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WHITNEY LIBRARY,
HARVARD UNIVERSITY.
THE GIFT OF
J, D. WHITNEY,
- * Sturgis Hooptr Professor
MÜSfcüM OF OOMPABATTVE ZOÖLOGY.
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ZEITSCHRIFT
DER
GESELLSCHAFT FÜR EROKUNDE
ZU BERLIN.
ALS FORTSETZUNG DER ZEITSCHRIFT FÜR ALLGEMEINE ERDKÜNDE
IM AUFTRAGE DER GESELLSCHAFT
HERAUSGEGEBEN
VON
Professor Dr. W. KONER,
GEH. RKGIKRUNGSRATH.
REDACTWN DER KARTEN VON HEINRICH UND RICHARD KIEPERT.
NEUNZEHNTER BAND.
"MIT VII KARTEN.
BERLIN,
VERLAG VON DIETRICH REIMER.
C 1834.
•■'••/
Inhalt des neunzehnten Bandes.
Aufsätze.
(Für den Inhalt ihrer Aufsätze sind die Verfasser allein verantwortlich.)
Soito
I. Die Wahl der Projektion für Atlanten und Handkarten. Ein
Mahnwort an die Kartographen. Von K. Zöppritz. (Hierzu
eine Karte, Taf. I) 1
II. Die erste Eroberung von Costa Rica durch die Spanier in den
Jahren 1562 — 1564. Nach amtlichen Berichten des Adelantado
und General-Kapitäns von Costa Rica, Juan Vazquez de Coronado,
an den König von Spanien und anderen Dokumenten. Von
H. Polakowsky 24
III. Administrativ - Eintheilung und Bevölkerungsstand der neuen
nördlichen Provinzen des Griechischen Königreiches. Von
H. Kiepert. (Hierzu eine Karte, Taf. II) 55
IV. Auszüge aus fünf in der handschriftlichen Ausgabe der Peking-
Zeitung vom 9. September 1882 (Kuangsü, 8. Jhr. 7. Mt. 27. Tg.)
veröffentlichten Berichten, die Neu- Organisation der Thienschan-
Lftnder betreffend 65
V. Tagebuch einer Reise durch das Gebiet der Gadabursi-Somäli
und Noli-Galla nach Harrär. Von John Freiherr von
Müller 73
VI. Der jüngste Ausbruch des Vulkans Krakatau (Mai bis August 1883).
Von Kapitän a.D. L. F. M. Schulze 81
VII. Tagebuch einer Reise durch das Gebiet der Gadabursi-Somäli
und Noli-Galla nach Harrär. Von John Freiherr von
Müller. (Schluss) 104
VIII. Bemerkungen zur Originalkarte des unteren Tana- Gebietes.
Von Clemens und Gustav Denhardt. (Hierzu eine Karte,
Taf III) 122
IX. Das alte Bergsturzgebiet von Flims. Von Dr. G. Härtung.
(Hierzu eine Karte, Taf. IV) 161
X. Bemerkungen zur Originalkarte des unteren Tana-Gebietes.
Von Clemens und Gustav Denhardt. (Schluss) 194
XI. Die erste Eroberung der Republik Costa Rica durch die Spanier
in den Jahren 1563 und 1564. Nach den officiellen Berichten
des Adelantado und General - Kapitäns Juan Vasquez de Coro-
nado an den König von Spanien und anderen Dokumenten.
Von H. Polakowsky. (Schluss.) (Hierzu eine Karte, Taf. V.) 218
IV Inhalt.
Seit«
XII. Höhenmessungen im Wilajet Trapezunt 255
XIII. Begleitworte zu meiner Karte der Insel Mindanao. Von
F. Blumentritt. (Hierzu eine Karte, Taf. VI) 257
XIV. Geographie der Liu - kiu - Inseln. Nach japanischen Berichten
bearbeitet von F. Qeorge Müller-Beeck. (Hierzu eine
Karte, Taf.VH) 303
XV. Die italienische Bevölkerung im deutschen Südtirol. Nach
amtlichen Quellen bearbeitet von W. Kellner 316
XVI. Zur Bestimmung der geographischen Längen auf Reisen. Ein
Beitrag von Eugen Gelcich, K. K. Professor 319
XVII. Das Küstengebiet Hinterpommerns. Wanderungen und Studien
von F.W.Paul Lehmann 332
XVIII. Die Landesaufnahme in Russland 1883. Nach dem officiellen
Bericht im „Russischen Invaliden" von Hauptmann a. D.
Schellwitz 405
XIX. Seen-Tabelle. Von G. A. von Klöden 416
Litteratur.
Übersicht der vom November 1883 bis dahin 1884 auf dem Gebiete
der Geographie erschienenen Werke, Aufsätze, Karten und Pläne.
Von W. Koner 424
* Karten.
Tafel I. Afrika, in flächentreuer perigonaler Kegelprojektion. Maasstab
1 : 40,000,000. Entworfen von K. Zöppritz.
/ „ II. Übersicht der Administrativ-Eintheilung und der Ortsbevölkerung
der neuen nördlichen Provinzen des Griechischen Königreiches
(Thessalien und östl. Epirus). Nach dem Gesetz vom 81. März
(12. April) 1883 zusammengestellt von H. Kiepert. Maass-
stab 1:400,000.
„ III. Originalkarte des unteren Tana- Gebietes. Nach eigenen astro-
nomischen und geodätischen Messungen gezeichnet von Clemens
und Gustav Denhardt. Maasstab 1:500,000.
„ IV. Das alte Bergsturzgcbiet von Flims. Maasstab 1 : 150,000.
, „ V. Planta de la provincia de Veragua. (Ado 1620). Veröffentlicht
von H. Polakowsky.
' „ VI. Die Insel Mindanao. Von F. Blumentritt.
. „ VII. Die Liu -kiu -Inseln.
WHITNEY
MUS. COMI
No. 109.
\( t=— >
/i/t// ZEITSCHRIFT
DER
GESELLSCHAFT FÜR ERDKUNDE
ZU BERLIN.
ALS FORTSETZUNG DER ZEITSCHRIFT FÜR ALLGEMEINE ERDKUNDE
IM AUFTRAGE DER GESELLSCHAFT
HERAUSGEGEBEN
VON
Prof. Dr. W. KOHEB.
REDACTION DER KARTEN VON HEINRICH UND RICHARD KIEPERT.
NEUNZEHNTER BAND. ERSTES HEFT.
\
BERLIN,
VERLAG VON DIETRICH REIMER.
C 1884.
Mit Gratisbeilage: Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde,
. 1884. No. 1.
Inhalt.
Seit*
I. Die Wahl der Projektion für Atlanten und Handkarten. Ein Mahn-
wort an die Kartographen. Von K. Zöppritz. (Hierzu eine
Karte, Taf. I) 1
II. Die erste Eroberung von Costa Rica durch die Spanier in den
Jahren 1562 — 1564. Nach amtlichen Berichten des Adelantado
und General Kapitäns von Costa Rica, Juan Vazquez de Coronado,
an den König von Spanien und anderen Dokumenten. Von
H. Polakowsky 24
III. Administrativ-Eürtheilung und Bevölkerungsstand der neuen nörd-
lichen PrQvinzdto den Griechischen Königreiches. Von IL Kiepert.
(Hierzu eine Karte, Taf. II) 55
IV. Auszüge aus fünf in der handschriftlichen Ausgabe der Peking-
Zeitung vom 9. September 1882 (Kuangsü, 8. Jhr. 7. Mt. 27. Tg.)
veröffentlichten Berichten, die Neu- Organisation der Thienschan-
Lander betreffend 65
V. Tagebuch einer Reise durch das Qebiet der Gadabursi-Somali und
Noli-Galla nach Harrar. Von John Freiherr von Müller . . 73
Karten.
Tafel I. Afrika, in flächentreuer perigonaler Kegelprojektion. Maasstab
1:40,000,000. Entworfen von K. Zöppritz.
„ II. Übersicht der Administrativ-Eintheilung und der Ortsbevölkerung
der neuen nördlichen Provinzen des Griechischen Königreiches
(Thessalien und östl. Epirus). Nach dem Gesetz vom 81. März
(12. April) 1883 zusammengestellt von H. Kiepert. Maass-
stab 1 : 400,000.
Der neunzehnte Band der Zeitschrift der Gesellschaft
für Erdkunde erseheint 1884 in zweimonatlichen Heften, mit Bei-
gabe von Karten und mit der Gratisbeilage: „Verhandinngen
der Gesellschaft für Erdkunde, 10 Hrn." Der Preis des Bandes von
6 Heften nebst Gratisbeilage ist 13 Mark. Die „Verhandlungen4*
sind auch allein zum Preise von 4 Mark zu beziehen.
Die Bände I— IV (1866—1869) sind zum Preise von 8 Mark,
der V— VIII. Band (1870—1873) »um Preise von 10 Mark und der
IX— XVIII. Band (1874—1883) zum Preise von 13 Mark pro Band,
complet geheftet, ebenso die Verhandlungen der Gesellschaft für
Erdkunde, 1874—1883, complet geheftet, zum Preise von 4 Mark
pro Band zu haben.
Preis-Ermässigung.
Die Bände I— VI und neue Folge I — XIX der Zeitschrift für
allgemeine Erdkunde (1853—1865) sind
zusammengenommen zum Preise von 3 Mark pro Band und
einzeln zum Preise von 4 Mark pro Band
durch jede Buchhandlung zu beziehen.
Berlin, im Februar 1884.
S.W. AnhaltetrMie No. 12.
Die Verlagshandlung von
Dietrich Reimer
(Rehner & H«efcr.)
I.
Die Wahl der Projektion für Atlanten und Handkarten.
Ein Mahnwort an die Kartographen.
Von K. Zöppritx.
(Hierzu eine Karte, Taf. I.)
Unsere Atlanten and Handkarten sind gegenwärtig fast aus-
schliesslich beherrscht von der Bonne'schen Projektion. Wenn
man absieht von den Planigloben und den meist in Merkators
Projektion ausgeführten Abbildungen der ganzen Erdoberfläche
und nur die eigentlichen Länderkarten, von denjenigen der Erd-
teile bis zu denjenigen einzelner Provinzen, in betracht zieht,
findet man fast nur Abbildungen nach jener modifizierten Kegel-
projektion. Die Herrschaft der Bonne'schen Projektion ist ver-
mutlich franzosischem Einflüsse zuzuschreiben, denn für die grosse
vom Depot de la guerre veröffentlichte Karte von Frankreich im
Massstabe von 1 : 80 000 ist jene Abbildungsart schon zu einer
Zeit angewandt worden, als in allen geodätischen Dingen Frank-
reich unbestritten tonangebend war. Bei den deutschen General-
stabskarten ist man jedoch dem Beispiel Frankreichs nicht ge-
folgt, sondern hat meist Projektionen gewählt, die entweder über-
haupt rationeller sind (d. h. auch für Frankreich empfehlens-
werter gewesen wären), wie z. B. die von Gauss für Braun-
schweig und Hannover gewählte konforme Kegelprojektion, oder
solche, welche die Einpassung der Detailaufnahme in das Grad-
netz und die Benutzung rechtwinkliger ebener Koordinaten be-
sonders bequem machten, ohne im dargestellten Gebiete erhebliche
Fehler in Winkeln und Flächenverhältnissen zu erzeugen, wie
z. B. die Cassini-Soldner'sche Projektion für die süddeutschen
Staaten, und die Polyederprojektion für Preussen und Thüringen,
welch' letztere die Möglichkeit preisgiebt, ein Bild des ganzen
dargestellten Gebietes auf einer Ebene zusammenzusetzen.
Zeittckr. a. OMelkeh. f. Brdk. Bd. XIX. 1
2 K. Zöppritz:
Während also die praktisch wie theoretisch meist gleich aus-
gezeichneten Begründer der Landesaufnahmen in den deutschen
Staaten die Projektionen für die Spezialkarten selbständig je nach
Bedürfnis des Falles auswählten, haben diejenigen Kartographen,
welche mit ihren Erzeugnissen dem Bedarfe des grosseren Publi-
kums an Schulkarten, Handkarten, Atlanten u. 8. w. entgegen-
kommen, sich fast ausschliesslich der Bonne'schen Projektion in
die Arme geworfen. Diese Abbildungsart hat gewisse bestechende
Vorzüge: sie ist flächentreu, symmetrisch gegen einen geraden
Mittelmeridian, die Parallelkreise sind konzentrische Kreise, deren
Abstand in demselben Verhältnisse wie auf dem Erdellipsoid leicht
aufgetragen werden kann; die Parallelkreisabschnitte stehen eben-
falls in demselben Verhältnisse zu einander und zu den Meri-
dianteilen, wie in Wirklichkeit. Man kann deshalb aus jeder
Tabelle für die Länge der wahren Meridian- und Parallelgrade
alles für die Konstruktion des Netzes Notige entnehmen, hat nur
die Multiplikation mit dem Massstabsverhältnisse auszuführen und
kann dann sofort auftragen.
Ich glaube nicht zu irren, wenn ich voraussetze, dass nament-
lich das Bewusstsein von der richtigen Abbildung der längs den
Netzlinien gemessenen Strecken die Kartographen bezüglich der
Vortrefflichkeit dieser Projektion so sicher macht und sie die
kolossalen Verzerrungen mit in den Kauf nehmen läset, welche
dieselbe gegen die Kartenecken hin ergiebt. Die Bequemlichkeit
der Konstruktion wird von derjenigen anderer Abbildungsarten,
namentlich der eigentlichen Kegelprojektionen (mit geradlinigen
Meridianen) übertroffen; auch haben diese den Vorteil überall
rechtwinkligen Schnittes von Meridianen und Parallelkreisen vor-
aus; trotzdem sieht man sie weit weniger benutzt — offenbar
weil leicht zu erkennen ist, dass die Abschnitte auf den äusseren
Parallelkreisen in etwas grosserem Massstabe abgebildet werden
als die der Mitte näheren.
Mit der Bevorzugung der äquivalenten Bonne'schen Projek-
tion sind die Kartographen ferner in scharfen Gegensatz getreten
zu den Theoretikern, namentlich den Mathematikern, welche seit
Gauss' berühmter Arbeit über die in den kleinsten Teilen ähn-
lichen Abbildungsarten die Winkeltreue als Conditio sine qua non
jeder rationellen Abbildung aufgestellt haben. Dieser Gegensatz
zwischen Theorie und Praxis, sowie das zähe Festhalten der
praktischen Kartographie an einer offenbar sehr stark verzerren-
den Abbildungsart sind zweifellos Folgen des unbefriedigenden
Znstandes, in welchem sich bis vor Kurzem die Projektionslehre
hinsichtlich der Frage über die Wahl einer Projektion befanden
hat. Es scheint den meisten Kartographen entgangen zu sein,
Die Wahl der Projektion für Atlanten und Handkarten. 3
dass wir seit 4 Jahren im Besitze von weit wirkungsvolleren
Hilfsmitteln zur Entscheidung dieser Frage sind als früher und
dass mittels derselben über die Anwendbarkeit und Verwerflich-
keit bestimmter Projektionen für gegebene Gebiete und zu ge-
gebenen Zwecken ein völlig scharfes Urteil möglich ist. Diese
neuen Hilfsmittel sind von A. Tissot geliefert worden in seinem
„Memoire sur la representation des surfaces et les projections des
carte8 gäographiques" *). Der Inhalt dieses Werkes würde tref-
fender zu bezeichnen sein als: Allgemeine Theorie der bei Ab-
bildung von krummen Oberflächen auf anderen, insbesondere aber
auf der Ebene, eintretenden Deformationen. Die neuen Ideen, die
es bringt, sind so reich und fruchtbar, dass ich mich zu dem Aus-
spruche berechtigt halte, seit Lamberts nunmehr hundertjährigen
„ Beiträgen zum Gebrauche der Mathematik tt sei durch kein Werk
die theoretische und die praktische Kartographie so gewaltig ge-
fordert worden als durch dieses. Was damals der Deutsche Lam-
bert an neuem wissenschaftlichen Material den Mathematikern
und Geographen aller Nationen dargeboten hat, das ist für den
Teil von Frankreich jetzt von Tissot mit reichen Zinsen zurück-
gezahlt worden.
Freilich ist es etwas zu viel gesagt, wenn man behauptet,
die praktische Kartographie sei durch jenes Werk wesentlich ge-
fordert worden; richtiger ist es zu sagen, sie wird dadurch ge-
waltig gefordert werden und vielfach neue Bahnen aufsuchen
müssen, wenn sie den Ruf der Wissenschaftlichkeit beanspruchen
will. Tissot's Arbeiten sind teilweise ausser dem Bereich des
vollen Verständnisses seitens der Kartographen gelegen; hat doch
seine elegante Analyse bei ihrer Knappheit und infolge der etwas
ungewohnten Betrachtungsweise selbst dem Mathematiker erst
etwas Fremdes. Eine gemeinverständliche Darstellung derselben
und ihrer wichtigsten Resultate ist deshalb notwendige Vorbedin-
gung dafür, dass die ausübende Kartographie Nutzen daraus
ziehe. In meinen vor Kurzem in Teubner's Verlag erschiene-
nen „Leitfaden der Kartenentwurfslehre u habe ich eine solche,
dem Lehrzweck entsprechend vereinfachte und abgekürzte Dar-
stellung aufgenommen. Um aber gleichzeitig weiteren Kreisen
die Kenntnis jener wichtigen Untersuchungen zu vermitteln, gebe
ich in vorliegendem Aufsatze die wichtigsten Resultate derselben
und ziehe die nächstliegenden Folgerungen für die praktische
Kartographie.
*) Pari«, Gauthier-Villars 1881; 337 ß. Text und 60 S. Zahlentabellen.
Der Hauptteil der Arbeit war schon in den Bänden 17, 18, 19 (1878 — 80)
der Nouvelles Annales de Math^matique (2« s4rie) erschienen.
4 K. Zöpprits:
Über eine oben schon berührte Vorfrage kann and muss
eine Entscheidung allerdings anch ohne Rücksicht auf Tissot's
Arbeiten getroffen werden; über die Frage nämlich, ob für die
zum Handgebrauch bestimmten Karten die Winkeltreue (Konfor-
mität) oder die Flächentreue (Äquivalenz) die wichtigere Eigen-
schaft sei. Die Forderung der Ähnlichkeit in den kleinsten Teilen
der Abbildung, die von den Mathematikern als selbstverständliche
Bedingung ihren Untersuchungen zugrunde gelegt zu werden
pflegt, giebt freilich die elegantesten mathematischen Entwicklungen
und bietet die fruchtbarsten Beziehungen zu wichtigen Problemen
der theoretischen Physik*), allein für die geographischen Bedurf-
nisse ist die Winkeltreue im Allgemeinen durchaus nicht von der-
selben Wichtigkeit wie die Flächentreue. Selbst für Verkehrs-
karten und andere Karten, bei denen es darauf ankommt, dass
man von jedem Punkte aus die Richtungsunterschiede nach anderen
möglichst genau entnehmen kann, leistet ja eine winkeltreue
Karte dies nur für ganz benachbarte Punkte, streng genommen
nur für unendlich nahe gelegene. Die nach weiter entfernten
Punkten gezogenen Geraden schliessen dagegen aueh auf der
konformen Karte andere Winkel mit einander ein, als die durch
die Punkte des Urbilds gelegten grossten Kugel - Kreise mitein-
ander bilden und zwar sind die Abweichungen in den verschie-
denen winkeltreuen Projektionen verschiedene. Also auch bei
solchen Karten, wo es auf die Richtungswinkel besonders an-
kommt, bietet die konforme Abbildung keine eigentlich prak-
tischen Vorteile — immer vorausgesetzt, dass es sich um Ge-
biete von solcher Ausdehnung handelt, dass die Unterschiede
verschiedener Projektionsarten merklich werden. Von hervor-
ragender Bedeutung ist aber für fast alle geographischen Fragen
die Flächentrene der Abbildung zum Urbild. Die Flächenver-
hältnisse innerhalb des Kontinents zwischen Wasser und Land,
zwischen Festland und Inseln, zwischen Rumpf und Gliedern, die
Areale der natürlichen meteorologischen, geologischen, der Floren-,
Faunen- und Bevölkerungsgebiete, der Staaten und ihrer Eintei-
lung sind ja die Fundamentalzahlen, auf welche sich jede geogra-
phische Untersuchung aufbauen muss; und wie im Grossen so
bildet im Kleinen für die Regelung der Besitz- und der Grund-
steuerverhältnisse das Flächenausmaass die erste und verlässlichste
Grundlage. Die Erkenntnis hiervon hat bewirkt, dass das Plani-
meter in der Hand des Geographen zu einem der wichtigsten In-
*) Vgl. das interessante Werk von Holzmüller, Einführung in die
Theorie der isogonalen Verwandtschaften und der conformen Abbildungen.
Leipzig (Teubner) 1882.
Die Wahl der Projektion für Atlanten und Handkarten. 5
strumente geworden ißt und dauernd an Bedeutung gewinnt*).
Es kann daher nicht bestritten werden, dass für die Darstellung
grosserer Gebiete, wie Kontinente oder deren grossen Abtei-
lungen, die Flächentreue eine weit wichtigere Forderung ist als
die Winkeltreue.
Tissot's Untersuchungen beziehen sich auf stetige Abbildungen,
d. h. auf solche, bei denen jedem Punkte, bezw. jeder* Linie des
Urbilds ein Punkt bezw. eine Linie des Abbilds entspricht, wovon
eine Ausnahme nur für einzelne Punkte (Pole) gestattet ist, —
nur mit Abbildungen dieser Art hat man es in der Kartographie
zu thun — und beginnen mit dem ganz elementaren Nachweis
eines Fundamentalsatzes, der für die Abbildungen jeder krummen
Oberfläche auf einer anderen gilt und folgendermassen lautet;
Bei jeder Abbildung einer Oberfläche auf einer anderen giebt es
ein, und nur ein System von rechtwinklig sich schneidenden
Kurven, das in der Abbildung seine Rechtwinkligkeit beibehält;
ausgenommen sind die winkeltreuen (konformen) Projektionen,
bei denen alle auf der ersten Oberfläche gezogenen rechtwinklig
sich schneidenden Kurvensysteme auch im Bilde diese Eigenschaft
haben« Durch jeden Punkt der Karte lassen sich also 2 recht-
winklig sich kreuzende Kurven ziehen, welche Abbildungen zweier
ebenfalls rechtwinkligen Kurven des Originals sind. Die Rich-
tungen dieser ausgezeichneten Kurven nennt man die Prinzipal-
richtungen an dem betreffenden Punkte.
Schon aus diesem ersten Satze lassen sich praktische Fol-
gerungen ziehen; zunächst dass, wenn in einer Karte Meridiane
und Parallelkreise sich rechtwinklig wie auf der Erde schneiden,
was z. B. bei allen ächten Kegelprojektionen der Fall ist,
daraus noch nicht die Winkeltreue dieser Projektion folgt. Da
spielt eben zufallig gerade das Kurvensystem der Meridiane
und Parallelen die ausgezeichnete Rolle, und der Satz gestattet
den Schluss, dass kein anderes Kurvensystem dieselbe Eigen-
schaft rechtwinkligen Schnittes auch in der Karte bewahrt. Anderer-
seits aber zeigt der Satz, dass auch in Karten, worin sich Meri-
diane und Parallelkreise schiefwinklig schneiden, wie z. B. in der
Bonne'schen Projektion, doch durch jeden Punkt 2 zu einander
rechtwinklige Richtungen gezogen werden können, die zwei auch
auf der Erde rechtwinkligen Richtungen entsprechen.
Aus dem Fundamentalsatze folgt, dass, wenn man sich um
einen Punkt des Originals als Zentrum mit dem Radius =3 1
*) Auf diese Seite der Frajje hat mit besonderem Nachdruck Wiechel
die Aufmerksamkeit gelenkt in dem Aufsatze: Rationelle Gradnetzprojek-
tionen. Der Civilingenienr. Bd. 25, S. 412. Leipzig 1879.
6 K. Zöpprits:
einen kleinen Kreis gelegt denkt, dieser in jeder nicht winkel-
treuen Abbildung als kleine Ellipse erscheint, deren beiden Haupt-
axen die Frinzipalrichtungen haben, nnd in ihren halben Längen a
und b die grosste nnd kleinste Veränderung darstellen, welche
irgend ein Halbmesser des kleinen Kreises bei der Abbildung
erfahrt. Die Zahlenwerte von a und b sind im Allgemeinen an
jedem Orte der Karte verschiedene. — Nur diejenigen beiden
Halbmesser, welche den Halbaxen der Ellipse entsprechen, erfahren
bei der Abbildung keine Richtungsänderung, sondern nur Längenände-
rung, alle übrigen Halbmesser werden auch in ihrer Richtung geändert,
d.h. der Winkel, den sie mit einer der Prinzipalrichtungen bilden, wird
ein anderer, und zwar wird der spitze Winkel, den ein Halbmesser
mit derjenigen Prinzipalrichtung bildet, die der grossen Ellipsenaxe
entspricht, verkleinert, der mit der anderen Prinzipalrichtung ver-
größert. Eine bestimmte Richtung des Radius erleidet die be-
deutendste Änderung. Sind a und b die Halbaxenlängen der
Ellipse, die man Indicatrix nennen kann, so lässt sich die Rich-
tung angeben, die am meisten geändert wird; es ist diejenige,
deren Winkel U mit der grossen Axe a bestimmt ist durch die
Formel
tang
*-Vi
und zwar wird dieser Winkel in einen kleineren, U1 verwandelt,
der durch die Formel
tang U' = y^ II
bestimmt ist und den früheren Winkel U auf 90° ergänzt. Setzt
man die Änderung des Winkels, also U — U1 = «>, so ist demnach
[7=45°+^a> IT' = 45° — %<*> . . . III
und die Winkeländerung selbst ausgedrückt durch:
« — b
sin co = — — y IV
a-f- o
Von dem betrachteten Punkte der Originalfläcbe lassen sich
zwei Geraden im Winkel U gegen die Prinzipalrichtung a ziehen,
welche symmetrisch zu a liegen. Der Winkel beider gegen a
wird in der Abbildung um m verändert, folglich der Winkel der
zwei Richtungen gegeneinander (also 2 £7) um 2». Derjenige
Winkel, welcher die Maximaländerung durch die Projektion er-
leidet, wird also in sein Supplement auf 180° verwandelt, denn
da [/+ U' = 90°, so ist 2 U1 = 180° — 2 U. Die Grösse 2 a>
stellt den grosstmoglichen Betrag dar, um welchen überhaupt der
Winkel zweier beliebigen von einem Punkte aus gezogenen Rieh-
Die Wahl der Projektion für Atlanten und Handkarten. 7
taugen in der Projektion geändert werden kann, also die maxi-
male Winkelverzerrung. Dieselbe kann niemals zwei zuein-
ander senkrechte Richtungen betreffen. — Zu jeder beliebig ge-
zogenen Richtung lasst sich eine zweite angeben, deren Winkel
gegen jene durch die Projektion nicht geändert wird.
Die Anwendung auf eine bestimmte Klasse von Abbildungen
wird die Bedeutung dieser Sätze mehr hervortreten lassen. Es
giebt eine Gruppe von Projektionen, bei denen sich überall ohne
weiteres diejenigen beiden Richtungen angeben lassen, die in
Urbild und Abbild senkrecht zueinander stehen. Das sind die
azimutalen Zenital-Projektionen des Kugelnetzes auf die Ebene.
Zenital heisst eine Abbildung, wenn alle Punkte der Kugelober-
fläche, deren Zenitabstand vom Mittelpunkt des darzustellenden
Gebietes derselbe ist (deren Lotlinien also mit dem Mittellot den-
selben Winkel bilden), in der Karte auf einem Kreise liegen,
dessen Zentrum der Bildpunkt jenes Mittelpunktes ist. Die Kugel-
kreise gleichen Zenitabstandes heissen Almukantarats , und man
kann also kurz sagen, die Almukantarats bilden sich als Kreise
ab. Wenn nun ausserdem noch alle durch die Mitte gelegten
grossten Kreise, die sogenannten Azimutalkreise, sich als gerade
Linien abbilden, also jeder Punkt auf der Karte dasselbe Azimut
behält, wie auf der Kugeloberfläche, so nennt man die Abbildung
azimutal*). Zu dieser Gruppe von Projektionen gehören z. B.
sämmtliche perspektivischen. Almukantarats und Azimutalkreise
schneiden sich auf der Kugel rechtwinklig (im Falle die Mitte
des darzustellenden Gebietes der Pol ist, fallen die ersteren mit
den Parallelkreisen, die letzteren mit den Meridianen zusammen).
Ihre Abbildungen sind konzentrische Kreise, bezw. deren Durch-
messer; sie schneiden sich also auch rechtwinklig. Da es nun
nach dem Fundamentalsatz für nicht winkeltreue Projektionen
— und winkeltreu ist unter den azimutalen Zenitalprojektionen
nur die stereographische — ein einziges Paar aufeinander senk-
rechter Richtungen giebt, das sich rechtwinklig abbildet, so kann
man für die ganze betrachtete Projektionsklasse die Richtung der
Hauptaxen der Indicatrix an jedem Punkte sofort angeben. Die
eine Axe ist die Richtung zur Kartenmitte, die andere die darauf
senkrechte Richtung der Tangente des durch den Punkt gelegten
Almukantarats. Welche von beiden Richtungen die längere, welche
die kürzere Axe enthält, hängt von der besonderen Art der Pro-
*) Es. ist streng genommen unrichtig, wenn, wie meist geschieht, die
Begriffe azimutal und zenital als gleichbedeutend gebraucht werden.
Wiechel hat im „Civilingenieur" Jahrg. 1879, S. 412 eine Zenitalprojektion
vorgeschlagen, die nicht azimutal ist. Die Azimntalkreise werden darin als
S-formige Kurven abgebildet.
g K. Zöppritz:
jektion ab. Um ein ganz bestimmtes Beispiel vorzunehmen,
wollen wir die orthographische Projektion oder Parallelperspektive
betrachten, die das Kugeln etz so darstellt, wie es von einem sehr
entfernten Punkte ans gesehen wird. Bei ihm erscheinen bekannt-
lich die dem Rande benachbarten Zonen ungemein verschmälert,
während die Almukantarats ganz unverkürzt abgebildet werden.
Hier ist also die längere, oben mit a bezeichnete Axe der In-
dicatorellipse parallel der Tangente an den Almukantarat, die
darauf senkrechte Radiusrichtung ist die kürzere, b. In diesem
besonderen Falle ist a = 1, weil der Almukantarat unverändert
abgebildet wird ; bei anderen Projektionen derselben Klasse erhalten
a und b andere Werte. Bei allen aber ist (falls nicht eine Polar-
projektion vorliegt), das rechtwinklig bleibende Kurvensystem eines,
das nicht in die Karte eingezeichnet zu werden pflegt, während das
einzuzeichnende Kugelnetz schiefwinklig abgebildet wird.
Ist C Fig. 1 ein beliebiger Punkt der Karte, LK ein Stuck
des durch ihn gelegten Almukantarats und MR der durch C nach
der Kartenmitte gezogene Radius, also das Bild des zugehörigen
Azimutalkreises, dann liegt die grosse Axe CA = a der Ellipse
auf der Tangente FG, die kleine CB =» b anf MR. Will man
nun diejenige Richtung finden, welche in der Karte die grosste
Winkeländerung gegen die Axe a erfährt, die also auf der Kugel
den Winkel U9 auf der Karte den Winkel U1 mit ihr bildet, so
hat man von C aus in der Richtung nach R die Länge CA* = ^ä
und in der Richtung nach G die Länge CB' = yb aufzutragen.
Ergänzt man das Rechteck CA'DB', so bildet die Diagonale
CD den Winkel DCB1 = U mit der Richtung von a, denn im
Dreieck B'CD ist:
lDg U B'C fS
wie Formel I S. 6 vorschreibt. Trägt man ebenso CA" = Ya,
CB" = y6 auf und konstruiert das Rechteck Cß^DM", so er-
hält man den Winkel V = D'CA11, in welchen U bei der Pro-
jektion übergeht. Man sieht, dass nicht nur nach Vorschrift von
Formel II:
rTt A"D* VI
tang tf< = — =_,
sondern dass auch
IP = A"CDl = A'CD = 90° — U.
Zieht man CE symmetrisch zu CD, d. h. gleichfalls im Winkel
ECG = U gegen die Axenrichtung a, und CE1 symmetrisch zu
CD', so ist DCE derjenige Winkel auf der Kugeloberfläche, der
Die Wahl der Projektion für Atlanten und Handkarten.
in der Karte am stärksten verzerrt, nämlich in D'CE1 verwandelt
wird. Seine Veränderung ist 2 (U — U') «= 2», wie Formel III
verlangt. Die Grosse von » wird mittels IV durch a und b aus-
gedruckt.
Diese Maximalwinkelverzerrung kann niemals zwei auf der
Kugel senkrecht zu einander stehende Linien betreffen. Deshalb
bietet z. B. der Winkel zwischen Meridian und Parallelkreis
niemals die grosste Verzerrung dar, die an dem betrachteten
Punkte einer Karte verbanden ist, sondern es giebt daselbst zwei
Richtungen von noch stärkerer Winkeländerung.
Figur 1.
Figur 2.
F * f G
Sind in Fig. 2 wieder CA und CB die Axenrichtungen a und b
der Ellipse, so wird jede Richtung CF des Urbilds im Abbild in
CF* geändert. Nach dem letzten der oben aufgeführten Sätze giebt
es nun immer eine zweite Richtung CG, die bei der Projektion
um den gleichen Betrag, in CG' gedreht wird, sodass also der
Winkel der beiden Richtungen CF und CG gegeneinander nicht
geändert wird, d. h. FCG — F'CG* ist. Die Richtung der Maxi-
maländerung CD liegt immer zwischen diesen beiden Richtungen.
Während die bisherigen Sätze sich nur auf die Richtungs-
änderungen und Winkelverzerrungen beziehen, haben die folgenden
mit den Längenänderungen zu thun. Wir machen dauernd
die Voraussetzung, dass auf dem Urbild — im Falle der Karto-
graphie also auf der Erdoberfläche — um einen Punkt herum
ein kleiner Kreis betrachtet werde, dessen Radius = 1 (z. B. =
1 Meter oder 1 Bogensekunde oder eine andere Einheit) sei.
Alle Zahlen, die wir finden, sind dann in dieser Einheit ausge-
druckt, abgesehen von einem konstanten Faktor, dem Massstab
der Karte. Die Radien, welche die 2 Prinzipalrichtungen haben,
erhalten bei der Projektion in der Karte die Längen a und 6;
10 K. Zöppritz:
irgend ein anderer Radios, der ursprünglich den Winkel u mit der
Richtung von a machte, verwandele sich in r. Dann ist r be-
stimmt dnrch die Formel
r2 = a2 cos2 u -f- b2 sin2 u V,
In winkeltreuen Abbildungen bleibt der kleine Kreis in der Pro-
jektion ein Kreis nnd man hat stets r = a = b.
Nennt man r nnd ri die Längenverhältnisse für 2 Radien,
die ursprünglich rechtwinklig zueinander standen, und & die
Änderung, welche ihr rechter Winkel bei der Projektion erfährt,
so bestehen die Beziehungen:
r2 + rt* = a2 + b2 rr± cos & = ab . .VI.
Für 2 Richtungen (wie CF und CG in Fig. 2), deren Winkel
ungeändert bleibt, ist das Produkt ihrer veränderten Längen
r und r2 unabhängig von dem Winkel, nämlich:
rr2 = ab VII.
Für jede der beiden Richtungen, deren Winkel gegen die
Axe a die Maximaländerung erfährt (also CD und CE in Fig. 1),
ist die veränderte Länge:
r, = V^6 . . VIII.
Wenn die Axenlängen und Richtungen bekannt sind, so ge-
stattet die Formel V die Berechnung der Längen Verzerrung für
jede beliebige Richtung, die mit a den Winkel u bildet. Als
spezielle Fälle ergiebt diese Formel bei u = o bezw. u = 90° für
r die Axenlängen a und 6, welche gleichzeitig Maximalwert und
Minimalwert sind, welche r erreichen kann. — Besonders brauch-
bar sind die Formeln VI, weil sie eine direkte Anwendung auf
die Abbildung des Kugelnetzes gestatten, dessen Kreise sich ja
auf der Erde rechtwinklig schneiden, wie diese Formeln voraus-
setzen. Aus der zweiten derselben ergiebt sich sofort der Winkel #,
um welchen die Netzlinien an dem betrachteten Punkte der
Karte von der Rechtwinkligkeit abweichen. — Die Formel VIII
ergiebt die Längenverzerrung auf den beiden ausgezeichneten
Richtungen} deren Winkel die Maxi mal Verzerrung erleidet.
Ausser Winkel- und Längenänderungen sind noch die Flächen-
änderungen bei der Abbildung von Wichtigkeit. Das Verhältnis
der Kartenfläche zur Originalfläche wird dann — abgesehen von
dem Quadrate des konstanten, den Kartenmassstab ausdrückenden
Bruchs — dargestellt durch das Verhältnis der Ellipsenfläche äbn
zur Kreisfläche vom Radius 1, welche = n ist. Mit Weglassung
des gemeinsamen Faktors n ist also das Flächenänderungsver-
hältnis :
S = ab IX.
Die Wahl der Projektion für Atlanten und Handkarten. H
Soll die Projektion flächentreu (äquivalent nach gewohnlicher,
authalique nach Tissot' s Bezeichnung) sein, so muss die neue
Fläche der alten gleich, also
ab = 1 oder b = — X
a
sein. Bei flächen treuen Projektionen ist deshalb auch die
maximale Winkelverzerrung (Formel IV) einfacher definiert durch:
a2 — 1
während die Formeln I und III hier ergeben:
t»"g («° +|) - «•
Auch die Formeln für die Längenänderungen vereinfachen
sich in diesem Falle erheblich ; insbesondere zeigt die Formel VIII,
dass die Längen derjenigen beiden Radien, deren Richtungen die
maximale Winkeländerung erfahren, ungeändert bleiben, weil
yab= 1 wird. Da, wie oben schon erwähnt, die Grossen von
a und b von Punkt zu Punkt der Karte sich ändern, so ist dies
auch mit a> und 8 der Fall, was niemals ausser acht zu lassen ist.
Aus dem bisherigen geht hervor, dass zur Anwendung dieser
Formeln vor Allem die Kenntnis der Lage und Länge der Ellipsen-
axen a und b notig ist. Wenn irgend eine Projektion bestimmt,
d. h. das Abbildungsgesetz gegeben ist, so ist die Aufsuchung der
Richtungen und Längen der Prinzipalaxen eine analytisch -geo-
metrische Aufgabe, welche Tissot nach ganz bestimmten einfachen
Regeln losen lehrt. Es ist indessen hier nicht der Ort, näher
darauf einzugehen, zumal da Tissot selbst für alle bekannt ge-
wordenen Projektionen die Losung gegeben und die Werte der
Axen und Maximalwinkelverzerrungen berechnet und in zahl-
reichen Tabellen mitgeteilt hat. Es kommt hier nur darauf an,
einige der wichtigsten, von hergebrachten Anschauungen teilweise
abweichenden und für die Wahl der Abbildungsart entscheidenden
Resultate ziffermässig vorzufuhren.
Die hier teilweise nur auszüglich abgedruckten vergleichenden
Tabellen Tissot's setzen voraus, dass im Mittelpunkt der Karte
(Leine Massstabsänderung stattfindet, das zentrale Flächenelement
der Karte also in seiner wahren Grosse abgebildet wird; d.h. im
Mittelpunkt ist immer S = aÄ=l. Die Verzerrungen werden
charakterisiert durch die grossten Werte, welche innerhalb des
dargestellten Gebietes folgende 8 Grossen annehmen können:
1) die Maximalwinkelverzerrung 2», 2) das Verhältnis a:b der
beiden Hauptaxen der Indicatrix und 8) die Flächenänderung S.
12 K. Zöpprits:
Der Maximalwert des Verhältnisses a:&, der in der Karte vorkommt,
soll mit (a) bezeichnet werden, während die Maximalwerte von 2 co
und S nicht durch ein besonderes Zeichen ausgedruckt werden.
Einer der wichtigsten Vorteile der strengen Sonderung von
Längen- und Winkeländerungen ist der, dass gewisse Fragen
nach der Projektion geringster Verzerrung unter gegebenen Um-
ständen in aller Strenge beantwortet werden können. Zunächst
sieht man leicht ein, dass eine Abbildung nicht flächentreu und
winkeltreu zugleich sein kann, denn die erste Eigenschaft er-
fordert ab = 1, die zweite a = b, also wurde a = b = 1, d. h.
alle Dimensionen der Figur würden unverändert wiedergegeben
werden, die Abbildung würde identisch mit dem Original, was
natürlich nur auf einer gleichen Oberfläche (Kugel auf Kugel) der
Fall sein konnte. Bei der Wahl einer Projektion muss man sich
also über diese Grundeigenschaften zuerst entscheiden. Ist aber
die Entscheidung getroffen, so lassen sich folgende Fragen beant-
worten: 1) Wenn die Winkeltreue verlangt wird, welche Abbil-
dung giebt innerhalb des darzustellenden Gebietes die geringsten
Flächenänderungen; 2) wenn Flächentreue verlangt wird, welche
Abbildung giebt die geringsten Winkel Verzerrungen; 8) wenn eine der
beiden Grundeigenschaften verlangt wird, welche Abbildungsart macht
die grossten Längenänderungen möglichst gering. Tissot hat neben
den Ausdrücken autogonal (winkeltreu), authalique (flächentreu) und
automecoique (längentreu, was aber nicht allgemein, sondern nur für
die Abstände von der Mitte erreichbar ist), die Bezeichnungen peri-
gonal (von möglichst geringer Winkelveränderung),, perihalique (von
möglichst unveränderter Fläche), perimecoique (von möglichst ge-
ringer Längenänderung), eingeführt. Projektionen, die weder die
Winkel noch die Flächentreue bewahren, nennt Tissot aphylactique.
Es ist dabei noch zu bemerken, was sehr einfach aus den Grund-
formeln folgt, dass unter einer Gruppe von autogonalen Projek-
tionen diejenige, welche für ein gegebenes Stück der Erdober-
fläche perihalisch ist, auch perimekoisch dafür ist, und dass ana-
log unter einer Gruppe von authalischen Projektionen, diejenige,
welche perigonal ist, auch perimekoisch für dasselbe Gebiet ist.
Die überall hinzugefügte Bedingung „für ein bestimmtes Gebiet
der Erdoberfläche tt ist sehr wesentlich, denn da die Verzerrungen
bei allen Projektionen mit Ausdehnung des dargestellten Gebietes
wachsen und bei verschiedenen Projektionen in verschiedenem
Masse sich ändern, so werden im allgemeinen für verschieden
grosse Gebiete auch verschiedene Projektionen die Eigenschaft,
perigonal bezw. perihalisch zu sein, besitzen. Falls kein Zusatz
bezüglich des Gebietes gemacht wird, versteht Tissot unter diesen
Ausdrücken die Eigenschaften für die Darstellung einer Halbkugel.
Die Wahl der Projektion für Atlanten und Handkarten. 13
Die Kegelprojektionen geben, wie bekannt, im allgemeinen
weniger verzerrte Abbildungen als die direkten auf die Ebene,
ans dem einfachen Grande, weil eine berührende Ebene nur einen
Punkt mit der Kngeloberfläche gemein hat, während ein berüh-
render Kegel eine Linie gemein hat, sodass also hier ein schmaler
Streifen desselben Vorzugs teilhaftig wird, den dort nur ein
Flächenelement besitzt, des Vorzugs nämlich, dass Urbild und
Abbild daselbst sich decken. Dieser Vorzug wird aber bei den
gebräuchlichen Kegelprojektionen durchaus nicht vollständig aus-
gebeutet, weil der Kegelaxe noch eine bestimmte Lage, nämlich
die der Erdaxe, gegeben wird. Man kann der Kegelaxe meist
eine weit gunstigere Lage geben, verliert aber dabei den Vorteil
bequemer Abbildung des Kugelnetzes, meist auch die Symmetrie
desselben. Man erreicht z. B. für Darstellung einer Kugelkappe
die geringsten Verzerrungen dann, wenn man die Kegelspitze auf
dem verlängerten, durch den Mittelpunkt dieser Kappe gehenden
Radius annimmt. Wenn man aber die Kegeloberfläche dann auf-
schlitzt, um sie in die Ebene auszubreiten, so ist die Darstellung
durch einen leeren Sektor unterbrochen, den man allerdings aus-
füllen kann, indem man die Abbildung von beiden Seiten her
fortsetzt, bis zum Zusammentreffen; dann ist aber ein Teil des
Gebietes doppelt dargestellt und doch eine Unstetigkeitslinie vor-
handen, d. h. ein Radius, bei dessen Überschreitung man in schon
einmal dargestelltes Gebiet gelangt. Diese Projektionsart wird
wegen der angeführten Missstände niemals ausgedehnte Anwendung
finden. Da sich aber damit, wie aus den nachfolgenden Tabellen
hervorgebt, die geometrisch besten Abbildungen erreichen lassen,
sind sie doch für genaue Karten grosserer Gebiete indem
Falle sehr zu empfehlen, wenn die Unstetigkeitslinie und der
Pol selbst in eine Gegend verlegt werden können, deren zu-
sammenhängende Wiedergabe von untergeordneter Wichtigkeit ist,
wie z. B. die Polargegenden oder grosse Meeresflächen. Die
ostliche und westliche Hemisphären, deren Mittelpunkte auf dem
Äquator liegen, kann man so darstellen, ohne wichtige Ge-
biete zu zerschneiden, wenn man den Schnitt längs dem Mittel-
meridian vom Äquator zum Sud-Pol fuhrt. Es werden dann nur
Meeresflachen durchschnitten. Auf jedem Planiglob stellt sich dann
der Äquator als eine aus 2 geraden Teilen bestehende gebrochene
Linie dar, deren nach Norden geöffneter stumpfer Winkel im
Falle flächentreuer perigonaler Abbildung etwas über 127° be-
trägt. Der ausfallende (oder durch doppelte Darstellung aus-
zufüllende) Sektor beträgt 105°. Für Afrika lässt sich, indem
man den Pol der Kalotte auf den Äquator in das Meer dicht
vor der Gabun-Mündung legt und die Unstetigkeitslinie nach
14
K. Zöppritz:
Westen gehen läset, eine den Kontinent völlig zusammenhängend
darstellende Karte entwerfen, die bezüglich der Verzerrungsver-
hältnisse weit über allen in unseren Atlanten und sonst üblichen
Darstellungen steht. Eine solche ist diesem Aufsätze anf Taf. I.
beigefügt; ihre nähere Besprechung folgt unten. Ebenso günstig
lässt sich Südamerika abbilden, wenn man den Pol auf dem süd-
lichen Wendekreise vor der Westküste annimmt. Je kleiner die
darzustellende Kalotte ist, um so flacher wird der Kegel, auf
welchen abgebildet wird, um so kleiner also der beim Auf-
schlitzen ausfallende Sektor.
Nachfolgende erste Tabelle von Tissot giebt für die zu-
sammenhängende Darstellung einer Halbkugel, unter Ausschluss
der konischen Projektionen, die Maximalwerte von 2 (0, (a) and 5,
die innerhalb des Planiglobs auftreten. Die ausgewählten Projek-
tionen sind die günstigeren Zenitalprojektionen, beginnend mit der
einzigen winkeltreuen unter ihnen und schliessend mit der einzigen
flächentreuen. Es kommen mehrere externe perspektivische Pro-
jektionen darunter vor, bei denen der Abstand D des Augpunktes
vom Kugel-Mittelpunkt in Teilen des Radius der Kugel angegeben ist.
Stereographische Projektion ....
Perspektive, D = 1,296
Airy's Projektion
Perspektive D= 1,361
Perspektive D = % n
Postel'8 äquidistante Zenitalprojektion
Perspektive D = 1,646
Nicolosi's Projektion
Perspektive D = 2
Lamberts fl&chentreue Zenitalprojektion
Maximalwerte
von
2a>
[ («)
S
0° 0'
2,000
4,000
14° 48'
1,772
2,242
14° 48*
1,693
2,213
17° 36'
1,735
2,211
25° 39'
1,637
lf706
25° 39'
1,571
1,571
28° 16'
1,646
1,570
82° 47'
1,787
1,571
38° 57'
2,000
1,125
38° 57'
2,000
1,000
Die externen perspektivischen Projektionen, welche samt-
lich aphylaktisch sind, finden sich hier namentlich deshalb auf-
genommen, um zu zeigen, dass man den Augpunkt immer so
wählen kann, dass entweder die Maximalwinkelverzerrung oder
die grosste Flächenänderung übereinstimmend wird mit derselben
Veränderung bei irgend einer der anderen Projektionen. Wenn
aber die Winkeländerung übereinstimmt, so wird die Flächen-
änderung eine andere und umgekehrt.
Zieht man die flächentreue perigonale Kegelprojektion noch
mit in betracht, so erhält man freilich keine Vollkreisfläche mehr
als Bild, sondern einen Sektor von 255° Öffnung, allein die
3 Hauptwerte der Verzerrung sind:
Die Wahl der Projektion für Atlanten und Handkarten.
15
2a>=l9°45' (a)= 1,414 S=l
also eine geringere Langen Verzerrung, als bei irgend einer der
vorher angegebenen Abbildungsarten, und dabei eine sebr massige
Winkelverzerrung.
Für die praktische Anwendung noch wichtiger ist die Ver-
gleichung der Darstellungsarten für beschränktere Gebiete, zu-
nächst für eine Engelkappe. Die nachfolgende zweite Tabelle
von Tissot bezieht sich auf 3 Kalotten von 25°, 40° und 50°
Halbmesser, welche eine praktische Wichtigkeit haben, weil in
einer 25 °- Kalotte ganz Europa enthalten ist, falls man den Mittel-
punkt in die Gegend von Plock in Polen verlegt; eine Kalotte
von 40° nmfasst sowohl Afrika, als auch Nordamerika, während
für Asien eine Kalotte von 50° Halbmesser nötig ist. Südamerika
ist in einer solchen von 33° enthalten. Da man diesen Konti-
nent, wie auch Afrika in aufgeschlitzter flächentreuer Kegelprojektion,
ohne Landflächen trennen zu müssen, darstellen kann, so sind in
nachfolgende Tabelle auch die Deformationselemente derjenigen
flächentreuen Kegelprojektionen aufgenommen, welche für die be-
treffenden Kalotten perigonal sind. Es muss allerdings bemerkt
werden, dass wegen der Notwendigkeit, den Mittelpunkt der Pro-
jektion ausserhalb des Küstenumrisses zu legen, vder Radius
etwas grosser, für Afrika «= 48°, für Südamerika = 87°, gewählt
werden muss. Ausser der stereographischen sind in die Tabelle
noch diejenigen perspektivischen Abbildungen aufgenommen, die
für die betreffenden Kalotten perimekoisch , bezw. perihalisch sind.
In der Tabelle bedeutet: St die stereographische Projektion,
K die für die betreffende Kalotte perigonale flächentreue Kegel-
projektion, Po Posteis mittabstandstreue Azimutalprojection, Pm die
für die betreffende Kalotte perimekoische Perspektive, La Lam-
berts flächentreue Zenitalprojektion , Pp die perihalische Per-
spektive.
Pro-
250-Bereich
40°-Bereich
50°-Bereich
jektion
2o>
W
S
2(0
W
S
2o>
W
S
8t
0° 0'
1,049
1,101
0° 0'
1,133
1,282
0° 0'
1,217
1,482
K
1°22'
1,024
1,000
3° 34'
1,066
1,000
5° 38'
1,103
1,000
Po
1°50'
1,032
1,032
40441
1,086
1,086
7° 27'
1,139
1,139
Pm
1°50'
1,033
1,033
4° 47'
1,087
1,087
7° 36'
1,142
1,142
La
2° 45'
1,049
1,000
7o 71
1,132
1,000
11°15'
1,217
1,000
PP
2° 46'
1,050
1,001
7° 14'
1,135
1,003
11°33'
1,224
1,008
Der Vergleich zeigt die grosse Superiorität der perigonalen
flächentreuen Kegelprojektion. Wo man sie nicht anwenden kann,
wird man unter den flächentreuen Abbildungen die Lambertsche
16
K. Zöppritz:
Zenitalprojektion *) wählen. Wenn es auf Flächentrene minder an-
kommt, empfiehlt sich Posteis Projektion durch geringe Winkel-
nnd Längenverzerr ung und verhältnismässig leichte Konstraktion.
Da die Kontinente keineswegs die Kalottenflächen ausfallen,
in welche sie sich einpassen lassen, und überhaupt kein Land eine
geometrisch regelmässige Umgrenzung hat, so kann man keines-
wegs sagen, dass die vorgenannten Projektionen die absolut besten
für die Kontinente seien. Vielmehr giebt es sicherlich Projek-
tionen, die .der Gestalt des Gebietes noch besser angepasst sind;
nur wird man häufig auf einfache Konstruktion, meist selbst auf
Symmetrie zu beiden Seiten eines Mittelmeridians verzichten
müssen. Unter den einfacheren Projektionen kommen zunächst
die gewohnlichen konischen Projektionen, auf mit der Erde
konaxiale Kegel, in betracht. Europa ist z. B. in der Zone
zwischen 35° und 75° nördl. Breite enthalten, welche man auf
einen konaxialen Kegel flächentreu und perigonal abbilden kann.
Es ergiebt sich dann 2o> = 3° 34', («) = 1,032. Die Abbildung
ist also von stärkerer Winkelverzerrung als die Lambertsche Zeni-
talprojektion für den 25° -Bereich, hat aber nur die geringere
maximale Längenänderung, die die Postel'sche bietet. Fragt man
nun aber, welche Resultate die Bonn e'sche, diese von den Kar-
tographen so ausschliesslich gepflegte Projektion giebt, so erhellen
sie aus folgender Tabelle:
Europa . .
Asien . . .
Afrika . . .
Nordamerika
Südamerika .
Maximalwerte i
ron
2
a>
(«) J
S
6°
23 '
1,118
1,000
26°
10'
1,585
1,000
12°
28'
1,244
1,000
22°
34'
1,487
1,000
8°
16'
1,155
1,000
Diese Tabelle enthält das Vernichtungsurteil der Bonne'schen
Projektion. Der Vergleich mit der vorigen Tabelle zeigt, dass
jede der dort aufgeführten, Projektionen, und insbesondere die
beiden ebenfalls flächentreuen, weit geringere Winkel- und Längen-
verzerrungen bieten als die Bonne'sche. Sehr in den Vorder-
grund tritt die Lambert' sehe flächentreue Zenitalprojektion, welche
für Darstellung der Kontinente jedenfalls sehr empfehlenswert ist.
Nur fehlte es bisher noch an Tabellen für die Auftragung der Netz-
punkte. Lambert hat solche für die Projektion auf einen Meri-
*) Von Breusing sehr zweckmässig Chordal-Projektion genannt,
weil der Mittabstand eines Punktes in der Karte proportional der Sehne
seines Zenitabstands vom Mittelpunkt auf der Erdoberfläche ist
Die Wahl der Projektion für Atlanten und Handkarten. 17
dian (gewöhnlich sogenannte Äquatorialprojektion) berechnet*),
die man auch bei Germain und bei Gretschel abgedruckt findet.
Hierzu hat Doergens die Berechnung derselben für den Horizont
von Berlin gefügt**), welche für die Karte von Europa passt.
Ich habe jetzt noch die Koordinaten der Netzpunkte für Asien
(Mittelpunkt auf 40° n. Br.) berechnet***), so dass für die Karten
von Afrika, Europa und Asien die Elemente zur Auftragung
wenigstens in 10°-Intervallen vorliegen.
Tissot giebt auch gewisse Fingerzeige, wie man durch ein
teilweise mechanisches Verfahren für bestimmte Ländergebiete noch
bessere Projektionsarten ausfindig machen kann, als die oben ge-
nannten, die für ganze Kalottenflächen die geringsten Deforma-
tionen geben. Da diese aber für Kontinente und Länderkomplexe
von ähnlicher Ausdehnung kaum je praktisch werden dürften, so
gehe ich hierauf nicht weiter ein.
Eine höchst wichtige Untersuchung hat aber Tissot der Dar-
stellung von Ländern gewidmet, die nur eine beschränkte Zahl
von Breite- und Längegraden einnehmen, wie z. B. Frankreich,
Spanien oder ähnliche. Er hat dabei die praktische Aufgabe ins
Auge gefasst, dass von einem solchen Lande eine sehr genaue
aus vielen Blättern bestehende, aber in ein Tableau zusammen-
fügbare Karte, also z. B. eine Generalstabskarte herzustellen sei.
Denkt man sich ein solches Gebiet von einem Mittelparallel und
einem Mittelmeridian durchzogen, so erhält man 4 Quadranten,
worin die Abstände irgend eines Punktes vom Mittelparallel und
vom Mittelmeridian in halb so grossen Grenzen bleiben, wie die
Ausdehnung des Gebietes nach Länge und Breite beträgt. Nehmen
wir mit Tissot Spanien als Beispiel, das sich zwischen 36° und
44° n. Br. und in einem Längenintervall von etwa 12° 40 ' er-
streckt, so können die bezeichneten Abstände höchstens 4° bezw.
6° 20' betragen. In Bogenmaass berechnet (worin der Vollkreis
»271=6,2832 ist und der Winkel, dessen Bogen = 1 ist,
*) Lambert, Beiträge zum Gebrauche der Mathematik. Berlin 1772,
Teil III. S. 175 ff. Germain (Tratte* des projections. Paris 1866. S. 378 u.
379), Gretschel (Lehrbuch der Kartenprojektion. Weimar 1873. 8. 236,
237, 246) und Doergens (s. u.) haben dieselben einschliesslich eines Fehlers
abgedruckt, den ich zu verbessern Gelegenheit nehme. In der Tabelle, welche
das Azimut v als Funktion der Länge X und Breite <j> giebt, mußs es für
A== 10° und 9 = 70° heissen: 3° 37 ' statt 4° 2'.
**) Doergens, Theorie und Praxis der geographischen Kartennetze,
I. (einz.) Teil, Berlin 1870, S. 40 u. 41. Hier sind nur von allen Azimuten
und Zenitdistanzen, die grösser als 90° sind, irrtümlich die Supplemente auf
180° angegeben.
***) Zöppritz, Leitfaden der Kartenentwurfslehre. Leipzig, bei Teubner,
1884, S. 68.
Zeitechr. d. G«ellseh. f. Erdk. Bd. XIX 2
lg K. Zöppritz:
im Gradmass 57° 18' besitzt), betragen diese Abstände s= l/l4
und bezw. t= 1ji9, sind also ziemlich kleine Bruche. Diesen Umstand
kann man nnn benutzen, um ganz ohne Rücksicht auf geometrische
Anschauung ein mathematisches Abhängigkeitsgesetz der Abbil-
dung vom Original aufzustellen, welches die Eigenschaft hat, die
Deformationen auf einen minimalen Wert zu beschränken.
Man kann sich einen Punkt der Karte der Lage nach durch
2 rechtwinklige Koordinaten bestimmt denken, deren Ursprang
der Schnittpunkt des Mittelmeridians mit dem Mittelparallel ist
und deren eine parallel der Richtung des Meridians im Mittel-
punkt ist. Die Werte dieser beiden Koordinaten müssen durch
das Abbildungsgefetz als Funktionen von Breiten- und Längen-
unterschied, d. h. von 8 und t bestimmt sein.
Da nun alle Funktionen für kleine Werte ihrer Veränder-
lichen durch eine nach Potenzen derselben fortschreitende Reihe
dargestellt werden können, und die höheren Potenzen eines Bruchs
wie '/14 °dcr !/18 rasch verschwindend klein werden, so kann
man x und y in Fällen wie der vorliegende stets durch eine
beschränkte Anzahl von Gliedern in s und t darstellen. Mit
Rücksicht auf die Lage des Koordinatensystems findet man fol-
gende Ausdrücke:
m = 8 +4^** + i*' — B**t + &/» + !<•
^ 2r0 '3 ~ ^ 3
y = -t + ?** + As2t — Bst* + ?/»,
r0 ~ 8 ~ ~ 3 '
worin l0 die Breite und r0 den Radius des Mittelparallels, r den
Radius des durch den betrachteten Punkt gehenden Parallelkreises
und A, 2?, C drei noch näher zu bestimmende Grossen bedeuten.
Tissot entwickelt nun eine sinnreiche graphisch-mechanische Me-
thode, um für irgend ein gegebenes Land diese 3 Grossen so zu
bestimmen, dass die Verzerrungen möglichst gering werden. Die
vorstehenden Formeln haben an sich schon die Eigenschaft, dass
die Winkelverzerrungen nur von derselben Grossenordnung sind,
wie die dritten Potenzen jener Brüche, die Längen Verzerrungen von
der Grossenordnung der zweiten Potenzen. Diese letzteren können
nun noch durch zweckmässige Verfügung über die Grossen A, B, C
ganz beträchtlich herabgemindert werden.
Welche ausgezeichneten Resultate mittels dieser Methode zu
erreichen sind, erläutert Tissot an der Generalstabskarte von
Frankreich, die nach der Bonne'schen Projektion entworfen und
auf den Mittelparallel von 45° bezogen ist. Für sie ist der
Maximalwert von 2a> = 18', die Längenänderung a = (a) — 1 = —-.
380
Die Wahl der Projektion für Atlanten und Handkarten. 19
Hatte man 46 ^° als Mittelparallel gewählt, so wäre nur
2« = 10^' und a = — - geworden. Tissot's Formeln mit den
650
Zahlen A = 0,806; B =■ 0,244; C = — 0,868; l0 = 46^°
geben dagegen eine Projektion, worin die grosste Winkelverzer-
rung 2 co = 25 Sekunden und« = beträgt, wobei der Pariser
Meridian den Mittelmeridian bildet.
Wenn das Land einigermaassen symmetrisch und gerundet ge-
staltet ist, so lassen sich die Ausdrucke für a und y erheblich
vereinfachen, ohne dass die Verzerrungen viel grosser werden;
sie lauten in diesem Falle:
und lassen eine sehr einfache geometrische Deutung zu. Die Pro-
jektion ißt nämlich eine Kegelprojektion mit geradlinigen, konver-
genten Meridianen und konzentrisch - kreisförmigen Parallelen.
Der Radius des Mittelparallels ist:
R = r°
0 sin l0
der Winkel zweier Meridiane, die in Wirklichkeit um m° ver-
schieden sind, ist:
M = m sin l0
und der Radius eines um den Bogen s vom Mittelparallel ent-
fernten Parallele:
s*
Diese Projektion, welche man mit vollem Recht als Tis so fache
Kegelprojektion bezeichnen kann, giebt z. B. für Spanien nur
4 Sekunden Maximalwinkeländerung und 0,00119 Längenver-
zerrung. Sie ist vorzuglich geeignet für Darstellung ganzer Zonen und
von Ländern, die wie z. B. das asiatische Russland sich zwischen
2 Parallelkreisen weithin ausbreiten. Die Zone zwischen 37 J^
und 52%° n. Br., welche das südliche Central-Europa um-
fasst, konnte mit einem Maximal winkelfehler von 1 ' 20 " und
einer Längenverzerrung von — - hiernach abgebildet werden, wäh-
280
rend die Bonne'sche Projektion 14° 40' und % giebt. Man konnte
ferner ganz Algerien einschliesslich Tunis und des grosste n Teils
2*
20 K* Zöppritz:
von Marokko mittels dieser Projektion darstellen, ohne dass die
Winkel um mehr als 8 ", die Langen um mehr als ver-
zerrt würden, während die Bonne'sche Projektion nur in Algerien
allein schon 11' und —— ergäbe. Auch für Deutschland, das
600
am genauesten durch eine unsymmetrische Projektion wiederzu-
geben wäre, liefert die eben besprochene eine recht gute Dar-
stellung.
Für die Abbildung eines Kugelzweiecks zwischen nicht
weit entlegenen Meridianen leisten die Formeln:
x = s-{- ^rm2 sin l
y = rm (1 + ^ «i2 cos 20,
wo l die Breite des Punktes bedeutet und m dieselbe Bedeutung
wie zuvor hat, ähnlich gute Dienste, wie die vorhergehende für
Zonen. Für ein Zweieck von 15° Breite sind die Maximalver-
zerrungen V 20" und -^7:9 während die Bonne'sche Projektion,
die für ein so gestaltetes Gebiet noch relativ günstig ist, doch
Verzerrungen von 7%° und %s ergiebt. Das Nilthal und damit
fast ganz Egypten einschliesslich des Sudan vom 9. bis zum 32.
Parallel kann danach in einer Ost- West-Erstreckung von 5 Länge-
graden mit Fehlern von höchstens 5 " und abgebildet werden,
während sich nach Bonne 25' und -— - ergeben.
Jedenfalls sieht man, dass auch für Länder von massigem
Umfang die Bonne'sche Projektion weit davon entfernt ist, Dar-
stellungen zu liefern, bei denen die Verzerrungen auf ein mög-
lichst kleines Maass reduziert sind. Freilich sind die neuen von
Tissot vorgeschlagenen Abbildungen nicht streng flächentreu.
Allein da die grossten Längen Veränderungen immer sehr klein
bleiben, so bleiben auch die Flächenveränderungen immer sehr
klein, denn sie können, wie leicht zu zeigen ist, höchstens dop-
pelt so gross werden wie die grosste Längenänderung. Nach unseren
Grundbezeichnungen ist S == ab die Flächenänderung an irgend einer
Stelle der Karte, wo der im Original den Halbmesser = 1 besitzende
kleine Kreis als Ellipse von den Axen a und b abgebildet wird.
Setzt man a=l=ba, 6= l±/9, so sind a und ß die sehr
kleinen Veränderungen, die der Halbmesser 1 erlitten hat. Es
wird also:
S = a6=ldbadb/y
Die Wahl der Projektion für Atlanten und Handkarten. 21
indem das Produkt der beiden kleinen Brache a ß als verschwin-
dend klein weggelassen werden kann. Die grösste Abweichung
dieses Wertes von 8 von der Einheit tritt dann ein, wenn a und ß
von gleichem Vorzeichen Bind und beide den grosstmogliche n Wert
der Längenverändernng erreichen, der oben schon mit (a) be-
zeichnet worden ist; dann wird nämlich
8 =* 1 ± 2 (a).
Die grosstmogliche Flächenänderung ist also doppelt so gross
wie die grosstmogliche Längen an derung. Ist letztere nicht grosser
als 0,001, so ist die Abweichung der Projektion von der Flächen-
treue mittels des Planimeters gar nicht mehr nachzuweisen, denn
dieses Instrument arbeitet in geübten Händen nur auf etwa
\ Prozent oder 0,0025 genau. Überdies ist nicht zu vergessen,
dass die Maximalverzerrung nur in ganz beschränkten Teilen des
Eartenblattes, etwa am Rand oder in den Ecken vorkommen
kann. Die Abweichung der Tissot'schen Projektionen von der
Flächentreue ist deshalb, wenn sie nicht auf allzugrosse Gebiete an-
gewandt werden, stets sehr unbedeutend. Für einzelne Länder
von massiger Ausdehnung sind diese Projektionen unbedingt die
empfehlenswertesten. Lässt man die im allgemeinen unsymme-
trische erste derselben ausser betracht, so bleibt die leicht zu ver-
zeichnende konische Projektion (Formeln 8. 19) für Gebiete, die
vorzugsweise in Parallelkreisrichtung gestreckt sind, und die folgende
Projektion für meridional sich erstreckende Länder als ausschliess-
lich empfehlenswert übrig.
Für grossere Teile der Erdoberfläche wie Kontinente u. s. w.
sind diese Projektionen ungeeignet. Es sei zum Schlüsse hier
noch einmal wiederholt, dass es bei solchen Gebieten vor Allem
auf Flächentreue ankommt und dass, falls man geschlitzte Ab-
bildungen aus8chlie88t, nur 2 Projektionen gute Resultate geben:
1) Lambert 's flächentreue Azimutalprojektion und 2) die perigonale
flächentreue Kegelprojektion auf einen zur Erde konaxialen Kegel.
Letztere ist namentlich empfehlenswert für Gebiete, die nach Sud-
westen und Südosten von geringer Erstreckung sind, wie z. B.
Nord-Amerika*). — Die Bonne'sche Projektion giebt dagegen
*) Die bekanntere Lambert'sche flächentreue Kegelprojektion steht
hinter der perigonalen nur wenig zurück. Für sie habe ich in meinem
„Leitfaden der Kartenentwurfslehre" die Elemente zu den Netzen von
Kordamerika und von Südamerika angegeben. Ebenso ist darin die Lam-
bert'sche Zenitalprojektion besonders berücksichtigt worden (vgl. oben die
Anm. auf 8. 17). Diese letztere ist im Allgemeinen, wie auch für Asien
speziell, von Coatpont angelegentlichst empfohlen worden (Bull, de la soc.
de geogr. de Paris. 6"»« se>. T. 13. p. 151 u. T. 16. p. 5); sein Vorschlag,
dieselbe ans dem stereographischen Bild zu konstruieren, wird aber prak-
tisch wohl kaum ausgeführt werden.
22
K. Zöppritz:
äusserst ungünstige Deformationsverhältnisse und ist durchaus ver-
werflich.
Bemerkungen über die Konstruktion der beigegebenen
Karte von Afrika.
Diese Karte ist in flächentreuer perigonaler Projektion auf
einen Kegel ausgeführt, dessen Spitze und Schlitz nach den S. 13
angegebenen Gesichtspunkten gewählt sind. Zur Verzeichnung sind
zunächst die zenitalen Koordinaten aller Oradnetzpunkte (hier von
10 zu 10°) erforderlich, die man aus der oben*) schon erwähnten,
von Lambert berechneten Tafel entnehmen kann. Ist ö der Zenit-
abstand des Kartenrandes, so ist jedes Azimut v der Kugel mit cos x£ ö
zu multiplizieren, um das Azimut z in der Karte zu erhalten; ferner
ist jeder (für den Kugelradius a= \ berechnete) Lambert9 sehe
Tabellenwert des Mittabstandes r in der flächentreuen Azimutal-
projektion noch mit dem im gewählten Massstab p verkleinerten
Erdradius R zu multiplizieren und durch ycos^d zu dividieren,
um den Polabstand Q in der vorliegenden Projektion zu ergeben ;
Demnach wird
z = v cos % o Q = r.
In der vorliegenden Karte ist <?<
Vcos^d
40 000 00O*
R= 6 370 000m. Die Logarithmen der Faktoren» womit die
Tabellenwerte von v und r zu multiplizieren sind, ergeben sich
zu 1,98434 bezw. 2,21774 (letzteres in Millimetern berechnet).
Hieraus lässt sich folgende kleine Tabelle aufstellen, worin unter
„ Länge a der Längenunterschied gegen den Kartenmittelpunkt
verstanden ist:
Breite
Länge
0°
10°
20°
30°
40°
40°
0
10° 53'
20° 39'
112,9
115,7
123,6
30°
0
15° 34'
28° 311
38° 1'
85,45
89,56
100,7
116,6
20°
{;=
0
23° 43'
40° 18'
50« 12'
56°17'
57,83
63,75
79,84
100,7
123,6
10°
{;=
0
41° 28'
58° 22'
65° 40'
69« 29'
28,80
40,55
63,75
89,56
115,7
0°
{;=
0
83° 44'
83° 44'
83° 44'
83° 44'
0
28,80
57,33
85,45
112,9
*) S. erste Anm. auf S. 17.
Die Wahl der Projektion *für Atlanten und Handkarten. 23
Man siebt also, dass die beiden nach links nnd rechts von
der Mitte laufenden Zweige des Äquators Winkel von 83° 44'
mit dem Mittelmeridian bilden, sodass nach dem Aufschlitzen nnd
Aasbreiten des Kegelmantels ein Sektor von 4.(90 — 83° 44')
= 25° 4' unausgefüllt bleibt. In unserer Karte ist die Kegelspitze
auf 9° öetl. L. v. Gr. vor die Gabunmündung verlegt worden.
Dieser Meridian ist punktiert eingetragen , * seine beiden Teile
bilden einen Winkel von 2 . 83° 44'= 167° 28' miteinander.
Ausgezogen sind die Meridiane 0 10 20 30 40 westl. u. ostl.
Länge und jeder 10. Parallelkreis. Die Karte ist so gestellt,
dass die Halbierungslinie des leeren Sektors, welche die Verlän-
gerung der rechten Hälfte des Äquators bildet, horizontal steht.
Dieser Sektor ist in seinem Hauptraum zur Aufnahme des Titels
benutzt, im zentralen Teile der Karte ist aber die Zeichnung
beiderseits in den Sektor fortgesetzt, sodass die Insel S. Thorne*
zweimal erscheint. Zwischen ihren beiden Bildern geht die den
Sektor halbierende punktierte Unstetigkeitslinie hindurch. Die
linke Hälfte des Äquators, längs welcher der Kegel aufgeschlitzt
wurde., ist naturlich zweimal vorhanden; die beiden Zweige begrenzen
den eigentlich ausfallenden Sektor. Die Unstetigkeit in dessen Hal-
bierungslinie giebt sich durch das winklige Aufeinandertreffen der
Meridiane kund.
Der Kontinent selbst wird durch diese Projektion in der
geringstmöglichen Verzerrung abgebildet. Die grosste vorkom-
mende Winkeländerung beträgt nur etwa 4^°, die grosste Längen-
verzerrung noch nicht 8 Prozent. Die Meridiane sind Kurven
höherer Ordnung. Der erste ausgezogene Meridian rechts von
der Mitte sieht einer flachen Hyperbel sehr ähnlich, die nächsten
haben eine S-förmige Krümmung; sie wenden dem Zentrum einen
Scheitel zu, um dann nach Norden und Süden konkav zu werden.
Erst die entfernteren Meridiane werden rein konkav gegen die
Mitte. Die Parallelkreisbilder sind dagegen sämtlich konvex
gegen die Mitte. — Eine Abweichung von allen sonstigen Dar-
stellungen Afrika1 s springt sofort in die Augen. Es ist die
flachere Öffnung des Busens von Guinea, die Gestrecktheit des
ganzen Kontinents von Nordwest nach Sudost. Diese rührt nicht
von der Eigentümlichkeit der Abbildung auf den Kegelmantel her,
sondern von der Ausbreitung dieses letzteren in die Ebene. Das
Analoge findet bei allen Kegelabbildungen statt. Auf jedem zur
Erde konaxialen Kegel z. B. werden bei der Ausbreitung die
Parallelkreise gestreckt, sie gehen in Kreise von grosserem Radius
über; die beiden Enden des Bogenstücks eines solchen entfernen
sich also von einander. Die inneren Deformationsverhältnisse
werden dabei nicht geändert. Um den richtigen Gesamteindruck
24 H. Polakowsky:
des Gebietes zu erhalten, musste man eigentlich die Karte wieder
schlitzen und zum Kegel zusammenbiegen. — Diese Thatsache
setzt einen Vorteil in helleres Licht, den die Abbildungen unmittel-
bar auf die Ebene vor den auf abwickelbare Flächen voraus haben,
den diese aber durch im allgemeinen ungunstigere innere Defor-
mationsverhältnisse erkaufen.
IL
Die erste Eroberung von Costa Rica durch die Spanier
in den Jahren 1562-1564.
Nach amtliehen Berichten des Adelantado und General-Kapitäns
von Costa Rica, Juan Vazquez de Coronado, an den König von Spanien
und anderen Dokumenten.
Von H. Polakowsky.
Die Geschichte der Entdeckung und Eroberung des Isthmus
von Amerika zeigte bisher grosse Lucken. Was speziell Costa
Rica betrifft, so wurden die sehr unvollkommenen Angaben über die
ersten Einfälle der Spanier, welche Herrera, Oviedo, Juarros u. A.
geben, in neuester Zeit nur spärlich erweitert durch die Schriften
des Guatemaltecers Felipe Molina, Gesandten für Costa Rica in
Paris, und durch die Arbeiten des Herrn v. Frantzius. Molina
publicierte in seinem Buche über die Grenzstreitigkeiten mit Co-
lumbien*), welches Buch ich (1875) in Costa Rica gelesen, auf
den hiesigen Bibliotheken aber vergebens gesucht habe, einige
interessante Dokumente aus den Archiven von Indien. Erst vor
wenigen Monaten fand ich ein Exemplar dieser interessanten Schrift
wieder unter dem Nachlasse des Hr. Prof. v. Frantzius, der mir
von der Ges. f. Erdk. zur Bearbeitung überlassen worden ist. Sein
anderes Werk, das s. Z. mit Recht gerühmte Bosquejo de Costa
Rica (Nueva York, 1851) ist leider in Deutschland und Frankreich
sehr oft bei Publikationen über Costa Rica mehr als wünschens-
wert bis in die neueste Zeit benutzt, resp. einfach abgeschrieben
worden. — F. Molina kopiert selbst kritiklos den Juarros, der
noch bis in die neueste Zeit von hispano-amerikanischen Schrift-
stellern als grosse Autorität für die Geschichte Mittel- Am erika's
*) F. Molina, Costa Rica y Nuera Granada, cuestion de limites. Wash-
ington 1852. Engl. Ausg. 1853.
Die erste Eroberung von Costa Rica durch die Spanier 1562 — 1564. 25
betrachtet und einfach abgeschrieben wird. (s. z. B. Levy, Nica-
ragua.) Das Buch des Jnarros (Comp, de la histor. j geograf.
del reino de Guatemala. Guatemala, 1808 y 18) ist in fast allen
auf Costa Rica bezüglichen Teilen resp. Angaben gänzlich unrichtig.
So fahrt Jnarros (Tom. II Cap. 15) einen Bericht des Jose de Mies
y Ceballos an den Ingenieur L. Diez Navarro ans dem J. 1744 ohne
berichtigende oder tadelnde Bemerkung an und schildert danach
Costa Rica. Dieser Bericht ist ein Konglomerat von Fabeln und
Tborheiten. Es wird darin gesagt, dass Ceballos versichere, in den
Archiven von Cartago (de C. R.) Schriften gefunden zu haben,
deren Datum aus dem J. 1522 wäre, und Jnarros macht hier die
Bemerkung: dies beweise, dass die Städte Costa Rica's die ältesten
dea Königreiches (Guatemala) seien.
Weiter schreibt Jnarros: „Man sagt (se dice), dass die ersten
Eroberer Costa Rica's Juan Solano und Alvaro de A curia gewesen
seien und dass George de Alvarado, der Bruder des Pedro Al-
varado, des Eroberers von Guatemala, die Gebiete von Turrialba
und Suerre erobert habe und ihm und seinen Nachkommen die
Einnahmen aus dem Gebiete von Turrialba zugeschrieben seien.
Durch Konigl. Dekret, welches imArchive von Sevilla aufbewahrt,
sei festgestellt, dass Diego de Artieda y Chirinos der erste Gou-
verneur und General-Kapitän von Costa Rica war*). — In der
*) Faktisch datiert die Kapitulation zwischen Philipp II. und dem D. de
Artieda vom 1. Dezember 1573 (del Pardo). Sie ist interessant, weil sie die
Grenzen Costa Rica's genau fixiert. Es wird darin gesagt: Zuerst geben Wir
euch Erlaubnis nnd Vollmacht, um zu entdecken, zu bevölkern und zu unter-
werfen die genannte Provinz von Costa Rica und die anderen Gebiete nnd
Provinzen, welche sich innerhalb derselben befinden, d. h. zwischen dem Nord-
und Süd-Meere in der Breite nnd in der L&nge von den Grenzen Nicojas nach
Nicaragua zu bis zu den Thalern von Chiriqui an der Provinz Veragua im
Süden und im Norden von den Mündungen des Desaguadero (heut Rio San
Juan) nach Nicaragua zu das ganze Gebiet bis zur Provinz Veragua. — Dass
der Desaguadero mit zu Costa Rica gehörte, wurde schon im Patente des Lieut.
Cavallon (1561) gesagt. Es heisst darin: seine (C.s) Jurisdiction reiche vom
Süd- bis sum Nordmeere bis zum Desaguadero inclusive, (y desde el mar del
Sne hasta la del Norte, hasta el Desaguadero inclusive.) — 8. Manuel M» de
Peralu, £1 Rio San Juan de Nicaragua. Madrid y Paris, 1882. — Was den
J. Solano und A. de Acufta betrifft, die zuerst — also doch vor 1522 — in
Costa Rica eingedrungen seien , und Cartago im genannten Jahre nach Jnarros
begründet haben sollen — so existierte Cartago damals noch nicht, der Fuss
keines Spaniers hatte die Mesa de Cartago betreten, die beiden genannten Spanier
waren überhaupt noch nicht geboren und werden als in Costa Rica an-
wesend erst 1579 unter einem ziemlich wertlosen Dokumente angeführt (Peralta,
1. c. 593 finden sich die Namen). Was die fabelhafte Geschichte vom Zuge
George AIvarado*s nach Costa Rica und bis nach Turrialba betrifft, die leider
auch Molina von Jnarros abschreibt, so ist kein Wort an derselben wahr;
George Alvarado hat Costa Rica nie gesehen oder betreten. Peralta schreibt
nur hierüber (aus S. Sebastiano d'EspaBa vom 3. Juli 1883): „Es absurdo prc-
26 H. Polakowsky:
fabelhaften Ersählang der ersten Beschulung des R. San Juan, in
der geschichtlichen Einleitung zu seinem Bache aber Nicaragua,
beruft sich P. Levy speziell auf Jaarros. Danach soll der Desa-
guadero seiner ganzen Länge nach 1529 auf Befehl des Pedr.
Davila vom Kapitän Machuca befahren sein, er soll nur eine
Stromschnelle gefanden haben, mit demselben Schiffe nach Nombre
de Dios gelangt sein etc. Wie die Sachen faktisch lagen, werde
ich später zeigen.
Seit ca. drei Jahren bestrebt sich Costa Rica eifrigst das
Dunkel über seine alte Geschichte zu klären. Zunächst sind es
die keiner Republik des spanischen Amerika fehlenden Grenz-
streitigkeiten, welche den Gesandten Costa Rica's in Madrid (früher
in London, Washington und Paris), Hrn. Manuel Maria de Peralta,
bestimmt haben, die spanischen Archive and Bibliotheken, sowie
die Bibliotheken in London and Paris nach Dokumenten zu durch-
suchen, welche Wert für die Geschichte seines Vaterlandes haben.
Als Fracht dieser Stadien erschien Ende 1882 die schon zitierte
kleine Schrift aber den Rio San Juan and im Februar 1884 der
erste Band (Siglo XVI) eines grossen, aberaas wertvollen Werkes:
Costa Rica, Nicaragua j Panama, su historia y sus limites. (Madrid
y Paris. Jose* d. Ferrer, Rue de Rennes. Madrid, M. Murillo.)
Zugleich publiziert seit drei Jahren der Licent. D. Leon Fernandes,
ein Verwandter des jetzigen Präsidenten der Republik, des Generals
D. Prosp. Fernandez, in Spezial-Beilagen zur „Gacetta ofic.tf. welche
als „Colecc. de Document. para la historia de Costa Rica" gesammelt
werden und von denen jetzt der IV. Teil erscheint, alle ihm erreich-
baren alten Dokumente aus den Archiven von Cartago, Guatemala
etc. Auch eine Übersetzung von W. Gabb: On the indian tribes and
languages of Costa Rica (Philadelphia, 1875) mit sehr wertvollen
Anmerkungen hat Hr. L. Fernandez ediert. — Auch der Bischof
von Costa Rica, ein Deutscher, Bernhard August Thiel, beteiligt
tender que George de Alvarado penetrase hasta Turrialba, cuando nunca eetuvö*
en Costa Rica, ni se la hnbiera permetido Pedrarias Davila." Die erste von den
Spaniern in Costa Rica begründete Stadt war Broselas (1524) und die zweite
Badajoz (1540). In diesem Jahre wurde Juan Solano in Trujillo (Kstramadura)
geboren, im März 1560 kam er nach Amerika. — Die Fabel von dem 1522
gegründeten Cartago ist aber nach den angeführten Quellen immer wieder auf-
getischt worden und durch verschiedene sogenannte Konversations-Lexica kon-
serviert worden. Meyers Konversations-Lexikon (III. Aufl., 4. Bd.) laset Cartago
im Artikel „Costa Ricaa zwischen 1514 und 1516 gegründet sein, beim Artikel
„Cartago" selbst wird als Jahr der Gründang 1522 angegeben! — Diese Zahl
1522 spielte überhaupt im bisherigen Wissen über Costa Rica ganz unmotivierter
Weise eine grosse Rolle. Schreibt doch selbst Daniel in seinem vorzüglichen
Handbuche der Geographie (S. 703): „Costa Rica „reiche Küste" (weil die
1522 landenden Spanier von den Eingeborenen mit Gold und Silber beschenkt
wurden). u Oder meint Daniel vielleicht den Zug Davila's?
Die erste Eroberung von Costa Bica durch die Spanier 1562—1564. 27
sich mit grossem Eifer und glücklichem Erfolge an der wissen-
schaftlichen Durchforschung Costa Rica's. Er veröffentlicht die
Vocabularien der heidnischen unabhängigen Indianerstamme von
Costa Rica (Talamasscas 6 Biceitas, Terraba y Boruca, Guatusos),
und ich verdanke Sr. Emin. ausser diesen einige sehr interessante
Medicinal-Pflanzen von Costa Rica.
Durch diese Publikationen, deren Einsicht mir durch die Oute
des Hrn. Peralta zum grossten Teil vor ihrem Erscheinen ermöglicht
wurde, ändert sich die Situation, unsere Kenntnis der Geschichte
des amerikanischen Isthmus betreffend, bedeutend und wird es erst
möglich, eine Geschichte der Provinzen Nicaragua, Costa Rica und
Veragua zu schreiben. — Aus den reichen, von Peralta auf-
gefundenen und zusammengetragenen Schätzen will ich hier einige
Dokumente über die Thaten des ersten wahren Eroberers des
ganzen' Gebietes des heutigen Costa Rica, des Juan Vazquez de Co-
ronado, veröffentlichen. Dieselben sind meist von ihm selbst ge-
schrieben und an den Konig von Spanien gerichtet. Wie wenig
diese Thaten bekannt, geht daraus hervor, dass weder bei Juarros,
noch bei Molina und ihren zahllosen Abschreibern der Name des
J. Vazquez de Coronado überhaupt vorkommt. — Ich schicke den
Dokumenten zum besseren Verständnisse und zur Berichtigung resp.
Ergänzung der bisherigen Angaben über die Entdeckung von Costa
Rica, eine kurze Übersicht der Geschichte des Landes seit dem
Besuche des Colon, so wie sich dieselbe jetzt darstellt, voraus.
Was den Namen des Landes betrifft, so nimmt man heut
ziemlich allgemein (nach Juarros) an, dass derselbe mehr ironischer
Weise gegeben worden ist. Auch Herr v. Frantzius kommt in
seiner vorzuglichen Arbeit über die wahre Lage der in Costa Rica
vergebens gesuchten Minen von Tisingal und Estrella (Zeitschr.
d. Ges. f. Erdk. 1869. IV. S. 1 f.), in welcher alles über Tisingal
gesagte unbedingt richtig ist, zu dem falschen Schlüsse, dass die
„Reiche Küste" ein armes, speziell goldarmes Land gewesen sei.
Dutzende von Berichten, die das direkte Gegenteil beweisen, fuhren
jetzt Peralta und Fernandez vor. Ich kann hier nicht näher auf
die Lage der alten Goldminen eingehen und will nur einige Worte
über die Entstehung des Namens „Reiche Koste" sagen. —
v. Frantzius- sagt (1. c. S. 28), dass es ein Irrtum des F. Molina
sei, zu behaupten, Columbus habe das Land „ Costa Rica" genannt.
Er erzählt weiter, dass Diego Gutierrez 1541 bei strenger Strafe
den Namen Nueva Cartago verboten habe und dafür sein Gou-
vernement als Costa Rica bezeichnet wissen wollte. Offiziell komme
der Name Costa Rica erst in einem Schreiben vom J. 1561 vor,
in welchem die Krone dem Juan de Estrada Ravago Schutz ver-
spricht. Auch in dem 1574 für Artieda ausgeschriebenen „Besitztitel*
28 H. Polakowsky:
werde die Provinz Nueva Cartago y Costarica genannt So
v. Frantzius. — Aber ans den Dokumenten, die Peralta veröffent-
licht, geht hervor, daas schon 1539 der Dr. Robles und Hern an
Sanchez de Badajoz sich dieses Namens Costa Rica bedienten.
Schon zwei Mitglieder der Expedition des Martin Estete zum
Desaguadero sprechen in ihren Berichten an Pedrarias (1529)
davon, dass sie bis zu einer Suerre genanten Provinz gekommen,
welche am genannten Desaguadero und im sogenannten Costa Rica
liege. Die Bezeichnung „tierra del Desaguadero & Costa Rica"
kommt schon in anderen Dokumenten vor 1529 vor (Peralta).
Man muss also der Ansicht des Molina und Peralta, dass die
Küste vom Kap Cornaron (resp. Gracias ä Dios) bis zur Laguna
de Zorobaro (heut Chiriqui Lag.) schon seit der Zeit des Colon die
volkstumliche Bezeichnung: „Costa Rica" trug, ihre Berechtigung
anerkennen.
Zuerst betrat bekanntlich Colon selbst auf seiner vierten Reise
die Nordküste Costa Rica' 8 an der heutigen Chiriqui Laguna*).
(s. Herrera, Navarrete u. A.) Die Karten über die vierte Reise
des Colon sind leider verloren gegangen (Kohl, die beiden ältesten
Karten von Amerika). Auf dem Rückwege von Porto Belo landete
Colon bei einem Flusse, den er Rio Belen nannte. Ein R. Veragua
(viejo) befand sich in der Nähe, der Name rührt von den Ein-
geborenen her (Herrera). Ihn untersuchte Colon, hier glaubte er
die grossen Reichtümer Yeraguas gefunden zu haben* Von Belen**)
sagt Herrera: und dies war die erste Ortschaft, welche die Spanier
auf dem Festlande gründeten, aber sie bestand nur kurze Zeit.
Es folgt Diego de Nicuesa, 1508 — 1513. Von den traurigen
Erlebnissen dieses ersten Gouverneurs des heutigen Costa Rica
erzählt uns Oviedo (Tom. II. S. 468 f.). Er taufte die heutige
Insel Escado de veragua, also wegen ihrer schildförmigen Gestalt ge-
nannt. Die Ortschaft Pueblo Belen am R. Belen in Veragua, die sein
Lieutenant Lope de Olano zum zweiten Male begründet hatte, hob
Nicuesa auf und schickte den Gouv. de Saya aus, um einen Platz
*) Auf den ältesten Karten sind die Inseln der Chiriqui-Lagtma als Yalaa
de cerebaro, auch Zerabora oder Carabaro bezeichnet. Hier landete Colon (noch
Hernando Colon, Sohn des Crist. Colon, der die vierte Reise seines Vaters mit-
machte und die Vida del Almirante, Venedig 1571, heransgeg. von Alf. üllovo,
schrieb), am 7. Oktober 1502. (Herrera, Dec. I, Libr. V cap. 7.)
**) Auf der von Kohl publicierten Karte aus dem J. 1529 findet sich
das Wort bele, was als Bio Yebra oder Belen erklart wird. Dieser Fluss und
Ort Belen liegt entschieden ausserhalb des Gebietes von Costa Rica. Ich will
deshalb auf die verschiedene Lage desselben auf den verschiedenen Karten nicht
eingehen, sondern führe hier nur an, dass Man. Ponce de Leon und Man. M>
Paz auf ihrer Karte des Staates Panama (Bogota, 1864) eine Ortschaft Belen
am R. Palmar ostlich von B. Belen, in dessen Nähe der R. Veragua (viejo)
gezeichnet ist, anführen.
Die erste Eroberung von Costa Rica durch die Spanier 1562—1564. 29
für die Ansiedelang an der Kaste za suchen. Er entschied sich
für Nombre de Dios. Herrera (Dec. I, Lib. VII cap. 7) erzählt von
der Ernennung des Nicuesa. Sein Gebiet, genannt Castilla del
Oro, reichte vom golfo de Uraba bis zum Kap Oracias a Dios.
Die weiteren Thaten und Erlebnisse dieses ersten spanischen Be-
herrschers unseres Landes schildert Herrera a. a. O. in den Kap.
11 und 16 und im Lib. VIII cap. 1, welches handelt: Von den
Muhsalen, Hunger und Verdruss, welche die Spanier in Veragua
erduldeten und wie sich Nicuesa und Lope de Olano vereinigten
und zuletzt Nombre de Dios gründeten und bevölkerten *).
Nicuesa, der bald darauf (1513) von seinen Leuten mit wenigen
Begleitern in einer elenden Barke ausgesetzt wurde und auf
dem Meere umkam, hat also das Gebiet von Costa Rica nur
flüchtig betreten. Auch Gomara (Franc. Lop. de G., Histor. de
las Indias, Cap. LVI) erzählt vom verunglückten Zuge des Nicuesa
und sagt, dass Lope de Olano begonnen habe, am B. Veragua
(viejo), also in der Nahe des alten Belen des Colon, eine Ort-
schaft zu erbauen.
Die Westküste von Costa Rica befuhren zuerst (1516 — 19)
Espinosa und Castaneda. (S. Herrera, Dec. II, Lib. III cap. 10;
Oviedo lib. XXIX cap. 18 u. 14, Pasc, de Audagoya, Narrat. of
the Proceed. of Pedrar. Davila, Hakluyt Soc.) Sie entdeckten
den Golfo de Osa (heut Golfo dulce) und den Golfo de San Vi-
cente (Karte v. 152.7), den heutigen Golf von Nicoya, den er Golf
von St. Luzar oder San Lasaro**) nannte. Nach Gomara (1. c.
Cap. CXCIX) wurde diese schone Bucht auch Golfo de Ortina
und Golfo de GuStares, nach den Indiern, die an seiner Ostseite
wohnten, genannt. Auf diesen Reisen und der folgenden (1522)
des Gil Gonzalez de Avila (oder Davila) wurden noch entdeckt
und benannt: die Islas de S. Maria (heut Los Ladrones, westlich
von Pta. Burica), die Punta de San Andres (westliche Spitze des
Golfo dulce, heut Punta Llorena genannt) und die in der Nahe
gelegene Isla del cano, die noch* heut denselben Namen tragt.
Das Cabo de Santa Maria des Oviedo ist das heutige Cabo Matapalo.
Von der Gegend an der Punta burica (oder borica oder Punta de
borica) der ältesten Karten sagt Andagoya, dass das Land sehr
*) Die eingehendste und beste Schilderung der furchtbaren Erlebnisse des
Diego de Nicuesa findet sich bei Wash. Irving. (The life and ▼oyages of
Christopher Columbus and those of his companions. Philadelphia. 1872.)
L. Fernande« hat dieselbe im I. Bande seiner „Documentos" (p. 57 — 77 in
der Anmerk.) übersetzt.
**) Auf einigen Karten (z. B. b. Herrera) findet sich auch der Name bahia
de salinas, wohl zu unterscheiden von der heutigen unter 11° nördlicher Breite
au der Westküste zwischen Nicaragua und Costa Rica gegegenen Salinas-Bai.
Auch der Name Golfo Dosa kommt für die Bucht Ton Nicoya vor.
30 H. Polakowsky:
frachtbar und reich an Fischen und Schweinen sei, die in grossen
Netzen, nequen genannt, gefangen würden. —
Gil Gonzales landete nordostlich von Burica und marschierte
gen Norden, Nino setzte die Fahrt an der Küste fort und um-
schiffte zuerst das heutige Cabo Blanco, auf den ältesten Karten
C. dellfarallon blanco genannt (Kohl). Die P. de S. Lazaro ist
die heutige P. Herradura.
Der erste, der Costa Rica zu erobern versuchte, war Pedrarias
Davila. Er sandte den Franzisco Hernandez de Gordova ab,
welcher 1524 die Stadt Bruselas*) gründete. Hernandez ging
bald nach Panama und liess Bruselas unter dem Befehle des
Ruy Dias und des Kapitäns Andres Garavito. Aber schon Ende
1525 nahm Fr. Hernandez, der sich empört hatte, alle Leute aus
Bruselas fort, um dieselben gegen Pedrarias zu fuhren. Garavito
weigerte sich, den Rebellen zu folgen und wurde deshalb von
Hernandez gefangen gesetzt. Verschiedene andere Offiziere (dar-
unter Hernando de Soto) eilten nach Panama und teilten dem
Pedrarias die Thaten seines Majors Hernandez mit. Obgleich
krank, brach er sofort mit grosser Macht nach Nicoya auf (Januar
1526) und landete auf der Insel Ghira im Golfe von Nicoya.
Über die Besitznahme dieser Insel (am 16. März 1526) publiciert
Peralta ein langes Dokument**), dessen Original sich im Archivo
de Indias findet (Justicia — Autos fiscales. — Residencia de
Pedrarias Davila. — Ano de 1527). Hernandez de C. wurde
auf der plaza von Leon de Nie. Mitte 1526 enthauptet. — Zur
Neubesiedelung von Bruselas schickte derselbe Pedrarias 1526
den Gonzalo de Badajoz ab***) ab. 1529 Hess Pedrarias den
Desaguadero durch Estete untersuchen. Die Expedition, an der
sich Hernan Sanchez de Badajoz beteiligte, erschloss nicht den
ganzen San Juan. Fr. Hernandez de C. umschiffte den ganzen
Nicaragua-See zuerst auf einer Brigantine, die er am Ufer des
Sees bauen liess, und schickte den Kapitän Ruy Diaz zur Unter-
suchung abf). Er entdeckte den Desaguadero (1525), passierte
*) Bruselas lag am Qolfo de Nicoya, damals auch golfo dubdoso genannt,
in der Nahe des heutigen Puntarenas. (Peralta) Bericht des Pedrarias vom
10. Februar 1527 bei Peralta, Costa Rica Nicaragua y Panama: S. 715. — Nach
L. Fernandez (Doc. para la Hist. de Costa Rica III. Prologo) lag Bruselas
auf der Halbinsel Nicoya; diese Ansicht scheint mir die richtige zu sein.
**) Peralta, Costa Rica, Nicaragua y Panama S. 707—714.
***) Bruselas wurde 1527 durch Diego Lopez de Salcedo zerstört. —
Zwischen dem Gouverneur von Tierra- Firme 6 Castilla del Oro, Pedro Bios, und
dem Gouverneur von Nicaragua, Pedrarias de Avila (oder Davila), entstand
Streit wegen der Zugehörigkeit der Stadt Bruselas. Carl V. entschied durch
Dekret aus Toledo (vom 21. April 1529), dass dieselbe zu Nicaragua gehöre.
(Peralta.)
t) S. Herrera Dec. III, Lib V oap. 12. — Gil Gonzalez de Avila, der
Die erste Eroberung toxi Costa Rica durch die Spanier 1562—1564. 31
aber nicht Sbftr die ersten Stromschnellen hinaus. Hernandez,
hierdurch ermutigt, schickte bald darauf eine zweite Expedition
unter Hernando de Soto ab, um zu erfahren, ob der Desaguadero
nach dem Meere führe. Soto kam nur bis Voto, einem Indianer-
dorfe am rechten Ufer etwas aufwärts vom Raudal del Toro oder
de los Sabalos. — Denselben ungunstigen Erfolg hatte, wie schon
gesagt, Estete (1529). Vorher schon hatte Diego Lopez de Sal-
cedo den Gabriel Rojas mit der Untersuchung betraut, die Ex-
pedition wurde aber nicht angetreten. Estete landete auf seinem
denkwürdigen Zage (1529) bei Voto, marschierte am rechten Ufer
des Stromes weiter und erreichte die Provinz Suerre am Nord-
Meere. Auf diesem Zuge widerstanden besonders die Offiziere
Gabr. Rojas, Diego Gastaneda, Perez de Guzmann und Hernan
Sanchez de Badajoz tapfer den nachfolgenden Indianern und retteten
die Expedition, die glucklich Granada wieder erreichte. Noch im
selben Jahre schickte Gontreras den Kapitän Diego de Gastaneda ab.
Derselbe gründete die ephemerische Stadt Jaen*) am Austritte
des San Juan aus dem See, musste aber bald ohne Erfolg um-
kehren, da sich seine Leute empörten**).
Zuerst befuhren den Desaguadero der ganzen Länge nach die
Kapitäne Alonso Galero und Diego Machuca de Zuazo, die zu
diesem Zwecke durch Contreras beauftragt wurden (Dekret aus
Leon vom 3. Oktober 1588). Gontreras erhielt von der Königin
aus Valladolid (vom 9. September 1586) den direkten Befehl,
den Desaguadero genau untersuchen zu lassen. Über die
Reise der wahren Entdecker des heutigen San Juan, welche
ihre Reise am 6. April 1589 antraten, war bisher sehr wenig
bekannt***). Eine der wertvollsten Entdeckungen des Manuel
M. de Peralta ist der im genannten Werke S. 728—740 ge-
den Nicaragua-See zuerst 1521 entdeckte, nannte ihn Mar dnlce. Er sah nur
den Südteil des Sees und die Inseln von Omotepee.
*) Über diese Stadt sehreibt Jnarros (Comp. Tom. I S. 53): Hnbo en
esta provincia (Taguzgalpa, park Leon) otra dudad, llamada la Nueva Jaen,
ritaada entre la Lagnna de Granada 7 el mar del norte de la que no ha que-
d&do mas que la memoria asi como la villa de Braselas, plantada en la Costa
de Nicaragua. — Herrera zeichnet Jaen in der Nahe des heutigen Forts von
San Carlos.
**) Herrera (Dec. VI, Lib. I cap. 8) erzahlt, dass Rodr. de Contreras 1534
zum Gouverneur yon Nicaragua ernannt sei und dass er den Rio San Juan
untersuchen wollte. Diesem Unternehmen habe sich der Mönch Bartolomeo
de las Casas widersetzt, und habe er die Soldaten aus religiösen Gründen zum
Ungehorsam aufgereizt.
***) S. Oviedo Tom. IV Lib. XLII und Herrera 1. c. Derselbe sagt nur :
sie passierten die Stromschnellen (raudales), die es im genannten Strome giebt,
mit yieler Mühe, denn oft muasten sie die Boote auf ihren Armen am Ufer
weiter schleppen.
32 H. Polakowsky:
gebene ausführliche Bericht über diese Entdeckungsreise*) an den
Konig.
Oviedo (Tom. II S. 481 f.) erzählt, wie Felipe Gutierrez durch
die Vicekönigin von Indien, die Wittwe des Crist. Colon, zum
Statthalter von Veragua ernannt wurde und dass der Rat von
Indien und der Konig diese Ernennung bestätigten. Der König
hatte die Vicekönigin auffordern lassen, Veragua zu besiedeln.
Peralta veröffentlicht (1. c. 725) einen an den Rat von Indien im
Namen der Vicekönigin von Indien, Donna Maria de Toledo, ge-
richteten Brief des Diego Mendez. Er zeigt einfach an, dass die
Vicekönigin zum Gouverneur von Veragua den Felipe Gutierrez
ernannt habe, und bittet den Schreiber weiter, dass der Rat von
Indien Befehl erteile zur Ausrüstung der Expedition, denn sie
(die Vicekönigin) wünsche, dass er abreise**). — Durch Kgl.
Dekret vom 24. Dezember 1534 wird speziell anerkannt, dass
durch diese Ernennung des Felipe Gutierrez die Ansprüche des
Luys Colon auf Veragua in keiner Weise beeinträchtigt werden
sollen.
Die Erlebnisse des Felipe Gutierrez erzählt Oviedo sehr genau,
und verweise ich hier auf denselben. Nur will ich nach den von
Peralta publicierten Dokumenten einige Daten richtig stellen.
Felipe Gutierrez verliess den Hafen von San Lücar de Barrameda
mit der Bestimmung nach der Insel Espanola im Juli 1535. Im
September desselben Jahres verliess er mit drei Schiffen San
Domingo. Oviedo verlegt die Abreise auf den September 1536.
Aber am 26. Juli 1536 war Felipe Gutierrez bereits ganz erschöpft
und arm in Panama angekommen (Brief des Pascual de Andagoya).
Felipe Gutierrez landete auf dem Festlande an der Mundung des
R. Relen oder des Rio de Veragua viejo (== R. Concepcion)
westlich vom R. Belen***). Hier, und zwar am R. Concepcion,
gründete Felipe Gutierrez die Stadt Concepcion (1535) und nicht
am Rio Tilorio (= Changuene, Changuinola oder de la Estrella),
wie noch der Licent. Leon Fernandez (Docum. Tom. II. S. 28
*) Der Titel des Dokuments ist: Relation de lo aue ei magnifico aeffor
Capitan Alonso Calero ha visto y descubierto hasta höy dia en el viaje del
descubrimiento que va del Desaguadero por el muy magnifico seffor Bodrigo
de Contreras, Gobernador y Capitan General en estas provincias de Nicaragua
por su Majestad. (Origin. im Archiv, gener. de Indias. — Sevilla.)
**) Auf der Bückseite des Briefes steht die Antwort des Rates: Que se
hagan los despachos = Man mache die Ausfertigungen. Madrid, 10. November
1534.
***) Beide Flüsse sind auf den alten Karten von Costa Rica vom Kapitän
Lafond (Paris, 1851) angegeben. Vom B. Belen sagt 0?iedo, dass ihn einige
B. Grande nennen und sich ein farallon (Landspitze) Ostlich von der Mündnng
desselben befinde. Diese ist auf genannter Karte angegeben (= P. Escribanos
bei Ponce de Leon und M. Paz).
Die erste Eroberung von Costa Rica durch die Spanier 1562 — 1564. 33
nota) annimmt*). Felipe Gotierrez hat nie den Fuss auf das
heutige Costa Rica gesetzt, sein Gebiet reichte aber bis zum Kap
Gracias a Dios, er war also der zweite Gouverneur des heutigen
Costa Rica. — Carl V. belehnte den Luis Colon mit Veragua
(19. Januar 1537) und bestimmte ein Quadrat von je 25 Leguas
als Umfang desselben. Aber schon 1540 wurde diese Gunst
teilweise suspendiert (Peralta, 1. c. 727) und 1556 trat Luis Colon
Veragua wieder an den Eonig ab. Das alte Veragua war damals
bereits in die Provinzen Nueva Cartago y Costa Rica und Veragua
geteilt.
Durch Dekret vom 29. November 1540 erhielt Diego Gutierrez
die Stelle als Gouverneur des Theiles von Veragua, der der
Krone verblieb, und führte seine Provinz den Namen Nueva Car-
tago. Sie reichte von der Bai von Zarabaro bis zum Cap Ca-
maron bei Trujillo in Honduras. — D. Gutierrez versuchte beim
ersten Einfalle, vom Rio Saerre (heut Reventazon) aus, die Stadt
Santiago (de Cartago) zu gründen, was er dem Konige durch
Brief vom 30. November 1543 anzeigt. Beim zweiten Einfalle (1544)
gründete derselbe am 4. Oktober dess. J. am R. Suerre, 80 Meilen
von seiner Mundung, die Ortschaft San Francisco. Beide An-
Siedlungen existierten nur auf dem Papiere. — Über die Züge
und den Tod des Diego Gutierrez berichten Oviedo (Tom. III,
Lib. XXX) und Girol. Benzoni (Histor. del Mondo Nuovo, Venecia,
1565), und verweise ich hierauf. Ich beschränke mich, wie bei
der Geschichte des Felipe Gutierrez, auch bei der des Bruders auf
Richtigstellung einiger Daten. Der Kapitän Diego Machuca de
Zuazo Hess in Leon de Nicaragua am 25. Juni 1545 die fünf ausser
Espina und Benzoni dem Gemetzel in den Urwäldern von Suerre
entflohenen Spanier über den Tod des Diego Gutierrez vernehmen.
Auszüge aus dem Protokolle veröffentlicht Peralta. Diego G.
*) Es ist interessant, dass Peralta den Ausführungen des Hrn. v. Frantzius
(s. d. Zeitschr. a. a. O.) über die Lage des alten berühmten Estrella-Flasses nicht
zustimmt, t. Frantzius hält nämlich den weiter nördlich liegenden grossen
Sizola oder Tiliri für den alten Estrella-Fluss. (s. hierüber die Karte von
Costa Rica in Petermanns Mittig. 1877 Tai. 18.) Über den fabelhaften
Reichtum dieser Gegend siehe z. B. den Bericht des Ceballos, den ich im
XY11I. Jahresber. d. Ver. f. Erdk. zu Dresden publiciert habe. Den Estrella-
Fluss, berühmt durch sein Gold, entdeckte Juan Vazquez de Coronado —
dessen Name, wie gesagt, weder bei Juarros, noch Molina, .noch v. Frantzius
vorkommt — zuerst 1564. Dass es nicht der Tiliri oder Sixola sei, wie
y. Frantzius glaubt, sondern der Tilorio oder Changuinola nach Gabb, Stieler
(Handatlas) und Vivien de St. Martin (Nouv. Diction. de Geographie univ.,
Paris 1879) sagt Peralta ganz bestimmt in seinem Werke: Limites de Costa
Rica. Examen historico de la cuestion de limites entre las Repüblicaa de Costa
Rica y de Columbia. Madrid, 1883. Dass Peralta's Ansicht richtig, werden
wir spater sehen.
Zeitschr. d. Gesellsch. f. Erdk. Bd. XIX. 3
34 H. Polakowsky:
kann also nicht im Juli 1545 erschlagen sein, wie Oviedo nach
der Erzählung des Juan de Espina behauptet. Nach der gericht-
lichen und beschworenen Aussage der fünf Zeugen fiel Diego O.
„vor ungefähr 6 Monaten. u Hierdurch wird die Wahrheit des
Berichtes des biederen Benzoni bestätigt. — Herrera (Dec. VII,
Lib. IV. Cap. 17) erzählt nur wenig von Diego G. und von
Costa Rica überhaupt. Er sagt zum Schlüsse: „Und obgleich
Diego Gutierrez eine Ortschaft errichtete an der Küste des Süd-
meeres*), die er Cartago nannte, hatte er kein besseres Glück als
Felipe G., der 1585 beabsichtigte Veragua zu besiedeln. a (Die
Erlebnisse des Felipe G. erzählt Herrara in Dec. V, Lib. IX.
cap. 11 und weiter in Dec. VII, Lib. VI.)
Dass Oviedo den Todestag des Diego Gutierrez falsch angiebt,
zeigt auch ein Brief des Bischofs von Nicaragua, P. Anton, de
Valdivieso, aus Leon vom 8. März 1545, worin er den Tod des-
selben an den Rath von Indien meldet. Die Audiencia von
Guatemala berichtet an den Konig hierüber durch Brief vom
20. Juli 1545.
„Nach dem Tode des Diego Gutierrez ernannte die Audiencia
von Tierra-Firme den Francisco Gonzalez de Badajoz zum Nach-
folger und beauftragte ihn mit der Eroberung von Costa Rica.
Er ging von Nombre de Dios mit Schiffen und Leuten ab und
erbaute ein Fort am Nordmeere in einem Thale, welches Coara
genannt wurde. Er blieb hier sechs Monate und verhandelte und
handelte mit den Indiern. Er gewann hier, dem Gerüchte nach
(segun fama), über 200,000 Dukaten. Als dies Hernando de Con-
treras, der Gouverneur von Nicaragua, erfuhr, rüstete er eine
Flotte aus, fiel über denselben her und nahm ihm alle seine
Reichthümer ab.a — So erzählt der Licent. Juan de Estrada
Ravago in einem Berichte aus dem J. 1572 an den Mönch Diego
Guillen, Mitglied des Raths von Indien, den L. Fernandez publi-
ziert, die Geschichte des Badajoz. Diese Geschichte ist, wie fast
alle Angaben des Estrada, voller Unwahrheiten und grober Fehler.
Zuerst sind die Namen richtig zu stellen. Sie lauten Rodrigo de
Contreras und Hernan Sanchez de Badajoz; zweitens war dieser
H. Sanchez de B. vor Diego Gutierrez, nämlich 1589, in Costa
Rica. Die 200,000 Dukaten sind ein Phantasiegebilde des Estrada,
der überhaupt, was seine Angaben über den Goldreichthum Costa
*) Diese Behauptung ist unbegründet. Diego O. ist nie in die Nähe der
Südsee gekommen, er fiel etwa 6 Leguas südostlich vom heutigen Cartago
zwischen dem R. Tnis nnd B. Facnare. (Siehe die folgenden Berichte des
J. Vazqnez de C.) Über die heutige Lage dieser Indianer zwischen dem Re-
ventazon und Chirripö* s. meinen Aufsatz: „Der Bischof yon Costa Rica hei
den Chirriprf-Indianera in Costa Rica i. J. 1882" in Feterm. Mitteilungen 1883.
Die erste Eroberung von Costa Rica durch die Spanier 1562—1564. 35
Rica' 8 und seine Verdienste um die Eroberung des Landes be-
trifft, fürchterliche Unwahrheiten und Übertreibungen begeht. Das
Original des famosen Berichtes hat Herr Peralta, wie er mir aus
Madrid unter dem 26. Mai 1888 schreibt, in den Archiven in
Sevilla vergebens gesucht und nur eine Copie im Hydrographischen
Bureau (Depösito bydrogräfico) in Madrid entdeckt.
Die Audiencia von Panama ernannte den Hernan Sanchez de
Badajoz im Juli 1539 zum General-Kapitän, Adelantado und Mar-
8chal der Provinz von Costa Rica*). Er heiratete im Juli 1539,
als er mit Reichtumern beladen aus Peru zurückkehrte, die Tochter
des ersten oidor (Rat) der neuen Audienzia von Tierra-Firme
in Panama und erhielt durch den Einfluss seines Schwiegervaters
sofort und ohne Zustimmung des Königs oder des Rates von
Indien, das Gouvernement von Costa Rica.
Am 15. Februar 1540 schiffte er sich mit 60 Spaniern und
über 100 Negersklaven in einer Fusta (Ruderschiff) und einer
Galeone nach Costa Rica ein. Zwei Monate wurde er durch Stürme
aufgehalten ehe er die Insel Escudo de Veragua erreichte. Ende
April landete er an der Mündung des Tarire (Tiliri oder Sicsola)
und nannte den Hafen San Marcos, nach dem Heiligen, der
dem 25. April den Namen giebt. An den Ufern des Tarire
gründete er die Stadt Badajoz. Er sandte den Kapitän Pablo
Corzo in das Innere und Hess das Thal von Coaco im Osten des
Tarire bis zur Cordillere durchforschen. — Zwischen den Anhohen
(lomas) von Corotapa, nach der Bai des Admirales (Chiriqui-La-
gune) zu, gründete er zwei Monate später die Festung Corotapa oder
Marbella. Dort meldeten über 60 Caziken ihre Unterwerfung
an und brachten Gold, über 6000 Castellanos. — So kolonisierte
Badajoz mit grosserem Glücke als alle seine Vorgänger, und war
der erste spanische Führer, der wirklich Fuss auf costaricanischem
Gebiete fasste, als plötzlich im November (1540) der eifersüchtige,
goldgierige Rodr. de Contreras mit 100 Spaniern und 200 In-
dianern Corotapa überfiel, um den Badajoz aus dieser reichen
Gegend, die er zu seinem Gouvernement rechnete, zu vertreiben.
Nach vierzehntägiger Belagerung musste sich Badajoz wegen Mangel
an Lebensmitteln mit seiner Besatzung ergeben. Contreras nahm
dem Badajoz 4389 Goldpesos fort, setzte ihn gefangen und schickte
ihn als Gefangenen an den Rat von Indien nach einem Er-
kenntnisse, welches aus Doybabaru in der Provinz Tariaca, west-
lich vom R. Tarire datierte. H. Sanchez de B. wurde in Valla-
dolid gefangen gesetzt und richtete eine Gegenklage gegen Contreras.
*) Die Lebensgeschichte des H. Sanchez de Badajoa (geb. 1490 in Eetra-
madura) giebt M. de Peralta (1. c. 744) in grossen Zügen.
'm^9
36 H. Polakowßky:
Die von Badajoz eroberten und besetzten Teile von Costa
Rica verblieben unter der Herrschaft des Contreras vom 15. No-
vember 1540 bis Anfang März 1541, dann kehrte er nach Nica-
ragua zurück. Hier erfuhr er bald, dass die Provinz Costa Rica,
die er so eifrig dem Badajoz entreissen wollte, dem Diego Gu-
tierrez gegeben sei. — Von interessanten Dokumenten über
H. Sanchez de B., welche Peralta publiciert, hebe ich das des Dr.
Robles, des Schwiegervaters von Badajoz an den Rat von Indien
(d. d. Panama, 19. Juli 1539) hervor, das von der Ernennung
des Badajoz berichtet. Am Rande des Originales befindet sich
eine Bemerkung, dass diese Ernennung aufgehoben werden und
Badajoz nicht nach Veragua gehen resp. von dort sofort zurück-
kehren solle. Unter dem 17. Dezember 1539 untersagt der im In-
teresse seines Schwiegersohnes sehr thätige Dr. Robles im Namen
des Kaisers, und als Vorsitzender der Audiencia von Panama, dem
Contreras den Eintritt in Costa Rica. Aber Kaiser Karl be-
stätigte den Badajoz nicht, billigte dagegen seine gewaltsame Ver-
treibung.
Contreras verwüstete auch die Provinz von Tariaca, westlich
vom Rio Tiliri gelegen. Das Thal des Tarire (Tiliri) wurde auch
Thal von Coaca genannt. Der Tarire war zugleich die westliche
Grenze vom Gebiete des Duy, dem späteren Talamanca (Peralta).
— Durch Königl. Dekret aus Valladolid (den 22. Februar 1549)
erhielt das Gouvernement von Cartago der Juan Perez de Ca-
brera. Dem P. de Cabrera machte aber die Audiencia von Gua-
temala Schwierigkeiten, er kam nicht nach Costa Rica. Und so
blieb Costa Rica vom Tode des Diego Gutierrez (1544) bis 1560
ohne Gouverneur, ganz von den Spaniern verlassen. Durch Cabi-
netsordre (real cedula) aus Toledo vom 23. Februar 1560 ward
dem Licentiaten Ortiz anbefohlen, nach Costa Rica zu gehen.
Aber schon am 5. Februar 1561 nimmt Philipp II. durch real
cedula aus Toledo diese Ernennung zurück und beauftragt den
Licentiaten Juan Cavallon mit der Eroberung und Bevölkerung von
Costa Rica. Die Audiencia von Guatemala ernannte denselben
zum Alcalde major der Provinzen von Neu- Cartago und Costa
Rica durch Dekret vom 17. Mai 1561.
J. Cavallon's Begleiter und Compagnon war der ehemalige
Mönch und Licent. Juan de Estrada Ravago, der im schon citierten
Bericht an den padre Guille'n sagt, dass er das Geld zur Expe-
dition gegeben habe. Er sei mit 4 Schiffen von der Nordküste
gekommen und Cavallon von der Sudseite, und jeder sollte eine
Ortschaft gründen. Ravago klagt weiter, dass Cavallon ihn allein
zurückgelassen habe (in Costa Rica), rühmt aber den grossen
Reichtum des Landes an Gold, in starker Weise übertreibend.
Die erste Eroberimg von Costa Rica durch die Spanier 1562—1564. 87
Wie ich schon gesagt, sind die Berichte des Ravago mit grosser
Vorsicht aufzunehmen. — J. de Estrada Ravago wollte die Stadt
Castillo de Auetria an der Bahia de San Gerönimo (oder del
m Almirante) gründen im Gebiete der Terbis- oder Terrebes-Indianer.
Aber bald nach der Gründung fehlte es an Lebensmitteln und an
der notigen Leitung und Ravago musste sich an der Küste bis
zum Desaguadero zurückziehen, wo er 6 Monat nach seiner Ab-
reise (im April 1561) ankam. — Auf Badajoz lässt Estrada Ravago
in seinem Berichte über die Gonquistadoren Costa Rica's den
Capitan Garavito folgen, und Leon Fernandez (1. c. III, pag. 5
nota) bemerkt ernsthaft: es fehlen die Dokumente über die Er-
oberungen des Garavito. Faktisch haben dieselben nie existiert,
weil der Capitan Andres de Garavito nur Commandant von Bru-
selas im Jahre 1525 war und Ende desselben Jahres, als Fr.
Hernandez Bruselas entvölkerte, nach Granada ging, wo er bald
und plötzlich starb. Es ist baarer Unsinn des J. de Estrada R.,
ihn neben Diego Gutierrez und Badajoz als Conquistador von
Costa Rica zu nennen. Die Nachkommen des Andres de Garavito,
nämlich eine Schwester Maria de G. und ein Bruder Pedro de G.,
reklamierten die Erbschaft, d. h. die Anrechte des Andres de G.
an dem verstorbsenen Bruselas im Jahre 1530. Später findet sich
keinerlei Erwähnung des Namens. — Im November 1560 zeigt
Estrada dem Konige an, dass er die Stadt Castillo de Austria
gegründet habe und im Berichte an den Fray Diego Guillen (1572)
spricht er sogar von 4 Ortschaften, die er in Costa Rica be-
gründet habe*). Er sagt aber nicht, dass das Castillo de Austria
kaum 4 Wochen existierte, ^on den übrigen 3 Städten existierten
faktisch nur La villa de los Reyes de Landecho (auch einfach
Landecho oder Espiritu Santo genannt) und la villa del Castillo
de Garci-Munoz oder Nuova Cartago (in der Nähe des heutigen
Alajuela), welche aber Cavallon begründet hatte**). — Berichte
wie die des J. de Estrada R. sind für den angehenden Forscher
sehr gefährlich und verleiten denselben leicht zu falschen Urteilen.
Er glaubt nämlich zuerst den feierlichen Versicherungen. Schreibt
doch z. B. Estrada: und man glaube mir als Christ und Priester,
wenn ich mich erkühne zu sagen, dass es nicht schwieriger sein
würde in dieser Provinz Goldschmieden zu unterhalten, als in
Biscaya Eisenschmieden***). —
*) Er sohreibt: Eatan poblados cuatro pueblos de espaffoles, los cuales
pöble' yo y edifique' templos y los adorno* ä mi costo etc. — Auch diese An-
gabe über die Erbauung der vier Kirchen ist unwahr.
**) Nueva-Cartago im März oder April 1561.
***) y doime fe* como cristiano y sacerdote, que me atrevo ä decir que no
serfa mucho haber en ella herrerfa de oro, como en Viscaya de hierro.
88 H. Polakowsky:
Die Wirksamkeit und die Zuge des Coronado in Costa Rica
will ich zunächst in grossen Zügen schildern. — Juan Vazquez
de Coronado war ein Eroberer ersten Ranges wie Nunez de
Baiboa, und überragt alle seine Vorgänger und Nachfolger, die^
sich um die Eroberung Costa Rica 's bemühten, weit. In zwei
Jahren unterwarf er das besonders im südlichen und nordwest-
lichen Theile dicht von tapferen Indianern bevölkerte Land fast
ohne Blutvergiessen mit einer geringen Anzahl Soldaten. Er und
seine Kapitäne durchzogen das Land von der heutigen Salinasbai
durch Gaanacaste bis nach Garci-Munoz, gingen von da über die
Candelaria durch das Dota-Gebirge nach Quepo und Boruca bis
zum Golfo dulce (Februar bis April 1563). Dann gründete er
das alte Cartago*) im Thale des Guarcö. Im August 1563 war
er wieder in Nicaragua, blieb daselbst bis zum Dezember, wo er
abermals zu Schiff die Reise nach Nicoya antrat. Er fuhr an
der Westküste von Costa 'Rica bis zum Rio Grande de Terraba
herab, den er Rio Coronado nannte. Hier landete er, vereinigte
sich mit den Truppen, die Diego Caro de Mesa aus Garci-Munoz
ihm zuführte, und trat den denkwürdigen Marsch über die Cordilleren
nach der Admiralitätsbai und durch das heutige Talamanca an.
Er eroberte ganz Talamanca, entdeckte die Goldwäschereien am
Rio de la Estrella (heut Changuinola) , so wie den R. Tarire
und marschierte an der Ostküste bis zum Rio Chirripö oder Matina,
den er Rio Matine nannte, und kehrte dann nach Cartago zurück.
Garci-Munoz war inzwischen eingegangen.
Das grosse Geschick, welches J. Vazquez de Coronado beim
Umgange mit den Indianern wie mit den Spaniern zeigte, be-
stimmten den Eonig Philipp II. — nach Einforderung und Prü-
fung specieller Informationen — ihn (real cedula aus Aranjoes
vom 8. April 1565 und aus dem Bosque de Segovia vom
7. August desselben Jahres) zum Gouverneur der Provinzen von
Nicaragua und Costa Rica und zum Statthalter (adelantado) von
Costa Rica zu ernennen. — Im Jahr 1565 war J. Vazquez de C.
selbst in Spanien und am Hofe und war vom März bis Oktober
eifrigst für die Colonisation und Ausnutzung seiner wichtigen Er-
oberungen bemüht. Leider aber kam er bei der Rückreise nach
Costa Rica mit allen seinen Begleitern, worunter die Blüte der
Jugend seiner Vaterstadt Salamanca war, durch Schiffbruch
(Ende 1565) ums Leben.
*) Dasselbe lag in der Nähe des heutigen Cartago, welcheB seit 1575
auf derselben Stelle, trotz mehrfacher Zerstörungen durch den Vulkan von Car-
tago (Jrazü), steht. Um die Erbauung der Stadt machte sich besonders Alonso
de Anguciana de Gamboa verdient, den Vazquez dafür zum ersten Alcalden
(Januar bis April 1564) der Stadt ernannte.
Die erste Eroberung von Costa Eica durch die Spanier 1562 — 1564. 39
Ich komme jetzt zu den von Peralta publicierten Dokumenten
aber die Thaten des Coronado, soweit sie sich auf Costa Rica beziehen.
Das erste Schreiben des Coronado an den Eonig*), datiert
aus Leon de Nicaragua vom 4. Mai 1562 und lautet: Katholische,
Königliche Majestät! — Seit einem Jahre diene ich Ew. Maj.
durch Regierung dieser Provinz von Nicaragua und immer habe
ich Ew. Maj. Nachricht gegeben über den Zustand derselben, wie
ein Vasall und Diener. Vor fünf oder sechs Tagen beauftragte
man mich**), das 8 ich zusammen mit dieser Provinz auch die von
Nueva Cartago und Costa Rica übernehmen und Ew. Maj. in der-
selben und bei der Beruhigung und Besiedelung jener Gebiete
dienen sollte. Ich nahm die mir erwiesene Gnade an, und begann mit
dem Sammeln der Mannschaft und der Beschaffung von Lebens-
mitteln, Kleidern und anderen für die in jener Gegend wohnen-
den Soldaten bestimmten Gegenstanden. Diese Soldaten haben,
wegen des grossen Mangels, den sie erleiden, schon begonnen
einer nach dem anderen zurückzukehren. (Von dem verunglückten
Zuge des Cavallon und Estrada ist hier die Rede.) Ich werde
bald mit möglichst zahlreicher Mannschaft aufbrechen, werde die
für die Dienste Ew. Maj. passenden Bestimmungen erlassen, und
werde in dieser Provinz (Nicaragua) einen Lieutenant (teniente)
zurücklassen, wie man mir befiehlt.
Ew. Maj. können versichert sein, dass es in Costa Rica keinen
unterworfenen Indianer (indios de paz) giebt, und dass man nur
Ranchos (leichte aus Bambus- und Palmblättern erbaute Hütten)
nahe bei Nicoya (Nicoya lag nach Peralta (1. c. S. 72) auf dem
Festlande 4 Leguas westlich von der J. Chira) errichtet hat, und
dass die Soldaten, die sich angesiedelt, im Elende sind. Die Reise
bietet deshalb dieselben Schwierigkeiten als wenn sie zum ersten
Male gemacht würde. Ich muss auf diese Expedition eine grosse
Summe von Gold -Pesos verwenden. Ich werde diese Aufgabe
zu lösen versuchen bis Ew. Maj. anders beschliessen und ich
werde vom Erfolge Nachricht geben, damit Ew. Maj. befehlen,
was am dienlichsten sei. Gott schütze und segne die Katholische,
Königliche Person Ew. Maj. durch Zuwachs grosser Königreiche
und Herrschaften , wie es Ihre Vasallen und Diener wünschen.
Ew. Maj. Vasall und Diener, der Ihre Königlichen Fasse küsst ***).
*) A la Catolica Real Magested del Rey Don Phelipe, Nuestro Seffor,
en au Real Coneejo de Indios.
**) Die Aiidiencia von Guatemala ernennt den J. Vazquez de C. durch
Dekret vom 2. April 1562 zum Nachfolger des Cavallon unter denselben Be-
dingungen und mit denselben Rechten.
***) Schon dieser Bericht zeigt, dass es eine Unwahrheit des Estrada ist
wenn er behauptet, dass naeh dem Abzüge des Cavallon (der als Fiskal nach
40 R Polakowsky:
— Juan Vazquez de Coronado. Alcalde major. (Stadtober-
richter).
