung gemeinverständlicher
Vorträge und Schriften a. d. Gebiet d. Theol. und Eeligionsgesch.,
Heft 52, Anm. 13 S. 50.
2) Über diese sehr strittige Frage vgl. bes, Börner, Quellen-
kritik, Neues Archiv XIII, 453 ff.; Mielke, Elisabeth, S. 62 ff.;
Wenck, Hist. Z. LXIX, 233 f. ; E. Michael, Zur Gesch. d. heil. Elisabeth,
in : Zeitschrift f. kathol. Theol. XXII, 565 ff. (dazu Wenck im Wart-
burgb., Anm. zu S. 200 f. fS. 701]); Huyskens, Quellenstudien,
S. 53ff. ; dagegen Wenck in Sammlung gemeinverständl. Vorträge
und Schriften, Heft 52, 19 ff., bes. Anm. 26 S. 52 f.
3) Erst die spätere Tradition (Histor. Pistor. Kp. 40, S. 1323 f.;
Histor. Eccardiana S. 421 ; Das Legendarium des Eisenacher Domini-
kanerklosters, hrg. V. A. L. J. Michelsen, in: Z. Thür. G. IV, 372 f.;
Gerstenberg, Thür.-hess. Chronik, S. 379; Joh. Rothe, Bd. 3 der
thüringischen Geschichtsquellen, Kp. 457. 477) stellt auch Konrad
neben seinem Bruder als schuldig an der „Vertreibung" Ehsabeths hin.
378 Konrad, Landgraf von Thüringen,
einem Grundstücke, über das Landgraf Heinrich und Konrad
ihr für Lebenszeit den Nießbrauch gestattet, ein Hospital
zur Aufnahme Hilfloser und Un begüterter erbauen ließ ^).
Diesem ihrem Vorbilde, dem heiligen Franz , geweihten
Hospitale widmete sie sich selbst als Pflegerin der Kranken,
nachdem sie das graue Gewand der Tertiarierinnen angelegt.
Seitdem suchte sie, nur geleitet vom Marburger Prediger,
bis an ihr Ende auf dem Wege einer übertriebenen Askese,
durch unermüdliches Fasten, Beten, Pflegen der Kranken
und Siechen den Pfad zum ewigen Heil.
Der neuen Marburger Stiftung wurde mehrfache Unter-
stützung zuteil. Papst Gregor IX. nahm sich des Hospitals
an und erteilte im April 1229 den am Festtage des Heiligen
von Assisi (4. Oktober) es Besuchenden einen Ablaß ^').
Wichtiger war es, daß schon damals Landgraf Heinrich
und unser Konrad der Stiftung ihrer Schwägerin Interesse
entgegenbrachten und sie mit Verleihung des wichtigen
Patronatsrechtes über die Marburger Kirchen ausstatteten.
Hierin haben wir das erste sichere Zeugnis des Verständ-
nisses und Wohlwollens der Brüder für Elisabeths auf-
opferndes Wirken. Vielleicht hat auch Magister Konrad
von Marburg damals auf Heinrich und Konrad einzuwirken
gewußt. Elisabeth wandte sich dann an Papst Gregor,
und als dieser am IL März 1231 den Franziskanern die
durch Landgraf Heinrich und Konrad verliehenen Vorrechte
bestätigte, schien der Bestand des Hospitals gesichert ^).
Allein der Stifterin war nur eine kurze Tätigkeit in
demselben beschieden. Die übermäßigen Anstrengungen,
überhaupt eine in ihrem krankhaften Streben nach voll-
kommener Selbstentäußerung begründete Vernachlässigung
ihrer Gesundheit haben ihren jungen Körper gebrochen.
Sie starb am frühen Morgen des 17. November 1231 mehr
1) Dobenecker 273.
2) Dobenecker 55.
3) Dobenecker 190 (188. 189); vgl. Codex dipl. Sax. reg. I, 3.
No. 437.
Hochmeister des deutschen Ordens. 379
infolge völliger körperlicher Entkräftung als einer Krank-
heit i). Am 19. November wurde sie in der Kapelle des
von ihr erbauten Hospitals begraben. Viele Abte, fromme
Männer und die ungezählte Menge dankbaren Volkes war
bei der Beisetzung zugegen 2).
Über die Teilnahme der Landgrafen Heinrich und
Konrad am Begräbnis Elisabeths oder ihren Besuch an
ihrem Krankenlager, das von geistlichen wie weltlichen
Personen aufgesucht wurde, fehlt uns bestimmte Nachricht 3).
Eür Konrad ist beides allerdings sehr wahrscheinlich, da
seine Anteilnahme an Elisabeths Werk schon damals fest-
steht, weniger für Landgraf Heinrich, der schon im Dezember
1231 mehrfach am kaiserlichen Hofe zuRavenna bezeugt ist *).
Gleich nach Elisabeths Hinscheiden verbreitete sich
der Ruf von Wundern, die an ihrem Grabe geschahen.
Mochte doch bei Elisabeth , die die aufopfernde, völlig
selbstlose Tätigkeit ihrer Marburger Zeit so unvermittelt
gegen den Glanz eines weltfreudigen Eürstenhofes vertauscht
hatte wie wohl keine Erau fürstlichen Standes vor ihr,
schon in ihren letzten Lebensjahren der Grund zu solchem
Glauben gelegt sein. Ungeheuer war die Zahl der Pilger,
die die heiligen Stätten aufsuchten. Zahlreiche Kranke,
1) Siehe den Brief über Elisabeths Tod bei Huyskens, Quellen-
studien, S. 147 ff., dazu 92 ff.; Dobenecker 255. Im übrigen vgl.
Dobenecker 222 a (auch 2S0 Anm. 1) mit vollständiger Quellen- und
Literat uran gäbe.
2) Libellus de dictia bei Mencken, Script, rer. German. II, 2033;
Theod. V. Apolda, Bch. 8, Kp. 6; Dobenecker 222a.
3) Siehe den Brief über Eüsabeths Tod bei Huyskens S. 149 ;
Konrads von Marburg Bericht im Codex dipl. Sax. reg. I, 3, No. 476
(S. 332); Theod. v. Apolda, Bch. 8, Kp. 2. — Auf welche Worte des
Cäsarius von Heisterbach bei Börner, Neues Archiv XIII, 505 hin
Heldmann, Deutschordensballei Hessen, Z. Hess. G. N. F. XX, 16
Anm. 2 so bestimmt Landgraf Konrad unter die Besucher des
Krankenlagers Elisabeths rechnet, sehe ich nicht ein.
4) Dobenecker 229. 230. Über den Irrtum Winkelmanns,
Friedrich IL (Jahrbücher) II, 327 Anm. 5 (den übrigens auch Rübe-
samen, Heinrich Easpe, S. 11 hat), vgl. Dobenecker 212 Anm.
380 Konrad, Landgraf von Thüringen,
Gebrechliche, Krüppel fanden durch den Glauben an der
Heiligen Wunderkraft Genesung und Heilung. Dieser ge-
waltigen Bewegung entzogen sich auch die Landgrafen
nicht, am wenigsten Konrad, dessen besonderer Verwaltung
das gepriesene, wundererfüllte Marburg unterstand. Er
sowohl, wie sein kaum vom kaiserlichen Hofe zurück-
gekehrter Bruder i) gehören mit ihrem Berater Konrad von
Marburg zu den Zeugen der Wunder, vor deren Macht
hoch und niedrig verehrungsvoll sich beugt ^).
Die nächste und größte Sorge um Elisabeths Werk,
das Hospital und ihre vom Haupte der Christenheit anzu-
erkennende Heiligkeit, blieb Konrad von Marburg vorbe-
halten 3). Der Lösung dieser Aufgabe, wegen der man sich
bereits an Papst Gregor gewandt hatte, traten indes Um-
stände verschiedener Art hemmend in den Weg.
Zunächst kam es zu einem Rechtsstreit über die Besitz-
nahme des Marburger Hospitals. Die Landgrafen Heinrich
und Konrad hatten dieses inzwischen mit Zehnten und
allem von dem Bruchlande zwischen Marburg und Ockers-
hausen und der Bergspitze Kassenburg sich ergebenden
Ertrage sowie mit allen ihnen an diesem Gebiete zustehenden
Rechten auf Magister Konrads Bitten dotiert^). Schon
sehen wir das Bestreben der Brüder, die durch Elisabeths
1) Heinrich ist zuletzt im März 1232 Zeuge unter kaiserlicher
Urkunde in Venedig, Dobenecker 257; vgl. Winkelmann (Jahr-
bücher) II, 350 Anm. 6.
2) Konrad ist etwa Juni, Juli 1232 Zeuge der Heilung eines
Mädchens aus Wehrda bei Marburg; Dobenecker 269. 279 Anm 2.
— Über Landgraf Heinrichs Anwesenheit vgl. Dobenecker 268.
3) Über den Gang der Heiligsprechung im allgem. vgl. Wenck
im Wartburgb. S. 207, über die zu diesem gehörigen urkundlichen
Nachrichten: Börner, Neues Archiv XIII, 434 ff. und bes. Huyskens,
•durch deren Eesultate die früheren Darstellungen überholt sind,
4) Siehe den Hinweis auf die nicht erhaltene Schenkungs-
urkunde in Heinrichs und Konrads Schreiben an Gregor im Codex
dipl. Sax. reg. I, 3, No, 481. Vgl. Dobenecker 273. 274; ebenda 439
4en Wortlaut der Schenkung in der Bestätigimgsurkunde Friedrichs II.
in Kieti 1234, JuU.
Hochmeister des deutschen Ordens. 381
Wandel geheiligten Stätten durch Ausstattung mit reicheren
Gütern und Einkünften aus ihrer bisherigen Ärmlichkeit
herauszuheben. Um so erstaunter mußten sie über die
plötzlich auftauchenden Ansprüche sein, die die Johanniter,
auf Elisabeths Wunsch selbst sich berufend, an dem Hospitale
zu haben vorgaben. Daraufhin wandten sich die Land-
grafen, die ihr Eigentumsrecht natürlich nicht aufgegeben
hatten, in einem Schreiben, aus dem ein nicht zu ver-
kennender Unwille über diese Ansprüche spricht, an Papst
Gregor. Ohne über die neuen Prätensionen des fremden
Ordens genauer unterrichtet zu sein — auch Magister Konrad
scheint nichts davon gewußt zu haben — richtete sich
Heinrichs und Konrads Verdacht ohne Grund gegen den
Erzbischof Sigfrid, der sich bald als völlig unbeteiligt an
dieser Rechtssache erwies i). Überhaupt müssen die An-
sprüche des Johanniterordens, die dann mit leichter Mühe
niedergeschlagen wurden, auf schwachen Füßen gestanden
haben. Die Johanniter wurden durch Konrads von Mar-
burg Schiedsspruch am 2. August 1232 zum Verzicht auf
jeglichen Anspruch am Hospital und zum Stillschweigen
in dieser Angelegenheit genötigt ^).
Gleich nach Beseitigung dieses Hemmnisses nahm Ma-
gister Konrad seine vornehmste, ihm persönlich besonders
ehrenvolle Aufgabe, sein Beichtkind im Glänze der Heilig-
1) Siehe das Schreiben der Landgrafen an Gregor im Codex
dipl. Sax. reg. I, 3, No. 481 und bei Dobenecker 274. — Die Über-
tragung des Hospitals an die Johanniter — so heißt es in dem
Schreiben — habe „tarn ex sua (Elisabeths) simplicitate quam forte
ex quodam stulto consilio" stattgefunden. Daß Sigfrid III. sich
getroffen fühlte, beweist seine offen tHche Erklärung vom 27. Juli
1232; Dobenecker 275. — In der Auffassung des „ex sua simpli-
citate" stimme ich Heldmann, Deutschordensballei Hessen, Z. Hess.
G. N. F. XX, 18 Anm, 1 bei. Vgl. auch Wenck, Hist. Z. LXIX, 233 f.
Anm. 2.
2) Dobenecker 276. 277. Vgl. A. Wyß, Urkundenbuch der
Deutschordensballei Hessen, Bd. 1 (1207—1300), = Bd. 3 der Publi-
kationen aus den Kgl. Preußischen Staatsarchiven, Leipzig 1879,
No. 27; Heldmann S. 15 ff.
XXVII. 25
382 Konrad, Landgraf von Thüringen,
keit strahlen zu sehen, wieder auf. In Verbindung mit Erz-
bischof Sigfrid von Mainz, neben deren zielsicherem Handeln
damals noch der Anteil der Brüder Heinrich und Kourad
zurücktritt, sucht Magister Konrad Gregors Wünschen hierin
zu genügen. Ohne offenbar über jene unbegründete Ver-
dächtigung der Landgrafen im Hospitalstreit gekränkt zu
sein, begibt sich der Erzbischof Anfang August nach Mar-
burg und zieht mit dem Magister sorgfältig Zeugen heran
für die Wunder, die der einzelne an sich erlebt oder an
anderen wahrgenommen ^).
Zur gleichen Zeit trat eine abermalige Verzögerung ein,
die höchstwahrscheinlich in dem zwischen Erzbischof Sigfrid
und Landgraf Konrad ausbrechenden Kampfe ihren Grund
hat. Mit Sigfrid, der jetzt zum Kriege zu rüsten genötigt
ist, verliert das eifrig begonnene Werk zunächst seinen amt-
lichen Leiter 2). Wie eine Elisabeths Heiligsprechung ver-
zögernde Episode spielt hier der Kampf hinein.
Die erste Anregung in dieser Sache ging wieder von
Gregor aus, der den Gedanken der Kanonisation aufs leb-
hafteste aufnahm. Dies beweisen schon die mehrfachen
Ablässe zugunsten des Hospitals und die Magister Konrad
übertragene Beschützung desselben ^). Sodann gibt er in
mehreren Schreiben an den Erzbischof und Konrad von
Marburg im Oktober 1232 Vorschriften für die Vernehmung
der Zeugen. Besonders in den beiden Schreiben vom 13.
und 14. Oktober an die genannten Geistlichen und den Abt
von Eberbach ordnet er abermals eine Untersuchung der
am Grabe Elisabeths geschehenen Wunder sowie ihres
1) Sigfrid ist am 10. August in Marburg; vgl. Dobenecker 278.
279. — Demnach ist es ganz unwahrscheinlich, daß der thüriugisch-
mainzische Krieg mit der geschilderten Verdächtigung Sigfrids durch
die Landgrafen im Hospitalstreite in irgendwelcher Beziehung steht,
wie Rübesamen S. 11 annimmt.
2) Vgl. die Worte in Konrads von Marburg Bericht im Codex
dipl. Sax. reg. I, 3, No. 476: Dominus Maguntinus, quia ad alia
festinabat quedam ardua negocia. Vgl. auch Dobenecker 280 Anm. 1.
3) Dobenecker 284. 285. 291.
Hochmeister des deutscheu Ordens. 333
Lebens und den Bericht darüber an i). Dem letzten Schreiben
fügt er die Bemerkung hinzu, den Bericht erst auf eine neue
Aufforderung seinerseits hin zu übersenden. Im Januar und
Februar 1233 kam die Kommission dem päpstlichen Auf-
trage nach, und auf eigene Faust übersandte Konrad von
Marburg nicht die eigentlichen Protokolle, sondern eine Ab-
schrift davon an Gregor 2). Da scheint Konrads Tod, der
ihm die Erfüllung seines Lieblingswunsches versagte, bald
darauf die größte der Unterbrechungen in dieser Ange-
legenheit nach sich gezogen zu haben 3),
Danach bedurfte zunächst das Franziskushospital, zu
dem mit der Schar der Anbetenden auch zahlreiche Un-
lautere sich drängten, eines neuen Beschützers. Mit dieser
Aufgabe betraute Papst Gregor im Oktober 1233 den Bischof
Konrad von Hildesheim ^). Damals wurde dem Marburger
Hospital auch durch Ankauf einiger der Abtei Fulda ge-
höriger Güter ein nicht zu verachtender Güterbesitz zuteil °).
Und doch wollen solche Vorteile nur wenig bedeuten gegen
die von Landgraf Konrad der Marburger Stiftung ge-
widmete Fürsorge und seine zielbewußte Wiederaufnahme
der verzögerten Heiligsprechung. Mit Unterstützung seines
Bruders und seines Neffen tritt er glänzender, aber auch
erfolgreicher das Erbe des Marburger Predigers an. Daher
war der Landgrafen nächstes Bemühen darauf gerichtet.
1) Vgl. die beiden Schreiben im Codex dipl. Sax. reg. I, 3,
No. 472 u. 474 und bei Dobeuecker 286 u. 290.
2) Der Bericht über diese Untersuchung mit allen Beilagen ist
gedruckt bei Huyskens, Quellenstudien, S. 151 ff., vgl. S. 85 ff.; Do-
benecker 300. — Daß Konrad von Marburg eine Abschrift davon an
Gregor absandte, geht aus dem von Huyskens S. 242 ff. zuerst heraus-
gegebenen Wunderbericht vom Januar 1235 (S. 263) hervor.
3) Dem Erzbischof Sigfrid 111. darf keine absichtliche Ver-
zögerung der Angelegenheit zugeschrieben werden, wie es Wenck,
Wartburgb. S. 216 tut.
4) Wyß, Urliundenbuch d. Deutschordensballei Hessen I, No. 36.
5) Dobenecker 365. Die betreffenden Güter liegen bei Eoßdorf
(bei Amöneburg w. Marburg) und Mardorf (so. Fritzlar).
25*
384 Konrad, Landgraf von Thüringen,
einem kirchlicli organisierten Institut, einem geistlichen
Orden die Leitung des Hospitals zu übertragen, der beide
Aufgaben zu lösen Ansehen und Mittel besaß.
Am nächsten hätte die dauernde Übernahme durch die
Franziskaner gelegen, deren Ordensregel vorbildlich für die
Heilige gewesen war. Aber eben deshalb, weil sie in
Spendung alles Gutes an Kranke und Arme ihr höchstes
Ziel sahen, konnte ihnen ein so kostspieliges Unternehmen
nicht übertragen werden. Die eigentlichen Spitalbrüder
waren die im nahen Wiesenfeld angesiedelten Johanniter.
Es lag indes nahe, daß die Landgrafen, erbittert über ihr
unwillkommenes Eindrängen in das Besitztum des Hospitals,
ihnen niemals ihre Einwilligung zur Übernahme geben
würden. Dazu war Landgraf Heinrich kaum vom kaiser-
lichen Hofe zurückgekehrt, als die in ihrer politischen An-
schauung kaiserfeindlichen Johanniter mit ihren Ansprüchen
hervortraten. Ihre Unterstützung verbot ihm schon die
Rücksicht auf Friedrich IL Dieser gab vielmehr allen
Fürsten ein Vorbild in der Begünstigung des deutschen
Ordens, der seinerseits die kaiserliche Gunst durch reichs-
treue Gesinnung vergalt.
Zu diesem Orden hatten die Landgrafen längst enge
Beziehungen gepflegt. Schon Landgraf Hermann I. hatte,
persönlich für den Orden eintretend, mit andern Fürsten
die Erhöhung der deutschen Spitalbrüderschaft zu Akkon
zu einem Ritterorden unterstützt i). Bei Hermanns Sohn
und Nachfolger ergab sich ein Interesse an dem Aufblühen
dieses Ordens schon aus der Freundschaft mit Kaiser Fried-
rich. Auch von einem freundlichen Verhältnis zwischen
Landgraf Ludwig und dem angesehenen Meister des Ordens
hören wir öfters, und bei den wichtigen Privilegien Ludwigs
werden auch die zwischen ihnen bestehenden Beziehungen
1) Vgl. die Narratio de primordiis ordinis Theutonici jetzt bei
M. Perlbach, Statuten des deutschen Ordens, Halle 1890, S. 159 f. und
Einleitung S. XLIII ; Peter von Dusburg, Chronicon terrae Prussiae,
ed. M. Toeppen in Script, rer. Pruss. I, 25 ff.; Dobenecker II, 1073.
Hochmeister des deutscheD Ordens. 385
mitgesprochen haben i). Ludwig der Heilige hat durch das
wichtige, mit Zustimmung seiner Brüder Heinrich und Konrad
1225 erlassene Privileg die feste Stellung des Ordens in
seinen Ländern durch seinen Verzicht auf alle ihm daselbst
über die Ordensbesitzungen zustehenden Rechte und die
Gewährung von Abgaben- und Zollfreiheit begründet, nach-
dem überhaupt die deutschen Herren in den thüringisch-
hessischen Landen schon früh Aufnahme gefunden ^).
Die Landgrafen Heinrich und Konrad selbst hatten
zuerst 1231 den Orden mit ihren Allodien zu Obermöllrich
in Hessen beschenkt ^). Doch steht diese Schenkung mit
den ferneren großen Plänen, die die Brüder durch den
Orden durchzusetzen gedachten, scheinbar noch in keiner
Beziehung. Eher könnte man an einen Einfluß der Land-
grafen denken, wenn wir zwei Jahre später den Orden in
Marburg selbst sich ansiedeln sehen '^). Im Jahre 1234 ist
die enge Verbindung zwischen ihnen, besonders Konrad und
den Brüdern vom deutschen Hause hergestellt. Damals wird
die Übertragung des Marburger Hospitals an die Deutsch-
ritter, die ohne vorherige enge Beziehungen nicht denkbar
ist, durch Heinrich und Konrad vorbereitet worden sein.
1) Über die Beziehungen zwischen beiden vgl. Dobenecker II,
2131 ; Wagner, Z. Thür. G. N. F. XIX, 66 mit Anm. 1, bes. 67 f. 72 f.
2) Vgl. Pobenecker II, 2261 ; Heldmann, Z. Hess. G. N. F. XX,
llff. ; vgl. auch Ludwigs Urkunde von 1222 bei Dobenecker II, 2019.
— In Hessen hatte der Orden zuerst 1207 Eingang gefunden. Vgl.
Dobenecker II, 1346; J. Voigt, Gesch. d. deutschen Eitterordens in
seinen 12 Balleien in Deutschland, Bd. 1, Berlin 1857, S. 20f. ; R.
Andersonn, Der deutsche Orden in Hessen bis 1300, Königsb. Diss.,
Königsberg 1891, S. 9 ff.
3j Dobenecker 218. 219. — Möllrich an der Eder bei Fritzlar.
4) Ann. breves domus ordinis Theuton. Marburgensis : JM. G.
SS. XXX, 5. Nach Gerstenberg, Thür.-hess. Chronik S. 380 hätte
Konrad 1233 die deutschen Herren zuerst nach Marburg gebracht.
— Beziehungen Elisabeths selbst zum deutschen Orden sind nicht
nachweisbar. Vgl. auch Heldmann S. 16, Anm. 3; xAndersonn, Der
deutsche Orden in Hessen, S. 20 f.
386 Konrad, Landgraf von Thüringen,
Um über diesen für die Zukunft des Hospitals wichtigen
Übergang, besonders aber über die Wiederaufnahme der
Kanonisation seiner Schwägerin persönlich sich mit Papst
Gregor zu besprechen, sehen wir Landgraf Konrad im Juli
desselben Jahres als Bevollmächtigten des Landgrafen-
hauses am päpstlichen Hofe zu Rieti i). Er nimmt somit,
da auf des Papstes schon am 14. Oktober 1232 in Aussicht
gestellte Aufforderung zur Einsendung der Berichte über
Elisabeths Leben und Wunder von dessen Seite kein neuer
Auftrag erfolgt ist, seinerseits die durch Magister Konrads
Tod gründlich verzögerte Angelegenheit wieder auf. Denn
sicherlich im Anschluß an die persönlichen Verhandlungen
mit Landgraf Konrad hat Gregor bald nach dessen Rück-
kehr jenen angekündigten Auftrag erteilt, die Untersuchung
über Elisabeths Leben und den Wunderbericht einzusenden
oder, falls der letztere verloren sei, eine neue Untersuchung
anzustellen ''^).
Zunächst wurde dann die endgültige Entscheidung über
den bestrittenen Besitz des Hospitals herbeigeführt. Auf
Konrads und seines Bruders Heinrich Bitten überträgt
Papst Gregor am 1. Juli 1234 das Franziskushospital mit
dem Patronat der Pfarrkirche dem deutschen Ritterorden.
Den Ansprüchen des Diözesanbischofs Sigfrid III. an die
Marbui'ger Pfarrkirche wird durch einen jährlichen Re-
kognitionszins genügt ^}. Zugleich wird dem Meister und
1) Konrads persönliche Anwesenheit ist durch zwei Urkunden
bezeugt, Dobenecker 439. 442. — Vgl. die beiden Stellen bei Cäsarius
von Heisterbach (aus der Vita s. Elisabeth bei Börner, Neues
Archiv XIII, 505, und aus dem Sermo de translatione bei Huyskens
S. 47, Anm. 2), die, wenn auch Cäsarius Konrad an letzterer Stelle
fälschlich Ordensbruder nennt, beide auf den Sommer 1234 zu be-
ziehen sind. Vgl. auch Heldmann S. 19, Anm. 3. Die erstere Stelle
deutet auf einen Zusammenhang zwischen dieser Eeise und dem
Auftrag Gregors vom 11. Okt. 1234 hin.
2) Dobenecker 458; vgl. später.
3) Dobenecker 421; vgl. Cäsarius ' Vita bei Börner, Neues
Archiv XIII, 505.
Hochmeister des deutschen Ordens. 387
den Brüdern des Franziskushospitals diese Entscheidung
samt dem Befehle, sich den neuen Herren zu fügen, mit-
geteilt 1). Mit der Übei'tragung des Hospitals an den wohl-
habenden deutschen Orden ist Elisabeths Stiftung auf eine
feste Grundlage gestellt. Auf Landgraf Konrads persön-
liches Ersuchen wird dem Hospitale und seinen gesamten
Besitzungen auch der höchste weltliche Schutz durch Kaiser
Eriedrich II, zuteil, der damals mit seinem treuen Berater,
dem Meister des neudotierten Ordens, zu Rieti weilte ^j.
Auch zu letzterem wird Konrad damals in nähere Be-
ziehungen getreten sein ^). Es waren Tage noch ungetrübter
Freundschaft zwischen den Häuptern der Christenheit, als
Konrad von Thüringen beider gemeinsame Unterstützung
in einer bedeutungsvollen Angelegenheit seines Hauses zu-
teil wurde.
Auch in einem andern Lieblingswunsch der Land-
grafen wird Konrad schon damals in ßieti das Entgegen-
kommen des heiligen Vaters gefunden haben: der Aus-
zeichnung des Eamilienklosters zu Reinhardsbrunn, die
die Landgrafen sich zur Aufgabe gemacht hatten. Aus
Rücksicht auf Konrad und aus ganz besonderem Wohl-
wollen für ihn verlieh Papst Gregor am 17. Oktober 1234
dem Abte des Klosters und seinen Nachfolgern die Aus-
zeichnung, den bischöflichen Ring zu tragen^). Schon
früher war dem Reinhardsbrunner Abt Hermann und seinen
Nachfolgern auf Landgraf Ludwigs III. Bitten eine ähn-
1) Dobenecker 422.
2) Dobenecker 439; vgl. Cäsarius' Vita bei Börner, Neues
Archiv XIII, 505. — Interessant ist die in der ötrafformel der Ur-
kunde ausdrücklich genannte Geldbuße von 100 Mark Silber, vgl.
Codex dipl. Sax. reg. I, 3, No. 510.
3) Beide sind Zeugen in einer ßestätigungsurkunde Kaiser
Friedrichs, Dobenecker 442.
4) Dobenecker 461; vgl. Codex dipl. Sax. reg. I, 3, No. 514.
J. H. Möller, Gesch. d. Klosters Eeinhardsbrunn, Gotha 1843,
S. 49 ff. mit fehlerhafter Begründung der durch Konrad erwirkten
Vergünstigung.
Konrad, Landgraf von Thüringen,
liehe Ehrung, die Erlaubnis zum Tragen der bischöflichen
Mitra, zuteil geworden i). Auch ein vierzigtägiger Ablaß
bewies dem Kloster damals des Papstes Wohlwollen ^).
Die Tage von Rieti waren für Konrads Zukunft von
hoher Bedeutung. Damals muß in ihm der Entschluß gereift
sein, den er bald nach seiner Rückkehr nach Thüringen
verwirklichte: in den deutschen Orden einzutreten. Einen
Monat bevor er das Ordensgewand anlegte, nimmt er, schon
von dem Wunsche erfüllt, die neue Lebensrichtung einzu-
schlagen 3)j mit seinem Bruder Heinrich die einleitenden
Schritte vor, die dessen Mitwirkung erforderten. Nach dem
Ordensstatut war die Aufnahme eines Verschuldeten ver-
boten^). Aber in dem Bestreben, dem Eintretenden jegliche
Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen, hatte Kaiser
Friedrich 1222 ein Gesetz erlassen, nach dem jener für
Schulden, die er vor der Aufnahme in den Orden gemacht,
nicht aufzukommen habe. Diese sollten vielmehr auf seine
Erben übergehen °). Dieser Fall traf auf die Landgrafen
zu, und so sehen wir am 13. Oktober Heinrich und Konrad
zu Nordhausen diese Schuldangelegenheit ordnen. Ersterer
gelobt, seinem Bruder Konrad zur Tilgung der 3000 Mark be-
tragenden Schulden eine jährliche Rente von 400 Mark auf
seine schuldenfreien Besitzungen zu gewähren, bis Konrads
1) Möller, Eeinhardsbrunn, S. 35 f. ; M. Frommann, Landgraf
Ludwig III., in : Z. Thür. G. N. F. XVIII, 216 f.
2) Dobenecker 460.
3) In der in Nordhausen von Landgraf Heinrich ausgestellten
Urkunde (Codex dipl. Sax. reg. I, 3, No. 513) heißt es : cum dilectus
frater noster Conradus .... se ordini fratrum domus Theutoni-
corum devovisset. Es handelt sich offenbar erst um die Absicht
Konrads, in den Orden einzutreten. Er trat nicht schon im Oktober
ein, wie Bommel, Gesch. Hessens I, Anm. S. 248 No. 150, und
Mielke, Elisabeth, S. 15 annehmen.
4) Vgl. das Aufnahmestatut bei Perlbach, Statuten, S. 127.
5) Friedrichs Privileg bei E. Strehlke, Tabulae ordinis Theuto-
nici, Berlin 1869, No. 258; Böhmer-Ficker 1423; vgl. H. Prutz, Die
geistlichen Ritterorden, Berlin 1908, S. 105.
Hochmeister des deutschen Ordens. 389
Schulden gedeckt seien. Außerdem verpflichtet er sich,
dem Orden stattliche landgräfliche Güter, deren Wahl
Konrad selbst vorbehalten bleibt, mit einer jährlichen Rente
von 300 Mark Silber und einem Jahresertrage von 1 100 Malter
Getreide zu freiem Besitze anzuweisen i). Bald gingen
Heinrich und Konrad gemeinsam an die Erfüllung dieser
Versprechen. Am 6. November stellen die drei Landgrafen
zu Homberg an der Ohm die in Nordhausen beschlossenen
Allodien dem deutschen Orden zu Händen des Deutsch-
meisters Heinrich von Hohenlohe zu. Die überaus reichen
Güter, die der Orden erhielt, lagen auf zwei verschiedenen
Gebieten. Der größere Komplex lag im Unstruttale bei
Weißensee, besonders zu Rieth, Griefstedt, Willstedt, Fisch-
stedt und Günstedt, aus deren Mitte sich später die thüringi-
sche Kommende Griefstedt erhob. Der andere, weniger
umfangreiche Komplex lag in Hessen zu Marburg, Werflo
und Mardorf, bei welch letzterem das Hospital schon vom
Kloster Fulda Land angekauft hatte ^). Dort sollte aus
dem unbedeutenden Städtchen Marburg, das erst vor acht
Jahren nach Erhebung seiner Kirche zur Pfarrkirche sich
zu entwickeln begonnen hatte ■^), durch Elisabeths gewaltigen
Ruf und die aufopfernde Sorge des deutschen Ordens um
ihre Stiftung sich eine wohlhabende Stadt und die an-
gesehenste hessische Deutschordenskommende entwickeln.
Somit schuf Landgraf Konrad, unterstützt von seinen Ver-
wandten, die Grundlage zu dem segensreichen Wirken, das
der Orden in diesen Gebieten entfaltete. Für diese höchst
ansehnliche Schenkung übernahm der Orden gleichsam die
1) Dobenecker 459; Codex dipl. Sax. reg. 1, 3, No. 513; vgl.
Ann. Erphord. fr. Praed. in Mon. Erph. S. 88.
2) Dobenecker 464. 465 ; vgl. Cron. Eeinh. : M. G. SS. XXX,
614; vgl. Dobenecker 466. — Rieth jetzt Riethgen n. Griefstedt;
Günstedt nnö. Weißensee. Über die Lage der übrigen Orte vgl.
Dobenecker 464, Anm. 2. 8. 4. — Über Griefstedt vgl. J. G. L.
Anderson. Gesch. d. deutschen Ordenskommende G., Erfurt 1866.
3) Vgl. Wyß, Hess. Urkundenbuch I, No. 16.
390 Konrad, Landgraf von Thüringen,
Verpflichtung, die Förderung des Hospitals und die Kanoni-
sation Elisabeths mit seinen reichen Mitteln zu betreiben.
Vielleicht wurde auch schon damals der glänzende Bau der
Elisabethkirche in Aussicht genommen i).
Seit der Übernahme des Hospitals durch den deutschen
Orden waren für die Pflege der Kranken des Hospitals,
für die geistlichen Bedürfnisse der Deutschritter selbst,
der mehr und mehr zunehmenden Zahl der Pilger, die das
heilige Grrab Marburgs besuchten, und nicht zuletzt der an
den Bauten des Ordens Beschäftigten zahlreiche Geistliche
nötig. Denn schon in der nächsten Zeit muß der Bau des
Deutschordenshauses und nicht lange danach der Elisabeth-
kirche seinen Anfang genommen haben. Auch dieser Not-
wendigkeit trug Landgraf Konrad noch vor seinem Eintritt
selbst Sorge, indem er zur beständigen Unterhaltung der
stattlichen Zahl von 13 Klerikern die erforderlichen Ein-
künfte und Besitzungen anwies ^). Noch am 13. November
1234 sehen wir beide Brüder, Heinrich und Konrad, letzteren
noch einmal mit dem Pfalzgrafentitel, als Zeugen unter
einer Urkunde des Grafen Dietrich von Brehna^). Also
wohnte Landgraf Heinrich wohl auch der feierlichen Ein-
kleidung des Bruders selbst bei. Am 18. November nahm
Konrad zu Marburg mit 2 Klerikern und 9 Rittern, die
durch sein Beispiel und Zureden zum Eintritt bewogen
sein mögen, das Ordenskleid. Zwei der mit ihm eintretenden
1) Dafür spricht Gregors Ablaßschreiben vom 30. Mai 1235,
bei Dobenecker 526.
2) Von der Schenkung, deren Urkunde nicht erhalten ist,
hören wir in der Bestätigungsurkunde Papst Innocenz' IV. vom
28. Febr. 1244; vgl. Dobenecker 1145, zur Datierung 472, Anm. 1.
— Vgl. Heldmann, Z. Hess. G. N. F. XX, 31 f.; W. Bücking, Bei-
träge zur Gesch. d. Stadt Marburg, in : Z. Hess. G. N. F. VI, 16 ;
W. Kolbe, Erbauung der Elisabethkirche, Marburg 1883, S. 17 f.
nimmt an, daß die Anstellung der Kleriker durch Konrad aus-
schließlich im Hinblick auf die zu erbauende Kirche stattgefunden
habe.
8) Dobenecker 467.
Hochineister des deutsclien Ordens. 391
ßitter waren die Thüringer Hartmann von Heldrungen und
Dietrich von Grüningen, die ebenfalls später zu hohen Ehren
im Orden gelangten i). Ein solches Vorbild des angesehenen
Fürsten mochte auch in weiteren Kreisen vornehme Deutsche
zur Nachahmung begeistern. Sollen doch bald nach Her-
manns von Salza Tode (1239) zweitausend edle Deutsche
dem Orden angehört haben 2). Die langjährigen engen Be-
ziehungen zwischen dem Landgrafenhause und dem deutschen
Orden und seinem Meister wurden durch den Eintritt eines
Landgrafen selbst gekrönt.
Weshalb vertauschte Konrad seine Stellung als Landgraf
und Regent von Hessen mit der eines Bruders vom deutschen
Hause ? Kein Zeitgenosse gibt uns auf diese wichtige Frage
eine genügende Antwort. Die späteren Chronisten und
nach ihnen die meisten der neueren Darsteller haben in
der E,eue wegen der in Fritzlar (1232) verübten Grausam-
keiten das Motiv zu diesem Schritt gesehen oder glauben,
der Papst habe ihm den Eintritt in den Orden als Buß-
1) Siehe Ann. Erphord. fr. Praed. in Mon. Erph. S. 88 als
Hauptquelle; Dobenecker 474. Die Namen Hartmanns und Dietrichs
finden sich bei Peter von Dusburg in Script, rer. Pruss. I, 199.
Ersterer findet vor allem seine Bestätigung in Hartmanns von Hel-
drungen Bericht über die Vereinigung des Schwertbrüderordens mit
dem deutschen Orden, ed. Th. Hirsch als Beilage zur jüngeren Hoch-
meisterchronik in Script, rer. Pruss. V, 169. So werden sich die
Berichte brauchbar einander ergänzen. Zuerst wurde Heldrungens
Bericht von E. Strehlke in Mitteil, aus d. Gebiete der Gesch.
Liv-, Ehst- und Kurlands, hrg. von d. Gesellschaft f. Gesch. und
Altertumsk. der Ostseeprovinzen Rußlands, Bd. 11, 76 ff. (= Mitteil,
aus livl. Gesch.) herausgegeben. — Dietrich ist schon in Urkunden
Landgraf Ludwigs IV. (Dobenecker II, 1908. 2184) erwähnt. Hart-
manns Name findet sich zuerst 1227 urkundlich, Dobenecker II,
2441. (Zeuge bei Ludwigs IV. Privileg für den Orden [Doben-
ecker II, 2261] war nicht er, wie Andersonn, Der deutsche Orden in
Hessen, S. 48 meint, sondern sein gleichnamiger Vater). Als Ordens-
bruder erscheint er zuerst 1238 urkundlich, Dobenecker 765. — Von
einem Einfluß Konrads auf die Miteintretenden erzählt auch Peter
von Dusburg S. 199.
2) Peter von Dusburg S. 31.
392 Konrad, Landgraf von Thüringen,
bedingung anbefohlen i). Wie früher nachgewiesen, wurde
aber Konrad nicht durch Gregor gebannt, ja, die längst
zwischen ihnen bestehenden freundlichen Beziehungen fanden
jetzt in der Ehrung, in der Konrad als Gast des Papstes
zu Rieti (1234) erscheint, ihren deutlichsten Ausdruck.
Mit diesem Nachweis muß aber Reue als Beweggrund für
den Eintritt in den Orden wegfallen. Überhaupt darf den
Vorgängen in Fritzlar längst nicht die Bedeutung bei-
gemessen werden, die sie nach späteren Quellen auf Kon-
rads weiteres Leben ausgeübt haben sollen. Daß sie ihn
vollends nach 2 Jahren zu diesem Entschlüsse veranlaßten,
ist nur ein Gebilde der Legende.
Greifen wir nochmals zu den der Einkleidung Konrads
vorausgehenden Begebenheiten zurück, so muß uns auffallen,
daß die Landgrafen gemeinsam den deutschen Orden mit
so überaus reichen Schenkungen bedachten, die jede übliche
Guttat an geistliche Anstalten weit hinter sich lassen. Da
bei diesen Schenkungen das Zusammengehen der Land-
grafen unumgänglich notwendig war, so ist der innerste
Grund für diese sicher in religiösen Impulsen, in ihrer Be-
wunderung für Elisabeth zu suchen, deren Werk sie solche
Sorge widmen. Bei Heinrich Raspe wird aber diese kirch-
liche Gesinnung nüchterne, eigennützige Triebe nicht ganz
ausschließen. Er ist sich wohl bewußt gewesen, wie mächtig
1) Vgl. Cron. Reinh. : M. G. SS. XXX, 614, wo der Eintritt auf
Reue zurückgeführt ist. Siehe u. a. Raynaldus, Ann. ecclesiast. ad
a. 1232 Kp. 11, S. 388; Gerstenberg, Thür.-hess. Chronik, S. 379;
Excerpta Chronici Riedeseliani in J. Ph. Kuchenbeckers Anal. Has-
siaca, Coli. 3, 5; Chron. Terrae Misnensis, ed. G. Struvius bei Mencken,
Script, rer. German. II, 324; A. Ursinus, Chronicon Thuringiae,
ebenda III (1730), S. 1289. — Sagenhaft sind natürlich auch die von
Peter v. Dusburg S. 198 f. erzählten Geschichten (die Unterredimg
Konrads mit der Dirne und die Wallfahrt nach Gladbach) und die
darauf zurückgeführte Begründung für den Eintritt in den Orden.
Vgl. Rommel, Gesch. Hessens I, Anm. S. 247 f., No. 146, der aber
fälschlich auch die Buße zu Fritzlar (1238) für volksmäßig hält;
auch Posse, Thür. Sagen, Hist. Z. XXXI, 59.
Hochmeister des deutschen Ordens. 393
das Ansehen des ludowingischen Hauses und besonders des
landgräflichen Marburg wachsen muß, wenn er mit Bruder
und Neffen mit den reichen landgräflichen Mitteln durch
den Deutschorden die Verherrlichung Elisabeths auch äußer-
lich glänzend gestaltet. Ein so kirchliches Werk muß
seinem Hause besonders in der Zeit verbreiteter Ketzerei
den ehrenvollen Ruf rechtgläubiger Gesinnung sichern.
Bei Konrad treten solche Erwägungen zurück. Seine
Anteilnahme an Elisabeths Werk und Größe, seine Be-
geisterung für ihren den Gütern der Welt entsagenden
Wandel reicht weit zurück. Schon Konrad von Marburg,
wie wir sahen, ja, seine gefeierte Verwandte selbst hat bei
Lebzeiten einen nachhaltigen Einfluß auf ihn geübt, der
den späteren Eintritt in den Orden mit veranlaßt hat. Sie
haben ihn gelehrt, Reichtum und Ansehen dieser Welt
gering zu achten i). Eine deutlichere Sprache redet die
Reise zu Gregor, die fast ausschließlich der Heiligsprechung
Elisabeths und dem Schicksale ihres Hospitals galt. Viel-
leicht wird Hermann von Salza, dessen Orden sich nach
Überweisung des Marburger Hospitals durch die Landgrafen
ein neues Feld der Tätigkeit eröffnete, eher noch Papst
Gregor einiger Anteil an Konrads Entschlüsse zukommen :
ausschlaggebend ist ohne jeden Zweifel sein eigenster,
innerster Wunsch gewesen. Elisabeth, in deren Verehrung
hoch und niedrig, arm und reich einig sind, hat ihren
Schwager Konrad, dessen Seele empfänglich und bereits
gestimmt für einen solchen Schritt gewesen sein mag, zur
Nachfolge begeistert. In schwärmerischer Bewunderung
für sie hat Konrad gleich ihr den geistlichen Stand erkoren.
Ein unschätzbares Zeugnis für die Richtigkeit dieses ehren-
vollen Beweggrundes, der sich aus der damaligen religiösen
]) Siehe Cäsarius' Vita bei Börner, Neues Archiv XIII, 505. —
Über Konrads von Marburg Einfluß vgl. auch früher, S. 354. Vgl.
Kaltner, Konrad v. Marburg, S. 102, Kolbe, Erbauung der Elisabeth-
kirche, S. 13, und Mielke, Elisabeth, S. 14. Börner bezweifelt diesen
Einfluß im Neuen Archiv XIII, 469 Anm. 1 mit Unrecht.
394 Konrad, Landgraf von Thüringen, etc.
Zeitströmung unschwer verstehen läßt, enthalten die Worte
des Papstes Gregor, in denen er noch unter dem frischen
Eindruck der Kanonisation der Heiligen deren mächtigem
Einfluß auf den jungen Konrad begeistert Ausdruck ver-
lieh i). Er mußte in Konrads Gedanken und Gefühle, so-
weit sie Elisabeth und ihr Nachleben angehen, so einge-
weiht sein, wie kaum ein anderer. Auch weiterhin werden
wir in Konrads Leben Beispielen für eine schwärmerisch-
religiöse Veranlagung begegnen. Durch Erwählung des
geistlichen Standes wird aber auch seinem nunmehr voll-
jährigen Neffen Hermann ein wesentlicher Anteil an der
Regierung der Landgrafschaft. Diesen will Konrad dem
Sohne der Heiligen, deren Vorbild er folgt, nicht vorent-
halten ^), Aber auch der Tag seines Eintritts, die zum
dritten Male wiederkehrende Vigilie des angeblichen ^)
Todestages Elisabeths, ist ein beredtes Zeugnis für Kon-
rads Wunsch, den Tag seiner Einkleidung gleichsam der
Heiligen zu weihen.
1) Siehe den Brief Papst Gregors an die Königin Beatrix von
Kastilien in M. G. Epistolae saec. XIII., I, No. 643, und bei Do-
benecker 536.
2) Die nüchterne Erwägung Konrads, wie sie Wenck im Wart-
burgb. S. 216 annimmt, kann nicht maßgebend gewesen sein. Vgl.
auch Dobenecker in Z. Thür. G. N. F. XVIII, 414. — Vgl. Wenck
im Wartburgb. S. 206 f. und in: Sammlung gemeinverständlicher
Vorträge u. Schriften, Heft 52, Anm. 42, S. 56 über die Nachahmung
des Beispiels der Elisabeth durch vornehme Frauen des 13. Jahrh.
3) Für Elisabeths Todestag muß fälschlich der 19. November,
der Tag ihres Begräbnisses, angesehen worden sein. Auch Gregors
Bulle vom 1. Juni 1235 (Dobenecker 532, vgl. 533) gibt den 19. No-
vember als Todestag an. Vgl. Dobenecker 222 a.
(Fortsetzung folgt.)
X.
Die Generalvisitation Ernsts des Frommen im
Herzogtum Sachsen-Gotha 1641—1645.
Von
Lic. Fr. Waas, Pfarrer in Waldraichelbach (Odenwald).
(Fortsetzung.)
IL Die Yorbereitung der Yisitatioii clurcli die Prä-
l)arationsfrageii.
1. Die Landesteilung und ihre Folgen für Herzog Ernst.
Im Jahre 1638 starb Johann Ernst, Herzog von Eise-
nach, der seit dem Tode seines Bruders Johann Kasimir
von Coburg 1633 auch dessen Grebiete im Besitz hatte,
ohne direkte Nachkommen zu hinterlassen. Seine beiden
Fürstentümer fielen daher zum Teil der altenburgischen,
zum Teil der weimarischen Linie des sächsisch-ernestini-
schen Fürstenhauses zu. Durch den Teilungsvertrag zu
Altenburg (13. Februar 1640) erhielt die altenburgische
Linie Coburg, während Eisenach und Gotha der weimari-
schen Linie, also den Brüdern Wilhelm, Albrecht und Ernst
zufielen. Diese drei nahmen hierauf eine erbliche Landes-
teilung sowohl des weimarischen als des von Johann Ernst
ererbten Gebietes vor, durch die die Herzogtümer Weimar,
Eisenach und Gotha entstanden. Wilhelm erhielt Weimar,
Albrecht Eisenach und Ernst Gotha. Zu dem Gebiete
Ernsts gehörten außer Stadt und Amt Gotha die Stadt
Waltershausen und das Amt Tenneberg, die Amter Rein-
hardsbrunn, Georgenthal, Ichtershausen und Wachsenburg,
Schwarzwald, Tonndorf und die sequestrierte Hälfte des
Amtes Salzungen, sowie Stadt und Amt Königsberg in
396 Die Generalvisitation Ernsts des Frommen
Franken, außerdem eine große Anzahl adliger Ortschaften.
Am 9. April 1640 nahmen die drei Brüder die ihnen zu-
gefallenen Landesteile in Besitz, Ernst nahm schon am
folgenden Tage den Rat zu Gotha in Pflicht und befahl ihm,
das dortige Kaufhaus herzurichten und ihm zur einstweiligen
"Wohnung einzuräumen. Vorläufig bezog er das Schloß
Tenneberg bei Waltershausen, erst am 24. Oktober 1640
hielt er von dort aus seinen Einzug in Gotha i). Wegen
der unruhigen Kriegszeiten hatte man die geschlossene
Erbteilung einstweilen nur in den Hauptpunkten aufsetzen
lassen und die genauere Festsetzung der einzelnen Be-
stimmungen sich für später vorbehalten. Diese erfolgte
dann im folgenden Jahre durch den Hauptteilungsrezeß vom
12. September, durch den die Bestimmungen des Vertrags
von 1640 bestätigt und ergänzt wurden. Von den Fest-
setzungen dieses Rezesses ist für uns besonders wichtig,
daß die Brüder sich zu unbedingtem „Festhalten an der
unveränderten Augsburgischen Konfession und an der Kon-
kordienformel", sowie zur „Einführung einerlei geistlicher
und weltlicher Ordnungen in Konsistorial-, Kirchen-, Schul-,
Polizei- und Justizsachen" verpflichteten 2).
Die Landesteilung, die dem Herzog ein eigenes Gebiet
zu alleiniger selbständiger Verwaltung übergab , war für
sein Streben nach Besserung der Zustände in Kirchen und
Schulen von der allergrößten Bedeutung. Es muß für ihn
wahrhaft befreiend gewesen sein, daß er jetzt seine Ab-
1) Der Eisenacher Kanzler Simon Malsius verfaßte zur Teilung
zwischen Altenburg und Weimar wie auch zu der innerhalb der
weimarischen Linie zwei schwungvolle „Carmina gratulatoria", beide
deutsch und lateinisch, die er den drei fürstlichen Brüdern über-
reichte. Die beiden Carmina sind, fein säuberlich mit schwarzer und
roter Tinte geschrieben, vorhanden im Goth. Staatsarchiv XX 5, 4.
2) Näheres über den Rezeß siehe Beck, Ernst d. Fr., I, S. 223
— 240, ein Verzeichnis sämtlicher Orte, die Ernst durch den Rezeß
erhielt, siehe ebenda S. 208 — 211. Vgl. außerdem Gelbke, Ernst
d. Fr., I, S. 82—89, III, S. 30 f. ; Gebhardt, Thüringische Kirchen-
geschichte, II, S. 274f. ; Rudolph!, Gotha diplomatica, I, S. 57.
im Herzogtum Sachsen-Gotha 1641 — 1645. 397
sichten durchführen konnte ohne Rücksicht auf Männer, die
nicht von ihm selbst zu seinen Ratgebern bestellt waren
und die seinen Plänen dauernd passiven Widerstand ent-
gegensetzten. Sein erstes Bestreben war denn auch darauf
gerichtet, für die Durchführung seiner Reformen die nötigen
Werkzeuge zu finden, und wir müssen sagen, daß er es in
hervorragendem Maße verstanden hat, die richtigen Männer
an den richtigen Platz zu stellen. Unter den Theologen,
die er an seinen Hof berief, finden wir zunächst Brun-
chorst, der uns ja bereits aus den vorhergehenden Jahren
genügend bekannt ist. 1640 .berief ihn Ernst als Hof-
prediger und Konsistorialassessor nach Gotha, 1641 be-
gegnet er uns als Mitglied der Visitationskommission.
Neben Brunchorst ist es sodann vor allem S a 1 0 m 0 n
G 1 a ß , der dem Herzog in seinen Reformen zur Seite trat.