Das zweite Schreiben *) datiert aas Nueva-Cartago vom 1 1 . De-
zember 1562 und lautet: Katholische, Königliche Majestät!**) —
Von der Provinz Nicaragua aus benachrichtigte ich Ew. Majestät,
wie ich, beschäftigt mit der Regierung derselben, den Befehl erhielt:
die Unterwerfung und Besiedelung dieser (Provinz) von Nueva-
Cartago y Costa Rica zu übernehmen, bis von Ew. Maj. ander-
weitig bestimmt wurde; wie ich einen Stellvertreter dort (in Ni-
caragua) zuruckliess und mit Leuten, Lebensmitteln, Vieh, Waffen
und anderen Dingen zur Hilfe einiger Soldaten, die hier (in Costa
Rica) geblieben waren, aufbrach. In Abwesenheit des Licent.
Juan Caval Ion führte ich die mir erteilten Befehle mit der grössten
Sorgfalt aus ; schon begann das Land von den Spaniern verlassen
zu werden und es wäre ganz entvölkert worden, wenn ich nicht
den Oberst (maese de campo) Juan de Ovalle mit fünfzig gut ausge-
rüsteten Soldaten nebst Vieh und Lebensmitteln vorausgeschickt hätte,
um den Mut der Spanier im Lande aufzurichten, bis ich mit mehr
Leuten folgen konnte. Es geschah dies mit nicht wenig Mühe und
Kosten, und verliess ich die Stadt Leon am 18. August zur Regenzeit.
Ich kam in Nicoja am 6. September an. Von hier aus Hess
ich die Caziken von Cotau und Bagaci***), Ortschaften, welche in
diesem Gebiete liegen, rufen, und brachte sie unter die Botmässig-
keit Ew. Maj. zusammen mit der Insel Celintinamen, welche mitten
in der Lagune von Granada liegt f). Als ich mich zu genanntem
Zwecke (zur Eroberung von Celintinamen) einschiffte, kamen die
Caziken und unterwarfen sich Ew. Maj., und ich befahl dem Stadt-
richter (corregidor) von Nicoya, dass er auf sie achte und nicht
erlaube, dass man anfangs irgend einen Dienst von ihnen fordere
und den Vikar (Estrada Ravago?) bat ich, dass er sie uuterrichte.
— Ich beschenkte sie (die Indianer) mit Tauschwaren (rescates)
und anderen Dingen, worüber sie sehr befriedigt waren.
Mexiko kam und so dem wohl verdienten Schicksale des Diego Gutierres ent-
ging) ihm allein die Last der Eroberung von Costa Rica zugefallen sei. Im
Oktober 1562 verliess Cavallon Costa Rioa, im November desselben Jahres
erschien J. Vazquez de C. und schon im Januar 1563 ging Estrada cum
zweiten Male nach Nicaragua. — Estrada's Verdienste bestehen in Bemühungen
um die Bekehrung der Indianer; aber er war ehrgeizig, wollte Bischof oder
Gouverneur von Costa Rica werden und, da alle seine Kolonisationsversuohe
missgluckten, wurde er verbittert, ungerecht und unwahr, suchte die Verdienste
seines glücklichen Nebenbuhlers und Nachfolgers J. Vazquez de C. herabzusetzen.
*) Titel: Sobre la expedicion del licenoiado Cavallon su poco efecto J
la nueva sumision de las provincias de los GaStares. (Feralta, 1. c. 760.)
**) Im Original nur: „C. R. M.u = Catdlica, Real Mayestad.
***) heut Bagazes in Guanacaste.
f) heut Islas de Solentiname in der Laguna da Nicaragua.
Die erste Eroberung von Costa Rica durch die Spanier 1562 — 1564. 41
Die angeschwollenen Flosse, die einen Marsch zu Lande ver-
hinderten, hielten mich in Nicoya auf, und ich musste ein grosseres
Schiff, welches ich beladen in Realejo zurückgelassen hatte und
welches auf der zweiten Fahrt Mais für den Unterhalt des Lagers
geliefert hatte, erwarten. Es traf am 7. November in Nicoya ein
und am 8. schiffte ich mich mit der ganzen Mannschaft nach
Laudecho*) ein, welches nur dem Namen nach eine Ortschaft
(pueblo) ist. Ich fand daselbst nur vier Soldaten, die so entschlossen
waren, das Land zu verlassen, dass sie, wenn ich ihren Unmut
nicht durch Geschenke besänftigt hätte, mir meine Leute aufgeregt
hätten. Ich Hess hier zehn Mann und einen Lieutenant zurück;
drei der Leute sind verheiratet. Ich ging weiter nach dieser Ort-
schaft oder Stadt, welche ich am 20. desselben Monats erreichte.
Ich wurde sehr gut aufgenommen und fand die Soldaten sehr
entblösst und notleidend. Ich unterstutzte und versorgte sie, so
gut ich konnte, und haben sie nun Zufriedenheit und Mut wieder-
gewonnen, um diese Reise im Dienste Ew. Maj. zu vollenden.
Diese Ortschaft (das alte Garci-Munoz nämlich) liegt unter
dem 11.° (nördl. Br.) zwischen grossen Ebenen. Es ist ein
kühles Land (tierra fria) mit gutem Klima und Boden. Die Ort-
schaft liegt von der Sudsee acht Leguas*) ab. Vom Nordmeere
schätzt man die Entfernung auf ca. dreissig und bis zum Desa-
guadero auf ca. zwanzig Leguas. Die Saatfelder liegen von der
Stadt entfernt, es gedeihen dort Getreide und Gartenpflanzen;
Holz ist wenig vorhanden. Ich werde sehen, ob sich nicht eine
bessere Stelle zur Niederlassung im Gebiete findet. Die Winde,
welche im Sommer wehen, sind sehr heftig und fast unerträglich.
Das Land gehört zu den besten, die ich in Indien gesehen habe,
und nach meiner Ansiebt wird es von dem Neu-Spaniens nicht
übertroffen. Vieh aller Art gedeiht gut. Die Einwohner sind
von lebhaftem Geiste, kriegerisch, von stärkerem Körperbau als
die übrigen, gut gebaut, und ähneln in der Freiheit der Umgangs-
formen den Mexikanern. Sie haben sehr gute Baumwoll-Kleider,
grosse Mengen Gold von verschiedenem Gehalt. Da man aber
anfangs grosse Habsucht «nach demselben gezeigt hat (Gavallon
und der „ biedere a Ravago nämlich), haben, sie es jetzt verborgen.
*) Nach Peralta ist es der heut verlassene Hafen von Caldera. — Das
Thal Ewischen dem Rio Grande und dem R. de la Barranca am Fasse des
Herradara (s. Gabb's Karte in Mittin. 1877 tab. 18) hiess anch Thal von Coyoche
oder Chorotcga oder Churuteca oder Landecho und wurde mit zur Provinz von
Garsbito gerechnet (Peralta).
**) Diese Angabe stimmt ganz vorzüglich. Die Distanz zwischen Caldera
und Alajnela beträgt 40 — 45 km, was geuan acht alten Leguas (a 5,5 km) ent-
spricht. — Die Entfernung bis zum atlantischen Ocean aber betragt in gerader
Linie nur 20 22 Leguas.
42 H, Polakowsky:
Es muss Minen in grosser Menge geben, and weil dieselben nicht
entdeckt worden sind, verloren die wenigen Leute, die der Licent.
Cavallon hatte, den Mut, nnd wagte er es niemals, irgendwo einen
dauernden Aufenthalt zu nehmen, sondern er entdeckte das Land
nur oberflächlich, im Vorbeigehen (de paso). Kurz, Ew. Maj.
haben hier einen der schönsten Winkel Ihrer Königreiche.
Es wird notwendig sein, dass Ew. Maj. befehlen, dass man
mehr Eifer als bisher zeige, denn ich habe 12 000 Pesos aus-
gegeben, ohne dass man mich in irgendeiner Weise unterstützt
hätte, und ich werde ausgeben, soviel ich kann, bis Ew. Maj. die
Befehle erteilen, die Ihrem Dienste passen. Ich bin durch diese
und andere Reisen im Dienste Ew. Maj. sehr verschuldet. — Als
der Licent. J. Cavallon diese Provinz Verliese, gab es keinen
unterworfenen Indianer. Seit ich Leute und Lebensmittel landete,
begannen einige sich einzufinden, und heut sind in dieser Ortschaft
(poblacon) achtzig Indianer von neun Dorfern, deren Gaziken sie
mir gleich nach meiner Ankunft geschickt haben, indem sie sagten,
dass sie wünschten, Ew. Maj. anzuerkennen und meine Freunde
zu sein. Es scheint, als ob die Gaziken nicht zu kommen wagen
aus Furcht vor den Spaniern, da sie im Anfange (s. oben) schlecht
behandelt wurden und man ihnen in einigen Dingen nicht Wort
hielt. Ich habe denselben sagen lassen, dass ich sie in Frieden
und Freundschaft in ihrem Gebiete besuchen werde und sie sind
damit einverstanden. Ich werde in der nächsten Woche zu ihnen
aufbrechen.
Die Ortschaften, welche .dienen, heissen: Pacaca, Taribi,
Acerri, Puririci, Corcos (Quirco), Coc, Orocci, el Abra und To-
yopan*). — Ich habe den Eingeborenen Tauschartikel geschenkt
und gegeben von dem was ich habe, ohne von ihnen das geringste
zu fordern oder Habsucht zu zeigen, und ich werde bestrebt sein,
dies auf alle mögliche Weise zu thun. Die Indianer, die nach
hier kommen, vertauschen Decken (mantas) gegen chaquira**)
(Ketten aus Perlmutterschalen), Nadeln und Leinwand. Sie ver-
langen Scbeeren, Macheten***), Messer und Äxte. Ich habe aber
*) Die Ortschaften Pacaca, Accerri und Orocci oder Ororf finden sich
noch heut (s. Gabb's Karte 1. c). El Abra oder Abro, auch CurriravÄ genannt,
entspricht dem heutigen Curridabat, Toyopan lag (nach Peralta) in der Nahe des
hentigen San Jue\ Coo oder Cooc ist das heutige Cot am Abhänge des Irazü,
Puririci ist das heutige Tucurrique, Corcös oder Qaircö ist das heutige Quircot
bei Cartago. Wo Taribi lag, resp. ob es das heutige Tobosi südwestlich von
Cartago ist, wage ich nicht zu entscheiden.
**) S. Näheres bei Oviedo am Ende des IV. Bandes im Verzeichnisse der
indianischen Namen.
***) kurze, breite, sabelartige Messer, heut im ganzen spanischen Amerika
verbreitet.
Die erste Eroberung von Costa Rica durch die Spanier 1562 — 1564. 43
nicht erlaubt ihnen dieselben zu geben, bis das Gebiet dem
Dienste Ew. Maj. unterworfen ist.
Der gefahrlichste für die Ruhe dieser Provinz ist ein Cazike,
genannt Garabito, der zu Anfang die Anerkennung, die er Ew. Maj.
und dem Licent. Cavallon im Namen Ew. Maj. schuldete, leistete.
Danach aber empörte er sich und begnügte sich nicht damit, einen
spanischen Soldaten zu todten (opfern), sondern er ermahnte und
bedrohte die übrigen Indianer, Ew. Maj. nicht den schuldigen Ge-
horsam zu leisten, noch Gott, unseren Herrn, anzuerkennen. Ich
habe ihm deshalb den Prozess gemacht, er ist zum Tode ver-
urteilt und soll ihm der Krieg gemacht werden wie einer Person,
die sich empört hat.
Ich schickte den Oberst Juan de Ovalle und den Kapitän
Francisco de Marmolejo mit neunzig Soldaten ab, ihn zu ergreifen,
und beauftragte sie, mit aller Mässigung vorzugehen, als wenn
kein Verbrechen begangen sei, und dass sie sich bestreben mögen,
ihn auf friedlichem Wege zu gewinnen. Gelänge dies nicht, dann
mögen sie es machen, wie sie können. Ich hoffe zu Gott, dass
diese Reise eine Grundlage für die Folge diesem Gaziken gegen-
über schaffen wird*). — Auch beauftragte ich sie, die Provinz
der Votos-In dianer zu besuchen, welche an die von Garabito grenzt,
und sie zu ersuchen und ihnen zu raten, sie mögen gestatten, dass
das heilige Evangelium ihnen gepredigt würde, und dass sie Ew.
Maj. als ihren Konig und Herrn anerkennen. Durch die Dol-
metscher, die ich mitschickte, erkläre man ihnen die Blindheit,
in der sie sich befinden, und das Gute, welches ihnen bevorstehe.
Alles solle mit Mässigung und im Frieden geschehen**).
Von den Provinzen von Suerre und Turucaca habe ich wich-
tige Neuigkeiten erhalten. Suerre***) liegt am Nordmeere und
Turucaca f) am Südmeere. Über alle Vorstellung sind die An-
gaben der Indianer über die Reichtümer von Turucaca, welches
höchstens vierzig Leguas von uns entfernt liegt. — Wenn der
Oberst (J. de Ovalle) zurückgekehrt ist, gedenke ich die Reise
nach diesen Provinzen (Suerre und Turucaca) selbst zu unter-
*) Man ersieht hieraus, dass J. Yazquez de C. das Todesurteil gegen
Garavito nicht vollstrecken wollte.
**) Das Gebiet des Garabito oder der Garabi tos lag am Golfe von Nicoya
vom Rio Grande bis zum Vulkan voe Barba. Die Votos wohnten südlich vom
San Juan, westlich vom Sarapiqui.
***) Die Provinz Suerre lag Östlich vom Sarapiqui zwischen dem Desa-
guadero und dem R. Reventazon, der noch auf den Karten von Daily (1846)
als R. Surre, auf einer Karte des Geograph. Instituts (Weimar) 1823 u. A. als
B. Suerre bezeichnet wird.
f) Das heutige Boruca; es lag zwischen dem Rio Grande de Terraba,
der Cordi]lere und dem Golfo dulce.
44 H. Polakowsky:
nehmen, und wünsche ich zuerst die Seite des Nordens zu be-
siedeln. Die Produkte des Volkes von Nicoya sind sehr wichtig
für diese Reise; ich kaufte mit dem Gelde der Königlichen Kasse
und gab für Mais über 900 Pesos aus, bis der Boden uns selbst
Erträge liefert. Wenn Ew. Maj. diese Summe für diese Reise
schenken würde, wäre dies der Anfang einer wahren Hilfe.
Würde das Gold den Soldaten für einige Zeit mit einer Abgabe
vom zwanzigsten oder fünfzehnten Teile zugesprochen*), so
würde dies die Soldaten ermuntern, es zu suchen, und durch solche
Gunstbezeugung Ew. Maj., als Anerkennung ihrer Dienste, würden
Mut und guter Wille derselben gehoben. Der Cazike von Nicoya
benimmt sich gut bei dieser Reise und gab er mir und meinen
Soldaten alles notwendige für unsere Dukaten. Ich bedarf der
Priester, und es wäre wichtig, dass dieselben wahrhaft fromm
seien; ich habe hier nur den Padre Estrada, welcher diese Reise
gemacht hat. Weil er Mönch gewesen ist, weiss ich nicht, welcher
Gesinnung er ißt**). Ew. Maj. befehle, eine Person zu senden,
welche diese Leute unterrichte. Gott schütze etc. Juan Vazqaex
de Coronado, Euer Alcalde major.
Über die Unterwerfung der Provinzen von Garabito und
Votos (od. Botos) liegt ein aus „ Garci-Munoz (Nueva Cartago) tt vom
5. Januar 1563 datierter Bericht des J. Yazquez de C. an den
Konig vor. (Peralta, Costa Rica, Nicaragua y Panama, S. 765).
Ich will denselben nur im Auszuge mitteilen. Der Cazike von
Accerri wird als treuer Vasall des Königs gerühmt, der freiwillig
Indianer zum Dienste in das spanische Lager geschickt habe. Er
bittet ihn (den Vazquez) um Hilfe gegen die Provinzen Quepo
und Turucaca und dieser (Vazquez) zeigt dem Konige an, dass
er diese Hilfe in 14 Tagen leisten wolle. Dem Caziken von
Accerri gab er grosse Geschenke im Werthe von 200 Pesos und
behandelte ihn denkbarst freundlich. Die Folge war, dass auch
die Caziken von Orocci im Lager erschienen und gleichfalls be-
schenkt wurden. Der Cazike von Pacara, Coquiba genannt, er-
schien am 1. Januar, am 2. erschienen zwei Caziken der Pro-
vinz del Albra, deren Namen Yuruc und Uxarraci ***), am 3. Januar
-3
Die gewöhnliche Abgabe an die Krone war ein Fünftel.
Das Misstrauen des J. Vazquez de C. gegen Estrada war — wie ich
schon gezeigt — nnr zu begründet. Zur selben Zeit sandte dieser Mönch ganz
unwahre Berichte nach Spanien, welohe die Verdienste des Vazquez herabsetzten,
ihn selbst verdächtigten, so dass Coronado sich später zur Reise nach Spanien
entschloss, um sich zu verteidigen.
***) Es sind dies jedenfalls die Caziken der Provinzen resp. Ortschaften
Tucurrique und Ujarras und fallt hier — wie so oft — der Name der Caziken
mit dem der Ansied long seiner Tribus zusammen, oder Vazquez verwechselt
dieselben.
Die erste Eroberung von Costa Rica durch die Spanier 1562—1564. 45
erschien ein Cazike genannt Tewiste aus der Provinz del Quarco*),
und alle kehrten sehr zufrieden als Vasallen des Königs in ihre
Hänser zurück.
Franzisco de Marmolejo, der zu den Botos-Indianern ge-
gangen , wurde dort sehr gut durch die Cazikin und ihren Ge-
mahl empfangen und man offerierte ihm Gold, Cacao und Decken.
Die Spanier nahmen aber, dem strengen Befehle des Yazquez
folgend, nur Nahrungsmittel an und erhielten wilde Schweine,
Tapire und Mais. Marmolejo schenkte der Cazikin und dem
Caziken je einen Adler von Gold und sagte, dass er, wenn er
die Erlaubnis erhielte, eine Ortschaft bei ihnen gründen wurde.
Die Cazikin bat um Hilfe gegen den Caziken Garabito, der ihre
Unterthanen misshandelte und opferte. „Die Yotos-Indianer —
heisst» es weiter wortlich — wohnen am Rio Pocosol (-Sarapiqu^)
der in den Desaguadero fällt, und bis zwei Leguas von den Votos
können, wie ich höre, die Fregatten von Nombre de Dios, welche
nach Granada fahren, gelangen. Das Gebiet der Votos, in der
Nähe des Nordmeeres, liegt 25 Leguas vom Hafen von Lan-
decho entfernt und ist es ein kühles und gesundes Land mit
vielen Menschen und Lebensmitteln. tf Vazquez lenkt die Auf-
merksamkeit des Königs darauf hin, hier einen kürzeren und
bequemeren Weg nach Peru anzulegen. Er hofft, dass bald mehr
Licht ober diese Angelegenheit entdeckt werde und ein kürzerer
Weg — nämlich für den Handelsverkehr mit Peru — gefunden
werde ••).
Der gegen Garabito gesandte Pereyra kam am 5. Januar in
Nueva-Cartago wieder an. Garabito hatte versucht den Einfall
der Spanier durch Gesandte abzuwenden und Vazquez de C. hatte
sich mit der Unterwerfung derselben im Namen ihres Herren
Garabito beruhigt. Als unterworfen (provincias de paz) führt
J. Vazquez de C. in diesem Briefe an: Die Provinzen von Pa-
caca, Accerri, Botos, del Abra und del Guarco und einen grossen
Teil der Provinz von Garabito, ohne dass ein Tropfen Blut ver-
gossen sei (sin que se aya derramado gota de sangre). „ Es giebt
in diesen Provinzen über 15,000 Menschen (hombres, was auch
waffenfähige Männer bedeuten kann). Es bleiben noch die Pro-
*) El Guarco ist du fruchtbare Plateau des heutigen Cartago, die mesa
de Cartago. (Peralta.)
**) Dende loe Botos, questan donde digo, hazia la mar del Norte, al
puerto de Landecho, ahra* veynta 7 cinco leguas, toda tierra fria 7 sana (was
allerdings nicht stimmt), de mucha gente 7 oomida, por manera que es rason
este* Vuestra Magestad advertido de este caso para la contratacion del Pirü,
que podria ser cosa cömoda por esta provincia 7 nage mas breve 7 mas cer-
cano que por otra; 7 creo se descubrirA adelante mas luz en esto que la que
agora se tiene, 7 camino mas breve.
46 H. Polakowsky:
vinzen von Suerre, Tnrrialba, Atirro*) und Tarucaca, die ich bald
Ew. Maj. zu gewinnen denke. u (Zu Turncaca scheint Vazquez
hier auch das heutige Tal am an ca, d. h. das Gebiet am Nordmeere
sudlich von Suerre zu rechnen.) Vazquez hofft weiter, hier sicher
reiche Minen zu entdecken und bittet um Unterstützung, um
dieses Land, welches sicher der beste Winkel Indiens sei, zu
erobern. Zum Schlüsse ersucht er wieder um Priester und sagt,
dass er nur den Padre Bonilla bei sich habe.
Es folgt jetzt, datierend aus Garci-Munoz vom 2. Juli 1563,
ein langer Bericht an den Eonig über die Expedition nach
Quepo**) nnd nach dem Thale des Guaymi***) in Chiriqui. Über
diesen denkwürdigen Zug berichtete J. Vazquez de C. bereits am
4. Mai 1563 nach Guatemala an den Präsidenten und Gouverneur
des Gebietes der Audiencia von Guatemala (audiencia de los
Gonfines), den Licent. D. Juan Martinez de Landecho, Mitglied
des Staatsrates Sr. Majestät. Dieser schone Bericht und ein aas
Quepo selbst vom 15. Februar desselben Jahres an Landecho
gerichtetes Schreiben des Vazquez publicierte Peralta (Costa Rica,
Nicarag. y Pan. S. 227 — 242). Diese Dokumente sind bereits
veröffentlicht im Bolet. de la Socied. geogräfica de Madrid,
1882 S. 102 f., doch weichen diese Schriftstücke an einigen
Stellen von den beglaubigten Abschriften f), die Peralta publiciert,
ab. Ebenso stimmen die in der Einleitung gemachten Angaben
nicht in allen Punkten mit den Resultaten der Forschungen des
Peralta überein, enthalten mehrere entschieden falsche Angaben.
Als Autor des Artikels im Bolet. (Descubrimientos de Jnan
Vazquez de Coronado en Costa Rica) bezeichnet mir M. de Pe-
ralta (Brief aus S. Sebastiano vom 3. Juli 1888) Herrn Jimenec
de la Espada. Peralta reklamiert aber das Verdienst der Ent-
deckung auch dieses Dokumentes für sich. Im August 1882, als
die Publikation des Herrn Espada erschien, waren die von Pe-
ralta entdeckten Originale bereits für sein Werk (Costa Rica etc.)
*) So noch hont genannt.
**) Die Provinz Quepo lag südlich von der Candelaria am stillen Ocean
nach Peralta unter 9° 30' nördl. Br.
***) Der Rio Guaymi, den Diego de Artieda Chirinos, der Nachfolger des
J. Vazquez de C, mit dem Namen Rio de Nuestra Seffora de la O del valle
del Guaymi belegte, führt heut den Namen Rio Cbiricamola und entspringt
auf der Cordillere von Chiriqui und mündet in die Lagune von Chiriqui
unter 81° 56' westl. Lange von Greenwich oder 75° 42' westL Länge von
8. Fernando und unter 8° 59' nördl. Br. (Peralta in Los Limites de Costa
Rica).
f) Die Copien wichtiger Documente, welche Peralta genommen, sind
sämtlich von dem Chef-Archivar des „Archivo general de Indias" in Sevilla,
Herrn Carlos Jime'nez, durch Siegel und Unterschrift beglaubigt.
Die erste Eroberung von Costa Rica durch die Spanier 1562 —1564. 47
gedruckt und sprach er darauf mit Herrn J. de la Espada über
die Angelegenheit. —
Es wird im Aufsatz des Bolet. de la Socd. geograf. de Ma-
drid in der Einleitung gesagt, dass das Innere von Costa Rica
erst 1562 durch den Licent. Juan Cavallon, der von der Audiencia
zu Guatemala zum Stadtoberrichter (alcalde major) von Nicaragua,
Costa Rica und Nicoya ernannt war, z. Tb. untersucht sei. Er
habe die Guetares-Indianer unterworfen und die Stadt von Castillo
de Garci Munoz gegründet und 4 Leguas von der Seeküste die
Stadt von Landecho zum Andenken an denselben Gouverneur und
Präsidenten, an welchen die folgenden Briefe gerichtet. Cavallon
ging als Fiscal später nach Guatemala und sein Nachfolger wurde
Juan Vazquez de Coronado. Er kaufte seinem Vorgänger seinen
Besitz in Nueva-Cartago für 700 Gold-Pesos ab und trat mit
130 Mann seinen Zug nach Costa Rica an. Vor Ende 1563
kam er an der Küste des Nordmeeres beim R. Guaimi an, den
er R. Estrella nannte. (Einige nennen ihn Rio Vazquez*), wie
ich auf alten Karten sehe, schreibt der Autor des Artikels im
Bolet.) Durch Dekret von 8. April 1565 wurde Vazquez Gou-
verneur von Costa Rica für Lebenszeit und für Nicaragua auf
3 Jahre. Vazquez de C. war 1564 selbst nach Spanien ge-
kommen und als er mit den Patenten seiner Ernennung zurück-
reiste, kam er durch Schiffbruch um. Er hinterliess einen Sohn,
Gonzalo Vazquez de Coronado, der erst 1586 das Werk seines
Vaters fortsetzen konnte, in welchem Jahre er zum Adelantado
von Costa Rica ernannt wurde. Dazwischen regierten diese Pro-
vinz Alonso de Casas, ernannt am 24. Februar 1566, Per Afan
de Ribera, der 5 Leguas von Couto am 6. März 1571 die Stadt
Nombre de Jesus gründete, Diego de Artieda Chirinos, der die
Ufer des Guaimi bevölkerte und daselbst am 8. Dezember 1577
die Stadt Artieda gründete und die Provinz mit dem Namen:
Nuevo Reino de Navarra taufte. Soweit der Artikel im Bolet.**).
Ich kann diese an Landecho gerichteten Berichte hier um so
eber übergehen, als wir bereits seit 1871 einen Bericht über
*) Dieser R. Vazquez, der sich schon auf der Karte des Herrera gleich
südlich vom Deaaguadero angegeben findet, ist der spätere Estrella oder North-
Biver.
**) Die Geschichte der Verwaltung und Eroberung von Costa Rica nach
dem Tode des J. Vazquez de C. liegt ausserhalb des Rahmens dieser Arbeit.
Ich will mich deshalb darauf beschranken hier die obigen Angaben nur dahin
richtig zu stellen, dass sofort nach Empfang der Nachricht vom Tode des
J. Vazquez de C. der König (durch Real cedula aus dem Bosque de Segovia
Tom 19. Juli 1566) den Perafän de Ribera zum Gouverneur und General-
CapR&n von Costa Rica ernannte und dass auf diesen Diego de Artieda folgte.
(R. ced. del Pardo, 1. December 1573) (Peralta, el Rio San Juan de Nicaragua.)
48 H. Polakowsky:
diesen Zug des Vazquez de C. nach dem Oolfo dulce von Juan
Davila (aus dem Jahre 1566), gerichtet an den Consejo de In-
dias, besitzen. Davila hatte den Zug mitgemacht*). Als inter-
essant und für Vazquez ehrenhaft hebe ich hervor, dass Davila als
den Hauptgrund für die Rückkehr vom Golfo dulce angiebt, „dass
einige Soldaten sich nicht schämten zu sagen, dass Coronada
den Krieg nicht führe wie sie wünschten, „d. h. mit Feuer und
Schwert tf (que era a fuego y a sangre). Davila hebt weiter richtig
hervor, dass jede kleine Ortschaft, oft aus nur einem grossen
Hause bestehend, einen Caziken hatte, sich gewissermassen als
eigene Nation gerierte. Sehr kurz nur (1. c. S. 340) führt er
den Zug des Coronado nach dem Rio de la Estrella an. Inter-
essant ist noch der Schluss des Berichtes, in dem er sagt, dass
Coronado die Anzahl der Indianer in Costa Rica auf 30,000 und
an der Nordseite (Suerre und Talamanca) auf 40,000 schätze.
Dies sei nach seiner Ansicht viel zu hoch, er nehme nur 5000
und 2000 an. — Diese Schätzung ist auf alle Fälle viel zu niedrig.
Ich will hier den Bericht des Coronado über diesen Zug an
den Konig, zum ersten Male durch Peralta publiciert, nur im
Auszuge anführen. — Um nach Suerre zu gehen, begab sich
Vazquez, wie er erzählt, zunächst nach Abra und Accerri, um die
Unterstützung der Caziken dieser Ortschaften zu erbitten und er-
hielt er Führer und Dolmetscher und wurde sehr freundlich
empfangen. Auf die Bitte dieser Indianer beschloss er den Zug
nach Suerre aufzuschieben, und zunächst seine Verbündeten vod
den feindlichen Nachbarn von Quepo und Turucaca zu befreien.
Mit 70 Soldaten verliess er am 27. Januar Garci Munoz und
schlössen sich ihm in Accerri 110 Indianer an. Die Caziken
Accerri, Yurusti und ein Bruder des Currerabä nahmen am Zuge
Teil. In der Candelaria erfuhr man von einem nach dem Haupt-
quartiere gebrachten Caziken, dass er soeben vier Knaben getödtet
und mit seinem verstorbenen Bruder begraben habe und schreibt
Coronado, dass dies ein bei diesen Indianern sehr gebräuchlicher
Ritus sei. Er verbot dem Caziken diese grausame Sitte für die
Folge, und versuchte, ihm durch den Dolmetscher das Schändliche
derselben klar zu machen. —
Von hier erreichte man nach dreizehn Tagen Quepo. Der Weg
ging durch unbewohntes sehr schwieriges und gebirgiges Terrain**).
*) Publiciert in Torres de Mendoza, Colecc. de documentos inäditos
relativ, al descubrim. de Ame*rica y Oceania. Madrid, Tom. XVI, 8. 324 f.
**) In dem Bericht an Landecho sagt Coronado, dass sie auf den „Wegen*4, die
sie sich sachten, mit Händen und Nägeln sich festklammern mussten, dass dies
wohl der schlechteste Weg in ganz Indien sei, und dass er von 40 Pferden 20
auf diesem Marsche eingebüsst habe.
Die erste Eroberung von Costa Rica durch die Spanier 1562 — 1564. 49
Coronado nimmt an, dass die Indianer ihn absichtlich diesen
schlechten Weg geführt hätten, damit er mit seinen Soldaten anf
demselben umkommen solle, denn — wie ihm der Rückmarsch
zeigte — gab es einen besseren Weg nach dieser Gegend.
50 Mann and einen Fahrer schickte Coronado der Hauptmacht einen
Tag voraus nach Qaepo und forderte, dass die Indianer die Pre-
digt des Evangeliums gestatteten, sich dem Eonige unterwürfen, den
Krieg mit den Indianern von Accerri aufgäben, and sofort Lebens-
mittel für die Truppen senden sollten. Die Indianer nahmen den
Vazquez und seine Begleiter freundlich auf, gaben Lebensmittel.
Der schone Cazike Corrohore*) unterwarf sich dem Konige,
brachte Oold und bat um Schatz and Hilfe gegen die Indianer
von Coctu, einer 25 Legaas entfernten Ortschaft, welche seine
Schwester und verschiedene Indianer gefangen hielten und ihn
and die Seinen immer mit Krieg überzogen. Coronado sagte den
Beistand zu. — Von Quepo sagt derselbe, dass es unter 10° nordl.
Breite liege, und dass diese Provinz über 1500 Menschen in
zwei eingezäunten Ortschaften (en dos pueblos palenques) habe.
Die Provinz liege sechs Leguas von der Südsee and es sei
ein Flass in der Nähe. (Der Rio Naranjo oder der R. Barn auf
Gabb's Karte.) Coronado rühmt die Tüchtigkeit, Tapferkeit und
Wahrheitsliebe dieser Indianer, ihren Reichtum an Gold, Kleidern
and Nahrangsmitteln, worunter er bereits die plätanos**) anführt,
und die Gesundheit des Klima' s and die Fruchtbarkeit des Bodens. —
Am 13. Februar verliess Coronado, gefolgt von Corrohore and 100
seiner Indianer, Qaepo and trat den Marsch nach Coctu an. Der
Weg ging zuweilen dicht an der Küste der Südsee entlang. Auch
hier schickte Coronado zuerst eine kleine Abteilung (22 'Mann) mit
derselben Aufforderung wie bei Qaepo in die Ortschaft. Sie war
von dreifachen Pallisaden umgeben, und beim Eintritt in dieselbe
worden die Spanier aas den Öffnungen der grossen Häuser mit
Wurfspeeren überschüttet and alle verwandet, sodass sie sich zu-
rückziehen mnssten. Die mit Lanzen, Stangen (varas) and randen
Schilden aas Tapirhaut bewaffneten Indianer fochten mit grossem
Mute« Mühsam verteidigten sich die Spanier, bis ihnen Coronado
selbst mit der Hauptmacht zu Hilfe kam. Er versprach den Indianern
*) J. Vazquez de C. schreibt von ihm: es el mas lindo yndio quo he
bisto en Indias.
**) Bananen, Früchte von Mnsa paradisiaca nnd Sapientnm. — Zu diesen
Indianern ist die Mnsa jedenfalls von Fonseca in Cbiriqnf aas gekommen.
Diese Stadt, welche zuletzt Benito Hurtado regierte, wurde 1526 (März) ent-
völkert nnd aufgehoben, weil Pedrarias Davila alle Spanier an sich zog, um sie
gegen den Francisco Hernandez sn führen. Fonseca lag höchst wahrscheinlich
nicht in Costa Rica, deshalb bin ich oben auf seine Geschichte nieht einge-
gangen. Gegründet wurde diese Ortschaft 1523.
Zdtochr. d. GeMUMh. f. Brdk. Bd. XIX. 4
50 H. Polakowsky:
Verzeihung für das Geschehene und ermahnte sie, die Predigt des
Evangeliums zu gestatten und sich dem Eonige zu unterwerfen.
Aber die Indianer lehnten ab. (Sin embargo destas diligencias
estubieron rebeldes.) Sie öffneten nicht die Thore ihrer Verschan-
zung, brachten Weiber und Kinder in Sicherheit, und forderten
Coronado auf, ihr Land zu verlassen. Die Spanier aber erstürmten
das Dorf leicht im ersten Anlaufe, und es verlor, wie Coronado
hervorhebt, auch kein Indianer hierbei das Leben. Die Verwun-
deten wurden verpflegt und einige der Gefangenen nach den Ca-
ziken, die sich mit ihren Leuten in die Gebirge gefluchtet, aus-
gesandt. Sie erschienen nach drei Tagen, unterwarfen sich dem
Eonige und schenkten Gold.
In der Ortschaft Coctu nahm Coronado Besitz vom Thale
des Guaymi, welches hier beginnt Durch den Caziken von Qaepo,
Corrohore, Hess er die Caziken und Häuptlinge der Provinz Tu-
rucaca rufen, welche mit Lebensmitteln und Gold erschienen. Der
Cazike Xiriara unterwarf sich. Die Indianer von Coctu beschenkte
Cor. reich und gewann sie so für sich; der Cazike gab dem Ca-
ziken von Quepo die geraubte Schwester zurück. — Coctu liegt
in einem tiefen Thale und bestand aus 84 grossen Häusern, die
zu je 4 im Quadrat angeordnet waren. In jedem Hause lebten
25 Mann mit ihren Weibern und Eindern, was ca. 400 Menschen
in einem Hause ausmacht. Die Eingeborenen sind sehr reich
und fuhren mit ihren Nachbarn des Goldes wegen Erieg. Den
Kriegsgefangenen schneiden sie die Kopfe ab und bewahren die-
selben als Trophäen, die Knaben und Mädchen der Feinde machen
sie^ zu Sklaven oder opfern sie ihren Götzen. Stirbt ein Herr,
so werden seine Sklaven getötet und mit ihm begraben, welche
Sitte so eingebürgert wie in keinem anderen Teile Indiens ist
(costumbre mas continuada entre estos que en ninguna parte de
Indias). Diese Indianer zeigen Lebensart, sind wahrheitsliebend
und kriegerisch. Die Feldarbeit besorgen die Weiber, die alten
Leute weben. Die Weiber gehen mit in die Schlacht, reichen
den Männern die Stangen (varas) und Lanzen und werfen Steine,
weshalb die Guetares und andere Nationen sie Biritecas, was
dasselbe als Amazonas ist, nennen. Fast alle Eingeborenen sind
mit Wunden bedeckt, die sie in ihren fortwährenden Kämpfen
erhalten haben. Die „auras"*) genannten Vogel, welche die
Leichen der Erschlagenen auffressen, sind so zahlreich, dass sie,
bei jedem Schlachtgeschrei in grosser Menge herbeieilend, die
Sonne verdunkeln. Die Eingeborenen schlafen in Hängematten
*) Es ist der Cathartes foetens llüg, der heutige Zapilote oder Zopilote
gemeint.
Die erste Eroberung von Costa Rica durch die Spanier 1562 — 1564. 51
und sitzen auf Feldstahlen (campales), da sie nicht lieben, sich
auf die Erde zu setzen.
Was das Gold anbetrifft, so besitzt jede Ortschaft (oder Tribus)
einen Fluss, dem sie das Gold entnimmt. Dem Vazquez wurde
von einem vier Tagereisen von Coctu entfernten Flusse erzählt,
dessen frühere Bewohner durch die Kriege der Nachbarn des
Goldes wegen ausgerottet worden seien. Eine Expedition nach
diesem Flusse, die Coronado aussandte, kehrte ohne Resultat nach
zwei Tagen zurück. Der Gazike von Goctu gab einen Adler aus
reinem Golde, der ca. 15 Pesos wog, und erklärte, dass er das
Gold zu noch 14 gleichwertigen Stücken aus sechs Lasten Gold-
sand, die er mit acht Indianern in acht Tagen aus dem Flusse ge-
wonnen , erhalten habe. — Den Schluss dieses wichtigen Doku-
mentes lasse ich in fast wörtlicher Übersetzung folgen. Er lautet:
Diese Provinzen von Turucaca und Coctu liegen am Anfange
des Thaies von Guaymi gegenüber dem Golfo de Osa (heut Golfo
Dalce) zwischen den Cordilleren des Nordens und Südens,
18 Leguas, wie man annimmt, vom Nordmeere und 12 Leguas,
die ich zurücklegte, vom Südmeere in den Abhängen der Cor-
dillere des Nordmeeres nach Süden zu. Die Nachrichten, die ich
über die Bevölkerung erhalten konnte, berichten von über 80 Ort-
schaften und darunter sieben mit einer Einzäunung (palenque) nach
Art der von Goctu. Von diesen sollen drei Ortschaften so gross
und volkreich sein, dass man zu thun hat, dieselben in der Zeit
vom Morgen bis zum Mittag zu umgehen. Diese drei Ortschaften
heissen Cia, Xarixaba und Texbi. — Weil ich wenig Leute und
darunter viele Verwundete hatte, und mir Munition und andere
Dinge fehlten, auch der Winter*) begann, war ich gezwungen
nach dieser Stadt zurückzukehren, um Leute und das Nötige zur
Bevölkerung dieses Gebietes zu beschaffen. Auf dieser Reise be-
gleiteten mich 100 Indianer von Goctu und Turucaca bis nach
Quepo. Alle Abend kamen Indianer von Turucaca und tauschten
die Soldaten Gold von denselben ein. Der Cazike Corrohore von
Quepo empfing mich sehr gut, er gab mir Lebensmittel und
100 Indianer, die mit mir nach dieser Stadt kamen. Er zeigte
mir einen Weg durch die Provinz Pacaca, der — obgleich noch
immer rauh — sehr gut war im Vergleiche zum ersten Wege,
den mir Accerri gezeigt. In Pacaca, welches ich beruhigt verliess,
als ich nach Turucaca marschierte, blieb ich drei Tage. Ich hoffte,
hier gut empfangen zu werden, aber das Gegenteil war der Fall;
in meiner Abwesenheit hatten sich die Eingeborenen empört**).
*) d. h. die Regenzeit, die vom Ende April bis Ende November, mit einer
kleinen Untersuchung (veranillo) im Augast, währt
**) Im Berichte an Laudecho (Peralta 1. c 240) hebt Cor. hier hervor
4*
52 H. Polakowsky:
— - Ich erfuhr von einem Volke der Mangues, welches der Cazike
Coqaiba zu Sklaven gemacht und schon zum grossten Teile den
Götzen geopfert hatte. Von den ca. 400 dieser Tribus waren
nur noch wenige übrig. Sie (die Mangues) reden die Sprache
von Nicaragua. Ich sandte eine Abteilung ab und forderte im
Namen Ew. Maj., dass diese Indianer in Freiheit gesetzt würden.
Es geschah also, und erklärten sich die Befreiten, deren Cazike
mir weinend dankte, bereit, Christen zu werden und uns nach
unserem Wohnsitze zu folgen. Ich schickte den Gaziken der
Mangues mit allen seinen Leuten nach dem Hafen von Landecho,
ihrem alten Wohnplatze, den sie Ghoruteca nennen.
Ich kam in dieser Stadt am 18. April an, wurde gut von
den Einwohnern und Soldaten, deren wenige waren und die meine
Abwesenheit schmerzlich empfunden hatten, empfangen. Sie freuten
sich über die günstigen Nachrichten über das Land, die Ver-
wundeten genasen und, Gott sei gelobt, Niemand starb und nur zwei
Mann blieben hinkend. Ich fand zugleich das Schiff, welches ich
nach Panama geschickt, mit Pulver, Kleidern, Blei, Eisenwerk
und anderen Dingen und mit Schuhen aus Pflanzenfasern (alpar-
gates) aus Nicoya vor. — Ich sandte Juan de Yllanes, meinen
Major, mit 60 Soldaten nach der Provinz von Guarco, wo sich
einige Caziken empört hatten. Ihm kam der erste Gazike, Quitao
genannt, entgegen und sagte ihm, dass er mit mir über den
Frieden verhandeln und mir die Gaziken von Atirro und Turriarba
zuführen wolle. Der Major kehrte nach 20 Tagen nach der Stadt
zurück und mit ihm kamen alle diese Gaziken und 200 Indianer.
Ich behandelte sie in der besten Weise und teilte ihnen die
Wünsche Ew. Maj. mit, welche ihre Rettung bezweckten und die
Lossagung von ihrer falschen Religion. — Nach kurzer Beratung
erklärte Quitao im Namen der Übrigen, dass er sich Ew. Maj.
unterwerfe. Der Major und die Soldaten sagten mir, dass in
diesen Provinzen ein Thal existire, welches das passendste in
Indien sei zur Gründung einer Stadt. — Als die Indianer von
Garabito vom Besuche dieser Gaziken horten, kamen die Häupt-
linge derselben und erklärten sich zu Diensten bereit. Der Cazike
(Garabito) schickte mir einen falschen Garabito, der sich Ew. Maj.
unterwarf. Ich behandelte ihn sehr gut, und während dieser Zeit
floh der wahre Garabito mit der Mehrzahl der Seinen. Dieser
Cazike Garabito und ein Bruder des Coquiba, des Caziken von
Pacara, gen. Quecarco, regen die Nachbarn auf, weil man den
dass es notwendig sei, die Indianer, die seine milde Behandlang verspotteten,
energischer anzufassen (es menester mostrarles mas dientes qne hasta aqui), de
zu Dienstleistungen nnd Tribntzahlang zu zwingen, weil sonst die ganzen
Eroberungen yon geringem Werte seien.
Die erste Eroberung von Costa Rica durch die Spanier 1562 — 1564. 58
Quecarco cur Zeit des Cavallon ausgepeitscht und in Ketten ge-
legt und ebenso einen falschen Garabito behandelt hat, den der
wahre abgeschickt hatte, um die Behandlung kennen zu lernen,
die er von den Spaniern zu erwarten hätte. Beide entflohen mit
ihren Ketten, und diese Thatsache ist meinen Unternehmungen
sehr hinderlich. Aber ich hoffe zu Qott, dass auch diese Caziken
sich beruhigen werden, wenn sie von der guten Behandlung hören,
die ich allen Indianern angedeihen lasse.
Am 12. Juni sandte ich den Capitan Antonio Pereira mit
60 gut bewaffneten Soldaten, 280 Pferden, 40 Feuerwaffen und
vieler Munition zur Besiedelung des Thaies des Guaymi aus. An-
gesichts der Nachrichten über die günstige Lage des Guarco und
angesichts der Mangel der Lage dieser Stadt (Mangel an kultivier-
barem Terrain, ungunstige Lage abseits vom Verkehr der Ein-
geborenen), beschloss ich, die Gegend zu untersuchen und einen
Platz für eine Stadt auszuwählen. Ich schickte einen einzelnen
Soldaten vorauf; er wurde sehr gut von den Eingeborenen
empfangen und kehrte mit 12 Indianern und den Mönchen Pedro
de Betancos und Martin de Bonilla zurück.
Ich habe kein schöneres Thal gesehen und ich Hess eine
Stadt abstechen (trace) an einer Stelle zwischen zwei Flüssen*). Das
Thal ist S\ Leguas lang und 1^ Leguas breit, hat viel für Ge-
treide und Mais passenden Boden**), das Klima von Valladolid
und guten Boden. Ich nannte die Stadt Cartago, weil
diese Provinz also genannt wird. Hier erzählte mir Quitao
von 45 Provinzen in der Gordill ere an der Seite des Nordmeeres«
Als der Stadtrat (cabildo) und die Einwohner dieser Stadt von
den Vorteilen horten, welche Cartago vor dieser Stadt bietet,
baten sie um Erlaubnis nach dieser (Cartago) überzusiedeln. Ich
gab dieselbe, erklärte aber, dass zuerst Maispflanzungen angelegt
werden mussten, um sich zu ernähren. Bisher habe ich die Lebens-
mittel aus Nicaragua oder von anderen Gegenden eingeführt. Das
Thal und der Platz von Cartago ist von dieser Stadt 7 Leguas nach
dem Innern des Landes und dem Nordmeere zu entfernt***) und
enthält 7 — 8000 friedliche Indianer.
Von diesem Platze (Cartago) sandte ich nach dem Caziken
*) Die Namen derselben waren und sind noch hent nach Peralta: Taras
und Toyogres, die ich anf keiner der mir bekannten Karten angegeben finde.
**) Dieses Urteil ist sehr richtig; im heissen trockenen Klima von Alajnela
(=Garci-Moßo«, Nneva Cartago) gedeihen dieselben dagegen nicht, obgleich
der Boden an sich sehr fruchtbar ist Über die heutigen Vegetations- Verhält-
nisse dieser Gegenden siehe meine pflanzengeographische Arbeit im XVI. Jahres-
bericht d. Ver. f. Erdk. zu Dresden (S. 25—124) mit Karte.
***) Die Entfernung zwischen Alajnela und dem heutigen Cartago beträgt
1% Legnas.
54 H. Polakowsky:
der Provinz Tayutic*), welcher im Thale von Tayut lebt, wo
Diego Gutierrez, ein Capitän, der auf Befehl Ew. Maj. die Unter-
werfung dieser Provinz versuchte, getötet wurde. Dieses Thal ist
fünf Leguas von Cartago entfernt. Der Cazike Hess mir sagen,
dass er nach dieser Stadt kommen würde. Ich wünsche ihn über
diese Begebenheit (den Tod des Diego G.) auszufragen, um
Ew. Maj. genauen Bericht zu erteilen. Nachdem ich Ordnung
und Ruhe in Turucaca und Cartago hergestellt, werde ich nach
Nicaragua gehen müssen, um mich mit Leuten, Munition, Vieh,
Pferden, Kleidern und anderen Dingen zu versorgen, und um dem
Capitän Pereyra und nach dieser Stadt Leute zn schicken.
Oanz zum Schlüsse klagt Coronado wieder über die grossen
Geldopfer, die er gebracht und berechnet die Anzahl der unter-
worfenen Indianer (indios de paz) auf 20,000. Von unabhän-
gigen Indianern (indios de guerra) an der Südseite bei Coctu und
an der Nordseite des Landes, welche er — so Gott wolle — in
diesem Sommer zu besuchen gedenke, gebe es neunzig Ortschaften
und Provinzen mit vielen Eingeborenen. Und überall werde Gold
in grosser Menge gewonnen. Als Beweis für die Anwesenheit
des Goldes in den Provinzen Quepo, Coctu und Turucaca sandte
Vazquez an den Eonig zwölf Stücke Gold, welche die Einge-
borenen unaufgefordert und so leicht verschenkt hatten, als wenn
es Heu wäre**). — Getreu den Befehlen des Königs folgend,
habe er von den Eingebornen weder Gold noch Lebensmittel
mit Gewalt gefordert, er sei aber überzeugt, dass die genannten
drei Provinzen so reich seien, dass sie sicher über 100,000 Pesos
Gold geben konnten, da die Eingeborenen es in grosser Menge
besäs8en. Die Verdienste und Bemühungen des Mönches Pedro
de Betancos um die Bekehrung der Eingeborenen werden ge-
rühmt und gesagt, dass die Ansiedelung Castillo de Austria nicht
so lange Zeit gedauert, als die Nachricht gebrauchte, um nach
Spanien zu gelangen, da jede Grundlage und Leitung für dieselbe
gefehlt hätte. Auch die Nachricht, dass z. Z. des Cavallon sich
Caziken unterworfen hätten, sei unrichtig; nur ein falscher Ga-
ravito und zwei andere Caziken, die gefangen und misshandelt
worden , hätten sich unterworfen , und als Vazquez in die Stadt
(Nueva Cartago) kam, seien alle Indianer unabhängig oder feind-
lich (de guerra) gewesen.
Von dem bereits öfter zitierten Berichte des Vazquez an den
Licent. Landecho über denselben Zug führe ich hier die Namen der
wichtigsten Ortschaften im südlichen Costa Rica an. Es sind (Pe-
*) Wahrscheinlich der Bio Tuis der heutigen Karten.
**) con tanta facilidad como si dieran heno.
Die erste Eroberung von Costa Rica durch die Spanier 1562— -1564. 55
ralta 1. c. S. 238) von Ortschaften im Thale des Guaymi nach
Süden zu: Quepo, Conto, Burucas, Cia, Uriaba, Jarixaba, Yabo,
Duyba, Cabara, Barerto, Tabicte, Arobara, Cabangara, Quecaban-
gara, Coacua, Quecuru, Baricara, Curubi und Terbi. Bei letzterem
steht im Original das Zeichen % und die Bemerkung: Es pa-
lenque. Es provincia por si, hacia el Norte, pasado la cordillera.
(Es ist eine eigene nach Norden jenseits der Cordillere gelegene
Provinz.) Von diesen Ortschaften sagt Vazquez noch: alle haben
Gold. — An der Nordseite führt er an: Ära, Quriuca, Tuaca,
Catiara, Tambia, Cabaru, Urubaru, Quraru, Araraca, Tamari, Tay-
maru, Tariaca und Suerre. — Von diesen Tribus (pueblos) sagt
Vazquez, dass sie nicht in palenques wohnen, Gold besitzen
nnd Pfeile führen.
(Schluss folgt)
III.
Administrativ-Eintheilung und Bevölkerungsstand der
neuen nördlichen Provinzen des Griechischen
Königreiches.
Von H. Kiepert.
(Hierzu eine Karte, Taf. IL)
Als im März v. J. für den Druck einer grosseren, als Bei-
lage zu Bädekers Reisehandbuch bestimmten Auflage meiner Karte
des griechischen Königreiches die erforderliche Revision ausgeführt
wurde, konnte der Angabe der bisherigen Eintheilung des Landes
diejenige der neuen Provinzen, welche durch europäischen Schieds-
spruch seit 1880 hinzugekommen und durch eine internationale
Commission 1881 gegen das türkisch bleibende Gebiet abgegrenzt
waren, in Ermangelung irgend welcher Auskunft über die damals
noch schwebende Frage nicht hinzugefugt werden. Allerdings
wurden die lange darüber zwischen Ministerium und Abgeordneten-
haus geführten Verhandlungen, bei denen mannigfache Privat-
interessen anfanglich eine möglichste Vervielfachung der neuen
Amtsbezirke durchzusetzen gestrebt hatten*), wenig später ab-
*) Es ging die Rede von der projectirten Errichtung von nicht weniger
als fünf neuen Nomen oder Provinzen (so viel wie nach der bisherigen,
unter der bäurischen Verwaltung eingeführten Eintheilung die ganze Pelo-
ponnesoe enthalt) und einer entsprechenden Zahl von Eparchien (Unterpräfec-
turen), für welche nach Analogie der bestehenden Organisation des Königreichs
die beliebten classischen Benennungen, einschliesslich sogar der Wieder-
belebung des uralten pelasgiachen Namens in Vorschlag gebracht waren.
56 H. Kiepert:
geschlossen: die vom Konige vollzogenen Verordnungen tragen
das Datum des 29. — 81. Mars nnd sind am 2. (nach neuem
Stile 15.) April 1883 im Regierangsblatte (i<piu*6Ql$ vijg xvfieQyipfsug)
veröffentlicht: so dass ich, am dieselbe Zeit von Berlin ab-
gereist, erst im Juni in Athen davon Kenntniss nnd erst nach
meiner Rückkehr die inzwischen durch Herrn Dr. Lolling's Gate
ans Athen mir zugesandten Druckbogen erhielt. Den wesentlichen
Inhalt derselben dem sich für diese Dinge interessirenden geo-
graphischen Publikum leichter zugänglich zu machen, wäre sonach
vor einem halben Jahre schon thunlich gewesen; doch war dieser
Zweck nur zu erreichen durch Beigabe einer, das nicht leicht zu-
gängliche topographische Detail enthaltenden Kartenskizze, nnd für
diese durfte ich hoffen, bald eine sichrere und vollständigere Grund-
lage zu erhalten in einer Karte, mit deren Ausarbeitung man im
vergangenen Sommer im griechischen Kriegsministerium eben be-
schäftigt war und deren Vollendung man schon für den Herbst
desselben Jahres in Aussicht stellte*). Da aber, wie mir nun
*) Dieselbe soll, unter Leitung des durch verschiedene kartographische
Arbeiten rühmlichst bekannten Obersten Kokkidis aufgeführt, die einsige
bisher vorhandene allgemeine Landesaufnahme, die für Morea 1829 — 30, für
Mittelgriechenland seit 1840 ausgeführte Karte des französischen Geniecorps
mit vielfachen Berichtigungen und mit Vervollständigung durch alle seit
jener Zeit neuentstandenen Ortschaften, Strassenanlagen u. 8. w., so wie mit
correcter Nomenclatnr in griechischer Schrift reproduciren , natürlich auch
mit nördlicher Erweiterung durch das neuerworbene Terrain, dessen voll-
ständige topographische Aufnahme in einer der französischen Arbeit sich
anschliessenden Form allerdings erst in späterer Zeit wird erfolgen können,
für dessen einigermassen berichtigte Verzeichnung indessen schon jetzt die
zum Zwecke von Eisenbahn- und anderen Strassenbauten gemachten Ver-
messungen, nebst einigen von griechischen Genieofficieren ausgeführten
Localrecognoscirungen ein nicht unbedeutendes Material bieten. Wie noth-
wendig namentlich der französischen Karte — ausserhalb eines kleines
Theiles von Attika bis jetzt der einzigen Grundlage unserer topographischen
Landeskunde — eine solche Erneuerung ist, wie lückenhaft dieselbe schon
bei ihrer Entstehung war (sehr entschuldbar durch die ungünstigen Umstände,
unter denen jene Arbeit in grosser Eile, zum Theil noch während der
kriegerischen Operationen ausgeführt werden musste), das ergiebt sich aus
einer genauen Vergleichung ihres Inhalts an Ortsnamen mit der neuesten
offiziellen Liste der bewohnten Ortschaften (JErfmcrrtxj; rtjs cElXadog9 nbf-
bvcftbi 1879, tv 'A&rjvax 1881), in welcher mehr als 200 Dörfer, einzelne
mit jetzt bis über 1000 Seelen, enthalten sind, die in der Karte fehlen,
obwohl sie, wenigstens der weit grössten Zahl nach, zur Zeit der Aufnahme
schon vorhanden gewesen sein müssen, wie aus der Sprache vieler ihrer
Namen — slawische, albanesische , sogar einzelne türkische — hervorgeht,
während die wenigen neu angesiedelten Ortschaften natürlich mit dem
griechischen Idiom angehörigen Kamen belegt worden sind. Auch für die
früher sogenannten ionischen Inseln, von welchen uns die halbhundert-
jäbrige britische Oberherrschaft keine brauchbaren, den wirklichen Zustän-
den entsprechenden Karten hinterlassen hat, wird die neue griechische Karte
endlich diese längst schmerzlich gefühlte geographische Lücke ausfüllen.
BevölkerungMtaiid der neuen Provinzen des Griechischen Königreiches. 57
mitgetheilt wird, die technische Herstellung dieser Karte im militär-
geographischen Institut in Wien eben jetzt erst in Angriff genommen
worden ist, bis zu ihrem Erscheinen mithin noch längere Zeit
vergehen dürfte, so schien es gerathen, die Wiedergabe des sta-
tistischen Materials nicht länger aufzuschieben, wenn auch die
beifolgende Kartenskizze weder auf grosse Genauigkeit (namentlich
in den von wirklichen Beobachtern noch nicht durchforschten Ge-
birgslandschaften des Pindos und Othrys), noch auf absolute Voll-
ständigkeit der Ortslagen Anspruch machen kann. Eine Anzahl
von Dorfern, welche den früheren europäischen Besuchern dieser
Landstriche entgangen sind, konnte allerdings aus einer neuesten
Quelle, der stellenweise auf eigenen, seit der Annexion ausgeführten
Localbeobachtungen beruhenden Karte des Herrn Chrysochoos*)
eingetragen werden; einzelne in der offiziellen Liste genannte
fehlen aber auch in dieser Quelle, sind also ihrer genauen Lage
nach vorläufig noch unbekannt. Soweit dieses nur Annexe von
Dorfern betrifft, in deren Seelenzahl die jener zerstreuten Par-
cellen ohne nähere Specialisirung einbegriffen ist, konnten sie ohne
Schaden aus unserer Tafel wegbleiben; einige wenige aber sind
in der offiziellen Quelle als selbständige Ortschaften, eines sogar als
Mittelpunkt eines Gemeindebezirks (Demos) aufgeführt; in diesen
Fällen konnte ich mir nur durch Andeutung der ungefähren
Lage mit Hinzufügung eines ? helfen. Umgekehrt ergeben die
älteren Reiseberichte und Karten, und vielleicht nur auf Grund
von solchen auch noch die eben genannte neueste griechische Karte
eine kleine Zahl von Dorfern, welche in der Gensusliste nicht
enthalten sind; und da eine zufällige Übergehung in einer solchen
von Staatswegen ausgeführten Arbeit nicht denkbar ist, bleibt nur
die Annahme, dass es sich um jetzt verlassene, vielleicht erst
in den kriegerischen Ereignissen der letzten Jahrzehnte zerstörte
Ortschaften handelt, deren Namen jedoch im Andenken der Nach-
barschaft geblieben und demzufolge auch von Herrn Chryso-
choos in seine Karte aufgenommen worden sind. Diese örtlich-
keiten, die aller Wahrscheinlichkeit nach unter der heutigen Ver-
waltung einer Neubesiedelung entgegengehen, habe ich in der
Karte durch Einklammerung der Namen bezeichnet, um etwaigem
Missverständnisse des Fehlens der Ziffer als zufälliger Auslassung
zu begegnen.
Meine Übertragung der fortlaufenden Liste des griechischen
Originals mit ihren Seelenzahlen der einzelnen Ortschaften in
kartographische Form wird behufs erleichterter Übersicht der
*) Ilivat Tifc fiiHTtipßQkVTJf *HmiQOV xal tfs &Mtaalkte9 txnovtj&ilg vno
M>x«*jk XqvcoX6ov7 iv 'Atrirats 1881. 1 : 200,000. 8 Bl.
58
H. Kiepert:
Bevölkerungsverteilung*) zweckmässig befanden werden ; dagegen
Hessen sich die Summen der kleineren und grosseren Verwaltungs-
bezirke in dieser Form nicht wohl ersichtlich machen; sie folgen
daher in nachstehender Tabelle.
Eparohie Arta.
Demos Arta .... 6207
„ Peta .... 2724
» Iraklia(Herakleia) 2872
„ Tetraphylia . . 2813
14616
Eparohie Tsumerka.
. 5514
4038
5167
1843
Demos Agnanda
„ Pramanda
„ Theodoria
„ Kalarrytae
16562
Gesammtsumme des No-
mos Arta .... 31178
Eparohie Trikkala.
Demos Trikka (Trikkaei) 11281
Paralithaei
Pharkadon
Pialia .
Aethikes .
Eothoni .
Athamanes
4154
5707
5334
3464
3709
8400
87049
Eparohie Kalainbaka.
Demos Aeginion
„ Chalkis .
„ Lakmön .
„ Kastanea
„ Malakasion
„ Oxynia .
„ Tymphaei
4667
4851
1931
2890
2142
2104
2165
20750
Eparohie Kardhitsa.
Demos Kardhitsa . . 10297
„ Ithomi . . . 7026
„ Phyllos . . . 8550
„ Silana . . . 4745
„ Kierion . . . 3566
„ Gomphi . . . 4553
„ Ealliphonion 2786
„ Titanion . . . 6255
„ Nevropolis . . 4975
„ Itamos . . . 2575
„ Argithea . . . 4888
„ Menelais . . . 2454
„ Tamasion . . 1760
59430
Gesammtsumme des No-
mos Trikkala . . 117229
*) Eine Ausnahme gegenüber der im Verhältniss zur Bevölkerungs-
dichtigkeit des bisherigen Königreiches, namentlich in der thessalischen
Ebene ziemlich spärlichen und durch Auswanderung vieler Muhammedaner
augenblicklich wahrscheinlich noch weiter geschwächten Bewohnerzahl bildet
die Berglandschaft des antiken P e 1 i o n , schon seit dem vorigen Jahrhundert
die Zuflucht vieler vor türkischem Druck aus den ebenen Nachbarlandschaften
flüchtiger Griechen, welche dort eine Anzahl stark bevölkerter, in fast
republikanischer Selbständigkeit — ähnlich wie auf den meisten Inseln —
auch unter türkischer Hoheit bestehender Gemeinden bildeten; daher in
diesem Landstriche die, grossentheils nur aus einer einzigen Ortschaft be-
stehenden Demen umgekehrt die geringsten Dimensionen des Areals zeigen.
Ähnliche Bevölkerungsverhältnisse bestanden im Anfange unseres Jahr-
hunderts am Nordabhang des Ossa, über dem Tempe-Passe, mit der damals
blühenden und gegen heut die vier- bis fünffache Menschenzahl fassenden
Stadt Ambeldkia als Mittelpunkt: aber hier haben die letzten kriegerischen
Ereignisse grösstenteils nur Ruinen hinterlassen.
Bevölkerungsstand der neuen Provinzen des Griechischen Königreiches. 59
Eparohie La
riß
sa.
Demos Eissos
. . 2486
Demos Larissa . . . 14821
r>
Myresion
. . 3805
„ Krannon .
8859
n
Mfleae
. . 4358
„ Nesson
2894
Ji
Dhrakia .
. 2637
„ Ambelakia
3057
»
Aeantion
. 2100
„ Sykurion .
2476
r>
Spalathra
. . 8731
„ Onchistos
1950
n
Aphetae .
. . 2108
„ Armenion
. 3699
y>
Nilia . •
. . 3566
„ Phakion .
1982
v
Sipias
. . 8274
84238
»
Hagios Lavrentios 1731
Eparohie Tyrnavos.
56500
Demos Tyrnavos. . . 8118
Eparohie Halmyros.
„ Gonni . . . 1577
Demos
Halmyros . . .4211
„ Olympos . . . 5278
n
Itonos .... 905
14968
n
Othrys*) ... 603
Eparchie Agyia.
»
Platanos . . .3188
Demos Dotion . . . . 7852
8907
„ Kasthanaea . . 8369
Eparohie Dhomokös und
„ Evrymenae . . 1197
Fharsalos.
12418
Demos
Pharsalos . . 4149
Eparchie Volos.
T»
Evydrion
. 3083
Demos Pagasae . . . 5908
J»
Skotassa .
. . 2287
„ Ioikos . . . 8053
Ji
Thavmaki
. 4750
„ Orminion • . 4179
7i
Xynias
. . 1608
„ Makrynitsa . . 4304
»
Melitaea .
. . 1713
„ Vivi (Boibe) . 2152
17590
„ Pherae . . . 2175
Gesammtsumme des No-
„ Zagora
«
4983
mos
Larissa
144621
Mit früheren Zählungen lassen diese Zahlen kaum einen Ver-
gleich zu, da jene zu unglaubwürdig überliefert sind, und die
angeblich neuesten offiziellen, von Herrn Synvet mitgetheilten
sich nur im ganzen auf ältere, von der neuen Grenze vielfach
durchschnittene Localeintheilungen beziehen. Nur die noch aus der
ersten Hälfte des Jahrhunderts herrührenden, von Herrn Ara-
vandinos publicirten Listen**) geben auch die damalige Häuser-
*) So lese ich zweifellos, wegen der Lage des Ortes Qura am Fusse
des wirklichen hohen Othrys des Alterthnms, statt des "Oqqv&os (Genitiv-
form, wie durchweg) der amtlichen Liste; es ist leider nicht der einzige
von einer überaus nachlässigen Correctur zeugende Druckfehler, ein Übel-
stand, der selbst gegen die Authenticit&t der Ziffern Misstrauen erregen kann.
**) Vgl. meinen Artikel „zur Ethnographie von Epirus" in dieser Zeit-
schrift Bd. XIII., 1878, S. 253.
00 H. Kiepert:
zahl der einzelnen Ortschaften des epiro tischen Antheil«: nicht
ohne Lacken and schwerlich ohne einzelne starke Schreib- oder
Druckfehler, da die im Vergleich zu der jetzt con statinen Be-
völkerung vielfach auffallend niedrigen Ziffern sich kaum durch
Annahme eines, far ein paar Jahrzehnte immerhin ausserordent-
lichen Anwachsens werden erklären lassen, selbst wenn man mit
dem griechischen Autor das von ihm aas den Lebensgewohnheiten
der dortigen christlichen Bevölkerung erklärte Maximum von zehn
bis zwölf Seelen auf ein Haus zu Grande legen wollte. Keinenfalls
aber passt dieses Verhältniss, sondern eher das für diese Länder
des Orients gewöhnlich angenommene von 1:5 bis 6 , auf die
einzigen Städte der neuen Provinz Arta, von denen die Haupt-
stadt Arta selbst jetzt nur 4990*), Kalarrytae aber 1460 Seelen
zählen soll, während jene älteren Listen 950, resp. 240 Häuser
angeben. Ebendann sind die sämmtlichen übrigen Orte des Nomos
Arta mit 1645 Häusern verzeichnet, denen nach der neuen griechi-
schen Zählung (mit Hinweglassung von fünf bei Aravandinos über-
gangenen Dorfern) 23370 Seelen entsprechen müssten: ein auch
unter Annahme eines erheblichen Zuwachses binnen mehreren Jahr-
zehnten kaum glaubliches Verhältnis.
Bezüglich Thessaliens, d. h. der neuen Nomen Trikkala
und Larissa, ist die Vergleichung erschwert durch den Umstand,
dass ein in dem älteren Verwaltungsbezirke eingeschlossener nord-
licher Landestheil, die Berglandschaft um Alassona, welche un-
gefähr ein Zwölftel des Gesammtareals enthält, durch die neue
Grenze abgetrennt und in türkischem Besitze verblieben ist. Für
den vollen älteren Umfang rechnete Aravandinos (vor den kriege-
rischen Ereignissen von 1853 und 1877, welche einzelne Landes-
theil e schwer getroffen haben), allerdings hier auf noch weniger
speziellen Angaben, als für Epirus fussend, 325 000 Bewohner,
(darunter 42 000 Muhammedaner) , Synvet 248 000, denen nach
dem Ergebniss des neuen Census (261 850 innerhalb der grie-
chischen Grenze) mit Zurechnung jenes abgetrennten Theiles und
einiger tausend bald nach der Annexion ausgewanderter Muham-
medaner etwa eine Zahl von 275 000 bis 280 000 entsprechen
dürfte. Sehr irrig sind demnach jene früheren Schätzungen nicht
gewesen, obwohl auch keineswegs so zuverlässig, dass sich daraus
irgend ein Schluss auf die in den letzten Jahrzehnten stattgehabte
Bevölkerungsbewegung ziehen Hesse.
Die zum Zwecke einer geregelten Verwaltung nunmehr durch-
*) Nach Synvet vor einem Jahrzehnt noch 9600» darunter doch kaum
ein Viertheil Mohammedaner, und andere als solche werden seit der Ein-
verleibung in Griechenland nicht ausgewandert sein«
Bevölkerungsstand der neuen Provinzen des Griechischen Königreiches. 61
geführte Eintheilung der neuerworbenen Landstriche, *u deren
Veranschaulichung unsere Kartenskizze ferner dienen soll*), folgt
natürlich dem von der ersten Regierang des Königreiches her-
rührenden Schema, welchem die französische Einrichtung als Muster
gedient hat: die Nopoi entsprechen den Departements, die 'Efraggfat
den Arrondissements, die Jfjfioi den Cantons: nur das System
der Nomenclatur ist ein abweichendes. Für die Demen hat man
auchjüer, wie seinerzeit in den zebn alten Provinzen und dann
nach der Einverleibung der sogenannten Ionischen Inseln mit mehr
oder weniger Consequenz die nicht überall ausreichenden antiken
Ortsnamen herbeigezogen**). Etwa dreissig davon entsprechen
bekannten oder wahrscheinlichen alten Stadtlagen; dass ebenso-
wenig wie in den älteren Provinzen alle bedeutenderen classischen
St&dtenamen Verwendung finden konnten***), erklärt sich aus der,
*) Daraus, dass rar die Abgrenzung eben nur die Ortsliste als Material
zn Grunde liegt, folgt nothwendig der meist gerade oder wenig abgerundete
Verlauf der in unserer Skizze gezogenen Grenzlinien; den von der Gestaltung
der Feldfluren der einzelnen Ortschaften abh&ngigen speciellen Lauf derselben
wird natürlich selbst die einheimische Verwaltung erst dann kennen lernen,
wenn eine vollständige geometrische Vermessung der neuen Provinzen — für
daa laufende Jahrhundert sicher nur ein frommer Wunsch ! — vorliegen wird.
**) In den älteren Provinzen hat diese officielle archaistische Nomen-
clatur auch im Gebrauche des gewöhnlichen Lebens schon meistens die
mittelalterlichen (grossentheils slawischen oder albanesischen) Localnamen
der Demenhauptorte verdrangt; in den neuen Provinzen wird sich diese be-
absichtigte Bückkehr zu classischen Namensformen erst in Zukunft vollziehen ;
vorläufig sind die resp. Hauptorte unter ihren bisher gewöhnlichen Be-
nennungen aufgeführt und in der Kartenskizze durch Unterstreichung ersicht-
lich gemacht. Dafe in den beiden nordwestlichsten Gebirgsgemeinden der
Eparchie Kalambaka, in den Demen Lakmon und ChattcU, je zwei solcher
Sitze der Gemeindebehörden angegeben sind, beruht auf einer, wie es scheint
den klimatischen Verhältnissen angepassten Einrichtung: Krcmia und Chaliki
beherbergen die Gemeinde- Verwaltung ihrer Demen im Sommer, Klinovo und
Koturi im Winter; eine Vertheilung, wie sie auch schon länger für einige
Demen in Aetolien und Phthiotis besteht.
***) Von solchen bekannter Lage sind z. B. im östlichen Küstenlande
(des alten Magnesia) Mdiboea, Metfume, Demetrias, am Golf von Volo das
phthiotische Thebae und Ealo$, in der unteren Peneios- Ebene Gyrton, JPha-
fcmna, Mrax, in der oberen Peiresiae und Pelinnaeon, auf den Vorhöhen des
Pindos Metropolis und Fhaloria nicht wieder benutzt worden; einige darunter
wären wohl zweckmässiger gewesen als mancher der factisch eingeführten
Namen. Dass nicht noch schwerere Misgriffe untergelaufen sind, hat mitunter
nur ein günstiger Zufall bewirkt, wofür uns ein treffendes Beispiel in Athen
mitgethetlt wurde. Der mit leichtfertigen Hypothesen sehr freigebige, aber
als erster Pionier, zumal auf epirotischem Gebiete, lange als maassgebend
geltende französische Consul Pouqueville hatte in seinem 1822 erschienenen
Reisewerk die Gegend der heutigen Stadt Kalambaka als Lage des alten Jthome
bezeichnet; auf diese Autorität hin hatten die griechischen Beamten bereits
diesen Namen für den entsprechenden Demos festgesetzt, in völliger Unkenntniss
des Umstände», dass eine in Kalambaka noch jetzt vorhandene, von dem be-
62 H. Kiepert:
entsprechend der jetzigen spärlicheren Bevölkerung, meist gegen
die alten Stadtgebiete weit grosseren Ausdehnung der neuen Ge-
meindebezirke; wo wiederum die alten Städtenamen nicht aus-
reichten, hat man solche von Bergen, wie Olympos, Titanion,
Othrys, Septas, Lakmon, oder Ebenen, wie Nesson*), Dotim,
auch von Flüssen, wie Onchestos und Lethaeos (in dem neugebil-
deten naqaXfid-atoi) , doch von keinem der altb erahmten Flusse
des Landes, verwendet. Manche Namen dagegen, deren antike
Lage überaus unsicher ist, z. B. Aphetae und Aeantion an der
SO.-Küste, Phyllos, Silana, Oxyneia, Pialia im oberen Peneios-
Thal, Menelate im südlichen Gebirge, Argithea und Tetraphylia
im Aspropotamos-Thal , wären zweckmässiger durch besser be-
glaubigte zu ersetzen gewesen. Von einzelnen kann man mit
Bestimmtheit sagen, dass sie sich nicht an der ihrer antiken
Existenz entsprechenden Stelle befinden: so Herakleia im SW.,
welches das einzigemal, wo es in der Kriegsgeschichte erwähnt
wird, ebensogut wie Argithea ein Städtchen der Athamanen
heisst, einer Völkerschaft, die sicher im Thalgebiete des' Inachos
oder oberen Acheloos einen weit grösseren Raum einnahm, als
ihr die jetzige Verwendung ihres Namens als Demos zugesteht.
Sicher an unrichtiger Stelle steht der Name der Tymphaei^ds,
das Gebirge Tymphe, von welchem ihre Landschaft benannt war, nach
Strabon die Quellen des Arachthos (d. i. des Flusses von Arta) ent-
hielt, also noch ausserhalb der neuen Grenze von Griechenland cn
suchen ist; ebenso höchst wahrscheinlich der Gau der Aethikesy dessen
Lage antike Autoren zwischen den Tymphaeern und Athamanen
angeben**) und der von Chalkis (zubenannt nqbg *A<Snq07X0%d\ki*
zum Unterschiede von der gleichnamigen euböischen Stadt), für
welches trotz des scheinbaren Gleichklangs die schon von Leake
gewagte Identification mit dem jetzigen Dorfe Chaliki an der
Aspropotamos-Quelle nicht acceptirt worden ist, während die antike
Angabe seiner Lage „an den Acheloos-Quellen " wahrscheinlich
kannten englischen Reisenden Leake schon zu Anfang des Jahrhunderts copirte
und später edirte Inschrift die Identität mit dem alten Aegimon beweist und
dass der Ort seit einem halben Jahrhundert in allen wissenschaftlichen
Werken und Karten also bezeichnet wird ; nur durch die zufallige Anwesen-
heit eines hesser unterrichteten deutschen Beisenden ist diesmal die Bureau-
kratie vor der Prostituirung ihrer Unwissenheit bewahrt worden.
*) Vielleicht ist damit nicht sowohl die Sumpfebene Nessonis als die
angebliche, nur von Steph. Byz. genannte sehr problematische Stadt Nesson
gemeint.
**) Es ist uns unverständlich, warum für die Neubenennungen nicht die
aus dem Alterthum wohlbezeugten landschaftlichen Namensformen 'Ad-aparia,
Al&ixia, Tv/uyala statt der ethnischen Plurale 'A&apaysg, AUtucss, TvpifaM
angewendet worden sind.
Bevölkerungsstand der neuen Provinzen des Griechischen Königreiches. 63
vielmehr sich auf den ostlichen Hauptarm des Aspropotamos be-
zieht, mithin im heutigen Demos Nevropolis zu suchen sein wird.
Wo endlich die ans dem Alterthum überlieferten Namen für
die neue Nomenclatur durchaus nicht hinreichend erschienen (in
manchen Fällen freilich ohne ersichtlichen Grund), hat man sich
begnügt, wie bereits früher in einigen für alte Geographie uner-
giebigen Landstrichen, z. B. Aetoliens geschehen war, die heutigen
Ortsnamen, zumal wo sie ohnehin einen dem griechischen Ohre
geläufigen Klang darboten, einfach beizubehalten oder wenig um-
zumodeln: so für sieben der nur aus einzelnen grossen Ortschaften
bestehenden Demen des Pelion-Gebirges, für Halmyros und Pia-
ianos am Westufer des Volo-Golfes, für das (ursprünglich slawische)
Tyrnavos in der unteren Peneios-Ebene, Kardhitsa im Centrum
der oberen thessalischen Ebene*), dann in der Berglandschaft des
Pindos Kalüphonion, Tamasion (aus dem vulgären Tzamasi),
Itamos (eigentlich Bergname), Nevropolis (Name der Thalebene),
Kothoni, Kastanea, Malakasion; endlich in dem von antiken Namen
am meisten entblossten epirotischen Antheile Kalarrytae, Agnanda,
Pramanda, Peta und sogar der Name der Nomoshauptstadt Atta.
Letztere ist zwar längst als die aus den Zeiten des peloponnesischen
Krieges und des Königs Pyrrhos berühmte epirotische Stadt Am-
brakia allgemein anerkannt, diesen längst verschollenen Namen
in sein historisches Recht wieder einzusetzen aber verhinderte
ein früher begangener Übereilungsfehler: vor fast einem halben
Jahrhundert, als die Möglichkeit einer einstigen Erwerbung dieses
wirklichen Ambrakia noch in sehr ferner Aussicht stehen mochte,
hatte man ihn an einer falschen Stelle, auf der gegenüberliegen-
den Südküste des nach der Stadt benannten Golfes, in der Eparchie
Akarnania untergebracht, um dem dort besonders empfindlichen
Mangel an classischen Namen, als Nothbehelf zu dienen, und dort
scheint er seitdem so feste Wurzel gefasst zu haben, dass man
jetzt vor der zweiten Inconsequenz weniger, als vor einer aber-
maligen Umtaufe des älteren Demos zurückscheut.
Als ein weit grosserer Mangel an Gonsequenz muss jedoch
die Abweichung von der bisherigen Praxis in den Gesammtbe-
nennangen der Nomen und Eparchien empfunden werden, für
welche einfach die Namen der Hauptstädte eingeführt worden
sind**), statt der im ganzen übrigen Königreiche wiederhergestellten,
*) Hierher gehört auch, dass zwar für den Demos die antike Namens-
form Trikka hergestellt, für Stadt, Eparchie und Nomos gleichwohl die mittel-
alterliche Umformung in Trikkala, als die dem Volke jetzt geläufige, weil
zugleich bedeutsame, beibehalten worden ist, — eine der vielen Inconse-
quenzen in dieser ganzen nicht gründlich genug durchgearbeiteten MasBregel.
**) Die einzige Ausnahme bildet der für die Eparchie Tmmerka bei-
behaltene albanesische Landschaftsname.
64 H. Kiepert: Bevölkerungsstand der neuen Prov. des Griech. Königreiches.
wenn auch in ihren Umgrenzungen vielfach veränderten antiken Land-
schaf tsn amen. So ist es gekommen, dass abgesehen von der
Unterdrückung mancher, wenigstens den gebildeten Griechen wohl-
bekannter Namen, wie Magnesia, Histiaeotis, Athamania, Dolopia,
die sich zweckmässig hätten benutzen lassen, selbst der nie ganz
vergessene, vor wenigen Jahren aber aus jedem Munde wieder-
hallende thessalische Name so wenig offizielle Verwendung ge-
funden hat, wie der epi rotische für den kleinen, für jetzt dem
Königreiche einverleibten Theil dieses wenigstens halbgriechischen
Landes*). Es ist zu hoffen, dass solche momentane Inconsequenzen
wieder beseitigt und die classischen allgemein verständlichen Be-
nennungen Ober- und Unter-Thessalien statt der Nomen
Trikkala und Larissa noch einmal in ihr wohlbegründetes Recht
werden eingesetzt werden.
*) Der im Verhältniss zn den beiden Nachbarprovinzen and überhaupt
allen übrigen Nomen des griechischen Festlandes so auffallend schmal ge-
rathene Zuschnitt dieser Westprovinz scheint allerdings von vornherein auf
spateren Zuwachs berechnet, da die nationalen Strebungen des modernen
Hellenenthums sich auf die Dauer nicht mit einer so unnatürlichen Grenze,
wie sie der Artafluss jetzt bildet, begnügen werden, so wenig wie mit dem
naturwidrigen Ausschluss des nördlichsten Theiles des thessalischen Beckens.
Die Binnengrenze der Nomen Arta und Trikkala fällt übrigens vollständig
zusammen mit der der unter türkischer Herrschaft bestandenen Verwaltungs-
gebiete, ist also vielleicht nur als eine provisorische Accommodation su ver-
stehen. Gemäss der uns bis jetzt, doch nur sehr unvollständig bekannten Boden-
gestaltung dieser Pindoslandschaft würde man eine Zusammenlegung des
ganzen Thalgebietes des Aspropotamos und Zutheilung desselben an den
Nomos Arta , also eine über den Hauptrücken des Pindos auf der Wasser-
scheide des Salamvrias und Aspros verlaufende Grenzlinie natürlicher gefunden
haben. Auf diese von uns vielleicht zu voreilig nur theoretisch angenommene
und in den Karten durch Zeichnung eines steilen und hohen Rückens wahr-
scheinlich allzuscharf ausgedrückte Scheidewand nimmt aber, wie ein Blick
auf unserer Karte zeigt, die neue Eparchien-Eintheilung gar keine, die Ab-
grenzung der Demen nur in der südlichen Hälfte Bücksicht, während die
Demen Aethikes, Chalkis, Lahmon davon durchschnitten werden und Ortschaften
beider genannten Stromgebiete in O. und W. in sich fassen. So hätte man nicht
verfahren können, wenn der Verkehr zwischen denselben nicht durch weit
mehr gangbare Pässe erleichtert wäre, als man bisher anzunehmen geneigt
war: die Vorstellung einer zusammenhängenden Hochkette des Pindos an
dieser Stelle wird wohl nun, da die Bereisung dieser hochinteressanten Ge-
birgslandschaft so wesentlich auch privaten Mitteln erleichtert ist, bald einer
correcteren Auffassang der speciellen Terrainformen weichen müssen.
Organisation der Thienschan-Länder. $5
Auszöge aus fünf in der handschriftlichen Ausgabe der
Peking-Zeitung vom 9. September 1882 (Kuangsü, 8. Jhr.
7. Mt. 27. Tg.) veröffentlichten Berichten, die Neu-
organisation der Thienschan-Länder betreffend.
1. Bericht des Statthalters der Thienschan-Länder,
Liu Chint'ang, und des General-Gouverneurs von Shensi
und Kansu, Tan-Chunglin, über die Neu-Organisation der
südlichen Thienschan-Länder.
Mit Ausschluss von Turfan, welches, als zu der Intendantur
von Chenti gehörig, jetzt nicht mehr zu dem Süd-Thienschan -Gebiet
gerechnet wird, giebt es in letzterem gegenwärtig acht städtische
Kreise, nämlich:
a) die vier ostlichen: Eharaschar, Khütscha, Aksu und Usch;
b) die vier westlichen: Yarkand, Kaschgar, Yingischar oder
Jengischehru und Khoten.
Es wird nun, und zwar zunächst von Liu-Chintang (dem sich
aber Tan-Chunglin, teilweise unter Aufgabe früherer abweichender
Ansichten, jetzt durchweg anschliesst), vorgeschlagen, zunächst die
vier ostlichen Städte unter der Leitung eines „Tautai mit mili-
tärischen Vollmachten u, welcher in Aksu residieren soll, zu einer
Intendantur zu vereinigen. Diesem Tautai von Aksu würde unter-
stellt werden: eine „Präfektur zweiten Ranges" in Eharaschar; eine
„Präfektur zweiten Ranges" unter. einem eben solchen Präfekten
in Khütscha; eine „Präfektur zweiten Ranges tt unter einem des-
gleichen Präfekten in Usch, und ein „ Ghou-Distrikt ersten Ranges",
welcher, unter Auffrischung eines althistorischen Namens, Wensu
Cbou, genannt werden und unter einem * Distriktsvorsteher tf das
engere Gebiet von Aksu umfassen soll. Diesem letzteren Beamten
würde schliesslich noch ein „Stadtmagistrat" mit dem Sitze in der
Stadt Bai unterstellt werden; Bai würde dann Hauptstadt eines
Hsien-Distrikts (Distrikts dritten Ranges), welcher den Namen
Paich'eng Heien führen würde. Für die ganze Intendantur scheint
der Name: „Die vier ostlichen Städte tt in Aussicht genommen zu
sein. — Daran würde sich im Westen an seh Hessen die Intendantur
der „vier westlichen Städte u unter einem „Tautai mit militärischen
Vollmachten a, welcher im Muhammedaner- Viertel der Stadt Kaschgar
seinen Amtssitz haben, und zu dessen Gbliegenheiten unter anderm
auch die Leitung des internationalen Handels gehören würde,
unter diesem Tautai würde das engere Stadtgebiet von Kaschgar
Zetechr. d. G«Mlli«h. t Erdk. Bd. XIX. 5
6$ Organisation der Thienechan-LÄnder.
einen „ Chou - Distrikt ersten Ranges* unter einem „Distrikts-
vorsteher44 bilden. Dieser letztere Beamte würde in dem Chinesen-
Viertel der Stadt Kaschgar residieren, und der Distrikt selber
unter Auffrischung eines althistorischen Namens den Namen Säle
Chou erhalten. Eine kleinere Unterabteilung des Kaschgarischen
Stadtgebiets würde unter dem Namen Süfu Hsien einen Distrikt
dritten Ranges bilden. Der an die Spitze dieses kleineren Distrikts
zu stellende „ Stadtmagistrat tt würde in dem Muhammedaner- Viertel
von Kaschgar residieren und dem Distriktsvorsteher von Sule Chou
subordiniert sein. Aus dem Stadtgebiet von Yingischar wäre eine
„Präfektur zweiten Ranges tt unter einem „Präfekten zweiten
Ranges", aus dem Gebiet von Tarkand ein „ Chou-Distrikt ersten
Ranges" unter einem „ Distriktsvorsteher a zu bilden. Dieser letz-
tere neue Distrikt würde, unter Wiederhervorsuchung eines alt-
historischen Namens, den Namen Shäche Chou oder Soche Chou
erhalten, und der Distriktsvorsteher in dem Chinesen- Viertel von
Yarkand residieren. Eine kleinere Unterabteilung dieses neuen
Yarkand- Distriktes würde unter dem Namen Yi£h-ch6ng Hsien
einen „Distrikt dritten Ranges" bilden und einem, zu dem Ressort
des Distriktvorstehers von Yarkand gehörigen „Stadtmagistrat1
mit dem Amtssitz im Muhammedaner- Viertel von Yarkand unter-
stellt werden. Das Stadtgebiet von Malabasch ist zu einer „Prä-
fektur zweiten Ranges tt unter einem „ Präfektur- Assistenten tt aus-
ersehen. Der Grund zu diesem Vorschlag liegt in dem Umstand,
dass Malabasch die von dem ostlichen nach dem westlichen Gebiet
führenden Strassen beherrscht. Das Stadtgebiet von Ehoten würde
sich zu einem „Chou-Distrikt ersten Ranges" unter einem „ Distrikts-
vorsteher " eignen und Hoti'en Chou genannt werden. (Hoti'en ist die
chinesische Aussprache von Ehoten.) Aus dem Stadtgebiet von
Eharakasch endlich würde ein zu dem Ressort von Ehoten gehöriger
Hsien-Distrikt (Distrikt dritten Ranges) unter einem Stadtmagistrat
zu bilden sein. Letzterer Beamte würde in Eharakasch residieren,
dieser Distrikt aber den althistorischen Namen Yüt'ien Hsien
erhalten. (Yütcien ist der altchinesische Name des Khoten-
Gebietes.)
Obige Vorschläge würden sich also durch nachstehendes
Schema veranschaulichen lassen.
Thienshan Nanlu oder die Süd-Thienschan-Länder.
a) Intendantur der vier östlichen Städte unter einem
Tautai. Residenz: Aksu. Verwaltungsgebiet: Kharaschar, Ehütscha,
Aksu und Usch, mit den Unterabteilungen:
I. Die Präfektur von Kharaschar unter einem Präfekten
zweiten Ranges.
Organisation der Thienschan- Länder. (J7
II. Die Präfektur von Khütscha unter einem Präfekten
zweiten Ranges.
III. Wensu Chou oder das Stadtgebiet von Aksu, unter
einem Distriktsvorsteher.
Dazu: Paich'eng Haien oder das Stadtgebiet
von Bai als Distrikt dritten Ranges unter einem Stadt-
magistrat.
IV. Die Präfektur von Usch unter einem Präfekten zweiten
Ranges.
b) Die Intendantur der vier westlichen Städte unter
einem Tautai. Residenz: Kaschgar, Muhammedaner- Viertel. Ver-
waltungsgebiet: Yarkand, Kaschgar, Yingischar und Ehoten, mit
folgenden Unterabteilungen:
I. SulS Chou oder das Stadtgebiet von Kaschgar
unter einem Distriktsvorsteher. Residenz: Kaschgar,
Chinesen- Viertel.
Dazu : Süf u Hsie n als Distrikt dritten Ranges, einen Teil
des Stadtgebiets von Kaschgar umfassend, unter einem Stadt-
magistrat. Residenz: Kaschgar, Muhammedaner- Viertel.
II. Die Präfektur von Yingischar unter einem Präfekten
zweiten Ranges.
III. Shäche Chou oder Söchä Chou, d. h. das Stadt-
gebiet von Yarkand, unter einem Distriktsvorsteher.
Residenz: Yarkand, Chinesen- Viertel.
Dazu: Yie-cheng-hsien als Distrikt dritten Ranges,
einen Teil des Stadtgebiets von Yarkand umfassend, unter
einem Stadtmagistrat. Residenz: Yarkand, Muhammedaner-
Viertel.
IV. Die Präfektur von Malabasch, unter einem Sub-
präfekten.
V. Hotien Chou oder das Stadtgebiet von Khoten
unter einem Distriktsvorsteher. Residenz: Khoten.
Dazu: Yütien Hsien als Distrikt dritten Ranges
unter einem Stadtmagistrat mit der Residenz in Khara-
kasch.
„Obigen Vorschlägen zufolge a, sagen die Berichterstatter
weiterhin, „würde die Zahl der Verwaltungsbeamten im Süd-
Thienschan -Gebiet etwas geringer sein, als Tso tsungtang im
Frühjahr 1880, etwas hoher, als der eine der Berichterstatter,
Tan Chunglin , selber in einer früheren Eingabe vorgeschlagen
hatte." Yerfasst worden ist obige Denkschrift von Liu Chintang,
ihre Zustimmung zu derselben haben aber nicht nur Tan Chunglin,
sondern auch der Statthalterei - Assistent Chang Yao und der
Reorganisations-Assistent Yang-Chan g-chün zu erkennen gegeben.
6*
68 Organisation der Thienschan-L&nder.
2. Bericht von Liu Chint'ang and Collegen (speziell
von Liu Chint'ang entworfen).
Bisher hat es in den Städten des Thienschan-Gebietes anter
dem Titel von Akim Beg's und dergleichen einheimische Beamte
gegeben, welchen chinesischerseijs die Insignien des vierten and
auch wohl des dritten Ranges verliehen wurden. Da nun die
chinesischen Beamten — Präfekten zweiter Klasse u. s. w. — , welche
nach den im Bericht No. 1 enthaltenen Vorschlägen die Stadt-
gebiete der Süd-ThienBchan-Länder in Zukunft zu verwalten haben
wurden, keiner sehr hohen Beamtenklasse angehören, so wurde,
wenn man das einheimische Beamtensystem anverändert bestehen
lassen wollte, zu befürchten sein, dass „die Zweige sich grosser
als der Stamm dünkten". Deshalb sollten die sämtlichen, bisher
von einheimischen Muhammedanern verwalteten Ämter aufgehoben
and auch die Benennungen Akim Beg u. s. w. gänzlich ab-
geschafft werden. Dagegen sollte man für die Eingeborenen eine
Anzahl von Friedensrichterstellen kreieren. Diese Friedensrichter
würden nicht zu den eigentlichen Beamten gerechnet werden,
sondern nur eine Art von Honoratioren mit gewissen amtlichen
Funktionen vorstellen. Als Entgelt für die Ausübung der ihnen
zu übertragenden Obliegenheiten würden sie Ländereien zur Nutz-
niessung angewiesen erhalten.
Ferner sind die Turki's der Südgebiete im allgemeinen un-
gebildet und stehen ganz unter dem Einfluss der Koranleser,
welche den Leuten viel dummes Zeug vorschwatzen and dadurch
schon viel Unheil angerichtet haben. Schlimm ist es auch, dass
die chinesischen Beamten sich mit den den Tarki-Dialekt redenden
Eingebornen bisher nur mit Hülfe der Akim Beg's und durch
Dolmetscher verständigen konnten.
Seit Wiedereroberung der Thienschan-Länder sind daher in
den verschiedenen Städten bereits eine Anzahl chinesischer Frei-
schulen für Muhammedaner eingerichtet worden. Der Erfolg ist
ein guter gewesen. Die Turki-Knaben scheinen intelligent zu sein,
und machen gute Fortschritte. Es würde sich deshalb empfehlen,
wenn nach Einrichtung der im Bericht 1 vorgeschlagenen Ver-
waltungsbezirke in den bereits vorhandenen Schalen offizielle Lehrer
angestellt und jährliche Prüfungen eingeführt würden. Der Unter-
richt hatte sich zu erstrecken auf das „Elementarbuch des Chahi",
das „Buch von den Kindespflichten", die „Gespräche des Con-
fucius", die „Werke des Mencius", die „grosse Lehre", die „un-
wandelbare Mitte", das „Buch der Lieder", das „Buch der Ver-
wandlungentf und den „Frühling und Herbst". Wer in einem
dieser Bücher die erforderlichen Kenntnisse erworben hat and
daneben der chinesischen Umgangssprache mächtig ist, hat sich
Organisation der Thienschan-Länder. ß$
einer Nachprüfung bei dem Tautai seiner Intendantur zu unter-
ziehen, und erhält dann durch das betreffende Ministerium in
Peking eventuell das Recht zur Anlegung der Abzeichen eines
der niedrigeren literarischen Orade und dadurch zugleich die An-
wartschaft darauf, wenn er das notige Alter erreicht hat, eine
Friedensrichterstelle zu bekommen. Besonderer Fleiss, z. B.
wenn einer in mehr als einem der obengenannten Bucher die
obenerwähnte Doppelprüfung besteht, kann ohne Rucksicht darauf,
ob der Betreffende Friedensrichter ist resp. gewesen ist, oder nicht
durch die Verleihung höherer Rangabzeichen, bis incl. derjenigen
der sechsten Beamtenklasse, aber im allgemeinen keiner höheren,
belohnt werden. Den bisherigen Akim Beg's der dritten, vierten
und fünften chinesischen Rangklasse wurde indessen das Weiter-
tragen ihrer Amtsabzeichen incl. der Pfauenfeder zu gestatten
und ihnen Friedensrichterstellen zu verleihen sein. Künftigen
Friedensrichtern dagegen konnten nur für ganz besondere dienst-
liche Auszeichnung auch in Zukunft ausnahmsweise durch besondere
Kaiserliche Gnade die Insignien der dritten, vierten oder fünften
Rangklasse zuerteilt werden.
3. Bericht von Liu Chint'ang allein, mittelst dessen er
beantragt, Hami, die Intendantur von Chenti oder Ch&nti Tao
(d. h. Barkul, Turfan und Urumtsi), sowie die sämtlichen laut
Bericht 1 neu zu kreierenden Intendanturen, Präfekturen u. s. w.
der Süd -Thienschan-Länder der Provinz Kansu einzuverleiben.
Der Berichterstatter ist sich wohl bewasst, sich durch den oben
formulierten Antrag mit einem früheren Vorschlage des jetzigen
General - Gouverneurs von Shensi und Kansu, Tan Chunglin,
vom 3. Mai dieses J., und mit einem noch früheren Antrage Tso
Tsungtang's vom 26. Mai 1880, welche beide die Bildung einer
besonderen, neuen Provinz aus den Thienschan- Ländern ein-
schliesslich Hami's und der Intendantur von CbSnti befürwortet
hatten, in Widerspruch zu setzen. Der Berichterstatter weist in-
dessen darauf hin, dass ihm eine siebenjährige persönliche Er-
fahrung zur Seite stehe, und dass er deshalb keinen Anstand
nehme, seiner abweichenden Meinung Ausdruck zu geben. Sie
beruht darauf, dass, wie die Wiedereroberung der Thienschan-
Länder gezeigt habe, diese Gebiete nicht zu halten seien, wenn
der General-Gouverneur von Shensi und Kansu dieselben nicht
als zu seinem Ressort gehörig betrachte. Liu Chintcang beantragt
daher, nicht nur die bereits früher zu Kansu gehörig gewesenen,
augenblicklich aber ihm selber als Kaiserlichen Statthalter unter-
stellten Gebiete von Hami und Barkul - Turfan - Urumtsi wieder
«a Kansu zu schlagen, sondern auch die ganzen Süd-Thienschan-
Länder der Provinz Kansu einzuverleiben, und in Verbindung
70 Organisation der Thiensehan-Lander.
hiermit den Posten eines Gouverneurs von Kansu mit dem
Sitz in Urumtsi neu zu kreieren. (Bisher gab es nur einen Ge-
neral-Gouverneur von Shensi und Kansu.) Sein Ressort wurde
die gesamten Nord- und Süd-Thienschan-Länder umfassen, ein-
schliesslich Hami's. (Er wurde also in der That Gouverneur des
äusseren Kansu sein.) Als Vorbild für die im allgemeinen
nicht übliche Trennung des Sitzes des General-Gouverneurs von
dem des Gouverneurs führt Liu Chintcang das General - Gouver-
nement der beiden Kiang's an, wo gleichfalls der General-Gou-
verneur in Nanking, der spezielle Gouverneur von Kiangsu aber
getrennt von ihm in Souchu residiert. Diesem Gouverneur des
äusseren Kansu wird der Nebenrang eines Kriegsministers bei-
zulegen sein, damit er als Oberbefehlshaber der gesammten Truppen-
macht jener Gegenden fungieren und mit dem Schutz der Grenze
betraut werden könnte. Dem Gouverneur wäre, gleichfalls mit
dem Sitz in Urumtsi, ein „ Schatzmeister des äusseren Kansu a bei-
zugeben. Dem Tautai von Barkul-Turfan-Urumtsi wäre (ähnlich
wie dem Tautai von Formosa) der Nebenrang eines Provinzial-
Oberrichters beizulegen und ihm die oberste Gerichtsbarkeit, sowie
die Oberpostmeisterwürde für das ganze Thienschan-Gebiet zn
übertragen. Der jetzige Chou-Distrikt ersten Ranges von Tihaa
oder Urumtsi wäre neu zu organisieren, dergestalt, dass das
engere Stadtgebiet von Urumtsi zu einem Hsien-Distrikt, d. h. zn
einem Distrikt dritter Ordnung, unter dem Namen Tihua Hsien
erniedrigt, dagegen ein neuer Fu-Distrikt, d. h. Distrikt ersten
Ranges von Urumtsi unter dem Namen Tihua Fu und unter
Leitung eines Präfekten ersten Ranges gegründet würde. Dieser
neue Urumtsi-Distrikt würde seinerseits wieder in fünf Distrikte
dritter Ordnung, nämlich in die Hsien-Distrikte von Tihua (Urumtsi),
Ghangchi, Sailai, Fukang und Chitai zerfallen. Der Präfekt
des ganzen Distrikts würde seinen Sitz in demjenigen Quartier
von Urumtsi haben, welches den Namen Tihua, Ch£ng, „Stadt
Tihua«, führt.
„Dalli jetzt bereits an China zurückgegeben isttf (erste
Erwähnung des vollendeten Faktums in der Peking-Zeitung) und
auch die Grenzregulierung bald vollendet sein dürfte, so konnte dann
nach Ernennung des Gouverneurs des Äusseren „Kansu" der
Posten eines Kaiserlichen Statthalters, den der Berichterstatter
jetzt bekleidet, ganz aufgehoben werden, und der Berichterstatter,
nach Übergabe der Geschäfte an den neuen Gouverneur und
nach Hebung eines Fussübels, an dem er jetzt leidet, endlich die
lange gewünschte Gelegenheit finden, Peking zu besuchen.
4. Fernerer Sonderbericht Liu Chint'ang's über das
Zusammenschmelzen der Bannertruppen in den früheren, söge-
Organisation der Tbienschan-Länder. 71
nannten „ Mandschurischen Lagern tt im Thienschan-Gebiet und die
Unmöglichkeit, dieselben wieder auf ihren früheren Fuss zu
bringen. Als Beispiel fuhrt Berichterstatter Outschen und Urumtsi
an. „ Als seiner Zeit", schreibt er, „der zum Kommandanten der
Feldtruppen von Outschen ernannte Sheng An, von Peking kom-
mend, Hami passierte, sagte er zu mir: Sehen Sie sich einmal das
Mandschu-Lager von Outschen an. Die Baulichkeiten liegen unter
üppig wucherndem Grase begraben; Bannersoldaten giebt es dort
noch keine zwanzig Mann. Ich musste nun eigentlich hingehen,
um meinen Posten dort anzutreten, aber es sind weder Truppen
da, die ich kommandieren, noch ein Haus, das ich bewohnen
könnte." Ich (Liu Chintcang) ermahnte ihn darauf, sich nur mit
dem Bannergeneral von Ili, Ghin Shun, und mit dem Banner-
Präfekten von Uramtsi, Eung Tang, in Verbindung zu setzen
und zu sehen, was sich machen Hesse, worauf er seufzend nord-
wärts über den Thienschan ging. Als ich im Jahre 1876 Urumtsi
eroberte, fand ich das Mandschu-Qaartier in Trümmern, und von
Banner-Soldaten keine Spur. Erst als ich später in den Süd-
Thienschan-Ländern von Stadt zu Stadt vordrang, gelang es mir,
eine Anzahl von den Rebellen gefangen mitgeschleppter Banner-
leute zu befreien. Diese siedelten sich wieder in Uramtsi an, aber
gross ist ihre Zahl nicht, und Eung Tang, ihr Präfekt, findet
daher in Urumtsi, obgleich ihm ausserdem auch noch die Ober-
aufsicht über die Verwaltung der Intendantur von Barkue-Turfan-
Urumtsi zusteht, doch kein angemessenes Feld für seine hervor-
ragenden Talente. Ähnlich ist es in Hami, wo auf Antrag des
städtischen Gouverneurs Mingchun die beiden Bannerlager bereits
aufgelöst und die Leitung der muhamedani sehen Angelegenheiten
an den Subprafekten von Hami übertragen worden ist. So haben
sich eben die Verhältnisse geändert, dass die städtischen Gouver-
neure, Kommandanten der Feldtruppen und Banner-Präfekten in
den Tbienschan-Ländern , an der Spitze spärlicher Truppenreste
stehend, nur noch wenig zu thun haben. Dazu aber ernennt der
Hof doch nicht seine Beamten, und die Beamten selber können
in solchen Stellen auch keine Befriedigung finden. Ich schlage
daher vor, falls mein Antrag auf Einsetzung eines Gouverneurs
für das äussere Eansu die Allerhöchste Billigung finden sollte,
demselben in Urumtsi, seiner künftigen Residenz, eine Trappen-
division nach dem Master aller anderen Provinzen beizugeben
und das ganze Militär-System des Thienschan-Gebietes ganz nach
Analogie der übrigen Provinzen unter Brigade-Generalen etc. neu
zu organisieren. Der jetzige höchstkommandierende Chinesen-
General von Urumtsi wurde seinen Sitz in Zukunft in Easchgar,
als dem wichtigsten Punkt des ganzen Gebietes, aufzuschlagen
72 Organisation der Thienschan-L&nder.
haben. Die sämtlichen früheren assistierenden Gouverneur»-,
städtische Gouverneurs- und Feldtruppen-Kommandenrs-Posten in
Turfan und den Sud-Städten, sowie die sämtlichen früheren Banner-
Präfekten-, städtische Gouverneurs- und Feldtruppen-Komman-
deurs-Posten in den Städten von Hami bis Ili konnten dann
grösstenteils kassiert werden. Wenn ferner die geringen Reste
der Bannertruppen in Burkul, Gutschen, Urumtsi und Kurkara
Ussu in ihrer jetzigen Zerstreuung und Zersplitterung verbleiben,
so wird man nur geringen Nutzen aus ihnen ziehen. Ich schlage
daher vor, sie sämtlich in dem Mandschu-Lager von Ili zu ver-
einigen und dort mit der Zeit eine Elite-Truppe aus ihnen zu
bilden. In Friedenszeiten sind bis jetzt die gesamten Thienschan«
Länder dem Oberkommando des Bann er- Generals von Ili unterstellt
gewesen, während der Banner-Präfekt von Urumtsi zugleich die
Oberaufsicht über den ganzen Kreis von Che'nti (Burkul-Turfan-
Urumtsi) führte. Wenn jetzt meinem Vorschlage gemäss ein
Gouverneur für das äussere Kansu ernannt werden sollte, so
würden nicht nur dem Banner-Präfekten von Urumtsi, sondern
auch dem Bann er- General von Ili diese ausserordentlichen Voll-
machten zu nehmen, und letzterem eine Stellung zu geben sein,
wie sie die Banner-Generale in allen Provinzen einnehmen.
5. Bericht des Statthalterei-Assistenten ChangYao
(der Name kann auch Ghang Yu£h gelesen werden). „Einer
Mitteilung des Banner-Generals Chin Shun, und des assistirenden
Gouverneurs Sheng Tai von Ili zufolge ist am 22. März d. J.
das Kuldscha-Gebiet wieder in chinesische Verwaltung überge-
gangen. Eine neue Organisation des Militärs in den Thienschan-
Ländern erweist sich nunmehr als eine der Angelegenheiten, die
unsere Aufmerksamkeit vor Allem zu beschäftigen haben. Und
zwar hat sich das Augenmerk hauptsächlich auf drei Punkte zu
richten : a) Vermehrung der Reiterei ; b) Ausrüstung der Troppen
mit den besten Feuerwaffen; c) Bechaffung mobiler Feldtruppen-
korps. — In den „Lagern der grünen Flagge" (d. h. bei den
chinesischen Truppen in den Provinzen) herrschen die Soldaten
zu Fuss vor, Reiterei ist wenig vorhanden. In den Thienschan-
Ländern, wo die einzelnen Städte weit von einander liegen,
und Wüstenstrecken das bewohnbare Land unterbrechen, ist eine
starke Reiterei dringend geboten. — Die Überlegenheit der Feuer-
waffen über alle andern, und wieder die neueren Systeme aber
die älteren, wozu erst als drittes Moment die überlegene Zahl der
verwendbaren Feuerwaffen kommt, hat sich in allen unseren neuer-
lichen Feldzügen erwiesen. Die Ausländer legen daher auf die
Zahl der Truppen viel weniger Gewicht, als auf die Vortrefflich-
keit der Ausrüstung und auf die Ausbildung der Leute im Ge-
J. v. Müller: Heise durch das Gebiet der Gadabursi-Somaii nach Harrir. 73
brauch der ihnen anvertrauten Waffen. Die höheren Kosten des
Ausrüstungs- Materials könne grossenteils durch Ersparung an
Sold in Folge geringeren Truppenbestandes wieder eingebracht
werden. — Die mobilen Feldkorps endlich, unter dem einheit-
lichen Kommando eines höheren Militärs, würden im Gegensatz j
zu den nicht zu zahlreich zu bemessenden ständigen Stadtgar- j
nisonen, die Bestimmung haben, an etwa bedrohte Punkte gesandt |
zu werden. In Zeiten des Friedens wurde es ihnen auch nicht
an Beschäftigung fehlen; besonders müssten regelmässige Feld- |
Manöver an der Grenze stattfinden. Was nun die Frage anbe- J
trifft, aus was für Elementen die künftige reguläre Truppenmacht I
der Thienschan-Länder zu bilden sei, so kann sich Berichterstatter, j
„ganz in Übereinstimmung mit Liu Chint'ang", nar dafür aus-
sprechen, dazu die besten Leute der jetzigen irregulären Truppen zu
verwenden, mittelst deren die Ruckeroberung der Thienschan-Länder
durchgeführt worden ist. Ein Teil der Soldaten wurde auch
Felder zum Bebauen erhalten können. AuCh wurde man es auf j
diese Weise vermeiden, gar zu Viele von den jetzigen Irregulären
entlassen zu müssen, was ein grosser Vorteil sein würde, da aus '
solchen entlassenen Leuten später selten etwas Rechtes wird.
Am besten wäre der höchst sachverständige Liu Chinfang mit der ,
Durchführung dieser Umwandlung der irregulären Korps in eine
reguläre Truppenmacht zu betrauen. j
Alle vorstehend ausgezogenen fünf Berichte sind durch Kaiser-
liches Edikt vom 5. September zunächst „zur Begutachtung an
die zuständigen Ministerien" überwiesen worden.
V.
Tagebuch einer Reise durch das Gebiet der Gadabursi-
Somäli und Noli-Galla nach Harr&r.
Von John Freiherr von Müller.
Beim Tagesgrauen des 18. März 1882 Verliese ich an Bord des
englischen Stahlbootes „Operkullum" den Hafen Massawas. Schwere
Regenwolken gössen ihren Inhalt auf uns herab, die See ging
hoch, ein feucht- warmer Wind heulte in den Masten.' Erst auf
der Breite von Assab klärte sich der Himmel auf, doch blieb das
Meer unruhig; erst als wir am Abend des 19. unfern Perim
ankerten, horte mit einschlafendem Wind das Rollen und Stampfen
74 J- ▼• Müller:
des Dampfers auf. Aid nächsten Tag kam unter strömendem Regen
Zei'la in Sicht. Wir gaben Signale eine Seya zu senden, doch
verstand man uns nicht, und so blieb uns denn nichts übrig, als
sich der schwankenden Schalupe anzuvertrauen. Ich blieb an Bord,
um die letzten Angelegenheiten zu ordnen, während der Commodore
mit einem Officier und meinem ersten Dragoman die bei der hohen
See nicht ungefährliche Fahrt nach dem an 10 Meilen entfernten
Zeila antraten. Am Mittag des 21. März näherte sich eine
geräumige Seya dem „ Operkullum " . Die Bagage wurde ein-
geschifft, ich selbst ging mit den Dienern an Bord, und während
wir bei steifer Brise durch das milchgrüne Korallenwasser schnitten,
setzte sich der Dampfer in Bewegung, seinen Cours nach Aden
nehmend. So war ich denn wieder auf eigene Kräfte angewiesen ;
vor mir lagen die gefährlichen Savannen der Isa- und Gadabursi-
Somalen. Um sie zu durchreisen, musste ich den unvermeidlichen
Schutz der ägyptischen Regierung in Anspruch nehmen — und
dieser Schutz war mehr wie problematisch. Am Nil gährte es
seit Monaten und schon plante man, die Europäer gänslich zu
vernichten; in Aden wurde im Geheimen gerüstet, allerlei Gerüchte
von ermordeten Europäern schwebten in der Luft, und es war
daher natürlich, dass man mich unter solchen Umständen für einen
englischen Spion hielt. War ich doch mit einem englischen Steamer
von Perinf gekommen. Auch mein vorzüglicher Fermän änderte
nichts, er bestärkte vielmehr die primitiven Köpfe der Ägypter in
dem Glauben, dass sie es mit einem besonders hohen Spion za
thun hätten.
Am späten Nachmittag erreichten wir die Stadt. Wir waren
ca. 2 Meilen im Wasser gewatet, denn die Seya konnte der
Ebbe wegen die äusseren Riffe nicht passieren; unsere Toilette
war gerade nicht die eleganteste, als wir unseren Fuss auf das
trockene Land setzten. Ich hatte am Tage vorher den ersten
Dragoman mit dem Fermän zum Bascha geschickt, um ihm meinen
Salam zu bringen und Quartier zu machen. So war denn Alles
vorbereitet, die Einwohner hatten ihre Feiertagskleider angelegt,
Abu-Bekr Bascha empfing mich auf das Zuvorkommendste und
führte mich in sein eigenes für mich eingeräumtes Haus mit luftiger
Terrasse. Man schickte orientalische Süssigkeiten und that Alles,
was irgend zu meiner Bequemlichkeit beitragen konnte. Am
nächsten Tage kamen der Bascha mit dem Wakil und anderen
Würdenträgern, um mir ihre Aufwartang zu machen. Ich trag
ihnen gleich meine Absicht vor, Harrär zu besuchen, und die
Länder der Somälen kennen zu lernen. Wie ich erwartet hatte,
fand ich energischen Widerstand. Es hiess, die Savannen seien
in Folge der vorgerückten Jahreszeit überschwemmt, die Gada-
Reise durch das Gebiet der Gadabursi-SomAli u. Noli-Galla nach Harrdr. 75
bursi lagen mit den Isa nnd Wersingerri im Kampf, der Verkehr
mit Harrar sei unterbrochen and die Noli-Galla ermordeten jeden
Fremden; man riet mir überhaupt, schleunigst nach Aden oder
Massawa zurückzukehren, da das Klima in Zeila sehr gefahrlich
sei. Am folgenden Tage wurde ein zweites Schauri abgehalten,
in welchem ich vom Bascha Mannschaft und Kamele verlangte,
und Dank meinem bestimmten Vorgehen Zusage erhielt. Meine
Abreise wurde auf den 24. März festgesetzt, Kamele wurden
gekauft und alles für den Abmarsch vorbereitet; meine zwei
Dragomane arbeiteten tüchtig, besonders bewahrte sich der Abes-
sinier Marcus Germai, dessen vorzuglichen Charakter ich schon
im Sudan schätzen zu lernen Gelegenheit hatte. Neben meinen
Abessiniern nahm ich noch zwei Isa- Somali, zwei Frauen vom
Stamme der Gadabursi und einen Kurden in Dienst. Wir waren
gut bewaffnet und hinlänglich mit Proviant versehen. Ehe ich
die Küste verlasse, will ich einige Worte über das heutige Zei'la
und die politischen Verhältnisse der Somali-Länder vorausschicken.
ZeTla hat sich seit dem Besuche Burtons nur wenig verändert.
Der Hafen ist noch genau so schlecht wie früher, doch hat man
einen Damm von dem Divän des Gumruk in die hier sehr flache
See hinausgeführt; bei Ebbe steht derselbe vollkommen auf dem
Trockenen und nur bei Flut erlaubt er die Annäherung flacher
Barken. Die Stadtmauer ist geschleift, nur an wenigen Stellen
erheben sich noch Überreste. Der Divän des Bascha ist ein
geräumiges Gebäude, dessen Material wie bei allen übrigen Häusern
aus Korallen- Blocken besteht. Wie früher sind auch noch heute
in der Regenzeit die Strassen ZeTlas unpassierbar, während in der
Trockenzeit ein brauner dichter Staub alles überzieht, ähnlich wie
zur Zeit des NO.- Sturmes in Kassala. Militär befindet sich zur
Zeit nicht in Zeila, man hat sämtliche wehrfähigen Ägypter nach
Harrar geschickt, um sie in den Kriegen mit den Galla-Stämmen
zu verwenden. Es ist die Absicht der Regierung, das Gebiet der
Isa und Gadabursi- Somali gänzlich zu unterwerfen, Militär-Stationen
anzulegen und Tribut zu erheben. Bis jetzt ist dies aber nicht
gelungen; die Ägypter werden überall geschlagen, wovon eine
zerstörte Befestigung auf der Route nach Harrar Zeugnis giebt«
Das Einvernehmen zwischen den Divänen in Zeila und Harrar
ist durchaus nicht das beste, man beschuldigt Abu-Bekr Bascha
im Geheimen mit Ankobär in Verbindung zu stehen, von Obock
Waffen dorthin zu dirigieren und in allem den Kairiner Ideen
entgegenzuarbeiten. Man hat jedoch bis jetzt noch nichts gegen
ihn vermocht, da er erster Häuptling der Dankali ist und bei den
Gadabursi und Isa grossen Einfluss besitzt. Auch haben seine
zahlreichen Söhne alle wichtigen Posten inne, und mehrere Ver-
76 J- ▼. Müller:
eucbe, ihn durch Gift zu beseitigen, sind bei der grossen Vorsicht
Abu-Bekrs gescheitert. Die Herrschaft Ägyptens erstreckt «ch
nur auf die Küstenplätze Tadschurra, Zei'la, Bulhar und Berber«
und die an der Grenze der Noli- und Meta-Galla gelegene Stadt
Harrar. Alles zwischen diesen Plätzen gelegene Gebiet ist im Besitz
der Somali- und Galla-Stämme.
Es existieren nach Harrar zwei Routen. Die von Zella,
teils durch das Gebiet der Gadabursi, teils durch das der Isa oder
Eisa führende ist die besuchteste. Es kommen hier Plünderungen
der Karawanen seltener vor, hauptsächlich infolge zahlreicher
Geschenke, welche Nadi Bascha den Häuptlingen jährlich spendet,
sowie infolge des Einflusses, den Abu-Bekr Bascha ausübt; doch
muss man vorsichtig und gut bewaffnet sein und niemals versäumen,
bei Nacht scharfe Wachen auszustellen. Der Somali ist Meister
im nächtlichen Überfall, auch schleicht er gleich dem Leopard an
den Kraal heran, springt hinein und ebenso schnell an der andern
Seite heraus, während er im Sprung dem schlafenden Gegner die
haarscharfe Lanze durch den Leib stosst. Verträge existieren in
diesen Gebieten nur, um sie nicht zu halten; es ist daher Regel,
jeden, der sich bis auf Schussweite dem Lager nähert, ohne
weiteres niederzuschiessen; nur durch die regste Aufmerksamkeit
und das grosstmogliche Miastranen kann man Unfällen und Dieb-
stählen vorbeugen. Auch in letzteren ist der Somali Meister.
Er salbt zu diesem Zweck seinen nackten Korper über und über
mit Butter, so dass niemand ihn fassen kann, schleicht sich dann
an das Lager des Schlafenden, diesen so lange mit einer Feder
kitzelnd, bis er sich so gedreht hat, dass die Stelle des Lagers,
unter welcher das vermutete Geld verborgen ist, frei wird und er
den Diebstahl bequem ausführen kann. —
Am Freitag, den 24. März 1882, war ich marschbereit
Es sollte schon in der Frühe aufgebrochen werden, doch traten
noch verschiedene unvermeidliche Hindernisse in den Weg, so dass
es 3 Uhr Nachmittags wurde, ehe ich fertig im Sattel sass.
Zeila liegt auf einer flachen, nur um wenige Fuss über der
höchsten Flutmarke erhabenen Halbinsel. Im Osten glänzt die
blaue Meeresfläche des Indischen Oceans, im Westen dehnt sich
die ebene Savanne aus, deren Einförmigkeit nur in der Richtung
nach Tadschurra durch niedere Hügelzüge unterbrochen wird.
Über diese Strandebene begann ich meinen Marsch in südwest-
licher Richtung anzutreten. Das Terrain ist zeitweise von flachen
Furchen unterbrochen, welche an einen frischgepflügten Acker
erinnern; dieselben sind der Überbleibsel des ehemaligen Meeres-
boden. Noch in unseren Tagen wird die Umgebung der Stadt
bei besonders heftigem Monsun unter Wasser gesetzt. Die Vege-
Reise durch das Gebiet der Gadaburai-Somdli u. Noli-Galla nach Harrär. 77
tation ist spärlich, niedere Hotum- Sträucher bieten die einzigen
Reprisentanten; erst bei Worobod tritt Uscher und Dorngestrupp
auf. Bei Sonnenuntergang 6 Uhr Nachm. erreichten wir diesen
ersten Lagerplatz anf der Route nach Harrär. Es sind hier
Brunnengruben in einem geringen Chor abgeteuft, doch ist das
Wasser brakisch; die Zeila mit Trinkwasser versorgenden Frauen
schöpfen daher dasselbe weiter westlich, bis wohin sich die Infil-
tration des Meeres nicht mehr erstreckt. Worobod bedeutet Hyänen-
Brunnen. Einiges Grün belebt die einförmige Landschaft, das
Terrain ist noch immer flach, doch treten südlich Dünenbildungen
auf, welche in der Mittagsglut von Zeila gesehen bedeutend hoher
erscheinen. Wir lagern hier während der Nacht
Samstag, den 25. März. Die vergangene Nacht war durch
den beständigen Regen, welchem wir ohne Schutz ausgesetzt
waren , sehr lästig; völlig durchnässt steige ich früh um 4 Uhr
55 Minuten in den Sattel. Direktion der Route SW. Die hier
schon mit hohem Gras bestandene Savanne ist teilweise über-
schwemmt und der Boden so glatt, dass die Kamele beständig
ausgleiten. Gegen Mittag kommt endlich die Sonne zum Vorschein,
wir lagern um 1 Uhr auf einer Bodenerhebung, die den Namen
Agar Uine trägt Die Kleidungsstücke werden getrocknet und aus
den Kamelmatten eine solide Hütte für die Nacht konstruiert.
Kaum ist dieselbe fertig, so strömt ein sündflutartiger Regen aufs
neue hernieder. Ich verkrieche mich in dem jetzt so wertvollen
Bau, während meine Mannschaft an dem niederen Eingang kauert
and sich Geschichten erzählt Die Tierfabeln sind auch hier wieder
der Mittelpunkt, und es gelingt mir einige interessante Anekdoten
zu Papier zu bringen. Mein grosses amerikanisches Zelt entbehre
ich sehr ; des etwas schwerfälligen Transportes wegen ist dasselbe
in Massawa zurückgeblieben. — Die Kamele der Somali sind klein,
mager und ohne jede Ausdauer, das Klima ist für sie zu feucht;
südlich vom 40.° N.-Br. kommen sie nur noch kümmerlich fort,
leiden an Geschwüren und sind schon nach geringer Anstrengung
unbrauchbar. Eigentümlich ist die Art, in welcher der So mal die
Last auf dem Kamel befestigt. Er legt zu diesem Zweck 8 bis 4
höchst solide, aus Steppengras gefertigte Matten, deren eine Seite
glatt, die andere dagegen so geflochten ist, dass sie weichem, lang«
haarigen Pelzwerk gleicht, auf den Rücken des Thieres, damit
dasselbe nicht gedrückt werde und befestigt auf diesen vier solide
Stangen, welche paarweise zusammen gebunden den eigentlichen
Sattel bilden. Verletzungen des Kamels durch die Last sind auf
diese Weise ausgeschlossen, doch wird das Tier sehr an freier
Bewegung gehindert; auch nimmt die Konstruktion des Sattels
viel Zeit in Anspruch. Wird gelagert, so dienen die Stangen und
78 J- ▼• Müller:
Matten zum Aufbau der allerdings sehr kleinen , nur 2^ Fass
hohen, immerhin aber einen genügenden Schatz bietenden Hätte.
Das Dach ist vollkommen wasserdicht infolge der langhaarigen
Matten, an welchen das Regenwasser ab flieset
Erst gegen Sonnenuntergang teilte sich das dichte Regen-
gew 61k, die Savanne stand, so weit das Auge reichte, anter Wasser,
einige flache Bodenerhebungen ragten aus dem Wasserspiegel
hervor. Ich beschloss, die Nacht hier zuzubringen, da bei solchen
Umständen ein Weitermarsch nur unter den dringendsten Gründen
möglich ist. Der Boden besteht aus zähem Schlamm, dessen Farbe
sich jedem Gegenstand mitteilt Zwischen den einzelnen Büschen des
hohen Savannengrases hat das Regen wasser weissen, quarzigen Sand
zusammengeschwemmt, aus dem die jungen, grünen Halme hervor-
schiessen; fast sieht man sie unter den Einflüssen des fruchtbaren
Bodens, der reichen Bewässerung und der feucht - heissen Tem-
peratur wachsen. Unter glorreicher Pracht sinkt die Sonne, der
ganze Himmel scheint sich in ein Glutmeer aufzulösen, jeder
Gegenstand scheint Feuer zu strahlen, und selbst diese unendlich
düstere, melancholische Überschwemmungsscene mit ihren weiten,
schlammigen Wasserflächen, den nackten, schirmförmigen Mimosen
und pilzartigen Termitenbauten gewinnt ein eigenartiges Leben.
Kein Laut, nicht das geringste Zeichen von animalischem Leben
macht sich bemerkbar. Um 6 Uhr ist die Sonne verschwunden.
Bis 6% Uhr dauert in der Regenzeit durchschnittlich die Dämmerung;
die Luft ist dann derartig mit Wasserdunst gesättigt, dass die
Strahlen viel länger von der Erdoberfläche reflektiert werden, im
Gegensatze zu dem nördlichen Afrika, wo die Atmosphäre stets
ungemein trocken ist und mit dem Verschwinden der Sonne auch
die Nacht hereinbricht.
Ich lag noch lange am erlöschenden Wachtfeuer. Über mir
funkelten die Sterne in äquatorialer Pracht, der Himmel war jetzt
klar und wolkenlos und Hess die einzelnen Sternbilder unendlich
hell erscheinen. Die in der Luft schwebenden Dunstgebilde wirkten
gleich einem Yergrösserungsglas, die Aberration muss infolge
dessen sehr bedeutend gewesen sein und ich gedachte der Positions-
bestimmungen in den Tropen im allgemeinen. Ganze Routenkon-
struktionen basieren auf ihnen, man nimmt sie gewöhnlich als sicher
feststehend an, trotzdem man weiss, dass die Reise -Instrumente
nach einigem Gebrauch häufig fehlerhaft werden, der Beobachter
ermüdet, krank oder wenig erfahren ist, dass endlich, und dieses
ist die Hauptsache, durch klimatische Einflüsse eine noch so sorg-
fältige Beobachtung durchaus unrichtig ist. In der Regenzeit ist
z. B. das Einschneiden eines Sternes mittelst des Faden-Kreuzes
im Theodolith- Fernrohr öfters unmöglich, der Stern springt bald
Reise durch das Gebiet der Gadabursi-Somäli u. Noli-Galla nach Harrar. 7 9
Dach rechts, bald nach links heraus, je nachdem sich die von der
feucht-heissen Erde aufsteigenden Dunste bewegen.
Sonntag, den 26. März. Um 7 Uhr früh wird aufgesessen
und in Richtung SW. weiter marschiert. Der Boden ist ungemein
schlüpfrig, doch hat sich während der Nacht das Wasser verlaufen,
und bald entsteht eine trockene Schlammkruste, welche unter der
Einwirkung der brennenden Sonne vielfach zerberstet. Der
Charakter der Landschaft ist noch derselbe: weite mit hohen
Grasbüschen und zerstreuten Mimosengruppen bedeckte Flächen,
aus welchen stellenweise kegelförmige, hohe Termitenbauten hervor-
treten. Es ist eigentumlich, dass diese Bauten häufig sich an
Bäumen und Büschen anlehnen oder um dieselben herumgeführt
sind, ohne dass letztere absterben; die sonst alles zerstörende
Termite scheint also grünes Holz nicht anzugreifen. — Schon am
Morgen gewahrte ich im W. einen niederen Hügel. Wir hielten
auf ihn zu, es war der Gebel Manducha, die Landmarke der
zwischen Zeila und Harrär verkehrenden Karawanen. Um 12 Uhr 15
Minuten Nachm. lagerten wir am Fuss dieses aus Eruptiv- Gesteinen
bestehenden und dünn mit Mimosen bewachsenen Hügels. Das
Gebiet nordlich der Route gehört den Isa- oder Eisa- Somali,
während südlich derselben die Abu Tarbusch, ein sehr wilder,
vorzüglich berittener Unterstamm der Gadabursi, ihre Heerden
weiden. Die Savannen zwischen dem Salzwasserfluss Henza oder
Hensa and dem Meere tragen den Namen Henza.