Glaß stand schon seit einer Reihe von Jahren in Verkehr
mit Ernst. Bereits in den dreißiger Jahren hatte ihn dieser
zu den Beratungen über das Kirchen- und Schulwesen in
Würzburg herangezogen, bei der Bearbeitung des Erne-
stinischen Bibelwerkes übertrug er ihm die Behandlung des
größten Teiles der poetischen Bücher des alten Testaments,
sowie des Evangeliums Johannis. Nach Johann Gerhards
Tod wurde er, einem Wunsche Gerhards selbst entsprechend,
als dessen Nachfolger nach Jena berufen (1638), und auch
in der Leitung der Herausgabe des Bibelwerkes trat er an
seine Stelle i). Doch sollte er nicht lange als Professor in
Jena verbleiben; bereits 1640 berief ihn Ernst auf Vor-
schlag des Geheimrats Hortleder zu Weimar und des da-
maligen Professors der Rechte in Jena, Zacharis Prüschenk
von Lindenhof, als Generalsuperintendent nach Gotha. Am
8. August 1640 begab er sich nach Schloß Tenneberg zu
Herzog Ernst und wurde von diesem sofort bei den Ver-
handlungen über das Visitationswerk zu Rate gezogen. Be-
reits im Februar hatte Ernst mit ihm über die Katechismus-
1) S. oben S. 115.
XXVIL 26
398 I^iß Generalvisitation Ernsts des Frommen
Übung korrespondiert; im Herbst begab sich Glaß sodann
nach Eisenach, um an den Beratungen zwischen den Theo-
logen Albrechts und Ernsts über ein etwaiges gemeinsames
Vorgehen bei der Visitation teilzunehmen. Wir besitzen
ein Schreiben des Herzogs an ihn vom 27. August 1640,
in dem er ihm mitteilt, daß in Eisenach eine Beratung über
das Visitationswerk und andere hochwichtige Sachen statt-
finden solle. Er fordert ihn auf, er solle sich „bei dem
Konsistorium einstellen, der vorhabenden Konsultation bei-
wohnen und auf die proponierten Punkte neben den Kon-
sistorialen sein Bedenken eröffnen" i). Glaß ist der Ver-
fasser des ausführlichen ersten Visitationsausschreibens, er
hat bei der Ausarbeitung der Visitationsfragen mitgewirkt,
auch bei den Schulreformen des Herzogs ist sein Einfluß
nicht zu verkennen, ebenso ist der Synodalschluß von 1645,
der den Abschluß des ganzen Visitationswerkes bildet, von
ihm verfaßt. Er war der geliebteste Schüler Johann Ger-
hards und noch mehr als dieser von durchaus praktischem
Interesse erfüllt. Eür seine Person war er den symbolischen
Bestimmungen treu, aber an dem theologischen Schulgezänk
seiner Zeit hatte er kein Gefallen. Er sah seine Aufgabe
mehr in der Erweckung wahrer Gottesfurcht und christ-
lichen Geistes als in dogmatischen Kontroversen. Er tadelte
das Kompendium Hutters, weil in ihm die theologischen
Schulbestimmungen einen zu großen Raum einnehmen und
darüber das „unum necessarium" vernachlässigt zu werden
drohe. Die Leidenschaft, mit der die theologischen Streitig-
keiten seiner Zeit geführt zu werden pflegten, war ihm
verhaßt. In dem synkretistischen Streit nahm er eine außer-
ordentlich milde und versöhnliche Haltung ein. Ohne seiner
Orthodoxie etwas zu vergeben und ohne sich selbst auf die
Seite von Georg Calixt zu stellen, versuchte er doch, ihm
eine gerechte und gemäßigte Beurteilung zuteil werden zu
lassen. Sein Symbolumwar: „Vera, non ficta fides salvat".
1) Goth. Kons.-Archiv, Loc. 19, No. 19.
im Herzogtum Sachsen-Gotha 1641 — 1645. 399
Er war von Johann Arndts „wahrem Christentum" beein-
flußt; wie hoch er ihn schätzte, zeigt aufs deutlichste sein
Ausspruch: „Wer Arndt nicht liebt, muß den geistlichen
Appetit verloren haben." Er war einer der Männer, die
im 17. Jahrhundert das praktische Christentum hochhielten,
und wir sagen wohl nicht zu viel, wenn wir ihn als einen
Vorläufer und Gesinnungsgenossen Speners bezeichnen ^).
Aus dem Kreise von Nichttheologen, die Ernst in seine
Umgebung zog, seien erwähnt der Kanzler Franzke, der
Hofrat Johann Michael Strauß, der Kammerjunker Hans
Kaspar v. Miltitz 2) und der Rektor Andreas Reyher. Die
Stelle eines Kanzlers in den beiden Fürstentümern Eise-
nach und Gotha wurde zunächst von Simon Malsius
versehen. Dieser nahm an den vorbereitenden Verhand-
lungen über das Visitationswerk teil und war Mitglied der
Kommission, die zur Visitation des Gymnasiums in Gotha
bestimmt wurde. Er blieb in seinem Doppelamt indessen
nur bis zum Sommer 1641 ^). Von da an beschränkte sich
seine Tätigkeit auf das Herzogtum Eisenach, zum Kanzler
für Gotha wurde dagegen Georg Franzke bestimmt.
Ernst hatte bereits in Weimar Gelegenheit gehabt, diesen
tüchtigen, geschickten und frommen Mann kennen zu lernen.
Denn bereits seit 1633 bekleidete Franzke das Amt eines
weimarischen Rates und nahm als solcher auch an den
Verhandlungen des Jahres 1636 (vgl. oben S. 95) teil. Er
vermittelte den Teilungsvertrag zwischen Wilhelm, Albrecht
und Ernst und trat bald darauf als Geheimer Rat, Kanzler
und Präsident des Konsistoriums in Ernsts Dienste. Er
1) Über Glaß vergl. Gelbke, Ernst d. Fr., II, S. 238 ff.;
AUgem. deutsche Biographie, IX, S. 218 f.; RE ^ VI, S. 671—674;
Tholuck, Lebenszeugen der luth. Kirche, S. 53ff. ; ders., Das
akademische Leben des 17. Jahrb., II, S. 62.
2) Über Strauß vergl. Beck, II, S, 66; Gelbke, Kirchen-
und Schulverfassung im Herzogtum Gotha, I, S. 103; über Miltitz
Beck, II, S. 46; Gelbke, I, S. 104.
3) Vgl. Beck, I, S. 502. 506; II, S. 44. Dort Näheres über
Malsius.
26*
400 I^iß Generalvisitation Einsts des Frommen
wurde von diesem häufig zu wichtigen Gesandtschaften be-
nutzt und hat sich auch um die Durchführung des Visi-
tationswerkes verdient gemacht. Er war nahe befreundet
mit Calixt und entbehrte nicht eines regen theologischen
Interesses. Er beschäftigte sich viel mit theologischen Stu-
dien und gab auch zwei Bändchen religiöser Lieder heraus i).
Neben Franzke kommen noch in Betracht die beiden welt-
lichen Mitglieder der Visitationskommission , Johann
Michael Strauß und Hans Kaspar v. Miltitz. Der
erstere, weilte schon seit 1619 als Regierungsrat in Gotha;
1641 ernannte ihn Ernst zum Hof- und Konsistorialrat,
sowie zum Direktor (Vizepräsident) des Konsistoriums. Der
letztere befand sich bereits seit 1637 in der Umgebung
Ernsts, so daß dieser seine Tüchtigkeit zur Genüge erprobt
hatte, als er ihn mit sich nach Gotha nahm. Von be-
sonderer Wichtigkeit aber für die Wirksamkeit des Her-
zogs wurde Andreas Reyher, den Ernst von Schleu-
singen zum Rektor des Gymnasiums nach Gotha berief.
Er setzte das Werk der Schulreform fort, das Evenius be-
gonnen hatte, er wurde nicht nur der Reorganisator des
Gymnasiums zu Gotha und der Verfasser des Schulmethodus,
sondern der Gehilfe des Herzogs bei allen seinen pädagogi-
schen Unternehmungen.
So sehen wir in der Umgebung Ernsts eine Reihe von
bedeutenden Theologen, Schulmännern und Juristen tätig,
alle seine Gesinnungsgenossen und seine Gehilfen bei seinen
Bestrebungen, alle wie er erfüllt von dem Gedanken der
Notwendigkeit einer Reform in Kirchen und Schulen und
getragen von der Überzeugung, daß alles tote Gedächtnis-
werk und alles bloße Betonen der Lehre nichts nützt, wenn
nicht der rechte lebendige Glaube dazukommt. Wie sehr
es dem Herzog darum zu tun war, die leitenden Stellen in
1) Beck, Ernst d. Fr., II, S. 22; Gelbke, Ernst d. Fr., II,
S. 226 ff.; Tholuck, Lebenszeugen, S. 63. — Vgl. auch Galletti,
Gesch. u. Beschreibung des Herzogtums Gotha, II, S. 277; Gelbke,
K.- u. Sch.-Verf., I, S. 102. 190. 219.
im Herzogtum Sachsen-Gotha 1641 — 1645, 401
seinem Lande mit tüchtigen Männern zu besetzen, sehen
wir aus einem Schreiben an Georg Calixt (13. Juni 1640),
in dem er diesen um Auskunft über eine Anzahl Theologen
und Juristen bittet, die er in sein Land zu ziehen beab-
sichtigte. Calixt gab auf die Bitte des Herzogs hin ein
mehr oder weniger ausführliches Gutachten ab, doch ist
keiner von den Männern, die hier erwähnt werden, tatsäch-
lich in Ernsts Dienste getreten i). Auch Meyfart in Erfurt
wurde von Ernst zu Rate gezogen ; so soll Revher auf seine
Veranlassung zum Rektor nach Gotha berufen worden sein.
Indessen die Pläne des Herzogs gingen noch weiter; wie
wir hören, beabsichtigte er, auch Johann Schmid in Straß-
burg und Johann Valentin Andreae in sein Land zu ziehen;
doch führten die Verhandlungen mit diesen Männern zu
keinem Ziel.
Aber nicht nur in seiner nächsten Umgebung sorgte
Ernst für tüchtige Leute, sondern auch sonst im ganzen
Land. Es ist auffallend, ein wie großer Wechsel in der
Besetzung der Pfarrstellen gerade im Jahre 1640 eintrat.
Stellen, die vorher der Kriegsunruhen wegen unbesetzt
waren, wurden entweder neu besetzt oder den Nachbar-
geistlichen zur Mitverwaltung übergeben, tüchtige Pfarrer
wurden an andere Stellen befördert und so für eine geordnete
Versehung des Pfarrdienstes im ganzen Land Sorge getragen.
Hand in Hand mit diesen Bemühungen ging auch die
Vorbereitung für die Visitation. Aus dem oben erwähnten
Schreiben an Calixt geht hervor, daß sich Ernst auch wegen
der Visitation an ihn gewandt hat. Er bat Calixt darum,
ihm alles zuzusenden, was bereits im Braunschweigischen
wegen einer Kirchenvisitation entweder durch den Druck
veröffentlicht oder sonst schriftlich aufgesetzt war. Calixt
übersandte dem Herzog daraufhin auch einige Druckschriften,
mußte aber zugleich bekennen, daß das Visitationswei'k im
Braunschweigischen „wegen stetiger Unruhe und obliegen-
1) Kons.-ArcMv zu Gotha, Loc. 29 b, No. 14.
402 -Die Generalvisitation Ernsts des Frommen
den anderen hochwichtigen Geschäften" völlig ins Stocken
geraten war. Unter den übersandten Druckschriften ist für
uns von besonderer Wichtigkeit ein Ausschreiben an die
Pfarrer, das sie auffordert, innerhalb 4 Wochen einen Be-
richt über bestimmte Fragepunkte einsenden zu wollen.
Die Beantwortung dieser Fragepunkte ist, ebenso wie nach-
her in Gotha, als Vorbereitung zur Visitation, nicht
als wesentlicher Bestandteil derselben gedacht, doch beträgt
die Zahl der Fragen hier nicht wie in Gotha gegen 300,
sondern nur 7. Trotzdem läßt sich eine Beziehung zwischen
beiden darin finden, daß beidesmal vor der Visitation
schriftliche Berichte eingefordert werden und daß in beiden
Ausschreiben hierfür der Ausdruck „praeparatoria" ge-
braucht wird.
2. Das Ausschreiben vom 5. Januar 1641 und die dazu
gehörigen Fragen.
Durch die Landesteilung war der Rivalität zwischen
Kromayer und den Ratgebern Ernsts wenigstens teilweise
ein Ende gemacht. Eine Visitation wurde zwar in allen
drei Gebieten vorgenommen, doch ging Weimar dabei unter
Führung Kromayers eigene Wege, während Eisenach und
Gotha gemeinschaftliche Sache machten. Albrecht folgte
vollständig den Visitationsplänen von Ernst und Salomon
Glaß, Der Versuch, auch Weimar zu gemeinsamem Vor-
gehen zu veranlassen, der auf einer am 7. und 8. August
1640 in Weimar abgehaltenen Konferenz unternommen
wurde, scheiterte. Wilhelm zögerte noch immer und ver-
anlaßte dadurch seine beiden Brüder, auf eigene Faust in
ihren Gebieten vorzugehen ^). Es kommen daher für uns
von jetzt an nur noch Eisenach und Gotha in Betracht.
Hier wird jetzt endlich das Visitationswerk energisch in
Angriff genommen. Glaß setzte bereits Anfangs September
auf Befehl der beiden Herzöge das Ausschreiben zu dem
1) Zeitschr. d. Ver. Thür. Gesch. u. Altert., N. F. X, S. 427.
im Herzogtum Sachsen-Gotha 1641 — 1645. 403
Visitationswerk auf und übersandte es diesem am 11. Sep-
tember 1640, indem er ihnen anheimstellte, etwaige Ände-
rungen und Verbesserungen darin anzubringen. Albrecht
und Ernst übergaben es darauf dem Kanzler Simon Malsius
zur Begutachtang. Malsius war ganz begeistert von dem
Entwurf; er schreibt an Herzog Ernst, er habe das fürst-
liche Schreiben samt dem von Salomon Glaß aufgesetzten
Patent „mit untertäniger Reverenz empfangen, mit Fleiß
durchlesen und dermaßen geistreich, auch in anderen Forma-
lien also beschaffen befunden, daß er nicht allein darin
nichts zu insinuieren, zu verändern und zu verbessern ge-
wußt, sondern vielmehr deswegen eine sonderliche Beliebung
gehabt" habe i). Gleichzeitig mit diesem Ausschreiben waren
auch eine Anzahl Fragen aufgesetzt worden, auf die die
Pfarrer und Gerichtsherren schriftlich antworten sollten.
Es ist nicht sicher, ob auch diese auf Salomon Glaß zurück-
zuführen sind. Sowohl das Ausschreiben wie die „Visi-
tationsartikel" wurden den Konsistorien vorgelegt und fanden
hier volle Zustimmung. Noch Anfangs Dezember wurde
alles in Druck gegeben, auf Wunsch von Malsius gab man
die Fragen an die Pfarrer und die an die Beamten ge-
trennt heraus, „damit die Beamten nicht von den Unter-
tanen, die Pfarrer aber nicht von den Pfarrern et vice
versa schimpfiert werden möchten", sodaß wir also folgende
drei Drucke zu unterscheiden haben :
1) Des Durchlauchtigen / Hochgebornen Fürsten vnd
Herrn / Herrn Ernstens ^) J Hertzogens zu Sachsen / Jülich /
Cleve vnd Berg / pp, Landgraffens in Düringen / Marg-
graffens zu Meißen / Graffens zu der Marck vnd Ravens-
burg / Herrns zu Ravenstein / etc. Ausschreiben /
Wie es bey der General Visitation in I. F. Gn. Fürsten-
thumb / bey Geist: vnd Weltlichen Ständen / Städten /
1) Kons.-Archiv zu Gotha, Loc. 19, No. 19. Schreiben des
Simon Malsius vom 22. Sept. 1640. — In demselben Aktenband
siehe auch alle anderen hierhergehörigen Akten.
2) bezw. in dem eisenachischen Ausschreiben: Albrechts.
404 Die Generalvisitation Ernsts des PVommen
Bedienten / Pfarrkindern / Vnterthanen vnd Einwolinern /
praeparatorie gehalten werden soll.
2) Verzeichnüss Etzlicher Articul / darauff die Pfarrer in
Städten vnd Dörffern gründlichen Bericht einschicken sollen.
3) Verzeichnüss Etzlicher Articul / darauff die Ge-
richtsherrn vnd Beampte in Städten vnd Dorf fern gründ-
lichen Bericht einschicken sollen.
Alle drei Schriften sind „Gedruckt zu Erffurt / bey
Friederich Melchior Dedekinden / der Universität daselbst
bestelltem Buchdrucker / Im Jahr Christi / M-DCXL."
Sie wurden am 5. Januar 1641 den Pfarrern und Gerichts-
herren zugestellt.
Die erste der drei genannten Schriften, das fürst-
liche Ausschreiben, ist für uns deshalb von be-
sonderer Wichtigkeit, weil es uns aufs deutlichste die An-
schauungen des Herzogs über die Lage der Kirche und über
die Visitation zeigt. Es gibt uns einen deutlichen Begriff
davon, warum er eine Visitation für notwendig hielt und
was er von ihr erwartete. Es ist sehr ausführlich, aber so
charakteristisch, daß ich mir nicht versagen kann, etwas
genauer auf seinen Inhalt einzugehen. Es wurde in zwei
Rezensionen verbreitet, einer eisenachischen und einer
gothaischen, die völlig gleichlautend waren und sich nur
durch die Namen der Fürsten und der Hauptstädte unter-
schieden 1).
1) Das Ausschreiben hat mir in 3 Exemplaren vorgelegen :
eins ist im Haus- und Staatsarchiv zu Weimar aufbewahrt und
trägt die Bezeichnung: „Aus B 2891'. Es hat am Ende das hand-
schriftlich ausgefüllte Datum: Gotha, am 15. Dec. anno 1640.
Die beiden anderen finden sich im Gothaer Staatsarchiv,
das eine in dem Band KK 7, I unter No. 2, ohne Datum, das
andere KK XX, No. 14, mit dem Datum: 5. Januar 1641. Alle
3 Exemplare sind Abdrucke des gothaischen Ausschreibens, ein
eisenachisches Exemplar hat mir nicht vorgelegen. Auf das Eise-
nacher Ausschreiben weist die handschriftliche Bemerkung auf der
Vorderseite des weimarischen Exemplares: „Dergleichen Tenor Man -
dati ist zu Eisenach auch ausgangen." — Ein geschriebener Entwurf
im Herzogtum Sachsen-Gotha 1641—1645, 405
Das erste, was jedem Leser des Ausschreibens sofort
auffallen muß, ist die Unmenge von Stellen aus der Bibel,
namentlich aus den Propheten des Alten Testaments, die uns
hier auf Schritt und Tritt begegnen. Den weitaus größten
Raum nehmen Zitate ein, und wir verstehen den Vorwurf
wohl, der später gegen das Ausschreiben erhoben wurde,
es sei mehr einer Predigt als einem fürstlichen Schreiben
gemäß. Auffallend ist nun hier das gänzliche Zurücktreten
des Neuen Testaments gegenüber dem Alten. Denn unter
den 67 Bibelstellen, die am Rande angeführt sind und von
denen die meisten vollständig zitiert werden, sind nicht
weniger als 51 den Propheten entnommen, 7 stammen aus
den geschichtlichen Büchern des Alten Testaments, 5 aus
den Psalmen und nur 4 aus dem Neuen Testament. Und
auch diese neutestamentlichen Stellen tragen (außer Act.
20 2 8 »die Gemeinde Gottes, welche er durch sein eigen
Blut erworben hat"), keinen spezifisch neutestamentlichen
Charakter. Es sind außer der erwähnten die Stellen Rom.
des Ausschreibens, der mit dem gedruckten Schreiben fast ganz wört-
lich übereinstimmt, findet sich imKonsistorialarchiv zu Gotha,
Loc. 19, No. 19. Dieser trägt als Überschrift die Bezeichnung:
( Albrecht ) , ^ .
Wir [ prnst ( ' ' ' Unterschrift lautet nur : Albrecht. Er ist
datiert Eisenach, den 9. November 1640. — Die Datierung des
Ausschreibens auf den 15. Dezember 1640, die sich bei Kudolphi,
Goth. dipl., I, S. 58, und Brückner, Goth. Kat.-Historie S. 50, findet,
ist insofern nicht richtig, als seine Zusendung an die beteiligten Per-
sonen erst am 5. Januar 1641 erfolgte. Noch weniger richtig aber
ist es, wie Bohne S. 113, 115 tut, von zwei Ausschreiben, vom 15. De-
zember und 5. Januar, zu sprechen. Es ist nur ein Ausschreiben
vorhanden, dieses mag am 15. Dezember im Druck erschienen sein
zugesandt wurde es den Adressaten jedoch erst am 5. Januar. Das
beweisen die Empfangsbescheinigungen und die Antworten der Pfarrer,
in denen wiederholt der 5. Januar als Datum des Ausschreibens an
gegeben wird (Kons.-Archiv, Loc. 18, No. 2 ; Loc. 19, No. 19. 22. 23)
das Begleitschreiben des S. Glaß, das ebenfalls vom 5. Januar
datiert ist, und sonstige Notizen in den Akten (vgl. unten S. 416).
406 Die Generalvisitation Ernsts des Frommen
^2 0-2 3^)) *^^®) ^^^ ^®^ Zusammenhang herausgenommen,
zu einem Vorwurf gegen die Prediger gebraucht wird,
2. Thess. ^10-12 (>i darum, daß sie die Liebe zur Wahr-
heit nicht haben angenommen . . . darum wird ihnen Gott
kräftige Irrtümer senden" . . .) und 2. Tim. 2 jg, ein Vers,
aus dem nur ein ganz kurzes Wort angeführt wird. So
trägt auch die Frömmigkeit des Ausschreibens einen ganz
alttestamentlichen Charakter. Es ist eine ganz andere Luft,
die uns hier entgegenweht, als die des Neuen Testaments.
Der Gedanke des zürnenden, vergeltenden, strafenden Gottes
steht durchaus im Vordergrund: Gott zürnt über unsere
Sünden, deshalb hat er uns all dieses Unglück, diese Kriegs-
not, Verwüstung, Hunger und Pest gesandt. Wollen wir
haben, daß das alles aufhört, so müssen wir vor allem den
Grund wegschaffen, weshalb der Herr zürnt; wir müssen
Buße tun von Grund unseres Herzens, dann wird sich Gott
unser erbarmen und die Kriegsnot abwenden. Das sind
Gedankengänge, wie sie uns zur Zeit des 30-jährigen Krieges
hin und wieder begegnen und die auch im „Missive" des
Evenius anklingen. Es ist die altisraelitische, besonders
stark von den Propheten vertretene Anschauung von dem
Zusammenhang zwischen Schuld und Unglück, die uns hier
entgegentritt. Die Situation ist genau die gleiche wie zu
den Zeiten der alten Propheten : das „Volk Gottes" ist von
Peinden umringt und aufs schwerste bedrängt, und diese
Situation wird auch genau so beurteilt wie in Alt-Israel :
„Das ist dein Zorn, daß wir so vergehen, und dein Grimm,
daß wir so plötzlich dahin müssen." Fragen wir nun,
warum denn Gott so furchtbar zürnt, so finden wir hier
Gedanken, die den im Sendschreiben des Evenius und in
den „Mängeln, Ursachen und Bemediis" ausgesprochenen
völlig parallel sind. Der Grund für den Zorn Gottes ist
nicht in der falschen Lehre zu suchen. Denn die Lehre
1) „Du lehrest andere, und lehrest dich selber nicht; du pre-
digest, man solle nicht stehlen, und du stiehlest; du sprichst, man
solle nicht ehebrechen, und du brichst die Ehe ..."
f
im Herzogtum Sachsen-Gotha 1641 — 1645. 407
ist, wie ausdrücklich betont wird, klar und hell genug durch
Grottes Gnade vorhanden, „das Wort des Allerhöchsten, so
in den Schriften der heiligen Propheten und Apostel ver-
fasset, wird rein und unverfälscht vorgetragen und ge-
predigt". Grund für den Zorn Gottes sind vielmehr die
vielen Sünden und Gebrechen in allen drei Ständen: die
mangelhafte Erfüllung der Amtspflichten im
geistlichen Stande und bei der Obrigkeit, die „schrecklich
grobe Unwissenheit in der heilsamen Lehre des
göttlichen Worts und heiligen Catechismi als auch das
daraus entspringende überhäufte sündliche Greuel-
wesen" in dem „gemeinen Haus- und Civilstand". Des-
halb kommt es darauf an, umzukehren und Buße zu tun,
damit das gottlose Wesen, wenn nicht ganz, so doch so viel
als möglich, gedämpft und gelöscht werde. Es muß eine
ernstliche durchgehende starke Reformation eintreten, aller-
dings nicht eine Reformation der Lehre — die ist unnötig
— sondern eine, solche des Lebens. Das Böse muß ab-
geschafft, das Gute und alle Gottseligkeit dagegen ange-
schafft werden. Sonst ist zu befürchten, daß Gott der Herr
uns sein heiliges reines Wort entziehe und Deutschland
dieses teuren edlen Schatzes beraube, wie schon an vielen
Orten die Exempel vor Augen stehen ! Zu diesem heilsamen
und nützlichen Reformationswerk sind aber vor allem die
christlichen Obrigkeiten berufen und verpflichtet, und ein
Hauptmittel, dessen sie sich dabei zu bedienen haben, sind
die Visitationen. Deshalb soll auch in unserem Lande
eine Visitation gehalten werden, die sich vor allen Dingen
auf folgende drei Punkte zu erstrecken hat:
1) die grobe Unwissenheit im Verstände der göttKchen
Lehre des Catechismi:
2) die Fehler und Mängel in schuldiger Amtsgebühr;
3) die sonderbaren strafbaren Laster.
Diese drei Punkte zeigen uns aufs deutlichste, worauf
es dem Herzog bei seiner Visitation ankam, Sie kehren
auch in späteren Ausschreiben wieder, und sie sind es, auf
408 -Die Generiüvisitation Ernsts des Frommen
die sowohl in den Präparationsfragen als bei der eigent-
lichen Visitation der Hauptnachdruck gelegt worden ist.
Gleichzeitig mit diesem Ausschreiben wurden auch die
Fragen an die Pfarrer, sowie die an die Gerichts-
herren und Beamten abgeschickt i). Beide sollen inner-
halb 4 Wochen einen genauen Bericht über diese Fragen
einschicken und dabei ihr Augenmerk vor allen Dingen
auf die drei genannten Punkte richten.
Betrachten wir diese „Articul" nun etwas näher, so
erhebt sich zuerst die Frage nach ihrer Herkunft. Sind
sie völlig selbständig gearbeitet oder gehen sie auf eine
oder mehrere Vorlagen zurück ? In dieser Hinsicht gibt uns
bereits das Ausschreiben des Herzogs einen deutlichen
Fingerzeig, wenn er sagt, gegenwärtige Visitationsartikel
seien „aus der in diesen Landen und Fürstentum einge-
führten Coburgischen Kirchenordnung meistenteils ge-
1) Die Fragen an die Pfarrer sind in Gotha vreder im
Staatsarchiv noch im Konsistorialarchiv vorhanden. In dem Band
KK 7, I des ersteren, der sowohl das Ausschreiben wie die Fragen
an die Gerichtsherren enthält, finden wir im Eepertorium unter
No. 3 zwar auch das „Verzeichnis etzlicher Articul, darauf f die
Pfarrer in Städten vnd Dörffern grüodiichen Bericht einschicken
sollen", angegeben, aber in dem Band selbst fehlt es. Nur das
weimarische Archiv enthält ein Exemplar unter der Be-
zeichnung: „Aus B 2891". Besser steht es mit den Fragen an
die Gerichtsherren. Diese finden wir im Goth. Staatsarchiv
KK 7, I unter No. 2, sowie im Konsistorialarchiv Loc. 19, No. 23.
Sie sind außerdem abgedruckt bei Beck, a. a. 0. II, S. 130 — 132.
(Vgl. I, S. 431 unter „Besserung des Gerichtswesens" ! !) — Außer
diesen Drucken haben wir noch einen Entwurf zu diesen Fragen in
zwei gleichlautenden Exemplaren, nämlich im Staatsarchiv XX 5, 5
und Konsistorialarchiv Loc. 19, No. 19. Der Entwurf unterscheidet
sich von der endgültigen Form zunächst dadurch, daß die Fragen
an Pfarrer und Gerichtsherren nicht getrennt, sondern zu einem
Schriftstück vereinigt sind. Außerdem aber fehlen in dem Entwurf
einige Fragen, die wir in den gedruckten Exemplaren finden. Die
Gesamtzahl der Fragen an die Pfarrer beträgt im Entwurf 235, im
Ausschreiben 273 (bei anderer Zählung je 3 mehr), die Zahl der
Fragen an die Gerichtsherren 46 bez. 55.
im Herzogtum Sachsen-Gotha 1641 — 1645. 409
nommen und mit etzlichen Spezialpunkten illustrieret und
vermehret worden". Ein Vergleich mit der Kirchenordnung
zeigt in der Tat, daß eine gewisse Verwandtschaft zwischen
den Präparationsfragen und den Visitationsfragen der
Kirchenordnung (Buch II, Kap. 24) nicht zu verkennen ist.
Die Reihenfolge und Benennung der Kapitel stimmt in
beiden in weitgehendem Maße überein, einzelne Fragen der
Präparationsartikel sind der Casimiriana wörtlich ent-
nommen 1). Aber die Verwandtschaft zwischen beiden ist
doch bei weitem nicht so groß, wie mau nach der ange-
führten Stelle des Ausschreibens annehmen könnte. Ja die
Selbständigkeit der Fragen gegenüber der Kirchenordnung
ist viel größer als ihre Abhängigkeit von ihr. Von den
273 Fragen an die Pfarrer stimmen nur 24 wörtlich oder
nahezu wörtlich mit dieser überein, andere sind dem Inhalt
nach verwandt, die meisten aber sind ganz unabhängig von
ihr. Es ist eigentümlich, wie in den Kapiteln, die hier wie
dort dieselbe Überschrift tragen , der Inhalt der Fragen
häufig ganz verschieden ist. Es hat oft den Anschein, als
ob die Fragen der Kirchenordnung mit Absicht vermieden
und andere an die Stelle gesetzt wären 2).
1) Vgl. z. B. die Kapitel von der Beichte, von den Hochzeiten,
vom Pfarr- und Kircheneinkommen, von Schulen.
2) Beispiele dafür lassen sich in großer Zahl anführen. So
wird in dem Artikel „Von Begräbnissen" in der Kirchenordnung nach
dem Begräbnisplatz und den Gräbern gefragt, die Präparationsfragen
beschäftigen sich außer mit dem Hergang beim Begräbnis (auf den
sich allerdings auch in der Kirchenord nung eine Frage bezieht) mit
den Begräbnisraahlzeiten. ,,Von Predigten" handeln in der Kirchen-
ordnung 2 Fragen, die der Pfarrer, und 11, die die Gemeinde zu
beantworten hat. Doch zeigen diese Fragen kaum eine Verwandt-
schaft mit den 12 Fragen unserer ,,Articul". Die Kirchenordnung
hat einen ausführlichen Artikel, „Von Glaubensbekenntnis, Leben und
Wandel der anbefohlenen Zuhörer" (33 Fragen), in dem besonders
eifrig nach der Sonntagsheiligung und dem Besuch des Gottesdienstes,
nach Zauberei und Gotteslästerung, sowie nach dem ehehchen Leben
gefragt wird. Die Präparationsfragen behandeln in den Artikeln
„Von öffentlichen Sünden und Ärgernissen" und „Von Eltern und
410 Die Generalvisitation Ernsts des Frommen
Überall sehen wir eine eigentümliche Mischung von
Abhängigkeit und Selbständigkeit, bei der die Selbständig-
keit aber bedeutend überwiegt.
Wir können dieses eigentümliche Verhältnis nur er-
klären, wenn wir den andersartigen Zweck der Fragen in
der Kirchen Ordnung und hier in Betracht ziehen. Dort
haben wir die Fragen für die jährliche Spezial Visitation,
hier für die einmalige Generalvisitation. Dort werden
die Fragen bei der Visitation selbst gestellt und münd-
lich beantwortet, hier tragen sie einen durchaus vor-
bereitenden Charakter. Sie bilden noch nicht die eigent-
liche Visitation, sondern sollen nur ein vorläufiges Bild der
Zustände und Verhältnisse in den Gemeinden geben, an
das die eigentliche Visitation nachher anknüpfen kann. Sie
rechnen stets mit dem nachfolgenden mündlichen Verhör,
während sie selbst schriftlich zu beantworten sind.
Dieser vorbereitende Charakter der Fragen bedingt nun
auch ihr eigentümliches Verhältnis zur Casimiriana. Be-
trachten wir die Instruktion vom 13. November 1641, die
das Verfahren bei der eigentlichen Visitation regelt und die
hier zu stellenden Fragen enthält, so sehen wir hier ganz
im Gegensatz zu den Präparationsartikeln eine außerordent-
lich weitgehende Verwandtschaft mit der Casimiriana. Die
Instruktionsfragen sind, besonders in ihrem zweiten Teil,
nichts anderes als eine Erweiterung der Fragen der Kirchen-
Hausherrn" ähnhche Dinge, doch in vöUig anderer Weise. Sonntags-
heiligung, Besuch des Gottesdienstes und Gotteslästerung kommt hier
fast gar nicht vor, der Artikel „Von Eltern und Hausherrn" be-
handelt viel mehr das Verhältnis der Eltern zu den Kindern als das
der Ehegatten zueinander. Katechismus und Kinderlehre haben in
der Kirchenordnung bei den Fragen an den Pfarrer überhaupt keine
Stelle, während sie in den Präparationsfragen ausführlich behandelt
werden; unter den Fragen der Kirchenordnung an die Gemeinde
finden sich allerdings 5 ,,vom Catechismo" , doch ist keine von
diesen wörtlich in die Präparationsfragen übergegangen , und nur
eine stimmt dem Inhalt nach mit einer der Fragen Herzog Ernsts
überein.
im Herzogtum Sachsen- Gotha 1641 — 1645. 411
Ordnung. Und auf die später abzuhaltende Visitation hatte
man schon bei der Ausarbeitung der vorbereitenden Fragen
sein Augenmerk gerichtet: die Fragen der Casimiriana
sollten erst später gestellt werden, jetzt kam es darauf
an, einige andere Dinge, die dort nicht vorgesehen waren,
zu ergründen. Daher die Verschiedenheit von der Kirchen-
ordnung, daher die eigentümliche Erscheinung, daß unter
denselben Überschriften oft ganz verschiedene Dinge be-
handelt werden, daher aber auch die stellenweise Überein-
stimmung, die sich daraus erklärt, daß es nicht immer mög-
lich war, die Fragen der Casimiriana ganz zu umgehen.
Dieses Verhältnis zur Kirchenordnung wird noch be-
sonders deutlich, wenn wir statt der endgültigen Form der
Fragen uns den Entwurf dazu ansehen. Der Entwurf
hat 38 Fragen weniger als die „Articul". Von diesen 38
Fragen sind aber nicht weniger als 20 wörtlich oder nahezu
wörtlich, 4 dem Sinne nach der Casimiriana entnommen.
Ziehen wir nun in Betracht, daß von den 273 Fragen in
der endgültigen Form der Artikel nur 24 wörtlich mit der
Kirchenordnung übereinstimmen, so sehen wir, daß in dem
Entwurf das Prinzip, die Fragen der Casimiriana zu ver-
meiden und einer späteren Beantwortung vorzubehalten,
fast ganz rein durchgeführt war. Die endgültige Form ist
entstanden durch Hinzufügung von Fragen, die größtenteils
aus der Casimiriana stammen, zu dem Entwurf. Es ist
also nicht so, daß die Fragen „der Kirchenordnung ent-
nommen und mit etzlichen Spezialpunkten illustriert und
vermehrt worden" sind. Vielmehr ist es gerade umgekehrt :
erst waren die Spezialpunkte da, zu diesen wurden dann
Ergänzungen aus der Kirchenordnung gemacht. Die Ver-
teilung der Fragen auf Präparation und eigentliche Visi-
tation erklärt sich nicht durch die Reflexion darauf, welche
Fragen sich mehr zu schriftlicher und welche mehr zu
mündlicher Beantwortung eignen, sondern durch die Rück-
sicht auf die Kirchenordnung.
Die Selbständigkeit gegenüber der Casimiriana schließt
412 Die Generalvisitatiou Einsts des Frommen
nun an sich nicht aus, daß die Fragen vielleicht von einer
anderen Kirchenordnung oder von bestimmten Entwürfen
und Vorarbeiten abhängig sind. Aber ich habe nichts der-
gleichen konstatieren können. Die Verwandtschaft mit der
Kirchenordnung des Kurfürsten August von Sachsen (1580,
2. Aufl. 1618) erstreckt sich nur auf solche fragen, die
dieser und der Casimiriana gemeinsam sind ; ebensowenig
läßt sich eine deutliche Abhängigkeit von früheren Visi-
tationsinstruktionen oder sonstigen Vorarbeiten i) feststellen.
Auch die Ordnungen im zweiten Buch der Casimiriana,
Kap. 6 — 22, bilden keine Quelle für die Präparationsfragen;
diese stehen vielmehr allen früheren Entwürfen und Vor-
arbeiten im wesentlichen selbständig gegenüber.
Diese Unabhängigkeit der Fragen gegenüber früheren
Ordnungen verleiht ihnen auch ihren besonderen Charak-
ter. Eine Neuerung gegenüber früheren Visitationen und
Kirchenordnungen ist es zunächst, daß von den Pfarrern hier
verlangt wird, ein genaues Register der ihnen an-
vertrauten Zuhörer mit Angabe der Familienverhält-
nisse, des Alters und Berufes jedes einzelnen aufzustellen.
Weder in der kursächsischen Kirchenordnung von 1580
noch in der Casimiriana ist von derartigen „Seeleuregistern"
die Rede. Auch igt mir nicht bekannt geworden, daß bei
Gelegenheit irgend einer früheren Visitation von den Pfarrern
verlangt worden wäre, solche aufzustellen und zu führen.
Evenius (in seinem Sendschreiben von 1634) und Schmid (in
seinem G-utachten von 1636) sprechen zwar von der Pflicht
des Pfarrers, Hausbesuche zu machen und für häusliche Ein-
übung des Katechismus zu sorgen, aber daß zu diesem Zweck
ein Seelenregister angefertigt werden soll, verlangen sie nicht.
Erst im Pietismus wurde es Sitte, solche Register zur Be-
aufsichtigung der Pfarrkinder und Erleichterung der Seel-
sorge anzulegen. Die einzige Spur einer ähnlichen Ein-
1) Vgl. die „Mängel, Ursachen und Eemedia", oben S. 95 ff.;
die Fragen der Spezialvisitation im Amt Weimar, S. 122—125;
Kromayers Fragen von 1639, S. 125 f., und von 1640, S. 126 f.
im Herzogtum Sachsen -Gotha 1641—1645. 413
richtung in lutherischen Landeskirchen aus v o r pietistischer
Zeit finden wir in Hessen-Darmstadt, In der „Ord-
nung von fleißiger Übung des Catechismi" des Landgrafen
Georg II. wird die reformierte Einrichtung des Hausbesuches
auch in der lutherischen hessen-darmstädtischen Landes-
kirche eingeführt und zur Erleichterung dieser Hausbesuche
ebenfalls nach reformiertem Vorbild bestimmte „Seniores"
oder Presbj^ter bestellt ^). Einem jeden von diesen Senioren
sollen bestimmte Gassen oder Häuser zugeordnet werden,
die er zu beaufsichtigen hat. Damit er aber diese Auf-
sicht desto besser ausüben kann, soll „ein jeder Senior
einen Catalogum aller derer Seelen, so in den ihm zu-
geordneten Häusern und Bezirk befindlich sind und ihrer
aller Namen, auch wie alt ein jeglicher? was sein Tun und
Amtsgeschäfte seien? aufgezeichnet haben, und wann er
selbst nicht lesen könnte, das Verzeichnis von dem Pre-
diger oder auch von den dazu tüchtigen Mitsenioren ihm
vorlesen, und wann etliche Personen zu- oder abgingen,
ändern lassen". Diese Bestimmung wurde indessen in
Hessen tatsächlich nicht durchgeführt. Sie stand
nur auf dem Papier. Trotzdem aber ist es nicht unmög-
lich, daß Ernst die Anregung zur Einführung von Seelen-
registern aus Hessen erhalten hat. Von der Einführung
des Seniorenamtes hielt ihn wohl der reformierte Bei-
geschmack ab, der diesem Institut anhaftete, die Seelen-
register aber hielt er für brauchbar und übernahm sie. Es
war dasselbe Interesse, das ihn beseelte, das auch nachher
den Pietismus zur Einführung der gleichen Einrichtung ver-
1) Vnsere/ Georgen von GOttes Gnaden / Landgrafen zu Hessen /
Grafen zu Catzenelnbogen / Dietz / Ziegenhain vnd Nidda / etc. Ord-
nung/ Von f leissiger Vbung dess Catechismi / der Kinderlehr / mehrer
Kirchen-disciplin, vnd anderer / zu erbawung dess wahren Christen-
thumbs nötiger Stücke. Gedruckt zu Marpm-g / Bey Nicolas Ham-
pelio, Typogr. Academ, 1634. Wiederumb auffgelegt vnd gedruckt
zu Darmbstatt / Bey Christoph Abeln / 1661. — S. 10 ff. Vgl.
Tholuck, Lebenszeugen, S. 85 f.
XXVII. 27
414 I^iß Generalvisitation Ernsts des Frommen
anlaßt hat: Es ist die Pflicht der Pfarrer, solche Register
zu führen, denn der Pfarrer ist verantwortlich für jede
einzelne Seele, er muß sich um jedes einzelne Gremeindeglied
kümmern, es kennen, beobachten und beaufsichtigen. —
Leider kann ich die Frage, ob es vielleicht in einzelnen
gothaischen Gemeinden schon vor 1641 Seelenregister gab,
oder ob wir es hier mit ihrer erstmaligen Einführung zu
tun haben, auf Grund des mir vorliegenden Materials nicht
völlig sicher beantworten. Doch kann es wohl als aus-
gemacht gelten, daß wir von Seelenregistern als einer all-
gemeinen Einrichtung vor der Zeit des Herzogs nicht
reden können. Erst seit seiner Regierung finden wir solche
Register überall in den gothaischen Gemeinden. Sie er-
hielten sich an vielen Orten noch lange Zeit und bildeten
die Grundlage für die von den Pfarrern zu haltenden
Katechismus-Informationen.
Das Interesse am Katechismus, das für die Ein-
führung von Seelenregistern zum mindesten mitbestimmend
war, tritt uns auch sonst in den Fragen aufs deutlichste
entgegen. „Die grobe Unwissenheit im Verstände der
göttlichen Lehre des Catechismi" war ein Hauptgegenstand
der Visitation. Haben die Zuhörer den Katechismus im
Gedächtnis und haben sie auch den richtigen „Verstand
von den notwendigsten Stücken der Seligkeit" ? Sind die
nötigen Einrichtungen in Kirchen und Schulen vorhanden,
um die Leute in die Kenntnis und den „Verstand" des
Katechismus einzuführen? Tun Pfarrer und Lehrer in dieser
Hinsicht ihre Schuldigkeit ? Das sind die Fragen , auf
die es den Visitatoren ankam. Und wenn der „Verstand"
des Katechismus auch — weniger von den Visitatoren als
von den Pfarrern — noch sehr äußerlich und dogmatisch
gefaßt wurde, so war es doch ein Fortschritt gegenüber
dem bloßen Herplappern der Katechismusworte, wie es in
den Schulen und Katechismus-Unterweisungen vielfach geübt
wurde. Die Präparationsfragen erkundigen sich aufs ge-
naueste nach den Katechismus-Kenntnissen aller Gemeinde-
im Herzogtum Sachsen-Gotha 1641 — 1645. 415
glieder, der Alten wie der Jungen, nur beim Adel wird
vorsichtigerweise blol] gefragt: „Ob die Kinder auch einen
guten Grund im Catecbismo gelegt?"
In engem Zusammenhang mit dem Interesse des Her-
zogs am Katechismus steht das für die Schule. Schon
Bohne hat ja darauf hingewiesen, wie ausführlich das Schul-
wesen in den Fragen behandelt wird. Er führt eine ganze
Anzahl der Fragen an, die die Schule betreffen i). Wäh-
rend die Casimiriana nur 5 Fragen „von Schulen" und 20
„von Schreibern, Kirchnern und Custoden in Dörrern" ^)
enthält, die alle von der Gemeinde zu beantworten sind,
und während dort der Pfarrer überhaupt nicht über die
Schulen befragt wird, hat er hier 35 Fragen „von Schulen",
11 „von Küstern" und 9 „von Mägdlein-Schulen" zu be-
antworten. Die Fragen beschäftigen sich mit der Zahl der
Schüler, der Methode und dem Inhalt des Unterrichts, dem
Schulbesuch, der Person des Lehrers, seiner Qualifikation
zum Amt und seinem Lebenswandel, dem Verhältnis von
Pfarrer und Schulmeister, Kirche und Schule. Es wird
gefragt, ob etliche „gute ingenia" vorhanden seien, die eine
höhere Bildung erlangen könnten. Man erkundigt sich da-
nach, wer von den Erwachsenen lesen und schreiben kann
und wer nicht, sowie ob die Eltern ihre Söhne, wenn sie
nicht studieren, etwas Tüchtiges und Ehrliches lernen lassen.
Auch die Schulbildung der adligen Kinder, die meistens in
der Hand von Privatpräzeptoren lag, wurde in den Bereich
der Visitation gezogen.
Das katechetisch-pädagogische Interesse steht durchaus
beherrschend im Vordergrund. Auch die Amtshandlungen
des Pfarrers werden zum Teil unter diesem Gesichtspunkt
betrachtet. Dabei ist aber zu beachten, daß der Katechis-
mus nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel zum Zweck
eines sittlichen Lebens und schließlich der „Seligkeit" er-
scheint. Die „reine Lehre" wird nur vorübergehend ge-
1) Bohne, Die pädagog. Bestrebungen Ernsts d. Fr., S. 113 f.
2) Das Schulamt war, wie der Visitationsbefund zeigt, auf den
Dörfern allgemein mit dem Küsteramt verbunden.
27*
416 Die Generalvisitation Ernsts des Frommen
streift. Nach Ketzern zu fahnden ist nach Ansicht der
Visitatoren glücklicherweise unnötig.
Durch die Kriegslage veranlaßt sind besonders die
Tragen nach dem E i n k o m m e n des Pfarrers und der
Kirche. Sicherung und Aufbesserung des Gehalts der
Geistlichen, Sicherstellung des Kirchenvermögens, Be-
wahrung der Kirchen, Pfarr- und Schulhäuser vor Verfall
und Wiederherstellung baufälliger Gebäude war durch die
im Krieg geschaffenen Verhältnisse dringend geboten. Des-
halb richteten auch die Visitatoren gerade auf diese Dinge
ihre besondere Aufmerksamkeit. Auch die Fragen, die sich
mit der Fürsorge für Arme und Kranke, den Hospitalen
und der Waisenpflege beschäftigen, sind im wesentlichen
durch dieselben Erwägungen veranlaßt.
Den gleichen Charakter wie die Fragen an die Pfarrer
tragen auch die an die Gerichtsherren und Beamten. Sie
handeln zunächst von den öffentlichen Sünden und Ärger-
nissen und dem Amt der Obrigkeit (1 — 10), dann von dem
Pfarrer, seiner Amtsführung, seinem persönlichen Leben und
seiner Besoldung (11 — 39), ferner vom Schulmeister (40 — 45),
endlich von der Waisen- und Armenpflege (46 — 55). Sie sind
wegen ihrer geringeren Ausführlichkeit nicht von derselben
Bedeutung wie die Fragen an die Pfarrer. — Das Aus-
schreiben und die Fragen wurden den Pfarrern und Ge-
richtsherren in den ersten Tagen des Jahres 1641 zugestellt.
Es wurde von Gotha aus den Superintendenten und Ad-
junkten, von diesen wieder den Pfarrern vermittelt, die
Räte der Städte und die adligen Gerichtsherren erhielten
es direkt. Wir besitzen noch das Begleitschreiben des
Salomon Glaß, mit dem er das fürstliche Patent den Pfarrern
der Inspektion Gotha zusandte. Es ist datiert vom 5. Ja-
nuar 1641 1). Alle Pfarrer und Gerichtsherren hatten durch
Namensunterschrift den Empfang zu bescheinigen 2), außer-
1) Original im Kons.-Archiv zu Gotha, Loc. 18, No. 2.
2) Eine Anzahl Empfangsbescheinigungen, die aus der Zeit vom
ö. — 28. Januar 1641 datiert sind, siehe im Goth. Kons.-Archiv, Loc. 18,
No. 2, und Loc. 19, No. 19.
im Herzogtum Sachsen-Gotha 1641 — 1645. 417
dem mußten die Pfarrer das Ausschreiben durch Vorlesen
von der Kanzel zur Kenntnis ihrer Gemeinden bringen.
3. Kritik an dem Ausschreiben von selten der Diaconi
zu Gotha.
Das Ausschreiben mit den Fragen erregte bei den
Pfarrern, sowie den Adels- und Magistratspersonen, denen
es zugeschickt wurde, durchaus keine ungemischte Freude.
Und das ist nicht zu verwundern. Zwang es die Pfarrer
doch, aufs genaueste über ihre Amtsführung und die Zu-
stände in den Gemeinden zu berichten und alle Miß-
stände bis ins kleinste hinein aufzudecken. Gegenüber
solch ausführlichen Fragen war eine Vertuschung oder
Verschweigung unangenehmer Dinge kaum möglich. Dazu
kam , daß diese Maßregel , vor der Visitation schrift-
liche Berichte einzufordern, als etwas durchaus Neues
empfunden wurde. In der Tat weiß ich von keiner Visi-
tation, bei der man die Einsendung auch nur annähernd
so eingehender Berichte verlangt hätte. Die hessische Visi-
tation von 1628 kennt nur die vor der Visitation einzu-
reichenden „Gebrechen" der einzelnen Gemeinden und Ge-
meindeorgane i), Georg Calixt weiß nur von 7 Fragen, die
vor der Visitation schriftlich zu beantworten waren (s. oben
S. 402), Kromayer hatte allerdings von den Pfarrern, wie
wir sahen, schriftliche Berichte über bestimmte Punkte ein-
gefordert, aber auch diese hielten sich doch in durchaus
bescheidenen Grenzen (s. oben S. 125 — 127). Weder die
Casimiriana noch eine andere von den Kirchenordnungen,
die mir bekannt geworden sind, weiß von einer ähnlichen
Einrichtung; und wenn später in Weimar unter der Leitung
Kromayers allerdings ein ähnlich ausführlicher Fragebogen
an Pfarrer und Beamte abgesandt wurde -), so besteht doch
ein großer Unterschied zwischen Weimar und Gotha. Denn
1) Diehl, Zur Geschichte des Gottesdienstes in Hessen, S. 14 f.
2) Goth. Kons.-Archiv, Loc. 19, No. 19. „Weimarische Vis.-
Acta" J. K. L. M.
418 ßiß Generalvisitation Emsts des Frommen
in Weimar ist mit der schriftlichen Beantwortung der Fragen
die Visitation im wesentlichen beendet, während hier die
Hauptsache erst nachher anfängt. Die Fragen bilden nur
die Vorbereitung, und zwar eine Vorbereitung sowohl
zur Schul- wie zur Kirchenvisitation.
Kein Wunder also, daß Widerstand und Kritik nicht
lange auf sich warten ließen. Die drei Diaconi zu Grotha,
M. Liborius Thilo, M. Andreas Gnüge und M. Johann
Strobel, hatten nach vorhergegangener Verabredung sofort
einen oder höchstens 2 Tage nach dem Erscheinen des Aus-
schreibens (vielleicht am Epiphaniastag, 6. Januar) öffent-
lich von der Kanzel herab gegen ein neu erschienenes
ketzerisches Büchlein polemisiert, ohne jedoch den Titel
dieses Büchleins anzugeben. Es wurde dadurch, jedenfalls
der Absicht der Prediger entsprechend, der Verdacht er-
weckt, als ob unter diesem Büchlein das fürstliche Visi-
tationsausschreiben gemeint sei. Die Sache wurde rasch
bekannt, und schon am 8. Januar wurden die Diaconi vor das
Konsistorium gefordert. Sie wurden kurz verhört und noch-
mals auf den folgenden Tag zitiert, damit man ihnen die
Ungehörigkeit ihres Vorgehens vorhalte und eine öffentliche
richtigstellende Erklärung verlange. Die „Vorhaltung", die
ihnen bei dieser Gelegenheit vorgelesen wurde und die von
Simon Malsius verfaßt ist, bezieht sich auf folgende Punkte ^) :
1) Die Zusammenkunft und Beratung über ein ver-
dächtiges Büchlein hätte nicht ohne Zuziehung des Super-
intendenten vorgenommen, viel weniger aber ohne ihn über
das Büchlein ein Beschluß gefaßt werden dürfen.