Einige Isa näherten sich dem Lager. Sie brachten Milch
nnd empfingen dafür ein Gegengeschenk. Eine Pflanze mit suc-
culentem Stengel, Merik genannt, wächst hier häufig, ihr Geschmack
ist schwach säuerlich, die Eingeborenen essen sie in rohem Zustand.
— Ein äusseres Unterscheidungszeichen kennen die Gadabursi und
Isa nicht. Begegnen sich zwei Männer, so bleiben beide auf
etwa 50 Schritt Entfernung stehen, rufen sich ihren Namen und
den ihres Stammes zu und gehen gewöhnlich in grossem Bogen
am einander herum, da seitdem sie ihren Stamm verlassen haben,
möglicherweise eine der häufigen Fehden ausgebrochen sein kann,
von welcher der eine oder der andere nichts weiss. Einem ein-
zelnen Somali wird man in der Wildnis fast niemals begegnen;
es thun sich stets zwei zusammen, um sich so gegenseitig den
Bücken zu decken. — Um 5 Uhr 15 Minuten Nachmittags wird
vom Lager Manducha abmarschiert und die südwestliche Richtung
wieder aufgenommen. Vereinzelte niedere Hügel machen sich im
W. und N. in blauer Ferne bemerkbar; wir haben somit die
unterste, kaum merkbar zum Innern aufsteigende Terrasse betreten.
Um 9 Uhr Nachmittags wird auf der offenen Savanne Lager
bezogen. Während der Nacht fällt ein feiner Regen.
80 J. ▼•Müller: Reise durch das Gebiet der Gadabursi-Somali nach Harrar.
Montag, den 27. März. Ich verlasse das Lager vom 26.
um 6 Uhr 15 Minuten Vormittags den Marsch in Direktion SW.
fortsetzend. Um 9 Uhr 40 Minuten wird zur Rechten ein Be-
gräbnisplatz passiert. Es wurde hier vor kurzem ein grosser
Somali-Krieger bestattet, dessen Grab eine an Abessinien erinnernde
Kreuzform zeigt; die aus Basaltblocken bestehenden Arme des
Kreuzes sind mit weissen und rosa Quarzstucken belegt, wie im
Ost-Sudan. Vor dem ostlichen Arm sind mehrere Sandsteinplatten
aufgestellt, wodurch die Anzahl der vom Verstorbenen erschlagenen
Feinde angedeutet wird« Um 9 Uhr 50 Minuten Vormittags wird
das Ufer des Henzet- oder Henza- Salzwasser- Flusses erreicht.
Derselbe entspringt in den Savannen des Isa-Gebietes, hat zuerst
eine Richtung von N. nach S., biegt hei Henzet in die Richtung
von W. nach O. um, und mundet zwischen Bulhar und Zeila in
den Indischen Ocean. Ich erinnere mich, später in Harrar gehört
zu haben, der Henzet munde in den Hawasch. Das Wasser war
heute, da in der vorhergehenden Nacht Regen gefallen war,
schwach salzig. Als ich auf der Ruckkehr den Fluss wieder
passierte, war kein Regen gefallen und das Wasser völlig ungenie&s-
bar. Die Ufer sind mit etwas Vegetation bestanden, darunter
vorherrschend Nabak, Ghersa und Tamariske; auch tritt hier schon
vereinzelt die Flötenakazie auf. Ich Hess am Ufer Lager schlagen.
Bald kamen Gadabursi in grosserer Menge und umkreisten das
Lager; gern wäre ich auf einen ca. zwei Meilen entfernten Hügel
gegangen, doch war meine Lage zu unsicher, und ich 'hielt es
deshalb für das Beste, den kommenden Tag hier abzuwarten und
die Eingeborenen friedlich zu stimmen. Durch eine längere An-
rede in Arabisch und einige Geschenke entwickelte sich bald ein
gewisser Verkehr, doch gelang es nicht, ethnographische Gegen-
stände einzutauschen. Die Eingeborenen waren im vollen Kriegs-
schmuck: viele trugen die weisse Straussfeder im frisch gefetteten
Haar, die langen, vorzüglich gearbeiteten Lanzen und Dolche waren
scharf geschliffen und glänzten wie Silber in der Sonne. Jeder ver-
heiratete, wehrfähige Mann trug in der Linken zwei kleine Lanzen
mit Widerhaken, zum Werfen bestimmt. In der Rechten hielt er
die grosse Stosslanze, ausserdem einen kleinen, sehr soliden, mit
Linien - Ornamenten verzierten Faustschild aus Elefantenhaut. Im
Gürtel führte ein jeder ein breites .Säbelmesser, dessen Horngriff
mit Blei bei den Ärmeren, mit Silber bei den Reicheren eingelegt
war. Viele waren ohne jedwelche Bekleidung, nur wenige hatten
ein aus Surat oder Bombay stammendes Cottontuch aus roher Baum-
wolle, oder das Fell des Guereza um die Lenden geschlungen.
(Schluss folgt.)
Verlagsbericht von Dietrich Reimer in Berlin.
188S.
Adami-Kiepert'8 Schul-Atlas in 27 Karten. Vollständig neu bear-
beitet von Heinrich Kiepert. Achte berichtigte Auflage.
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ologischen Instituts etc. mit erläuterndem Text herausgegeben von
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höfer. Preis der 4 Karten (Fol.) und Text (40.) geheftet 16 M.
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B&" Die Verhandlungen des ersten und zweiten Geographentages zu Berlin und Halle
sind 1882 erschienen.
Verhandinngen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Heraus-
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Zeitschrift der Gesellschaft fnr Erdkunde zu Berlin, im Auftrage
der Gesellschaft herausgegeben von Prof. Dr. W. Koner. 1883.
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(Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde, 1883, 10 Nrn.).
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für Lehr- Anstalten. März und September 1883. — Verzeichnis
der Erd- und Himmels-Globen, .mit Abbildungen. October 1883.
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tages. October 1883. — Grösseres Verzeichnis empfehlenswerther
Kartenwerke, Globen, Bücher etc. November 1883.
Für die Redaction yerantwortlich: W. Kon er in Berlin.
Druck Ton W. Pormetter in Berlin C, Nene Grünstrasse 30,
No. 110.
-VTHTTNEY LIBRABY,
MO». COMP. ZOOL
ZEITSCHRIFT
DER
GESELLSCHAFT FÜR ERDKUNDE
ZU BERLIN.
ALS FORTSETZUNG DER ZEITSCHRIFT FÜR ALLGEMEINE ERDKUNDE
IM AUFTRAGE DER GESELLSCHAFT
HERAUSGEGEBEN
VON
Prof. Dr. W. KONER.
REDACTION DER KARTEN VON HEINRICH UND RICHARD KIEPERT.
NEUNZEHNTER BAND. ZWEITES HEFT.
BERLIN,
VERLAG VON DIETRICH REIMER,
e 1884.
Mit Gratisbeilage: Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde
1884. No. 2. 3. ■
Inhalt.
Seite
VI. Der jüngste Ausbrucfc des Vulkans Krakatau (Mai bis August 1883).
Von Kapitän a. D. L. F. M. Schulze 81
VIL Tagebuch einer Reise durch das Gebiet der Gadabursi-Somali und
Noli-Galla nach Harrär. Von John Freiherr von Malier.
(Schluss) 104
VIII. Bemerkungen zur Originalkarte des unteren Tana-Gebietes. Von
Clemens und Gustav Denhardt. (Hierzu eine Karte, Taf. III) 122
Karten.
Taf. III. Originalkarte des unteren Tana-Gebietes. Nach eigenen astro-
nomischen und geodätischen Messungen gezeichnet von Clemens und
Gustav Denhardt. Massstab 1:500,000.
Der neunzehnte Band der Zeitschrift der Gesellschaft
für Erdkunde erscheint 1884 in zweimonatlichen Heften, mit Bei-
gabe von Karten und mit der Gratisbeilage: „Verhandlungen
der Gesellschaft für Erdkunde, 10 Nrn." Der Preis des Bandes von
6 Heften nebst Gratisbeilage ist 13 Mark. Die „Verhandlungen"
sind auch allein zum Preise von 4 Mark zu beziehen.
Die Bande I— IV (1866—1869) sind zum Preise von 8 Mark,
der V— VIII. Band (1870—1873) zum Preise von 10 Mark und der
IX— XVIII. Band (1874—1883) zum Preise von 13 Mark pro Band,
complet geheftet, ebenso die Verhandlungen der Gesellschaft für
Erdkunde, 1874—1883, complet geheftet, zum Preise von 4 Mark
pro Band zu haben.
Preis-Ermässigung.
Die Bände I— VI und neue Folge I— XIX der Zeitschrift ftr
allgemeine Erdkunde (1853—1865) sind
zusammengenommen zum Preise von 3 Mark pro Band und
einzeln zum Preise von 4 Mark pro Band
durch jede Bnchhandlung zu beziehen.
Berlin, im Mai 1884.
S. W. Anhaltetrasse No. 12.
Die Verlagshandlung von
Dietrich Reimer
(Reimer & Hoefer.j
VI.
Der jüngste Ausbruch des Vulkans Krakatau
(Mai bis August 1883).
Bearbeitet für die Gesellschaft für Erdkunde in Berlin von ihrem Mitgliede
L. F. M. Schulze, Kapitän a. D. in Batavia.
Geschrieben im Oktober 1883«
Die in den Monaten Mai bis Augast vorigen Jahres erfolgte
Eruption des Vulkans Erakatan in der Sandastrasse, welche
so entsetzliche Verwüstungen anrichtete und so viele Menschen-
leben kostete, bat nicht allein im ganzen malayi sehen Archipel
Schrecken und Angst verbreitet, sondern auch für die Zukunft
bange Sorgen hervorgerufen.
In keinem Teile der Erdoberfläche findet man auf einem
bezuglich so kleinen Räume eine so grosse Anzahl Ventile des
unterirdischen Feuers, als in dem sogenannten malayischen Archipel.
Derselbe wird durch einen Gürtel von Vulkanen umgeben,
der im Nordwesten auf den Andaman- Inseln anfangt, über die
Nikobaren, Sumatra, Java, die kleinen Sunda-Inseln, die Timor-
sehen und sogenannten Südwest-Inseln läuft und auf West- Neu-
Guinea endigt. Der Gürtel bildet beinahe einen regelmässigen
Halbkreis, während von den Timorschen Inseln aus sich ein ge-
waltiger Zweig nach Norden ausstreckt, der Pulu-Gunong Api
(nordlich von der Insel Wetta), die Banda-Inseln , Djilolo mit
Makjan, Motir, Tidore und Ternate, das nordliche Gelebes, die
Sangir- und Talaut-Inseln, sowie die Philippinen berührt und in
Japan und Kamtschatka seine nordliche Grenze findet. — Der
ebengenannte Hauptgürtel steht im Nordwesten in Verbindung mit
Hinterindien, wo der allgemeine vulkanische Herd im Gebirge,
westlich vom Irawaddy-Strome, seine Ventile hat.
Im Osten schliesst der Continent von Neu- Guinea die Vulkan-
reihe ab und scheinen die Vulkane Neu-Britannia's (nordlich von
Australisch- Neu-Guinea) keine Verbindung mit dem einzigen be-
kannten Vulkan genannter grossen Insel zu haben.
ZeitMhr. d. G««Uieh. t Erdk. Bd. XIX. 6
82 L. F- M- Schulze:
Im Norden der Andaman-Gruppe findet man den vulkanischen
Kegel Narkondam, woran sich südlich der Barren-Vulkan schlieft
Die tertiären Nikobaren zeigen wohl keine Krater, rnhen jedoch
ebenso wie die Andamanen and Sumatra, auf ein und derselben
vulkanischen Basis. Im Norden Sumatra's, im Beiche Atjeh, hat
man den Ounong Samalangan, südlich davon den Batu-Gapit
(2000 m hoch), im Osten des Reiches Langkat liegend den
Dolok-Dsaut (1625 m hoch) am linken Ufer des Taroh-Flusses
im Norden der Landschaft Sibogha, den Dolok-Sibulabo-ali im
Süden derselben Landschaft, und den Dolok-Labu-radja (circa
1000 m hoch) im Distrikt Mandaheling, nördlich von Padang
Sidempuan. Hierauf folgt in südlicher Richtung der Vulkan Seret-
Berapi (1786 m hoch) in der Landschaft Angkola und ostlich
davon der Boekit-Maleh im Nordwesten des Reiches Siak.
In den Distrikten Ayer-Bangis und Rau erhebt sich maje-
stätisch der 2925 m hohe vulkanische, terrassenförmige Kegel Ophir,
auch wohl Gunong Passaman genannt, der die Landschaft Agam
im Norden begrenzt, während die Vulkane Singalang (3000m
hoch), Merapi (2918m hoch) und Sago (1498 m hoch), zwischen
Fort de Kock und Paja-Komba, diese Landschaft im Süden gleich-
sam abschliessen. An der Südostseite des Vulkans Merapi liegt
der sehr tiefe Singkara-See , ungefähr 500m über dem Niveau
des Meeres.
Südlich von Solok und Muara-Panas liegt der Vulkan Talang,
auch wohl Gunong Salassi oder Soloasi genannt, der circa 2500m
hoch ist.
Im Nordosten der Landschaft Indrapura (an der Grenze von
Korintji) findet man den 3736 m hohen Vulkan Indrapura, um-
geben von den Bukit-Patah-sembilan und Bukit-Tudju. Die Süd-
seite dieses mächtigen Vulkans durchschneidet ein Thal, worin
der Sangkir-Fluss in südlicher Richtung nach dem See von Korintji
strömt, der östlich vom Gunong oder Bukit-Raja liegt.
In der Landschaft Benkulen liegen der Vulkan Ipu im Osten
von Moko-Moko, südlich davon bei Serampei, der Bukit-Seblat,
und in der Landschaft Redjang der Ulumusi oder Bukit-besar.
Im Osten des Reiches Palembang in dem Paesumah-Lande,
zwischen Lematang und Ampat-lawang, liegt der Vulkan Dempo
(3190 m hoch).
Im Norden des Distrikts Krohe (Benkulen), an der Grenze
des Palembang'schen Ranoh-Gebietes, findet man den Vulkan
Panjong, auch wohl Bukit-Pujong genannt, ungefähr 1800 m
hoch (auf 5° südl. Breite), an dessen Ostseite sich der See von
Ranoh befindet.
Im Westen der Lampong'schen Distrikte, dicht bei der Se-
Der jüngste Ausbrach des Vulkans Krakatau. £3
mangka-Bai, liegt der 2280 m hohe Vulkan Bukit-Radja-Tangkamas
oder Bukit-Semangka, auch wohl Kaisers Pic genannt, nördlich
von Snka-Bandjar, an dessen Südostseite sich der Bukit-Lampong
oder Telok, Bukit-Ratai und Bukit-Tangka anreihen.
In der Semangka-Bai, auf der Insel Semangka oder Taboang,
besser Pulu-Tuboan genannt, findet man im Süden einen vul-
kanischen Kegel, der nach Norden zu sich in einen sanft abfallenden
Bergrücken verläuft, geradeso wie früher der Krakatau.
Auf der östlichen Halbinsel, welche die Lampong-Bai be-
grenzt, in der Landschaft Ampat-Marga, liegt dicht bei Ratimbang
der Vulkan Radja-Bassa, der eine Höhe von 1340m erreicht
und dessen Krater ein Ventil des Feuerherdes zu sein scheint,
worauf auch die in der Nähe bei Tandjong-Babi (Schweinskap —
Varkenshoek) liegenden Inselchen Sibuku und Sibessi stehen.
Beide Inselchen sind vulkanisch, und von Sibessi weiss man nun
sicher, dass es einen thätigen Krater hat. östlich von Tandjong-
Babi dicht bei der Lampong'schen Küste liegen die Zütphen'schen
In selchen Rimau, Kandang u. s. w., während die Insel Dwars in
de weg ungefähr in der Mitte der Sundastrasse im engsten Teile
derselben liegt. Dwars in de weg zeigte sich vor der Eruption
des Krakatau als ein kolossaler stumpfer mehr oder weniger vier-
eckiger Felsen mit üppiger Vegetation. Beinahe als sicher ist
anzunehmen, dass der Vulkan Krakatau (auch Rakata genannt),
südöstlich von Sibessi in der Sundastrasse liegend, mit letzteren
Vulkanen innere Gemeinschaft hat.
Die Insel Krakatau erhob sich ungefähr 250 m hoch steil
aus dem Meere und hatte die Gestalt eines unregelmässigen von
Süden nach Norden länglich gestreckten Vierecks; mehr nach
Süden zu erhob sich circa 150 m höher der Pic von Krakatau,
während der Krater mehr nach Norden zu auf dem sogenannten
Rücken des Inselchens lag. Am Nordkap Krakatau's lag Pulu
Pandjang (lange Insel), eine niedrige Fortsetzung des Rückens,
während dicht beim östlichen Strande noch vier kleine Inselchen,
u. a. die sogenannte verlassene Insel sich befanden.
Seit dem Jahre 1680 war Krakatau ein sogenannter er-
loschener Vulkan, bis zu seinem Gipfel mit einem reichen Pflanzen-
kleide und Urwald bedeckt. Während der Strand von spinifea
squarrossu8,convolvulus pes caprae, crinum em'a/zcwn, Pandanacaeen
und Margueriten bedeckt war, zeigten sich nach dem Innern des
Inselchens zu üppige Goodeniaceae, Dodonaea's und Fagraeen,
abgewechselt von Waru-la-ut-Gruppen (Paritium tiliäceum), bis das
dunkle Grün des höherliegenden Urwaldes nur hin und wieder
einzelne Coryphaeen-Gebang- und Alang-alang-Felder erkennen
Hessen. Wie beinahe alle Inselchen der Sundastrasse war Krakatau
6*
34 L- F» M. Schulze:
auch nicht bewohnt, nur hin and wieder wurde es von Fischern
der Lampong'schen Distrikte oder von der Bantam'schen Küste
besucht. Verlassene und verwilderte Pfeffergärten waren noch
hier und da zu finden. Wiewohl die Insel Krakatau gewöhnlich
zum Gebiete Java's gerechnet wird, kann dies doch nur relativ
angenommen werden. Die Sundastrasse ist verhältnismässig nicht
tief, und zeigen die Inselchen Tampurung (Toppershoedje), Sunge-
jan (Dwars in de weg) und die Zutphen'schen Eilande, welche im
schmälsten Teile der Strasse liegen, zwischen dem St. Nikolas-Kap
(Tandjong-Pudjuk — Java) und dem Varkenshoek (Tandjong-
Tuwa — Sumatra) deutlich an, dass die beiden grossen Inseln,
Sumatra und Java, in früheren Zeiten auch über dem Niveau des
Meeres mit einander verbunden waren. (Zoologische Beweise
hierfür lassen wir hier ganz ausser Berücksichtigung.)
Westlich und südwestlich von den genannten Inselgruppen finden
wir die vulkanischen Inseln Krakatau, Sibessi und Sibuku. Nicht
sehr unrichtig dürfte es sein, wenn man .annimmt, dass diese
Inselchen Eruptionskegel eines sehr grossen Vulkans sind, der
in früheren Zeiten in's Meer versunken ist und dessen ungeheurer
Kraterrand zwischen Java und Sumatra liegend, jetzt noch an-
gedeutet wird im Norden durch obengenannte Inselgruppen zwischen
Tandjong-Tuwa und Tandjong-Pudjuk, im Osten durch Java's
Küste (Anjer bis Tjiringin), im Süden durch die Pfeffer-Bai und
im Westen durch Krakatau, Sibessi und Sibuku.
Einen ähnlichen Fall finden wir bei der Banda-Inselgruppe,
in den Molucken, wo die jetzige Rhede von Banda über dem
Kraterboden liegt, während die Insel Lonthar (Gross-Banda) und
die nördlicheren Inselchen mit Neira die alten Kratermauern
bilden und Gunong-Api nur der kolossale Eruptionskegel (Aschen-
kegel) des früheren mächtigen Vulkans ist.
Da erwiesen ist, dass die Insel Panai'tan (Prinsen-Eiland),
südlich von Krakatau liegend, auch vulkanisch ist, dürfte sich der
frühere grosse Krater in der Sundastrasse auch vielleicht noch
südwestlich von der Pfeffer-Bai bis zu genannter Insel ausgestreckt
haben und würde der Pic von Prinsen-Eiland auch nur als
ein grosser Eruptionskegel anzusehen sein. Jedoch wie dem
auch sei, als sicher ist anzunehmen, dass der Meeresboden
der Sundastrasse im allgemeinen ganz vulkanisch ist.
Werfen wir nun einen Blick auf die Vulkane Java's und
fangen im Westen in der Landschaft Bantam an, so finden wir
im nordwestlichen Teile derselben, in der Nähe der Sundastrasse,
zwischen Anjer und Tjiringin, die Vulkane Karang (1900 m hoch)
und Pulusari. Nordwestlich vom Vulkan Karang, in der Richtung
nach Anjer zu, liegt ein schlammiger See, Danu genannt, der nach
Der jüngste Ausbruch des Vulkans Krakatau. 85
der KÜ8te einen Bach entsendet. Dieser Morastsee wird je länger,
desto mehr mit Schlamm gefüllt, und will man darin auch Wellen
bemerkt haben.
Im Südosten Bantam's, in dem Distrikte Lebak, strecken
sich in südostlicher Richtung die Sadjira' sehen und Bong-
kok'schen Bergrücken aus, deren Struktur vulkanisch ist, ohne
dass jedoch bis jetzt von dem Vorhandensein eines Kraters etwas
bekannt geworden ist.
Zwischen den Landschaften Batavia und den Preanger-Di-
strikten liegt der 2200m hohe Vulkan Salak, der seit 1699 nicht
thätig gewesen ist. An der Westseite des Kegels, nach Perwakti
zu, findet man jedoch noch eine Solfatara. Bei der letzten
Eruption dieses Vulkans wurden die Erdbeben in den Landschaften
von Batavia, Preanger-Distrikten, Bantam und in den Lampong'schen
Distrikten (Sumatra) besonders heftig gefühlt. — östlich vom
Salak liegt der 8030m hohe, noch stets heftig thätige Vulkan
Gedeh, dessen nördliche Kuppe Panggeranga (der erhabene) ge-
nannt wird. Am Plateau von Bandong, ostlich vom Gedeh,
liegen die Vulkane Burangrang, Tan-Kubanprahu (1960 m hoch),
Bukit-Tunggul, Tampomas (1637m hoch), Patua (2411m hoch),
Wajang (2201m), Malawar (2300m), Guntur, einer der thätig-
sten Vulkane (2177m), Tjikorai' (2800 m), Papandajang, Galung-
gung (1100m) und der Schwefel- Alaun-See Telaga Bodas (1720m
hoch). An dieses Vulkansystem reihen sich der Berg von Cheri-
bon (Tjeribon), der 3055 m hohe Vulkan Tjerma'i, der Berg
von Tagal oder der Vulkan Salamat (3426 m) und das an Berg-
seen und Solfataren reiche Dieng- Gebirge. — Auf Mittel- Java
finden wir die Vulkane Sindoro (3145m), Sumbing (3836m),
Unarang, der seit circa 400 Jahren erloschene Merbabu (3100 m),
der Merapi (2800m), Lawu (3270m), Willis (Dorowatti- Kuppe)
(2580 m) und im Norden in der Landschaft Djapara den Vulkan
Mario.
Im ostlichen Java finden wir den Vulkan Klut (1650m),
Rawi (2800m), Selondo, Ardjuno (3860m), Smeru (3720m),
Bromo (2300 m), das Gumbar- Gebirge, den Lamongan (1640 m),
Aryapuro (8000 m), den Bawun und Kakusan (3000 m), Buluran
(Telaga Wurong), Idjin (2860m), Ringgit und Tjemorokendeng
(2200 m).
Ausser obengenannten Vulkanen hat Java eine Menge Schlamm-
und Gasbrunnen, kohlensaure Stickhohlen etc. Die Insel Bali
(ostlich von Java liegend) hat drei Vulkane, nämlich den Gunong
Batur (Tambanan), den Agung und den Seraja.
Auf der Insel Lombok liegt der Vulkan Rindjani (Pic von
Lombok), welcher auf circa 4000 m Hohe geschätzt wird. Hieran
86 L« F. M. Schulze:
reihen sich der Vulkan Tambora (circa 1800 m hoch) und der
Gunong Api, beide auf der Insel Sumbawa. — Die Inseln
Samba und Flores, noch wenig bekannt, sollen nach Berichten
von Eingeborenen verschiedene thätige Vulkane haben. Nach
den letzten eingetroffenen Berichten hat ein grosser Ausbruch des
Gunong Api -Reo auf Flores (Südküste) am 28. August 1883
also Tags nach der Krakatau-Katastrophe, stattgefunden. Im
Norden der Insel Lomblem findet man den Vulkan Lobet. Weiter
hat die kleine Insel Semao ein paar vulkanische Kegel, während
im Süden der Insel Rotti vulkanische Hügel von nur 150 bis
200 m Hohe liegen. Die Fortsetzung des Gürtels nach Neu-
Guinea zu bilden die Vulkane auf den Inseln Damme, Nila, Serna
und Manuk. Der einzige auf Neu -Guinea bis jetzt bekannte
Vulkan ist der Gunong Arfuk in der Nähe von Doreh an der
Geelvinks-Bai.
Nordlich von der Insel Wetta bei Timor bildet der Vulkan
Pulu Api, dessen Gipfel stets in Rauchwolken gehüllt ist, weshalb
man ihn auch „ brennende Insel tf nennt, die Verbindung des nörd-
lichen Zweiges des grossen Vulkan-Gürtels. Hieran reiht sich der
Eruptionskegel Gunong Api bei Banda, den wir oben schon
näher beschrieben, worauf die vulkanische Insel Ambon folgt,
während der Zweig, der sich von hier nach Djilolo wendet, schein-
bar unterbrochen ist und erst wieder durch die Vulkane Gamn-
Camore auf Batutjind (Djilolo), Makjan, Motir, den Pic von Ternate,
Tidore und Moro seine Fortsetzung sehen lässt. Vulkanische
Spuren wurden auch auf der Insel Batjan gefunden.
Auf der nordlichen Halbinsel von Celebes in der Landschaft
Menado finden wir die Vulkane Kalabat, Saputan (ein kolossaler
Aschberg), Tankoko, Kumangan, Lokan, Empong, Kimawang,
Papelau-Panggan, Senun, Temporok, Polirang etc. Endlich schliesst
sich an genannte Halbinsel die vulkanische Inselreihe, gebildet
durch die Siau-, Sangir- und Talaut-Inseln, deren Hauptventil,
der Gunong Awu auf der Insel Sangir, hin und wieder Lebens-
zeichen giebt.
Um eine Übersicht zu geben, haben wir hier allein die
vornehmsten Vulkane genannt, doch im ganzen malayi sehen Archipel
sowie in der Nähe des mehr erwähnten Gürtels, werden noch ver-
schiedene weniger belangreiche oder aber sogenannte erloschene
Vulkane, Solfataren etc. gefunden.
Während diese lange Reihe von Vulkanen gleichsam wie ein
Gürtel das ostliche Sumatra, die in der Nähe davon liegenden
Inseln, die grosse Insel Borneo und den, südlichen Teil von Celebes
umschliesst, finden wir noch die eigentümliche Erscheinung, dass das
Meer zwischen Borneo, Java und Sumatra, mit Einschluss der
Der jüngste Ausbruch des Vulkans Erakatau. 87
Sandastrasse, flach ist und beinahe nicht über 40 m Tiefe hat. Aach
der südwestliche Teil Neu-Guinea's ist von einem derartigen flachen
Meere umgeben, wodurch zwischen Borneo and Java im Westen
and Neu-Guinea im Osten eine tiefe Meeresstrasse gebildet wird,
die über einer bedeutenden Kurve in der Erdrinde liegt. Diese
tiefe Meeresstrasse stellt so zu sagen die Verbindung des Indischen
und Stillen Oceans dar.
Nahmen wir, wie oben gesagt, an, dass Java und Sumatra
in früheren Zeiten über dem Niveau des Meeres verbunden ge-
wesen sein müssen, so tritt uns die Wahrscheinlichkeit nahe, dass
Java, Sumatra und Borneo mit den dazwischen liegenden Inseln
in einer noch früheren Periode mit dem Süden Asien's ein Ganzes
ausgemacht haben, während die Reihe der sogenannten kleinen
Sundainseln vielleicht die Pfeiler einer Brücke zwischen Asien und
Nord- Australien (Arnhemsland) gewesen sein mögen. Dass der
grossere Teil der Inseln Java und Sumatra vulkanischen Ursprungs
ist, kann wohl nicht mehr bezweifelt werden. Sowohl Erhebungen
als Senkungen haben in verschiedenen Zeiträumen die Gestalt
dieser Inseln verändert. Ebenso sicher ist es, dass die
übrigen, ostlich von Java und in dem grossen Vulkan- Gürtel
liegenden Inseln ganz oder teilweise ihre Existenz vulka-
nischen Wirkungen zu verdanken haben. Asche, Schlamm, Lava
and Gestein, in ungeheuren Massen ausgeworfen, formten sogenannte
Eruptionskegel ; Krater stürzten ein und neue Ventile bildeten sich,
während die Wirkungen des unterirdischen Feuers die oben er-
wähnten Erbebungen und Senkungen hervorbrachten, welche die
Gestalt der Länder verändern mussten, Inseln schufen oder vernichteten.
Während hier tertiäre Lagen in die Höhe gedrängt oder von
eruptivem Gestein durchbrochen worden, sanken an anderen Stellen
Kalk- und Sandsteinlagen in die Tiefe. Wohl stehen neben
diesen Erscheinungen die Veränderungen der Länder, die auf
alluvialem Wege entstanden, jedoch diese können im Ver-
hältnis za den ungeheuren vulkanischen Wirkungen nur als
von untergeordneter Art betrachtet werden. Beispiele von Sen-
kungen und Erhebungen von Land im grossen malayischen
Archipel sind hinreichend vorhanden, um die oben geführten An-
schauungen zu befestigen.
Im vorigen Jahrhundert fanden bedeutende Senkungen im
Drieng- Gebirge auf Java, bei Nusanioel auf der Insel Ambon,
auf der Insel Ai bei Banda u. s. w. statt, während vielleicht vor
nur tausend oder weniger Jahren noch in der geologischen Periode
die Rhede von Banda, so wie wir diese oben bereits beschrieben
haben, entstand.
Das Wegsinken eines Teiles der Insel Krakatau bei dem
88 L' F- M« Schulze:
jüngsten Ausbrüche des Vulkans ist neben- vielen anderen ein
uns vor Augen geführtes Faktum.
Mit Bezug auf Erhebungen des Bodens verweisen wir auf ein
sehr frappantes Beispiel, das noch bemerkenswerter geworden ist
durch die jüngste Eruption des Krakatau. — Der Berg Pajong
(Schirm), welcher das sogenannte Java-Hoofd, das südwestliche Halb-
inselchen Java's, bedeckt, tragt deutliche Zeichen, dass trachytische
Gesteine die tertiäre Formation durchbrochen haben. Scharfe
trachytische Felsen findet man selbst dicht beim Strande über dem
Meeresspiegel hinausragen. Der ostliche Teil der genannten
Halbinsel trägt den Charakter von neugeformtem Seesandstein,
vermischt mit Bruchstucken von Seemuscheln und Korallen, welche
in Schichten auf bläulich grauen, tertiären Sandsteinlagen ruhen.
Inwiefern und in welchem Umfange der vulkanische Ausbruch
Krakatau's Einfluss gehabt hat auf Hebungen und Senkungen des
Bodens, muss noch dahingestellt bleiben. Die niederländisch-
indische Regierung hat vorläufig noch zuviel zu thun, um genaue
Messungen vornehmen lassen zu können. Dass aber Hebungen
und Senkungen stattgefunden haben, ist sicher, und es könnte
vielleicht der Fall sein, dass sich diese selbst auf ganz Java und
Sumatra erstreckt haben. (Im J. 1822 wurde in Chili ein Flächen-
raum von 12 000 Quadrat-Meilen mehr als Im emporgehoben.)
Am 20. Mai d. J., Vormittags gegen 1 1 Uhr, wurden
die Bewohner des westlichen Java's und Sud-Sumatra's er-
schreckt durch unterirdischen Donner und eine eigentümliche
Erschütterung, ein Beben der Atmosphäre. Gegen Abend nahm
man fernen Kanonendonner wahr, der mit kleinen Zwischen-
räumen (^ bis \ Stunde) die ganze Nacht hindurch und den
folgenden Tag dauerte. Von Erdbeben wurde in Batavia keine
Spur wahrgenommen, jedoch war die Erschütterung der Atmosphäre
so gross, dass in Batavia (ca. 22 Meilen ostlich vom thätigen Vulkan)
die Mauern verschiedener Häuser Risse bekamen, Lampenballons
herunterfielen und Fensterscheiben bersteten. An anderen mehr
von der Sundastrasse entfernten Orten hat man jedoch vertikale
Erdbebenstosse wahrgenommen, u. a. in Bandong, auf Mittel-Java,
auf der Insel Penang (Malackastrasse) u. s. w.
In Batavia wusste man sich den Ursprung der Erscheinung
nicht zu deuten. Man glaubte an einen Ausbruch des Vulkans
Salak oder Gedeh; in Buitenzorg an eine Eruption des in
Bantam liegenden Zwillingvulkans Karang und Pulusari u. s. w.
Trotz der telegraphisch eingezogenen Erkundigungen blieb
man noch mehr als 24 Stunden total im Unsicheren, und es wurden
die fabelhaftesten Gerüchte über die Erscheinung verbreitet Bndlich
nach 2 Tagen erfuhr man mit Sicherheit, dass auf dem Inselchen
Der jüngste Ausbruch des Vulkans Krakatan. 89
Krakatau, das von dem bei weitem grössten Teil der Einwohner
Ost-Indiens für eine einfache Felseninsel, nicht aber für einen
Vulkan angesehen war, ein Ausbrach stattfinde. Seit mehr als
200 Jahren hatte der kleine unansehnliche Berg sich ganz ruhig
verhalten.
Endlich belehrten die Zeitungen das Publikum, was eigentlich
stattfinde. Inzwischen watete der Vulkan ruhig weiter, von Zeit
«u Zeit hörte man heftige Donnerschläge, und die Bewohner der
Kasten der Sandastrasse genossen das schone Schauspiel eines
unschuldig thätigen Vulkans. Niemand ahnte, welch entsetzliches
Unglück den armen Bewohnern der benachbarten Küsten bevorstand.
Nach and nach wurde man an die grossartige Naturerscheinung,
die sich so friedlich ansehen Hess, gewohnt. — Ein Dampfer
machte eine Vergnügungsfahrt nach Krakatan, wodurch 25 bis 30
Einwohner Batavia's veranlasst wurden, sich die Sache ein-
mal etwas näher anzusehen. Geologen etc. machten diese
Reise nicht mit. Ein Mechanik us des Telegraphenwesens (amateur
photographe) machte dabei von seinem Talente Gebrauch, einige
recht hübsche photographische Aufnahmen des Vulkans vom Schiffe
aus anzufertigen. Man fand die Insel total jeglicher Vegetation
beraubt, Alles war verbrannt und dick mit vulkanischer Asche
bedeckt. Nachdem der Vergnügungsdampfer einmal um die Insel
herumgefahren war, kehrte er nach Batavia zurück, und so kamen
die Vorgänge in Krakatau beinahe in Vergessenheit.
Drei Monate später, am 26. August 1883, wurden die Donner-
schläge des Krakatau wieder stärker, die Atmosphäre war außer-
gewöhnlich drückend, die Lufterschütterungen nahmen an Stärke
zu, während die Strömungen im Meere in und in der Nähe der
Sundastrasse eine besondere Heftigkeit hatten.
Mittags gegen 2 Uhr telegraphierte man von Batavia nach
Anjer und trug nach dem Stande der Eruption. Die Antwort
lautete, dass die Luft so dunkel sei, dass man keine Hand vor
den Augen sehen könne, und dass die Insel Krakatau ganz und
gar in Rauch gehüllt sei. Dies war der letzte Bericht, den man
aus dieser anglücklichen Stadt erhielt.
Den ganzen Tag über hörte man ein unterirdisches Rollen,
unterbrochen von furchtbaren Schlägen. Der Kampf der unter-
irdischen Kräfte schien der Krisis zu nahen, die Zwischenräume
der Wasserdampfschläge wurden kürzer, das Zittern der Luft an-
haltender. Ein gegen Abend nördlich der Sundastrasse vorüber-
ziehendes Gewitter wurde von der Eruption gänzlich übertönt.
Hoher Wellenschlag trieb Abends gegen die Küsten der
Sondastrasse und warnte die Bewohner vor der bevorstehenden
Katastrophe. In der Lampong-Bai, sowie bei Merak, Anjer,
90 L. F. M. Schulze:
Tjeringin etc. an Java's Küste, stieg das Wasser einige Fass hoch
und sank darauf schnell wieder, das Toben des Meeres wurde
heftiger, die Kommunikation von den Rheden mit dem Lande war
vollständig gestört. Von den Boten und Küstenfahrzeugen wurden
Alarm- und Notsignale gegeben, doch an Hülfeleistung vom Lande
konnte nicht mehr gedacht werden. Der Dampfer London der
niederländisch-indischen Dampfschiffahrt-Gesellschaft, welcher ver-
sucht hatte, Telok-Betong zu erreichen, musste, um sich zu retten,
schleunigst die Lampong-Bai wieder verlassen.
Au der Küste bei Katimbang auf Sumatra, im Osten der
Lampong-Bai, rollte Abends gegen 6 Uhr eine circa 7 Fuss hohe,
dunkle Flutwelle heran, welche die Häuser am Strande zerstörte;
ungefähr 3000 Eingeborene und der daselbst stationierte Regierungs-
beamte mit seiner Familie flohen nach einer 400 Fuss hoch
liegenden Pondok (Hütte).
In Telok Betong, der Residenz der Lampong' sehen Distrikte,
wurde ebenfalls die am Strande liegende Häuserreihe weggeschlagen,
und ein kleiner Regierungsdampfer, sowie ein Kreuzkutter auf
den Strand geschleudert. Auch hier flohen schon Abends ver-
schiedene Einwohner nach den hinter der Stadt liegenden Hügeln.
In Anjer eilte ein Teil der Einwohnerschaft nach dem höher
liegenden Kampong Tjilegon.
Abends gegen 8 Uhr wurden an den Küsten der Sundastrasse
Erdbebenstosse gefühlt, die sich des Nachts noch sechsmal wieder-
holten. Einer der Stösse war sehr heftig. Eigentümlicherweise
wurde hiervon in Batavia nichts wahrgenommen. Dagegen will
man in Bandong, in den Preanger - Distrikten , einen sehr
heftigen Erdbebenstoss gefühlt haben, worauf ein in Ostindien so
seltener Hagelschlag folgte.
Von Buitenzorg aus sah man im Westen über einer starken
Feuersglut eine riesenhafte Rauchsäule, aus welcher unaufhörlich
Blitze entsendet wurden.
Der schon beim Beginn der Dämmerung eingetretene feine
Aschenregen wurde anfangs der Nacht stärker, im Katimbang'schen
fiel ein heisser Bimsstein- und Schlammregen, wodurch ungefähr
1000 Eingeborene, die sich nicht zu retten wussten, umkamen.
Selbst die in die Pondok Geflohenen bekamen schreckliche Brand-
wunden, der obengenannte Regierungsbeamte musste eines seiner
Kinder in der heissen Asche begraben. Eben nach Mitternacht
schreckte ein aussergewohnlich starker Schlag Alles auf. Die
innere Spannung des Vulkans schien endlich gehoben zu sein, und
bis gegen den Morgen wurden denn nun auch die elektrischen
Entladungen schwächer.
Eine eigentümliche trübe, drückende Luft infolge der dem
Der jüngste Ausbruch des Vulkans Krakatau. 91
Krater entweichenden Schwefelwasserstoffgase etc. nnd der vom
Winde weitergeführten vulkanischen Asche (Lava staub) beängstigte
am frühen Morgen des 27. August die Bewohner von West-
Java und Sud-Sumatra. In der Sundastrasse herrschte totale
Finsternis. Bin Orkan mit Sturzwellen und Schlammregen erhöhte
das Gefährliche der Situation. Der Dampfer London lag in der
Nähe der Insel Lagundi, während eine englische Barke nnd zwei
andere Segelschiffe in der Sundastrasse der rebellischen Natur
Trotz boten.
Gegen 6 Uhr Morgens brauste eine mächtige Flutwelle in
die Lampong-Bai hinein nnd vernichtete verschiedene Dorfer und
einen Theil der Hauptstadt Telok Betong. Was sich von Menschen
noch retten konnte, floh nach den Hügeln und Bergen, die europäi-
schen Einwohner der Stadt fanden in der hochliegenden Residenz-
wohnung ein sicheres Obdach. Die telegraphische Verbindung
zwischen den Lampong- Distrikten und Java war zerstört. Auch
an der Küste von Java wurden verschiedene am Strande liegende
Ortschaften schon um 5^ Uhr Morgens überschwemmt. Viele
Einwohner fanden noch Gelegenheit sich zu retten, eine
grosse Anzahl aber ertrank schon bei dieser Springflut. Gegen
7 Uhr schlugen sowohl an der Sumatra- als an der Java-
Küste vier circa. 30 m hohe Flutwellen gegen das Land mit einer
so furchtbaren Vehemenz, das Alles, was das Wasser erreichte,
zerstört und weggespült wurde. Die Verwüstungen waren schrecklich.
In der Lampong-Bai ertranken mehr als 12000 Eingeborene und
5 Europäer. (Die meisten Europäer hatten sich bei Zeiten nach
der auf dem Berge liegenden Residenzwohnung, dem Fort und
dem Gefängnis gerettet.) M«o zählte in Telok -Betong 1958, in
der Abteilung Katimbang 8837 und in Semangka 2247 vermisste
Personen.
95 Kampongs (Dorfer) waren total weggespült, von denen 9
beim Hauptplatze Telok- Betong, 20 in der Umgegend davon, 44
in Katimbang und 22 in Semangka lagen. Von der Stadt Telok-
Betong war nichts übrig geblieben, als die oben bereits erwähnte
Residenzwohnung, das Fort und das Gefängnis. Der Dampfer
Berouw lag 2 Paal weit landeinwärts in der Nähe eines Flusses,
hinter einem Berge. Nur der Vorderteil des Schiffes und eine
Seite des Hinterdecks waren gedrückt, die Maschine voll Schlamm,
doch hatte übrigens das Schiff keinen bedeutenden Schaden gelitten.
Der brave Steuermann und der Maschinist, sowie einige javaische
Matrosen waren nach der Springflut, Abends vor dem Unheil, auf
ihren Posten geblieben und hatten ihre Treue mit dem Tode gebüsst.
Der Kapitän des Dampfers war am Abend des 26. August zufällig beim
Residenten zum Besuche und sah sein Schiff erst als Wrack wieder.
92 L. F. M. Schulze:
Der Gouvernementskutter war spurlos verschwanden. Die
Wohnung des Militär-Kommandanten, in der unteren Stadt gelegen,
war ebenso wie alle anderen Gebäude rasirt. Eine grosse eiserne
Geldkiste, in dem Flur der Veranda des Kommandanten ein-
gemauert und mit eisernen Ketten verankert, war 100 m weit
gegen den Hügel geschleudert. In der Kiste befanden sich circa
50 Mille Gulden in Silber- und Papiergeld, welcher Schatz anter
einer 1 Fuss dicken Schlammlage gerettet wurde. Auf der Rheede
von Telok-Betong lag auch das Segelschiff „Maria" von der Firma
Landberg & Co. zu Batavia. Nachdem es Abends aufs Land
geschleudert war, kam es Morgens bei den Sturzfluten wieder
flott; es war von seinem braven Steuerman Stokhuyzen und einigen
malayischen Matrosen nicht verlassen. Bedeckt mit Schlamm und
Bimsstein und umgeben von einer auf dem Wasser treibenden
7 Fuss dicken Bimssteinlage, bot Stokhuyzen mutig allen Gefahren
die Stirn nnd rettete seiner Rhederei das Schiff.
Die Lampong-Distrikte, früher ein Sammelplatz von See-
räubern und schlechtem Gesindel, waren seit circa 25 Jahren
von der niederländisch-indischen Regierung mit besonderer Sorg-
falt verwaltet, der alten schlechten Regierung der eingeborenen
Fürsten und Fürstchen war ein Ende gemacht, und europäische
Beamte hatten die Bevölkerung an Ruhe, Ordnung und Arbeit-
samkeit gewöhnt. Alsbald hatte sich dann auch ein Wohlstand
entwickelt, der bei dem Reichtum der Natur einen hohen Aufschwung
nahm. Der Eingeborene von Lampong hatte nun den Ruf, reich
zu sein: die Pfeffer- und Kaffeekulturen blühten und der Wald
lieferte neben verschiedenen anderen Produkten reichlich Getah-
perdja für den europäischen Markt. In weniger als 24 Standen
war dieser Wohlstand vernichtet, Asche, Schlamm und Bimsstein-
sand hatten die Ernte zerstört, viele Fischerdörfer an den Flossen
und Bächen waren weggespült, an die Stelle von Wohlstand war
verzweifelte Armut getreten. Die einige tausend Seelen starke
Einwohnerschaft der Insel Sibessi ist ohne Ausnahme umgekommen.
Die Insel ist mit einer Im dicken Bimssteinlage bedeckt.
Auch die Landschaft Krohe (Kroe), zur Residenz Benkaien
gehörend, hatte durch die Seebeben mehr oder weniger gelitten.
BeiTandjong Rata (flaches Kap), der Südwestspitze Samatra's,
war wohl der Leuchtturm stehen geblieben, doch der unterste
eiserne Flur wurde von den Fluten zerschlagen, während der
Mechanismus des Lichtes unbrauchbar geworden war. Zehn Arbeiter
(Dwangarbeiter, d. i. zu Zwangsarbeit verurteilte Eingeborene),
verloren das Leben, und nur der Aufseher und 4 Arbeiter wurden
schwer verletzt aufgefunden. Im Kampong-Blimbing und Labaan-
Blimbing ertranken 34 Personen, der Strand war wie rasiert. Der
Der jüngste Ausbruch des Vulkans Krakatau. 93
Hauptort Krohe hatte dagegen wenig gelitten. Die Macht der
Flutwellen war durch Tandjong-Rata, Tambala und Karang-Pinggang
schon einigermassen gebrochen. Schrecklicher waren die Ver-
wüstungen an der Westküste Java's.
Die vier grossen Sturzfluten, gegen 7 Uhr Morgens, spulten
die Stadt Anjer vollständig weg. Allein an dem einige Fuss hohen
Stumpfe eines mächtigen Baumes, der im Fort daselbst stand
(13 Personen waren notig, um ihn zu umspannen), erkannte man den
Platz, wo einst Anjer stand. Dasselbe Loos der Verwüstung traf
auch Pamarayan, mehr landeinwärts liegend, und andere benach-
barte Orte. Der Assistentresident, der Hafenmeister, verschiedene
Beamte, Privatleute, einige Frauen und Kinder und tausende von Ein-
geborenen wurden von den Sturzwellen weggerissen. Nur einzelne
Personen wurden wie durch ein Wunder gerettet, indem sie von
einer folgenden Welle mit rapider Schnelligkeit aufgenommen und
auf ein hochliegendes Terrain geworfen wurden. Verwundete,
halb oder ganz entblosst, flohen nach dem hochliegenden Orte
Tjilegon. Glücklicherweise war gerade zwei Monate vor dem Unheil
die Besatzung des Forts zu Anjer eingezogen und der Garnison von
Serang zugeteilt. Von dem Fort, dem Hotel, den Beamtenwohnungen,
der Telegraphenstation, den Bureau's u. s. w., ebenso wie von
der Stadt selbst und den dabei liegenden Kampongs ist nichts
mehr zu finden, an deren Stelle aber eine kahle, übelriechende
Wüste. Die Kanäle und Wasserleitungen sind teils deplacirt, teils
leer. Ein neuer Kanal hat sich nordlich vom alten Hauptkanal
gebildet. Nördlich vom Platze, wo das Fort stand, scheint das
ganze Terrain in's Meer versunken zu sein, und es hat sich da ein
kleiner Busen gebildet, so dass der Platz des Forts wie auf
einer kleinen Halbinsel zu liegen scheint. Hinter Anjer landein-
wärts ist ein sumpfiger See entstanden, der durch einen Kanal mit
dem Meere in Verbindung steht. Hier und da findet man Bims-
steinblocke von 4 — 5 m Durchmesser. — Dasselbe unglückliche Loos
traf auch den ganzen Küstenstrich. Von Tjeringin, wo ein
AssistentreBident stationiert war, ist keine Spur mehr zu finden.
Der Assistentresident, der Kontroleur, ein Lieutenant der topogra-
phischen Aufnahme, der Regent der Eingeborenen, der Pattie, Unter-
collecteur und der Häuptling des Ortes (Wedana — Bürgermeister)
wurden von den Sturzfluten so plötzlich überfallen, dass sich Niemand
retten konnte. Das Meer brauste mit einer so grossen Schnelligkeit
und Gewalt gegen die hinter dem Orte liegenden Hohen heran,
dass die Kampongs sozusagen mit einem Schlage den GnadenstosS
bekamen.
Bis zur Mündung des Flusses Liman (Panimbang), in der
Pfefferbai, ist die Küste total rasiert. Hunderttausende von Kokos-
94 L- F- M- Schulze:
palmen wurden wie Strohhalme abgeschnitten und weggeführt.
Allein an Kokospalmen soll der angerichtete Schaden ungefähr
3 Millionen Gulden betragen.
Die Anzahl der umgekommenen Personen in der Abteilung
Tjeringin wird auf 10000 geschätzt.
In der Pfefferbai wollte die Einwohnerschaft schon früh
Morgens mit ihrer kostbarsten Habe nach dem Gebirge entfliehen,
doch eine 4 m hohe Sturzwelle ereilte einen Teil der Unglücklichen
und riss sie zurück. Bis auf 7 Paale Abstand landeinwärts
wurde Alles in einen Sumpf verwandelt. Ganze Wälder wurden
verwüstet, verschiedene Ortschaften verschwanden in einem Augen-
blicke. Leichen von Menschen, Haus- und wilden Tieren bildeten
mit angeschwemmten Möbeln, Trümmern von Hütten, Baumstämmen
etc. ein trauriges Durcheinander. Im Norden der Sundastrasse,
an der Java-Küste, lag ein Etablissement der Bataviaschen Hafen-
arbeiten, Merak genannt. Man brach und verarbeitete dort Bau-
steine für den Hafen Priok. Auch dieser Ort wurde gänzlich
verwüstet. Während der Nacht hatten sich schon ein paar Hundert
Handlanger (Kuli's) durch die Flucht in's Gebirge gerettet. Nach-
dem bei der ersten Sturzflut das chinesische Viertel weggespült
war, worauf verschiedene Einwohner noch nach dem Berge flohen,
rollte Morgens gegen 9 Uhr eine ungefähr 30 m hohe schwarze
Sturzwelle heran und spülte den Rest des Ortes in einem Augen-
blick weg. Nur ein Europäer und zwei eingeborene Arbeiter des
Etablissements entkamen dem Unheil. Ein Bergbau-Inspektor mit
Familie, ein Maschinist mit Familie, ein Aufseher mit Frau, ein
Magazinverwalter mit Kind, ein Unteraufseher, ein Telegraphist
mit Familie und ungefähr 100 eingeborene Arbeiter wurden von
den Fluten in die Tiefe geschleppt. Bäume und Wohnungen
waren vom Boden rasiert, eine Lokomotive circa 300 m weit weg-
geschleudert. Dampfkrahne und Maschinen waren wie Blechwerk
zusammengedrückt oder in Stücke zerrissen. Bei Merak fand
man 80, bei Bandjarnegara 52 Leichen. Bei Gedong-Pandjang
waren alle schweren Djatti-Holzbalken von einem Bauplatze weg-
gespült. Auch ganz Karang-Antu war verwüstet, nur einzelne
Reste von steinernen Häusern waren stehen geblieben. An einer
Stelle wurden 46 Leichen beieinander gefunden. An der Brücke
lagen die Trümmer vieler Fischerbote. Von zwei Dorfern mit
80 Einwohnern waren nur 5 Personen übrig geblieben.
Ausser Anjer, Merak und Tjeringin wurden noch gänzlich
vernichtet die Ortschaften Labuan, Tjerita, Tjilurah, Passa-
Uran, Siri, Labuan-Ketjil, Pengoreng, Pulukali und verschiedene
Gehöfte, deren Bevölkerung auch grösstenteils umgekommen
ist. Kramat bei Tangerang wurde ebenfalls von dem Seebeben
Der jüngste Ausbruch des Vulkans Krakatau. 95
heimgesucht. Mit Ausnahme von einigen Hausern ist die ganze
Ortschaft verwüstet. Verschiedene Personen wurden unter den
Trümmern der einstürzenden Häuser begraben, mehr als 300 Leute
ertranken. Die Kampong's Muara, Mouk-Ketäpan, Kebonbaru,
Toasia, Tandjong-Kait und Tandjong-Passir haben auch von der
Überschwemmung schwer gelitten. Das chinesische Viertel von
Mouk und die dicht beim Strande liegenden Ortschaften Tjileles,
Kendal-Krawang-Selatip und Lontar, zum Gute Karang-Serang-
Dalem (Distrikt Blaradja) gehörend, wurden ebenfalls überschwemmt
und litten Schaden, doch ohne Verlust von Menschenleben.
Im Distrikt Tanara kamen ungefähr 700 Personen durch die
Sturzflut um, im Distrikt Serang circa 40. Im Ganzen sind in
der Landschaft Bantam mehr als 21000 Menschen umgekommen.
Nachdem die Post- und telegraphische Kommunikation zwischen
Serang, der Hauptstadt der Landschaft Bantam, und Anjer zerstört
war, versuchte man von Serang aus Kundschafter nach Anjer aus-
zusenden, jedoch selbst gegen hohe Belohnung war Niemand dazu
zu bewegen. Die Eingeborenen beteten zu Allah und Mobamed
und erwarteten ergeben ihr Schicksal, „das Ende der Welt".
An Infanterie- oder Kavallerie-Patrouillen scheint man wohl nicht
gedacht zu haben.
In Serang fühlte man schon am frühen Morgen des 27. August
heftige vertikale Bewegungen, wodurch verschiedene Häuser be-
schädigt und emporgehoben wurden; die Atmosphäre war ge-
schwängert mit Schwefeldampf, und die Luft hatte ein graues,
unheimliches Aussehen. Ein dunkelgrauer, langer Streifen zog
sich von Westen nach Osten am Himmel entlang, die Sonne war
nicht zu sehen. Die herrschende Todtenstille wurde hin und
wieder unterbrochen durch Schläge des Vulkans. In der Ferne
nach Westen zu konnte man ein unsicheres Leuchten des Krakatau
wahrnehmen. Gegen 71/2 Uhr Morgens fing es an dunkel zu werden,
um 10 Uhr war es total finstere Nacht, während ein schwerer Aschen-
und Bimssteinregen fiel und ein heftiger Wind zu wehen anfing.
Kurz nach 10 Uhr Vormittags erfolgte der heftigste Schlag
der ganzen Katastrophe. Von Telok Betong aus sah man nach
Süden zu ein Meer von Flammen und Wetterleuchten, es war,
als ob tausende von Raketen die Luft durchzuckten, so dass trotz der
Dunkelheit die Luft minutenlang kupferfarbig erschien. Dies
dauerte mit kurzen Zwischenräumen mehr als eine halbe Stunde,
worauf der Aschen- und Steinregen heftiger wurde. Während der
Wind heulte, das Meer tobte, fiel ein heisser Schlammregen, und
in Telok-Betong stieg das Wasser bis an die Treppen des Residenz-
hauses, worauf Alles, was sich dahin gerettet hatte, nach einem
einige hundert Fuss hohen Hügel floh.
96 L« F. M. Schulze:
Der Dampfer London, der bei Lagundi auf das Ende der
Eruption gewartet hatte, sachte nun wieder die offene Sundastrasse
zu erreichen, musste jedoch des schweren Stromes wegen auf
15 Faden Tiefe wieder vor Anker gehen, und da man fürchtete,
dass das Fahrzeug von den Strudeln ergriffen oder von den Sturz-
wellen auf die Seite gelegt werden konnte, dampfte man durch,
vor 2 Ankern liegend.
In Batavia zeigte die Luft schon früh Morgens eigen*
tümliche Symptome. Die Stille und der Druck in der At-
mosphäre prophezeiten etwas Ausserordentliches. Gegen 9 Uhr
wurde es dunkel, ohne dass der Himmel mit schweren Wolken
bedeckt war. Man glaubte, es wollte regnen, suchte aber
vergebens nach einer heranziehenden Regenwolke. Das Hören,
selbst ganz in der Nähe, fiel sehr schwer, man glaubte taub zu
sein, die Ohren schmerzten. Plötzlich fiel der Thermometer um
einige Grade, während leichte Barometerschwankungen wahrzu-
nehmen waren. Ein feiner, feuchter Aschenregen bedeckte alsbald
die Häuser und Strassen. Auch kleine Bimssteinstücke von der
Grösse einer Erbse waren in den Staubregen gemischt. Gegen
1/211 Uhr Vormittags war es so dunkel geworden, dass die Lampen
in den Häusern angezündet werden mussten.
Während nun der Thermometer 68 — 70° Fahrenheit zeigte,
schwankte der Barometer zwischen 750 — 762. Eigentumlicherweise
geschah das Fallen des Barometers meistens langsam, während
das Steigen schneller vor sich ging. Der Streit, den die Luft-
strömungen führten, um das gestörte Gleichgewicht der Atmosphäre
wieder herzustellen, dauerte bis beinahe 1 Uhr Mittags, worauf
der Druck der Luftsäule wieder mehr konstant wurde.
Schon gegen Mittag war das Wasser im neuen Hafenkanal
über 2 Fuss gestiegen, Bote trieben in den Gunong Saharie-Kanal
hinein, Fahrzeuge schlugen von den Trossen und folgten hin und
her der Strömung. Im Hafenbassin Priok stieg das Wasser
plötzlich doch ruhig und ohne stärkeren Wellenschlag, bis es
den Rand der Kai-Mauern erreichte, worauf es schnell wieder
ablief, ohne merklichen Schaden angerichtet zu haben. Drei
Flutwellen wurden im Hafen Priok wahrgenommen, die erste war
die höchste. Vor Antjol stand starke Deinung auf dem Meere,
wodurch ein Fischerboot aufs Land geschleudert wurde. Auf der
Rhede von Batavia schwankten die Masten der Schiffe hin und
her und drehten die Fahrzeuge öfters, als ob sie in Strudel ge-
raten wären. Das Wasser in den Flüssen stieg, die Kampongs
in der Nähe der Altstadt Batavia wurden überschwemmt. Während
die Hadji's (mohamedanische Priester) ihr Allah Illalah zum
Himmel emporsandten, flohen die Eingeborenen nach Tanuh-Abang
Der jüngste Ausbruch des Vulkans Krakatau. 97
und anderen hober liegenden Teilen der Stadt. Der Telegraphen-
kabel zwischen Singapore und Batavia war zerrissen.
Gegen 1 Uhr Nachmittags lief die Flut in den Flüssen in
der Altstadt einen Meter höher, als der gewöhnliche mittlere
Stand war, wodurch die niedriger liegenden Teile der Altstadt
überschwemmt wurden. In dem Viertel Passar-Ikan, von Chinesen
bewohnt, stieg das Wasser so plötzlich, dass ein paar Kinder er-
tranken. Der alte Hafenkanal wurde durch die Flut schwer
beschädigt. Ein kleines Dampfschiff, das im Kanal lag, wurde
auf den Damm gesetzt, und da das Wasser plötzlich wieder fiel,
blieb es dort vor der bekannten Stadt- Herberge liegen. Nach-
mittags gegen 3 Uhr hatte die Überschwemmung in der Altstadt
ihren höchsten Stand erreicht, der Heemradenplatz stand dabei
anter Wasser. Vier Dämme waren durchbrochen, verschiedene
Eingeborene hatten alle ihre Habe verloren, doch ihr Leben noch
gerettet. Die bereits Vormittags gestörte telegraphische Verbin-
dung zwischen Batavia und Serang wurde Nachmittags wieder
hergestellt.
In Batavia hielt gegen 4 Uhr Nachmittags der Aschenregen an
und die Luft wurde wieder heller. Auch östlich von der Rhede
von Batavia hatten die Flutwellen mehr oder weniger grosse Ver-
wüstungen am Strande angerichtet. Verschiedene Kampongs an
den Ufern des Tjitarum, der bei Kap Krawang in's Java-Meer
fallt, hatten bedeutende Verluste erlitten. Die vor der Rhede
von Batavia liegenden Inselchen hatten durch die Flutwellen eben-
falls bedeutenden Schaden gelitten. Auf der Insel Onrust, wo sich
ein grosses Marine-Etablissement befindet, rettete sich bei dem ersten
Beben des Meeres Alles auf die Schiffe. Der Wasserstand stieg
2m höher als gewöhnlich; als darauf die Flut heranrollte, fiel
jedoch das Wasser ebenso schnell wieder. Der Dampfer „Königin
Emma" von der niederländischen Mail - Dampfschiffahrtgesellschaft
schlug von den Trossen ; auch das sogenannte trockene Dock, worin
das Kauffahrteischiff „Augusta" lag, schlug los, alle ausgebrachten
Trosse rissen wie Bindfaden durch, doch gelang es endlich, so-
wohl den Dampfer als das Dock mit der ,, Augusta" zu retten.
Der Dampfer „Siak" wurde beinahe ganz zerschmettert, ein Kreuz-
kotter sank und verschiedene Menschen verloren das Leben. Auf
dem Inselchen Amsterdam schlug das Dock auch los und trieb
soweit weg, dass es ausser Sicht kam. Hülfe konnte unter den
obwaltenden Umständen nicht geleistet werden. Ein Kohlenschiff,
„Marie", auf der Insel Knipertje, wurde von der Flut aufs Trockene
gesetzt, einige Minuten später aber wieder flott gemacht. Die
Dampfschaluppe eines hydrographischen Fahrzeuges, hinter dem
8chiffe auf Schlepptau liegend, wurde von einem Strudel ergriffen,
Zduchr. d. GoMllMh. t Brdk. Bd. XIX. 7
98 L. F. M. Schulze:
schlug voll und sank in die Tiefe. Auch das norwegische Boot,
„ Vlet", sank und verloren dabei ein Maschinist und ein Eingeborener
das Leben.
In der Sundastrasse wurde gegen 1 Uhr Nachmittags das
Meer stiller, der Wind legte sich, doch der Aschenregen hielt noch
bis gegen 4 Uhr Nachmittags an, worauf sich die Luft ein wenig auf-
klarte. Der Thermometer zeigte 72° Fahrenheit, Das Game
machte den Effekt einer eigentumlichen Mondscheinbeleuchtung:
während das Firmament an der ostlichen Seite eine helle, gelbe
Luft zeigte, war der westliche Teil noch dunkel wie die Nacht,
einer mächtigen Gewitterwolke gleich, die durch Blitze und Donner
einen unheimlichen Anblick darbot. In der Lampong-Bai verhinderte
eine Bimssteinlage von 6 — 7 Fuss Dicke das Nahen der Kiste.
Dasselbe fand in der Semangka-Bai statt, während der westliche
Ausgang der Lagundistrasse ebenfalls durch Bimsstein geschlossen
war. (Erst Mitte Oktober fingen diese Lagen an sich zu losen.)
Der grösste Teil der Insel Erakatau war verschwunden, da-
gegen war zwischen Erakatau und Sibessi ein grosses, dampfendes
Riff entstanden. Als der Dampfer London gegen Abend von
Lagundi nach der Küste Java's fuhr, um in Anjer von dem Vor-
gefallenen Berichte abzugeben, fand man von diesem Platze nichts
mehr, und man wusste sich an der verwüsteten Küste selbst nicht
zu orientiren. Der Ausbruch des Vulkans und der unterirdische
Donner wurden nicht allein auf ganz Java, Sumatra, Malacka etc.
gebort, sondern auch mehr oder weniger in Vorder-Indien
(Madras, Colombo etc.), auf Celebes, in dem moluckischen Archipel
und in Australien. Ein feiner Aschenregen erreichte die Preanger-
Distrikte, die Landschaften Krawang, Cheribon, Tagal und Peka-
longan.
In Bandong (Hauptplatz der Preanger-Distrikte) fühlte man
Abends gegen 6 Uhr einen heftigen vertikalen Erdbebonsto&s,
ebenso wurden in Samarang an der Nordküste Mittel-Java's, in
Cheribon, Tagal und Pekalongan leichte Erdbeben wahrgenommen.
In Penang (Malackastrasse), sowie in Sidney, Adelaide und Hobart
wurden ebenfalls leichte Erdbeben gefühlt. An der Nordküste
Java's bis Samarang nahm man in mehr oder minderem Masse
die Luftschwankungen wahr, ebenso in Palembang auf Sumatra,
in Riouw, Singapore etc. In Tjilatjap, an der Südküste Java's,
110 Marschstunden oder 73 Stunden linea recta von Tjeringin
lag der Dampfer „Gelderland" (Rotterdamer Lloyd) auf der Rhede.
Das Meer wurde plötzlich so unruhig, dass das Schiff von den
Ankern schlug; da es zufälligerweise Dampf disponibel hatte,
konnte es sich dadurch retten, dass es nach dem offenen Meere
eilte. Auch der Regierungsdampfer Argus, der eine Reise nach
Der jüngste Ausbruch des Vulkans Erakatau. 99
der Gasparstrasse (zwischen Billiton und Bangka) machte, wurde
von den hohen Fluten ergriffen; im Kreise herumgedreht, schlug
von allen Seiten das Wasser in's Schiff, einen Augenblick glaubte
man verloren zu sein, jedoch der herzhafte Kapitän verlor seine
Geistesgegenwart nicht und machte es ihm gelingen, sein Schiff
im Kurs zu halten und nach einigen Tagen wohlbehalten nach
Batavia zurückzuführen. — Während man in Madras ein schnelles
Steigen und Fallen des Wassers beobachtete, zeigte sich dies mit
grosserer Kraft an der Küste Ceylon's. In Colombo schlugen
einige Schiffe von den Ankern, wovon eines in das Brachwasser
geriet. Die Flut dehnte sich nach Osten zu noch weiter aus.
In Ambon und Banda, auf der Nordküste Ceram's, wurden See-
beben beobachtet bei übrigens gewöhnlichem Wasserstande. In
Perth (West-Australien) wich das Meer plötzlich ungefähr 100 Yards
zurück, worauf eine 8 Fuss hohe Flutwelle heranstürmte, welche
verschiedene Bote an's Land schleuderte. Auch in Auckland (Neu-
seeland) wurde an der Nordküste bei Patea und Wellington ein
Seebeben gefühlt.
Während in Fadang an der Westküste Sumatra's am 26»
und 27. August Lufterschütterungen, Donnerschläge und Seebeben
Alles in Aufregung versetzten, und man über den Ursprung der
mächtigen Naturerscheinung in Zweifel war, wurde im Innern der
Insel, in den sogenannten Padang'schen Boven-landen, der Vulkan
Merapi sehr thätig. Deutlich konnte man wahrnehmen, dass bei
jedem Knalle des Krakatau auch helle, runde Dampfwolken aus
dem Schlot des Merapi emporgetrieben wurden, während, wenn der
Krakatau sich zeitweise ruhig verhielt, der Merapi auch nur schwarze
Rauchwolken aufsteigen Hess. Im östlichen Teile des malayischen
Archipels, auf der Insel Sangir, warf der Vulkan Gunong Awu
am 27. August heisses Wasser aus, während auf den Banda-Inseln
(in den Molucken) ein Ausbruch des Gunong Api stattfand; Steine
und Asche wurden aus dem Krater geschleudert, während ein
Stück der Kratermauer an der Südseite einstürzte. Auf der Insel
Flores fand am 28. August ein Ausbruch des Gunong Api-keo statt. Am
Vulkan Merapi auf Mittel- Java ist beobachtet, dass sich inner-
halb circa 70 Tagen an der Nordseite des Kraters ein neuer Aus-
bruchskegel von ungefähr 500 (?) Fuss Hohe gebildet haben soll,
während der Vulkan in letzterer Zeit mehr als gewöhnlich thätig war»
In der Nacht vom 27. zum 28. August wurde noch hin und
wieder unterirdischer Donner wahrgenommen, während das Meeres-
wasser noch einige Male, wiewohl mit sehr massiger Kraft, stieg
und fiel. Der Schlot zum vulkanischen Herde war durch das
Wegsinken des Vulkankegels geschlossen. Das Meer hatte die
Kraft des Feuers gebrochen. Da auf der Stelle, wo der Krakatau
7*
100 L- F. M- Schulze:
seinen Krater hatte, das Meer ganz still geworden war, ist
anzunehmen, dass die feurigflüssige Mineralmasse, die Gase und
Dampfe einen anderen Ausweg gefunden haben, wo dieser aber
sein soll, muss die Zeit noch lehren.
Die Erhebung des Bodens zwischen Krakatau und der Küste
Sumatra' 8 und das dampfende Riff zwischen Krakatau und Sibessi
weisen wohl darauf hin, dass in dieser Richtung der Ausweg statt-
gefunden haben kann, doch mit einiger Sicherheit lässt sich darüber
noch nichts behaupten, zumal da bei einer angestellten Untersuchung
auch erwiesen ist, dass der Meeresboden zwischen Krakatau und
Java verändert ist. Messungen mit dem Senkblei zwischen Kra-
katau, Dwars-in-de-weg und Java ergaben viel geringere oder
grossere Tiefen, als früher vor der Eruption festgestellt waren.
Als am 28. August früh 6 Uhr die Sonne sich zeigte, konnte
man erst das Feld der Verwüstung übersehen. In Telok-Betong
(Sumatra) hatte eine 1 Fuss dicke Schlammlage alles bedeckt, bis an
die Treppen der Residenzwohnung, welche 37 m über dem Niveau
des Meeres liegt. Alles war verwüstet, selbst von den Funda-
menten der meisten Wohnungen war nichts übrig geblieben. Ausser
Leichen und den schweren, eisernen Gouvernements-Geldkisten
fand man nur wenig wieder. Eigentümlicherweise lagen die meisten
Leichen auf dem Bauche mit ausgestreckten Händen seewärts,
beinahe keine auf dem Rücken liegende Leiche wurde gefanden.
* Das Schiff „Maria" lag unversehrt auf der Rhede, war aber von
einer Bimssteinlage so eingeschlossen, dass keine Kommunikation
mit dem Lande ermöglicht werden konnte. Das Viehfutter in der
ganzen Umgegend war gänzlich verdorben, die Brunnen lieferten
schwefeliges Wasser, für die geretteten Einwohner waren keine
hinreichenden Lebensmittel vorbanden. Nicht besser, ja noch
elender war der Zustand in Katimbang und Semangka. Der
Kontroleur (Regierungsbeamte) von Katimbang sandte verschiedene
Boten nach Telok-Betong, keiner jedoch kehrte zurück. Bine
enorm grosse Anzahl Leichen lagen in der Nähe von Katimbong
und verbreiteten einen unerträglichen Geruch. In Merak, Anjer,
Tjeringin, sowie in den Dorfern an der Küste Java's, war kein
lebendes Wesen mehr zu finden. In Serang (Bantam) lag Schlamm
und Asche überall, bis zu 5 und 8 cm Dicke auf den Dächern der
Häuser ; die Äste der Bäume bogen sich unter der schweren Last,
viele Hütten in den Ddrfern waren eingestürzt. An Viehfutter und
Trinkwasser war grosser Mangel. Die Brunnen waren durch
Schamm und Asche für einige Tage ganz unbrauchbar gemacht
Auch die kleineren Flüsse enthielten nichts als schmutziges, un-
geniessbares Wasser.
Am 29. August gegen Abend stieg das Wasser im Hafenkanal
Der jüngste Ausbruch de« Vulkans Krakatau. 101
zu Batavis wieder plötzlich, sank jedoch ebenso schnell. Hin und
wieder vernahm man noch ein unterirdisches Grollen, was jedoch
auch in den folgenden Tagen beinahe gänzlich verstummte. Am
1. September zeigten sich auf dem Vulkan Sibessi Rauchwolken, und
es scheint, dass dieser Krater vorläufig eines der Sicherheits-
ventile der Sundastrasse geworden ist Sowohl bei dem St. Nicolas-
Kap, als längs den Kästen der Sundastrasse trieben in der ersten
Zeit nach der furchtbaren Katastrophe zwischen einer Menge
Wrackholz und Bimsstein tausende Leichen von Menschen und
Tieren. Die Lampong- und Semangka-Baien waren so durch
dicke Bimssteinlagen verstopft, dass trotz aller Mühe kein Dampfer
sich durcharbeiten konnte, um Erkundigungen nach dem Zustande
der heimgesuchten Ortschaften einzuziehen. Längs der Quala-Se-
kampong oder Quala-Penat und weiter über Land von Osten nach
Westen wäre Telok-Betong vielleicht leichter zu erreichen gewesen.
Verschiedene Versuche wurden gemacht, um nach Telok-Betong,
über dessen Loos zu Batavia noch nichts bekannt war, zu gelangen,
doch vergeblich. Ein Dampfer legte in Katimhong an, wo man
den Kontroleur mit seiner Familie, sowie tausende Eingeborene
fand; alle hatten eine Hungersnot ausgestanden und waren froh, dass
man ihnen wenigstens einige Säcke Reis und ein wenig Salz verab-
reichte. Die meisten hatten schwere Brandwunden davon getragen,
der Kontroleur und seine Familie, buchstäblich bedeckt mit Brand-
wunden, wurden nach dem Militär-Hospital zu Batavia transportirt.
Am 2. September fiel endlich ein erquickender, schwerer Regen,
wodurch die Natur sich wieder etwas erholte. Inzwischen war
per Dampfer ein Vorrath von 2000 Picols Viehfutter von Batavia
durch die Regierung nach Bantam geschickt, auch der bataviasche
Opiumpächter schickte die Dampfbarkasse „Lucie" mit Futter dahin,
wodurch der ersten Not abgeholfen wurde. Von allen Seiten half
man mit milden Gaben, selbst durch sehr hohe Summen, welche
nicht nur der Bevölkerung der heimgesuchten Landstriche sondern
auch den unglücklichen Europäern und Indo-Europäern, die alles
verloren hatten, zu Gute kamen. Das Gouvernement der englischen
Straits-Settlementa stellte auf höchst anerkennenswerte Weise eine
Summe von 25 000 Dollars zur Disposition der Notleidenden. Viel
Mähe kostete es, so schnell wie möglich die Leichen und Kadaver der
Tiere zu begraben. Tausende von Eingeborenen in Bantam wurden
dazu an die Arbeit gestellt, und die Regierung belohnte die Leute
mit 5 Gulden für jede bestattete Leiche.
Wiewohl der eifrige und sehr thätige Resident von Bantam
sich sofort Tags nach der unglücklichen Katastrophe nach den
heimgesuchten Distrikten begeben hatte, bekam man doch erst am
29. August sichere Berichte über die Verwüstungen im Tjeringischen.
102 L* F- M« Schulze:
Von Telok-Betong horte man nichts, erst am 7. September, nach-
dem man verschiedene fruchtlose Versuche gemacht, gelang es
einer Kommission vom Westen der Lampong-Bai aus (durch die
Ratai- Bucht) Telok-Betong zu erreichen und Bericht nach BaUvia
zu senden. Der Resident der Lampong's wurde kurz darauf ans
dem Gouvernementsdienste entlassen und musste sofort sein Amt
an einen Subalternbeamten übergeben. Es scheint, dass die Re-
gierung nicht zufrieden war mit der von jenem Residenten gezeigten
Thätigkeit an und nach den Unglückstagen.
Während das Telegraphenpersonal bemüht war, die tele-
graphische Gemeinschaft zwischen Java und Sumatra, sowie mit
Singapore wieder herzustellen, wurden verschiedene grössere und
kleinere Dampfschiffe nach der Sundastrasse dirigiert, um von aussen
kommende Schiffe vor dem unsicheren Fahrwasser zu warnen und
eventuell Hülfe zu leisten. An den Minister der Marine in Holland
und die verschiedenen Konsulate ausserhalb Europa's wurde tele-
graphiert über das veränderte Fahrwasser in der Sundastrasse und
das Einstürzen verschiedener Leuchttürme. Der Kommandant der
indischen Seemacht Hess sofort das Fahrwasser in der Sundastrasse
wieder aufnehmen. Die Insel Dwars in de weg fand man in
fünf Stücke zerrissen, Pulu-Temposa und andere Inselchen ver-
sunken, die Java-Küste mehr oder weniger verändert. Während
zwischen Krakatau, Dwarsindeweg und Merak Bodenerhebungen
konstatiert sind, sollen nach der Sumatra-Küste zu 16 vulkanische
Erhebungen gefunden haben. Zwei niedrige Inseln (Steers und
Calmeyer) waren nördlich und nordöstlich von Krakatau entstanden.
An der Stelle, wo Krakatau' s Krater war, fand man auf 800m
keinen Grund, nördlich davon aber auf 9 — 10 Faden Tiefe. Durch
die Bimssteinlagen schien alles ein Riff zu sein.
Nachdem die indische Presse auf die Notwendigkeit hingewiesen,
dass nun wenigstens nach der Katastrophe noch wissenschaftliche
Untersuchungen angestellt werden müssten, befahl der Direktor
des Unterrichts, Ehrendienstes und der Industrie, dass ein Minen-
Ingenieur (Bergbau-Beamter) mit dem nötigen Hilfspersonal sich
mit Untersuchungen über die Art, Ausbreitung und Folgen der
vulkanischen Ausbrüche, deren Centrum Krakatau war, in
beschäftigen habe. Ob dieser schwache Versuch genügenden Erfolg
haben wird, möchte man mit Hinsicht auf das Umfangreiche des
Auftrages wohl bezweifeln dürfen. Ein nach dem Gipfel des
Vulkans Merapi (Mittel-Java) entsandter Beamter, der über den
neuen Aschenkegel nähere Untersuchungen anstellen sollte, kehrte
halbwegs unverrichteter Sache zurück, worauf einige beherzte Ein-
wohner die Tour nach dem Krater machten und teilweise ziemlich
unglaubliche Nachrichten über denselben und den neuen Eruptions-
Der jüngste Ausbruch des Vulkans Krakatau. 103
kegel brachten. Nach Lage der Umstände waren die von besagten
Einwohnern angestellten Untersuchungen naturlich nicht vom wissen-
schaftlichen Standpunkte aus geschehen. Nach den letzten Berichten
soll obenerwähnter Beamte jedoch von Selok aus den Kegel des
Merapi spater noch erstiegen und die Nachricht mitgebracht haben,
dass noch vor Anfang des Februar 1884 eine Eruption des
Vulkans stattfinden wurde.
Wenig oder nichts war leider auch vor der grossen Eruption
des Krakatau gethan, um über den Stand der vulkanischen
Wirkung, die doch schon im Monat Mai begonnen hatte, unterrichtet
zu bleiben. Wir wollen hiermit Niemand einen Vorwurf machen,
jedoch nur auf die Zweckmässigkeit hinweisen, in einem so par
excellence vulkanischen Lande stets ein wachsames Auge auf die
Ventile der unterirdischen Glut zu halten.
Am 23. August war gegen Abend das Wasser in der Sunda-
strasse vollständig milchfarbig, während ein dicker Nebel auf dem
Meere hing. Dieselbe Erscheinung trat auch am 24. August auf.
In der Nacht vom 25. zum 26. August konnte im Norden der Sunda-
strasse ein aussergewöhnlich starkes Wetterleuchten wahrgenommen
werden.
Am 26. August schien Erakatau durch eine feurige Kette mit den
Wolken verbunden zu sein, das Senkblei auf 80 Faden Tiefe
wurde heiss aus dem Meere gezogen, starker Schwefelgeruch
hinderte das freie Athemholen, während St. Helena-Feuer an den
Mastspitzen der Schiffe haftete. Vielleicht hat man alles zu gering
geschätzt und die Gewalt eines untermeerischen Ausbruches nicht
genug gekannt Ratsam wäre es naturlich gewesen, bei so
sicheren Vorzeichen die unmittelbar am Strande liegenden Ort*
Schäften wenigstens zeitweise zu räumen. Allerdings Hess sich eine
so furchtbare Katastrophe wohl nicht erwarten, sonst hätte man
ja überhaupt den Strand der Sundastrasse nicht bewohnen dürfen.
Und doch, die Zukunft wird es beweisen: ebenso wie der Seemann
sich wieder und immer wieder dem trügerischen Meere anvertraut,
wird auch der Javane und Sumatrane wieder nach einiger Zeit
nach dem Strand der Sundastrasse zurückkehren und seine Hütten
dort aufbauen. Wünschenswert wäre es sicher wohl, dass Fach-
männer nun den Zustand des ganzen Vulkangurteis gründlich
untersachten und der wissenschaftlichen Welt Aufklärung gäben
über die vielen noch bestehenden Fragepunkte. Soweit es uns
möglich war, die Asche des Yulkans Krakatau zu untersuchen,
fanden wir Folgendes.
Die Asche hatte am 27. August eine graue Farbe (einige
Tage später wurde sie durch unwillkürliches Trocknen hellgrau),
und war hier und da mit kleinen, weissen Flecken besetzt.
104 J- ▼• Möller:
Beim Zerreiben fühlte sie sich wie ein feuchtes, sandiges Pulver
an. In Salz- und Salpetersäure loste sie sich teilweise auf. Im
Wasser wurde sie zu einem dunkelgrauen in's bräunliche über-
gehenden Brei, während obenauf kleine, glänzende Schilfereben
schwammen. Im Schmelztiegel bei langsamer Erhitzung nahm sie
eine in's Grünliche übergehende Farbe an, während die Wasser-
teile sehr schnell entwichen und die Korner sich zu einer kom-
pakten Masse formten. Vor dem Lotrohr glühte die Asche sofort
und transformierten sich die Korner zu Staubblättchen. Die Haupt-
bestandteile der Asche schienen zu sein: Kieselerde, Kalk,
Schwefelsäure und Wasser. In welchem Verhältnis diese standen
und welche andere Bestandteile noch vorhanden waren, war bei
dem Mangel an genugenden Hülfsmitteln bei der Analyse nicht zu
ermitteln. In Batavia versuchten einige Baukundige die Asche
als Cement zu gebrauchen, naturlich mit ungenügendem Resultate.
Mr. Delaney in Paris prophezeite mit Hinsicht auf den Aus-
bruch des Krakatau und gestutzt auf eine Reihe von Wahr-
nehmungen auf dem Gebiete vulkanischer Eruptionen, dass Jars
und Sumatra im Jahre 1886 einen noch viel schrecklicheren vul-
kanischen Ausbruch zu gewärtigen haben wurden. Wie gewagt
eine derartige präcise Prophezeihung auch ist und welche Motive
Herrn Delaney bei seiner Schlussfolgerung auch geleitet haben
mögen, wollen wir dahingestellt sein lassen; ratsam aber ist es
jedenfalls, mit allen der Wissenschaft zu Gebote stehenden Mitteln
Nachforschungen vorzunehmen. Glücklicherweise hat Ostindien nor
wenig so gefährliche Vulkane, als Krakatau war. Die meisten
erheben sich über 1000 m, viele über 2000 m über dem Niveau
des Meeres, wodurch sie schon den Bewohnern Indiens weniger
gefährlich sind.
VII.
Tagebuch einer Reise durch das Gebiet der Gadabursi-
Som&li und Noli-Galla nach Harr&r.
Von John Freiherr von Müller.
(Schluss.)
Alle trugen Sandalen aus Elefantenhaut; dieselben waren
besser gearbeitet wie die der sudanesischen Bedja, doch war der-
selbe Schnitt nicht zu verkennen. Die Haarfrisur war bei allen
dieselbe; einige hatten sie mit Kalk und Urin braunrot gefärbt,
wodurch die schwarzen, ausdrucksvollen Gesichter noch mehr ge-
hoben wurden. Die meisten hatten tiefe Narben aufzuweisen. —
Beise durch das Gebiet der Gadabursi-Somali u.Noli-Galla nach Harrar. 105
Den ganzen Nachmittag lagen oder standen die Eingeborenen um
das Lager herum. Jede meiner Bewegungen wurde mit den Augen
verfolgt und Bemerkungen darüber gemacht, doch wurde, Dank
unserer Vorsicht, nichts entwendet. Am Abend entspann sich ein
kleiner Streit unter den Qadabursi wegen einer weggeworfenen
Konservenbuchse; wir fürchteten das schlimmste, da alle nun der-
artige Buchsen wünschten und ich ihr Verlangen nicht befriedigen
konnte. Die Eingeborenen entfernten sich unter Drohungen, und
wir brachten die Nacht unter den Waffen zu. Der Regen strömte
hernieder, die Feuer erloschen und die Lage wurde peinlicher.
Ich Hess deshalb wahrend der ganzen Nacht Schüsse abfeuern,
doch verlief dieselbe ungestört, und nur einmal gewahrten wir bei
dem plötzlichen Aufblitzen des Pulvers Eingeborene, welche sich
dem Lager näherten.
Dienstag, den 28. März. Oegen Morgen verzogen sich
die Wolken, der Sternhimmel kam zum Vorschein, und als im
Osten ein feiner, roter Streifen den nahenden Tag verkündete,
Hess ich das Lager abbrechen. Es wurde aufgesessen und in
Richtung SW um 6 Uhr 35 Minuten Vormittags weiter marschiert.
Um 8 Uhr 10 Minuten Vormittags Hessen wir eine Reihe von
Gräbern zur Rechten, bei denen die Ringform überwiegend war,
doch beobachtete ich auch eigentümliche Hufeisenformen. Bei den
meisten Gräbern waren die obligaten Sandstein- oder Basalt-Kegel
aufgestellt, welche, wie schon angedeutet, die Anzahl der durch
den Verstorbenen erschlagenen Feinde darstellen. Es befinden
sich diese Gräber auf einer Hammar genannten Ebene; niedere
Berge umgeben dieselbe; die Weidegerechtigkeit gehört den As-
wardik, einem Unterstamm der Isa und von diesen haben auch die
Berge den Namen Aswardik erhalten. Weihrauchbüsche sind hier
sehr häufig. Der Aufstieg zur zweiten Terrasse findet nicht plötz-
lich statt, sondern wird durch kleinere Terrassen vermittelt, welche
ihrerseits wieder mit langgestreckten, Amba-ähnlichen Hügelzügen
von durchschnittlich 800 — 1000 Fuss Hohe besetzt sind. Hat
man die eigentliche Terrasse betreten, so windet man sich zeit-
weise zwischen diesen Hügelreihen durch, welche kahl, zerklüftet
und ohne Quellen ein unwirtbares, rauhes Gepräge tragen. Es
scheint, dass diese Terrassen an ihrem Rande durch Erosion der-
artig zerklüftet wurden; das Wasser kam hier, wo das Terrain
sich mehr wie in der Mitte der Terrasse neigt, wahrscheinlich in
schnellere Strömung und bewirkte dadurch eine Ausspülung der
Thäler. Die Formen der Plateauränder erinnern an die Post-oak-
Regionen am Rio Pecos und Rio Grande del Norte des mittleren
Texas. Krystallinische Schiefergebilde sind vorwiegend, doch sind
auch Urgesteine vertreten, und es spielt der Basalt hier eine
106 J- ▼• Müller:
wichtige Rolle. Grosse Flächen sind mit Quarz and quarzigem
Glimmer bedeckt, welche durch die Atmosphärilien in nusagrosse
Stucke zersprengt sind und durch ihre weisse und rosa Farbe
diesen öden, durstenden Regionen ein bizarres Gepräge verleihen.
Die Vegetation ist spärlich und wird vorwiegend durch succulente
Gewächse repräsentiert, doch treten neben Cactus und Euphorbien
der Ghersabaum, Mimosen, Akazien und ächte Weihrauchbäume auf.
Um 12 Uhr 30 Min. Nachmittags wird am Chor Lassman
gelagert; derselbe ist ein geringer Zufiuss des vom Daggagöje
kommenden Chor Galla und fuhrt nur in der Regenzeit Wasser.
Seine Ufer sind mit Dom-Vegetation umsäumt, seine Richtung ist
NW— SO. — Um 4 Uhr 80 Min. Nachmittags verlassen wir Chor
Lassman. Die Marschrichtung ist westlich; zwischen niederen
Hügelreihen uns hindurchwindend, erreichen wir um 5 Uhr Nach-
mittags den südlichen Fuss des Daggagöje- Höhenzugs und folgen
einem Erosionsthal in Richtung NW. aufwärts. Um 8 Uhr 10 Min.
Nachmittags ist der westliche Ausläufer des Daggagöje erreicht,
wo wir in dem schmalen OW. streichenden Thale Ellamböchli
lagern. — Das Daggagöje- Hagelland ist, wie ich aus der Amba-
formigen Gestaltung, aus der fast gleichen Hohe der einzelnen
Hügel, sowie aus den Erosionsspuren schliesse, der Rest eines
Plateaus, welches vermöge seines Wasserreichtums einst eine viel
reichere Pflanzendecke trug, wie in unseren Tagen. Die regel-
rechte Erosion der Thäler kann nur durch beständig fli essendes
Wasser erzeugt sein. Beständig trifft man auf kleine Cheran,
welche durch Wasser polierte Rollsteine aufweisen, und überall
treten dem Reisenden unverkennbare Spuren einstiger mit Wasser
gefüllter See- und Flussbetten entgegen. Es liegt der Schlnss
nahe, dass die Somali-Terrassen ähnlich wie das Samharr, das
Habab- und Beni- Am er- Gebiet, ja der ganze östliche Sudan mehr
und mehr der Wüste anheimfallen dürften, und dass der momentane
Wüstensteppen-Charakter nur ein Übergangsstadium zur volligen
Wüste ist. Das verbindende Glied zwischen dem Sudan und den
Somali-Regionen bilden die Dankali-Länder; hier ist der Wüsten-
charakter wohl am intensivsten ausgesprochen. Denken wir ans
die zahlreichen, jetzt beständig leer stehenden Cheräne des Somali-
Landes mit Wasser gefüllt, — und dass dies einst der Fall war«
darüber kann wohl kaum ein Zweifel existieren, — denken wir
uns ferner die Mulden und Seebecken wieder funktionierend,
welchen Einfluss müsste eine derartige Umwandlung auf das Klima
der umliegenden Ländergebiete ausüben. Die Kahlheit der abes-
sinischen Alpen ist sicher nicht allein der Wald Verwüstung zuzu-
schreiben, als Hauptfaktoren dürften in diesem Falle wohl die
trockenen, heissen Winde ans dem nordlichen Afrika gelten. Da,
Bebe durch das Gebiet der Gadabursi-Somäli u.Noli-Galla nach Harr ir. 107
wo die abessinischen Berge das centrale Ost-Afrika gleich einer
Maaer schützen, entwickelte sich infolge des Wasserreichtums ein
üppiger, tropischer Pflanzenwachs (ich erinnere nur an Harrar,
Schoa und Kaffa), wo aber die schützende Mauer nicht existiert,
vernichtet der trockene Wüstenwind mehr und mehr die Vegetation
und Knltnr. Am deutlichsten tritt diese Erscheinung in den Habab-
Ländern auf, wo in den von N. nach S. aufsteigenden Thälern
ein viel spärlicherer Pflanzen wuchs kummerlich vegetiert, während
in den in umgekehrter Richtung streichenden Thälern die Vege-
tation sich weitaus üppiger entfaltet. Jener verdorrende Wüsten-
wind hat bereits weit nach Süden gegriffen : in Ost-Afrika erreicht
er beinahe den Äquator, überall neue Wüsten erstrebend und
sich durch das Neugeschaffene ergänzend. Auch die Savannen
des südlichen Sennaar, Dar-Noba, Kordufan, Dar- For, Wadai
und Baghirmi geben davon beredtes Zeugnis. Wer die Mühe nicht
scheut, wird in den Berichten der Reisenden eine grosse Anzahl
von Belegen für diese Theorie finden. Im Süden Afrika's wieder-
holt sich derselbe Prozess; auch hier ist, wie im Norden, die
gleiche Richtung der Winde von den Sub-Tropen zum Äquator.
Das Daggagoje-Hügelland entsendet in WO.- Richtung den
Chor Galla; derselbe soll zum Indischen Ocean gehen, nachdem
er zuvor Chor Lasmän aufgenommen hat. Die Vegetation im
Thale Ellamböchli ist sehr dürftig, die Berglehnen sind kahl und
dicht mit basaltischen Trümmern bedeckt, welche schwarz oder
rostbraun gefärbt, der Landschaft ein düstres, erstorbenes Gepräge
verleihen. — In der Nacht brauste ein schwüler Gewittersturm
vorüber, welcher wenige Minuten hindurch die Erde mit Wasser
überflutete, von den Abhängen rauschten schlammige Bäche zur
Tiefe, doch kaum war der Himmel klar geworden, so war von
dem Regen kaum noch ein schwaches Rinnsal zu bemerken. Wir
lagern hier nordlich, in geringer Ferne vom Chor Galla; derselbe
soll niemals fliessendes Wasser haben.
Mittwoch, den 29. März. Um 10 Uhr 40 Min. Vormittags
wird der Marsch in WSW.-Richtung wieder aufgenommen. Nach-
dem Chor Galla überschritten war, wird flaches Hügel- und
Savannenland passiert. Um 12 Uhr 15 Min. Nachmittags zeigte
sich zur Rechten das zerstörte ägyptische Fort Samadu. Aus einem
gedeckten Raum mit Hof bestehend, erhebt sich dasselbe auf dem
rechten Ufer des hier zwanzig Schritt breiten Chor Samadu, dessen
Richtung hier WO. ist. Im Flussbett befinden sich Brunnengruben
der Isa, welche in einer Tiefe von ca. 15 Fuss gutes Wasser
geben. Am linken Ufer ist eine Dattelpalme schön emporgewachsen ;
dieselbe dürfte wohl der ehemaligen, ägyptischen Besatzung ihre
Existenz verdanken. Es wird ohne Aufenthalt weiter marschiert.
108 J. ▼• Müller;
Um 4 Uhr 20 Min. Nachmittags lagern wir an den Brunnengrnben
des Chor Harausi. Seine Breite beträgt hier ca. 30 Schritte,
seine Richtung ist NS., doch schlägt er unfern des Lagers eine west-
liche Richtung ein, und soll in den Savannen der Gadabursi ver-
laufen. Dieser Chor hat niemals fliessendes Wasser. TroU der
Regenzeit ist der Himmel klar und wolkenlos. Seitdem wir die
untere, dem Meere nahe gelegene Terrasse verlassen hatten, war
Regenfall selten und beschränkte sich nur auf kurze Gewitter-
sturme. Die Küstenregionen weisen im Gegensatz zum Innern,
wo Regen selbst in der nassen Periode verhältnismässig selten ist,
grossere Regenmengen auf, doch nicht in plötzlichen Gewitter-
schauern, sondern in Form von feinem, anhaltendem Niederschlag.
Die Temperaturverhältnisse sind hier gunstiger als in den Strand-
gebieten; von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang herrscht allerdings
eine anhaltende Hitze, welche in den Stunden von 10 Uhr Vor-
mittags bis 3 Uhr Nachmittags, verstärkt durch den Reflex des
nackten, glühenden und dunkelgefärbten Bodens, die Grenzen des
noch einigermassen Erträglichen übersteigt; Temperaturen inner-
halb der vierziger Grade sind noch Regel, dagegen sind die Nächte
mit ihrem klaren Himmel, ihrem erfrischenden Lufthauch und ihrem
aromatischen Duft nach Steppengras ungemein lieblich.
Donnerstag, den 30. März. Nachdem wir um 6 Ubr
30 Min. Vormittags das Lager Harausi verlassen hatten, wurde
um 8 Uhr 30 Min. eine Hochebene» welche den Namen Hagaro
führt, passiert. Das von ihr abströmende Wasser wird durch
den geringen Chor Dagoga (Richtung S. zu N.) zum Chor
Harausi geführt. Durch hügeliges Savannenland, welches wie das
vorhergehende einen öden, erstorbenen Charakter trägt, wird um
12 Uhr Mittags am Chor Kaböba Lager bezogen. Chor Kaböba
hatte zur Zeit fliessendes Wasser, seine Breite differiert zwischen
60 und 70 Schritten; zwischen dichten Akazien- und Mimosen-
Wäldern wälzt er seine trüben, schlammigen Regenfluten, aus Süden
kommend, dem Norden der Isa-Länder zu. Hier soll er im Sande
versiegen, anderer Angabe zufolge aber gegen Ende der Regenzeit
den Hawasch erreichen. Es laufen hier sechs aus den Gebieten
der Isa, Gadabursi und Noli-Galla kommende Wege zusammen.
Zwei Wege, ein südlicher und ein nordlicher, führen nach Harrar.
Ersterer trifft nach drei Tagereisen mit der Route Berbera-Harrar
zusammen. Den nordlichen wählte ich der grosseren Sicherheit
wegen, auch kann man auf dieser Route beständig auf Wasser hoffen.
Ich blieb hier bis nach Mitternacht liegen, da die schwachen Somali-
Kamele dringend der Ruhe bedurften. Wild jeder Gattung ist häufig«
Freitag, den 31. März. Nach Mitternacht um 2 Uhr 45 Min.
wird der Marsch von Chor Kaböba in SW.- Richtung fortgesetzt.
Reise durch das Gebiet der Gadabursi-Somili u. Noli-Galla nachHarrar. 109
Die Acacia fisttda bildet hier ausgedehnte Waldbestände; sie ist
dieselbe Akazie, welche Schweinfurth am Weissen Nil fand und
in seinem Werk „Im Herzen von Afrika" beschrieb und abbildete
(I. 8. 105). Die Gegend, welche wir passieren, trägt immer den-
selben öden Charakter, der Steppenwald wird etwas dichter, und
es zeigt sich infolge dessen auch reicheres, tierisches Leben. Um
9 Uhr 20 Min. Vormittags lagern wir wegen heftigen Regens in
einem Gadabursi» Kraal ; die Eingeborenen sind freundlich und
bieten uns Milch an, welche ich aber zurückweise, da meine Leute
dringend vor Vergiftung warnen und ebenfalls die Milch unberührt
lassen. Um 4 Uhr Nachmittags steigen wir bei klarem Himmel
in den Sattel und marschieren in südlicher Richtung weiter. Um
6 Uhr 80 Min. Nachmittags wird unter einer grossen Mimose das
Lager bezogen. Die heute durchwanderte Savanne heisst Delamma
oder Delemälla, sie wird von Gadabursi und Isa abwechselnd
durchzogen. Einige niedere kahle Höhenzüge nehmen ihr den
ebenen Charakter.
Sonnabend; den 1. April. Am Morgen 6 Uhr 20 Min. ver-
lassen wir, in Richtung W. reitend, das Lager in der Delämma-
Savannne und passieren 6 Uhr 30 Min. Vormittags einen von W.
nach O. streichenden Chor von geringer Breite, dessen Namen
ich nicht erfahren konnte. Er mündet in den Chor Göddo, seine
Ufer sind schwach bewaldet. Um 9 Uhr Vormittags kommen wir
zum Chor Göddo ; derselbe ist von beträchtlicher Breite, hatte zur
Zeit fliessendes Wasser und mündet nach langem Lauf und nach
Aufnahme zahlreicher Nebenflüsse aus den Galla-Ländern , nach
einstimmiger Aussage der mich begleitenden Somali, in den
Hawasch. Die Ufer sind mit schönem, hochstämmigem Wald
bestanden, in dessen Schatten Unterholz und liebliche Grasplätze
abwechseln. Die Luft ist mit Wasserdünsten gesättigt; die durch
die Kronen der Bäume fallenden Sonnenstrahlen ziehen lange
Streifen und lassen die bunten Blüten der Capparis lieblich vom
dunklen Hintergrund abstechen. Die Nähe des Hochlandes macht
sich an zahlreichen anderen Blüten bemerkbar; der Quolqual ist
noch dürftig klein und scheint hier nicht zur völligen Entwicklung
zu gelangen, da er häufigen Regen verlangt. — Um 8 Uhr Nach-
mittags wird in Richtung W. weiter gezogen, und nach wenigen
Minuten haben wir den Vegetationsgürtel des Göddo durchschritten
und befinden uns wieder im Dornbusch. Um 5 Uhr 15 Min. Nach-
mittags werden schmale, langgestreckte, mit Basalten und schein-
baren Laven bedeckte Felder passiert; die Hitze ist hier furchtbar.
Bei Sonnenuntergang liegt die Delamma- Savanne gleich einem
violetten, wogenden Dunstmeer hinter uns; wir haben um 5 Uhr
55 Min. Nachmittags den Rand des sanft abfallenden, niederen
HO J- v- Müller:
Wordschi-Plateaus erstiegen, welches bei den Gerdäddu-Somäli
Busa, bei den Galla Wordschi heisst. Um 7 Uhr 40 Min. Nach-
mittags lagern wir an einer mit Wasser gefällten Bodensenkung
in der Nähe zahlreicher Kraale der Gerdadda-Somali. Wir zünden
keine Feuer an, am anbemerkt zu bleiben.
Sonntag, den 2. April. Um 6 Uhr 10 Min. Vormittags
sitzen wir wieder im Sattel. Richtung W. za S. Es werden zahl«
reiche Gräber passiert, welche dieselben Formen aufweisen wie
jene am Chor Henza. Das Terrain wird mehr hagelig, die Vege-
tation üppiger, doch wechseln noch häufig weisse Quarzfelder mit
savannenartigen Strichen ab. Um 11 Uhr 30 Min. Vormittags
Mittagsrast am Chor Geresselai. Das Flussbett ist tief ausgewaschen;
zwischen Waldgallerien fliesst das Wässer zur Zeit schlammig und
trübe dahin. Die Breite beträgt 80 — 40 Schritte. Chor Geresselai
vereinigt sich einige Stunden unterhalb dieser Stelle mit Chor
Göddo, dessen Richtung hier von S. zu N. ist Aufbruch vom Chor
Geresselai 4 Uhr 30 Min. Nachmittags in westlicher Richtung.
Um 5 Uhr kleiner Chor mit heissen Quellen am linken Ufer;
seine Richtung ist N. zu S., er mündet in nächster Nähe in den
Geresselai. Mit Hautkrankheiten behaftete Eingeborene baden
sich hier, ähnlich wie in Ailet. Der Name des Chors ist Hain-
Mam. Um 6 Uhr Nachmittags passieren wir den in Richtung
S. zu N. fliessenden und in den Geresselai mündenden Chor Geldesa.
5 Uhr 40 Min. Nachmittags am Chor Geldesa, dessen Richtung
hier SO. zu NW. ist. Die Ufer sind wohl 200 Fuss hoch und
bewaldet. Der Platz, auf welchem wir lagern, heisst nach dem
Chor Geldesa. Die Karawanen wechseln hier ihre Kamele nnd
Esel. Der Preis eines Kamels beträgt von Harrär 2 Thh\, der
eines Esels 1 Thlr. und von hier nach Zeila ebenso 9 und 5 Thlr.
Nadi Bascha hat hier nahe dem Chor zum Schutz der Karawanen
ein Karawanserai gebaut, aus einer leicht zu verteidigenden
Mauer mit Thor bestehend. Auch befindet sich hier bestandig
ein grosser Ita-Kraal. Chor Geldesa gehört zum Gebiet der Noli-
Galla, welche nach Harrär Tribut zahlen und bis zu dieser Stadt
in einzelnen Dorfern und Tokulen zerstreut wohnen. Die Somali
zahlen keinen Tribut.
Montag, den 3. April.* Aufbruch vom Lager Geldesa um
6 Uhr 10 Min. Vormittags. Man folgt dem Chor in südlicher Richtung
aufwärts« Der Fluss ist hier von steilen, hohen, üppig bewachsenen
Wänden aus Granit und Gneis mit Konglomeraten und Nagelfluh-
artigen Gebilden eingefasst. Das Wasser fliesst beständig in etwa
3 Fuss Tiefe. Unter den zahlreichen Eingeborenen gleichen die
Männer sehr den Dankali und Somälen; die Waffen und Bekleidung
derselben sind die der Somälen; die Frauen haben viel vom Suaheli-
Reise durch da« Gebiet des Gadabursi-Somali u. Noli-Qalla nach Harrar. 1 1 1
Typus. Ihre Bekleidung besteht ans einem dunkelblauen Surati,
welches rockartig nm den Leib gewunden wird, die Brust aber
frei läset. Die Fasse schätzen Sandalen, das Kopfhaar hält ein
blaues Tuch höchst zierlich zusammen. Der Scbmuck dieser Galla-
W eiber besteht in sehr grossen Ohrgehängen: entweder einem
einen Zoll im Durchmesser haltenden Ringe und einer ebenso
grossen thalerformigen , verzierten Platte von gediegenem Silber
oder einer Schnur grosser Perlen. Nasenschmuck wie bei den Bedja
existiert nicht. Um den Hals werden mehrere Schnüre dicker,
bunter Perlen von den buntesten Mustern und sonderbarsten Formen
getragen. — 8 Uhr 30 Min. Vormittags. Der Geldesa nimmt
hier einen von S. kommenden kleinen Chor auf. Richtung des
Gelde'sa W. zu O. Die umliegenden Gebirge und Plateaus werden
von Noli-Galla bewohnt und zwar von dem Unterstamme Schek-
Schirbet. Es tragen diese Unterstämme immer den Namen des
Häuptlings. Um 8 Uhr SO Min. Vormittags verlassen wir, uns
in Richtung SW. wendend, den Geldesa. Die Route führt in
Richtung SW. über die circa 2000 Fuss hohen Berge des Schek-
Schirbet und beginnt um 9 Uhr Vormittags ein herrliches Thal
aufwärts zu steigen. Um 10 Uhr 50 Min. Vormittags treffen wir
einen reizenden Wasserfall, der von mir in Erinnerung an einen
ähnlichen Wassersturz auf Ceylon „Dianenbad" genannt wird. Das
Thal ist von wunderbarer Schönheit, die Berge sind mit dichtem,
hochstämmigem Wald bedeckt, in den Thälern plätschern klare
Gebirgsbäche von dichten Laubbäumen beschattet. Tamarhinden,
Sykomoren sowie Eigelien, mächtige, die Sykomoren und Adan-
sonien an Grosse überragende Citronenbäume laden zur Rast ein.
Um 11 Uhr 50 Min. Vormittags Rast an einem Begräbnisplatz
der Galla unter mächtigen, rauschenden Bäumen; die Gräber sind
nur von geringer Tiefe, zu Kopf und Füssen derselben liegen
zwei grossere Steine, während die Oberfläche mit kleineren Steinen
belegt ist. Wir verlassen das Mittagslager wieder um 5 Uhr
30 Min. Nachmittags, folgen dem sich erweiternden Thal unter sehr
beträchtlicher Steigung aufwärts und lagern um 6 Uhr 15 Min.
Nachmittags in dem Galladorf Bellöa, wo uns in zuvorkommender
Weise ein grosser, geräumiger Tokul zur Verfügung gestellt wird.
Der den ganzen Nachmittag anhaltende Regen dauert während der
Nacht fort, so dass ich mich mit grosser Befriedigung in dem
trockenen, bequemen Tokul einrichte und die nassen Kleider
trockne. Es werden uns Bananen, Früchte des Citronenbaumes,
Milch und Eleusine gebracht, an welchen ich und meine braven
Leute uns laben. Die Eingeborenen sind ein schöner, anmutiger
Menschenschlag mit gering prognatem Schädel, wulstigen Lippen,
grossen, schonen, braunen Augen, krausem Haar und von tief-
112 X v. Maller:
schwarzer Hautfarbe. — Während draussen der Sturmwind braust
und die succulenten Äste der Kandelaber -Eupborbie dröhnend
zusammenschlagen, liegen der Häuptling von Bellöa nnd ich auf
unseren Fellen am prasselnden Feuer im Tokul; bei einigen
Cigarren, welche ich rauche und er kaut, erzählt er mir die Ge-
schichte seines Stammes und seine Unterwerfung unter Nadi. Die
Noli-Galla sind abessinische Christen, bekennen sich aber öffent-
lich zu der ihnen von den Ägyptern aufgedrängten mohameda-
nischen Religion. Ich vermute nach verschiedenen Äusserungen,
dass der alte abessinische Schlangenkultus und Fetischdienst sich
hier noch teilweise erhalten hat. — Die Sprache dieser Gaila-
Stämme ist sehr verschieden von den Sprachproben, welche Krapf
von den unter dem Äquator hausenden Galla gesammelt hat, doch
glaube ich eine Verwandtschaft in verschiedenen Sprachwendungen
gefunden zu haben.
Dienstag, den 4. April. Am Morgen hatte sich der Himmel
aufgeklärt. Es bot sich mir ein entzuckend schöner Anblick, als
ich aus der schmalen, aus einer fast fussdicken Planke gezimmerten
Thür des Tokuls hervortrat. In den Schluchten und Thälern
wallte der Nebel, die langgezogenen Bergfirste schwammen wie
Inseln in einem Dunstmeer, und erst als die Sonne bei höherem
Stand ihre Strahlen intensiver herabsandte, zerteilten sich die
Nebelmassen, flatterten gleich Schleiern, vom Morgenwind getrieben,
an den Waldgeländen empor, um sich fast plötzlich in dem schwarz-
blauen, äquatorialen Äther zu verlieren.
Die Tokul-Thur ist den Galla heilig; dieselbe ist schmal, sehr
solide konstruiert und mit starken Lederriemen, welche an Stelle
der Charniere treten, an den Tokul-Pfosten befestigt Wird ein
Dorfhöriger von dem Häuptling in die Acht erklärt, so wird
seine Tokul-Thür entfernt und ihm dieselbe erst nach Zurück-
nahme der Acht, welche durch Zahlung von Feldprodukten oder
indischen Stoffen erfolgt, wieder zurückgestellt. Der Noli- und
Meta-Galla schwort bei seiner Thure, Kreisende beobachten in
der Zeit der Geburt die Thür, befestigen während eines gewissen
Zeitraums die Nabelschnur der Neugeborenen an derselben and
kratzen mit einer Lanzenspitze den Schmutz von der Thür, um
ihn mit Wasser vermischt dem Häuptling einzugeben. Die Thor
stehlen, heisst ihrem Besitzer Namen, Ruf und personlichen Mut
nehmen; die Thür anzuspeien wird gern gesehen und gilt als
Ehre für den Besitzer. Ich habe nirgends Verzierungen der Thüren
wahrgenommen. — Das Leben der Galla dreht sich um Ackerbau
und Viehzucht. Beide sind bei dem Reichtum des Bodens, bei
den häufigen Regen nnd dem sorgfaltigen Fleiss lohnend und
garantieren dem Thätigen eine sorgenfreie, behagliche Existenz.
Reise durch das Gebiet der Qadabnrsi-Som&ii u. Noli-Galla nach Harrär. Hg
Ich halte die Galla für ein relativ gutmutiges und der Kultur
zugängliches Volk. Ihre Familienbande sind fest, Vielweiberei ist
äusserst selten. Wie wohlthuend wirkte auf mich der Anblick des
häuslichen Lebens, welches sich vor mir am Abend eines regen-
reichen Tages, dem eine noch regenreichere Nacht folgte, auf dem
Rückmarsch abspielte. Rechts vom Eingang im Innern des Tokuls
brannte auf einem Herd, welcher praktisch und feuerfest aus Lehm
und Steinen konstruiert war, ein prasselndes Feuer. Die Flammen
warfen ihren roten Schein auf das Innere der sonst dunklen Hütte;
im Hintergrund auf einem aus Erde erbauten Ruhebett lag auf
einer Leopardenhaut der Hausherr ; er spielte das Massango, jenes
Instrument, welches aus einem getrockneten Kürbis mit Griffbrett
und sechs Saiten bestehend, im ganzen tropischen Ostafrika ge-
funden wird. Zu seinen Füssen ruhte ein reizendes, kleines Kind;
die Wände zierten sonderbar gestaltete Waffen; Kühe, Schafe und
Ziegen lagen malerisch umher, und am Herd wirkte die junge,
hübsche, schwarze Hausfrau. Ihre grossen, braunen Augen, ihre
klassischen Züge wurden wirksam durch die spielende Flamme
gehoben. Draussen prasselte der Regen auf das Dach des Tokuls,
der Sturm brauste und begleitete mit seinen dumpfen Accorden
die bald düstern und bald hellen, melodischen Tone des Massango.
Ich lag auf meiner Decke am Feuer und betrachtete mit Entzücken
dieses liebliche Bild. War ich wirklich im Innern Afrika's und
waren das die wilden Galla, die der Kultur und Gesittung so fern
stehen sollten? —
Um 6 Uhr 30 Min. Vormittags schwang ich mich in den
Sattel. Die Richtung des Marsches war jetzt genau westlich. Wir
stiegen durch Thäler und an Abhängen uns hinwindend steil
empor. Die Vegetation war reich und üppig. Der Juniperus
sandte uns seine harzigen Düfte; gleich einem Freund aus der
Heimat ragte er aus dem dichten Wald empor, und sein knorriger
Stamm wiegte sich in den kühlen, balsamischen Lüften. Die
Pflanzenwelt ist hier so mannigfaltig, es ist hier für den Botaniker
ein so reiches, gänzlich un ausgebeutetes Feld, dass ich nur dringend
wünschen kann, dass diese Schätze möglichst bald gehoben werden.
Viel Neues harrt hier einer kundigen Hand, und lebhaft bedauerte
ich, dass meine Kräfte nicht ausreichten. Besonders reich ist die
Pflanzenwelt an aromatischen Gewächsen; sollte auf diese Gebiete
die romische Regio cinamomifera oder aromatifera vielleicht zu
beziehen sein ? — Bald über Giessbäche setzend, bald steile, aber
gut gebahnte Abhänge erklimmend, setzten wir den Marsch be-
ständig durch hochstämmigen, unendlich schönen Wald in west-
licher Richtung fort. Die Gegend war gut bebaut, in grüner
Waldeinsamkeit klebten die zierlichen Tokuls, von rauschenden,
Zeitachr. d. GaseÜMk f. Brdk. Bd. XIX. 3
114 J. v. Müller:
mit Früchten beladenen Bananen umstanden, an den Gebirgs-
abhängen; die Eingeborenen grüssten uns und brachten Früchte.
Um 8 Uhr 80 Min. Vormittags war der Rand des Harrari-Plateans
erstiegen. Noch einmal warf ich einen Blick zurück. Die Faltung
des Gebirges entrollte sich vor mir gleich einer Karte. Granit,
Gneis, Porphyr und Basalt spielten wieder die erste Rolle, and
tiefe Erosionsschluchten durchkreuzten das Terrain nach allen
Richtungen. Von den Felswanden flatterten Kaskaden gleich
Schleiern in die Tiefe. Wald und Waldwiesen, übergössen von
einer farbenprächtigen Beleuchtung, gaben der Landschaft den
Charakter tiefer, menschenleerer Einsamkeit, aber auch zugleich
unerschöpflichen Reichtums und Froduktionskraft. Nur im Osten,
tief, tief unter mir, gähnte in violetter Glut die Somali-Savanne. —
Diese war und wird noch lange der Hemmschuh sein, welchen
die Natur der Entwicklung der reichen Galla-Gebiete angelegt
hat. So lange die Lokomotive nicht die Entfernung von Harrrfr
nach Zei'la bis auf wenige Stunden reduziert, wird keine Gesittung
in die Berge der Noli und Meta einkehren. — Der Charakter
des Harrari-Plateaus ist durch die Formation bedingt. Sanfte,
langgestreckte Höhenzüge umschliessen liebliche, mit üppigem Rasen
bedeckte Thäler, die Hohen sind mit Juniperus bewachsen, überall
entdeckt man Niederlassungen, aus welchen der Rauch der Feuer
emporsteigt, Herden des zentral-afrikanischen Zebu, deren Leit-
stiere grosse, wohltonende Glocken aus Eisen gefertigt um den
Hals tragen, zahlreiche Pferde und Maultiere von abessinischer
Makata-Rasse, Herden von Ziegen und Schafen, umschwärmt von
bellenden, grauen Hunden, verleihen der Gegend einen idyllischen
Charakter. Der Himmel ist unbeschreiblich tiefblau, die Sonne steht
genau im Zenith, nichts wirft Schatten, doch ist die Hitze nicht
drückend, kühle aromatische Luft stärkt den Korper.
Auf der Hohe des Harrari-Plateaus wird unter einer han-
duftenden Ceder einen Moment gerastet. Sie ist der Baum, unter
welchem vor der Annexion Harrars durch Ägypten der übliche
Tribut den Häuptlingen der Noli-Galla, sowie, dem Steuereinnehmer
des Emirs von Harrär gezahlt wurde. Noch einmal schweift von
hier, dem Rande des Plateaus, der Blick in die zaubervolle Natur
der Gebirgswelt. Langgestreckte, liebliche Thäler mit dicht be-
waldeten Abhängen bergen in ihrer Sohle klare, plätschernde Baehe,
in ihren Wellen spiegeln sich die duftenden Kinder Flora's. Ihre
prangende Farbe mahnt, dass man sich in dem geheimnisvollen
Innern des äquatorialen Afrika befindet. Dort giebt ein Toknl-
Dorf würdige Staffage, der Rauch steigt in die klare, reine Luft
und vermischt sich mit den Nebeln und Wolken, die die Kämme
des Gebirges regenverkündend umlagern«
Reise durch das Gebiet der Gadabursi-Somali u.Noii-GaUa nachHarrär. 1 1 5
Der Noli-Galla ist ein athletisch gebauter Bedja mit Übergang
«um Typus des Eingeborenen vom Victoria-Nyanza. Sein Haar
ist gleich dem Wamasai geordnet, and es fehlt nicht der übliche,
hübsch verzierte Holzspeiler, der ähnlich dem abessinischen Haar-
kamme, aas drei und vier Zacken besteht. Um die Lenden hat
er das Fell des Guereza oder das ihm durch die Händler zu-
gefahrte indische Baumwollentuch geschlungen. Die Waffen be-
stehen aas einer Kriegs- and einer Jagdlanze, einem grossen
Schild ans Rhinoceros- oder Elefantenhaut, sowie einem vor-
trefflich gearbeiteten Kriegsmesser mit reichem Griff und Scheide.
Künstliche Arbeit aas Silber and zinnartigem Metall ist häufig.
Wie alle Afrikaner salben auch sie den Korper üppig mit Butter,
doch ist ein Missbrauch, wie derselbe bei den ostlichen Sudan-
Stämmen gewöhnlich ist, selten. Der Gesichtsausdruck der Männer
ist in der Regel nach europäischen Begriffen düster, nur bei
kleinen Kindern sieht man oft wahrhaft engelschone Züge. Ein
solcher Gallaknabe mit Holzlanze und Strohschild ist eine gar
niedliche Erscheinung. Die Sandalen der Noli-Galla sind solid
und durchaus zweckmässiger wie die der Sudanesen. Oberhaupt
scheinen mir diese Stämme für Kultur- und Civilisations versuche
viel zugänglicher als ihr nordlicher Nachbar. Wird der euro-
päische Einfiuss erst grossere Fortschritte in diesen Ländern ge-
macht haben and die ursprüngliche , grosse Wildheit des Galla
durch ihn gedämpft sein, so werden ohne Zweifel die endlosen
Gebiete zwischen hier nnd der Seenregion einen günstigen Boden
zu einer der modernen, der indischen gleichkommenden Kultur ab-
geben. Augenblicklich ist noch nicht der Zeitpunkt dafür ge-
kommen. Das ägyptische Regiment ist noch zu kurze Zeit im
Lande; wird die Ruhe des Sudans hier erst eingekehrt sein, so
kann man nur das Beste erwarten. Alle Erzeugnissse der kalten
und heissen Zone fänden unter den günstigsten klimatischen Ver-
hältnissen hier einen vortrefflichen Boden. Die Kaffee- und
Bananenkultur suchen schon jetzt ihresgleichen.
Ober sanfte Abhänge mit immergrünem Baumwuchs, über
grüne, blnmenbesäete Wiesen und durch die reichen Kulturen der
Galla wurde der Weg fortdauernd in südwestlicher Richtung fort-
gesetzt. Das Land ist reich bevölkert ; die Eingeborenen grüssten
freundlich und boten zu wiederholten Malen die goldgelbe Frucht
der Banane zum Geschenk, welches dankend angenommen wurde.
Auf allen Hohen, in allen Falten des Terrains standen die nied-
lichen Tokuls, bald kleine Dörfer bildend, bald nur einzeln die
Hohen zierend. In ihrer Nähe rauschte die Ceder, und ein der
Sykomore nahe verwandter Baum spendete den spielenden Kindern
und der emsigen Hausfrau hinreichenden Schatten. Die Frauen
8*
116 J. v. Müller:
und Madchen tragen einen Kran« von wohlriechenden Pflanzen
im schwarzen, gekräuselten Haar; za dem eintönigen Geräusch
des Sowarri- Stampfens sangen sie ein nicht unschönes Lied, dessen
Refrain wiederholt wurde. Man staunte die fremde Gestalt des
Europäers an, belästigte ihn aber nicht. Die Zuge der weiblichen
Eingeborenen sind regelmässig, ja häufig entschieden schön: die
Nase ist fein geschnitten, den Mund entstellen durchaus keine
wulstigen Negerlippen, und wird derselbe lachend geöffnet, so
kommen Reihen der weissesten, gesundesten Zähne zum Vorschein.
Die jungen Mädchen tragen das Haar lose, oder in dünne Strähnen
geflochten auf den Nacken fallend, während die verheirateten
Frauen ein dunkelblaues Tuch um dasselbe gewunden haben.
Die Zipfel des Tuches sind auf der Stirn geknotet; es erinnert
dieser malerische und wirklich schone Kopfputz lebhaft an den der
Elsasserinnen. Grosse, silberne Ohrgehänge, dicke, silberne
Spangen an Hand- und Fussgelenken , sowie am Oberarm, eine
bunte Schnur Perlen geschmackvoll geordnet und mehrmals am
den Hals geschlungen, bilden den weiteren Putz, welcher sich
markierend von der sammetweichen , tiefschwarzen und durch
die hohe Temperatur stets feucht gehaltenen Haut abhebt. Die
Füsse der Frauen sind nackt; um den Leib tragen sie einen be-
fransten ledernen Rock, der fast bis zu den Knöcheln reicht,
während die Brust gewöhnlich unbedeckt ist und nur in der
Morgenkühle mit einem indischen, weissen Baumwollentuch um-
hüllt wird.
Die Regenzeit hatte seit etwa einem Monat begonnen, die
meisten Felder waren schon bestellt, nur hin und wieder gewahrte
man einen Landmann, der emsig die ungestaltete, aber zweck-
mässige Hacke führte oder den ungeheueren, von zwei schonen,
glatten Zebu gezogenen Pflug leitete. So unpraktisch diese Werk-
zeuge auf den ersten Blick erscheinen, so muss man doch ein-
gestehen, dass ein europäischer Pflug in dem schweren, ocker-
haltigen Boden wenig vermögen wurde. — Die rote Farbe des
Terrains mahnt an das centrale Afrika. Stellenweise geht dieses
von Infiltrationen von Eisen-Oxydul herrührende Kolorit in Gelb
und entschiedenes Violett über, wodurch die grossartigen Per-
spektiven auf Gebirg und Thäler an Lebendigkeit ausserordentlich
gewinnen. Die dunkelgrünen Kronen der Citronenbäume, der
Sykomoren und zahlreicher anderer immergrüner Gewächse heben
sich von dieser prangenden Landschaft gar reizend ab. Sinkt die
Sonne, so wird das Schauspiel grossartig, da alle Farben des
Terrains dann an Glut gewinnen. — Um 10 Uhr 80 Min. Vor-
mittags wird in Zschaffiana, einem von niederen Hügeln umgebenen
Wiesenthal, Rast gemacht Es ist hier grosser Sück (Markt), m
Reise durch das Gebiet der Gadabursi- Somali u. Noli-Galla nach Har rar. \ \ 7
welchem die Galla- Frauen herbeigeströmt sind, um ihre eigenen
Produkte gegen andere umzutauschen. Geld kennt man nicht, auch
dürfen Männer den Marktplatz nicht betreten. Aufbruch von
Zschaffiäna 12 Uhr 40 Min. Nachmittags.
Über Hügel und Thäler mit tief eingeschnittenen Baranka's
wurde um 3 Uhr 50 Min. Nachmittags Harrar erreicht. Schon
lange bevor wir uns der Stadt näherten, begannen die Gärten
und Felder ihrer Bewohner. Die Pisang-Haine mehrten sich und
die Besiedelungen der Abhänge wurden dichter. Zwischen un-
durchdringlichen Wänden der Kandelaber-Euphorhie, mit welchen
die Felder eingefasst sind, zwischen Hecken blühender, prächtig
duftender Strauchgewächse, unter welchen die äthiopische Capparis
häufig ist und eine weiss und rosa gefärbte Rose heimatlich her-
vorleuchtet, wurde der Bach, der Harrar umspült, durchritten, der
Hügel, den die Stadt krönt, wurde erstiegen und das nordliche
Thor erreicht. Einige Minuten wartete ich hier der Diener, dann
ritt ich durch das Thor, geführt von einem sudanesischen Soldaten,
der vom wachthabenden Offizier beauftragt war, mich zum Divan
zu geleiten. — Sr. Excellenz Nadi Bascha, Gouverneur von Harrar,
empfing mich auf das Zuvorkommendste, liess sofort das beste
Quartier für mich herrichten und stellte mir die übliche Ehren-
eskorte zur Verfügung.
Harrar mag 20 000 Einwohner zählen , die Stadt liegt auf
einem ca. 400 Fuss hohen Hügel, ist von einer Mauer mit fünf
Thoren umgeben und Sitz des Gouverneurs, welcher von hier aus
die von Ägypten neu annectierten Gebiete beherrscht. Die Ge-
bäude der Stadt bestehen durchweg aus Stein, haben eine vier-
eckige Form und nur ein Geschoss mit einem platten Dach. Die
Gassen sind eng, schmutzig, winklig, voll von Steinen und höchst
unbequem, da keine einzige auch nur annähernd wagerecht ist.
Zahllose halbverhungerte Bettler, Kranke und Krüppel liegen
überall im Wege; der Anblick der von Syphilis und Pocken
Heimgesuchten ist ekelhaft. Die Armut ist so furchtbar, dass
täglich eine nicht unbedeutende Zahl von Menschen Hungers
sterben. Die Schwachen und Wehrlosen werden des Nachts von
den äusserst zahlreichen, gefleckten Hyänen zerrissen, ohne dass
auch nur ein einziger Eingeborener zur Hülfe herbeieilte. Mehrere
Nächte wurden unter meiner Wohnung am Sück, also dem beleb-
testen Teil der Stadt, Menschen von Hyänen zerrissen. Ich horte
das entsetzliche Schreien, das Krachen der Knochen, das widerliche
Geheul der Bestien, doch als ich in Begleitung meiner Diener mit
Windlichtern herbeieilte, war das Grässliche schon geschehen;
mehrere blutende Kadaver waren das Resultat eines einzigen An-
griffs der Hyänen. Ich werde das entsetzliche Aufschreien der
118 J. v. Müller:
Unglücklichen, das Todesrocheln der Zerrissenen niemals vergessen.
Fast allnächtlich wiederholten sich derartige Scenen, am Morgen
lagen nur noch wenige Überreste umher, welche von den zahl-
losen Hunden bald vertilgt wurden. Zwar hat die Regierang
Massregeln gegen diese Not ergriffen, doch mit wenig Erfolg; die
Zahl der Armen ist zu gross.
Von meinem Quartier aus übersah ich den Markt. Tom
frühsten Morgen bis zum Nachmittag ist derselbe bedeckt von Käufern
und Verkäufern. Ausser den Landesprodukten, die zur Nahrung
dienen, werden hier Baum wollenfabrikate indischen und einheimischen
Ursprungs umgetauscht. Waffen und Scbmuckgegenstände, sowie
einiges Vieh finden ebenfalls Käufer. In den den Markt umgeben-
den Häusern bieten Händler die besseren Waren feil: bunte Perlen
der verschiedensten Sorten, Messer, Spiegel, bunte Seiden- und
Baumwollen-Strähnen ziehen hier den Eingeborenen an. Lichter
hiesigen Fabrikats bilden einen nicht unbedeutenden Handelsgegen-
stand. Kaffee, in grossen Mengen aus den Gebieten der Ittu-Galla
kommend, Häute und Elfenbein, letzteres in sehr geringen Mengen,
sowie durch die Ägypter eingeführte Gartenprodukte ihres Landes,
die hier prachtvoll gedeihen und auch nicht im Entferntesten an
ihre dürftige, nordliche Heimat erinnern, füllen den Markt. Bananen
sind unglaublich billig und von vorzuglicher Gute. Bädingal and
Trung sind beliebte Fruchte, letztere eine Gitrone im kolossalsten
Massstabe ; getrocknete Datteln werden aus Yemen eingeführt Bei
den wenigen griechischen und indischen Händlern finden sich einige
verdorbene Konserven, Sonnenschirme und Kleidungsstucke. Der
Kaifeehandel Harrär's ist berühmt und entspricht seinem Ruf.
Ein grosser Teil der Eingeborenen beschäftigt sich mit demselben,
auch existiert hier eine franzosische Gompagnie, welche die glän-
zendsten Geschäfte macht. Dieselbe hat ein grosseres Gebäude
in der Nähe des Divans inne. Etwas weiter befindet sich die
franzosische Lazaristen- Mission. Dieselbe existiert erst seit einem
Jahr, ist von aus Abessinien vertriebenen katholischen Missionaren
gegründet und hat bei der hier herrschenden grossen Armut einigen
Erfolg zu verzeichnen. Der Bischof, Monsignor Turier, steht dem
Unternehmen vor. Zur Zeit war derselbe in Zeüa, doch werde ich
von seinem Stellvertreter zuvorkommend empfangen. Bei einem
Glase des vorzuglichsten Taetsch, abessinischem Honigbiers, wird
ein Stundchen verplaudert und viel politisiert. — Im Centrum der
Stadt, den höchsten Punkt des Harrar-Hügels einnehmend, erhebt
sich der Divan, ein grosser einstockiger Bau, in seiner Mitte ein
grosses Viereck umschliessend. Durch ein breites Thor trete ich
ein, die Wache salutiert, und der wachthabende Offizier geleitet
mich. Wir durchmessen den grossen Hof. Schwarze Soldaten
Reifie durch das Gebiet der Gadabursi-Somali u. Noli-Galla nach Harrar. 1 1 9
aus den Gebieten des Weissen Nil exercieren in demselben, wilde
Galla-Hänptlinge , welche gekommen sind, dem Bascha ihre Er-
gebenheit anzuzeigen und Tribut zu bringen, kauern in einer Ecke,
die Regimentsmusik hält ihre Übungen — das Ganze giebt ein
belebtes Bild. Die Sonne steht genau im Zenith, nichts wirft
Schatten, man erinnert sich, dass der Äquator nahe und Ägypten
fern, fern im Norden ist; zugleich bewundert man die Energie
und die Kraft, welche die Nachkommen Mohammed Ali's befähigten,
ihre Macht auf so ungeheuere Gebiete auszudehnen. Das andere
Ende des Hofes ist erreicht, die Wache salutiert wieder, ein
zweiter Thor weg wird durchmessen, ein zweiter Offizier giebt mir
das Geleit, während der erste zurücktritt. Ich befinde mich jetzt
in einem kleinen, sauber gehaltenen Hofe voll grüner Bosquets,
um welche Civilbeamte, Adjutanten und Offiziere promenieren. —
Eine Freitreppe wird erklommen, wieder tritt in der grossen Vor-
halle die Wache in's Gewehr und durch eine grosse Thor schreite
ich in den Empfangssaal und befinde mich eine Minute später
an der Seite Sr. Excellenz Nadi Bascha's, des mächtigen Gou-
verneurs. Ich lerne in ihm einen liebenswürdigen, durch seine
Stellung distinguierten Ägypter kennen; sein Gesicht ist dunkel-
braun und sonnenverbrannt, seine Figur ausserordentlich gross und
stark korpulent. Seine Kleidung ist europäisch und für diese von
den Kultur-Gentren weit entlegenen Gegenden elegant. Er sitzt
auf einem bunten Divan, vor ihm steht ein mit rotem Tuch über-
zogener Tisch mit Schriftstücken, Tintenfass und Cigarrettendose.
Der Bascha ist den ganzen Tag über stark beschäftigt, selbst die am
Äquator übliche Siesta wird vernachlässigt, und nur während des
Diners, welches, wie ich mehreremals zu erfahren Gelegenheit
hatte, von einem franzosischen Koch vortrefflich zubereitet wird,
gönnt er sich einige Ruhe. — Der beständige Begleiter des
Bascha's ist der Chef des Generalstabes, Achmed Ouadi Effendi,
ein eleganter, feiner Herr, der vorzüglich franzosisch spricht und
einige wissenschaftliche Bildung genossen hat. In seiner Wohnung
hat er gute Bücher aufgespeichert. — Mehreremals dinierte ich
im Divan. Se. Excellenz hat die Tafel vorzüglich arrangiert,
selbst die obligaten Blumen fehlen nicht, sie sind nach neuester
Mode zusammengestellt und erfüllen mit ihrem Duft den Saal.
Das Diner ist vorzüglich, nur lassen die Weine zu wünschen übrig :
Mosel und Rhein sind gar weit. Nach der Tafel wird bei
Kaffee and Cigarren wacker gezecht und politisiert. Man er-
örtert die deutsche Kolonial-Politik , es wird von einem Vertrag
zwischen Deutschland und Abessinien einerseits und Ägypten ander-
seits gesprochen, doch sind die Neuigkeiten schon Monate alt; ich
soll mich über die Sache auslassen, doch geht es mir wie den
120 J* v- Müller:
übrigen, wir merken, dass wir schon lange Ten Zeitungen und poli-
tischen Streitigkeiten abgeschnitten sind.
Gegen Abend bricht ein furchtbares Gewitter aus, der Regen
rauscht sündflutartig hernieder, die Strassen von Harrar sind in
brausende Sturzbäche verwandelt, Krüppel und Verhungerte
werden von den Wellen erstickt, doch die trüben Fluten spülen
die zahlreichen Kadaver hinab zum Harrär-Thal, wo die Hyäne
sie beseitigt und so verheerenden Epidemien vorbeugt« — Die
Natur ist erfrischt, die Luft kühl und angenehm, und bei pracht-
vollem Wetterleuchten kehre ich mit meiner Eskorte in mein
Quartier zurück. Ich finde hier Geschenke von herrlichen
Früchten vor, blicke noch lange auf das zu meinen Füssen
im klaren Mondschein schimmernde Land mit seiner entzacken-
den Natur, seinen reichen Bananenwäldern, seiner überflieesen-
den Üppigkeit — und doch so grenzenlosem Elend. Man denke
sich, welches Paradies hier einst geschaffen werden konnte, wie
Deutschlands Auswanderer jubeln würden, dürften sie ein solches
Land das ihrige nennen. Man erstaunt, wie in massgebenden
Kreisen noch so wenig gethan wird, um einem schreienden Übel-
stand mit geringer Mühe und geringen Mitteln mit einem Schlage
abzuhelfen. Man wundert sich weiter, wie man nicht nehmen
kann, was nur zu nehmen ist, was kaum jemand bei gehöriger
Energie streitig machen würde, denn man weiss aus eigener An-
schauung und aus den Werken vorzüglicher Beisender, dass von
Nord-Abessinien an bis zum Zambesi und Limpopo noch viel herren-
loses Gebiet einer Besetzung harrt — denn herrenlos muss man
Länder nennen, die nur von wilden Häuptlingen blutig regiert
werden. Ob Konig Johannes von Habesch in diese Kategorie
gehört, lasse ich dahingestellt.
Das Klima von Harrar ist das denkbar angenehmste, die Tempe-
ratur steigt niemals über 22° C. und sinkt nicht selten unter 15° C.
Die Regenzeit beginnt im März und dauert bis Oktober, doch fällt
von Oktober bis März genug Regen, um die üppige Vegetation
frisch zu erhalten. Die Umgebung der Stadt gleicht auf viele
Meilen einem einzigen blühenden Garten, aus dessen dunklem
Grün die sehn ee weissen, von Millionen Blüten übersäeten Kaffee-
Pflanzungen hervorleuchten. Der Fernblick von der Stadt ist
grossartig. Die langgestreckten Gebirgszüge der Ittu- und Meta-
Galla ziehen sich bis in weite, weite Ferne; die eine Kette ist
blauer und duftiger wie die andere, und über dem zaubervollen,
entzückend schonen Naturgemälde giesst die äquatoriale Sonne ihre
senkrechten Strahlen und alles strahlt Wärme, Licht und üppige
Lebenskraft. Wohin ich mein Fernglas wende, überall dasselbe
Bild, überall die dunkelgrüne Farbe der Pisangwälder, der weisse
Reise durch das Gebiet der Qadabursi-Somali u. Noli-Galla nach Harrdr. X 2 1
Schimmer der Kaffee-Pflanzungen und die zierlichen Tokuls, die sich
im dichten Wald verstecken, oder die grünen, sanften Abhänge des
Gebirges zieren. Fürwahr, ich habe im westlichen Teil des Ge-
biets des indischen Oceans wenige schönere nnd reichere Gemälde
kennen gelernt. — Und trotzdem das grauenvolle Elend in den
engen Gassen zu meinen Fassen. Ich erkundige mich hier und
dort nnd erfahre, dass seitdem Harrar von Ägypten besetzt,
Ruhe im Lande herrscht, ein grosser Teil der Landbewohner
zur Stadt strömt, um leichter im Dienst der Regierung das tägliche
Brod zu verdienen und den Erpressungen der kleinen Häuptlinge,
so wie den immer tobenden Fehden zu entgehen. In den Monaten
der grossen Ernten, wenn Sowarri und die abessinischen Getreide-
arten am billigsten sind, kauft die Regierung im Einverständnis
mit den grossen arabischen und indischen Händlern sämtliche
Vorräte auf, die Preise steigen natürlich infolge dessen von Monat
zu Monat, die Regierung und die Kapitalisten haben alle Vorräte
in Händen nnd machen die Preise nach ihrem Belieben, un-
bekümmert um das grausige Elend, welches ihre Handlungsweise
hervorruft. Meinen Erkundigungen zufolge, welche ich von ver-
schiedenen Seiten eingezogen habe, beläuft sich die Zahl der-
jenigen, die in den Strassen verhungern, auf jährlich 2000 — 9000,
eine Zahl, die zuweilen noch überschritten werden soll.
So war der letzte Tag meines Aufenthalts in Harrar heran-
gekommen. Ich verabschiedete mich von meinen neuen Bekannten
und machte die letzte Visite bei Sr. Excellenz, welcher die Liebens-
würdigkeit hatte, mir eine zahlreiche Eskorte vorzüglich berittener
Baschi-Bozuks mitzugeben. Die Kamele gingen schon am Mittag
ab, da die schlüpfrigen Gebirgswege für die schwerfälligen Tiere
schwierig zu passieren sind« — Gleich einem roten Feuerball stieg
am folgenden Morgen die Sonne über den im Nebel ruhenden
Bergen der Ittu-Galla empor. Die Trompete schmetterte, im Hof
stampften die Pferde, schnell wurde der Kaffee geschlürft, dann in
den Sattel und fort durch die belebten Strassen Harrär's. Auf
dem Hagel, von welchem die Stadt zum letzten Mal zu sehen ist,
parierte ich meinen Hengst, noch einmal Hess ich den Blick über
das herrliche Land schweifen. In den Thälern wallte noch Nebel,
während die Berge schon im Sonnengold lagen und bis in die
weiteste Ferne blau und blauer aufstiegen, bis sie scheinbar mit
dem wolkenlosen Äther zusammenflössen. — Jetzt wird die Flagge
auf dem Thor gehisst, dann sinkt sie wieder Halbmast. Dreimal
wird das Spiel wiederholt und ich erkenne den Bascha, umgeben
von den Stabsoffizieren, der mit dem weissen Taschentuch mir den
letzten Grass zuwinkt. Ich lasse die Gewehre richten und dreimal
donnert die Salve hinüber als Gegengrass — als letztes Zeichen
122 Cl. u. G. Denhardt:
der Freundschaft. Dann die Sporen in die Weichen and fort mit
Windeseile. — Die Erinnerungen an Harrar werde ich stets mit
herzlicher Freude in's Gedächtnis zurückrufen, möge bald die er-
lösende Civilisation diesen glucklichen Gefilden beschieden sein.
VIII.
Bemerkungen zur Originalkarte des unteren Tana-
Gebietes.
Von Clemens und Gustav Denhardt
(Hierzu eine Karte, Ta£ III.)
I.
Die Originalkarte des unteren Tana-Gebietes gehört zu den
Ergebnissen einer Forschungsreise, welche wir während der Jahre
1878 und 1879 im äquatorialen Ostafrika ausführten. Wir be-
schränken uns hier auf eine oberflächliche Darstellung dieser Reise
und unserer bezüglichen Arbeiten soweit sie die Karte betreffen,
weil eine umfassende Veröffentlichung beabsichtigt ist.
Die wissenschaftliche Bearbeitung der Ergebnisse unserer
Reise wurde durch eine aus Reichsmitteln von Seiner Excellenx
dem Staatssekretär des Innern, Königlich Preussischen Staats-
minister Herrn von Boetticher gewährte finanzielle Beihilfe er-
heblich gefordert; wir halten uns daher für verpflichtet, auch an
dieser Stelle unserem aufrichtigen Danke dafür Ausdruck zu geben.
Einige Veröffentlichungen über die in Rede stehende Expedi-
tion erfolgten in den „ Mitteilungen der geographischen Gesellschaft
in Hamburg" (1878 u. 1879) und in „Petermanns geographischen
Mitteilungen tt (Jahrgang 1881); man wird daselbst vielfache Er-
gänzungen zu dem nachstehend Gegebenen finden.
Unsere Reise entsprang dem Wunsche: die Verhältnisse des
Tani-Osi- Gebietes zu erkunden, welches aller Wahrscheinlichkeit
nach für Deutschlands Handel und Gewerbe, sowie für dessen
allgemeine wirtschaftlichen Interessen von weitgehender Bedeutung
werden wird.
Weil der deutsche Handel in Sansibar, der Metropole des
äquatorialen Ostafrika, den ersten Rang einnimmt und weil alle
Zustände dort, sowie in diesem grossen, reichen Gebiete ganz be-
sonders dazu angethan sind, den deutschen Beziehungen jeder Art
eine sich stetig steigernde, äusserst lohnende Wirksamkeit zu er*
offnen, wie sie in anderen leicht erreichbaren Theilen Afrika' 8 sich
Bemerkungen zur Originalkarte des unteren Tana-Gebietes. 123
nicht bietet, schien es uns notwendig, Aufklärung über den un-
bekanntesten, aber wichtigsten Teil dieses Gebietes zu schaffen
und dadnrch die Erkundigungen und Arbeiten der früher im äqua-
torialen Ostafrika tatig gewesenen hochverdienten deutschen Forscher:
Krapf, Rebmann, Erhardt, Freiherr Carl Claus von der Decken
und K ersten, zu vervollständigen.
An dem Letztgenannten hatten wir einen treuen Ratgeber
und allezeit opferbereiten, tatkräftigen Forderer unserer Bestre-
bungen, der mit dem reichen Schatze seiner Reiseerfahrungen
ungemein anregend auf unsere Absichten wirkte. Ihm, sowie
den inzwischen verstorbenen Herren Dr. Erman, Professor an
der Universität zu Berlin, und Dr. C. Bruhns, Professor an der
Universität zu Leipzig und Direktor der dortigen Sternwarte,
verdanken wir hauptsächlich die Anleitungen zu unseren mehr-
jährigen Vorbereitungen für die während der Reise von uns voll-
zogenen Arbeiten.
Diese erstreckten sich auf Feststellung der Zustände an der
Küste in der Oegend der Flusse Tana und Osi, sowie im Gebiete
dieser Strome, soweit dieselben zunächst für europäischen Verkehr
in Betracht kommen; demgemäss auf astronomische Bestimmung
der wichtigsten Punkte und geographische Aufnahme des von uns
durchzogenen Landes, um eine Karte desselben zu geben; auf
Ermittelung der Abweichung des Magneten, deren Eenntniss
für die ScbiffFahrt und zur Aufnahme des Reiseweges erforder-
lich ist; auf meteorologische Aufzeichnungen, um einigen Anhalt
für Beurteilung des Klima's zu gewinnen, — und auf allgemeine
naturwissenschaftliche Untersuchungen.
Unsere Abreise aus Deutschland erfolgte am 19. December
1877 mit dem Segelschiffe „Amanda und Elisabeth" der Herren
Gebruder Heinrich und Ludwig Hansing zu Hamburg, welche in
nicht genug anzuerkennender Weise uns und unser gesammtes
Expeditionsgepäck, sowie unseren mit dem Schiffe „Suaheli" vor-
ausgegangenen Reisegefährten, Dr. med. G. A. Fischer aus Barmen,
unentgeldlich von Hamburg nach Sansibar überführten und uns
durch ihre Vertreter während unseres Aufenthaltes in Ostafrika
mannigfach unterstutzten.
Nach unserer, am 3. April 1878 erfolgten Ankunft in Sansibar
hatten wir dort mit der Anwerbung von Eingeborenen und mit
Beschaffung von Tauschwaaren und Ausrüstungsstücken für unsere
im Tan a-Osi- Gebiete auszuführende Forschungsreise mehrere Wochen
lang zu thun und unternahmen auch, da sich eine Schiffsgelegenheit
nach unserem Reiseziele nicht so bald fand, einen mehrtägigen
Ausflug nach der am afrikanischen Festlande westlich von Sansibar
belegenen grossen katholischen Mission zu Bagamojo.
124 Cl. u. <*• Denhardt:
Wir fanden daselbst sehr freundliche Aufnahme, worden in
zuvorkommendster Weise aber alle uns interessirenden einschlagigen
Verhältnisse informirt nnd auf unseren Jagdzügen in der Umgegend
mit Rat und That unterstutzt. Das bescheidene, stille, opferfreudige
und rationelle Wirken dieser katholischen Missionäre und Missiona-
sch western, ein Wirken, welches, trotz geringer finanzieller Bei-
hülfe aus der civilisirten Welt, hier so Grossartiges erzielte, hat
uns hohe Achtung und Anerkennung abgenötigt; wir stehen daher
nicht an, besonders die Mission zu Bagamojo als eine Muster-
mission zu bezeichnen und sie der Beachtung unserer protestan-
tischen Missionäre zu empfehlen!
Am 12. Mai 1878 traten wir die eigentliche Forschungsreise
an. Auf einem gebrechlichen Segelschiffchen der Eingeborenen,
auf einer „Dan" von etwa 15 Tonnen Tragkraft, schifften wir uns
an jenem Tage ein und erreichten unter mancherlei Fährlichkeiten
am 25. Mai Malindi, einen wichtigen, von etwa 4000 Suaheli und
einigen Arabern bewohnten Handelsplatz an der afrikanischen Ost-
küste, der auf und in den Ruinen einer Stadt errichtet ist, die
einstmals viel grosser war, bereits im 13. Jahrhundert bestand
und im Jahre 1498 von Vasco de Gama für Portugals Interessen
gewonnen wurde. Heftige Regengüsse zwangen uns, unseren Auf-
enthalt dort bis zum 20. Juni auszudehnen; dann erst konnten
wir gen Norden marschiren bis nach Kipini, einem Suaheli-Orte,
welcher etwa 2000 Bewohner hat und am linken Ufer des Osi,
dicht an dessen Mündung in den Indischen Ocean, liegt. Wir
überschritten bei diesem Marsche, der sich in der Nähe der Küste
und an* derselben entlang zog, die Flüsse Sabaki, Msmareni, Kilifi,
Tana und Osi und lagerten an den Mündungen der drei letztge-
nannten, sowie in den Suaheli- Ortschaften Mambrui, Gongoni,
Gallitja und Maräräni. Die beiden letzten sind nur vorübergehend
bewohnt; die erstere von beiden ist eigentlich nichts weiter als
ein verlassenes Suaheli-Haus, in dem Jäger und Reisende für
kurze Zeit ihr Quartier aufschlagen; die letzte besteht aus etwa
20 Hütten, die den Eingeborenen zur Zeit des Einsammelns der
Orsei'lleflechte („Maräre") als Wohnungen dienen. Das Trink-
wasser ist in beiden Orten schlecht ; in Maräräni war es ungenieß-
bar, weil der Brunnen sich vom Meerwasser beeinflusst zeigte. —
Mambrui liegt dicht am Meere und hat ungefähr 1500 Bewohner,
denen, wie in Malindi, ein vom „ Sultan a von Sansibar eingesetzter
Araber als „Walia (etwa Landrath in unserem Sinne) vorsteht.
Dieser Ort, in dessen Umgebung Ruinen einer alten Suaheli-Stadt
aus dem Anfange des 16. Jahrhunderts sich finden, ist wegen
seines an Ackerbauprodnkten reichen Hinterlandes für den ost-
afrikanischen Küstenhandel von Bedeutung. Gongoni, ungefähr
Bemerkungen zur Originalkarte des unteren Tana-Gebietes. 125
120 Hotten mit 600 Bewohnern, wurde von Mambrui-Leuten im
Anfang der siebziger Jahre unseres Jahrhunderts angelegt, um den
Ackerbau ausdehnen und rationeller betreiben zu können.
An der ganzen Küstenetrecke zwischen Malindi und Kipini giebt
es weiter keine Ortschaften als die genannten. Unter den Flüssen
sind Sabaki, Tana und Osi für Verkehr und Handel bemerkens-
wert; aber nur Tana und Osi werden von den Eingeborenen als
Handels- und Verkehrswege benutzt. Der Tana ist der grosste
und wichtigste dieser Strome.
In Kipini trafen wir am 5. Juli ein. Auch dieser Ort ist
verhältnissmassig neuen Ursprunges; denn erst im Jahre 1868 (?)
siedelten sich einige Bewohner aus anderen Küstenplätzen hier an.
Die stetig zunehmende Bedeutung desselben für den von hier aus
mit den Tanalandschaften unterhaltenen Handel und den in der
Umgegend betriebenen Ackerbau, veranlassten den „Sultan" von
Sansibar sich hier Einfluss und eine neue Einnahmequelle zu
schaffen durch Einsetzung eines „Wali" und eines Zollbeamten«
Von Kipini aus unternahmen wir Ausflüge in die Umgegend«
u. A. auch nach dem Orte Schagga, welcher von einer recht
wohlhabenden, Ackerbau und Handel treibenden Bevölkerung von
ca. 500 Seelen bewohnt wird. Schagga ist wohl so alt wie Ma-
lindi und ist allem Anscheine nach einst ein bedeutender Ort
gewesen; dafür zeugen die vielen Ruinen von Bauwerken, die in
Form und Erhaltung ganz denen des alten Malindi ähneln. Eben-
solche Ruinen finden sich bei Ras Schagga und dicht bei Kipini
am Meeresstrande. Die Ruinenstadt bei Kipini tragt den Namen
„Gongoamascha". — Unter der jetzigen Kastenbevölkerung sind
über diese alten Städte mancherlei Sagen im Gange« deren ge-
naues Studium wahrscheinlich vielfach Anhalt zur baugeschicht-
lichen Datirung der Ruinen, wie überhaupt zur Klärung der Ge-
schichte der Küstenbevölkerung Ostafrika's geben würde. Wir
glauben nicht fehl zu greifen, wenn wir die Entstehung der jetzt
in Trümmern liegenden, zum Teil noch wohl erhaltenen Stadtbau-
werke in das 15. und 16. Jahrhundert verlegen; eine Annahme hin-
sichtlich der Zeit ihrer Zerstörung erlauben wir uns dagegen nicht.
Bei Said ben Ali, dem Wali von Kau, der den in Geschäften
abwesenden Wali von Kipini vertrat, fanden wir eine recht kühle
Aufnahme, die einen schroffen Gegensatz bildete zu dem freund-
lichen Entgegenkommen und der Forderung, welche uns die Ver-
treter des „Sultans" von Sansibar in Malindi und Mambrui zu
Teil werden Hessen.
In der Befürchtung, dass durch unsere Reise nach den Tana-
Landschaüen über deren Handelsreichthum, über die von ihm mit
flachwürdiger Willkür verübten Bedrückungen und über den von ihm
126 Cl. u. G. Denhardt:
und seinen Getreuen schwunghaft betriebenen Sklavenhandel Be-
richte nach Sansibar gelangen würden, welche eine Schädigung
seiner Interessen herbeiführen könnten, hinderte Said ben All durch
allerlei Ränke und Lugen unsere Abreise von Kipini bis zum
8. August 1878. Wir siedelten nun nach Kau über und hatten
auch hier einen dreiwöchentlichen, durch Said ben Alfs Ränke
veranlassten unangenehmen Aufenthalt.
Kau ist ein elendes, ungesund liegendes Suaheli- Stadtchen.
Es wird etwa 500 Bewohner haben, die cum allergrossten Teile zwar
wohlhabende Leute, aber auch die gefürchtetsten Händler im Tana-
Osi-Gebiete sind. Die mohamedanischen Bewohner von Kau,
Allen voran Said ben Ali, der Vertreter des „Sultans" von San-
sibar, befolgen am Unterlaufe des Tana ein ganz rationelles Aua-
beutungssystem : die arbeitsamen, gutmütigen Pokomo, die eigent-
lichen Besitzer des Landes an diesem Flösse, sind für sie nur
Heiden und Sklaven, deren gesamter Besitz von ihren Bedrückern
als Eigentum betrachtet wird.
Der Verkehr zwischen den Orten am Osi und Tana wird
mittelst Kähnen auf diesen Flüssen bewerkstelligt; man hat daher
hier im Verhältnis zu anderen Teilen Ostafrika's, in denen die
Wege zu Fus8 oder Esel zurückgelegt und die Lasten von Menschen
getragen werden, eine bequeme Art des Reisens, welche wir uns
nicht entgehen Hessen. Von Kipini ab haben wir uns fast aus-
schliesslich der Boote als Reisemittel bedient.
Nachdem wir, trotz der Ränke Said ben Ali's und seiner
Freunde, Kähne und Kahnführer gemietet hatten, setzten wir
unsere Reise ohne sonderliche Schwierigkeiten fort Wir fuhren
von Kau im Osi hinauf bis zum Belesoni, einem zwischen dem
Osi und Tana bestehenden Flutrinnsale, welches von den Pokomo
auf Veranlassung der Bewohner von Kau zu einem Kanäle erweitert
worden ist, dann durch diesen Kanal in den Tana, auf diesem
stromauf bis Massa, von dort stromab bis zur Tanamünduog,
wieder stromauf bis zum Belesoni und durch diesen stromab im
Osi bis Kipini.
Die einzigen Schwierigkeiten, welche sich uns bei dieser Reise
nach dem Verlassen von Kau in den Weg stellten, wurden uns,
wie alle früheren, durch Said ben Ali bereitet. Er veranlasste
nämlich die in der Umgegend von Kau wohnenden Bararetta-Galla
uns mit hohen Tributforderangen in Ngao und Engatana aufsn-
halten; mit einigen Geschenken wurde aber auch dieser Versuch,
uns an der Weiterreise zu hindern und uns zur Umkehr zu be-
wegen, überwunden.
In Massa, welches wir am 31. October 1878 erreichten,
schlössen wir unser weiteres Vordringen ab wegen Mangel an
Bemerkungen zur Originalkarte des unteren Tana-Gebietes. 127
Tauschwaaren, die wir s. Z. in Sansibar gar nicht and in Kipini
und Lama nar in anzureichender Menge kaufen konnten. Eine
andere Veranlassung zur Umkehr lag nicht vor; wir hätten unsere
Reise, wenigstens bis zur Grenze der Schiffbarkeit des Tana and
im Gebiete der friedlichen Pokomo and Galla, ungehindert fort-
setzen können.
Am 10. November 1878 machten wir in Massa kehrt; am
22. November waren wir bereits wieder in Kau, schifften ans
dort auf einer kleinen Dan nach Malindi ein und erreichten von
dort aas 9 anter Benutzung einer grosseren Dan, Sansibar am
3. December 1878. — Dr. Fischer, der sich während der Expe-
dition fleissig mit der Anlage von zoologischen Sammlangen be-
schäftigte, traf einige Wochen später in Sansibar ein, weil er sich
zum Jagen noch einige Tage in der Umgegend von Kau aufhielt.
Hiermit hatte die Reise, welche wir zur Erledigang unserer Haupt-
aufgabe nach dem Tana-Osi-Gebiete unternahmen, ihren Abschluss
gefanden. Die Darlegung der sich hieran schliessenden weiteren
Unternehmungen in Ostafrika wird an anderer Stelle erfolgen, weil
sie den Rahmen des hier zu Gebenden aberschreiten würde.
Unser Gesundheitszustand war während des grossten Teiles
der Reise befriedigend, obschon wir, wie das bei grossen Strapazen
und schlechter Ernährung bei Reisen in Afrika wohl nicht anders
sein und auch nicht befremden wird, von Fieber und Dyssenterie
nicht verschont wurden.
Die Eingeborenen nahmen uns an allen Orten freundlich und
zuvorkommend auf« Abenteuer und Gefahren hatten wir bei diesen
friedliebenden Menschen nicht zu bestehen; wir brauchten daher
auch nicht um unsere Sicherheit und unser Eigentum besorgt zu
sein und konnten uns infolgedessen um so mehr unseren Arbeiten
widmen.
Bevor wir über dieselben berichten, wird es notwendig sein,
über Bodengestalt und Bodenbeschaffenheit, Pflanzen- und Tier-
Welt, sowie über die Volker der Tana-Osi-Landschaften Einiges
mitzuteilen.
Der ganze Küstenstrich vom Ras Ngomäni (3° S.B., 40° 13'
O.L. v. Greenwich) bis Lamu (2° 15,6' S.Br., 40° 58,5' O.L. v.
Greenwich), welcher zunächst hier in Betracht kommt, ist ebenes,
sich nur einige Meter über die Hochflutmarke des Meeres erhe-
bendes Land, das nur am Ras Ngomäni und vom Kilifl bis über
Ras Schagga hinaus von höheren Dünen- und Hügelzügen gegen
das Meer hin abgeschlossen wird. Die bedeutendsten, bis zu 80
Meter ansteigenden Hohen derselben liegen am Ras Ngomäni
und nahe an der Tanamündung; die Küste erscheint daher etwas
gegliederter und erfreulicher als an den sonst meist niedrigen,
128 CL u. O. Denhardt:
einförmigen Stellen. Der Dünenzug zwischen Tana nnd Od wird
von den Küstenbewohnern „Kitangatangani", von den Galla „Massa-
dieratt- genannt.
Zwischen Ras Ngomani und Ras Schagga vertieft sich die
Küste auf einer Strecke von etwa 70 Kilometern zu einer nach
Ost und Sudost geöffneten Bucht, deren am weitesten zurücklie-
gender Teil sich zwischen dem Kilifi und Tana befindet und etwa
25 Kilometer von der Verbindungslinie zwischen den genannten
Vorgebirgen absteht. Diese Bucht wird „Ungama" und auch »For-
mosa-Bay" genannt. So viel bis jetzt bekannt geworden ist, bietet
sie gute Ankergrunde für die grossten Segelschiffe, welche bei
nordlichen und nordostlichen Stürmen in ihrem nordlichen Teile,
bei südostlichen, südlichen und westlichen Stürmen dagegen in
ihrem südlichen Teile Schutz finden. In dieser Hinsicht ist sie
besser als die offene Rhede von Sansibar.
Der Untergrund der gesamten Küstenstrecke wird von Korallen
gebildet, die sich meilenweit ins Meer fortsetzen und in der Nahe
von Ras Schagga die drei Riffe „Tanawi", „Kinika" und „Siwain*
formieren, welche selbst bei Hochflut des Meeres zum Teil über
Wasser ragen und daher dem Schiffer leicht merkbar werden.
Das ganze, hier in Betracht kommende Land hinter den Danen
ist eine grosse, allmälich ansteigende, fruchtbare Ebene, die ihren
Abschluss gegen S., W. und N. in den Ausläufern jenes Gebirgs-
zuges findet, in dem der Keniaberg sich weit über die Schnee-
grenze erhebt. Nur am Sabaki und einige Meilen westlich von
der Tanamündung tritt welliges Land auf; in demselben sind
die etwa 100 Meter hohen Hügel Masame und Weitju die grossten
Erhebungen. Man kann wochenlang in dieser Ebene reisen, ohne
auf irgend eine nennenswerte Bodenerhöhung zu stossen.
Diese grosse Ebene scheint vorwiegend aus Lehm zu bestehen,
der — wenigstens am Tana — grobkörnigen Quarzsand als Unter-
grund hat, und mit einer äusserst fruchtbaren Humusdecke aber-
kleidet ist. Allem Anscheine nach ist der Lehm der Ebene ein
Schwemmprodukt der zersetzten Gesteine vom Keniabergzuge.
Wir fanden am Tana die Lehmdecke 8 Meter tief einge-
schnitten, konnten aber auch durch tiefergehendes Graben ihre
Mächtigkeit nicht feststellen. An den Ufern des Tana war der
Lehm öfter mit Humusschichten durchsetzt. Besonders auffallig
war das bei Kosi, wo in der 2^ Meter hohen Uferwandung drei
je 26 — 40 Centimeter dicke Humusschichten fast wagerecht lagern,
die wohl durch Ueberschwemmungen entstanden sind.
Oberhalb Kosi durchschneidet der Tana einige Hundert Meter
lang eine graugrüne, mergelige, harte Thonschicht, deren Ober-
kante die Hohe des mittleren Wasserstandes innehält. — An den
Bemerkungen zur Originalkarte des unteren Tana-Gebietes. 129
Mündungen des Tana und Osi fand sich in Hohe des mittleren
Wasserspiegels ein feinkorniger, glänzender schwarzer Sand (Eisen*
Band?) in Schichten von 3 — -5 Centimeter Dicke. Bei Kau und
Tjarra lag dieser Sand tiefer, trat aber oberhalb Munjnni wieder
zu Tage und wurde dann fast anunterbrochen bis Massa beobachtet.
Bei den Küstenbewohnern findet dieser hübsche Sand Verwendung
als Streusand für Schriftstucke.
Durch die geschilderte Ebene winden sich mehrere Flusse, unter
denen der Tana der bedeutendste nächst dem Juba, also der
zweitgrösste Strom des mittleren Ostafrika ist. Soweit wir den
Fluss untersuchten, hielt er einen vorwiegend südsüdostlichen Lauf
inne. Oberhalb des Ortes Massa soll er noch etwa 12 Tagereisen
weit schiffbar sein. Die Küstenbewohner nennen diesen Fluss
„Tana", die Pokomo „Tsana", die Oalla „Galana marrotf und
« Galana dima", die Eamba „Kiluluma". Seinen Ursprung haben
wir im Keniabergstocke zu suchen. Darauf weisen sowohl die
Aussagen der Eingeborenen, als auch Dr. Krapfs Berichte hin,
der ihn unweit des Kenia sah.
Der Tana kommt angeblich aus einem See, welcher am Kenia
liegt und den Einige „Taka abajila" nannten. Als Nebenflüsse
wurden angegeben: „Dida", „Kinjadi" und „Ludi", welche im
Berglande zuströmen.
In der Gegend der Mündung des Tana treten Dünen und Hügel
dicht an ihn heran und bilden seine Ufer. Weiter stromauf zwischen
Tjarra und Manasamba fanden wir die Ufer des Tana selten höher
als 1 Meter. Bisweilen konnten wir, sogar bei mittlerem Wasser-
stande, scharf markirte natürliche Ufer dort nicht unterscheiden; wir
sahen nur meterhohe, von den Pokomo errichtete Dämme mit vielen
Durchlässen, mittelst deren die Anwohner ihre Felder vor Ueber-
schwemmungen schützen und den Wasserabfluss nach dem Hinter-
lande regeln.
Von Manasamba bis Engatana steigen die Ufer bis zu 3 Meter
an; von dort bis Doloni sind sie jedoch meistens nur 1 Meter
hoch. Auf der Strecke von Doloni bis Massa schwanken die Ufer-
hohen zwischen 1 und 2 Meter und steigen zuweilen bis zu 4
Meter an. Auch noch einige Tagereisen stromauf von Massa
sollen sie diese Hoben beibehalten und bis zur Grenze der Schiff-
barkeit des Flusses, welche bei dem Pokomo-Orte Hameje, 12 Tage-
reisen stromauf von Massa liegt, niedrig bleiben. Bei Hameje
werden die Tana-Ufer felsig, engen das Wasser ein und machen
es unfahrbar. Dort wird der Fluss von den Suaheli „Gururuma"
(abgeleitet vom Suaheliworte „Gurumou = „Donner") genannt.
Die Breite des Tana hält sich von der Mündung bis Ngao
(auf einer in der Luftlinie gemessenen Strecke von 32 Kilometern)
ZeitMhr. d. Gmal]*eh. I Brdk. Bd. XIX. 9
ISO cl- u <*• Denhardt:
innerhalb 30 — 40 Meter; weiter stromauf vergrössert sie sich zu-
weilen bis auf 100 Meter und mag 60 Meter im Mittel betragen.
Die Tiefe des Flusses ergab sich zwischen der Mundung und
Engatana durchschnittlich zu 4 Meter; zwischen der Mündung und
Tjarra warden noch bedeutendere Tiefen gelotet. Von Engatana
bis Massa fand sich eine mittlere Tiefe von 2 Meter. Diese
Ziffern gelten für den Wasserstand am Ende der Flutzeit, welcher
nicht viel hoher ist als der Wasserstand in der trockenen Jahres-
zeit; in dieser wird derselbe etwa \ Meter niedriger sein. Das
Bett des Tana wird durch Sandbänke einigemale verflacht; daraus
erwächst der Bootfahrt jedoch kein Hinderniss.
Die Geschwindigkeit der Strömung beträgt 3 — 4 Seemeilen
(5500 — 7400 Meter) in der Stunde. Eine Stromgeschwindigkeit
von 5 Seemeilen (9260 Meter) fanden wir nur einige Kilometer
unterhalb Engatana, wo der Fluss von den harten Lehmufern
eingeengt wurde.
Wir sind überzeugt, dass der Tana auch in der trockenen
Jahreszeit von der Mundung bis weit oberhalb Massa für Fahr-
zeuge von 1 Meter Tiefgang fahrbar ist, überhaupt einen seinen
Verhältnissen angepassten Schiffsverkehr bis Hameje, also auf eine
(geradlinig gemessene) Strecke von etwa 400 Kilometern zulässt.
Zweimal im Jahre hat der Tana hohen Wasserstand. Der*
selbe hängt von den Regenzeiten in seinem Gebiete ab. Die Ein-
geborenen bezeichnen die erste Flut, welche im Mai eintritt und
bis Ende September anhält, als die grosse, die zweite Flut, die
gegen Ende Oktober eintritt und bis Dezember währt, als die
kleine. Der höchste Wasserstand zeigt sich im ersten Flutmonat;
von da an hält sich der Stand des Wassers ziemlich hoch, fallt
dann aber im letzten Flutmonat rasch. Den niedrigsten Wasserstand
hat der Tana während der Monate Januar bis einschliesslich Mai.
Zur Zeit der Fluten überschwemmt der Fluss das Land meilen-
weit da, wo die Ufer sich weniger als 1 Meter über den mittleren
Wasserstand erheben, also auf der ganzen Strecke von Doloni bis
Engatana und von Ngao bis Tjarra. Wo die Ufer etwas höher
sind, oder wenn die Flut die Höhe der niederen Ufer nicht über-
schreitet, durchbrechen die Wassermassen das Ufer fast in jeder
scharfen Krümmung des Flusses und bilden an solchen Stellen
Abflüsse von 1 — 10 Meter Breite, deren Tiefe vom Wasserstande
abhängt. Die grösseren dieser Abflüsse sind bleibende; sie haben
daher von den Anwohnern am Tana Namen erhalten, von denen
in unserer Karte verzeichnet sind: Belesoni, Asso, Bellewele,
Msisi, Mahuru und Rafoma. Vielfach führen die Abflüsse bei fal-
lendem Wasserstande des Flusses das Schwemmwasser an ihn zurück
und stellen sich dann als Zuflüsse dar. Selbstständige, aus eigenen
Bemerkungen zur Originalkarte des unteren Tana- Gebietes. 131
Quellen gespeiste Zuflüsse scheint der Tana, soweit wir ihn unter-
suchten, nicht zu empfangen. Sind die gefundenen Zuflüsse nicht
alle von der geschilderten Art,' so sind sie höchstens Regenbäche,
welche wahrend und nach der Regenzeit die atmosphärischen Nieder-
schläge dem Tana zubringen.
Im Unterlaufe des Tana, sicherlich wenigstens zwischen En-
gatana und Tjarra, steht das Flutwasser des Tana am linken Ufer
mit dem Osi in Verbindung. Anscheinend wird dieser zur Zeit
der Fluten nicht unbedeutend vom Tana- Wasser gespeist. Bei
Tjarra war das ersichtlich; denn auf der Nordseite des Belesoni
bemerkten wir unübersehbare, schilfbewachsene Wasserbecken,
welche ihr Wasser vom Tana erhalten und es an den Belesoni
und Osi abgeben. Wie schon gesagt ist der Belesoni ebenfalls
ein natürlicher, aber künstlich erweiterter und vertiefter Abfluss
des Tana-Wassers zum Osi, welcher in der Breite von Tjarra dem
Tana bis auf 3,7 Kilometer nahe kommt.
Der Belesoni (von den Oalla „Khoti" genannt) zweigt sich
dicht unterhalb Tjarra in einer kurzen Krümmung des Tana an
dessen linken Ufer ab und schlängelt sich in vielen kleinen Kurven,
die im Allgemeinen eine gerade Linie bilden, bei einer Breite von
1^ — 2 Meter und einer Tiefe von ^ — lj^ Meter, zum rechten
Osi-Ufer. Nahe am Tana beträgt die Geschwindigkeit des Wassers
im Belesoni 5 — 6 Seemeilen in 1 Stunde, bald darauf nimmt sie
aber bis auf 2 Seemeilen ab; sie ist ganz von der Hohe des
Wasserstandes im Tana abhängig. Das Land zu beiden Seiten
des Kanals ragt nur einige Centimeter über dessen Wasserspiegel
empor; es ist auf mehrere hundert Meter gegen S. hin sumpfig;
gegen N. war es vollständig überschwemmt.
In der trockenen Jahreszeit erhält der Belesoni wenig Wasser
vom Tana; Schilf, Binsen und andere Sumpfgewächse wuchern
dann im Kanal und würden ihn bald unpassirbar machen, wenn
er nicht durch den Bootverkehr offen gehalten würde.
Das Flutwasser, welches am rechten Tana-Ufer in der Um-
gebung von Engatana abströmt, geht zum Teil in den Schechababu
(auch „Schaggababu" und „ Aschakababo a genannt), einen See,
der dicht oberhalb Ngao sein Wasser an den Tana abgiebt, wenn
dessen Wasserspiegel gegen Ende der Flutzeit zu sinken beginnt.
Ein anderer Teil dieses Flutwassers strömt über das Land und
soll, wie die Eingeborenen behaupten, mit dem Kilifi und Sabaki
in Verbindung stehen, so dass man mit Kähnen in drei Tagfahrten
von Ngao nach dem Sabaki gelangen kann. Unterhalb Ngao,
namentlich auf der Strecke von Djasoro bis Mangandu, fliesst das
Flutwasser am rechten Ufer über das Land in den Kilifi und
wahrscheinlich auch in den Msmareni und durch diese Küstenflüsse
9*
132 Cl. u. G. Denhardt:
zum Meere. Auch bei niedrigem Wasserstande gehen bedeutende
Wassermengen durch Abflüsse vom rechten Tana-Ufer zwischen Ngao
und Tjarra zum Kilifi. Dies und die Kleinheit des Tana-Strombettes
von der Mündung bis Ngao lassen vermuten, dass der Kilifi, vielleicht
auch der Msmareni, ein Arm des Tana sei, oder doch zur Zeit der
Fluten als solcher angesehen werden darf.
Der See Schechababu, welcher eigene Quellen haben soll, ist
in einer flachen langgestreckten Landmulde eingebettet. Nahe am
Tana ist er am breitesten und tiefsten; man kann dort, je nach
dem Standpunkte, Abmessungen in der Breite bis zu 2000 Meter
finden; bald geht die Breite jedoch bis auf 100 und weniger Meter
herab. Die Tiefen schwanken zwischen 12 und 3 Meter.
Angeblich ergiesst sich der von dem Weitju-Hohenznge kom-
mende Bach Muhale, welcher den kleinen See „Ganatt bildet, und
noch ein anderer Bach der Weitju- Hohen in den Schechababu.
Ausserdem soll der Bach Tarsaa in den See fliessen; anscheinend
ist dieser jedoch nichts weiter als ein periodischer Fiatarm des
Tana, welcher sich einige Kilometer oberhalb Ngao in der
Landschaft Tarsaa abzweigt. Auch der See Oana dürfte sich
schliesslich als ein Tana -Arm erweisen, der sich oberhalb von
Tarsaa in der Landschaft Gana am rechten Ufer abzweigt, see-
artig erweitert und durch den Schechababu in den Tana einströmt
Bis zum Jahre 1873 stand der Schechababu nur durch einen
kleinen Ausfluss mit dem Tana in Verbindung; in jenem Jahre
brach jedoch eine auss ergewöhnlich hohe Flut dem Tana ein neues
Bett und leitete ihn durch den ostlichen Teil des Sees.
Neben dem Tana kommt zunächst der Osi in Betracht. Wenn
man früher beide Flusse für einen einzigen hielt, der zwei Mün-
dungen mit gesonderten Namen habe, so ist das nicht ganz falsch
gewesen; denn wie im Voraufgehenden gesagt ward, empfangt
der Osi während der Flutzeiten ganz bedeutende Wassermengen
vom Tana und fuhrt dieselben zum Meere ab.
Tana und Osi sind zwei ganz getrennte Flüsse. Das Wasser
des ersteren ist besonders während der Flutzeiten von mitgeführten
Lehmteilchen rotlich gefärbt und trübe, hat dabei aber stets einen
angenehmen Geschmack; das Wasser des letzteren hingegen er-
scheint dunkelgrünlich, fast schwarz, ist dabei zwar klar nnd durch-
sichtig, schmeckt jedoch süsslich-sumpfig. Wegen dieser dunklen
Färbung nennen die Galla den Osi „Galana guradja* d. i. „ schwaner
Fluss«.
Der Osi hat einen viel kürzeren Lauf als der Tana. Die
Angaben über seinen Ursprung weichen sehr von einander ab.
Es wird erzählt, er sei ein Abfluss der kleinen Seen Djalu nnd
Gambi, oder auch nur des letztgenannten. Nach anderen Angaben
* Bemerkungen zur Originalkarte des unteren Tana-Gebietea, 133
soll der See Gambi sein Wasser zum Magogoni senden. Die
genannten Seen sind in zwei Tagemarschen von Kau aus er-
reichbar.
Man sagte uns, der Osi habe nur einen Nebenfluss, nämlich
den bei Kau am linken Ufer einmundenden Magogoni, welcher
an seinem linken Ufer, dicht bei Kau, den Bach Tumembamba
aufnimmt, der sich aus den Bachen Schungi, Kitoni und Kikoni
zusammensetzt. Das Wasser des Schungi soll im Oberlaufe brackig
sein, weil es durch salzhaltige Erdschichten fliesst. Zwischen Kau
und Kipini strömt dem Osi am linken Ufer der Regenbach Kiri-
mando zu. — Die Abmessungen aller dieser Zuflüsse sind unbedeutend.
Breite, Tiefe und Stromgeschwindigkoit des Osi sind auf der
Strecke von Kipini bis Kau ungefähr dieselben wie beim Tana
zwischen der Mundung und Tjarra, verringern sich dann aber be-
deutend. Kähne können nur noch einige Kilometer weit vor-
dringen. Die Mundung des Osi ist etwa dreimal so breit als die
des Tana. Dicht oberhalb von Kipini teilt sich der Osi in zwei
Arme, welche eine Insel umschliessen. Der rechts fliessende Arm
heisst „Sada". Die Ufer sind am Osi selten hoher als 1 Meter;
daher überschwemmt er mit seinen Nebenflüssen in den Fint-
zeiten das Land auf weite Strecken. Flut und Ebbe des Meeres
machen sich im Osi bis zum Belesoni, im Tana hingegen nur bis
halbwegs Tjarra bemerklich.
Über die Kastenflüsse Kilifi und Msmareni konnten wir
wenig erfahren. Sollte der Erstgenannte sich nicht als ein Arm
des Tana erweisen, so wird er, wie früher bereits gesagt, doch
einen ganz erheblichen Teil seines Wassers vom Tana während
der Flutzeiten erhalten. Ausserdem wird wohl beiden Küsten-
flüssen etwas Wasser aus den Weitju-Hügeln zufliessen. Der Msma-
reni durfte nichts weiter sein als ein Regenbach.
Der Sabafci, welcher von seiner Mundung an einige Kilometer
weit für kleine Fahrzeuge schiffbar sein soll, ist etwa an Breite
und Tiefe mit dem Osi zu vergleichen. Er kommt hier nicht weiter
in Betracht, weil er nur zu einem kleinen Teile in unserer hier
zu besprechenden Karte liegt.
Die Pflanzendecke der Tana-Osi-Ebene macht im Allgemeinen
den Eindruck eines grossen Parkes, dessen Grundfläche an genügend
feuchten Stellen mit üppigen, saftigen Gräsern, an trockeneren
Stellen hingegen mit gröberen und härteren bedeckt ist, während
hier und da Buschgruppen, einzelne Bäume, umfangreiche Wälder
und an den Flussläufen zum Teil undurchdringliche Wald- und
Buschdickichte das Ganze durchsetzen. An weitab von den Flüssen
und Gewässern liegenden trockenen Stellen, welche die zur Er-
nährung des Pflanzenwuchses erforderliche Feuchtigkeit aus-
134 Cl. u. G. Denhardt:
schliesslich vom Regen beziehen, hat die Landschaft ein steppen«
artiges Aussehen, dessen Einförmigkeit nnr durch vereinzelt stehende
Mimosen unterbrochen wird.
Die Wälder am Tana und Osi sind meistens nur einige
Hundert Meter breit und bestehen da, wo sie den Flutungeu
des Flusses ausgesetzt sind, gewohnlich aus hohen, kräftigen
Bäumen zwischen denen Unterholz und Buschwerk nicht aufkommen
kann. So weit die Flussufer der Flut und Ebbe des Meeres
unterliegen, wachsen dichte, schwer zugängliche Mangrovenwälder.
An höheren Uferstellen und weit ab von den Flüssen finden sich
prächtige Urwälder, die von einem undurchdringlichen Dickicht
aus Buschholz und Schlingpflanzen durchsetzt sind.
Die Waldungen, welche ausserhalb des Bereiches der Meer-
flut liegen, setzen sich hauptsächlich zusammen aus den grossen
Bäumen Alangosango, Govi, Mjahi, Mkuju, Mkuru, Mubo, Mudso,
Muto und Mutu, von denen einige sich in ihrem Äusseren mit
unseren Buchen, Rüstern und Linden vergleichen lassen. Im
Unterholz derselben dominiren Mlonel, Msambia (auch Mtochamwia
genannt) und eine Fiederpalme, welche als „Kindu" bezeichnet
wird« Borassus-Palmen („Duleb" der Araber, „Mtapa" der Ein-
geborenen) treten am Unterlaufe des Tana vereinzelt, von Bialini
an in grossen Beständen auf. Sie bilden mit ihren silbergrauen,
säulenförmigen Stämmen einen schonen Schmuck der Landschaft
Dum-Palmen („Mkoma") fanden wir sowohl einzeln und gruppen-
weise auf den Dunen, als auch in ganzen Wäldern bis in die
Gegend von Ngao. Weiter stromauf sahen wir diese Palmen
selten. Cocos- und verschiedene Oelpalmen kommen etwa bis
Ngao vor, Mango, Limonen und Popai noch weiter stromaufwärts;
sie gedeihen jedoch sämtlich nur als Culturpflanzen. — Die Adan-
sonia digitata vermissten wir in dem von uns betretenen Teile
der Tana-Osi-Ebene schon von Maräni ab.
Die Pflanzen der Wildniss bieten wenig für die Ernährung
des Menschen dar (es kommen dafür nur die Früchte einiger
Palmenarten und Buschgewächse in Betracht); dagegen sind sie
ihm in anderer Hinsicht äusserst wertvoll. Die Gräser allein
bieten ihm die Möglichkeit, seine Rinder, Schafe und Ziegen ia
ernähren; ferner liefern sie ihm, wie „Manga", „Wiansi",
„Marura" und „Toto", Material zu Hüttenbedachungen und Matten;
die Buschhölzer „Mlonei" und „ Msambia a geben Speerschäfte und
Ruderstangen; aus dem Holz der Bäume „Mkuju" und „Mjahi4*
werden leichte, aus dem des „Guvi", „ Mkuru a und „Mudso*
schwere Kähne, Morser und verschiedene Geräte hergestellt; die
Mangroven finden bei den Küstenbewohnern zum Haus- und
Schiffbau Verwendung, u. s. w. —
Bemerkungen zur Originalkarte des unteren Tana- Gebietes. 135
Die Tierwelt des auf der Karte dargestellten Gebietes ist
im Verhältnis zu anderen tropischen Landern arm an Arten und
prachtigen Erscheinungen; sie ist so unscheinbar wie die Pflanzen-
decke, mit der sie mehr oder weniger in engem Zusammenhange
steht.
Die grossen Grasflächen und Buschwälder geben einem be-
deutenden Wildstande Nahrung ; man trifft daher häufig auf Heerden
von Antilopen, Büffeln, Giraffen, Zebras und Elefanten. In den
Uferwäldern haust das Rhinoceros; Strausse und Hühnervögel
beleben die Steppe, und Vogel und mancherlei Getier die Wälder.
Dieser Wildstand bietet gunstige Bedingungen für Gedeihen der
Raubtiere; daher sind Löwen, Leoparden, Hyänen, wilde Hunde
u. s. w. reichlich vorhanden.
In den Gewässern leben zahlreiche Fische, Krokodile und
Hippopotami. Giftige Amphibien und Insekten sind nicht häufig;
dagegen kommen Mucken in unglaublichen Mengen an den Ge-
wässern (abgesehen vom Meere) vor und bilden während der
Nachtstunden eine wahre Plage für Menschen und Tiere.
Haustiere werden nur von der Küstenbevölkerung gehalten;
als solche sind zu nennen: Pferde, Esel, Rinder, Schafe, Ziegen,
Kamele, Katzen, Huhner und Enten. Der Hund ist hier kein
Haustier; denn er wird von der mohamedanischen Küstenbevölke-
rung und von den Eingeborenen des Binnenlandes als unreines
Tier behandelt und wird, obschon er sich in den Küstenplätzen
in halbwildem Zustande findet, nur äusserst selten von einem
Suaheli zur Jagd abgerichtet und verwendet.
Die Galla hingegen züchten Hunde sowohl zur Jagd, als
auch zur Bewachung ihrer Rinderheerden und Niederlassungen.
Die Pokomo (die Bewohner am Tana) halten, abgesehen von
einigen Hühnern, keine Haustiere.
Pferde und Kamele scheinen vom Klima zu leiden; sie werden,
streng genommen, nicht gezüchtet, sondern aus Arabien eingeführt.
In dem Gebiete, welches auf der Karte dargestellt ist, leben
ausser der Küstenbevölkerung, welche sich aus Arabern, Suaheli
and Indiern zusammensetzt, fünf Volksstämme, nämlich Somali,
Galla, Pokomo, Waboni und Wasaniä.
Die Araber stammen meistens aus Maskat und Hadramaut,
die Indier aus den Küstenplätzen Vorderindiens; die Kopfzahl Beider
wird sich schwerlich höher stellen als 30 000. Als eigentliche,
als wirklich sesshafte Küstenbevölkerung sind die Suaheli anzu-
sehen. Wahrscheinlich sind sie ein Mischlingsgebilde von Arabern,
Persern und Indiern mit Eingeborenen Ostafrika's, welches sich im
Laufe der Jahrhunderte zu einem gewissen Rassentypus ausge-
bildet hat, der aber in seinen Einzeltypen schwankt, weil stetig
136 C1- ^ G- Denhardt:
Kreuzungen mit Angehörigen der verschiedensten Stamme der
Eingeborenen Ostafrika' s und Vorderasiens stattfinden. Als ältester
Sitz der Suaheli, gewissermaßen als Herd ihrer Entwrckelung,
ist die Küstenstrecke zwischen l!/2 bis 4l/2° S. Br. anzusehen.
Dort haben einst (auch noch vom 12. bis 17. Jahrhundert) ihre
blühenden Städte und Niederlassungen bestanden, mit denen die
Wohnplätze des jetzigen Geschlechtes gar keinen Vergleich aushalten.
Die Suaheli dehnen sich jetzt an der afrikanischen Ostkaste und
den zugehörigen Inseln von etwa 1° bis 11° S. Br. ans; ihre Kopf-
zahl mag sich auf 5 Millionen belaufen. Sie wohnen in Städten nnd
Dorfern, welche meistens anmittelbar am Meere liegen, oder von
demselben nicht weiter als 4 bis 5 Kilometer entfernt sind. Tiefer
im Binnenlande trifft man weder Suahelistädte, noch Suahelidörfer.
Diese Küstenbevölkerung bekennt sich zum Mohamedanismus,
nimmt es aber mit ihren Religionsgesetzen nicht besonders genau
und ist gegen die Angehörigen anderer Beligionsgesellschaften
ausserordentlich tolerant. Ihre Sittlichkeit steht durchschnittlich
auf gleicher Stufe mit ihrer Religiosität; im Allgemeinen sind sie
ein verkommenes Geschlecht. Ganz besonders gilt das von den
Arabern.
Als Erwerbstätigkeit tritt bei der Küstenbevölkerung Acker-
bau und Handel in den Vordergrund; Gewerbe werden in ge-
ringem Masse betrieben; Kunstgewerbe oder Künste finden bei
ihr gar keine Pflege.
Der Ackerbau liegt fast ausschliesslich Sklaven ob, die wohl
in jedem Hausstande vorhanden sind. Ein jährlicher Reinertrag
von 20 Mark für jeden Sklaven gilt als sehr hoch. In schlechten
Jahren setzt der Sklavenbesitzer noch Geld zu, um seine Sklaven
zu ernähren und zu kleiden. Der grösste Teil der Feldfrüchte
dient der Bevölkerung zum Lebensunterhalt; als wirklicher Über-
schuss gelangt verhältnismässig wenig zum Verkauf. Die Feld-
früchte, welche in den grossen Handel kommen, stammen haupt-
sächlich von den Besitzungen einiger reicher Araber, die meist
Regierungsbeamte in den Küstenorten sind.
Die Grundbesitzer sind fast sämtlich bedeutend verschuldet;
die Grundstücke sind nur nominell ihr Eigentum; in Wirklichkeit
gehören sie (als Pfandobjekte) den indischen Händlern, welche
Gelder zu dem allgemein üblichen Zinsfusse von 12 pOt. vorstreckten.
Das Staatswesen der Küstenbevölkerung stellt sich als eine
Art Monarchie dar, welcher als Oberhaupt ein „Seid* („Herr*)
— von den Engländern aus guten Gründen „Sultan* genannt —
vorsteht Derselbe entstammt der Familie des Imam von Maskat,
der, im 17. Jahrhundert von den durch die Portugiesen hart be*
drückten Suaheli zu Hilfe gerufen, es verstand, sich Einflusa und
Bemerkungen zur Originalkarte des unteren Tana-Gebietes. 137
Herrschaft an der Ostkaste Afrika's zu sichern. Der „ Sultan a
wohnt in Sansibar, der grossten Stadt des Suaheligebietes. Die-
selbe liegt auf der nahe am Festlande befindlichen Insel Sansibar
und ist der Sitz der Konsularbeamten Englands, Frankreichs und
Belgiens; Amerika und Deutschland haben dort nur kaufmännische
Konsulate. Ihre Einwohnerzahl schwankt zwischen 80 000—
100 000 und ist abhängig von dem Zuzüge deT fremden Händler,
welche mit dem Nordostmonsun kommen und mit dem Südwest-
monsnn gehen.
Gedrängt durch England, welches seit dem Anfange dieses
Jahrhunderts die Entwickelung der Sansibarherrschaft sorgsam ver-
folgte, um auch hier seine Interessen in den Vordergrund zu
stellen, beansprucht der „Sultan" von Sansibar als sein Eigentum
den ganzen Küstenstrich von etwa 3° nordlicher bis zu 10° sud-
licher Breite nnd alles dahinter befindliche Binnenland bis zu den
grossen Seen, wo nur irgend ein Suaheli oder Araber sein Lager
bei Sklavenjagden und Handelszügen aufschlägt. Zur Geltend-
machung dieser seltsamen Ansprüche stehen dem „ Sultan tt nur
600 Sklaven und Freie, von einem englischen Marineoffizier ge-
drillt, nnd 600 — 800 halbnackte, mit erbärmlichen Luntengewehren
ausgerüstete, aus Arabien eingewanderte Leute zur Verfügung —
lauter feige Soldner.
In recht drastischer Weise charakterisiert der „Sultan" selbst
seine Macht und seine Ansprüche in Bezug auf das Tanagebiet
dadurch, dass er erklärt, er besitze dort gar keinen Einfluss.
Diese Thatsache und die Befürchtung, wegen etwaigen Ungemachs,
welches uns während unseres Aufenthaltes am Tana betreffen
konnte, von uns oder von unserer Reichsregierung verantwortlich
gemacht zu werden, drängte ihn auch dazu, den deutschen Konsul
und durch diesen uns über den wahren Stand seiner Macht auf-
zuklären *).
*) Dies geschah durch ein am 4. November 1878 in Massa in unseren
Besitz gelangtes amtliches Schreiben des deutschen Konsuls, welches folgen-
den Wortlaut hat:
Konsulat des Deutschen Reiches zu Zanzibar.
Zanzibar, 4. Oktober 1878.
Herrn Clemens Denhardt
und'/ oder Herrn Dr. Fischer
z. Zt. Kau am Osiflnss.
Der Sultan von Zanzibar hat von seinem Gouverneur in Kau die Nach-
richt erhalten, dass Sie beabsichtigten von jenem Platze aus weiter ins Innere
vorzudringen, der Gouverneur habe Sie darauf aufmerksam gemacht, dass
dies ein gefahrliches Unternehmen sei, Sie scheinen aber auf Ihrer Absicht
zn beharren. Infolge dessen ersucht mich der Sultan Ihnen auch meiner-
seits die Mitteilung zu machen, dass er nur Einfluss nahe der Küste habe
138 Gl» "• ö- Denhardt:
Alles Binnenland hinter der Küste des äquatorialen Ostafrika,
vielfach auch die Küste selbst, befindet sich im Besitze von Völker-
schaften, die. dem „Sultan" von Sansibar nicht unterworfen sind,
ihn nicht anerkennen, sondern nur wenige seiner Soldner in einigen
Küstenorten, wegen des Handels dulden. Fast in jedem Jahre
hat der „Sultan" ernstliche Streitigkeiten mit der Küstenbe-
völkerung auszufechten und namentlich sind es die Bewohner
der Küste und der Inseln zwischen 2° und 5° sudl. Breite,
welche ihm viele Schwierigkeiten bereiten. Wenn auch äusserlich
Ruhe und Frieden zu herrschen scheinen, so wird doch im
Geheimen der Aufruhr wach erhalten; er wird nicht künstlich
erzeugt, nicht gepredigt, er ist selbstverständlich: er ist vom
Vater auf den Sohn vererbt. Mehr als früher werden jetzt
unter der Küstenbevölkerung die Wunsche nach Beseitigung der
Sansibarherrschaft laut; es bedarf nur einer geringfügigen Ver-
anlassung oder einer Vorschubleistung von Europa her, um diese
Wünsche zu hellem Aufruhr anzufachen, dessen Folge die Ab-
schuttelung der Sansibarherrschaft und die freiwillige Unterord-
nung des Volkes unter ein europäisches Staatswesen wäre. Bei
sachgemässer europäischer Leitung würde die Küstenbevölkerang
sich sehr rasch zu guten sozialen Verhältnissen emporarbeiten,
das ganze mittlere Ostafrika würde dadurch endlich in befriedi-
gender Weise in den Welthandel gezogen und für die civilisierte
Welt von hoher Bedeutung werden.
Im nordlichen und nordwestlichen Teile des äquatorialen
Ostafrika, vom Gap Guardafui herab bis zum linken Ufer des
Tana, lebt das grosse Volk der Somal. Es ist unter denen, die
bei unserer Karte in Betracht kommen, das mächtigste und bereitet
der Sansibarherrschaft die meisten Unbequemlichkeiten. Dieses
Volk ist nur in wenigen Städten der Küste und des Binnenlandes
sesshaft. Die sesshaften Bewohner sind vorwiegend Händler,
während das Volk im Allgemeinen ein Hirtenvolk ist und als
solches mit seinen ungezählten Rinderheerden, mit Ziegen, Schafen
und Kamelen von Weideplatz zu Weideplatz zieht.
Die Somal ähneln in Gestalt und Hautfarbe den Suaheli,
sind auch Mohamedaner, aber nicht so tolerant und friedlich wie
diese, sondern fanatisch und kriegerisch. Wild und roh von Sitten,
unglaublich stolz und unverschämt, sind sie bei allen Stammen,
und dass man ihn nicht verantwortlich machen könne für etwaiges Unge-
mach, welches Ihnen weiter im Innern vielleicht zustossen möge.
Indem ich hiermit dem Wunsche des Sultans nachgekommen bin,
verbleibe ich ergebenst
der Kaiserl. Deutsche Konsul
gez. Emil Grallert,
Bemerkungen zur Originalkarte des unteren Tana- Gebietes. 139
mit denen sie in Beruhrang kommen, verhasst. Sogar die moha-
medanischen Suaheli nnd Araber mögen nicht gern mit den Somali
verkehren nnd das hat zur Folge, daes der Handel nnd Verkehr
zwischen der Küstenbevölkerung nnd den Somal sich nur auf
wenige Ortschaften an der Kaste nordlich von der Tanamündung
beschrankt. Wahrend Suaheli und Araber der Küste alle Teile
des mittleren Ostafrika zu Handelszwecken bereisen, wird von
ihnen das im Besitze der Somal befindliche Land sorgsam gemieden.
Der Tana, welcher die Grenze des Somalgebietes gegen Süden
bildet, ist zugleich auch der Orenzweg für die nach dem Binnen-
lande handeltreibenden Küstenbewohner. Nordlich von Tana führt
kein Handelsweg der Küstenbevölkerung ins Land; daher ist das
Somalland dem Verkehre auch so wenig erschlossen.
Für die Kopfzahl der Somal sind nur ganz rohe Schätzungen
möglich ; vielleicht beziffert man sie mit 6 Millionen nicht zu hoch,
davon werden im Bezirke unserer Karte aber wohl kaum mehr
als 20 000 leben. Dies Volk zerfällt in viele Stamme, von denen
hier zu nennen sind die Wabere, Desarguta, Barawa, Elai,
Tune und Kalalla. Die Angehörigen dieser Stamme weiden ihre
Heerden zwar vorwiegend in der Ebene am linken Tana-Ufer, in
der trockenen Jahreszeit überschreiten sie jedoch mit ihnen den
Tana und benutzen die gras* und wasserreichen Niederungen
zwischen Tana und Sabaki als Weidegründe. Bei diesen Zügen
kreuzen sie den Tana gewöhnlich dicht unterhalb Massa.
Die Somal sind der Schrecken der Bewohner am Tana, ins*
besondere der Pokomo und Oalla. Am meisten haben die Fokomo
von ihnen zu leiden durch Plünderungen und Menschenraub, welche
nun schon seit einem Jahrzehnt an der Tagesordnung sind. Früher
setzten sich die Unterdrückten energisch zur Wehr; sie entbehrten
jedoch einer einheitlichen Leitung, waren fast stets in der Minder-
heit und unterlagen daher in den Kämpfen. Ihr Mut ist nach
diesen Niederlagen gesunken; sie halten es gar nicht mehr für
notig, sich zu wehren, sondern fliehen bei dem geringsten An-
zeichen vom Nahen ihrer Feinde, verlegen wohl sogar ihre Wohn-
orte an Plätze, die ihnen gegen Überfalle der Somal ausreichen-
den Schutz gewähren.
Hätten die Somal Feuerwaffen, so würden die Tanaland-
schaften bald entvölkert sein; glücklicherweise beschränkt sich
ihre Bewaffnung aber auf Speere, Keulen, Messer und Schilde;
Bogen und Pfeile werden nur von Wenigen und erst seit einigen
Jahren benutzt, seitdem nämlich die Somal diese Waffen aus
ihren Kämpfen mit den Pokomo und bei den in den Tanaland-
schaften zerstreut lebenden Jägervölkern kennen lernten.
Seit dem Jahre 1874 ist der Tana als die Südgrenze des
140 Cl. ". G. Denhardt:
Somallandes anzusehen; früher lag dieselbe um einige Breiten-
grade nordlicher: am Jubaflusse, und alles Land zwischen diesem
and dem Tana, bis hinab zum 4. Grade südlicher Breite, war im
Besitze der Galla, eines einst starken, kriegerischen Hirtenvolkes.
Galla und Somal sind seit uralten Zeiten Todfeinde. In mehr-
jährigen, beiderseits mit grosster Wut geführten Kämpfen erlitten
die Galla ganz bedeutende Verluste an Stammesangehörigen, an
Hab und Gut und wurden schliesslich in den sudlichsten Teil ihres
Landes gedrängt, der gegen Nord vom Tana begrenzt wird.
Am linken Ufer des Tana finden sich nur drei Niederlassungen
der Galla und zwar da, wo sie von Arabern und Suaheli gegen
die Somal beschützt werden, nämlich unweit Kau, in Kitumbini,
Eisanga und Sidiama; eine vierte, aber nur temporäre Nieder-
lassung, „Dibbe" genannt, befand sich nahe bei Ngao.
Die Gesamtzahl der Bewohner dieser 4 Niederlassungen wird
nicht grosser als etwa 600 sein, und das ganze sudlich und west-
lich vom Tana lebende Volk der Galla zählt schwerlich mehr als
1 Million Angehörige.
Die Galla wären wahrscheinlich von den Somal vollständig
vernichtet worden, wenn nicht die Araber und Suaheli, insbeson-
dere die von Lamu und Kau, den Frieden vermittelt hätten. Das
thaten diese in ihrem eigenen Interesse; denn so vorteilhaft es für
sie war, die stolzen, herrschsüchtigen Galla, welche ihnen viele
Unannehmlichkeiten bereitet hatten, geschwächt zu sehen, so wenig
angenehm konnte es ihnen sein, sich in den immer mehr er-
starkenden und anspruchsvollen Somal neue, unter Umständen
vielleicht noch schlimmere Nachbarn zu schaffen. Bei weiterer
Vernichtung der Galla wurde auch der mit den Galla betriebene
Elfenbeinhandel erheblich geschädigt worden sein und damit wäre
eine gute Einnahmequelle der Kustenbevolkerung versiegt*
Durch diese erst im Jahre 1874 eingestellten Kämpfe sind
die Galla verarmt; von ihrem grossen Reichthum an Rindern, der
den Wohlstand des ganzen Volkes ausmachte, ist nur noch wenig
vorhanden. Die Galla sind entmutigt, in mancher Hinsicht ganz
verkommen; sie verharren in stumpfer Gleichgiltigkeit, glaubend,
Gott sei von ihnen zu den Somal gegangen und habe diesen Starke
und Sieg verliehen so lange, bis weisse Männer zu den Galla
kommen und sich bei ihnen niederlassen werden.
Unstreitig sind jetzt die Galla bei weitem besser zugäng-
lich als früher; es hat sich infolgedessen auch der Handel
zwischen der Kustenbevolkerung und ihnen gehoben, und die
Sicherheit der Person und des Eigenthums ist jetzt bei ihnen so
gross wie unter der Kustenbevolkerung. Früher wurden Araber
und Suaheli von den Galla bloss in einigen Kustenorten und dann
Bemerkungen znr Originalkarte des unteren Tana-Gebietes. 141
auch nur unter Entrichtung von Tribut geduldet; jetzt jedoch legen
sie ihnen keine Beschränkungen mehr auf.
Wenn in einigen Kuetenorten allerdings noch Tribut an die
Oalla gezahlt wird, so erscheint derselbe doch bereits mehr als
Geschenk, und auch dies durfte voraussichtlich in nicht allzuferner
Zeit wegfallen.
Als Hirtenvolk sind die Galla nicht mehr zu bezeichnen ; sie
gewinnen ihren Lebensunterhalt jetzt aus Erträgnissen der Jagd,
verrichten Dienste bei der Küstenbevölkerung und treiben an
einigen Orten auch Ackerbau« Ihre Bewaffnung besteht aus-
schliesslich in grossen Speeren.
Die Oalla teilen sich in zwei grosse Stämme, in Eokawe
und Bararetta. Der erstgenannte Stamm ist von den Somal fast
ganz vernichtet worden; die wenigen Angehörigen desselben
hausen am Oberlaufe des Tana. Unterschiede in Körperbau,
Kleidung, Sitten und Sprache bestehen zwischen beiden Stämmen
nicht Zu ihren in den sudlichen Vorländern Abessiniens leben-
den Stammesgenossen, die „Borani" genannt werden, unterhalten
sie gute Beziehungen; dann und wann schicken sie Gesandt-
schaften zu ihnen.
Die Bararetta und Kokawe gliedern sich in mehrere kleine
Stämme, von denen aber manche durch die Somal vollständig ver-
nichtet wurden. In unserer Karte sind .davon verzeichnet die Ais,
Kofira, Ramatta, Baiesa, Hamis und Rigu.
Jedem kleinen Stamme steht ein „Heiju" vor und der Haupt-
stamm, Bararetta sowohl wie Kokawe, wird von einem Heiju
regiert, dem sich die Heiju der kleinen Stämme unterordnen. Der
Ober-Heiju wird gewählt; er darf nur 7 Jahre regieren und wird
dann durch einen anderen ersetzt. Zum Amte des Ober-Heiju
werden nur die männlichen Angehörigen von bestimmten Familien
zugelassen.
Zwischen den Somal und Galla leben Waboni und Wassaniä,
vereinzelte Reste von Völkern, die wahrscheinlich einstmals das
Land inne hatten und dann von den Galla unterdruckt wurden.
Waboni und Wassaniä, welche wohl nur einige Tausend Kopfe
stark sind, ähneln in ihrem Äusseren, in Sprache und Sitte den
Galla. Sie sind Jägervolker, die mit dem Wilde wandern und
nur da ständige Wohnplätze haben, wo das Wild zu allen Zeiten
des Jahres in genügender Menge vorhanden ist. Der Hauptsitz
der Waboni scheint sich ostlich vom Unterlaufe des Tana, etwa
in 2° südlicher Breite und 40° 40' ostlicher Länge von Green-
wich, zu befinden. Dort liegen ihre Dorf er Dadobaschora, Safa-
räni, Dolo, Balawa u. s. w. Die Wassaniä haben ihren Haupt-
sitz am Mittellaufe des Tana, im Gebiete Korkoro. —
142 Ol. u- ö- Denhardt:
Beide Stamme stehen in einem Abhängigkeitsverhältnisse an
den Galla, soweit sie im Bereiche der Somal wohnen, auch zu
diesen. Sie haben wenig Eigentum, weil sie alle wertvollen Er-
trägnisse der Jagd an ihre Herren abgeben müssen.
Als Jagd- und Verteidigungswaffen fuhren sie Bogen und Ter*
giftete Pfeile. Eine ausgeprägte Regierungsform haben sie nicht;
ihre einzelnen Niederlassungen unterstehen älteren Männern, die
durch ihren Lebenswandel Ansehen und Vertrauen gewonnen haben.
Viel wichtiger als die genannten Volksstämme ist für die Er-
schliessung des Tana-Osi-Gebietes das Volk der Pokomo. Es ist
allerdings klein an Zahl, dafür aber um so arbeitsamer, friedlicher
und bescheidener — und es bildet in dieser Hinsicht einen wohl-
thuenden, erfreulichen Gegensatz zu den bisher genannten Volkern.
Die Pokomo, im Ganzen etwa 25 000 — 30 000 Kopfe zählend
— wovon in dem von uns bereisten Lande ungefähr 15 000
wohnen — , zeigen wenig Merkmale, welche auf eine Verwandt-
schaft mit den Galla, Waboni, Wassaniä und Somal schliessen
lassen, vielmehr weisen alle Anzeichen auf eine Verwandtschaft
zu den Suaheli hin. Am augenfälligsten zeigt sich diöse Verwandt-
schaft in den Sprachen; die Ähnlichkeit derselben ist so gross,
dass man die eine als einen Dialekt der anderen ansehen kann.
Wahrscheinlich sind die Pokomo früher als alle die anderen hier
genannten Volker in das. Tana-Gebiet gelangt, und mancherlei
Anzeichen sprechen dafür, dass sie einen gewichtigen Teil haben
an der Entstehung der Suaheli. Vor ihrer Einwanderung in die
Tanalandschaften wohnten die Pokomo in einem Gebirge, dessen
Namen und Lage sie heute nicht mehr anzugeben vermögen. Man
greift vielleicht nicht fehl, wenn man annimmt, dass die einstige
Heimstätte dieses Volkes am Keniaberge oder am Kilima Ndscharo
lag: am Kilima Ndscharo heisst noch heute ein Landstrich „Po-
komo44 und die Wanika, deren Wohnsitze früher bis zum Tana
reichten, und welche mit den Pokomo nahe verwandt sind, werden
von den Bewohnern des Kadiaroberges, der zwischen dem Wanika-
lande und dem Kilima Ndscharo liegt, „Mbakomo* und „Amba-
komoa genannt.
Auch hinsichtlich ihrer Korperformen unterscheiden sich die
Pokomo vorteilhaft von den Angehörigen der benachbarten Volker.
Während diese meist hager und — wie die Waboni — klein von
Gestalt sind, findet man unter den Pokomo vorwiegend athletische
Figuren, die bis zu 2 Meter hoch und wohlbeleibt sind.
Religiös sind sie so wenig wie die Galla, Waboni und Was*
saniä; sie haben wie diese einige unklare Vorstellungen von einem
unsichtbaren Wesen, dem alles Sichtbare seine Entstehung verdankt,
und sie verhalten sich diesem gottlichen Wesen gegenüber ganz
Bemerkungen zur Originalkarte des unteren Tana-Gebietes. 143
so gleichgültig wie die eben genannten Volker: d. h. sie verehren
dasselbe in keiner Weise und beeinflussen auch ihr Thun und
Treiben nicht durch religiöse Vorstellungen.
Abgesehen von den Küstenbewohnern ist das Volk der Po-
komo unter allen im Tana-Osi-Gebiete lebenden Volkern das ein-
zige, welches wirklich sesshaft ist und welches den grossten Teil
seiner Bedurfnisse aus den Erträgnissen einer fleissig betriebenen
Landwirtschaft deckt. Die Pokomo sind Bauern im wahrsten Sinne
des Wortes; Jagd und Fischerei werden nebenbei von ihnen be-
trieben, nur am Oberlaufe des Tana liegen die Manner mehr der
Jagd ob und überlassen den Ackerbau dem weiblichen Oeschlechte.
Trotz ihres Fleisses und der überaus grossen Fruchtbarkeit
des Landes haben es die Pokomo zu keinem besonderen Wohl-
stande gebracht, weil sie von der mohamedanischen Küstenbevolke-
rung, die mit ihnen lebhaften Handel unterhält, in der unglaub-
lichsten Weise übervorteilt, betrogen und unterdruckt werden, weil
sie ferner sich in einer fast sklavischen Abhängigkeit von den
Gaila befinden und weil die Somal sie so oft mit Mord, Raub
und Diebstahl heimsuchen.
Unter diesen Plagen ist jedoch die mohamedanische Kusten-
bevolkerung die schlimmste; sie währt nun schon seit Jahrhun-
derten und hat einen grossen Teil des Volkes so entmutigt, dass es
jede Bedruckung ohne Murren über sich ergehen lässt. Diese
Ergebung findet man bei den Leuten bis Munjuni; die weiter
stromauf wohnenden Pokomo dulden dagegen keine Übergriffe der
mohamedanischen Händler: diese sind hier nur die Geduldeten,
nicht die Herrschenden. Eine unglaubliche Gleichgiltigkeit gegen
die harten Bedruckungen hat unter den Pokomo Platz gegriffen,
obschon es ihnen, bei der Verhältnissen ässig grossen Zahl kriegs-*
tüchtiger Mannschaft, leicht sein musste, die frechen Händler in
gebührende Schranken zu verweisen. Diese Gleichgiltigkeit geht
so weit, dass die hart bedrängten Pokomo nicht einmal die Hilfe
ihrer unbedruckten Bruder anrufen.
Die Pokomo, welche am unteren Tana bis hinauf nach Mun-
juni wohnen, haben so gut wie kein Eigentum; denn all' ihre
Habe wird von den mohamedanischen Händlern, besonders von
den in Kau ansässigen, als deren Besitz betrachtet und behandelt.
Für diese Leute sind die Pokomo nichts anderes als „Kafir":
Ungläubige, die ihnen gegenüber vollkommen rechtlos sind. Man
nimmt ihnen die Ernten ihrer Felder, die Erträgnisse ihrer Ar-
beiten, der Jagd und Fischerei, kurz Alles, was nehmenswert
erscheint und zwingt sie noch obendrein, die Felder der Küsten-
bewohner cu bestellen und die Händler und deren sämtliche Waaren
stromauf und stromab zu fahren. Eine Vergütung erhalten sie
144 Ol. u. G. Denhardt:
dabei nicht; sie müssen sich sogar bei solchen Dienstleistungen
selbst beköstigen. Um das Mass der Bedrückungen voll zu machen,
hätten die mohamedanischen Händler nur noch notwendig, die
Pokomo su verkaufen und sie dadurch vollkommen zu Sklaven
zu stempeln. Seltsamerweise versteigt sich ihre freche Gewalt-
tätigkeit nicht so weit; sie behandeln wohl die Pokomo in deren
Lande wie Sklaven, fuhren sie aber nicht als solche ausser Landes.
Eine Erlösung von diesen unglaublichen Bedruckungen erhoffen
die Pokomo einzig und allein von den Europäern (überhaupt von
den Weissen); sie sahen daher in uns die Boten oder Vorläufer
der heiss ersehnten und erhofften Befreier. In jedem Orte wurden
wir von ihnen aufs freundlichste aufgenommen; überall mussten
wir die Klagen über die Mohamedaner hören und überall worden
wir, unter Zusicherung aller Dienstleistungen und Begünstigungen,
dringend gebeten, im Pokomolande zu bleiben und unsere Landfl-
leute zur Niederlassung daselbst zu bewegen. In der That wurden
einige am Tana ansässige Europäer ein sehr wirksamer Schatz
gegen deren sämtliche Feinde und Bedrücker sein. Man konnte
dadurch leicht und ohne nennenswerte Kosten ein Volk erbalten
und der Kultur zufuhren, welches für die Erschliessung des mitt-
leren Ostafrika von höchster Bedeutung und von viel grosserem
Werte ist, als sämtliche anderen Volker dieses Gebietes.
Die Pokomo wohnen nur unmittelbar am Tana; ihr Land
nennen sie „Pokomoni* und teilen es in zwölf Gebiete; daneben
bezeichnen sie das Land am rechten Ufer des Tana als „Bara-
retta", am linken Ufer als „Kokawe" nach den beiden grossen
Gallastämmen, die einst darin heimisch waren.
Diese zwölf Gebiete oder „Muischo" heissen von der Mündung
des Tana ab bergwärts: Kalindi, Ngao, Engatana, Muina, Ndera,
Guano, Kinakombe, Ndura, Subakini, Malalulu, Malakote und
Korkoro. Malakote zerfällt in die Bezirke Massa, Tschewele,
Bura, Tuni und Kidori.
Mit Ausnahme von Kalindi, welches ganz und gar seine Selb-
ständigkeit verloren hat, und Ndura, das unbewohnt ist, weist
jedes Gebiet einen Hauptort auf; dies sind Ngao (in Ngao), En-
gatana (in Engatana), Kinjadu (in Muina), Kosi (in Ndera), Kin-
jäni (in Guano), Walimi (in Kinakombe), Tschewani (in Subakini),
Migironi (in Malalulu), Massa (in Malakote) und Borurowua (in
Korkoro). Der Hauptort von Kalindi scheint Djasoro gewesen
zu sein; der Hauptort von Ndura hiess Mangulo.
Eine scharf ausgeprägte und nach unseren Begriffen zu klassi-
fizierende Regierungsform haben die Pokomo nicht; man wurde
dieselbe vielleicht als Republik, oder als eine Reihe von Republiken
bezeichnen können. Die Regierung — soweit man von einer
Bemerktingen znr Originalkarte des unteren Tana-Gebietes. 14 5
solchen sprechen darf — wird in patriarchalischer Weise von
älteren, angesehenen, durch irgend eine gute Eigenschaft oder
durch Wohlhabenheit aasgezeichneten Männern ausgeübt. Jeder
Ort hat einen solchen Ältesten (»Mse" wird er genannt) und die
Ältesten der einzelnen Orte eines Gebietes unterstehen dem Mse
des ganzen Gebietes. Dieser Mse bat nur Befugnisse in seinem
Gebiete; er wird zwar auch in allen anderen Gebieten der Po- i
komo respektiert, kann jedoch dort keine amtlichen Handlungen
vollziehen. Unbeschränkte Gewalt hat der Mse niemals; er darf
Amtshandlungen nur mit Hilfe eines Rates von Ältesten vornehmen
— und auch dann ist nicht er, sondern der Rat der Ältesten der
Vollziehende. Der Mse eines Gebietes der Pokomo ist demnach
der Vorsteher eines Rates der Ältesten seines Volkes. — Trotzdem
die Vorsteher der einzelnen Gebiete kein gemeinsames Oberhaupt
besitzen, werden die Beschlüsse irgend eines Mse und seines Rates
in jedem Gebiete ohne Schwierigkeiten ausgeführt.
Die wenigen religiösen Ceremonien und die Gerichtsbarkeit
werden von den Ältesten ausgeübt Sie erhalten dafür Lebensmittel
und Kleidungsstucke und ihre Äcker werden von den jungen
Männern bestellt. Die Gerichtsbarkeit wird in einfachster Weise
nach dem Grundsatze gehandhabt: „Wie Du mir, so ich Dir*.
Die Pokomo teilen sich in vier Stämme, die nur durch leichte
Abweichungen in der ihnen gemeinsamen Sprache äusserlich kennt-
lich werden. Diese Stamme haben folgende Gebiete ihres Landes
inne: 1) Kalindi, Ngao und Engatana; 2) Muina, Ndera, Guano,
Kinakombe, Ndura, Subakini und Malalalu; 8) Malakote; 4)
Eorkoro.
Ein weiteres Unterscheidungszeichen kann vielleicht auch in
der Beschneidung der Stammesangehörigen gefunden werden. Die
Pokomo des ersten Stammes (Kalindi bis einschliesslich Engatana)
üben die Beschneidung nicht aus; die des zweiten Stammes (Muina
bis einschliesslich Malalalu) beschneiden nur männliche Personen;
die Angehörigen des dritten und vierten Stammes (Malakote und
Korkoro) beschneiden hingegen beide Geschlechter. Die Malakote-
und Korkoro-Pokomo scheinen in dieser Beziehung den Gebrauch
der unter ihnen wohnenden Galla, Waboni und Wassaniä ange-
nommen zu haben, oder aber dieser Gebrauch leitet sich aus älterer
Zeit her; denn auch die ihnen nahe verwandten Wanika haben
denselben.
Auffällig war uns, dass in Engatana, welches zum ernten
Stamme gehört, der nicht beschneidet, sich einige Familien be-
fanden, an deren Angehörigen die Beschneidung vollzogen wird.
Die Leute der ersteren Klasse werden „Watu wa burett, die der
letzteren „Watu wa kitsiwe" genannt.
ZmtMhr. d. GtMllMh. f. Brdk. Bd. XIX. 10
146 Cl. u. G- Denhardt:
Die Beschneidang erfolgt wenn die Betreffenden das sechste
Lebensjahr vollendet haben; sie wird bei männlichen Personen
von einem Manne, bei weiblichen von einer Frau ausgeführt.
Den Operateuren hat der Vater der Beschnittenen ein Stack Baum-
wollenzeug als Belohnung zu zahlen.
Die Beschneidang wird von sämtlichen Bewohnern der Ort-
schaft festlich begangen, d. h. es findet am Vorabende des Be-
schneid ungstages bis zum Anbruche des Tages grosser Tanz und
grosses Festmahl statt, zu dessen Kosten ein Jeder nach Kräften
Lebensmittel beisteuert. Die Beschnittenen bleiben, vom Tage
der Beschneidung ab gerechnet, einen Monat lang in der Hütte
der Mutter. Nach Ablauf des Monats dürfen sie die Hütte ver-
lassen und sich, wie vor der Beschneidung, überall frei bewegen.
Der erste Ausgang der Beschnittenen wird ebenfalls von den Be-
wohnern des Ortes durch Tanz und gemeinsames Mahl festlieh
begangen.
Als Stammeszeichen der Pokomo ist vielleicht auch das Be-
seitigen der beiden mittleren unteren Schneidezähne und das Ta-
tuiren anzusehen; uns aber wurde wiederholt erklärt, dass diese
Operationen nur Schönheitsmittel wären.
Das Beseitigen der beiden Zähne geschieht bei sämtlichen
Pokomokindern sobald dieselben das achte Lebensjahr vollendet
haben. Die betreffenden Zähne werden mit zwei Beilen ausge-
schlagen ; danach brennt man sofort die Wundstellen mit glühendem
Eisen aus, um die Zahnkeime zu toten. Die ausgeschlagenen
Zähne werden meistens in den Hütten sorgsam ' aufbewahrt.
Die Tatuirung wird bei Männern und Frauen vollzogen wenn
sie im zwanzigsten Lebensjahre stehen. Bei den Männern erstreckt
sich die Tatuirung über den Bauch, von der Brust bis einige Centi-
meter unter den Nabel, und besteht in sechs punktierten Quer-
streifen, welche über die ganze Bauchdecke reichen, und in zwei
darüber befindlichen senkrechten Doppelstreifen von je 5 Centi-
meter Länge. Die' Weiber zeigen zwischen Brust und Schambein
sieben punktierte Querstreifen und dicht über dem Qesäss, in der
Gegend des Kreuzbeines vier punktierte Querstreifen. — Zar Her-
stellung der Tatuirung bedienen sich die Pokomo ihrer Messer;
besondere Werkzeuge sind dazu nicht vorhanden.
Zur Kleidung verwenden die Pokomo auschliesslich Baum-
wollengewebe; sie bekunden in dieser Beziehung einen gewissen
Fortschritt gegenüber den Waboni und Wassaniä, die sich vielfach
noch in Felle kleiden.
Die Tracht ist bei Männern und Frauen gleich; es wird näm-
lich nur ein 4 Unterarmlängen messendes Stück ungebleichtes
Baumwollengewebe um die Hüften geschlungen. Dasselbe reicht
Bemerkungen zur Originalkarte des unteren Tana-Gebietes. 147
vom Schambein bis zu den Enieen; die übrigen Teile des Korpers
bleiben unbekleidet. Wohlhabende Personen hüllen zuweilen auch
den Oberkörper mit 4 — 6 Unterarmlängen desselben Baumwollen-
gewebes ein und verwenden buntgewebtes Baumwollenzeug als
Hüftschurz.
Die Kleidungsstucke bleiben weiss und werden selten mit
Farben, niemals mit Stickereien verziert; der einzige Zierrat des
Kleides besteht in Fransen oder Quasten, welche man an den
Schnittenden des Gewebes aus den Kettenfaden desselben knüpft,
nachdem zuvor die Schussfaden herausgezogen wurden.
Die Kinder bleiben bis zum Eintritte der Pubertät meistens
unbekleidet; nach deren Eintritt umgürten sich die Knaben mit
dem Lendenschurze wie die Erwachsenen, die Mädchen hingegen
begnügen sich bis zu ihrer Yerheirathung gewöhnlich mit einem hand-
grossen viereckigen Stück Baumwollengewebe, das an einer um
die Hüften gelegten Glasperlenschnur vor den Schamteilen hängt.
Fu8sbekleidung' und Kopfbedeckung trägt kein Pokemo; aber
auf Schmuck und Putz wird bei ihnen gehalten, namentlich vom
weiblichen Geschlechte. Sie verwenden daher zuweilen viele Mühe
auf Frisieren des Kopfhaares, schmücken sich mit Ringen aus Blei-
und Messingdraht an Hand- und Fussgelenken, Armen und Ohren,
und tragen Kettchen aus Messing- und Eisendraht um den Hals.
Der Halsschmuck der Weiber ist besonders gross und schwer; er
besteht aus Eisenreifen, die mit Messingdraht umwunden und mit
daran hängenden Scheiben von Achatina-Schneckenschalen verziert
sind. Ausserdem wird von fast allen weiblichen Personen als
Hals- resp. Brustschmuck das „Goroscho" getragen, ein viereckiges
4 Centimeter breites und 60 — 70 Gentimeter langes, rot gefärbtes
Stück Ziegenleder, das an einer aus Palmenfasern gedrehten Schnur,
die um den Hals gelegt ist, zwischen den Brüsten hängt. Das
Lederstück isf an seinem oberen Ende mit kleinen roten und
weissen Glasperlen in seiner ganzen Breite und in S Gentimeter
Hohe dicht bestickt. Das übrige Leder hängt in 2 — 3 Millimeter
starken Riemen von 57 — 67 Centimeter Länge herab; über diesen
sind am Unterrande der Perlstickerei in der ganzen Breite des
Leders Glasperlenschnüre von 15 Centimeter Länge angebracht.
Einen wichtigen und hochgeschätzten Bestandteil der Toilette
der Pokomo-Mädchen und Frauen bildet das „Ngäu", eine rote,
anscheinend Eisenoxyd enthaltende erdige Masse, die aus Indien
eingeführt wird. Das Ngäu wird in einer Schale trocken zu feinem
Pulver gerieben, dann am liebsten mit Butter, oder in Ermange-
lung derselben mit Hippopotamus-, Büffel- oder Giraffen-Fett, zu
einem dünnen, flüssigen Brei gemischt und so auf den Korper
geschmiert bis derselbe vom Scheitel bis zu den Fusssohlen blut-
10»
148 Cl. u* G- Denhardt:
rot erscheint. Ein mit dieser roten Schminke bedeckter Körper
wird nicht eher gereinigt, als bis sich der letzte Best derselben
abgetragen hat. Bei festlichen Gelegenheiten darf das Ngäu keiner
Frau und keinem Madchen der Pokomo fehlen.
Die Vorliebe für das Ngau geht so weit, dass auch die Kleider
und Schmucksachen damit eingerieben werden. Bei den Knaben
und Männern der Pokomo wird das Ngau nur selten, weil in
teuer, und «war nur zur Färbung des Lendenschurzes verwendet
Die Frauen nehmen bei den Pokomo nicht die sklavische
Stellung ein, wie bei anderen ostafrikanischen Völkern und wie
namentlich bei den Mohamedanern. Obschon bei den Pokomo
Vielweiberei üblich ist, hat der Mann doch in den allermeisten
Fällen nur eine Frau. Wir trafen selbst bei Männern, die nach
den Begriffen ihres Volkes für sehr reich galten, nicht mehr als
vier bis sechs Frauen.
Als eine Folge der Freiheit und der guten Behandlung, welche
die Pokomofrauen gemessen, ist es wohl anzusehen, dass viele
Heiraten aus Neigung erfolgen ; trotzdem .erscheint die Heirat als
Geschäft. Der Mann kauft gewissermassen seine Auserwählte
von deren Vater, insofern er demselben eine Entschädigung giebt,
die sich nach dem Vermögen des Heiratslustigen und nach der
Schönheit des Mädchens, oder danach bemisst, ob dasselbe viel
umfreit wird. Die Entschädigung besteht gewöhnlich in Honig-
wein, Tabak, mehreren Fischen, Fleisch vom Hippopotamus, Büffel,
Wildschwein oder Krokodil, Reis, Mais, Zuckerrohr, Bananen und
Butter, sowie Baumwollengewebe, Blei- und Messingdraht Die
Mutter des betreffenden Mädchens und dieses selbst werden von
dem Freier mit buntem Baumwollenzeug, Butter und Ngäu be-
schenkt.
Der Preis für das Mädchen wird nicht immer vollständig an
den Vater entrichtet; er wird zuweilen auch teilweise gegeben
und gestundet.
Nach Entrichtung des ganzen Kaufpreises oder eines Teiles
desselben, wird das Mädchen in die Hütte des Freiers geführt
und ist von diesem Augenblicke an seine Frau. Er muss sie got
behandeln und darf sich nicht von ihr trennen, selbst wenn sie
dazu gegründeten Anlass geben sollte.
Die Hochzeit wird von sämtlichen Bewohnern des Ortes, io
dem sie stattfindet, festlich durch Tanz und Schmauserei gefeiert
Diese Festlichkeiten dauern bei der Heirat eines wohlhabenden
Mannes bis zu zwei Monaten, finden aber meist nur in den Abend«
und Nachtstunden statt, um die Leute nicht am Arbeiten zu hindern.
Hat ein Mann mehrere Frauen, so muss er jeder derselben eine
Hütte überweisen.
Bemerkungen zur Originalkarte def unteren Tana-Gebietes. 149
Die Mädchen werden selten vor dem 15. oder 16. Lebens-
jahre verheiratet, obschon sie im 10. menstruiren. Den Eintritt
der Menstruation feiern die Bewohner des Ortes vier Abende und
Nächte hindurch mit Tanz und Festessen.
Bei der Entbindung einer Frau darf deren Gatte nicht zu-
gegen sein;, nur eine alte, mit der Heilkunde vertraute Frau
leistet der Schwangeren oder Wöchnerin Beistand. Dem Vater
wird sein Kind erst am dritten Tage gezeigt und er betritt die
Hütte seiner Frau volle 5 Monate hindurch nicht. So lange bleibt
die Frau nach der Geburt des Kindes in ihrer Hütte, verlässt die-
selbe bloss in der Nacht und empfängt nur die Besuche ihrer Eltern
und Schwestern. Die Besuche anderer Leute nimmt sie erst
im 6. Monate nach der Geburt entgegen.
Das Kind erhält gleich nach der Geburt einen Namen, den
der Vater mit seinen Verwandten, Freunden und den Ältesten
des Ortes beraten hat. Bei der Namengebung bewirtet der Vater
seine Berater, nimmt aber so wenig wie die Mutter des Kindes
am Festessen Teil. Tanz, der sonst bei keinem Feste der Pokomo
fehlt, findet hierbei nicht statt.
Kurz nach der Geburt singen und tanzen verheiratete Frauen
mit dem Vater des Kindes vor der Hütte der Wöchnerin. Anderen
Männern und auch Kindern ist nicht gestattet dabei zuzuschauen.
Die Mädchen bleiben bis zu ihrer Verheiratung bei der Mutter;
die Knaben hingegen werden etwa im zwölften Lebensjahre aus
der mutterlichen Obhut genommen und wohnen dann bis *ur Be-
gründung eines eigenen Hausstandes mit sämtlichen Junglingen
des Ortes in einer besonderen, grossen Hütte.
Die Pokomo lieben ihre Kinder sehr und halten sie frühzeitig
zur Arbeit an. In der freien Zeit spielen die Knaben mit kleinen'
Speeren, Bogen, Pfeilen, Schilden, Trommeln, Kähnen u. 8. w.,
die Mädchen dagegen mit zusammengebundenen Maiskolben und
Kürbissen, welche die Stelle von Puppen vertreten.
Hat ein Ehebruch stattgefunden, so schlägt der geschädigte
Ehemann den Ehebrecher und zeigt ihn dem Vorsteher der Ort-
schaft an. Der Ehebrecher wird dann zur Zahlung einer Strafe
an den Ehemann verurteilt, die gewöhnlich 250 — 300 Armlängen
Baumwollenzeug beträgt wenn die Frau noch kinderlos war, 80 —
100 Armlängen Baumwollenzeug dagegen, wenn die Frau bereits
mit ihrem Gatten Kinder gezeugt hatte.
Ist der Ehebrecher kein Pokomo, so schlägt ihn der Ehemann
nicht, sondern nimmt ihm so viele Wertgegenstände ab, wie er
erhalten kann.
Gebiert ein Mädchen, so muss der Vater des Kindes das
Mädchen heiraten und deren Eltern das volle Heiratsgut geben,
150 Gl. u. G. Denhardt:
welches anderenfalls bei einer Verheiratung des unberührten
Mädchens zu erzielen gewesen wäre.
Stirbt ein verheirateter Pokomo, mit Hinterlassung von Kindern,
so geht sein Hans- und Landbesitz an seine Kinder über; seine
Frauen und die Gerate und Kleidungsstucke, welche er zu seinem
personlichen Gebrauche hatte, werden vom ältesten Bruder, oder
wenn ein solcher nicht vorhanden, vom nächsten Verwandten der
Seitenlinie übernommen. Die Kinder des Verstorbenen bleiben bei
ihrer Mutter und gehen mit dieser in das Hauswesen über, wo sie
Aufnahme findet; der Vorsteher dieses Hauswesens erzieht die Kin-
der, verheiratet die ^unterlassenen Tochter seines Verwandten und
erhält das betreffende Heiratsgeld. Sind keine Kinder als Erben
vorhanden, so fällt die Hinterlassenschaft an die Bruder des Ver-
storbenen oder an dessen nächste Verwandte. Die Hinterlassen-
schaft der Frau fällt an den Ehemann, die der Kinder an die
Eltern.
Verstorbene werden am Todestage beerdigt, falls es nicht zu
spät ist. Der Leichnam wird vollständig in Baumwollengewebe
gewickelt und zwar so, dass die Arme zusammengebogen und mit
den Händen nach dem Kopfe des Toten gerichtet werden, die
Handflächen sich decken und der Kopf des toten Mannes auf der
Aussenseite der linken Hand, des toten Weibes auf der Aussen-
fläche der rechten Hand liegt.
Die Toten werden in Wäldern beerdigt, die eine oder zwei
Wegstunden von der Ortschaft entfernt sind. Dort wird ein Grab
hergestellt, welches Länge und Breite des Leichnams hat Ist
dasselbe für eine männliche Person bestimmt, so wird es so tief
gegraben, dass der Nabel eines darin stehenden Mannes sich in
Höhe der Erdoberfläche befindet; wird das Grab für eine weib-
liche Person hergerichtet, so muss es so tief sein, dass die Brust-
warzen einer darin stehenden Frau mit der Erdoberfläche in einer
Ebene liegen.
Der Leichnam wird ohne jede Unterlage auf die Sohle des
Grabes gebettet; sodann wird das ganze Grab mit Erde gefallt,
die man fest eintritt und mit der Erdoberfläche abgleicht. Tote,
männlichen Geschlechtes werden im Grabe mit dem Gesichte gegen
Osten, Tote weiblichen Geschlechtes mit dem Gesichte gegen Westen
gelegt.
Am Begräbnisse beteiligen sich die erwachsenen Bewohner
des Ortes.. Die Verwandten und Freunde des Verstorbenen halten
nach der Rückkehr vom Begräbnisse mehrere Tage lang Toten-
klage ab, die in Trauergesängen und lautem Preisen der Vorzuge
des Dahingeschiedenen besteht. Diese Totenklage wird wiederholt,
wenn ein Verwandter oder Freund, welcher bei dem Begräbnisse
Bemerkungen zur Originalkarte des unteren Tana-Gebietes. 15 1
des Verstorbenen nicht zugegen war, zum ersten male nach dem-
selben die Ortschaft betritt.
Alljährlich findet in jedem Pokomo-Orte ein Totenfest statt,
welches von sämtlichen Bewohnern gefeiert wird nnd dem An-
denken aller im Vorjahre Verstorbenen gilt. Zu diesem Feste
sparen die Pokomo das ganze Jahr hindurch, um es in neuen
Kleidungsstücken und schönem Schmucke, sowie mit guten und vielen
Speisen nnd Getränken feierlich begehen zu können. Das Fest
währt zwei Tage und zwei Nächte; auch hierbei spielen Gesang
und Tanz eine grosse Rolle.
Gesang und Tanz, bei den Pokomo fast immer mit einander
verknüpft, scheinen in vielen Fällen religiöse Handlungen zu sein.
Die Kinder werden dazu sorgsam angeleitet.
Die Musik zu den Tänzen besteht in Gesängen, taktmässigem
Händeklatschen und Fussstampfen der am Tanze Teilnehmenden
und der Zuschauer, sowie in Trommelschlag.
Die Pokomo sind ein sehr arbeitsames, afcer auch ein sehr
lustiges Volk: haben die Leute des Tages über gearbeitet und
sich am Abende durch Speise nud Trank erquickt, so vergnügen
sie sich während der trockenen Jahreszeit fast allabendlich durch
Gesang und Tanz.
In diesen Vergnügungen halten sie Maass und Ziel, so dass
ihre Arbeiten nicht darunter leiden.
Besonders angenehm berührt neben dem Fleisse der Pokomo
ihre Sittsamkeit, Bescheidenheit und Ehrlichkeit. Auf Sittsamkeit
wird seitens der Eltern und Ältesten viel gehalten. Verstösse
gegen gute Sitten, namentlich dem weiblichen Geschlechte gegen-
über, werden von den Ältesten durch Bestrafung des Schuldigen
hart geahndet.
"Wie bereits gesagt, sind die Pokomo fleissige Ackerbauer.
Ihre Felder liegen stets unmittelbar am Tana und werden mit
Reis bestellt, soweit die Flussufer niedrig, daher Überschwem-
mungen ausgesetzt sind oder in einfachster Weise kunstlich be-
wässert werden können. Reisbau findet sich bis Doloni im Gebiete
Muina. Von da ab liegen die Felder zu hoch, sind nicht fencht genug,
deshalb wird Mais, hin und wieder auch Mtama (Sorghum vulgare)
gebaut. Ferner zieht man Erbsen, Bohnen, Melonen, Zuckerrohr,
Bananen, Bataten und Maniok; hin und wieder kultiviert man auch
Mango- nnd Popai-Bäume (Carica papaya). Besondere Pflege wird
daneben dem Anbau von Tabak gewidmet.
Reis nnd Mais bilden die Hauptnahrung der Bevölkerung.
Am Ackerbau beteiligen sich Männer, Frauen und Kinder.
Das Ackergerät ist höchst einfach ; es besteht nnr in einer Hacke
zum Lockern der Erde nnd in einem Messer zum Abschneiden
152 Ol. u. G. Denhardt:
der Halme; allenfalls kann man noch ein Beil hinzurechnen, mit
dem Busche und -kleine Baume abgeschlagen werden, wenn Land
urbar gemacht wird. Grossere Bäume und Busche werden dabei
durch Feuer beseitigt.
Die Bestellung der Felder findet im Niederlande gleich nach
Verlauf der Flutwasser des Tana, auf hochliegenden Stellen gegen
Ende der Regenzeit statt. Gewöhnlich wird zweimal im Jahre
geerntet.
Reis und Mais werden auf den Feldern gedroschen, d. h. man
breitet daselbst Matten und darüber die Reisähren, oder die Mais-
kolben aus und schlägt dieselben mit Stöcken bis die Kerne her-
ausgefallen sind. Die Kerne werden in Säcke gesammelt und in
den Hütten der Pokomo aufbewahrt. Besondere Vorratsräume
giebt es nicht; denn die Ernte wird sofort in Kähne verladen und
nach der Küste geschafft. Zu diesem Zwecke haben mohameda-
nische Händler sie entweder gekauft oder einfach weggenommen.
Dass nichts von 3er Ernte verderbe und dass die Pokomo nicht
nötig haben Vorratsräume herzustellen, dafür sorgen die moha*
medanischen Händler in der einen oder anderen Weise.
Säcke und Matten werden von den Pokomo aus Grashalmen
geflochten. Ein mit Reis oder Mais gefüllter Sack wiegt etwa
85 Kilogramm und gilt als eine Trägerlast. Grössere Mengen von
Reis und Mais kauft man gewöhnlich sackweise, ohne Prüfung des
Inhaltes der einzelnen Säcke; nur im Kleinkauf misst man ihren
Inhalt. Als Maass gilt dabei das Kibaba; 4 Kibaba bilden das
Kata; 10 Kata, also 40 Kibaba, soll der Sack enthalten.
Der Reis wird nur im Kleinhandel enthülst verkauft; solcher
Reis heisst „Mte"; den unenthülsten nennt man „Mpunga".
Das Enthülsen wird gewöhnlich erst kurz vor dem Gebrauche
und zwar sowohl bei den Pokomo, als bei der mohamedanischen
Küstenbevölkerung, von Mädchen und Frauen vorgenommen. Zu
diesem Behufe besitzt jeder Hausstand einen grossen Mörser ans
hartem Holze, einige armdicke, glatte Stampfhölzer und einige ans
Grashalmen geflochtene runde, flache Schalen, welche den Futter-
schwingen ähneln, wie sie bei uns zum Futterschütten für Pferde
gebräuchlich sind. Der Mpunga wird durch Stampfen im Mörser
enthülst und dann auf den Schalen durch Werfen von den los*
gestampften Hülsen befreit. Ebenso verfahrt man mit dem Mais.
In denselben Mörsern bereiten die Pokomo Mehl aus Reis
oder Mais durch Feinstampfen der enthülsten Reis- oder Mais-
Kerne*
Das Stroh, welches zu Flechtarbeiten und zum Hüttenbau
keine Verwendung findet, wird auf dem Felde verbrannt. Düng-
mittel gebraucht man nicht, weil die Erde ergiebig genug ist und
Bemerkungen ssur Originalkarte des unteren Tana-Gebietes, 153
weil in der Niederung die Ueberschwemmungen sehr fruchtbare
Schlammschichten auf den Feldern zurücklassen. Zeigen sich
hochliegende, trockene Felder wenig ergiebig, so bleiben sie einige
Jahre brach liegen, werden dann mittelst Feuer von dem darauf
wuchernden Unkraute gesäubert und neu bestellt.
Einen grossen Teil der Zeit verwenden die Männer und
Knaben der Pokomo auf die Fischerei, welche sehr lohnend ist
and erhebliche Mengen Fische für den Lebensunterhalt des Volkes,
sowie Fett zur Beleuchtung und für den Handel liefert. Zum
Fischfange bedienen sie sich nicht der Netze, sondern grosser
Reusen und Korbe, die aus Ruten hergestellt sind und den von
unseren Fischern benutzten ähneln. Grössere Fische werden an
glatten Eisenhaken gefangen, oder vom Kahne aus mit einem
Speere aufgespiesst. Das Eisen des Fischspeeres ist nadelform ig,
im Querschnitt also rund, ohne Widerhaken, 10 — 30 cm lang und
5 — 10 mm stark. Der zugehörige Schaft ist aus einem 1]^ — 2 m
langen, 2 — 3 cm dicken, geraden Zweige einer leichten Holzart
gefertigt
Auch bei der Jagd bedienen sich die Pokomo der Speere,
seltener der Bogen und Pfeile. Die Jagdspeere, welche zugleich
die Hauptwaffe der Pokomo bilden, bestehen aus einem etwa 2 m
langen Schaft von zähem, leichtem Holze und einem darauf be-
festigten 36 cm langen, 10 cm breiten, einigen mm dicken, blattför-
migen Eisen, dessen Ränder scharf geschliffen sind. Mit solchen
Speeren werden Büffel, Elefanten, Hippopotami und Krokodile
erlegt.
Die Handhabung dieses Speeres bei Jagden auf die drei erst-
genannten Tiere setzt grosse Geschicklichkeit, bedeutende Korper-
kraft und vielen Mut voraus.
In der Wahl ihrer Nahrungsmittel sind die Pokomo nicht sehr
sorgsam ; sie verspeisen neben Feldfruchten das Fleisch aller Fische,
fast aller Säugetiere, Vogel und Amphibien in frischem und fauligem
Zustande. Dabei gilt als Regel: Paviane, ferner Vogel, welche
sich von Aas oder Schlangen nähren, und Schlangen nicht zu essen.
Fleisch wird stets nur gekocht genossen.
Mit der Herstellung der Topfe befassen sich vorwiegend alte,
alleinstehende Frauen. Diese kneten den Thon sehr sauber zu
Topfen aus, trocknen sie anfänglich im Schatten, später in der
Sonne, schichten sie mit Holz zu einem Haufen und brennen sie
dann. Mit einer Qlasur versieht man die Thongefässe t nicht;
wohl aber färbt man sie teilweise vor dem Brände mit Ngäu und
giebt ihnen dadurch eine rote Farbe.
Feuer erzeugen die Pokomo und alle ostafrikanischen Volker
durch schnelles Reiben zweier trockener Holzstäbe.
154 Cl- n. G. Denhardt:
Alkoholhaltige Getränke werden nur von erwachsenen Männern
der Pokomo genossen; Frauen nnd Kinder enthalten sich derselben.
Man bereitet solche Getränke ans Honig, sowie ans dem Safte
der Borassus und einer Fiederpalme.
Ein bei Erwachsenen nnd grosseren Kindern sehr beliebtes
Genussmittel ist der Tabak. Er wird gekaut und geschnupft,
selten geraucht.
Eigentliche Handwerker, Lente, die für Andere Lebensbe-
durfnisse gewerbsmässig anfertigen, giebt es, ausser Kahnzimmerern,
unter den Pokomo nicht; sie beziehen daher ihren sämtlichen Be-
darf an Metallgerätschaften, Schmucksachen und Kleidungsstücken
(Baumwollenzeug) von anderen Volkern, namentlich von den moha-
medanischen Küstenbewohnern, den Galla und Wanika.
Als Wohnstätten benutzen die Pokomo bienenkorbformige
Hütten von 2- — 2^m Durchmesser und ebensoviel Hohe. Den
Bau der Hütte besorgen die Angehörigen des Hausstandes. Es
werden zu diesem Behufe daumendicke, ungefähr dm lange
glatte Stangen in etwa 50 cm Entfernung von einander senkrecht
so in die Erde gesteckt, dass sie den Umfang eines Kreises
bilden; dann werden ihre oberen Enden nach der Mitte des
Kreises geneigt und zusammengebunden. Dieses Gerast wird
durch wagerecht darum geschnürte Stangen verstärkt und schliess-
lich mit trockenem Grase sorgsam abgedeckt. In der Hütten-
wandung bleibt als Eingang ein Schlitz von etwa 50 cm Breite
und 1 m Hohe frei. Einige vor diesen Schlitz gestellte Blätter
der Kindupalme dienen als Thüre.
Im Innern der Hütte wird aus Ästen ein Gerüst hergestellt,
welches mit geglätteten Blattrippen der Kindupalme, deren Enden
mittelst Pflanzenfasern zusammengeknüpft sind, derart überdeckt ist,
dass sich diese Decke als wagerechter Boden in 50 cm Hohe über
der Erde durch den ganzen Hüttenraum erstreckt und nur zwei
je 50 cm im Geviert messende Oeffnungen am Eingange bleiben.
Die eine dieser Öffnungen ermöglicht den auf dem Hüttenboden
sitzenden Personen, ihre Fasse auf die Erde zu stellen, die andere
hingegen gestattet, ein kleines Feuer in der Hütte zu unterhalten;
der Rauch desselben zieht durch den Hütten eingang ab. Das Feuer
wird weniger zum Kochen, als vielmehr zur Erwärmung der Hütte
und zur Vertreibung der Mücken benutzt, welche nach Sonnen-
untergang sehr lästig werden. Der mit Tierhäuten oder Matten
bedeckte Stabboden der Hütte dient als Lagerstätte. In fast
allen Hütten findet man rechts vom Eingange eine aus Kindn-
blattrippen hergestellte Wand, welche vom Hüttenmantel bis zum
Mittel der Hütte und hinauf bis zu deren Scheitel reicht, so dass
dadurch ein Teil des Raumes unberufenen Blicken entzogen wird.
Bemerkungen zur Originalkarte de« nnteren Tana-Gebietes. 155
Von Massa ab bauen die Pokomo grossere Hatten als die
soeben beschriebenen; sie geben denselben einen Durchmesser von
3 — 3!^m und ebensoviel Hohe.
Vereinzelt wohnen die Pokomo niemals; stets stehen mehrere
Hütten bei einander und bilden eine Ortschaft, die in der bereits
angedeuteten Weise verwaltet wird.
Alle Ortschaften liegen unmittelbar am Flusse, so dass
wenigstens eine Seite derselben vom Wasser begrenzt wird. Die
anderen Seiten des Ortes werden ausnahmslos von dichtem Walde
umgeben und ausserdem fast immer noch von einem aus glatten,
senkrecht in die Erde gesetzten Baumstämmen hergestellten 3 bis
4 m hohen, dichten Zaune.
Durch diese Lage und Umgebung wird Schutz gegen feind-
liche Angriffe und Raubtiere geschaffen.
Nach den bei uns herrschenden Vorstellungen von der Wärme
in tropischen Ländern mag es befremdlich erscheinen, dass hier
vom Heizen des Huttenraumes gesprochen wird; die Erwärmung
desselben ist aber namentlich während der Regenzeit und besonders
für die leicht gekleideten Eingeborenen geradezu notwendig, denn
die Luftwärme erniedrigt sich dann bis auf 18° Celsius. — Im
Allgemeinen ist das Klima auch für Europäer recht ansprechend,
weil die Luftwärme zwischen 18° und 28° Celsius schwankt und
wohl nur während der heissen, trockenen Zeit (Dezember und
Januar) sich um 3 bis 5° erhobt. —
Entsprechend den beiden Jahreszeiten, der trockenen und der
nassen, teilen die Pokomo das Jahr in zwei Abschnitte: in Kilimo
und Muaka. Dieselben sind von ungleicher Dauer und hängen
von den beiden vorherrschenden Winden, dem Nordostmonsun und
Sudwestmonsun, ab, welche den Feuchtigkeitsgehalt der Luft beein-
flussen.
Der Erstere weht vom December bis März, der Letztere vom
Mai bis Oktober; die Zwischenzeiten werden durch wechselnde
Winde und Windstillen ausgefällt. Die zwischen den Monsunen
wehenden wechselnden Winde bringen Regen; der meiste Regen
fallt vom März bis Mai (dies ist die „grosse" Regenzeit); die zweite
Regenperiode (die „kleine" Regenzeit) währt vom Oktober bis No-
vember.
Im Grossen und Ganzen hängt der Beginn der Regenzeiten
an jedem Orte von den Durchgängen der Sonne durch dessen
Zenith ab. Die hier in Betracht kommenden Orte liegen zwischen
1° und 3° sudlicher Breite; die Sonne passiert daher deren
Zenithe gegen Mitte März und gegen Mitte September. —
Wie überall, so werden auch im mittleren Ostafrika die am
häufigsten vorkommenden, für das Land charakteristischen Krank-
156 C1- «• <*• Denhardt:
heften mehr oder weniger von den Witterangsverhältnissen beeinflusst.
Als solche Krankheiten sind hier zu nennen: Fieber nnd Rohr.
Gewöhnlich stellen sie sich kurz nach Ende der nassen Jahreszeit
ein und befallen zumeist nur schlecht genährte, grossen Strapazen
ausgesetzte, oder durch ausschweifende Lebensweise geschwächte
Personen. Epidemisch treten diese Krankheiten nicht auf und töt-
lich verlaufen sie nur in seltenen Fällen. Moglicherweise werden
beide Krankheiten von Mikroorganismen hervorgerufen, welche
in der feuchtwarmen Luft, die gegen Ende der Regenzeit herrscht,
besonders günstige Bedingungen für ihre Entwickelung finden nnd
zu Anfang der heissen Zeit um so leichter durch Einatmung öder
auf andere Weise in den menschlichen Korper gelangen, weil sie
dann mit ihrem Nährboden eintrocknen und durch die geringsten
Luftströmungen verbreitet werden.
Das Studium dieser Krankheiten ist eine der wichtigsten nnd
interessantesten Arbeiten, welches der wissenschaftlichen Detail-
forschung vorbehalten bleibt, die den geographischen Untersuchungen
in Afrika möglichst rasch folgen und auf deren Errungenschaften
basiert werden sollte.
Tuberkulose wurde bei den Eingeborenen des Tana-Osi-
Gebietes nicht beobachtet, und unter der mohamedaniscben
Küstenbevölkerung machten sich nur einige Fälle bei Arabern
bemerklich.
Andere Lungenleiden und Krankheiten der Geschlechts-
organe scheinen vorwiegend bei der mohamedanischen Kästen*
bevolkerung vorzukommen. Hydrocele und Elephantiasis treten
häufig auf. Letztere ist namentlich unter den Küstenbewohnern
und den zwischen Tjarra und Munjuni wohnenden Pokomo
verbreitet. Als Ursache dafür wird vieles Trinken lehmhaltigen
Wassers, auch Essen von Lehm, oder das Betreten einer
Schlangenfährte, sowie das lange Sitzen auf den schmalen Kahn-
rändern, welches Kompressionen in Muskeln und Nerven hervor-
ruft, im Volke angesehen.
Bei Personen, die gewohnheitsmässig Lehm essen, zeigt die
Haut eine gewisse Aehnlichkeit mit der Haut von Leuten, die im
ersten Stadium der Elephantiasis stehen ; solche Menschen sehen auf-
gedunsen aus und klagen über Schwäche und Schmerzen in den
Beinen.
Unter den Pokomo ist das Lehm essen nicht üblich, dagegen
soll es unter den Sklaven der Küstenbevölkerung verbreitet sein.
Herr Tappin, der Führer des Missionsdampfers „ Highland
Lassie ", welcher den Verkehr zwischen Sansibar und Mombasa-
Frere-Town, den Stationen der Church Missionar? Society, ver-
sah, erzählte darüber Folgendes:
Bemerkungen zur Originalkarte des unteren Tana- Gebietes. 157
Er habe wahrend 5% Jahren in der Zackerfabrik des Eng-
länders Fräser in Eokotoni auf der Insel Sansibar Gelegenheit
gehabt, gewohnheitsmassige Lehmesser zu beobachten. Von 700
daselbst beschäftigten Sklaven, die monatelang von 2 Uhr nachts bis
9 and 11 Uhr abends hart arbeiten mussten, ass die grossere Hälfte
Lehm and befand sich stets wohl dabei. Frauen mit Säuglingen
verspeisten regelmässig Lehm nnd stillten mit ihm den Hanger
ihrer drei- bis fünfjährigen Kinder. Es wurde stets nur
trockener Lehm gegessen ; am ihn in genügender Menge verfügbar
zu haben, errichteten die Leute kleine Gestelle und trockneten
darauf den zu kleinen, dünnen Scheiben oder Strängen geformten
nassen Lehm. Wurde ihnen hierzu keine Zeit gelassen, oder war
anderweit kein trockener Lehm zu erlangen, so verzehrten sie
Lehm von den Hauswänden und beschädigten dieselben dadurch
bedeutend, so dass es zuweilen zu recht unerfreulichen Auseinander-
setzangen kam. Erhielten die Leute keinen Lehm, so wurden sie
missmutig, schwach und „krank wie Trinker a. Die von einem
Erwachsenen im Laufe eines Tages verspeiste Menge Lehm
schätzte Herr Tappin auf mindestens 1' Pfund und gab an, dass
die Lehmesser wenig andere Lebensmittel zu sich nehmen und
selbst dann, wenn sie hungrig sind, den Lehm allen anderen
Speisen vorziehen. — Während der auf Sansibar herrschenden
Cholera-Epidemie sind von diesen 700 Sklaven nur 37 gestorben,
während in den rings um die Fabrik liegenden Plantagen die Leute
in angezählten Mengen dieser unheimlichen Krankheit zum Opfer
fielen. Herr Tappin schrieb diesen geringen Prozentsatz an Todes-
fallen der anter den Fabrikarbeitern herrschenden Gewohnheit des
Lehmessens zu, stellte aber bei weiterer, eingehender Besprechung
nicht als unmöglich hin, dass die Gaben von Morphium und Brannt-
wein, welche die Sklaven der Fabrik während der Cholerazeit täglich
erhielten, deren Widerstandsfähigkeit gegen die Cholera gemehrt
haben konnten.
Die Heilkunde steht bei sämtlichen Ostafrikanern auf sehr
niederer Stufe ; sie beschränkt sich auf Heilung von Enochenbrüchen,
auf Anwendung abführender nnd brechenerregender Pflanzen, sowie
auf Hervorbringnng von Nervenreizen durch Feuer und Messer.
Im allgemeinen ist das Klima im Tana-Osi-Gebiete als ein für
den Europäer zuträgliches zu bezeichnen. Da die Luftwärme selten
30° Celsius übersteigt und sich während der Nacht am 10 — 15°
vermindert, so wird der an das Klima der gemässigten Zone ge-
wöhnte Europäer die Lnftwärme ganz erträglich finden and auch
Arbeiten im Freien verrichten können«
Trotsdem das mittlere Ostafrika viele Vorteile und günstige
Verhältnisse für das Wirken der Europäer bietet, wurde es bisher
158
Cl. u. 0. Denhardt:
von diesen nur wenig beachtet und erst in neuester Zeit in den
Weltverkehr gezogen.
Der Grund dafür ist wohl darin zu suchen, dass die Verkehrs-
mittel nach Ostafrika ungenügend waren und dass über die ost-
afrikanischen Handelsverhältnisse äusserst wenige und höchst an-
zuverlässige Nachrichten nach Europa gelangten«
Deutschland unterhält erst seit den vierziger Jahren dieses
Jahrhunderts Handelsverbindungen mit Ostafrika, speziell mit
Sansibar, und doch nimmt es bereits unter den am Ostafrika-
Handel beteiligten Staaten den ersten Bang ein. Die hier fol-
gende Zusammenstellung über den Wert der Einfuhr und Ausfuhr
in Sansibar, nach Berichten des deutschen Konsuls zu Sansibar,
kann zur Beurteilung der bezüglichen Verhältnisse wenigstens einigen
Anhalt bieten.
A. Einfuhr in Sansibar.
Jahr 1869:
Deutschland .... 1 520000 Mk.
England 296000 „
Frankreich 786000 „
Amerika 1068000 „
Arabien, Indienu.A. 2064000 »
Zusammen 5 684 000 Mk.
Jahr 1871:
Deutschland .... 1974 000 Mk.
England 1240000 „
Frankreich 1712000 »
Amerika 1878000 „
Arabien, Indien n.A. 1848 000 „
Zusammen 8 152000 Mk.
Jahr 1875:
Deutschland .... 8 541 148 Mk.
England 1 841 600 „
Frankreich 286000 „
Amerika 1 592 000 „
Arabien, Indien u.A. 4862000 »
Zusammen 11 078 548 Mk.
B. Ausfuhr von Sansibar.
Jahr 1869: ••
Deutschland .... 1880 000 ML
England 760000 „
Frankreich 1140000 „
Amerika 1800000 *
Arabien, Indienu.A. 1 120000 ,
Zusammen 6 200000 ML
Jahr 1871:
Deutschland .... 1844 000 Mk.
England 1800000 ,
Frankreich 1280000 „
Amerika. ..... 3116000 ,
Arabien, Indien u.A. 1380000 ,
Zusammen 9 420 000 Mk.
Jahr 1875:
Deutschland .... 1728 800 ML
England 2624400 „
Frankreich 576000 *
Amerika ...... 8070000 „
Arabien, Indien u.A. 2044000 »
Zusammen 10043 200 ML
Es ist hier nicht der Ort fiir eine handelsstatistische Arbeit;
wir wollen uns daher auf die Bemerkung beschranken, dass die
Bemerkungen zur Originalkarte des unteren Tana-Gebietes. 159
mitgeteilten Ziffern allem Anscheine nach viel zu niedrig und nicht
zuverlässig sind; man wird das bei einem Vergleiche derselben mit
den bezüglichen Berichten der Konsularbeamten Englands, Frank-
reichs und Amerika's leicht finden.
Amtliche Erhebungen über den Handel finden in Sansibar nicht
statt; es werden daher schwerlich genaue Angaben über Wert der
Einfuhr und Ausfuhr zu erlangen sein. Die zuverlässigsten Aus-
künfte könnte jedenfalls der Zollpächter zu Sansibar geben; denn
seine Beamten führen genau Buch über Einfuhr und Ausfuhr.
In den Eüstenorten und Inseln, welche der „Sultan" von
Sansibar als Eigentum beansprucht, werden 5°/0 Eingangszoll er-
hoben vom angegebenen Werte der Waare. Ausgangszoll wird nur
für Elfenbein gezahlt und zwar 12^ Dollar auf 1 Fraßila (17^ Kilo-
gramm).
Andere Abgaben hat der Kaufmann nicht zu entrichten.
Diese Zölle werden vom „Sultan" auf mehrere Jahre an einen
Meistbietenden verpachtet, der sodann in allen bezüglichen Orten
seine Zollerheber fiir eigene Rechnung arbeiten läset, oder ihnen die
Zölle der Ortschaften verpachtet.
Im Jahre 1875 zahlte der Generalpachter 900 000 Mark
Facht an den „Sultan". Hiernach muss sich die Einfuhr bedeutend
höher beziffern, als in den Berichten des deutschen Konsuls an-
gegeben ist.