2) Wenn verdächtige Dinge in einer Gemeinde vor-
kämen, so hätten diese zuerst nach den von Christus selbst
vorgeschriebenen „gradibus" im geheimen erkundigt, die-
jenigen, die verdächtige Bücher gebrauchen, absonderlich
zur Rede gesetzt und nach Gelegenheit gestraft werden
müssen, damit nicht eine ganze unwissende Gemeinde ent-
weder geärgert oder doch zu gefährlicher Nachfrage ver-
1) Kons.-Archiv zu Gotha, Loc. 18, No. 2.
im Herzogtum Sachsen-Gotha 1641 — 1645. 419
anlaßt werde. — Außerdem hätte man den Verfasser des
ketzerischen Traktates mit Namen nennen oder, wenn das
Buch anonym erschienen wäre, den Titel so genau be-
zeichnen müssen, daß kein Zweifel möglich sei.
3) I. Fürstl. Gnaden lassen es zwar dahingestellt, ob
die Polemik sich auf das „von vielen fürtrefflichen Theo-
logis und Politicis, auch ganzen theologischen Fakultäten
und geistlichen Consistoriis wohl erwogene, approbierte und
censurierte Visitationswerk" bezieht. Da aber durch die
Predigten der Verdacht erweckt worden sei, als sei das
Visitationswerk damit gemeint, so müsse den Leuten dieser
Verdacht auf dieselbe Weise wieder genommen werden, wie
er ihnen beigebracht sei, nämlich durch öffentliche
Verkündigung von der Kanzel. Die Diaconi sollen
deshalb nicht nur das Ausschreiben von der Kanzel ver-
lesen, sondern auch die gute Gelegenheit „morgenden sonn-
täglichen Evangelii, da Christus zu seinem Tempel, den-
selben von allem pharisäischen Sauerteig und Heuchelei zu
reinigen, zum erstenmal kommen" i), benutzen, um von der
„Notwendigkeit christlicher Visitation und ßepurgation" zu
reden, das Vorhaben des Herzogs zu empfehlen und da-
durch alle Mißverständnisse zu beseitigen,
4) Endlich aber sei es zu tadeln, daß die Diaconi gegen
den Hofprediger Brunchorst „beschwerliche Suspiciones und
fast unverdunkelte Imputationes" sich haben vermerken
lassen. Der Herzog wolle ihnen zwar für diesmal ver-
zeihen, aber „dergleichen hinfüro nicht mehr gewärtig sein".
Auf diese Vorhaltung hin, die den Diaconis von Simon
Malsius in Gegenwart von Glaß, Brunchorst und dem
Kammerherru Christoph v. Hagen gemacht wurde, erklärte
Thilo als der älteste in seinem und seiner Kollegen Namen :
sie hätten niemals das Visitationswerk anstichein wollen,
ihre Polemik habe sich gegen ein verwerfliches Buch mit
anonymem Verfasser, „dasselbe, so Zapfius refutieret", ge-
1) Das Evangelium des 1. Sonntags nach Epiph. (10. Januar
1641) ist Lc. 2^,_52: Der zwöKjährige Jesus im Tempel!
420 I^iß Generalvisitation Ernsts des Frommen
richtet i). Den Herrn Superintendenten hätten sie nicht zu-
gezogen, weil sie auch sonst jederzeit falsche Lehre für
sich allein gestraft hätten. Mit dem Hofprediger wollten
sie sich wohl vertragen, wenn sie nur selbst zufrieden ge-
lassen würden. Die Deklaration auf der Kanzel solle ge-
schehen. Sie bitten darum, sie bei dem Herzog zu recom-
mendieren, da sie nicht gern in der Zahl oder auch dem
Verdacht von Rebellen sein wollten.
Die ganze Angelegenheit mit den Gothaer Stadtgeist-
lichen entwickelte sich äußerst rasch. Am 5. erschien das
Ausschreiben, am 6. (oder 7.) predigten sie dagegen, am 8.
wurden sie vorgefordert und am 9. wurde ihnen der nötige
Vorhalt gemacht. Auf die Vorhaltung hin unterwarfen sie
sich de- und wehmütig; sie leugneten jeden Zusammenhang
zwischen ihrer Polemik gegen das mysteriöse ketzerische
Büchlein und dem Visitationswerk. Trotzdem ist ein solcher
Zusammenhang ganz unleugbar vorhanden. Die Spitze der
Predigten richtete sich tatsächlich gegen das Visitations-
werk, nur aus Vorsicht unterdrückten die Prediger den
Namen und schoben das unfaßbare ketzerische Büchlein vor.
Das sehen wir deutlich aus dem Wenigen, was wir über
den Inhalt der Predigten aus den Akten entnehmen können.
Strobel hatte gesagt, daß die Alten den Katechismus nicht
können, daran seien sie nicht schuld. Es sei ungereimt,
daß die alten Leute den Katechismus sollten wieder ge-
brauchen; es sei, als wenn man ein weggeworfenes Paar
Schuhe wieder hervorsucht. Man wolle jetzt die Leute in
einer Stunde heilig machen. Das sei aber verdächtig ; denn
der Satan sei es, der die Leute alle auf einmal engelrein
1) Nicolaus Zapf, 1632 — 42 Professor in Erfurt, später Hof-
prediger und Nachfolger Kromayers in Weimar (letzteres seit 1643),
begegnet uns auch sonst unter den Gegnern des Herzogs. Er gab
1639 die „Treuherzige Wächterstimme" heraus „wegen der an einigen
Orten der Stadt Gottes einschleichenden Weigelianischen Mord-
brenner". Unter diesen Mordbrennern sind (nach Beck, a. a. O. II,
S. 81, und Tholuck, Lebenszeugen, S. 74 f.) Saubert, Evenius und
Herzog Ernst gemeint. (Im übrigen verwechselt Tholuck Zapf mit
Kromayer.) Vgl. oben S. 107, Anmerkung.
im Herzogtum Sachsen- Gotha 1641—1645, 421
machen wolle ; derselbe Satan wolle aber zugleich andere Leute
zu Teufeln machen. Deshalb müsse man widerstehen, jetzt
sei es Zeit dazu. — Das sind ganz ähnliche Vorwürfe und
Beschuldigungen, wie sie von Kromayer gegen Brunchorst
und Evenius erhoben worden waren, und in der Tat läßt sich
ein Zusammenhang mit jenen Vorwürfen nicht verkennen.
Schon die Person Brunchorsts, gegen den man sich auch
jetzt in erster Linie wandte — man warf ihm vor, er habe
am 3. Advent gepredigt, „jetzo solle man die Kinder zu
Christo bringen", gleich als wäre es zuvor nicht geschehen
— weist darauf hin. Zur völligen Sicherheit aber wird die
Vermutung eines Zusammenhanges mit Kromayers An-
feindungen durch die Aussage Strobels: „Der Verdacht
gegen Brunchorst käme her von Herrn Kromaj^er, der hätte
durch Studiosos vor ihm warnen lassen!" Die Gothaer
Stadtgeistlichen standen den Bestrebungen Ernsts mit ähn-
lichen Gefühlen gegenüber wie Kromayer. Sie fühlten sich
durch sie nicht nur in ihrer Bequemlichkeit gestört, sondern
sie sahen auch wie er die reine Lehre in Gefahr. Sie ver-
muteten Weigelianische und Schwenkfeldische Ketzerei, und
als nun gar noch einige Andeutungen von selten Kromayers
ihnen zu Ohren kamen, da gingen sie zur Opposition über,
und diese Opposition hörte auch nach ihrer Vorladung vor
das Konsistorium nicht auf.
M. Strobel, der dritte Diaconus, der auch vorher die
kühnsten Behauptungen aufgestellt hatte, unterließ die ihm
auferlegte öffentliche Erklärung. Er wurde deshalb am
12. Januar nochmals vorgefordert, und erst die Drohung der
Suspension, wenn er sich am nächsten Sonntag nicht „besser
herauslasse", brachte ihn zur Vernunft. Auch Thilo konnte
es nicht lassen, trotz der Warnungen des Konsistoriums
wiederholt auf das Visitationswerk zu sticheln. Bei der
Hochzeit der Tochter des Bürgermeisters Weidmüller in
Gotha am 9. März hatte er „in Gegenwart etlicher vor-
nehmer geehrter Leute die alten Suspiciones wider das an-
gestellte christliche Visitationswerk wieder herfürgesucht"
422 l^ie Generalvisitation Ernsts des Frommen etc.
und dabei namentlich die Katechismusbestrebungen des
Herzogs angegriffen. Salomon Glaß, dem diese Reden zu
Ohren kamen, hatte ihnen anfänglich keine allzu große Be-
deutung beigelegt. Er glaubte, es werde „nicht sowohl
dem TCQoaiQstag sie statuenti animo als der zufälligen
Trunkenheit beizumessen sein". Als aber die Sticheleien
sich wiederholten und auch in Predigten ähnliche Äuße-
rungen laut wurden, hielt es Glaß für geboten, ihn noch-
mals zu zitieren und ihm sein Unrecht vorzuhalten. Thilo
erwiderte darauf: „Er gestehe und bekenne, daß, wenn er
trunken, er liberius rede, wolle aber hinfüro Achtung auf
seine Reden haben, wenn er zu Gaste sei." Doch war auch
damit der Gegensatz noch nicht aus der Welt geschafft.
Er scheint sich aus einem sachlichen mehr und mehr zu
einem persönlichen entwickelt zu haben, der sich in ge-
hässigen Vorwürfen gegen den Superintendenten äußerte.
Glaß sah sich genötigt, sich in einem Schreiben (vom 22. Juli
1641) an Ernst zu wenden, um sich gegen Beschuldigungen
zu verteidigen, die Thilo gegen ihn erhoben hatte, und um
Schutz gegen fernere Verunglimpfungen zu erbitten. Wie
die Zwistigkeiten schließlich ausgingen, ist mir nicht näher
bekannt.
Das Verhalten der Diaconi ist nur ein Symptom für
die allgemeine Stimmung im Land. Überall empfand man
das Ausschreiben als etwas Unangenehmes, Lästiges, nur
äußerte sich diese Stimmung sonst meist nicht in offenem
Widerspruch, sondern mehr in passivem Widerstand und
Nachlässigkeit in der Einsendung der Berichte. Nament-
lich der Adel war groß in dieser Beziehung, die meisten
Gerichtsherren und Beamten sandten ihren Bericht erst
nach nochmaliger dringender Mahnung, während die Pfarrer
allerdings zum größten Teil eifriger waren. Doch wird uns
auch bei ihnen während des Verlaufs der Visitation noch
verschiedentlich Unzufriedenheit und Widerspruch begegnen.
(Fortsetzung folgt.)
XL
Die Anfänge des Kreuzklosters und die Pfarrkirchen
zu Gotha.
Von
Dr. Ernst Devrient.
(Mit 1 Stadtplan von Gotha.)
Über die Gothaer Klöster hat J. H. Möller im IV. Bande
dieser Zeitsclirift an der Hand der Urkunden berichtet.
A. Beck bat in seiner Geschichte der Stadt Gotha S. 245 ff.
Möllers Angaben teilweise kritiklos übernommen. Beide
Forscher haben sich mehrere Unklarheiten und Wider-
sprüche zuchulden kommen lassen, die sich namentlich
bei der Gründungsgeschichte des Kreuzklosters bemerklich
machen und leider auch die Darstellung von Holtmeyer
(Zisterzienserkirchen Thüringens, 1906) beherrschen. Eine
Nachprüfung der Urkunden führte zu einem von jenen Dar-
stellungen mehrfach abweichenden Ergebnis, das für die Ge-
schichte der Stadt und besonders ihrer kirchlichen Organi-
sation von Wert ist.
Das Kloster soll um 1251 durch Heinrich Setzepfand
von Siebleben und Burkard von Leina gegründet worden
sein, und die Klosterkirche soll früher Katharinenkapelle
geheißen haben. Für die erste Angabe dient als Beleg
eine von Dietrich von Gotha und seinen Brüdern zugunsten
des Klosters ausgestellte Urkunde. Sie ist gedruckt bei
Sagittarius, Hist. Gothana, S. 55 (Berichtigungen dazu gab
Tentzel, Suppl. hist. Goth., S. 47) und auszugsweise bei
Möller a. a. 0. S. 47 f. Ein Original ist nicht vorhanden.
424 Die Anfänge des Kreuzklosters und die Pfarrkirchen zu Gotha.
Ich gebe sie hier im Wortlaut nach dem aus dem 14, Jahr-
hundert stammenden Kopialbuch im Geh. Haus- und Staats-
archiv (RR I 12), wo sie auf Bl. la unvollständig, auf Bl. Ib
vollständig und besser eingetragen ist. Die in der ersten
Abschrift fehlenden Stellen setze ich in eckige Klammern.
[E]go Theodericus de Gotha et fratres mei Johannes
et Hermannus litteris presentibus innotescimus omnibus has
audituris et visuris, quod parentum nostrorum et heredis
nostri Hermanni accedente consensu vendidimus conventui
sanctimonialium sancte crucis aput Gotha et fundatoribus
earum Heinrico de Sybeleibe [dicto] Sezzepfant et Burchardo
de Lina allodium nostrum aput predictam civitatem cum
Omnibus [eidem allodio] attinentibus et villula in Rode simul
et ecclesiam sancte crucis cum dote attinenti, tam propria
quam illa, que in feodo possedimus a domino lantgravio
Thuringorum. Insuper hec omnia resignavimus coram do-
mino Rudegero advocato de Arnstete et Heinrico de Ostheim
tunc temporis sculteto in Gotha, presentibus etiam multis
aliis fide diguis, cum litteris nostro sigillo roboratis et
testimonio subscriptorum. Testes[ : scabini civitatis dominus
Helherus Rigolvus, Wicelo Longus, dominus Hertwicus,
dominus Cünradus de Wigeleiben, Heinricus Volucris, do-
minus Ludewicus de Wechmar, dominus Kunemundus senior
de Maisleiben, dominus Heinricus de Baldestete. Datum anno
domini MCCLL]
In dieser Urkunde werden allerdings die beiden oben
genannten Personen als Stifter des Klosters bezeichnet, mit
einem Ausdruck, der auf die Hergabe von Grund und Boden
(fundus) zu der Klosterniederlassung hinweist. Daß Dietrich
von Gotha und seine Brüder für dieses Kloster die Kirche
zum heiligen Kreuz hergeben, nach der das Kloster zugleich
schon genannt wird, scheint ebenfalls darauf hinzuweisen,
daß es sich um den ersten Akt der Gründung selbst handelt
Nun führt aber das Kloster in keiner der sonst vorliegenden
Urkunden aus den Jahren 1251 — 1255 diese Bezeichnung.
Ich lasse sie in Regestenform folgen.
Die Anfänge des Kreiizklosters und die Pfarrkirchen zu Gotha. 425
1. Tharandt 1251 Juli 15: Heinricli, Markgraf von
Meißen usw., tut kund, daß er in Anbetracht der Dürftig-
keit sanctimonialium ordinis beate Katherine
conversantium uunc^) in Gotha ihnen und ihrem
Kloster 5 mansos sitos aput ci vitalem Gotha, die Th. miles de
Gotha von ihm zu Lehen gehabt und ihm vor vielen Zeugen
aufgelassen habe, gegeben habe, sie zu besitzen mit allem
jetzt (nunc) und künftig daran befindlichen Nutzen. Acta
sunt hec apud Tarantum, anno domini M.CC.LL, XVIII kal.
Aug., mit Zeugen. (Abschr. XIV. Jh. Gotha HuStA. RR
I 12, Bl. 2b. — Druck: Sagittarius, Hist. Goth., S. 56 f.;
vgl. Möller, S. 49; Beck, S. 246.)
2. Weißenfels 1253 August 7: Derselbe tut kund,
daß mit seiner Einwilligung Theodericus de Tullestete m o n a -
sterio sanctimonialium in Gotha 6 mansos über-
trage, die gen. Th. zu eigen besessen habe. Datum Wizenvels
o o
anno domini MCCLIII., VII Idus Augusti. (Orig. Perg.
Gotha HuStA. QQ Ic, 1. — Druck: Sagittarius, S. 63,
wo im Datum 1 Strich ausgefallen ist; vgl. Möller, S. 49;
Beck, S. 246 falsch 1255.)
3. Erfurt 1254 April 24: Gerhard, Erzbischof
von Mainz usw., erklärt priorisse et conventui monasterii
in Gotha Cysterciensis ordinis, daß er sie mit
ihrem Gesinde und ihren Gütern unter des h. Martin und
seinen Schutz nehme und sie, ihren Wohnort und ihr Ge-
sinde von der Pfarrkirche ausnehme, so daß sie sich die
Gottesdienste durch Weltgeistliche halten lassen können;
auch verleihe er ihnen alle Freiheit und Ehre an Personen
und Sachen, deren sich andere Klöster ihres Ordens im
Mainzer Sprengel erfreuen. Datum Erfordiae, anno domini
MCCLIIIL, VIII kal. Maii, pontificatus nostri tercio. (Orig.
Gotha a. a. 0. 2. — Druck : Sagittarius, S. 63 f. mit
falscher Jahreszahl [1253], berichtigt von Tentzel, S. 49.)
1) Hschr. nc; Sagittarius liest: rite.
426 I^iß Anfänge des Kreuzklosters und die Pfarrkirchen zu Gotha.
4. Neapel 125 5 Febr. 22: Papst Alexander IV.
teilt dem Erzbischof von Mainz mit, daß er auf Bitten von
Äbtissin und Sammnung des Klosters von Gotha, Zister-
zienser-Ordens , da sie wegen des Geräusches und der
Menschenmenge in der Stadt Gotha, in der das Kloster
gelegen sei, ihre Ordenspflichten nicht ganz erfüllen könnten
und in der Muße der Betrachtung gestört würden, erlaubt
habe, mit Zustimmung des Abtes das Kloster
an einen besser geeigneten Platz vor die Stadt zu verlegen.
Datum Neapoli, VIII. kal. Marcii, pontificatus nostri anno
primo. (Orig. Gotha a. a. 0. 15 (9). — Druck: Thüringische
Stadtrechte I (Thür. Gesch.-Quellen IX), S. 387.)
Die zuletzt aufgeführte Urkunde war bisher so gut
wie unbekannt. Beck scheint sie nur flüchtig gesehen zu
haben, da er S. 247 von einer Genehmigung Papst Alexanders
zu der Urkunde des Erzbischofs Gerhard (oben No. 3)
spricht (die Zahl 1229 bei Beck ist natürlich Druckfehler).
Wir erhalten daraus wichtige Aufschlüsse. Das Kloster
lag zuerst in der Stadt, wie auch aus allen angeführten
Urkunden hervorgeht. Draußen vor der Mauer hatten die
Nonnen 11 Hufen Landes, teils eigen, teils landgräfliches
Lehen, von Dietrich von Gotha oder Döllstedt erworben.
So bot sich der Ort zur neuen Anlage des Klosters von
selbst dar. Und erst jetzt können wir die oben im Wortlaute
wiedergegebene Urkunde Dietrichs für das Kloster
zum h. Kreuz bei Gotha als Nr. 5 einreihen. Denn
in ihrer Datierung liegt ein Widerspruch mit den Tat-
sachen. Sie kann frühestens 1255 ausgestellt worden sein,
geht also den beiden Bestätigungsbriefen des Landgrafen
nicht voraus, sondern enthält eine Zusammenfassung und
Vermehrung der dort bestätigten Veräußerungen ^). Es
wäre also möglich, daß in der Urkunde gestanden hat:
o o o
MCCLV. Indessen ist eine andere Erklärung vielleicht
1) Möller und Beck sprechen ohne Grund von Schenkung
der 11 Hufen.
Die Anfänge des Kreuzklosters und die Pfarrkirchen zu Gotha. 427
richtiger, nämlich daß das Datum zu beziehen ist nicht auf
den Hauptteil der Urkunde, sondern auf die angehängte
Bekräftigung mittels zahlreicher Zeugen, die vielleicht ur-
sprünglich nur zu der vom Landgrafen zuerst bestätigten
Auflassung gehört (vergl. die oben No. 1 erwähnten „vielen
Zeugen"). Wie dem auch sei, jedenfalls fällt die Erwer-
bung des Dörfchens Roda mit der Kreuzkirche nicht vor
das Jahr 1255. Dieses „Rödchen", wie es jetzt heißt, wdrd
zuerst 1231 und wieder 1239 erwähnt, indem Hersfelder
Lehnstücke daselbst vom Kloster Georgenthal an Gottfried
v. Hochheim vertauscht werden ^ ). Hersfeld ist als Lehns-
und Zinsherrin um Gotha auch sonst bekannt ^). Die Bulle
Alexanders IV. spricht von der Einwilligung des Abtes zur
Verlegung des Klosters vor die Stadt. Die stark beschädigte
Urkunde (No. 5) bat ein Loch im Pergament an der Stelle,
wo das Kloster des Abtes genannt war. Die Ergänzung
mit Fuldensis (StE,. S. 387) ist keinesfalls richtig; möglich
wäre Hersfeldensis. Wahrscheinlich muß aber vallis s. Georgii
ergänzt werden. Den Abt von Georgenthal, ebenfalls
Zisterzienser-Ordens, finden wir schon 1272 zusammen mit
Vertretern der Stadt in einer Aufsichtsstellung über das
Nonnenkloster; ähnlich tritt er 1365 auf, und zum Jahre
1486 erfahren wir, daß ihm die Ernennung des Propstes
zustand ^). Diese Tatsachen in Verbindung mit dem er-
wähnten Grundbesitz lassen vermuten, daß Georgenthal an
der Gründung dieses Klosters seines Ordens beteiligt war
und demnach bei dessen Verlegung ein gewichtiges Wort
mitzusprechen hatte. Wenn übrigens das ganze Rödchen
ursprünglich hersfeldisches Lehen gewesen ist, so muß es
spätestens 1255 aus diesem Verhältnis entlassen worden
sein, da ja in Urkunde 5 nur von Eigengütern und land-
gräflichen Lehen die Rede ist.
1) Dobenecker, Reg. III, 226 und 835. Beck gibt den Inhalt
der Urkunde von 1239 falsch wieder.
2) Dobenecker, I 70; Beck, S. 27.
3) Sagittarius, S. 76 f. 142. 60; vgl. MöUer, S. 110; Holtmeyer,
Zisterzienserkirchen Thüringens, S. 146.
428 Die Anfänge des Kreuzklosters und die Pfarrkirchen zu Gotha.
Wir fahren in der Aufzählung der Klosterurkunden fort.
6. 1255 Mai 24: Heinrich, Graf von Schwarzburg,
tut kund, daß er die Güter, welche conventus sancti-
monialium in Gotha von Ludolf von Stotternheim
und seiner Gemahlin gekauft hat, gelegen im Dorfe Goldbach
und ihm, dem Grafen, ad manum que vulgariter salman
appellatur zustehend ^), in Gegenwart des Grafen Hermann
von Henneberg, zur Zeit Landrichters ^), dem Kloster über-
geben habe. Mit Zeugen. Acta sunt hec anno domini
o o
MCCLV, II. post octavas pentecosten. (Orig. Gotha HuStA.
QQ Ic, 15. — Druck: Sagittarius, S. 64; Hegest bei Möller,
S. 49 f. Beide lesen: 1257 post octava p., wozu die Hschr.
allerdings zunächst berechtigt; da dieses Tagesdatum aber
keinen Sinn hat, auch das Kloster nicht noch über 2 Jahre,
nachdem der Umzug erlaubt worden war, in der Stadt ge-
blieben sein wird, so muß das Datum wie oben interpungiert
werden.)
7. 1258 Juli 11: Graf Burchard v. Brandenberg
tut kund, daß er das Patronatrecht der Pfarrkirche in Gold-
bach, auch eine Mühle daselbst mit zugehörigen Wiesen
ecclesie sancte crucis iuxta Gotha bezw. monasterio
sancte crucis ordinis C y s t e r c i e n s i s aput
Gotha übertragen habe usw anno dominice incarna-
tionis millesimo CCLVIII, indictione prima, feria quinta
ante Margarete. (Abschr. XIV Jh. in 2 teilweise ab-
weichenden Fassungen Gotha RR I 12; — Druck: Sagit-
tarius, S. 64 f.)
8. 1258 November 19: Soror J., miseracione di-
vina dicta abbatissa totusque conventus sanctimonia-
lium Cisterciensis ordinis prope Gotha, auch der
Amtmann mit Ratsherren und Schöffen und der Gemeinde
der erwähnten Stadt tun kund, daß sie die Kirche und
1) Der Graf urkundet also nur als Treuhänder, nicht als Lehns-
herr. Über Salmannen s. Heusler, Institut, d. dt. Privatrechts I § 49.
2) Über Hermann v. Henneberg als Vorsitzenden des Land-
gerichtes vgl. W. Füßlein in dieser Zeitschr. XIX, 303.
Die Anfänge des Kreuzklosters und die Pfarrkirchen zu Gotha. 429
Hofstätte mit allen Gebäuden, die sie einst in obgenannter
Stadt besessen hatten, den Brüdern vom Orden St. Au-
gustins zu freiem Eigentum übertragen haben, mit Aus-
nahme einer Hofstätte, auf der ein Haus mit Scheune steht.
Doch solle, wenn die Brüder genötigt würden, den Ort zu
"verlassen, dieser mit allen Gebäuden an die Nonnen zu-
rückfallen. Acta sunt hec anno domini MCCLVIII, tercio
decimo kal. Decembris. (Abschr. a. a. 0. Bl. 1 b ; — Druck :
Sagittarius, S. 1491, verbessert Tentzel, S. 621; vgl. Möller,
S. 259; Beck, S. 2701)
Von da an heißt das Nonnenkloster regelmäßig zum
heiligen Kreuz bei (apud, iuxta, prope) Gotha; nur
selten findet sich der weniger bestimmte Ausdruck i n ;
später heißt es öfter extra muros, auch adiacens nostro
muro. Im übrigen interessieren uns die späteren Urkunden
hier nicht.
Das Ergebnis unserer Zusammenstellung bezüglich der
Ortsfrage ist: Das Nonnenkloster ist zuerst in der Stadt
erbaut, später vor das Brühler Tor verlegt worden. Den
Ort der ersten Anlage erfahren wir genauer aus Urkunde 8 ;
es lag an der Stelle des späteren Augustinerklosters und
besaß schon eine Kirche, die von den Augustinern über-
nommen wurde. Die Grundstücke vor der Mauer lagen
also nahe beim Kloster. (Siehe den Stadtplan auf S. 430,
wo das Augustinerkloster mit J", das Kreuzkloster mit K
bezeichnet ist.)
Für die Zeit der ersten Gründung kann die Zahl 1251
beibehalten werden ; denn der Wortlaut der ersten Urkunde
deutet an, daß die Niederlassung der Nonnen in Gotha
noch ganz jung war: conversantium nunc^). Die am
22. Februar 1255 genehmigte Verlegung scheint im Mai
1) Nachzutragen ist hier ein Ablaßbrief, den Bf. Heinrich von
Hildesheim für den Konvent sanctimonialium in Gotha Cisterciensis
ordinis als eine novella plantacio fidelium ausstellt; datum
0 o o
Gote, in die beati Bartolomei, anno domini M . CC . LI, pontificatus
nostri anno quinto (1251 Aug. 24. Gotha, HuStA., QQ I c, 12 [16,1]).
XXVII. 28
430 Die Anfänge des Kreuzklosters und die Pfarrkirchen zu Gotha.
noch nicht ausgeführt worden zu sein; jedenfalls fällt die '
Erwerbung der Kreuzkirche und die Benennung danach
erst nach den 24. Mai 1255. Daß bereits 4 Jahre nach
der Gründung eine Kirche beim Kloster bestand, ist aller-
Stadtplan von Gotha.
dings merkwürdig ; denn die Zisterziener haben damals ihre
Gebetshäuser nicht mehr so einfach eingerichtet wie früher.
Doch mögen die Nonnen wenig Mittel gehabt oder eine
schon vorhandene Kapelle übernommen haben.
Die Anfänge des Kreuzklosters und die Pfarrkirchen zu Gotha, 431
Der Ruhm der Gründung gebührt, wie wir gesehen
haben, wahrscheinlich, wenigstens teilweise, dem Kloster
Georgenthal. Ob Heinrich Setzepfand und Burkard v. Leina
schon an der ersten Gründung beteiligt waren oder erst für
die Anlage vor dem ßrühler Tor (Plan E) ihr Geld boten,
bleibt unbestimmt. Über die Herkunft der Nonnen aber
schöpfe ich ebenfalls aus Urkunde 1 eine Vermutung. Möller
und Beck, die trotz der ihnen bekannten Urkunde 8 die
Verlegung des Klosters nicht erkannt haben, behaupten, die
spätere Kreuzkirche habe früher Katharinenkapelle geheißen.
Grund zu dieser, mehrmals mit Sicherheit wiederholten und
in die allgemeine Literatur ^) übergegangenen Behauptung
kann ihnen nur unsere Urkunde 1 gegeben haben, da St.
Katharina in keiner anderen Klosterurkunde des 13. Jahr-
hunderts erwähnt wird. Von einer Kapelle ist aber in dieser
Urkunde gar nicht die Rede, sondern nur von Nonnen des
Ordens St, Katharinen, die sich jetzt in Gotha aufhalten. Der
Ausdruck scheint vielmehr anzudeuten, daß die Nonnen noch
keine geordnete Niederlassung in Gotha haben. Ein Zister-
zienserinnenkloster zu St. Katharinen bestand seit 1208 in
der Vorstadt von Eisen ach 2). Bei den vielfachen Be-
ziehungen zwischen Eisenach und Gotha liegt also keine
Annahme näher, als daß die Gothaer Nonnen dieses Ordens
von Eisenach gekommen sind.
Schief sind überhaupt die durch Möller und Beck ver-
breiteten Vorstellungen von den Kirchen zu Gotha, mit
denen das Nonnenkloster in Verbindung stand. Beide nehmen,
wie es schon Sagittarius, Hist. Goth., S. 219 tat, von vorn-
herein an, daß mit der Pfarrkirche in unserer Urkunde 3
von 1254 die Margaretenkirche gemeint sein müsse. Möller
ließ sich von dieser Annahme dazu verleiten, in seinem
1) Winter, Die Zisterzienser des nordöstlichen Deutschland, II,
42 ; Holtmeyer, Zisterzienserkirchen Thüringens, S. 145.
2) Dobenecker, Keg. II 1361. 1596 ; III 492, wonach Hermann
in dieser Zeitsch., VIII, S. 20, und Cremer, Beitr. zur Geschichte der
klösterlichen Niederlassungen Eisenachs, S. 17 zu berichtigen sind.
28*
432 I^iß Anfänge des Kreuzklosters und die Pfarrkirchen zu Gotha.
Regest die Pfarrkirche St. Margareten zu nennen, obgleich
in der Urkunde kein Name steht. Beck ist ihm darin
blindlings gefolgt, und Holtmeyer wird gewiß geglaubt haben,
sich auf diese Angaben von Grothaer Archivaren verlassen
zu können.
In Wirklichkeit war nicht die Margaretenkirche die alte
Pfarrkirche von Gotha, sondern die zu St. Marien (Plan Cr,)
welche auf der Höhe neben dem Grimmenstein (A) lag. Die
Stadt Gotha, wie sie in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts
gegründet worden ist, umfaßte den Neumarkt (Plan 20) noch
nicht, sondern nur den von der Burg sich nordwärts hinab-
ziehenden Markt mit seinen Zufuhrstraßen und deren nächsten
Verbindungsgäßchen ^). Die Marienkirche wird allerdings
urkundlich zuerst 1281 erwähnt, indem Landgraf Albrecht
das Patronat darüber dem Kreuzkloster überträgt '^). Man
darf aber schon aus der merkwürdigen Lage der Kirche
schließen, daß sie von Anfang an vorhanden war. In der Be-
stätigung jener Übertragung durch Albrechts Sohn Dietrich
1302 wird die Marienkirche als Pfarrkirche bezeichnet 3).
Als im Jahre 1344 das Domstift von Ohrdruf nach Gotha
übersiedelte, wurde ihm ein Platz bei der Pfarrkirche
St. Marien angewiesen, diese selbst zu einer Kollegiatkirche
erhoben^). Sie blieb aber zugleich noch Pfarrkirche; die
Plebane werden noch mehrfach erwähnt. Das Patronat-
recht ist 1356 von den Nonnen an das Stift vertauscht
worden. Der Tausch scheint aber zunächst nicht genehmigt
worden zu sein; jedenfalls blieb die Pfarrkirche als solche
ein eigener kirchlicher Verwaltungskörper, wie aus mehreren
Urkunden von 1372 — 73 deutlich hervorgeht 5), Möller hat
den Inhalt dieser Urkunden (Zeitschr., V, 39) ungenau
1) Den Nachweis findet man in dem I. Bande der thür. Stadt-
rechte, S. 10* f.
2) Sagittarius, Hist. Goth., S. 86 f.; vgl. Möller in Zeitschr.,
IV, 59.
3) Sagittarius, a. a. O. S. 107.
4) Sagittarius, Hist. Goth., S. 41.
5) Tentzel, Suppl. hist. Goth., II, 146 ff. 186 f.
Die Anfänge des Kxeuzklosters und die Pfarrkirchen zu Gotha. 433
wiedergegeben. Die beiden urkundenden Altarleute ge-
hören nicht, wie Möller vermutet, der Margaretenkirche an,
sondern, wie die dritte Urkunde sagt, der Pfarre zu
Gotha auf dem Berge zu unser Frauen; und
Friedrich von Sondershausen wird in der ersten Urkunde
ebenfalls als Pfarrer zu Gotha unser Frauen be-
zeichnet. DaU die Altarleute schlechtweg von der Pfarre
zu Gotha sprechen, läßt aber gerade darauf schließen, daß
die Marienkirche als die eigentliche Stadtkirche galt.
Neben ihr erscheint die Margaretenkirche (Plan T) seit
1290. In diesem Jahre vertauschte Landgraf Albrecht das Pa-
tronatrecht an ihr dem Deutschen Orden gegen das an der
Marienkirche zu Eisenach (Beck, 233). Sie war jedenfalls
auch Pfarrkirche; ihre Plebane sind von 1291 ab mehrfach
bezeugt. Aber sie war eben nicht die Pfarrkirche von
Gotha; ihr Bezirk ist wohl erst in der zweiten Hälfte des
13. Jahrhunderts der Stadt einverleibt worden. Zwar führen
Möller und Beck S. 231 zwei angebliche Urkunden aus den
Jahren 1064 und 1093 an; allein sie legen selbst keinen
großen Wert darauf. Die von 1064 wird angeführt auf
einem Blatt mit Berichtigungen und Zusätzen zu Sagittars
BQstoria Gothana, das in dessen Sammlung (Gotha, ßibl.
Cod. chart. 456, Bl. 198) eingebunden ist und vermutlich
von Rudolphi herrührt. Zweifellos ist das Datum falsch.
Kaspar v. Honde (vielleicht v. Herda oder v. Houm?) und
die Gebrüder v. Huttern oder Uetterod können wir nach
vorhandenen Urkunden kaum vor die Mitte des 13. Jahr-
hunderts ansetzen. Zur Zeit Heinrichs IV. sind diese
Namen unmöglich; und von der „Stadt Gotha" kann natür-
lich keine Rede sein. Die Nachricht von 1093 ist zu un-
bestimmt, um verwendet werden zu können ; die von Möller
angegebene, von Beck übernommene Belegstelle aus einem
Archivverzeichnis läßt sich danach nicht auffinden. Aber
jedenfalls ist die darin angewendete Guldenrechnung vor
der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts unmöglich. Beide
Urkunden scheiden demnach aus der Betrachtung aus.
434 I^ie Anfänge des Kreuzklosters und die Pfarrkirchen zu Gotha.
Wahrscheinlich ist es freilich, daß die Margareten-
kirche schon vor der Einverleibung jener Gegend vorhanden
war. Denn nordöstlich der Stadt Gotha lag die Dorfschaft
Ostheim, die eben um diese Zeit in der Stadt aufgegangen
sein muß ^). Nichts liegt also näher als die Annahme, daß
die Erweiterung des Mauerringes erfolgte mit der Ein-
verleibung von Ostheim, und daß die Margaretenkirche
nichts anderes ist als die alte Dorfkirche. Ihre Pfarrei
blieb erhalten, wie auch wirtschaftlich die Neumarktsgemeinde
eine gewisse Selbständigkeit noch im 16. Jahrhundert be-
halten hat 2).
Aus diesen Betrachtungen geht hervor, daß es die
Marienkirche war, von deren Pfarrechten das Nonnen-
kloster zu Gotha im Jahre 1254 befreit wurde. Das Pa-
tronatrecht derselben Kirche ist dann im Jahre 1281 dem
Kloster übertragen worden, so daß der Konvent zum hei-
ligen Kreuz von da an den Pfarrer ernannte, bis die Nonnen
dieses Recht mit allen daraus fließenden Einkünften 1384
dem Landgrafen zurückgaben, der es dem Stift übertrug,
das Nonnenkloster aber mit dem Patronatrecht der Marga-
retenkirche entschädigte.
Eine Katharinenkirche hat es in Gotha während
des Mittelalters nicht gegeben. Nur einen Altar hatten
die Nonnen in ihrer Kirche zum heiligen Kreuz nach der
Patronin ihres Mutterklosters benannt ^). Erst als auf dem
Platze des im Bauernkriege zerstörten Klosters eine Gottes-
ackerkirche gebaut wurde (1656), erhielt diese den Namen
jener Heiligen*).
1) Siehe Stadtrechte, I, S. 39*.
2) Im Jahre 1510 treten urkundend auf die 2 Viehmeister in
der Nuwemartehutt Gotha. HuStA., Stadt G. No. 222. 223.
3) Sagittarius, Hist. Goth., S. 144; auch Tentzel, II, 187, wird
ein Katharinenaltar erwähnt, aber, wie es scheint, in der Marien-
kirche.
4) Beck, S. 267.
XII.
Nochmals die Ausgrabung im Kloster Cronschwitz.
Eine Verteidigung
von
Archivrat Dr. Berthold Schmidt in Schleiz.
(Mit 2 Siegelabbildungen im Texte).
In dem Berichte, welchen ich zusammen mit den Herren Rektor
A. Auerbach und Architekt E. Trübcher, beide in Gera, im 16. (24.)
Bande dieser Zeitschrift S. 348—400 über die Cronschwitzer Aus-
grabung erstattet habe, schrieb ich (S. 36ö) in bezug auf den Grab-
stein des Landmeisters: „Pfau a. a. O. S. 41 irrt daher ganz ent-
schieden, wenn er diejenigen Steine aus romanischer oder frühgotischer
Zeit, welche nur das Kreuz mit dem Nimbus, doch ohne Wappen
zeigen, nicht den Eitterbrüdern, sondern allein den Priesterbrüdern
zuschreibt." Diese durchaus sachliche Bemerkung hat Herrn Pro-
fessor Pfau in Eochlitz i. Sachs, so erregt, daß er im nächsten 17.
(25.) Bande dieser Zeitschr. S. 353—382 unter der Überschrift : „Die
Nachgrabungen im Kloster Cronschwitz und die dabei entdeckten
,Deutschherrensteine' etc." eine überaus scharfe Kritik an unserem
Bericht geübt hat. Außerdem hat Pfau auch auf meine kurze Be-
sprechung der Ausgrabung im Neuen Archiv für Sächsische Geschichte
und Altertumskunde (Bd. 27, S. 410 f.) im folgenden Bande der
zuletzt genannten Zeitschrift (S. 137 f.) eine zweite Erwiderung ge-
bracht, worin er seine Behauptung über jene benimbten Kreuzsteine
durch neue Argumente zu beweisen sucht. Die zuerst angezogene
Kritik ist geradezu eine forensische Leistung in Spitzfindigkeiten
und Unterstellungen. Sie enthält überdies so schwere und ungerechte
Angriffe gegen mich und meine treuen Mitarbeiter, daß ich, wie ich
auch bereits in meiner zu der Pfauschen Kritik in der Thüringischen
Zeitschrift (Bd. 17 [25J, S. 494) abgegebenen Erklärung augekündigt
habe, nochmals in dieser Streitfrage das Wort ergreifen muß.
Pfau wirft mir in seiner Kritik (S. 355) zunächst vor, „ohne
weiteren Nachweis" angenommen zu haben, „daß derartige Steine
wirklich Deutschherrendenkmäler sind". Das ist verblüffend. Der
Grund meiner Annahme lag doch einmal darin, daß, wie aus meiner
436 Nochmals die Ausgrabung im Kloster Cronschwitz.
Fußnote 2 hervorgeht, ähnliche Steine in Sachsen bereits von Pfau
als Deutschherrensteine angesprochen wurden, und zweitens in der
Tatsache, daß das Kloster Cronschwitz in den ersten Jahren nach
seiner Gründung zum deutschen Orden in naher Beziehung gestanden
hat. Pfau folgert denn auch selbst ohne weiteren Nachweis hieraus
(S. 355), „so wird die Wahrscheinlichkeit, daß derartige Denkmäler
wirklich Deutschherrensteine sind, wohl zur Gewißheit". Nachdem
also Pfau meine Ansicht über den Charakter der Cronschwitzer
Steine genehmigt hat, darf sie gelten. Pfau bestreitet ferner (S. 356 f.),
daß die Vögte von Gera von Anfang an eine gleichmäßig benutzte
Gruft, also eine „Erbgruft" im Kloster hatten. Er gibt höchstens
zu, daß das „Begräbnis" der Vögte, welches im 15. Jahrhundert
urkundlich genannt wird, damals in einer einheitlichen Gruft bestand.
Er schreibt dann (S. 357), nachdem er vorher erwähnt hat, daß ich
den in der Apsis gefundenen Grabstein als das „sichere Denkmal"
des Landmeisters, sagen wir in Pfaus Sinne willkürlich, hingestellt
hätte, den mir unverständlichen Satz: „Ein Grabstein, mag er sich
augenscheinlich auch auf eine sehr hervorragende Person beziehen,
kann nicht die Gebeine eines Güedes der Stifterfamiüe bedeckt haben,
wenn das Denkmal sich nicht in der Apsis befand." Aber der Stein
des Landmeisters, wenn er ihm wirklich zugeschrieben werden kann, lag
doch in der Apsis. Außerdem wird in Cronschwitz die alte Erbgruft
der Vögte schon ziemlich früh erwähnt. 1328 verpflichtet Heinrich
der Altere, Vogt von Gera, der Urenkel des Landmeisters, die Cron-
schwitzer Nonnen, eine Messe „ob unszerm grabe oder wo wyr be-
grabenn werden", zu halten. „Unser Grab", also eine bestimmte Örtlich-
keit, wird hier in Gegensatz zu einem anderen, noch unbestimmten Orte,
natürhch beide in der Klosterkirche, gesetzt. Die Möglichkeit einer
anderen Grabstätte konnte damals, weil vielleicht die Familiengruft
schon ziemlich besetzt war, bereits ernstlich erwogen worden sein. Pfau
behauptet weiter (S. 358), um die ihm für seine Priestergräbertheorie
höchst imbequeme Erbgruft in der Apsis fortzuschaffen, der fragliche
Raum wäre gar keine eigentUche Apsis, oder wenigstens nicht in
ältester Zeit gewesen. Dagegen soll nach ihm besonders die zwischen
Chor und Apsis eingezogene starke Wand sprechen, deren Verband
nach Pfaus eigener Ansicht „nicht mehr vollständig klar" über-
liefert ist. Diese Wand hält er für den ältesten Ostabschluß der
Kirche, den hinter ihr liegenden Eaum aber für einen „äußeren
Nebenraum" , dessen ursprünglicher Zweck ebenso , wie derjenige
der nordöstlich angebauten Gelasse, unaufgeklärt sei. Daß der
fragliche Raum keine Apsis war, will er (S. 359) auch mit dem
Kirchenbilde beweisen, das seit Beginn des 14. Jahrhunderts auf
dem Cronschwitzer Klostersiegel vorkommt. Pfau hat hierbei den
Holzschnitt bei Walther, Das alte Weida, S. 22 benutzt, doch
Nochmals die Ausgrabung im Kloster Cronschwitz. 437
scheint mir das , wenn man wirklich etwas damit beweisen will,
recht bedenklich. Ich gebe daher hier die photographischen Auf-
nahmen der beiden bekannten Stempel des Klostersiegels. Der
erste (Fig. 1) hängt an Urkunden von 1302 und 1323^). Es ist
spitzoval und wird durch einen Querstreifen in zwei Felder geteilt.
Im oberen befindet sich die Mutter Gottes mit dem Kinde. Auf
dem Streifen steht AVE MARIA. Im unteren Felde ist eine Kirche
dargestellt. Sie scheint auf der Westseite einen hohen, über das
Fie. 1.
Fig. 2.
Dach hinausragenden Giebel zu haben, der mit einem Kreuz ver-
ziert ist, sodaß er einen turmartigen Eindruck macht. In dem
Giebel ist eine große Tür (Portal) und ein dreieckiges Fenster zu
sehen. Letzteres ist aber wohl nur die plumpe Darstellung von
drei Giebelfenstern, von denen das Mittelfenster höher und breiter
als die beiden anderen ist. Einen solchen Giebel nehme ich haupt-
sächlich darum an, weil die Grundmauern das Vorhandensein eines
stärkeren Turmes nicht ergeben haben. Die Tür ist, wie ebenfalls
die Grundmauern zeigen, später und wohl beim Umbau des 15. Jahr-
1) Urkundenbuch der Vögte, I, No. 349 und 543 ; vgl. Zeitschr.
f. Thüring. Gesch., XVI, S. 130. — Die Abbildung ist nach der
Urkunde von 1323 angefertigt.
438 Nochmals die Ausgrabung im Kloster Cronschwitz.
hunderts zugesetzt und der Haupteingang nach Norden verlegt
worden. Das Schiff der Kirche hat drei Fenster. Nach Osten, der
Chorseite zu, hat der Bau ein Walmdach und auf dessen First einen
Knopf mit großem Kreuz. Die Darstellung des Westgiebels mit der
Tür beweist, daß die ganze Kirche von der Nordwestseite dargestellt
ist, so daß man also eine kleinere Apsis auf der Ostseite nicht
sehen kann. Letztere braucht indessen überhaupt nicht angenommen
zu werden, aber das Walmdach bedingt doch einen romanischen
oder gotischen Chorabschluß. Die Legende des Siegels lautet:
+ CONVENTVS . DOM VS . SCE . MARIE. Das domus ist merk-
würdig und könnte darauf deuten, daß die ganze Stiftung der Jutta
ursprünglich als ein Deutschordenshaus gedacht war. Ein offenbar
jüngeres, aber sonst ganz ähnliches Siegel (Fig. 2) hängt zuerst an einer
Urkunde von 1328 und kommt noch 1440 vor^). Es zeigt sonst die
gleiche Kirche mit dem Giebel und den drei Fenstern im Schiff,
aber statt des Knopfes mit Kreuz findet man hier ein spitzes Türmchen
mit Kreuz, das dem der nahen Kirche zu Veitsberg sehr gleicht
und zwischen diesem Türmchen und dem Giebel steht noch ein
Dachreiter, der bedeutend höher ist, als beide, so daß sein Kreuz bis
in den Querstreifen des Siegels hineinragt. Dieser Dachreiter wird
also ein späterer Bau sein und; fordert, meine ich, daß man auf
der Westseite keinen Turm, sondern nur einen hohen Giebel anzu-
nehmen hat. Die Umschrift lautet: + S . CONVETVS . SOßOE' .
ORDIS . fDICATOR' . IN CRONSWIZ. Die drei Fenster des
Schiffes, welche, wie gesagt, auf beiden Stempeln vorkommen, sollen
wohl weniger die wirkliche Anzahl derselben, als die Dreiteilung
der Kirche in Chor-, Nonnen- und Laienkirche andeuten. Zu be-
achten ist, daß beide Stempel vor den gotischen Umbau des 15.
Jahrhunderts fallen. Pfau (S. 359 und 364) hält nun die Apsis
nicht für eine im kirchlichen Sinne so hervorragende Stelle, daß
in ihr der Cronschwitzer Stifter hätte beigesetzt werden können.
Er meint (S. 360), es sei eher wahrscheinlich, daß sie oder nach
Pfau „der östliche Anbau" überhaupt erst im 15. Jahrhundert
entstand. Wo war nun das Stiftergrab und die Erbgruft der Vögte,
die doch auch nach Pfau (S. 356) wenigstens im 15. Jahrhundert
bestanden haben kann ? Pfau weiß sich zu helfen. Für das Stifter-
grab erklärt er, kaum mit dem sonst von ihm geübten Vorbehalt,
den gefundenen Steinsarg in der Laienkirche. Der Stifter soll hier
„an hervorragender Stelle (S. 365) und zwar so ruhen , daß das
Kopfende des Begrabenen fast ganz genau in der Mitte der Längs-
1) Urkunden buch der Vögte, I, No. 650; No. 421 und 659;
GHuStA. Weimar, Urkd. von 1420 Juli 12. und 1440 Juli 18. — Die
Abbildung ist nach der Urkunde von 1420 angefertigt.
Nochmals die Ausgrabung im Kloster Cronschwitz. 439
linie des Raumes", also in der Mitte der Laienkirche sich befand.
Ja, so ziemlich in der Mitte der Längslinie der letzteren lag der
Steinsarg wohl, aber durchaus nicht in der Mittelachse der ganzen
Kirche, wie man sonst meistens bei Stiftergräbern findet*), sondern
er lag seitwärts und noch nördlicher, als der Stein des Landmeisters.
Um dann auch die Erbgruft der späteren Zeit festzustellen, erklärt
Pfau jene gemauerte Gruft an der Nordwand, in der die Reste von
etwa 12 Leichen lagen, für die Reste der einstigen Erbgruft. In
diesem Grabe, das nicht größer als zwei Einzelgräber ist, sollen die
Vögte von Gera, die Landesherren und die Wohltäter des Klosters,
begraben sein, und zwar so, daß man eine Leiche auf die andere
häufte? Das ist doch ganz unglaublich! Auch ist dieser Platz
mitten zwischen den adligen und unadligen Leichen für das Erb-
begräbnis der Vögte sicherlich nicht würdig genug. Pfau meint
ferner (S. 366), um das Erbbegräbnis in der Apsis zweifelhaft zu
machen, man hätte hier doch irgendwelche Funde machen müssen,
aber man hat doch auch sonst nirgends Funde gemacht, die auf
die spätere Erbgruft der Vögte hätten schließen lassen. Ferner
erklärt Pfau die Apsis zwar für ein Begräbnisgelaß (S. 361), aber
für ein jüngeres, das, wie schon oben bemerkt, erst nach dem
gotischen Umbau des 15. Jahrhunderts entstand. Hier lag also ein
benimbter Kreuzstein, den Pfau ohne Beweis einem Priester des
deutschen Ordens zuschreibt. Letzterer soll nach Pfau hier be-
graben sein, „weil die Grüfte der Laienkirche auch voll waren." Ja,
woher weiß denn Pfau solches? Wir haben die Laienkirche gar
nicht so überfüllt gefunden. Wie kommt es ferner, daß ein oder
zwei Priesterbrüder (wenn wir den Juttastein gelten lassen) hinter
dem Altar und hinter der Scheidewand in der Apsis begraben wurden,
während zwei andere angebliche Deutschherrensteine, die eher jünger
als älter , wie der Stein des Landmeisters sein dürften , in der
Laienkirche lagen? Wie kommt der priesterliche benimbte Kreuz-
stein in diese Laienkirche, das Grabdenkmal eines unadligen Geist-
lichen von so einfacher Form neben den Stein mit dem Kreuz im
Schilde? Ganz Kostbares liefert Pfau endlich, wenn er bezüglich
des Juttasteines schreibt: „Sollte der Schild wirklich als Wappen
zum Kreuze gehören, so wäre mit der Möglichkeit zu rechnen, daß
der betreffende Priesterbruder ritterlicher Herkunft war, was ja bei
den Deutschherren sicher oft genug vorkam." Dann könnte ein solcher
Stein aber doch auch einer adligen geistlichen Frau des Ordens ebenso
gut zukommen. Auf letzteren Punkt komme ich später noch zurück.