£inen „Freundschafts-, Handels-, und Schiffahrtsvertrag" haben
die deutschen Hansestädte mit dem „Sultan" von Sansibar am 18. Juni
1859 abgeschlossen. Derselbe ist im Jahre 1869 durch mundliche
Erklärung auf den norddeutschen Bund übertragen worden.
Sansibar ist der Haupthandelsplatz des mittleren Ostafrika; alle
Handelsverbindungen desselben laufen hier zusammen. Von hier
aas werden die Völker bis weit hinein ins centrale Afrika mit Er-
zeugnissen europäischer und amerikanischer Gewerbethätigkeit ver-
sehen, und von hier aus werden die angekauften ostafrikanischen
Produkte nach der civilisierten Welt verschifft.
Nur in Sansibar sind europäische und amerikanische Kaufleute
ansässig; an der ganzen Küste zwischen Cap Guardafui und Mosam-
bik findet man keinen einzigen europäischen oder amerikanischen
Kaufmann, dagegen haben sich einige Missionäre in der Nähe von
Mombasa und Bagamojo angesiedelt. Dieses Vernachlässigen der Küste
Seitens der Kaufleute beruhte zumeist auf dem Fehlen guter Ver-
kehrsmittel zwischen Sansibar und der Küste, sowie zwischen dieser
und Europa. Da Dampfschiffverbindungen nach Orten zwischen
Cap Guardafui und Mosambik nicht existierten, war es ungemein
schwierig, am Festlande eine rationelle kaufmännische Thätigkeit zu
entwickeln; dieselbe beschränkte sich daher auf Sansibar und mehr
160 Denhardt: Bemerkungen zur Originalkarte des unteren Tana-Gebietes.
oder weniger ist dadurch diese Stadt der Haupthandelsplatz des
mittleren Ostafrika geworden. Wenn die grösseren Eüstenorte durch
regelmässigen Dampfschiffsverkehr mit Europa in Verbindung ge-
bracht werden, so wird dies ein Aufblühen des Handels am Fest-
lande zur Folge haben und Sansibar wird an Bedeutung für den
Handel verlieren; naturgemässer wird sich dann der Schwerpunkt
desselben nach dem Festlande verschieben.
Eine solche Verbindung ist seit einigen Monaten durch die
„ British India Steam Navigation Company " hergestellt worden, welche
ihre Dampfer sonst nur von Aden nach Sansibar und Mosambik
gehen liess. Diese Dampfer laufen an der Kastenstrecke nördlich
von Sansibar jetzt die Städte Lamu und Mombasa regelmässig monat-
lich an; es ist daher dieser wichtigste Teil des mittleren Ostafrika
verhältnismässig leicht für den Europäer zugänglich, und Kaufleute
civilisierter Nationen können dort nunmehr unter mindestens den-
selben günstigen Bedingungen wie in Sansibar thätig sein.
Umsomehr muss sich nun Deutschland veranlasst sehen, zur
Wahrung seiner Interessen und zur Hebung seines Handels im
mittleren Ostafrika die erforderlichen Schritte zu thun. Dabei sind
zunächst die Errichtung eines Berufs-Konsulates in Sansibar und der
Abschluss eines Handelsvertrages mit dem dortigen Herrscher als
dringendste Bedürfnisse zu berücksichtigen.
Für die Erschliessung des Tana-Osi- Gebietes ist die neue
Dampferverbindung von erheblicher Wichtigkeit und sie wird wohl
dazu beitragen, dass man sehr bald in England die hohe Be-
deutung des Tana als des kürzesten und besten Verkehrsweges zu
den reichen Ländern am Ukerewe („Victoria-Njansa") erkennt und
verwertet unter besonderer Berücksichtigung der Thatsache, dass
das für den Welthandel so überaus wichtige Quellbecken des Nil
dem Einflüsse desjenigen Staates anheimfallen wird, welcher in der
Küstenstrecke zwischen Lamu und Mombasa seine Interessen am
besten zur Geltung bringt.
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NEUNZEHNTER BAND. DRITTES HEFT.
BERLIN,
VERLAG VON DIETRICH REIMER.
1 1884.
__y
Mit Gratisbeilage: Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunij
1884. No.4u. 5.
Inhalt.
IX. Daa alte Bergsturzgebiet von Flims. Von Dr. G. Härtung.
(Hierzu eine Karte, Taf. IV) 161
X. Bemerkungen zur Originalkarte des unteren Tana-Gebietes. Von
Clemens und Gustav Denhardt. (Schluas) 194
XI. Die erste Eroberung der Republik Costa Rica durch die Spanier
in den Jahren 1563 und 1564. Nach den oflßciellen Berichten des
Adelantado und General Kapitäns Juan Vasqnes de Coronado
an den König von Spanien und anderen Dokumenten. Von
H. Polakowsky. (Hierzu eine Karte, Taf. V). (Schluss) . . . 218
XII. Höhenmessungen im Wilajet Trapezunt 255
Karten.
Taf. IV. Das alte Bergsturzgebiet von Flims. Massstab 1 : 150,000.
Taf. V. Planta de la provincia de Veragua. (Ano 1620). Veröffentlicht
von H. Polakowsky.
Der neunzehnte Band der Zeitschrift der Gesellschaft
fttr Erdkunde erscheint 1884 in zweimonatlichen Heften, mit Bei-
gabe von Karten und mit der Gratisbeilage: „Verhandlungen
der Gesellschaft für Erdkunde, 10 Nrn." Der Preis des Bandes von
6 Heften nebst Gratisbeilage ist 13 Mark. Die „Verhandlungen"
sind auch allein zum Preise von 4 Mark zu beziehen.
Die B&nde I— IV (1866—1869) sind zum Preise von 8 Mark,
der V— VIII. Band (1870-1873) zum Preise von 10 Mark und der
IX— XVIII. Band (1874—1883) zum Preise von 13 Mark pro Band,
complet geheftet, ebenso die Verhandlungen der Gesellschaft ftr
Erdkunde, 1874—1883, complet geheftet, zum Preise von 4 Mark
pro Band zu haben.
Preis-Ermässigung.
Die B&nde I— VI und neue Folge I— XIX der Zeitschrift für
allgemeine Erdkunde (1853—1865) sind
zusammengenommen zum Preise von 3 Mark pro Band und
einzeln zum Preise von 4 Mark pro Band
durch jede Buchhandlung zu beziehen.
Berlin, im Juni 1&84
ß. W. Anhaltstrasae Ho. 12.
Die Verlagshandlung von
Dietrich Reimer
(Reimer & Hoefer.)
IX.
Das alte Bergsturzgebiet von Flims.
Von Dr. G. Härtung.
(Hierzu eine Karte, Taf. IV.)
Vom Oberalppass flies9t der Vorderrhein in einem gewohn-
lichen, tief eingeschnittenen Gebirgsthal, das keine besonders auf-
fallende Erscheinung bietet. Von Dissentis bis Ilanz senkt sich
die Thalsohle bei 29 km Entfernung von 1150 bis 718 m Meeres-
hohe; von Ilanz aber steigt die Poststrasse, welche bis dahin der
allmählich abfallenden Thalsohle folgte, auf der linken Seite des
Rheines für 12 km hoch empor nach Flims, um von da aus auf
eine Entfernung von 11km nach Reichenau sich zu senken. Bei
Fl im 8 hat sie annähernd wiederum die Meereshöhe von Dissentis
erreicht und gleichzeitig um beinahe 5 km von der Thalsohle sich
entfernt. Allein nicht nur bergauf und bergab, auch durch eine
eigenartige Landschaft fuhrt dieser Umweg.
Von Flims aus schweift der Blick südwärts gegen den Rhein
bin über ein kleines, grossen teils bewaldetes Bergland mit Thal-
einsenkungen, sieben kleinen Seen und Höhen, deren kuppeiförmige
Gipfel bei 1247 und 1270 m Meereshöhe um 150 bis 200 m über
ihren Umgebungen emporragen. Drüben ist dasselbe begrenzt
durch die rechtsseitige an der Hochgebirgsmasse entstandene
mächtige Thalwand, die mit dem Lauf des Rheines von WSW.
nach ONO. streicht. Hüben hingegen tritt die entsprechende
linksseitige Thalwand ansehnlich gegen NNW. zurück und um-
rahmt jenes Bergland in weitem Halbkreise mit ihren hoch an-
steigenden, steilen oder jähen Gehängen. Diese werden in der
Reihenfolge von W. nach O. von den Thälern der Val Buglina,
des Laaxer-, Segnes- und Rusnabaches durchbrochen. Zwischen
den beiden letztern aber ragt die Masse des bekannten Flimser-
stein, der nach allen vier Seiten, also auch gegen das kleine sanfte
Gebirge mit jähen Wänden abstürzt.
2mtacbr. «L G«MllMh. f. Erdk. Bd. XIX. 1 1
162 & Härtung:
Dieses kleine Gebirge nun, dessen Bergformen bereits von
ferne inmitten der gross angelegten Hochgebirgsumgebung die
Aufmerksamkeit des Reisenden rege machen, zeigt in unmittelbarer
Nähe höchst eigenartige Bodenverhältnisse. Seine Oberfläche ist
ungemein rauh durch dicht gedrängte grubenartige Vertiefungen.
Mit hügelartigen Erhöhungen wechseln Einsenkungen, die mehr
oder minder tief, gross oder klein, rund oder länglich, gerade oder
gekrümmt sind und mit jenen eine unberechenbare Mannigfaltigkeit
der äusseren Gestaltung hervorrufen. Ob das Ganze als Unland
nur spärlich mit losem Pflanzenwuchs bekleidet, ob es mit zu-
sammenschliessendem Wald und' dessen Boden mit dicken Moos*
polstern bedeckt ist, ob es, mit Rasen überzogen, als Weide- und
selbst Wiesenfläche dient, überall gewahrt man, dass es seine
Bodengestaltang dem Lagerungsverhalten von Trümmermassen von
feinem Bergschutt, von kleineren und grösseren bis wahrhaft riesen-
grossen eckigen Blocken verdankt. Solche Trümmermassen zeigen
sich auch in Wasserrissen, in Runsen, an den Klippen der tiefer
eingeschnittenen Bachbetten und am Rhein in Wänden, die vom
Wasserspiegel bis 500 m jähe, stellenweise sogar senkrecht empor-
steigen. Noch hoher, um 617 bis 640 m, überragen den Rhein-
spiegel die höchsten Kuppen des Berglandes, die ebenfalls aus
Trümmern gebildet sind, und aus alledem erwächst die Vorstellung,
dass die letzteren, besonders wenn man noch die unter dem Ein-
fluss des Dunstkreises stattgefundene Fortfuhrung von Material
berücksichtigt, lose oder als Breccie fest verkittet bis zu höchst
ansehnlicher Mächtigkeit angehäuft wurden.
Was dann die räumliche Ausbreitung dieser Trümmermassen
der sogenannten Flimserbreccie betrifft, so finden sich die höchst
gelegenen Anfänge nordlich des Rheines im oberen Segnesthaie.
Dieses entsteht auf dem Hochgebirge aus zwei Gabelästen, von
denen hier nur der westlichere in Betracht kommt. Als der be-
deutendere, tiefer eingeschnittene läuft er durch und nimmt den
anderen auf. An dem von Elm herüberführenden, 2625 m hohen
Segnespass ist sein Anfang gleich einer Sackgasse gestaltet; eine
Thalstufe von im Mittel 2450 m umgeben Kämme und Zacken von
2881 bis 3102 m Meereshohe. Schnell vertieft sich dann die Sohle
südwärts bis 2100m, wo sie gegen SSO. umbiegt und als scharf
ausgeprägte Thalstufe den Segnes sut, einen ebenen Boden von
1^4 bis 2 km Länge und 300 bis 450 m Breite, bildet. Auf diesem
rinnt das Wasser in zahlreichen, hier geteilten, dort wieder ao-
sammenströmenden, im Laufe der Zeit veränderlichen Adern aber
ein ebenes, breites, nur ganz sanft geneigtes Geschiebebette.
Wo das obere Ende des Segnes sut an der vom Segnespaas steil
herabkommenden Thalsohle scharf absetzt, bricht in ganz geringer
Das alte Bergstangebiet von Flims. Jgg
Hohe aber der Geschiebeebene anstehendes Gestein durch die
lose Decke. Diese aber bietet in den Trummermassen, welche
von hier nach aufwärts ats Schuttkegel am Fuss der jähen Hoch-
gebirgswände angehäuft sind, weiter keine aussergewöhnlichen
Erscheinungen; erst am unteren Ende der Geschiebeebene des
Segnes sut zeigt sich die Trummerbreccie als der am höchsten
und weitesten gegen NNW. gelegene Anfangspunkt der Massen,
die tiefer unten im Rheinthale ihre grosste Ausbreitung erlangen.
Während am Segnes sut beiderseits Kalkwände emporsteigen,
dämmt denselben gegen S. jene Trummeranhäufung ab, welche
die Geschiebeebene hier halbkreisförmig mit einer ungleich, etwa
10 bis 70 m hohen Wand umfasst. Die Trummermasse selbst ist
von NNW. nach SSO. l'^km lang und erreicht von ONO. nach
WSW. eine Breite von 1km. Im ONO. und WSW. schiessen
die Kalkwände unter ihr ein, thalabwärts im SSO. bildet sie einen
Steilhang, ruht an ein paar Punkten ersichtlich auf dem anstehen-
den Gestein des Thalwegs und dessen aufsteigender Böschung
und muss bis zu einer Mächtigkeit von 150 bis 200 m anschwellen.
Am unteren Ende des Segnes sut durchbricht der Gebirgsbach
diese Trummeranhäufung so hoch sie eben das Geschiebebette
überragt, wendet dann in scharfer Beuge gegen ONO. herum,
stürzt schäumend, ohne eine Schlucht zu bilden, in unbedeutender
erst weiter unten etwas vertiefter Runse jählings über die Breccie
hinab und schwingt nun all mahl ig herum, bis er in der Richtung
gegen SSO. aus den Trümmern auf anstehendes Gestein gelangt.
Es liegt also die bei weitem grossere Masse der erstem auf der
rechten Seite des Segneebaches, der durch seinen gewundenen
Lauf nur einen Bruchteil der mächtigen zusammenhängenden An-
häufung absondert.
Am Segnes sut und am nördlichsten Funkte dieser Anhäufung
ist der Hochgebirgskalk, der im Thale ansteht, zu Schollen zer-
brochen. Stellenweise scheinen die hausgrossen Stucke nur durch
mehr oder minder weite Risse und Spalten getrennt, aber ver-
hältnismässig wenig aus ihrer Lage gebracht zu sein. Dann
wieder sind sie verschoben, stärker zertrümmert und wild durch-
einander geworfen. Gleich hier oben, noch auf der linken Seite
des Segnesbaches ist eine riesengrosse Gesteinsplatte steil auf-
gerichtet und ragt, unten fest eingeklemmt, kastellartig so hoch
aus der Breccie heraus, dass sie den Reisenden von der Flims-
llanzer Poststrasse aus als eine kleine Felszacke sichtbar wird.
Im Übrigen herrschen dieselben bereits früher geschilderten Boden-
verhältnisse; auf der durch grubenartige Vertiefungen ungemein
rauhen Oberfläche spriessen zwischen und selbst auf den leicht mit
Erde bedeckten Trümmern Kräuter, am Boden mancher grösseren
11*
164 O. Härtung:
Vertiefung ist ein graner Grasteppich aasgebreitet and mehrere
Abhänge bedeckt Gebüsch. Im Sommer beziehen die Sennen mit
ihren Herden die mitten auf der Trümmeranhäufang gelegene
Alp Platta.
An der Alp Platta erreichen die Trümmermassen eine Meeres-
hohe von 2100m, and von da aas erstrecken sie sich südsüdost-
wärts gen Flims durch das Segnesthai herab. An diesem sind
die obern Ränder der jähen Thal wände im Mittel 2^, tiefer unten
gegen den grossen Flimser Halbkessel sogar 3 bis 3^ km von
einander entfernt. Links ist es der Flimserstein , dessen oberen
Rand von NNW. nach SSO. die Höhenpunkte 2568, 2066, 1949,
1920 m krönen, rechts beträgt die Höhe der Gipfel des gegenüber-
liegenden Randes 2160, 2010, 1920, 1700, 1600m. Dieser
rechten Wand nähert sich der Lauf des Segnesbaches im Mittel
auf % der ganzen Entfernung, und auf der rechten Seite des
Gebirgewassers ziehen die Trümmermassen herab. Allein diese
lagern hier nicht bloss im Thalweg unterhalb der jähen Thalwand,
sondern auch oberhalb derselben auf der Wasserscheide «wischen
Segnes- und Laaxerthal.
Ton der Alp Platta führt ein Sennsteig gegen W. über einen
1980m hohen Pass und über anstehendes Kalkgestein nach der
Alp Nagiens. Unmittelbar südlich dieses Passes besteht der be-
reits oben angeführte 2010 m hohe Gipfelpunkt aus der Trümmer-
masse, welche auf der Wasserscheide weiter nach SSO. sich aus-
breitet und dieselben mehrfach erwähnten Bodenverhältnisse auf-
weist. Eine grubenartige Vertiefung reiht sich an die andere,
eine grossere gestreckte zieht sogar durch, und diese Oberflächen-
gestaltung wird auch hier bedingt durch das Lagerangs verhalten
der Trümmer, welche, wild durcheinander geworfen, in ge-
schlossener Gesamtmasse im O. die rechtseitigen Abstürze des
Segnesthaies krönen und im W., scharf abgegrenzt, mit steilen
Böschungen über den unter ihnen einschiessenden Gesteinsschichten
des grossen Laaxer Hochgebirgsthalkessels emporsteigen. Wie an
der Alp Platta lässt sich auch hier die Mächtigkeit der Gesamt-
masse nicht durch unmittelbare Beobachtung genau bestimmen,
wohl aber auf 60 bis 70m schätzen. Etwa %km breit erstreckt sich
diese Trümmeranhäufung 1km weit in südsüdostlicher Richtung;
dann zerstört der kleine, durch steile Gehänge gebildete Kessel
von Scansinas das Bild der typischen Bergsturzlandschaft, indessen
immer noch Trümmermassen den weiterhin stark verschmälerten
Kamm krönen. Dieser Kamm erreicht bei 1700 m sein südliches
Ende da, wo der Laaxerbach in die Flimser grosse Erweiterung
des Rheinthaies tritt und bildet hier als Grest la pligliusa den Eck-
pfeiler zwischen dem oberen Laaxer- and Segnesthaie. Demselben
Das alte Bergstarsgebiet von Flims. 165
entspricht südwärts gegenüber ein anderer zwischen dem oberen
Laaxerthale nnd der Val Boglina aufragender Eckpfeiler, welcher
gegenwartig das Ostende des Crap St. Gion darstellt. Während
nun Crest la pligliasa aus anstehendem von Bergschutt gekröntem
Hochgebirgskalk besteht, ist gegenüber am Ostende des Crap
St. Gion der etwa noch vorhandene Rest des Felsengerüstes voll-
standig unter Trümmern vergraben. Den Rucken des Crap St. Gion
bildet im W. auf der Hohe anstehender Verrucano; bei mehr und
mehr abnehmender Erhebung folgen nach ostwärts erst Trümmer-
massen von Verrucano, dann solche von Hochgebirgskalk. Hier
ist auf dem Kamm und an den nach N., O. und S. abfallenden
Gehangen kein anstehendes Gestein aufgeschlossen. Aus dem
durch die bekannten Vertiefungen und Hervorragungen ungemein
rauhen, vermoosten und überwachsenen Waldboden stechen nur
Kalktrümmer und zum Teil riesige Kalkblocke in regellosem
Durcheinander heraus. Diese Anhaufungen aber trennt kein freier
neutraler Gürtel von jenen der tiefer lagernden weit verbreiteten
Fiimserbreccie, vielmehr verfliessen und verschmelzen beide voll-
standig in- und miteinander. Weiter nach S. senkt sich die
Felsendecke des dem Hochgebirgskalk aufgelagerten Verrucano,
so daas auf der rechten Seite der Val Buglina bereits Trümmer
dieser Felsart da herrschen, wo anf der linken Seite noch solche
von Hochgebirgskalk verbreitet sind, indessen die letzteren, wie
später gezeigt werden soll, am Fuss des unterhalb Fellers süd-
wärts herabziehenden Steilhanges bis über das Rheinthal und ausser-
dem weit nach O. hinüberreichen.
Von der Alp Platta Hessen sich also die Schuttmassen über
die Hohen, über den Einschnitt des Laaxerbaches hinweg und
am Abhang herunter nach dem Flimser Thalkessel verfolgen.
Wo an dem 1980 m hohen, nach Alp Nagiens führenden Pass
anstehendes Gestein zu Tage tritt, ist die lose Decke am oberen
Anfang einer Seitenrunse augenscheinlich fortgewaschen. In Be-
treff dieser Massen und ihres Auftretens herrscht, abgesehen von
den örtlichkeiten, an denen sie lagern, kein wesentlicher Unter-
schied im Vergleich* mit denjenigen, welche von der Alp Platta
am Boden des Segnesthaies nach dem Thalkessel herabreichen
und dort unmerklich in die eigentliche Fiimserbreccie übergehen.
Ohne durch die Erosion jener Seitenrunse völlig abgetrennt zu
sein, ziehen nämlich die Trümmeranhäufungen von der Alp Platta
gegen den Rhein hin ununterbrochen im Thalweg herab und sind
da unter dem Einfluss des Dunstkreises zu. rundlichen hügelartigen
Erhebungen umgestaltet, die unten ineinander verfliessen und
an die rechtsseitige jähe Thalwand sich anlehnen. Unter ihnen
tritt im Bette des Segnesbach Hochgebirgskalk zu Tage, dessen
166 <*. Härtung:
Schichten unter Winkeln von 10 bis 15, ausnahmsweise 18 Oraden
thalabwärts und sudlich einfallen. Allein schon bevor der Bach
scharf gegen O. umbiegt und in den grossen Flimser Halbkessel
eintritt, verschwindet das anstehende Gestein unter den Trümmer-
massen, welche von jener Beuge weithin fächerförmig sich aus-
breiten. Ihre nordliche Grenze zieht aus der Gemarkung von
Flims unmittelbar unterhalb der Poststrasse nach Trins. Dieser
Ort liegt schon auf anstehendem Gestein, das Dorf Digg dagegen
noch auf den Trümmermassen, welche hier auf der linken, nicht
jedoch auf der rechten Seite des Rheines ihr ostliches Ende er-
reichen.
Aus dem Segnesthai läuft ferner die Westgrenze der Schutt-
anhäufungen zunächst an der Mundung des oberen La&xerthales da
vorbei, wo dasselbe in den grossen Flimser Halbkessel eintritt
und wo, wie bemerkt, die Trümmermassen des Ostendes des Crap
St. Gion mit ihr sich mischen ; dann verläuft diese Grenze westlich
des Dorfes Laax und der im Weichbilde des Ortes aufragenden
hügelartigen Erhebungen nach südwärts quer durch das Rheinthal
bis zu dessen rechtsseitiger hoch emporsteigender Gebirgswand.
Wie der Segnesbach unterhalb der Alp Platte, so gelangt auch
der Laaxerbach unterhalb II Pleun aus Trümmermassen auf den
unter diesen anstehenden Hochgebirgskalk, und so wie dort ver-
schwindet auch hier der letztere bald unter der grossen Breccien-
anhäufung, die im wilden Laazertobel in bedeutender Mächtigkeit
blossgelegt ist.
Seit 1882 ist auch auf der rechten Seite des Rheines von
Ilanz bis Reichenau eine Poststrasse fertig gestellt, die zwar nicht
ganz so hoch wie die ältere linksseitige hinauffährt, aber bei
Versam doch eine Meereshohe von 909 m überschreitet. Von
Kästris im W. bis Versam im O. folgt diese Strasse einer lang-
gestreckten Einsattelung, welche zwischen den rechtsseitigen hoch
ansteigenden Felsenwänden und den an deren Fuss vorkommen-
den Trümmerhügeln nur massig tief eingesenkt ist und hier gleich-
zeitig die Süd grenze der grossen Breccienanhäufung andeutet.
Jenseits des Versam er Tobeis setzt sich die Einsattelung und mit
ihr die Südgrenze der Trümmermassen ostwärts bis dahin fort,
wo diese mit Steilhängen zur Ebene von Bonaduz abfallen. Auf
dieser erheben sich nur einzelne gesonderte Hügel, aber noch
weiter nach O., jenseits des Hinterrheines und südostlich von
Reichenau bilden Trümmermassen wiederum ein kleines Stück
Hügellandschaft, das auch hier eine Einsattelung von der hohen
rechtsseitigen Thalwand scheidet. Zwischen diesen Ils Auts be-
nannten zusammenschlie88enden Hügelmassen und Chur sind dann
nur noch einige wenige vereinzelte und unbedeutende Trümmer*
Das alte Bergsturzgebiet von Flims. Iß 7
häufen vorhanden, deren ostlichster dem Orte Ems angehört.
Von NNW. her verhältnismässig schmal beginnend nnd nach O.
hin ebenso endigend, bildet also die Oberfläche der Trümmer-
anhäufung innerhalb des Flimser Halbkessels ein eigenartiges bis
9km langes und 5^km breites, vom Rhein, vom Laaxer- und
Segnesbaeh, vom Carrera- und Versamtobel durchschnittenes Berg-
land, auf welchem die höchsten Punkte links des Rheines 1270
sowie rechts desselben 1047 m über dem Meere und in der Ver-
längerung des oberen Segnesthaies auf einer Linie liegen, von der
aus die Bodenerhebung nach WSW. und ONO. mehr und mehr
abnimmt.
Eine Deutung dieser grossartigen Trümmeranhäufungen giebt
A. Heim in seiner meisterhaften Darstellung der Olarner Doppel-
falte*). Er betont die Oberflächengestaltung, die wellig wie bei
einem grossen Bergsturz ist und bei ortlich gehemmtem Wasser-
abfluss sieben kleine Seen entstehen lässt. Er weist sehr treffend
darauf hin, da s s die Trümmermassen als ein in das Thal hinein-
geworfenes Haufwerk von Material erscheinen, das schon auf
jeder guten topographischen Karte deutlich und wenigstens ziemlich
genau umgrenzt heraustritt. Er hebt ferner ganz richtig mit be-
sonderem Nachdruck den Umstand hervor, dass der Segnes- und
der Laaxerbach, dieser nach rechts, jener nach links der Flimser-
breccie ausweichen und in weitem Bogen deren Hauptmasse um-
gehen, obschon sie, einander ganz nahe gekommen, naturgemäss
die letztere in vereinigter Richtung durchqueren sollten. Indem
er noch an die innere Zertrümmerung, welche die Gesteine bei
der Faltung und Umbiegung der Schichten erlitten, erinnert und
die Möglichkeit einer gemischten Entstehungsart streift, kommt er
schliesslich zu dem in folgenden Worten ausgedrückten Ergebnis:
„Die sämtlichen Beobachtungen machen es fast gewiss, dass die
Flimserbreccie das Ablagerungsmaterial eines alten Bergsturzes ist".
In einer späteren Arbeit**) spricht sich A. Heim dann mit
voller Bestimmtheit für die Bergsturznatur der Flimserbreccie samt
den bis Ems vorgeschobenen Massen aus. Alle diese Trümmer
bilden aber nach peiner neuesten Auffassung keine Übereinander-
häufung mehrerer kleiner Bergstürze, sondern es ist vielmehr,
ähnlich wie bei Elm, die ganze Hauptmasse von ihrem Abriss-
gebiet aus dem obern Segnesthai mit einem Schlage hernieder-
gefahren. Den ganzen Kubikinhalt des Flimserschuttberges, die
seither entstandenen Ausspülungen des Rheines und der Seiten-
bäche noch ausgefüllt gedacht, berechnet er schätzend auf
*) Untersuchungen über den Mechanismus der Gebirgsbildung I. S. 203.
**) Der alte Bergsturz von Flims (Graubündner Oberland) von Prof.
A. Heim. Jahrb. d. Schweizer Alpenklubs XVIII. Jahrg. 1882-83. 8. 295.
168 G. Härtung:
15 000000000 kbm oder 15 kbkm and stellt zum Vergleich daneben
das Material des Bergschlipfes von Goldau mit 15000000, sowie
den Berggeh utt von Elm mit 10000000 kbm.
Unter dem Einfluss der Erosion sind am Rhein Terrassen
entstanden und anf diesen worden an verschiedenen Punkten Find-
lingsblocke abgesetzt. Da nun die letzteren, erst nachdem die
ersteren gebildet waren, an jene Stellen gelangen konnten, nnd da
ferner die tiefe nnd breite Einsenkung des Flimser Halbkessels
ausgewaschen werden musste, bevor der Bergsturz zu Thal fahren
und seine Massen da, wo sie gegenwartig sich vorfinden, ablagern
konnte, so müsste ' diese gewaltige Katastrophe jedenfalls vor dem
Beginn der Eiszeit eingetreten sein und als eine vorweltliche an-
gesprochen werden. Ein vorweltlicher Bergsturz aber, der mit
einem Schlage niedergegangen ist und dessen Schuttmasse in den
Alpen diejenige des grossten geschichtlich beglaubigten Bergsturzes
um das Tausendfache an Kubikinhalt übertrifft, wäre ein Ereignis
von solcher Tragweite, dass es angezeigt ist, das oben nur in
grossen Zügen angedeutete Verhalten jener Schuttmasse nun auch
im Einzelnen genauer zu betrachten.
Abgesehen von den riesengrossen eckigen Blocken, welche,
im Schutt steckend, stellenweise auf den ersten Blick als anstehen-
des Gestein angesprochen werden konnten und erst bei näherer
Betrachtung als lose Felsstucke sich darstellen, zeigen sich auch,
wie z. B. links im Grunde des wilden Laaxertobel, grossere Felsen-
partien unterhalb der Breccienobcrfläche. Heim erwähnt solche
Gesteinsmassen am Rhein unterhalb Versa m an der neuen Post-
strasse, bei der Ruine Wackenau, bei der Türkenisla und der
Isla davoins. Allein das sind nach seiner Auffassung nur „ zu-
sammenhängende Fetzen von Kalksteinschichten, welche ringsam
in dem Brockenwerk eingebettet sind", oder »ganze Stucke eines
Berges, welche herunterfuhren ohne dass alles in kleine Trümmer
sich auflosen musste", obgleich „diese grosseren Schichtenfetsen
von Tausenden von Kluften splitterig rissig sind, so dass sie beim
Strassenbau meistens mit dem Bickel bearbeitet werden konnten*1.
Vom Abrissgebiet bis unterhalb Versam und nach Wackenau
mussten diese zusammenhängenden Fetzen eines durch und durch
zerklüfteten Kalkgesteins auf eine Entfernung von 8 bis 10 km
herabgeglitten sein, während hinter ihnen und um sie herum die
Massen eines und desselben Bergsturzes zu groben Trümmern bis
zu feinstem Schutt zerbarsten. Welchen Umfang überdies solche
Stucke eines Berges erreichen mussten, das lässt sich von vorn-
herein schon aus Folgendem abnehmen. Auf der geologischen
Karte der Schweiz (2. Auflage) haben Studer und Escher die
Flimserbreccie wohl angedeutet, aber von Versam bis Wackenau
Das alte Bergsturzgebiet von Fliras. • 169
anstehenden Jurakalk verzeichnet. Welche von beiden Auffassungen
ist die richtige? Um diese Frage und die weitere, ob auch noch
an anderen Stellen anstehendes Gestein innerhalb des Breccien-
gebietes aufragt, zu beantworten, ist es geboten, an verschiedenen
Punkten die Massen der steilen bis jähen Seitenwände des Rhein-
durchbruches in nächster Nähe zu untersuchen ;. dazu aber bieten
ausser der neuen Strasse unterhalb Versam die Isla's die passendste
Gelegenheit. Als Isla bezeichnen die Anwohner des Rheines kleine
Stucke Boden, die im Grunde des Engpasses am Fuss der Ab-
stürze gelegen srnd und nur wenige Meter oberhalb des Rhein-
spiegels sich erheben. Manche sind mit Wiesengrund überzogen
und dienen als Maiensässe, auf einigen werden Feldfrüchte gebaut,
Türkenisla, oder eigentlich Isla da Türk (die Insel des türkischen
Weizen) hat von der Maiskultur ihren Namen erhalten und Isla
bella ist mit Nadelholz bestanden. Zu diesen kleinen Boden führen
nun Fusspfade herab und von diesen aus ist es möglich, hier
nach rechts, dort nach links zu klettern und die Lagerungsverhält-
nisse zu untersuchen.
Von Versam führt, wie bemerkt, die alte schmale Strasse in
einer kleinen Thaleinsenkung auf der Südgrenze der Breccie
zwischen dieser und den steilen Abhängen der Bündnerschiefer
nach Bonaduz. Die neue Poststrasse dagegen zieht an der Klippen-
wand des Rheins entlang und gewährt somit die Möglichkeit die
Massen, aus welchen das zwischen jener Strasse und dem Rhein
gelegene Stück besteht, in unmittelbarer Nähe zu betrachten. Von
einem Punkte, welcher der Mündung des Segnesthaies ungefähr
gegenüber liegt, ist die Strasse auf eine Entfernung von l3^ km
dem Felsen abgesprengt. Es ist ein dunkel blaugraues, aussen
mit weisslicher Verwitterungsrinde bedecktes Kalkgestein. Inner-
lich wird dasselbe nach allen Richtungen kreuz und quer derartig
dicht gedrängt von Klüften durchzogen, dass abwitternde oder
abbröckelnde Massen einen scharfkantigen Grus darstellen, der
bei regelloser Form aber annähernd gleicher Grosse der Bruch-
stücke einem Haufen von mit der Hand geschlagenen Strassenschotters
gleicht. Nur mit Mühe gelingt es ein grosseres Handstück her-
zurichten, das hart behandelt doch in Stücke zerfallen würde.
Keine klaffenden Sprünge, nur haarfeine Risse durchsetzen das
compacte schwarzblaue Gestein, das, wenngleich innerlich zer-
brochen, doch fest zusammenhält, weil seine zahllosen Theilstücke
garnicht oder nur höchst unbedeutend aus ihrer Lage gebracht sein
können. Denn ohne wahrnehmbare Spur von Schichtung bildet es
wie aus einem Guss hochragende, jähe, stellenweise senkrechte
Wände, deren Oberfläche von eckigen, scharfkantigen Zäckchen
rauh erscheint. So aber macht eine derartige Felswand mit ihrer
170 G- Härtung:
hellen Verwitterungskraste, ans einiger Entfernung betrachtet, den
Eindruck, als bestände sie aus einer gleichmassigen Breccie, in
welcher die sonst da und dort immer kenntlichen grossem Trümmer
fehlen. Das ist vorherrschend der Typus der ganzen langen
Felswand, an welcher die Strasse entlang zieht. Ausnahmsweise
bildet das Kalkgestein aber auch bis mehrere Fuss dicke Bänke,
die unter Winkeln von 50 bis 70 Graden südwestlich einfallen.
Zwischen beiden Arten der Struktur ist keinerlei scharfe Abgren-
zung wahrzunehmen. Der Strassenbau ging hier verhältnismässig
leicht von Statten. Im Jahre 1881 sah ich wie zwei Männer, auf
Leitern stehend, das innerlich zerbrochene Kalkgestein mittels
massiger an langen Stielen befestigter Hämmer bearbeiteten. Unter
gemächlichen, durchaus nicht wuchtigen Schlägen rieselten die
scharfkantigen Theilstucke nieder, Häufchen wie Strassenschotter
bildend, welche andre Arbeiter über den Rand der Strasse hinab-
warfen. Bald war eine herausragende Wulst beseitigt, und in
dieser Weise wird die ganze Strecke mit ihren senkrechten Seiten-
wänden zum überwiegend grossten Teil aus der Felswand heraus-
geklopft worden sein.
In jäher Wand stürzt dieses Kalkgestein 2 — 300 m hoch nach
dem Rhein und an mehreren Funkten bis zu dessen Wasserspiegel
herab. An anderen Stellen lehnen an Steilhängen Schuttkegel,
von denen ein paar so hoch heraufreichen, dass die Strasse darüber
hinwegzieht. Allein oberhalb dieser Schuttmassen und deren Aas-
gangspunkten setzt, bis auf eine Ausnahme, wo das obere Ende
im Wald sich verläuft, die Kalksteindwand ersichtlich ununter-
brochen fort. Diese ist wie gewöhnlich von steil herabziehenden
Schrunden durchfurcht, doch nirgends in Stucke abgeteilt, nirgends
auch sind mit Breccie gefüllte Spalten von nur ein paar Fuss
Breite zu entdecken. Es ist vielmehr hier deutlichst eine zu-
sammenhängende Felsmasse von l%km L&nge und 2 bis 300 m
Hohe biosgelegt.
Von der neuen Poststrasse fuhrt ein gewundener Fnsspfad
nach Isla davoins. Zuerst schneidet derselbe das anstehende Kalk-
gestein und ein paar mit Schutt erfüllte Schrunde, oberhalb deren
Anfangen die Felswand ununterbrochen fortsetzt, dann zieht er
an einem bewaldeten Schuttkegel herab. Die Isla davoins,
wie sie auf der Karte angegeben ist, oder Isla davos, wie sie
eigentlich heisst, liegt unten am Rhein an der Ecke zwischen
diesem und der Mündung der Rabiusa, welche hier den wilden
Versamtobel verlässt. Bunte Flussgerolle, Sand und Grus bilden
teils eine öde Oeschiebebank, teils ein kleines mit Rasen über-
zogenes Vorland, das in 3 bis 4 terassenartigen Absätzen nur
wenige Meter über dem Wasserspiegel sich erhebt« Aus dem
Das alte Bergsturzgebiet von Flims. 171
letztern taucht an eider Stelle das dunkle Kalkgestein als Unter-
lage der losen Decke auf und ans der öden Geschiebebank steigt
dasselbe als jene Felswand empor, die zwar von steilen mit
Schuttmassen erfüllten Schrunden durchfurcht ist, aber überall als
zusammenhangendes Oanze erkannt werden kann. Auch jenseits
der Rabiusa bildet das anstehende Ealkgestein an und unfern der
Mundung die linke Wand des Yersamtobels. Oben darüber lagert
Breccienmaterial, das, wie Auswaschungen zeigen, fest verkittet
auch in steilen, oben auskeilenden Massen vom Thalweg herauf
an j&her Felswand lehnt. Und jenseits des Rheines taucht das
dunkle Kalkgestein einesteils an der Isla bella aus dem Wasser-
spiegel als Grundlage der losen Decke hervor, wahrend es andern-
teils, wie gleich gezeigt werden soll, als weit hinziehende Fels-
wand sich erhebt. Diesseits des Rheines wieder, nach O. von
der Stelle, wo die neue Poststrasse der Felswand abgesprengt
ist, zieht die letztere, zwar mehrfach von Wald und Schutthalden
bedeckt aber immer deutlich zu verfolgen, bis zur Ruine
Wackenau hin.
Ganz anders dagegen stellen sich an der Oberflache ' die
Boden Verhältnisse des Stückes Hügelgebirge dar, welches von
jener alten Strasse im S. bis zum Rhein im N. etwa l^km in
der Breite und vom Versamtobel im W. bis zur Ebene von Bona-
duz im O. 4 km in der Lange misst. Hier gewähren die be-
waldeten hügeligen Kuppen, die zwischenliegenden Einsenkun-
gen, die grubenartigen Vertiefungen, die Blöcke und Trümmer-
massen, welche das aus dem Pflanzenkleide herausragende Gestein
bilden, das typische Bild einer Bergsturzlandschaft. Diese Trümmer-
anhäufung reicht aber nicht herab bis zum Bette des Rheines; sie
krönt vielmehr, wie im Segnesthai auf der Wasserscheide und an
der Alp Platta, nur eine feste Gesteinsunterlage.
Dieselbe feste Gesteinsunterlage wird auch auf der gegenüber-
liegenden Seite des Rheines von demselben- dunklen, zerklüfteten,
splitterig rissigen Kalkgestein gebildet. Von Türkenisla im O. bis
Isla Casti im W. lässt sich die Felswand gegen 4 km weit ver-
folgen. An ihr lehnen vom Rheinspiegel bis zu mehr oder weniger
ansehnlicher Hohe herauf ausgebreitete Schutthalden, die sogar an
manchen Stellen durch Schrunde mit den obenauf lagernden
Trümmermassen derartig zusammenfliessen , dass Felspartien von
einander geschieden werden und gesondert aus loser Decke zu
ragen scheinen. Allein, dass diese Trennung nur eine oberfläch-
liche, keine tief einschneidende oder gar allseitige ist, davon kann
der Beobachter an den Wänden sich überzeugen, die an der
Mündung des Segnestobel und in diesem selbst emporragen. Denn
wie auf die Isla's herab führt ein Fusspfad auch in diese wilde
172 & Härtung:
Schlucht hinein, während überdies hie und da die Wände längs
Wasserrissen ersteiglich sind, wo nicht nur in allernächster Nähe
der Einblick in den Bau des Bergkörpers, sondern auch mehrfach
die unmittelbare Berührung des anstehenden Gesteines ermöglicht
wird. Trennen nun vom Rhein hoch heraufragende, mit den obern
Trummermassen zusammenfliessende Schutthalden in der Richtung
von NO. nach SW. scheinbar grossere und grosse Felspartien, so
setzen diese ersichtlich von der Mundung in den Segnestobel ohne
Unterbrechung weit nach NW. fort. Die Wildheit des Tobeis
verhindert hier die Bildung von Schutthalden beinah vollständig;
aus der engen Thalsohle und meistentheils vom Oebirgsbach be-
spult schiessen die jähen Kalkwände bis dahin empor, wo die
Trümmermasse darauf lagert, und nirgends füllt diese von oben
herab Spalten von auch nur ein paar Fuss Weite.
In derselben Art und Weise wie nach ostwärts von der
Mündung des Segnestobels tritt auch nach westwärts von dieser
die feste Gesteinsunterlage und zwar an dem Absturz der Terrassen-
fläche La Ransun zu Tage. Wie dort die Turkenisla, so liegt
hier' die Isla bella am Fasse des Steilhanges in einer Schlinge
des Rheines; und wie jenseits des letzteren an der Isla davos, so
taucht auch diesseits an der Isla bella das dunkle Kalkgestein
5 bis 10 Fuss hoch als Liegendes der losen Decke aus dem
Wasserspiegel empor. Aber an der westlichen Ecke dieses kleinen
Vorlandes wächst die sichtbare Mächtigkeit des anstehenden Kalkes
derart plötzlich um das Dreifache an, dass der dadurch entstandene
Durchschnitt einem grossen lateinischen L gleicht Der Winkel
zwischen dem stehenden und liegenden Balken ist mit losen
Massen gefüllt, der letztere als ein Teil der fortlaufenden Kalk«
Schicht, der erstere als die Anschwellung derselben zu denken,
welche nach links am Ende des Vorlandes bald unter Breccien-
masse verschwindet. Zu einer Zeit, als der Wasserspiegel hoher
stand als jetzt, floss der Rhein rechtwinkelig zu der Ebene des
Papiers, auf welchem das L verzeichnet ist, an der durch dessen
stehenden Balken angedeuteten Klippe entlang, später setzte er
daselbst Geschiebe ab und endlich schlug er, immer tiefer herab-
schneidend, die durch die Ebene des Papiers angedeutete Richtung
bis dahin ein, wo er herumschwingend nun die Schlinge bildet.
So entstand der Durchschnitt, in welchem als Markstein ein
Überrest des einst vom Rhein bespulten Fusses der Kalksteinwand
erhalten blieb, der gegenwärtig die niedere bewaldete halbkreis-
förmige Isla bella vorgelagert ist.
Im Obigen ist also, dem rechtsseitigen Ufer des Rheines
entsprechend, auch auf dem linksseitigen unterhalb der Trümmer-
anhäufungen die feste Gesteinsunterlage von jenseits Digg bis com
Das alte Bergstarzgebiet von Films. 173
Westende der Isla bella auf eine Entfernung von mindestens
3^ km verfolgt worden. Bei der Türkenisla im O. erhebt sich
Crestanlta 211, westlich der Mündung des Segnestobel der Rand
von La Ransun 165 m aber dem Rheinspiegel und von diesen
senkrechten Abstanden entfallt auf die Oesteinsanterlage weitaus
der grossere, auf die darüber lagernden Trümmermassen nur ein
Bruchteil des Ganzen. Westlich von La Ransun und Isla bella
ist dann an dem Steilhang, der bei Gon etwa 380 ra über dem
Rheinspiegel sich erhebt, und an dessen Fuss Isla Casti gelegen
ist, noch ein ansehnliches Stück Kalkgebirges entblosst Das
dunkle durch und durch splitterig rissige Kalkgestein bildet hier
ohne eine wahrnehmbare Spur von Schichtung wie aus einem
Gu8S hochragende, jähe, pfeilerartige Vorsprünge, welche, aus
einiger Entfernung betrachtet, mit ihrer weisslichen Verwitterungs-
krnste durchaus nicht das Ansehen einer compacten Felsart haben.
Gleich daneben ist dasselbe nicht durchweg in jener Weise, sondern
vielfach nur in weiteren Abstanden regelmassiger von Kluftflachen
durchzogen und zwischen solchen soliden Massen sind oft zu
Splittern zerquetschte Streifen eingeschaltet, aber wie drüben
jenseits des Rheines an der neuen Poststrasse ist auch hüben
zwischen dem verschiedenartigen Struckturverhalten eine durch-
gehend scharfe Abgrenzung nicht zu verfolgen. Von dem niederen,
ebenfalls in einer Schlinge des Rheins gelegenen Vorlande der
Isla Casti herauf lehnen zum Teil bewaldete Schutthalden an
diesen Felsen, die übrigens in bedeutendem senkrechtem Abstand
nach aufwärts dem oberen Rande von Con bis auf etwa 60 m sich
nähern. Dort in der Gegend des laufenden Brunnens krönt die
mächtige Klippen wand eine Anhäufung grosser und grosster, ja,
mitunter so riesiger Kalkblocke, dass die Frage, ob hier nicht
etwa doch ein Stück Felsen herausragen könnte, angeregt wird,
aber, da auch anderwärts solche Felsstücke lose beobachtet sind,
nicht mit Sicherheit bejaht werden kann.
Von den Kalkfelsen der La Ransun ist die oberhalb Isla
Casti aufragende Felsklippe durch eine Breccienmasse geschieden,
die eine noch ansehnlichere Breite als das durch sie abgesonderte
Stück Kalkwand einnimmt. Diese Breccienklippe ist zwar un-
ersteigbar, aber doch von oben und von den Seiten her aus
nächster Nähe zu beobachten, und nirgends tritt da in den steil
niedergehenden Schrunden eine Spur anstehenden Gesteins zu
Tage. Ebenso gestalten sich die Verhältnisse auch weiter nach W.
Von den Kalkfelsen, an deren Fuss Isla Casti liegt, bis zum
Laaxertobel ist auf eine Entfernung von etwa 4 km nirgends an-
stehendes Gestein in oder unter der mächtigen Breccienklippe
aufgeschlossen. Im Laaxertobel erst fliesst der Bach auf der ost»
174 & Härtung:
liehen Seite ungefähr 500 m an einer steilen Felswand entlang,
die bis 70 ra hoch über der Sohle emporsteigt und thalabwärts an
Hohe verliert. Diese sonst rings von der Breecie umschlossene.
Felswand besteht aber nicht mehr aus dem dunklen Kalkgestein,
sondern aus grünlichem Verrucano, wie er, in gerader Linie ge-
rechnet, schon ^km weiter westlich anstehend vorkommt.
Einen eigenartigen Anblick gewähren nun diese Breccien-
klippen, welche aus der Gegend der La Ransun hüben und drüben
bis gegen die Mündung des Laaxertobels aus der engen, vom
Rhein durchströmten Thalsohle emporsteigen« Bei Isla Casti ragt
die Wand 880» westlich davon unter Pleunca bialla 500, noch
weiter nach W. vor Tuora 250 und bei Las Foppas nnr noch
150 m über dem Rheinspiegel auf, während gegenüber die ent-
sprechende Klippe annähernd gleiche Erhebungen aufweist. Den
Gesamteindruck bedingt eine hellleuchtende, anscheinend völlig
ungeschichtete Masse, die vom Rheinspiegel jäh emporschieast und
oben in bewaldetem Klippenrand sich verliert, von Schrunden
und Wasserrissen durchfurcht und auf den zugeschärften Zwischen-
rücken hie und da mit thurmartigen Zinnen und Zacken gekrönt
ist. Erbsen-, nuss-, apfel-, faust- bis kopfgrosse eckige Trümmer,
denen grössere und grosse Steine, jedoch die letzteren nicht ein-
mal überall beigemengt sind, bilden das Material, das, felsenfest
verkittet, jähe, mehrfach völlig senkrechte, stellenweise sogar
überhängende Klippen von ansehnlicher Höhe zusammensetzt
Beinah ausschliesslich lieferte das dunkelblaugraue Kalkgestein
die Masse dieser Breccienwände, denen gegenwärtig ein herüber-
gewaschener, durch Verdunstung entstandener mörtelartiger Über-
zug eine die innere Zusammensetzung verschleiernde Gleich-
mässigkeit der äussern Erscheinung giebt, so dass beim ersten
flüchtigen Überblick das Ganze wie aus einem Guss gebildet dem
Beschauer entgegentritt. Freilich vermag auch eine genauere von
verschiedenen Punkten aus angestellte Beobachtung keine eigent-
liche Schichtung an den beiderseitigen Klippenprofilen au ent-
decken, aber immerhin heben sich an diesen grosse unregelmässig
über einander lagernde Massen ab. Das Breccienmaterial ist nicht
durchweg zu einer compacten Masse fest zusammengepackt. An
mehreren Punkten sind die eckigen Kalktrümmer, wie im Sool-
hügel bei Schwanden im Ganton Glarus, derartig mit einander
verkittet, dass überall je nach Grösse und Lage der Bruchstücke
zwischen diesen verschieden gestaltete Hohlräume zurückblieben
und die Breecie löcherig erscheint. Auch wechseln Grösse der
Bruchstücke und Ansehen der Breccienmassen hie und da zonen-
weise« Ohne dass eine scharf begrenzte Schichtung vorliegt,
markiert sich doch mitten im Absturz nur ein Stück weit eine
Das alte Bergstnngebict von Flims. 175
Lage mit auffallend grossen, der gleichmassiger zusammengesetzten
Breccie eingelagerten Blocken. Das ist z. B. im Laaxertobel zu
beobachten. Ebendaselbst ist an der linken Wand ein noch be-
deutsamerer Durchschnitt blossgelegt. Zwischen der hellaschgrau,
beinah weiss gefärbten, nur spärlich mit etwas grosseren Steinen
gespickten Breccie ist ein Stuck auffallend dunklerer bräunlicher
Schuttmasse eingeschaltet, das vorwiegend aus grosseren eckigen
Trümmern besteht, besonders nach oben scharf abgegrenzt ist* und
nach N. wie S. sich auskeilt. Oleich nordlich davon, wo die
Klippenwand schnell und ansehnlich sich erhöht, steigt in der
aschgrauen Breccie anhaltend eine gebogene scharfe Absonderungs-
linie derartig sanft nach N. an, dass von der unteren eine obere
Masse entschieden sich abhebt, während in der letzteren eine
andere noch deutlich, wenngleich weniger scharf markirte beinah
wagrechte Teilungslinie sichtbar ist.
Auffallend ist, dass die hausgrossen Riesenblocke, welche an
nnd nahe der Oberfläche so zahlreich sind, in allen jenen tiefer
herabschneidenden Durchschnitten fehlen. Das aus grosseren Steinen
und Blocken bestehende grobe und gröbste Material, welches gerade
durch sein Vorwiegen die typische Bodengestaltung der Breccien-
oberfläche bedingt, ist hier durch die herrschenden stärker zer-
trümmerten Schuttmassen zurückgedrängt. Dieses Verhalten kenn-
zeichnet die Breccienmassen auf beiden Seiten des Rheines. Vom
oberen Rande der an La Ransun entblössten festen Kalkfelsunter-
lage zieht die gleiche Anhäufung mit dem vorherrschenden groben
Trämmermaterial, das an der Oberfläche die Bergsturzlandschaften
bildet, nach westwärts nicht nur über das bei Isla Casti entblosste
Stuck Kalkwand, sondern Ober die ganze ausgedehnte Breccien-
klippe hinweg. Je weiter nach W. umsomehr wächst die Mächtig-
keit dieser Deckenschicht bis sie jenseits der Oipfel- oder Kamm-
linie wieder allmählich an Dicke einbüsst. Die Orenze ist nicht
immer eine scharfe; gelingt es überhaupt nicht überall eine solche
zu bestimmen, so hebt sich doch im Allgemeinen deutlich von der
unteren eine obere Etage durch Färbung und Ansehn auch da
noch ab, wo eine unmittelbare Berührung durch Bewaldung oder
Steilheit der Klippe ausgeschlossen wird« Auch die untere mächtigere
Etage ist, wie schon bemerkt, wenn auch nicht regelrecht ge-
schichtet, so doch ablagerungsweise gegliedert. An ihr giebt es
sogar Punkte, wo die Breccie in einzelnen herausgeschnittenen
zungenformigen Lappen mit deutlicher Schichtung unter Winkeln
von 30 bis 40 Graden gegen die Thalsohle einfallt. Erwähnt ist
auch bereits, dass unfern der Mündung des Versamtobel an der
Klippenwand verkittete Breccienmassen, nach oben ausspitzend,
an den Kalkfelsen lehnen. Nach Zusammensetzung und Struktur
176 <*• Härtung:
nicht von einander zu unterscheiden sind gegenwärtig zu Breccie
verkittete lose Massen, welche im O. scfaiattkegelartig an den Fels-
wänden des Bergkörpers lehnen, von solchen, die im W. als
Klippenwände ans dem Rhein emporsteigen. Es giebt auch Punkte,
wie z. B. im Laaxertobel , wo aus Breccie entstandenes Schatt-
haldenmaterial wiederum eine Verkittung erfuhr. Allein an der
grossen Masse, die unter Pleunca bialla am mächtigsten emporragt,
ist es schon wegen der unnahbaren Steilheit der Abstürze nicht
mehr möglich die gegenwärtige Breccie in ursprungliches und
sekundäres Bergsturz- und Schutthaldenmaterial zu sondern.
Ebendaselbst sowie weiter nordwärts an den 1247 und 1270 m
Meereshohe erreichenden Kuppen des Mutt ist es freilich nicht
möglich durch unmittelbare Beobachtungen das Dasein eines Berg-
körperrestes nachzuweisen, der, sowie weiter ostwärts, auch hier
bis zu einer den Verhältnissen entsprechenden Hohe üb.er der
Sohle des Hauptthaies sich erhebt. Wohl aber finden sich östlich
und westlich, südlich und nördlich dieser Anschwellung der Berg-
sturzmassen deutliche Reste der anstehenden Gesteinsunterlage,
welche Anhaltspunkte für die obige Annahme liefern. Auf der
rechten Seite des Rheines unterhalb Versam, an der Einsenkung,
welche die Südgrenze der Breccie bezeichnet, ragt aus dieser an
der Kuppe von 988 m Meereshöhe eine abbröckelnde Wand des
zerklüfteten und zerrütteten dunkeln Kalkgesteins. Das letztere
bildet auch oberhalb Versam an der 1047 m über Meer gelegenen
Erta Cresta eine gegen WSW. gekehrte Felswand, an der von
unten herauf Schutthalden lehnen. Links des Rheines ist der
Segnestobel, wie bereits gezeigt wurde, in dem anstehenden Kalk-
gestein eingeschnitten. Dieses tritt neben nur untergeordneten
Schutthalden im unteren Teil der Schlucht entschieden in den
Vordergrund, im oberen dagegen macht sich das umgekehrte Ver-
hältnis geltend. Hier herrschen die Schutthalden vor, welche
mit den obenauf lagernden. Trümmermassen mehr und mehr zu-
sammen Mi essen und dann zwischen inne nur noch Stücke der
bröckelnden Wand frei lassen. Hier könnte der Beobachter,
welcher nicht von S. vordringend den Übergang verfolgte, sondern
am Nordrand der Schlucht nahte, zuerst noch an lose, von
Trümmeranhäufungen umschlossene Felsstücke denken. Allein
auch hier fassen gleich unterhalb der Pintrunbrücke bis etwa 15 m
hoch aufragende Wände des dunkeln Kalkgesteins den Gebirgs-
bach auf beiden Seiten ein. Oberhalb dieser auf 780 m Meeres-
höhe gelegenen Brücke ändert sich dann der Typus der Thal-
bildung vollkommen ; statt eines engen Tobeis ist hier die Wiesen-
fläche Prada 1^ km von S. nach N. und l1^ km von O. nach
W. ausgebreitet. Ähnlich dem im Oberlauf des Thaies gelegenen
Das alte Bergstarsgebiet von Flims. 177
Segnes sät ist diese auch „Seeboden" benannte Ebene nach
südwärts ganz sanft abgedacht, aus angeschwemmtem Geröll-
material gebildet und am unteren Ende durch eine Trümmeran-
häufung abgedämmt, als deren Liegendes , wie oben bei der Alp
Platta, Kalkgestein gleich zu Anfang des tief eingeschnittenen
Tobeis zu Tage tritt« Allein während im N. bei Mulina aller-
dings das Kalkgestein mit Sudfallen unter dem Schwemmboden
der Prada einschiesst, ist dieser auf beiden Seiten nicht wie der
Segnes sut von Felswänden, sondern von Trümmermassen ein-
gefasst, die im O. bei Digg und Las Seaz 900 und 865, im W.
am Uaul grond 930 bis 960m über dem Meere und überhaupt
65 bis 160 m über der mittleren Erhebung des Seebodens empor-
ragen. Westlich der aus Trümmermassen gebildeten Bodenan-
schwellung des Mutt ist der im Grunde des Laaxertobels an-
stehende Verrucanofels bereits erwähnt worden. Reste zerfallen-
der Kalkwände sind auch nordlich davon, wo der Segnesbach in
den Halbkessel von Flims tritt, unterhalb des Falles in der kleinen
Schlucht aufgeschlossen, die an der Poststrassenbrücke unfern Flims
sich öffnet.
Bei dem Aufsuchen derartiger Bergkorperrestc zeigt sich
wohl "ein Durchschnitt, wo es den Anschein hat, als ob die zer-
kleinerten Massen das compacte Gestein trügen; allein bei näherer
Betrachtung ergiebt sich, dass die ersteren als feinere Breccie bis
auf ein steil abgeschnittenes Stück entfernt und dem Fels unten
angelagert sind. Dann vermeint der Beobachter entschieden das
anstehende zerklüftete Kalkgestein nur mit erweiterten Fugen in
gelockertem Zustand vor sich zu sehen, wie das an den Aussen-
teilen von Kalkwänden, die längere Zeit dem Einfluss des Dunst-
kreises und der Schwerkraft der eignen Massen ausgesetzt waren,
gemeinhin der Fall zu sein pflegt. Aber dicht daneben offenbart
sich an dem Durchschnitte ebenso klar die Brecciennatur und noch
ein kleines Stück weiter ist es wieder ein Absturz im Abbröckeln
begriffenen Kalkgesteins. Auch dieser Wechsel ist zu erklären.
Jähe Kalkwände sind von steil niedergehenden Schrunden durch-
furcht und diese mit ebenfalls steil lagernden Schuttmassen erfüllt.
Werden nun die letzteren im Laufe der Zeit zu Breccie verkittet,
schneidet dann die Erosion rechtwinklig zur Richtung der Schrunde
tiefer herunter, weiter zurück und aus dem Ganzen einen Absturz
heraus, so entstehen ganz naturgemäße dergleichen anscheinend
rätselhafte Durchschnitte. Kurz, alles zusammengefasst, lässt sich
das anstehende Gestein deutlich und weit genug verfolgen, um zu
dem Schlüsse zu berechtigen, dass die Flimserbreccie nicht, wie
ihre Oberflächengestaltung anzudeuten scheint, eine bis zum heu-
tigen fibeinspiegel .oder noch ansehnlicher vertiefte, halbkessel-
Zeitachr. <L GcMlbeh. I Erdk. Bd. XIX. 12
178 Gk Härtung:
formige Thalbildung erfüllt, sondern vielmehr einen durch Erosion
herausgeschnittenen and stark verkleinerten Rest des Bergkorpen
aberdeckt and teilweise verhallt.
Die Flimserbreccie liegt im Bereich, ihre Umgebangen bilden
einen Teil der grossen Glarner Doppelfalte. Wohl sind in
neuester Zeit wiederum Zweifel erhoben worden gegen die Stich-
haltigkeit dieser Deutung der geotektonischen Verhältnisse, welche
A. Escher v. d. Linth zuerst aufstellte und A. Heim in seinem
Werk über den Mechanismus der Gebirgsbildung ausführlich be-
handelte; allein weder kann bislang der Gegenbeweis als end-
gültig erbracht, noch können die anderen mehr angedeuteten ala
durchgeführten Erklärungen als durchschlagend gelten. Zum Ver-
ständnis dessen, was Über die Flimserbreccie zu sagen bleibt, ist
es notwendig, unter Verweisung auf den betreffenden Abschnitt
des oben genannten Werkes, hier die allgemeinen Züge dieser
grossartigen Lager ungs Störung und Überschiebung der Schichten-
folgen in Erinnerung zu bringen.
Die ältesten Schichten des Gebietes bestehen ans dem Ver-
rucano, aus einer Gruppe sehr verschieden zusammengesetzter
Felsarten, die einesteils Breccien, Conglomerate, Sandsteine, an-
dern teils halbkrystallinische bis krystallinische Schiefergebilde nnd,
wie die Gesteine der Sparagmit- Etage Norwegens, die ältesten
Schichten entschieden sedimentärer Entstehung darstellen. In
den Anthracitschiefern, welche vielfach im Verrucano liegen, sind
etwa 20 km westlich von unserm Gebiet am Bifertengrätli im
Canton Glarus Pflanzenreste der Steinkohlenformation aufgefunden
worden*). Während daher ein ansehnlicher Teil des so aufge-
fassten Verrucano der carbonischen Periode angehört, würden
andere Teile desselben als Vertreter älterer wie jüngerer paläozoi-
scher Perioden anzusprechen sein.
Die Bedeutung des Begriffes Verrucano wird übrigens sehr
verschieden aufgefasst. Vacek**) will eine mächtige Gruppe von
Dolomiten, Schiefern und Sernifiten, „deren Gliederung noch
lange nicht durchgeführt ist*4, als „ Verr ucanoreihe tt und als eine
„Tiras-Rhät-Gruppe" aufgefasst wissen. Rothpletz***) scheidet
ganz sachgemäss archäische, silurische and carbonische Äquivalente
*) A. Rothpletz: Die Steinkohlenformation und deren Flora a. d. Oft*
Seite des Tödi. Abh. d. Schweiz, geol. Ges. Bd. 6. 1879.
**) Vacek: Über die Schichtenfolge in der Gegend der Glarner Doppel-
falte. Verh. d. k. k. Reichsanstalt, Wien 1881. No. 3, S. 43.
***) A. Rothpletz: Zum Gebirgsbaa der Alpen beiderseits des Rheines.
Zeitschr. d. Deutsch, geol. Ges. XXXV. (1883) I. S. 134.
Das alte Bergsturzgebiet von Flims.
179
als altere Gebilde von den Verrncanogebilden, die er in eine
untere dem Rothliegenden entsprechende Verrucanostufe nnd in
eine obere dem Zechstein sich anschliessende Dolomitstufe sondert.
Diese Dolomitstufe entspricht der Röthigruppe, welche Heim auf
den Verrucano folgen lasst nnd ebenfalls dem Zechstein der per-
mischen Formation vergleicht, so dass ein Teil des darunter
liegenden Verrucano das Rothliegende vertreten würde. Nach
Heim und Vacek bildet der Verrucano die concordante Grund-
lage der Sedimente der jüngeren Formationsreihen, nach Rothpletz
liegen die unter sich concordanten mesozoischen Schichten dis-
cordant auf den permischen, nach Allen trägt der Verrucano, wo
er normal liegt, als älteres Glied die Schichtenfolgen der jedesmal
vorhandenen jüngeren Flötsformationen. Wo nun aber am Vorab
und in den Einschnitten des Sether-, Laaxer-, Segnes- und Rusna-
baches das Liegende unter dem Verrucano aufgeschlossen ist, da
wird es nicht von den älteren Gesteinsmassen, sondern von den
jüngeren Flotzformationen gebildet. Die Überschiebung der Schich-
tenfolgen, die hier stattgefunden hat, veranschaulicht die folgende
schematische Obersicht.
Norden.
GewölbeschenkeL
E O C E N
KREIDE
JURA
Gewölbe-
bie-
gung.
Hittel-
schenkel,
VERRUCANO_
-VERRUCANO-
J ü R A
KREIDE
Gewölbe-
kern. —
Mittel-
schenkel.
Mulden-
kern.
-E 0 C E N-
E 0 C E N
KREIDE
JURA
VERRUCANO -J
Muldenschenkel.
Süden.
Mulden-
bie-
gung.
Die durch Überschiebung entstandene liegende Sudfalte der
Glarner Doppelfalte ist nicht wagerecht, sie steigt vielmehr von S.
nach N. an, es fallen in ihr die Schichten von N. nach S. ein
und ee muss demgemäss das Blatt mit der schematischen Über-
sicht von links nach rechts überkippt werden, um den Sachverhalt
richtiger zu veranschaulichen. An dem Gewölbeschenkel , in
welchem die Schichtenfolgen normal übereinander liegen, sind
12*
180 ö. Härtung:
Eocen, Kreide and Jura nicht mehr vorhanden; gegenwartig bildet
hier der Verrucano die Oberfläche von Hochgebirg und Abhängen.
Unter ihm sind in den Thaleinschnitten die Schichten des Mittel*
und Mulden Schenkels bis anf dessen Verrucano, der hier nirgends
entschieden zu Tage tritt, mehr oder minder vollständig auf-
geschlossen. Da wo diese Schichten in Folge der Faltung empor-
geschoben und in der Maidenbiegung nach nordwärts am- and
übergelegt sein müssen, sind einesteils an den sichtbar vorhandenen
Resten des Bergkörpers die Kalkgesteine in der früher erwähnten
Weise durch und durch zerklüftet, gleichsam zerschiefert, sowie
andernteils die bedeutendsten Massen der Flimserbreccie angehäuft.
Nach Rothpletz*), der als Gegner der „Faltungstheorie* die Ur-
sächlichen Lager ungsverhältnisse durch Verwerfungen and Ver-
schiebungen zu deuten versacht, wenden sich in der Südfalte die
Schichten des Perm, des Jura, der Kreide und des Eocen im N.
des Vorderrheinthaies C-formig um, so dass eine grosse liegende,
nach N. offene Mulde entsteht. In der oben gegebenen Schema-
tischen Übersicht würde sonach dem Muldenkern die nach N.
offene Mulde, dem Mittelschenkel mit den normal und in um-
gekehrter Reihenfolge entwickelten Schichten aber der C-formig
umgebogene Muldenschenkel entsprechen, Ist hier schon nicht
der Ort, so ist es überhaupt nicht einmal notwendig, behufs einer
Deutung der Entstehung und Ablagerang der Flimserbreccie auf
eine Erörterung der beiden genannten Auffassungen weiter ein-
zugehen. Welcher derselben der Vorzug schliesslich eingeräumt
werden mag, jedenfalls müssen in dem in Frage stehenden
Gebiet in Folge der bedeutenden Schichtenstorungen sehr an-
sehnliche mechanische Kraftäusserungen auf die Gesteine einge-
wirkt und deren eigenartiges Verhalten in hohem Grade beein-
flusst haben.
Rings um die Flimserbreccie haben die Schichten Südfallen.
An der Nordgrenze ragt über der Breccie empor, schiesst nnter
ihr ein die Hauptmasse des Muldenschenkels, der Malm oder
Hocbgebirgskalk des Oberjura. Aus Malm besteht ebenfalls die
Hauptmasse der Trümmer, denen indessen, wie später gezeigt
werden soll, auch Bruchstücke anderer Felsarten, an gewissen
Punkten selbst gruppenweise beigemengt sind. An der Südgrense
dagegen ragen über der Breccie empor und fallen von ihr weg
die Schichten des Bündnerschiefers. Wie das beim Verrncano
der Fall ist, so ist auch die Bedeutung des Begriffes „Bündner-
schiefer" noch umstritten. Als graue und schwarze Thon- ssd
Mergelschiefer, die durch zunehmenden Kalkgehalt in mehr oder
•) A. a. O. a 162.
Das alte Bergsturzgebiet von Flims. lg l
weniger reine Kalkschiefer übergehen, aber auch stärker durch
Kieselgehalt verkittet sind und durch Aufnahme von Glimmer
selbst dem Glimmerschiefer ähnlich werden, die mit dunkelgrauem
Kalk, mit kieseligem Sandstein und Sandstein schiefern wechseln,
unterscheiden sich die mächtig und weit nach S. wie auch nach
NO. über das Prättigau verbreiteten Bundnerschiefer petrographisch
von den Massen der' Breccie. Vacek mochte die Bundnerschiefer
als eine mächtige Ealkthonphyllitformation als Basis der von ihm
als Tria8-Rhät-Gruppe aufgefassten Verrucanoreihe hinstellen. Heim
schliesst sich der Annahme der Forscher an, welche die Bundner-
schiefer als Lias oder Unterjura ansprechen; als solche sind sie
nach ihm hier „an der Sudgrenze der Glarner Doppelfalte von
dieser ganz unverrückt an ihrer Stelle gelassen worden a. Auch
hier ist es nicht notwendig, behufs einer Deutung der Fliraser-
breccie auf die streitige Auffassung weiter einzugehen.
Im W. der Flimserbreccie ist die Verrucanodecke vom Hoch-
gebirge bis an und über die Thalsohle hinaus, wo sie in der
Pradella den Felsenkanal des Rheines bildet, als zusammen-
hängende Masse ausgebreitet. In derselben Richtung fällt sie
nicht nur ab, es nimmt auch ihre gegenwärtige Mächtigkeit von
NNW. nach SSO. mehr und mehr zu. Im O. des grossen
Trümmerfeldes ist aus der Gegend von Trins nach Tamins am
unteren Berggehänge ein Stuck Verrucanodecke und im N. wie
NO. des erstem sind von dieser nur auf den Kämmen und zwischen
den Thaleinschnitten mehr oder minder bedeutende Reste übrig
geblieben. Wie bemerkt, fliesst der Bach im Laaxertobel, der
im Mittel 200 m tief eingeschnitten sein mag, auf der ostlichen
Seite ungefähr 500 m weit an einer aus Verrucano bestehenden
Felswand entlang, die bis 70 m über der Thalsohle sich erhebt
aber thal abwärts an Hohe verliert. Eine Schätzung, welche die
mittlere Hohe gering mit 35, die Tiefe oder Breite, trotzdem eine
seitliche Fortwaschung augenscheinlich eine um das Mehrfache
grossere Ziffer zulässt, mit nur 30 m ansetzt, würde bei 500 m
Länge eine Felsenmasse von schon 525 000kbm Rauminhalt er-
geben. Nirgends ist aber ein auch nur annähernd ähnlich grosses
loses Felsstuck beobachtet worden. Die zahlreichen, mehrfach
erwähnten Riesenblocke haben vielmehr nur etwa den Umfang des
mächtigen Kalkblockes, der unfern Chur bei Felsberg im J. 1844
herabgestürzt sein soll und nach einer fluchtigen Schätzung wohl
2500 kbm messen mag. Wenn auch in der Flimserbreccie die Riesen
unter den Riesenblöcken doppelt so gross wären, so wurden sie
bei 5000 kbm immer erst den hundertsten Teil jener offenbar zu
gering abgeschätzten und nur zum kleinsten Teil sichtbaren Fels-
masse ausmachen. Dieselbe besteht aus grünem, schiefrigem Talk-
182 ö. Härtung:
quarzit, der mit Säure stark braust, aber im Übrigen den gleich
westlich des Dorfes Laax anstehenden Verruca nomassen sich an-
reiht. Eine eigentliche Bankung hebt sich wie anch sonst mit
Sicherheit nicht ab, aber wie an der benachbarten Verrncanodecke
fallen die Flächen des eher dick- als dünnschiefrigen Gesteins
übereinstimmend mit der allgemeinen Abdachung des Schichten-
systems unter Winkeln von 15 bis 20 Graden südwärts ein. An
der gegenüberliegenden westlichen Thalwand ist nichts von dem
Verrucanofels entblost, welcher daher rings von Kalkbreccie der-
artig umschlossen wird, dass die letztere mächtig in jähem Absturz
auch darüber emporsteigt. Von diesem Felsen bis Trins ist im
Bereich der Flimserbreccie kein anstehender Verrucano auf-
geschlossen, aber von Trins bis Tamins steigt derselbe „vom Rhein
mit steilem Südfallen nordlich in die Höhe". Dort hat Heim
„die scharfe Aufbiegung der Schichten des Muldenschenkels nnd
das nordliche Überlegen desselben zum beginnenden, stückweise
an seiner Basis erhaltenen Mittelschenkel des deutlichsten" erkannt.
Hier, im Laaxertobel, ist davon nichts wahrzunehmen. Der Rest
Verrucano, welchen die Erosion in dem alten unteren Laaxerthale
biossiegte, ist, als dieses mit Trümmermassen erfüllt ward, voll-
ständig von den letzteren überdeckt worden.
Die Hauptmasse der Flimserbreccie besteht also entschieden
aus Hocbgebirgskalk ; allein neben diesem finden sich in jener
häufig einzelne Bruchstücke, wiederholt zusammenschliessende
Trümmeranhäufungen von Verrucano und zwar durchaus nicht
allein nahe der Grenze, sondern vielmehr meistenteils entfernt
von den Abstürzen des anstehenden Gesteins. Wo ostlich des
Laaxertobels die Terrasse von Laax gegen Salums hin, bei drüben
1023 und hüben 1015 m Meereshohe, sich abhebt, ging ich anf
dem Feldwege 45 Schritte weit über Verrucanofels, in welchem
die Wagenspur ein paar Zoll tief eingeschnitten war. Das Liegende
ist nirgends aufgeschlossen. Ob hier aus der losen Decke nur
gerade die Oberfläche einer Felskuppe oder eines abgetrennten
Felsstück e 8 herausragt, lässt sich nicht entscheiden, weil Riesen-
blocke der entsprechenden Grosse allerdings vorkommen. Von
der Stelle aus aber herrschen Trümmer und Blocke desselben
grünlichen Verrucano für 60 bis 100 m senkrechten Abstandes
auf einem ansehnlichen Stück des steilen waldbewachsenen Ab-
hanges, während nach S., W., N. und O. Kalktrümmer angehäuft sind.
Ebensolche Stellen finden sich inselartig mitten in der Kalkbreccie
ostlich von Salums am oberen Rande der Terrasse von Tuora auf
960, noch weiter nach O. auf 1000 m und annähernd im gleichen
Niveau nordlich davon gegen den Segnesbach hin. Dass aber
diese Schuttmassen nicht etwa als Erraticum, sondern als «er-
Das alte Bergs tarzgebiet von Flims. 183
trümmerte Verrucanoschollen aufzufassen seien, dafür spricht das
folgende Vorkommen.
Bei Flims und den Waldhäusern lagert eine Verrucanoschutt-
Insel, die von O. nach W. 2 km lang, von S. nach N. gegen l^km
breit ist und vom Segnesbach bis zu einer Tiefe von 50 m aber
nicht bis zu ihrer unteren Grenze durchschnitten wird. Unterhalb
der oberen jähen Wand des Flimserstein folgt ein zweiter viel
niedriger Absturz von Hochgebirgskalk , über welchem die Alp
Spaligna sowie die Ortschaften Scheia und Fidaz auf einer um
15 bis 20 Grad südwärts abgedachten Terrasse liegen. Unterhalb
des letzteren Absturzes fallen dann die Platten desselben Hoch-
gebirgskalkes , unter dünner loser Decke mehrfach entblösst, 15
bis 20 Grade sudlich ein und auf diesen sudfallenden Schichten-
flächen lagert zunächst die von W. herab verlängerte Kalk-, dann
die Verrucanobreccie. Die Westgrenze der letzteren zieht gleich
oberhalb des Ortes Flims bis an und dann um die Waldhäuser;
ein breiter Gürtel Kalkbreccie sondert sie vollständig von dem
im W. anstehenden Verrucano. Von der oberen Brücke bei 1075 m
bis zur unteren bei 995 m Meereshohe bildet die Verrucanobreccie
beide Ufer des Segnesbaches ; sowie westlich von Flims tritt unter
ihr im O. der unteren Brücke als Liegendes Kalkbreccie heraus.
Diese unterlagert und umgiebt also auf drei Seiten das Stück
Verrucanobreccie, während auf der vierten, im N., Kalkschichten
darunter einschiessen. Die Verrucanobreccie besteht aus wild
durcheinander geworfenen, mit feinerem Schutt gemischten Blocken
oder Felsstücken. Die Oberfläche stellt nicht durchweg eine Berg-
stnrzlandschaft dar, sie ist meist geebnet, mit Pflanzenwuchs und
Äckern bedeckt, was wohl dem leichtern Zerfallen der blättrigen
Schiefer zuzuschreiben ist. Dem allgemeinen Typus nach schliessen
sich diese Verrucanomassen mehr denjenigen des Flimsersteines
als denen des Grap St. Gion an; es sind grünliche, chloritische
Talkqoarzitschiefer, aber nicht kornig wie diese, sondern dichter,
thonschieferähnlich , wellig und oft glänzend wie jene. Gleiche
oder nahe übereinstimmende Massen lagern, von obigen völlig ab-
gesondert, bei Alp Spaligna auf um 25 bis 30 Grad südfallendem
Hochgebirgskalk. Es ist augenscheinlich keine festzusammen-
schliessende Felsen-, sondern eine Trümmerdecke, die von O.
nach W. für ein paar Hundert Schritte anhält, im S. über dem
Absturz von Hochgebirgskalk und nach N. unter der Grasdecke
der Alp weide schnell endet. Die Massen derartiger zertrümmerter
Verrucanoschollen konnten inmitten der Kalktrümmer eines ein«
zigen grossen Bergsturzes unmöglich so zusammenhalten, dass
höchstens an den Rändern der gegenwärtigen Inseln eine Mischung
der beiden Felsarten stattfand. Wohl aber ist es denkbar, dass
134 G- Härtung:
bei wiederholten kleineren Bergstürzen grossere und grosse Ver-
racanoschollen als unterscheid bare Trümmerinseln zurückblieben.
Wie bemerkt müssen die Schuttanhäufungen wahrend der
Eiszeit bereits vorhanden gewesen sein. In seiner späteren Arbeit
macht Heim darüber folgende Angaben: „In der Nahe von Lau,
bei Carrera und in dem Stück, welches zwischen dem alten
Strasschen von Bonaduz nach Versam nnd dem Rhein liegt, habe
ich eine ziemliche Anzahl gewaltiger erratischer Blocke oben auf
dem Bergschutt liegend gefunden. Sie bestehen meistens aus
dem Hornblendegranit von Val Pnntaiglas nnd Val Frisal nnd hie
und da noch aus anderen im höheren Oberland aber nicht im Ab-
rissgebiet des Bergsturzes vorkommenden Gesteinsarten. tt Ausser-
dem kann ich linksseitig des Rheines, ostlich des Laaxertobels,
die Umgebung von Salums nennen nnd als Fundstellen von Puntai-
glas-Granit die nachstehenden Punkte bezeichnen. Blocke dieses
Hornblendegranit sind im W. noch über den Abhang von Fellers
gegen Laax herunter zahlreich verstreut; ostlich des Laaxertobels
sind sie dann ungemein selten. Ein rnndlicher Block, vier Fass
lang und breit, liegt an der nordwestlichen Ecke der Terrasse
von Tuora. Auf der linken Seite des Rheines folgen weiter nach
O. hintereinander als Fundstellen die Terrasse von La Ransnn,
dann die Prada und endlich ein terrassenartiger Absatz aber dem
Steilhang, welcher die Türkenisla überragt. An diesen Punkten
konnten nur Steine, welche um Parzellen abzugrenzen in den
Boden gesteckt waren, aufgefunden werden. Allein, da sonst meist
Kalksteine als Marken dienten, ist nicht anzunehmen, dass der
Granit zu dem Zweck besonders herbeigeschafft worden sei; auf
der Prada lag ein Stück des zerschlagenen Blockes noch im Grase.
Auf der rechten Seite des Rheines fand ich Blocke am alten
Wege von Versam nach Bonduz unterhalb Weiermühle schon auf
der Ebene.
Wie spärlich die erratischen Blocke auch immerhin sein
mögen, so sind sie doch beiderseits des Rheines etappenweise auf
der ganzen Schuttanhäufung gefunden worden. Die Terrassen
aber, auf denen sie lagern, müssen vor der Eiszeit dagewesen
sein. A. Bodmer nimmt an, dass der Flimser Bergsturz als
Schuttriegel, der später durchsägt ward, den Rhein staute. Ans
seiner Abhandlung*) muss ich die folgenden Sätze wortlich an-
führen. „Die Terrassen Vallendas, Carrera, Planessas, Las
Foppas, Tuora, La Ransun, Crestaulta, Mulins entsprechen der»
jenigen von Seewis. Diese Systeme bezeichnen Perioden, während
welchen der (aufgestaute) See annähernd das gleiche Niveau bei-
*) A. Bodmer: Terrassen und Thalstufen der Schweiz. Zürich 1880. 8. 26.
Das alte Bergsturzgebiet von Flims. 185
behalten hatte. Soweit wäre Alles leicht verständlich; nun kommen
aber zwei Umstände, welche mir einstweilen noch an erklärlich
sind: einmal reihen sich in diese Systeme von Schott- und Ge-
schiebeterrassen im Gebiet des Vorderrheins and Glenner auch
Terrassen im anstehenden Fels ein. Ferner finden sich im Hinter-
rhein and Albalagebiet die gleichen Terrassensysteme ebenfalls
vor. — Diese Übereinstimmung wäre allenfalls noch erklärlich
durch die Annahme, der Bergsturz habe auch den Hinterrhein
gestaut; wenn dies auch der Fall war, so erreichte die Stauung
doch kaum die gleiche Hohe wie beim Vorderrhein. Nun finden
wir aber das gleiche System der Flimserterrasse wieder in den
Gebieten der Landquart und Tamina, welche vom Bergsturz ab-
solut nicht beeinflusst wurden. Sollte dieses Correspondieren von
Schuttterrassen mit Felsterrassen, welche viel älter sind als jene,
nur Zufall sein?" Es ist aber im Obigen gezeigt worden, dass
die Terrassen von La Ransun, Grestaulta und Mulins nicht
ursprünglich Schutt-, sondern vielmehr Felsterrassen sind. An
den übrigen von Bodmer genannten örtlichkeiten ist dies nicht zu
erweisen; allein hier können einesteils die Reste des Bergkörpers
anter den Breccien stecken, oder aber andernteils alte festver-
kittete Massen der letzteren erodiert worden sein.
Ging mit einem Schlage ein grosser Bergsturz nieder, dann
mussten vor dem Ereignis das Rheinthal wenigstens ebenso tief, das
untere Segnes- and das untere Laaxerthal entschieden beträchtlich
tiefer als gegenwärtig gewesen sein; wiederholte Bergsturze aber
konnten zu verschiedenen Zeiten während des Prozesses der
Thalbildung stattfinden. Im ersten Falle wäre das geologische
Alter der Gesamtmasse, wie Heim folgerichtig annimmt, vor den
Beginn der Eis- oder spätestens in die Interglacialzeit zu ver-
legen, im letzteren wurde es einen viel bedeutenderen Abschnitt
umfassen und einesteils bis in viel frühere Epochen zurück-, sowie
andernteils wahrscheinlich in noch spätere hinaufreichen. Zu der
Entstehung und Ablagerung der Breccie steht die Thalbildung
offenbar in naher Beziehung. Im W. unseres Gebietes zieht der
Sethertobel wie die Mehrzahl der anderen seitlichen Thalfurchen
vom Gebirgskamm herab rechtwinkelig gegen den Rhein, in den
er oberhalb Ilanz einmundet. Aber unmittelbar ostlich daneben
fallen die nächsten auf dem Hochgebirge entspringenden Wasserläufe
mit sudsndostlicher Richtung in den oberen Laaxerbach, der von
WNW. herabkommt und herumschwingend erst im Unterlauf nach
SSO. sich wendet, um unter rechtem Winkel dem Rhein sich zu
vereinigen. Dem entsprechend tritt der Bergstock des Grap St.
Gion als ein abgesondertes Stuck Bergkörper heraus, welches für
sich durch den Schleuiser Tobel nach dem Rhein und durch Val
186 G. Härtung:
Buglina nach dem unteren Laaxerbach entwässert wird. Ebenso
wird auch weiter nach 0. hin, gleichsam als eine Fortsetzung des
genannten Bergstockes, einstens ein Stuck Bergkörper durch die
Erosion aus dem Oebirgshang herausgeschnitten worden sein.
Von der grossen Beuge ist das untere Segnesthai, bevor es mit
Schutt aufgefüllt ward, sicher ansehnlich tiefer gewesen als jetzt.
Dasselbe gilt vom unteren Laaxerthal, von dessen ursprunglichen
Seitenwänden im heutigen Laaxertobel der erwähnte Verrncano-
fels als einsiger Rest zurückblieb. Hier ist offenbar eine Thal-
furche, die tiefer als gegenwärtig herabreichte, mit Schutt auf-
gefüllt und in diesem wieder teilweise ausgewaschen worden. Ob
nun der obere Laaxer- und der untere Segnesbach überhaupt
einmal vereint in der Richtung des erstem dem Rhein zuströmten
und Val Buglina so lange allein das untere Laaxerthal vertiefte,
oder ob jene beiden Hauptseitenbäche des Rheins stets annähernd
die gegenwärtige Richtung verfolgten, immer wird durch diese tief
herabschneidenden Thalfurchen ein dreieckiges Stuck Bergkorper,
dessen Spitze nach O. gerichtet war, von der allgemeinen Ab-
dachung abgetrennt worden sein. Im Segnestobel, an dessen
Mundung, an La Ransun und oberhalb Isla Gasti sind noch Reste
dieser abgesonderten, ausspitzenden Oebirgsmasse augenscheinlich
vorhanden, weiter nach W. hin liegen sie unter Trümmeranhän-
fungen vergraben. Bevor der untere Segnesbach dem tiefen,
gegenwärtig mit Schutt aufgefüllten Thalweg folgte, wird er in
höherem Niveau erst über der Prada, dann nordlich der Schutt-
massen von Crestaulta und Digg nach dem Rhein geflossen und
wird demgemäss die Spitze des Dreiecks bis dahin verlängert ge-
wesen sein.
An Ursachen, welche Bergsturze bewirkten, fehlte es augen-
scheinlich nicht. An der Wurzel der Falte, oder da wo nach
Rothpletz die C-förmige Umbiegung stattgefunden haben mnsste,
ist der Kalkstein meist durch und durch splitterig rissig, förmlich
zer8cbiefert. Auch noch nordlich dieser Linie und des Segnes-
baches, an der Poststrasse, die von Flims nach Trine fuhrt, ist
unterhalb des Absturzes der Terrasse von Scheia und Fidaz der
Hochgebirgskalk stellenweise stark zerklüftet. Dies Verhalten
zeigen kleine Steinbruche, in welchen die Wegearbeiter ohne
Mühe den Schotter aus zerschieferten Stellen gewinnen, indem sie
die massigeren, nur in gewöhnlichem Masse durchklufteten Partien
unberührt stehen lassen. Bis hier herauf hat der mechanische
Druck in anscheinend allmählich nachlassender Kraftäusserung seine
Einwirkung geübt. Auf dem durch den oberen Laaxerbach ans
dem Hochgebirge herausgeschnittenen Stück Bergkörper sind die
Verrucanofelsen, wie auch Heim betont, von der Höhe des Crap
Das alte Bergatnrzgebiet von Fliras. 187
St. Oion bis unterhalb der Kuppe von Fellers ungemein zer-
klüftet von Spalten, die oft weit klaffen and, mit Schutt erfüllt,
bei 10 m Tiefe anscheinend noch lange nicht ihr unteres Ende
erreichen. Solche Spalten mögen auch über die ehemalige nach
ostwärts zugespitzte Verlängerung des Crap St. Gion sich erstreckt
haben. Als dann die Erosion an allen Seiten dieses dreieckigen
Stuckes Bergkörper herunterschnitt, war reichliche Veranlassung
zu Bergstürzen gegeben. Nicht allein vom Flimserstein und aus
dem oberen Segnesthai, auch von dem durch den unteren Segnes-
bacb, den Rhein und den unteren Laaxerbach umschriebenen
Dreieck, sowie von dem durch den Rhein abgeschnittenen rechts-
seitigen Stück Wurzel der Falte stammen die Trümmermassen des
grossen Schuttgebietes der Flimserbreccie.
Im oberen Teil des Laaxerbach-Entwässerungsgebietes ent-
stand eine ansehnliche Thalkesselbildung, welche von O. nach W.
5'/ und von S. nach N. 4^ km im Durchmesser hat. Am tiefsten
schneidet der Laaxerbach in der Hauptfurche herunter. Seine
rechte Seite bildet der hochragende steile Abhang des Crap St.
Gion, seine linke eine ebenfalls steile aber bedeutend niedrigere
Wand und über dieser erhebt sich der Boden zwischen den seit-
lichen Wasserläufen fächerartig gegen WNW. bis NNW., so dass
eine von der Verrucanodecke befreite Einsenk ung entsteht, welche
kreisförmig von höher ragenden aus Verrucano bestehenden Kämmen
and Zacken umgeben ist. Nur gegen O. fehlt die Verrucano-
einfassung nicht nur da, wo der Laaxerbach nach dem Flimser-
kessel durchbricht, sondern auch noch ein Stück nordwärts herauf
an der Wasserscheide zwischen den Entwässerungsgebieten des
Laaxer- und Segnesbachefe. Dieser nur niedere Teil der Wasser-
scheide wird anscheinend von der bereits früher erwähnten oberen
Kalkbreccie gebildet, thatsächlich aber bedeckt letztere einen aus
Hochgebirgskalk bestehenden Rest des Bergkörpers. Dem flüch-
tigen Blick erscheint die Breccie in ansehnlicher Mächtigkeit der
rechten Wand des Segnesthaies aufgelagert; bei genauerer Unter-
suchung zeigt sich, dass hier aus den Trümmermassen Teile des
geschichteten, nunmehr abbröckelnden Kalkfelsens herausragen.
Aus dem letzteren bestand der bereits von der Verrucanodecke
befreite, über verschmälerter Grundlage aufragende, zugeschärfte
Wasserscheidenrand; dieser aber entsandte den auf der Seite des
Laaxer Entwässerungsgebietes ausgebreiteten Schutt und zerfiel
schliesslich an dem Rest Oberfläche zu Trümmern, so dass die
gegenwärtig vorhandenen Anhäufungen zum Teil von Bergstürzen
herrühren, zum Teil ein sogenanntes Felsenmeer bilden. Die
Bergsturz]and8chaft dieser Gesamttrümmermasse hebt sich aber
um so schärfer von den Umgebungen ab, als an den Hängen
188 G. Hartuog:
der grossen Laaxer Thaleinsenkung anter ganz spärlich ausge-
breiteter loser Decke überall die südfallenden Schichtenflachen an
Tage treten.
Die obige Erscheinung wiederholt sich am Ostende des Crap
St. Oion zwischen der Mundo ng des obern Laaxertobels and der
Val Buglina. Von oben ziehen da Trümmermassen als Bergstnrz-
landschaft herab und mischen sich unten mit denen der Flimser-
breccie. Diesem Trümmerhang gegenüber, jenseits des Laaxer-
baches in der Richtung gegen den Rhein hin, erheben sich die
Trümmerkuppen des Mutt mit gemeinsamem Unterbau 150 bis
200 m über den Schuttumgebungen. Wie das Ostende des Crap
St. Gion und wie jene Wasserscheidenbreccie, konnte auch diese
bis zu 1247 und 1270 m Meereshöhe ansteigende Erhebung einen
Felsenkern bergen und von diesem die völlig an Trümmern zer-
fallene Oberfläche darstellen, welche nunmehr mit den ringsum
lagernden Bergsturzmassen gemeinsam eine grossartige Bergstnrz-
landschaft bildet.
Schuttanhäufungen, welche die Boden der in den Flimser-
kessel einmündenden Thalfurchen oder Runsen füllen, mischen
sich mit der Flimserbreccie in einigen Fällen nicht, in andern
vollständig. In dem grossen nordlich des Flimsersteins tief ein-
gesenkten Thalkessel der Trinser Alp oben am Fasse der Ab-
stürze der Ränder mächtige Schutthalden, darunter massig ab-
gedachte Hänge mit nur dünner, mehrfach unterbrochener loser
Decke, erst unterhalb des Zusammenflusses der Gabeläste eine
Blockanhäufung von vorherrschend Kalk-, daneben auch Verrucanc-
gestein und ein paar Hundert Fuss Mächtigkeit, welche der Bach
in einer Felsenrinne umgeht, dahinter die kleine ebene Thalstnfe
der Alp Rusna, davor etwas weiter thalabwärts die bedeutendere,
ebenfalls ebene und sanft abgedachte von Bargis und endlich vor
dieser an der Mündung in den Flimserkessel ein abdämmender
Trümmerwall von 14 bis 30m Hohe. Der letztere, den der
Rusnabach durchbricht, bildet das obere Ende des Trümmerfeldes
des Uaul de Fidaz (des Fidazwaldes), welches am Abhang herab-
zieht, aber nur unvollkommen mit demjenigen der Flimserbreccie
sich mischt, weil in der Grenzzone überall zwischen inne die
südwärts einschiessenden Kalkschichten deutlich zu Tage treten.
Weiter nach W., im Winkel nordostlich von Flims, ist das Tom
Fuss des Flimsersteinabsturzes herabkommende Trümmerfeld des
Uaul Preuls von der Flimserbreccie vollkommen gesondert. Da-
gegen ziehen aus dem oberen Segnes- und aus dem oberen Laaxer-
thal Tiümmermassen herab, die sowohl mit einander wie auch mit
denen der Flimserbreccie vollständig zusammenfliessen. Aach im
oberen Laaxerthal dämmt eine Schuttanhäufung den geebneten, sanft
Das alte Bergstaragebiet von Flims. 189
abfallenden Boden II Pleun ab. Dieselbe besteht rechtsseitig erst
aus Bruchstücken von Verrocano und Kalk, dann nur aus solchen
von letzterem. Während diese Schuttanhäufung vom Rande II Pleuns
längs des Laaxerbaches herab, sowie zum Segnesbach herüber un-
unterbrochen fortsetzt und mit der Flimserbreccie verschmilzt, ver-
hüllt sie das Felsengerüste auf der rechten Thalseite vollständig«
auf der linken grossenteils, nämlich bis dahin, wo es im Eckpfeiler
der Crest la pligliusa (1700 m auf der Karte) wieder deutlich heraus-
tritt. Dasselbe gilt schliesslich von der Val Buglina, aus deren
Boden und von deren linksseitigem, dem Ostende von Grap St. Oion
angehörendem Gehänge die Trümmermassen in den Flimserkessel
hinausreichen und mit denen des letzteren zusammenfliessen.
Alle diese Schuttmassen, welche an den Seitenwänden und
in den Thalwegen der in den Flimserkessel einmündenden Thal-
furchen, an der Alp Platta sowie auf der Wasserscheide zwischen
dem oberen Segnes- und dem oberen Laaxerthal angehäuft sind,
würden als gewöhnliches Bergsturzmaterial die Annahme einer
aussergewöhnlichen Bergsturzkatastrophe durchaus nicht veranlasst
haben, wenn ihnen nicht diejenigen sich angeschlossen hätten,
welche jenes durch die Erosion herausgeschnittene Dreieck um-
und überlagern. Dieses Dreieck besteht aber von der Ostspitze
nach W. zu in seiner ostlicheren Hälfte ersichtlich aus einer nur
von Trümmern überdeckten festen Gesteinsgrund läge, welche bereits
vor der Ablagerung der ersteren zwischen dem unteren Segnesthai
und dem Rhein die Wasserscheide bildete. Die letztere behielt
der grosseren Breite entsprechend im W. die bedeutendere Hohe;
wie an der Wasserscheide zwischen dem. oberen Segnes- und dem
oberen Laaxerthal, zerfiel auch an dieser der durch die Erosion
verschmälerte Kamm schliesslich zu Felsenmeeren und das End-
ergebnis war eine oberflächliche Anhäufung von Trümmern, welche
mit den die Thalfurchen auffüllenden und vom fliessenden Wasser
wiederum durchsägten Breccien den eigentlichen Kern verdeckte
und so als ein in den Flimserkessel hineingeworfenes Haufwerk
sich darstellte, dessen grosste Erhebung in der Verlängerung des
oberen Segnesthaies liegt und vor dessen Masse die zwei bereits
einander genäherten Seitenbäche des Rheines nach rechts und links
auszuweichen scheinen.
In Übereinstimmung mit A. Heim ist im Obigen die Be-
zeichnung „Bergsturz" als die allgemeine aufgefasst, neben welcher
besondere Vorkommnisse unter speziellen Bezeichnungen zusammen-
zustellen sind. Nach der von ihm selbst anderwärts gegebenen
Übersicht*) kennzeichnet er den Flimserbergsturz als Felsschlipf
*) A. Heim. Über Bergstürze. Zürich 1882.
190 ö. Härtung:
mit gleitender Bewegung, Schicht auf Schicht. Seine Auffassung
stützt sich auf die Bodengestaltung des oberen Segnesthaies und
des Flimsersteines. Durch das erstere, durch den Kessel der
Trinseralp, durch das Rusnathal und durch den Flimserkessel wird
der Flimserstein als ein parallelepipedisches Stuck Bergkörper, das
von NNW. nach SSO. 4^ und von WSW. nach ONO. 2 km misst,
so vollständig aus dem Gehänge herausgeschnitten, dass es nur
am oberen Ende noch mittels eines schmalen Ausläufers mit dem
Hochgebirg Zusammenhang behält. Vom nordlichen Rande aus
2690 bis zum sudlichen mit 1920 m Meereshöhe senkt sich die
Oberfläche im Mittel unter einem Winkel von 11 Graden and
stürzt, mit alleiniger Ausnahme jenes Verbindungsgliedes, ringsum
mit jähen Felswänden in die Tiefe. Der senkrechte Abstand
dieser Abstürze schwankt zwischen 200 und 850 m; derselbe ist
im allgemeinen am bedeutendsten an der nördlichen und östlichen
Wand und diesem Verhältnis entspricht der vom oberen Rand der
Klippe zur Thalsohle gemessene wagerechte Abstand, welcher im
N. und O. \£ bis ^ im W. und S. dagegen \\ bis 2km be-
trägt. In den letztgenannten Entfernungen zieht parallel dem
oberen ein viel niedrigerer unterer Absturz zusammenhängend ent-
lang und zwischen beiden senkt sich ein im Mittel um 15 bis
30 Grade geneigter Abhang, welcher westlich des Flimsersteins
die Alpen Flida, Foppa und Spaligna, südlich desselben die Ort-
schaften Scheia und Fidaz trägt.
Wie bemerkt entsteht das Segnesthal auf dem Hochgebirg
aus zwei Gabelästen. Wo der westlichere, welcher als der be-
deutendere und tiefer eingeschnittene durchzieht, die Thalstufe des
Segnes sut bildet, stürzt auf diese der Gebirgsbach des östlichen
Gabelastes von der Thalstufe des Segnes sura über eine jähe
Felswand von 250 bis 260 m Höhe herab. Hier sind die oberen
Bänder der beiden gegenüberstehenden Thalwände 600 bis 700,
schon %km weiter thalabwärts sind sie 2400 bis 2500 m von
einander entfernt Derselbe Steilhang, über den der Segnes sura
auf den Segnes sut sich entleert, schwingt herum, verfliegst mit
der Wand des Flimsersteins und bedingt dadurch eine schnelle
und ansehnliche Erweiterung des Thaies. Wo an dieser Über-
gangsstelle eine flache Einbuchtung entstand, fallen die plattigen
Flächen der Kalkschichten, bis fusstief karrenförmig vom Wasser
ausgenagt, gleich unter dem Steilhang um 20 bis 30 Grade nach
SSO., S. und SSW. ein und bilden eine Art Nische, an deren
Abdachung auf dunner, mehrfach unterbrochener loser Decke die
Grasflächen der Alp Cassons sich ausbreiten. Das ganze Weich-
bild der Alp Cassons bezeichnet nun Heim als ein Abrissgebiet,
in den nach WSW. und OSO. gekehrten Wänden des Flimser-
Das alte Bergsturzgebiet von Flims. 191
stein erkennt er einen Teil der Abrissränder, die verhältnis-
mässig geringe Böschung der Alpen Flida, Foppa, Spaligna sowie
des Bodens der Orte Scheia und Fidaz ist nach ihm erst durch
Absturz des der Stutze beraubten, nach oben an Dicke abneh-
menden Stuckes Bergkörper entstanden, das Gestein hat sich
quer zu den Schichten getrennt und ist dann in der Richtung
der Schichten geglitten und gestürzt; die Ursache dafür ist
schliesslich in einer Untergrabung durch die Thalbildung zu
suchen. Ein solcher Fall wurde gemäss Heims allgemeiner Be-
sprechung von Bergstürzen oder Bergbrüchen da eintreten, wo
die Schichten in der Richtung des Abhanges geneigt, aber weniger
steil als dieser sind und wo durch Herunterschneiden der Ero-
sion »den oberen Schichten ihr Fuss genommen ist", so dass
sie »nur durch Reibung tt noch auf den unteren haften. Wird
dann die Reibung durch Wasser mittels Benetzung oder Durch-
weichung vermindert, dann kann in Folge der nunmehr überwie-
genden Schwere eine Felsenmasse in Bewegung geraten und
niederstürzen.
Dieser Auffassung sind, wie die voraufgehende Schilderung
zeigt, zunächst die Bodenverhältnisse günstig. Überdies hat der
Ort Flims seinen Namen von den Quellen, die reichlich in seinem
Weichbild hervorsprudeln. Über der Poststrasse von Flims nach
Mulins habe ich Wasser zwischen den südfallenden Kalkplatten
an deren abgebrochenen Schichtenenden wie aus einem vollge-
sogenen Schwamm herausrieseln sehen. So mögen in der ange-
deuteten Art Felsbrüche von verschiedenem, massigem Umfang
wiederholt entstanden sein. Allein es ist nicht möglich sich vor-
zustellen, dass ein Stück Bergkörper von der oben angegebenen,
schon durch die Bodenverhältnisse vorgezeichneten Ausdehnung,
ohne dass noch eine andere schwer wiegende Ursache mitwirkte,
auf einmal ins Gleiten gekommen sei. Bei dem Bergschlipf von
Goldau, wo das reichliche Schnee* und Regenwasser durch
Spalten der oberen Felsschichten ein Mergellager erreicht und
dieses erweicht hatte, war eine solche Ursache gegeben, für
welche ein Äquivalent hier nicht aufzufinden ist. Dies leuchtet
schon aus dem Umstände ein, dass die bedingende Ursache im
oberen Segnesthaie bis zum Südfuss des Flimsersteins ganz örtlich
gewirkt haben müsste, während doch im Wesentlichen der über-
einstimmende Oebirgsbau nach W. und O. darüber hinaus das
ganze Gebiet beherrscht.
Als primäre und sekundäre Schutthaldenbildung, als Felsen-
meer oder Anhäufung loser an Ort und Stelle zerfallener Felsen*
reste, als Felssturzmaterial ist der Schutt wohl hie und da noch
anzusprechen, aber nicht mehr ist es möglich nach den verschie-
192 '<*• Härtung:
deoen Kategorien dessen, was unter der allgemeinen Bezeichnung
Bergsturz zusammengefasst ward, nach den Abrissgebieten und
nach allmählichen Trummeranhäufungen eine Sonderung der ganzen
Masse in einzelne Teile durchzuführen. Immerhin haben die
verschieden entstandenen Trümmeranhäufungen den Lauf der Ge-
wässer in gewissem Grade beeinflusst; sie haben den unteren
Segnesbach, nachdem er bereits tiefer herabgeschnitten hatte,
nordwärts und auf ein höheres Niveau zurück und herauf ge-
drängt, sie haben vielleicht auch zeitweise den Rhein abgedämmt
bis er die ortliche Schutzwehr durchbrach. Wo Blöcke, die gross
genug sind, dass sie das Wasser nicht fortbewegen kann, in ge-
wissem Verhältnis dem Schutt beigemengt vorkommen, da bildet
dieser eine widerstandsfähige Abdämmung. Dass das Wasser
lange Zeit hindurch in dem gleichen Bette reissend dahin floss,
das bezeugen die in grossen Blöcken ausgehöhlten Riesenkessel-
bildungen. Zwischen diesen Blöcken füllen sich die Hohlraum«
mit feinem Schutt, der, oberflächlich fortgeschwemmt, immer
wieder durch neuen ersetzt wird, und so bleibt das Bachbette bis
die grossen Blöcke durch Frost und Verwitterung verkleinert
werden. Wo aber der jäh herabschiessende Bach auf ein viel
sanfter geneigtes Bett trifft, oder wo er bei mittlerer Stromge-
schwindigkeit in einen nur sparsam mit grossen Blöcken gespick-
ten Schutt eintritt, da ruckt, indem die unterwühlten Blockanhäu-
fungen ins Rollen geraten, der kaskadenartige Abhang zurück,
oder es entsteht eine viel tiefer ausgewaschene Thalrinne. Diese
verschiedenen Erscheinungen veranschaulicht der untere Laaxerbach.
Wo derselbe in den Flimserkessel eintritt, fließet er im Liegenden
der Schuttdecke in einer wenig tiefen Rinne anstehenden Kalk-
gesteins; dann durchbricht er, ohne das Liegende zu erreichen,
die mächtiger angehäuften Schuttmassen in einer etwa ^km langen
Schlucht, die einem ungewöhnlich tiefen Eisenbahndnrchsehnüt
sich vergleichen Hesse. Im weiteren Verlauf strömt der Bach
ungefähr l^km zwischen Blöcken in einer unbedeutenden Rnnse;
diese vertieft sich auf %km etwas mehr bis zu der Stelle, wo
der wilde Laaxertobel mit kaskadenartigem Absturz einsetzt und
bis zum Rhein als tief eingeschnittene Schlucht mehr als 2 km
durchmisst. Der Tobel soll nach Heim „fast erschreckend schnell
aufwärts sich verlängern tt. „Ich verdanke, schreibt er, Herrn
Pfarrer Candrian in Flims die Mitteilung, dass eine Strasse,
welche früher von Laax in direkter Linie nach Sagens ging, durch
die Verbreiterung deö Laaxertobels gänzlich unterbrochen worden
ist, und dass von 1843 bis 1880 sich dort die Schlucht stellen-
weise 10 bis- 15 m, stellenweise aber auch um 50 m verbreitert
hat.* Selbst gewahrte ich unterhalb des Weges, der gegenwartig
Das alte Bergstangebiet von Flims. 193
durch den Laaxertobel nach Bargaus fahrt, die Reste von vier
alten Vicinalwegen. Staffelweise unter einander hinziehend, endigten
sie alle plötzlich an einem Ausriss, der im Laufe der Jahre
ziemlich schnell landeinwärts sich vergrössert haben muss. Solche
Erscheinungen mögen massgebend sein für die Herausbildung des
gegenwärtigen Zustandes der Dinge, auf das Alter der Ablagerung
der Breccie ist daraus noch kein Schluss zu ziehen. Innerhalb
des Gebietes der Schuttanhäufung wird der Lauf der Gewässer
mehrfach kleinere Abweichungen erfahren haben. Auf der Hohe
der linken, ostlichen Wand des Laaxertobels, welche hier den
Rand der Terrasse von Planezzas bildet, lagern etwa 10 m dünn
geschichteter Sand-, Grand- und Gerollmassen. Noch weiter nord-
wärts, sowie 250m hoher über dem Meere, ungefähr wo die
Poststrasse von den Waldhäusern nach S. umbiegt, sind eben-
solche Massen an der Oberfläche über der Breccie aufgeschlossen
mit gerundeten Steinen von ^ bis 1 Fuss Durchmesser dazwischen
und mit südlichem Fallen von 2^ Graden. Das Material stammt
aus der Kalkformation.
In seinen „Untersuchungen über den Mechanismus der Ge-
birgsbildung" leitet Heim die Hügelmassen von Reichenau bis Ems
her von alten Bergstürzen aus dem nordlich ansteigenden Gebirge.
Und in der That öffnet sich bei Tamins, da wo der Kunkelspass
aus dem Taminathal herüberführt, ein unregelmässig ausgebuchteter,
von jähen Wänden umgebener Halbkessel, der in der Richtung
des Rheines etwa 2^ km von WSW. nach ONO. und im Mittel
etwa ebensoviel von SSO. nach NNW. misst, während beim
Flimserhalbkessel die entsprechenden Entfernungen über 9 und
5 bis 6 km betragen. In der Mitte des Bodens liegt der Girsch,
eine durch Anschwemmung geebnete Fläche. Zwischen dieser
und dem Rhein erhebt sich die dünn bewaldete, grasbewachsene
and vermooste Hügelmasse des Raschen, an welcher nirgends
anstehender Fels, sondern nur Blöcke von Hochgebirgskalk auf-
geschlossen sind. Jenseits des Rheines entspricht dem Raschen
die etwas grössere, gleich zu Anfang erwähnte Hügellandschaft
von Ils Auts, und zwischen beiden ist am Rhein selbst ein Durch-
schnitt des stark zerklüfteten bis zerschieferten Kalkgesteins als
Liegendes der losen Massen aufgeschlossen. Es sind in kleinem
Maasstab und bei anders gestalteten topographischen Verhältnissen
wesentlich doch dieselben Züge, die bei der Darstellung des
Flimserhalbkessels und seiner Umgebungen geschildert wurden.
Wie hier in der Gegend von Reichenau müssen wir auch dort
bei Flims im Wesentlichen an die ältere gleich zu Anfang er-
wähnte Auffassung von A. Heim uns halten. Indem wir der-
selben eine weitere Bestimmung hinzufügen und unter Hinweisung
Ztttachr. d. GaaellMh. f. Erdk. Bd. XIX. 13
194 Cl. u. G. Denhardt:
auf die Verallgemeinerung des Begriffes „Bergstur** können wir
nun sagen, dass die Flimserbreccie das Ablagerungsmaterial eines
alten Bergsturzgebietes ist, dessen eigenartige Oberflächen-
gestaltung durch ein Zusammenwirken verschiedener Ursachen
bedingt wurde.
X.
Bemerkungen zur Originalkarte des unteren Tana-
Gebietes.
Von Clemens und Gustav Denhardt.
(Schluss.)
IL
Nach der im Voraufgehenden gegebenen oberflächlichen Schil-
derung unserer Reise und der dabei in Betracht kommenden Zu-
stände , seien im Folgenden einige Worte gesagt ober die
Gewinnung des Materials für die Karte des unteren Tana-
Gebietes.
Bei der Beurteilung desselben wäre wohl zu berücksichtigen,
dass wir unter dem Einflüsse der Verhältnisse standen, die sich
aus der ungewohnten Lebensweise, dem Klima, der mangelhaften
Kenntnis der Sprachen, Sitten und Anschauungen der Eingeborenen
und alle den nur schwer zu schildernden Fährlichkeiten ergeben,
welche eine Reise in bisher von Weissen nicht betretenen Ländern
mit sich bringt. Unter diesen Verhältnissen mussten wir weitaus
das Meiste unseres Arbeitsplanes streichen, wie dies wohl alle
Neulinge in der Afrikaforschung vor uns gethan haben nnd nach
uns thun werden. Trotz der zuweilen recht trüben Lebenslagen
und der ohne unser Verschulden herbeigeführten Einschränkung
unseres Arbeitsplanes, waren wir bestrebt, unter unermüdlichem
Ankämpfen gegen alle Hindernisse, so viel als möglich zu arbeiten
und unser Ziel zu erreichen.
Im vollkommenen Bewusstsein der Mangelhaftigkeit des von
nns Errungenen, aber mit dem Gefühle, unsere Pflicht gethan
zu haben, erhoffen wir eine gerechte Kritik unserer Ergebnisse.
Naturgemäss bilden die astronomischen Messungen den grund-
legendsten, wichtigsten Teil der Arbeiten bei jeder Forschungsreise
in unbekannten Ländern; es musste uns daher daran liegen, nach
dieser Richtung hin so sorgsam und so viel als möglich thätig sn
Bemerkungen zur Originalkarte des unteren Tana-Gebietes. 195
sein. Infolgedessen legten wir bei Beschaffung unserer Aus-
rüstung besonderes Gewicht auf gute Instrumente für astronomische
und geodätische Messungen, ohne dabei jedoch die übrige Aus-
rüstung an wissenschaftlichen Instrumenten für meteorologische,
magnetische und andere Arbeiten zu vernachlässigen. Wir fühlten
uns dazu um so mehr gedrängt, als der .damalige Vorstand der
„Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin4', vertreten durch den Frei-
herrn von Richthofen, ein für unsere Expedition in Aussicht gestelltes
astronomisches Universalinstrument nicht überwies, weil er, wie er
in einem bezüglichen Schreiben mitteilte, nicht überzeugt sei, dass
die geplante Expedition wissenschaftlichen Zwecken diene.
Für die astronomischen Arbeiten waren uns verfügbar:
1. ein Universalinstrument (astronomischer Theodolith)
(No. 469) von A. Bonsack in Berlin;
2. ein Universalinstrument (No. 1262) von Pistor db Martins
in Berlin;
3. ein Prismenkreis (System Pistor & Martins) von A. Bonsack
in Berlin;
4. drei gute Taschenuhren (mit Chronometer-Hemmung und
isochronischer Spirale), zwei davon (No. 70107 und
No. 70109) von Robert Brandt & Co. in Chaux des Fonds
(Schweiz), die dritte (No. 11109) von A. Lange & Sohne
in Glashütte (Sachsen).
Zur leichteren Bildung eines Urteiles über unsere astrono-
mischen Messungen scheint eine kurze Beschreibung der be-
nutzten Universalinstrumente geboten.
Das Universalinstrument No. 469, von A. Bonsack
in Berlin gebaut, hatte zwei in Sechstelgrade geteilte, von
0° — 360° bezifferte, mittelst je eines Nonienpaares unmittelbar auf
10 Bogensekunden ablesbare Kreise von je 16 cm Durchmesser,
von denen der eine zar Messung von Hohen, resp. Zenithdistanzen,
der andere zur Messung von Horizontalwinkeln diente. Der untere
Kreis erhielt durch eine Metalldecke Schutz gegen gröbere äussere
Störungen. Das „gebrochene44 (centrische) Fernrohr von 35 mm
Objektivöffnung, 32 cm Brennweite und 20 fache r Yergrösserung
bewegte sich in Y-Lagern. Es enthielt ein Fadennetz aus 4 wage-
rechten und 4 senkrechten Spinnenfäden, von denen sowohl die
mittleren zwei wagerechten, als auch die mittleren zwei senk-
rechten einander so nahe standen, dass der von ihnen einge-
schlossene Raum als Mittelfaden für die bezüglichen Beobachtungen
benutet ward. Der Abstand der beiden Horizontalfäden vom mitt-
leren Horizontalfaden betrug 9' 50", resp. 9' 32,5", der Bogen-
wert zwischen den äussersten Horizontalfaden also 19' 22,5";
die Entfernungen der beiden Vertikalfäden vom mittleren Vertikal-
13*
196 CL u. <*• Denhardt:
faden beliefen sich auf 9f 53" und 9' 46", ihr ganzer Abstand be-
mass sich mithin auf 19' 89".
Die Beleuchtung dieses Fadennetzes erfolgte bei Beobach-
tungen während der Dunkelheit durch Lampenlicht, welches durch
den hohlen Teil der Fernrohrdrehaxe, der dem Okular des Fernrohrs
entgegengesetzt lag, auf das an einer kleinen Stelle mattgeschliffene
Prisma des Fernrohres und somit auf das Fadennetz gelangte.
Zur Ermittelung der Axenneigung waren 4 Libellen vorhan-
den, von denen zwei lose beigefügt waren, um als Aufseti- and
Hänge-Niveau' s verwendet zu werden ; die dritte war zwischen den
Fernrohrträgern auf der Alhidade des Horizontalkreises, die vierte
an demjenigen Fernrohrträger angeschraubt, welcher den Fass-
punkt der Nonien des Höhenkreises bildete. Diese letzte Libelle
war demnach für die astronomischen Messungen insofern die wich-
tigste, als sie zur Prüfung des Standes der Nonien (der Horizon-
tale) am Höhenkreise diente.
Die Teilungswerte dieser Libellen beliefen sich auf etwa 5 \
Das Pistor- Martins'sche Universalinstrument hatte
zwei je 11 cm im Durchmesser haltende Kreise, welche mittelst
Nonien unmittelbar auf 30 Bogensekunden ablesbar waren. Die
Teilung beider Kreise lag offen; sie fand keinen Schutz gegen
gröbere, äussere Einflüsse durch irgend eine Vorrichtung, wie sie
bei Reise-Instrumenten empfehlenswerth erscheint.
Der Höhenkreis (mit von 0°— 360° bezifferter Teilung) war
am verlängerten Vertikalzapfen des Instrumentes befestigt. Der
Kreismittelpunkt bildete den Drehpunkt des neben dem Kreise
bewegbaren geraden (excentrischen), durchschlagbaren Ferurohres
von 27 mm Objektivöffnung, 23 cm Brennweite und 12facher
Vergrösserung. Der Höhenkreis stand in fester Verbindung mit
dem Vertikalzapfen und trug auf seiner Rückseite das angeschraubte
Niveau, dessen Teil werte 25" betrugen. Die Nonien bildeten
mit dem Fernrohre ein Ganzes und bewegten sich mit diesem an
der Teilung des Höhenkreises vorbei, wie dies die Nonien am
Horizontalkreise thaten.
Das Faden netz bestand aus 3 wagerechten und 3 senkrechten
Spinnenfaden, von denen die wagerechten äussersten Fäden um
21' 24" von einander und je 10' 48" und 10' 36" vom zuge-
hörigen Mittelfaden abstanden. Der Abstand der äussersten senk-
rechten Fäden betrug 21' 32"; von ihrem Mittelfaden wichen sie
um 10' 50" und 10' 42" ab.
Die Beleuchtung des Fadenkreuzes in der Dunkelheit ward
durch einen mit weissem Papier überzogenen Metallring ermöglicht,
welcher sich auf das Objektivende des Fernrohres aufstecken liess
und Laternenlicht auf die Fäden reflektierte.
Bemerkungen zur Originalkarte des unteren Tana-Gebietes. 197
Zur bequemeren Beobachtung kleiner Zenithdistanzen konnte
dem Okular des Fernrohres ein Prisma vorgeschoben werden.
Dieses Pistor-Martins'sche Universalinstrument fand bereits
ausgedehnte Verwendung durch Herrn Dr. Otto Kersten während
seiner Reisen im aequatorialen Ostafrika (1862 u. 1863) und in
Palästina (1874). Er überwies uns das Instrument, als wir uns
bereits in Afrika befanden.
Beide Universalinstrumente wurden, wenn sie benutzt werden
sollten, auf einem dreibeinigen, zusammenlegbaren Stativ aus
Eichenholz, wie es bei kleineren geodätischen Messungen in
Deutschland gebräuchlich, aufgestellt und mittelst einer Schraube
auf dem Oberteile des Statives festgezogen. Dadurch wurden
allerdings die Instrumente zur Genüge gegen Verschiebungen auf
dem Stative geschützt; sie waren aber immer noch kleinen Orts-
veränderungen ausgesetzt, die sich aus Schwankungen des Stativs
beim Beobachten ergaben.
Sämtlichen Instrumenten waren farbige Gläser zur Milderung
des Lichtes blendender Objekte, sowie die üblichen Reserveteile
und kleineren Geräthe, leider aber kein auf Glas geritztes Faden-
netz beigegeben. Auf diesen Mangel wird später zurückgekommen
werden.
Die Untersuchung der Instrumente hatte in der ge-
bräuchlichen Weise (vor dem Transport nach Afrika) in Berlin
stattgefunden. Dabei zeigten sich alle Teile der Instrumente in
gutem Zustande; die Teilungsfehler der Kreise waren so gering-
fugig, dass sie als nicht vorhanden angesehen werden konnten;
der Indexfehler des grossen Universalinstrumentes belief sich auf
1' 16", der des kleinen auf 8' 10"; die Excentricitätsfehler über-
schritten bei dem grossen Instrumente den Werth von 5" nicht,
beim kleinen ergaben sie sich zu 10 — 15".
Die Ueberfuhrung beider Instrumente nach Afrika erfolgte unter
Anwendung aller Vorsicht. Das Bonsack'sche Instrument nahmen
wir mit uns; das Pistor-Martins'sche ward nns nachgesandt«
Die Verpackung beider Instrumente stellte sich als ungenügend
heraus. Keines dieser Instrumente wurde in einer gegen die
feuchte Meeresluft Schutz gewährenden, verloteten Blechkiste trans-
portiert, wie dies hätte geschehen sollen. Für das kleine Instru-
ment war diese Nachlässigkeit verhängnissvoll: sein Fadenkreuz
hatte sich durch die feuchte Seeluft derart gedehnt, dass die
äussersten Höhenfaden nicht mehr wie früher um 21' 24", sondern
um 26' 50,5" von einander abstanden, ihre Parallelität verloren
hatten and sich als unbrauchbar erwiesen.
Wiederholte, sorgfältige Messungen überzeugten uns von der
Stabilität des verdorbenen Fadennetzes; wir ersetzten dasselbe
198 d "• G- Denhardt:
daher nicht durch ein neues, indem wir dabei Gefahr gelaufen
wären, das alte, fehlerhafte zu verlieren und das Instrument ganz
unbrauchbar zu machen, sondern wir prüften die Fadenabstande
möglichst vor und nach jeder längeren Beobachtungsreihe, bei
welcher die Höhenfaden Verwendung fanden. Ferner gebrauchten
wir die Vorsicht, an bestimmten, scharf markierten Fadenstellen
die Gestirndurchgänge zu messen. Auf diese Weise gelang die
Unschädlichmachung der grossen Fehler des Fadennetzes, und die
Verwendbarkeit des im Uebrigen gut in unseren Besitz gekom-
menen Instrumentes war gesichert. — Wäre dem Instrument ein
auf Glas getheiltes Fadennetz als Reservestück beigegeben gewesen,
so hätten wir viele Arbeit und Zeit — und in gewissem Sinne
Sorge — gespart: wir hätten dasselbe an die Stelle des ver-
dorbenen Spinnfadennetzes eingefügt und sicherlich mehr und
bessere Beobachtungen angestellt, als uns mit dem schlechten
Fadennetze möglich war.
Die ungenügende Verpackung unseres grossen Instrumentes
erkannten wir bereits in Hamburg und sorgten daher, gleich nach-
dem wir bei Glückstadt an Bord der Bark „Amanda & Elisabeth'
gegangen waren, für eine bessere Verpackung, indem wir die
Eiste, in der sich das Instrument befand, in mehrfache Lagen
von Segeltuch einnäheten. Während der Seereise war die Kiste
vor Erschütterungen und Beschädigungen geschützt.
Nach unserer Ankunft in Sansibar führten wir die Instrument-
kiste sehr behutsam vom Schiffe in unsere Wohnung über. Einige
Stunden später, von einer Besichtigung der Stadt heimkehrend,
fanden wir die Instrumentkiste mitten im Zimmer liegend, weit ab
von dem ihr von uns gegebenen Standplatze. Bis zur Stunde ist
unaufgeklärt geblieben, wer die Eiste dahin geworfen hat. —
Die sofortige Oeffnung der Eiste und die Untersuchung des
von ihr bisher umschlossenen Instruments ergab, dass die innerhalb
der Teilung des Horizontalkreises sich an derselben (nicht auf
derselben) bewegenden Nonien derart verschoben waren, dass sie
über die Fläche der Kreisteilung ragten, sich an der Teilung
klemmten und nur eine kleine, wenige Grad umfassende Drehung
der Alhidade, also anch des Oberteiles des Instrumentes, am den
Vertikalzapfen zuliessen. Durch den grossen Stoss, welcher dem
Instrumente zu Teil geworden war, hatte augenscheinlich der Vertikal-
zapfen eine seitliche Verschiebung oder Biegung erlitten, so dass er
nicht mehr im Mittelpunkte des Kreises stand. Das hatte das Ein-
klemmen der Nonien zur Folge, sobald dieselben (als frühere
grösste Durchmesser des Kreises) durch Drehung in denjenigen
Teil des Ereises gelangten, in welchem für einen Radius, der dem
früheren centrischen Stande des Vertikalzapfens entsprach, die Ent«
Bemerkungen zur Originalkarte des unteren Tana-Gebietea. 199
fernung zwischen Drehpunkt und Rand der Teilung zu klein war.
Aach die Nonien hatten eine Biegung erlitten. Die Kante des
einen Nonius war da, wo er mit der Kreisteilung zusammengestossen,
aufgebogen.
Ebensowenig waren die Nonien am Höhenkreise unverletzt
geblieben: sie waren gegen die Blenden der zugehörigen Lupen
geschnellt, daran zerkratzt und verbogen worden. Infolgedessen
lagen sie nicht mehr dicht am Höhenkreise an und eine sichere,
oder auch nur annehmbare Ablesung irgend eines Winkels stellte
sich als Unmöglichkeit heraus.
Der Horizontalkreis hatte da, wo der eine Nonius ihn getroffen,
eine Einbeulung erlitten; dagegen war der Höhenkreis von Ver-
letzungen vollständig frei.
Weil keine Drehung des Instrumentes um seinen Vertikalzapfen
möglich war, blieb nur übrig, den Oberteil des Instrumentes vom
Vertikalzapfen abzuheben und zu versuchen, vor Allem den Vertikal-
zapfen in die früher innegehabte centrische Stellung zum Kreise
zurückzubiegen, die Alhidade durch Tieferlegen der Nonien zu
berichtigen, die Nonien beider Kreise möglichst zu glatten und ein
besseres Anschmiegen der Nonien an die Teilung des Höhenkreises
herbeizuführen.
Wir wagten den Versuch und er gelang, soweit dies bei dem
Fehlen mechanischer Werkzeuge möglich war! Die ex centrische
Stellung des Vertikalzapfens Hess sich allerdings sowenig vollständig
beseitigen, wie die Verletzung und Abbiegung der Nouien; aber wir
stellten doch das Instrument so weit her, dass es zu Messungen
verwendbar wurde.
Die in Sansibar nach vollendeter Ausbesserung des Instrumentes
vollzogene Prüfung der Fehler desselben ergab eine erhebliche
Steigerung des Indexfehlers gegen den seinerzeit in Berlin gefundenen.
Statt auf 1' 16" belief sich der Indexfehler auf 14' 40" und zeigte
sich obendrein schwankend in seinem Bogenwerte. Ausserdem hatte
sich ein zweiter eigenartiger, unstäter Indexfehler eingestellt, der
vorher nicht vorhanden nnd bald +> oa^ — war« Dieser Fehler
fand sich bei der Berechnung von Gestirnhöhen, die in entgegen-
gesetzten Teilen des Himmels gemessen wurden; er überschritt nie-
mals den Betrag von 70 Bogensekunden.
Von Anfang April bis Mitte Juli 1878 schwankte der erst-
angedeutete Indexfehler, welcher sich aus Messungen in beiden
Kreislagen des Instrumentes herausstellte, in ganz unglaublichem
Maasse. Es erschien gänzlich unmöglich, befriedigende Höhen*
messungen zu vollziehen und es war keine Aussicht vorhanden,
Ortsbestimmungen zu erlangen, welche besseren als nur ganz ober*
flächlichen kartographischen Zwecken dienlich gewesen wären.
200 Cl. u. G. Denhardt:
Von Mitte Juli ab minderten sich jedoch die Schwankungen des
Indexfehlers; er wurde kleiner und gleichmäßiger, so das« sieh
sein niedrigster, am letzten Beobachtungstage gefundener Wert auf
V 31,03" belief.
Allem Anscheine nach hat der Transport des Instrumentes
während der Reise in Ostafrika den Indexfehler ganz bedeutend
beeinflusst. So lange das Instrument getragen wurde, was auf
dem Wege längs der Küste von Malindi bis Kipini (Mai bis Juli)
stattfand, kam der Indexfehler nicht zur Ruhe; erst als das Instrument
im Boote gefahren ward, trat die Beruhigung und allmalige Ver-
minderung des Indexfehlers ein. Das lässt sich ganz überzeugend
ans den Beobachtungen beweisen, welche nach Mitte Juli erfolgten.