Man bedenke ferner, die roh gearbeiteten Steine des Landmeisters,
1) Vergl. Georgenthal in Lehfeldt, Bau- und Kunstdenkmäler
Thüringens, Heft .26.
440 Nochmals die Ausgrabung im Kloster Cronschwitz.
der Jutta und die beiden anderen Kreuzgrabsteine ohne Namen und!
Wappen sollen alle, wie man nach Pfau doch annehmen muß,
nicht lange vor der Zeit entstanden sein, in der die schönen Monu-
mente des von Wolframsdorf von 1479^) und des Unbekannten aus
oder von Rochlitz aus ungefähr derselben Zeit in der gotisch restau-
rirten Laienkirche aufgestellt wurden. Das ist wieder ganz un-
glaublich.
Die Kritik Pfaus hat, und dafür bin ich ihm aufrichtig dankbar,
aber doch das Gute gehabt, mich bezüglich des Erbbegräbnisses der
Vögte auf eine ganz neue Idee zu bringen. Wie wir schon bemerkten,
ist nach den Kirchenbildern des ältesten Klostersiegels wahrscheinlich,
daß zu dem Walmdach ein Chorabschluß gehört hat. Vielleicht ist
also das, was wir als Apsis angesprochen haben, der ältere, natürlich
später umgebaute Chor. Es ist, wenn man die Ostkante des land-
meisterhchen Steines, nach Norden und Süden hin verlängert gedacht,
als die Grenzlinie der ersten Gräberreihe nach Osten zu ansieht und
einen runden Chorabschluß, wogegen nichts spricht, annimmt, in dem
freien Raum noch genügend Platz für einen größeren Altar, den einstigen
Hauptaltar, vorhanden. Vor letzterem lagen der Stifter, die Stifterin
und ihre Nachkommen, also an dem im kirchlichen Sinne vornehmsten
Platz der ganzen Kirche. Auch Paulina, die Stifterin des prächtigen
Benediktinerklosters Paulinenzelle, ist im hohen Chor vor dem älteren
Hauptaltar S. ßenedicti beigesetzt worden, und letzterer stand in
der mittleren Apsis -). Als in Cronschwitz zu Anfang des 15. Jahr-
hunderts der gotische Umbau erfolgte, richtete man den alten
Chor, indem man diesen Raum zugleich erweiterte, ausschließlich zur
herrschaftlichen Grabkapelle ein. Um Platz für weitere Gräber zu
schaffen, exhumierte man, natürlich abgesehen vom Stifter und von der
Stifterin, deren Gräber dem Kloster heilig waren, die älteren Leicheu
und brachte ihre Knochen in die Beinstätte (ossorium), die man in
die Scheidewand zwischen Chor und Apsis einfügte. So waren die
Gebeine noch immer im alten Erbbegräbnisse, und jene Beinstätte
war für die Ahnen des Landesherrn viel würdiger, als irgendein
Massengrab an der Kirchwand (s. oben). Die Scheidewand wurde
1) Übrigens fand ich vor kurzem eine handschriftliche Notiz
Heinrichs XXVI. (Schleizer Hausarchiv, Hdschr. G b. 6), daß der
Stein schon 1657 in der Kirche zu Cronschwitz aufgefunden wurde. Er
soll dem Luppold von Wolframsdorf gehört und die Jahreszahl 1479
getragen haben. Die Ansicht Pfaus (vergl. Nachtrag) über die Lesung
des Jahreszahl (1479 statt 1419) ist also richtig und dann dürfte auch
der Stein des Unbekannten erst der zweiten Hälfte des 15. Jahr-
hunderts zugeschrieben werden.
2) Zeitschr. f. Thüring, Gesch. etc., XXVIII,. S. 93 u. 113.
Nochmals die Ausgrabung im Kloster Cronschwitz. 441
nötig, um einen Stützpunkt für das Gewölbe der Grabkapelle
(s. unseren Bericht S. 361) und zugleich für das Gewölbe der Chor-
oder Nonnenkirche zu erhalten. Darum mu<Jte diese Scheidewand
auch besonders breit sein. Chor- und Laienkirche werden, nach
den Fundstücken zu urteilen, damals umgebaut sein. Wegen der
eingezogenen Wand aber mußte die herrschaftUche Kapelle einen
besonderen kleineren Altar, für den noch reichlich Platz in dem
freien Eaum des Chorabschlusses war, sowie einen besonderen Zugang
erhalten, der durch die nördüche vorgebaute Kapelle erfolgte. Den
Hauptaltar versetzte man sodann in die Chorkirche vor jene Wand
und verlängerte auch, wie es scheint, die Chorkirche auf Kosten der
Laienkirche; denn letztere ist im Vergleich zur Chorkirche doch
auffällig kurz. Nach der Fertigstellung der Grabkapelle wurden
die späteren Leichen der Familie hier beigesetzt, wobei man die
Jüngern nach vorn brachte, was wegen der Erweiterung der Kapelle
durchaus mögUch war. So erklärt es sich auch, daß die am weitesten
nach Osten liegende Leiche so nahe an die vierte Leiche herangerückt
war. Bei Annahme der obigen neuen Erklärung fällt mein aller-
dings etwas künstlicher Versuch, die 12 Skelette — abgesehen vom
Landmeister und der Jutta — bestimmten Personen zuzuschreiben
(s. unseren Bericht S. 381) von selbst fort. Man hat also jedenfalls
auch nach dem Umbau der Kapelle in ihr noch eine Anzahl GHeder
■des Hauses Gera^) beigesetzt, und zwar außer den Ehegatten die
Söhne und Töchter, unter letzteren wohl auch die Nonnen. So
erklären sich endlich die Kinderknochen und das mutmaßliche Spiel-
zeug (s. unseren Bericht S. 367). Jedenfalls muß ich nach Obigem
an meiner Ansicht, daß wir im Ostraum oder in der Apsis, um diesen
Namen beizubehalten, die alte Erbgruft der Vögte von Gera wieder-
gefunden haben, trotz aller Einwendungen Pfaus bis auf besseren
Gegenbeweis festhalten. Damit ist denn auch gegeben, daß der
Kreuzgrabstein mit dem Nimbus der Stein des Landmeisters sein
kann, ja allen Umständen nach sein muß. Sein Begräbnis in der
Kirche läßt sich quellenmäßig nachweisen. Der Platz seines Be-
gräbnisses ist nach meiner obigen Erklärung des Erbbegräbnisses
sicherlich der würdigste in der ganzen Kirche. Die Darstellung
des Kreuzes auf dem Stein ist spätromanisch, kann also recht
gut der Zeit angehören, in welcher der Landmeister starb. Hat denn
Pfau bisher einen Fall nachgewiesen, wonach man solche Steine
für jünger, ja erst aus dem 15. Jahrhundert, was Pfau doch bei
seiner Ansicht über die Apsis (S. 362j annimmt, halten muß? Woher
weiß Pfau, daß der benimbte Stein „scheinbar hochromanischen
1) Man vergl. die Seelgeräte von 1328 — 1411 in Urkundenbuch
der Vögte, I, No. 650. 651; II, No. 227. 527. 529 u. 531.
442 Nochmals die Ausgrabung im Kloster Cronschwitz.
Gepräges" in der Göhrener Kirche (S. 355) just einem Priester-
bruder des Ordens um 1300 herum zuzuschreiben ist? Könnte nicht
auch ein Adliger, dessen Familie in Göhren ein Erbbegräbnis hatte,
hier und viel früher begraben sein? Übrigens fragt sich noch sehr,
ob die Göhrener Kirche jemals einen Deutschherrn zum Pfarrer
hatte. 1290 bestätigte Bischof Heinrich von Merseburg die Dotierung
der Pfarre in Göhren, welche zwei Jahre früher durch zwei Adlige
erfolgt war, und bestimmte, daß die Kirche ganz unabhängig von
der Mutterkirche oder dem Kloster Zschillen sein sollte. Zschillen
war aber erst 1280 in eine Deutschordenskomturei umgewandelt
worden^). Pfau bemängelt ferner (S. 366 u. 368) meine Vermutung,
daß die Frauenleiche, deren Beisetzung scheinbar ohne alle Rücksicht
auf das Grab des Landmeisters erfolgte, so daß man sogar in letzteres
hineingeriet, die letzte Priorin Anna von Gera gewesen sein könnte.
Er meint, in katholischer Zeit hätte man doch die Grabstätte des
Stifters, die den Klosterinsassen unantastbar sein mußte, kennen
müssen. Ja, aber die Priorin Anna starb im September 1555, also
in vorgeschrittener reformatorischer Zeit. Das Kloster stand damals
bereits über 100 Jahre unter einer anderen Landesherrschaft, daher
die scheinbare Rücksichtslosigkeit, und Anna war die letzte ihres
ganzen Hauses, Vielleicht lag sogar eine wohlmeinende Absicht darin,
daß man ihr noch einen Anteil an dem Steine ihres Ahnherru gönnte.
Und nun der Juttastein. Ihn darf natürlich Pfau, seiner Theorie
zuliebe, auch nicht als Stein der Stifterin gelten lassen und er
verfährt danach. Er meint (S. 372), der Stein wäre nicht, wie ich
(s. unseren Bericht S. 369) angegeben hätte, „stark abgetreten". Ich
gebe solches einfach zu, aber ich bestreite den weiteren Pf auschen
Einwand, daß dieser Cronschwitzer Juttastein noch in katholischer
Zeit als Treppenstufe versetzt sein könnte. Dann müßte er doch
noch mehr abgelaufen sein. Weiter kann Pfau nicht einsehen (S. 375),
warum man in der Erbgruft zu protestantischer Zeit noch Bauarbeiten
hätte ausführen soUen. In der Kirche wurde aber (s. unseren Bericht
S. 349) nach 1574 für die letzten Klosterpersonen gepredigt. Konnte
nicht das alte Erbbegräbnis für diesen Zweck notdürftig hergerichtet
sein? Alle übrigen Räume waren vielleicht schon zu baufällig, und
der kleine Raum der Erbgruft Heß sich am besten dafür herrichten.
Vielleicht diente dieselbe auch in jener Zeit als Sakristei. Bei dem
Juttastein kommt es meines Erachtens zunächst auf die Frage an :
Ist das eingehauene Wappen gleichzeitig mit dem benimbten Kreuz
entstanden oder nicht? Das Gegenteil hat Pfau bisher nicht er-
wiesen, und seine Behauptung, daß der untere Strich des Kreuzarmes
1) Sachsens Kirchengalerie, X, S. 14. 154, und Bau- und Kunst-
denkmäler d. K. Sachs., Heft 13 u. 14, S. 97.
Nochmals die Ausgrabung im Kloster Cronschwitz. 443
durch das Wappen hindurchgehe, ist nicht richtig. Dieser Strich
ist vom äußeren Rande des Wappens an ganz schief (s. Abbildung
in unseren Bericht S. 368) gezogen, wird also erst bei der Bearbeitung
des Stückes zur Treppenstufe entstanden sein. Von einer Wappen-
figur, die ich und andere noch gesehen haben, ist jetzt allerdings,
wie Pfau (S. 372) richtig bemerkt, keine Spur mehr zu sehen, da
die Oberfläche des Steines inzwischen sehr verwittert und abgebröckelt
ist. Bezüglich der Lage des Wappens hält Pfau (S. 376) solche im
Nimbus auf dem Kreuzesarm für auffällig, weil er nur solche auf dem
unteren Kreuzesstamm, ,,wo es am edelsten und ungezwungen wirkt",
gelten läßt. Eine sehr merkwürdige Begründung! Pfau restauriert
endlich, um, wie er meint, die richtige Breite für den Grabstein
herauszubringen, das Bruchstücke so, daß das Wappen im unteren
Teil des Nimbus geradezu wagrecht l") liegt. Das ist doch ganz
willkürlich ! Wirkt das Wappen etwa nun edler und ungezwungener ?
Wie eine nochmalige sorgfältige Untersuchung durch Auerbach er-
geben hat, geht aber der Querarm überhaupt nicht durch das Wappen,
sondern beginnt erst bei der Innern Kreislinie des Nimbus. Die
schiefe Linie, welche scheinbar die untere Linie des Armes andeutet,
ist sicher spätere Nachkratzung. Wenn man nun, wie bisher geschehen,
den Nimbus auf den Juttastein nach der nicht erhaltenen Seite hin
vervollständigt, so wird der Stein, wie Pfau (S. 376) einwirft, zu breit.
Das Bruchstück hat eine Länge von 96 cm und an der breitesten Stelle
eine Breite von 55 cm. Folglich könnte der Stein etwa 2 m lang und
1,10 m breit gewesen sein, und warum sollte er das nicht? Der Land-
meisterstein ist 2,04 m lang und 0,95 m breit. Also könnte der Stein
der Hauptstifterin immer noch etwas breiter gewesen sein. Pfau selbst
führt ja in „Unsere Heimat" , 1905, Beilage nach S. 88 eine Wechselburger
Platte (Fig. 5) an, die, wenn er auch auf sie seinen auf der folgenden
Seite mitgeteilten Maßstab angewandt hat, ebenfalls etwa 2,05 m lang
und 1,07 m breit gewesen sein müßte. Eine Kreuzgrabplatte in Eger,
die allerdings erst aus dem 15. Jahrhundert stammt, ist 2,70 m lang
und 1,44 breit ^). Es ist also mindestens gewagt, die Größenver-
hältnisse als Beweisgründe zu benutzen.
Lassen wir endlich einmal bei der ganzen Frage nach dem
Alter und der Bedeutung der benimbten Kreuzsteine die Urkunden
sprechen. Sind überhaupt und wie lange Ritter- oder Priesterbrüder
des deutschen Ordens in Cronschwitzer Urkunden nachzuweisen?
Als um 1238 das Kloster Cronschwitz gegründet wurde und die Jutta
vom Kloster Mildenfurth den Grundbesitz für ihre neue Stiftung
erwarb, waren Zeugen dieses Aktes Bruder Heinrich, vormals Vogt
von Gera und Gemahl Juttas, also der spätere Landmeister Heinrich
1) Vergl. Neues Archiv f. Sachs. Gesch., XXIX, S. 347, No. 38
444 Nochmals die Ausgrabung im Kloster Cronschwitz.
von Weida, ferner ein Bruder Ditmar, Bruder Hartmann von Held-
rungen, Bruder Konrad Börner (Burnerus, wohl von Borna) und ein
Bruder Thomas. Von diesen waren Heinrich von Gera, bez. Weida,
und Hartmann von Heldrungen sicher Ritterbrüder. Letzterer
war ein Verwandten der Söhne Juttas und zwar von väterlicher
Seite (patruus). Von 1274 bis 1283 war Hartmann Hochmeister
des Ordens ^). Der Bruder Konrad Börner kommt nach 1243 in
einer von den Vögten von Weida der Peterskirche in Zeitz erteilten
Urkunde, doch in keiner Beziehung zum Orden und zu Cronschwitz
vor'-). Ob er, sowie die Brüder Ditmar und Thomas Ritter- oder
Priesterbrüder des Ordens waren, wissen wir nicht. Schon bald
nach der Gründung des Klosters brach dann ein Streit zwischen den
Deutschherren und den Dominikanern oder Predigerbrüdern über den
Einfluß ihrer Orden auf dasselbe aus. Dieser Streit wurde vom
Bischof Engelhard von Naumburg dahin entschieden, daß das Kloster
Cronschwitz in geistlicher Beziehung, wozu namentlich die Aufsicht
über das klösterliche Leben der Nonnen und ihre Seelsorge ge-
hörten, dem Proviuzialprior des Predigerordens, in weltlicher Be-
ziehung aber, soweit äußere Vertretung, Verwaltung und wirtschaft-
liche Fragen in Betracht kamen, dem Deutschmeister und seinen
Brüdern, also dem deutschen Orden unterstehen sollten. Auch sollte
das neue Kloster alle Privilegien genießen, welche den beiden ge-
dachten Orden erteilt worden waren ''). Diese doppelte Unterstellung
war nötig, um dem Kloster die Gütererwerbung und die Kolonisation
zu ermöglichen ; denn den Dominikanern war auf Grund ihrer
strengeren Regel beides verboten. Erst 1425 erlangten sie das Recht
der Besitzerwerbung. Nur noch einmal, am 27. Aug. 1248, war Bruder
Hartmann von Heldrungen Zeuge in einer Urkunde, worin der Vogt
Heinrich von Gera, Juttas Sohn, dem Kloster Cronschwitz eine
Schenkung seines Bruders, des Magdeburger Kanonikers Heinrich
von Weida bestätigt*). Neben dem von Heldrungen sind Zeugen
dieser Bestätigung der Vogt Heinrich von Plauen, ebenfalls ein Bruder
des Geraers, ein Ritter Heinrich von Aga, der bis 1262 wiederholt,
aber nie als Deutschordensbruder vorkommt''), dann der genannte
Bruder Hartmann von Heldrungen, der, wie oben gezeigt, ein naher
Verwandter des Vogtes war und wohl nur in dieser Eigenschaft
1) Urkundenbuch der Vögte, I, No. 70. 96, wo sicherlich auch
Hartmanns für Hermanns zu lesen sein wird. No. 177. 196. 201. 213.
2) Urkundenbuch der Vögte, I, No. 80.
3) Ebenda I, No. 71,
4) Ebenda I, No. 93.
.5) Ebenda I, No. 94. 100. 102. 123. 329.
Nochmals die Ausgrabung im Kloster Cronschwitz. 445
als Zeuge der Urkunde auftrat, und der jüngste Bruder des Vogtes
der Erfurter Predigermönch Heinrich von Weida. Inzwischen
scheinen nämlich die deutschen Herren ganz aus dem Kloster her-
ausgedrängt worden zu sein; denn als am 9. November 1256 Papst
Innozenz IV. Cronschwitz dem Predigerorden inkorporierte, über-
trug er nicht nur die geistliche Fürsorge, sondern auch die welt-
Uche Verwaltung den Dominikanern.
Die entscheidende Stelle in dieser Urkunde lautet: Et ne pro
eo, quod in monasterio vestro ipsius ordinis fratres residere
continue non tenentur, pro defectu sacerdotis possit
periculum imminere, predicti magister et prior ^) ad confessiones in
necessitatis articulo audiendas et ministranda sacramenta predicta
deputent vobis aliquos viros discretos et providos cappellanos.
Ad hoc liceat vobis redditus et possessiones recipere
ac ea libere retinere non obstantibus contraria consuetudine
seu statuto ipsius ordinis, confirmatione sedis apostolice aut quacum-
que firmitate alia roboratis, quorum ammiu istracioni prefati
magister et prior preficiant aliquos viros idoneos
ipsosque inde removeant et substituant alios, prout viderintexpedire^).
Von dem deutschen Orden ist in der Urkunde überall nicht mehr
die Rede, und es ist, abgesehen von oben gedachtem Hartmann von
Heldrungen, also seit 1248 weder ein Ritter, noch ein Priesterbruder
des deutschen Ordens in Cronschwitzer Urkunden nachzuweisen.
Damit fällt Pfaus Behauptung (im Neuen Archiv a. a. O. S. 143),
daß Priesterbrüder der Deutschherren recht gut friedlich neben
anderen Mönchen im Kloster leben konnten und daß von solchen
Priesterbrüdern die Schreiberei und Rechnerei der Verwaltung aus-
geübt worden sei. In Cronschwitz gab es nun einmal Beichtiger
oder Kapellane. Von ihnen findet sich zuerst ein Schreiber (scri-
ptor) Bruder Heinrich 1315, der in der Zeugenreihe nach Heinrich
von Gera, Prior in Plauen, und Hermann Höfer (wohl aus Eger)
steht. In Plauen und Eger gab es Dominikanerklöster, und der ge-
nannte von Gera war sicher Predigermönch"). 1328 erscheinen dann
in Cronschwitzer Urkunden gleich nach der Priorin, Unterpriorin
und einigen Nonnen, aber vor dem Mildenfurther Propste, den
Pfarrern von Teichwitz, Dorna und Lobenstein und mehreren Adligen
die Brüder Konrad Große, Dietrich von Eichicht, Bertram imd Konrad
1) Vorher genannt: magister et prior provincialis Theutonie
also der Generalmeister des Dominikanerordens und der Provinzial-
prior desselben für Deutschland.
2) Urkundenbuch der Vögte, I, No. 87.
3) Ebenda I, No. 463; vergl. No. 411. 486 und Nachtr. 5.
XXVII. 29
446 Nochmals die Ausgrabung im Kloster Cronschwitz.
Weber ^), die, wenn sie zum Teil Dominikaner und zum Teil Priester-
brüder des deutschen Ordens gewesen wären, doch jedenfalls auch
genauer unterschieden worden wären. Waren sie aber alle Domini-
kaner, wie es die Cronschwitzer Nonnen waren, bedurfte es keiner
solchen Unterscheidung.
Weiter folgen die Cronschwitzer Beichtiger und Kapläne: Rüdiger
Hübner von Eger (1353 — 1355), Johannes von Weißenfels (1353),
Johannes von Meerane (1353), Nikolaus (1353—1367), Albert (1355),
Hermann von Hagenest (1359), Siegfried (1367), Johannes Geier
(1402—1406), Nikolaus Natirs (1402), Johannes von Meißen (1402),
Friedrich Böser (1402—1406), Konrad Dölen (1402—1432), Nikolaus
Schreiber, Vogt des Klosters (1406), und Franz Seeberger (1411)'^).
Sie aUe waren, wie die Urkimden ergeben, unzweifelhaft Prediger-
mönche. Außer ihnen gab es in Cronschwitz aber noch Hofmeister
und Verwalter (provisores), und sie müßten doch, wenn der deutsche
Orden noch irgendwelchen Einfluß auf das Kloster gehabt hätte,
Ritter- oder Priesterbrüder desselben gewesen sein. Zweifelhaft könnte
solches zunächst noch von Heinrich von Sparnberg sein, der 1333
als Hofmeister erscheint^). Da aber die betreffende Urkunde zu
Gera uf „sente Nycolaus berge in der bruder stuben von Plauen",
d. h. in der dortigen Termine! der Plauener Dominikaner ausgestellt
ist, dürfte auch er Predigermönch gewesen sein. Vielleicht war er
sogar identisch mit dem zu 1315 erwähnten Schreiber Heinrich.
Der zweite urkundUch belegte Hofmeister Bruder Bertram war
zweifellos Predigermönch (frater Berthramus ordinis fratrum pre-
dicatorum et provisor curie sanctarum virginum beati Augustini in
Cronswitz*). Er war vielleicht identisch mit dem 1328 erscheinenden
(s. oben) Bruder Bertram. Ebenso möchte ich im Hofmeister Jo-
hannes von 1354*) den ein Jahr vorher erwähnten Johannes von
Weißenfels suchen. 1367 war ein Bruder Nikolaus von Rediz Hof-
meister, der, wenn er ein Priester bruder des deutschen Ordens war,
sicherlich als solcher von den folgenden Predigermönchen unter-
schieden wäre. Hierauf folgen als Hofmeister die Priester (er)
Gottfried Röder (1369) und Johann Räuber (1369). Letzterer kommt
1389 als Provisor des Dominikanernonnenklosters in Weida vor, war
also auch ein Predigermönch*). 1389 war Konrad Röder auf Wolfers-
dorf, also eia adliger Laie, Hofmeister in Cronschwitz. Ihm folgte
1) Urkundenbuch der Vögte, I, No. 650 u. 651.
2) Ebenda I, No. 936. 953; II, No. 47. 160. 421. 462 u. 527.
3) Ebenda I, No. 728.
4) Ebenda I, No. 878.
5) Ebenda I, No. 952.
6) Ebenda II, Nr. 180. 264. 329.
Nochmals die Ausgrabung im Kloster Cronschwitz. 447
wieder als solcher ein Priester (dominus) Berthold und 1409 aber-
mals ein Laie, der Knappe Johannes Eöder (vaHdus armiger Johannes
Röder administrator in temporalibus), dann Hans Blangenberger
(1440—1453), Hans v. Gurpis (1456), und Adam v. Schelditz (1505) ').
Von Rittern und Priestern des deutschen Ordens ist seit 1248 überall
nicht mehr in Cronschwitz die Rede, weil eben seit 1246 die Prediger-
mönche auch die weltliche Verwaltung des Klosters innehatten.
Ihre Mönche wohnten wahrscheinlich auch nicht im Kloster, sondern
in einem ziemlich weitab liegenden Nebengebäude, dem jetzigen
Pfarrhause.
Wie steht es nun mit den benimbten Kreuzsteinen in Cron-
schwitz? Sie müßten, wenn sie Deutschherrensteine sein sollten,
vor die Zeit fallen, wo Cronschwitz völlig den Dominikanern unter-
stellt wurde, also vor 1247. Zunächst fällt aber der Stein mit dem
Kreuz in dem gotischen Kampfschild seiner Form nach in eine spätere
Zeit. Auch halte ich ihn überhaupt nicht mehr für den Grabstein
eines Deutschordensritters ; denn das Kreuz dieses Ordens pflegt sonst
immer durch den ganzen Schild zu gehen. Weiter sind auch die
Steine mit dem benimbten Kreuze nicht allein diesem Orden zuzu-
schreiben. Nachdem ich nämUch im Verein mit Herrn Postsekretär
E. Kießkalt in Nürnberg, der eine große Menge mittelalterlicher
Grabsteine kennt, aus den bisher erschienenen Bau- und Kunst-
denkmälern deutscher Länder imd aus den Notizen Kießkalts etwa
70 Kreuzgrabsteine festgestellt hatte, ergab sich aus diesem Material
folgendes ^) : Grabsteine mit dem Kreuze, und zwar mit dem Nimbus,
wie ohne denselben, finden sich im südUchen und mittleren Deutchland
und zwar um den unteren Neckar herum, in Mittel- und Oberfranken,
in der Oberpfalz, in Thüringen und Provinz Sachsen, besonders im
Saalegebiet, und im Königreich Sachsen. Kreuzgrabsteine mit dem
Nimbus gibt es außer um Rochlitz, bei Pirna und in Cronschwitz,
noch einen in Rothenburg 0. T. und eine ganze Anzahl in Chammünster
bei Cham in der Oberpfalz. Letztere sind teils mit, teils ohne Wappen,
ebenso teils mit und teüs ohne Inschrift und gehören dem 13. und
14. Jahrhundert an. In Chammünster hat es nie Deutschordens-
ritter gegeben. In Rothenburg 0. T. gab es zwar eine Komturei
des Ordens, aber der Grabstein liegt in der Hospitalkirche, mit
welcher der Orden nichts zu tun hatte. Auch die Rochlitzer Kreuz-
1) Urkundenbuch der Vögte, II, No. 270. 329. 501, u. Zeitschr.
f. Thüring. Gesch. etc., XVI, S. 170.
2) Vgl. meinen Aufsatz: „Die Grabsteine mit dem Kreuze.
Eine Studie und Entgegnung" im Neuen Archiv f. Sachs. Gesch.,
XXIX, S. 342-351.
29*
448 Nochmals die Ausgrabung im Kloster Cronschwitz.
grabsteine mit dem benimbten Kreuze können schwerlich dem Orden
zugewiesen werden, da dieser erst 1280 in Zschillen (Wechselburg)
ansässig wurde und die benimbten Kreuzgrabsteine ohne Schrift und
Wappen sehr wahrscheinlich alle älter sind. Wie schon früher
bemerkt (S. 442), ist es außerdem noch sehr die Frage, ob Göhreu
später Deutschordensbesitz war. Auch zu Ottendorf bei Pirna
hat der Orden nachweislich keine Beziehungen gehabt und Pfaus
Aushilfe (in „Unsere Heimat" 1905, S. 91), daß durch irgendeinen
Zufall ein Deutschordenspriester „in eine fremde Pfarre, wo er
schließlich starb, gerufen werden" konnte, ist doch recht dürftig.
Aus der Zusammenstellung der Kreuzgrabsteine hat sich vielmehr
ergeben, daß das Kreuz wahrscheinüch nur den Stiftern und Wohl-
tätern von Kirchen und Klöstern auf den Grabstein gegeben wurde.
Der Nimbus ist die eigentliche romanische Ausschmückung des
Kreuzes. Er erscheint zuerst im 13. Jahrhundert und verschwindet
Ende des 14., als das Kreuz sich in hochgotischer Form heraus-
gebildet hatte, vollständig. Anfangs sind diese Steine noch ohne
Schrift und Wappenschild. Beide beginnen erst bei diesen Steinen
in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts.
So werden denn auch in Cronschwitz die Kreuzgrabsteine in
der Laienkirche solchen Personen angehört haben, welche dem Kloster
eine reiche Schenkung gemacht hatten und dafiu- Anspruch auf ein
Jahrgedächtnis hatten. Der mit dem Nimbus ist der ältere und
noch dem 13. Jahrhundert zuzuweisen. Ebenso dürften der benimbte
Kreuzstein in der Erbgruft der Vögte, sowie der sogenannte Jutta-
stein, da sie ihrer Form nach ins 13. Jahrhundert gehören, einfach
Stiftersteine gewesen sein, also den Landmeister und die Jutta be-
deckt haben. Daß die Jutta ein Wappen erhielt und der Landmeister
noch nicht, hegt offenbar daran, daß der Landmeister Heinrich von
Weida wohl nie ein Wappensiegel geführt hat. Als Laie siegelte
er noch mit einer antiken Gemme, und als Ordensbruder scheint er
überhaupt kein eigenes Siegel gebraucht zu haben ^). Von den
Vögten von Straßberg aber, aus deren Geschlecht die Jutta höchst
wahrscheinlich stammt, wurde schon 1249 ein Wappensiegel geführt *).
Von allen anderen kritischen und unkritischen Aussetzungen
Pfaus an unserem Ausgrabungsbericht wiU ich hier absehen. Zu
ihnen Stellung nehmen, würde zu weit führen. Bemerken will ich
nur noch, daß Pfau (S. 382) unsere Auffassung über die an den
Stoßfugen verschiedener Werkstücke angebrachten „Steinmetzzeichen "
(s. Bericht S. 362) offenbar nicht richtig verstanden hat. Es sind
also Zeichen gemeint, welche sich die Steinmetzen zur richtigen
1) Urkundenbuch der Vögte, I, No. 50. 64. 76 u. 79.
2) Mitteil, des Altertumsver. zu Plauen, I, S. XVI.
Nochmals die Ausgrabung im Kloster Cronschwitz. 449
Aneinanderfügung der zusammengehörigen Stücke gemacht haben.
Daher finden sich solche (Kreuze) auf den Stoßfugen und an Figur 9
(s. unseren Bericht S. 364) einmal nach außen eine Pfeilspitze, um
die Eichtung anzugeben.
Schließlich weise ich noch den uns von Pfau ziemlich un-
verhüUt gemachten Vorwurf, als sollten wir, weil nur sehr wenige
und „meist wertlose" Funde bei der Ausgrabung gemacht worden
sind, diese nicht in hinlänglich sorgsamer Weise ausgeführt haben,
als ganz unbillig zurück. Hätte der „archäologisch geschulte
wissenschaftliche Herr", den Pfau (S. 379) zart andeutet, sich 11 V2
Wochen in Cronschwitz hinsetzen können, um auf jeden Spatenstich
zu achten? Wir hatten einen gewissenhaften und gut eingerichteten
Vorarbeiter. Die Arbeiter hatten genaue, schriftlich aushängende
Vorschriften, wie sie sich bei etwaigen Funden verhalten sollten.
Sie bekamen Belohnungen, wenn Wichtiges gefunden wurde, und wir
haben nie bemerkt, daß etwas von unseren Arbeitern aus Unverstand
oder anderen Gründen vernichtet wurde. Sie wurden endlich auch
fast täglich von einem oder mehreren Mitgliedern des Ausschusses
beaufsichtigt. Architekt Trübcher weilte halbe Tage an der Aus-
grabungsstelle, und der Ortsgeistliche, Pastor Gräfe, hat hier eben-
falls häufig nachgeschaut. Ganz besonders ist endlich die Aus-
hebung und Untersuchung der Grabstätten stets unter unserer per-
sönlichen Leitung erfolgt, und Auerbach hat sie in meinem Beisein
mit größter Sorgfalt und Sachkenntnis ausgeführt. Pfau hätte sich
daher wohl besser erkundigen müssen, ehe er den Ausschuß in so
leichtfertiger und beleidigender Weise verdächtigte. Daß nicht viele
und kostbare Sachen gefunden wurden, lag jedenfalls an dem Cha-
rakter des Klosters als Tochter eines Bettlerordens mit strengster
Observanz, dessen Hauptgelübde Armut und Keuschheit waren. Wer
von Laien als Mitbruder oder Mitschwester in Cronschwitz begraben
wurde, mag wenigstens im Tode nach jenem Grimdsatz der Armut
behandelt worden sein. Und was ist schließlich in dem viel reicheren
Kloster Georgen thal bei Ohrdruf an Grabsteinen und Wertsachen
gefunden worden ? Nach Mitteilung des Herrn Pastor Bäthcke daselbst
nicht mehr als in Cronschwitz.
Nachtrag.
Vorstehende Arbeit sollte bereits im 26. Bande dieser Zeitschrift
gedruckt werden und war dazu rechtzeitig im Manuskripte fertig-
gestellt worden. Da aber die Redaktion derselben noch einige ältere
Aufsätze zu berücksichtigen hatte, wurde der meinige mit meinem
vollen Einverständnisse für den zweiten Halbband des nächsten
Jahres zurückgestellt.
450 Nochmals die Ausgrabung im Kloster Cronschwitz.
Inzwischen hat Herr Professor Dr. C. Pfau in Rochlitz in
seinem „Grundriß der Chronik über das EZloster Zschillen-Rochlitz"
(1909) und zwar in einem Abschnitte (S. 407—433), welcher die Über-
schrift trägt: „Grabdenkmäler von Deutschherren in Zschillen und
Umgegend", einen neuen Angriff auf mich eröffnet. Pfaus Aus-
führung wendet sich sowohl im allgemeinen gegen meine Erklärung
der Cronschwitzer Grabplatten (s. diese Zeitschr., XXIV, S. 147 ff.),
wie im besonderen noch gegen die von mir im Neuen Archiv f. Sachs.
Geschichte (XXIX, S. 342 ff.) gebrachte allgemeinere Studie über
die „Grabsteine mit dem Kreuz etc.", die er für „ganz verfehlt"
ansieht. Auch beliebt es Pfau, darin mir wiederholt Ungenauigkeiten
und anderes vorzuwerfen. Er erklärt z. B., daß die von mir zur
Begründung meiner Ansichten gemachten Angaben zum Teil auf
Irrtum beruhten, zum Teil ohne irgendwelche Beweiskraft wären.
Mit solchem groben Kaliber scheint er auf harmlose Leser seines
Aufsatzes, für den er in einem von ihm selbst herausgegebenen Buche
den breitesten Raum hatte, in dem Sinne einwirken zu wollen, als
ob er mich nun glänzend abgeführt hätte. Die Beurteilung darüber
überlasse ich ganz ruhig den Fachgenossen, doch zwingt mich die
nicht mehr sachliche Kampfesweise des Gegners, wenigstens kurz
darauf aufmerksam zu machen, wie wenig kommentmäßig er seine
Hiebe austeilt. Leider kann ich des sehr beschränkten Raumes
wegen nur Einzelheiten anführen, wobei ich mich zum Teil kurz auf
die Seitenzahl von Pfaus Arbeit beziehe.
Pfau beginnt (S. 407) mit dem Hinweise, daß der deutsche
Orden über 250 Jahre lang die Zschillener Propstei innehatte, man
also wohl erwarten könnte, in den zahlreichen Kirchen der Gegend
deutschherrliche Grabsteine anzutreffen. Diese Erwartung könnte
man aber doch bei allen Komtureien des Ordens in ganz Deutsch-
land haben, und trotzdem findet sich bei den meisten derselben kein
einziges Stück, ja selbst aus dem Ordenslande Preußen sind nur
wenige bekannt. Auch in der Zschillen-Rochlitzer Gegend ist sicher
nur ein deutschherrlicher Grabstein, und zwar ein Wechselburger,
nachzuweisen, welcher den Schild des deutschen Ordens mit dem
charakteristischen ganz durch denselben gehenden Balkenkreuz zeigt.
Dieser Stein hat nach Pfau (S. 408) daneben noch ein Wappenschild,
worauf ein Meerweibchen zu sehen ist. Ein solches soll nach Pfau
auch in einem Schlußsteine der Rochlitzer Kunigundenkirche und
der Brüderkirche zu Altenburg vorkommen, und Pfau fragt nun
rhetorisch (eine beliebte Form seiner Beweisführungen): „Könnte
dieses Meerweibchen nicht Deutschherrenbeziehungen zwi-
schen den drei erwähnten Ortschaften ausdrücken?" Demnach muß
doch jeder annehmen, daß die Brüderkirche in Altenburg dem deutschen
Orden gehörte. Das ist aber nicht der Fall. Die Brüderkirche
Nochmals die Ausgrabung im Kloster Cronschwitz. 45I
stand dem Franziskanerorden zu, während die Altenburger Deutsch-
herren das Marienhospital mit der Johanniskirche und später die
Lorenzkirche besaßen (s. Lehfeldt, Bau- und Kunstdenkmäler Thü-
ringens, S.-Altenburg, S. 23 u. 38). Ist das vielleicht Genauigkeit?
Außerdem kann man Pfaus obige Frage ruhig verneinen. Das Meer-
weibchen beweist doch nur, daß ein adliges Geschlecht, welches
solches Wappen führte, zu aUen drei Orten Beziehungen hatte.
S. 410, Z. 14 von unten schreibt Pfau: „Auffälligerweise hat
Schmidt alle seine besprochenen Denkmäler, obschon sie sich zeit-
lich regelmäßig (!) gar nicht sicher bestimmen lassen, nach ihrer
angeblichen Entstehungszeit zusammengestellt, nicht aber nach
ihrer Form etc." Das ist eine offenbare Entstellung; denn gerade
die Form und Ausschmückung des Kreuzes gab mir den Anhalt
für meine zeitliche Bestimmung und muß ihn geben, wo andere An-
haltspunkte fehlen. Übrigens urteilt Pfau, wo es ihm paßt, selbst
nach der Form, so S. 417 beim Steine mit dem Heldrun gen sehen
Wappen und S. 418 bei dem Grabsteine aus Breitenborn.
S. 410, Abs. 2 führt Pfau den Grabstein des Hochmeisters
Konrad von Thüringen (f 1241) als Beispiel des ältesten Deutsch-
ordenssteines an. Dieses schöne Denkmal steht in bezug auf seine
künstlerische Ausstattung einzig da. Es wird, wenn es auch nicht
ganz gleichzeitig sein dürfte, doch der zweiten Hälfte des 13. Jahr-
hunderts angehören. Zu beachten ist aber, was Pfau übersehen hat,
daß es wahrscheinlich von einem italienischen Meister stammt, und
es also noch fraglich ist, ob das Denkmal den sonstigen Gepflogen-
heiten des deutschen Ordens entsprochen hat. Der Stein ist in der
Elisabethkirche zu Marburg befindlich und zeigt außer der Figur
des Hochmeisters zwei Wappenschüde, den einen mit dem thüringisch-
hessischen Löwen, den anderen mit dem schwarzen Balkenkreuz,
welches ganz durch den weißen Schild geht. Das ganze Denkmal
hat noch ziemlich vollständig seine lu-sprüngliche Bemalung (v. Hefner-
Alteneck, Trachten des christlichen Mittelalters etc., I, S. 99 und
Tafel 79). In derselben Kirche befindet sich auch noch ein bemalter
Originalschild aus dem 13. Jahrhundert. Er zeigt gleichfalls den
thüringisch-hessischen Löwen und über dessen rechtem Fuß das
kleine Schildchen des deutschen Ordens, worin wieder das Balken-
kreuz ganz durch den Schild geht. Nach der Form des Schildchens
und nach der Ansicht von v. Hefner-Alteneck wird es wohl erst
gegen Ende des 14. Jahrhunderts auf den Löwenschild gemalt sein.
Man nimmt an, daß Konrad diesen Schild einst getragen habe, dann
aber wohl schwerlich als Deutschordensritter, sondern vor der Zeit,
wo er in den Orden trat, also vor 1234 (v. Hefner-Alteneck, a. a. O.
S. 100, Tafel 80). Übrigens könnte der Schild seiner Form nach auch
einige Jahrzehnte jünger sein und durch die Aufmalung des deutsch-
452 Nochmals die Ausgrabung im Kloster Cronschwitz.
herrlichen Schildchens eine nachträgliche Beziehung auf Konrad er-
halten haben. An dieser Stelle will ich gleich einige Grabsteine von
Deutschherren anführen, welche aus dem Ordenslande Preußen selbst
stammen. Von ihnen weiß ich durch Herrn Geh. Baurat Stein-
brecht, den Leiter der Wiedererbauimg der Marienburg. Er schrieb
mir bereits am 15. Juni 1906 darüber : „Von Grabsteinen der Deutsch-
herren ist hier zu Lande nicht viel erhalten. — Die ältesten Grab-
steine sind nur in Resten der Umschrift nach entdeckt, z. B. der
vom Landmeister Konrad Sack (f nach 1306) in Culmsee — jetzt
nicht mehr vorhanden, v. Quast erwähnt nur die Bruchstücke der
Eandinschrift. So ist's auch mit dem Grabstein Herzogs Luther von
Braunschweig, Hochmeisters, im Dom zu Königsberg (f 1335). Auch
der große Grabstein des Hochmeisters Dietrich von Altenburg hier
in Marienburg hat nur Umschrift. Das Feld ist leer. Des Hoch-
meisters Dusemer Stein hier (t 1352) hat Umriß in ganzer Figur.
Die Tartsche zu seinen Füßen hat das schlichte Balkenkreuz (das
nach der beigefügten Zeichnung durch den ganzen Schild geht).
Der Stein des Hochmeisters Heinrich von Plauen (f 1429) hat auch
nur leeres Feld zwischen der Umschrift. Der Stein des Komturs
Günther v. Hohenstein (f ca. 1380) in Brandenburg a. Haff ist seiner
Bronzeeinlage beraubt und war eine Ganzfigur im Ordensmantel.
Am reichsten ist die Bronzeplatte des Komturs Kuno v. Liebenstein
in Neumark (f ca. 1.392). Es umgeben den in voller Eüstung dar-
gestellten Komtur die Wappen seiner Ahnen, er selbst hat die
Tartsche mit dem schlichten Ordenskreuz (das in der beigefügten
Zeichnung durch den ganzen Schild geht). Die Begräbnisstätten
der schlichten Ritter sind hier in Marienburg nicht durch Steine
ausgezeichnet gewesen. Sie ruhten hier bei der St. Annenkapelle
auf dem Kirchhof. Wahrscheinlich bezeichnete nur ein Holzkreuz
die Gräber. Von Steinen müßte doch irgend ein Rest verblieben sein.
Das ist so ziemlich alles. Mehr ist von Malereien vorhanden. Stets
ist das Kreuz schlicht ohne Endverzierungen. " So weit
Steinbrecht. Man beachte den Ordensschild, der bis ins 16. Jahr-
hundert stets derselbe geblieben ist. Ein persönliches Wappen haben
in Preußen bis ins 16. Jahrhundert selbst die Hochmeister nicht
geführt. Heinrich von Plauen ließ zwar auf den Goldgülden des
Ordens sein Famiüenwappen anbringen, aber das wurde ihm vom
Orden sehr verdacht. Dudik, der beste Kenner der Ordensmünzen
(S. 106), bemerkt, daß die Anwendung des FamiUennamens und
Wappens auf den Goldgülden Heinrichs von Plauen eine Neuerung
gewesen sei, welche mit seiner Absetzung aufgehört habe und erst
unter den letzten drei Hochmeistern wieder aufgetaucht sei. Und
wie in Preußen, dürfte es in älterer Zeit auch in den Komtureien
des übrigen Deutschlands gehalten worden sein. Die Wappen der
Nochmals die Ausgrabung im Kloster Cronschwitz. 453
Ordensritter werden auch hier erst im späten Mittelalter auf den
Grabsteinen erscheinen, wie in Wechselburg auf dem des Land-
komturs V. Beilersheim (f 1500) und auf dem wenig älteren Stein
mit dem Meerweibchen im Schilde, dessen Form dem Ende des 15.
oder Anfang des 16. Jahrhunderts entspricht.
S. 412 Abs. 1 erzählt Pfau, daß die hier in Frage kommenden
Kreuzsteiue der weiteren (I) Rochlitz-Zschillener Gegend ein Kreuz
zeigen, „das sicher nicht als ein bloß allgemein christliches Symbol
aufzufassen ist; als solches würde es nur andeuten, daß unter dem
Stein ein Christ bestattet wäre, zu einer Zeit, in welcher es keine
Heiden mehr im Lande gab; Juden erhielten bei uns jedenfalls
keine besonderen Grabsteine im Mittelalter, wenigstens habe ich nie
ein derartiges Denkmal erwähnt gefunden." Welcher Schluß ! Mit
demselben und besserem Rechte könnte man behaupten, es sollte mit
dem Kreuze als dem eigentlichen Symbol des Christentums ange-
deutet werden, daß sich der unter dem Kreuze Begrabene besondere
Verdienste um die Kirche erworben habe. Jüdische Grabsteine finden
sich ferner noch ziemlich zahlreich, so in Rothenburg 0. T. aus der
Zeit von 1345—1387 (s. Kießkalt, Die altertümlichen Grabdenkmäler
der Stadt Rothenburg o. T., Coburg 1908, S. 61), noch ältere, wenn
ich nicht irre, in Worms und Nürnberg, und sehr bekannt sind die
ins 12. Jahrhundert zurückreichenden Denkmäler auf dem Juden-
kirchhof in Prag.
S. 413 stellt Pfau zur Bestimmung der Kreuzsteine die Forderung
auf, sehr sorgfältige Erhebungen durch eine kritische Ortsforschung
anzustellen, welche sich besonders mit der Feststellung von Geistlichen
und anderen in der Kirche Begrabenen etc. zu befassen hätte. Nun
für Cronschwitz habe ich in meiner vorstehenden Arbeit solche Er-
hebungen gemacht und gefunden, daß Deutschritter im späteren
Mittelalter kaum noch in Cronschwitz begraben sein können. Für
seine eigene Arbeit stellt Pfau selbst aber keine solche Personen-
forschung an, wodurch die Streitfrage gefördert werden könnte. Mit
seinen spärlichen Hinweisen auf ein paar Ordenspriester der Rochlitzer
Gegend (S. 415. 421 und öfters) beweist er gar nichts für die
Kreuzsteine.
S. 414 bringt Pfau in seiner Beweisführung folgendes: „Ein
Grabstein in der Kreuzherren kirche zu Eger weist ein Kreuz über
einem Stern d. h. das spätere Wappenbild der dortigen deutschhen--
lichen Komturei, auf, die ein schwebendes Kreuz über dem sechs-
strahligen Stern im Schilde führte; nach diesem Wappen hießen die
Egerer Deutschherren auch Kreuzer (Kreuzherren) mit dem Stern.
Aus dieser Grabplatte geht ohne weiteres hervor, daß sich Deutsch
herren gelegentlich durch ein Ordens- oder Komturzeichen auf dem
Denkstein zu erkennen gaben. Das Egerer Komtureiwappen wurde
454 Nochmals die Ausgrabung im Kloster Cronschwitz.
mitunter als ein persönliches angenommen; beispielsweise führt der
Egerer Komtur Nicolaus Sachs dieses Wappen, darüber die Buch-
staben N. S. in seinem Siegel etc." Den gleichen Unsinn bringt
Pfau noch wiederholt vor (S. 417 u. 432). Pfau verwechselt nämHch
hierbei zunächst die Kreuzherren und Deutschordensherren. Der
Orden der Kreuzherren in Eger und anderswo war keineswegs
identisch mit dem deutschen Orden. Er war ein speziell böhmischer,
bez. schlesischer Orden und lebte nach der Augustinerregel. Er hatte
auf dem schwarzen Mantel ein rotes Kreuz mit rotem Stern (vergl.
hierzu Gradl, Gesch. des Egerlandes, S. 101. 121. 138. 165. 216. 218.
220. 248. 254. 261 und 351, und P. Hippolyt Helyorts AusführUche
Gesch. aller geistlichen und weltlichen Kloster- und Ritterorden etc.
Bd. II, [Leipzig 1753] S. 274 ff.). Auch kann das Siegel, welches
nach Pfau Nikolaus Sachs führt, nicht mit dem Komturwappen des
deutschen Hauses in Eger, sondern nur mit dem der Kreuzherren
in Beziehung gebracht werden. Sachs, was Pfau allerdings sorgsam
verschweigt, war erst von 1556—1559, also in nachreformatorischer Zeit
Komtur des Egerer Hauses, und zu derselben Zeit gab es auch noch
einen Kommendator oder Spitalmeister der Kreuzherren in Eger
(s. Siegl, Die Kataloge des Egerer Stadtarchivs, Eger 1900, S. 209
u. 210). Vielleicht war jener Sachs ursprüngUch einmal Bruder
der Kreuzherren gewesen und später Deutschordensbruder oder gar
evangelisch geworden. S. 432 Z. 1 v. unten gibt auch Pfau das
Siegel des deutschen Hauses zu Eger richtig und so an, wie es
stets und bei allen Komtureien des Ordens geführt wurde, nämlich
das schlichte Balkenkreuz, welches durch den ganzen Schild geht.
Da Pfau übrigens Gradls Geschichte des Egerlandes benutzt hat
(vergl. S. 414 Anm.) und mir wiederholt Ungenauigkeiten vorwirft,
so kann ich hier kaum mehr eine solche auf seiner Seite, sondern
nur eine bewußte Irreführung annehmen.
S. 415 Z. 19 V. oben schreibt Pfau, diese ritterlichen Patro-
natsherren durften hier (in Göhren) doch offenbar Weltgeistliche
oder Ordensleute nach Belieben (?) anstellen; denn die Vorschrift
Heinrichs von Mersebung von 1288, wonach die auf der linken
Muldenseite gelegenen Patronatskirchen Zschillens, also auch Göhren,
vom Kloster nicht mit Deutschherren besetzt werden sollten, mußte
für Göhren durch den Patronatswechsel von 1290 hinfällig werden.
Mir scheint aber eher auch dieser Patronatswechsel — früher hatte
der Orden das Patronat, seit 1290 die Herren von Königsfeld —
damit zusammenzuhängen, daß kein Deutschordenspriester mehr in
Göhren amtieren soUte. Vergl. übrigens Pfau S. 423 Z. 7 v. oben,
wo Pfau etwas ganz Entgegengesetztes aus der Vorschrift von
1288 folgert.
Nochmals die Ausgrabung im Kloster Cronschvvitz. 455
S. 415 Z. 7 V. unten führt Pfau „seines Wissens" (m. W.) nur
drei Hauptsitze der Deutschherren innerhalb des Königreichs Sachsen
an, die Königsteiner Burggrafschaft, die Propstei Zschillen und die
Komturei Plauen. Daß es auch in Eeichenbach und Adorf Komtureien
gab, scheint Pfau nicht zu wissen. Es ist auch durchaus unrichtig,
sich für derartige Untersuchungen nur auf Sachsen zu beschränken.
Wenigstens mußten die benachbarten Deutschordenshäuser Schleiz
und Altenburg mit zum Vergleiche herangezogen werden. Nach
Pfau finden sich denn in Sachsen nur in der Eochlitz-Zschillener
Gegend die benimbten Kreuzsteine, nein ! doch noch einer in Ottendorf
bei Pirna, das sich nach Pfau wenigstens in der Gegend (?) der
Königsteiner Burggrafschaft nachweisen läßt.