Es ist wohl anzunehmen, dass während des 33tägigen Aufenthaltes
in Kipini bei häufiger, vorsichtiger Benutzung des Instrumentes,
sich dessen gestörte Theile allmälig ihren froher innegehabten
Lagen nähern, die schroffen Abweichungen von ihren einstigen nor-
malen Beziehungen einer Ausgleichung nahe bringen konnten. Der
von Kipini ab bis zum letzten Beobachtungstage stattfindende Trans-
port des Instrumentes zu Wasser, die ruhige, das Instrument wenig
erschütternde Bootfahrt, begünstigten die Fehlerausgleichung der
Instrumentteile. Das Instrument erwies sich von Mitte Juli ab be-
deutend besser als vom April bis Juli, und die während dieser
Zeit mittelst desselben vollzogenen Messungen verdienen deshalb
mehr Vertrauen als die früher in der Zeit des Landtransportes mit
ihm ausgeführten.
Auf den zweiten Indexfehler, welcher sich bei Messungen von
Gestirnen bemerklich machte, die in entgegengesetzten Theilen des
Himmels angestellt wurden, wirkte die Bootfahrt ebenfalls bessernd:
er ging in Kipini bis auf wenige Sekunden herab und belief sich
dann nie auf mehr als etwa 28", blieb aber bei seinen Schwan-
kungen zwischen + und — .
Das Pistor-Martins'sche Universalinstrument hatte bereits wahrend
seines ersten Gebrauches durch Dr. Kersten (1862 und 1863) den
erwähnten zweiten Indexfehler gezeigt; seine Schwankungen lagen
zwischen — 40" und — 70" und waren, wie auch diejenigen des
erstgenannten Indexfehlers, gleichmässiger als bei dem Bonsack'sehen
Instrumente. Bei der Verwendung des Pistor-Martins'schen Instru-
mentes durch uns verhielten sich die beiden Indexfehler fast ebenso
wie bei der Benutzung während der Kersten'schen Reisen.
Ueber die Ursachen der Indexfehlerschwankungen sind wir bis-
her nicht klar geworden. Hinsichtlich des Bonsack'schen Instru-
mentes neigen wir zu der Annahme, dass die durch excentrische
Stellung des Vertikalzapfens herbeigeführte Klemmung (Reibung) der
Alhidade des Horizontal kr eises, welche eine Biegung des Vertikalzapfens
Bemerkungen zur Originalkarte des unteren Tana-Gebietes. 201
zur Folge hatte, die sich auf den Höhenkreis Übertrug, die meiste Ver-
anlassung zu den Idexfehlerschwankungen gab. Bewahrheitet sich, wie
es scheint, diese Annahme, dann hängt die Aenderung des Index-
fehlers eng zusammen mit dem Azimute, in welchem beobachtet ward.
Je nachdem das Azimut des beobachteten Objectes in diejenigen Teile
des Azimutalkreises fiel, in denen Klemmungen der Alhidade erfolgten,
je nachdem traten seitliche Verdrängungen des Vertikalzapfens und
Aenderungen des Indexfehlers ein. Demgemäss lässt sich der Gang
des Indexfehlers aus den Azimuten der beobachteten Objecto durch
Differentialgleichungen entwickeln — eine höchst zeitraubende, aber
Bicher lohnende Arbeit, welche eine erhebliche Zahl von Beobach-
tungen, deren Ergebnisse sich vor dieser Behandlung nicht einer
Kritik unterbreiten lassen, für kartographische Zwecke verwendbar
machen wird.
Mehr oder weniger wird sich vielleicht auch der zweite Index-
fehler von den Azimuten abhängig zeigen.
Anfänglich neigten wir zu der Annahme, dass vielleicht eine
Lockerung des Diaphragma'», welches die Stellung des Fadennetzes
im Fernrohre regelt, vorhanden sei und namentlich den zweiten
Indexfehler beeinflusse; diese Annahme hat jedoch weniger Wahr-
scheinlichkeit als die frühere.
Der Prismen kreis fand während der Reise keine Verwendung,
trotzdem nahe lag, ihn als Ersatz des Universalinstrumentes zu den
Beobachtungen heranzuziehen. — Von seiner Benutzung wurde ab-
gesehen, weil dieselbe, besonders bei den im heissen Sonnenbrande
auszuführenden mehrstündigen terrestrischen Messungen ausserordent-
lich anstrengte und ermüdete, sowie weit mehr Arbeit verursachte
als der Gebrauch des Universalinstruments. Die Vortheile des
Universalinstruments fielen bei unserer durch Krankheit u. s. w.
geschwächten Gesundheit entscheidend in's Gewicht; ja, in Massa,
dem letzten von uns erreichten Orte, wären wir wegen grosser
Schwäche gar nicht im Stande gewesen, den Prismenkreis zu hand-
haben.
Wir bedauern die NichtVerwendung des Prismenkreises nur
Boweit, als Längenbestimmungen in Betracht kommen.
Die von uns bei den astronomischen Beobachtungen benutzten
drei Uhren erlitten erhebliche Störungen durch Transport, Ver-
packung und Temperatur. Unsere Bemühungen zur Fernhaltung
dieser Einflüsse wiesen wenig Erfolge auf.
Die Uhren ruheten wagerecht oder senkrecht, je nachdem Ver-
suche von uns mit ihnen unternommen wurden, in mit Tuch aus-
gelegten Blechkapseln und diese wieder in ausgepolsterten Holz-
kästchen. Diese Kästchen wurden fest nebeneinander in einem
Kasten geborgen, welcher zwei Thermometer enthielt und mit seinem
202 Cl- u. G. Denhardt:
ganzen Inhalte in einer Kiste Aufnahme fand, in der er allseitig
von Wäschestücken dicht umschlossen war.
Die Ueberfuhrung der in dieser Weise gegen grobe äussere
Einflüsse geschützten Uhren erfolgte so vorsichtig von Ort zu Ort
wie der Transport des Universalinstruments* Die Uhren wurden
täglich öfter unter einander verglichen; dabei wurden die Thermo-
meterstände gebucht, um die Temperatur der Luftschicht, in der
sich die Uhren befanden, für die Berechnung der Uhrgänge heran-
zuziehen. Ebenso sorgfaltig wurden die Zeiten notirt, innerhalb
deren Transport oder Verwendung der Uhren erfolgte.
Das Aufziehen der Uhren fand abends, möglichst um dieselbe
Zeit wie am vorhergehenden Tage, statt, stets nach beendigter
etwa angestellter astronomischer Beobachtung und nach dem Uhr-
vergleich.
Krankheit und überwältigende Anstrengungen wurden leider
die Veranlassung, dass das Aufziehen der Uhren während unserer
Reise viermal unterblieb. Das dadurch herbeigeführte Stehenbleiben
der Uhren wurde stets in der Frühe des nächsten Tages beseitigt
und sofort der Uhrstand (die Uhrcorrection) durch Zeitsternmessungen
festgestellt.
Ohne erkennbare Veranlassung blieb nur die Uhr No. 70 107
am Abend des 13. Juni 1878 stehen; am Morgen des 14. Juni
nahm sie ihren Gang wieder auf.
Bei den Messungen benutzten wir in der ersten Zeit die Uhr
No. 70 107; die Uhr No. 70 109 dagegen erst während der letzten
Monate unserer Reise. Die Uhr No. 11 109 diente ausschliesslich
zum Uhrvergleich und wurde nur zu diesem Zwecke aus ihren Höllen
genommen.
An der Küste scheint die zu den Beobachtungen benutzte Uhr
No. 70 107 von den in der Luft schwebenden feinen Küstensand-
und Meersalz-Teilchen verunreinigt und in ihrem Gange beeinflosat
worden zu sein. Vielleicht bildeten diese feinen Staubtheilchen auch
die Ursache für den plötzlichen Stillstand der Uhr am 13. Juni.
Bei der Untersuchung der Uhren (nach der Heimkehr in
Deutschland) fanden sich geringfügige Staubanhäufungen in der Uhr
No. 11 109, die während der Reise am allerwenigsten benutzt worden
war; etwas mehr Staub enthielt die Uhr No. 70 109 und der meiste
zeigte sich in der Uhr No. 70 107. Dieser Befund bestätigt das
soeben Gesagte.
Wurden die Uhrgänge einerseits durch Transport und Staub
beeioflusst, so geschah dies andererseits durch die Wärme, welche
das Oel in den Uhrwerken verdickte.
Transport, Staub und Verdickung des Oeles in den Zapfen*
agern führten durchgängig Verzögerungen der Uhrgange herbei.
Bemerkungen zur Originalkarte des unteren Tana-Gebietea. 203
Die Compensationen der Uhren scheinen ungenügend gewesen
zu sein. Bessere Compensationen an den Uhrwerken hätten wahr*
scheinlich annehmbarere Uhrg&nge herbeigeführt, als die gefundenen.
Ausführung der astronomischen Beobachtungen.
Bei den Messungen, welche wir zur Erlangung des Materials
für die Karte des unteren Tana-Gebietes vollzogen, fand nur das
BoDsack'sche Instrument Verwendung. Die erheblichen Schwan-
kungen beider Indexfehler desselben verpflichteten uns zu grossen
und vielen Beobachtungsreihen und zu höchst sorgfältigen Mes-
sungen, um durch Heranziehung vieler Einzelbeobachtungen zur
Bildung eines Mittelwertes die Indexfehlerschwankungen möglichst
zu vertbeilen und ein Endergebnis» zu erlangen, welches gerechten
Ansprüchen genüge.
Um nur einen Fall anzuführen, sei gesagt, dass in Kipini (in
der ersten Hälfte des Juli), wo die letzten grossen Schwankungen
im Indexfehler auftraten, an 10 verschiedenen Tagen 7 Sterne im
Norden und Süden, mit zusammen 290 Höhen beobachtet wurden,
um einen annehmbaren Mittelwerth für die Breite von Kipini zu
erhalten.
Nachdem die Indexfehlerschwankungen sich verringerten und
kleinere Fehler in den Einzelbeobachtungen anzunehmen waren,
konnten wir die Zahl der Messungen mindern.
Zur Unschädlichmachung der Instrumentfehler beobachteten wir,
unter Befolgung der Regeln für Handhabung des Universalinstrn-
mentes, wenn nicht unüberwindliche Hindernisse eintraten, stets in
zwei Kreislagen und mindestens zwei Gestirne, die entgegengesetzte
Lagen am Himmel einnahmen.
Wir hatten uns zum Grundsatze gemacht, die Sonne nur unter
zwingenden Umstanden (wenn Sterne wegen Zeitmangels oder wegen
Bewölkung nicht messbar waren) für Zeit- und Breitenbestimmungen
zu beobachten und sie bloss zur Bestimmung des Meridians, sowie zur
Ermittelung der Abweichung des Magneten zu benutzen.
Die Zeit bestimmten wir zumeist aus Sternen nahe am ersten
Vertikal, deren Durch gangszeiten und Höhen an den drei Horizontal-
faden des Instrumentes ermittelt wurden. Von anderen Methoden
der Zeitbestimmung nahmen wir wegen der schwankenden Index-
fihler Abstand. Auch die von anderen Reisenden so bequem ge-
fundene Zeitbestimmung aus correspon dir enden Sonnenhohen unter-
Ii essen wir, einestheils wegen der unstäten Indexfehler, anderenteils,
weil diese Methode die Aufmerksamkeit des Beobachters für längere
Zeit beansprucht, das Instrument und den Beobachter den Strahlungen
der Sonne aussetzt und zum Gelingen klaren Himmel für geraume
Zeit bedingt. — - Wir fanden angenehmer und bequemer, die astro-
204 CK ** 6- Denhardt:
nomischen Beobachtungen in den kühlen Abendstunden zu vollziehen,
wobei wir obendrein die Gewissheit hatten, eine grössere Genauig-
keit als bei Beobachtungen am Tage zu erreichen, die, wegen
Benutzung nur eines Gestirnes, nicht die Möglichkeit geboten hätten,
die Schwankungen der Instrumentfehler unschädlich zu machen.
Zur Bestimmung der Breiten massen wir Sternhohen im
nördlichen und südlichen Theile des Himmels, vor und nach der
Culmination. Wir ordneten diese Beobachtungen so an, dass ihnen
eine Zeitbestimmung dicht voranging oder unmittelbar folgte. Ein-
fache Gestirn- Culroinationen beobachteten wir niemals; die Sonne
wurde nur wenigemal zur Breitenbestimmung verwendet, weil am
Abend dicht bewölkter Himmel vorauszusetzen war und sich in
der That einstellte. — Während der letzten Eeisewocben binder-
ten Krankheit und bewölkter Himmel das Messen von Breiten-
steinen in entgegengesetzten Himmelsgegenden; es wurden daher
einigemal Sterne nur im Süden oder im Norden gemessen:
um die Indexfehler bei solchen einseitigen Beobachtungen jedoch
in Rechnung stellen zu können, fanden abgerundete Reihen von
Zeitsternbeobachtungen möglichst nahe an diesen einseitigen Messun-
gen statt.
Zur Ermittelung der geographischen Längen massen
wir ausschliesslich Mondhöhen. Für die Herleitung der Längen ge-
nügte uns diese Methode, weil die scheinbare Bewegung des Mond«
in niederen Breiten eine viel schnellere ist als in hohen Breiten.
Die Messung von Monddistanzen unterliessen wir gänzlich. Hierfür
entstand die hauptsächlichste Veranlassung aus unserer durch über-
grosse Anstrengung und schlechte Ernährung — gegen Ende der
Reise auch durch Krankheit — geschwächten Körperkonstitution, welche
uns die Handhabung des Prismenkreises zur Messungvon Monddistanxen
zu beschwerlich erscheinen Hess. Hätten wir ein Stativ zur Aufstellung
des Prismenkreises besessen, so wäre der Hauptgrund fär die Nicht-
verwendung dieses unseres guten Instruments beseitigt gewesen und
wir hätten sicherlich gern Monddistanzen genommen.
Selbstverständlich wurden die Mondhöhen mit grösster 8orgfalt
gemessen; aber sie stehen hinsichtlich ihrer Zahl den Beobachtungen
für Breite bedeutend nach.
Auf die Ermittelung der Länge, diesen verhältnissmäasig schwierig
zu bestimmenden Factor, hätte unsererseits mehr Arbeit verwendet
werden sollen! Wir vernachlässigten die Längenbestimmungen den
sonstigen Messungen gegenüber, weil wir glaubten, mit unserem
fehlerhaften Universalinstrumente keine befriedigenden Ergebnisse n
erzielen. Die Längenbestimmungen wurden so zu sagen nebenbei
angestellt; sie wurden gewissermassen nur der Vollständigkeit halber
vollzogen; trotzdem ergaben die bezüglichen Messungen recht in-
Bemerkungen zur Originalkarte des unteren Tana-Gebietes. 205
friedenstellende Resultate, weil sie meistens bei günstigen Mond-
positionen und bei geringen Indexfehlerschwankungen stattfanden.
Wir hofften, befriedigende Längenbestimmungen aus Zeitüber-
tragungen, sowie ans Dreiecksmessungen zu erhalten. Es blieb in
dieser Beziehung jedoch bei der Hoffnung! Sie verwirklichte sich
nur zum kleinsten Theile: die Uhren konnten wegen ungenügender
Gange bloss zur Zeitübertragung auf kurze Strecken verwendet werden,
und die Dreiecksmessungen Hessen sich zumeist nicht weit führen, weil
in der Ebene, welche das Feld unserer Thätigkeit bildete, an natür-
lichen Signalen Mangel war, künstliche sich aber nicht errichten Hessen.
Bei solcher Sachlage sind wir schliesslich doch auf die Mond-
höhen angewiesen, weil sie uns das ausschlaggebende Material für
die Lange liefern. Daneben erhielten wir, soweit Dreiecksmessungen
nicht vorlagen , sehr befriedigende L&ngen aus der Verbindung des
sorgsam aufgenommenen Itinerars mit den Breiten. — Lebhaft be-
dauern wir jetzt, die Längenermittelungen nicht in ein besseres Ver-
hältniss zu den Breitenbestimmungen gebracht zu haben. Das Ver-
haltniss zwischen beiden ist ungünstig: wir beobachteten das leicht
bestimmbare Element, die Breite, mit einer Sorgfalt, welche richtiger
auf das schwerer zu fixirende, die Länge, hätte verwendet werden
müssen. So liegen z. B. für die Breite von Kipini 290 Sternhöhen
an 10 Tagen vor, während auf die Längenermittelung dieses Ortes nur
12 Mondhöhen an 3 Tagen entfallen. Eine Umkehrung in der Zahl
der Beobachtungen wäre empfehlenswerther gewesen!
Wie bei den Breitenbestimmungen, so wurdeu auch bei den
Längenbeobachtungen die Zeitbestimmungen so nahe als möglich an
der Hauptarbeit vollzogen. Die Messung der Mondhöhen ordneten
wir derart an, dass je zwei oder drei in der einen oder anderen
Kreislage gemessene Mondhöhen zwischen mehreren sorgfältig für
die Zeitbestimmung beobachteten Hohen von Sternen lagen, von
denen mindestens einer dem Monde nahe stand, während der
andere im gegenüberliegenden Theile des Himmels sich befand.
Demgemfiss sind die Mondmessungen von der doppelten bis vier-
fachen Zahl von Zeitsternbeobachtungen eingeschlossen und es sind
genügende Daten zur Ausscheidung und event. Anbringung der Index-
fehler an den Mondhöhen vorhanden.
Bestimmungen . des Meridians wurden in mehreren Ort-
schaften der Küste vorgenommen, um die Azimute einiger Grund-
linien und Seiten der Dreiecksmessung, sowie Vergleichspunkte für
die Ermittelung der Missweisung des Magneten zu gewinnen.
Zu diesen Meridianbestimmungen verwendeten wir ausschliesslich
die Sonne, weil sich keine Marken aufstellen Hessen, welche bei
Nacht erkennbar gewesen wären und in Vergleich zu Azimutsternen
hätten gebracht werden können.
206 Ol. u. 0. Denhardt:
Die bezüglichen Messungen wurden derart angestellt, dass
Durchgänge der Sonne an den Vertikalfaden des Universalinstroments,
bei genauer Notirung der Uhrzeiten des Antrittes der Sonnenrinder,
beobachtet und von Zeitbestimmungen aus Sonnenhöhen (aus Durch-
gängen an den Höhenfäden) eingeschlossen, oder wenigstens begleitet
wurden. Selbstverständlich fand auch hier ein Beobachten in ver-
schiedenen Kreislagen des Instruments statt.
Die Missweisung des Magneten wurde aus Richtungs-
winkeln bestimmt, welche mittelst einer Prismenbussole nach terrest-
rischen Gegenständen gemessen wurden, deren wahre Azimute
bekannt waren. Wo dies nicht angängig, massen wir mit der
Prismenbussole Richtungswinkel nach der Sonne und notirten die
Uhrzeiten dieser Messungen bis auf Zehntel der Sekunde. Die be-
züglichen Feststellungen des Uhrstandes fanden bei diesem Verfahren
im Laufe des Tages statt.
Den für die Ermittelung der erdmagnetischen Kraftausseraog
daheim zurechtgelegten Plan mussten wir beträchtlich einschränken,
weil sowohl die grosse, mit dem Universalinstrumente in Verbindung
zu bringende fein getheilte Bussole, als auch die sonstigen magne-
tischen Apparate nicht in unseren Besitz gelangten and sich daher
der Verwendung entzogen. Diese Instrumente waren bei unserer
Abreise theilweise noch im Bau befindlich, wurden uns nachgesandt,
gingen uns aber, wegen ungenügender Adressierung nicht in Afrika,
sondern im Jahre 1882 in Deutschland zu.
Ergebnisse der astronomischen Beobachtungen.
Unter zumeist recht schwierigen Verhältnissen vollzogen wir in
Afrika gegen 1800 Gestirnbeobachtungen.
Insgesammt wurden durch unsere astronomischen Beobachtungen
21 Punkte bestimmt; für die 7 wichtigsten derselben wurden die
Längen aus Mondhöhen abgeleitet.
Zur Bildung eines Urtheils über den Umfang unserer Arbeiten
scheint es uns erforderlich zu bemerken, dass wir durch Krankheit
und schlechte Ernährung oft sehr schwach für die uns obliegenden Ar-
beiten waren. Dies war z. B. in Massa, dem letzten von uns wahrend
der Tanafahrt erreichten Orte, in solchem Maasse der Fall, dass wir
von unseren eingeborenen Begleitern am Universalinstrument gestaut
werden mussten, um die Beobachtungen durchzuführen. Trotsdem
würden wir mehr Ergebnisse heimgebracht haben, wenn wir ein un-
verletztes, leicht zu handhabendes Instrument besessen hätten.
Die Berechnung der astronomischen Beobachtungen.
Eine sorgfaltige Berechnung der Beobachtungen war wegen der
Indexfehlerschwankungen dringend erforderlich. Aus diesem Grunde
Bemerkungen cur Originalkarte des unteren Tana- Gebietes. 207
wurden alle Gestirnmessungen einzeln berechnet und nicht gruppen-
weise zur Berechnung gezogen, wodurch allerdings viele Arbeit und
Zeit erspart worden wäre.
Um Rechenfehler zu vermeiden, rechneten wir sämmtliche Be-
obachtungen zweimal unabhängig von einander. Herr stud. Emil
Stück stand uns dabei in anerkennenswertbester Weise zur Seite
und es wurde dadurch ermöglicht, für jede Berechnung zwei Prüfungs-
rechnungen zu erhalten.
Der Director der Berliner Sternwarte , Herr Prof. Dr. Förster,
sowie Herr Dr. Otto Kersten ertheilten uns für die Berechnungen
höchst werth volle Rathschläge. Wir fohlen uns verpflichtet, dies
hier mit verbindlichstem Danke anzuerkennen.
Der Berechnung wurden folgende Formeln zu Grunde gelegt:
a) bei Bestimmung der Zeit:
1) cos / = m — n; wobei m = sin A • sec g> • sec d,
n = tang <p . tang . rf.
o\ • 1/ 4 _i_ 1 / «n l [z + zQ) sin l [z — z0) . m
2) sin^/ = db \ Li—1 — 21 ?_v %wonn*0 =
* cos (f • COS 0
AX . 0 / cos [wcoS) sin h • sec cp • sec d
3) sin2— = — —
2 2 cos (f ■ cos o 2
„ «i-siu1^/ _ , . 1 m-sinV/ »
4) 2- = tang /, und sin-^= f =- — ;
' n * 2 cos/ sin V
worin ro = y cos d - cos <p
n n = sin1^(yooot).
b) bei Bestimmung der Breite:
wobei tang M =
p-d.
tang J*
2) q> = z — 6— Cm + Ca cotg [<p — d)n\
, . ., cos q> • cos d
wobei C =—7-7 rr-,
sin(y — o)
2 sin 3 j /
wobei m =
wobei n
sinl"
2 sin*/4
sin 1"
c) bei Bestimmung der Länge:
Om • sin \t ä _ ,.1 t» • sin ± / n
±— = tang l und sin -~ * = .-=— = t— ,.
n 2 cos/ sin/
2) Zb— *,=* y=F*+rf(*(l+^m)+^m ■<*) — *p(« + 4+* ^+^>
208 CL u. Q. Denhardt:
Hierin bedeutet:
£b die beobachtete Zenitdistanz ;
zT die errechnete Zenitdistanz;
£ = cosa, wobei a das Azimut, vom Nordponkte an (0°)
bis 180° gerechnet, ist,
y die Correction der angenommenen Breite;
# „ n des angenommenen Indexfehlers;
, .. ' . , . _ . cosd-flinA
a = 15 • sm a- cos (p [sma gerechnet nach: sma= — = 1;
8 die Correction der angenommenen Uhrcorrection;
/t*m = 0,002738 d. h. Voreilung der Sternzeit gegen mittlere
Zeit in 1 Sekunde mittlerer Zeit;
J Correction der angenommenen Länge,
p Aenderung der M des Mondes für 1 Sekunde mittlere
Zeit;
, ' . . cos «p • sin t
b = — coqw. wobei Bmw= ? — r ;
sm *b
w den parallactischen Winkel;
q Aenderang der Declination des Mondes in 1 Sekunde
mittlerer Zeit.
Die Breiten und Declinationen wurden bei der Anwendung der
vorstehenden Formel, wenn sie südlich waren mit positiven, wenn
sie nördlich waren mit negativen Zeichen in die Rechnung einge-
führt.
Bei Berechnung der Höhenparallaxen des Mondes wurde die
sphäroidische Gestalt der Erde berücksichtigt. Die bezügliche Rech-
nung geschah nach folgender Formel:
sin n = sin P'. sin [z — (y — <p *) • cos a„] und sin P' = q • sin P.
In dieser Formel bezeichnet
P die Aequatoreal-Horizontal-Parallaxe;
P' die Horizontal-Parallaxe für den Beobachtungsort;
q den Erdradius für die betreffende Breite;
(p — if' die Verbesserung der geographischen Breite;
ein das Azimut vom Nordpunkte ab bis 180° gezahlt;
z die Zenitdistanz;
n die Höhenparallaxe.
d) bei Bestimmung des Meridians:
cos M • tang / , . .. tangö* .
tangan=— —. =^t-; wobei tang M = 7 ist.
sm ( jp — M) cos t
Im Hinblicke auf die sorgfaltig angestellten Beobachtungen,
sowie auf die bis 10" resp. 5" gehenden Ablesungen der Kreisan-
gaben des Universalinstrumcnts, wurden die Berechnungen mit sech*
Bemerkungen cur Originmlkarte des unteren Tana-Gebietes. 209
stelligen Logarithmen durchgeführt; nur bei Berechnung der Refrac-
tion, der Azimute von Gestirnen, soweit diese für Längenermittelung
und Indexfehlerbestimmung erforderlich waren, und der für die
Längenformel nöthigen Differentialquotienten wurden fünf- und vier-
stellige Logarithmen verwendet.
Für Berechnung der Refraction schien bei den Mondhohen die
logarithmische Rechnung geboten; dagegen wandten wir bei Be-
rechnung der übrigen Beobachtungen die üblichen Tafeln für Fest-
stellung der Refractionswerthe an.
Die Längenberechnungen erfolgten nach der mitgetheilten , von
Herrn Prof* Dr. Fürster herrührenden Formel.
An den aus dem Nautical-Almanac entnommenen Mondürtern
wurden die von Herrn Prof. Dr. Fürster gütigst überwiesenen New-
comb'schen Correctionen angebracht, und die so verbesserten Mond-
örter wurden den Berechnungen der Längen zu Grunde gelegt.
Einige der beobachteten Sterne waren in den Ephemeriden
nicht angeführt; ihre Positionen mussten daher aus dem Catalog von
Taylor und aus dem „British Association Catalogue" berechnet
werden.
Die wahrscheinlichen Fehler belaufen sich auf 2— >-4 Bogen-
seknnden bei den Breitenbeobachtungen und auf 6 — 10 Zeitsekunden
bei den Längenbestimmungen.
Geodätische Messungen.
Durch astronomische Messungen erhielten wir allerdings Nor-
malpnnkte für kartographische Arbeiten, dieselben mussten jedoch
noch durch einfache geodätische Messungen untereinander verknüpft
werden, um als ein Zusammenhängendes, als ein Ganzes zu er-
scheinen.
Naturgemäss gestalten sich bei Forschungsreisen die geodätischen
Messungen etwas anders als bei Aufnahmen solcher Länder, in denen
alle Hilfsmittel für regelrechte Vermessungen vorhanden sind. Der
Reisende, welcher sich in unerschlossenen Ländern zwischen einer
Bevölkerung bewegt, deren Cultur und Anschauung weit von der
europäischen abweicht, muss auf die meisten Hilfsmittel zu Land-
messangen verzichten. Ihm bleiben nur seine Instrumente, und mit
diesem zur Grösse seiner Aufgabe geringfügigen Apparate hat er
meistens unter recht ungünstigen Verhältnissen zu arbeiten. Bietet
das betreffende Land weithin sichtbare Landmarken (Berge, Bäume,
Gebände), so hat der Reisende werth volle Signale für seine terre-
strischen Messungen; wo aber solche Landmarken fehlen, muss er
entweder Signale für die Messungen errichten, oder diese aufgeben
und sieh auf Lagenbestimmungen ihm wichtig erscheinender Punkte
durch rohe Linienmessungen beschränken.
SWtMhr. a. GMdUch. I Brak. Bd. XIX. 14
210 Cl. u. G. Denhardt:
Zu Bolchen rohen Linienmessungen zahlt die Aufnahme des
Weges, welcher zurückgelegt wurde, um gewisse Punkte zu erreichen,
im Allgemeinen auch die Aufnahme des ganzen Reiseweges.
Der Reisende hat zur Aufmessung desselben zwei Methoden:
1) die Ermittelung des zurückgelegten Weges aus der Zeit,
welche zu seiner Durchlaufung nöthig war, verbunden mit
den Richtungen des Weges;
2) die Bestimmung des Wegeverlaufes aus Feststellung der
Längen und Richtungen seiner Theile.
Die erste Methode bedingt, dass der Reisende seine Marsch-
geschwindigkeit für die verschiedenen Arten des Marsches und
Weges (Wanderung zu Fuss oder mittelst Reittieren und Trägern,
Fahrt zu Lande und zu Wasser, auf Sand-, Feld-, Gras-, Moor-,
Wald-, Fels-Boden o. s. w.) kenne und möglichst genau die Zeiten,
welche zur Durcheilung der einzelnen Wegstrecken erforderlich
waren, sowie die Richtungen dieser Strecken ermittele.
Die zweite Methode verlangt Feststellung der Längen der Weg-
strecken mittelst Schrittzählung oder Schätzung nach einem dem
Reisenden gewohnten Maasse (Schritt, Meter, etc.), oder durch
Messung mittelst eines Distanzmessers, sowie die Ermittelung der
Richtungen der Wegstrecken.
Je nach den Ortlichen Verhältnissen hat der Reisende diese
beiden Methoden einzeln oder zusammen anzuwenden, und je nach
der von ihm dabei aufgewendeten Sorgfalt und Umsicht wird er
dadurch seine bezüglichen Aufnahmen mehr oder weniger genau
erhalten.
In diesem Sinne vollzogen wir unsere Landaufnahmen, lebhaft
bestrebt, sie möglichst umfassend und genau zu betreiben.
Geodätische Messungen konnten wir nur längs der Koste
zwischen 4° und 2° südlicher Breite in befriedigender Weise an-
stellen; zwischen 4° und 6° südlicher Breite liess sich ein Zu-
sammenhang der Dreiecke nicht erreichen. Die von uns auf der
Insel Sansibar vollzogenen Messungen ergaben, dass die von dem
englischen Vermessungsgeschwader bewirkte Aufnahme dieser Insel
und die danach im Jahre 1879 veröffentlichte Karte eine recht ge-
lungene ist.
An der Küste weichen unsere Messungsergebniase vielfach be-
deutend ab von den in den englischen Seekarten niedergelegten
Resultaten der vom englischen Geschwader unter Owen angestellten
Aufnahmen. Diese im Jahre 1824 veranstalteten Aufnahmen waren
ganz flüchtige; die Abweichungen sind daher erklärlich.
Unsere Aufnahmen vollzogen wir derart, dass an geeigneten
Orten mehrere Grundlinien („Basen") mit Stahlbandmaassen möglichst
sorgfaltig gemessen, zum astronomischen Meridiane orientiert and dann
Bemerkungen zur Originalkarte des unteren Tana-Gebietes. 211
als Ausgangspunkte für Messungen grosser Dreiecke genommen
worden, zwischen welche wir kleinere Dreiecke legten.
Als Dreieckspunkte benutzten wir Gegenstände, wie sie sich
boten (scharf markierte Bäume, Hügelkuppen und Hügelab fälle,
Häuser, Flaggenstangen und Denksäulen), oder auch Signale, welche
wir errichteten. Die grösseren Dreiecke wurden mit dem Universal-
instrument, kleinere und solche, welche keine scharf markierten
Visierpunkte boten, mit der Prismenbussole aufgemessen.
Die Basisendpunkte brachten wir durch Dreiecks- und Linien-
Messungen in Zusammenhang mit astronomisch bestimmten Punkten;
sie lehnen sich also an diese und geben die Möglichkeit, unsere
astronomischen Beobachtungsergebnisse auf ihre Genauigkeit hin zu
prüfen und event. Correctionen der Lagen astronomisch bestimmter
Plätze vorzunehmen. Zu solchen Correctionen sahen wir uns jedoch
nicht veranlasst, weil die astronomischen und geodätischen Bestim-
mungen der Beobachtungsplätze befriedigende Uebereinstimmung
zeigen.
Einer der besten Belege hierfür ist die von uns bewirkte Auf-
nahme der „Ungama" („Formosa-Bay" der englischen Seekarten).
In diese Bucht, welche sich an der afrikanischen Ostküste zwischen
etwa 2^° bis 3° südlicher Breite ausdehnt, münden die Flüsse
Tana und Osi, auf welche sich unsere Hauptaufgabe erstreckte. An
der Mündung des Tana bestimmten wir zwei Punkte und in Kipini,
an der Osimündung, einen Punkt astronomisch. Von diesem letzten
Punkte aus wurden Azimute nach den beiden Punkten am Tana
gemessen, sowie das Azimut einer Basis, deren eines Ende im
Kipini-Punkte lag; vom anderen Endpunkte der Basis aus wurden
ebenfalls Richtungswinkel nach den Messplätzen am Tana genommen.
Der auf diese Weise gefundene Breitenunterschied zwischen Kipini
und den Punkten am Tana stimmt bis auf etwa 100 Meter mit dem
durch astronomische Beobachtungen unmittelbar überein, was unge-
fähr dem wahrscheinlichen Fehler unserer Breitenbestimmungen ent-
spricht.
Die meisten Dreiecksmessungen vereinigten wir durch Zeichnung
zu Dreiecken auf dem Papiere, weil die Konstruktion leichter und
schneller zur Orientierung in den Messungsergebnissen führt, als die
Berechnung der Dreiecke. Wir berechneten Dreiecksseiten Und Drei-
eckswinkel nur dann, wenn es sich um grosse, wichtige Dreiecke
handelte, die gute Signalpunkte besessen hatten und deren Winkel-
grössen deshalb bis auf 10" oder 20" gemessen worden waren.
Zu diesen Konstruktionen bedienten wir uns eines in halbe
Grade getheilten Kreises von 30 Centimeter Durchmesser; über ihm
wurde Pauspapier aufgespannt und darauf wurden die betreffenden
Winkelwerte, den Messungen entsprechend bis auf Zehntelgrade ge-
14*
212 Cl. ü- <*• Denhardt:
nau, angemerkt. Wir tragen aaf einem Blatte Pauspapier ra der
eben angedeuteten Weise sämtliche von einem Messpiatee am er-
mittelten Richtungswinkel auf, steckten dieses Blatt sodann Über dem
anf der Originalzeichnung fixierten bezüglichen Messpankte fest and
konnten nun alle Richtungswinkel bequem bei der Konstruktion
handhaben, ohne gezwungen zn sein, ungenauer nnd schwerfalliger
mit dem Transporteur zn arbeiten.
Das von den Flüssen Osi nnd Tana durchströmte Land ist
eben, so weit wir es kennen lernten. Man kann wochenlang dort
wandern, ohne einen Hügel oder einen Berg zn Gesichte zu be-
kommen. Weite Grasflachen, durchsetzt von Wäldern nnd Bosch-
gruppen, bieten dem Beisenden dort keine Landmarken, welche er
als Signale benutzen könnte; künstliche Signale kann er für Drei-
ecks-Messungen nicht errichten — nnd so ist er gezwungen ,* die
astronomisch bestimmten Punkte durch genaue Aufnahme des Reit-
weges zu verknüpfen nnd die Landesaufnahme im engen Anschlösse
an denselben zn bewirken.
Von Eipini ab mnssten wir wahrend der ganzen Reise im
Innern in dieser Weise arbeiten, um die astronomisch bestimmten
Punkte mit einander zn verbinden. Als bequemsten Reiseweg be-
nutzten wir, wie bereits mitgetheilt, die Flusse Osi und Tana, welche
durch einen natürlichen, von den Eingeborenen erweiterten Kanal
zusammenhängen.
Bei Aufnahme unseres Reiseweges bedienten wir uns der bereits
erwähnten zweiten Methode für Gewinnung von Itineraren. Wir
besassen oft erprobte Uebung im Schätzen von Entfernungen, konnten
daher, ohne erhebliche Fehler zu* begehen, diese Methode anwenden,
nnd thaten dies auch, weil die Geschwindigkeit der Kahnfahrt eine
sehr verschiedene war und weil wir bei Schätzung der Entfernungen
des lästigen Beobachtens der Uhr und der Notierungen der Ubr*
zeiten enthoben waren. Es blieb uns auf diese Weise Zeit mm
Sammeln von Pflanzen und Tieren, oder zum aufmerksamen Durch-
mustern der Ufer nnd zum Einziehen von Erkundigungen. Die
Richtungen aller zurückzulegenden und zurückgelegten Flussstrecken,
soweit sie übersehbar waren, wurden durch Vorwärts- und Rückwärts-
Yisieren an einem Kompass von 7 cm Durchmesser bestimmt Das
Ergebnis der zweiten Visur wurde nur dann gebucht, wenn es von
der ersten um mehr als 5° abwich. Während der Fahrt wurde
jede Strecke des Flusses skizziert, die Höhe und Beschaffenheit
seiner Ufer, des überblickbaren Landes und der Pflanzendecke
notiert, die Breite und Tiefe des Wassers geschätzt und gemessen.
Das so gewonnene Itinerer wurde, unter Berücksichtigung der
Missweisung des Magneten, nach Beendigung der Reise aufgezeichnet
nnd teilweise berechnet. Zu dieser Berechnung ward die „Koppel*
Bemerkungen stur Originalkarte des unteren Tana-Gebietes. 218
tafel nach Graden*4-, welche in der »Sammlang nautischer astro-
nomischer und logaritbmischer Tafeln von F. Domke" abgedruckt
ist, verwendet
Der durchschnittliche Peilungsfehler betrug, nach der Theorie der
Fehlerfortpflanzung für Bussolenzüge behandelt, etwa 3 — 5°; erheb-
licher aber sind die Fehler der geschlitzten Längen, welche sich
bis auf 18 % belaufen.
In dieser Weise erhielten wir eine vollständige Aufnahme des
Osi von Kipini bis zum Belesoni, ferner des Belesoni und schliesslich
des Tana von seiner Mündung bis Massa, Von Kau (am Osi)
aus wurden auch die Zuflüsse des Osi: Kitoni, Tumembamba,
Kikokoni, Schungi und Mamanga, in Bootfahrten aufgenommen.
Die aufgezeichneten Itinerare fugten wir zwischen die astro-
nomisch bestimmten Punkte ein und verwendeten sie in Gemein-
schaft mit den geodätischen Messungen zur Konstruktion der vor-
liegenden Karten.
Während der Heise im Innern Hess sich eine kleine Dreiecks-
messung nur am See Scbechababu (Schaggababo) vollziehen; sie hat,
unter Hinzuziehung eines Itinerars, zur Konstruktion einer Karten-
skizze dieses See's geführt. Bei dieser Dreiecksmedsung dienten die
schlanken, säulenartigen Stamme der Borassus-Palmen als Signale.
Die „Bindepunkte" unserer Expedition.
Der Schwerpunkt unserer Arbeiten liegt in der Aufnahme der
„Ungama" („ Formosabay tt) und der Flösse Osi und Tana; hier
finden sich auch die „Bindepunkte**, über welche wohl einige An-
deutungen statthaft sind.
Seitdem Vasco de Garaa im Jahre 1498 die Ostküste Afrika's
in den europäischen Verkehr zog, werden die Namen einiger Orte
derselben, welche wir besuchten, genannt; aber erst im Jahre 1824
wurden dort die ersten Messungen zur Herstellung genügender
Karten unternommen. — Mit den bezüglichen Arbeiten hatte die
englische Admiralität den Kapitän W. F. W. Owen betraut. Dieser
leistete wirklich Anerkennenswertes, und seine Arbeiten sind zumeist
heute noch für den grössten Teil der afrikanischen Ostküste die
grundlegendsten und einzigen.
Nach Owen erfolgten erst im Jahre 1861 einige flüchtige
Aufnahmen an der Mündung des Pangani (5,4° S. Br.) und bei
Mombasa (4° S. Br.) durch Dr. Thornton. Während der Reisen
des Freiherrn von der Decken und R. Brenner's am Tana und Osi
(1865 und 1867) wurden nur Skizzen und Notizen über beide
Flosse gewonnen und im Decken'schen Reisewerke von Dr. O. Kersten
veröffentlicht. Die dazu gehörigen, von B. Hassenstein hergestellten
Karten weisen den Osi und Tana zum ersten Male auf. In den
214 Cl. u. O. Denhardt:
englischen Admiralitätskarten hat dieser Fluss bis heute noch keine
Stelle gefunden; es ist darin nur der Osi verzeichnet. Die englische
Admiralität Hess in den Jahren 1877 — 79 umfassendere Messungen
vollziehen; dieselben reichen jedoch nnr bis an den südlichen Teil
unserer Expeditionsarbeiten (bis etwa 5° S. Br.) und berühren die
„Ungama*4 („Formosabay") nicht. Für die „Ungarna" sind dem-
gemä'ss unsere Messungen seit Owen die ersten und können nur mit
den Owen'schen verglichen werden.
Nach den gefalligen Mitteilungen des Hydrographischen Amtes
der Englischen Admiralität (London, 18. Mai 1883) enthalten die
dort aufbewahrten, vom Kapitän W. F. W. Owen im Jahre 1824
konstruierten Originalkarten die nachstehend aufgeführten Positionen:
O. L. t. Gnenw.
1. RasNgomäni, östlichster Punkt, = — 8 ° 0' 0"und 40° 17' 20"
2. Tana-Fluss, nördlichster Punkt
der Mündung = — 2°43'45" „ 4OoU'10*
3. Osi-Fluss, westlichster Punkt
der Mündung =— 2°34'15" „ 40°33'40"
4. Kipini = — 2°35f30" „ 40° 34' 30"
Unsere Messungen hingegen ergaben für dieselben Punkte:
1. Ras Ngomäni = — 2° 58' 48" und 40° 12' 54" O.L.v.Greenw.
2. Tana-Fluss . = — 2° 39' 7" „ 40° 13' 39,9" „ „
3. Osi-Fluss . . = — 2° 31' 45,1% 40° 36' 21,5" „ n „
4. Kipini .... = — 2° 31' 45,1% 40° 36' 53,7" „ „ 9
Die Mündang des Tana, sowie die Mündung des Ost wurde,
wie schon gesagt, von uns astronomisch bestimmt und ihre gegen-
seitigen Lagen wurden auch geodätisch ermittelt, wobei sich ergab,
dass unsere Bestimmungen annehmbare sein dürften. Ausschlag-
gebend ist dabei die Position von Kipini, für welche in der Lange
nur ein Unterschied von 2' 23,70" oder 9,58 Zeitsekunden gegen
die Owen'sche Bestimmung sich herausstellt.
Wird berücksichtigt, dass ein ähnlicher Unterschied «wischen
der von Owen und der im Auftrage des „Bureau des Longitudes*
von Germain bestimmten Länge des englischen Konsulatsgeb&ades
in Sansibar besteht, so hat die von uns für Kipini gefundene Lange
viel Wahrscheinlichkeit für sich. — Nach Owen liegt das Konsulats-
gebaude 2h 36 m 58,1 ■ Ost von Greenwich = 89° 14r 32", nach
Germain (im Jahre 1867) dagegen 2h 86» 46,9» = 39° 11' 44'.
Der Unterschied beider Bestimmungen belauft sich mithin auf 2' 48'
im Bogen, oder auf 11,2 Zeitsekunden.
Owen hat die Länge von Kipini durch Chronometer bestimmt
Hierbei diente ihm Sansibar als sekundärer Meridian, der auf der
Bemerkungen zur Originalkarte des unteren Tana-Gebietes. 215
Länge von Kapstadt basierte. Nun hat aber Owen die Länge von
Kapstadt um 5' 9" zu weit gegen Westen angenommen, mithin
auch die Länge von Sansibar um 5' 9" zu westlich; sie wird dem-
nach den berichtigten O wen'schen Wert von 39° 9' 23" (Ost
von Greenwich) erhalten. — Dieser weicht von dem Germani-
schen um 2' 21" im Bogen oder 9,4 Zeitsekunden ab; wir er-
halten also, da wir bei Kipini zwischen der Owen'schen und unserer
Längenbestimmung eine Abweichung von 9,58 Zeitsekunden fanden,
eine Differenz von 0,18 Zeitsekunden, welche sehr für die Wahr-
scheinlichkeit des von uns für die Lange von Kipini gefundenen
Werthes spricht.
Der Unterschied von 3' 44,9", welcher zwischen der durch
Owen und der durch uns gefundenen Breite von Kipini besteht; ist
nicht so leicht zu erklären, weil über die Art und Weise der
Owen'schen Breitenbestimmungen und über die dazu verwendeten
Instrumente keine Anhaltspunkte vorhanden sind. Für die Wahr-
scheinlichkeit des Werthes unserer Breitenbestimmung (gewonnen aus
290 Sternbeobachtungen an 10 Abenden) spricht die befriedi-
gende Uebereinstimmung der Ergebnisse der verschiedenen Beobach-
tungen, sowie des durch astronomische und geodätische Messungen
ermittelten Breiten Unterschiedes zwischen Kipini und der Tanamün düng.
Die Lage des neuen englischen Konsulatsgebäudes in Sansibar
wurde vom englischen Vermessungsgeschwader im Jahre 1878 zu
39° 11' 11" östl. L. von Greenwich ermittelt. Für denselben
Punkt fand der Astronom Finlay von der Sternwarte in Kapstadt
im Jahre 1882 eine Länge von 39° 11' 8" östl. L. von Green-
wich. Dieser Wert ist vorläufig der fundamentale, da er auf einer
telegraphischen Längenbestimmung zwischen Kapstadt und Sansi-
bar beruht. Die Owen'schen und Germanischen Werte lassen sich
mit dem Finlay' sehen nicht vergleichen, weil sie für das alte Kon-
sulatsgebäude gelten und weil dessen Lage zum neuen nicht be-
kannt ist.
Da wir uns nächstens wieder in Sansibar aufhalten werden, um
dort die Ausrüstung für eine zweite Forschungsreise im Tana-Osi-
Gebiete zu vervollständigen, wollen wir versuchen, die gegenseitige
Lage des alten und neuen Konsulatsgebäudes festzustellen, um da-
durch einen Vergleich zwischen den im Voraufgehenden angegebenen
Positionsbestimmungen zu ermöglichen.
Zum Schluss sei bemerkt, dass während dieser Forschungsreise
astronomische und geodätische Instrumente aus den besten deutschen
Werkstätten zur Verwendung kommen und dass wir bestrebt sein
werden, sorgfältige geographische Aufnahmen auch an der Küste
des mittleren Ostafrika zu bewirken, weil dieselbe für Handel und
Schiffeverkehr der civilisierten Völker stetig an Bedeutung zunimmt.
216
Cl. u. G. Denbardt:
Zusammenstellung der nennenswerthesten Paukte, welche
wir durch astronomische, geodätische and andere Mes-
sungen im unteren Tana-Gebiete bestimmten.
[Orte, an denen astronomische Beobachtungen vollzogen wurden , nad
mit einem * bezeichnet Die Langen der hier verzeichneten Paukte
sind auf Greenwich bezogen; sie liegen samtlich Ostlich von dieser
Sternwarte.]
Name
| Breite
Lange
Name
Breite
Lange
A. In der Ungarn* („Formotabal").
Kisanga
o r »
— 28215
e f *
402546
Ol»
O / »
Sidiama
— 282 20
402144
Ras Ngomäni
— 2 5848
4012 54
Mündung des'
Martträni*
— 2 5043,1
40 915
Belesoni in
— 230 30
402014
Ras Kitoa ja
den Osi
Pamamba
— 24488
40 945
Ras Kilifi, an]
der Mündung,
— 24154
4011 5
C. Am Tana.
des Kilifi J
Ol»
Oll
RasMtoTana*
-239 7
4013 39,9
Fahrhaus am
Däne am rech-.
Tana
— 236 33
401659
ten Tana-
Sakalusi
— 23320
401719
Ufer,westlich
Tjarra*
— 2 31 38,2
40165?;
von der Süd-
— 2 3815,8
40 14 24,3
Abzweigung
spitze der In-
des Belesoni
— 23126
401759
sel in der Ta-
vom Tana
namündung*^
Schamba
Kipini* (Osi-
Scheibu
— 231 3
401620,5
Mündungi
— 2 3145,1
4036 53,7
Marambani
— 231 8
401437,5
linkes Ufer)
Kirango
— 23051
401359
Schagga
— 2 38 12
4040 55
Mangandu
-23046
401322,5
Ras Schagga
— 2 33 28
404126
Jamanamuma
-2 8045
401235
Riffe bei
— 234 34
4038 0
Mutuaman-
Schagga
bis
bis
gando
-23043
401215
— 287 0
404130
Kombo Aji's
Schamba
— 23030
4012 3
B. Otl um
1 umliegendes Land.
Samkarro
mkuba
— 23020
4011 9
Kirimando
Ol»
Ol»
Kdoru
-23055
401030
(Mündung in
— 23030
403143
Mojaboneia
— 23040
401026
den Osi)
Djasoro *
— 23031
40 919
Kikokoni
-2 30 45
40 3036
Patondoe
— 28027
40 726
Kau*
— 2 29 8,3
40 2819,2
Keieckwa
-227 47
40 413
Wito
— 2 21 0
4030 0
Manasamba
— 2 26 50
40 435
Kitumbini
Kipao
— 22537
40 458
(Mittel beider
^ - 2 30 10
40 27 83,7
Kinamu
— 2 2516
40 5 7
Ansiedelun-
Ngao*
— 2 2432,6
40 452,2
gen) i
Kadini
Schechababu .
— 2 24 0
40 440
— 2 2949
40 26 34
Afl80
— 2 1518
39 5957
Wischu
— 280 22
402554
Malaie
— 213 50
40 156
Tomoni
— 2 30 20
40 25 34
Koloni
— 21335
40 2 4
Sumaniö
— 2 30 25
40 24 58
Wuama
— 213 5
40 2 9
Bemerkungen snr Originalkarte des unteren Tana-Gebietea. 217
Name
Breite'
Lange
Name
Breite
Länge
Engaiana*
Ott
— 212 29,4
O / 0
40 212
Wnaachaju
O f #
— 1 47 23
o r ' §
39 57 50
Kiwaxi
— 21210
40 2 27
KinjSni
— 146 50
3957 52
Bnradjera
— 21135
40 2 24
Makombani
-146 0
39 53 3
Snngnni
-210 5
40 2 9
Kiwajowajo
— 145 36
39 57 53
8idde
-210 4
40 2 22
Bubnbu
-14521
39 57 53
Knliaa
— 210 0
40 2 30
Walimi*
— 1 44 27,9
39 58 20
Onndu
— 2 937
40 2 32
Tnnani
— 144 4
895849
Kiomo
— 2 913
40 2 36
Harani
— 143 54
3958 24
Andani
— 2 9 7
40 2 41
Makomba
— 143 41
39 58 29
Saloo
— 2 854
40 2 43
Gorani(Gasiri)
-143 80
39 5819
Mitole*
— 2 8 47,1
40 3 0
Gnban
— 142 40
39 5824
Geloa
— 2 8 0
40 2 47
Woafi
— 1 41 50
39 5745
Namaalre
— 2 718
40 2 30
Mangani
— 1 41 31
39 58 2
Maaaaaini
— 2 622
40 2 25
Jabnscbu
— 14118
39 57 5
Kieini
— 2 546
40 2 7
Point
— 1 40 80
39 57 52
Nsao
— 2 510
40 154
Maramba
-139 45
3958 3
Kiaamba
— 2 430
40 2 30
Dampi
— 139 0
39 57 50
Mawulu
— 2 419
40 214
Gamanole
- 1 38 18
39 57 44
Dadatja
— 2 4 5
40 2 25
Bialini
— 138 8
39 57 56
Manjuni*
— 2 3 45,3
40 238
Linda
— 1 38 10
39 54 25
Maus*
— 2 333
40 215
Watschani
— 1 82 20
39 53 20
Maroni
Kibununu
— 2 317
— 2 250
40 234
40 2 8
Namarungi
Maramba
— 13085
39 52 55
Maongo (oder
Msanjama
— 128 35
39 5140
anchMadjon-
— 2 234
40 213
Tschewani
— 125 30
39 50 57
goni)
Natojo
— 1 24 23
39 5110
Palangini
— 2 150
40 143
Galama.nl
— 123 40
39 51 5
Bau
-2 129
40 144
Dola
— 1 23 18
39 50 40
Kinjadtt
— 2 115
40 123
Kiluluni
— 12211
3950 0
Doloni
— 2 029
40 0 58
Slsini
— 12131
39 49 28
KimUwata
— 1 59 39
40 045
Obo
— 121 8
3949 0
Bopia
— 15826
40 018
Jaschoggo
— 119 50
39 4912
Kiaambia
— 15814
39 59 48
Mahuru
— 117 34
39 4853
Tachekiia
— 1 57 56
39 59 43
Rafoma
— 1 17 20
3948 51
Kann
-157 89
395948
Migironi
— 11712
3949 1
Maramba
— 157 20
3959 54
Malbati
— 1 15 20
394840.
Snrani
— 1 57 20
40 0 5
Mrembele, un-
Koai*
— 157 3,8
39 59 58
tereMündung
-114 51
3948 52
Maweni
— 154 55
40 012
— obere „
— 11411
39 48 48
Mtechelelo
— 152 50
39 5950
Kifingao
— 11411
89 48 29
Kiknni
— 1 51 42
3959 6
Rhoka
- 1 13 35
39 47 50
Gurn
Makftre
— 1 51 38
— 15134
39 58 53
39 5811
Stras8e(Fuhrt)i
der 8omal J
-113 0
39 47 52
Kambo
— 14944
39 58 3
Mikindnni
-11235
39 48 5
Kibarandja
— 14854
8958 3
Maasa*
— 112 5,7
39 47 8,6
Wuaachatini
— 1 48 13
39 58 21
218 H. Polakowsky:
XL
Die erste Eroberung der Republik Costa Rica durch
die Spanier in den Jahren 1563 und 1564.
Nach den officiellen Berichten des Adelantado und General -Kapitäns
Juan Vazquez de Coronado, an den König von Spanien
und anderen Dokumenten.
Von H. Polakowsky.
(Hierzu eine Karte, Tafel V.)
(Schluss.)
Über diese seine ersten Züge in Costa Rica liess Vazquez
verschiedene angesehene Personen eidlich vor dem Alcalden von
Garci-Munoz vernehmen. * Die Protokolle (Informaciones de ser-
vicios) datieren vom 8. und 12. Mai 1563 und sind publiciert von
Peralta (1. c. S. 243—293). Die Originale befinden sich im Ar-
chivo de Indias, Patronato, Simancas. Die Dokumente beweisen
die Wahrheit der Berichte des Vazquez, der seine Verdienste
durchaus nicht übertreibt, seinen Feinden grossmutig verzeiht etc.
Aus den Fragen und Antworten dieser Protokolle geht hervor,
dass Coronado mit seinen Soldaten am 26. August 1562 von Leon
de Nicaragua aufbrach und durch Guanacaste marschierte und die
Indianer von Bayaci, Cotosi (heut Orosi?) und Zapanci (sudlich
von der Bahia de Culebras nach einigen alten Karten wohnend)
auf dem Marsche unterwarf, dass er 22 Jahre in Indien und zwar
meist im Dienste des Königs thätig gewesen, die Stelle eines
Alcalden in San Salvador ausgefüllt habe, und mit der Dona
Ysabel Anas de Avila, der Tochter des Kapitäns Gaspar Anas
de Avila, eines der ersten Eroberer Mexikos, verheiratet gewesen
sei. Weiter wird ausgesagt, dass er ohne Blutvergiessen die
Indianer von Celentiname unterworfen habe, und dass die Caziken
derselben nach Granada gekommen, um ihre Unterwerfung anzu-
melden. — In der zweiten Information werden die Caziken der
verschiedenen Ortschaften oder Tribus angeführt. Es sind: Accaxri,
Cazike der Provinzen von Accarri und Xoco; Abarica, Cazike von
Oroci; Tuxusti, Cazike der Tribus (pueblo) oder Ortschaft Uxar-
raci; Qalaca, Cazike der Tribus Yosoro e Sido und Oticara; BU-
talia, Cazike der Tribus von Turiarba. Alle diese Tribus wohnten
in der Provinz del Guarco, d. h. auf den heutigen Hochebenen
von San Jose und Cartago und ihren Abhängen. Hierzu kommen
noch als die Oberhoheit der Spanier anerkennend und im selben
Gebiete ansässig: Currirava, Cazike del Abra; Yurusti, Cazike
Die erste Eroberung von Costa Rica durch die Spanier 1563 n. 1564. 219
von Toyopaniu Abra; Yarnci, Cazike von Cobux; der Gazike von
Abite; Tuarco, Gazike nahe bei Accarri; Coquiba, Cazike von
Pacaca.
Die Anzahl der Bewohner der Provinzen Conto, Tarucaca
nnd Qnepo schätzt Cor. auf 4000, die Anzahl der aas den Händen
des Gaziken Coquiba befreiten Mangaes wird auf 26 angegeben. —
Die 38. Frage des zweiten Protokolles ist sehr interessant. Sie
besagt, dass die Soldaten unzufrieden seien, weil das Land und
die Bewohner nicht unter ihnen verteilt werden durften, wie dies
in anderen Teilen Indiens geschehen. Weil die Soldaten nicht
in dieser Weise für ihre Dienste belohnt wurden, verliessen
viele wieder das Land und die Indianer empörten sich oft, da
man ihnen nicht zeige, dass sie Herren hätten. — Wie richtig der
Konig und der Consejo de Indias gehandelt hatten, die „Vertei-
lung" Costa Rica's an die Spanier nicht zu gestatten, zeigte sich
später, nachdem Perafän de Riberas am 12. Januar 1569 das
erste „Repartimiento de encomiendasa vorgenommen. (S. Peralta,
El rio San Juan.) Die Indianer Costa Rica's liessen sich nicht
so geduldig wie die Indianer von Nicaragua von den Spaniern
abschlachten oder zu Sklaven machen, sondern erhoben sich oft
und mit Gluck gegen die Spanier. Die Geschichte dieser Kämpfe
zwischen den Indianern im Thale und Herrschgebiete des Duy
(des . späteren Talamanca) und den Spaniern behalte ich mir vor,
an einer anderen Stelle eingehend zu schildern.
Durch Edikt (real cedula) aus Madrid vom 26. Juli 1563
(Peralta 1. c. S. 294) forderte der Konig von der Audiencia de los
Confines (= Guatemala) einen Bericht über die Eigenschaften des
Landes, welches neu entdeckt worden, und wo der Juan Vazquez
de Coronado sich zur Zeit befinde. Er fragt weiter an, ob es
passend sei, aus diesem Lande ein eigenes Gouvernement zu
machen, welche Dienste Vazquez de Coronado geleistet habe, und
ob er auf seine Kosten die Reise nach und die Besiedelung von
Costa Rica y Nuevo-Cartago gemacht habe. Über alle diese
Punkte wird von der Audiencia oder ihrem Oberaufseher (visi-
tador), dem Licent. Briceno, genauer Bericht gefordert.
Gleich nach Absendung des grossen Berichtes an den König
trat J. Vazquez de C. die Reise nach Nicaragua an. Am 11. Juli
bereits war er in Nicaragua, am 2. August in Granada. Hier
und in Leon blieb er bis Mitte November und bereitete den
grossen Zug nach Talamanca vor. Aus dieser Zeit publciert Pe-
ralta (1. c. S. 299 f.) zunächst ein Schreiben vom 10. September aus
Leon de Nicaragua, gerichtet an Ochoa de Loyando, Sekretär des
Königs. Er bestätigt hierin den Empfang eines Briefes des
Ochoa de Loyando vom 7. Januar 1562, den er erst am
220 H. Polakowsky:
17. August 1563 bei seiner Ankunft in Leon erbalten habe, da er
wegen der Eroberung von Costa Rica abwesend gewesen sei.
Die gewünschten Angaben über die Gehälter, Gratifikationen
(ayudas de costo), Unterhaltung und jährlichen Einkünfte habe er
gesandt. Vazquez fuhrt kurz seine Eroberungen in Costa Rica
an und bittet, Se. Maj. möge ihm die Gnade erweisen, die er
gewöhnlich den Eroberern in Indien gewährt habe, d. h. möge
ihn zum General- Gouverneur des eroberten Landes ernennen. —
Wichtig ist der folgende Brief (Leon de Nicaragua, 11. Sep-
tember 1563) an. den Eonig. Derselbe lautet;
„ Katholische, Königliche Majestät 1 Aus der Burg von Garei-
Munoz, wo ich eintraf nach der Unterwerfung von Cocta (Couto)
und Turucaca, gab ich Ew. Maj. Nachricht über den Zustand jenes
Gouvernements *und erzählte, wie ich Leute abgesanjdt, um das unter-
worfene Thal des Guemi (= Guaymi nach Peralta) zu bevölkern*).
Jeden Tag erwarte ich Briefe vom Kapitän Anton Pereyra über
seine Thaten. Auch schrieb ich Ew. Maj., wie ich nach diesem
Gouvernement zurückkehren musste, um mich mit Leuten, Lebens-
mitteln und Munition zu versehen , woran ich Mangel litt. Seit
ca. einem Monat bin ich hier. In dieser Zeit habe ich 30 Soldaten
und Pulver, Pferde und Vieh zur Unterstätzung des Pereyrs
abgesandt, und ein anderes Schiff mit ebensoviel Soldaten ist zum
Auslaufen bereit und im Sommer**) werde ich mit soviel Leuten
als möglich folgen."
„Vom Lieutenant, den ich in Costa Rica zurücklieaa, erhielt
ich Briefe, wonach der Cazike von Tayutu am Tage nach meiner
Abreise nach der Stadt kam und sich Ew. Maj. unterwarf. Er
berichtete, dass der Cazike von Suerre die Kleider und Waffen
des Diego Gutierrez und seiner Soldaten habe und mir dieselben
geben wolle., wenn ich nach seinem Lande käme. So Gott will,
gedenke ich diesen Winkel in diesem Sommer zu besuchen.
Dieser Cazike (von Tayutu) war beim Tode des Gutierrez gegen-
wärtig und bedauerte er meine Abwesenheit. Er versicherte, dass
das Thal von Coaca, welches die Guetares als unbewohnt be-
zeichneten, sehr bevölkert sei.tf — Weiter folgen zunächst Ant-
worten über die Verhältnisse der Einnahmen und Gehälter der
Provinz, dann beklagt Vazquez den Mangel an einem Prälaten,
da der bisherige, der Licent. Carrasco, gestorben sei. „Über den
Weg nach Piru wird ausgeführt werden, was Ew. Maj. befehlen.*
— Weiter zeigt Vazquez an, dass er nach Guatemala gesandt
*) Danach lag das Thal des Guaymi also an der Seite der Bodsee,
resp. erstreckte sich diese Bezeichnung wenigstens bis hier.
**) Es ist hierunter die trockene Jahreszeit vom Dezember bis Mai iu
verstehen.
Die erate Eroberung von Costa Rica durch die Spanier 1563 n. 1564. 221
habe, am seine Frau und Kinder nach Costa Rica zu senden,
wie es das Interesse des Königs zur Beruhigung und Besiedelang
dieser Provinz erfordere.
Mitte November schiffte sich Vazquez im Realejo ein und
ging zunächst nach Nicoya, um noch Lebensmittel aufzunehmen.
Von hier lief er am 3. Dezember (1568) aus, versah im Vorüber-
fahren die wenigen Bewohner von Landecho (Calderas nach Pe-
ralta) mit Lebensmitteln und setzte seine Reise längs der Küste
fort bis zum Rio Grande de Terraba und zum Hafen von Coro-
nado (an der Mundung desselben) in der Provinz von Turueaca,
wo er landete (am 10. Dezember 1563).
Sehen wie hier zunächst, was aus der Expedition des Kapi-
täns Antonio de Pereyra nach Couto geworden war. Ein spezieller
Bericht hierüber. liegt nicht vor. Aber in verschiedenen „ad per-
petuam Rey memoriam* aufgenommenen, auf beschworenen Zeugen-
aussagen basierten Informationen, finden sich genügende Daten.
Aus einigen dieser Berichte will ich hier kurze Auszüge geben.
Die ersten Eroberungszüge in Costa Rica hatte unter anderen
Alonso de Auguciana mitgemacht. Sein Name wird oft in den
von mir benutzten Dokumenten genannt. Er nahm teil an dem
Zuge des Juan de Estrada Ravago, ging dann mit Coronado nach
Turueaca und Couto und war regidor (Ratsherr) von Garci-Munoz
(1562). — Wichtiger für die Geschichte des Coronado sind die
Angaben über die Dienste des Antonio de Peralta, über welche
derselbe am 5. Februar 1564 in Garci-Munoz vor dem General-
Kapitän Juan de YUanes de Castro, dem provisorischen Nachfolger
des Juan Vazquez de Coronado, verschiedene Zeugen vernehmen
lies*. Peralta ging mit Pereyra nach der Provinz Turueaca, um
eine Stadt zu gründen, und er erzahlt, dass sie auf dem Marsche
viele Strapazen erduldeten, da derselbe im Winter ausgeführt wurde.
Sie hatten viele reissende Strome zu passieren gehabt und hätten
dabei alles Gepäck und viele Pferde und andere Dinge verloren
und seien- oft in Lebensgefahr gewesen. Die aus Quepo mitge-
nommenen Dolmetscher entflohen bei der Ankunft des Pereyra in
Conto und mussten mit Hilfe des Peralta wieder eingefangen
werden. Dann setzte Pereyra den Marsch nach den Provinzen
von Cia, Xarixaba und Yabo fort, wo sich die Caziken unter-
warfen. Hier in der Landschaft Boruca, nahe am Golfo Dulce,
gründete Pereyra eine 8tadt Cartago (Sept 1563), welche aber
nur 8 Monate bestand.
In einer Information über die Dienste des Domingo Hernan-
dez, aufgenommen vor dem Alkalden D. Ruy Lopez de Ribera
in Cartago am 4. Februar 1572 (Peralta, 1. c. p. 459), wird aus-
gesagt , dass die Truppen des Antonio Pereyra, zu denen auch
222 H. Polakowsky:
Dom. Hemandez gehörte, aus 70 Mann bestanden, dass sie 6—7 Mo-
nate zu ihrem .beschwerlichen Marsche gebrauchten, dass sie wegen
Mangel an Lebensmitteln den Mais der Indianer in den Gebirges
und Wäldern, wo dieselben ihn versteckt hatten, suchen (d. h.
rauben) mussten, und dass sie in Turucaca die Ortschaften Cia
und Yabo entdeckt hätten. — Die von Pereyra in der Nähe des
Golfo dulce gegründete Stadt nennt Coronado selbst in einem
Berichte an den König (aus Nicoya vom 2. Dezember 1563): Nuevo
Cartago. In diesem Bericht sagt Coronado, dass er 60 Mann in
Nicoya angeworben, von diesen habe er die Hälfte nach Garci-
Munoz gesandt und mit der anderen Hälfte sei er zu Schiff zur
Unterstützung des Pereyra aufgebrochen. — Hafen und Fluss des
Coronado entsprechen dem heutigen Rio Grande de Terraba und
der Mündung desselben*).
Wichtige Angaben über diesen Zug des Pereyra, und die
besten der erhaltenen Angaben über die letzten Züge des Juan
Vazquez de Coronado, finden sich in einer Beweisführung (pro-
banca), die er (Coronado) „ad perpetuam Rey memoriam* am
22. Mai d. J. 1564 in Cartago vor dem Alkalden Pedro Alonso
Cano ausfertigen liess. Wie in allen diesen Dokumenten so läast
auch in diesem die Person, welche die Beweisführung veranlasst
(hier also Juan Vazquez de Coronado selbst), eine Anzahl von
Fragen durch den Richter, oder Alkalden, oder Gouverneur etc.
in Gegenwart eines Notars einer Anzahl von ihm vorgestellter
Zeugen vorlegen. Die Probanca bezieht sich nur auf die von
Coronado nach seiner ersten Reise nach Quepo und Boruca ge-
leisteten Dienste.
Aus den Fragen des Coronado geht folgendes hervor.
Antonio de Pereyra trat seinen Marsch im Mai 1568 — wie
schon gesagt mit 60—70 Mann — an. Es folgt dann die Schil-
derung der Gründung der Stadt Cartago (de Chiriqui) und der
Reise nach Nicaragua, unternommen behufs Ankaufes von Waffen,
Munition und Pferden und behufs Anwerbung von Mannschaften.
15 Soldaten seien bald von ihm (Coronado) nach Cartago gesandt
*) Auffallend ist, dass von dem Zuge des Gil Gonzales Davila (1522),
der mit 100 Mann von der Küste von Chiriqui westlich von der J. Panda
(oder von der Punta Burica, wie viele Historiker schreiben) längs der ganzen
Küste bis zum Golfe von Nicoya marschierte! keinerlei Erinnerung bei den
Indianern dieser Westküste übrig geblieben war, sich wenigstens in den
Dokumenten über die zwei Reisen des Coronado keinerlei Angabe hierüber
findet. (Über den Zug des Gil s.: Oviedo, üb. 29, cap. 21 — 23; Docum. in-
edit. del arch. de Ind. Tom. XIV. p. 20. Peralta, Costa R. Nicarg. 7 Pass.
1—32; L. Fernandez, Doc. para la Hist de C.-R. L p. 86—136 notas und
meine Arbeit über die erste Entdeckung vom See and Strome von Nicaragua
in „Mittheilg. d. E. E. Geogr. Ges. zu Wien", Febr. 1884.)
Die erste Eroberung von Costa Rica durch die Spanier 1563 u. 1564. 228
nnd hatte die Ankunft derselben grosse Freude erregt, da die
wenigen Bewohner der Stadt schon beabsichtigten, dieselbe zu
verlassen* Nachdem Goronado so für die Erhaltung Cartagos (del
Guarco) gesorgt, dachte er an die Unterstützung des Expeditions-
korps seines Kapitäns Pereyra und rüstete für' denselben (in Ni-
caragua) ein Schiff mit Lebensmitteln, Munition etc. aus. Zu
dieser Zeit wurde er von einer schweren Krankheit befallen, die
er sich nach Ansicht seiner* Ärzte durch die vielen Anstrengungen,
die er auf seinen Reisen erduldet, zugezogen hatte. Obgleich er
von seiner Krankheit noch nicht hergestellt war, übernahm er es
dennoch, diese Unterstützung dem Pereyra in eigener Person zu-
zuführen und schiffte sich mit seiner Mannschaft ein, obgleich die
Jahreszeit ungünstig war und in derselben im „Golfo del Papa-
gay oa — welcher passiert werden musste — und an seinen Küsten
oft Schiffe verloren gehen *)• — Die Einschiffung geschah im Hafen
von Realejo.
Über die Reise bis zum Puerto del Coronado**) habe ich
schon kurz berichtet. Es ist hier nur noch anzuführen, dass er
schon von Nicoya aus dem Diego Caro de Mesa den Befehl nach
Cartago sandte» ihn mit Pferden und Mannschaften am Ufer des
genannten Hafens zu erwarten. Auf dieser Fahrt nach dem Pu-
erto del Coronado hielt Juan Vazquez de Coronado das Schiff
immer in der Nähe der Küste und untersuchte alle Häfen und
kleinen Buchten (caletas). Zur besseren Prüfung derselben lan-
dete er oft. Im Hafen von Coronado angekommen schickte er
Boten an Pereyra aus, die seine Ankunft ankündigten, und
erwartete seinen Oberaufseher (alguazil major) Diego Caro de
Mesa. Das lange Ausbleiben desselben beunruhigte ihn, da er
wasste, dass der Weg, den Caro de Mesa mit seinen Soldaten
zurücklegen musste, sehr schwierig war und durch das Land
feindlicher Stämme führte. Coronado ging seinem Unterbefehls-
haber deshalb mit wenigen Soldaten entgegen, die Hauptmacht
im Lager am Hafen zurücklassend. Er erreichte die Provinz
Qnepo zu Fuss und traf daselbst den Diego Caro de Mesa mit
seinen Leuten an. Zunächst musste der edle Coronado die In-
*) Dieser Golf, welcher noch heut denselben Namen führt, liegt unter
11° ndl. Br. an der Westküste von Nicaragua. Er ist noch heut eine für
Segelschiffe schwer zu passierende Partie der mittelamerikanischen Küste
wegen der heftigen Nordost- Winde, welche hier über den See von Nicaragua
durch die Lücke in der Cordillere zwischen dem V. v. Orosi und den Bergen
nordlich von Rivas hervorbrechen.
**) In der damaligen Provinz von Turucaca ; nach meiner Ansicht an der
Mündung des heutigen Rio Grande de Terraba gelegen. Nach Peralta (Brief
aus Sevilla vom 7. Februar 1884) lag dieser Hafen zwischen der genannten
Mündung und der Isla del Caöo.
224 H. Polakowsky:
dianer von Quepo beruhigen, die sehr aufgebracht gegen die Sol-
daten des Garo de Mesa waren. Dieselben hatten sich nämlich
ganz „spanisch" betragen, d.h. sie hatten sich alle Gewaltthitig-
keiten gegen die armen Indianer erlaubt Durch seine Güte,
seine Beredsamkeit und seine Versprechungen und Geschenke be-
schwor er den drohenden Aurstand der Indianer und schlug den
Weg zum Hafen von Goronado ein. Zwei Tagemarsche vor dem-
selben traf er auf Pereyra und seine Abteilung, welche die neu
begründete Stadt (Cartago de Chiriqui) verlassen hatten und auf
dem Rückmarsche nach der Hauptstadt Cartago (im Thale des
Guarco) begriffen waren.
Die Soldaten des Pereyra waren cur Umkehr fest entschlossen,
wollten nicht nochmals in das Innere des Landes eindringen, dt
sie alle arm, ohne Vorräte, ohne Schuhwerk und Kleider waren,
die sie auf dem Wintermarsche verloren hatten. (Siehe oben die
Probanca des Antonio de Peralta.) Auch waren die nur nach
Gold begierigen Spanier .unmutig über die Verzögerung der Ent-
deckung grosser Quantitäten desselben. Hier zeigt sich, welches
grossen Einfluss Coronado auf diese seine „ Soldaten ttf die man
heute — wie überhaupt das ganze * Heldengesindel tt der Conqni-
stadoren bis auf sehr wenige Ausnahmen — unter jedem Gesichts-
punkte nur als Rauberbanden bezeichnen kann, ausübte. Er ver-
teilte Kleider, Schuhe und Lebensmittel unter die Soldaten und
stellte ihnen in gutigen Worten vor, dass ihr Verbleiben im Inter-
esse des Dienstes Sr. Maj. notwendig sei, bat sie zu bleiben und
stellte ihnen grosse Belohnungen in sichere Aussicht. Wirklieh
gelang es, die Soldaten zur Umkehr zu bewegen und sie stellten
sich ihm für seine ferneren Zuge zur Verfugung.
Aber nicht nur die Spanier scharten sich voller Vertrauen
auf seinen Mut und seine Fähigkeiten um ihn, sondern mach die
Indianer, von denen viele in die Gebirge und Wälder geflohen
waren, um den Grausamkeiten der Spanier zu entgehen, strömten
in grosser Anzahl in das Lager (am Puerto del Coronado), um
ihren Freund und Beschützer zu begrussen und seinen Sehnte
gegen die „ Christen a anzuflehen. Die Soldaten des Pereyra hatten
sich auch brutal benommen, und deshalb hatten sich die Indianer
von der neuen Stadt Cartago zurückgezogen und die Spanier —
die selbst zu faul waren das Land zu bestellen — hatten deshalb
die neue Kolonie aufgeben müssen. Es war dies das Schicksal
von etwa % der ersten Ansiedelungen der Spanier in Amerika.
Überall, wo die kluge, menschenfreundliche und energische person-
liche Leitung des Juan Vazquez de Coronado fehlte, kam die
Bestialität seiner Soldaten sofort zum Durchbruche. Die Indianer
kamen den Spaniern in Costa Rica (wie in fast allen Teilen
Die erste Eroberung von Costa Rica durch die Spanier 1563 u. 1564. 225
Anoerika's) mit der grossten Freundlichkeit entgegen, deshalb durch-
zog auch Coronado ohne Blutvergiessen das kriegerische Tala-
manca (Südost-Teil von Costa Rica), in welchem die Spanier bald
darauf harte Kämpfe mit den Eingeborenen zu bestehen hatten.
Da Coronado beabsichtigte, in das Innere des Landes einzu-
dringen und die Geheimnisse des Landes im Gebiete der Abhänge
nach dem Nordmeere zu untersuchen, Hess er alle Vorräte aus
dem Schiffe ans Land bringen, verteilte dieselben und beschloss
das Schiff zurückzusenden. Aber beim Verlassen des Hafens*)
scheiterte es und ging dabei ein grosser Teil des Privat-Gepäcks
des Coronado verloren. Aber der Verlust des Schiffes an sich
war das grosste Unglück, da in dieser Gegend kein Ersatz für
dasselbe geschaffen werden konnte. — Nachdem Coronado Nach-
richten von der Provinz Ära (oder Hara) und anderen angrenzen-
den Ortschaften erhalten hatte, welche am Nordabhange liegen
sollten und bei deren Aufsuchung bereits viele Kapitäne und Sol-
daten umgekommen seien**), trat er den Marsch über die Cor-
dillere an. Er führte die Mannschaft durch ein sehr rauhes, zer-
rissenes und unbewohnbares Terrain. Das Land war so ungast-
lich (agria), dass es an einigen Tagen selbst an Wasser fehlte,
und ausser durch Strapazen und Hunger und Durst litten die
Soldaten auch durch die Hohe und Schroffheit der Gebirge,
welche zur Zurücklassung aller Pferde zwang. Die Cor-
dillere, welche die beiden Meere trennte, war so hoch, dass man
vom Gipfel derselben beide Oceane deutlich sehen
konnte, was bis dahin noch von niemandem gesehen
oder in Erfahrung gebracht worden war***). — Nach Über-
%
al salir de la barra. — Peralta, 1. c p. 332.
Es können hiermit nur die von der Nordküste ans durch F. Guti-
errez, Badajoz und J. de Estrada R. gemachten Versuche gemeint sein. (S.
über diese die erste Hälfte dieser Arbeit.) Von der Südsee ans war vorher
noch nicht der Versuch gemacht, in die Gebirge von Talamanca einzudringen.
***) Pregunta, 16. Yten, si sahen que, por ser tan alta la dicha cordil-
lera, que partia los dos mares, desde la cumbre se vieron claramente; cosa
hasta aquella sazon no vista ni entendida por persona alguna; digan loqne
saben. (Peralta, 1. c p. 333.) Auch vom V. von Irazd (11500' engl.) und
vom V. von Turrialba (11 350 ' engl.) sieht man deutlich beide Ozeane. — In
welcher Gegend Coronado über die Cordillere m ging , hierüber stellt Peralta
keine Betrachtungen an. Ich glaube, dass der Übergang zwischen dem Pico
Blanco und Pico Bobalo (s. Gabb's Karte in Mitthl. 1877, Taf. 18) geschah.
Dass die Cordillere im südlichen Teile von Costa Rica sehr hoch ist, geht
auch ans einem an mich gerichteten Brief Sr. Eminenz des Herrn Bischöfe
von Costa Rica (ans San Jos4 de Costa Rica vom 15. September 1883) her-
vor. E» wird darin gesagt: „Was meine Reisen nach Talamanca angeht,
den Übergang über die Cordilleren (bei 10500') zwischen Terraba und Ta-
lamanca" etc.
ZeiUchr. & Gtsellach. f. Brak. Bd. XIX. 15
226 H. Polakowsky:
windung aller dieser Schwierigkeiten gelangten die Spanier Dach
sechs Tagen in die Provinz Ära, deren Caziken und Fahrer dem
Coronado entgegen kamen, um ihn zu sehen and ihm ihre Dienste
anzubieten, da sie durch die Indianer von Conto und Boruca von
der guten Behandlung gehört hatten, die er allen Eingeborenen
angedeihen lasse. Die Indianer brachten Lebensmittel und einige
eigentumlich gearbeitete Goldsachen, wofür ihnen der General
eiserne Werkzeuge zur Bearbeitung der Felsen und ihrer Pflan-
zungen gab, desgleichen Mutzen, Hemden etc. Die Indianer
leisteten dem Coronado als Vertreter des Königs Gehorsam.
Hierüber publiziert Peralta ein Dokument, ein Protokoll,
datierend aus Hara vom 24. Januar 1564, über die Beaiti-
ergreifung des Thaies von Guaymj, welches besagt: „In der Ort-
schaft Hara, welche in der Provinz Guaymi nach dem Nordmeere
zu liegt, an das Thal von Coaca grenzt und die Grenzen der Bot-
in ässigkeit dieser Provinz von Cartago und Costarrica (sie!) aus-
macht, erschienen vor dem sehr mächtigen Herrn Juan Vazqnei
de Coronado, Oberrichter und General-Kapitän, Richter der Be-
amten und Oberkontroleur der Provinz Nicaragua durch Ernennung
Sr. Maj., die gegenwärtigen Caziken der genannten Ortschaft
Hara, deren Namen: Taraniba, Duiba und Duy, welche sagten,
dass sie gekommen seien, um zu hören: was der genannte Herr
General ihnen befehle. Der Herr General sagte ihnen, dass
8e. Gnaden im Namen Sr. Majestät des Königs Don Felipe,
unseres Herrn, gekommen sei, damit sie Christen und seine
Vasallen wurden, ihm den schuldigen Gehorsam leisteten und ihn
als Konig und Herrn anerkennten, wie es die Provinzen von
Cotu, Cia, Turucaca, Quepo und Guetares gethan, und wenn sie
so handelten, wurde sie der genannte Herr General (Coronado)
als seine Freunde annehmen. Hierauf sagten die genannten
Caziken alle zusammen und jeder einzeln, dass sie bereit seien,
Vasallen Sr. Maj. zu werden und dem genannten Herrn General
in seinem Königlichen Namen zu dienen und stete Freundschaft
zu halten. Zum Zeichen dieses und der Anerkennung als Vasallen
Sr. Maj. umarmte sie der genannte Herr General, gab ihnen
Äxte, Kämme, Tauschgegenstände, chaquiras und andere Dinge,
wodurch die genannten Caziken sehr befriedigt schienen, und ver-
sprachen sie alle Dienste zu leisten, die man ihnen anbefehlen
wurde. — Als Zeugen waren gegenwärtig: der Major Juan de
Tureios, Diego Caro de Mesa, Franzisco de Estrada aus Cartago
und Juan Vazquez de Coronado selbst.
Darauf nahm General Juan Vazquez de Coronado im Namen
Sr. Maj. Besitz von der Ortschaft Hara und der Provinz Guaymi
und schnitt mit seinem Schlachtschwerte (montante) Zweige von
Die erste Eroberung von Costa Rica durch die Spanier 1563 u. 1564. 227
den Bäumen and gab den Caciken Yaranaba, Duiba und Duy*) die
Hand nnd fragte sie: ob in irgend einer Zeit vor ihnen (Coronado
und seinen Begleitern) Christen in ihr Land gekommen seien.
Sie antworteten durch Hilfe der Dolmetscher Pedro Tice and
Juan Quepo, dass dies nicht geschehen, was der Herr General
unterschrieb." (Folgen die Zeugen.)
Wo lag das Thal des* Guaymi, oder die Provinz von Guaymi?
— Der Name „ Guaymi a tritt in den ältesten bisher bekannten
Schriften und Dokumenten als der einer an der Grenze der
heutigen Freistaaten Columbien und Costa Rica lebenden, be-
deutenderen Indianer -Tribus auf. — Bastian (Die Kulturländer
des alten Amerika, II. 8. 256) schreibt: „Die Guaimies oder
Huaimies (s. Hervas**)), als Bewohner von Veragua (mit den
Dorachos im Westen und den Savaneric im Norden***), waren
(nach Cieza de Leonf)) von dem Darienflusse dorthin ausge-
wandert. a „Chiriqm lag zwischen B urica und Niscaff). Die
Chomes wohnten in Costa Rica (s. de Laetf f f)). Die Guaimies
bewohnten am Fluss Matinino die Cordillere des Pico Blanco und
Pico Robalo bis zum Fluss der Doraces*f) (und jenseits des
Puerto Veragoa).tt (Bastian, 1. c. 263, Note.) „Die Buricas wohnten
neben den Guatuzos**f). Von den Stämmen Veragua's finden sich
Reste der Doraces (Dorachos), Guaimies (bei der Lagune) und
Jones in Chiriqui, während zwischen Remedios und Tole die
*) Nach der auf Tafel V beifolgenden Karte von Veragua des Gouver-
neure Lorenzo del Salto ans dem Jahre 1620 liegt die Provinz von Ära oder
Duy, deren Cazike el Duy genannt, zwischen dem Bio Tirire (Tiliri) und
dem Rio de Guaymi (heute Bio Chiricamola nach Peralta) nnd in der Mitte
der Provinz liegt der Bio de la Estrella, welcher dem heutigen Bio Tilorio
oder Changuinola entspricht
**) Lor. Hervas, Catalogo de las Linguas de las Naciones conocidas.
(Madrid, 1800) L p. 280. »En la provincia de Veragua, sitnada £ 9 grados
de latitud horeal, esta la nacion de los Guaimies 6 Huamies, qne antigua-
mente tenia doce mil personas.a — Der erste Jesuiten-Missionar kam 1586
zu diesen Indianern, dann empörten sich die Indianer, verjagten die Spanier
nnd erst 1713 kamen wieder Jesuiten zu den Guaimies.
***) Mass im Süden heissen.
f ) Cränica del Peru, I. cap. 6. — Die betreffende Stelle ist schon bei
Hervas 1. c. citiert
ff) Sicher nach Andagoya über Pedrarias Davila in Navarrete, Colecc.
de Docum. de los viajes etc.
fff) Es ist sicher die Stelle gemeint: „Aranivez mnnicipium ad Ni-
coyensem ditionem refertnr, in finibus barbarorum qui Chomes appellantur,
conditum." (Jeanne de Lact, Antverp. Novus Orbis sen Descript. Ind. Ocoid«
1638. Ii. VIII. cap. 22.)
*f) Woher diese Angabe entnommen! habe ich nicht ermitteln können.
**f) Entschieden falsch. Die Guatuzos sind die Beste der Votos und
wohnen noch am Bio Frio im Norden von Costa Rica,
15»
228 H. Polakowsky:
Savaneric wohnen. Die Stamme der Bnrica wohnten am Flusse
Vara (am Oolfo Dulce) bis zum Flosse Chiriqni. tt (Bastian, 1. c
261, Note.) „In Chiriqni finden sich die Terevis nnd Knapas, in
Veragua die Guaimies." (Bastian, 1. c. 263.)
Juan Vazquez de Coronado selbst wendet die Bezeichnung
Provincia (oder Valle) de Guaymi für ein Oebiet an, welches der
heutigen Landschaft (Departement) Chiriqni mit Bocas del Toro
(H. Kiepert, N. E. t. Mittel-Amerika in 4 Bl. 1858) entspricht
Von einem Rio Guaymi spricht er nicht. — A. Pinart (Colece.
de Linguistica y etnograüa americanas. San Francisco, 1882.
Tom. IV. p. 7) schreibt: Die Cordillere, welche den Isthmus von
Panama von Ost nach West durchschneidet und das Ende der
Anden bildet, ist von den Guaymies bewohnt, „cuyo nombre suele
tener una acepcion generica para todos los que viven en las mon-
tanas del escudo de Veragua y su Provincia*)". Sie sind heute
in zwei Nationen geteilt, in die Nortenos, welche in den Gebirges
und nach dem Nordmeere zu leben, und in die Savaneros, welche
in den weniger gebirgigen Terrains nach dem Sudmeere wohnen.
Sie bildeten früher zusammen mit den Dorasques, Changuenas etc.
nur eine grosse Nation, die der Guaymies. —
Der Gouverneur' von Veragua, Pedro Godinez Osorio, be-
richtet**), dass er beim Aufsuchen des Thaies des Guaymi vom
Nordmeere aus in einen grossen Strom eingelaufen sei mit seinen
Fregatten. Nach vier Leguas habe er die Schiffe verlassen nnd
sei dann sieben Tage lang am Ufer des Stromes weiter mar-
schiert. — Alle weiteren Angaben sprechen dafür, dass es sich
um den Rio de la Estrella handelt. — In einer Real Cedula aus
San Lorenzo vom 30. August 1576 wird gesagt, dass der Rio
de Guaymi an den Bocas del Drago und an der Admiralitats-Bai
sei und dass es eine sehr bekannte Sache (cosa mny notoria)
wäre, dass der Rio de Guaymi und Boca del Drago und Bahia
del Almirante eine und dieselbe Sache sei***). — In einer Be-
schreibung Veragua's aus dem Jahre 1560 wird gesagt, dass gegen-
über vom Thale des Guaymi eine Insel liege, die den Namen
Escudo de Nicüesa (= Veragua) führe f)« — Artieda gründete
im Thale eines Flusses, der in die Admiralitats-Bai mündete nnd
den er 2J^ Leguas hinauffuhr, die Stadt Artieda del Nuevo Reino
de Navarra und den Flugs nannte er Rio de Nuestra Senora del
*) = welcher Name eine allgemeine Anwendung eu finden pflegt» ffir
alle Indianer, welche in den Gebirgen des Schildes von Veragua und in
seiner Provinz leben.
**} Ans Concepeion de Veragua vom 25. Januar 1575. (Peralta» l.c p.521.)
***) Peralta, 1. c. p. 545.
f) Peralta, 1. c. p. 174.
Die erste Eroberung von Costa Eica durch die Spanier 1563 u. 1564. 229
Valle del Guaymi1*). — Nach Peralta (Brief vom 23. Februar
1884) ist dies der Rio Chiricamola der englischen Admiralitäts-
Karten oder der Rio Chiriquimula der spanischen Karten anf dem
Deposito hydrografico. Er beruft sich dabei auf den Bericht des
englischen Kommandanten Barnett über die Untersuchung der
Bocas del Toro und der Laguna de Chiriqui und auf den Weg-
weiser für Seeleute (herausgegeben von der englischen Admiralität),
wonach der genannte Fluss der einzige schiffbare der in die
Lagune mundenden Flusse sei. Er sei neun englische Meilen
weit schiffbar.
Herr Manuel Maria de Peralta, dem ich hiermit nochmals
meinen Dank ausspreche für seine eingehenden und überaus wert-
vollen privaten Angaben über die Geographie des südlichen Costa
Rica, schreibt mir in einem Briefe aus Sevilla vom 4. März 1884:
„Nach verschiedenen Autoritäten ist das Thal von Goaza das
eigentliche Thal des Tarire oder Tiriri, von seiner Mündung bis
mindestens 10 Legaas nach der Cordillere zu, was durch ver-
schiedene Dokumente aus Panama, aus den Jahren 1541 bis 1546
über die Expedition und die Thaten des Hernan Sanchez de
Badajoz, welcher am Ufer des Tarire die Stadt Badajoz gründete,
hervorgeht. tt — Zum Beweise dieser von mir übrigens nie an-
gezweifelten Thatsache sandte mir Herr Peralta am 5. März ein
sehr wertvolles, bisher nicht veröffentlichtes Dokument, welches
(im Auszuge) besagt: Der Doktor Francisco Perez de Robles,
oidor der Audiencia von Panama und Schwiegervater des Hernan
Sanchez de Badajoz, hatte kaum Nachricht von der Misshandlung
und Gefangennahme seines Schützlings erhalten, als er Zeugen-
verhöre in Panama am 3. September 1541 über die Dienste des
Badajoz bei der Eroberung von Costa Rica und über das Be-
nehmen des Gouverneurs von Nicaragua, Rodrigo de Contreräs,
aufnehmen liess.
Aus den Fragen und Zeugenaussagen ergiebt sich: Hernan
Sanchez de Badajoz entdeckte in der Provinz Veragua**) ein sehr
reiches und fruchtbares Thal, welches 30 Leguas lang und 12 Leguas
breit war und viele Einwohner, Gold, Lebensmittel und Cacao ent-
hielt. Der Herr dieses ganzen, Coaza genannten Thaies unter-
warf sich mit über 60 ihm untergebenen Caziken und brachte
viel Gold. Und die Spanier waren so sicher in allen Teilen
dieses Thaies wie in Castilien, oder wie Jemand, der in den
Strassen von Sevilla wandelt41**).
*) Am 8. Dezember 1577. Peralta, 1. c. p. 554.
**) --------
**) Der königliche Anteil an Veragua} d. h. das heutige Costa Rica.
***) „6 como quien se pasea por las calles de Sevilla.11
230 H. Polakowsky:
Der Zeuge Gonzalo Hernandez sagt ans: er wisse, dass das
Thal von Coaza (oder Coaca) über 60 Legaas von Nicaragua ent-
fernt sei, ausserhalb des Herzogtums des Vicekonigs von Veragua,
nahe bei den Inseln von Qarabaro (oder Zorobaro) liege» und dass
die Mündung eines Flusses, welcher dieses Thal durchfliegt*)
und im Nordmeere mündet, ungefähr 10 Leguas von diesen Inseln
entfernt sei.
Weiter schreibt mir Herr Peralta im Brief vom 4. Man:
„ Der Bio de la Estrella oder Tilorio bewässert das Thal des Day
oder die Provinz des Duy, des grossten Thaies nächst dem des
Guaymi, denn es dehnt sich vom Rio de la Estrella bis zum Rio
Chiricamola aus, welchen ich als den Rio del Guaymi zu be-
zeichnen beharre14**). «Das Thal des Guaymi, die geheimnis-
vollste und phantastischste Gegend, welche die Habsucht der
Spanier erregt hat, war nach Coronado sehr gross. a Das eigent-
liche Thal des Guaymi lag nach Peralta zwischen dem Rio Calo-
bevora (oder Calobegola) oder dem Rio Chiriqui del norte und
dem Chiricamola. Der Galobevora (bei Codazzi und Man. M. Pai
und Ponce de Leon) ist der Rio Calawawa der englischen Ad-
miralitäts-Karten ***). (Mündung 81° 12' westl. L. von Greenwich
und 8° 48' nordl. Br.)
Dass das Thal des Guaymi ostlich von Chiricamola gelegen
sein soll, oder dass dieser Fluss der eigentliche Rio Guaymi war,
kann ich aus den mir von Peralta übersandten Dokumenten eben-
sowenig als aus den mir bekannten Historikern und Ethnographen
ersehen. — So schreibt Don Luis de Guzman, Gouverneur von
Tierra- Firme, an den Konig aus Panama am 30. August 1563:
„Ich habe Briefe von Alonso Vazquez (dem Gouverneur von
Veragua) ans den Ebenen von Chiriqui; er schreibt, dass er drei
Tagereisen vom Thale des Guaymi entfernt sei. tf — Und Alonso
Vaca, der Nachfolger des Alonso Vazquez, schreibt am 12. November
1567 an Philipp II. aus Concepcion de Veragua: „In zwei
Monaten denke ich mit 1 50 Soldaten zur Besiedelung des Thaies
*) Der Rio Tarire.
**) Hierzu bemerke ich, dass Peralta selbst (Limites de Costa Biea p. 5)
ein Dokument publiziert, wonach Duy ein Cazike von Hara (oder Ära) war.
Diese Ortschaft, von der Juan Vazquez de Coronado am 24. Januar 1564
Besitz nahm, kann also nicht im Thale den Chiricamola (dem Rio Guaymi
des Artieda, welcher Fluss aber der Rio Guaymi, der dem grossen Thale
de Guaymi des Coronado den Namen gegeben haben soll, nach Peralta ist)
gelegen haben. — Dass Duy ein Cazike im Thale von Guaymi war, schreibt
Coronado selbst, desgleichen dass Hara an das Thal von Coaca grenzte
(Limit. 1. c.)
***) West Indies Sheet XI. From Cayos Ratones to San Juan de
Nicaragua.
Die erste Eroberung von Costa Rica durch die Spanier 1563 n. 1564. 281
des Guaymi aufzubrechen, von dessen grossen Reichtümern ich
Nachrichten erhalten habe. Es befindet sich nahe hei (cerca desta)
dieser Stadt."*) — Lorenzo del Salto, Gouverneur von Vera-
gua, schreibt an den Konig (am ]. Mai 1628) ans der Stadt
Nuestra Senora de los Remedios : „ Ich habe zwei Ortschaften er-
richtet, die eine genannt San Lorenzo del Salto (existiert noch
heute am Rio Fonseca) im eigentlichen Thale des Guaymi. tt —
Danach wäre aber der Rio Fonseca der Rio Guaymi. — Meine
Ansicht ist: mit dem Namen Valle de (oder del) Guaymi be-
zeichnete Juan Vazquez de Coronado das Gebiet von dem Golfo
dolce und Rio Tilorio bis nach Veragua hinein, und sein Rio
Guaymi — von dem er selbst aber nie spricht und ihn nicht
sacht — ist der Rio de la Estrella.
Bald nach der Besitzergreifung von Ära erschienen auch die
Caziken und Häuptlinge von Gabeaca, Qurinca und Meza, Ort-
schaften, die an die Provinz Hara grenzen, um sich zu unter-
werfen. Coronado nahm dieselben sehr freundlich auf und er-
nannte einige ihrer Fuhrer zu Gouverneuren und Richtern, auch
gab er ihnen obrigkeitliche Befehle und Bescheinigungen über
Steuererhebungen, damit sie vermittelst derselben sich als Vasallen
Sr. Maj. legitiemiren konnten und so behandelt würden. Coronado
that dies, weil er die Nachricht erhalten hatte, dass von Tierra-
Firme (Veragua) aus Alonso Vazquez**) mit Mannschaften und
Soldaten auf dem Marsche nach dieser Gegend begriffen sei. Um
den Eingeborenen zu zeigen , dass sie als Vasallen * Sr. Maj. gut
behandelt werden sollen, Hess er durch seinen Arzt und Chirurgen
nach europäischer Heilmethode alle Kranke bebandeln, was bei
den Indianern um so grossere Freude und Genugthuung erregte,
als einige glückliche Kuren ausgeführt wurden. Nachdem Coronado
auch die zahlreichen Soldaten, die ihm auf dem Marsche über die
Cordillere erkrankt waren, geheilt hatte, setzte er den Marsch
nach Terbi fort, wohin er einen Kapitän mit Mannschaft voraus-
gesandt hatte, um den Zweck seines Marsches anzukündigen.
Auch die Indianer von Terbi unterwarfen sich. Ah passenden
Ort zum Aufschlagen des Lagers, um die an Terbi grenzenden
Provinzen zu unterwerfen, wählte er Corcura im Thale des Duy.
Nach hier kamen viele Häuptlinge und brachten viele Stücke Gold,
deren Annahme aber Coronado — der eben ein weisser Rabe
*) Nach den Karten von Herrera und de Laet lag diese Ortschaffe
gegenüber vom Escudo de Veragua.
**) Br folgte seinem Vater Francisco Vazquez in der Regierung Vera-
gua's. Er machte eine Expedition nach Chiriqui, erreichte aber weder die
L&gnna de Chiriqui, noch überschritt er den Rio Chiriqui viejo, kam also
nicht in das Gebiet von Costa Rica. (Peralta, Brief vom 7- Februar 1884.)
232 H. Polakowsky:
unter den Conquistadoren war — hoflich ablehnte, da er erfahren
hatte, dass die Kapitäne, welche früher hier Eroberungen versucht
hatten (s. oben), durch ihre Goldgier zu Grunde gegangen waren.
Das Gold wurde in dieser Gegend allgemein als Tauschmittel fir
den Handel der Indianer angewendet und geschätzt. Als Coronado
sah, welche Mengen von Gold die Indianer brachten, verbot er
seinen Soldaten strengstens, Begier nach demselben zu zeigen,
auch fragte er nicht nach den Minen, welche dasselbe liefern.
Aber durch seine Sklaven Hess er die Flusse und Bäche des
Thaies des Duy untersuchen und fand man Proben des feinsten
Goldes. Dies genügte, um sich von der Existenz von Minen,
besonders am Rio de la Estrella, den Coronado also wegen seiner
Grosse benannte, zu überzeugen.
v. Frantzius sagt in seiner schon citierten Arbeit über die
Goldminen von Tisingal und Estrella: „Einen positiven Beweis,
dass der Sixaulafluss der alte Estrella sei, finde ich in einem
alten Missionsbericht, welcher im Jahre 1851 in einer hiesigen
(costaricanischen) Zeitung veröffentlicht wurde. Hier heisst es
klar und deutlich: „Die Flüsse Lari und Coen ergiessen sich in
einen grosseren, genannt Estrella. aa — Diese Stelle veranlasst
mich nochmals auf die Frage des Estrellaflusses einzugehen.
L. Fernandez macht zu dieser Stelle der Arbeit des Herrn
v. Frantzius bei seiner Übersetzung derselben (Docum. p. la Hist
de Costa Rica II. p. 62) keine Bemerkung. Im Nachlasse des
Herrn v. Frantzius fand ich eine Abschrift dieses „ Missions-
berichtes44 (der wahrscheinlich vom Mönche Antonio Margil and
aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts stammt) mit der Bemerkung
von der Hand des Herrn v. Frantzius: „Das einzige Exemplar
dieser Zeitung (Gac. semanar. ofic. del Gob. de Costa Rica 1851.
No. 160 u. 161) ist im Besitze von D. Miguel Macaya. 15. Januar
1866. " Aber diese Angabe genügt nicht, um die zahlreichen fir
den Tilorio sprechenden Beweise zu entkräften.
Besonders klar zeigt die beifolgende Karte (Tafel V) die
Lage der wichtigsten Flüsse in der Nahe der Lagune von Chiriqui.
Hierin und in der Angabe der Ortschaften an der Südsee besteht
der grosse Wert derselben. Sonst sind die Küsten auf anderen
alten Karten (z. B. bei Herrera und de Laet) viel besser ge-
zeichnet. Zum Verständnis der Karte des L. del Salto (Tafel V)
fuge ich noch folgendes an. Die Inschrift an der Nordkaste:
„Die Entfernung zwischen dem Rio Code und dem Rio Tiriri
betragt an dieser Küste 100 Leguas, dieses ganze Land steht
unter der Gerichtsbarkeit des Gouvernements Veragua, wie es
diese Karte zeigt" — verkündet einen grossen Irrtum. Die
Grenzen von Veragua erreichten nicht den Tiriri (Tiliri oder
Die erste Eroberung von Costa Rica durch die Spanier 1563 n. 1564. 283
Sixola), sondern befanden sich 25 Legaas westlich vom Rio Belen,
gemäss der Belehnnng des Don Luis Colon durch Karl V. (cedula
vom 19. Januar 1537), und hier begann das Gebiet des Gouverne-
ments des Diego Gutierrez. Und später (1573) schloss Philipp II.
ganz speziell das Gebiet der Admiralitäts-Bai (Bocas del Drago)
in das Gouvernement Costa Rica ein und das dieser Bai anliegende
Gebiet wurde besetzt und kolonisiert von den Gouverneuren Costa
Rica's, und die Indianer wurden von Mönchen getauft, die von
den genannten Gouverneuren beschützt und überwacht wurden.
So war es bis zum Beginne des 19. Jahrhunderts. Zur Inschrift
an der Sudküste: „Die Entfernung zwischen dem Rio descoria
and der Punta de burica beträgt 100 Leguas. Dieses ganze Land
steht unter der Gerichtsbarkeit des Gouvernements Veragua, wie
es diese Karte bezeigt44 — ist zu bemerken, dass trotz dieser
Gebietsansprüche — die gleichfalls im Widerspruche zu vielen
Dekreten der Konige und Audiencias stehen — Lor. del Salto
es nicht wagte, seine Machtbefugnisse über die Punta Burica aus-
zudehnen.
Der Rio da Santa Lucia ist der Estero Santa Lucia, welcher
gegenüber der Isla Espartal mündet. (M. M. Paz und Ponce
de Leon, Mapa de Panama. Bogota, 1864.) Der Rio Tabarcara
(oder Tabazara) ist der heutige Tabasara. — Der Rio Escoria ist
der in den Golf von Parita mündende Rio Escota (bei P. de Leon
und M. Paz). — Der zwischen Montixo und Atalaia fliessende
Fluss ist der Rio Martin (abgekürzt R. Mjn. oder Mii.) oder Rio
Martin grande, welcher in die Bai von Montijo mündet. — Der
Rio Cobre ist (nach Peralta, Brief aus Malaga vom 28. April 1884)
der Rio Lavena bei H. Kiepert (1858) oder Rio Lovaina bei
M. Paz und P. de Leon. — Die Bai de San Juan ist die Mün-
dung des Rio San Juan, ostlich vom Rio Fonseca. — Der Rio
Calobevora ist der Rio Chiriqui. — Der Rio de Veragua ist der
Rio Veragua viejo nahe beim Rio Belen (M. Paz und P. de Leon)
oder der Rio Veragua Antigua . Kieperts. — Madera de Cedros
y rrobles infitos (= infinitos) bedeutet: hier wachsen unzählige
Cedern (ßedrela odoraia) und Eichen. — Nach dieser notwendigen
Abschweifung kehre ich zur Geschichte unseres Helden, d. h. zum
Zage des Juan Vazquez de Coronado durch Talamanca, zurück.
Nachdem der General und seine Soldaten, durch diese Ent-
deckung hocherfreut, die Minen unter sich verteilt hatten, und
Coronado einsah, dass er mit so wenigen Leuten sich auf die
Dauer gegen so zahlreiche Indianer nicht halten könnte*), be-
*) Und da er wusste, wie Beine Soldaten die Indianer behandeln und
zum Kriege reizen würden, sobald seine wachsame und strenge Aufsicht fehle.
234 H. Polakowsky:
schlos8 er nach Cartago zurückzukehren. Vorher aber nahm er
noch Beflitz von der Ortschaft Ceverin (oder Zeburin), der letzten
im Thale des Duy, welche an die Inseln von Qoraburu in der
Bai des Admirales grenzte.
Soweit die Schilderung der Zage des Goronado im heutigen
Tal am an ca nach der genannten grossen Probanca des Goronado.
Die sonstigen Dokumente, welche ich aber diese Unterwerfung
der Indianer und die Entdeckung der Goldwäschen am Rio de la
Estrella auftreiben konnte, sind die folgenden.
Über die Besitzergreifung des Rio de la Estrella veröffent-
licht L. Fernandez (Docum. para la Hietor, de Costa Rica, III.
p. 18 f.) ein sehr wichtiges Dokument, welches er von D. Eosebio
Fignerra erhalten hat*). Dasselbe lautet im ersten Teile: In der
Ortschaft und Palenque Quequexque, welche in der Cordillere des
Nordmeeres in der Provinz von Cartago und Costa Rica liegt,
erschien am 5. März des Jahres 1564 der sehr mächtige Herr
Juan Vazquez de Coronado (folgt Titel) vor mir, Cristobal de
Madrigal, Regierungs-Notar und Feldrichter und sagte aus, das«,
weil Se. Gnaden mit Hilfe seiner Schwarzen (Sklaven) Gold im
Rio de la Estrella gegenüber vom Wege nach der Ortschaft Cnt-
curu entdeckt habe — welcher genannte Rio de la Estrella durch
Ortschaften dieser Provinz geht und welcher bei den Inseln von
Zorobaro und der Admiralität»- Bai mündet**) — und weil das
Gold sich in grosser Menge an allen untersuchten Teilen
des genannten Flusses findet, er als Entdecker denjenigen
Teil des Flusses, der von der Ortschaft Terbi bis zu einer Bracke
gegenüber einer kiesigen Stelle (cascajal) nahe bei dem Wege
nach Culcaru, dessen Cazike Ciquinibi genannt wird, liegt, durch
Pfähle bezeichnen liess (estacaba), und den Soldaten seines Lagers
die Erlaubnis gab, sich in diesem Gebiete Minen durch Pfahle zu
bezeichnen, dabei aber seinen Befehl respektierten und die eine
Seite (Hälfte) des genannten Flusses freiliessen für die Soldaten
der Abteilungen (cuadrillas) , welche nach ihnen kämen um Gold
zu suchen, wie es dem Dienste Sr. Maj. und dem Wohle dieser
Provinzen erspriesslich sei. Und weil der genannte General and
seine Soldaten mit der Eroberung der genannten Provinz beschäftigt
waren und der genannte Rio de la Estrella, wie man glaubt, 50
*) Das Original soll sich befinden im Archivo Gen. de Indias en Se-
villa. — 8imanca8. — Nuevo Reino de Granada. — DeacnbrimientOB, descrip-
ciones y poblaciones pertenecientes ä este nuevo reino. — Afios 1526—1591*
**) el cual dicho rio de la Estrella pasa por pueblos de estas proYÜici«
y va a salir cabe las islas de Zorobaro y bahia del Almirante; y el dicko
oro es gran cantidad y se halla y toma en todo lo qoe del dicho rio seba
cateado. (L. Fernandez, 1. c.)
Die erate Eroberung von Costa Rica dnrch die Spanier 1563 u. 1564. 285
Legaas von Cartago entfernt ist, und zwischen beiden feindliches
Gebiet liegt, worunter die Provinzen Morore, Tariaca, Pocosi und
Soerre und andere, die sich noch nicht Sr. Maj. unterworfen
haben, deshalb gab er (Coronado) den genannten Soldaten eine
Frist von 6 Monaten cur Besiedelung dieser Minen, danach seien
sie verpflichtet, Leute zur Bearbeitung derselben abzuschicken.
Zugleich erlaubte er, dass der Major Juan de Turcios Minen be-
zeichnen und eintragen lassen könne für die Bewohner der Stadt
Cartago und für die der Ortschaft (villa) Landecho. — Jetzt folgt
eine lange Reihe von Besitztiteln der Minen der einzelnen Offi-
ziere und Soldaten, deren Grenzen am Ufer des Tilorio durch
Pfahle markiert wurden. Es erhielten unter anderen Minen:
Carlos Bonifas, dessen Negersklave Melchorillo das erste Gold
entdeckt hatte; Juan Martine* de Landecho, Präsident der Audi-
encia de los Confines (Guatemala); Coronado selbst eine Mine bei
der Ortschaft Terbi; Luis de Estrada eine Mine nahe der Ver-
einigungsstelle des grossen Giessbaches mit dem Rio de Terbi.
Über. 60 Minen wurden in der Zeit vom 5. bis 9. März 1564
vergeben; am 19. März 1564 war Coronado abermals am Rio de
la Estrella, bei der Ortschaft Taintit, und vergab daselbst (am
unteren Laufe des Flusses) 29 Minen. Und unter dem 21. Mai
genannten Jahres reservierte Coronado in Cartago eine Mine von
einer viertel Legua Länge am Rio de la Estrella für Se. Maj.
Die Lage derselben wird bezeichnet: flussabwärts zwischen den
Ortschaften Quequexque und Coibi, von den Minen des Tomas
Nataren an nach dem Nordmeere zu. Am 29. Mai gab Coronado
(gleichfalls in der Hauptstadt Cartago) die Erlaubnis, dass die
Besiedelung und. Bearbeitung der Minen auf 2 Jahre verschoben
werden könne.
Das zweite sich auf die Thaten Coronado's in Talamanca be-
ziehende Dokument findet sich bei Peralta (Limites de Costa Rica,
p. 6) und datiert vom 6. März des Jahres 1564 gleichfalls aus
der Ortschaft und Palenque von Quequexque in der Provinz des
Dny. Es wird in demselben gesagt: er (Coronado) nahm im
Namen Sr. Maj. Besitz von den Ortschaften von Quequexque und
Taranca, welche aneinander grenzen und am Nordmeere nahe bei
den Inseln von Corobaro*) liegen. — Es folgen die gewöhnlichen
Ceremonien der Besitzergreifung und Hess Coronado hier Kreuze
errichten. Die Caziken versicherten, dass vorher „solche Christen tt
nicht in ihr Land gekommen seien. — Für die Kartographie
dieser Gegenden an der Chiriqui -Lagune sind folgende Angaben
*) Die Inseln in der Chiriqui-Lagune, die auch islas de Toza genannt
worden und deren grösste den Namen I. del Drago oder I. de Colon führt.
236 H. Polakowsky:
Peraltas (Limites de Costa Rica, p. 13) interessant. Er schreibt:
Der Rio Culebras oder Dorados nnd der Rio Tervis, welche sich
anf verschiedenen neueren Karten zwischen der Panta Caboita
nnd dem Rio Sicsola, Tiliri oder Tarire finden, sind irrig (son
imaginarios) und wenn es wirklich einige Bache daselbst giebt
(z. B. der Rio Hone oder Hone Creek), so haben dieselben weder
die Bedeutung noch den Lauf, welche ihnen die Karten der Ver-
einigten Staaten von Golumbien des Oberst Codazzi nnd der Herren
Paz und Ponce de Leon zuschreiben. Nicht genauer ist die Karte
von Costa Rica des Herrn Friederichsen (Hamburg, 1876), welche
den Telire und seinen Nebenfluss, den Culebra oder Dorades,
zwischen Punta Cahuita und Punta Carreta munden läset, indem
er die Erfindung derselben von den Autoren der Karte Columbieos
übernimmt*) und wie diese den phantastischen Rio Tervis zwischen
der Punta Carreta und dem Sicsola (Tiliri) anführt.
Hier dürfte es angezeigt sein, den Versuch eines Itinerar*
für die Reise des Coronado, von Nicoya aus bis zum Rio de la
Estrella, anzuführen. — Nach genauester Durcharbeitung des
reichen Materials, welches mir vorliegt, komme ich zu folgendem
Resultate**).
Am 3. Dezember (1563) verlaset Coronado Nicoya, am 4.
den Puerto de Landecho (heut Calderas). Am 8. kommt er
im Puerto del Coronado (Mündung des heutigen Rio Grande de
Terraba) an. 13. bis 20. ging er nach der Provinz Quepo
(zwischen dem Rio Baru und dem Rio Naranjo) dem Caro de
Mesa entgegen (siehe oben). Am 25. Dezember trat er den Marsch
nach dem Thale des Guaymi an. Er ging durch das Gebiet der
Borucas, am Nordrande des Golfo Dulce durch die llanura de
Canas Gordas (siehe immer Gabb's Karte in Petermanns Mit-
theilungen 1877) und überschritt die Cordillere nordwestlich vom
Pico Robalo in der Nähe der Quellen des Rio Tilorio. Er mar-
schierte den Nordabhang herab und erreichte Hara (nahe dem
heutigen Schunlu), von welcher Gegend er am 24. Januar 1564
Besitz nahm***). Hier blieb er bis zum 5. Februar, an diesem
*) Dass diese famose Costa Rica-Karte des Herrn Friederichsen ein
bedeutender Rückschritt in der Kartographie des genannten Landes ist, findet
sich kurz und richtig ausgeführt in Petermann's Mittheilungen 1878, p. 28:
„Centralamerikanische Finanzoperationen und Kartenmacherei*. — PeralU
vergisst seiner Kritik beizufügen, dass die von ihm gerügten Phantasien auf
der Karte von Gabb und Petermann (Mitthlg. 1877, Nr. 18) fehlen.
**) Die Gründe für jede einzelne Angabe hier anzuführen, gestattet der
Raum mir leider nicht.
***) Über den Marsch von Puerto del Coronado bis zum Gebiete von
Ära fehlen leider alle Dokumente und sichere Daten und werden dieselben
wohl nie aufzufinden sein.
Die erste Eroberung von Costa Bicä durch die Spanier 1563 n. 1564. 237
Tage unterwarf sich der mexikanische Cazike Iztolin der Chichi-
mecas. 6. bis 17. Februar marschiert er nach Terbi in nordöst-
licher Richtung im Thale des Tilorio. Am 17. Februar kommt
er in Gutcuru „in der Cordillere des Nordmeeres zwischen Terbi
und Quequexqoe" an und unterwirft auf friedliche Weise den Ca-
ziken Torurava und Turui, Gaziken von Hara. — In Cutcura
nahm Goronado als Vasallen 8 Gaziken, 10 Häuptlinge und 60
Knechte (maceqnalefe) auf. Die Namen der Caziken sind: Toru-
rava, Gazike von Gutcuru; Gengarao und Areara, Gaziken von
Oruraba; Coxcortf; Gengarao, Gazike von Buiquicara; Quiquiucaba,
Gazike von Zarabaru; Ciquinibi, Gazike von Gutcuru; Quiquinqua,
Gazike von Terbi*). — Am 20. Februar nahm Coronado Besitz
von diesem Gebiete von Gutcuru und Terbi (in der Nähe des
heutigen Schungso). 21. Februar bis 5. März marschiert er lang-
sam, nach Gold forschend, im Thale des Tilorio gegen Norden
bis Quequexque. Hier bleibt er bis zum 11. März und entdeckt
und verteilt Goldminen. 12. bis 16. März besucht er den Gaziken
von Ceverin an der Admiralitäts-Bai und am. 17. bis 20. ist er
wieder am Rio de la Estrella bei den Minen (in der Nähe des
heutigen Bauzhik) und tritt von hier (am 20.) den Ruckmarsch an.
Kehren wir nun zur ferneren Geschichte des Coronado zu-
rück, wie sich dieselbe nach der grossen Probanca darstellt. Es
wird daselbst zunächst konstatiert, dass Goronado die beschriebene
Unterwerfung der verschiedenen Indianer-Tribus ohne Blutver-
giessen oder Misshandlung erreicht und dabei keinen seiner
Soldaten verloren habe. Die Indianer hätten seinen Märschen
keinerlei Hindernisse in den Weg gelegt; die Belohnung seiner
Begleiter habe er dem Königlichen Willen überlassen und keiner-
lei encomienda (Zuteilung einer Anzahl von Indianern, die für
einen bestimmten, mit der „encomienda" belehnten Spanier Frohn-
dienste leisten mussten, um ihren faullenzenden Peiniger zu er-
nähren) verteit. Über den Rückmarsch von der Admiralitätsbai
bis nach Cartago besassen wir bisher keinerlei Angaben. Herr
M. de Peralta hatte in den spanischen Archiven mit grossem Eifer
aber stets vergebens nach denselben gesucht; erst in neuester
Zeit hat er einige Dokumente entdeckt.
Coronado kam am 27. April 1564 in Gartago an**). Ehe ich
die von ihm dort ergriffenen Maassregeln bespreche, will ich noch
einige neue und wichtige Aussagen der zur Beglaubigung der
von Coronado aufgestellten Angaben oder Fragen hier anführen.
*) Nach den mir brieflich von Herrn M. de Peralta mitgeteilten noch
nicht publizierten Dokumenten.
**) An diesem Tage legte Caro de Mesa daselbst seinen Titel als Al-
quacil major von Gartago vor, den ihm Landecho erteilt hatte. (Peralta.)
288 H- Polaaowsky:
— Diego Caro de Mesa sagte aus, dass Coronado selbst die
passende Stelle für die Stadt Cartago (im Thale des Oaarco) ana-
gesucht and angegeben habe, dass er (Mesa) auf Befehl des Co-
ronado mit spanischer Mannschaft und mit Pferden nach dem
Puerto del Coronado von Garci-Munoz aas marschiert sei, dass
Coronado ihm bis zum Rio de los Mangues*) in der Provini
Qaepo entgegen gekommen sei, and dass sie den Pereyra im Real
(Feldlager) de la Cruz gefanden hätten. Alonso Yazqaez, Gou-
verneur von Veragaa, sei vom Inneren des Landes aas in Tala-
manca eingedrungen and habe den Eingeborenen viel Schaden
zugefügt; deshalb habe Coronado den ersten Caziken der Provini
Hara, den Duy, im Namen Sr. Maj. zum Gouverneur dieser Pro-
vinz (Duy) ernannt. — Unter den auf Befehl des Coronado ge-
heilten Indianern hebt Caro de Mesa den Caziken Aranabo und
den mexikanischen Caziken Siestoli hervor. Diese mexikanischen
Indianer, welche grosse Indnstrieen (wahrscheinlich Weberei und
Goldarbeit) betrieben, wohnten im Thale von Coaca nahe bei der
Provinz Hara, und anter Fuhrung des Caziken Estoli (I) habe
Coronado auch dieses Thal besacht and die Unterwerfung dieser
Indianer erlangt. Coronado habe mit dem Caziken in mexika-
nischer Sprache gesprochen and ihn (Caro de Mesa) nach Terbi
bei dem Rückmärsche vorausgesandt. Im übrigen decken sich die
Aussagen dieses Zeugen völlig mit den Angaben des Juan Vazquei
de Coronado. Gleich den Aassagen des Caro de Mesa waren die
des Bartolome' Alvarez, Alonso Vello, Miguel de Olivarez und
Francisco de Estrada, wie Peralta schreibt, der dieselben leider
nicht abdruckt.
Caro de Mesa war etwa 1553 nach Indien (Amerika) ge-
kommen and hatte bereits in Neu-Spanien (Mexiko), Guatemala
and Nicaragua Dienste geleistet and ihm ist die Erhaltung von
Garci-Munoz und Landecho**) zu verdanken. Als nämlich nach
den unglücklichen Unternehmungen des Cavallon die Spanier das
Land verliessen, sammelte Diego Caro de Mesa die 25 der tapfersten
and diese schworen ihm, mit ihm im Lande zu bleiben bis an
ihren Tod, und diese Eroberung zu verteidigen***). An Caro de
*) Dieser Flosa ist der heutige Bio Naranjo, welcher Ansieht auch
Peralta zustimmt.
**) In dem Thale von Landecho, nicht weit von der an der Küste be-
legenen Ortschaft Puerto de Landecho, oder Villa de Landecho, oder Ciudad
de los reyes de Landecho, oder Villa de Los Reyes (begr. 1561) entstand
1574 an der Stelle der Ortschaft Aranjuez die Ciudad del Espiritu Santo,
die aber nur bis 1577 bestand. Dann (1578) wurde die heutige Stadt Et-
parza (oder Esparsa), zuerst Ciudad del Espiritu Santo de Espana genaaai,
erbaut
***) M. de Peralta, Costa Rica Nicaragua y Panama, p. 373 f.
Die erste Eroberung von Costa Rica durch die Spanier 1563 u. 1564.
Mesa und seinen Lenten fand Coronado die beste Stutze für seine
Unternehmungen. Auch Philipp II. erkannte die Dienste desselben
an und ernannte ihn (Real cedula aus Segovia vom 7. August 1565)
zum Oberaufseher und Richter der Stadt Cartago.
Über den Rückmarsch des Coronado finden sich in der grossen
Probanca der Information (Cartago, 22. Mai 1564) und in dem
grossen Werke Peralta's überhaupt nur noch dürftige Angaben.
Aber dank dem Eifer und der Liebenswürdigkeit des Herrn Pe-
ralta bin ich in der Lage, diese Lücke vollständig auszufüllen und
das Itinerar des Juan Vazquez de Coronado vom Rio de la
Estrella bis nach Cartago zu geben. In neuester Zeit entdeckte
nämlich Peralta im Archivo de Indias*) ein Originalheft mit dem
Titel „ Autos de tomas de posesion y obediencia de los caciques"
und nach den hierin enthaltenen Dokumenten, von denen ich
Herrn Peralta die Abschrift einiger verdanke, ergiebt sich der
folgende Rückmarsch.
Am 22. März (1564) erreicht Coronado die Ortschaft Quepza
in der Provinz Coaza (zwischen dem Rio de la Estrella und dem
Rio Tarire) und nimmt am 24. März feierlich von Quepza und
Cabeaca Besitz. — Am 24. März kommt er in Ciruro in der
Provinz von Coaza an, am Ufer des Rio de Flasquita ••) , und
nimmt Besitz von Ciruro, Mesabaru, Araburu und zwei anderen
Ortschaften. — Am 28. März erreicht Coronado die Ortschaft
Minon in der Provinz Tariaca und nimmt an demselben Tage Besitz
von derselben. Ein Cazike fehlte, da der bisherige von den
Cotos-Indianern getötet war. — Am 29. März nahm Coronado
Besitz von Tariaca, Tureraca und Duqueyba. Am 3. April war
er in Guerria in der Provinz von Pocosi und nahm er Besitz von
Auyac und Buycara. — Es folgt das folgende Dokument:
„Am vierten Tage des Monats April des Jahres 1564 brachten
vier Caziken, genannt Musus, Abicara, Oocosci, Arurire der Ort-
schaften Auyac, Buycara, Queri, Cuquepa, Micu***), welche am Rio
Tarire im Gebirge (en la Sierra) liegen, eine Schaumunze (patena),
welche 18karätig zu sein schien, und drei Adler von geringwertigem
Golde, welche 44 Pesos wogen. Sie gaben dieselben als Geschenk.
*) Patronato. — Simancas. — Nuevo Reyno de Granada. — Descubri-
mientos, deaeripciones y poblaciones pertenecientes ä este Nuevo Reyno. —
ASo« 1526 ä 1591.
**) Peralta schreibt mir über diesen Flnss (Sevilla, 12. Februar 1884):
Der Rio Flasquita lag also westlich vom Rio de la Estrella und scheint er
mir ein Nebenflnss des Tarire, oder dieser selbst in einem Teile seines Laufes,
zu sein*. Ich halte ihn für den heutigen Rio Choli.
***) Diese Namen finden sich auch geschrieben: Ayac und Auyaqae,
Bucarara, Guerria; und die Caziken: Mururaz, Anncira. (Peralta, Brief aus
Sevilla y. 12. Februar 1884.)
240 H. Polakowsky:
Der General gab ihnen (den Caziken) Äxte, Glasperlen and an-
dere Dinge. Das Gold wurde dem Schatzmeister übergeben*).
— Juan Vazquez de Goronado. — Ist in meiner Gegenwart aus-
gefertigt : Cristoval de Madrigal, Regierungsschreiber**).*
Am 9. April war Coronado in der Ortschaft Bnca in der
Provinz Pocosci am Rio Matine. Hier in Bnca, am heutigen Ma-
rina-Flnsse, blieb er bis zum 12. und empfing daselbst verschiedene
Caziken, die sich unterwarfen. Peralta führt als besonders wichtig
an : Diruamo, Cazike von Parragua nnd Pöpuca, Cazike von Chir-
ripö in der Provinz von Pocosci. Von der Zeit dieses Aufent-
haltes berichtet folgendes Dokument:
„Am 10. April des Jahres 1564 brachten die Caziken von
Pocosci, Bucabistu und Cnrucat als Geschenk: eine Schaumünze
und vier kleine Adler aus kupferhaltigem Golde, welche 34 Pesos
wogen. Der General gab ihnen Äxte und Perlen. Das Gold
wurde dem Schatzmeister übergeben. — Juan Vazquez de Coro-
nado. — Ist in meiner Gegenwart ausgefertigt: Cristoval de Ma-
drigal, Regierungsschreiber **).*
Am 20. April kam Coronado in Tayutic (oder Teyntid, Toy-
otique nnd Teotique) an nnd von hier ging es über Atirro nach
Cartago (27. April).
Als Coronado in die Provinz Tuyutique kam, welche an die
Nation der Guetares grenzt, erschien vor ihm Qabaca (oder Sa-
baca), Cazike dieser Provinz, um sich zu unterwerfen. Als er weiter
Tiro (= Atirro der heutigen Karten) erreichte, welches er als
eine unterworfene und friedliche Provinz verlassen hatte, fand er
dieselbe jetzt in vollem Aufstände» was ihn sehr betrübte, besonders
als er in Corroci (= Grosi der heutigen Karten) einige getötete
und in Stucke gehauene Soldaten ans Cartago fand. Die Soldaten
des Coronado wurden sehr entmutigt nnd sehr traurig, als sie
sahen, das 8 die früher friedlichen Indianer ihnen jetzt mit den
Waffen in der Hand entgegen traten. Aber Coronado rief sie
zusammen und sagte ihnen, dass das grosse Werk, welches er
unternommen, durch solche Schicksalsschlage nicht untergehen
könne, sondern dass der Dienst Gottes nnd Sr. Maj. die Vollendung
desselben fordere. Sie seien Spanier und Sohne edler Eltern, sie
mögen nicht den Mut verlieren, denn es sei der spanischen Nation
eigentümlich, Thaten auszuführen, die jede Grosse überragten; und
damit sie sähen, dass er der erste bei der Arbeit sei, mögen sie
zwei unter sich erwählen und er wolle dieselben mit einer Voll*
macht nach Nicaragua und Guatemala senden, um nicht nur seine
*} Schatzmeister der Expedition war Jaanes de Turcios. (Peralta, I. c.)
**) Archivo de Indias, 1. c. — Zum ersten Male nnd mit Erlaubnis des
Entdeckers hier publiziert.