S. 416 Z. 6 V. oben leistet sich dann Pfau folgenden Scherz.
Er schreibt: da nach der päpstlichen Bulle von 1362 augenscheinlich
eine Kirche Ottendorf unter Zschillener Patronat stand, so ist die
Möglichkeit vorhanden, daß unter diesem Ottendorf das bei Pirna
zu verstehen ist; denn der Umstand, daß in dem päpstlichen Briefe
zusammengenannt werden : Mitteweide , Ottindorf , Ebirhardisdorf,
Wedera, Clusnitz, Urswalde etc., bietet noch keinen ausreichenden
Grund, dieses Ottendorf unbedingt bei Mittweida suchen zu
müssen. Pfau weiß doch wohl selbst recht gut, daß die übrigen
hier genannten Orte Ebersdorf, Wiederau, Klausnitz und Auerswalde
sämtlich zwischen Eochlitz und Mittweida liegen. Demnach kann
doch nur das Ottendorf bei Mittweida und nicht der gleichnamige
Ort bei Pirna hier gemeint sein. Wozu also diese Verschleierung?
S. 416 beschreibt Pfau die älter benimbten Kreuzsteine, konstruiert
aus ihnen eine Kreuzgrundform und meint, diese Form könne
keine zufällige sein, sondern durch dieses Zeichen würde die Zu-
sammengehörigkeit der Begrabenen zu einer Körperschaft ausgedrückt.
Die Kreuzgrundform ist zunächst eine bloße Phantasie von Pfau. Das
Kreuz mit Nimbus und Fußbogen ist vielmehr, wie ich bereits im
Neuen Sachs. Archiv a. a. O. nachgewiesen habe, die romanische
und bis in die frühere gotische Zeit hinaufreichende Darstellung
des Kreuzes auf Grabsteinen in den verschiedensten Gegenden
Deutschlands.
S. 416 Z. 7 V. unten vergleicht dann Pfau den „besonderen (!)
Fuß" der Kreuze in der Zschillener Pflege und des Ottendorfer
Steins mit den halbkreis- oder giebelförmigen Kreuzfüßen auf den
Brakteaten des deutschen Ordens. Da nun aber diese Hohlmünzen
dem 13. Jahrhundert angehören, bestätigen sie gegen Pfau meine und
anderer Forscher Ansicht über das höhere Alter der benimbten Kreuz-
grabsteine.
S. 417 beschreibt Pfau nochmals die Steine der Eochlitzer Pflege.
Wieder verweist er (unter No. 4 Z. 9 v. oben) den Stein mit dem
456 Nochmals die Ausgrabung im Kloster Cronschwitz.
Heldrungenschen Wappen wegen der Bildung „des Fußkreuzes" (!
wohl Kreuzfußes) in die Spätzeit des 13. Jahrhunderts, ohne meine
im Neuen Archiv für Sachs. Gesch. XXIX, S. 347 geäußerte Ansicht
zu beachten und zu widerlegen. Ich hatte dort den Stein erst der
Mitte des 14. Jahrhunderts zugewiesen, wozu mich die Formen des
Kreuzes und seiner Fußverzierungen bestimmten. Dieses Kreuz mit
den Kleeblattenden entspricht übrigens so wenig dem sonst be-
kannten schlichten Balkenkreuz des deutschen Ordens, daß ich jetzt
nicht mehr anstehe, diesen Grabstein dem Orden überhaupt abzu-
sprechen. Meine a. a. O. geäußerte Ansicht, daß man es hier
vielleicht mit einem Gedächtnisstein für den Hochmeister Hartmann
von Heldrungen zu tun hätte, lasse ich glatt fallen.
S. 419 behauptet Pfau, daß die schriftlosen benimbten Grabsteine
der weiteren (?) Pflege von Zschillen nur in Ortschaften auftreten,
welche zur Verwaltung der Propstei in engster Beziehung standen.
Zschillen kam , was ich hier nochmals betone, erst 1280 an den
Orden, Seelitz und Göhren ebenso. Letzteres wurde bereits 1290 vom
Orden wieder abgetrennt. Daß Breiten born, bevor es selbständige
Pfarrkirche wurde, einmal Filiale der Rochlitzer Petrikirche gewesen
sei, wie Pfau uns einreden wiU, ist vöUig unerwiesen, und
Ottendorf bei Pirna verschweigt Pfau hier vorsichtigerweise ganz.
S. 420 Abs. 2 erklärt Pfau, daß auf Grund seiner Er-
hebungen die von ihm geschilderten Kreuzgrabsteine der weiteren
(? ich mache hier wieder ein Fragezeichen, weil durch diesen Ausdruck
der Umfang der Pflege verschleiert wird) Zschillener Pflege sämtlich
Deutschherren zuzusprechen wären. Ich habe von Erhebungen, welche
das auch nur wahrscheinlich machen , nichts in seinem Aufsatze
finden können. Nur der Wechselburger Stein mit dem schlichten
Deutschordenskreuz ist das einzige sichere Beweisstück.
S. 420 Abs. 3 heißt es ferner bei Pfau: „da der Nimbus ein
kirchliches Symbol ist, so könnte derselbe, dem Ordenskreuz bei-
gefügt, eine priesterliche Person bedeuten", und in Absatz 4 heißt
es dann verblüffend bei ihm : „Auf Grund der oben angestellten Er-
örterungen schreibe ich die benimbten Zschillener Kreuze Priester-
brüdern zu, die unbenimbten (mit dem Wappen) Eitterbrüdern." Ja
so beweist Pfau!
S. 422 führt er an, daß viele Eitterbrüder der Marianer
(Deutschherren) nicht adlig waren und deshalb wohl regelmäßig (!?)
über kein Familienwappen verfügten. Solche Wappen kommen
aber vereinzelt auch bei Bürgern und Bauern vor. Sodann mußte
nach den Satzungen des deutschen Ordens der Aufzunehmende
schwören, daß er ein Deutscher von Geburt, aus einem adligen
und unbescholtenen Geschlecht wäre etc. etc. (s. P. Hippolyt Hely-
orts Ausführl. Beschreibung aller geistl. und weltl. Klöster und
Nochmals die Ausgrabung im Kloster Cronschwitz. 457
Ritterorden, III, S. 169, und Voigt, Geschichte Preußens, VI, S 410
u. 487).
S. 422 Z. 15 V. oben bringt Pfau wieder die ominöse Kreuz -
grundform und behauptet, nur der Heldrungenstein (No. 4) und
der eine ßreitenborner (No. 7) ließen sich zeitUch näher bestimmen.
Er setzt den ersten ins Ende des 13. und den anderen ins 16. (!)
Jahrhundert, was ich auf Grund meiner Studie im Neuen Sachs.
Archiv nochmals energisch bestreite.
S. 422 Abs. 2 Z. 3 schließt Pfau dann : „Da die anderen (Kreuz-
steine) das auf einem Kreisbogen stehende Kreuz ohne jede stilistisch
charakteristische Verzierung wiedergeben, eine derartige Kreuz-
grundform (!) aber allen Stilarten gleicherweise zukommt, so
können diese nicht näher zu bestimmenden Platten ganz ver-
schiedenen Jahrhunderten angehören. Wenn diese Steine auch zu-
nächst romanisch anmuten, so wird man doch gut tun, sie eher
dem Ausgang des Mittelalters, als früherer Zeit zuzuschreiben,
schon aus der Erwägung, daß alle diese Kirchen, worin oder wobei
sich diese Denkmäler befanden, in der spätesten mittelalterlichen (! ja
noch in nachreformatorischer) Zeit sehr umfassende Umbauten
durchgemacht haben; bei derartigen Gelegenheiten wurden aber
regelmäßig alte romanische Bauteile — und auch Grabsteine
— als Bausteine verwendet." Schön! Dabei werden also wohl jene
alten Grabplatten, welche ihrem Stile nach romanisch sind, mit-
verwendet worden sein. Die meisten der von Pfau S. 417 — 419 an-
geführten Stücke und der Cronschwitzer Juttastein waren ja später
Trittplatten, Pflastersteine und sonstige Bauteile. So schlägt Pfau
sich selbst. Auch daß mehrere Kirchen, wie Pfau S. 423 Z. 1 v.
oben bemerkt, zur Zeit über keinen sichtbaren romanischen Bau-
befund mehr verfügen, kann gar nichts für das geringere Alter der
Grabsteine beweisen.
S. 423 Z. 7 V. oben behauptet Pfau, nachdem er S. 415 uns
erzählt hat, daß die bischöfliche Verordnung von 1288, wonach die
auf der linken Muldenseite gelegenen Kirchen, also auch Göhren,
vom Kloster ZschUlen nicht mit Deutschordenspriestern besetzt
werden sollten, für Göhren durch den Patronatswechsel hinfällig
geworden wäre, jetzt auf einmal von derselben bischöflichen Ver-
ordnung, daß sie jedenfalls in alter Zeit eingehalten und
erst spät, schwerUch vor dem 15. Jahrhundert durchbrochen wurde.
So kann Pfau eben alles beweisen.
Weiter leistet er sich S. 423, Abs. 1 folgende Überhebung : „In
den Inventarisationswerken über die Altertümer der einzelnen Länder
werden derartige KJreuzsteine oft dem 12.— 14. Jahrhundert zuge-
schrieben, aber ohne jeden Beweis, ohne jede ortsgeschichtliche Unter-
suchung und deshalb können solche Angaben schwerlich Anspruch
458 Nochmals die Ausgrabung im Eüoster Cronschwitz.
auf einwandfreie Annahme seitens einer wissenschaftlichen Sonder-
forschung erheben." Der einzige Vertreter der letzteren scheint
danach Pfau zu sein, obwohl die Bearbeiter der In ventarisations werke
meiner unmaßgebhchen Meinung nach doch auch wissenschaftüch
einigermaßen ernst zu nehmen sind. Außerdem haben sie den Vor-
zug, nicht wie Pfau und — ich befangen zu sein.
S. 423, Abs. 2 z. Schi, beruft sich Pfau, um zu beweisen,
daß der als einfacher Kreisbogen gebildete Fuß der Grabkreuze
nicht eine ausschließlich romanische Verzierung ist, auf den Zeitzer
Grabstein von 1342. Er verschweigt, daß er selbst (in Unsere
Heimat, 1905, No. 4, S. 91) die Richtigkeit dieser Jahreszahl an-
gezweifelt hat, und ich (im Neuen Archiv f. Sachs. Gesch., XXIX,
S. 347, No. 36) die gleiche Ansicht geäußert habe.
Im weiteren wendet sich Pfau gegen meine Auffassung, daß
die Kreuze auf den Grabsteinen Stifterkreuze gewesen sein könnten.
Ich will mich mit Pfau, um kurz zu sein, darum nicht streiten. Es
ist eine Theorie mehr zur Erklärimg der Kreuzsteine und besser
begründet als die Pfaus. Nur weniges will ich noch bemerken.
Zunächst möchte ich zu Pfau, S. 425 Abs. einwenden, daß es
noch gar nicht ausgemacht ist, ob die alten, jetzt schriftlosen Grab-
steine auch wirkUch schriftlos waren. Ein Kreuz und die Konturen
eines Schildes Ueßen sich leicht in den Stein hauen, Schriftzüge
machten bei manchem Material schon größere Schwierigkeiten. Es
ist doch ziemUch spät entdeckt worden, daß antike Statuen Be-
malung hatten. Der Marburger Deutschordensstein des Hochmeisters
Konrad von Thüringen zeigt ebenfalls alte Bemalung. Warum sollen
manche Steine nicht auch Schriftbemalung gehabt haben? Auch ist
nicht ausgeschlossen, wie v. Hefner-Alteneck a, a. S. 103 berichtet,
daß im frühen Mittelalter manche roh bearbeiteten Grabplatten in
den Boden eingelassen waren, um die Grabstelle einer Person genau
zu bezeichnen, während an der Wand ein zweites erhaben ge-
arbeitetes Denkmal weitere Nachrichten gab. Könnte nicht auch in
Cronschwitz imd anderswo etwas Ahnliches gewesen sein? Wenn
ferner Pfau S. 425, Z. 19 v. oben die „armseligen" Cronschwitzer
Grabplatten nicht als Gedächtnissteine für hochgestellte Stifter, wie
der Landmeister Heinrich von Weida und seine Gemahlin Jutta ge-
wesen wären, gelten lassen wiU, so vergißt er ganz die damals noch
strenge Observanz der Orden und besonders des Bettlerordens, dem
Cronschwitz gehörte, welcher auf das Gelübde der Armut den größten
Wert legte. Als gegen Ende des 15. Jahrhunderts die Observanz in
Cronschwitz lax wurde, kamen die schönen Grabmonumente des
V. Wolframsdorf und des Unbekannten aus EochUtz auf. Die ganz
schmucklosen benimbten Kreuzsteine aber passen gar nicht in diese
Zeit. Wie einfach und armselig ist in künstlerischer Beziehung doch
Nochmals die Ausgrabung im Kloster Cronschwitz. 459
der Rodaer Grabstein des Hartmann v. Arnshaugk aus dem Jahre
1289, und er ist sicherlich jünger als die Grabplatten des Land-
meisters und der Jutta. Und weiter bedenke man die schon er-
wähnten einfachen Grabsteine der Hochmeister des Ordens in Preußen,
dem eigenthchen Ordenslande, also Grabsteine des höchsten Würden-
trägers in der Annenkapelle der Marienburg, am Ehrenplatze des
Ordens. Sie haben zum Teil nur Umschrift bei leerer (wenn nicht
früher bemalter) Platte und führen alle kein persönliches Wappen,
sondern höchstens und selbst in späterer Zeit noch den Ordensschild
mit dem schlichten Balkenkreuz, das durch den ganzen Schild
geht, nie schwebend war. Der Grabstein des Hochmeisters Heinrich
von Plauen, Retters der Marienburg und eines Nachkommen des
Landmeisters, hat weder Bild noch Schild, sondern nur die einfachen
Worte : „In der Jarzcal Christi MCCCCXXIX, do starp der erwirdige
brvder heinrich von Plawen" (s. Beschreibung des Schlosses Marien-
burg: Zur Säkularfeier in Marienburg, 1872, S. 46).
S. 425, Abs. 2 sagt Pfau : „Grabdenkmäler von Stiftern — ver-
wandte man in vorreformatorischen Tagen schwerlich als Bau-
steine. Ein Kreuzstein in Seehtz hat aber nachweislich in katho-
lischer Zeit dieses Schicksal gehabt und wahrscheinUch auch der
sogenannte Juttastein in Cronschwitz etc.'' Pfau übersieht ganz,
daß letzterer viel wahrscheinlicher in nachreformatorischer Zeit als
Treppenstufe verbaut sein wird (vgl. S. 442) und vom Seelitzer Stein
berichtet er S. 418, Abs. 2, Z. 6 v. unten selbst, daß er erst 1528,
also in reformatorischer Zeit, als Baustein verwandt wurde. Und
wenn auch SeeUtz noch kathoUsch gewesen wäre, so könnte der
schriftlose alte Stein doch nicht mehr verstanden und deshalb bei
einem Neubau ausgemerzt worden sein. Restaurationen haben bekannt-
lich mehr Altertümer zerstört als Feuer und andere Naturgewalten.
Die alten Chammünsterer Steine mit dem benimbten Kreuze
stören Pfau sehr. Er ist also glückUch, nachweisen zu können, daß
1210 Herzog Ludwig der KeLheimer der Deutschherrenkirche in
Regensburg die Kirche in Cham, welche später Filial zu Cham-
münster war, überlassen habe. Diese Notiz war mir bekannt, er-
schien mir aber deshalb unwesentlich, weil jene Schenkung über-
haupt nicht praktisch geworden zu sein scheint; denn schon 1260
überließ Bischof Albert II. von Regensburg die Pfarrei Cham mit
der Pfarrkirche Chammünster seinem Domkapitel und dieses blieb
bis zur Säkularisation im Besitz der Kirche (s. Kunstdenkmäler von
Oberpfalz und Regensburg, Heft VI, S. 49). Eine Beziehung des
deutschen Ordens zu der ganzen Cham er Gegend ist seitdem nicht
mehr nachzuweisen. Also können die Chammünsterer Steine auch
nicht, wie uns Pfau mit einem „möglicherweise" einreden will, Nach-
bildungen deutschherrlicher Steine gewesen sein.
460 Nochmals die Ausgrabung im Kloster Crouschwitz.
S. 429, Z. 1 von oben widmet Pfau dem verstorbenen Steche
in Dresden einen Nachruf, indem er kurzweg behauptet, die frühe
Datierung der Steine in Ottendorf und Göhren, die Steche gibt,
beruhe nur auf persönlicher Willkür. Ich will auch nicht
alles unterschreiben, was Steche gebracht hat, aber jedenfalls be-
urteilte er jene Grabplatten nach der Stilform und Zeichnung und
nicht, wie Pfau, nach einer von ihm selbst zugunsten seiner Theorie
von den Kreuzgrabsteinen erst erfundenen Schablone.
Im weiteren, S. 430, will Pfau nochmals dartun, daß der deutsche
Orden auch nach 1247 noch Einfluß in Cronschwitz gehabt habe.
Meine vorstehende Untersuchung erübrigt jede Widerlegung. Pfau
muß, ehe ich die Waffen vor ihm strecke, mich von der Richtigkeit
seiner Ansicht überzeugen. Dann gebe ich gern nach, wie ich z. B.
seine Korrektur über den Wolframsdorfer Grabstein (S. 433), daß
auf ihm 1479 statt 1419 zu lesen sei, sofort annehme und ebenso
seiner Ansicht bin, daß die Jahreszahl 1385 auf dem Stein des Un-
bekannten aus Rochlitz noch zweifelhaft ist. Auf die richtige Da-
tierung des Wolframsdorfer Steines war ich übrigens schon durch
eine Notiz Heinrichs XXVI. gebracht worden (s. S. 440).
Pfau hat endüch trotz vieler Worte nicht nachgewiesen, daß
die schriftlosen benimbten Kreuzgrabsteine einer viel späteren Zeit
angehören, als viele Bearbeiter der Inventarisationswerke und ich
nach der Form des Kreuzes und seines Beiwerkes (Nimbus und Fuß)
annehmen. Er hat nicht einmal wahrscheinlich gemacht, daß jene
Kreuzgrabsteine der Rochlitzer - Zschillener Pflege dem deutschen
Orden zuzuschreiben sind, und daß der Nimbus nur allein den
Priesterbrüdern des Ordens zukam.
Ich habe diesen Nachtrag, da die Zeit zur Drucklegung drängte,
in wenigen Stunden machen müssen. Sonst hätte ich bequem noch
besser zeigen können, daß das Kartenhaus Pfaus, wo man es nur
antippt, sofort zusammenstürzt. Ich weiß, Pfau wird auch auf diese
Arbeit wieder antworten. Hat er doch, wie ich hörte, schon eine
Erwiderung angemeldet, ehe ich ein Wort von dem vorstehenden
Aufsatze niedergeschrieben hatte. Mag er solches tun. Ich werde
ihm nicht mehr antworten, da ich keinem zumuten möchte, noch-
mals von unserem persönlichen Streite Notiz nehmen zu müssen.
Was die wissenschaftliche Frage nach den Kreuzsteinen, meiner
Stiftertheorie und den Grabplatten des Landmeisters und der Jutta
betrifft, so überlasse ich die Entscheidung über ihre Haltbarkeit
getrost der Beurteilung eines wirklichen Fachmannes.
Schleiz, im März 1909. Dr. Schmidt.
XIII.
Zum „Schwedenschreck" jm Jahre 1706.
Von
Prof, Dr. Jordan in Mühlhausen in Thür.
Die beiden ersten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts waren
bekanntlich mit großen Kriegen angefüllt. Der Westen
und Süden Europas, wie der Norden und Osten standen
unter Waffen in Kämpfen, in denen die alten Bundesgenossen
Frankreich und Schweden schließlich von der Höhe der
Macht herabgestürzt wurden. Am interessantesten ge-
staltete sich die Lage im Jahre 1706. In zwei großen
Schlachten wurde Frankreich besiegt, zugleich aber erschien
nach glänzender Siegeslaufbahn Karl XII. in Sachsen, und
schon drohte die Gefahr, daß er von dort aus, wie einst
Gustav Adolf, sich zum Rhein wenden könnte. Er hat das
nicht getan, aber groß war doch der Eindruck seines Er-
scheinens, wie sich das selbst im Kreise der kleinen, längst
ohnmächtigen Reichsstadt Mühlhausen (Thür.) geltend machte.
Aus den Akten ^) der Zeit soll das hier näher dargelegt
werden.
Die Stadt selbst hatte zunächst keinen Grund zur
Besorgnis, da der schwedische König seinen Angriff ja nur
auf Kursachsen richtete, dessen Kurfürst zum Schaden
seines Landes die polnische Krone erworben hatte. Das
1) Städtisches Archiv, Akten L, 5b No. 7, die schwedische
Einrückung in die chur&ächsischen Lande betreffend.
XXV IL 30
462 Zum „ Schwedenschreck " im Jahre 1706.
sächsische Amt Langensalza grenzte aber an das Mühl-
häusische Grebiet, und von dort aus wurde die Stadt in den
Kreis der Sorge gezogen. Die eigene Kraft war längst
dahin , hier wie in anderen Reichsstädten , es galt also,
Schutz zu suchen bei benachbarten oder ferner wohnenden
Fürsten, und die Schreiben des Rates ergingen nach ver-
schiedenen Seiten. Zunächst wandte er sich an das aus-
schreibende Amt des niedersächsischen Kreises, dem die
Stadt als das am weitesten gegen Süden gelegene Mitglied
angehörte. Man hat wohl mit Recht darauf hingewiesen,
daß sie absichtlich dem obersächsischen Kreise fernblieb,
in welchem Kursachsen vorwaltete, dessen Nachbarschaft
schon früh Besorgnis erregt hatte; hat doch schon
Friedrich der Weise die Hand nach ihrem Besitze aus-
gestreckt. Der Rat erließ am 3. September folgendes
Schreiben i) :
An des H. Herzogs zu Wolfenbüttel hoch fürstliche Durchlaucht.
Daß wir eines höchst rühmliches Nieder Sächsischen Creis Directorio
mit der einlage beschwerlich fallen und dessen höchst vermögenden
beyraht aus bitten müssen, solches verursacht die unbeschreibliche con-
sternation, in welche das Churfürstenthum Sachsen und mit demselben
auch hiesige Nachbahrschafft durch den erschollenen Einfall gewißer
polnischer^) Trouppen in der Lausnitz gesetzet worden. Weil wir
nun nicht unzeitig besorgen, es werde die sonst vorhergengige com-
munication zu erwarten sein (und) antwort von Stade uns zu späte
fallen, als ersuchen Euer hochfürstliche Durchlaucht, doch ohn
vorgeben, unterthenigst, ob das inliegende an Ein höchst löbliches
Nieder Sächsischen Creis Directorium haltende Schreiben Sie zu
eröffnen geruhen, auff allen jedoch und in etwa bedenklichen Fall
auff eingeschlossene Abschrifft uns Dero gnedigste Meinung wissen
zu lassen belieben wollen. Wir getrösten uns dessen und verdienen
es mit unterthenigstem Dank. — MühUiausen, 8. September 1706.
1) Die Konzepte der Schreiben sind von einer sehr flüchtigen
Hand geschrieben, so daß Versehen im Lesen leicht mögUch sind,
die aber kaum den Sinn und Inhalt betreffen.
2) Karl war von dem von ihm erhobenen Könige Stanislaus
von Polen begleitet, der polnische Truppen bei sich gehabt haben wird..
Zum „ Schwedenschreck " im Jahre 1706. 463
Die Einlage lautet:
„An des Nieder Sächsischen Greises ausschreibendes Amt. Ewer
Könighche Majestät und hochfürstliche Durchlaucht wird vermut-
lich für Ankunft dieses vorkommen seyn, in was uns vor Conster-
nation ein erschollener Einfall gewisser polnischer Trouppen in der
Lausnitz die gesamte Chur Sächsische Lande gesetzet, sogar daß auch
in unserer nächster Nachbahrschaft nicht nur uf die Salvirung der
effecten und pretiosen mobilien von privatis gedacht und dieselbe
bewerkstelliget, sondern sogar die Churfürstliche in Langensaltza sich
befindende Steuer Acta und Documenta des thüringischen Gerichts
auf hohen Befehl außer Landes in Sicherheit gebracht werden wollen.
Ob wir nun wol nicht vermuthen noch hoffen wollen, daß diese
procedure über den gantzen Ober Sächsischen Creyß bis an die
Gräntze des hochlöblichen Nieder Sächsischen Greises sich ausbreiten
werde, dieweil aber jedennoch wir nicht zu verdenken seyn werden,
daß bey hochgedachten Greises höchstansehnlichem itzigem Directo-
rio wir uns in Zeit unterthänigst melden und bey etwan fernerem
oder fortsetzendem Einbruch dessen wolgeneigten beyrath zu unserer
Observation gebührend ausbitten, als wir solches hiermit verrichten
wollten, und solches um so mehr, weil wir eines Theilß nicht ba-
stand sind, einen gewaltsahmen Einbruch abzuhalten, ander Theilß
gar leichte in den Stand gesetzet werden mügen, in welchem wir
unseres am Ober Rhein stehendes Reichscontingent ') nicht länger
würden unterhalten können. Wir wollen dannenhero gnedigster
erhörung uns versehen. Ewer Königlichen Majestät und hochfürstliche
Durchlaucht Göttlicher Gnade Schutzes, uns aber der beharrlichen
Königlichen und hochfürstlichen hulde unterthenigst empfehlende . . .
Mühlhausen den 9. September 1706."
An dritter Stelle wandte sich der Rat an den Kur-
fürsten von Hannover, indem er so Beziehungen anknüpfte
oder fortführte, die nach wenigen Jahren (1710) die Stadt
in den Schutz Hannovers treten ließen, in welchem sie bis
zum Ende ihrer Selbständigkeit verblieb 2). Das Schreiben
lautet :
„Ewer GhurfürstUchen Durchlaucht — (ut in litteris an das Greis
Directorium) — nicht zu vordenken seyn werde, daß bey dem hoch-
löbUchen Directorio und anderen mächtigen Ständen des Nieder
1) Die Mühlhäuser Kompanie unter dem Hauptmann Friedrich
V. Bendeleben war etwa 100 Mann stark.
2) Chronik der Stadt Mühlhausen (Thür.) I, 34.
30*
464 Zum „ Schwedenschreck " im Jahre 1706.
Sächsischen Greises in ermangelung eines Creisobristen wir uns
unterthänigst melden und bey etwan observirender invasion dero
gnädigsten beyraht, was wir in dieser unvermutheten frangenti möchten
zu thun haben, geziemendt ausbitten, als haben zu E. Churf. Durch-
laucht als zu einem der vornehmsten Mitglider des Nieder Sächsischen
Greises wir uns in Unterthenigkeit wenden und auch um Dero
gnädigste meinung ansuchen wollen und dieses um so mehr, damit
wir bey noch fürwehrendem Reichs Kriege dem H. Römischen
Reiche und Nieder Sächsischem Greise bey behülf lieh bleiben und
zu fernerer Stellung undt Unterhaltung unsers Gontingents nicht
untüchtig gemacht, in Summa wieder die Executions- und andere
Reichsverordnungen nicht beschwehret werden mögen. Wir wollen
gnädigster Antwort uns gewiß versehn." (Miihlhausen den 8. Sep-
tember.)
Schließlich schrieb der Rat auch :
„An des Herrn Herzogs zu Sachsen Hochfürstliche Durchlaucht:
Daß Ewer Hochfürstliche Durchlaucht von dem erschollenen Schwedi-
schen Einfal in die Ghur Sächsischen Lande genaue Kuntschaft
werde eingezogen haben, daran tragen wir keinen Zweifel. Es hat
dieses gerüchte eine solche consternation verursacht, daß Leipziger
Einwohner auf 22 und mehr Meilen weges, mit allem, was sie fort-
bringen können, geflüchtet sind. Ob wir nun wol nicht hoffen wollen,
dieses Kriegesfeuer, wenn es änderst mit dem Einfal ausgestreueter
masz sich verhalten solte, soweit komen und in diese gegend aus-
breiten solte, weil aber dennoch auf einen von Dresden eingegangenen
Befehl die Thüringischen Steuer Acte und Documente von Langen
Salz salvirt sein sollen, als werden auch wir wol nicht zu verdenken
seyn, wenn wir in etwas auch auf unserer Huht stehen, zuförderst
aber bey Ewer Hochfürstlichen Durchlaucht uns unterthenig er-
kundigen, ob die benachbahrten Ghur Sächsisch Thüringische Lande
einiges des falls zu besorgen haben und die Nachbahrschaft mit
eingeflochten werden möchte. Es würden auf solchen Fall Ewer
Hochfürstliche Durchlaucht L^nterthanen des Amtes Vilterode(?) *) bey
uns ihre Sicherheit mit suchen müßeu, weswegen wir um des weniger
zweiffein, E. H. Durchlaucht werde nicht allein gnedigst befehlen, daß
die etwan habende sichere Nachricht von diesem erschollenen einfall
uns communiciret werden möge, sondern auch mit Dero höchst-
geschetztem beyrath, was in hoc frangenti zu unserer und der Nach-
bahrschaft mehrerer Sicherheit vorzunehmen seyn möchte, in gnaden
an handt gehen. Wir werden es in aller unterthenigkeit zu verdienen
1) Der Name wird verschrieben sein (Volkesroda ?).
Zum „Schwedenschreck" im Jahre 1706. 465
befließen seyn. Ewer Hochf. D. — göttlicher obhut, uns aber Dero
beharrlichen hulde fleißigst und unterthenig empfehlende etc.
Mühlhausen den 11, September 1706.
Die vorstehenden Schreiben lassen durch Zahl und
Inhalt die „consternation" des Rates erkennen, die in seinen
eigenen Verhandlungen noch deutlicher hervortritt i) :
„Actum in Senatu triplici 21. September 1706. Proponebatur,
es würde leider mehr als zu viel bekandt seyn, was der Schwedische
Einfall in das Churfürstenthumb Sachsen vor eine Consternation
und Confusion verursachet, wie hohe und niedere sich salvirten und
das ihrige flüchteten , daß auch hiesiger orth von Personen und
geflüchteten Gütern angefüllet werde, es retirirten sich sogar die
Chur Sächsischen trouppes in hiesige Nachbahrschaft vor denen
streifenden Partheyen, und were dahero zu besorgen, man möchte
auch alhier wegen dieses Chur Sächsischen Lande betreffenden
Unheils einige gefahr lauffen, man hat nicht ermangelt dieserwegen
sowohl bey dem Nieder Sächsischen Creiß directorio insgemein, als
auch insonderheit bey des H. Con Directoris hochf. Dicht, wie auch
des H. Churfürstens zu Hannover und H. Hertzogs zu Sachsen
Gotha Drl. Drl. sich zu melden und dero beyraht zu erbitten. Was
nun vor Antwort angelanget, solche sollen anitzo verlesen werden."
Zunächst lag vor die Autwort des Herzogs zu Sachsen :
„Unseren gnädigsten Gruß zuvor, Ehrsame und Weise, Liebe
besondere ! Aus Eurem gestrigen durch hier mit zurückkommenden
expressen haben Wir ersehen, was Ihr wegen der besorgten Schwedi-
schen Einrückung in die Chur Sächsischen Lande an Uns gelangen
laßen, und wie Ihr hierüber etwas genauere Nachricht von Uns
einholen, benebenst aber auch, was bei diesem frangenti etwa zu
dieser Gegend mehreren Sicherheit vorzunehmen seyn möchte, Uns
xunb unsern beyrath ersuchen wollen. Gleichwie mm die ob
solchen Schwedischen Anmarsch entstandene Besorgniß nicht ohne
consideration und sich bey dessen mehrern Annäherung nach und
nach vergrößert; also haben Wir vor Unserer vor wenig Tagen
aus dem Fürstenthumb Altenburg uf anhero genommenen rückreise
aus Sorgfalt vor Unsere und angrentzende Lande nicht allein
eine Schickung an Ihre Majestät den König von Schweden von
dar aus zu dem ende gethan, umb das hierunter führende Absehen
in etwas näher zu penetriren, sondern auch in Unserm gesambten
FürstUchen Hause Sachsen nechster tagen in Erffurth eine Conferenz
1) Protocollum Senatus triplicis de anno 1706 Bl. IIb u. f.
466 Zum „Schwedenschreck" im Jahre 1706.
veranlaßet, umb in dieser Angelegenheit die Nothdurfft zu verab-
reden, und werden, was sowohl hierbey etwa zum Schluß kommen
möchte, als auch von Unseres an Ihre Majestät Abgeordneten Ver-
richtung und relation einkommet, in nachtbarlichen Vertrauen part
geben, nicht weniger auch, was zu Euren und Eurer gemeinen Stadt
besten und Consolation gereichen kann, gerne mit beytragen, und
verbleiben Euch indeßen wie allezeit mit Gnaden gewogen. Datum
Friedenstein den 12. September 1706.
Friedrich H. z. Sachsen mp."
Der Herzog von ßraunschweig antwortete:
„Von Gottes Gnaden Anthon Ulrich Hertzog zu Braunschweig
und Lüneburg. Unsern gönstigen und geneigten Willen zuvor,
Ehrbare und Weise, Liebe Besondere. Es ist Uns woU geUefert
worden, was Ihr bey denen in den Chur Sächsischen Landen sich
ohnlängst geäußerten Krieges-troublen und daher geschöpfften
Beysorge, daß der Nachbahrschafft halber auch etwa Eure Stadt
einiger Gefahr exponiret seyn mögte, sowoll an das Crays-Ausschreib.
Ambt in diesem Nieder Sächsischen Crayse alß auch an Uns be-
sonders gelangen laßen. Wir werden nun nicht unterlaßen, mit
der Königlich Schwedischen Eegierung zu Stade darüber ohnge-
seümbt zu communiciren und es an nichts ermangeln laßen, damit
Ihr mit der verlangten resolution fordersamst versehen werden müget.
Gleichwie wir aber sonst nicht vermuthen, daß Ihr Königl. Mayt.
von Schweden mit dero Waffen weiter alß in die besagte Chur
Sächsische Lande gehen, und also auch die übrige in dem Ober-
Sächsischen Crayse belegene Lande, noch weniger aber diejenige, so
zu diesem Crayse gehörig, bey solcher Unruhe etwas zu befahren
haben dürffen. Also zweifeln Wir nicht, Ihre werdet auch für Euch
die Behuetsamkeit gebrauchen, damit Ihr keine Veranlaßung gebet,
wodurch Euch und gemeiner Stadt einige unangenehme Begegniße
zugezogen werden mügten, Welches Wir Euch dann vorgängig hiemit
ohnverhalten woUen, und sind Euch mit gönstigen und geneigten
Willen jederzeit woll beygethan. Geben in Unser Vestung Wolffen-
büttel den 13. Septembris 1706.
August Wilhelm" ').
Drittens lief vom Kurfürsten von Hannover folgendes
Schreiben ein:
„Von Gottes gnaden Georg Ludewig Herzog zu ßraunschweig
und Lüneburg, des Heyl. Köm. Reichs Churfürst, Unseren gnädigsten
1) Er unterzeichnete im Namen seines Vaters Anton Ulrich.
Zum „Schwedenschreck" im Jahre 1706. 407
willen zuvor, Ehrbare, Fürsichtige und weise, Liebe Besondere und
Getreue. Wir haben auß ewrem Schreiben vom 9. dieses ersehen,
welcher gestalt ihr bey dem Königlich -Schwedischen Anmarch
nach Sachsen betreten seyd und Unsern guten Rhat und officia des-
falß verlanget. Nun ist uns das Vertrawen, welches ihr darunter
Uns bezeiget, sonderlich lieb. Wir sehen aber keine apparenz, daß
Ihre Königl. Mayt. von Schweden vorhaben selten, dero Krieges-
Macht ausserhalb des Chur Fürsten thumbs Sachsen zur Beschwerde
der Nachbahren auszubreiten und noch weniger selbe bis in diesen
Nieder Sächsischen Kreys zuerstrecken. Wir unterlaßen auch nicht
zum besten der Sache und daß die Chur Sächsischen Lande selbst
leydlich tractiret werden mögen, alles dienliche vorkehren zuhelffen
und haben zu dem ende eine expresse abschickung an Ihre König-
liche Mayt. von Schweden gethan. Ihr könnet also Unseres er-
meßens in ruhe seyn und euch der sorge, daß euch von Königlich
Schwedischer seitten etwas wiedriges solte zugemuhtet werden wollen,
entschlagen. Wir verbleiben euch und gemeiner Stadt mit gnaden
und allem guten bey gethan.
Hannover den 10. Septembris 1706.
Georg Ludwig
Churfürst."
Nach Verlesung der Schreiben ging die Verhandlung
des Rates weiter:
„Worauf dann ferner zu resolviren: 1) Was bey dieser Be-
wandniß zu hiesiger Sicherheit a) mit Verwahrung der Thore, b) zur
Securität der Vorstädte und Dorfschaften vorzunehmen und zu be-
werkstelligen. 2) Wie man sich wegen der eingeflüchteten Personen und
Güther zu bezeigen, dabey denn wohl zu consideriren, daß sie theilß
uninteressirte alß Gothaisch-, Eißfeldisch- und Schwarzburgische,
theilß aber Sachsen Weißenfeiß und immediat Chur-Fürstliche
Unterthanen wären und diese zum theil von Consideration, zum theil
aber geringer und welche keinen großen bruit machen. Wegen
dieser verschiedentlichen Consideration würde auch wohl bey dieser
dehcaten affaire verschiedentliche Resolution zu faßen und eines
theilß dahin zu sehen seyn, daß man mit gäntzlicher und durch-
gängiger denegirung der Aufnahme sich nicht einen unvergeßlichen
Haß und Vorwurf der inhospitalität verursachete, andern theilß aber
auch kein Unheil auf den Halß zöge. 3) Wäre gleichitzo gemeldet
worden, daß etliche Chur Sächsische Bagage Wagen vor der neuen
Pforte hielten und herein verlangten. Conclusum in Reg. ^): ad 1)
1) im regierenden Rate.
468 Znra „Schwedenschreck" im Jahre 1706.
es wären 3 Thore zu schließen, die übrigen wohl — , auch die aus-
wendigen^) mit Vorstädtern zu besetzen und alle gute Obsicht zu
haben dem Kriegs Amte aufzugeben ; auf den Dorfschaften wären die
Schläge zu repariren und denen Unterthanen auf der Hut zu seyn
anzudeuten, ad 2 hätte man durch einen Abgeordneten, wie man
sich und wie sich die benachbarten wegen aufnähme der geflüchteten
zu verhalten, zu erkündigen, inzwischen aber hätte ein jeder Bürger
denjenigen, so bey ihm eingeflüchtet, bescheid entlich zu hinterbringen,
daß er ihme vor sein eingebrachtes Guth weder stehen noch gut
seyn könnte. — ad 3. Dem Chur Sächsischen Officier mit bey sich
habender montur wäre zu hinterbringen, daß er beßer thäte andrer
orthe seine Sicherheit zu suchen, deßgleichen wäre dem hier sich
noch aufhaltenden Chur Sächsischen Major anzudeuten, damit er
sich nicht selbst, auch der Stadt Ungelegenheit zuzöge, im Fall er
aber auf der Einlaßung bestehen würde, hätte man diese ihme pure
abzuschlagen.''
Noch ängstlicher lautet der Beschluß des zweiten Rates :
„1) Drey Thore seyen gänzlich zuzuschließen und die übrigen
desto besser durch die Soldaten und Bürgerwachten conjunctim zu
verwahren, dabey denen Unteroff icirern der Bürgerschafft als Fou-
rieren das Commando anzuvertrauen, alle Excesse, als vollsaufen und
dergleichen, abzustellen und des Nachts fleißig zu patrouilliren, auch
hätte wohllöbliches Semner- und Bau-Amt gute Aufsicht auf die
Feuer-Rüstung zu haben, daß alles im guten Stande und parat sein
möge. 2) Wären die Thore in denen Vorstädten gleichfalls durch deren
Einwohner so tags als Nachts zuverwahren, die Gräben aufzuwerffen
und die Mauren zurepariren ; auff denen Dorffschafften seyen die
Schlagbäume und graben zuergänzen , wacht zuhalten und vor
dieselben Säulen mit dem duppelten Adler zusezzen."
Dem sächsischen Offizier schlug auch dieser Rat den
Aufenthalt in der Stadt ab und beantragte:
„daß dem Collegio Dominorum Seniorum zur Deliberation
anheim zugeben wäre, ob nicht dienlich wäre einige Deputation an
den Nieder Sächsischen Crais und benachbarte örter abzuordnen,
um Erkundigung einzuziehen, wie es in diesem Puncte zuhalten."
Die fortdauernde Sorge des Rates veranlaßte ihn dann
zu neuen Schreiben an die Fürsten, erstens :
„An Churfürstliche Durchlaucht zu Hannover, Vor die von
Ewer Churfürstliche Durchlaucht wegen der im Churfürstenthumb
1) Die Tore in der die Vorstädte umgebenden äußeren Mauer.
Zum „Schwedenschreck" im Jahre 170G. 469
Sachsen sich ereigneten Königlichen Schwedischen motuum erhaltene
gnädigste Nachricht und vertröstete Sorge vor unser armes Stadt-
wesen erstatten wir unterthänigst Dank. Wir müßen aber gehor-
samst bitten, uns in Gnaden zu halten, daß wir anderweit berichten,
wie bey anfang dieser woche durch einen von den Schwedischen
so genannten Wallachen bis in Thüringen unternommenen streif
und Zerstreuung der wenigen im lande annoch gestandenen Chur
Sächsischen Trouppen ein solches flüchten verursachet sey, daß unsere
Stadt nicht allein mit vielen gütern angefüllet worden, sondern es
haben sich auch viele vornehme Chur und fürstlich Sächsisch Weißen-
feldische Vasallen und Officianten mit ihren Familien nach hierher
retiriret, andere aber bey anscheinender weiterer Gefahr auf dießen
Fall zur gleichmäßigen retirade Wohnung bestellet. Wir sind dieser
wegen in etwas betreten, indem uns unchristlich zu seyn scheinet,
diesen geflüchteten persohnen die jura hospitalitatis zu versagen,
absonderlich da dergleichen Versagung uns einen unauslöschlichen
Haß bey der Nachbahrschafft, der wir doch nicht en trabten können,
in Zukunft werde auf den hals ziehen, hingegen aber auch in der
Sorge stehen, es möchte diese maßnähme bey sich weiter etwan aus-
breitender Kriegesmacht Schwedischer selten übel gedeutet und dahero
zu unserer beunruhigung einige Veranlassung genommen werden,
weswegen auch in dieser besorglichen und delicaten affaire Ewer
Churfürstlichen Durchlaucht gnädigsten beyraht wir hiermit in Unter-
thänigkeit erbitten. Ewer etc. Mühlhausen den 22. September 1706."
Ein zweites Schreiben sandte der Rat
„An des Herrn Greis Condirectoris Hochfürstliche Durchlaucht.
Daß Ewer H. D. uns so gnädig erschienen und unß unßer unter-
thenigstes Zuschreiben wegen der im Churfürstenthum Sachsen ent-
standenen Königlich Schwedischen motuum uns in einer Greis
Directoriali sehen Resolution beförderlich zu seyn sich anerklären,
anbey aber auch mit Dero gnädigstem beyraht an band gehen wollen,
solches alles erkennen wir mit unterthänigstem dank, wie uns aber
(ut in litteris ad Electorem Brunsvico Hannoveranum mutata curiali
Churfürstlich — hochfürstlich)."
Am gleichen Tage erging dann noch ein drittes
Schreiben
„An des Herrn Herzogs zu Sachsen Gotha hochfürstliche
Durchlaucht. Daß E. H. D. sich dahin gnädigst erbieten wollen
uns wegen der itzigen Königlich Schwedischen motuum nicht allein
von demjenigen part geben zu laßen, was bey der in dem hoch-
fürstlichen Sachsen Ernestinischen Hause gehaltenen Zusammenkunft
470 Zum „Schwedenschreck" im Jahre 1706.
zu Schluß kommen undfc Deroselben au ihre Königl. Majestät von
Schweden abgeschickter Abgeordneter verrichten möchte, sondern
auch im übrigen mit beyzutragen, was zu unserer gemeinen Stadt
trost und consolation gereichen könnte, solches alles erkennen wir
mit unterthänigstem Danck. Weil wir nun nicht zweifeln, es werde
bishero ein undt das andere in diesem impertinenten negotio ein-
gelaufen seyn, so haben wir um die gnädigst vertröstete Nachricht
hiermit unterthänigst bitten, anbey aber auch nicht verhalten wollen,
wie unsere Stadt mit geflüchteten gütern angefüUet undt viel Häuser
mit fremden persohnen oder doch dero Familien (worunter ver-
schiedene vornehme Weißen feldische bediente sich befinden) besetzet,
viele Wohnungen aber auch besprochen sind. Wenn dann auch
dergleichen ihrer H. D. Residentz und anderen Städten vermuthlich
geschehen seyn wirdt, als haben wir dero gnedigst beyrath, wie sich
etwa in diesem Fall zuverhalten, undt ob bey denjenigen Persohnen
undt dero gütern, welche Königlicher Majestät m Fohlen und des
Herrn Hertzogs zu Sachßen Weißenfels Durchlaucht mit Unter-
thanen oder dienstpflichtig vorwandt, etwas wiedriges zubesorgen
haben möchten. W^ir leben des guten Vertrauens, es werde diese
unterthänigste Anfrage uns zu gutem gehalten undt einer baldigen
gnädigsten Antwort, umb außer aller Unser Besorgniß zuleben, an-
gedeyen."
Eine Beruhigung brachte zunächst folgendes, am 2. Ok-
tober präsentierte Schreiben :
„Ihrer Königlichen Majestät zu Schweden in dero Herzogthümer
Bremen und Vehrden verordnete General-Gouverneur und Regierung.
Edle, Ehrenveste, Hoch- und Wolgelahrte auch Wolweise, Ins-
besonders geehrte Herren und Freunde, Was die Herren unterm
9. dieses wegen der in denen Chur-Sächsischen Landen sich itzo
aufgebenden Krieges Unruhe und desfalls bey Ihnen entstandenen
apprehension , alß ob auch dero gemeinen Stadt Wesen daher
einige ungelegenheit möchte zuwachsen können, an Ihr. Königl. Maje-
stät, unsern allergnädigsten König, und des Herrn Hertzogen zu
Braunschweig Lüneburg Wolffenbüttel Fürstl. Durchlaucht alß auß-
schreibende Fürsten des Löbl. Nieder- Sächsischen Greises gelangen
zu laßen der Nothturfft zu seyn erachtet, solches haben wir ob dem
voritzt hochgedachter Ihrer Churf. Durchlaucht uns in origine (!)
zugefertigtem Schreiben in mehrerem wohl ersehen. Gleichwie wir
mm keines weges zweifeln, es werden sowohl die Herren alß sonst
Jedermann iglich von Ihrer Königlichen Majestät unsers aller-
gnädigsten Königs Recht und bilügkeit liebenden Gemüthe zu vorhin
völlig persuadiret seyn, wie Ihre Königliche Majestät bey solchen
Zum „Schwedenschreck" im Jalire 1706. 47 ^
Ihr abgenöthigten und daher allerdinges wohl befugten Demarchen
sich nichts anders vor äugen gesetzet, alß denen jenigen, so dero
zudringliche feinde seyn wollen, mit gehörigem Ernst und Nachdruck
zu begegnen und selbige an dem jeuigen ehrte anzugreiffen, woher
alle mittel und Kräffte Ihre Königliche Majestät zu bekrigen und
zu inquietiren bisher gefioßen; also können die Herren auch wohl
versichert seyn, es werden Allerhöchstgenannter Ihr Königliche Maje-
stät bey dero gegenwärtigem Einbruch in Saxen dero hohe Sorgfalt
vornehmlich dahin gerichtet seyn laßen, daß dero vorgesetzter Zweck
ohne nachtheil und beunruhigung anderer mit der sache unver-
worrener (!) stände errichet (!) und also so wenig der Stadt Mühl-
hausen als anderen benachbarten Ständen des Ober- oder Nieder
Sächsischen Greises einige ungelegenheit daher zugezogen werden
möge, zumahln wann dieselbe sich aller Parteilichkeit enthalten und
auf ein oder andere Weise durch etwauige theilnehmung sich nicht
Selbsten mit impliciren werden, allermaßen auch von des Herrn
Hertzogen zu Braunschweig Wolffenbüttel Fürstl. Durchlaucht als
itzigem Condirectorio (!) den Herren solches bereits vorhin gar wohl
bedeutet worden. Welchem nach wir denn auch zu denselben des
gäntzlichen Vertrauens leben, es werden dieselbe des fals alle ge-
hörige behutsamkeit Ihres ohrtes gebrauchen und also selbsten die
gelegenheit zu vermeiden sich angelegen seyn laßen , welche zu
einigen wiedrigen begegnißen die veranlaßung möchte geben können.
Womit wir dieselben Göttlicher obhut empfehlen. Geben Stade
unterm Königl. ßegierungs-Insiegel den 22. Septembris 1706.
N. Gylden Stern. ( — ? — ) J. Heldberg SGrissenhain ^)
Dr. Engeibrechten. Dr. Stade."
Weitere Beruhigung brachte folgendes Schreiben:
„Von Gottes Gnaden Georg Ludwig etc. etc. Wir haben aus
ewrem ander weitem Schreiben vom 22. September ersehen, waß
gestalt durch einen von denen Schwedischen Wallachen bis in Thü-
ringen unternommenen streiff- und Zerstreuung der im Lande annoch
gestandenen Chur Sächsischen Trouppen ein solches flüchten ver-
ursachet sey, daß eure Stadt mit vielen Gütern und personen aus
dem Chur Sächsischen und Sachsen Weißen felßischen augefüilet
worden und bey weiterer Gefahr noch mehr werde angefüllet werden,
dahero ihr auß Beysorge, daß etwa die aufnehmung solcher guter
und personen Königl. Schwedischer seithen euch misdeutet und gegem
euch geahndet werden mögte, Unsem einrhat (!) wegen eures ver-
1) Die Unterschriften sind, wie so oft, nicht sicher zu ent-
ziffern.
472 Zum „Schwedenschreck" im Jahre 1706.
haltens in der sache verlanget. Gleich wie wir nun nicht ver-
nommen, daß Ihre Königl. Majestät in Schweden andern benach-
bahrten ohrten, wohin auß dem Chur Sächsischen geflüchtet worden,
deswegen etwas wiedriges zugemuthet oder zuzumuthen gemeinet seyn
solten, alß glauben wir auch noch nicht, daß ihr euch dergleichen
zubefahren habet; wir unterlassen jedoch nicht, Unserem bey Ihrer
Königlichen Majestät von Schweden itzo subsistirendem Ministro,
dem Geheimten Ehat von Oberg, zubedeuten, daß er auf allen ohn-
vermuhtenden fall solches abzuwenden muglichst bemühet zu seyn.
Ob aber diejenige Leute auß dem Chur Sächsischen und zugehohrigen
Landen, welche sich mit ihren mobilien von Hauß und Hoff wegk
in fremde Lande begeben, für sich und die Ihrige woU daran thun,
daran zweiffein wir sehr, weil Ihre Königl. Majestät von Schweden
mittelst des in copia hiebey gehenden Patents vom 2. dieses declariret,
daß diejenige, welche Ihre Häuser und Wohnungen verlassen und Ihre
Sachen und Baarschafften aus dem wege schaffen, als Feinde mit
Feuer und Schwerd verfolget, hingegen diejenige, die in ihren Häusern
und Wohnungen bleiben, ihre Sachen nicht anderwerts hin verführen,
sondern gutwillig dasjenige, was zu der Königlich Schwedischen
trouppen Unterhaltung ihnen auferleget würde, entrichten, nicht allein
in Königlich Schwedischen Schutz und schirm genommen, sondern
auch sowoU ihrer personen als Zugehörigen Güter und Eigenthumbs,
auch Handlung und Handthirung wegen vollkommene Sicherheit der-
gestalt zugeniessen haben, daß denenselben von keinem der Königlich
Schwedischen Kriegs-Bedienten ;eigenwilliger weise einiger schaden,
gewalt oder eintrag solle zugefüget werden. Es wird also Unseres
ermessens gut und nöthig seyn, daß solches vorgedachten zu euch
zu flüchten gewilleten Leuten eurerseits repraesentiret und gerhaten
werde, das flüchten einzustellen und sich ohn allen Verzug wiederumb
zurück zu den Ihrigen zubegeben, inraassen sie sodann unter obiger
Königlich Schwedischen protection sicher zu seyn hoffen, hingegen
aber auch leicht ermessen können, daß, wan sie sich nicht bald
wieder einfinden , obangezogene publicirete Könighch Schwedische
bedrohungen sie und das ihrige treffen werden. Die Ursache des
flüchtens cessiret auch umb so mehr, weil die Zerstreuung der in
Thüringen gestandenen Chur Sächsischen trouppen nunmehr schon
wird geschehen und also dergleichen streiffereyen, wie obgedacht,
nicht leicht wieder zu besorgen seyn. Wir verbleiben euch und ge-
meiner Stadt mit gnaden und allem guten beygethaUv
Hannover den 28 Septembris 1706.
Georg Ludwig
Churfürst.
Zum „ Schwedenschreck " im Jahre 1706. 473
P.S. Auch Liebe besondere und Getreue! Erhalten wir gleich
itzo die Nachricht, daß Ihre Königl. Majestät von Schweden ein
zehenwöchiges armistitium in Sachsen dergestalt beliebet, wie der
Copeyliche Anschluß besaget, wodurch alle besorgnis einer ungelegen-
heit sowoll für euch alß die zu euch aus dem Chur Sächsischem
geflüchtete Leute vollends hinfällt und dieselbe gar kein weiteres
bedenken haben können, sich wiederumb zu dem ihrigen zubegeben,
welches ihr woU tun werdet, ihnen anzuzeigen."
Die Kopie des Patentes lautete also :
„Carl der Schweden etc. Thun kund und zu wißen hiemit, daß
weil wir mit Unserer Kriegsmacht an die Chur-Sächsische Länder
zu rücken und daselbst den ganz ohnrechtmeßigen Krieg, dem die-
selbe den anfang so woU alß wachsthum gegeben, gäntzlich dämpffen
zu suchen, seynd veranlaßet worden, So hatten wir zwar große Uhr-
sache, mit selbigen auf gleiche Art zuverfahren, wie sich Ihr Chur
Fürstl. Durchlaucht der König Augustus von Anfang dieses Krieges
gegen Unsere Provinzien und Grenzen erwiesen und annoch er-
weiseten. Nichts desto weniger aber haben wir gewißer Uhrsachen
halber Unsere rechtmeßige ahndung in so weit auf die eeite setzen
und hiermit Krafft Unseres offenen Brieffes allen in denen Chur
Sächsischen Landen seyenden Ständen und Einwohnern, so Hohen
als Niedrigen in Gnaden andeuten wollen, daß alle und jede, die da
in ihren Häusern und Wohnungen verbleiben, davon Ihr Eigenthumb
nicht anderwerts verführen, sondern gutwillig und ohne Wiederrede
daßjenige, was zu Unserer trouppen Nohturfft und Unterhaltung
nöhtig ihnen auferleget worden, bezahlen und erlegen, sollen nicht
allein in Unsern Schutz und Schirm genommen, sondern auch so
woU Ihre Persohnen alß Zzugehörigen Gesindes Güter, Häuser und
Eigenthumb, auch Handlung und Hanthierung wegen vollen (!)
kommene Sicherheit dergestalt zugewiesen haben, daß Keiner von
Unsern Kriegs Bedienten weder ihnen, noch was Ihnen zugehöret
eigenwilliger weise einigen Schaden und Gewalt oder Eintrag auf
keinerley art und weise thun oder zufügen sollen. Dagegen aber
diejenigen, die sich zur Gegenwehr setzen, ihre Häuser und Wohnun-
gen verlaßen, verlauffen, ihre Sachen und ßaarschafften auß dem
Wege schaffen, selbige verbringen und vergraben, desgleichen auch
sich träge und wiederspenstig erweisen, dasjenige abzuführen, was
ihnen von Unsern Befehlhabern und Coramissariis auferlegt wird,
oder sonsten demjenigen nicht nachkommen, was ihnen mögte be-
fohlen und geheissen werden, sollen alle, was Standes und Würden
sie auch seyn mögen, dieser Unserer Gnaden und Versprechens nicht
allein verlustig geschaßet (! gehen) sondern auch gleich Feinde aufs
474 ^um „Schwedenschreck" im J^ahre 1706.
schärfste ohne einige Gnade und Verschonung, an was Ohrt oder
Stelle man sie entweder selber oder Ihre Häuser und Eigenthum
finden und antreffen mögte, mit Feuer und Schwerd verfolget und
heimgesuchet werden. Uhrkundlich haben Wir eigenhändig dieses
manifest unterschrieben und mit Unserm Königl. Insiegel bekräfftigen
laßen. Gegeben in dem Haubtquartier bey Brimmelsee^) den 2') Sep-
tember Anno 1706."
Die der Nachschrift beigefügte Ankündigung des
Waffenstillstandes lautete :
„Wir Carl etc. Nachdem Wir vor gut befunden alle Feind-
seligkeit in Churfürstenthumb Sachßen und darunter gehörigen
Landen aufzugeben und in der stelle einen Stillstand auf zehen
Wochen zutreffen und zubewilligen, alß ergehet hiermit Unser gnä-
diger und ernster Befehl an alle und jede von Unserer Krieges Macht
und milice, sowoU höheren alß geringeren Befehlshabern und die
unter commando stehen, nicht weniger auch an alle übrige Unsere
Unterthanen, daß sie wehrender vorberührter Zeit von allen hostili-
täten gegen die Chur Sächsischen Länder, Kriegesvölker und Unter-
thanen sich enthalten und ihnen auf keinerley Ahrt und weise einiges
Leid und Schaden zufügen, besondern bey allen Vorfallenheiten ihnen
in der Güte und Höfflichkeit zubegegnen, dabey aber dennoch alle
Gemeinschafft und Zusammenkunfft mit denen Sächßischen trouppen
und milice suchen zumeiden, woll wißende, daß welcher auf was
Ahrt und weise es auch immer seyn mag, diesem Unseren gnädigen
Befehl zu wieder handeln wird, alß ein Verächter Unsers Gebohts
und befehle mit gebührender ohnverzüglicher Straffe angesehen
werden solle. Wornach sich alle und jede gehorsamst zurichten.
Uhrkundlich etc. Gegeben in Unserm Haubt Quartier zu Alt
Rannstadt den 15/25 September 1706."
Ferner lief vom Herzog zu Sachsen folgende Ant-
wort ein :
„ — Wir haben aus Eurem fernerweitem Schreiben vom gestrigen
dato vortragen laßen, wasmaßen Ihr umb die vertröstete Nachricht
und wegen gegenwärtiger Schwedischen motuum bey der ohnlängst
in Unserm gesambten Fürstlichen Haus gehaltenen Conferenz zum
Schluß kommen und Unser an Ihre Majestät den König in Schweden
abgeordneter vor expedition erhalten, nicht allein Erinnerung gethan,
sondern auch wegen der aus dem Chur Fürstenthumb Sachßen und
dem Weißenfeldischen in die Stadt Mühlhausen geflüchteten Personen
1) Krummöls in Schlesien.
2) 5?
Zum „Schwedenschreck" im Jahre 1706. 475
und Güther, und wie mann sich darmit zuverhalten, auch ob daher
etwas zubesorgen, außgebethen. So viel nun das erstere anlanget,
laßen Wir hiermit in Antwort wißen, daß mann in dem gesambten
Fürstlichen Hauße bey diesen troublen der Nothdurfft ermeßen, die
Anstalt zumachen, damit die Unterthanen vor Streiffereyen und
Merodirern sicher seyn mögen, und zu dem ende die Dörfler mit
Auf werf fung der Graben, reparirung und Anschaffung der Schläge
in nöthige Verwahrung zusetzen, wie nicht weniger auf denen Grenzen
und denen zu denen Sächßischen Fürsten thümern gehörigen Orthen,
weilen solche mit denen Chur Sächßischen hier und da vermenget,
zur distinction, wie von anderen benachbarten ebenfalls geschehen,
gewiße Merckmahle aufzurichten und im übrigen die geworbene und
Land-Militz zu Abhaltung dergleichen Streiffereyen an die Grenzen
zuverlegen, auch überal wegen Einziehung nöthiger Kundschafft, in-
gleichen mit Wachten in Städten und Dörffern zu tag und Nacht
nöthige Anstalt gemacht ; Von Ihrer Königl. Majestät ist durch die
Abgeordneten die Versicherung geschehen, daß denen hiesigen Landen
und Unterthanen durch dero Mihtz keine Ungelegenheit zugefüget
werden solle, und haben Wir jemanden der Unserigen fernerweit
nach solcher Armde abgeschicket, umb bey Vorfallenheiten die Noth-
durfft vorzustellen ; Und gleichwie im übrigen Wir nicht weniger
bey Unserer letztern Anwesenheit in Altenburg von einigen Ministris
und andern aus dem Chur-Fürstenthumb Sachßen umb die Auf-
nahme ihrer Personen und mobilien allda und sonsten nach der Zeit
angelanget worden ; Also haben Wir aus Nachbarschafft und Christ-
licher Liebe Ihnen die reception nicht zu versagen gewust, des Ver-
trauens, weilen Ihre Majestät an denenselben Unsers wißens keinen
Anspruch machen, daß dannenhero nichts wiedriges zubesorgen seyn
werde; Verbleiben auch nochmals des Erbiethens, was bey diesem
frangenti und sonsten Euch und gemeiner Stadt zur consolation und
Gnade ferner geschehen kan, weiter beyzutragen, und verbleiben
Euch mit Gnaden gewogen.
Datum Friedenstein den 23ten Septembris 1706.
Friedrich H. z. Sachsen mp."
Weiter findet sich in den Akten folgendes private
Schreiben :
„A Monsieur, Monsieur de Meckbach Docteur en droit et
Bourgemaitre de la ville Imperiale de Mühlhausen. Hoch Edler
Vester und Hochgelehrter, Hochgeehrter Herr Burgemeister. Deßen
vom 12ten noch laufenden Monats anprachtes habe wol erhalten,
und was darinnen von etwaniger BeySorge wegen der im Chur-
Sachsischen entstandenen troublen enthalten, samt dem, was auf
benöthigten Fall wegen einer sauuegarde verlanget worden, mit
476 Zum „Schwedenschreck" im Jahre 1706.
mehrerm daraus ersehen; Nuhn versichere zufoderst MH. Burg-
meister, daß derselbe von meiner auffrichtigen Freundschafft und
Dienstfertigkeit vollkomlich persuadiret seyn kan, und daß mihr
nichts lieber seyn soll, alß wenn ich Gelegenheit und Vermögen
haben möchte, deßfals einige würkliche Proben zu Tage lägen zu
können; üo viel aber die affaire an sich betrifft, so haben Sie derent-
wegen Ihres Ohrts meines Bedünkens Ihnen nicht die allergeringste
Sorge zu machen, Ihrer Königl. Majestät, Meinem allergnädigsten
Könige, ist dieser march in ChurSachsen wegen des continuirlichen
Zuflusses, so darauß von dem Churfürsten in seinem ungerechten
Ivriege in Polen wider Sie gebrauchet worden, abgenöthiget; Wie Sie
aber auch in dem Lande selbsten nach des Feindes eigenem Ge-
stendniße mit guter ordre verfahren, wenn nuhr dasjenige, was zuhm
Unterhalt Dero Armöe nöthig, gereichet wird, so werden Sie gewiß
nach Dero wolbekanter Gerechtigkeit Niemanden auff einigerley weise
incomodiren , der nicht wider Sie an Dero Feinden ungerechtem
Handeln Teil nimt, wie solches auß dem mit heutiger Post auf hie-
siger Königlicher Regierung an dohrtige Bürgermeister und ßaht
abgehende antwort Schreiben mit mehrerm zu ersehen ; womit nechst
Göttl. Empfälung stets verharre
Meines Hochgeehrten Herrn Burgemeisters
Stade den 22. September 1706. Dienstwilligster Diener
(?)r-
In den Akten folgt sodann ein Verzeichnis der vor-
nehmen Personen, die nach Mtthlhausen geflüchtet waren :
„1) Herr Wolff Gottlob von Ende auf Roßbach undt Nöda,
S. Hochfürstl. Durchlaucht zu Sachsen Querfurth undt Weißenfels
hochbestalter Ober Amts Hauptmann und Stallmeister. Hier an-
gekommen den 18. Sept. abgereist den 3. Nov. 1706. — 2) H. Carl
von Rex, S. Hochf. Durchlaucht zu Sachsen Querfurth und Weißen-
fels Hochbetrauter würkl. geheimer Rath undt des Chur undt Fürstl.
Oberhoffgerichts hochbestalter Assessor auch bey der Ritterschafft
im Stifft Merseburg hochverordneter Director. Ejus Familia hier
angelangt den 22. September 1706, abgereiset den 28. Octobr. —
3) Herr Abraham von Schönberg, Königl. Majestät in Pohlen und
Churfürstl. Durchlaucht zu Sachßen Geheimder Rath, Ober Berg-
und Creyßhauptmann des Ertzgebirges, kam an den 22. Sept. 1706,
reysete ab den 28. October. — 4) H. Heinrich von Bünau uf Pretsch,
S. Hochfürstl. Durchlaucht zu Sachßen Querfurth und Weißenfels
hochbetrauter geheimbder Ralh und Cantzler. Deßen familie hier
1) Dieselbe unlesbare Unterschrift wie oben S. 471.
Zum „Schwedenschreck" im Jahre 1706. 477
ankörnen den 18. Sept. abgereiset den 31. Octobr. 1706. — 5) Der
Herr Oberforstmeister von Geißmar in Herrn Job. Wilhelm VoUands
Pastor Horsmar. am Obermarkte befindlichen Behausung."
Während so die Sorge vor den Schweden rasch
schwand, ergab sich für die Stadt ein Nachspiel, das den
Rat veranlaßte, nochmals den Schutz der Fürsten anzurufen,
erschienen doch überraschenderweise kursächsische Truppen
in ihrem kleinen Gebiete, indem am 4. November durch
die „Delogirung vor das bayreythische Regiment" der Stab
und eine Kompanie nach Ammern , eine Kompanie „uf
Krähe", was doch wohl das mühlhäusische Dorf Grabe sein
soll, eine Kompanie nach Bollstedt, eine nach Görmar, eben-
falls mühlhäusische Dörfer, verlegt wurde. Am Tage darauf
lief bei dem Rate folgendes Schreiben ein :
„Ich vernehme mit Verwnndenmg von dem Herrn Obristen von
Hau, daß dieselbe über Zurückbleibung derer bey Durch Märchen
sonst gewöhnlichen Requisitorialien beschwehrung führen, da doch
bey allen benachbahrten Herrn Ständen die dißfalls an Sie erlaßene Re-
quisition es richtig eingelauffen, und dahero ist nicht gez weif feit, daß
auch diejenige, so vorgestern an meine hoch- und vielgeehrte Herren
von mir geschicket worden, zu deroselben Händen werde gekommen
seyn. Ich werde nicht ermangeln scharf fe nachfrage halten zu laßen
durch weßen Verschuldung diese Requisition unüberantwortet ge-
bUeben, kan auch meines orts versichern, daß den wohlhergebrachten
Requisitions Observanzen keineswegs hierunter etwas praejudiciret
seyn und übrigens in den quartiren sowohl alß in anderen benach-
bahrten , welche bey dermahligen ungemeinen Conjuncturen diese
inevitable Einquartirung willfährig mittrageu helffen, punctuelle ordre
gehalten und der geringste Excess nicht toleriret werden soll, worbey
hingegen der zuverlässigen Hoffnung lebe, es werden auch dieselbe
aus nachtbahrlicher Ergebenheit gegen Sr Königlichen Majestät in
Pohlen imd Chur Fürstliche Durchlaucht in Sachsen diese Einquar-
tirung willigst mit zu übertragen Sich gefallen laßen und versichert
zu seyn, daß mein allergnädigster König und Chur Fürst solches
bey allen vorfallenheiten zu erwidern trachten werden, ich verharre
vor mein particulier
Meiner Hoch- und Vielgeehrten Herren
Großvargul den 5. Nov. 1706. dienstschuldigster Diener
Obgedachte Einquartierung ist LGV Dünnewald,
auch nur auf ein Paar Tage
angesehen."
XXVII. 31
478 Zum „ Schwedenschreck " im Jahre 1706.
Die „nachbarliche Ergebenheit" des Rates war nun,
aber nicht groß genug, um sich eine Einquartierung gefallen
zu lassen, die wie eine Parteinahme gegen den gefürchtetea
König von Schweden aussehen konnte. Auch mochte er
gerade bei dieser Gelegenheit erkannt haben, wie wenig
der Schutz Sachsens noch zu bedeuten hatte, seitdem die
verhängnisvolle Staatskunst seines Kurfürsten es an das
unglückliche Polen gefesselt hatte. Wenige Jahre darauf
(1710) erbat die Stadt den Schutz Hannovers. Zunächst
aber galt es, gegen die unerwartete und unwillkommene
Einquartierung Einspruch zu erheben, wie das der Rat
noch an demselben Tage tat. Er betonte, von den Fürsten
angewiesen zu sein, sich so zu halten, „daß wir Königlicher
Majestät in Schweden keine Verahnlassung zu einiger un-
angenehmer besorgung geben möchten" ; er müsse deshalb
verlangen, „ohnverzüglich ordre zu stellen, daß unsere durch
die erhaltung unsers Reichscontingents schon ziemlich mit-
genommene Unterthanen von der einlogirung sofort befreyet
werden". Beigefügt wurde Abschrift des Schreibens aus
Wolfenbüttel vom 13. September und aus Stade vom 22. Sep-
tember.
Außerdem ergingen noch am gleichen Tage weitere
Schreiben an die Fürsten. Zunächst sagte der Rat dem
Kurfürsten von Hannover Dank für den erteilten „Beirat"
und meldete :
„daß die nach hierher geflüchtet gewesenen resp. Chur- und
Sachßen Weißenfeldschen Officianten sich mit deroselben familien
theils zu den ihrigen wieder begeben theils aber anderweit sich
retiriret haben. Es ereignete sich aber ein viel gefährlicheres incidens
indem die von den Königlich Schwedischen trouppen auseinander-
getriebene milice zu Pferde ( : welche außer Landes sich in etwas
wieder versamlet : ) gestern Mittag und Abend ohn einige vorher-
gegangene auch nur mündliche anmeldung in hiesiges gebiet ein-
gerückt undt sich mit der größten confusion undt disordre in etliche
von unseren Dorfschafften eigenmächtig einquartirt haben. Was
ihre eigentliche intention sey, ist dato uns verborgen, möchte sich aber
wohl bald eußem, unterdeß werden die armen Unterthanen durch
diese undisciplinirte undt gleichsahm desperate Leute sehr ruinirt,
Zum „Schwedenschreck" im Jahre 1706. 479
mithin untüchtig gemacht, zur Erhaltung des Eeichscontingents das
ilirige beyzutragen."
Gegen diese so lebhaft geschilderte Bedrückung ersuchte
der Rat um des Kurfürsten Beirat. Die gleiche Klage und
Bitte erging auch an die ausschreibenden Fürsten des nieder-
sächsischen Kreises, doch liegt von keiner Seite eine Ant-
wort vor, die ja durch den am 24. September geschlossenen
Frieden von Alt-Ranstädt überflüssig geworden war.
^' Man lächelt heute vielleicht über diesen „Schweden-
schreck", doch darf man nicht vergessen, welchen Klang
der Name der Schweden damals noch in Deutschland hatte,
wo die Erinnerung an den Tag von Fehrbellin durch die
glänzenden Erfolge Karls XII. rasch wieder verdrängt war.
In Mühlhausen aber gab es noch Männer genug, die vom
Vater oder Großvater her die Zeiten kannten, wo im dreißig-
jährigen Kriege der schwedische Resident in Erfurt auch
in der kleinen Reichsstadt zu befehlen hatte; 16 Jahre
lang hatte sie außer all der übrigen Not Lebensmittel
dorthin liefern müssen, noch 1649 trotz des Friedens 1000
Malter Früchte (Chronik III, 101). Im Juli desselben Jahres
war der Großvater Karls XII. mit seinem Heere durch das
Gebiet der Stadt gezogen, die ihm im Popperoder Brunnen-
hause ein Mittagsmahl bot; man mag es dem Rate der
ohnmächtigen Stadt nicht verübeln, wenn er mit Schrecken
der alten Zeit gedachte. Rasch genug freilich wich die
Angst, und von Schweden hat man in Mühlhausen nichts
wieder gehört, bis am Abend des 26. Oktober 1813 Bernadotte
als schwedischer Kronprinz mit 15 000 Mann schwedischer
und russischer Truppen in ihr einzog. Mit hellem Jubel
begrüßte man die Fremden, brachten sie doch endlich Be-
freiung von der Herrschaft des fremden, unwürdigen Königs
von Westfalen.
31'
Miszeilen.
I.
Die Grabsteine in der Kirche zu (Jräfenthal (Saclis.-Mein.).
Von Ernst Kießkalt, Postsekretär in Nürnberg.
(Mit 4 Figuren im Text.)
Die Grabdenkmäler dieser Kirche, deren nur noch 4 Stück
vorhanden sind, wurden von Prof. Dr. P. Lehfeldt bereits beschrieben
in den „Bau- und Kunstdenkmälern Thüringens, Heft XV, Herzog-
tum Sachsen-Meiningen, Amtsgerichtsbezirk Gräfenthal". Wenn ich
es trotzdem unternehme, diese 4 Denkmäler noch einmal zu behandeln,
so geschieht es nur, weil die Angaben Lehfeldts nicht korrekt genug
sind, bezw. vervollständigt werden können. Dazu kommt ferner
noch der wichtige Umstand, daß sich bei Entwickelung der Ahnen-
tafeln aus den an den Denkmälern angebrachten Ahnenwappen ergab,
daß diese Wappen zum Teil entweder ursprünglich schon in falscher
Reihenfolge angebracht oder, wahrscheinlicher, späterhin abgefallen
und dann irrtümlich an unpassende Plätze gesetzt wurden. Da die
Grabdenkmäler als wichtige Quellen für die Geschichtswissenschaft
dienen können — sie werden leider noch immer zu wenig hierzu
benützt — ist es gewiß angebracht, eine erweiterte Beschreibung zu
geben und an einem praktischen Beispiele zu zeigen, welche Aufschlüsse
diese steinernen Urkunden in genealogischer Beziehung bieten.
Sämtliche 4 Grabsteine sind bemalt, einschheßUch der Wappen ;
die Inschriften sind größtenteils durch schwarze Farbe leserlicher ge-
macht worden, doch wäre zu wünschen, daß dies sorgfältiger geschehen
sei, da einige Worte hierbei Veränderungen erfuhren. Die Wappen
sind mit guten Farben, jedoch teilweise unrichtig bemalt.
Die Denksteine sind im Renaissancestil ausgeführt, übrigens
weder besser noch schlechter bezüglich ihrer Darstellung, als in den
meisten anderen Orten des südlichen Thüringens aus dieser Zeit. So
sehr ungeschickt, wie Lehfeldt angibt, sind die Figiuren der Ver-
storbenen nicht dargestellt, insbesondere findet Lehfeldt die Haltxing
und Gewandung der Frau bei Grabstein No. 4 sehr steif, und doch
wäre es nicht möglich gewesen, diese anders darzustellen, da die
Witwentracht dieser Zeit eben eine solche steife Haltung bedingte
(s. Abbildung S. 484).
Miszellen.
481
Es erübrigt, die Denkmäler selbst noch näher zu beschreiben,
da die weiteren Angaben Lehfeldts genügen, auch a. a. 0. 2 Ab-
bildungen zu finden sind; es folgen daher die an den Steinen an-
gebrachten Inschriften und Wappen, bezüghch welch letzterer ich
Terweise auf „Siebmachers Allgemeines Wappenbuch".
I. Grabstein, 183 cm hoch, 89 cm breit (Abbild, s. Lehfeldt S. 214).
Die Umschrift lautet:
„Anno domi. 1563 den 12 augusti starb der edle Herr Eowaldt^)
zu Bappenheim des heiigen a: Ro: Reichs Erbmarschalch Im . . .^
seines alters dem gott gnedtig sein wolle. Amen."
An jeder der 4 Ecken des Denkmals ist ein Ahnen wappen an-
gebracht und zwar
hnks oben: v. Pappenheim Bd. II, A. 1, S. 17, T. 11 (altes);
rechts oben: v. Brandenstein Bd. II, A. 3 S. u. T. 22;
links unten ein Wappen durch die Kanzeltreppe verdeckt, doch
ist es, wie sich beim Vergleich mit Denkmal IV ergibt, das v.
Wallenrode (s. dasselbe in der im Verlag Weller- Papiermühle
S.A. erschienenen Wappensammlung);
rechts unten: v. Kochberg.
II. Grabstein, 338 cm hoch, 126 cm breit (Abb. s. Lehfeldt
a. a. O. S. 215).
Der Text für die beiden Gatten lautet:
„Anno doöii 1575 dem ander Sontag nach dem Obersten starb
der Edle Herr Joachim zu Bappenhaim des H: Ro: Reich Erb-
marschalck Im 26 Jar seines alter der seilen gott gnade. Amen.
Anno domi 15 ^) starb die Edle vndt tugsam fraw
ammeley^) von bappenhain gebor v. lendhain der seien got gnad.
Amen."
Der Todestag für den Gatten ist der 16. Januar 1575; jener der
Gattin war nie eingesetzt, da dieselbe das Denkmal schon bei ihren
Lebzeiten errichten Ließ, wie es sehr häufig geschah und auch hier
bei Grabstein IV der Fall ist.
Das Denkmal trägt 12 Wappen, welche Zahl eine Ahnentafel
aufzustellen nicht gestattet, denn jede Ahnenzahl ist — mathematisch
gesprochen — stets eine Potenz der Zahl zwei, weshalb es entweder
8 oder, darüber hinaus, 16 Ahnenwappen sein müßten. Ferner sind
die 12 Ahnenwappen sehr eigenartig angeordnet; ein Schema soll
deshalb die Stellung der Wappen zueinander veranschaulichen. Es
ist zu vermuten, daß früher tatsächlich 16 Wappen vorhanden waren
und 4 davon im Laufe der Zeit verloren gingen.
Die Ahnenwappen I und II sind größer ausgeführt als die
übrigen und zudem mit Helmen (ohne Kleinode, die wahrscheinlich
verloren gingen) versehen, welche Bevorzugung ihre Erklärung darin
1) restauriert ist: „Towaler".
2) leer gelassene Stelle.
2) leer gelassene Stelle.
8) restauriert ist: „ammelein". Lehfeldt schreibt: „amalia
muß es heißen", obgleich „Ammelei" eine altertümliche Form dieses
Namens ist.
482
Miszellen.
findet, daß diese beiden Ahnen wappen zugleich der beiden Verstor-
benen eigene Wappen waren.
Wappen I = v. Pappenheim (wie vorhin).
Wappen II = v. Lentersheim, Bd. VI, 1. A II, S. 115, T. 72 ;
a) V. Brandenstein (w. v.);
b) V. Wallenrode (s. Grabstein I);
c) V. Hollbach, Bd VI, A. 1, S. 75, T. 75;
d) V. Pflug, Bd. II, Abt. 3, S. 41, T. 47;
e) V. Stein zum Altenstein (s. Wellers Wappensammlung);
f) anscheinend v. Schlotheim, Bd. II, A. 3, S. 15, T. 14 An-
merkung, welche die Heroldsfigur als „gestürzten ausgeschnittenen
Schild" bezeichnet;
g) V. Rosenberg, Bd. VI, A. 1, S. 54, T. 53 ;
n) V. WaUenrode (w. v.);
i) anscheinend v. Künßljerg;
k) unkenntliches Wappen.
I II
Fig. 1. Schema der am Grabstein IJo. II
angebrachten Wappen.
Die Wappen f, i und k sind zum Teil durch die Kanzeltreppe
verdeckt und deshalb unbemalt geblieben. Nur 6 von diesen 12
Wappen waren Lehfeldt bekannt; von den unbekannten waren 2
Miszellen. 483
gar nicht und 3 falsch beschrieben
bezw. blasoniert, denn die 2 als „weiß
und rot schräg geschacht" bezeich-
neten Schilde sind die der v. Wal-
lenrode, welche auf der Abbildung
bei Lehieldt S. 215 sogar sehr deut-
lich sichtbar und kenntlich sind.
Der Wappenschild f mit leerem
Feld von der Form der Fig. 2 (nach
Lehfeldt), zeigt sich in Wirklichkeit
wie bei Fig. 3 und ist der v. Schlot-
Jieimsche.
111. Grabstein, 270 cm hoch, 112 breit.
Das darauf dargestellte Ehepaar kniet betend vor einem Kruzifix,
links und rechts desselben zwei ßibelstellen : Hiob XIX Cap. V. 25.
Ich weis das mein Erlöser lebet . . . etc. und Paulus Rom. 14. Cap. V. 7.
In dem oben befindlichen Rundbogengiebel folgender Text:
IM JAR NACH CHRISTI VNSERS ERLÖSERS VND
SELIGMACHERS GEBVRT 1561 SONNABENTS NACH ESTO-
MIHI DEN 22 FEBRUARII ZWISCHEN 6 UND 7 HORA
NACHMITTAGE IST IN GOT SELIGEN ENTSCHLAFEN DER
EDLE GESTRENGE UND ERNVHESTE ACHATZ ZU PAPPEN-
HAIM DES HEILIGEN ROMISCHEN REICHS ERBMAR-
SCH ALH WELCHES SELEN GOT GNEDIG VND BARM-
HERZIG SEI VND EIN FRÖHLICHE AVFFERSTEHVNG
VERLEI ZVM EWIGEN LEBEN. AMEN. ANNO DOMINI
1583 EVSB. IST VERSCHIEDEN DIE EDELE TVGENTSAME
FRAV ELISABETH MARCHALCHIN ZV PAPPEN HAIM GE-
BORNE VON BRANDENSTEIN VON RAHNIS HERR
ACHATZ ZV PAPPENHAINS SELIGEN EHELICH GEMAHL.
IRES ALTERS IM 60. JAR DER GOT GNAD."
(Todestag des Mannes = 22. Febr. alten Stils, der Gattin
[EusebiiJ = 14. August 1.583.)
16 Ahnen Wappen in folgender Anordnung schmücken das
Denkmal:
3 12 4 a) Väterliche Ahnen:
1 = V. Pappenheim (wie bei I);
5 6 3 := V. Wallenrode (wie bei II);
5 = V. Pflug, Bd. II, A. 3, S. 41, T. 47;
7 8 7 = V. Stein zum Altenstein, s. Grabstein II;
9 = V. Rechberg, Bd. II, A. 5, S. 3, T. 3;
9 10 11 = V. Rotenhan, Bd. II, A. 1, S. 54, T. 56;
13 = V. Maßbach, Bd. VI, A. 2, S. 132, T. 83;
11 12 15 = V. Laber, Bd. VI, 1. A II, S. 108, T. 68.
b) Mütterliche Ahnen:
18 14 2 = V. Brandenstein, Bd. II, A. 3, S. u. T. 22;
4 = V. Kochberg (s. No. I);
15 16 6 = V. Schieinitz, Bd. II, A. 3, S. 46, T. 53;
8 = V. ßeulwitz, Bd. 11, A. 3, S. 21, T. 21;
10 = V. Pappenheim (s. No. I);
12 = V. Schönberg, Bd. II, A. 3, S. 46, T. 53;
14 == V. Herda? Bd. II, A. 3, S. 32, T. 35.
16= ? zweimal geteilter Schild, wciß-rot-weiß,
(oder weißer Schild mit rotem Querbalken ?).
484
Miszellen.
IV. Grabstein, 279 cm hoch, 268 breit, 45 tief, mit folgen-
dem Text:
„Anno Domi. MDIC Den XI. Xbris ist der Wolgeborne vnd
Edle Herr Christofe Virich des heil. Rom. Reichs Erbmarschalcb
Herr zv Bappenheim avf der Herschaft Greven tal selig in Herren
entschlafen seines alters im LIIII Jar von der Greventhalischen-
Linie der Lezte.
Anno Domini 16 ^) ist die Wolgeborne vnd Edle Fraw
Magdalena Marschalchin zv Bappenhaim geborne Marschalchin Fraw
zu bappenhaim vnd Greventhal in Christo seligen eingeschlafen vnd
ZV den Vetern versamlet worden."
Epitaphium derleUi'en der P^ippenheimer
(öräfenthaler Linie) in der Kirche
zu öräfenthal (Thcir.Wald).
Fig. 4.
16 Ahnenwappen, in zwei Reihen zu je 8 ötück untereinander,,
zieren das Denkmal ; alle waren mit Namen versehen ; diese fehlen
jetzt bei No. 15 und 16.
a) Väterliche Ahnen :
1) Pappenheim ;
3) Branstein (Brandenstein) wie bei I;
5) Pflug wie bei II d;
7) Sileunit (Schleinitz) wie bei III, 6;
9) Rechberg, wie bei III, 9;
1) leer gelassene Stelle.
Miszellen. 435
11) Schonberg, wie bei III, 12 ;
13j Labor, wie bei III, 15;
15) [Kochberg] wie bei I.
b) Mütterliche Ahnen:
2) Bappenheim;
4) Bevusch, gevierter Schild; in 1 und 4 drei silberne Lilien
in grün, 2 und 3 ein goldner, rechtsgekehrter Löwe in
rot. Zwei Helme: Helm I mit silberner Lilie, Helm II
mit dem Löwen, der einen silbernen Fisch in den Vorder-
pranken hält;
6) Gotzman (Gottsmann) Bd. VI, A. 1, S. 39, T. 39;
8) Schaumburg, Bd. II, A. 1, S. 55, T. 58 (Stammw.) ;
10) Zevyern (s. Wellersche Wappensammlung);
12) Kechberg (wie unter 9);
14) Stiber (Stiebar v. Buttenheim), im geteilten Schilde das
Blatt einer Saufeder, auf der Teilungslinie aufrechtstehend ;
16) ? gevierter Schild ; 1 und 4 je wieder geviertet, und
zwar 1 und 4 weiß , 2 rot , 3 schwarz ; in 2 und 3 ein
rechtsgekehrter, roter, springender Löwe in Gold. 2 Helme :
Helm I mit einem rotgekleideten Rumpf, Helm II mit
2 weiß -rot, bezw, rot-schwarz geteilten Büffelhörnern.
Die Wichtigkeit der Ahnenwappen für die genealogische For-
schung ergibt sich daraus, daß bekanntlich die Anordnung, bezw.
die Stellung jedes Ahnenwappens je einem bestimmten Verwandt-
schaftsgrade entspricht. Dadurch wird ermöglicht, daß man aus
diesen Ahnenwappen sofort eine Ahnentafel aufstellen kann ; richtiger
gesagt: diese Ahnenwappen bilden bereits eine Ahnentafel, jedoch
in gedrängtester Form, so daß es, bei vielen Wappen, notwendig
ist, diese Tafel vollständig zu entwickeln, was an der Hand eines
Schemas sehr rasch geschehen kann. Nachstehende Skizzen sollen
zeigen, welcher Verwandtschaftsgrad jedem einzelnen Wappen ent-
spricht.
I. Bei Grabsteinen mit zwei Wappen : W. 1 W. 2
bedeutet 1 das Geschlechts wappen des Vaters, 2 das der Mutter des
Verstorbenen; ist der Grabstein für ein Ehepaar bestimmt, so ist
1 das Wappen des Gatten (und zugleich dessen Vaters), 2 das der
Gattin (bezw. deren Vaters).
IL Bei Grabsteinen mit 4 Wappen, deren dann gewöhnlich je
eines in den 4 Ecken des Denkmals angebracht ist: 1 2
3 4
ist
1 das Wappen des Vaters
2 „ „der Mutter
3 „ „ der Großmutter väterlicherseits
4 „ „ der Großmutter mütterlicherseits
des Verstorbenen. Bei einem Ehepaar sind 1 und 3 die Wappen der
Eltern des Mannes, 2 und 4 die Wappen der Eltern der Gattin.
III. Bei einem Grabstein mit 8 Ahnenwappen ist
1 2
3 4
5 6
7 8
486 Miszellen.
1 = Wappen des Vaters,
5 = „ der Großmutter väterlicherseits,
3 ^ „ „ Mutter des Großvaters väterlicherseits,
7 = „ „ „ der Großmutter väterlicherseits,
" = 11 11 11
6 = „ ,, Großmutter mütterlicherseits,
4 = „ „ Mutter des Großvaters mütterlicherseits,
8 = „ r, „ der Großmutter mütterlicherseits.
Gehören die 8, bezw. 16 oder 32 Wappen jedoch für ein Ehepaar,
so ist zu merken, daß die Wappen links vom Beschauer stets für den
Gatten, diejenigen rechts aber für die Gattin Geltung haben, so daß
in diesem Falle zwei Ahnentafeln auf einem Steine sich befinden.
Z. B. wären 8 Ahnenwappen für ein Ehepaar dann so zu beziffern :
11 1 = Vater,
3 3 2 = Mutter,
2 2 3 = Großmutter väterlicherseits,
4 4 4 = Großmutter mütterlicherseits.
Diese Sache ist also ein einfaches rechnerisches Problem und kann
deshalb sehr leicht nach Bedarf erweitert werden.
Voraussetzung für so aufzustellende Ahnentafeln ist allerdings,
daß diese Ahnenwappen nicht etwa im Laufe der Zeit abgefallen
und später an unrichtigen Stellen wieder befestigt worden sind.
Eine sichere Gewähr hat man deshalb nur, wenn die Wappen mit
dem Denkmal aus einem Stück gearbeitet oder, wie bei Gedächtnis -
tafeln, aufgemalt sind.
Bei meinen Bemühungen, die Ahnenwappen der 4 bezeichneten
Grabsteine in Einklang zu bringen, merkte ich bald, daß diese
Wappen zum großen Teil an der unrichtigen Stelle angebracht
waren. Eine mir gütigst zur Verfügung gestellte Notiz des Gräfüch
Pappenheimschen Archivs über die Anordnung der 16 Ahnenwappen
auf einer in der Klosterkirche zu Pappenheim befindlichen hölzernen
gemalten Gedächtnistafel des Grafen Christoph Ulrich v. Pappenheim,
dessen Grabstein als No. IV beschrieben wurde, ermöglichte jedoch
sofort die Aufstellung einer Ahnentafel, in welche sich die Ahnen-
wappen der Grabsteine No. I genau, die der Denkmäler II und III
zum größten Teil und hier in so bestimmter Anordnung einfügen,
daß über die Eichtigkeit dieses Resultates nicht der geringste Zweifel
obwaltet. Nachfolgend soll zuerst die Anordnung der 16 Ahnen-
wappen der Gedächtnistafel zu Pappenheim Platz finden, sodann
die hieraus entwickelte Ahnentafel wiedergegeben und zuletzt die sich
hieraus ergebenden Schlußfolgerungen für die abgehandelten 4 Grab-
denkmäler zu Gräfenthal besprochen werden.
Die Gedächtnistafel zu Pappenheim zeigt folgende 16 Ahnen-
wappen, die mit Ausnahmen von nur 3 — 4 Stück die gleichen, aber
in abweichender Anordnung, sind wie jene 16 unter No. IV (s. S.
484 u. 485).
1 Pappenheim 2 Pappenheim
3 Brandenstein 4 Gotsman
5 Wallenrode 6 Betischer
7 Kochberg 8 Zeurn
9 Pflug 10 Schaumberg
11 Schönberg 12 Stibar
13 Altenstein 14 Zinzendorff
15 Schleinitz 16 Selbitz.
Miszellen.
487
Sechzehn -Ahnen-Tafel (abgekürzte Bezeichnung für eigentlich
zwei Ahnentafeln zu je 8 Ahnen der beiden Ehegatten].
ßeihe I.
Christoph
Uhrichi) v.
Pappen heim
t 11. XII. 1599
Eeihe II.
Achatius v.
t 1561
Reihe III.
r Sebastian v. I
p I t 1536
Reihe IV.
[Georg
_ V. P.
I Praxedes Pflug
V. Rabenstein
Ursula V. Wallen-/ Wallenrode
Elisabeth v.
Brandenstein -
Ranis
rode
(Brandenstein
Kochberg
Magdalena geb
V. Pappenheim^
Stühlingsche
Linie, f 1602
r Pappenheim
Christophorus J
V. P. I
Gotsman
Betischer
{Gotsman
Zeurn
\Alttenstein
f Brandenstein
\Schönberg
/Kochberg
(Schleinitz
/Pappenheim
\Schaumberg
/Betischer
\Zinzendorff
I Gotsman
\Stibar
f Zeurn
\Selbitz
Wie bereits gesagt, sind die 4 Ahnen Eobalds v. P. nach Grab-
stein I in vorstehender Ahnentafel — auch hinsichtlich ihrer An-
ordnung — genau enthalten.
Bei Grabstein II liegen die Verhältnisse am ungünstigsten, da
hier im ganzen nur 12 statt 16 Ahnen vorhanden sind ; die 7 Wappen
links vom Beschauer sind die Ahnen des Verstorbenen, Joachims
V. P., die 5 Wappen rechts jene seiner Gattin Amalie v. Lentersheim.
Joachims Vater V itus, f 1556, war aber ein Bruder des Achatius,
und es müssen deshalb dieser Brüder Ahnen väterlicherseits
dieselben sein (dies gilt auch für Joachim v. P. selbst, für welchen
natürlich noch dessen eigener Vater Vitus v. P. als weiterer Ahne
hinzukommt). Des Vitus 4 Ahnen väterlicherseits sind denn
auch in den 7 Ahnenwappen links vorhanden; sie erscheinen in der
Sechzehnahnentafel als die 4 obersten in Reihe IV. Nimmt man an,
daß zwischen den Wappen d und c noch ein (achtes) Wappen vor-
handen war, so ist auch die Anordnung der 4 Ahnenwappen väter-
licherseits richtig. Diese Annahme wird durch den weiteren Umstand
fast zur Gewißheit, daß das Wappen a (v. Brandenstein-Oppurg)
genau an der entsprechenden Stelle des Denkmals steht ; es wechselte
somit immer ein Ahnenwappen väterlicher- mit einem solchen mütter-
licherseits, was weiter dafür spricht, daß links ursprünglich 8 Wappen
vorhanden waren.
1) Eobald v. P. war ein Bruder Christoph Ulrichs, und deshalb
sind deren Ahnen die gleichen.
488 Miszelien.
Die 5 Wappen rechts, für Amalie v. Lentersheim gehörig, sind
die noch erhaltenen von ebenfalls 8 Ahnenwappen. Der Verstorbenen
Mutter war Ursula v. Rosenberg und tatsächlich ist das Wappen
g dasjenige dieses Geschlechts. Dieser Ursula Mutter war eine
geborene v. Auerbach (Urbach), welches Wappen unter den sonst
noch vorhandenen drei allerdings nicht vorkommt, aber wahrscheinüch
eines der 3 noch fehlenden gewesen ist. Das Wappen k ist über-
dies unkenntlich, käme hier aber kaum in Betracht.
Dieser Schluß enthält absolut nichts Gekünsteltes oder Un-
wahrscheinliches , sondern ist sehr einfach und deshalb wohl als
völlig berechtigt und ausreichend anzuerkennen.
Bei Grabstein III sind die Wappen 1, 3, 5, 7 (Achatius' Ahnen)
sowie 2, 4, 6 und 12 (Ahnen Elisabeths v. Brandenstein) in Reihe Iv
der Sechzehnahnentafel richtig enthalten , die Wappen 12 und 6
gehören allerdings an die Stelle der Wappen 6 und 8, was aber nur
einer, entweder ursprünghchen oder wahrscheinlich späteren, Wieder-
befestigung zuzuschreiben ist. Damit wäre die Sachlage bezüglich
der oberen 8 der am Denkmale angebrachten 16 Wappen völlig
geklärt, nicht aber bezüglich der unteren 8 Wappen. Hier wurde
das sonst innegehaltene Prinzip, daß die Stelle des Wappens einem
bestimmten Verwandtschaftsgrade entspreche, verlassen. Nach einer
mir vorliegenden Stammtafel des Achatius v. P. war dessen Urgroß-
vater Conrad, f 1482 — der Stifter der Pappenheim-Gräfenthalschen
Linie — vermählt mit Dorothea v. Laber, dessen Mutter aber, die
Gemahlin Haupts v. P., Barbara v. Rechberg. Die Wappen v. Laber
und V. Rechberg kommen allerdings bei Grabstein III als No. 9
und 15 vor; es kann aber weder angenommen werden, daß die
Wappen 9, 11, 13 und 15 jene der Gemahlinnen der direkten Stamm-
väter des Achatius' Großvaters gewesen wären, da sonst die Wappen
II und 13 jene v. Weinsberg und Eilerbach und nicht die v. Rotenhan
und V. Maßbach sein müßten, — noch daß sie die Wappen der
Mütter von des Achatius 4 Großeltern gewesen wären, da das Wappen
V. Rechberg in dieser Generation noch gar nicht erscheinen dürfte
(einen eventuellen Ahnenverlust ausgenommen). Es bleibt allerdings
noch eine dritte (und letzte) Annahme übrig, daß die Wappen v. Roten-
han und Maßbach jene der Mütter der Genannten, Dorothea v. Laber
und bezw. Barbara v. Rechberg, gewesen seien. Das bleibt aber eine
bloße Annahme, die ich aus Mangel an Zeit und Gelegenheit nicht
unterstützen oder auf ihre Richtigkeit untersuchen kann. Jedenfalls
aber wird das für die Wappen 9, 11, 13 und 15 augewendete Prinzip
auch für die entsprechenden No. 10, 12, 14 und 16 maßgebend ge-
wesen sein.
Zu den 16 Ahnenwappen des Grabsteins No. IV ist zu be-
merken, daß mir die Ermittelung des Wappens No. 16 nicht gelang;
es wäre aber nicht ausgeschlossen, daß es das Wappen der v. Zinzen-
dorff (Sinzendorff) oder v. Selbitz ist (welche auf der Gedächtnis-
tafel zu Pappenheim erwähnt werden), in diesem Falle wären 13
von den 16 Ahnenwappen des Grabsteins übereinstimmend mit denen
der mehrfach erwähnten Gedächtnistafel zu Pappenheim. Nachdem
jedoch diese Gedächtnistafel sich für die Aufstellung der Ahnentafeln
als geeigneter erwies, als die Wappen des Grabsteines, ist ihr auch
in dieser Beziehung mehr Glauben entgegenzubringen, und es ist
anzunehmen, daß sie vollständig richtig ist.
Miszelleu. 439
Die vorstehende Abhandlung mag einen Beweis dafür geben,
-welche wichtige Aufschlüsse die Grabsteine auch in genealogischer
Beziehung geben können, aber auch, wie notwendig es ist, diese
Ergebnisse zu kontrollieren. Sind mehrere Grabsteine von Personen
eines Geschlechtes vorhanden oder bekannt, die in direkten Ab-
stammungsverhältnisse standen, so ist die Kontrolle sehr leicht.
Im allgemeinen sind Grabsteine vor 1500 in genealogischer
Hinsicht viel zuverlässiger, als nach dieser Zeit, wie denn auf ihre
Herstellung überhaupt mehr Sorgfalt verwendet wurde. Allerdings
wird nicht nur der Grabsteintext, sondern auch der heraldische
Schmuck bezügüch der Ausführlichkeit immer geringer , je älter
die Grabdenkmäler werden ; dafür steigt aber in gleichem Maße
der Wert der vorhandenen Texte und die Schönheit der heraldischen
Darstellungen.
II.
Thüringische Tranksteuerregister der Ämter Kamburg uud Dorn-
burg 1632—1637.
Von Prof. Dr. F. Tetzner in Leipzig.
Eine der wichtigsten Erwerbsquellen der Thüringer Bevölkerung
im Saaletal war der Verkauf des selbstgebrauten Biers und selbstge-
kelterten Weines. Die Stürme des 30-jährigen Krieges haben einen
Aktenband verschont, der nähere Angaben über jenes Gewerbe macht.
Da er sich in Privathand befindet und möglicherweise unausgeschöpft
verschwinden wird, will ich einige Angaben daraus zusammenstellen.
Der Zeit nach fallen die Angaben in den schwedischen Krieg vor
der Schlacht bei Lützen bis zur Wiedereinnahme Thüringens durch
Bauer 1638, und wir beobachten, wie in bunter Reihe Schweden,
Kaiserliche und Kurfürstliche unausgesetzt das Land in den Händen
.haben und Wein und Bier, soweit sie es erlangen können, für sich
in Beschlag nehmen. Bald sind es die schwedischen Völker Bauers,
Stolhanschs und Wirttembergers, bald die kaiserlichen von Götz,
Gallas, Gelen, Kleine, bald die kurfürstlichen unter Dehnen, Eoms-
dorf, Streinz, ganz abgesehen von den Gesandtschaften, Polizeitruppen
und Kommissionen, denen man gern gab, wenn man nur einiges
retten konnte.
Die meisten Dörfer in den Bezirken Kamburg und Dornburg
besaßen eine Braupfanne, und die Brauberechtigteu konnten sie
dreimal des Jahres in Anspruch nehmen, zu dreien Malen erfolgte dann
auch die Aufzeichnung der beiden Steuermeister jedes Dorfes: zu
Kreuzerhöhung, Lucia und Quasimodogeniti. Jene Zehentmeister
schrieben auf, mit wieviel Eimer jeder Brauberechtigte an jedem
Gebräu beteiligt war, wieviel davon als unversteuerbares Freibier
zu gelten hatte und wieviel dann zu versteuern übrig blieb. Als
Lohn für seine Mühe erhielt er den Zehnten, der Schösser oder Ober-
„ Steuermeister stellte dann alle Steuerregister des Bezirks zusammen
und bezog wiederum den Zehnten. Eine ßraupfanne umfaßte 12— '24
Eimer, meist 18 zu je 72 Kannen. Zu jedem Gebräu gehörte
mindestens 1 Erfurter Malter Gersteumalz zu 12 Scheffel, der 12
Eimer Bier gab und mit 6 Groschen, wie der Wein, zu versteuern war.
490 Miszellen.
Befreit von dieser Steuer war der Tischtrank des Adels, der
Universität Jena, der Hofbeamten, Pastoren, Lehrer, der Sulzaer
Salzbergschenke und der Beamtenwitwen. Was sie selbst tranken,
mußten die Bauern auch versteuern , doch begnügten sich diese
meist mit dem steuerfreien Kofent.
Für alle steuerfreien Biere aber mußten die Käufer Quittungen
ausstellen, und füi die in Kriegszeiten geraubten oder gelieferten
Getränke stellte die ganze Gemeinde unterschriftlich, oder in deren
Vertretung der Schulze, die beiden Heimbürgen oder Gemeindeältesten
oder sonstige angesehene Personen Zeugnis aus. D. h. man bat in
demütigen beweglichen Worten um Steuererlaß für Getränke, die
man ohne jede Entschädigung hingeben mußte. Unter die Berichte
und die Berechnung der Steuern und des Spundgeldes setzte der
Beamte auch sein „gewöhnliches", der Adelige sein „angebornes"
Petschaft. Einigemal kam es vor, daß die Soldateska nicht bloß
die Getränke geraubt und die Saaten niedergeritten, sondern auch
die Braugefäße („Kessel", „Bottiche", „Gefäße", „Pfannen-') vernichtet
hatte; da behalf sich der Bauer mit seinen neun Eimer haltenden
Deisen. Kühldeisen verwendete man ehemals in Ermangelung von
Kühlschiffen oder Kühlstöcken. Die Deise ist übrigens noch heutiges-
tags den Thüringern nichts Fremdes.
Die erhaltenen Register lauten :
Ambts Camburgk Trangk Steuer Register, über die
Frist Quasimodogeniti Ao. 1 6 3 3 (praesentirt den 29. üctobris
Ao. 1639 vberlegt). (No. 3 vol. 5 Ambt Camburgk 101 fl. 4 g. 4 ^.
Trancksteuer Quasimodogeniti Ao. 1633.)