Die erste Eroberung1 ron Costa Rica durch die Spanier 1563 u. 1564. 241
Besitztümer und sein Vermögen, sondern auch den Schmack nnd
die Edelsteine seiner Gemahlin zu verkaufen, ja sie konnten —
falls es notwendig — selbst seine Kinder verpfänden (empenasen)
nnd er sei sicher, dass, wenn dies in Nicaragua und Guatemala
bekannt wurde, der Präsident und Gouverneur derselben (Landecho),
obgleich er bis jetzt nichts für sie gethan, sie wegen ihrer Not
unterstutzen würde. Durch diese Rede stimmte Coronado die
Spanier so um, dass sie freiwillig und voller Mut erklärten: sie
wollten im Lande verbleiben und ihm folgen.
Endlich erreichte Coronado die Hauptstadt, wo man schon
glaubte, er sei mit seinen Soldaten erschlagen und wo man des-
halb die Stadt verlassen wollte. Gross war die Freude der
Spanier und die Betrübnis der Indianer im Thale des Guarco.
Letztere unterwarfen sich abermals, weil sie Furcht vor dem
Generale hatten. Darauf Hess Coronado die gefangenen Caziken
vor sich fuhren und setzte den grossten Teil derselben sofort in
Freiheit, da sie an der Ermordung der Spanier und an der Re-
bellion unschuldig waren. Gegen die Rebellen sandte er eine
Abteilung von 50 Mann und er selbst durchzog mit seiner Reiterei
das Land, rief die Indianer zusammen und Hess ihnen sagen, dass
er Gerechtigkeit üben wolle. — Zum Schlüsse wird (36. Angabe
oder Frage der genannten Probanca) ausgesagt, dass Coronado
für seine verschiedenen Expeditionen aus seinem Vermögen circa
20 000 Gold-Pesos geopfert habe und dadurch sehr verschuldet
sei; auch sei der General stets und mit Erfolg bemüht gewesen,
die Streitigkeiten und Kriege der verschiedenen Indianer unter ein-
ander friedlich beizulegen. — Diese Information wurde mit einem
Gesuche, die grossen Dienste des Coronado gebührend zu belohnen,
an den Konig gesandt. Das Gesuch (vom 29. Mai) trägt die Unter-
schriften der Alcalden: Alonso de Anguciana de Gamboa und Alonso
Cano; des Oberaufsehers und Ratsherrn Diego Caro de Mesa; der
Ratsherren: Mig. de Gongona, L. de Parada, Bartol. Alvarez de
Coy und des Königlichen Schatzmeisters Geron. de Barros.
Konig Philipp II. war für solche Dienste, wie die des Juan
Vazqnez de Coronado, nicht unerkenntlich. Schon unter dem
30. April 1564 hatte er aus Cuenca an Juan Vazqnez de Coronado
folgendes geschrieben: Aus zwei Briefen, die ihr an den Licen-
tiaten Landecho, Unseren Präsidenten der Königlichen Audiencia
de loa Confines, aus der Provinz Cartago und Costa Rica vom
Castillo de Garci-Menoz und von Quepo aus, der eine vom
25. Januar (s. oben) und der andere vom 15. Februar*) des
*) Dieser Brief findet sich nicht im Archivo de Indias. (Peralta, 1. c.
p. 322, Note.)
Zaitoefar. d. GetaUieh. I Erdk. Bd. XIX. \§
242 H. Polakowsky:
Jahres 1568, gerichtet habt, habe Ich ersehen, was ibr gethan
habt and noch thut, um den Frieden unter den Eingeborenen
jenes Landes herzustellen und was ihr in demselben entdeckt habt,
und dass das Land reich und fruchtbar sei, wofür Ich euch danke
und was Ich euch zum Verdienste anrechne. Ich bin sicher, dass
ihr durch eure Vorsicht und euren Fleiss die Entdeckung und
Eroberung dieses Landes vollenden werdet. Und weil Wir wüoscheo,
dass alles Mögliche für die Bevölkerung dieses Landes geschehe
und die Eingeborenen zur Kenntnis unseres heiligen katholischen
Glaubens gelangen mögen, so beauftrage und befehle Ich euch,
auf alle Weise euer Möglichstes zu thun und besonders ffir den
Frieden und die gute Behandlung der genannten Eingeborenen
zu sorgen. Wir schrieben an den genannten Präsidenten oder
Unseren Gouverneur der Provinz Guatemala (Landecho), dass er
euch soviel Priester als möglich sende.
Und weil ihr in einem eurer Briefe von einer Art Nelken
und Pfeffer sprecht, welche sich in diesem Lande findet, so
möget ihr bald ein Säckeben voll von demselben an Unseren
Präsidenten oder Gouverneur senden, damit er Uns dasselbe
schicke. — Ich der Eonig. — Gegengezeichnet von Eraso. —
Unter demselben Datum schrieb der Konig einen fast gleich-
lautenden Brief an Landecho.
Die Geschichte des Goronado ist ein neuer Beweis für die
grosse Aufmerksamkeit, mit welcher Philipp II. die Entdeckung
und Eroberung der Länder Amerika's überwachte, wie er für das
Wohl der Indianer besorgt war, wie vorsichtig und klug er in
allen seinen Bestimmungen war, und endlich zeugt die grosse
Anzahl der aus der Regierungszeit Philipps über die Geschichte
Costa Rica'8 erhaltenen Dokumente für den Fleiss und die Arbeits-
kraft dieses Königs, die schon Prescott (Philipp II.) an ver-
schiedenen Stellen hervorhebt. Es ist ein Vergnügen, diese Korre-
spondenz zwischen Philipp und Goronado zu lesen, weil hier der
so überaus seltene Fall in der Geschichte der Eroberung Amerikas
vorliegt , dass der betreffende Conquistador die klugen und
menschenfreundlichen Befehle seines Königs und des Rates von
Indien befolgt.
Bald nach der Ordnung der Zustände auf der Hochebene von
Costa Rica (Anfang Juni 1564) beschloss Juan Vazquez de Coro*
nado selbst nach Spanien zu gehen und dem Konige Bericht über
seine Entdeckungen abzustatten. Peralta veröffentlicht hierüber
zunächst (1. c. p. 785 f.) ein Schreiben des Magistrats von Car-
tago vom 26. Mai 1564, worin im Eingange über das geringe
Interesse der Audiencia von Guatemala für Costa Rica ge-
klagt und weiter gesagt wird, dass das von Juan Vazquei de
I
Die erste Eroberung von Costa Rica durch die Spanier 1563 u. 1564. 248
Coronado entdeckte Land (Costa Rica) das schönste nnd beste
aller Königreiche sei. Der Magistrat habe beschlossen, den Coro-
nado nach Spanien zu senden, damit er aber die Lage berichte,
die Belästigungen durch die Andiencia de los Confines aufhorten
und sie (die in Costa Rica ansässigen Spanier) den Lohn für ihre
Leistungen erhielten. „Wir versichern Ew. Maj., wenn es nicht
da 8 Bewusstsein wäre — wird weiter wortlich in dem Schreiben
gesagt — zur spanischen Nation zu gehören, welches uns zu
unseren grossen Diensten bestimmt hat, so hätten wir dieses
ruhmreiche Unternehmen bereits aufgegeben und das Werk anderen
Händen überlassen, denn es hat nur gefehlt, dass man uns zum
Lohne für unsere Dienste aus dem Lande jage, welches wir er-
obert haben." Unter dem 30. Mai 1564 Hess Coronado von dem
auf seinen Zügen erbeuteten Golde das für den Eonig bestimmte
Fünftel abschätzen und reservieren. Das hierauf bezügliche Doku-
ment, welches sich im Archive von Indien an der oben bei den
neu entdeckten Dokumenten angegebenen Stelle befindet, verdanke
ich gleichfalls der Güte des Herrn Peralta, der mir auch von
diesem noch nicht publizierten Dokumente unter dem
18. Februar 1884 eine Abschrift aus Sevilla schickte. — Auf das
Königliche Fünftel kamen fünf Adler aus Gold, zum Teil mit
Kupfer versetzt, von verschiedener Grösse und ein kleiner Götze
(idolillo). Die fünf Adler wogen 85 Pesos „yes el primer oro
que se quintö para Su Magd, en la provincia de Cartago*. Juan
Vazquez de Coronado überbrachte dieses Gold dem Konige resp.
dem Rate von Indien selbst.
Mit dem Coronado wurden der Pater Lorenzo de Bienvenida,
der Alcalde Alonso de Anguciana de Gamboa und der Oberauf-
seher Don Caro de Mesa abgeschickt. Zum Schlüsse wird in dem
Schreiben des Magistrats um Ernennung des Coronado zum Gou-
verneur gebeten, „was wir für unseren besten Lohn betrachten
würden".
Glucklich erreichte Juan Vazquez de Coronado mit seinen
Begleitern Spanien, wurde gnädig von Don Philipp empfangen und
erhielt alle seine Wünsche erfüllt. Während seiner Abwesenheit
wurde sein Amt als Alcalde Mayor von dem Schatzmeister von
Nicaragua, Pedro Venegas de los Rios, verwaltet (1565 — 68).
In Spanien angekommen, reichte Coronado bei dem Rate von
Indien (Real y Supremo Consejo de las Indias) eine Denkschrift
über seine Dienste ein und bat: ihn für die Lebenszeit mit der
Stellang eines Gouverneurs von Costa Rica mit dem Titel Adelan-
tado zu bekleiden, ihm ein Einkommen durch Überlassung (als
encomienda) eines von ihm zu bezeichnenden Landesteiles zu
sichern, und seinem ältesten Sohne die Indianer, die er (Juan
16*
244 H. Polakowsky:
Vazquez de Coronado) habe, als neue encomienda zu aberweisen.
Die Denkschrift ist würdevoll and schon geschrieben. Coronado
sagt in der Einleitung, dass er vor 25 Jahren nach Neu-Spanien
gekommen sei, bei der Eroberung von Guatemala and Hondaras
Dienste geleistet habe, von denen er die wichtigsten kürz an-
führt. Er spricht vom Goldreichtum des Landes, besonders am
Rio de la Estrella, führt auch die Perlen der Inseln Qaicara and
Coiva*) an der Küste der Südsee an, erzählt von dem Reichtum
des Landes an Baumwolle, Cacao, Mais and anderen Früchten
und berichtet weiter, dass er an der Küste des Nordmeeres,
50 Legaas von Nombre de Dios entfernt, einen Hafen entdeckt
habe**), der 20 Legaas von einem am Südmeere gelegenen ent-
fernt, mit deren Hilfe der Transit von Nombre de Dios nach
Peru nach hier (durch Costa Rica) verlegt werden könne. Beide
Hafen befänden sich in ebenem Lande, worin keine Gebirge wären;
die Witterung daselbst sei günstig***). — Er habe 3*^ Jahre auf
die Entdeckung von Costa Rica verwandt und während dieser Zeit
habe er fern von seiner Frau und seinen Kindern gelebt. „Sein
(Coronado' 8) Wunsch ist, in Ihrem Königlichen Dienste fortin-
fahren und in demselben zu sterben (wie Goncalo Yazquez and
Juan Vazquez de Coronado, sein Vater and Bruder, and seine
übrigen Vorfahren and lebenden Verwandten es gethan haben
nnd noch than), besonders bei der Vermehrung and Erhaltung
dieser Provinzen, in der Voraussicht, dass Ew. Hoheit (der Prä-
sident des Rates von Indien) durch dieselben (Nicaragua, Cartago
y Costa Rica) sehr gedient sein wird." Zum Schlüsse bittet Coro*
nado, der Rat von Indien möge ihn zum lebenslänglichen Gouver-
neur von Costa Rica and Nicaragua ernennen.
Wir haben oft von der Audiencia von Guatemala, zu welcher
Costa Rica gehorte, und von den Klagen der in Costa Rica an-
sässigen Spanier, über das geringe Interesse dieser Audiencia für
*) Die heutigen Inseln Coiba und Jicaron, welche damals nniweifel-
haft zu Veragua and heute zu den Est. Unid de Columbia gehören. — E*
ist diese Angabe des Juan Vazquez de Coronado ein neuer Beweis, dass er
die Küste der Südsee weithin nach Osten zu erforschte, d. h. Erkundigungen
über dieselbe einzog.
**) Coronado meint sicher die Admiralitäts-Bai (nordwestlicher Teil der
Laguna de Chiriquf) und den Golfo dulce.
***) Diese Angaben gehören zu den wenigen Irrtümern, die sich in den
Berichten des Coronado finden. Was er über das Klima und die Häfen
sagt, kann man ihm nicht verübeln, da er nur nach dem Hörensagen oder
flüchtiger Beobachtung urteilen konnte. Aber dass er angesichts der Cor
dilleren in Chiriqui (s. M. Wagner, Chiriqui. Peterm. Mittig. 1863) achreibt:
de tierra llana, apacible e sin montes, ist auffallend. Coronado machte
diese optimistischen Angaben, um den Wert seiner Entdeckungen zu ver-
mehren.
Die erste Eroberung von Costa Rica durch die Spanier 1563 u. 1564. 245
Costa Rica, gesprochen. Einige Worte über die Schicksale dieser
Audiencia durften deshalb hier angezeigt sein.
Die Königliche Audiencia von Panama (6 de Tierra- Firme)
wurde von Karl V. (Real cedula aus Madrid vom 80. Februar
1535 und Valladolid vom 2. März 1537) errichtet. Im Jahre
1539 wurde Nicaragua, welches bis dahin der Audiencia von San
Domingo unterstand, zur Audiencia von Panama gelegt, deren
Gebiet ausserdem das ganze unter spanischem Szepter stehende
Sud-Amerika umfasste. — 1543 wurde die Audiencia von Panama
aufgehoben und dafür zwei neue, die eine für Guatemala und
Nicaragua, die andere für Peru, errichtet. Die erstere, genannt
de los Confines (der Grenzen), wurde am 16. Mai 1544 in der
kleinen Stadt Gracias a Dios in Honduras (nicht fern von der
heutigen Hauptstadt Comayagua) errichtet. Das Gebiet dieser
Audiencia reichte von Yucatau und* Tabasco inclusive bis nach
Panama inclusive. 1549 — 50 kam die Audiencia nach der Stadt
von Santiago de los Gaballeros de Guatemala (das heutige La
Antigua). Durch Real ce'dula aus Zaragossa vom 8. September
1563 befahl Philipp II. die Verlegung der Königlichen Audiencia
von Santiago de Guatemala nach Panama. — Als Grenzen der
neuen Audiencia wurden bestimmt: Nombre de Dios und sein
Gebiet und die Stadt Nata mit dem ihrigen und das Gouvernement
Veragua, und am Südmeere die Küste hinauf bis nach Peru, bis
zum Hafen von Buena Ventura exclusive; und die Küste hinab
bis nach Nicaragua, bis zur Bai von Fonseca exclusive. Und im
Festlande die ganze Provinz von Nicaragua und Honduras bis zur
Ortschaft Xerez de la Frontera*) und am Nordmeere bis zum
Rio de la Ula (= Rio Ulua der heutigen Karten) exclusive.
Das nordlich hiervon gelegene Gebiet gehorte zur Audiencia von
Neil-Spanien.
Aber schon im Jahre 1568 (Real cedula del Escorial vom
28. Juni) wurde die Audiencia wieder nach Santiago de Guatemala
verlegt. — Vor dieser (noch in G.) unter Vorsitz desLicentiaten Fran-
cisco Briceno, wurde am 18. August 1564 ein längeres Zeugen-
verbor über die Thaten und Dienste des Juan Vazquez de Coro-
nado aufgenommen, welches in der Golecc. de Doc. ined. von
Pacbeco y Gardenas (XIV.) publiziert ist und welches L. Fernandez
in seine oft genannte, überaus wertvolle**) Sammlung von Doku-
menten (III. p. 45 f.) aufgenommen hat.
*) Heute Choluteca. (Peralta.)
**) Leon Fernandez, zur Zeit ausserordentlicher Gesandter und bevoll-
mächtigter Minister Costa Rica's am Hofe von Madrid, wurde durch ein
Manuskript über die Geschichte Costa Rica's in den Jahren 1835-42,
welches sein Vater Don Jose" Leon Fernandez ihm hinterlassen hatte, zum
246 H. Polakowsky:
Leider erfahren wir durch dieses Dokument nichts näheres
nber Coronado's Eroberungszüge und über seinen Marsch von
Talamanca nach Cartago. Die Zeugen, unter denen sich befanden:
Munoz, stellvertretender Bischof von Nicaragua, Pedro Venegas
de los Rios, Königlicher Schatzmeister in Nicaragua, Airaro de
la Paz und andere, sagten über Costa Rica fast einstimmig aas:
Das Land sei zum grossen Teile gebirgig, an der Ostküste dicht
bewaldet, das Klima kühl und gesund; das Land sei dünn von
kriegerischen Indianern bevölkert, sehr fruchtbar, reich an Flüssen
und Quellen. Das Gebiet sei reich an goldhaltigen Flüssen and
Studium der Geschichte seines Vaterlandes angeregt Er sammelte zunächst
alle in Costa Rica seit Einführung der Buchdrnckerkunst (1830) erschienenen
Publikationen von historischem Werte, ging dann nach Guatemala — um
Jurisprudenz zu studieren — , wo er die Werke von Juarros, Pelaez, Marore,
Montüfar etc. kennen lernte, kehrte nach Costa Rica zurück und ging 1376
abermals nach Guatemala, wo er die grosse Bibliothek der Universität
Guatemala (welche ich aus eigener Kenntnis als sehr wertvoll bezeichnen
kann) und die der Sociedad Economic» studierte. Hier schrieb L. Fernandez
mit unermüdlichem Fleisse aus den grossen Historikern (Herren,
Oviedo, Navarrete, Gomara, Alcedo etc.) alle auf die Geschichte Costa
Rica's bezüglichen Stellen ab, und durchsuchte und studierte dann
eifrigst und mit gutem, überraschendem Erfolge die grossen Archive von
Guatemala. Die Regierung von Nicaragua schlug ihm spater die Benützung
der Archive von Managua und Leon ab. Fernandez ging zum dritten Male
nach Guatemala und verwandte vier Monate auf das Studium der Archire
des obersten Gerichtshofes und der ehemaligen Audiencia und Königlichen
Kanzlei; auch das Geheim- Archiv wurde ihm geöffnet. Hier fand Fernande»
nach angestrengtem Suchen unter einer ungeheuren Anzahl von Dokumenten,
die zum grössten Teile noch nie von kundiger Hand durchgesehen und in
der wildesten Unordnung in dunklen Bodenkammern der ehemaligen Begie-
rungsgebäude aufgestapelt waren, viele neue, für die Geschichte Costa Rica?
ungemein wertvolle Dokumente. Nach Costa Rica zurückgekehrt, durch-
suchte er die Archive von Cartago, Heredia, San Jose*, Alajuela, B&rba,
Curriravä und Pacaca, aber in allen Archiven Costa Rica's fand sich kein
Dokument, welches sich auf die Zeit vor 1615 bezog. (Unter dem wissen-
schaftlichen Nachlasse des Herrn A. v. Frantzius fand ich eine Liste der
im Archive von Cartago de Costa Rica befindlichen Dokumente mit ziemlich
genauer Inhaltsangabe derselben. Das erste, älteste Dokument datiert vom
10. Dezember 1615 und handelt von der Ausbesserung und Abputzung der
Häuser.) Fernandez und viele andere unterrichtete Costaricenser sind der
Ansicht, dass die ältesten Dokumente aus dem Archive von Cartago ge-
stohlen worden sind. Anders ist das Fehlen derselben, da das Archiv nie
abbrannte und nie geplündert worden ist, nicht zu erklären. Ich glaube,
dass der Hauptbeweggrund zur Entwendung der alten Dokumente die Gier
nach den alten Minen von „Tisingai und Estrella" gewesen ist — 18S0
wurde L. Fernandez zum Finanzminister von Costa Rica ernannt und sofort
bot er seinen Einfluss zur Errichtung eines National -Archives auf. Diese
Idee wurde von der Regierung angenommen. 1881 publizierte L. Fernande:
den ersten, 1882 den zweiten und 1883 den dritten Band seiner Documenta.
Der vierte Band, in welchem der Bischof von Costa Rica (B. A. Thiel) die
Indianersprachen publiziert, ist unter der Presse.
Die erste Eroberung von Costa Rica durch die Spanier 1563 u. 1564. 247
Goldminen, das Terrain an der Westkaste sei ebener, der Wald
lichter, von Savannen durchbrochen. — Man kann noch heute
mit so wenigen Worten keine bessere Schilderung von
Costa Rica schreiben. — Die Entfernung zwischen Garci-
Manoz und Santiago de Guatemala schätzten die Zeugen auf 190
bis 230 Leguas. Alle vernommenen Personen sprachen sich für
Trennung Costa Rica's, als einer eigenen Provinz, von Nicaragua
aus, da die nach Costa Rica ziehenden Soldaten bisher stets aus
dem dichter bevölkerten Nicaragua mit Gewalt Indianer nach
Costa Rica schleppten und so viele Unordnung und Aufregung
verursachten. — Hernan Bermejo sagte aus, dass Cavallon
dem Vazquez de Coronado sein Haus, seine Gerätschaften und
sein Vieh für 700 Goldpesos verkauft habe, ehe er Costa Rica
verliess.
An dieser Stelle will ich auch einige Worte über die Geschichte
der Eroberung von Costa Rica sagen, wie sie sich nach dem
Nachlasse des Herrn v. Frantzius darstellt. Dieser liebenswürdige
und fleissige Gelehrte, den ich das Glück hatte bereits 1874 vor
meiner Abreise nach Costa Rica kennen zu lernen und dem ich
wertvolle Winke für meine Studien in diesem schönen Lande ver-
danke, trug sich mit der Idee, eine „ Geschichte und Landeskunde
von Costa Rica u zu schreiben. Zahlreiche für die neuere Geschichte
und für die Geschichte der Indianer im südlichen Costa Rica (vom
17. Jahrhundert an) wichtige und interessante Manuskripte finden
sich in dem genannten Nachlasse, aber für die hier behandelte
Zeit sind die Angaben äusserst dürftig und fast durchgehend falsch.
Die Quellen, aus denen v. Frantzius schöpfte — und andere
standen vor dem Erscheinen der Werke von M. de Peralta und
L. Fernandez mit Ausnahme der Colecc. de docum. inedit. nicht
zu Gebote — , waren: Juarros, Pelaez (Francisco de P. Garcia,
Memorias para la Historia del Guatemala. 1851 — 52. III volums)
und Molina. v. Frantzius schreibt*): „Nach dem Tode von Diego
Gutierrez erlangte erst im Jahre 1564 Diego de Artiedo y Chirinos
einen neuen Königlichen Besitztitel, doch erst im Jahre 1574 be-
gann derselbe seinen Eroberungszug, bei dessen Ausführung er
glücklicher war, als seine Vorgänger. Wann derselbe beendet
wurde, wissen wir nicht, auf jeden Fall war dies im Jahre 1595
geschehen, denn vom letzten Jahre findet sich ein Dokument,
welches einem seiner Soldaten zur Belohnung für die geleisteten
Dienste ein Stück Land in der Nähe von Cartago schenkt. Chirinos
ist demnach als der erste Gobernador von Costa Rica anzusehen
und die Gründung der Stadt Cartago fallt daher erst in die Zeit
*) M. S. S. de Alej. de Frantzius. IX. b. p. 2.
248 H. Polakowsky:
zwischen 1574 — 95*); seit dieser Zeit wird daher Costa Rica erst
als Provinz von Guatemala regiert. Leider wissen wir von der
Eroberung selbst und von der ersten Zeit nach derselben so gut
wie gar nichts, da um das Jahr 1663 das Archiv von Gartago
verbrannte**). Derjenige, welcher es einmal der Mühe wert
halten wird, die früheste Geschichte und die kleinen Anfange
dieses so kleinen Staates zu erforschen, wird daher genötigt sein,
die darauf bezüglichen Dokumente in den Archiven von Simancas
aufzusuchen." — Doch der Raum gestattet es mir nicht hier näher
auf die Ansichten dieses geistreichen Kenners von Costa Rica über
die Zustande desselben zur Zeit der Eroberung einzugehen, des-
halb wende ich mich dem Schlüsse der Geschichte des Eroberers
von Costa Rica zu.
Bereits unter dem 8. April 1565 (aus Aranjuez) erfüllte
Philipp II. den Wunsch des Coronado. Das Dokument (abgedruckt
in Colecc. de Docum. Ined. del Arch. de Ind. XXI; bei L. Fer-
nandez, Docum. III. jp. 59 und bei Peralta 1. c p. 378) erkennt
die grossen Verdienste des Coronado in der gnädigsten Weise an,
der Konig dankt ihm für seine treuen Dienste, und wird er für
dieselben zum lebenslänglichen Gouverneur von Costa Rica ernannt
und ihm ein Gehalt von 2000 Gold-Pesos pro Jahr (= 900 000
Maravedis) aus den Minen des Landes zuerkannt. Am selben
Tage (s. Fernandez 1. c. p. 62) ernennt der Konig den Coronado
zum Gouverneur von Nicaragua für drei Jahre, giebt ihm den
Titel Adelantado für ihn selbst und für seinen Nachfolger, and
spricht ihm vier Quadrat- Leguas Land in dieser Provinz zu, wo er
dieselben selbst auswählen wolle.
Den Priestern und Mönchen in den Klostern des heiligen
Franciscus in Costa Rica bewilligt Philipp II. zum Danke für ihre
Dienste (Real cedula aus dem Bosque de Segovia vom 29. Juli
1565) freien Wein und freies Öl für sechs Jahre, und unter dem-
selben Datum befiehlt er der „Casa de Contratacion" in Sevilla
dem Mönche Lor. de Bienvenida und den 13 Religionsdienern,
die er nach Costa Rica führen wolle, aus dem Königlichen Schatze
Kirch enschmuck und Messgerät mitzugeben. — Unter dem 7. August
desselben Jahres erteilt der Konig dem Coronado nähere In-
struktion für die Behandlung der Indianer, welche mit den 1557
*) Hier findet sich im Manuskript folgende Note: „Es ist mir uner-
klärlich, wie Felipe Moli na in seinem Bosquejo die Gründung von Cartago
sogar bis auf 1522 zurückverlegt, hierfür fehlen durchaus alle historischen
Belege. Wagner schreibt diese Angabe von Molina nach. — Juarros citiert
ein Informe von Ceballos vom Jahre 1744. Dies ist aber offenbar ein
Irrtum ! u
**) Eine in Costa Rico verbreitete, aber unrichtige Ansicht.
Die erste Eroberung von Costa Rica durch die Spanier 1563 u. 1564. 249
dem Gouverneur von Tierra - Firme erteilten übereinstimmen
(Peralta, 1. c. p. 167 f.), und worin die denkbar beste Behandlung
der Indianer vorgeschrieben wird. Unter demselben Datum dankt
der Kcaig dem Magistrat und den Einwohnern von Cartago für
die geleisteten Dienste, und unter dem 17. August erteilt er der
genannten Stadt folgendes Wappen: Ein in zwei Teile geteiltes
Schild, im oberen Felde einen aufrecht stehenden Löwen mit
einer Krone auf dem Kopfe in rotem Felde mit drei blutroten
Streifen ; im unteren Felde ein goldenes Schloss in blauem
Felde; auf dem Scbildrande sechs schwarze Adler in silbernem
Felde und als Devise eine grosse goldene Krone mit der In-
schrift: fide et pace.
Mit allen diesen Dokumenten ausgerüstet begab sich Goronado
mit seinen Begleitern Ende September 1564 nach dem Hafen von
San Lucas de Barram e da, um sich auf der Flotte des D. Cristobal
de Eraso einzuschiffen. Der letzte Brief des Coronado an den
Konig datiert aus dem genannten Hafen vom 4. Oktober 1565
und lautet (im Auszuge)*): »Die Flotte ist im Begriff unter
Segel zu gehen, ich glaube, sie fährt morgen, Freitag den 5.
dieses Monats, ab, da der Wind günstig ist. Gott nehme sie in
seinen gnädigen Schutz!
Von den Personen , denen Ew. Maj. erlaubten nach Costa
Rica zu gehen, sind bisher ungefähr 52 hier angekommen und
glaube ich, dass einige zurückgeblieben sind, vielleicht um die
Reise mit der nächsten Flotte zu machen. Es erscheint mir,
wenn es Ew. Maj. beliebt, passend, dieselben nicht abfahren zu
lassen, da sie nicht die Reise mit mir machen, gemäss dem Befehle
Ew. Maj.
Von den dreissig Bauern, denen Ew. Maj. die Erlaubnis zur
Reise erteilten, geben nur sechs mit; bei der Schnelligkeit der
Abreise konnten sich nicht mehr einfinden, obgleich viele Lust
zur Reise hatten.
Unser Herr beschütze die Königliche Person Ew. Maj. durch
Zuwachs grosser Königreiche und Herrschaften. — Ew. Maj. Vasall
und Diener, der Ihre Königlichen Füsse küsst. — Der Adelantado
Juan Vazquez de Goronado. tf
Die Flotte ging nach dem 7. Oktober ab, wurde in der Nähe
der spanischen Küste von einem Sturme überfallen und zerstreut,
und viele Schiffe gingen verloren. Die Trümmer der Flotte er-
reichten am 22. Oktober den Hafen von Gädiz, aber das Schiff
*) Peralta, 1. c. p. 787. — Das Schiff, welches den Coronado und seine
Begleiter aufnahm, führte den Namen San Jossepe, Kapitän war Jnan
Hernandez.
250 H. Polakowsky:
mit dem Eroberer von Costa Rica erschien nicht wieder, es war
verloren! —
Juan Vazquez de Coronado, die sympathischste und edelste
Persönlichkeit unter den spanischen Conquistadoren, die ich kenne,
war im Jahre 1525 in Salamanca geboren. Er empfing in seiner
Vaterstadt, deren Universität damals auf der Hohe ihres literarischen
Glanzes stand, eine aasgezeichnete Erziehung. Der Stil und der
Inhalt seiner Briefe zeigen, dass er einer der besten Schüler
dieser Universität war, die sich in der neuen Welt durch ihre
Thaten berühmt machten, und vielleicht giebt es kein Beispiel
eines humaneren Eroberers, keiner, der die Indianer sanfter be-
handelte, auch auf seine Leute ohne Anwendung von Härte and
Grausamkeit einen grosseren Einfluss ausübte, und entschlossener
und glücklicher in seinen Expeditionen durch selbst noch heute
unbekannte oder wenig durchforschte Gebiete war, als unser Held,
der erste Adelantado von Costa Rica!
Er gehorte einer berühmten Familie an, die schon einen Er-
oberer Neu-Spaniens, Francisco Vazquez de Coronado, aufzuweisen
hatte« Sein Vater, Gonzalo Vazquez de Coronado*), war Diener
Philipps II., und einer seiner Brüder, welcher gleichfalls Juan
genannt wurde, begleitete Philipp II. nach England, als derselbe
sich mit Maria Tudor verheiratete, und wurde später Oberanf-
seher der Königlichen Kanzlei zu Valladolid. — Unser Held
ging 1548 nach Mexiko, 1550 nach Guatemala — nicht als
Abenteurer, sondern mit einer Real cedula aus Valladolid vom
23. März 1550, gerichtet an den Lieutenant Cerrato, worin
diesem Präsidenten der Audiencia de los Confines anbefohlen
wurde, dass er ihn (Coronado) begünstige und ihm jede Gnade
erweise und ihn in vorteilhaften und ehrenvollen öffentlichen
Ämtern verwende. Er war Ober-Alcalde von San Salvador
und Honduras in den Jahren 1550 — 54, ordentlicher Alcalde
der Stadt Guatemala von 1552 — 1554 und Geschäftsverwalter
(procurador) und erster Alcalde der heiligen Brüderschaft (Santa
Hermandad) im Jahre 1555. Er begleitete den Ramires de
Quinones auf seinem berühmten Zuge nach Lacandon und folgte
dann dem Lieutenant Caballon als Ober-Alcalde von Nicaragua
(30. April 1561).
Zum Schi u See führe ich hier den schonen Nachruf an, welchen
Peralta dem Eroberer seines Vaterlandes widmet.
„Juan Vazquez de Coronado war der wahre Eroberer von
Costa Rica. Er unterwarf dieses Land mehr durch Sanftmut als
durch Gewalt, und die Feinde, die er im eigenen Lager hatte,
*) Seine Mutter war Dona Catalina de Anaya.
Die erste Eroberung von Costa Rica durch die Spanier 1563 u. 1564. 251
warfen ihm keine anderen Fehler vor, als den, zu leutselig and
grossmutig zu sein."
„Sein Tod, welcher auf hoher See im Oktober 1565 stattfand,
und der seiner Begleiter, welche mit der Barke San Jossepe
untergingen, war ein ungeheures Unglück für die entstehende
Kolonie, deren Schicksal weniger trübe (mas claros) gewesen
wäre, wenn dieser gute und am Hofe einflussreiche Mann sie
einige Jahre hindurch hatte regieren können. *
Er war verheiratet mit Dona Izabel Arias de Avila, Tochter
des Gaspar A., eines Geschwisterkindes des „berühmten" —
richtiger hätte Peralta berüchtigten gesagt — Pedrarias. Er hatte
von derselben fünf Sohne und war der Erbe des Titels: Adelan-
tado de Costa Rica, sein Erstgeborener, Don Gonzago*), dessen
Nachkommenschaft in direkter Linie im Besitze des genannten
Titels bis zu Anfang des 18. Jahrhunderts lebte.
Leider war das grosste Werk des Coronado, die Eroberung
von Talamanca, nur von kurzem Bestände. Durch seine münd-
lichen und schriftlichen Angaben war das Interesse Philipps für
Costa Rica angeregt und deshalb ernannte er schon unter dem
19. Juli 1566 (aus dem Bosque de Segovia) den Perafan (oder
Per Afan) de Ribera zum Gouverneur dieser Provinz. Dieser
verteilte gleich nach seiner Ankunft in Costa Rica, unter dem
11. Januar 1569, die Indianer von Costa Rica in encomiendas
unter seine Soldaten, und nun begann die Ausraubung, Sklaverei
und Vernichtung dieser Unglücklichen, aber auch ihr blutiger
Kampf gegen ihre Unterdrücker.
Und wenn auch der Mut und die Freiheitsliebe der Tala-
mancaner nicht entfernt an die todesmutige Tapferkeit der Arau-
caner erinnert, welche Araucaner „das Blut der Spanier gleich
Wasser vergossen*4 — wie Prescott (Eroberung von Peru, II
p. 67) so zutreffend schreibt — deren Kriegsruhm die Welt
erfüllt und sie zum Schrecken der Spanier durch Jahrhunderte
gemacht hat, wenn sie auch nicht Helden wie Caupolicau, Lau-
taro, Tucapel etc. zu ihren Führern hatten, so gelang es ihnen
doch oft, ihre Peiniger mit blutigen Köpfen nach der Hoch-
ebene von Cartago zu jagen und blieben sie durch Jahrhunderte
fast gänzlich unabhängig von der spanischen Herrschaft, wie die
Araucaner.
Erst der Republik gelang es vor etwa 25 Jahren — aber
nicht durch Waffengewalt — Hoheitsrecht über die Indianer von
Talamanca auszuüben und die wahre Eroberung der traurigen
Reste dieser interessanten Tribus (seit 1880), ihre Bekehrung zum
*) Er regierte Costa Rica von 1600—1604.
252 H. Polakowsky:
Christentum und ihre Gewinnung für die wahre Civilisatioo ist
eines der glänzendsten Verdienste des heutigen Bischofs von Costa
Rica, Bernhard August Thiel*).
Ich will hier im Anhange, nach dem Vocabularium der In-
dianer-Sprachen Costa Rica's von Bernhard August Thiel**) —
dessen letzte Druckbogen ich Ende März 1884 erhalten habe —
die Erklärung einiger der in dieser Arbeit genannten and ge-
brauchten Bezeichnungen für die Indianer-Tribus und ihre Wohn-
sitze geben.
Aserri, Name einer Ortschaft in der Provinz San Jose. Das
Wort wird in den alten Dokumenten geschrieben: Ausari, Aqui-
cerri, Acceri, Acerri etc. Wahrscheinlich ein Eigenname. In der
Nähe dieser Ortschaft findet sich eine grosse und sonderbare
Steinfigur, welche schon etwas geneigt ist, so dass sie bald um-
zustürzen droht. Von diesem Steine kann nach der Biceita-Sprache
der Name erklärt werden: ac oder bac bedeutet Stein und sen
bedeutet „ flinkes Hündchen tt (perico lijero ***)). Aserri oder Acceri
ist also der Ort des Steines des flinken Hündchens.
Barba, Name einer gegenwärtigen Ortschaft. Barba wird
von den Indianern mit Barvac bezeichnet; bar ist Wärme, warm;
vac ist Volk; Barba oder Barvac bedeutet also hitzige, erregbare
Leute.
C o oder Cot und Coc, Name einer Ortschaft in der Provini
Cartago. D'co bedeutet in der Biceita-Sprache einen Ort, der mit
Binsenrohr bedeckt ist.
Chiriqui, Name einer indianischen Ortschaft. Wahrscheinlich
bedeutet derselbe „grosser Flusstt. Chi gleich ti, bedeutet Flosa,
Wasser; riqui, ribi, bribi, ist gross. Tiribi, Chiriqui, Chirripö
scheinen denselben Ursprung zu haben.
*) Über die Reisen dieses Bischofs habe ich bisher publiziert : Der Bischof
von Costa Rica bei den Guatusos-Indianern am Rio Frio (Sonntagsblatt der
Vossischen Zeitung. 1883. No. 30 n. 31) und: Der Bischof von Costa Rica
bei den Chirripö-Indianern (Petermanns geogr. Mitthl. 1883. S. 300).
**) Apuntes lexicograficos de las Lenguas y dialectos de los indios de
Costa Rica, reunidos 7 alfab&icamente dispuestos por Bernardo Augusto
Thiel, Opiopo de Costa Rica. I Parte. Lengua y dialectos de los Tala-
mancas 6 Biceitas (= Bribri, Cabecar, Estrella, Chirripö, Tucurrique y
Orosi). II Parte. Lenguas de Terraba y Boruca. III Parte. Lengua de
los Guatuzos. — San Jose* de Costa Rica 1882 — 84.
***) So wird nach v. Frantzius (Die- Säugethiere Costa Rica's in Wieg-
manns Archiv für Naturgeschichte 1869. Übers, in L. Fernandez, Doc ined. I.)
in Costa Rica der Choloepus Hoffmanni, Peters genannt. — Es ist dieser
Name für das Faultier Costa Rica's wahrscheinlich eine Korruption des
perrillo (Hündchen), welche Bezeichnung schon bei Oviedo gefanden wird,
(v. Frantzius 1. c.)
Die erste Eroberung von Costa Rica durch die Spanier 1563 u. 1564. 253
Doraces, Name einer alten Ortschaft. Diesen Namen
fahren noch heute die Indianer, welche nordlich von David bis
zur Chiriqui'-Lagune wohnen.
Escasü, Name einer Ortschaft der Provinz San Jose; wird
in alten Dokumenten Iscazü und Yscazii geschrieben. Isca be-
deutet hier; hu oder u bedeutet palenque (Einzäunung). Iscazu:
hier befindet sich ein palenque.
Huaca, Name der indianischen Begräbnisse. Kommt viel-
leicht von hu, casa und von hac, Stein; sodass huaca oder guaca
Steinhaus bedeutete. Fast immer bestehen die Gräber aus pyra-
midenförmigen Steinbergen.
Irazü, Name eines Vulcans. Die Endung zu, tzu bedeutet
Spitze, Brust und findet sich in tzubeta, dem Namen eines
Berges. Ira kann sein: 1) Name eines Baumes; dann ist Irazii
ein Berg, wo es viele Bäume dieses Namens giebt. 2) Ira kann
eine Abkürzung von I ara sein ; I bedeutet die Erschütterung und
ara, arar bedeutet Geräusch machen, donnern. Irazü wäre dann
der Berg der Erschütterungen und des Donners.
Mejicanos (Mexikaner), Name, mit dem die Indianer von
Talamanca belegt wurden*).
Orosi oder Oroci: 1) Name eines Caziken. — 2) Name
einer Ortschaft in der Provinz Cartago. (Am Rio Reventazon.)
Kommt vielleicht von dem Worte oros der Biceita-Sprache, welches
eine Art von Fischen bedeutet.
Pacaca, Name einer Ortschaft. Wird auch Pacacua ge-
schrieben. Ist wahrscheinlich der Name eines Caziken. Nimmt
man die Eatrella- Sprache an, so kann diese Bezeichnung Ortschaft
des Vaters oder des Caziken bedeuten, denn caca oder caga ist
Vater, Cazike und pa oder pe bedeutet Leute, Volk. — Es wäre
dasselbe wie Hauptstadt (Haupt) der übrigen Ortschaften.
Quircot, Quiricö, Quercoc oderCorcos, Name einer Ort-
schaft der Provinz Cartago. — Diese Bezeichnung bedeutet wahrschein-
lich Ameisenhaufen. D'quir, d'quiri, ist eine kleine Ameise und d'quiri
jo, quiri hu oder quiricu, quiricö, quircö ist der Ameisenhaufen.
Ujarraz, Name einer Ortschaft in der Provinz Cartago.
Wird auch Ujarraci geschrieben und kommt wahrscheinlich von u,
hu = Haus, und von juarci, welches von Juarco, dem Namen
des Flusses bei Ujarraz, abgeleitet wird. Ujarraz wäre also Ort-
schaft oder palenque am Ufer des Guarco.
*) Bedarf dringend der näheren Erklärung. Dass im südlichen Costa
Rica echte Mexikaner zwischen den eingeborenen Stämmen wohnten, haben
wir aus dem Zuge des Coronado gesehen. Zudem ist Herr Peralta — wie
er mir schreibt — noch im Besitze von unedierten Dokumenten, welche diese
Tflatsache beweisen.
254 H. Polakowsky: Die erste Eroberung von Costa Rica.
Votos, Name einer Tribus der Guetares. Vielleicht dieselben
wie die Cotos des Inneren. Es ist möglich, dass die Guatosos
die Überreste der Votos sind.
Berichtigungen
znr ersten Hälfte dieser Arbeit in Heft I.
S. 24 Z. 3 v. o. in II, statt: die sehr unvollkommenen ist zu lesen:
die zuweilen sehr unvollkommenen.
S. 26 Z. 21 v. o., statt: Jose" d. Ferrer ist zu lesen: Jose* I. Ferrer.
S. 27 Z. 4 v. o., statt: Talamasscas ist zu lesen: Talamancas.
S. 30 Anm. *), statt: Diese Ansicht scheint mir die richtige zu sein ist
zu lesen: Die Ansicht Peralta's ist sicher die richtige*).
S. 32 Z. 4 v. o., statt: die Wittwe des Christ. Colon ist zu lesen: die
Wittwe von D. Diego Colon, Sohn des Christ. Colon.,
S. 33 Anm. Z. 2 v. u., statt: Madrid, 1883 ist zu lesen: Madrid, z. Z.
unter der Presse.
S. 37 Z. 21 v. o., statt: verstorbenen Bruselas ist zu lesen: verlassenen
Bruselas.
S. 40 Anm. *), statt: Gaetares ist zu lesen: Guetares.
S. 40 Anm. +), statt: Laguna da ist zu lesen: Laguna de.
S. 41 Z. 7 v. o., statt: Laudecho ist zu lesen: Landecho.
S. 42 Anm. *), statt: San «Tue* ist zu lesen: San Jose".
S. 42 Anm. *), statt: Puririci ist das heutige Tucurrique ist zu lesen:
Puririci ist das heutige Purires bei Cartago.
8. 42 Anm. *), statt: Wo Taribi lag, resp. ob es das heutige Tobori
südwestlich von Cartago ist, wage ich nicht zu entscheiden ist zu lesen:
Taribi lag am Rio Tiribi (Karte von v. Frantzius) oder R. Tiriqui (Karte
von Gabb) nahe bei Desemparados **).
S. 44 Z. 1 v. u., statt: del Albra ist zu lesen: del Abra.
S. 45 Z. 14 v.o., statt: Rio Pocosol (-Sarapiquä) ist zu lesen: Rio
Pocosol***).
S. 47 Anm. *), statt: Dieser R. Vazquez ist zu lesen: Ein R. Vazques.
— Und zum Schlüsse dieser Anmerkung ist hinzuzufügen : Er ist aber nicht
zu verwechseln mit dem wahren Estrella-Flusse, dem heutigen Changuinola etc.
*) Durch einen Druckfehler bei Peralta (1. c p. 33 Note 2) erklärt sich
mein falscher Schluss. Es muss nämlich in dem entscheidenden Dokument
statt „en el fondo del golfo de Nicoya" gelesen werden: „el Este del golfo
de Nicoya". — Da ich den letzten Bogen von Peralta's Werk mit dem Ver-
zeichnisse der Druckfehler erst erhielt, als die erste Hälfte dieser meiner
Geschichte der ersten Eroberung von Costa Rica bereits gedruckt war, konnte
ich diese Berichtigungen nicht berücksichtigen. — Es sprachen zudem viele
Momente für die Richtigkeit der Ansicht des Herrn L. Fernandez.
**) Diese zwei letzten Berichtigungen verdanke ich Herrn Peralta (Brief
v. 29. März 1884).
***) Führt noch heute denselben Namen. (S. Peralta, Costa Rica, Nica-
ragua etc., p. 766.) Eine irrige Angabe von L. Fernandez (Docum. inld. III.
p. 306 Note 2) hatte mich zu dieser Bemerkung veranlasst.
Höhenmessungen im Wilajet Trapezunt. 255
XII.
Höhenmessungen im Wilajet Trapezunt.
(Mit einem Goldschmidt'schen Aneroidbarometer bestimmt von P. W. Tschar-
kowski 1881 und 1882 und nach den entsprechenden Beobachtungen in
Trapezunt berechnet vom Feldmesser J. M. Zamotschnikow. Aus
„Izwest der Kaukas. Sektion der K. Euss. Geogr. Ges.a VII. Nr. 2. S. 266—
267; vgl. zur Orientirung H. Kieperts Special - Karte des Türkischen
Armeniens. Berlin 1877.)
A. Von Of am Schwarzen Meere über das Pontische Gebirge
nach Baiburt.
Hohe Aber dem Meere in
engl. Fties Metern.
1 . Of-tschai gegenüber dem Dorfe Mawran beim Kaffeehaus 310 94
2. Brücke über den Of-tschai beim Dorfe Pullas [Pulelas]
(3 Sashen über dem Wasserspiegel) 380 115
3. Dorf Tschufaruksa (Haus des Tschausch Suleiman) . 1330 406
4. Dorf Konda (Konak des Begram- Ali Dshamansyl-oglu) 880 268
5. Dorf Züsno (Haus des Jani Alchaz-oglu) [Sissino] . 1580 482
6. Auf dem Wege von Konda nach Schinek 1210 369
7. Dorf Schinek (Haus des Muchtar Hussein) .... 2250 685
8. Ogene-dere, am Wege, 750 Sashen unter dem Anfange
des Dorfes Ogene-sufla (d. i. das untere Ogene) (150'
über dem Spiegel des Ogene-su) 2640 805
9. Dorf Ogene-ulja (das obere O.) (Haus des Hadschi-
Effendi) 3590 1094
10. Gipfel Kotzet im Kakart-Dagh, über welchen die
Strasse fuhrt 7560 2304
11. Pass über den Pontischen Kamm Soghanlü Dagh.
zwischen den Dörfern Heneke und Jukarigi- (d. i.
Ober-) Tschendshul • 7770 2368
12. Dorf Heneke 6830 2082
13. Bach beim Dorfe Jukarigi- (Ober-) Tschendshul . . 5970 1820
14. Dorfruine beim Charta-tschai beim Eintritt des Weges
in die Ebene des Tschoroch (Tschanik) 5850 1783
15. Stadt Baiburt (Haus des Arakel Serafim-Effendi) . . 5110 1557
B. Im Thale Kro-m-dere bei Trapezunt.
1. Dorf Mandri 4510 1375
2. Mühle am Bach Arnautli-BU, vor dem letzten Aufstiege
zum Dorfe Arnautli 4900 1493
3. Dorf Arnautli 5420 1652
4. Pass über den Kurazmenza Dagh 6020 1835
5. Dorf Warenli 6620 2018
6. Zusammenfluss des Krom-sn und des Himera-su bei
der Brücke Osman-Aga Kerpusi 5430 1655
7. Dorf Schamanti (im oberen Theile) 6350 1936
J
256 Höhenmessungen im Wilajet Trapezunt
Hohe aber dem Heere in
eogL Fom Meten.
8. Hagios Zacharios (Sattel) 8080 2463
9. Gipfel des Berges Jalonomit 10510 3203
10. Pass über den Sattel an der Westseite des Murad Dagh 8200 2499
11. Weg unter dem Kolat Dagh 8330 2539
12. Stawri-chane 8090 2466
1 3. Dorf Stawri-köi (Haus des Priesters Ikonomos Kon-
stantin, 50' über dem Spiegel des Krom-su) . . . 5660 1725
14. Brücke über den Stawri-su unterhalb Stawri-köi (20 '
über dem Wasser) 5210 1588
15. Zusammenfluss des Krom-su und Stawri-su .... 4660 1420
16. Höchster Punkt des Weges am Abhang des Muzen-
Dagh vor dem Beginn des Abfalles zum Tzimera-dere 6790 2070
C. Auf der Trapezunt-Erzerumer Chaussee*
1. Dshewizlik 330 (?) 100(?)*)
2. Obere Kiramutli-chan (Keremidlü Khan) 2540 774**)
3. Chane-Joriki, im obersten Theile des Dorfes Hamsi-köi 3940 1201***)
4. Pass Zigana-Dagh (Chan des türkischen Cordons) . 6920 2109f)
5. Chane in Demurtschi-su (Demirdji) 3240 987
IL Hoben zwischen Baiburt and Trapezunt.
(Mit einem Goldschmidt'schen Aneroidbarometer 1882 bestimmt von M.
A. Olamazdin und von Tscherdantzew auf Grand der in Poti [Leacht-
thurm] ausgeführten, correspondirenden meteorologischen Beobachtungen
berechnet. Aus „Izwest. der Kaukas. Sektion der K. Boss. Geogr. Gea."
VIII. Nr. 1. S. 76f.)
Hohe aber dem Meere ia
eogL Fan Metern.
1. Dorf Tzikoli 468 142
2. Aulet-chane 3870 1180
3. Agag-baschi 6510 1984
4. Limana-chane 7870 2399
5. Dorf Chart 5330 1624
6. Kandri-chane (an der Chaussee Trapezunt-Erzerum) 5260 1603
7. Dorf Wesernik 6020 1835
8. Griechisches Frauenkloster 6150 1875
9. Adrassa-chane (an der Chaussee) 3010 917
10. Dorf Dshaira 2050 625
11. Dorf Chaschut 470 143
12. Griechisches Kloster Sumeli 4180 1274
*) Nach Tezier 370 m, Briot 247 m, Mircher & Saget 325 1
**) 696 m nach Mircher & Saget.
***) Wohl Jerkbprü, 1042 m nach Mircher & Saget,
f) 1980 m nach Mircher & Saget.
Verlag von Dietrich Reimer in Berlin.
Nouvelle Carte gönerale
des
Provinces Asiatiques
de
L'Empire Ottoman
(sans l'Arabie).
Dressöe par
Henri Kiepert
6 feuilles k lächelte de i : 1,500,000.
Avec une feuille s£par6e (1 : 4,000,000) indiquant la division administrative.
Preis in Umschlag 10 Mk. Auf Leinwand gezogen in Mappe 15 M.
Uebersiehtskarte
der
N i 1 1 ä n d e r.
Mafsstab 1 : 5,000,000.
Mit Carton: Das Nil -Delta. Marsstab 1 : 1,500,000.
Von
Heinrich Kiepert
Separat -Ausgabe aus dem Handatlas Nr. 34.
Preis 1 M. 20 Pf.
Für die Redaktion rerantwortlich : Professor Dr. W. Koner in Berlin.
Drnek Ton W. Pormettor in Berlin.
u «« «o WHITKF
No. 112 u. 113. MUS. c
r
ZEITSCHRIFT
DER
GESELLSCHAFT FÜR ERDKUNDE
ZU BERLIN.
ALS FORTSETZUNG DER ZEITSCHRIFT FÜR ALLGEMEINE ERDKUNDE
IM AUFTRAGE DER GESELLSCHAFT
HERAUSGEGEBEN
VON
Prof. Dr. W. KONER.
REDACTION DER KARTEN VON HEINRICH UND RICHARD KIEPERT.
NEUNZEHNTER BAND. VIERTES UND FÜNFTES HEFT.
BERLIN,
VERLAG VON DIETRICH REIMER.
^ 1884.
lit Gratisbeilage: Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkui
1884. No. 6u. 7.
Inhalt.
Seite
XIII. Begleitworte zu meiner Karte der Insel Mindanao. Von
F. Blumentritt (Hierzu eine Karte, Taf. VI) 257
XIV. Geographie der Liu - kiu - Inseln. Nach japanischen Berichten
bearbeitet von F. George Müller-Beeck. (Hierzu eine
Karte, Tat VII) 803
XV. Die italienische Bevölkerung im deutschen Sudtirol. Nach
amtlichen Quellen bearbeitet von W. Kellner 316
XVI. Zur Bestimmung der geographischen Länge auf Reisen. Ein
Beitrag von Eugen Gelcich, K. K. Professor 319
XVH. Das Küstengebiet Hinterpommerns. Wanderungen und Studien
von F.W.Paul Lehmann 332
Karten.
Taf. VI. Die Insel Mindanao. Von F. Blumen tritt
Taf. VII. Die Liu -kiu -Inseln.
Der neunzehnte Band der Zeitschrift der Gesellschaft
für Erdkunde erscheint 1884 in zweimonatlichen Heften, mit Bei-
gabe von Karten und mit der Gratisbeilage: „Verhandlungen
der Gesellschaft für Erdkunde, 10 Nrn." Der Preis des Bandes von
6 Heften nebst Gratisbeilage ist 13 Hark. Die „Verhandlungen"
sind auch allein zum Preise von 4 Mark zu beziehen.
Die Bande I— IV (1866—1869) sind zum Preise von 8 Hark,
der V— VIII. Band (1870—1873) zum Preise von 10 Mark und der
IX— XVIII. Band (1874—1883) zum Preise von 13 Mark pro Band,
complet geheftet, ebenso die Verhandlungen der Gesellschaft für
Erdkunde, 1874—1883, complet geheftet, zum Preise von 4 Mark
pro Band zu haben.
Preis-Ermässigung.
Die Bande I— VI und neue Folge I— XIX der Zeitschrift ftr
allgemeine Erdkunde (1853—1865) Bind
zusammengenommen zum Preise von 3 Mark pro Band und
einzeln zum Preise von 4 Mark pro Band
durch jede Buchhandlung zu beziehen.
Berlin, im September 1884
S. W. Anhaltatraase No. 12.
Die Verlagshandlung von
Dietrich Reimer
(Reimer & Hoefer.)
XIII.
Begleitworte zu meiner Karte der Insel Mindanao.
Von F. Blumentritt.
(Hierzu eine Karte, Tafel VI.)
Die Insel Mindanao ist trotz ihrer Grösse bis in die neueste
Zeit uns Deutschen wenigstens so ziemlich eine terra in-
cognita geblieben. Bis in die sechziger Jahre tief hinein erschien
auf unseren Karten jene zweitgrösste Insel des Philippinen-Archi-
pels in jenen verzerrten Konturen, welche wir bereits auf den
„Landcharten" des vorigen Jahrhunderts vorfinden. Zu entschul-
d/gen ist dieses Vorgehen nicht, denn die so vielgeschmähten Herren
des Landes, die Spanier, hatten bereits vor einem Menschenalter
eine bezüglich der Küstenumrisse recht gute Karte Mindan ao's
publiciert: es ist dies jene des ruhmlichst bekannten Kartographen
Coello, welche auch noch heute bei dem Studium jenes Landes
ihre guten Dienste, leistet. So besassen die Spanier schon zu
einer Zeit ein genaueres Bild jenes vielgegliederten Eilandes, wo
auf vielen deutschen und ausländischen Karten sogar noch die
fabelhafte Insel San Juan im Osten Mindanao's prangte. An
der Wende der sechziger und siebenziger Jahre begannen erst
die deutschen Atlanten das alte Schauergebilde auszumerzen,
während in Spanien selbst die vorzuglichen Karten der Direcciön
hidrogräfica, besonders die von D. Claudio Montero y Gay ver-
öffentlichten Blätter, so manche Lücke des Coello'schen Werkes
ergänzten und vorgefallene Irrtümer berichtigten. Letztere Karten
brachten besonders bezüglich des Laufes des Rio Grande de Min-
danao zahlreiche neue Bilder; die Occupation des Deltas dieses
Stromes durch die Spanier hatte eben neue kartographische Auf-
nahmen im Gefolge gehabt, welche endlich eine korrekte Zeichnung
des Unter- und Mittellaufes jenes grossen Stromes uns überliefer-
Zflitaehr. d. GesaUech. f. Erik. Bd. XIX. 17
258 F- Blumentritt:
ten. Immerhin blieb aber noch der grossere Teil Mindanao's un-
erforscht, insbesondere war es das Stromgebiet des wasserreichen
Rio Agüsan (oder wie er früher häufiger genannt wurde: Rio de
Butuan), welches auf den Karten jener Insel nnr vage verzeichnet
erschien. Zwar wurde jener Landstrich von wissenschaftlich ge-
bildeten Reisenden — ich erinnere an Prof. G. Semper — besacht,
aber die Karten des ostlichen Mindanao's erzielten dadurch keine
Bereicherung, da eben jene Gelehrte andere Studien betrieben.
Eine im J. 1876 in den Boletines der Sociedad geogräfica de Madrid
veröffentlichte Karte Mindanao's unterschied sich von jener von der
Direcciön hidrografica herausgegebenen nur durch die Zeichnung
der politischen Grenzen. Trotzdem war jenes Jahr für die Karto-
graphie dieser Insel von tiefer Bedeutung. Die Jesuiten hatten
nämlich von Seiten der spanischen Regierung die Seelsorge auf
jener Insel abgetreten erhalten und zwar bereits im Jahre 1852,
doch erst im J. 1859 langten die ersten Missionare in Manila an,
wo sie zunächst die Leitung der Normalschule in ihre Hände
nahmen, so dass erst nach dem Eintreffen weiterer Verstärkungen
eine Mission in Mindanao und zwar zu Tamontaca ca. 1862 ge-
gründet wurde. Der Mangel an Nachschüben sowie an den nöti-
gen Geldmitteln bewirkte, dass die Missionsthätigkeit im übrigen
Mindanao erst um das Jahr 1876 eröffnet werden konnte; nun
wurde aber der Kampf auf allen Seiten begonnen. Eine Folge
dieser evangelischen Thätigkeit war aber nicht allein die Erweite-
rung der Kenntnis, sondern auch die Publikation einer Karte
durch Padre Juan Heras im J. 1880. Dieselbe beruht einerseits
auf der Montero' sehen und Coello'schen Karte, dann aber auf den
Itinerarien der Missionare, deren Aufzeichnungen Boussole-Aof-
nahmen zu gründe lagen. Ein Blick auf die vorhergehenden
Karten lehrt uns, um wieviel unsere Kenntnis durch jene (litho-
graphierte) Karte des Padre Heras vermehrt und erweitert wurde:
das ganze Stromgebiet des Rio Agiisan ist hier zum erstenmal
fixiert, hier finden wir zuerst jene Laguna de Linao oder Dagom
verzeichnet, welche in den Kämpfen der Christen oder Mohame-
daner besonders in der Zeit von 1840 — 1850 eine so bedeutende
Rolle spielte. Ebenso bedeutend sind die neuen Details am Golf
von Dävao. Bis zum J. 1880 erscheint als einziger ansehnlicher
Fluss, welcher im Norden jenes tiefen Meereseinschnittes seine
Wässer mit den Wogen der See vermischt, der Rio Hijo; bei
P. Heras erscheint südwestlich von diesem ebenerwähnten Flusse
die Mündung des Rio Tägum, welcher, aus der Vereinigung der
beiden Flüsse Libagänum und Salug entstehend, an Bedeutung
den Rio Hijo wohl um einiges übertrifft, obzwar der letztere
eine bequemere Wasserstrasse gegen das Stromgebiet des Agiisan
Begleitworte an meiner Karte der Insel Mindanao. 259
bietet, wahrend der Sälug darch seine zahlreichen Kaskaden einer
regelrechten Schiffahrt schwere Hindernisse- in den Weg legt.
Desgleichen finden sich auf der Karte des Padre Heras die Flüsse
Tuganay nnd Lasän, die nicht weit von dem Rio Tagum in das
Meer fallen. Beide ebenerwähnten Flusse sind schiffbar. In der
Zeichnang der Käste nnm risse jenes Teiles der Insel Mindanao
finden wir bei P. Heras eine bedeutende Abweichung bei jener
Halbinsel, welche die Ensenada de Mayo von der Ensenada de
Pojaga (Pujada) trennt und mit der Punta Taucanan am weitesten
in die Südsee vorspringt. Bei Montero etc. hängt diese Halb-
insel mit einer sehr breiten Basis am Festlande, während bei P.
Heras diese breite Basis durch einen schmäleren Isthmus ersetzt
erscheint. In der That berichten denn auch die Missionare in
ihren Briefen an den Superior der Mission, dass die Entdeckung
dieses Isthmus viel zu einem rascheren Verkehre zwischen den
Ensenadas von Pujaga und Mayo beigetragen hätte, denn bisher
war man genötigt bei entsprechender Reise das erwähnte Kap
Taucanan zu dublieren, was bei dem meist unruhigen Wellengange
der Südsee und den jenem Vorgebirge nahen Klippenreihen zum
mindesten mit einem erheblichen Zeitaufwande verbunden war.
Jetzt erleichtert die Entdeckung jenes Isthmus die Kommunikation
um so mehr, als in der Mitte desselben sich eine niedrige und
scbmalrückige Bodenanschwellung vorfindet, welche die Wasser-
scheide zweier kleinen, jedoch für Kähne bis nahe der Quelle
schiffbaren Flüsschen bildet, von denen der eine in die Ensenada
de Mayo, der andere durch einen dichten Manglebusch *) in die
Ensenada de Pujaga mündet. Um beim östlichen Teile Min-
danao'ß weiter zu verweilen, so sei noch die Fixierung der Laguna
de Mainit (Jabonga, Saponga, Sapongan) und des aus derselben
flieseenden Rio de Tiibay zu erwähnen, die bei P. Heras zum
erstenmale in der richtigen Lage erscheinen, während die früheren
spanischen Karten zwar die Lage der Stadt Mainit richtig angaben,
dagegen den See viel weiter nach Süden verlegten. Im mittleren
and westlichen Teile Mindanao's fällt uns die veränderte Zeichnung
der Laguna de Länao oder Dänao **) in die Augen, jener Laguna,
*) Rhizophoren-Species.
**) Bei dieser Gelegenheit sei erwähnt, dass die in der Nr. 5 des XIV.
Bandes der Boletines de la Sociedad geögräfica de Madrid veröffentlichte
Karte der Laguna de Länao 6 Malanao wohl in den Hauptzügen mit der
Zeichnung hei P. Heras übereinstimmt, jedoch viel südlicher gelegen er-
scheint; die Ausflussstelle des Bio Iligan aus dem See liegt dort südlich
vom 8. nordl. Parallelkreise, auch hat auf derselben der See südlich von Gan-
langan (Ganlengan) keinen Abfluss nach der Laguna de Lanao, während nach-
der Karte des Padre Heras die beiden Seeen durch einen sehr breiten Ka-
nal mit einander verbunden erscheinen. Ich placierte in meiner Karte die
17*
260 F. Blumentritt:
welche angeblich der ganzen Insel den Namen gegeben hat: Ma-
guindanao = Seeenland. Diese Zeichnung nähert sich mehr jener
in Forrest ( Voyage to New Guinea . . . includ. an account of Ma-
gindanao etc. Dublin 1779). Damit hätte ich aber nur flöchtig
die wichtigeren neuen Details erwähnt, welche die Karte des Padre
Heras uns über das Flussnetz und die Küstengliederung jener
grossen Insel zur Kenntnis bringt. Während die bisherigen Kar-
ten nur hier und da die Lage eines Ortes auf Mindanao angaben,
begegnen wir auf der Karte des P. Heras einer endlosen Reibe
von Städten, Dörfern und Rancherias. So hatten wir in dieser
Karte des P. Heras ein endlich im ganzen und grossen getreues
Bild jener Insel vor uns; blieb und bleibt auch heute noch viel,
sehr viel zu korrigieren und Details nachzutragen, so war doch
diese Karte für Mindanao das geworden, was die Zeichnung des
Congolaufes nach der kühnen Fahrt Stanley's für die Karte Afrika's
wurde: die Grundskizze des Bildes war entworfen, was später
kommen sollte, war nur mehr „Ausführung" oder Anbringung von
Details. Bei dieser Wichtigkeit der Heras' sehen Karte wird man
meinen Schmerz begreifen, den ich empfinden muss, dass ich jene
nieht zur Zeit der Abfassung meines „Versuches einer Ethnographie
der Philippinen u in den Händen hatte, aber diese Publikation ist
nicht im Buchhandel erschienen, und erst lange nach der Heraus-
gabe jenes Ergänzungsheftes Nr. 67 zu Petermann's geographischen
Mitteilungen erhielt ich von dem Superior der Jesuiten-Mission,
dem Ro. Padre Juan Ricart, nicht nur jene Karte und deren
zweite verbesserte Auflage, sondern auch jene Hunderte von Brie-
fen, welche unter dem Titel: Cartas de los PP. de la Com-
pani'a de Jesus de la Mision de Filipinas von den einzelnen
Missionaren an den Pater Superior gerichtet sind und ungemein
wertvolle Berichte über Land und Leute der Insel Mindanao ent-
halten.
Die Karte des ostlichen Mindanao, welche Dr. J. Montano
im Bulletin der Socie'te de Geographie (4e Trimestre 1882) ver-
öffentlichte, wurde schon auf meiner ethnographischen Karte des
Gesamt- Archipels der Philippinen benutzt. Bei der gegenwärtig
vorliegenden Karte Mindanao's sah ich mich genötigt, um den Be-
richten der Jesuitenmissionare gerechter zu werden, die Lage Pa-
trocinio's südlicher zu nehmen, als dies bei Montano der Fall ist
Dieser Reisende hat in allzu genauer Gewissenhaftigkeit nur jene
Partieen des Landes voll ausgezeichnet, welche er selbst besuchte,
Laguna de Lanao nach der Jesuitenkarte, während ich nach jener Karte
der Sociedad geograÜca de Madrid jenen Isthmus bearbeitete, welcher die
Bahfa de Panguil von der Bahia Illana trennt
Begleitworte zu meiner Karte der Insel Mindanao. 261
alles andere aber nur gestrichelt oder ganz leer gelassen, wodurch
auf seiner Karte jener Teil Mindanao's dem Uneingeweihten als
ein fast gar nicht exploriertes Land erscheint, wahrend thatsäch-
lich kein Teil jener grossen Insel so gut bekannt ist, als das
Stromgebiet des Rio Agrisan, an dessen Ufern und jenen seiner
Zu- und Nebenflüsse die Jesuiten die grössten Erfolge errangen
und die wichtigsten Niederlassungen der Nuevos Cristianos
nnd In fiel es reducidos*) liegen. Auf meiner Karte erscheint
der Stromlauf des Rio Agusan von Moncayo bis zur Mundung bei
Butuan nach Montano gezeichnet; nur im Mittellaufe bei Bunäuan
im Westen der Laguna de Linao folgte ich der Zeichnung des
P. Heras, da bei dem franzosischen Reisenden die Laguna Cada-
cnn fehlt. Der erstgenannte See bat bei Montano einen kleineren
Umfang, als bei Heras, wohl nur aus dem Grunde, weil der Je-
saitenpater das Sumpf- und Inundations-Gebiet mit zum See rechnet.
Aach die kleineren Seeen, welche im Oberlaufe des Agusan in
grosserer oder geringerer Entfernung von dessen Ufern den Strom
begleiten, sind so wie die Neben- und Zuflüsse nach Heras ge-
zeichnet, während der Rio Tubay nach dem Franzosen entworfen
ist. Die Zeichnung des Rio Salug**) und Tagum ist nach Montano
gemacht, der Rio Libaganum, Rio Tuganay und Rio Lasan sind
zum Teil nach Montano und Heras, zum Teil nach den Angaben
des Briefes des P. Mateo Gisbert de dato: Davao, 17. Nov. 1881
eingetragen. Merkwürdigerweise fehlt auf der Karte Dr. Mon-
taoo's der Rio de Davao, an dessen Ufern die gleichnamige Stadt
liegt; obwohl er ein ganz ansehnlicher Strom ist, finden wir ihn
bei Montano, wie gesagt, gar nicht, bei Heras auch in der zweiten
Ausgabe nur andeutungsweise eingezeichnet. Ich entwarf seine
Zeichnung nach jenem ltinerare, welches im Comercio de Ma-
nila (Mai und Juni 1882) unter dem Titel: De Davao a Mi-
sämis veröffentlicht worden ist und bei all seiner Ungenauigkeit
(in streng wissenschaftlicher Beziehung) dennoch uns ein annähern-
des Bild jenes interessanten Flusses bietet. Der Rio de Tago-
loan ist nach dem in der La Oceania Espanola Nr. 183
(13. Juni 1882) erschienenen Artikel Mindanao, sus Communi-
caciones interiores entworfen. Die Angaben einzelner Manila-
*) Auf friedlichem Wege unterworfene Heiden, welche in Dörfern
unter Municipalver waltung wohnen.
**) Montano schreibt Sahug, wie überhaupt die Namen seiner Karte
vielfach entstellt sind, was.bei der undeutlichen Aussprache der Eingeborenen
einem nicht Wunder nehmen kann. Ich schrieb die Namen nach Angabe
der Missionare, welche durch den langen Aufenthalt im Lande nnd durch
ihre Kenntnis der Landessprachen die geeignetsten Batgeber in dieser Ma-
terie sind.
F. Blumentritt:
Journale, nach welchen die Lagona de Lanao durch Flusslaofe
und Kanäle mit dem Rio Grande de Mindanao in Verbindung
stünde*), fand ich nirgends von glaubwürdigen Gewährsmännern
bestätigt, weshalb ich diese Hypothese nicht erst auf der Karte
ersichtlich machen zu müssen glaubte. Der Landstrich zwischen
der Laguna Buluan und dem Seno de Casilaran ist bereits im
J. 1872 von einem spanischen Laien durchforscht worden ; essoll
auch über dieses Gebiet, sowie über jenes des Rio de Davao ein
Croquis existieren, doch ist es mir nicht möglich gewesen, dasselbe
aufzutreiben.
Die zweite Auflage der Karte des P. Heras brachte eine er-
hebliche Neuerung: zwischen der Punta Sipaca und der PnnU
Divata hatten bisher alle Karten keine bedeutende Einbuchtung
des Meeres verzeichnet; hier erscheint nun ein tief in das Land
schneidender Seno de Guingoog; ich habe denselben genau nach
der Karte des P. Heras eingetragen, glaube aber doch meine
Zweifel hier aussprechen zu müssen; es dürfte die Einbuchtung
in Wirklichkeit sich nicht so tief nach Süden erstrecken, als sie
die Karte des Padre Heras anzeigt, wenn auch in mehreren
Briefen der am Seno de Guingoog stationierten Missionare einige
mal dieses Thema berührende Stellen sich finden, wo darüber ge-
klagt wird, dass die vorhandenen Karten den Seno viel zu klein
darstellten. Da ich einmal von dieser Gegend spreche, so sei er-
wähnt, dass in beiden Auflagen der Karte des Padre Heras an
jener Stelle, wo ich Quinugitan eingezeichnet habe, sich der Ort
Bagacay findet; es schreibt mir aber der Ro. P. J. Ricart (de dato
Manila, 24. Dezember 1883): el Bagacay de nuestra carta
es el mismo Quinugitan. Der bisher in. den alten Karten
waltende Irrtum ist leicht aus dem Umstände zu erklären, dass bei
dem modernen Quinugitan nur stand: Va. Bagacay = Visita
de Bagacay, was soviel heisst, dass diese Ansiedlang kein
selbständiges Municipium besass, sondern dem Pueblo Bagacay
untergeordnet stand**). Daher auch die eigentümliche Erscheinung,
dass man auf einigen Karten Bagacay zweimal eingetragen findet.
Ausser den eben erwähnten und von mir besprochenen Karten
benutzte ich noch die bekannten englischen und franzosischen See-
karten, überdies auch die kleine Kartenskizze, welche Montano's
Le golfe de Davao et l'ascension du volcan Apo (Bulle-
tin de la Societe de Geographie, Juin 1881) begleitet
*) M. vgl. Die Laguna de Malanao, Ausland 1883, Nr. 11,8.21&
**) M. vgl. über die Munizipal Verfassung, welche auf den Philippinen
Geltnng hat: Die Gemeindeverfassung der unter spanischer Herr-
schaft stehenden Eingeborenen der Philippinen» im Globus 1SS1,
Bd. XL, Nr. 4, S. 59 f. und Nr. 5, 8. 77 f.
Begleitworte zu meiner Karte der Insel Mindanao. 263
Alle jene, welche meine Karte benutzen wollen, mache ich
darauf aufmerksam, dass die Schreibweise der Namen auf den
Philippinen eine sehr variable ist — eine Folge der Unentschieden-
heit der Vokale in den malaiischen Dialekten des Archipels und
der nicht minder oft nndeutlichen Aussprache der Spanier, welche
ja b und v oft mit einander verwechseln. Im allgemeinen entschied
ich mich stets für die von den Missionaren gebrauchten Formen,
weil diese mir als die vertrauenswürdigsten erschienen. Eine Anzahl
von Varianten teile ich am Schiasse des Aufsatzes mit; für jetzt
genüge folgendes: bei philippinischen Namen werden am häufig-
sten vertauscht:
b and v aus dem oben angeführten Grunde;
h „ j (zuweilen auch g), weil die Eingeborenen der Philippinen,
auch die Kreolen, das spanische J nicht scharf aus-
sprechen (wie ch im deutschen ach), sondern vielmehr
entsprechend dem deutschen H;
1 „ r, weil die Indier diese Konsonanten leicht mit einander
verwechseln ;
d, 1 u. r im Anlaute (die Indier der Philippinen besitzen kein
anlautendes R, nur in fremden Worten wie Radia =
Radjah, finden wir es und da sagt und schreibt man
oft Ladia statt Radia etc.);
c und g am Ende der Worte;
e „ i werden von den Eingebornen fast gleich ausgesprochen ;
m, n und ng (im Auslaut) werden von den Eingebornen fast
gleich ausgesprochen.
Am Schlüsse dieser einleitenden Zeilen erfülle ich die ange-
nehme Pflicht, den Herren P. M. Burgstaller, Dn. Martin Ferreiro,
Dn. Conrado Labhart, Dr. A. B. Meyer, P. Juan Ricart und J.
Zeidler meinen innigen Dank für die werkthätige Unterstützung
und Beihilfe zu dieser Arbeit auszusprechen.
I. Gebirge etc.
Die Gebirge Mindanao's sind auf meiner Karte nur andeutungs-
weise eingetragen, da über dieselben mir nur ein wenig ergiebiges
Material vorlag. Mindanao ist vorwiegend ein Bergland, die ein-
zigen grosseren Ebenen liegen am Unter- und Mittellaufe der
Flüsse Agusan und Pulangui (Rio Grande de Mindanao), sowie
an den Gestaden des Golfes von Davao. Nur jener Gebirgszug,
welcher von der Illanos-Bai sich bis zum Vulkane Apo hinzieht,
führt einen allgemein verbreiteten eigenen Namen: Montes Ran-
gaya oder Cor di Hera Sugut, deren höchster Punkt, der Vul-
kan Macaturing (Macaturim, Macaturin) ist, dessen Identität
204 F. Blumentritt:
mit dem Volcan de Cotta-Batö (Sugut) nunmehr feststeht
Er ist noch immer in Thätigkeit, wenn auch seihe Eruptionen
nur nach langen Intervallen grossere Dimensionen annehmen. Der
letzte grössere Ausbruch fand am 1. Nov. 1856 statt und verur-
sachte in Pollok eine solche Finsternis, dass man sich aar Tages-
zeit genötigt sah, Licht anzuzünden ; dieser Aschenregen reichte bis
Zamboanga. Dem Aschenregen folgte ein Hagel von glühenden
brennenden Steinen, welche man bis von Pollok her seine Hinge
herabstürzen sah. Diese Erscheinung dauerte bis zum März des
folgenden Jahres. Ein kleinerer Ausbruch begleitete das Erd-
beben des Jahres 1865; zur Zeit jenes furchtbaren Erdbebens,
welches im J. 1871 Cottabatö in einen Trümmerhaufen verwandelte,
war der Gipfel des Vulkans in dichte Rauchwolken eingehüllt
In demselben Jahre erfolgte auch, wie bekannt, der Ausbruch des
Vulkans Gatarman auf der Insel Camiguin (nördlich von Mindanao).
Unter dem Titel „Composiciön geognostica de algunas lo-
calidades delSurtt finden wir in Vidal-Soler's ausgezeichnetem
Werke „Memoria sobre el ramo de montes en las Islas
Filipinas" (Madrid, Arebau & Co. 1874) folgende Notizen über
das Stromgebiet des Rio Grande, sowie andere Teile der Insel
Mindanao :
„An den Ufern des Rio Grande beobachtete ich kein einziges
Felsstuck vulkanischen Ursprunges ; die Hügel von Cudarang, deren
Kuppenformen einen solchen erraten lassen, besuchte ich nicht,
dagegen steht fest, wie ich es später noch darthun werde, dass
der Hügel von Cottabatö kein vulkanisches Gebilde ist. In den
Strassen von Pollok stosst man auf Steine aus Quarz-Trümmern,
sie sind hohlbrüchig, die Fugen sind mit eisenhaltiger Thonerde
ausgefüllt, welche mitunter verschlackt war. Es waren dies offen-
bar Auswürflinge irgend eines nahen Vulkans, vielleicht des Ma-
caturing selbst, stammend von einer Eruption, die vor einem länge-
ren Zeiträume erfolgt sein muss ; denn hätte derselbe nach der An-
kunft der Europäer stattgefunden, dann würde wohl eine Chronik
dieses gewaltige Ereignis erwähnen*). Nordlich vom Puerto
de Pollok, und zwar an dem rechten Ufer des Rio Parang-Parang,
sind bereits alle Steine ausgesprochen plutonisch, sie sehen ans,
als ob sie Porphyre wären, besonders durch kleinen kristall-
*) Bei Abfassung seines Werkes kannte Vidal zwar jene herrlichen
„Reisen in den Philippinen", welches Jagor'sche Werk er später seinem Volke
durch eine gelungene spanische Übersetzung zugänglich macht«, doch scheint
ihm hier der Artikel „Gleichzeitiger Ausbruch dreier Vulkane 1641* zur
Vervollständigung oder Korrektion jener offenbar vor Kenntnis desJagor'schen
Buches geschriebenen Notiz entgangen zu sein. Es stammen jene Steine
von der Eruption des J. 1641 her.
Begleitworte zu meiner Karte der Insel Mindanao. 265
weissen Feldspath: in der homogenen Masse glitzern schwärz-
liche Blättchen von Glimmerschiefer (mit accessorischen Mineralien
wie Magneteisen), Biotit und Kristallkörnchen von dunkelgrün
gefärbtem Amphibol- oder Hornblende-Schiefer. Die gesamte Küste
der Bahia Illana ist von dem genannten Punkte an wahrscheinlich
der vulkanischen Formation angehörig, das merkte ich wenigstens
an den Felsen aller Orte, wo ich landete. Sowohl in Baras als
auch in Pagarian giebt es Trachyte und im letzteren Orte stiess
ich überdies auf schwärzlich grauen Phonolith. In Ipil (Nord-
küste des Seno de Sibuguey) treten ebenfalls an die Oberfläche
Eruptivsteine zu Tage, welche älteren geologischen Zeitaltern ent-
stammen. Den Boden des Thaies, welches von dem Pulangui
durchströmt wird, haben moderne Alluvionen gebildet, die der Zer-
trümmerung und Verwitterung vulkanischer und kalkiger Fels-
inassen ihre Entstehung zu verdanken scheinen. Die Erde ist
vorwiegend thonig und kalkig, in untergeordnetem Masse kieselig.
Allem Anscheine nach ist die Cordillera, in welcher der Apo liegt,
vulkanischen Ursprunges: darauf deutet das reichliche Vorkommen
von Schwefel hin, sowie die Bimssteine, welche man in derselben
findet, sowie endlich die Gerolle und Geschiebe des Flusses selbst.
Das Bergland von Tamontaca*) hingegen setzt sich aus Sediment-
gesteinen zusammen und zwar wechseln Kalk- und Sandschichten
mit einander ab . . . Der isoliert dastehende Hügel von Cottabatö
und das Inselchen Timaco bestehen aus Muschel- und Korallen-
kalken, wie dies nicht zu verkennen ist im Hinblick auf die da-
selbst gefundenen zahlreichen Fossilien und zwar Species der Ge-
nera Ostraea (Madreporen, Subfam. Dedalinen), Ostrea, Pecten,
Cardium (Moluscos Lamelibranquios) und Oliva (idem Gastero-
poden); ich konnte dieselben damals nicht näher aus Mangel an Be-
helfen bestimmen, aber sie weisen eine grosse Analogie mit jenen
Species, welche noch heute in diesen Meeren vorkommen, auf,
and alles deutet auf kein höheres Alter als auf Pliocenformation
hin. Ich vermute sogar, dass diese Felsen einer noch jüngeren
Zeit, als die der letzten tertiären Ablagerungen, angehören, wobei
ich die Grenzen dieser geologischen Epoche nach dem Spezialisten
dieses Kapitels, meines Züricher Meisters Karl Meyer, mir gezogen
denke. Der Boden der Inseln Pollok und Bongod, deren letztere
unbewohnt ist**) und den Mündungen des Rio Grande gegenüber
liegt, weist denselben Charakter auf, doch fand ich dort keine
Fossilien vor. An dem Hügel von Cottabatö und zwar auf dem
nordlichen Hange desselben giebt es einige ziemlich tiefe Kalk-
*) Es sind die Berge südlich von Samontaca gemeint?
**) Nur zuweilen kommen Fischer dorthin.
266 F. Blumentritt:
sinterhohlen, Schlupfwinkel der Reptilien, doch ist nichts Charakte-
ristisches von denselben zu erwähnen. Die Lektüre der Be-
schreibung, welche Dr. Jagor von den Küsten von Albay und Ca-
marines entwirft, haben in mir der Eitelkeit des Geologen ge-
schmeichelt. Ich sehe dort dieselbe unwiderlegliche Hypothese
entwickelt, welche ich mich getraue für die Küsten Mindanao's auf-
zustellen: In jüngster Zeit — im wissenschaftlichen Begriffe des
Wortes — hat hier eine langsame und stetig fortschreitende Er-
hebung stattgefunden, wie dies ihr Gesamtzustand und die Fossilien
beweisen. Es lässt sich nahezu gar nicht bezweifeln, dass auf
diese Weise die Colina (der Hügel von Cottabatö), der Timaco,
das Inselchen Pollok und das Eiland Bongod aus dem Meere
emporgestiegen sind, sowie dass einst erstgenannter Hügel weit
weg vom Lande als Insel sich erhob, wie es noch heute die übrigen
sind, und dass schliesslich alle diese Punkte mit einander verbunden
werden, wie dies sich schon deutlich bei der Insel Pollok zeigt
Soviel D. Sebastian Vidal über das westliche Mindan ao, über
das ostliche findet man »Notizen in Text und Karte von Montano's
„Excursion ä l'interiear et sur la cote Orientale de Min-
danaott (Bull, de la Soci&e de Geographie 1882, p.593); zu letzterem
hatte ich noch folgendes nachzutragen, dass nach dem Briefe des
P. Pablo Pastells de Dto. Hinatüan, 9. Juli 1879, das
Meer bei dem genannten Orte (nordlich von Bislig) in l!/2 Jahren
mehr als zwei Ellen Landes (mas de dos brazas de tierra) ver-
schlungen hat.
Über die wenig bekannte Sarangani-Bai finden wir in der
Carta del P. Jacinto Juanmarti, Tamontaca, 20. April
1879, folgende Notizen: Die gesamte Westküste dieser Bai weist
eine kärgliche und schwächliche Vegetation auf, die nackte Erde
tritt überall zu Tage, kaum dass man hier und da einiges Gestrauch
erblickt; im Gegensätze hierzu prangt die Ostküste in reichem
Grün und Waldwuchs. „Bei Mulut prüfte ich diesen so dürren
Boden und fand, dass er aus sandigen und kalkigen Massen be-
steht, welche mitunter wie harte Mörtelbrocken aussahen. * Weiter
h eiset es: „Dem Orte Glan gegenüber, an der entgegengesetzten
Seite der Bai, erblickt man an einem Hügel, welcher mehr als
300 m absolute Hohe aufweist, einen weiss blinkenden Gegen-
stand, welcher nach Aussage der Moros, welche ihn gesehen und
berührt haben, eine Riesenmuschel (Tridacna) ist. Da auf eine
Entfernung von ca. 3700 m mir dieses Objekt eine Oberfläche
von zwei Quadratmetern zu haben schien, da ferner nach der
Aussage jener Eingeborenen die eine Muschelhälfte zum Teile in
die Erde eingerammt ist, um als ein Sammelbecken für Regen-
wasser zur Stillung des Durstes für Wanderer zu dienen, wahrend
Begleitworte zu meiner Karte der Insel Mindanao. 267
die andere Muschelhälfte an die erstere sich derart anschliesst,
da8B eine Grotte dadurch gebildet wird, welche, ich weiss nicht,
wie viel Reiter beherbergen konnte, so scheint jenes Objekt nichts
anderes als eine Grotte, von weissen Steinen gebildet, zu sein."
Der im Hintergründe der Bai befindliche Berg Matutum erbebt
sich ans niederen Bergen in kegelförmiger Gestalt zu einer
Hohe von 2000 m über dem Meeresspiegel , wie trigonometrische
Messungen, veranstaltet von dem spanischen Marineoffizier Rivera,
ergaben. Seine vnlkanische Natur kann wohl nicht bezweifelt
werden, wird er doch ausdrücklich volcan apogado genannt
(Boletin de la Sociedad geogräfica de Madrid, Bd. XIV, Nr. 8,
S. 195). Eine genaue Bestimmung seiner Lage wird vielleicht
ergeben, dass er in einer noch geringeren Entfernung von der
Bahia de Sarangani aufsteigt, als es die Karte des P. Heras an-
giebt.
Zu den Bemerkungen des Dr. Montano über die Laguna de
Mainit (sprich Ma-init) sei an dieser Stelle folgende Notiz aus
der Carta del P. Gabino Mugica, Mainit, 22. Nov. 1879
hinzugefügt: Nachdem er erwähnt, dass das Terrain vulkanisch
wäre, fahrt er fort: „andererseits untersuchte ich die Steine, welche
der See (nach einem Sturme) ans Land wirft und ich fand sie
komplet kalkig. tt
Bei dem oben erwähnten Hügel von Cotta-batö soll nach
Cavada - Menedz de Vigo eine. kleine heisse Quelle entspringen,
deren Wasser sehr schwefelhaltig ist.
Erdbeben sind auf Mindanao häufig, besonders in den Pro-
vinzen Sungao und Dävao; des grossen Erdbebens, welches im
Jahre 1871 Cotta-batö und Pollok heimsuchte, ist bereits bei Jagor
(Philippinen S. 829) Erwähnung gethan, so dass ich mich mit
diesem Hinweise begnüge.
Orkane verwüsten ziemlich häufig das Land; beinahe jeder
zehnte Brief der Missionare meldet von einem mehr oder minder
heftigen Sturme, def Häuser abbricht oder gar gänzlich nieder-
wirft. Vom November bis März herrschen die nordostlichen, vom
Juni bis September die sudwestlichen Winde vor, beim Monsun-
wechsel pflegen sich jene Orkane — auf den Philippinen werden
die Teifuns Baguios genannt — einzustellen. Der Südwestwind,
welcher besonders an der Ostküste Mindanao's die Schiffahrt er-
heblich hindert, führt hier den Namen: Jabagat oder Habagat
(Carta del P. Juan Ricart, Balingasac, 18. Oktober 1879).
II. Flüsse, Seeen, Kommunikationen etc.
Im Allgemeinen sind die meisten Flüsse der Insel, auch die
kleinen Küstenflüsse, frei von allen Hindernissen, welche ihrer
268 F. Blumentritt:
Bescbiffung sich entgegenstellen konnten. Weite and tiefe Aesta-
arien gestatten selbst Seeschiffen ein verhältnismässig weites
Eindringen in das Binnenland; im Oberläufe der Flusse sind
Stromschnellen und Kaskaden häufig, welche aber den Verkehr
zu Schiffe nicht stark beeinträchtigen wurden, wenn man nach
kanadischem Muster zum Por tage- System greifen möchte, was aber
bei der Trägheit der Eingeborenen im allgemeinen nicht durch-
zuführen ist. Im Mittellaufe der Strome begegnen wir beim Rio
Grande und Rio Agüsan Seeen; auch den Rio Iligan können wir
mit dem Lanao-See hierher zählen, während die Laguna de Mainit
als Kratersee sich präsentiert. Die Seeen Ligauasan und Buioan
haben niedrige Ufer, ihr Umfang wechselt mit der Jahreszeit; in
der Regenzeit ist das Land, welches die beiden Seeen von ein-
ander trennt, derart unter Wasser gesetzt, dass bei starken
Niederschlägen sich diese zwei Wasserbecken gleichsam su einem
einzigen vereinen (Vidal, Memoria, S. 188).
Der schiffbarste Strom der Insel ist der Rio Grande oder
Pulangui, dessen Quelle noch zu suchen ist Seichtgehende
Dampfer können ihn bis cum Orte Matingcahuan befahren, seine
Schiffbarkeit beginnt unterhalb der Kaskade Ambac-sa-Tubig; bei
gutem Wasserstande können Dampfer mit einem Tiefgange von
sechs Fuss bis zu dem genannten Orte, welcher früher eine
spanische Besatzung besass, gelangen. Regengusse verursachen
oft grosse Überschwemmungen, so dass selbst zu Cotta-bato die
Offiziere beim Überschreiten der Plätze sich von ihren Unter-
gebenen tragen lassen; besonders die Zeiten um das Herbstaequi-
noctium bringen derartige Inundationen. Die vielen von den
Eingeborenen am Oberlaufe des Stromes verursachten Waldbrände
— die sogenannten Cainges — tragen zur häufigeren Wieder-
kehr solcher Überschwemmungen viel bei, wie denn auch anderer-
seits die zunehmende Seichtigkeit des Rio Grande auf denselben
Umstand zurückzuführen ist. In den fünfziger Jahren noch liefen
bei Cotta-bato Goeletten ohne jede Vorsichtsnjassregel aus und ein,
während jetzt die Kanonenboote oft aufsitzen. Die Flut geht bis
über Cotta-bato hinauf.
Nordlich von dem Delta des Rio Grande ergiesst sich der
Parang-Parang in das Meer, der auch früher eine bedeutendere
Wassermenge dem Meere zugeführt hat; jetzt hört seine Schiff-
barkeit für Jollen bereits zwei Kilometer von der Mündung auf.
Dagegen ist der benachbarte Rio Mal abang durch seine Wasser-
menge berühmt und bis nahe zu seiner Quelle für Boote befahr-
bar. Über die Schiffbarkeit des Rio de Iligan ist mir nach mo-
dernen Quellen nichts bekannt, dagegen lese ich in Fray Gaspar
de S. Agustin's Schriften, dass die Moros des Lanao-Gebietes, die
Begleitworte zu meiner Karte der Insel Mindanao. 26 $
sogenannten Malanaos, mit ihren freilich nicht tief gehenden Fahr-
zeugen diesen Flnss herabsegelten, nm dann in der Visaya-See
dem Piratenhandwerk obzuliegen. Ebensowenig konnte ich Daten
ober die Schiffbarkeit des Rio de Cagayan in Erfahrung bringen,
wie denn der Lauf dieses Stromes noch nicht zur Genüge be-
kannt ist.
Der Rio Agüsan ist trotz seiner im Oberlaufe nicht seltenen
Stromschnellen ein selbst für tiefgehende Fahrzeuge im Unterlaufe,
für Boote bis nahe zu seiner Quelle sehr gut schiffbarer Fluss.
Er vermittelt den gesamten Verkehr zwischen den wichtigen an
den Ufern des pacifischen Oceans liegenden Städten Bislig und Bu-
tüan, denn den Seeverkehr zwischen beiden Städten hindern die
klippenreichen Ostküsten des Meeres; ja eine geraume Zeit im
Jahre macht der im vorhergehenden Kapitel erwähnte Jabagat-
Wind jeden Verkehr zur See nahezu unmöglich. Der bei Bislig
mündende gleichnamige Fluss ist bis zum Fusse des Monte Bislig
genannten Höhenzuge für offene Boote schiffbar. Die Fahrt
währt vier Stunden. Dann überschreitet man den Paso de San-
guijuelas, der seinen Namen von den zahlreichen Landblutegeln
hat, welche die Reisenden in hohem Grade -belästigen. Das
Übersteigen des Gebirges nimmt 6 — 10 Stunden in Anspruch.
Dann führt der Weg entlang dem Miaga- Flüsschen, das bald
schiffbar wird, worauf man an Tudela und Bunauan vorüber den
Weg auf den Wogen des Simulao und Agüsan nimmt. Die Fahrt
auf dem Agüsan von seiner Quellgegend bis nach Butüan wird
gewöhnlich in zwölf Tagen zurückgelegt (Carta de P. Satur-
nino Urios, Bunauan, 1. Nov. 1879), die schiffbare Strecke
auf dem Rio Simulao wird in fünf Tagen zurückgelegt (Carta
del P. Saturnino Urios, Butüan, 17. August 1879). Von
den Nebenflüssen des Agüsan sind der Humäyam, Jibon und
Uaua von Bedeutung, besonders der erstere dürfte bei zunehmender
Kultivierung des Landes deshalb eine grosse Rolle spielen, weil
von seiner Quellgegend aus leicht Wege nach den Thälern des
Rio Cagayan, Rio Tagoloan und Rio Davao eröffnet werden
können und jedenfalls in nicht so ferner Zukunft Butüan auf
diesem Wege sich mit den fruchtbaren Gebieten des Rio Grande
in Verbindung setzen wird. Der Rio Suribao (Nebenfluss des
Rio Jibon) ist durch einen Waldpfad, der wie alle diese Wege
zur Regenzeit nur mit Mühe zu passieren ist, mit Liangan oder
vielmehr dem gleichnamigen Flusse verbunden, welcher nur durch
eine schmale Wasserscheide von dem Rio Bunauan getrennt ist.
Da anch der Rio Hinatüah seine Quelle in der unmittelbaren Nähe
des Rio Bunauan besitzt, so ist hiermit dem Städtchen Bunauan eine
glänzende Zukunft gesichert, weil von da aus die natürlichen
270 F. Blumentritt:
Strassen zu Wasser und zu Lande nach Batdan , Liangan, Hin&-
tuan, Bislig und dem Golf von Davao auslaufen.
Die Jesuitenmissionare haben noch die Anlage folgender
Strassen oder Pfade projektiert, wobei zu bemerken ist, dass immer
der Löwenanteil auf die schiffbaren Flüsse entfallt: 1) von Manay
den Rio gleichen Namens stromaufwärts an S. Francisco Javier
vorbei, dann über das Gebirge zum Rio Agusan; 2) von S. Luis
und Carmelo zum Agusan; 3) von Dapnan zum Rio Naan (Neben-
fiuss des Agusan); 4) von Baganga ebenfalls zum Rio Naan;
5) von S. Nicolas oder Catelviejo nach Moncayo, dadurch würde
der erstgenannte Ort in direkten Verkehr mit den Orten am
Agusan und am Golfe von Davao treten ; 6) von Lingit zum Rio
Simülao.
Der Weg von Butüan nach Surigao wird, da die Küsten-
schiffahrt häufig durch stürmisches Wetter gehindert ist, nicht
ganz zur See zurückgelegt, sondern vielmehr auf folgende Weise:
zur See bis zur Einmündung des Rio Tübay, dann diesen hinauf
bis zur Laguna de Mainit, von der gleichnamigen Stadt entweder
über Placer oder Taganaan, seltener direkt nach Surigao. Die
Schiffahrt auf dem Rio Tübay wird nicht nur durch Stromschnellen,
sondern auch durch Baumstämme, welche in den Grund einge-
rammt sind und unter dem Wasserspiegel liegen, gefährdet Bei
dieser Gelegenheit sei erwähnt, dass die zahlreichen, oft plötzlichen
Überschwemmungen des Agusan nicht allein viel Schaden den
Uferlandschaften bringen, sondern dass auch durch Entstehung von
Barrieren, die aus mitgeführten Baumstämmen, welche durchein-
ander gewirbelt werden, sich bilden, die Schiffahrt erheblich be-
einträchtigt wird. Mitunter wird sogar durch solche Hochfinten ein
neuer Arm (besonders in dem Seeengebiet bei Bunäuan), gegraben;
so soll früher der Agusan seinen Hauptarm durch den See von
Linao und an dem heutigen Bunäuan vorüber geschlängelt haben.
Vom Agusan zum Golfe von Davao führen zwei Wege; der
eine ist mit der Route des Dr. Montano identisch und ist ca. 1875
zum ersten Male von den Jesuiten begangen worden: man ver-
läset den Agusan bei der Mündung des Mänat, geht dann diesen
Fluss und den Rio Tubuan aufwärts und gelangt dann zu dem
Quellflusse des Rio Sälug, dem Rio Baglasan, von da an geht die
Fahrt auf dem Sälug und Tägum weiter bis zum Golfe von Davao.
Dieser Weg wird aber als wenig praktikabel bezeichnet, weil der
Sälug oft wenig Wasser besitzt, sein Bett sehr steinig ist und
zahlreiche kleine Kaskaden und Stromschnellen sich vorfinden.
Die Missionare ziehen deshalb einen anderen Weg vor, welcher
viel weniger Schwierigkeiten bietet; diese Route ist folgende. Von
Compostela am Agiisan geht es das Thal des Rio Batutu aufwärts,
Begleitworte zu meiner Karte der Insel Mindanao. 271
dann aberschreitet man den massigen Höhenzug, welcher die
Wasserscheide zwischen dem Stromgebiet des Agdsan und jenen
Flüssen bildet, welche am ostlichen Gestade des Golfes von Da-
vao münden. Von hier geht der Weg in einem nach Westen za
kulminierenden Bogen zum Rio Hijo herab. Der P. Juan B.
Heras (Garta al R. P. Superior, Butuan, 8. Nov. 1881)
erwähnt noch einen dritten Weg nnd zwar vom Rio Manat zum
Rio Hijo, diese Route ist die kürzeste: in einer Tagesreise erreicht
man die Knete des Meeres. Der Rio Libagänum, welcher durch
seine Vereinigung mit dem Salug den Rio Tagum bildet, ist den
grosseren Teil des Jahres teils wegen Hochfluten, teils wegen
jähen Wechsels der Fahrrinne nicht gut zu Schiffe zu befahren.
Für die Schiffahrt ist der in unmittelbarer Nähe des Tagum
in den Golf von Davao mundende Rio Tuganay wichtig; ich
konnte auf meiner Karte seine Nebenflusse nicht eintragen, da
mir nur ihre Namen: Ising, Lungaog, Capat, Tagavan, Panaga,
Tamun etc. bekannt sind. Der Tuganay, welcher auf der Karte
Montano's fehlt, besitzt an der Mundung eine Barre, doch können
mit der Flot selbst Goeletten in den Fluss einlaufen (Garta del
Mateo Gisbert, Davao, 17. November 1881). Auch der
Rio Lasan oder Lasaan ist trotz seines kurzen Laufes schiffbar.
Dagegen ist es mir nicht möglich gewesen, über die Schiffbarkeit
des Rio de Davao, der ebenfalls auf Montano's Karte fehlt, etwas
näheres zu erfahren; im Oberlaufe machen jedenfalls die Strom-
schnellen und die Seichtigkeit des über Felsblöcke dahinrollenden
Wassers ihn zur Beschulung untauglich. Dagegen ist das Thal,
welches dieser ansehnliche Fluss durchströmt, für den Verkehr
mit dem Innern von Bedeutung, denn durch dieses Thal muss
jener Weg führen, welcher den Golf von Davao mit der Bahia
Macajalar in Verbindung setzen soll. Von der Quelle des Rio
Davao können bequem Routen zum Agüsan durch den Rio Hu-
mäyam oder den weniger bekannten Rio Ijauan verfolgt werden,
oder nach Tagoloan durch das grosse Thal des gleichnamigen
Flusses. Zwischen der Laguna Buluan und dem Golfe von Da-
vao entdeckte Don Faustino Villabrille im Januar 1878 eine be-
queme Route, der Ausgangspunkt derselben ist Casilaran; begleitet
von wenigen Gefährten gelangte er glücklich nach jenem genannten
See« Leider hat Herr Villabrille keinen Reisebericht oder Cro-
quis veröffentlicht, so dass nichts anderes als das Faktum jenes
Pionierzuges bekannt ist.
Strassen im europäischen Sinne des Wortes sind nur bei
Zamboanga zur yerbindung mit den nächsten Nachbarorten vor-
handen ; selbst die Wege, welche die festen Plätze im Delta des
Rio Grande mit einander verbinden, sind zur Regenzeit grundlos
272 F- Blumentritt:
und nicht zu passieren, so dass der Verkehr zwischen den einzel-
nen Landschaften and Orten meist nur zu Schiffe stattfindet
Mindanao steht mit Manila in direkter Dampferverbindong.
Nach dem Eintreffen der europäischen Post geht ein Dampfer der
Linea Sur der Firma D. J. Heyes nach Mindanao und zwar bei
den Fahrten 1, 3, 5, 7, 9 etc. mit folgenden Stationen: Manila,
Culion, Cuyo, P. Princesa, Baläbac, Jolö (Sola), Zamboanga und
auf demselben Wege zurück, bei den Fahrten 2, 4, 6, 8, 10 etc.
berühren die Dampfer dieser Gesellschaft folgende Punkte: Manila,
Ilo-ilo, Zamboanga, Jolö (Sulu), Cotta-batö, Pollok, Dävao, Pollok,
Cotta-batö, Zamboanga, Ilo-ilo und Manila. Surigao, Cagayan
(de Mindanao) und Gamiguin werden von den Dampfern der Ge-
sellschaft Olano Larrinaga y Go. angelaufen (Guiade Filipinas).
III. Politische Verwaltung.
Ehe ich mich mit den ethnographischen Zustanden Mindanao's
beschäftige, sei es mir gestattet, einiges über die früheren und
gegenwartigen politischen Verhältnisse dieses Landes mitzuteilen,
weil diese für die Verteilung der verschiedenen Sprachgebiete der
Insel vielfach massgebend waren oder wurden.
Die Spanier besassen am Ende des sechszehnten Jahrhunderts
nur einzelne feste Plätze an der Nord- und Ostküste des Landes,
nämlich Dapitan, Gagayän, Butüan; Surigao, Gigaquit, Tandag
Liangan, Hinatüan, Bislig, Catel, Garaga und Manay. In der
ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts setzten sich die Spanier
auch im Westen der Insel fest: La Caldera, Zamboanga und Sa-
banilla wurden zu bedeutenden Waffenplätzen erhoben, wahrend
im Norden des Landes spanische Truppen bis zur Laguna de
Lanao vordrangen und sich dort festsetzten. Dies dauerte aber
nicht lange, und die Spanier sahen sich infolge der drohenden
Rüstungen des Königs von Formosa genötigt, ihre Besitzungen
auf der Westküste der Insel im Jahre 1662 zu räumen, wie dies
schon früher mit dem Fort am Lanao-See geschehen war. Erst
im Jahre 1718 wurden Zamboanga und Caldera von neuem mit
erheblichen Kosten besetzt und befestigt; dieser Besitzstand erhielt
sich unverändert bis zum Jahre 1847. Im achtzehnten Jahrhundert
zerfiel der spanische Teil Mindanao' 8 in drei Verwaltungsgebiete:
1) Zamboanga mit dem ganz verödeten Caldera, 2) Caraga, 8) die
Besitzungen an der Nordküste. Caraga umfasste alle Besitzungen
der Spanier zwischen der Punta Divata an der Bai von Butuan
bis zur Punta Casaman am südlichen Teile der Ostküste , wozn
noch die Surigao-Inseln zu zählen waren. In diesen Grenzen er-
hielt sich die Provinz Caraga bis zum Jahre 1847 nur mit dem
Unterschiede, dass die Spanier auch weiter gegen das Innere ein*
Begleitworte zu meiner Karte der Insel Mindanao. «273
drangen and in Talacögon und Linao (das heutige Bunäuan) zwei
isolierte Militärposten anlegten, welche bestimmt waren, die Moros-
Piraten des Golfes von Davao von Korsarenzugen auf dem Agu-
san abzuhalten. Aach Zamboanga's Grenzen blieben von 1718 bis
1847 dieselben. Die Besitzungen an der Nordkaste waren so
verfallen, dass sie nur vorübergehend eine eigene Jurisdiktion
bildeten und zumeist dem Gouverneur der Provinz Cebu unterstellt
wurden. Erst zu Anfang des Jahrhunderts wurde aus den auf Min-
danao liegenden Bezirken der Provinz Cebü eine neue Provinz ge-
bildet, welche schliesslich den Namen Misämis erhielt. Im Jahre
1847 erhielt ein von dem abenteuerlichen Geiste der alten Conquista-
doren beseelter Spanier, Namens D. Jose Oyanguren, von dem
Generalkapitän D. Narciso Claveria die Erlaubnis, mit einer Frei-
schar der Piraterie der am Golfe von Davao angesiedelten Moros
ein Ende zu bereiten. Oyanguren landete mit einer Abteilung
tagalischer und visayischer Freiwilligen an der Mundung des Rio
Davao, schlug mit Hilfe der Samales die Moros aufs Haupt (1848)
und gründete nun mit seinen Abenteurern nicht weit von dem
Meere an den Ufern des genannten Flusses eine Niederlassung,
welche er Vergara benannte, ein Name, der aber durch den alten
„Davao" wieder verdrängt worden ist. Oyanguren wurde zum
Gouverneur 'der neuen, am Busen von Davao gebildeten Provinz
ernannt, welche den Namen Nueva Guipuzcoa erhielt. Zu dieser
Provinz wurde der sudliche Teil der alten Provinz Caraga ge-
schlagen (29. Februar 1850); es ist dies jenes Territorium, welches
heute Bislig genannt wird. Der Rest der alten Provinz Caraga
behielt diesen Namen bis zum Jahre 1858 bei, obwohl die Stadt
Caraga, die einst der Provinz den Namen gegeben, wie erwähnt,
jetzt zu Nueva Guipuzcoa gehorte; im Jahre 1858 erhielt dieselbe
den Namen Surigao. Jener Teil Nueva Guipüzcoa's, welcher heute
das Territorium Bislig bildet, wurde in zwei Comandancias, Bislig
und Caraga, zerlegt und so deren gänzliche Loslosung von Nueva
Guipuzcoa vorbereitet.
Inzwischen hatten die Spanier, um die Piraten des west-
lichen Mindanao zu zuchtigen und um andererseits ihre An-
sprache auf diesen Teil der Insel vor befürchteten Eingriffen
der Engländer, — damals intriguierte der Radjah James Brooke
von Sarawak gegen die Spanier — , das Delta des Rio Grande
de Mindanao militärisch besetzt, in Pollok Befestigungen er-
richtet und in Ipil, am nördlichen Gestade des Seno de Sibuguey
ein Detachement Infanterie stationiert. Am 27. Juni 1851 wurde
aas diesen Eroberungen ein neuer Verwaltungsbezirk gebildet,
der aber durch die Dekrete vom 18. März und 2. August 1854
der Provinz Zamboanga zugeteilt wurde. Bald darauf wurde
Z*ita*hi. d. GMellMh. t Erdk. Bd. XIX. 18
274 * F- Blumentritt:
durch die Besetzung P. ManVs, sowie durch die Gründung neuer
Forts am Rio Grande, dessen letztes das Fort Matingcahaan war (seit
1864 ist es als Fort wegen der Schwierigkeiten der Verpflegung
aufgelassen), die spanische Herrschaft anf Mindanao immer ge-
sicherter: ein Sultan nach dem anderen folgte dem Beispiele des
Sultans von Mindanao, dessen Residenz Selangani in Trümmer
geschossen worden war, und unterwarfen sich dem glorreichen
Banner Eastiliens. Bezeichnend ist, wie wenig wir Deutsche aber
spanische Verhältnisse unterrichtet zu sein pflegen, dass in allen
deutschen und österreichischen Atlanten von diesen Besitzverande-
rungen dnrch drei Jahrzehnte hindurch keine Notiz genommen
wurde,' weil wir eben uns zu sehr in den schwarzen Erdteil and
die arktischen Gegenden vertieft haben. Erst im Jahre 1882
verschwand von den Karten das fabelhaft gewordene Selangani
und die Tingierung der Westküste Mindanao's als eines unab-
hängigen Gebietes.
Die zunehmende Wichtigkeit der Insel bewog die spanische
Regierung, zwischen dem Generalkapitän und den Provinz-Gon-
verneuren noch eine Instanz zu kreieren, und so erschien den
31. Juli 1860 ein Dekret, welches die Insel Mindanao mit Basilan
zu einem General-Gouvernement (Gobierno General politico-militar)
erklärte. Das neue Gouvernement zerfiel in 6 Distritos, näm-
lich: 1) Zamboanga, 2) Distrito del Norte (Misämis), 3) Di-
strito del Este (Sungao - Bislig) , 4) Distrito de Davao (Nueva
Guipüzcoa), 5) Distrito del Gentro (Pollok), 6) Isla de Basilan.
Der General-Gouverneur muss zum mindesten den Rang #eines
Obersten in der Linienarmee bekleiden, seine Residenz sollte
Zamboanga; sein, jetzt ist es Cotta-batö, doch werden Stimmen
laut, dass man die Residenz des General-Gouverneurs wieder nach
dem gesunderen Zamboanga zurückverlegen werde. Nach drei-
jähriger Amtswaltung soll der General-Gouverneur zum Brigadier
vorrucken.
Gegenwärtig zerfällt das General- Gouvernement Mindanao in
sechs Distritos und zwar: 1) Zamboanga, 2) Misämis (mit der
Insel Camiguin), 3) Surigao, 4) Dävao, 5) Cotta-batö und 6) Isabel»
de Basilan. Zum zweiten Distrito gehört als Unterabteilung die
Comandancia militar Dapitan, deren Umfang ursprunglich sich nur
auf das zwischen den Puntas Tagolo, Sicayac und Silla liegende
Küstengebiet beschränkte, jetzt aber durch die Gründung zahl-
reicher Paeblos durch die Jesuitenmissionare sich bis sar Bai von
Sindangan ausdehnt, ohne dass die Grenzen genau fixiert wären;
zum dritten Distrito (Sungao) gehört die ausgedehnte Comandancia
Bislig, welche wohl früher oder später zu einem eigenen Distrito
erhoben werden wird. Auch der fünfte Distrito besitzt eine Coman-
Begleitworte au meiner Karte der Insel Mindanao. 275
dancia militar, welche aber nur den Puerto Pollok und die Insel
Bongo umfasst.
An der Spitze der Verwaltung steht ein Oberst oder Brigade-
General, dem ein Subalternoffizier als Sekretär beigegeben ist; er
ist der militärische sowie Civil-Chef des Gouvernements, die Gouver-
neure der Distritos sind Stabsoffiziere, die Chefs der Comandancia's
sind Hauptleute oder Stabsoffiziere. Die Besatzung besteht aus
Linientruppen, den Disziplin ar-Compagnieen und dem Tercio civil.
Letztere Truppe ist eine Art Gendarmerie; sie versieht den Dienst
in den Distritos Surigao, Misamis (doch hier auch Detachements
von Linientruppen) und in der Comandancia Bislig. Linientruppen
liegen: ein vollständiges Regiment Infanterie in den Forts am
Rio Grande, Abteilungen derselben Truppen in Zamboanga, Misamis
und Dapitan, eine Kompagnie Genie-Truppen (mit dem Stabe in
Zamboanga) verteilt in den festen Plätzen der Distritos von
Zamboanga und Cotta-batö und entsprechende Detachements Ar-
tillerie ; ausserdem sind noch Offiziere der Verrechnungsbranche,
Sanitätspersonal e etc. vorhanden. Die Besatzung von Davao bildet
die dritte Disziplinar-Gompagnie. Zamboanga ist ausserdem ein
Presidio, d. h. eine Festung, in der Sträflinge in Haft gehalten werden:
die sogenannten Presidiarios ; in Zamboanga liegen vier Brigaden
Presidiarios, solche sind auch in Cotta-batö und S. Ramon (bei
Zamboango) stationiert. In Basilan liegt ein Detachement Marine-
Infanterie; Flottendivisionen sind in Zamboanga, Pollok, Misamis
und Davao stationiert; dieselben setzen sich aus Dampfkanonenbooten
zusammen, doch sind für den Küste nwachtdienst auch Felucken
(Falüas, Ruderboote) in Verwendung, wie z. B. in Davao. Werden
die alten Pueblos der Distritos Misamis und Surigao von feind-
lichen Überfällen bedroht, so erhalten die Truppen eine Ver-
stärkung durch die Cuadrilleros, d. h. einer Truppe, welche halb
unseren Schützengilden, halb dem Institute der Flurwächter und
Dorfpolizei entspricht. In dem Distrito de Cotta-batö fällt diese
Reserve der Truppen weg, da in den von den Spaniern besetzten
Teilen sich nahezu gar keine Civil-Bevolkerung befindet, denn nur
Tamontaca ist keine Militäransiedlung.
Die Grundlage der Verwaltung bilden die Pueblos, d. h.
Gemeinden mit regelrechtem Municipium, an dessen Spitze der
Gobernadorcillo steht, und die Ranch erias, d. h. Niederlassungen,
Dorfer etc. der Moros und Heiden. Selten besteht ein Pueblo
aus einem einzigen Orte, sondern gewöhnlich aus mehreren Dörfern ;
der Hauptort der Gemeinde, in der der Gobernadorcillo seinen Sitz
hat, ist dann der Pueblo im engeren Sinne des Wortes, während
die von demselben abhängigen Dorfer den Namen Visitas oder
Barrios fahren. Da ich seiner Zeit im Globus (Bd. XL. Nr. 4
18*
276
F. Blumentritt:
u. 5, 1881) ausführlicher aber diesen Gegenstand gesprochen, so
begnüge ich mich mit diesem Hinweise. Diejenige Behörde, welche
die Amtsführung der Municipien überwacht nnd zugleich dem Schal-
wesen vorsteht, ist die Administracion Civil. In den Diatritos
Cotta-batö, Davao, Isabela de Basilan nnd Zamboanga sind je
einer, in den Distritos Misamis und Snrigao je zwei Oficiales
auxiliares de Fomento als Vertreter der Administracion Civil
angestellt. Das Budget der Municipien Mindanao's wies für das
Finanz- Jahr 1878/79 (neuere Daten vermochte ich nicht aufzu-
treiben) folgende Summen in Pesos (Dollars) auf:
Einnahmen
Ausgaben
Distrito
Basilan . .
46.250
63.96
7)
Cotta-bato
20.000
2.40
W
Davao
46.875
81.40
9)
Misamis .
2659.520
2989.81
y>
Surigao- Bislig
1586.712
2110.59
n
Zamboanga • .
484.750
551.84
4843.607
5800.00
Aus diesen Ziffern ist sofort zu erkennen, dass nur die alten Pro-
vinzen erhebliche Einkünfte aufzuweisen haben, da jene Individuen,
welche sich den Spaniern unterwerfen, von der Abgabe der Kopf-
steuer entweder gänzlich befreit sind oder nur das Recono-
cimiento de vasallaje zu zahlen haben. — Was die Schulen an-
belangt, so besitzt beinahe jedes grossere Dorf eine solche. Die
Jesuiten pflegen, sobald ein neues Missionsdorf angelegt wird,
zuerst eine Kirche und dann eine Schule zu erbauen. An Lehrern
gebricht es nicht, das Lehrerseminar von Manila liefert genug gat
geschultes Material. Die Schule wird am meisten dazu beitragen,
die einzelnen Malaienstämme der Insel Mindanao in einen einzigen
— 'Visayas — zu verschmelzen, denn in den Schulen wird der
Unterricht im Visaya erteilt, und da in den alten Pueblos das
Visaya allgemein gesprochen wird, so dürften mit der Zeit die
Manobos und Mandayas etc. ganz in den Yisayern aufgehen.
Gegentande des Unterrichts sind: katholische Religionslehre, Lesen
und Schreiben des Visaya und Spanischen, Rechnen mit den vier
Species. Die Schlussprüfungen werden unter grossem Pompe ab-
gehalten und Prämien an die besten Schulknaben oder Mädchen
verteilt. Diese Änderung zum besten ist erst den Jesuiten zo
verdanken; vor Ankunft derselben sah es mit dem Unterrichte
schlecht aus, wie nachfolgende Ziffern (für das Jahr 1870) be-
weisen: *
Begleitworte in meiner Karte der Insel Mlndanao.
277
Einwohner- Von den BrwMhaenen konnten
les. n. sehr. epan. apr.
Zamboanga 11 597
Misämis
Surigao . .
Bialig . . .
Dävao . . .
Cotta-batö
Basilan . .
78104
29 902
21076
1398
1799
523
M.
w.
M.
w.
M.
w.
En.
Mdeh.
En.
Mdeh.
Kn.
873
1550
1294
43913850
3553
289
63
247
45
536
6128
3824
3463
865
678
214
840
386.
618
35
72
1047
695
852
189
304
96
360
290
160
27
32
?
?
?
?
?
?
?
?
?
?
?
78
45
85
11
99
31
30
—
26
10
10
?
?
?
?
?
?
?
?
?
?
?
43
36
39
6
163
140
28
24
13
13
41
Ton den Kindern konnten
lesen lee. n. sehr. epan. epr.
Mdeh.
103
37
19
?
2
?
35
Zu bemerken ist, dass jetzt in jedem grosseren Orte nicht
eine, sondern zwei Schalen existieren, die eine für Knaben,
die andere rar Mädchen ; letztere werden von Lehrerinnen geleitet,
welche dem Mädchen-Seminar von Naga (Prov. C amarin es Sar)
ihre Vorbildung verdanken. In den Mädchenschalen werden die
Kleinen auch in weiblichen Handarbeiten unterrichtet. In Tamon-
taca giebt es zwei grosse Pensionate, eines far Mädchen anter der
Leitung von Nonnen, das andere für Knaben anter der Leitung
der Jesuiten. Dieselben sind zur Aufnahme von Waisen and
Sklavenkindern bestimmt, welche die Jesuiten von den Moros ein-
handeln and dann erziehen. Je nach ihren Talenten werden sie
entweder zu Gewerbsleuten, oder Priestern, Lehrern, Ärzten etc.
(letzteres zu Manila) herangebildet, die meisten aber zu Bauern er-
zogen, was jedenfalls das vernunftigste ist. Die Mädchen werden
nach erlangter Reife mit einer Aasstattang versehen and heiraten
gewöhnlich die aas dem Pensionat entlassenen jungen Bauern.
Das Postwesen in jedem Distrito steht entweder direkt anter
dem Gobernador oder es ist wie in Zamboanga ein eigener Ad-
ministrador hierfür bestellt, ihm unterstehen ein Interventor
und ein Ayudante (Adjunkt).
Was das Justiz wesen Mindanao's anbelangt, so giebt es da-
selbst nur Gerichte erster Instanz, and zwar residiert in Misämis,
Surigao, Zamboanga nnd Cotta-batö je ein Alcalde Major mit dem
entsprechenden Personal. In Dävao and Basilan nehmen die
Gobernadores die erste Untersuchung vor, da sie ständige Ver-
treter der Justiz sind, und schicken eventuell die Verbrecher den
nächsten Richtern zu, and zwar gebort Dävao zum Gerichtsbezirk
Cotta-batö, Basilan zum Gerichtsbezirk Zamboanga.
Die Finanzbehörde ist durch eine Anzahl von Beamten in
Misämis, Surigao and Zamboanga vertreten. Da von den Häfen
Mindanao's nur jener von Zamboanga dem Verkehr mit dem Aas-
lande erschlossen ist, so befindet sich nur dort allein ein Zollamt
mit einer Dotation von vier Beamten.
In kirchlicher Beziehung gehören die Distritos Zamboanga,
Cotta-batö and Dävao zum Bistume Jaro (Panay), die Distritos
278 F. Blumentritt:
Misämis, Surigao mit Bislig zum Bistnme Cebü. Die Seelsorge
auf Miodanao ist den Jesuiten anvertraut; die wenigen Pfarrer
anderer Orden, welche wie auf Camiguin, in Cagayan etc. wirken,
werden, sobald eine grossere Anzahl von Jesuiten nachkommt,
durch diese ersetzt.
Innerhalb dieser Distritos liegt eine Anzahl von mohame-
danischen Staaten, deren Regenten (Sultanes, Datos, Reyes) die
Oberhoheit der spanischen Krone anerkennen und hierfür kleine
Pensionen von der Regierung beliehen, welche hingegen bei
Thronvakanzen sich die Belehnung vorbehält. Ich werde diese
Staaten noch bei dem Kapitel Moros einsein anfuhren. Ausser-
dem werden die • Gebirgswildnisse von verschiedenen „wilden*
Stammen bewohnt, welche sowohl von den Spaniern, als auch
von den Moros unabhängig sind. Das entschiedene und klage
Vorgehen der Jesuitenmissionare lässt die Zahl dieser In fiel es
immer geringer werden, da jedes Jahr neue Tribus derselben znm
Christentnme sich bekehren und dadurch Unterthanen Spaniens
werden.
IV. Allgemeine Daten über die Grosse der Bevölkerung.
Ich habe bereits zweimal (Globus, Bd. XLI, Nr. 22 f. und
Bd. XLIV, Nr. 10 f.) über die Bevölkerungsstatistik der Philip-
pinen im allgemeinen abgehandelt und dabei auch der Insel
Mindanao Erwähnung gethan. Die Leser jener beiden Artikel
werden sich erinnern, dass ich eingehend meine Behauptung
zu erhärten suchte, dass die Gensuslisten der Philippinen nur
die Zahl der spanischen Unterthanen und auch dieser nicht voll-
ständig angeben, denn die maurischen Staaten sind doch der
spanischen Regierung unterthan, ihre Bevölkerungsziffer ist aber
bis zum heutigen Tage nicht bekannt, und so sind wir denn nw
auf vage Schätzungen angewiesen. Einige bisher noch unbekannte
liegen mir vor: so schätzt der Padre Bennäsar (Carta al R. r\
Superior de la Misiön, Tainontaca, 10. März 1882) die Be-
völkerung des Distrito Cotta-batö inclusive der Moros des Länao-
See's allein auf 500 000 Seelen. Dies wurde auch mit dem Be-
richte des Padre Jacinto Juanmarti stimmen, welcher erzählt, dass
das Land zwischen den Puntos Lebak und Mati sehr dicht be-
völkert wäre (an der Küste von Moros, im Inneren von Tiru-
rayes); derselbe Missionar berichtet, dass allein der VolkssUmm
der Vilanes zwischen Dävao, Sarangani und dem Seengebiete des
Inneren viele Tausende zähle. Ebenso wohne (um schon einmal
beim Distrito de Dävao zu verweilen) von der Pnnta Maguli bis
zur Sarangani- Bai tanta multitud de gente, auch in dem
Binnenlande der Küstengegend von Tuna, Quulut, Craan, Narcan etc.
Begleitworte zu meiner Karte der Insel Mindanao. 279
bis cur Punta Maguli müsste es viele Heiden geben, „weil (von
der See aus) viele Holzschläge in den Bergen zn sehen wären**.
Der Padre Mateo Gisbert (Carta al R. P. Superior de la
Misiön, S. Jose de Sämal, 11. Mai 1882) schätzt die noch un-
abhängige Bevölkerung des Distrito de Davao auf 100 000 Seelen.
Was den Distrito de Surigao anbelangt, so zählte man bei Batdan
allein am 15. Augast 1882 11000 Conquistas*), d. h. (seit
1876) neu bekehrte Manobos. Von den anderen Distritos fehlen
mir zwar bestimmte Angaben, doch scheint sowohl der Distrito
de Zamboanga, als auch jener von Misämis im Binnenlande recht
gut bevölkert zu sein. In dem schon von mir citierten Artikel
„De Davao ä Misämis" heisst es: a cada paso que se
avanza por ese interior, van encontrandose multitud de
rancherias.
V. RassenzngehSrigkeit.
Wenn wir von den wenigen Europäern, Kreolen und Mestizen,
sowie den Chinesen absehen, so zerfallen die Eingeborenen Min-
danao's in Negritos und Malaien. Erstere sind durch die Mama-
naas und Atäs, letztere durch eine ganze Reihe verschiedener
Stämme vertreten, welche sich vorläufig (ich betone dies: vor-
läufig) in drei Hauptgruppen einteilen lassen, welche zugleich mit
der Religion, der sie angehören, zusammenfallen, nämlich in
1) Visayas (dieses sind die „Alt-Christen"), 2) Bergstämme (diese
sind entweder noch Heiden oder doch erst Conquistas), 3) Moros
(diese bekennen sich zur Lehre des Propheten). Visayas und Moros
sind spätere Ankömmlinge, erstere kamen zum Teil erst in den
Zeiten der spanischen Herrschaft nach Mindanao von «dem im
Norden gelegenen Archipel, der heute den Namen der Islas
Visayas fuhrt, letztere von Borneo und Ternate her, und zwar
gleichfalls erst in später Zeit. Die Nachrichten, welche wir über
die Bergstämme besitzen, sind noch nicht klar genug, um über
ihre Verwandtschaft zu den Visayern oder den Kopfjägerstämmen
Dazon's und Borneo's ein sicheres Urteil fällen zu können, und
da ich es nicht liebe, aus dürftigem Material kühne Schlüsse zu
ziehen, so werde ich mich in den folgenden Kapiteln begnügen,
die einzelnen Stämme einen nach dem anderen in den Kreis
unserer Betrachtungen zu ziehen.
VL Atäs.
Die Atäs oder Ataas bewohnen die Gebirge, welche von
dem Oberlaufe der Strome Davao, Cagayan, Libagänum und
*) Montano sagt irrtümlich Conquistados (= die Gewonnenen), was
wohl sprachlich richtiger wäre; es ist aber eben Conquista (= die Er«
oberung) der übliche Name des Neubekehrten in diesen Teilen von Mindanao.
280 F- Blumentritt:
Tuganay durchflössen werden. Wenn ich die Atas zu den Negritos
zähle, so bin ich mir wohl bewusst, dass dieselben durchaus nicht
reinblutig sind, sondern eigentlich als Mischlinge auftreten, in
deren Adern viel, sehr viel malaiisches Blut rollt; reine Negritos
erscheinen nur selten als freie, unabhängige Leute , öfter als
Sklaven. Die Atas mögen ihre Herkunft eben von der Kreuzung
zwischen malaiischen Eroberern und Negritos-Sklaven herleiten.
Als diese Bastardrasse kräftig genug wurde, um selbst zum An-
griffe übergehen zu können, schleppten sie selbst für sich Sklaven
von den Manobos, Mandayas und Bagobos heim; auf diese Weise
ist die Verschiedenheit des Typus der einzelnen Atas-Tribus zu
erklären, eine Verschiedenheit, welche von Montano ausdrücklich
hervorgehoben wird (Bulletin de la Societe de Geographie,
Juni 1881, p. 556). Erst wenn eine hinreichende Anzahl von
Skeletten geprüft und Sprachproben veröffentlicht worden sind,
wird man endgiltig über ihre Rassenzugehörigkeit absprechen, jetzt
gilt es, so viel als möglich sich dieser Frage gegenüber reserviert
zu verhalten. Dass sie eben Mischlinge sind, das konnten wir,
ganz abgesehen von den diesbezüglichen Notizen, schon aus den
Nachrichten über ihre Lebensweise schliessen. Während der echte
Negrito in kleinen Horden herumschweift, finden wir bei den Atas
grosse Rancherias erwähnt. So schreibt der Padre Mateo Oisbert
(Carta al R. P. Superior de la Misiön, Dävao, 17. November
1881): „An allen Nebenflüssen des Rio Tuganay giebt es eine so
grosse Anzahl von Atas, dass wir allein am Rio Ising, dem
ersten (Nebenfluss), den man erblickt, zwei Häuptlinge treffen, deren
einer, welcher Alud genannt wird, 700 Vasallen (Säcopes), der
andere aber noch viel mehr besitzt. tt Das deutet auf dasselbe
Feudalwesen hin, dem wir bei allen Malaien des philippinischen
Archipels begegnen. Doch scheinen nur an der Peripherie des
von den Atas bewohnten Landstriches derartige, durch grossere
Beimischung malaiischen Blutes leicht erklärliche Verhältnisse tu
existieren; die am Oberlaufe des Rio de Dävao wohnenden Atas
leben in ganz veränderten Zuständen, welche mehr jenen gleichen,
in welchen die Negritos Luzon's leben. Im Diario de Manila
vom 10. Juni 1882 finden wir nämlich folgende Notizen: Die
Atas, welche an den Ufern des oberen Dävao und seiner Neben-
flusse wohnen, sind furchtsame Leute (timidos) und bis zu einer
gewissen Grenze inoffensiv; sobald sich die Expedition*) nahte,
flohen sie schleunigst davon, und erst nach und nach stellten sie
*) Der Gobernador von Dävao schickte im Januar 1882 eine Ex-
pedition ab, um eine Verbindungsroute zwischen Cagavan und Dävao ans*
zuforschen, sie kehrte aber resultatlos zurück.