Einnahme Wein, So verwichene Frist Luciae 1632 im rest verbUeben,
21 Eymer zue Wiegmar.
„ „ Hierüber ist aber Wein erkaufft vnd eingeleget
worden, vacat.
Summa Einnahme Wein, 21 Eymer.
Außgabe Wein, Davon werden dießen Termin mitt Frey Zetteln be-
rechnet, vacat.
Ferner ist verkaufft ahn frembde örther dießes Fürstenthumbs
doselbsten solcher nach dem Maas verzäpffet vndt vorsteuert wirdt,
vacat.
Außgabe Wein, So von den Soldaten verwüstet worden vndt vf
dieselben gangen, 21 Eymer Wiegmar.
„ „ So mit geld vorsteuert wirdt. vacat,
„ „ Summa deß vfn freyen Tischtrangk verschriebenen
ahn andere örfher verkaufften undt mitt gelde vorsteuerten Weins
21 Eymer Wein.
Bleibet nichts im Vorrath
Einnahme Bier, So verwichene Frist Luciae 1632 im rest bUeben
86 Eymer Wiegmar.
Ferner ist gebrauen worden 1090s/^ Eymer in folgenden Dorff-
schafften, alß
324 E. Camburgk, 192 Schmiedehausen, 90 Goßerstedt, 154
Wiegmar, 54 Vierzehnheyligen, 141 3/4 Eckelstedt, 81 SiegUzs,
54 Kleinen Gesewizs, Leußla ist nicht gebrauet worden.
Miszellen. 49J
Einnahme Bier. Summa deß in der Frist Luciae 1632 im rest ver-
bliebenen vndt dießes Termins neu erbrausten Bier 1176 Eymer Biers.
Davon werden mit Freyzetteln verrechnet, inhalts der Register
178 Eymer wie folgt, alß
35. E Camburgk, 54 Schmiedehau ßen, 55 Goßerstedt, 3 Vier-
zehenhey ligen, 3 Eckelstedt, 24 Sieglizs, 4 Kleinen Geßewizs.
Bier uf die Soldaten, So dieselben außgeträngket vndt verwüstet
455V, Eymer, alß
77 E. Camburgk, 144 E. Schmiedehaußen, 9 Goßerstedt, 109'/,
Wiegmar, 35 Vierzehenheyligen, 75 Eckelstedt, 36 Sieghzsl
Bier, Hierüber werden mitt gelde versteuert inhalts der Redster
407^/^ Eymer wie folget. Die tragen nemblich 116 fl. 10g. 6 <^.
194 E. Camburgk, 24 Schmiedehaußen, 26 Goßerstedt, 15 Wieg-
mar, 16 Vierzehenheyligen, 63^/^ Eckelstedt, 21 Sieglizs, 48
Kleinen Geßewizs.
Summa deß zum Freyen Tischtrangk verfreiten (?) in die Commiß
gegebenen von den Soldaten in den Quartieren verwüsteten vndt
mit geldt versteuerten Biers, thut 1041 '/i Eymer.
Solche von der Einnahme gezogen so bleiben in Rest 13572
Eymer alß 18 E. Camburgk, U1\U_ Wiegmar.
Einnahme Geldt. Summa waß dießen Termin die Wein vndt Bier
Steuer getragen, thut 116 fl. 10 g. 6 ^.
Davon werden abgezogen, So vermöge Fürstl. nachlaßung vndt
zu ein bringung dießer Steuer verwendtet, thut 15 f 1. 6 g. — c^.,
alß folget
2 fl. 13 g. Camburgk Pfundtgeldt, 6 g. 10 4 Schmiedehaußen,
7 g. 5 1^. Goßerstedt, 4 g. 3 c). Wiegmar, 6 g. Vierzehnheyügen,
14g. — c). Eckelstedt, 6 g — ^. Sieglizs Pfundgeld.
Mehr Außgabe 13 g. 6 ^ Kleinen Geßewizs Pfundtgeld, 8 fl.
Zehrung vndt Verlust vber dießer Einnahme, sowohl abgangk
ahn der Münze, 10 g. von Steuer Register, vndt von viel-
feltigen Mahnzetteln, 10 g. dem Landtknechte , 12 g. vor
Pappier zue Registern undt Mahnzetteln.
Summa von Summa gezogen so bleiben zur Ober Einnahme zue
vberüefern 101 fl. 4 g. 4 ^.
Uhrkundtlich , habe ich itziger Schößer zue Camburgk diß
Register mit meinem Pätzschaft besiegelt vndt eigner Handt vnter
schrieben actum die frist Quasimodogeniti Ao. 1633 (S) Georg Keyßer
m. priä.
Ambts Dornburgk Steuer Register^) über die Frist
Luciae Anno 1636
Quasimodogeniti Ao. 1637 (Praesentirt den 29. Octobris Anno 1639
Crucis Anno 1637 vberlegt)
Ambt Dornburgk
98 fl. 9 g. 6 (^. Trancksteüer zur Frist Luciae Anno 1636
82 fl. 13 g. 7 ^. Trancksteüer zur Frist Quasimodogeniti
Anno 1637 No. 3 Vol. 2
129 fl. 11g. 8V2 ^. Trancksteüer zur Frist Crucis Anno 1637.
1) Am Schluß: Uhrkundtlich habe ich itziger Schößer zue Dom-
burg diß Register mit meinem Pötzschafft betrugkt vndt eigener
Handt vnterschrieben. Actum die Frist (Luciae Anno 1636, Quas.
Anno 1637) Crucis Ao. 1637 (S) Georg Keyßer m. priä.
492 Miszellen.
Einnahme Wein so verwichen Termin
Crucis Ao. 1636 im rest verbliben, thut 181 Eymer Dorndorff
(kömpt mit vorigem Register überein)
Luciae Ao. 1636 im rest verbliben, thut 331 '/4 Eymer, alß SM'/a
E. Dornd., 1 '/^ E. Naschhausen, IS'/^ E. Dornb., 967, E. Zimmern
Quasim. Ao. 1637 im rest verbliben, thut 271 V4 Eymer alß 2WI
E. Dornd., ISV^ E. Dornb., 38V4 E. Zimmern
Einnahme Wein so im Herbst Ao 1636 durch Gottes Seegen er-
wachsen 44474 Eymer an folgenden orthen
33 Va Eymer Dorndorff, — Vtenbach, IVg Eymer Naschhaußen,
IS'/a Eymer Dornburgk, 9674 Eymer Zimmern, 294 Cunitz.
Einnahme Wein Hierüber ist aber Wein erkaufft vndt eingelegt
worden vacat. Summa Einnahme Wein 625 V4 Eymer Wem
vacat ^3174 „ „
vacat 27174 „ „
Außgabe Wein, Davon werden diesen Termin mit Freyzetteln be-
rechnet 24 Eymer 60 Kannen Cunitz
vacat
6 Eymer, alß 3 E. Dornburgk, 3 E. Zimmern
Uff die Soldaten vndt waß durch dieselbe ausgeträncket worden
269 Eymer 12 Kannen Cunitz
vacat
7 Eymer Zimmern.
Ferner ist verkaufft, ahn frembde örther dieses Fürstenthumbs,
doselbsten solcher nach dem Maas verzäpfft u. versteuert wirdt,
vacat
vacat
vacat
Außgabe Wein, So mit geldt versteuert wirdt, vacat
60 E. tragen zue gelde 14 fl. 9 g., alß 38 E. Zimmern zue 6 g.,
2072 E. Newginna, so auch in Zimm. Flur erwachsen, u.
weilen derselbe meist v. d. Soldaten ausgesoffen, der E. mit 3 g.
verechnet worden. 172 E. Naschh. zue 6 g.
4474 E. tragen zue gelde 11 fl. 14 g. 77, ^. nembl 28V4_ E.
Zimmern theils zue 5, theils zue 6 g Inhalts des Regist. 1572»
Dornburgk zue 6 g.
Außgabe Wein, Summa deß vfn freyen Tischtranck verschriebenen,
ahn andere örther verkauf ften, durch die Soldaten verwüsteten
u. mit gelde versteuerten Weins: 294 Eymer
60
5674 ,.
Verbleiben demnach vf künfftigen Termin
Quasimodogeniti 1637 zue verrechnen im rest 331 V4 Eymer, alß
Crucis „ 2717, „
Luciae „ 21472 „ Domdorf
2147^ E. Dorndorff, I72 E. Naschhaußen, 187. E. Dornburgk,
9674 E. Zimmern
2147, E. Dorndorff, 187, E. Dornburgk, 3874 E. Zimmern
214V2 E. Dorndorff
Miszellen. 493
Einnahme Bier so verwichen Termin
Crucis 1636 im rest bheben 282V2 . Vg Eymer Dornburgk (befindet
sich im vorhergeh. Reg. alßo)
Luciae 1636 SSSy^ . V3 Eymer Dornburgk (gleichet
mit vorhergeh. Register)
Quasi. 1637 52372 — Eymer Dornburgk (vorherg.
Register besagts alßo)
Einnahme Bier, so sieder der jüngsten Frist
Crucis Ao 1636 erbrauet worden llSl'/a Eymer mer an folgenden
orthen alß
Luciae „ 1636 1012 7^ . % Eymer mer an folgen-
den orthen alß
Quas. „ 1637 92674 Eymer mer an folgenden
orthen alß
228 Dornd., — Vtenbach. 96 Dornb., 84 Crippend., 198 Obernd.,
32 Fluerstedt, 90 Sultzsbach, 63 Großen Rombstedt, 108 Klein R.,
63 Wormbst,, 9372 Obern tröbra, 96 Cunitz, Groitschen —
248 Dornd., — Vtenbach, 1947^ Dornb., 63 Crippend., 198 Obernd.,
32 Fluerstedt, 36 Sultzsbach, — Großen Rombstedt, 144 Klein R.,
9Wormbst., 9372 Oberntröbra, — Cunitz, Groitschen —
219 Dornd., 38V4 Vtenbach, 80 Dornb., 147 Crippend., 180 Obernd.,
16 Fluerstedt, 36 Sultzsbach, — Großen Rombstedt, 72 Klein R.,
36 Wormbst., 102 Oberntröbra, — Cunitz, Groitschen —
Einnahme Bier, Summa deß im rest gelaßenen new eingelegten
frembden u. ufs neue erbraweten Birs 13847« E.
1342 „
14497^ „
Davon werden mit Freizetteln belegt Inhalts der Register
8IV2 Eymer an folgenden Orthen, alß 33 Dornd., 17 Crippend.,
3 Fluerst., 3 Suitsbach, 4 Großen Rombstedt, I872 Klein R.,
3 Oberntröbra
52 Eymer an folgenden Ortheu, alß 23 Dornd., 14 Crippend.,
3 Fluerst., 3 Sultzsbach, — Großen Rombstedt, 3 Klein R.,
3 Oberntröbra, 4 Wormbstedt
3O67, . 73 Eymer an folgenden Orthen, alß 114 Dornd., 47, Crip-
pend., — Fluerst., 3 Sultzsbach, — Großen Rombstedt,
18 Klein R., — Oberntröbra, 12 Wormbstedt, 15573 i^ornb.
Außgabe Bier. Ferner haben die de facto eingefallene u. einquartirte
Soldaten ausgeträncket 5727, E., alß
47272 „
54372 „
205
33 Dorndorff, 198 Oberndorff i), 45 Sultzzbach. 18 Flurstedt,
30 88
70 Klein Rombstedt, 247^ Wormbstedt, 88 Oberntröbra,
15 Gripp.
96 Cunitz, — Dornb. — „
3972 Dorndorff, 198 Oberndorff, — Sultzsbach, 25 Flurstedt,
122 Klein Rombstedt, — Wormbst., 88 Oberntröbra, — Cunitz,
— Dornb., — Crippend.
1) Die übergesetzten Zahlen beziehen sich auf die Frist Quasim.
1636.
XXVII. 32
494 Miszellen.
8 Domdorff, 180 Oberndorff, — Sultzsbach, 16 Flurstedt,
15 Klein Rombstedt, A^/^ Wormbst., 96 Oberntröbra, — Cunitz,
169 Dornb., 55 Crippend.
Darüber werden mit gelde versteuert
401^/2 Eymer alß folget, die tragen an geld 114 fl. 15 g. — c)., alß
293 „ 83 fl. 15 g.
474V,. V3 » 135 fl. 14g. 6^.
162 Dornd., 67 Crippend., 11 Fluerst., 42 Sultzsbach, 59 Großen
Rombst., I9V2 Klein E. , 38V2 Wormst., 2"-/^ Oberntröbra
I8OV2 Dornd,, 49 Crippend., 4 Fluerst., 33 Sultzsbach, — Großen
Rombst., 19 Klein R., 5 Wormbst. 272 Oberntröbra
97 Dornd., 87V2 Crippend., — Fluerst., 33 Sultzsbach, — Großen
Rombst., 191,' Klein R., 39 Wormbst., 6 Oberntröbra, 387^
Vtenbach, IsIVg Dornb.
Summa des zum freyen Tischtranck verf., in die Commiß gegeb.
V. d. Soldaten in d. Quartieren u. sonsten verwüsteten u. m. gelde
versteuerten Biers thut 1055 V^ E.
818V, „
1325V, „
Solche von der Einnahme abgezogen, so bleiben im rest
328 V2 . Vb E. Dornburgk
523 /„ „ „
124\4
Einnahme Geldt. Summa waß diesen Termin die Wein u. Bier Steuer
tragen, thuet 114 fl. 15 g. — ^.
98 „ 3 ,, — ,^
147 8 IV
Davon werden abgezogen so vermöge fürstl. nachlaßung u. zur ein-
bringung dieser Steuer verwendet, thuet 16 fl. 5 g. 6 c). alß folget
15 „ 10 „ 6 „ „ „
-'^' 5J 1' » 5 ,, ,, ,,
2 fl. 4 g. Dornd. Trangkg., 19 g. Crippend. Tr., 3 g. Fluerst. Tr.,
12 g. Sultzsbach Pfundtgeldt, 16 g. Gr. R. Tr., 5 g. 6 <^. Kl.
R. Tr., 11 g. Wormst. Tr., 2 g. Oberntröbra Tr.
2 fl. 9 g. Dornd. Tr., 14 g. Crippend. Tr., 1 g. Fluerst. Tr., 9 g.
6 c}. Sultzsbach Pfundtgeld, — Gr. R. Tr., 5 g. 6 ^ Kl. R. Tr.,
I g. 6 (^. Wormbst. Tr., 2 g. Oberntröbra Tr., 14 g. Zimmern Tr.
1 fl. 6 g. 6 ^. Dornd. Tr., 1 fl. 4 g. Crippend. Tr., 10 g. 4 c). Vtenb.
Tr., 9 g. 6 <^. Sultzsbach Pfundtgeldt, 2 fl. 6 g. 6 |. Dornb. Tr.,
II g. Kl. R. Tr., 6 g. 7 c). Wormbst. Tr., 2 g. Oberntröbra Tr.,
7 g. Zimmern Tr.
Geldt 8 fl. vor Mühe u. Arbeit desgl. Zehrung über Einbringung
u. zue auswechselung bösen geldes, 1 fl. 18 g. vnterschiedtl. Boten-
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lohn, 8 g. vor Pappier u. Leinw. 12 g. vor Verfertigung d. Re-
gister
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Miszellen. 495
Summa von Summa gezogen, So bleibet der Obereinnahme zue über-
liefern: 98 fl. 9 g. 6 4
82 „ 13 „ 6 „
129 „ 11 „ 8V3 „
Das Steuerregister zweier Dörfer möge erzählen, welches Geschick
die gewonnenen Getränke hatten, wenn die Gegend vom Krieg ver-
schont blieb.
Eegister der Trancksteuer zu Cunitz auff den Termin Lucie
Anno 1631.
An Weine ist diesen Herbst erwachsen : 294 Eymer.
7 Alt Hanns Tondorff , 12 Hans Zimmerman , 20 Philipp
Tondorff, 5 Marta Hertens, 3 Nicol Geilmg, 2 Jacob Biderman,
4 Alt Hans Herten, 30 Peter Zimmermann, 0 Gorg Eeseler, 12 Al-
bert Beyer, 15 Gorg Tondorff, 15 Urban u. Peter Greffe, 12 Bartel
Beyer, 147 E.
2 Hanns Seuffert, 6 Hichel Zolp, 6 Fritz Tondorff, 4 Casper
Baum, 5 Anna Tondorff, 20 Peter Beyer, 1 Christoph Hertzer,
11 Ursula Sibern, 4 Paul Hüttich, 10 Gorg Herten, 30 Simon
Heentzel Richter, 6 Barbar Eosten, 3 Simon Hartman, 15 Hans
Tondorff, 6 Hagreta Hofmans, 7 Anna Tondorff, 6 Zachris Herten,
6 Hans Herolt, 4 Nicol Techand, 157 E.
An Wein ist von den Ehrfesten Hohe Achtbam u. Fürstl.
Sachs. Ambt Schößern zue Eisenbergk erkauft worden 24 E. 60 Kannen.
1) 6 Eymer minus 8 Kannen bey Georg Hartin
2) 4^/2 Eymer Weißen dan 7 Virtel Eymer Eoten Wein bey
P. Beyer
3) 6 Eymer 54 Kannen bey Albert Beyern
4) 6 Eymer minus 17 Kannen bey Peter Sibitz.
1) Zu des Wohl Edlen Gestrengen u. Vesten Herrn Anton von
Schönbergks auf Hittel Frohn Fürstl. Sachs. Hochverordneten
Cammer u. Hof Eaths zu Altenburgk meinen endesgemelten groß-
günstig gebietenden Herrn u. Förderers Tisch trän ck seind bei Georg
Hartin zu Cunitz 6 Eimer weniger 8 Kannen Host steuerfrey er-
kaufft u. Seiner Wohl Edlen zubracht, auch umb mehrer Beglaubi-
gung willen dieses mein eigenhändiger Schein & vorgedruckt (ge-
wölmlich Petschaft beigefügt. Peter Freisleben).
2) Zu Fürstlichen and andren furgefallenen Auslößungen habe
ich endesgemelter Schößer fünfthalben Eimer Weißen Wein und
dann auch vor den Fürstlichen Sachs. Hochverordneten Hoff- &
Kriegs Eath auch Präsidenten des Löbl. Consistorii zu Altenburgk
Herrn Doctor Hartin Hendium Sieben Virtel Eimer Eoten Wein
bey Peter Beyern zu Cuniz erkaufft, derowegen die fürstl. Sachs.
Hoch verordneten Herren Trancksteuer (obereinnehmer um Be-
freiung gebeten werden. P. Freisleben).
3) 6 Eimer 54 Kannen Host habe ich endesgemelter Schößer
zu furfallenden Fiü-stl. u. anderen Außrichtungen bey Albrecht
Beyern zu Cunitz Steuerfrey erkaufft und gelebe darneben der
Hoffnung, die Fürstl. Sachs. Herren Trancksteuer Ober Einnehmers
zu Altenburgk Ihne der gewöhnlichen Tranksteuer darum gegen
dieser meiner eigenen Hand u. vorgedruckten gewöhnlichen Petschaft
zu entnehmen (P. Freisleben 6 Nov.).
4) Zu Fürstlichen und anderen Außlößungen habe ich Endes-
gemelter Schößer bey Peter Siebern zu Cuniz 6 Eimer weniger
496 Miszellen.
12 Kannen Most Steuerfrey erkaufft u. gelebe der Hofnung, die
Fürstl. Sachs. Herrn Steuer Ober Einnehmer werden Ihn gegen diesen
meinen eigenhändigen Schein u. vorgedruckt gewöhnlich. Petschafft
der gewöhnlichen Trancksteuer darvon entnehmen. Signat. Eissenbergk
den 6. Novembris 1636 Peter Freisleben.
Einnahme- Trancksteuer Bernhardts von Wangenheimbs Unter-
thanen zu Greütz sehen, von seinen Verordtneten Zehnmeistern
Moritz Drabern undt Simon Heßlern den Termin Crucis den 12. Septbr.
Ao. 1636 eingenommen worden.
Folget erstlichen der Wein, so am Termin Quasimodogeniti ist
im Kest verblieben, alß 4 Eymer
2 Groschen 6 Pfennig Peter Wagner von *4 Eymer Wein gesteürett,
welchen es Andreas Weydenem vorkaufft zur Kindtauffte.
5 Groschen Doffel Rothe Von 1 Eymer Wein gesteüret, welchen er
nach Großen verkauft, Schubkerner.
l'/a Eymer Wein Andreas Draber dem Herrn Schösser zu Eissen-
bergk verkaufft, laut deß Zeddels mit A sign.
1 Eymer Wein Heinrich Fischer, dem Herrn Ambtsschösser zu
Eyssenbergk verkauft, laut des Zeddels mit B sign.
Lat. 4 Evmer Wein ut sup. bleibt nichts, tregt an Gelde 4 Groschen
6 Pf. im Eest.
A. Anderthalben Eimer Most ist Herrn Martino Mentio zu der
Mostzeit Anno 1635 erkaufft und weil seine Excellenz der Trancksteuer
frey, So werden die Herren Einnehmer deroselben dem Verkeuffer
Andreas Trabern solcher Trancksteuer entnehmen, und mit diesen
Ambtszettel berechnen , Signatum den 6. Novembris Anno 1635.
Peter Freisleben, manu propria.
B. Ein(en) Eimer Landtwein ist in der Most Zeitt Anno 1U35
vor den Fürstlich Sachs. Hochverordneten Hof- und Kriegs Rath
zu Altenburgk Herrn Doctor Martin Mendium zu Altenburg bei
Heinrich Fischern zu Greutzschen steuerfrey erkaufft und dieser
mein eigenhendiger Schein darüber ausgefertigt worden. Signatum
Eisenberg den 16. Fbrii 1636. Peter Freisleben, manu propria.
In Utenbach berichtet dagegen der Steuermeister, daß im Herbst
1636 kein Wein erwachsen , sondern alles durch den Banerschen
und Kaiserlichen Marsch verderbt worden sei, das Brau Gefeß aber
sei von des Gen. Stalhans Völkern verbrannt worden und deshalb habe
man in Deisen (Teißen) gebraut.
Ganz ähnlich lauten die Angaben über den Verlust des Bieres
an andern Orten :
Vorzeugnis der verbrauchten Bier den Termin Luciae so auff
jedes gebrau 18 Eymer gerechnet u. m. 5 fl. 3 gr. versteüret worden : —
Summa 63 Eymer. Hiervon werden mit gelde versteüret 39
Eymer, tragen am Gelde 11 fl. Ferner werden mit Zetteln belegt
25 Eymer vermöge der gemeine ihren Zettel und Insiegels welches
die Soldaten hier ausgetruncken u. weggeführet.
Vorzeügnis was auff die Keyserlichen Churfürstl. und hier zu
Wormbstedt logirten Völcker vor Bier ausgetrencket u. mitge-
nommen den Termin Luciae 1636.
2 Eymer: VeitKeüler, 3 Urban Weißmandel, 3'/2 Barthel Keüler,
lYg Claus Wünscher, 2 Hans Zeche, 2 Barthel Wünscher, 2 Hans
Miszellen. 497
von der Gönna, IVo Gratius Putsche, P/j Adam Richter, 1 Hans
Hesiger, P/^ Conrad "Starcke, IV2 Hans Kräfimer, l^j Barbar. Richters,
lat. 241/, E.
Weil das gemeine Siegel verlohren als haben zu mehrer be-
glaubigung solches der Ambtsschulzs u. Richter eygenhendig sub-
scribiret u. unterschrieben. BarthÖl Wüntscher m. ppa., Richter.
Nicolaus Wünscher m. pra.
Crucis 1636 : Von 36 Eymern „47, Eymer welches die Soldaten
hier ausgetruneken."
Vorzeugnis, was das Keyserliche Span. Reiterische u. Galenische
Kriegsvolck vor Bier zu Wormbstedt ausgetruneken uff n Termin Crucis
1637 : 47g E. Weil das gemeine Insiegel verlohren als haben der
Ambtschultzs & Richter solches eigenhendig unterschrieben. Barthöl
Wüntscher m. pra. Richter. Nicolaus Wünscher m. p.
Ein wahrhafter Lichtblick bleibt es, wenn man in diesen Akten
aber immer wieder liest, wie der Bauer, trotz aller Enttäuschung
und allen entgangenen Gewinns, immer aufs neue säte und erntete
und in seiner stillen Hoffnung nicht getäuscht ward, daß auch der
längste Krieg und der nachhaltigste Krieger schließlich von dem
Bauer und seinem Fleiß überwunden wird.
III.
Eine Propsteirechnuug fiii* Cobm-g vom Jahre 1535.
Von Pfarrer Dr. Berbig, Neustadt-Coburg.
Die alte Coburger Propstei stand mit ihren Haupt- und
Nebengebäuden, mit denen auch ein größerer landwirtschaftlicher
Betrieb verbunden war, etwa da, wo heutzutage die sog. General-
superintendentur in der Stadt Coburg, in unmittelbarer Nähe der
St. Moritzkirche, steht. Diese Stiftung ist vielleicht sogar aus vor-
christlichem Kiüturbesitz, wie ja auch anderwärts vielfach der Kirchen-
besitz, hervorgegangen, wenigstens soweit es Liegenschaften, Felder
und Wiesen betraf. Schon im 12. Jahrhundert stand die Propstei
in kirchlicher Abhängigkeit zu Saalfeld 7, insbesondere zum dortigen
Benediktinerkloster, au's welchem sie ihre Vorsteher (Pröpste) bezog.
Diesem, als dem obersten Geistlichen, dem die Seelsorge der Stadt
Coburg anvertraut war, lag auch die Verwaltung des ansehnUchen
Propsteivermögens ob, dessen Höhe im Laufe der Jahrhunderte
natürlich fortwährend „stieg. Liegenschaften und Grundstücke an
Wiesen, Feldern und Äckern bildeten den Grundstock dazu. Aber
auch Waldungen, Fischereien und Schafzucht lieferten nicht unbe-
deutende Einkünfte. Dazu kamen die in den um Coburg herum
liegenden Ortschaften alljährlich fäUigen Geldeinnahmen an Erb-
zinsen und die aus dem landwirtschaftlichen Betrieb der Propstei
gewonnenen Erträge an Naturprodukten und Ernten.
1) Cfr. Dr. G. Berbig, Bilder aus Coburgs Vergangenheit, II,
Leipzig, M. Heinsius Nachfolger, 1908.
498 Miszellen.
Nachstehender Rechnungsauszug ist mehr als in einer Hin-
sicht interessant. Kulturgeschichtlich liefert er manchen Beleg. Preise
von Nahrungsmitteln, Höhe von Arbeitslöhnen aus den Jahren
1531/32 sind daraus zahlenmäßig zu entnehmen. Auch in landwirt-
schaftlicher Hinsicht findet sich manch interessanter Beleg.
Probstei-Bechnung 1531/32.
1531.
Eechnung paulsen plumings Verwaltern der Brobstey zu Coburg
seynes Eynnemens vnd ausgebens halb von Sonntag nach Georgy
des XXXI an bys auff Sontag nach Georgy des zweyunddreissigsten
Jars beschlossenn,
Berechnet in gehaltner Visitacion
zu Coburg am Sampstag nach Ascensionis
domini Anno eiusd. 1535.
Anwesend :
Hans Schott z. Hellingen, Ritter,
Sylvester v. Rosenau, Schosser,
Paulus Bader, Castner,
M. Joh. Langer, Pfarrer,
M. Joh. Birnstiel, Prediger,
Wolf Weydner, Bürgermeyster z. Coburg.
Einnahme an Geld :
24 Gulden 6 Gr. 1 h. Erbzinsen, fällig Walp. u. Mich.,
auf dem Lande:
Dörfer: Kreidlitz Wolsbach Neuses
Ketschendorf Bauerfeldt Eothann
Schottenstein Mockeuprunn Groß-, Klein-Garnstatt
Naundörfles Weissenprunn Zederdorf
Kurttendorf Meyder Niederwasung
Oberlauter Drosenhausen Biberbach.
Grube Grossenwalbur
Wustenahorn Alstatt
Ferner u. a:
9 fl. 1 gr. 3 r). 1 h. Erb Zinsen von den Weinbergen im Brobst-
grund.
Ferner :
Wiesen Zins zu Oberlauter und Kortendorf für Verkauftes Heu
und Grummet von der Probstei Wiese.
26 fl. für verkaufte Wiesen: „eyne die ßrobstin, dye ander die
eybenin (Eiba?), und dye drit dye Schulthesin gnant, haben
etliche zu Grub gekaufft"
15 fl. 1 1b für dye Wyesen dye Amoraw gnant
2 fl. für dye Wyesen, dye peunt gnant
32 fl. aus verkauftem Vieh gelöst (u. a. 1 fl. für ein Schweinle).
7 gr. 6 4 für 4 Saugschweinle, je eins um ein Pfund 6 §).
verkaufft.
Verkaufte Häute und Felle:
1 fl. 3 gr. 18 ^. für 2 Kuhhäute
4 gr. 12 c|>. für 4 Kalbfelle.
20 fl. 2 gr. 15 k für 2 Ctr. 74 % Wolle, je ein Ctr. für 8 fl. ver-
kauft.
1 fl. 6 gr. 6 d). für 16 Maß Butter.
Miszellen. 499
6 gr. 9 ^. für 21 Vasnachtshennen, je eine für 9 4 gerechnet.
1 Herbsthuhn 3 — 5 ^
1 Gans 20 c).
1 Schnitkäs 3 heller.
Ferner verkauft:
Mohn und Zwiebeln.
Frohntage wurden mit Geld abgefunden.
,, mit dem Pflug, je ein Tag berechnet mit 1 gr. 6 ^.
— 1 gr.
„ mit dem Eechen und der Sichel je ein Tag 8 ^
bezw. 7 ^.
Frohnfuhren, ebenfalls abgelöst:
1 gr. 6 ^. ein Fuder Holz zu führen.
2 gr. 12 (). ethche Fuder Mist auszufahren.
Getreide (körn) wurde verkauft für
145 fl. 21 c)., je 3—6 Simm. für 1 fl.
Weitzen (wevss) für 46 fl. (je 74 u. 1 Maß für ein gülden).
16 fl. 25 Hafer
2 fl. Gerste.
Summa Sm. aller Einnam an gelt:
483 fl. 8 gr. 11 4 1 h.
Ausgabe.
90 fl. Magister Johann fessel, predigern
110 fl. den vier Cappellanen
12 fl. der Probstei- Verwalter Plüming
5 fl. seine Hausfrau,
laut Bescheids.
Das andere Hausgesinde erhielt:
2 gr. 5 (). Dinstgeld dem Hausgesinde allen
7 fl. Hans Unbreit, der Kellner
7 fl. Peter Weidenhöfer, der Bauknecht
3 fl. 5 gr. 6 c). der Unterknecht
2 fl. der Hausknecht
4 fl. die Köchin
3 fl. 4 gr. 6 c). die Viehmagd
1 gr. der Kuhhirte (der zimi halben Teil hütete)
6 gr. 24 c). von 34 Schweinlein zum halben Teil zu hüten, je
von einem Schweinlein 6 c)., 8 ^ von acht Schweinlein zu
gewöhnen.
Fernere Ausgaben:
Dem Schmied (1 fl. von einem ganz neuen Wagen zu beschlagen),
4 gr. 6 ^. für 2 Pflugschare,
Eisen 4 <?). das ®, am nächsten Ostermark.
Dem Wagner: 1 fl. 1 gr. 18 ^. für einen neuen Wagen, 4 gr.
6 c). für 2 neue Wagenräder.
Dem Sattler in der Spitalgaß und dem SaUer vor dem Spital-
thor für allerlei Arbeit dies Jahr je 4 fl. etc.
Ferner lieferten :
Schlosser,
Blattner oder Kesler (Wasserkessel),
Haffner,
Bütner.
500 Miszellen.
Leyneweber,
Glaser,
Siber,
Tyscher,
Zlgler,
Zymmerleute,
Mauerer,
Strohschneider,
Braumeister,
Schlatfeger (1 gr. 24 c). pro Jahr),
Geschworener Bote 1 fl. 2 gr., Hans Bauer, aus bevelch des
Behossers zu Coburgk.
Meczler.
2 gr. 7 ^. Wolf Weiß von zweyen Kühen, dreyen Mast-
schweinen und 4 Kalben zuschlachten und etzlichen schweinen
zu beschauen.
An sonstigem Taglohn :
1 gr. 6 (^. drei Taglohn den Tham bei der Wiesen, „die peunt"
genannt zu machen, welchen das Gewässer zerrissen hat.
2 gr. dem Fischer, den See in Wüsten Ahorn zu fischen etc.
Ausgabe für den Hopfenbau im Hainbach :
2 fl. 1 gr. 14 1^. u. a. den Hopfenpflockern je ein Tag 4 ^.
Den Taglöhnern beim Heumähen, je ein Tag 8 <?).,
— Schnitternte 12 ^ pro Tag,
— Dreschen 12 c).
Für Brennholz vom Forstmeister in Neustadt für 2 Acker
Brennholz 4 fl. 11 gr. 3 c).
3 fl. Scheidlohn, von 63 Klafter zu machen, je von ein Klafter
12 4
Ausgabe an Geld für die Küche:
Für 41 Gulden 6 gr. 15 4 1 h. für 29 Ct. 60 ® allerlei Fleischs
dis Jahr über unter den Fleischbäncken erkauft und ver-
speist. Nämlich
24 fl. 3 Gr. 28 ^. Eind und Hammel, d. ® 4 ^
2 fl. 7 „ 28 |. desgl.
14 fl. 4 „ 1 o). 1 h. Kalbfleisch, 3 cl das Pf.
3 Gulden 4 Gr. 25 ^ Fische (grün)
3 „ 2 „ 18 „ für Stock- und Halbfische
3 „ 2 „ 3 „ für eine halbe Tonne Häringe (bei
Paulsen Rynndermann genommen)
1 „ 4 „ 20 „ für Wein zu Tisch und Essig zum Fisch
siden, auch für das Hopfengesinde am
Ostertag
2 „ 5 „ 28 „ für 66 Metzen Saltz
2 „ 2 „ 6 „ „ junge Hühner, Taube und Gans
1 „ 6 „ 9 „ „ Zwiebel, Grünkraut und Weißrüben
1 » 1 „ 2 „ „ Eier
,, Hirse und Reis
„ Allerlei Würtz
„ Licht, je ein ® 9 t^.
Sa. aller Ausgaben 382 fl. 3 Gr. 24 d 1 h.
Gewähr 1 fl. 4 Gr. 8 c).
5
28
2
6
6
9
1
2
2
7
14
4
2
Miszellen.
Vorrath am Ende der Eechniing:
Bargeld s. o. :
215 Tomere 2 Metzen Korn
4 „ 1 Virtel 1 M. Weiß]
2 „ 1 „ — Haber ! , ,
1 ;, 2 „ - Gersten f ^" g^^reyde
7 „ 1 „ Dinckel J
90 „ Malz
31 „ Hopfen
54 Eimer Bier
8 „ Covent
26 Maß Butter
76 Weysset keß
9 Schock Eier
1 ganzer Bach
10 Viertel Speck
16 spieß dürr flachs
4 Wagpferd
3 Kühe
13 Mastschweine
127 Melkschafe
44 Hammel
83 Jährling
126 Lämmer
249 Ctr. WoUe
93 Klafter Brennholz.
501
IV.
lüTentar, Kleinodien etc. der Kirchen St. Moritz und St. Niliolaus
zu Coburg: im Jahre 1528.
Von Pfarrer Dr. Berbig, Neustadt-Coburg.
Das altehrwürdige Baudenkmal der Stadt Coburg, die St. Moritz-
Kirche, war, wenn auch nicht in heutiger Gestalt, schon während
des ganzen Mittelalters im eigentlichen Sinne die Pfarrkirche der
Stadt. Um diese herum gruppierten sich die übrigen kirchlichen
Stiftungen. Naturgemäß war zu St. Moritz von jeher auch der
Mittelpunkt des ganzen Kultus. Hier standen bis in die Reforma-
tionszeit hinein die Altäre der verschiedenen Vikareien, — gerade un-
mittelbar vor dem Reformationsjahrhundert und im Anfange des-
selben hatte sich der Eifer kirchlicher Schenkungen und Stiftungen
ganz besonders geregt^). In gleichem Maße waren die damit ver-
bundenen Verehrungen an die Kirche, an Silberschätzen und Klein-
odien gewachsen. Nachweislich hat sich auch der Rat der Stadt
an diesen Stiftungen hervorragend beteiligt. Hönn berichtet wenig-
1) Cfr. Dr. G. Berbig, Bilder aus Coburgs Vergangenheit, I u. II,
Leipzig, M. Heinsius Nachf., 1905 u. 1908.
502 Miszellen.
stens in seinen Jahrbüchern der Stadt Coburg, daß „mit dem heran-
nahenden Jubel jahr's 1500 der Stadtrat beschloß, des Schutz- Patrons
Mauritius Brustbild in Silber verfertigen zu lassen, und schickte zu
dem Ende im Jahre 1501 an lauter Etscher Groschen, so zusammen
20 Mark und 1 Loth gewogen, 200 Gulden durch Michael Feierabend
nach Würzburg. 1502 wurden durch eben diesen Feierabend 8 Mark
Silber dahin nachgeschickt, ferner 249 Gulden 11 Pfund 7 Pfennig
für den Goldschmied, 1 Gulden 18 Pfennig Trinkgeld, und 2 Gulden
6 Pfennig, die bei der Eechnung mit dem Goldschmied verzehrt
wurden. Diese Zierde der Stadt und der Kirche wui'de 1505 auf
einem Tuch, so mit besondern Schilden für 3 Orth ausgemalet ge-
wesen, unter Begleitung gewisser Trabanten hieher gebracht".
Aber schon im Jahre 1529, also kaum 25 Jahre später, wurde
dieses silberne Bruststück wieder verkauft für 1800 Taler, und zwar
nach Nürnberg. Und ebenso wurden dorthin zur selben Zeit die
Kirchenornate, Monstranzen, Kelche, Marienbilder und andere Klein-
odien, bestehend in 61 Mark 2 Lot Silber, um 511 Gulden 12 Schilling
veräußert. So schnell war das Interesse an diesen Schätzen beim
Anbruch der Kirchenreformation verloren gegangen !
Im nachstehenden findet sich nun ein Inventar oder Verzeichnis
des außerdem noch vorhandenen SUberwerks usw., das bei Gelegen-
heit der ersten Visitation in Coburg, Frühjahr 1529, aufgenommen
wurde. Auch die Ornate, Altardecken u. s. f. kommen hier in Betracht
neben den anderen „Cleinodia". Das Verzeichnis ist recht interes-
sant und beweist, daß schon die alte Coburger Einwohnerschaft eine
gebefreudige, opferwillige war, soweit es die Kirche betraf. So war
die St. Moritz-Kirche gewißlich gut ausgestattet und konnte sich in
ihrem Sonn- und Festtagsschmuck wohl sehen lassen.
Die vor dem Südtor an der alten Landstraße liegende St.
Nikolaus-Kapelle war dagegen klein und im Verhältnis zur Pfarr-
kirche arm zu nennen. Diente sie doch auch in erster Linie dem
Gottesdienste der Armen und Siechen, die in dem unmittelbar neben
der Kapelle bestehenden Siechenhaus verpflegt wurden. Immerhin
ist auch diese Aufzeichnung wertvoll für die Coburger Geschichte,
als daraus neben den Zahlen auch die Namen alter Bürgerfamilien
der Stadt gewonnen werden können.
I.
Inventarium vnd verzaignus des sylberwergks,
Ornaten vnd ander clinodien der pfarkirchen Sancti
Mauricij zu Coburgk.
Silberwergk
4 gemeine kelch
2 deiner kelchlein domit man zu denn krancken geht
1 schwartzer samtter gürttell mit silber beschlagenn
1 kupffere monstrantzen vergult
1 kupffer püchsen vergult mit einem silbren püchslein vnd
schellein dorynnen domit man hieuor das sacrament zu denn
krancken getragenn hatt
2 kupffere püchsen zum kreysam jm ciburio
1 rotth sambten fürhenglein dafür
2 zenndle vergulte plann
2 arrase phan rotth gemalt
1 vergult truhelein jm ziburio dareyn man corporall legt.
Miszellen. 5Q3
Inventarium jn der sacristen jn einem schanck.
7 eewürckt deck \
2 Dose gemalte deck ^ in festivitatibus im chor aufzuhencken
4 deiner decklein /
1 gewurkte deck zum predigstull
1 roten samtten rock vnd ein bildt vnser lieben frawen auf
dem altar Mauricij zugehörig
6 korrock gut vnnd bosse
1 schachtteil mit besen lautter tüchlen
12 corporall
23 corporal taschenn
5 sammte sacrament deckenn
1 groser hymell auf den hoen altar zusetzen
1 dein hymelein so man quintis feriis genutzt hat ad cir-
cumitum ;
1 grosen himell jn festivitatibus ob den sacrament in circumitu
getragen hat
1 grosse schachte!! mit briven de indulgentijs erlassen vnd die
bullen der milchspeise
1 kupffere vergulte leisten ad altare mauricij gehörig
1 geffass kupfere in der sacristey
1 glocken ad communionem.
Ornata ader messgewant.
1 grün gülden ornat mit 2 buiten rocken vnd aller zugehorung
1 weiß gülden messgewant ad requisiten der bruderschaft aplore
gewesen
1 alten roten gülden kormanttell
1 alt rotth guld ornat ad requisiten.
S a m i t.
1 blaer samiter kormanttell mit 2 diacon rocken haben ein
gelben maserirten boden mit aller zugehorung
1 blae samiten casell mit einem erhobenn kreutz cum requisitis
3 samitte rotth casell cum requisitis
2 rotth samitt diacon rock habenn keyn zugehorung
2 ornata grün samit cu requisiten
2 grün diacon rock habe kein zugehorung
3 schwartze sammit cü requisitis
1 leberfarben samit cum requisitis
1 roter sammitter kormanttell.
Ornata Damastt.
2 weiß casell zu ^
2 leviten rock sine I
2 rother \ \ requisitis
1 blaen > cum 1
1 grün ; J
Schamlotth.
2 schwartz kormentell
1 roth "\
3 schwartz \ schamlot cü requisit.
2 leberfarb ;
1 ascherfarb
1 weißenn
504
1 rottenn \ rpniiisit
1 weißen ( ^" req^sit.
Miszellen.
A 1 1 1 a s.
I
i
Wullen.
2 rotther
3 schwartzer
1 leberfarb J ornat cü requisit.
1 weiß bawmwoUesI
1 weiß leynwates j
Ornata Seyden.
1 rotth
1 grün
1 schwartzzendell
2 braun, das ein schiller
1 bla furstat
2 gespigelter
2 rott gespigeltter
2 gehalbirte
1 gra alt gld stück
> cu requis.
> casell
Diese haben keyn zugehorung.
schwartzer wuller diacon rock
schwartz casell
roter wullener
grün gestraift spitzen casell
alt gestraift samit
weyser leynwatther
schwartz furstat
6 grosser altartucher
40 zillicher vnd cleyner altartucher.
Die andern sindt Johan kaufman als P curatorn
meynen casten behendigt, armen leuten zugeben.
des ge-
Andre clionodia.
1 positiff
15 bar leuchtter, 10 messen, die andren zine
1 gedruck missall in pergameno
Item ettlich alt geschrieben messpucher in pergameno
2 groser furhenng
14 furheng den andern altarn zugeherig
4 leichtücher
Item ettlich alt furheng quasinuUius utüitatis
1 messe leuchtlein uf der steynen porlauben
1 messe leucht so Sebastianus gehangt
Item das heilig grap mit seiner zugehorung hat wolff
ketzschenbach in verwarung
Item ettlich bücher in dy libery gehörig
1 missall gesanck puch in pergameno
2 psaltter in pergameno
2 petthpücher jn papiro.
Hirnach genante vicary habenn kelch, pucher vnd ornata nach-
mals bey jrenn handenn
Miszellen. 5Q5
Dns rugr. Balthasar Dhuring predicator
Dös Seyfridus erweyn
Dns vicary aplorum
Dns vicary vrbanj.
Sumarum der ierlichenn eynkomens an gelt zinsen (an
Häuser, Weinbergen und in der Nähe der Stadtj, so ablosig sindt
55 fl. 7 ® 3 4 1 h.
Solche hiuorgeschribae ablosige geltzinss sindt zum teyll von
dem gelde, so für jartag vnd andre stifftung zum gotshauss ge-
geben, erkauft wordea.
Auch hatt man von demselbigenn gelde der stifftung die Bullen
der MilchsiJeis oder das jndult vonn Rhom jn newligkait erkauft bey
400 fl. ongeuerlich betreffend!.
Dartzu zwue newer glocken gezeuget, Aveliche mit dem newen
glockenstul nit wenig vnter tausent gülden.
Die vbermass ist verpaut am newen bau der 1 kirchenn.
Summa Summaru alles ierlichen eynkomens der pfarkirchen
an Erb vnd geltzinsen auch huner kess vnnd ayernn facit
72 fl. 8 k
Davon werden nachmals ierlichenn ausgericht vnd gegeben
zwue Spennt armen leutthenn, darzu ein Bart bestellt, bir vnd brot
zur spent gegeben, gesteet ierlichenn bey den 15 fl.
Mehr gibt man jerlichen davon dem steynmetzen
4 fl. sein jarsolt
1 fl. dem kirchner für messweyn zum ampt das jarlang, ange-
schlossen die hohen fest, gibt in Er Seiffridt, wie es dann zu
seinem lehen gestifft ist
4 ® den Schwestern ins vnttere convent
5 ® dem spittallmeister
Machen die funff post
20 fl. 6 ®
ßestat dem gotshaus an allen eynkommenn
40 fl. 2 ® 20 r%.
1251 gülden 2 ® 24 c). auss sylberwerck vnd geschmeydt gelost
von der pfarkyrchen Sanct Moritzen, heyligen Creutz vnd
der Spitalkyrchen komen. Ist nach laut der verzeychnus zv
Nurmberg darüber gegeben, gelöst.
II.
Jerlichs Eynkumens Sandt Niclaus Cappellen pey
dem Sichhaws.
Eynam EwygZins (Namen u. a. Hans Luger, Schlosser, Heyncz
buchelberger, Jacob burgkreis, Hans schonner, Wolff reinhart, Michel
schungu, bastyan storcher, hans scherzer, kilyan schonner (von eyn
weynberg am Juden berg geleygen), Wolff orlemacher, jacob bumerle,
michel hassler, Cuncz haszler, Clavs eybau, Jörg bavmgertner, barthel
krugk, Cuncz fyscher, Claws model, hans newckel, Cuncz herczog,
heyncz trüngckle, Caspar pfal (viele Weinbergszinsen !).
Summa der hinterstelligen schuldt
25 fl. 7 gr. 16 ^.
506 Miszellen.
An kleynnodya
eyn kelch wigt pey 30 lot ungeferlich
eyn weisz buch
Etlich bachamendt weis es nicht anzwschlahen
(Ich habs auch nicht gemerdt ader gewengerdt, bemerkt der
Schreiber treuherzig)
zwen bleyer levchler auff althar
eyn kleins mess kendelich
Eyn bravns lundisch mess gewandt sampt Seyner zw gehoerung
zwey alther tücher
trey vorhen vor dem althar der
eyn ist von vier färben ^
der ander schwarcz leyne
Der drit eyn dewigt.
Das nachfolgendt nemen dy Sieben Selbst eyn vor sich
2 ® eyn schogck eyer etc.
Suma der sieben Kinder jerHch einkomens
2 fi. 7 gr. 28 ^.
Summa alles Einkomens jerlich an gelt:
12 fl. 2 ® 4 c\ 1 heUer.
V.
Zur Geschichte der Grafen Heinrich XXIV. (f 14M) und Heinrich
XXVI. (f 1488) von Schwarzbui'g-Sondershausen.
Von Dr. Gustav Sommerfeldt in Königsberg.
In den „ Brief büchern" S. VI Vi, No. 16 und 17 des Kgl. Kreis-
archivs zu Nürnberg erschienen mir bei Gelegenheit anderweitiger Nach-
forschung folgende 3 Briefe, die die 2 letzten Lebensjahre des Grafen
Heinrich XXIV., des Streitbaren, von Schwarzburg (f 4. Oktober
1444 zu Arnstadt) betreffen, wichtig genug, um sie einer genaueren
Prüfung auf ihren Inhalt zu unterziehen. Einiges über Hein-
rich XXVI. sei angeschlossen.
1) No. 16, Blatt 180—181, Nürnberg, 17. Dezember 1443 (Graf
Heinrich XXIV. wider Kaiser Friedrich III.; Eechtshandel bisher
nicht näher festgestellten Inhalts):
„Heinrichen graven zu Swartzpurg, herren zu Arnstetten und
zu Sundershusen. Gnediger herre I Als uns nechstmals ewer gnade
geschriben hat von wegen sollicher geprechen ^) , euch gen dem
aUerdurchluchtigsten fursten, unserm gnedigisten herren, dem Ko-
mischen kunig antreffende etc., betten wir alsdann ewerm potten-)
gerne ein antwurt geben. Do gab er uns zu erkennen, wie er ken
1) Gebrechen = Beschwerdepunkte.
2) Dem Überbringer des Briefes.
Miszellen. 507
ewer gnaden bevellnuß wegen verrer •) lauffen muste. Denn diese
ewer gnade mag uns wol getrawen, das uns soUichs nicht liep ist,
und auch, dabey wol versten: nachdem und wir arm lute sein, das
wir dartzu nicht getun künden. Sunder womit wir ewern gnaden sust
dienst und wolgevallen beweisen und ertzaigen mochten, des weren
wir wilhg und berait. Datum feria 3. post Lucie [1443]." — Das
Inhaltsverzeichnis zu Anfang des Kodes bemerkt: „Heinrichen graven
zu Swartzpurg, ein antwort von der clag wegen über unsern hern
künig etc."
2) No. 17, Blatt 72—73, Nürnberg, 16. Juli 1444 (betrifft den
Vasallen Heinrichs XXIV., Werner von Harras, und die Walden-
felser Fehde, an der dieser mitbeteiligt ist) :
„Hern Heinrich, graven van Swartzpurg, herren zu Arnstetten
und Sundershawsen. — Gnediger herr! Als uns ewer gnade nechst-
mals von wegen Wernhers von Harras -) geschriben und abschrift
seines clagbriefs eingeslossen mitgesandt hat , hetten wir alsdann
ewern gnaden zu den sachen nach ir gelegenheit gerne geantwurt.
Wann aber derselbe ewer pott solhcher ewer antwort nicht harren
wollt, und wir ewern gnaden desmals geschriben haben, denselben
ewern gnaden bey unser eigen potschaft voUiclicher zu den dingen
zu antworten; und uf das wöll^) ewer gnade gutlich vernemen:
Nachdem uns und die unsern, er Hanns und Fritz von Waidenfels
gebrudere wider got, er*) und recht mit rawb, mord und prannde^)
unbesorgter ding übergriffen und beschedigt hatt''), damit wir nu,
alls durch redlich ursach, bewegt und gedrungen worden sein, die
unsern wider dieselben Waldenfelser zu schicken, sie widerumb als des
heiligen reichs und unser offenbar straßenrauber, mortprenner und
übeltetter zu beschedigen; alsdann die unsern auch anders nicht
gewußt haben, und auch wir nachmals anders nicht wissen, denn das
solliche erb und guter, zu den die unsern griffen und sie beschedigt
haben, den genant Waldenfelsern zugestanden sein. AVann hot der
genant Harras eincherley gerechtikeit zu der guter einem oder mer
gehabt, und uns das zeitlich zu erkennen geben. Nachdem nu im
sollich unrecht, an uns und den unseren, so vorberurt ist, begangen,
vor der Tat, alls wir nicht zweifeln, unverborgen, sunder offenbar
gewesen ist, wir wolten uns darinne gehalten haben, das wir mit
gelimpf getrawt hetten zu verantwurten. Und wiewol wir nu bißher
nicht anders erfarn haben, denn das solliche erb und guter, zu den
die unsern also griffen haben, den vorgenanten Waldenfelsern zu-
gestanden, und auch nachmals zu iren slossen vogtber') zinsper.
1) d. i. in weiteren Aufträgen des Grafen.
2) Sein Verwandter Hermann von Harras war Mitbesitzer von
Schloß und Stadt Wiche, die 1446 in schwarzburgischen Besitz über-
gingen.
3) wolle.
4) Ehre.
5) Brand.
6) Über diese, damals großes Aufsehen erregende Fehde vgl.
„Chroniken der deutschen Städte": Nürnberg, Bd. 2, Leipzig 1864,
S. 83 und öfter.
7) Den zu den Schlössern gehörigen Vogteien untergeordnet.
508 Miszellen.
gewertig und zinsper sein, und auch nach gelegenheit der .«achen
Spruch und anvordrung, als uns bedunkt, von im müglich vertragen
weren, und nu ewer gnade gesynnet gütliche tege an gelegen stetten
mit im zu warten nicht auszugen. Das dann ewer gnacle und menic-
lich prüfen und versten mugen, das wir uns in den und iglichen
andern sachen pillicher und zimlicher ding fleißen wollen. So etc.
per totum, ut duci Wilhelmo^), paragrapho tali. Datum ut supra"
[d. i. feria 3. post Margarete 1444J. — Im Inhaltsverzeichnis : „Heinrich
graven von Öwartzpurg, Herrn zu Sundershausen, ein antwort von
Wernher Harras wegen."
3) No. 17, Blatt 100—101, Nürnberg, 1. September 1444 (Vor-
schlag eines Ausgleichs mit Werner von Harras vor dem Grafen
oder por Kaiser Friedrich III.):
,,Hern Heinrichen graven von Swartzpurg, Herren zu Arnstet
und Sundershawsen. Gnediger herre! Alls uns ewer gnade ge-
schriben und Wernhers von Harras brieve, an dieselben ewer gnade
lautende, verslossen mitgesandt hat, dieselben brieve bede wir mit
irer innhalt wol vernomen haben, und sein an zweifei, ewer gnade
hab auß unsern vordem Schriften wol vermerkt gelegenheit und
herkomen der sachen, uns gen dem genant Wernher antreffende.
Darumb nicht not ist, als uns bedunckt, die von newem mit iren
umbstenden zu beruren. Denn nachdem und wir denselben ewern
gnaden, und er ewern gnaden, an gelegen stet ein gutlichen tag zu
suchen zuschreibt, und auch demselben Wernhern davor voUiclich
zugeschriben haben, mit im von unser gebrechen wegen nach ewer
begerung zu einer gutlichen verhorung an gelegen stet unverdingt
und unverpuntlich zu schicken, und unser beder partien gelimpf,
rede und Widerrede verlauten lassen, und ab wir uf demselben tage
in einer gutlicheit nicht vertragen und vereynigt werden mochten,
das wir im darnach umb sein spruch und vordrung rechtens und
pillichs außtrags sein und pflegen wolten vor dem allerdurchluchtigsten
fursten, unserm gnedigisten herrn, dem Komischen kuuig, alls unserm
rechten herren und ordenlichen richter, wie das dann unser brieve,
ewern gnaden und auch im zugesandt, clerlicher innhalten. Also
sein wir unsere teyls denselben dingen nach lauft derselben unser
brieve willig nachzukommen '^) , und pitten ewer gnade mit allem
fleiße, ir wollet den wegen ewern dien er gütlich daran weisen und
vermügen, das er sich sollichs redlichen außtrags, so wir uns also
im zu pflegen vor dem genant unserm gnedigisten herrn , dem
Römischen kunig, ob wir anders in der gutlicheit nicht vertragen
wurden, erpotten haben, von uns genügen lasse, billicheit der sachen
daxinne angesehen. Wann vermeynten wir eyncherley sprüch in im
zu setzen, so sollt uns an recht von im vor ewern gnaden, alls seinen
rechten herren, auch wol benügen ^). Und als er fürbaß berürt von
1) An Herzog Wilhelm III. von Sachsen war, wie diese Be-
merkung ergibt, durch die Nürnberger in gleicher Weise über den
Gegenstand geschrieben worden.
2) Am Rande hier von derselben Hand nachgetragen , aber
wieder durchstrichen: „und gen Bamberg, als ein gelegen stat, uns
beiden teylen ze schicken."
3) Ein im Text sich anschließender, wiederum durchstrichen er
Passus spricht, ohne Bamberg zu erwähnen, von den Garantien der
Miszellen. 5Qg
Sicherheit wegen, im iind den sein zu soUichem tage zu geben, wissen
wir nicht unfruntlichs mit im zu handeln, sunder er sol ungeverUch
keiner far^) vor uns wartend sein. Desgleichen wir uns zu und gen
im auch halten und gentzlich versehen. Datum ut supra" [d. i. die
ßancti„Egidii confessoris 1444].
Übergriffe eines anderen auf dem Schwarzburg-Sondershäuser
Gebiete ansässigen Vasallen, des Adligen Georg v. Hopfgarten, be-
treffen zwei Briefe der Nürnberger vom Oktober 1446 an des Ge-
nannten einzigen Sohn, den am 28. Oktober 1418 geborenen Grafen
Heinrich XXVI. von Schwarzburg (Briefbücher des Kreisarchivs zu
Nürnberg S VI 1/1 No. 18).
4) No. 18, Blatt 81. Nürnberg, 15. Oktober 1446 (wegen durch
Hopfgarten gefangen genommener Nürnberger Bürger):
„Graf Heinrichen von Swartzpurg, hern zu Sunderhausen und
Arnstett. — Wann der erber her Jörg Hopffgart rittere mit etlichen
sein helffern und beylegern-), als wir vernemen. Petern Henniken,
Jörgen Lenngfelder , Cyriacus Hof man , Heinrich ßepusch und
Heintzen Wagner, unser bürgere, gefangen, in ire pferd und anders,
so sie bey in gehabt, hant genomen, für dieses die unsern im etliche
erbere kauflut von Erffurte uf widerstellen umb ein nemüch sum
gelts ") gesprochen haben ; und so wir nu mit dem genant hern
Jörgen alsdan nicht unfruntlichs zu schicken gehabt, sunder uns
mitsampt den unsern furdrung und alles guten zu im versehen haben,
bitten wir ewer gnade mit dienstlichem fleiß, dieses ewer gnade
woU den genant unsern burgern gen dem vorgenanten hern Jörgen
und iglichen andern enden, da ewer gnade den unsern zugut das
fruchtper und nutz beduncken will, gutlich erscheynen und euch
umb unser dienste willen so gnediclich beweisen und ertzaigen. Als
etc., datum ut supra" [d. i. Sabbato ante Galh 1446].
5) No. 18, Blatt 87. Nürnberg, 22. Oktober 1446 (die Sache,
wie oben):
„Grafen Heinrich von Swartzpurg, herrn zu Sundershusen und
in Arnstett. — Gnediger herre ! Wann der erbere her Jörg von Hopff-
gart rittere mit etlichen sein helffern und beylegern, alls wir ver-
nemen, Peter Hennykein, Jörgen Lenngfelder, Cyriacus Hofman,
Heinrich Eepusch und Heintzen Wagner, unser burger, gefangen, in
ir pferde und anders, so sie bey in gehabt hant, genomen hat,
schicken wir zu ewern fursthchen durchluchtigkeyt Petern Weinengel,
disen gegenwertigeu unsern diener, dersellen ewer durchluchtigkeyt
gelegenheit derselben Sachen f urtzupringen ; mit dienstlichem fleiß
pittende, was derselbe unser diener in den obgerurten Sachen an
Sicherheit des festzusetzenden Tages. Auch möge nach Nürnberg
das spezielle Datum des Tages mitgeteilt werden.
1) Gefahr.
2) Begleitern.
3) Für eine namhafte Summe Geldes. — Anweisung an die
Kaufleute zu Erfurt ist erfolgt. Allerdings bemerkt K. B e v e r ,
Geschichte der Stadt Erfurt, Bd. 1, Erfurt 1900, S. 183, daß Graf
Heinrich XXVI. um jene Zeit bereits Erfurts heimlicher Feind ge-
wesen sei.
XXVII. 33
510 Miszellen.
ewer fürstliche gnade von unsern wegen zu disemmale werbend sey^
dis in dieselbe ewer gnade darinne gutlich verhörn, im gentzlich
gelauben und sich darinne so gnediclich geruch zu beweisen. Als
etc., datum Sabbato post undecim milium virginum." — Im Inhalts-
verzeichnis des Volumens: „Heinrich graven zu Swartzpurg ein
Credentz uf Peter Weinengel, von Peter Hennykeins und der andern
unser burger wegen, mit im gefangen." — Blatt 87 ist zugleich an-
gemerkt, daß der Nürnberger Rat in gleicher Weise wie an den
Grafen von Schwarzburg auch an die Biüder Wilhelm und Friedrich,.
Herzöge von Sachsen, wegen v. Hopfgartens geschrieben habe.
An Graf Heinrich XXVI. sind sodann vier Schreiben vom
Januar bis April 1448 gerichtet in bezug auf eine -Schuldforderung
des Sondershäuser Untertanen Dietrich Pardis, der zurzeit in Erfurt
sich aufhält:
6) No. 18, Blatt 420—421. Nürnberg, 2. Januar 1448:
„Herrn Heinrich grafen von Swartzburg, herren zu Arnstette
und Sondershawseu. — Gnediger herre! Als uns ewer gnade nehst
verschriben hat, wie Dietrich Pardis, ewer mann, ewern gnaden für-
bracht hab, wie im Hanns Reyff, unser burger, etwievil gelts schuldig
und pflichtig seyn suU, für wayt des er besigelt brief habe. Und
wie derselbe Reyff in gegenwertikeit zwayr unser ratsfrunde söUichs
briefä und geldes bekannt haben suli, des er nu dem ewern
empfallen well, das haben wir wol vernomen und haben sollichen
zwen unserer ratsfrunde, die wir in gut dartzu besthanden betten,
aigenlich darumb verhöret. Die haben uns gesagt, sie haben nicht
gehört, daz Hanns Reyff sollicher Sachen vor in bekannt habe.
Aber nach mangerley ergangenen reden und Widerreden, und nach
vil fleiß und arbeyten, denn dieselben unsere ratsfreunde darunter
heften, seyn in wissenlich, daz sie diese sache zwischen Johannsen
Krawshar, der von Erffurt und des vorgenanten Pardis und der
andern, die es berurt, dienen und dem Reyffen, unserm burger, auf
vier Manne etc., Amplius, ut Ulis de Erffurt mutatis mutandis." —
Der au Erfurt gerichtete Brief der Stadt Nürnberg geht unmittelbar
voraus, Blatt 420, und hat die auf unseren Brief zugleich mitbezüg-
liche Datierung : feria 3. post Circumcisionis domini. — Im Inhalts-
verzeichnis: „Heinrich grafen zu Swartzburg, herren zu Arnstetten
und Sundershawsen ein antwort von seins manns Dietrich Pardis
sache gelegenheit, die Johannes Krawshar, sein diener, handelt gen
Hannsen Reyffen, unsern burger."
7—8) No. 18, Blatt 437—438 und 463—464. Nürnberg feria 4.
ante conversionis sancti Pauli und feria 2. post dominicam Remini-
scere 1448 sind betitelt: „Heinrich grafen von Swartzburg, herren
zu Arnstett und Sundershawsen, item von Dietrich Pardis zu Erffurt
und unsers burgers Hannsen Reyffen sach wegen."
9) No. 18, Blatt 481. Nürnberg, 6. März 1448 (fernere Ge-
staltung der Pardisschen Angelegenheit):
„Hern Heinrich grafen von Swartzburg, herren zu Arnstett
und Sundershawsen. — Gnediger herre! Als uns ewer gnade in
ewern brief, des datum steet am montag nach dem sunntag Oculi
nehstvergangen, verschriben und geantwort hat, daz ewer gnade mit
Miszellen. gj]^
Dietrichen Pardis, ewerm mann, sovil geredt hab, daz er die seinen
bey uns schicken will, zu versuchen lassen, ob er der sache mit
Haunsen Reyffen, uuserm burger, frewntlich geschaiden mag werden.
Ob man aber das in der frewntschaft nicht treffen könd, so suU der
wirdige herr Henrich Lewbing, pfarer zu Sand Sebold '), bey uns zu
Nuremberg sein mechtig seyn zu recht nach verlauffenen sache, das
haben wir zu sundern gnaden also vernomen, des fleißig danckend.
Und also haben wir den genanten Eeyffen sollichen ewer gnaden
brief auch hören und mit im davon reden lassen. Der hat uns ge-
antwort und auch zugesagt, daz er bey uns ungeverlich des genanten
Dietrichs botschaft gewarten und reden hören, und haben well, ob sie
ire sach frewntlich entschaiden mugen werden. Ob aber des nicht
geseyn möcht, so well er derselben sache vor dem obgenanten unserm
herren dem pfarrer nach verlawffen sachen auch gern nachkomen.
Dabey tun wir ewern gnaden in gut zu wissen, daz derselbe unser
herre der pfarrer bey etlichen tagen awßgeritten, und yetzunt nicht
anheym bey uns ist. Wir hoffen aber, er sull schier' widerkomen.
Denn wo wir ewern gnaden lieb oder etc., datum feria 4. post do-
minicam Letare 1448." — Vorn im Inhaltsverzeichnis: „Heinrich
Grafen von Swartzburg, Herreu zu Arnstet etc., ein antwort und
zugeschriben , daz Hanns Eeyff, unser burger, den dingen mit
Dietrich Pardis botschaft bey uns nachgeen wölt, und daz pfarrer
Sebalden yetzund nicht anheym were."
Auf die Beziehimgen der Schwarzburger Grafen zu den Grafen
von Hohenstein (vergl. darüber unter anderem das Erbabkommen
beider Familien vom Jahre 1433, gedruckt hei A. Junghans, Ge-
schichte der Schwarzburgischen Regenten, Leipzig 1821, S. 125 —
142), wirft das nachstehende Schreiben des Nürnberger Rates an den
Grafen Günther XXXII. von Schwarzburg-Eudolstadt vom 22. Ok-
tober 1446 ein bezeichnendes Licht (Briefbücher des Kreisarchivs zu
Nürnberg S VI 1/1 No. 18, Blatt 87) :
„Graf Günthern von Swartzpurg. Gnediger herr I Wann der
edel her Heinrich, graf von Honstein, herr zu Lare^) und Clettin-
burg, unser veinde worden ist, von wegen Lutzen von Grewssings,
wiewol wir mit demselben Lutzen nicht unfruntlichs zu schicken
haben, unser entsagter veynde nicht ist, auch eyncherley vordrung
noch ansprach, ob er anders eynche zu uns vermeynt zu han, ny
vernomen haben, schicken wir zu ewer fürstlichen durchluchtigkeit
Petern WeinengeP), disen gegenwertigen unsern diener, gelegenheit
derselben sachen an dieselbe ewer durchluchtigkeit zu pringen eigent-
licher underrichtet, mit dienstlichem fleiß pittende, was derselbe
unser diener in obgenanter sache an ewer fürstliche gnade zu disem-
male von unsern wegen werbende sey etc., ut in forma credentiae.
Datum ut supra" [d. i. feria sexta 11000 virginum 1446].
1) Heinrich Leubing, Pfarrer der Sebalduskirche zu Nürnberg.
2) Lohra.
3) Der oben unter dem nämlichen Datum an Graf Heinrieh XXVI.
nach Arnstadt Abgeschickte. — Günther XXXII. starb im Februar
1450. Über den noch bei seinen Lebzeiten um die Eudolstädter
Erbschaft ausbrechenden „Schwarzburgischen Hauskrieg" siehe zu-
letzt Beyer, a. a. O. I, S. 182—183.
33*
512 Miszellen.
Im Inhaltsverzeichnis: „Günthern graven zu Swartzpurg*) ein
Credentz uf Petern Weinengel von des von Honsteins vehde wegen."
1) Nach Junghans, !5. 66, vpäre der Graf Albrecht V. von
Schwarzburg (aus dem Hause Leutenberg), der als Komtur des
Deutschritterordens in Preußen wirkte, im Jahre 1421 gestorben.
Er war in der Tat 1389 — 1392 Komtur zu Schönsee in Westpreußen,
1392—1396 zu Schweiz, 1396-1407 zu Danzig, 1407—1410 zu Thorn,
einige Monate letztgenannten Jahres Obertrapier des Ordens, und
fiel als solcher am 15. Juli 1410 in der Schlacht bei Taunenberg.
Siehe F. Thunert, Der große Krieg zwischen Polen und dem
deutschen Orden, 1410—1411, Danzig 1886, S. 23 (hier indessen un-
zutreffend Schwarzenberg genannt). Der chronologische Irrtum
Junghans' geht auf eine ungenaue Vermutung in P. Jovius, Chro-
nicon Schwarzburgicum (Altenburg 1753) zurück. — Der um 1421
lebende Graf Albrecht von Schwarzburg hat wahrscheinlich keinerlei
Beziehungen zum Deutschritterorden gehabt.
Literatur.
Zwei Schriften zur 300 -jährigen Jubelfeier
des Gymnasiums zu Grera.
1.
Büttner, K.: Giesehichte des Fürstlichen Gymnasiums Rutheneum
zu Gera. Festschrift zur Feier des 300-jährigen Bestehens des
Gymnasiums. Gera 1908. IV u. 234 SS. Gr. 8". Mit einer Tafel
und 24 Abbildungen im Text.
Als 1858 das Geraer Gymnasium seine 250-jährige Jubelfeier
beging , war es versäumt worden , eine quellenmäßige Geschichte
dieser einst hochangesehenen Schule zu schaffen. Solchem Mangel
hat nun der Verfasser des oben angezeigten Buches in bestem Sinne
abgeholfen. Das Gymnasium zu Gera hatte als Vorgängerin die alte
Eatsschule, eine Trivialschule, die nach Büttner von den GeistHchen der
Johanniskirche gehalten wurde (S. 4). Ich muß das bezweifeln. Wenn
bei der Kirchenvisitation von 1533 der Geraer Pfarrer abgesetzt und
seine beiden Vikare „an der Lehr ungeschickt" befunden wurden, so
ist das doch nicht auf die Schule, wie Büttner zu meinen scheint,
sondern auf ihr geistliches Amt zu beziehen. Auch Gera dürfte wie
Schleiz (s. Böhme, Geschichte des Fürstl. Gymnasiums z. Schleiz,
S. 8 ff.) für seine Stadtschule besondere Lehrer (Geistliche oder Laien)
bestellt haben, wenn hier auch für die vor reformatorische Zeit der Nach-
weis noch aussteht. Hierauf behandelt Büttner eingehend die Stiftung
und Einrichtung der reußischen Landesschule, wie das Gymnasium
bis ins 19. Jahrhundert hieß. Sie wurde 1608 durch Heinrich Reuß
Posthumus, Herrn zu Gera, gestiftet. Dieser praktische und bis ins
Herz evangehsche Fürst wollte mit der Schule „zum Ruhme Gottes
und zum Wohle des Vaterlandes" eine neue Festung für die pro-
testantische Lehre schaffen (S. 3) und bezeichnete seine Stiftung als
„unsere größte Freude in dieser Welt" (S. 9). Es wurde ein für
damalige Verhältnisse großartiger Schulbau aufgeführt und nicht
allein vom Landesherrn reichliche Mittel zur Besoldung der Lehrer
gespendet, sondern auch Beiträge von der Ritterschaft und den Städten
des Landes zugesagt (S. 7.) So wurde denn in Gera eine „Gelehrten-
schule" geschaffen, die weit über dem Durchschnitt der damaligen
für die Universität vorbereitenden Anstalten stand. Gab es hier doch
zeitweise sogar akademische Vorlesungen über Jurisprudenz, Theologie
und Physik (S. 19 u. 33). Der Ruhm der neuen Schule verbreitete
sich in kurzer Zeit weithin, und sie bekam großen Zulauf, selbst aus
den fernsten Gegenden Deutschlands. Schon 1609 hatte sie 364 Schüler,
darunter 80 vom Adel. Letztere heranzuziehen, war das besondere Be-
streben des Stifters. Im Rahmen der Lehrtätigkeit der Rektoren und
Lehrer schildert Büttner die weiteren Schicksale der Schule. Durch
den dreißigjährigen Krieg wurde das neue Gymnasium fast völlig
zerrüttet, und die große Verrohung der Sitten, welche der lange
514 Literatur.
Krieg erzeugt hatte, wirkte bedenklich auf die Schulzucht ein.
Auch die Zahl der Schüler war bedeutend zurückgegangen. Hierauf
folgte aber die Mitternacht-Köbersche Glanzperiode von lü46 — 1696.
Der vielseitige und tüchtige Rektor Mitternacht und sein würdiger
Schüler und Nachfolger Köber brachten mit großer Energie die
Schule bald wieder zu großer Blüte. Neben Rhetorik und Logik
wurden die Schüler auch in die Jurisprudenz und Geschichte
eingeführt und neben den alten Sprachen auch Hebräisch und
andere semitische Idiome getrieben. Auch die Landesherren suchten
durch persönliche Teilnahme an den Schulfesten und stetige Für-
sorge die Stiftung ihres Ahnherrn auf der erreichten Höhe zu
halten. Durch den großen Brand der Stadt Gera ini Jahre lü86 wurde
aber die Schule wieder arg geschädigt und erlebte einen neuen zeit-
weiligen Niedergang. Zu letzterem führte auch das Eindringen des fran-
zösischen Einflusses in die besseren Kreise. Die klassischen Sprachen
traten mehr zurück. Neben den früheren Lehrkräften erschienen jetzt
der französische Sprachlehrer, sowie der Fecht- und Tanzmeister. Im
18. Jahrhundert sank die Anstalt immer mehr von ihrer früheren
Höhe herab. Das Aufkommen anderer Gymnasien, der Rückgang
der bisher in Gera blühenden Wollindustrie, unfähige Lehrer und
andere Umstände bewirkten einen weiteren fühlbaren Niedergang der
Schule. Auch die Schulzucht war schlecht. Man führte für Nach-
lässigkeiten Geldstrafen ein, luid im Lehrerkollegium herrschte große
Uneinigkeit. Der siebenjährige Krieg, unter dem Gera stark litt, und
der abermalige Brand der Stadt im Jahre 1780 ließen sich die Anstalt
auch in diesem Jahrhundert nicht wieder erholen. In letzterem er-
folgten noch die Beschränkung der ,, vielen Programmschreiberei" und
die Abschaffung der alten Schulmäntel (S. 89). Unter dem tüchtigen
Professor der Beredsamkeit und späteren Rektor Rein erlebte endlich
das Gymnasium einen neuen Aufschwung. Die humanistischen Lehr-
fächer wurden wieder eifriger und mit mehr pädagogischem Verständ-
nisse betrieben. Da sich inzwischen das Bedürfnis nach allgemeiner
Volksbildung und die Bevorzugung der Realien immer mehr geltend
machte, wurde zu Anfang des 19. Jahrhunderts neben dem eigent-
lichen Gymnasium noch eine Real- oder Bürgerschulabteilung errichtet,
die sich nach und nach immer weiter entwickelte und 1864 als Ge-
samtstadtschule vom Gymnasium gänzlich losgetrennt wuide. 1828
wurde von letzterem auch noch ein selbständiges Lehrerseminar abge-
zweigt. Im weiteren behandelt Büttner die späteren Erscheinungen
des Schullebens, die öftere Umgestaltung der Lehrpläne und die päda-
gogischen Forderungen der modernen Zeit immer in Verbindung mit
der äußeren Geschichte des Gymnasiums, worauf nicht weiter ein-
gegangen werden mag. Auch ist es nicht nsöglich, hier auf alles
Interessante des Buches aufmerksam zu machen. Ich erwähne davon
nur die Mitteilungen aus dem Leben und der wissenschaftlichen
Tätigkeit der Lehrer, ihre Besoldungsverhältnisse und anderes, ferner
über disziplinarische Verhältnisse und Fälle (Schülerstreik, Schreib-
prämien etc., S. 50, 73, 79, 81, 103). Hervorheben möchte ich nur
noch die Schulkomödien, kostümierte Christmetten und sonstige
szenischen Aufführungen, welche die Geraer Schule lange Zeit pflegte.
Hatte sie doch sogar ein eigenes Komödienhaus (S. 52). Auch eine
allgemeinere Schul- und Kulturgeschichte findet im Büttnerschen
Buche beachtungs werten Stoff. Einige auf landesgeschichtlichem Ge-
biete liegende kleinere Versehen bedürfen noch der Berichtigung. So
Literatur. 5]^ 5
nennt Büttner den Heinrich Posthumus wiederholt Graf (S. 1, 15,
29), während der Reichsgrafentitel erst 1673 von seinen Nachkommen
erworben wurde. Auf Ö. 9 u. 10 Anraerk. waren die adeligen Namen
V. Endte, Poße, Boßeck und Kaufung richtig v. Ende. Bose, Poseck
und Kauffungen zu schreiben. S. 66 ist ferner von einer glänzenden
Geburtstagsfeier für Graf Heinrich XVIII. und zwar am 17. April 1721
die Eede. Da aber der Graf am 21. März geboren wurde, so könnte
es sich wohl nur um eine Nachfeier oder etwas anderes handeln, ö. 48
Anmerk. 1 konnte der Hofböttiger im „Trysor" erklärt werden. Das
Wort ist aus fr. dressoir (lat. dressorium"), Schenktisch, abzuleiten
(Müller und Mothes, Archäolog. Wörterbuch, S. 344).
Diese kleinen Aussetzungen beeinträchtigen natürlich den Wert
des ebenso fleißigen, wie gründlichen Buches durchaus nicht. Das
Geraei Gymnasium kann stolz darauf sein, daß einer seiner Lehrer
die Aufgabe, die Geschichte der Schule wissenschaftlich darzustellen,
so prächtig gelöst hat. Auch die Ausstattung des Buches ist eine durch-
aus würdige, und die interessanten bildlichen Beigaben dankeswert.
VoIIert, Wilhelm, Heinrich Posthumus als lutherischer Christ und
seine Bedeutung für die Thüringische Kirchengeschichte. Gera
1909. 63 S. Mit 5 Tafeln.
Ein ganz anderes Gesicht zeigt das zweite zur Jubelfeier des
Geraer Gymnasiums erschienene Buch unter obigem Titel. Letzterer
verheißt die Lösung einer willkommeneu und dankbaren Aufgabe,
weil die Quellen dazu noch größtenteils unbenutzt sind. Sie befinden
sich hauptsächlich im Regierungsarchiv zu Gera, und da der Ver-
fasser des Buches in Gera wohnt, konnte er sie bequem benutzen.
Solches hat er aber nicht getan, sondern um ein Manuskript, welches
er in der Gymnasialbibliothek zu Gera fand, ein Buch herumge-
schrieben und was für ein Machwerk ! Zunächst gibt er im Text
oder in den Anmerkungen nur ältere Literatur, wie Zopf, Felbrig,
Saalburger Chronik u. a., als seine Quellen an, neuere Bücher, die
er stark benutzt hat. erhalten ihren Platz in einem unscheinbaren
Anhang (S. 61). So wird es dem Fachmann schwer und dem Laien
fast unmöglich, ihm nachzuarbeiten. Die Genealogie der Reußen
von mir (1903) kennt er entweder nicht oder will sie nicht kennen.
Sonst brauchte er sich nicht (S. 9) auf den 1684- erschienenen Beckler
zu berufen oder (S. 13) Liminers freierfundene Beinamen für die
Herren Reuß wieder aufzuwärmen. S. 14 will er uns die kirchlichen
Zustände der reußischen Gebietsteile auf Grund der Quellen vor
die Augen führen. Damit meint er zunächst freilich einen Auszug
aus Meusels Arbeit, die Reußische oder Reußisch-Schönburgische
Konfession von 1567 in Dibelius und Brieger, Beitr. z. sächs. Kirchen-
geschichte, Heft 14 (1899). Was diese Geschichte der Konfession
aber mit dem Thema Vollerts „Heinrich Posthumus als lutherischer
Christ etc." zu tun hat, ist nicht recht klar. Ferner gehören die
Biographien und Stammbäume derjenigen Geistlichen, welche die
Konfession unterschrieben haben (S. 16 — 23), ebenfalls nicht zu diesem
Thema. S. 24 führt er für die Wiederauflage der reußischen Kon-
fession vom Jahre 1599 die 1692 erschienene Gerauische Stadt- und
Landchronik von Zopf als Quelle an und druckt aus ihr 12 Seiten
(S. 196—207) einfach nach (S. 24—27). Für die Kirchen Visitation von
1600ff. giebt Vollert eine Saalburger „Chronik" als seine Quelle an.
516 Literatur.
Es soll wohl dieselbe sein, die im Anhang (S. 61) unter „Nachricht
von den Herrschaften Greitz, Lobenstein und Saalburgk, Manuskript
vom Jahre 1762, Nachträge bis 1773" erscheint. Über den Wert
dieses Manuskriptes hätte Vollert aber doch Aufklärung geben oder
sich nach ihrem Verfasser umsehen müssen. Da er es versäumt hat,
mag hier darüber berichtet werden. Es sind dies, wenn ich nicht
irre, drei Bände, die Vollert, wie ich schon erwähnte, in der Geraer
Gymnasialbibliothek fand. Diese Manuskripte haben zum Verfasser
Johann Christoph Klotz, der 1766 zu Saalburg als Sohn des dortigen
geistÜchen Inspektors Joh. Christ. Klotz geboren wurde, nach voll-
endeten akademischen Jahren bis 1798 seinen Vater im Amte unter-
stützte und von 1801 — 1819, wo er starb, Prediger an der Salvator-
kirche in Gera war (s. Lobenstein. Intelligenzblatt v. 1798, S. 184,
und Reußische Kirchengallerie, I, S. 47). Dieser Klotz hat viel zur
reußischen Geschichte geschrieben, wovon aber nur seine Beschreibung
der Herrschaft und Stadt Gera, Schleiz 1816, und die Kurze Über-
sicht einer reußischen Religions- und Reformatiousgeschichte, Ronne-
burg 1818, im Druck erschienen sind. Außerdem befinden sich im
Fürstlichen Hausarchiv Schleiz (früher auf der Schloßbibliothek des
Ostersteins b. Gera) noch eine ganze Anzahl Manuskripte von Klotz
(s. Auerbach, Bibliotheca Euthenea No. 69. 591. 893—898. 1010 u.
1026). Unter ihnen ist eine ausführliche reußische Reformations-
geschichte (No. 591), wovon oben genannte Kurze Übersicht etc. ein
Auszug ist. Endlich befinden sich in der Gymnasialbibliothek zu
Gera noch vier Manuskripte desselben Verfassers, nämlich Nach-
richten, die Verfassung von Gera betreff. (Bibl. Ruth. No. 655) und
die erwähnten, von Vollert wiederaufgefundenen Nachrichten von
Greiz, Lobenstein und Saalburg. Von letzteren sind wieder die Nach-
richten von der Herrschaft Saalburg ein zweites Exemplar von dem
gleichen Manuskripte im Hausarchiv Schleiz (Bibl. Ruth. No. 65).
Das ist also Vollerts Saalburger „Chronik", die er vielfach, so auf
S. 28 — 37, ausschlachtet, wie er ebenso mit dem Klotzschen Manu-
skripte über Lobenstein verfährt.
Klotz hatte die Visitationsakten von 1601, die ihm im Hause seines
Vaters zu Gebote standen, eingehend benutzt. Diese Akten liegen
jetzt im sogen. Konsistorial-Archiv des Regierungsarchivs Gera und
mußten von Vollert eingesehen und Klotz nachgeprüft werden. Er
hätte darin jedenfalls noch viel für seinen Zweck gefunden. S. 40
springt Vollert ziemlich unvermittelt, um seine Festschrift zu moti-
vieren, auf die Stiftung des Geraer Gymnasiums über, bringt auch
hier überall Auszüge aus Zopf, Felbrig und anderen älteren Druck-
sachen bezw. Manuskripten ohne Ordnung und rechten Zusammen-
hang. Was hat z. B. der Stammbaum des Pastors Amelung (S. 41)
oder der Auszug aus des Rektors Köber Leben (S. 43) mit dem Titel
des Buches „Heinrich Posth. als Christ etc." zu tun? S. 52 be-
schreibt VoUert eine Münze des Posthumus nach dem Büchnerschen
Verzeichnis von 1742. Die neue Münzgeschichte von Knab und mir
(1907) ist ihm unbekannt. S. 54 und 55 folgen abermals lange Aus-
züge aus Felbrig usw. Doch genug von diesem Sammelsurium.
Die Arbeit VoUerts ist mit einem Wort unwissenschaftlich,
weil ihr jedes Quellenstudium fehlt und Vollert die einschlägige Lite-
ratur zum Teil nicht kennt und zum Teil nicht kritisch verarbeitet hat.
Daß Heinrich Posthumus ein frommer Christ war, wußte man vor
Vollert. Auch hat letzterer dafür nichts Neues erbracht. Posthumus
Literatur. 5]^ 7
hat ferner unzweifelhaft für die lutherische Kirche seines Landes
viel getan, aber seine Bedeutung für die thüringische Kirchen-
geschichte, welche der Titel des Vollertschen Buches behauptet, ist
daraus nicht zu ersehen und auch nie vorhanden gewesen. Dagegen
war er ein ausgezeichneter Organisator und Landesherr, und diese
seine Eigenschaft tritt auch in VoUerts Arbeit mehr hervor, als sein
Christentum, obwohl hier nicht darauf aufmerksam gemacht wird.
Die Ausstattung des Buches ist ganz hübsch.
Schleiz, im April 1909. ßerthold Schmidt.
II.
Bemmann, Rudolf: Zur Geschichte des Reichstages im XY. Jalir-
hundert. Leipzig, Quelle und Meyer, 1907. 95 SS. 8^ = Leipziger
Historische Abhandlungen. Heft VII.
Die deutschen Reichstagsakten liegen erst bis zum Tode Kaiser
Sigmunds vor, und eine Geschichte des Reichstags wird erst nach
ihrer vollständigen Herausgabe geschrieben werden können. Es ist
aber mit Freuden zu begrüßen, daß Bemmann mit seinem Beitrag
dazu nicht auf dies in cler Ferne liegende Ereignis gewartet hat.
Leider konnte ihm die historische Kommission der Müncheuer Aka-
demie keinen Einblick in das von ihr gesammelte Material gewähren,
aber die Fülle archivalischer Quellen, die der Verfasser zu der ge-
druckten Literatur hinzugezogen hat, läßt dies weniger schwer emp-
finden. Bemmann teilt seine Arbeit in 4 Abschnitte, deren erster, um-
fangreichster und interessantester den Titel „Die drei Kurien" trägt.
Der Verfasser untersucht das Verhältnis der drei Stände auf den Reichs-
tagen von 1431 — 1497 und kommt zu wesenthch anderen Ergebnissen,
als die Forschung bis jetzt angenommen hatte. Die herrschende
Ansicht Rankes, daß erst im Jahre 1489 durch die Spaltung von
Kurfürsten- und Fürstenkollegium der Dreikurientag entstanden sei,
ist nach Bemmanns Forschungen nicht mehr haltbar. Das Ereignis
muß um 20 Jahre zurückdatiert werden. Seit 1470 sind die ge-
meinen Fürsten zu einem besonderen Kollegium vereinigt, von dem
sich Spuren noch weiter zurückverfolgen lassen, und 1480 wird die
Dreiteilung als „gewonhait des reichs" erklärt. Auch in einer
anderen Hinsicht muß das Jahr 1489 seine hervorragende Stellung
in der deutschen Verfassungsgeschichte aufgeben. R. Schröder be-
hauptete, daß damals die Städte sich zu einem Kollegium zusammen-
schlössen. Bemmann weist das Gegenteil davon nach. Gegen Ende
der achziger Jahre wird der Zusammenhalt der Städte schwächer,
ihre politische Bedeutung schwindet, und erst als der Reichstag für
das Leben der Nation fast bedeutungslos wird, finden sie wieder
Gleichberechtigung. Die drei übrigen Abschnitte handeln von „Pro-
position und Abschied", dem päpstlichen Legaten und den Fremden auf
dem Reichstage und der Festsetzung des Reichstags und den Teil-
nehmern. Die kurze Schrift ist ein äußerst wertvoller Beitrag zur
deutschen Verfassungsgeschichte des von der Historie so stief-
mütterlich behandelten 15. Jahrhunderts. W. Stechele.
518 Literatur.
IIJ.
Fehr, Hans: Der Zweikampf. Antrittsrede. Berlin, Karl Curtius,
1908. 64 SS. 8°.
Die oft aufgeworfene Frage nach der Entstehung unseres
heutigen Zweikampfes hat selten eine vorurteilsfreie Beantwortung
gefunden. Als „welschem" Import aus dem 16. Jahrhundert be-
zeichnet ihn die Agitatation der Antiduell-Liga. Daß diese Ansicht
gänzlich falsch ist, beweist Fehr in seiner Antrittsrede. Er geht den
fein verästelten Wurzeln des Duells nach und zeigt, daß der Zwei-
kampf stets bei uns heimisch gewesen, Staat und Kirche nahmen
ihn als Beweismittel in ihr Gerichtsverfahren auf, mit Formalitäten,
die den heute gebräuchlichen ähneln. Auch vor dem Richter kämpft
man für seine Ehre, und nach dem Verschwinden des Ordals wird
sie der einzige Gegenstand des Kampfes. Neben dieser autorisierten
Form besteht schon lange in allen Kreisen das geheime Duell. Aus
diesen beiden Wurzeln und aus dem Turnier erwächst unser heutiger
Zweikampf, der im 16. Jahrhundert unabhängig voneinander bei
Romanen und Deutschen erscheint, bei diesen natürlich bald im
französischen Kleide und nach französischem Vorbilde in furchtbarer
Ausartung. Die Duellsitte ist deutsch, so schließt der Verfasser,
nicht sie, sondern die Duellunsitte haben wir von den romanischen
Nationen entlehnt.
Einige Abbildungen aus der Dresdener Hs. des Sachsenspiegels
und aus dem Sutorschen Fechtbüchlein schmücken die hübsche
Schrift. W. Stechele.
IV.
Heldmann, Karl: Mittelalterliche Volksspiele in den thüringisch-
sächsischen Landen. Halle a. S., 0. Hendel, 1908. 57 SS. 8".
= Neujahrsblätter, hrsg. v. d. Hist. Kommission f. d. Prov.
Sachsen u. d. Herzogtum Anhalt. XXXII.
Leider konnte der Verfasser den Vortrag, der seiner Arbeit zu-
grunde liegt, aus Maugel an Zeit nicht mehr vollständig ausarbeiten,
und so mußten Natur- und Jahreszeiteuspiele, Tänze und manche
andere Volksbelustigungen unbehandelt bleiben. Auch die Ballspiele
sind nicht erwähnt. Raum dazu hätte Heldmann auch in dem engen
Rahmen des „Neujahrsblattes" finden können, wenn er die meines Er-
achtens zu lange JEinleitung verkürzt hätte, in der er über die Spiele
der Germauen spricht. Doch wird dieser Mangel wettgemacht durch
die hübsche Schilderung der bürgerlichen Reiterspiele im 3. Abschnitt,
die sich in den Formen der höfischen Epenkreise von Magdeburg
aus in den sächsischen Städten verbreiteten. Den Schwerttanz, der
um die Wende des Mittelalters in Deutschland aus 1000-jähriger
Vergessenheit wieder auftaucht, führt Heldmann im Gegensatz zu
der bisherigen Ansicht, die in ihm die direkte Folge des altger-
manischen Schwertieichs annahm, mit großer Wahrscheinlichkeit auf
klassische Reminiszenzen zurück. Den Beschluß machen die Glücks-
spiele: Würfel, Karten, Brettspiel, Lotterie usw. Von Interesse für
Thüringen ist besonders der große Glückstopf vom Jahre 1477 zu
Literatur. 5I9
Erfurt, den Heldmann eingehend schildert. Die Spielleidenschaft
in unseren Landen war so groß, daß im Jahre 1560 die erzürnten
Brettleber Hausfrauen das Billard aus dem Wirtshaus holten und
ins Wasser warfen, weil es „grosse ursach zu vielem sauffen" gab.
Hoffentlich wirkt das Büchlein anregend auf das leider vernach-
lässigte Studium unserer heimischen Spiele. W. Stechele.
V.
Übersieht
über die neuerdings erschienene Literatur zur thüriugisclieu
Geschichte und Altertumskunde^).
Von W. Stechele und O. Dobenecker,
Albert, F. K. : Der Briefwechsel Heinrichs v. Einsiedel mit
Luther, Melanchthon, Spalatin u. a. Aus Handschriften dargestellt.
Leipzig, Heinsius Nachf., 1908. VI, 124 SS. 8". = Quellen und
Darstellungen aus der Gesch. des Ref. - Jahrhunderts , hrsg. von
Geo. Berbig. Bd. 7.
Ar 11 stein, Oskar: Bibliographie der Schiller-Literatur 1904
(richtig: 1905). [Aus: ,, Jahr es berichte f. neuere deutsche Literatur-
gesch."] Berlin, Behr, 1908. 46 SS. 8". 2 M.
Arnswaldt, W. C. v. : 256 Ahnen. Vierteljahrsschrift für
Wappen-, Siegel- und FamiUenkunde. 36. Jahrg. (1908). Berlin,
Heymann, 1908. S. 30-61.
A [nemüller] , H. : Katharina die Heldenmütige von Schwarz-
burg. Ein Gedenkblatt zu ihrem 400. Geburtstage. Beilage zur
Schwarzburg-Rudolstädtischen Landesztg. (1909). 141. Jahrg. No. 11.
Bach, C. E. : Aus der nördlichen Vorrhön. „Im TuUifeld".
Eine historisch-landschaftliche Umschau in engerer Heimat. Heft. 4.
Kaltennordheim, Naumann, 0. J. 120 SS. 8". 1,50 M.
Baesecke, Georg: Herbort von Fritzlar, Albrecht von Halber-
stadt und Heinrich von Veldecke. I. Zeitschrift für deutsches Alter-
tum, hrsg. von Edward Schroeder u. Gustav Roethe. Bd. L. N. F.
Bd. XXXVIII. H. 4. (15. Jan. 1909). S. 366—382. Berlin, Weid-
mann, 1908.
Bäumer, Gertrud: Goethes Freundinnen. Briefe zu ihrer
Charakteristik ausgewählt und eingeleitet. Mit 12 Bildnissen. Leipzig,
Teubner, 1909. IV, 320 SS. 8°. 3 M. = Deutsche Charakterköpfe,
hrsg. von Wilhelm Capelle. V u. VI.
Barcza, E. : Die Literatur über die heilige Elisabeth. Biblio-
graphie. Budapest, Pallas, 1907. 14 SS. 8«.
Bartels, Adolf: Chronik des Wei marer Hof theaters. Fest-
schrift. Weimar, Böhlau, 1908. XXXVI, 375 SS. 8«. 4 M.
1) Vgl. V. Hantzsch im NA. f. Sächsische Gesch. u. Alter-
tumsk. XXIX (1908). S. 377—390 u. XXX (1909). S. 177—195 und
Zeitschrift des Vereins f. hessische Geschichte und Landeskunde.
XLII. N. F. XXXIL S. 140—187.
520 Literatur.
Bauer, K. : Goethes Kopf und Gestalt. Berlin, Mittler u. Sohn,
1908. XI, 92 SS. 8". 2,40 M. [Stunden mit Goethe. Sonderheft.]
Bauermeister, J. : Alte Rudelschtädter. Vortrag, gehalten
beim „Zwackassen" 1908. Beilage zur Schwarzburg- Rudolstädtischen
Landeszeitung (1908). 140. Jahrg. No. 261.
Bechstein, Ludwig: Die Sagen von Eisenach und der
Wartburg, dem Hörselberg und Eeinhardtsbrunn, gesammelt und
hrsg. Eisenach, Eifert u. Scheibe, 1908. 127 SS. 8". 1 M.
Beiträge zur Geschichte der sächsischen Franziskaner-Ordens-
Provinz. Sep.-Ausg. des Jahrbuches 1907. Hrsg. vom Provinzialat
zu Düsseldorf. Düsseldorf (Bierbaum), 1908. III, 150 SS. 8". 4 M.
Berbig, Georg: Spalatiniana. Leipzig, Heinsius Nachf . , 1 908.
123 SS. 8". 4 M. = Quellen und Darstellungen a. d. Geschichte des
Reformations-Jahrhunderts, hrsg. von G. Berbig.
Derselbe: Eine Propsteir echnung für Coburg vom Jahre 1535.
Ztschr. d. Ver. f. Thür. Gesch. u. Altertumsk. (1909). XIX. (G. F.
XXVII.) S. 497—501.
Derselbe: Inventar, Kleinodien etc. der Kirchen St. Moritz
und St. Nikolaus zu Coburg im Jahre 1528. Ebenda. S. 501—506.
Derselbe: Von den Kirchengütern. Das Schmalkaldener
Gutachten v. März 1540 nach dem Original mitgeteilt. Ztschr. f.
wiss. Theol. L. (1908.) S. 374—383.
Derselbe: Kurfürst Johann Friedrich der Großmütige, 25 Briefe
von 1545 — 1557. Ebenda. S. 505 — 565.
Derselbe: Anfang des Apotheken- und Medizinalwesens in
Coburg im Zeitalter der Reformation. Deutsche Apothekerzeitung.
1908. S. 87 ff.
Derselbe: Die erste kursächsische Visitation im Ortsland
Franken. III. Arch. f. Ref.-Gesch. V. S. 398—435.
Derselbe: Der „gemeyne Gasten" im Visitationsjahr 1529.
Deutsche Ztschr. f. Kirchenrecht. G. F. XVIII. S. 394—419.
Derselbe: Ein adeliges Testament aus dem J. 1520 und ein
Streitfall zwischen dem Stadtrat zu Coburg und dem kaiserl. Haupt-
mann Ernst V. Brandenstein wegen einer geistl. Stiftung vom J. 1528.
Ebenda. XIX. H. 1.
Berbig, M. : Richard Camillo v. Seebach. Allgem. Deutsche
Biographie. LIV (1908). S. 295-297.
Derselbe: Sophie Wilhelmine Marie Louise, Großherzogin
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Nur direkt. 20 Pf.
Festzeitung, offizielle, zur 350-iährigen Jubelfeier der Uni-
versität Jena, hrsg. vom Festausschuß, red. von Alex. Elster. 3 Nrn.
Jena, Neuenhahn, 1908. 33,5 X 24 cm. Je 30 Pf.
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auf Mülverstedt, Haineck und Schlotheim mit dem Rate der kaiser-
lich freien Reichsstadt Mühlhausen i. Th. (1554—1595). Hrsg. von
A. M. Gramer und K. v. Kauffungen. S. 42—58. — Die Be-
teiligung der Reichsstadt Mühlhausen i. Th. an den Hussitenkämpfen
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Wilhelm von Weimar, die Stadt Mühlhausen und das Eichsfeld.
II. Teil. Von Jordan. S. 72 — 115. — Mühlhausen als französische
Festung 1761 und 1762. Von E. Kettner. (Mit 1 Plan.) S. 116
— 123. — Der hl. Hermann von Mühlhausen. Von Jordan. S. 124.
— Die ersten Nachrichten über die Zigeuner aus dem Mühlhäuser
Archiv. Von Bemmann. S. 125—126. — Anwerbung Mühlhäuser
Bürger zu englischen Kolonisten. Von Bemmann. S. 126 — 127.
— Verhandlung über die Einschränkung des Kaffeetrinkens 1781.
Von Bemmann. S. 127—128. — Zu Joachim a Burcks Leben.
Von E. Kleeberg. S. 129—131. — Die Kosten des dreißigjährigen
Krieges für die Stadt Mühlhausen i. Th. Von Bemmann. S. 131
—135.
Heimatblätter. Aus den coburg-gothaischen Landen.
Herausg. von R. Ehwald. Gotha, Perthes, 1908. Heft 6. 8".
Inh. : Beitrag zur Geschichte von Stadt und Land Coburg. U.
Von Carl Grüner. S. 1— 8. — Bilder aus dem Inscktenleben der
Fahnerschen Höhe. Von Wilhelm Hubenthai u. Max An-
ding. S. 9 — 20. — Von und aus der Vorgeschichte des Gothaer
Landes. Von Florschütz. S. 21— 31. — Dierenger Heimotkläng'.
Von Ehwald. S. 32—34. — über die Anfänge des Coburgischen
XXVIL 35
542 Literatur.
Theaterwesens. Von Konrad Höfer. S. 35 — 57. — Die Tam-
bacher Zypressenficlite. Von Fr. Thomas. S. 57— 60. Mit 1 Taf.
— Von Gothaer alten Häusern. Von Christian Rauch. S. 61 —
66. — De Eühler Kirmeß. D'r Geseallschaoftsstriet. 2 Gedichte
in Euhlaer Mundart von J. K. Burckhardt. In Druck gegeben
von August Kugel. S. 67 — 74. — Die Imkerei im Herzogtum Gotha.
Von August Ludwig. S. 75 — 85. — Die Kirche zu Gauerstadt.
Von Albert Grein er. S. 86—94.
Jahrbücher der Kgl. Akademie gemeinnütziger Wissen-
schaften zu Erfurt. N. F. Heft 34. Erfurt, C. Villaret, 1908.
329 SS. 8».
Inh. : Die Erfurter Loge unter Dalberg und Dominikus und
ihre Beziehungen zur Erfurter Akademie. Von Gotthold Deile.
S. 71 — 98. — Erfurter Studenten des Mittelalters aus Salza und
Umgegend. Von Hermann Gutbier. S. 101 — 140. — Drei un-
gedruckte Bruchstücke der Legenden des Hlg. Heinrich und der
Hlg. Kunigunde. Von Geo. M. Priest. S. 198— 214. — Familien-
geschichte und Heraldik. Von Eduard Heydenreich. S. 217
— 234. — Was erinnert uns noch heute in Erfurt an den Fürsten-
kongreß von 1808? Von J. Bier eye. S. 237 ff.
Mitteilungen des Geschichts- u. Altertumsforschenden Ver-
eins zu Eisenberg im Herzogt. Sachsen- Alten bürg. Heft 24 u. 25.
(Bd. IV, H. 4 u. 5.) Eisenberg, im Selbstverl, d. Vereins, 1909.
S. 215—352.
Inh.: Flurnamen im Amtsbezirk Eisenberg, S.-A. Von Martin
Schneider. S. 217 — 274. — Einige Mitteilungen über Prinz Jo-
hann Adolf von Sachsen-Gotha-Altenburg. Von O.Weise. S. 275
— 286. — Mitteilungen über Herzog Christian zu Eisenberg. Von
O. Weise. S. 287 — 294. — Zwei Briefe Herzog Christians von
Sachsen-Eisenberg an seinen Bruder, den Herzog Bernhard I. von
Sachsen-Meiningen. Veröffentlicht von Fischer. S. 295 — 298. —
Vier Briefe Herzog Christians von Sachsen - Eisenberg an seinen
Neffen, den Herzog Ernst Ludwig I. von Sachsen-Meiningen. Ver-
öffentlicht von Fischer. S. 299—308. — Peinliche Eechtssache
des Eisenberger Bürgers Hans Petzolt (1595—1598). Von Schirm er.
S. 809—340.
Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Alter-
tumskunde von Erfurt. Heft 29. Erfurt, Selbstverlag, 1908. 105 SS. 8".
Inh. : Zu Friedrich von Nerly. Aus unveröffentlichten Briefen
mitgeteilt von EosaSchapire. S. 1—9. — Die Zitadelle Peters-
berg zu Erfurt. Von Eobert Huth. S. 11—54. Mit mehreren
Abbildungen und 2 Plänen. — Aus dem Tagebuche von Kaspar
Friedrich Lossius. Mitgeteilt von Johannes Biereye. S. 55 — 105.
Schriften des Vereins für Sachsen-Meiningische Geschichte
u. Landeskunde. Hildburghausen, Gadow u. S., 1908. 8".
Inh. Heft 57: Die Fauna (Tierwelt). Von Artur Weiß.
S. 619—710. — Heft 59 : Chronik der Stadt Hildburghausen. Neu-
bearbeitet von Armin Human. 1908. 224 SS.
Frommannschu Buchdruckerei (Hermann Fohle) in Jean — 3538
DD Verein für Thüringische
801 Geschichte und Altertumskunde,
T4V4 Jena
n.F, Zeitschrift,
Bd.l9 n.F., Bd. 19
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