Begleitworte zu meiner Karte der Insel Mindanao. 281
sieb, verlockt durch die Geschenke, ein, um als Wegweiser zu
dienen. Der grossere Teil von ihnen fuhrt die Lebensweise der
Nomaden; wenn sie sich irgendwo für längere Zeit niederlassen,
so geschieht dies nur für ein Jahr oder für solange, bis sie die
Ernte ihrer kleinen Saatfelder, welche sie auf eine primitive Weise
bestellen, eingebracht haben. Ihre unstäte Lebensweise wird durch
ihre ständigen Fehden, bei denen es sich hauptsächlich um das
Abjagen der eingeheimsten dürftigen Ernte handelt, verursacht.
Ans demselben Grunde fuhren ihre Fusspfade immer durch stark
conpiertes Terrain, um leichter einem vordringenden Feinde einen
Hinterhalt legen zu können Sie bedecken ihre Blossen
nur mit einer Binde, welche aus der Rinde eines Baumes, den
sie Agja nennen, hergestellt ist, mitunter besteht dieser Schurz
aus Fetzen von bereits stark abgenutztem Abaca- Zeuge (aus
Manilahanf), welche Lumpen sie in den Rancherias erhandeln,
welche in der Nähe der civilisierten Pueblos liegen. Und dies
geschieht inmitten einer grossartigen Natur, bei einer nicht geringen
Anzahl von Bewohnern und unter Verhältnissen, welche das Ge-
deihen grosser und blühender Ortschaften auf alle Weise begün-
stigen. — Soweit jener Artikel; wir sehen hier andere Verhältnisse,
als wie bei den an der Peripherie wohnenden Atäs, welche über-
dies nicht inoffensiv, sondern in hohem Grade fehdelustig sind, so
dass die Mandayas, die doch selbst ein sehr kriegerischer Stamm
sind, vor ihnen einen grossen Respekt besitzen. In dem Diario
de Manila (Artikel I, De Dävao a Misämis) werden sie der
Anthropophagie angeklagt, und zwar gelten ihnen die Ohren, dann
die Fleischteile der Arme als die besten Leckerbissen. Jedenfalls
verdienten die Atas von einem wissenschaftlich gebildeten Reisenden
speziell besucht zu werden. Über sie ist bisher um so weniger
geschrieben worden, als die Jesuiten- Missionare noch nicht Gelegen-
heit gefanden hatten, sich mit ihnen zu beschäftigen.
Zu bemerken ist noch, dass die benachbarten Bagobos unter
ihren Sklaven auch echte Negritos besitzen.
VII. Mamänuas.
Dieser interessante Volksstamm bewohnt jene langgestreckte
Halbinsel im Nordosten der Insel Mindanao, welche am weitesten
gegen Norden hervorragt. Semper bezeichnet die Mamänuas als
eine Bastardrasse, die neueren Nachrichten lassen aber wenig oder
keinen Zweifel, dass wir es hier mit echten Negritos zu thun haben.
So bemerkt Montano über vier Mamänuas (zwei Männer, zwei Weiber)
welche er an den Ufern der Laguna de Mainit untersuchte: „Tous
etaient des Negritos absolument semblables ä ceux de la Sierra de
Marivelis (LiQzon). La petite taille, la coloration de la peau, les cheveux
282 F. Blumentritt:
laineux, le prognathisme, la largeur des orbites, l'absenee de mollet,
sont les meines" (Bulletin de la Societe de Geographie, 1882,
p. 606). Ähnlich orteilt P. Juan Ba. Heras (Garta al P. Fran-
cisko Sanchez, Butüan, 15. August 1882): „Als ich die kleinen
Negergestalten der Mamanuas mit ihrem Wollbaare, ihrer Lebhaftig-
keit und ihrem sympathisch anmutenden Wesen erblickte, da er-
innerte ich mich jener Ausfluge, welche ich mit dem Padre Marori
auf der Insel Cuba unternommen habe, um die Neger der Zocker-
plantagen zu katechisieren. Diese Mamanuas gleichen einigen afri-
kanischen Stammen in einem solchen Grade, dass man keinen
Unterschied zwischen ihnen zu entdecken vermochte, sondern
glauben konnte, sie kämen von Afrika her. Ich besuchte darauf
eine ihrer neuen Niederlassungen und da sah ich mich von denselben
Negerchen umringt, wie seiner Zeit in der Habana, nur mit dem
Unterschiede, dass die Mamanuas nackt einb ergingen , da sie bis
jetzt ein ununterbrochenes Wanderleben gefuhrt haben. * Beide
eben citierten Ausspruche beweisen klar und deutlich, dass die
Mamanuas nichts anderes als Negritos sind. Es mag wohl auch
Mestizen zwischen diesen, den Visayas und Manobos geben, welche
Semper als die eigentlichen Vertreter der Mamanuas annahm.
Ihre Lebensweise charakterisiert der Padre' Jaime Plana (Carta
al R. P. Superior de la Misidn, Jabonga, 4. September
1882): „Bei ihnen giebt es weder Datos noch Caziken*), wie
dies doch bei den übrigen Heiden Mindanao's der Fall ist, noch
leben sie überhaupt unter einer bestimmten gesellschaftlichen Form,
wie dies bei den Manobos und Mandayas der Fall ist, welche
zum mindesten kleine Hüttengruppen oder Rancherias besitzen;
bei diesen aber lebt jeder dort, wo es ihm gefallt, und bleibt so
viele Tage oder Stunden auf einem Platze, als ihm gut dünkt,
ohne etwas zu säen oder zu bebauen, ohne von einer anderen
Sache sich zu nähren, als von dem Harze gewisser Palmen- Arten
und von der Beute, welche ihnen die Jagd in den Bergwäldern
verschafft." Auch diese Notiz charakterisiert den Mamanua als
echten Negrito.
Durch die Missionsthätigkeit der Jesuiten andern sich diese
Sitten rasch; so schreibt der oben erwähnte Padre Jaime Plana
(Carta al R. P. Juan Ricart, Jabonga, 8. Januar 1883):
*) Auf den Philippinen hat der Titel Cazike sich bisher nicht ein-
gebürgert; es ist dieser Brief das erste philippinische Schriftstück, in welchem
ich auf diese in jenem Archipel ganz ungebräuchliche Titulatur stosae; wahr-
scheinlich will Padre Plana damit soviel sagen als kleiner Häuptling,
Chef einer schwachen Horde, im Gegensatz zu Dato oder Datto,
wie früher in den Visayern und jetzt noch bei den Moros und Heiden der
Insel Mindanao die Fürsten oder Häuptlinge bezeichnet werden.
Begleitworte zu meiner Karte der Insel Mindan ao. 283
,In Mainit und Jabonga geht es, Gott sei Dank, in allem gut.
Bereits haben schon an 250 Mamanuas die Taufe empfangen, und
zom guten Beispiel der alten Christen (Visayas) bauen sie feste
Häoser und bestellen brav ihre Felder. Alle Sonntage kommen
ihrer zweihundert, so weit sie auch wohnen, hierher, um der heiligen
Messe und Predigt beizuwohnen etc.* An den Ufern der Laguna
Mainit gründeten die Jesuiten vier kleine Niederlassungen (Re-
docciones) mit Mamanuas, wie schon vorher die Dorfer S. Pablo,
S. Roque, Santiago und Sa. Ana, über deren Lage mir leider
nichts bekannt ist.
VIII. Mangnlangas, Manguangas, Guiangas.
Ich nenne diese drei Stämme (?) nur mit Namen, weil mir
eben über dieselben nichts anderes als der Name bekannt ist.
Die Manguangas werden von älteren Autoren teils in jenen Land-
strichen sesshaft (?) angeführt, welche jetzt von den Atas ein-
genommen werden, teils in jenen Bezirken wohnend, welche ich
ihnen auf meiner Karte im Südosten der Laguna de Malanao an-
gewiesen habe. In neuerer Zeit wird der Name der Manguangas
nicht mehr erwähnt, ich stiess auf denselben nur ein einziges Mal,
und zwar in einem Briefe des Padre Pablo Pastells (Garta al
R. P. Superior, Caraga, 25. Januar 1880), wo er dieselben
als bei Catel wohnend erwähnt. Die Mangulangas, deren Namen
nach dem Padre Saturnino Urios (Garta al P. Juan Ricart,
Pilar, 20. Oktober 1882) soviel als hombres de selva, also
„Waldmenschen " bedeutet, wohnen in den Bergen, in welchen die
westlichen Quellflüsse des Agüsan die Rios Manat und Batutu
entspringen. Sie wandern unstät herum. Ihre Tapferkeit ist an-
erkannt, von ihrem Mute zeugt der Umstand, dass einmal drei
Mangulangas dreissig Mandayas zurückschlugen, und zwar durch
die Wut, mit welcher sie sich voll Todesverachtung ihren Gegnern
entgegenstürzten. Ihre Waffe ist die Lanze; da auch ihrer Hütten
(nota bene vor der Christianisierung einiger Tribus derselben) ge-
dacht wird, so scheinen sie in ihrer Lebensweise an die Atas zu
erinnern. Ich vermute deshalb, dass die Mangulangas und Man-
guangas der Comandancia Bislig ein und derselbe Stamm sind,
während die Manguangas der Gordillera Sugut am ehesten mit
den Atas, weniger mit den Buquidnones zu identifizieren wären.
Wohin die Mangulangas von Bislig zu stellen wären, ob zu den
Manobos (als eine Abzweigung derselben) oder zu den Atas, das
zu entscheiden wage ich nicht, wie ich ebensowenig mich getraue,
irgend eine luftige Hypothese betreffs der Guiangas (lapsus calami
für: Gulaogas?) aufzustellen. Montano hält die Guiangas mit
den Bagobos identisch.
284 F. Blumentritt:
IX. Tagabelies.
In meinem Versuch einer Ethnographie der Philip-
pinen erwähnte ich der Tagbalays, welche in der Nähe von Bislig
wohnen sollten. Ihre angebliche Heimat gehört aber jetzt zu den
am besten durchforschten Gebieten des Distrito Bislig, und es
haben sich dort keine Tagbalays gefunden, und doch giebt es welche
dort d. h. bei dem Monte Baloay gab es eine Tribus, welche die
Taga- Baloay, d. h. die von Baloay her genannt wurden. Au
diesen Namen einer Mandayas- Tribus erinnert der Name Taga-
belies auffallend, mit welchen uns der Pädre Jacinto Juanmarti
(Garta alR. P. Superior de laMision, Tamontaca 20. April
1879) bekannt macht; diese wohnen aber nicht im Süden von
Bislig, sondern in den Gebirgen sudlich von der Laguna Buluan.
Fast wäre man versucht, sie für eine Manobo-Tribus zu halten,
denn jener Missionar nennt sie eine raza parecida ä los Ma-
tt obos. Da er aber zugleich von den in der unmittelbaren Nahe
der Tagabelies wohnenden Manobos spricht, so ist daraus mit
Sicherheit zu ersehen, dass er sie als zwei von einander ver-
schiedene Rassen ansieht. P. Juanmarti bezeichnet sie als Leute
von freundlichem, zugänglichem und gelehrigem Wesen. Ander-
weitig werden sie nicht erwähnt.
X. Dulanganes (Sanguiles).
Die Dulanganes bewohnen mit Moros vermischt die Küsten-
landschaften des sudlichen Mindanao, dann jene Cordillere, welche
das Grat der Sarangani-Halbinsel bildet. Von den Moros werden
sie Bangal-Bangal genannt. Was von ihrer Lebensweise berichtet
wird, erinnert sehr an die Negritos, so dass man geneigt sein
konnte, sie ebenfalls für eine Bastardrasse anzusehen. Sie geben
nackt einher und verbergen sich wie wilde Tiere in Baumstämmen,
die ihnen zur Unterkunft dienen. Ihre Waffe ist der vergiftete
Pfeil, den sie mit ausserordentlicher Sicherheit aus ihren Ver-
stecken auf das ausersehene Opfer entsenden, ausserdem bedienen
sie sich auch der Lanze. Sie sind in endlose Fehden mit den
anderen Bergstämmen verwickelt.
XI. Tirurayes.
Während wir über die bisher angeführten Stämme, ausge-
nommen die Mamanuas, nur mehr oder minder vage Nachrichten
über Herkunft und Sitten besitzen, sind wir über diesen Volks-
stamm, dank der Tbätigkeit der Missionare der Station Tamontaca,
genauer unterrichtet. Tamontaca lag früher direkt im Lande der
Tirurayes, welche sich selbst Teruray oder Teduray nennen, die
ungesunde Lage der Station veranlasste aber die Jesuiten, dieselbe
Begleitworte zu meiner Karte der Insel Mindanao. 285
an die nunmehrige Stelle zu verlegen. Das Wandern ganzer
Städte ist ja in Mindanao nichts seltenes, hat doch Buttian seine
Lage innerhalb eines Zeitraumes von 20 Jahren nicht weniger
als dreimal gewechselt, was insofern erleichtert wird, als die Häuser
zomeist nur aus Holz und Rohr erbaut sind und herrlicher Acker-
boden in Hülle und Fülle überall zur Verfügung steht. Ich habe
Tamontaca mit der Tirurayes-Couleur tingiert, obwohl daselbst
ausser Tirurayes auch Kinder anderer Mindanao- Stämme, insbe-
sondere Moros, in grosserer Anzahl vorhanden sind. Da die
Rassenzugehörigkeit eines Volkes nicht nur durch den Anthropo-
logen, sondern auch durch den Linguisten zu bestimmen ist, so
teile ich einige Sprachproben (mit nebenanstehender spanischer
Übersetzung mit, welche der Padre Ignacio Durän (Carta al R.
P. Superior de la Misiön, Santa Ana, 14. Juni 1883) aus
den Papieren des ca. 1878 verstorbenen Schulmeisters von Cotta-
batö, Luis Bello, und des im J. 1870 verstorbenen Schulmeisters
von Tamontaca, einem Tiruray, Namens Jose* Tenorio Ligayan,
mitteilt. Bello war auch ein Tiruray, welcher von den Jesuiten
an das Lehrerseminar von Manila geschickt worden war und nach
gutem Absolvieren seiner Studien die erwähnte Stelle in Cotta-
batö erhielt. Diese Proben sind:
Tiruray: Spanisch:
Be belintuao sengibu, ualeu ra- En el ano mil ochocientos so-
ta unum folo brab ruo, y quegu- senta y dos fue la llegada de
maj y de casila*) dini be fan- los espanoles aqui en tierra de
tad y Maguindanaue ; endan ro Mindanao; todavia no se habi'a
menagninged be Cotabatnan ••) : fundado Cottabatö : y cuando pen-
oa, tegues roelauen enguetinana saron hacer puebblo, fue despne's
ro nen maguingued, no y quetiboj de la matanza y toma de la cotta**)
ruo mnndon be cuta y do renauen de los moros de Pagalungan ; y
dob Fagalungan ; brab be lala ruo dicen que durante el combate
so eno, cun, setiboj, y ufo ro mü- tocaba la müsica; pues dicen. que
sica; nedo menodor so cun. Na, siguiö tambtän. Y despues de
tidea mam eno tilique ro y do esto escogieron los espanoles un
casila y fioue qnefaguingued ro; buen sitioparapueblo; construye-
na renigo ro beleyen y quia tu- ron una casa en la colina llama-
*) Die Spanier werden im Korden der Philippinen Castilas genannt,
im Süden Cachilas; doch dringt erstere Form auch hier immer mehr durch.
**) Cotta oder Cota ■» Schanze, Burg, Feste; bat6 = Stein
daher Cotta-bat6 = das steinerne Schloss. Weiter unten steht Cuta =
Cota. — Man beachte in der Tiruray spräche das anlautende f und r, das
den übrigen philippinischen Dialekten fehlt und nur noch bei Tagacaolos
und Vilaanes sich findet
286 F» Blumentritt:
duc dob Selongonan fedaueten da Selongonan, 6 sea: Cotta-
Cutabatea. Tideu beno dob Tarn- batö. Y despues fandaron Tom-
baa diob Taviran, falan naleo bao y Taviran, puntos todos oco-
casila ; enda man y Fadide. Na te- pados por los espanoles: do ha-
gu^s loo ne aen y de Fadi Vidal, bia todavi'a Päd res. Mas laego
brab Gnerrico, brab do Hermano hubo los Padres Vidal y Guerrico,
Belznnce brab Zameta engumaj y los Hermaoos Belzance y Zo-
tidea dob Manila mendiore na meta, qne habian llegado de Ma-
faganay bati dob Polioc. Na, nila y estaban entonceaenPolloc.
amuc engaesabutö ro qne nen y Y cuando supieron qae habia
do eteu cun dob de tudnc dob unos hombres, en los montes de
Tamnntaca, fedaueten tedaray, Tamontaca, llamados tedarayes
menule ro dob Cutabateu, selede se fneron a Cotta-bato buscando
ro y fioue qnesalatro mule dob ocasion oportana de pasar a Ta-
Tamontaca. montaca.
Jose' T. Ligayan.
B.
Na: fentama cu sa ende y Asi paes: hasta aqm llega lo
nrret gab' qaerroragu b' araday qne he contado de las costambres
qaegneeteao y tedaray; maa ba- de los tedarayes; me parece qae
ngac engaete*y ganen remorrö. casi he acabado de decirlo todo.
Fiong uen y endae na meta y Y aunque habiese algo por decir
menrrorö be araday de teduray; todavi'a de las costumbres de los
qneloj sen, brab antafe ou y en- tedarayes, sera may poeo y tal
daen. Ne, gaesonürra ca be vez uada, Por consigoiente, toj
eteue masa be sulat gue eni y a decir al qne leyere este mi de-
quelüjana y caraguia y tedarayen ; scrito de todas las cosas y osos
ulantoc tad sannarreno: y * M- de los tedarayes; no importa qne
gaene ni semenalat, tedaray a so lo diga: yo lo he escrito siendo
renorro gu, taden foc menemala asi qne soy tedaray: yo mismo
ade be calajana y qaegaeetoao- lo he hecho, ni me avergueaio
qaeye. Ulane nen; ladec ni ba- por naestro modo de ßer. Nada
sagub1 b^guene ni y manaccan se me da, aanqae me parezco al
aac, daaetano y daaetnan. ]Adicl pajaro cuervo, qae descabresa
segaemenao y eteao remorrö be nombre! O jala habiese habido
quelüjana arradaqueye, qa^ysan otro qae habiese referido todas
tedaray u so. Na: enda y na- naestras costumbres! no obstante
carra ca den, begaene y engae- yo soy tedaray. No habo re-
taje cristiano: na begaene melay medio: yo soy el primer cristiano:
guetuantuane coiqueloj be qae- yo, paes, s^ algana poca cosa
torro y do Fadi Jesuita : na, fen- por la ensenanza qae me dieron
dansa ro melau begaene y qae- los PP. Jesaitas; asi, paes, me
liijana y arada qaeye dob sulat hicieron poner todas naestras
Begleitworte zu meiner Karte der Insel Mindanao.
287
eni. Na: y blguene menodör u costumbres en este escrito. Por
moD, noc guetaa y eteue masa tanto, lo hice tambien de buena
be sulat güe •) eni quelujana b' gana, para que sepa el qoe leyere
adad y de tednray. este mi escrito todas las costum-
bres de los tedurayes.
Jose Tenorio Ligayan.
C.
Fadi Ignacionän Daran diob AI P. Ignacio Daran allä en
dob Tamontacan. Tamontaca.
Cäguene galaanen Fadri: an- Mi apreciado Padre: se me fi-
tafe ca senaqae me y salat guo gara que habras recibido la carta
feneuit ga endeyo. Beleae sa- qae te mand^ antes, ahora te
lata ca man beem, endob enda vuelvo a escribir, pero no muy
tooaen meleyat; ne meangga üb1 largo; pues estoy muy ocupado
cagoeue qaesetorro; amac mir- con mis lecciones : caando da com-
ray composicion y maeströ-gueye, posiciön naestro maestro, es muy
enifoy metaaje, na guerrigono-cu larga, sin embargo la hago con
so däfo, be salamat y Dioso Ca- el favor de Dios naestro Senor.
dena tomo.
Y beguene dini (be Manilae) Yo aqai (en Manila) no tengo
enda dafo y coy derruu cu, eni la mas peqoena enfermedad estoy
fo y merraan y ona ga-e: sa- muy contento: te hago saber, qae
narre ca beem, y lalagu-e bati durante el tiempo que estoy aqui
dini b' Manilae enda engueder- en Manila no he estado enfermo;
roun-u; fionfoc demauet yulea aunque meduelelacabeza, agaan-
gue, tingqaele cu y queirroo cu-de. to y sufro mejor caando me acuesto.
Y i san beemam, Fadri, enda Y tu, Padre; i no sientes al-
dafo y coy engueterreda-mamo gan peqaeno malestar en tu ca-
demauet be louoje man? Na: ca erpo? No me reganes por ser
go mequerrit beguene be quefolo corta esta mi carta. Cuando te
y sulat guan. Amuc sulata beem escriba otra Tez, procarare* ser
seguiö gale, felayat layate-ca. mas largo.
Soy de V. R. eervidor
Q. B. S. M.
Luis Bello.
Ich aberlasse es den Kennern der philippinischen Dialekte,
von denen ich nur notdurftig mich im Tagaloc auskenne, aus
diesen Proben einen Schlnss auf die Stellung des Tirurayes inner-
halb der malaiischen Sprachenfamilie zu ziehen. Interessant wäre
es sa erfahren, ob die Tirurayes in ihrer Sprache mehr Anklänge
•) Lies: gu-e.
288 F. Blumentritt:
an die Dialekte der Kopfjägerstamme von Nord-Luzon, als an
das in unmittelbarer Nähe gesprochene Visaya besitzen.
Die Tirurayes sind zwar freundliche Leute, sind aber nur
schwer zu bewegen, ihre bewaldeten Berge zu verlassen, um sich
in der Ebene niederzulassen. Vielleicht ist die Erinnerung an die
Sklavenjagden der Moros noch zu lebhaft vorhanden, als dass sie
ein besonderes Verlangen darnach tragen sollten, sich in deren
gefürchteten Nähe anzusiedeln. Sie sind Freunde einer unge-
bundenen Lebensweise, und wie alle Stämme des Binnenlandes
von Borneo wechseln sie gern den Aufenthalt und das Herom-
zigeunern, was sie sayan-sayan nennen (Carta del P. Ben-
näsar al R. P. Superior de la Misiön, Tamontaca, 10.
März 1882). Man darf aber sie deshalb nicht zu den Jäger-
völkern zählen, denn sie besitzen Felder, welche von ihren Weibern
mit Camote (Batatas-Sp.), Bananen, Mais und Tabak bestellt wer-
den (Carta del P* Jacinto Juanmarti al R. P. Antonio
Zarandona en Madrid, Tamontaca, 12. Mai 1882 nnd
Carta del P. Guillermo Bennäsar al R. P. Superior de
la Misiön, Tamontaca, 14. Februar 1883). D. Sebastian
Vidal y Soler (Memoria etc. p. 195) bemerkt über die Tirurayes
(die er Tirulayes nennt) folgendes: „Ihre Tracht ist nicht uniform,
sie bekleiden sich mit allem, was sie gerade erlangen, indem sie
sich auoh mit einem Stuck Zeuges beliebiger Form begnügen.
Auf dem Marktplatze von Tamontaca verschaffte uns der Anblick
eines Tiruray's viel Vergnügen: er trug eine trichterartige Kopf-
bedeckung, die mit einem grossen Hahnenschwanz geziert war.
Die Weiber wenden vielmehr Sorgfalt der Verschönerung ihrer
Person zu: viele sah ich mit einem weitkrämpigen, zierlichen
Palmenhut von konischer Form, die gewohnlich vollen und schon
modellierten Brüste werden durch das Jäckchen, welches mit einem
Knopfe am Halse geschlossen wird, nicht verdeckt, das Rockchen
reicht nur bis zu den Knieen, während Arme und Beine nackt
bleiben bis auf die Reifen, welche beim Gehen aneinander schla-
gen und dadurch klingen; der Gürtel besteht aus breiten Messing-
ringen, die Ohren werden mit so schweren Gehängen geschmückt,
dass man durch das erweiterte Loch des unteren Läppchens einen
Finger stecken kann. Meine Aufmerksamkeit erregte das Miss-
verhältnis zwischen Rumpf und Beinen: sie sind hübsche Mädchen
vom Gürtel aufwärts, mit breitem Kopf und vollen Backen, leb-
haften Augen, einem Stumpfnäschen und erhabenem Busen, während
die Beincben einem anderen Korper anzugehören scheinen. Anf
die Ehre ihrer Weiber legen die Tirurayes nur einen geringen
Wert; trotz der Bemühungen der eifrigen Jesuitenmissionare sind
sie noch weit davon entfernt, die Bethätigung des sinnlichen Ver-
Begleitworte zu meiner Karte der Insel Mindanao. 289
langens für eine Sande anzusehen: wie als eine ganz naturliche
Sache verkuppeln sie ihre Weiber und Tochter dem Europäer, ja
sie sehen es für eine Ehre an, wenn dieser seine Sinneslust an
jenen befriedigt. tt
Wie alle heidnischen Stämme des Archipels sind sie in kleine
Tribus zersplittert, deren Chefs nach dem Padre Jacinto Juan-
marti (Carta al R. P. Superior de la Misiön, Tamontaca,
20. April 1879), Quefeduanes, nach dem Padre Guerrico
(Carta al R. P. Juan Heras, Tamontaca, 8. Januar 1880),
Bandarra heissen.
XII. Yilanes (Bilanes, Bilaanes).
Über diesen Stamm bringen die Jesuitenmissionare keine
anderen neuen Daten, als über die Grenzen seiner Wohnsitze und
seine Grosse (es la mas numerosa [raza] de todas und
machos miles de Bilanes pueblan aqnellos montes). Die
interessanteste Nachricht findet sich in dem mehrfach von mir be-
reits citierten Schreiben des Padre Juanmarti; darnach ist die
Sprache der Yilanes jener der Tirurayes sehr ähnlich.
XIII. Bagobos.
Die Sprache der Bagobos weicht erheblich von den anderen
Sprachen der Nachbarstämme ab; Padre Mateo Gisbert (Carta al
R. P. Superior de la Misiön Dävao, 19. Oktober 1880), be-
zeichnet sie als dasjenige Idiom, welches von allen anderen, welche
am Busen von Davao gesprochen werden, am schwierigsten zu er-
lernen wäre. Da ich schon im XLII. Bde. des Globus, (p. 21 9 ff.)
Näheres aber die Bagobos zu berichten Gelegenheit hatte» so
bleibt mir hier nur wenig zu sagen übrig. Sie dürften den Manobos
nahe verwandt sein, wie ich dies nicht nur ans einigen sprachlichen
Notizen (Mensch = Manobo im Bagobo-Idiom etc.), sondern
auch aus gewissen identischen Kaltgebräuchen schliesse. Anch bei
ihnen, wie bei den Manobos, heisst der Kriegsgott Busao d. h.
der Blutige, ebenso haben Manobos und Bagobos den Dämon
Tagamalin oder Tagamaling miteinander gemeinsam u. dgl. m.
Der Name der Bagobo- Gottheit Todlibon erinnert an die Ifugao-
Gottheiten: Libongan und Libngon. Über ihre Menschenopfer
vgl. M. Montano, Le Golfe de Dävao (Bali, de la Soc. de g^ogr.
1881, p. 561 sq.).
XIV. Tagacaolos.
Die Wohnsitze der Tagacaolos sind nicht zusammenhängend;
sie bewohnen nicht nur jene Teile von Dävao und Bislig, welche
ich mit ihrer Farbe tingiert habe, vielmehr sind sie auf der
Zeiteebr. d. Gewl^ch. f. Brdk. Bd. XIX. 19
290 F. Blumentritt:
ganzen Strecke zwischen Binugao und Casilaran Tagacaolos anzu-
treffen. Sie sind ein intelligenter Volksstamm, der sieb durch
einen wohlgeformten Körperbau and Gesichtszuge auszeichnet
XV. Mandayas.
Die Mandayas, denen man wegen ihrer hellen Hautfarbe,
wohl entschieden mit Unrecht, eine chinesisch-japanische Abkauft
vindicieren wollte, sind echte Typen eines Kopfjägerstammes, der
nicht einmal jene Kunstfertigkeit und verstandige Bebauung der
Felder aufzuweisen hat, wie wir sie bei den Igorroten des nord-
lichen Luzon bewundern können. Ihre Saaten sind schlecht ge-
pflegt, indem sie es vorziehen von der Jagd und dem Raube zu
leben. Von ihrer hinterlistigen Mordwut erzählen die Missionare
in vielen ihrer Briefe; zwei Falle seien hier erwähnt: In der
Nähe von Gandia, aber hoch in den Bergen, standen zwei Man-
daya-Hutten, in denen vier Familien wohnten. Eines Morgens
rief der eine Mandaya seinen gegenüberwohnenden Freund, er
mochte ihm die zerbrochene Leiter (die Mandaya- Harten stehen
auf Pfählen) reparieren, da er selbst unwohl wäre. Jener kommt
herbei und macht sich an die Arbeit; da stosst ihm sein Freund
die Lanze von oben her mit solcher Wucht durch die Brust, daas
der Arme lautlos tot zu Boden sinkt. Sofort bewaffneten sieh die
Nachbarn, um den Erstochenen zu rächen, aber auch die Ver-
wandten des Morders erschienen am Platze und drohten allen jenen
die Blutrache an, welche es wagen wurden, die Hand gegen den
Schuldigen zu erheben. Man riet die Vermittelung des Missionars
von Gandia anzurufen, und in der That erreichte es dieser, dass
wenigstens ein Waffenstillstand erzielt wurde. Als aber der Mis-
sionar sich für kurze Zeit nach Gandia zurückbegab, nahm die
Tragödie ein schnelles Ende : der Morder hielt sich zwei Tage und
Nächte in seiner Hütte verborgen, der Speise entbehrend, da er
sein Weib verhinderte die Hütte zu verlassen; er blieb auch un-
ausgesetzt wach und beobachtete argwohnisch und bis an die Zähne
bewaffnet die Bewegungen der seine Hütte bewachenden Gegner.
Als er sich einmal sehen liess, begrussten ihn seine Wächter mit
wildem Geschrei, das er mit mehreren Pfeilsehussen erwiderte,
welche einige Leute verwundeten. Trotzdem unterblieb ein An-
griff, da man sowohl vor der Verzweiflung des Morders als auch
vor der Strafe des Missionars Furcht hatte; am dritten Tage wurde
der Übelthäter aber vom Schlafe endlich übermannt, und diesen
Moment benutzte sein gepeinigtes Weib, um zu entrinnen. Die
Nachbarn drangen nun in sein Haus und forderten ihn auf sieh
zu ergeben, seine eigenen Eltern bürgten ihm für sein Leben, er
sollte den Spaniern übergeben werden, er aber schoss selbst nach
Begleitworte su meiner Karte der Insel Mindanao. 291
seinen Erzeugern; da warfen sieh die Leute über ihn and mach-
ten seinem Leben ein Ende. Einen anderen Fall, der die herz-
lose Grausamkeit der Mandayas offenbart, berichtet P. Pablo Pa-
stells (Carta al R. O. Superior de la Misiön, Surigao,
2. Februar 1881): Ein Mandaya-Häuptling, Namens Magolendas,
wollte sein Heimatsdorf verlassen und sich mit seiner Familie am
Agusan ansiedeln. Diesem Vorhaben widersetzte sich der Schwa-
ger desselben Eustapa. Magolendas nahm dann mit seinem Schwa-
ger ein Mahl ein, kaute mit ihm zusammen Betel, was ein grosser
Beweis inniger Freundschaft ist, dann riss er die Lance des Arg-
losen von der Wand und stiess ihn nieder. Die Schwester des
Ermordeten warf sich nun wie eine Furie auf den meuchlerischen
Gatten, dieser schlag sie ebenfalls nieder, worauf er sich in den
Wald fluchtete. Die Verwandten der Ermordeten machten sich
aber auf und erschlugen den Morder. Damit ist aber die Geschichte
noch nicht su Ende: Magolendas hinterliess sieben Kinder und diese
sollten, so hatten es die Häuptlinge beschlossen, als Beute unter die
Blutracher verteilt werden, doch kam es glücklicherweise nicht dazu,
indem der Erstgeborne den Schute der Jesuiten anrief, vor welchen
diese Wilden einen faktisch „ heidenmassigen tt Respekt haben, weil
ihnen insbesondere der Mut imponiert, mit welchem sich die völlig
unbewaffneten Priester in die gefahrlichsten Gegenden wagen. Ober
die Sitten der Mandayas habe ich bereits anderweitig (Die Man-
dayas, nach dem Spanischen d. Dn. F. J. de Moya, Globus,
XLIII, Nr. 2, p. 29 f.) gesprochen, ich habe demgemäss hier nur
noch weniges beizufügen. Auffallende Erscheinungen am Himmel
kundigen nach ihrem Glauben Orkane oder Hungersnot an (Carta
del P. Pablo Pastells al R. P. Superior, Garaga, 25. Ja-
nuar 1880). Ihr Priesterstand rekrutiert sich nicht nur aus Weibern,
den sogenannten Baylanas, sondern auch aus Männern, iden
Diuateros (Carta del P. Mateo Gispert, Zaragoza, 12.
Februar 1880). Diuatero kommt von Diuata = zum Gott ge-
wordene Seele her. Zu bemerken ist schliesslich, dass die neu-
begründeten Missionen am mittleren Agusan unter den Manobos
auch Mandayas zu Einwohnern besitzen, wie es denn in der Ab-
sieht der Missionare liegt, die Unterschiede, welche zwischen den
einzelnen Stammen existieren, durch Connubium zwischen den-
selben zu verwischen.
XVI. Manobos.
Die Manobos sind unstreitig der interessanteste Stamm Min-
danao'e, der auch unter allen Bergstammen der Insel am be-
kanntesten ist, wenn auch noch manche Lucken der Beobachtung
zu besprechen waren« Vor allem anderen sei es erwähnt, dass
19*
292 F. Blumentritt:
der Name der Manobos vielfach als eine Kollektivbezeichnung ffir
alle „ wilden Ä Stämme Mindanao's gebraucht wurde und iura Teil
noch heute gebraucht wird. Vielleicht ist auf diese Weise allein
auch die ungemeine Zersplitterung des Sprachgebietes der Mano-
bos zu erklären, wenigstens bezweifle ich es einigermaßen, dass
die angeblichen Manobos des südlichen breiten Teils des Distrito
de Dävao faktisch dieser Rasse angehören; dagegen muss hervor-
gehoben werden, dass in den neuen im Madaya-Gebiet formierten
Pueblos am Agusan (Moncayo, Gandia, Compostela) ebenfalls Ma-
nobos (wenn auch in Minderzahl) angesiedelt sind.
Der Padre Juanmarti beschreibt einen Manobo jener Tribas,
welche am Rio Narcan (Süd Westküste) hausen, wie folgt: „Der
Jüngling, welcher meine Aufmerksamkeit erregte, war von gutem
Korperwuchs, angenehmen Gesichtszügen, dunkler Hautfarbe and
einnehmendem Betragen. Seine Ohren waren von grossen Ringen
durchbohrt; er trug einen doppelten Halsschmuck, von denen der
eine, sehr elegant sich ausnehmende, aus den Zähnen eines Tieres
bestand, dessen Namen ich nicht mehr weiss, es ist dies ein
Schmuck von grossem Werte, der von den Angehörigen der vor-
nehmsten Familien getragen wird." Der P. Saturnino Urios
(Garta al R. P. Superior, Talacögon, 12. April 1879)
bezeichnet die Manobos als eine wohlgewachsene, dunkelgefarbte
Rasse. Es giebt unter ihnen vollbartige Manner (Garta del ?.
Juan B. Heras al R. P. Superior de la Misiön, Butüan,
8. Nov. 1881). Übrigens ist die Stelle „ J'ai rencontre chet les
Manobos deux types bien distinctsu etc. bei Montano, Le Golfe
de Davao (Bull. Soc. g&>gr. 1881, p. 558) wohl zu beachten.
Über die Tracht der Manobos, welche in der Nähe Butuan's
wohnen, finden wir folgende Nachricht in dem schon citierten
Briefe des P. Urios vor: „Die Männer tragen langes Haar (bei
den anderen Tribus wird es zu einem Knoten geschürzt) und den
Korper tatuiert, wie die europäischen Galeerensträflinge es mit«
unter thuntt. In einem anderen Briefe heisst es: „Die Weiber
trugen Hals- und Armbänder aus Muscheln, dazu schmückten sie
die Brust mit Metallplattchen a. Der P. Mateo Gisbert berichtet
von Bislig aus (12. Oktober 1879) über die Manobos des
Agusan-Gebiete, dass sie fast nackt herumliefen, dagegen schmückten
sie sich bis zu den Zehen mit Ringen, und einzelne tragen einen
Palmhut mit sehr schonen weissen Federn.
Ihre Waffen sind Schild, Lanze und ein scharfes Waldmesser,
mit welchem sie ihre Hütten, welche auf hohen Baumpfahlen oder
direkt auf den Bäumen selbst ruhen, zimmern ; diese letztere Waffe
ist der unzertrennliche Begleiter der Männer. Die im Agusan*
Gebiet wohnenden Manobos lebten vom Reisbau, der Jagd und
Begleitworte zu meiner Karte der Insel Mindanao. 298
dem Fischfange, wahrend die zwischen Batdan und dem Rio Td-
bay wohnhaften sich mit keinem Ackerbau, sondern nur mit dem
Fischfange beschäftigten. Ihre Industrie besteht nur in dem Bau
kleiner Kähne, dem Schnitzen von Rudern und verschiedenen aus
Palmenfasern hergestellten Flechtwaren, von denen unter anderen
die Reissacke von den Händlern Butdan's gern gekauft werden.
Sie leben (oder lebten vielmehr) in kleinen Tribus, welche
unter einem Häuptlinge stehen, welcher von den Spaniern Dato
oder Capitan genannt wird. Die Macht der Häuptlinge ist eine
bedeutende, sie versuchen es auf alle mögliche Weise, ihre Sacopes,
d. h. Vasallen, zu Gunsten ihrer Tasche auszubeuten. Über eine
Despotenlaune eines solchen kleinen Tyrannen berichtet P. Satur-
nino Urios in seiner Garta al R. P. Juan B. Heras (Rio Si-
mulao, 1. August 1879), und ich will sie hier um so eher mit-
teilen, als wir vielleicht es hier nicht allein mit einem reinen
Willkurakt, sondern einem Tabu zu thun haben:
„Der Häuptling Igsöo stellte bei der Mundung des Rio
Totoy ein Zeichen auf, welches zu bedeuten hatte, dass niemand
es vor einem Jahre bei Todesstrafe wagen dürfe, in jenem Flusse
zu fischen; dadnrch wurden alle in Schrecken gejagt, und man
schickte eine Deputation zu ihm, um die Aufhebung jenes tyran-
nischen Edikts zu erwirken, doch währte es lange, ehe der Häupt-
ling nach vielem Zureden gegen eine grosse Geldsumme der Bitte
willfahrte. tt Mir scheint, so dürftig diese Notiz auch ist, hier doch
mehr ein religiöser Akt, als ein Ausfluss weltlicher Herrscher-
gewalt vorzuliegen.
Sie sind in endlose Fehden mit den anderen Stämmen und
unter einander selbst verwickelt. In ihren Kriegen vermeiden
sie jede offene Schlacht, sondern überfallen den arglosen Feind
aus dem Hinterhalt, um ihn zu toten oder in die Sklaverei zu
schleppen. Liegt ein Akt der Blutrache vor, dann werden auch
Weiber und Kinder gemordet: die Vendetta erstreckt sich nicht
allein auf die Familie des Morders, sondern auch auf dessen
ganzen Stamm oder sogar dessen Rasse. Ihre Mordlust wird
durch die äussere Auszeichnung, welche die glucklichen Krieger
auch in der Tracht gemessen, angefacht, erst wer sieben Feinde
getötet, hat Anrecht auf den Titel eines Bagani. Es giebt drei
Grade Baganis: den ersten Grad erzielt man nach Tötung von
sieben Personen, die Tracht besteht dann im Tragen eines roten
torbanähnlichen Kopfbundes; zum zweiten Grade gehört die Zahl
von viersehn Opfern; Tracht: roter Turban, rotes Hemd; den
dritten und höchsten Grad erreicht der Bagani nach der Tötung
seines einnndzwanzigsten Gegners, er trägt dann Turban, Jacke
und Hosen von roter Farbe (Carta del P. Santiago Puntas
294 F. Blumentritt:
al R. P. Superior de 1a Misiön, Butuan, 19. Deiember
1880). Der Padre Urios traf mehrere Baganis, die den grau-
lichen Ruhm genossen, mehr als hundert Menschen schon erschlagen
sn haben. Als Zeichen der Kriegserklärung werden Thongefaase
mit Stäben durchbohrt und auf den Weg gelegt. Auch die Braut-
werbung ist mit ein Motiv zu ewigen Kriegen; die Braut wird
nämlich mit Sklaven gekauft, und um diese zu erlangen, überfallen
sie fremde Niederlassungen, toten die Widerstrebenden und
schleppen die übrigen mit sich fort Ehebruch und Schändung
werden mit dem Tode bestraft.
Ihre Religion basiert auf dem Ahnenkultes; Krankheiten
werden geheilt, wenn man dem Diuata, d. h. dem Geiste der
Ahnen, ein Menschenopfer bringt (Carta del P. J. B. He ras
al R. P. Superior de la Misiön, Butuan, 8. November
1881). Die Anthropophagie ist, wie schon Semper berichtete, bei
ihnen im Schwange. P. Saturnino Urios (Carta al P. Superior
de la Misiön, La Pas, 8. Dezember 1881) schreibt hierüber:
„Alle Baganis haben ihren Busao (d. h. Dämon des Blutes), der
nur durch Menscbenblut in gute Laune zu bringen ist« Sie tragen
ein Idol, geschnitzt aus einem Kaiman-Zahn, am Halse, was sie
Talijan nennen. Dieses Amulet stossen sie dem Ermordeten in
eine Wunde, welche sie demselben in die linke Brustseite bei-
bringen, damit der Busao sich am Blute des Gefallenen satttrinken
könne. Trifft einen Bagani* ein Unglück, so glauben sie, der
Busao surne, dass man dem Talyan zu wenig Blut zu trinken
gebe. Dann stürzen sie oft wie rasend aus ihren Hütten heraus und
stossen den ersten besten Menschen, mag es ein Mann, ein Weib
oder Kind sein, nieder (wer denkt da nicht an das Amoklaufen?).
Sie selbst gemessen auch Menschenfleisch. Im Herbst 1881 über-
fiel der Bagani Oübat das Haus eines anderen Bagani, Namen«
Namanas, der ' sein Weib beleidigt hatte. Namanas und eines
seiner Kinder erlagen den Lanzen Oubat's und seiner zehn Gefährten.
Oübat zerschnitt die Leiche des Gefallenen in kleine Fetzen,
welche er durch die Luft hin- und herschleuderte, die Leber und
das Herz des Erschlagenen wurden gebraten, mit Salz gewürzt
und dann verzehrt.*4
Vor einem Kriegsznge werden Opferschmause veranstaltet,
bei denen die Baylanas oder Priesterinnen beim Schalle von
Trommeln tanzen. Die Manobos am Rio Uma erweisen einer
Urne gottliche Ehren, welche ihnen vor 200 Jahren angeblieh von
den Christen Butiians als Symbol des Bündnisses geschenkt wor-
den wäre. Ich glaube wohl aber Recht zu haben, wenn ich jene
Urne für eines der alten Gefasse halte, welche von Zeil zu Zeit
auch in den übrigen Teilen des Philippinen-Archipels aufgefunden
Begleitworte zu meiner Karte der Insel Mindanao. 295
werden und von welchen Dr. Jagor in seinen „Reisen in den
Philippinen", S. 134 f. spricht. Jene Tradition von dem abge-
schlossenen Bandnisse ist nmsoweniger glaubwürdig, als die Phan-
tasie der Manobos ihnen jungst erlebte Ereignisse in Wunder
verwandelt. So berichtet der Padre Saturnino Urios (Garta al
fi. P. Superior, Bunauan, 24. Dezember 1879), dass die
Manobos von dem die Minen des Distrito Suh'gao untersuchenden
Ingenieur-Chef, Chevalier Centeno, ausgesagt hätten, seine Schulter-
weite gehe über neun Spannen hinaus, er trüge auf der Stirne
ein drittes, rotes Auge, mit welchem er Zaubereien begehen
konnte etc.
Zum Schlüsse sei bemerkt, dass auch auf der Insel Sämal
und den beiden Sarangani-Inseln Manobos wohnen sollen; da es
aber wahrscheinlich nur vereinzelte Individuen sind, so habe ich
diese Notizen auf meiner Karte nicht verwendet.
XVII. Buquidnones.
Die heidnischen Stamme, welche in dem ostliehen Teile des
Distrito de Misamis wohnen, wurden früher Manobos genannt, sie
seheinen sich auch von diesen, insbesondere die ostlichsten Tribus,
wenig zu unterscheiden; wenigstens schreibt mir der R. P. Supe-
rior Juan Bicart de dato Manila, 24. Dezember 1888: Los mon-
teses del seno de Ouingoog son muy parecidos a los ma-
nobos en la fisonomia, en la lengua y en las costum-
bres; y todo indioa que son una misma raza, diversi
ficada solamente por la larga permanencia y aislamiento
en mismo lugar. Ihr Name deutet auf Waldbewohner hin, von
den Jesuitenmissionaren werden sie auch Monte ses genannt. Die
wenigen Vokabeln ihrer Sprache, welche sich in den Briefen der
Missionare finden, deuten auf eine Verwandtschaft mit dem Vi*
saya hin.
In den Missionsberichten wird viel von ihrer Bereitwilligkeit,
das Christentum anzunehmen und Pueblos nach spanischem Muster
zu gründen, gesprochen, der Ethnograph findet aber eine nur
geringe Ausbeute. Das einzige, was ich fand, ist Folgendes:
Sie leben in kleinen Häusexgruppen, die unter der Bot-
massigkeit eines Datto stehen; dieser zeichnet sich schon in der
Tracht vor den übrigen aus, so trug einer ein Lederhalsband, an
welchem elf Stuck Pesos (mit dem Bildnisse Königs Karls III.)
befestigt waren. Ihre Ehen werden vor Greisen abgeschlossen.
Über ihre Religion berichtet der nunmehrige Ro. Superior P.
Juan Ricart (Carta al P. Superior de la Mision, Baiinga-
sag, 2. August 1880): Ihre Hauptgotter sind der Taguibanua
und die Tauo sa sulup. Der erstere ist der Qott der Saaten,
296 F* Blumentritt:
von dem sie reiche Ernten erhoffen und dem zu Ehren sie nach
Einbringung der Feldfruchte ein grosses Opferfest, Namens Caliga,
darbringen. Die Tauo sa sulup (= Waldmenschen) rufen sie
in Kriegsnöten, Krankheiten und bei Reisen an. Diese Gott-
heiten sind Genien, welche in den Stammen hoher Baume oder
in grossen Felsblocken wohnen und in alle Vorfalle des mensch-
lichen Lebens eingreifen, sei es durch Zufügung von Schaden oder
durch Segenspendung, je nachdem sie gute oder böse Geister sind.
Diese rufen sie unter dem Namen Apo, d. h. Grossvater, Ahne,
an und bieten ihnen Speisen und Trank unter Gesängen and
Tänzen an, die sie ihnen zu Ehren veranstalten.
Wir haben es hier also mit derselben Anito-Religion (d. h. ,
dem reinen Ahnenkultus) zu thun, welche allen Eingebornen der
Philippinen eigen ist
XVIII. Subanos.
Die Subanos bewohnen einen wert grosseren Teil der Insel)
als die dürftigen Quellen, denen ich im Jahre 1882 ober diesen
Gegenstand folgen konnte, meldeten. Ja selbst in dem sudlichen
Teile der langgestreckten Sibuguey-Halbinsel sind unter den Moros
die Subanos in erheblichen Minoritäten, in manchen Pueblos so-
gar in der Majorität vertreten, und ich habe nur deshalb diese
Küstenstrecke mit der Farbe der Moros tingiert, weil die Subanos
hier nur die Plebs bilden. Selbst die Punta Baganian ist in dei
hohen Teilen von Subanos bewohnt. Die letzten detaillierten Nach-
richten über das Leben . und Treiben dieses interessanten Volks-
stammes verdanken wir dem Padre Combes, welcher im Jahre 1667
zu Madrid seine berühmte Historia de las Yslas de Minda-
nao, Jolö y aus Adyacentes herausgab. Den neuen Je-
suitenmissionaren verdanken wir vor allem Nachrichten aber die Reli-
gion der Subanos, welche ebenfalls auf einen Ahnenkultus hinaus-
läuft, wie bei den übrigen philippinischen Malaien.
Ihre Hauptgottheiten sind der Buclög, (Pag-) Convida and
Diuata« Obwohl die Missionare nur von einem Dios Diu ata
reden, so ist wohl hier derselbe Kultus der verstorbenen Ahnen
damit gemeint, wie ihn die Tagalen den Anitos, die Igorroten den
Ani-Anis, die Visayer den Divatas, die Buquidnones den Apös
etc. gegenüber widmen. Dies beweisen anch die Kaltvorgänge
bei Sterbefällen. Der Padre Estanisiao March (Carta al P.
Manuel Torras, Ayala, 27. April 1882) berichtet hierüber:
„Stirbt jemand, so errichten die Hinterbliebenen dem Toten nicht
allzufern ein kleines Hüttchen, in welchem der Leichnam der
Verwesung überlassen wird. Inzwischen mästen sie einen Sklaven
oder Diener oder auch einen Schuldner, der nicht zahlungsfähig
Begleitworte zu meiner Karte der Insel Mindanao. 297
ist, und setzen diese Mästung fort, bis sie glauben, dass das aas-
ersehene Opfer reichlich Blut in seinen Adern hat; dann werden
die Gebeine des Toten gereinigt, in ein Gefäss gelegt und die
Verwandtschaft eingeladen, welche sich vollzählig und mit kleinen
Lanzen bewaffnet im Sterbehanse einfindet, um der Totenfeier
beizuwohnen. Ist die Stunde gekommen, wo das Opfer dem Diu ata
dargebracht werden soll, dann bilden die Anwesenden einen Reigen,
in dessen Mitte zwei Gefässe aufgestellt werden: das eine ent-
hält, wie erwähnt, die Totenknochen, das andere ein Gemisch von
Reisbranntwein und anderem Gebräue. Hierauf trinkt einer nach
dem andern von dem infernalischen Nektar; dann aber beginnen
sie herumzuspringen und zu brüllen, worauf sie sich mit den
kleinen Lanzen in der Hand auf den Unglücklichen stürzen, den
sie mit ihrer Waffe stechen, um dann das aus der Wunde quillende
Blut ku schlürfen, bis endlich der Gequälte unter den vielen
kleinen Stichen eines grausamen Todes stirbt Durch jenes Ge-
bräu sind alle berauscht gemacht und dann wüten sie gegen das
bedauerliche Opfer."
P. March schreibt weiter: „Sie besitzen wohl keinen Gesetzes-
Kodex, dagegen bewahren sie durch Tradition gewisse Prinzipien,
nach denen die Timoais*) oder Häuptlinge Recht sprechen.
Alle Vergehen werden mit Geldstrafen in Gestalt von Kokosnüssen
oder mit dem Tode gebüsst. Die Polygamie ist bei ihnen erlaubt
Ihr Gott ist der Diuata, welcher seine Stimme erschallen lässt
und seine Befehle und Aufträge erteilt und zwar während sie in
folgender Weise zusammenkommen: Der Tanguilin — so heissen
bei ihnen die Seher der Zukunft, welche nach ihrem Glauben nur
von der Gottheit genährt werden, da die Priester nie in der Gegen-
wart einer zweiten Person essen, — beruft die Subanos in eine
Halle, wo sie sich voll ausserordentlicher Angst und tiefster Ehr-
furcht einfinden. Ist die Versammlung komplet und beginnt es
bereits zu dunkeln, so erscheint der in ein Mosquito-Netz gehüllte
Tanguilin mit einem Gefährten, dessen Beine mit Schellen be-
bangen sind, und nun beginnt der eigentliche Akt: es tanzt der
Schellenbehangene wie ein Besessener um den Tanguilin herum,
bis ein Zustand formlicher Raserei eintritt, und dann bort man die
Stimme des Diuata, welcher seine Befehle erteilt, d. h. der Tanguilin
giebt Proben seiner Bauchrednerkunst a
Sonst ist noch von den Subanos zu erwähnen, dass sie durch-
aus nicht arbeitsscheu sind : gegen Ende März oder Anfangs April
brennen sie die Strecken des Busch- oder Cogon- (Prairien-) Ge-
*) Bei den heidnischen Visayern des XVI. Jhdts. hiessen Timaguas,
Timauas die Freigelassenen (und Freien).
298 F- Blumentritt:
bietes ab, um dann Reis zu ßäen. Von einer Palme (wahrschein-
lieb der Corypha ombraculifera) gewinnen sie ein berauschendes
Getränk, welches sie Tuba, und ein zweites, das sie Pangasi*)
nennen. Sie erwerben sich die Braut durch Geschenke an den
Vater derselben; erwähnt wird bei P. Antonio Obach (Carta al
R. P. Superior de la Misiön, Dapi'tan, 17. Febr. 1882)
ein derartiges Geschenk und zwar verlangte der Vater der Braut
vom Brautwerber zwölf Pesos (48 Mark).
Von der an die Bagani-Sitte der Manobos erinnernden Ge-
wohnheit der Subanos, nach der Tötung des ersten Feindes einen
roten Kopfbund zu tragen, erwähnen die modernen Jesuitenmissio-
nare nichts, woraus aber noch nicht erbellt, dass jene im 17.
Jahrhundert geübte Sitte gerade erloschen sein müsse.
XIX. Samales.
Diese Samales, die Bewohner der im Golfe von Davao liegen-
den Insel Sämal, sind wohl zu unterscheiden von den gleich-
namigen Bewohnern der ostlichen kleineren Inseln des Sula-Archi-
pels. Nach der Carta del P. Mateo Gisbert al P. Quirico
More (Davao, 27. November 1882) scheinen sie Abkömm-
linge von Moros zu sein: Los habitantes de esta isla ex-
ceptuando algunos manobos, todos proceden segun mi
parecer, de raza mora. Immerhin wäre es auffallend, dass sie
dann vom Islam abgefallen wären, doch stimmt die Anschauung
P. M. Gisbert's mit der Nachricht Montano's, dass die Rasse der
Samales la plus industrieuse et la plus active dn golfe
(de Davao) et certainement la plus civilise wäre. Es sind
da baldige Aufklärungen durch Dr. Schadenberg erwünscht
XX. Calanganes oder Calaganes.
Nach Montano ist die Sprache dieses kleinen Stammes jener
der Moros sehr ähnlich. Mich interessiert vor allem der Name,
denn in dem 16. Jahrhundert führte das ostliche Mindanao den
Namen Garaga oder Calaga, Calagan; sie als einen Überrest
der alten Caraga's anzusehen, dagegen spricht jene Notiz Mon-
tano's. Jedenfalls sei das kleine Volkchen künftigen Reisenden
empfohlen.
XXL Visayas.
Die Visayas bewohnen schon seit Jahrhunderten die wichtig*
sten Kastenpunkte im Norden und Osten Mindanao' s. Die im letzte»
*) So heisst bei den Visayern ebenfalls ein berauschender Trank, den
sie aus dem Stamme des Solan eaecharahu bereiten.
Begleitworte zu meiner Karte der Insel Mindanao. 299
reo Gebiete wohnenden, wurden Caragas (nach Stadt und Land-
schaft Caraga) genannt, weil sie sich von den übrigen Visayern
durch eine rauhere Sprache and durch kriegerische Sitten aus-
zeichneten. Vergleichen wir die Angaben der alten Autoren über
die Caragas mit den modernen Nachrichten über die Manobos,
irtbesondere über das Bagam'-Unwesen , so unterliegt es keinem
Zweifel, dass die alten Caragas nichts anderes "als Bastarde von
Visayern und Manobos waren, und zwar hatte die Visaya-Sprache den
Löwenanteil, während Sitten und das Physische das Überwiegen
der Manobobestandteile bewiesen. Wäre nicht Predigt und Unter-
richt im Visaya erteilt worden, das Visayertum wäre gewiss in
den heutigen Bezirken Sorigao und Bislig erloschen, da die un-
aufhörlichen Angriffe der Piraten von einem Zuzüge aus dem Vi-
sayer-Archipel abschreckten; das einzige Vordringen des Visaya
offenbarte sich in der Anlage der isolierten Posten Talacögon und
Linao (das heutige Bunäuan). Erst als mit dem Erscheinen der
Dampfkanonenboote die Piraterie der Moros immer mehr und mehr
aufzuhören begann, wanderten zahlreiche Bewohner der dürren
Insel Böhol nach Mindanao aus. In allen Küstenplätzen des Nor-
dens sind Visayer vorhanden, und es wird nicht lange dauern, so
werden die an der Küste wohnenden Mandayas, Manobos, Buquidno-
nes und Subanos ganz visayisiert, denn Kirche, Amt und Schule
arbeiten gemeinsam darauf los, und auch jene Neubekehrten setzen
eine Ehre darin als Altchrist, d. h. Visaya, genannt zu werden.
Die boholanische Einwanderung nimmt jedes Jahr grossere Dimen-
sionen an. Im Distrito de Dävao giebt es nur drei Visaya-
Niederlassungen, von denen nur die zu Dävao einen grosseren Um-
fang besitzt; die Visayas dieser Stadt haben auch tagalisches Blut
in ihren Adern, wie dies auch bei den Bewohnern Zamboanga's
der Fall ist, die eigentlich ein Qemenge aller Rassen der Phi-
lippinen sind. Die übrigen Punkte der Distritos Zamboanga,
Cotta-bato und Basilang, welche ich auf meiner Karte als von Vi-
saya« bewohnt kenntlich gemacht habe, bestehen ebenfalls aus einer
buntgemischten Bevölkerung, doch bewirkt der Zuzug aus dem
Visayer, Archipel das Vorherrschen der Visaya-Sprache.
XXII. Moros.
Ich habe zu dem in Petermann's Mitt. Ergshft. 67 Gesagten
nichto weiter hinzuzufügen, als die Aufzählung der Staaten, in welche
das von den Moros bewohnte Gebiet zerfällt, wobei ich nochmals
in Erinnerung bringe, dass diese Moros-Staaten auf feudaler Grund-
lage ruhen und dass die grossen Vasallen oder Fürsten den Titel
Dattos fuhren.
Diese Staaten sind:
300 F. Blumentritt:
1. Sultanat von Cotta-batö (früher Mindanao), umfasst du
Deltagebiet des Rio Grande de Mindanao, dann jene grosse
Halbinsel, welche die Bahi'a Illana von dem Seno de Duman-
quilas scheidet. Einzelne Dattos an der Bahi'a Illana stoben
in einem zweifelhaften Verhältnisse zu dem Sultan, dagegen
folgen die Dattos an der Südwestküste der Insel willig dem
Sultan, welcher unter den Kanonen der spanischen Forts
residiert. Nominell reicht seine Macht vom Seno de Duman-
quilas bis zur Bahia Sarangani.
2 Sultanat von Boayan (Buhayen), umfasst das zwischen dem
Seengebiet und dem Mündungsdelta des Rio Grande ein-
geschlossene Territorium; Residenz: Boayan.
3. Sultanat Talayan, halb in der Ebene, halb in dem Tiraray-
Gebirge liegend.
4. Sultanat Bacat, angrenzend an Talayan und Boayan.
5. Sultanat Banguingued, gelegen an jenem Teile des Rio
Grande, wo er der Laguna Ligauasan sich nähert
6. Sultanat Matingcahuan (Matuncaguan) , am Oberläufe des
Rio Grande. Früher residierte der Sultan in Matingcahuan
selbst, als aber die Spanier dahin eine Garnison legten, sog
sich der Sultan nach Lahabay zurück, wo er noch heute
residiert.
7. Sultanat Gabacan, das von dem gleichnamigen Flusse, der
jedenfalls seine Quelle sehr nahe dem Vulkane Apo hat,
durchströmte Territorium umfassend.
8. Sultanat Buluan, am gleichnamigen Flusse gelegen.
9. Sultanat Tucunabagu, an der Laguna Buluan.
10. Sultanat Dansalan (Danzalan), an der Laguna Ligauasan.
11. Sultanat Lantingan (nur ein Dorf umfassend), an der Lagana
Ligauasan.
12. Die Sultanate und Dayatos (Fürstentümer), an der Laguna
de Dänao, bekannter unter der Kollektiv - Bezeichnung:
Territorio Illano; dieselben sollen an 100 000 Seelea
enthalten, eine Schätzung, die mir nicht zu hoch gegriffen
erscheint, wenn man bedenkt, dass allein an den Ufern des
Sees 70 Ortschaften, darunter mehrere mit 2000 — 4000 Ein-
wohnern, liegen. Die Illanos bauen fleissig Kaffee und
Kakao an, von welchem erhebliche Massen nicht etwa nach
dem nahen Iligan, sondern nach den Küstenplätcen an der
Bahia Illana gebracht werden, wo sie an chinesischen Com*
pradores bereitwillige Käufer finden.
13. Das Reyno de Sibuguey, die Grenzterritorien von Miaimis
und Zamboanga umfassend. Im siebzehnten Jahrhundert war
es ein mächtiges, vom Sultane von Mindanao abhängiges
Begleitworte zu meiner Karte der Insel Mindanao.
301
Reich, jetzt ist es ein ohnmächtiges Fürstentum, das an der
Unbotmässigkeit der Dattos und dem Abfall der Sobanos,
die vor den Sklavenjagden der Moros an den Missionaren
einen steten Rückhalt finden, seiner Auflösung entgegen geht.
14. Ausser diesen genannten Sultanaten giebt es noch viele kleine
Dayatos (Staat unter einem Datto), die alle aber mit dem
steigenden Einflüsse der Spanier zu Grunde gehen, denn die
Haupteinnahmen der Dattos lieferten die Piratenzuge in den
Philippinen und die Sklavenrazzias gegen die Heiden des
Binnenlandes; beide Einnahmen sind durch die Etablierung
der spanischen Herrschaft versiegt, und da die übrigen Moros
nicht die Arbeitslust der Illanos besitzen, so ist ihr Bankerott
nur eine Frage der Zeit. Noch vor vierzig Jahren waren
die Gestade des Golfo von Davao ganz in den Händen der
Moros, während man jetzt an seinem Westgestade nur 500,
am ostlichen nicht mehr als 900 Familien dieser der euro-
päischen Civilisation feindlichen und unzugänglichen Rasse
zählt. Vor 1848 gab es am Golfo von Davao keine Manobos,
Dulanganes etc., sie waren durch diese Bekenner der Lehre
des Propheten von der Küste abgeschnitten und ins Gebirge
geworfen worden, jetzt tritt das Entgegengesetzte ein.
Betont mus8 werden, dass die meisten der angeführten Sultane
und Dattos nur über wenige Dorfer gebieten; keiner von ihnen
verfugt mehr über eine stehende Truppe, wie dies zu Forrest' s
Zeiten noch im Lande des Sultans von Cotta-batö der Fall war.
XXIII. Schreibung mindanesischer Orts-, Fluss- und
Bergnamen.
Wie ich schon früher Gelegenheit hatte zu erwähnen, weichen
alle Karten Mindanao's bedeutend in der Schreibung der Berg-,
Fluss- und Ortsnamen von einander ab; den Grund dieser Er-
scheinung habe ich bereits zum Teile erörtert, es bleibt mir hier
nur noch zu sagen übrig, dass viele dieser Varianten nur Schreib-
and Druckfehlern ihre Existenz verdanken. Ich gebe hier ein
Verzeichnis von Varianten einzelner Orts- etc. Namen meiner
Karte:
Variante:
Auf meiner Karte:
Variante :
Auf meiner Karte
Balutuan
Bnlatuan.
Bilaanes
Vilanes.
Banahan
Bilan.
Bulaluan
Bulatüan.
Banga-banga
Basilang
Bilaa
Baganga.
Basilan.
Bilan.
Galaga,Calagan
Gauait
Danao
Caraga.
Canayt.
Lanao.
Bilanes
Vilanes.
Ganlengan
Ganlangan.
302 F. Blumentritt: Begleitworte zu meiner. Karte der Insel Mindanao«
Variante:
Gi'bon
Ginatüan
Guicud
Huhut
Humayan
Jinatüan
Jumayam
Juut
Lambohon
Layauan
Lumbugan
Maasan \
Mahassam 1
Malaca
Malanao
Mapande
Manoligan 1
Manorigao /
Mapawa , Ma-
paoua
Auf meiner Karte:
Ji'bon.
Hioatdan.
Talicud.
Uhut.
Humayam.
Hinatüan.
Humayam.
Uhut.
Lambahao.
Layaban.
Luböngan.
Mas an.
Malalag.
Lanao.
Mapandi.
Manoligao.
Mapaoa.
Variante:
Marani
Matabug
Mayao
Minong
Panag
Paran-Paran
Pirauan
Pujada
3ahug
Samboangan
Sicayab
Tambagalan
Tancanan
Tedurayes 1
Tilurayes /
Tulapuc
üjut, Uut
Umayam
Zampoangan
Auf meiner Karte:
Carani.
Mainbug.
Mayo.
Minang.
Panay.
Parang-Parang.
Lapirauan.
Pujaga.
Salog.
Zamboanga.
8icayac
Timbangalao.
Tancanan.
Tirurayes.
Talapug.
Uhut.
Humayam.
Zamboanga.
Was die Erklärung einzelner Namen anbelangt, so heisst so
Deutsch:
Mindanao
Cotta-batö
Tacnipa
Malanipa
Cauit j
Caoit /
Dinata 1
Divata /
Punta Flecha.
Mainit
Boayan
das Seenland.
das steinerne Schloss.
Ort, wo Nipa-Palmen vorkommen.
Landspitze, Erdzunge.
Ort, der von einem Ahnengeiste bewohnt wird.
Dieses Vorgebirge heisst bei den Eingeboroeo
Baganian, d. h. Kriegsgeist- Ort, die Piraten
pflegten im Vorüberfahren dem Beiggeiste durch
Abschiessen von Pfeilen ihr Opfer darzubringen
daher ihr spanischer Name Pnnta de Flechas
oder Punta Flecha.
Ort, wo warmes Wasser (Thermen) vorhanden ist
Ort, wo Kaimane vorhanden sind.
F. 6. Müller-Beeck: Geographie der Liu-kiu-Inseln. 308
XIV.
Geographie der Liu-kiu-Inseln.
Nach japanischen Berichten bearbeitet von F. George Müller-Beeck.
(Hierzu eine Karte, Tafel VII.)
Ein eingehendes Studium der peripherischen Volker des ost-
lichen Asiens ist die Veranlassung gewesen, dass ich mich mit
der Geographie der Liu-kiu-Inseln beschäftigt habe. Dameines
Wissens eine übersichtliche Darstellung dieser Inseln und ihrer
Bevölkerung nicht vorhanden ist, so übergebe ich die Arbeit der
Öffentlichkeit, wohl wissend, dass sie ihre Aufgabe weder er-
schöpfend, noch mit der wünschenswerten Genauigkeit erfüllt, weil
ihr hauptsächlich japanische Quellen zu Grunde liegen.
Dureh ein sturmisches Meer, durch Nebel, Riffs und Untiefen
getrennt, bilden die Liu-kiu-Inseln eine gefährliche Landbrücke
von Taiwan oder Formosa nach Sata-no*misaki, dem Sud-
cap der japanischen Insel Kiu-shiu, so dass an eine Wande-
rang der Volker auf diesem Wege wohl zu denken ist, wofür aber
keine Anhaltspunkte weder bei den Insulanern selbst, noch bei
den Japanern zu finden sind. Während meines Aufenthalts in
Japan horte ich allgemein von Japanern die Ansicht aussprechen,
dass sich auf den Liu-kiu-Inseln noch alte japanische Sitten und
Gebräuche erhalten hätten.
Die Geschichte dieser Inseln zeigt*), wie hier hauptsächlich an
eine Einwanderung von Japan aus gedacht werden muss, sowie
namentlich von chinesischer Seite« teils zu viel späterer Zeit über
Taiwan nach der Miyakoshima-Gruppe, teils nach den Central-
oder eigentlichen Liu-kiu-Inseln Ansiedler geschickt wurden.
Die Aufsätze des Herrn Idji-chi Teka über die Liu-kiu-
Inseln, welche in der Zeitschrift der japanisch-geographischen Ge-
sellschaft 1880, Heft 1 und 10, abgedruckt sind, geben in Kürze
eine Übersicht über diese uns Europäern eigentlich noch vollstän-
dig unbekannten Inseln. Ich habe die Übersetzungen der vorge-
nannten Arbeiten mit Hülfe des japanischen Lieutenant Herrn
Sindji Endo angefertigt, dem ich hiermit noch öffentlich meinen
Dank sage, und dieselben kontrolliert und bearbeitet. Da Herr
Idji-chi Teka Beamter der Regierung ist und im Kaiserlichen
Auftrage zu wiederholten Malen 1.872, 74, 75 nach den Liu-kiu-
*) Geschichte der Liu-kiu-Inseln nach jap. Berichten von Müller-Beeck,
in den: VerhandL der Berl. anthropolog. Ges. Febr. 1888.
304 F. G. Mtiller-Beeck:
InBein gereist ist, so haben seine Berichte grossen Wert, nament-
lich seine statistischen Angaben. Die Kriegsschiffe fremder Na-
tionen, welche unter Kap. Belcher*) und Kommodore Parry**)
die Liu-kiu- Inseln angelaufen haben, bringen mehrfach ab*
weichende Namen. Die beiden Blätter der englischen Admiralitäts-
karte, Nr. 2412 und Nr. 2416, zeigen auch, wie dürftig noch die
Tiefseemessungen hier vorgenommen worden sind.
Seitdem Korea in diesem Jahre (1882) für amerikanische,
englische und deutsche Schiffe geöffnete Häfen hat, gewinnt die
Schiffahrt in den chinesischen Meeren an Bedeutung, und kommt
der Seeverkehr von den polynesischen und Sunda- Inseln nach
Norden mehr in Aufschwung, so sind die Liu-kiu-Inseln wichtige
Stationen, namentlich für die von Sud -Osten kommenden Ameri-
kaner. Japan wird mehr und mehr sekundäre Bedeutung erlangen,
weil sich nordlich vom 31. Breitengrad der Weltverkehr an den
Grenzen Ost-Asiens nicht bewegt
Obgleich in diesen sudlichen Teilen des chinesischen Meeres die
Brutstätten der Teifune sind, Strömungen und Nebel die Schiffahrt
erschweren, so wird dieselbe doch diesen Hindernissen Trotz zu
bieten wissen. Es ist jetzt schon ausser Zweifel, dass bald eine
Telegraphenleitung die Liu-kiu-Inseln mit Japan verbinden wird
und da 88 bei Errichtung der verschiedenen Sturmwarten, welche
durch Herrn E. Knipping in Japan eingeführt werden sollen, die
dann von hier ausgehenden Sturmsignale für den ganzen See-
verkehr Ost-Asiens von weittragender Bedeutung sein werden.
Lage und Einteilung.
Die Liu-kiu-Inseln liegen zwischen dem 24° und 31° n. Br.
Dieselben nehmen nach den neuesten Berechnungen von Doderlein
einen Flächenraum von 4828,4 qkm ein und haben nach Behm
und Wagner „Bevölkerung der Erde Bd. VII, 8. 34*. 310 545 Ein-
wohner (154 374 männliche und 156 151 weibliche). Nach der
japanischen Einteilung zerfallen sie in:
1. Nordlichste Inseln.
2. Nordliche „ d. h. Oshima- Gruppe.
3. Mittlere „ d. h. Okinawa- Gruppe.
4. Sudliche „ d. h. Miyako-shima-Gruppe*
Von Japan fährt man in 2'/2 Tagen nach den Liu-kiu-
Inseln. Dampfer der Mitsu-Bishi- Gesellschaft vermitteln den
*) Narrati ve of His Majesty Ship Samarang during the years 1843—
1846. London 1848. By Edward Belcher.
**) Narrative of the Expedition of an American Squadron to the China
Seas & Japan under the Command of Commodore M. C. Parry. Vol. 1. 363.
Geographie der Liu-kiu-Inseln. 305
Verkehr zwischen Eobe viaKago-shima (im Süden von Kiu-
shiu) und Nase (Oshima) und Nawa (Okinawa).
Betrachten wir zuerst die „ nordlichsten Inseln % welche
ihrem geologischen Bau nach zu Süd-Kiushiu gehören und ausge-
prägten vulkanischen Charakter haben, mit Ausnahme von Tane-ga-
shima*) und vielleicht auch Yaku-shima, wahrend fast alle übrigen
Inseln Korallenbildungen ihre Entstehung zu verdanken scheinen.
I. Diese nordlichsten Inseln
heissen:
1. Taneko oder Tanegashima.
2. Make-shima.
3. Yaku-shima.
4. Kuchinoerabu-shima , welche zum Osumi Land (S. Riushiu)
gehören.
5. Kuro-shima.
6. Kose-shima (auf englischen Karten Use).
7. Iwo-shima.
8. Take-shima.
Nun folgen die sieben Inseln: Shichi-to, von den Engländern
Linschoten (!) genannt.
9. Kuchino-8hima.
10. Naka-shima.
11. Suwase-shima.
12. Akuiishi (Akuseki)-shima.
13. Komuro-shima.
14« Takara-shima.
15. Yokoate-shima.
16. Hebi oder Qadashima.
17. Hira-shima,
18. Kohebi-shima.
welche zu Satsuma gerechnet werden.
Es folgt nun die nordliche und mittlere Gruppe, mit der dann
die fortlaufende Inselreihe abbricht.
II. Die nordlichen Inseln**).
19. O-shima, auch Amami-Oshima genannt.
20. Kakeroma oder Katoroma-shima, noch zu Oshima gehörig.
*) Bei fast jedem Inselnamen ist shima (Insel) hinzugefügt. Bei shima
kann man auch ga hinzufügen. Die Insel führt also eigentlich den Namen
Tane = Same, Ursprung. Der Name Tanegashima wurde auch auf eine
Pistole angewandt, die man hier zuerst einführte.
**) Auch bei den Japanern mit dem „chinesisirtenu Namen: Hoku-bu-
shö-to (Hoku ss Nord, bu = Teil, shö = alle, aber nicht shö = klein,
tö = Insel).
Seitsehr. d. OeseUsch. f. Erdk. Bd. XIX. 20
806 F- G Müller-Beeck:
21. Kikai-shima.
22. Uke-shima.
23. Yodji-shima.
24. Tokuno-shima (fälschlich von den Engländern Kakirouma
genannt).
25. Okino Erabu-shima.
26. Tori-shima.
27. Yoron-shima.
III. Die mittlere Gruppe*)
bildet jetzt den Okinawa-ken nach der Verordnung vom April 1879.
28. Okinawa, von den Japanern auch Liu-kiu genannt, von
den Engländern Great Liu-kiu, die auch diese ganze
Gruppe Liu-kiu Group nennen.
a) Kleine Inseln im NNW. von Okinawa:
29. Ihiraya-shima.
SO. Yabo-shima.
81. Eaishigawa-shima.
32. Isena-shima.
33. Yanahashima.
b) Im NW.:
84. Iye und sudlich davon zwei kleine Inseln, nach der engl.
Karte 2416:
Mina-shima?
Suco-shima?
35. Awakuni-shima.
86. Kume-shima.
37. Tonaki- oder Watanaki-shima.
c) Im SW.:
88. Dsamami-shima.
39. Kuro-shima.
40. Mai-Torama- oder Mai-torashi-shima. die Kerama
41. Kerama- oder Torashi-shima. • Group
42. Aka-shima. der Engländer.
43. Koha-shima.
44. Yakahi-shima.
d) Im O.:
45. Ike-shima.
46. Miaki-8hima.
47. Hama-shima (Bama-shima).
*) Chu-bu-Bh6-to.
Geographie der Liu-kiu- Inseln. 307
48. Tsukata-shima.
49. Kudaka-shima.
50. Kumaka-shima (?).
e) Im N.:
51. Okina-shima (Kui-J. der Engländer).
52. ? (Yaga-Ji der Engländer).
Ich bespreche hier die nördliche und mittlere Gruppe zu-
sammen, weil die von Dr. Doderlein*) angestellte Berechnung
und Einteilung für die vielen kleinen Inseln nicht genau durch-
zufuhren ist. Die Japaner machen eben noch Experimente mit
ihren Kreiseinteilungen. Auch die Namen der Inseln weichen bei
mir für Nichtkenner der japanischen Sprache ab.
Ich will an einem Beispiel dem Leser zeigen, wie Namen
entstellt werden können und dass man nicht die chinesischen
Zeichen einfach übersetzen lassen kann, wie es die Engländer
grösstenteils gethan und infolge dessen lauter verwirrende Namen
hinzugefügt haben. Nur bei den grossten und wichtigsten In-
seln habe ich die englische Bezeichnung beigefügt. Also: Bei
Behm & Wagner „ Bevölkerung der Erde Bd. VII. S. 35 tt findet
sich unter Shichi-to „ Li n schoten- Inseln" die zweite Insel: Gaza
(Yebi).
Hebi bedeutet nun eine Schlange (Yebi e= Krebs), wenn aber
dieselbe als Knäuel zusammengerollt ist, so nennt man sie mit
chinesischen Zeichen gada (ga = schlafende und da für hebi =
Schlange). Aus den Zeichen kann der Chinese oder der Japaner
lesen, dass es eine zusammengerollte Schlange bedeutet, für uns
sind aber Gada und Hebi zwei verschiedene Namen. Dass der
japanische Name Hebi der gebräuchlichere ist, liegt auf der Hand.
Ich werde nun die wichtigsten Inseln der vorgenannten drei
Gruppen näher besprechen.
Tanega-shima, 239,7 qkm**) gross, ist eine niedrige von
Norden nach Süden langgestreckte Insel, auf der viel Handel und
Ackerbau getrieben wird.
Yaku-shima und Iwo-shima sind vollständig gebirgig.
Nadelholzer***) (sugi) auf Yaku, und Schwefel auf Iwo sind für
diese beiden Eilande charakteristisch. Auf den übrigen Inseln
leben die Bewohner ausschliesslich vom Fischfang. Das Meer
zwischen den beiden grossen Inseln Yaku und O-shima heisst das
Sieben-Inselmeer (Shichi-to-iyo).
*) Die Liu-kiu-Insel Amami Ostrima in den: Mitt d. deutschen Ges. für
Natur- und Völkerkunde Ostasiens 1881. 24. Heft.
**") Die Grössenzahlen entnehme ich dem Döderleinschen Aufsatz.
***j Nadelhölzer sollen auf den übrigen Inseln nur vereinzelt vorkommen.
20*
308 F. G. Müller-Beeck:
Die Strömung Kuro-shiwo, welche hier von SW. nach NO. mit
einer Geschwindigkeit von 80 — 40 engl, miles pro Tag durchfliegt,
macht die Schiffahrt schon seit den ältesten Zeiten sehr gefahrlich.
Die sieben Inseln, nach denen das Meer hier seinen Namen
trägt, sind fast alle vulkanisch und, wie schon erwähnt, als Fort-
setzung der Kiu-shiu- Vulkankette zu betrachten. Den äusserst
vorgeschobenen Vulkan finden wir auf der Tori- Insel bei der
O-shima-Gruppe*). Die nordliche sowohl wie die mittlere Insel-
reihe scheint aber den Korallenbauten ihre Entstehung zu ver-
danken. Die Japaner führen besonders an, dass Erdbeben hier
nicht vorkommen.
O-shima, 804,8 qkm, ist die Hauptinsel der nordlichen
Gruppe und soll nach Döderleins Berechnung 30 000 Einwohner
haben«).
Der Hauptort ist Nase.
„Die Gesteine, die diese Insel zusammensetzen, gehören fast
ausschliesslich der krystallinischen Gruppe an. Als überwiegendes
Material habe ich krystallinische Schiefer kennen lernen, vor allem
Granulit, bestehend aus Quarz und Hornblende und etwas Torma-
lin, wechsellagernd mit Gneiss. In einer Hohe von etwa 200 m
beginnt überall Granit (!), der die Kuppen der Berge bildet. tt
Dieser Bemerkung auf S. 8 aus Döderleins Arbeit: Die
Liu-kiu-Insel Amami O-shima, sei von mir nur ein !? hinzugefügt.
Auf der Insel sind viele Reis- und Zuckerrohrfelder, auch
Sagopalmen werden vielfach angepflanzt. Hochwälder aus immer-
grünen Eichen, Baumfarne, Cycadeen und Bananen kommen vor.
Die Fasern der Bananen namentlich liefern Material für Seile,
Netze und Kleiderstoffe. Ebenfalls ist die Indigopflanze •*•) {Poty-
gonum Tinctorium und strauchartig eine zweite Art Mercurialis
leiocarpa?) Gegenstand des Ackerbaues. Den zur Indigobereitung
notigen Kalk liefern die weissen Korallen. Die Bevölkerung ist
ausschliesslich eine ackerbautreibende. Auch diese Notizen habe
ich Döderleins fleissiger Arbeit entnommen, teils der Vervoll-
ständigung halber, namentlich aber wegen der Vergleichung mit
meiner japanischen Quelle.
*) Ich mache die Geologen ganz besonders auf diese Vulk&nreihe der
sieben Inseln aufmerksam, denn östlich von derselben scheint früher eine
Verbindung .zwischen O-shima und Tanega-shima bestanden zu haben.
**) Die Japaner geben die Einwohnerzahl zu 50 000 an. Augenschein-
lich ist diese Zählung auf ganz alte Daten zurückzuführen. Infolge der
Kriege mit Satsuma und China, auch nach Mediatisierung des Königreiche
siedelten die Einwohner nach Japan über. Die heutigen Angaben sind
noch unzuverlässig.
***) Natürlich nicht zu verwechseln mit der echten Indigopflanze: Inügo-
fera Tintforia.
.Geographie der Liu-kiu-Inseln. 309
Die Hauptprodukte sind auf O-shima „schwarzer" Zacker
(Karo-sato), der 1878 zu ca. 8 Millionen Ein ausgeführt wurde.
Davon kamen von (20)*) Kikai 2 000 000 Kin,
(23) Tokuno 4 000 000 „
(24) Okinoerabu 1 500 000 „
(26) Yoron 80 000 „
und namentlich Indigo (yama-ai = Wald -Indigo)**), der hier
in den Thälern und im Sumpf wächst. Die Farbe, welche hiermit
erzeugt wird, ist sehr fein, wenn sie gut fabriciert wird, und nicht
schlechter als Indigo. Man konnte leicht einen gleichen Export
wie den von Zucker erzielen, wenn man dieser Kultur grossere
Aufmerksamkeit schenkte. (Bericht Idji-chi's.)
Die Produkte auf den kleineren Inseln sind ausser Reis auch
Getreide (Hirse); ferner liefern:
(34) Iye-shima: schwarzen Zucker und Baumwolle.
(37) Tonaki: ) * '
;.-( tt \ Baumwolle.
(41) Eerama: j
(36) Eume: die sogenannten Eumejima- Zeuge, welche in
ganz Japan überall als Liu-kiu- Zeuge bekannt und wegen der
dunkelblauen Farbe sehr beliebt sind.
In alten Zeiten waren die jungen Leute auf Eerama und
Endaka ausschliesslich Schiffer. Sie lebten fast immer auf dem
Wasser in 3 — 4 Een langen Booten. Auch beim Sturm unter-
brachen sie ihre Fahrten nicht, und noch heute gebraucht man
diese Schiffer zur Vermittelung der Eorrespondenzen. Sie fahren
dann mit 4 bis 5 Eähnen ab, die zusammengebunden werden.
In jedem Eahn sitzt ein Briefträger, der die Sendung in Oel-
papier geschlagen auf dem Eopfe festbindet. Wenn ihr Proviant
verbraucht ist, so erzählt man, springen sie ins Meer und fischen.
Alle 8i nd tüchtige Schwimmer, so dass sie bei einem Sturm ihre
Boote umkehren und sich rittlings darauf festhalten. (Idji-chi.)
Ehe ich zur Hauptinsel Okinawa übergehe, muss ich folgende
Einteilung der mittleren Gruppe erwähnen, die Herr Idji-chi an-
führt:
Nähere Inseln, schreibt er, sind folgende 9:
(36) Eume Entfernung von Nawa 48 ri.
(41) Eerama „ „ „ 7 „
Nishikerama „ „ „ ?
(37) Tonaki „ 26 „
(35) Awakuni „ „ „ 30 „
*) Die Zahlen weisen auf vorstehende Einteilung der Inselgruppen hin.
**) Botanische Species fraglich.
310 F. O. Müller-Beeck:
(34) Iye Entfernung vom Imakini-Kreis (Okinawa) 3 ri.
(29) Ihiraya „ „ 10 „
(32) Isena „ von Jhiraya 6 „
(25) Tori » „ _ » 50 „
Die Insel (49) Kudaka gehört zum Tscbinen-Kreis 1 von
und die Insel (48) T9ukata*) zum Katsun-Kreis f Okinawa.
Man rechnet diese beiden Inseln nicht zu den näheren Inseln.
Okinawa, 1348 qkm mit 167 000 Einwohnern**) und 27 200
Häusern. (5 370 Häuser mit 59 800 Einwohnern für Adlige,
21800 „ „ 107 200 „ für das Volk.)
Die Insel hat eine Richtung von NO. nach SW. und ist 35 ri
lang. An der breitesten Stelle beträgt die Entfernung von Osten
nach Westen 10 ri und weniger als 1 ri an der schmälsten. Der
Umfang beträgt 114 ri 15 cho. Auf der Insel giebt es keine
hohen Berge. Man teilt sie nach den Richtungen (ho) ein:
Shimajiri, Nakugami, Kunchan, hinterer, mittlerer und Hauptteil.
Die Hauptstadt Shuri (Shuli) und der Hafen Nawa geboren
zum Nakugami. Drei getrennte Hügel sind zu nennen: San-nan
(südl.), San-boku (nordl.), Chiu-san (mittlerer). Der Konig der
Liu-kiu- Insulaner wohnte im mittleren Teil. Japanische Kreise
(kori) heissen dort makiri, was alt-japanisch ist. Man teilt die
Insel in 35 Kreise ein.
Zu Shimajiri gehören 15 Kreise.
„ Nakugami „ 11 „
„ Kunchan „ 9 „
Ausserhalb dieser Kreise liegen die Städte Shuri, Nawa und
die Dorfer Kume und Tomari. — In jedem Kreis ist ein Wacht-
platz (banshö) eingerichtet.
Die Entfernungen sind:
Shuri bis Kunchan-Kreis 23 ri — cho.
„ „ Okimi-Kreis 20 „ 5 „
„ „ Nakijin-Kreis 19 „ 15 „
„ „ Yontansan-Kreis 5 „ 18 „
„ „ Yonagusuku-Kreis 7 s 13 „
*) Auf der engl. Karte 2416 chinea. Taking benannt, wahrend Kodak»
(Kiokasima) wieder den japanischen Namen führt. Beide Inseln schliessen
die Mathews Bay ein! So laufen englische, chinesische und japanische Namen
bunt durcheinander. Man denke sich den fremden Kapitän der bei „Icbey*
ankert, die Barrow-Bay vor sich liegen hat und nun Erkundigungen einzu-
ziehen hat. Ich habe mich persönlich überzeugen können, wie unsicher bei
Sturm und Nebel der Schiffer seinen Weg durch die nördlichste Inselgruppe
zu suchen hat. Es rauss das hervorgehoben werden, weil jahrlich so viele
Kriegsschiffe das Kap Sato-no-misaki doublieren und dennoch die Karten so
mangelhaft sind.
**) Wahrscheinlich sehr übertrieben.
Geographie der Liu-kiu-lnseln. 3X1
Shuri bis Chiamu-Kreis 4 ri 7 cho.
„ „ Ghinen-Kreis 3 „ 9 „
Auf der ganzen Insel sind zackige Felsen und wenig Ebenen.
Bei der Hauptstadt und bei Nawa giebt es kein ebenes Land.
Die Beamten reiten daher zu Pferde oder lassen sich im Kagö
tragen, der aus Bambus gefertigt und sehr eigentümlich sein soll.
In der Gegend des Kreises Nakijin und Chikushi wird dieselbe
sambara, d. h. Bergfeld, genannt. Der Boden ist gut und eignet
sich zum Ackerbau, auch liegt diese Ebene nahe am Meere. Die
Entfernung von Shuri und Nawa ist aber bedeutend. Die Be-
wohner nennt man hier sanngen, Bergfeldleute, und blickt mit
Verachtung auf sie herab. Im grossen und ganzen besteht der
Boden aus %0 rother Porzellanerde, %0 gewöhnlicher Erde, %0
Sand. Wenn es lange nicht regnet, so wird die Erde so hart,
dass man nicht pflügen kann. Da das Klima aber feucht und
warm ist, so gedeihen die Pflanzen und sind auch die Ernten sehr
gut. Fünf Hügel giebt es, welche nach Art der Chinesen fünf
Gipfel genannt werden: Benga, Yae, Tshanka, Sona, Goama, die
aber nicht in die Wolken hineinragen. Der Hauptfluss heisst
Tengangawa (1 ri lang und % ken breit).
Die Insel ist arm an Wasser, und alle Reisfelder sind auf das
Regenwasser angewiesen. Die kleinen Bäche heissen: Kokaba,
Yasuri, Maka, Asha, Seri, Kakumo, Roki, Ado, Hanechi etc.
Der ganzen Küste sind kleine Felsen, Inseln und Riffs vor-
gelagert, so dass die Schiffe nur bei Nawa und Unten*) im imaki-
makiri ankern können.
Trotzdem der Unten-Hafen sehr klein und von Felsen ein-
geschlossen, ist er sehr tief und der beste Hafen der Insel. Der
Nawa -Hafen**) ist auf beiden Seiten von einem langen Wall
umgeben, der natürlichen Felsen aufgebaut ist. Die Länge beträgt
ungefähr 8 cho. Ausserhalb desselben liegen verdeckte Felsen.
Von Norden und Süden giebt es eine Einfahrt: Yamata-Kuchi,
japanisches Thor und Karafune-Kuchi, chinesisches Thor. Bei den
Einfahrten muss man die Flut abwarten. Die Dampfer ankern
vor dem okino-tera. Da der Hafen gegen W. offen ist, so ist bei
*) Unten-Oonting ? Ausserdem haben die Engländer Specialpläne vom
Eerama Channel and anchorages 2416,
Shah-Bay, östlich von der Yaga-Ji-Insel 2416,
Tnbooth und Suco harbor 2416.
**) Nawa, nach alter Schreibweise Napha, ist entstanden aus dem
japanischen Namen nabe von Naba-uni, die bijbehoorende bogt, die „dazu-
gehörige Bucht" vid. Bijd ragen tot de Taal Land- en Volkenkunde van Neder-
landsch Indie, derde volgreeks, lc dl. 3 stuk. Blikken in de Geschiedenis
en staatkundeje betrekkingen van het Eiland Groot Lioe-kioe, naar chinesche
en japansche bronnen, door J. Hoffmann.
312 F. ö. Müller-Beeck:
einem Sturm aus dieser Riebtang für die Schiffe Gefahr, denn die
Brandung ist sehr gross. Die Umgebung des Hafens bis 2 ri
Entfernung hat grosse Untiefen. Von den kleinen Inseln im Hafen,
Minonokusugo genannt, nach Norden ist es flach, wenn es Ebbe
ist. Nur in der Mitte bleibt Fahrwasser. Bei Flot können nur
Schiffe von unter 200 — 300 koku Gehalt einfahren. Am Eingang
in den Hafen steht ein Gebäude, Koonte, ein Empfangsort far
Gesandte. Hier hat man die Sats um a- Beamten empfangen. Die
kleinen Inseln im Hafen sind nur für Lagergebäude (godowns)
eingerichtet, welche in alten Zeiten die Waaren von Java und
Maläka aufnahmen. Onno-yama ist auch eine Insel im Hafen,
auf ihr steht ein kleiner Tempel, Riodochi genannt. Von den mit
alten Kiefern (matsu) bedeckten Inseln hat man eine schone Aus-
sicht. Die südlichen Ufer werden Oshinta genannt. Ans den
Felsen fliesst ein klarer Bach. Die Bewohner von Nawa ge-
brauchen dieses Wasser, denn die übrigen Quellen sind nicht
trinkbar. Weil es aber viel Muhe und Zeit kostet, das Wasser
jeden Tag so weit herzuholen, stellt man grosse Gefasse, obin,
auf, um das Regenwasser aufzufangen. Das Kencho ist vorläufig
in Nishi-mura bei Nawa und nimmt 980 Tsubos ein. Das Tensfai-
kan, das Gesandten-Hotel, liegt in Higashi-mura , wo früher die
Gesandten blieben.
Eume-mura heisst das Centrum von Nawa, das zur Zeit der
Ming-Dynastie von chinesischen Familien eingenommen wurde, die
auch heute noch getrennt von den übrigen Einwohnern leben.
Die Hauptstadt Shuri liegt 50 chö von Nawa entfernt und
war seit alten Zeiten Sitz der Eonige. Stadt und Schloss liegen
am Berge. Letzteres nimmt den höchsten Punkt ein und ist von
den Wohnungen der Prinzen und Adligen umgeben. Hier sind
viele Quellen und gutes Trinkwasser. Vor dem Thore (sui-aen-
mon) giebt es einen Springbrunnen, von dem der Eonig sein
Trinkwasser holen Hess. Die Stadt ist nicht so schmutzig wie
Nawa. Die Eanäle enthalten aber stets schmutziges Wasser, auch
baden die Einwohner wenig. Der Mittelpunkt der Insel Hegt
genau unter 26° 30' n. Br. Das Elima ist namentlich im Sommer
sehr heiss, das Thermometer steigt bis 36° Celsius. In den Winter-
monaten sinkt das Thermometer nicht unter 13° oder 15° C. Wegen
des Seewindes kann man aber die Hitze ertragen. Da die Nacht-
luft sehr ungesund ist, so muss man abends die Häuser achliessen.
Im 7. und 8. Monat, d. h. im Juli und August, kann es vorkommen)
dass es hagelt. Schnee und Eis sind aber unbekannt. Im Januar
blühen Kirsch- und Pflaumenbäume und säet man Reis. Die
Hauptinsel ist stark bevölkert. Bei Nawa an der Küste, wo die
Kommunikation gut ist, kostet 1 Tsubo (6 D Puss) Land über lOyen
Geographie der Liu-kin-Injeln. 323
oder 40 #. Der Bauboden von Shuri, Nawa, Kumemura, Tomari-
mnra ist steuerfrei. Die Bauern haben in jedem Kreise auch bis
zum Grundbesitz von 80 Tsubo keine Steuern zu zahlen.
Es folgt auf die mittlere Inselgruppe, getrennt durch eine
freie Meeresstrecke von ca. 1%° Lange:
IV. Die sudlichen Inseln.
1. Miyako-shima (engl. Typinsan)
2. Ikema
3. ?
4. ?
5. Erabu
6. Shimochi
*
7. ?
8. ?
9. Mid8una-shima oder Suinoshima
10. Tarama-sKima
11. Ishigaki (engl. Karte 2414 Pat-chung-san),
12. Iriomotte mit 10 kleinen Inselchen:
1. Hatoma, 6. Ohama (Kohama),
2. Kuroshima, 7. \
3. Kamihanari, 8. 1 ?
4. Shimohanari, 9. |
5. Kanaki, 10
13. Hashokan oder Hateruma,
14. Tatchigami,
15. Yonakuni.
Diese sudlichen Inseln nennen die Englander die Meiacosima Oroup.
Die Inseln Ishigaki und Iriomotte nennen die Japaner Yae-
yama-shima. Die Miyako- Inseln haben 11 ri Umfang und sind
90 ri von Nawa (Okinawa) entfernt. Es ist die ostlichste Gruppe
dieser „ sudlichen tt Inseln.
Miyako-shima, 148,8 qkm, die Hauptinsel ist eine dicht
bevölkerte Insel mit wenig Bäumen, so dass die Einwohner Mangel
an Holz haben. An den Küsten giebt es keinen Ankerplatz für
Schiffe. Grossere Fahrzeuge müssen gutes Wetter abwarten und
weit von der Küste dieser Inseln ankern. Die Landung geschieht
vermittelst kleiner Boote.
Die Produkte sind Korn und Kleiderstoffe, die auch in Japan
guten Absatz finden (namentlich Taihefa, Yodjiu und Gefu, Bashofu
und Momenjima [baumwollene Zeuge], Konji und Saijofu.) Nord-
lich von Miyako giebt es ein Riff, welches Yaebi (engl. Provi-
dence reef) genannt wird. Die Insel hat von Osten nach Westen
5 ri, von Süden nach Norden 1 ri 20 cho Ausdehnung.
314 F. G. Müller-Beeck:
Yae-yama-shima (10 and 11) haben zusammen einen Um-
fang von 16 ri 16 cho und liegen ca. 140 ri von Nawa entfernt,
es sind dicht bewaldete, aber dünn bevölkerte Inseln (Ishigaki
246,5 qkm und Iriomotte 309,9 qkm).
Das Klima ist veränderlich, grosse Temperaturdifferenzen und
Fieber sind bier allgemein. Die Produkte sind kaum der Rede
wert. Im S. von Ishigaki können Dampfschiffe ankern*). Im
W. von Iriomotte giebt es einen Hafen, wo grosse Schiffe bleiben
können: Uchi-hanare **) , hier soll eine Steinkohlengrube entdeckt
worden sein (?).
Yonakuni, 37,4 qkm, liegt 48 ri von Iriomotte entfernt
und bildet das sudwestliche Ende des alten japanischen Inselreiches.
Von Taiwan oder Formosa ist die Entfernung 20 ri.
Die namhaftesten Produkte dieser Inseln sind: Holzarten
(kurogaki, shittan, kua), Pfeffer, Meerpferde, Schildkrötenschalen,
Muscheln, Seeigel, ferner als beliebte Zierpflanzen: Iriomotteran ***),
Hosairan. Oetreide ist auf allen Inseln gut. Awa f). Die Zeuge
gleichen denen der Miyakoshima-Inseln. Saijiofu sind ausschliess-
lich weiss. Baumwollene Zeuge werden auf der Miyakoshima-
Gruppe besser gemacht. 1 Tan kostet auf der Yae-yama-Gruppe
über 5 yen. Auf der Hauptinsel macht man nur dunkelblaue
Stoffe, auf den übrigen Inseln der Okinawa-Gruppe entweder nur
weisse oder nur blaue Stoffe. Auf Yae-shima z. B. nur weisse.
Auf den südlichen Inseln macht diese Art Zeugfabrikation die
Hauptindustrie aus.
Ausfuhr über Okinawa von allen Inseln.
Die Reisernte beträgt 32 — 33 000 Koku
Weizen und Gerste 5 000 „
Hirse 5—6000 „
Bohnen d. h. mami, daidsu 2 500 „
Sesamum orientalis 1 400 „
*) Broughton Bay?
**) Engl. Seymour Bay?
***) Von den Japanern sehr geschätzte Orchidee: Niumen ran genannt
und mit 30 }f zu bezahlen. In der ziemlich vollständigen Orchideen-
sammlung des Herrn G. K. Dinsdale Yokohama befindet sich diese hübsche
Orchidee, sowie auch Hakushikoran. Die Japaner nennen übrigens einige
Liliaceen fälschlich ran und ist diesem Namen immer ein Zweifel entgegen-
zubringen. Die japanischen Orchideen zeichnen sich durch einen ausser-
ordentlich feinen aromatischen Geruch und durch die Zierlichkeit der Blüten
aus. In gewissen Kreisen existiert eine Jagd auf seltene ran, zu denen auch
die der Liu-kiu-Inseln gehören.
f) Mais ist nicht vor 1543 in Japan eingeführt. Es wäre interessant
den Liu-kiu-Namen für Mais zu erfahren. Jap. heisst Mais-to-morokoshi.
Geographie der Liu-kiu-Inseln. 315
Zucker 50 000 Kin
Süsse Kartoffeln 130 000 000 „
ükon (Farbe?) 32—33 000 „
Esssalz 16 000 Koka.
Ferner werden ausgeführt: schwarzer Zucker, baumwollene
und dunkelblaue Stoffe, als Hauptartikel, Lacksachen, Porzellan,
Matten fgoza), Awamori (Schnaps)*), gesalzenes Schweinefleisch
(Shiö-wo-buta). Meeresprodukte wie Meerigel (eine Diadema-Art),
Aale, Meergras.
Die Einfuhren dagegen sind:
Reis, weisse Bohnen, sake, Öl, Thee, Wachs, Lichte, getrock-
nete Fische**), Tabak, Papier, Hoshinori (Seegras?), Kofu, Macca-
roni, Baumwolle, Flachs, Haspeln, jag. Pomade, Pinsel, Tusche,
Kupfer, Eisen, Zink, Kessel***), Holzbretter,
In alten Zeiten geschah die Tributzahlung in Rotholz. Im
japanischen Werke Enkishiki steht geschrieben, dass die Sud-
provinzen als Tribut Rotholz zahlen, über dessen Quantum volle
Willkur herrschte. Dieses Rotholz ist eine Art shittan und wächst
noch heute auf den Inseln. Von der Kechio-Periode an fingen
die Insulaner an, die chinesischen Waaren und ihre Produkte als
Tribut nach Japan zu senden. Vom Kanye- Jahre an bestand aber
die Tributzahlung nur aus Reis. In Nawa wurde ein Institut
eingerichtet, um den Tributreis abzuliefern, deren Hohe inclusive
der Transportkosten 10 000 Koku betrug. Im 5. Jahre Meiji
(1872), also nach der direkten Einverleibung mit Japan, ist der
Reiskurs nach der Osaka- Börse geregelt und die Hohe von
8200 Koku Reis stipuliert worden.
Die Ein- und Ausfuhr aller Inseln zusammengenommen halten
sich das Oleichgewicht.
1 ri = 36 cho = 2160 ken = 12,960 shaku = 3927,27 m.
1 koku= 180,39071.
1 kin = 601 g.
1 ken = 6 japanische Fuss.
1 Tan ein Stück Zeug 28 Fuss lang.
*) Awamori gilt auch als Specialitiit von Kiushiu und ist dasselbe wie
Shüchiu.
**) Das Fleisch der bonito, getrocknet und geräuchert, in Japan Katsuo-
busbi genannt
***) Reiskessel (Käme) und andere Kessel (nahe).
316 W. Kellner.
XV.
Die italienische Bevölkerung im deutschen Südtirol.
Nach amtlichen Quellen bearbeite! von W. Kellner.
Sudtirol, jenes reizende Alpenland, welches sich von der
Passhohe des Brenner bis zur Berner Klause, der Chiosa di
Verona, nnd dem Lago di Garda, von der Reschen- Scheideck auf
der Malserhaide, bis zu den Ampezzaner Dolomiten im Osten
erstreckt, zerfallt in das deutsche und wälsche Sudtirol oder das
Trentino.
Die Grenzen des deutschen Teiles von Sudtirol fallen im
wesentlichen zusammen mit jenen des Amtsbezirks der Botener
Handelskammer und umfassen das Eisack- und deutsche Etsch-
tbalgebiet, das Pusterthal mit seinen Nebenthälern und den ita-
lienischen Bezirk Ampezzo mit Buchenstein im Val Livinalonga.
Das deutsche Sprachgebiet Sudtirols reicht sonach vom Eisack-
Ursprung am Brenner bis zur Thalenge bei Salurn an der Snd-
bahn, vom Südabhange der ötzthaleralpen bis zum linken Ufer
der Noce, und von dem Reschensee, welchen die Etsch anfern
ihres Ursprunges durchmesst, bis Nikolsdorf, der letzten tirolischen
Ortschaft im Drauthale. Die deutsch-italienische Sprachgrenze
durchschneidet unterhalb Salurn das Etschthal und folgt dann der
Wasserscheide zwischen Etsch, Eisack, Rienz und Drau einer-
seits und jener des Avisio, Cordevole, der Boita und Piave
andererseits.
Wenn man die Bezirke Ampezzo und Buchenstein ausschliesst,
so verbleibt für das deutsche sudtiroler Gebiet eine Einwohner-
zahl von 227 565 Seelen. Hiervon entfallen auf die italienische
Bevölkerung 7141. Dies ergiebt einen Prozentsatz von 3,14.
Die neuzeitlich verbreitete Ansicht, dass die italienische Nationalitat
im deutschen Sudtirol mehr an Ausdehnung gewinne als in den
andern angrenzenden Gebieten der Alpenkette, erweist sich sonach
als unhaltbar.
Die hier in Betracht kommende italienische Bevölkerung von
7141 Seelen ist über das ganze Land wie folgt verstreut. Es
entfallen :
1. auf die Stadt Bozen mit 10641 Einwohnern 1141 Italiener:
2. auf den Landbezirk Bozen 22728 Bewohner, unter denen
1339 Italiener;
3. auf den Gerichtsbezirk Kaltem 13889 Bewohner, unter
denen 652 Italiener;
Die italienische Bevölkerung im deutschen Südtirol. 317
4. auf den Bezirk Klausen mit 9509 Bewohnern, 97 Italiener;
5. auf den Bezirk Neumarkt mit 8151 Bewohnern, 1583
Italiener ;
6. auf den Bezirk Sarnthal mit 3815 Bewohnern, 12 Italiener;
7. auf den Bezirk Eastelouth mit 7720 Bewohnern, 72 Italiener.
Der Bezirk Meran mit den Gerichtsbezirken Meran, Lana,
Passeier, Glurns und Schlanders zählt 58 209 Bewohner, worunter
1445 Italiener.
Der Bezirk Brixen mit den Gerichtßbezirken Brisen und
Sterzing ergiebt unter 26 547 Bewohnern 300 Italiener. Der Be-
zirk Bruneck (Pusterthal) mit Bruneck, Enneberg, Welsberg und
Taufers enthält unter 35 509 Bewohnern 893 Italiener. Der Be-
zirk Lienz an der Drau hat unter seinen 30614 Bewohnern nur
201 Italiener.
Am zahlreichsten yertreten findet sich die italienische Be-
völkerung in den Ortschaften und Bezirken südlich von Meran
and Bozen. In den Bozener Dörfern Leifers, Terlan und Zwölf-
roalgreien mit zusammen 7293 Bewohnern, haben sich gegen 1059
Italiener angesiedelt. Das Dorf Pfatten im Bezirke Kaltem ist
bewohnt von nur 69 Deutschen und zählt dagegen 368 Einwohner
der italienischen Nationalität. Ferner enthalten unter den deut-
schen Ortschaften des Neumarkter Gerichtbezirkes die meisten
Italiener:
Auer 922 Deutsche, 127 Italiener
Branzoll 604 „ 418 „
Laag 110 „ 99 „
Neumarkt 1329 „ 213 „
Salurn 1810 „ 680 „
Auffallend erscheint das vorwiegend italienische Element in
den beiden Dörfern Burgstall und Gorgazon an der Meran-Bozener
Strasse, ganz nahe bei dem blühenden, deutschen Kurort Meran.
Bargstall hat 215 deutsche und 370 italienische Bewohner und
Gargazon zählt unter seinen 574 Bauern allein 301 Italiener.
Die gegen die nördlichen Gebirge aufsteigenden Gemeinden, sowie
jene des Pusterthals und an den hohen Tauern, ferner die Ort-
schaften der Maiser Haide, an der alten Kaiserstrasse, Meran —
Mals — Naoders — Finstermünz — Landeck, weisen sehr wenig, die
meisten gar keine italienischen Bewohner auf.
Auch von den 20 Ortschaften des Brixen er Gerichtssprengeis
enthalten nur drei, nämlich Avers, Brixen und Mühlbach einige
wenige Italiener.
Die Bezirke Ampezzo und Buchenstein, sind als rein italie-
nische anzusehen. Ihre Lage, die Handelsbeziehungen und der
ganze Verkehr sind vorwiegend auf Italien angewiesen, und die
318 W. Kellner:
Sprache dieses Landes ist daher im Gebiete der Dolomiten vor-
herrschend. Wir finden dementsprechend in den Gemeinden
Cortina di Ampezzo 62 Deutsche und 3559 Italiener;
Bnchenstein 29 „ „ 2967 „
Golle di St. Lncia 3 „ „ 894 „
Bei der Brennerbahnstation Waidbrack, zwischen Brixen and
Bozen, zweigt das enge 6 Standen lange Grödener Thal ab. Die
Bewohner der drei dortigen Thalgemeinden St. Ulrich, St. Christina
nnd Wolkenstein, ferner die Bewohner des von Brunecken gen
Süden ziehenden Enneberger Thaies, gehören dem rhetoromanischen
Sprachstamme an. Dort herrscht das lad in i sehe Idiom fast
ausschliesslich. Es wohnen:
in St. Ghristina 6 Deutsche 11 Italiener 775 Ladiner,
„ St. Ulrich 86 „ 13 „ 1090 „
„ Wolkenstein 12 „ 10 .„ 894 „
„ Kastelruth 2586 „ 23 „ 599 „
Dann in den Gemeinden des Enneberger Thaies, nämlich
in Abtei oder St. Leonhard, romanisch Badia genannt
7 Deutsche 12 Italiener 1512 Ladiner,
Campill 1
Kolfuschg(Colfosco) 1
Corvara
n
5
3
1
55
399
200
182
Enneberg
St. Martin
58
2
12
11
55
55
1239
676
Welschellen
3
55
463
Wengen
1
55
19
55
793
Hierzu kommen noch die über fast sämtliche Ortschaften der
angrenzenden Gerichtsbezirke B runeck, Taufers und Welsberg ver-
streuten Ladiner, deren Anzahl 360 beträgt. Die gesamte ladinische
Bevölkerung im deutschen Südtirol beziffert sich sonach auf 9182
Seelen.
Der Südtiroler des italienischen Sprachstammes ist in der
Regel von mittlerer Grosse, schwarzen Haaren, dunklen Augen
und gebräunter Haut. Am linken Ufer der Etsch, im Val Sugana,
findet sich, abweichend hiervon, auch der deutsche Typus: blane
Augen, schone lichtblonde Haare und hellere Gesichtsfarbe sind
dort vorherrschend. Die Bewohner der Landschaften um den
Adamello (in Nons- und Sulzberg, sowie in Judicarien) sind in
ihrem ganzen Wesen anders, als die deutschen Tiroler. Der
biedere derbe Sinn, die selbstbewusste Haltung des deutsch-tiroler
Bauern, seine Verachtung gegen alles herrische Wesen, sind dem
Wälschtiroler fremd. Der wälsch tiroler Bauer steht gedrückter
dem Herrn gegenüber; er ist fast überall, mit Ausnahme der
Valsuganer, überaus abhängig vom Kapital des Signore.
Die italienische Bevölkerung im deutschen Südtirol. 319
Ausser der sesshaften italienischen Bevölkerung des deutschen
Südtirols finden wir in den an Wälschtirol grenzenden Distrikten
des deutschen Etschthalgebietes, sowie im Pusterthale eine Anzahl
nomadisirender Italiener, welche aus dem Nons- und Fleimsthale,
aus Primiero und aus den königlichen Provinzen Friaul und
Belluno herüber kommen, um im deutsch-tiroler Gebiete zu —
betteln. Die starke Volksvermehrung in jenen Gegenden, die
Atzte Abnahme der Erwerbsquellen notigen die erwerbslosen
Familien, die heimatliche Scholle zu verlassen. Während der
Mann in der Fremde vorübergehende Arbeit findet, lebt das Weib
mit den Kindern inzwischen von den Almosen der deutschen Grenz-
nachbarn. Die betreffenden Spenden werden ihnen meist willig
verabreicht, denn die abgemagerten Gesichter jener blutarmen,
herunter gekommenen Leute fordern das Mitleid in ganz beson-
ders hohem Grade heraus. Die Bittenden erweisen sich meistens
äusserst bescheiden und dankbar.
XVI.
Zur Bestimmung der geographischen Länge auf Reisen.
Ein Beitrag von Eugen Gelcich, E. E. Professor.
Obwohl die heutigen wissenschaftlichen Expeditionen mit In-
strumenten aller Art versehen werden, so hat die Bestimmung der
Länge ans Monddistanzen doch noch nicht ihren Wert so ganz
verloren. Die Seefahrer sind zwar grosse Gegner der Mond-
distanzen und zwar aus verschiedenen sehr gerechtfertigten Gründen.
Erstens ist die Ausfuhrung der Beobachtung, speziell bei bewegter
See ungemein schwierig. „Die Beobachtung ist bei verschiedenen
Lagen des Korpers und des Sextanten vorzunehmen, der Be-
obachter muss alle Feinheiten des Baues des nicht so ganz ein-
fachen Instrumentes zu benutzen wissen, er muss Kenntnis ge-
wisser Wahrheiten der Optik mit mechanischer Gewandtheit und
scharfem Blick verbinden, endlich giebt es keine andere Beobach-
tung auf See, bei welcher Fehler auf so empfindliche Weise be-
straft werden"*). Dann ist die auszuführende Rechnung ziemlich
lang und die Fehler der Beobachtung gehen verdreissigfacht in das
Resultat aber. Was nun die Lange der Rechnung anbelangt, so
*) v. Freeden, Handbuch der Nautik. Oldenburg 1864. S. 359.
320 Eugen Gelcich:
wäre es sehr wünschenswert, einer bezuglichen Arbeit des Dr. G.
D. E. Weyer in Kiel*) die grösstmöglichste Verbreitung zu ver-
schaffen. Eine erweiterte Tabelle für die Ausführung der Rechnung
nach der von Dr. Weyer empfohlenen Methode findet man in
mehreren Handbüchern der Navigation **). Um die Beobachtung-
fehler möglichst zu eliminieren, geben verschiedene Fachmänner
allerlei Vorschriften an, deren Beachtung sie dem Seemann wie
auch dem Landreisenden nie genug ans Herz legen und welche
allerdings ihre Früchte tragen müssten***). Die am schwierigsten
zu überwindende Kluft bleibt aber immer eben die praktische
Ausführung der Beobachtung.
Diese verschiedenen Umstände erregen und erregten schon
seit langem ein derartiges Misstrauen gegen die aus Monddistanzen
erhaltenen Längen, dass z. B. Krusenstern die Länge eines
Punktes bei Nangasaki aus 1028 Distanzen4 ermittelte. Admiral
Smyth befürwortet wieder die Treue seiner im Mittelländischen
Meere ausgeführten Positionsbestimmungen, indem er versichert,
niemals eine Monddistanz beobachtet zu haben. Die Franzosen
gehen aber noch weiter, indem sie über die Monddistanzen schon
gänzlich den Stab brechen und diese Methoden zur „Ancienoe
Navigation tf rechnen. Herr Villarceauf) äussert sich hierüber
wie folgt: „Premiere Partie: Ancienne Navigation. Elle se fonde
particulierement sur la determination de latitudes par les haotenrs
meridiennes des astres, et sur celle des longitudes obtenues en
comparant l'heure locale que fournissent les angles horaires, avec
l'heure du premier meridien que Ton deduit de 1' Observation des
distances lunaires. Ne pouvant compter sur l'exacte conservation
de l'heure du premier meridien par les montres marines, on n'utilise
leurs indications que dans les intervalles qui separent les Obser-
vation des distances lunaires. Ici les distances lunaires jouent,
par rapport aux chronometres, une role analogue ä celui des la-
titudes pour corriger les indications de l'estime; en sort que
l'emploi des chronometres constitue un autre genre d'estime."
Ganz trefflich hat Weyer dazu bemerkt ff), dass doch auch das
gute Alte, nach wirklichem Bedürfnis, neben dem Neuen, im Ge-
brauch erhalten werden konnte. Denn die sogenannte neuere
•) An
**) D«
t)H.
tt)Ani
Annalen der Hydrogr. Aprilheft 1881. S. 177.
David Thomson, Lunar and horary Tables ... 45 edition; London,
Alten & Co. 1853. G. E. & J. C. Taxen, Naut.-astron. und log. Tafeln.
Kopenhagen, Bianco Luno 1858. Nautische Tafeln der K. K. Krieg8marineT
Hydrograph. Amt. Pola 1882.
***) Die genauesten solcher Vorschriften sind von Freeden a. a. 0.
S. 360—362 gegeben.
vonVillarceau, Navigation astron. Theorie. Paris 1877. S. 5.
Annalen der Hydr. a. a. O. S. 189.
Zur Bestimmung der geographischen Länge auf Reisen. 321
Navigation stützt sich auf die Voraussetzung, dass man drei
Chronometer besitzt und dass die Änderung des Ganges ein be-
kannter Faktor ist. Wir mochten aber durchaus nicht behaupten,
dass man selbst bei drei Chronometern immer auf die aus ihnen
erhaltenen Zeit des ersten Meridians mit Sicherheit bauen kann,
womit wir aber auch andererseits die Unsicherheit dieser Instrumente
nicht überschätzen wollen. Hier sind die Ansichten überhaupt sehr
geteilt, indem z. B. Fitzroy zu der Expedition der „ Adventure„ und
„Beagle" bemerkt, dass er bei häufigem Gebrauche von Chronometern
in Booten und in kleinen Fahrzeugen in der Überzeugung bestärkt
wurde, dass die Temperatur die Haupt-, wenn nicht zu sagen, die
einzige Ursache bemerklicher Gangveränderungen ist. Der Ein-
flnss der Temperatur wäre aber gerade am leichtesten zu berück-
sichtigen. Nun äussert sich aber ein Werk*), welches diesen
Gegenstand sehr objektiv und bei kaltem Blute behandelt, auf eine
minder günstige Art, indem es da heisst, „dass es immer ungewiss
ist — und um so mehr je länger der Zeitraum — , in welcher
Weise sich die Acceleration ändert; eine Bestimmung der Accele-
ration im Voraus erscheint gewagt und muss dem Beobachter
selbst aus der täglichen Chronometervergleichung zu ermitteln
überlassen werden. Auch die Temperaturkoeffizienten sind keines-
wegs nnfehlbar etc.* In ähnlichem Sinne äussert sich auch der
Direktor der Hamburger Sternwarte, Herr Rum k er, welcher
seit einigen Jahren der Chronometrie eine besondere Fürsorge
widmet**).
Selbst zugegeben, dass alles auf das Beste klappen würde,
so darf man doch die äussersten Fälle nicht unberücksichtigt lassen,
welche vielleicht selten vorkommen, aber doch noch nicht unmöglich
sind. In der Navigation kann ein solcher Fall z. B. eintreten,
wenn binnen wenigen Tagen eine gewaltige Temperaturveränderung
stattfindet. In einem solchen Falle ist man selbst gegen drei Chrono-
meter und gegen die besten Uhren, trotz Wärme- und Accelerations-
koeffizienten sehr misstrauiscb. — Ähnliche Fälle hat Referent bei
einer raschen Fahrt von Triest nach Aden (via Suez im Monat
Juli) erlebt, wo eben alle drei Chronometer des österreichischen
Kriegsschiffes Fasana im Roten Meer einen bedeutenden Sprung
gemacht hatten. Als wenige Monate nachher das Schiff Hong-
Kong verlassen hatte und mit Kurs Nord, 10 — 12 Meilen per
Stunde zurücklegend, in 6 Tagen von der Temperatur + 22° C.
*) Handbuch der Navigation. Hydrogr. Amt 2. Aufl. Berlin 1881.
S. 200.
**) Aus dem Archiv der deutschen Seewarte. Nr. 4. S. 24. Hamburg
1878. Siehe auch Schluss der Chronom. Studien von Eug. Gel eich. Mit-
teilungen ans dem Geb. des Seewesens. 1882. S. 9.
Zeitsehr. d. GcMllsoh. f. Erdk. Bd. XIX. 21
322 Eugen Gelcich:
zu jener von — 8° übergegangen war, hielten sich die vorhandenen
Seeuhren nicht viel hesser. — Man geht in solchen Fallen mit
der taglichen Positionsrechnung sehr vorsichtig zu Werke; so lange
aber die Chronometer gehen, rechnet man lieber keine Mond-
distanz, und thut man es, so gilt die Rechnung nur als eine unver-
lässliche Kontrolle des Chronometers. Beim Anlaufen des Landes
hält man dann scharfe Wache, jedenfalls nähert man sich der
Küste nur bei Tage und eventuell unter steter Handhabung
des Lotes. Kommen andere Schiffe, welche einen nahen Hafen
gerade verlassen haben, in Sicht, so ist dies eine gunstige Gelegen-
heit um, Dank dem internationalen Signalcodex, einen wahrschein-
lieh besseren Punkt*) zu erhalten, als es der eigene ist. Insofern
als es sich also um die alleinigen Bedürfnisse der Schiffahrt handelt,
kann man sich zumeist auch ohne die Monddistanzen helfen, wenn
auch mitunter die Berechnung einiger Längen nach dieser Methode
vorteilhaft auf die Kürzung der Reise wirken würde. Die prak-
tische Navigation als solche hat uns aber nicht zur Verfassung
der vorliegenden Zeilen veranlasst. Wir haben einen anderen
Zweck vor Augen, nämlich die gelegentliche genaue Bestimmung
einzelner Positionen, sei es auf Land- oder auf Seereisen und zwar
in erster Linie im Interesse der Erdkunde, in zweiter Linie im
Interesse der daraus auf allen möglichen Gebieten zu ziehenden
Vorteile. Dabei stellen wir immer die Navigation in die vordere
Reihe. Denn auf Landreisen wird man ein transportables Durch-
gangsinstrument immer mitführen und benutzen können, auch kann
man sich leicht mit ausgezeichneten Fernrohren bewaffnen, um
Sternbedeckungen oder Verfinsterungen der Jupitertrabanten zu be-
obachten. Sollte sich aber auch auf Landreisen der Fall ereignen,
dass man nur Reflexionsinstrumente und Chronometer besitzt, so
wäre auf gleiche Art wie auf einem Schiffe, nach der in der Folge
zu besprechenden Art, vorzugehen. Und wenn wir sagen, dass
wir die Navigation in die vordere Reihe stellen, so thun wir es,
weil man auf Schiffen selbst die Beobachtung von Sternbedeckungen
und Trabantenfinsternissen nicht so leicht ausführen kann. Immer-
hin wäre es sehr wünschenswert, dass Kriegsschiffe mit lichtstarken
achromatischen Fernrohren versehen werden, mit einer Fokallänge
von nicht weniger als einem Meter und mit einer genügend grossen
freien Öffnung, um solche Beobachtungen möglichst genau ausfuhren
zu können**).
Der Grund, der uns veranlasst, der Längenbestimmung zur
See ein besonderes Augenmerk zu schenken, sind die vielen Frage-
*) In der Seemannssprache bedeutet Punkt die Schiffsposition, weil
diese eben als Punkt in der Seekarte verzeichnet wird.
**) Sa witsch , Prakt. Astronomie. Deutsch von Peters. Leipzig IST?.
Zur Bestimmung der geographischen Länge auf Reisen. 323
zeichen und zweifelhaften Stellen, welche die Seekarten aller
Meere noch enthalten. Es ist schrecken erregend, wenn man eine
Karte der China -See, des Molakkenmeeres und überhaupt jener
Meeresgegenden, welche um Australien verteilt sind, in die Hände
nimmt und stellenweise fast mehr Fragezeichen als Sonden angegeben
findet. Wer ist nun berufen auf diesem Gebiete mehr Licht zu
schaffen und wem kommt es zu, die Karten zu berichtigen? Offen*
bar den Seefahrern und vorzuglich den Kriegsschiffen aller Nationen.
Es handelt sieb hier um einen Dienst, welcher der Menschheit
und der Wissenschaft zu leisten wäre, um einen Dienst, der un-
mittelbar letztere fordern wurde und sofort seine guten Folgen
hätte, indem eine gute und richtige Seekarte einen Hauptfaktor
für eine sichere Navigation liefert.
Wie sehr die Erdkunde in dieser Beziehung auf die Mithilfe
der Seefahrer rechnet, geht auch aus dem Umstände hervor, dass
man in neuerer Zeit den Navigationsbüchern noch Anhänge über
gelegentliche. Küstenvermessungen beizugeben pflegt*); gerade
vor kurzem hat sich auch Dr. Weyer**) mit der Aufnahme einer
Kaste im Vorbeifahren, unabhängig von der Strömung und Fahrt-
messung, näher beschäftigt. Zu einer solchen Aufnahme wäre nun
die genaue Kenntnis der astronomischen Position mindestens eines
Punktes notig, und hat man nur Reflexionsinstrumente und Uhren
zur Verfügung, so ist man bezüglich der Länge rein nur auf die
genaue Kenntnis des Uhrganges und des Standes gegen die Zeit
des ersten Meridianes angewiesen. Wie nützlich wären da die
Monddistanzen, wenn man auf ihre Verlässlichkeit bauen konnte.
Da es sich in einem solchen Falle nicht um die rasche Ermittelung
der Schiffsposition handelt, so braucht man die lange Rechnung
nicht zu scheuen, es genügt nur ein reiches und sorgfältig aus-
geführtes, mit anderen Worten ein verlässliches Beobachtungs-
material zu sammeln, welches dann auch daheim mit Ruhe und
mit Masse ausgearbeitet werden kann. Ungeachtet der vielen
Vorsichtsmassregeln, welche bei solchen Distanzbeobachtungen auf
das gewissenhafteste zu treffen wären***), wird es schwer sein,
konstante Fehler zu vermeiden, weshalb man die Beobachtungen
so einrichten muss, dass die Fehler sich grösstenteils gegenseitig
aufheben. Dies erreicht man durch die Beobachtung der Distanzen
des Mondes von Sternen, welche sich ostlich und westlich in bei-
*) Dubois, Traite* de Navigation et d'Hydrographie. Paris, D. J.
Brouwer Zeewart- Kunde. Band 2. 1866. 2. Ausg. durch Simon van der
AA, Nieuwediep 1882. — Handbuch der nant. Instrumente 1882. Anhang.
**) Annal. der Hydr. und Urarct. Meteorologie. Septemb. 1882. S. 534.
***) Vgl. Freeden a. a. O. S. 359—362. — Sawitsch a. a. O. S. 810
U. B. W-
21*
824 Eugen Gelcicb:
nahe gleicher Entfernung vom Monde befinden and welche ihre
Distanzen am schnellsten Andern. Sind Jo und Jm zwei Distanzen,
die erste ostlich, die zweite westlich , -\- <p ihr konstanter Fehler,
so bezeichnet man mit Ao und At& die Distanzen des Jahrbaches,
welche der nächstkleineren Zeit T entsprechen. Da nun die Be-
wegung des Mondes eine ostliche ist, so nähert er sich immer
mehr den ostlichen Gestirnen und entfernt sich von den westlicheren.
Es wird deshalb sein: Jo < AoundJw > Am. Bezeichnet man
nun die Änderung der Distanzen in drei Stunden mit Do und Da,
so hat man als Ausdruck der Beobachtungszeit, wenn man die
Zwischenzeit mit & nennt:
' Do
1 Dm
Bildet man das Mittel der beiden Gleichungen, so erhält man:
Kombiniert man die Beobachtung derart, dass Dm = Do wird, so
verschwindet der zweite Teil der rechten Seite der Gleichung und
der Einfiuss von <p wird Null*). Sawitsch**) hält viel auf die
Beobachtung von Distanzen des Mondes von der Sonne, weil sie
weit genauer und bequemer zu messen sind. Nimmt man nun om
die Zeit der Quadraturen gleiche und entgegengesetzte Monddistanseo
westlich und ostlich von der Sonne, zo wird die aus ihnen her-
geleitete und gemittelte Länge nicht nur von den Instrumenten-
fehlern fast ganz unabhängig, sondern auch von der Ungenauigkeit
der bei der Berechnung angenommenen Halbmesser der Gestirne;
ebenso wird auch der Fehler der Mondtafeln, wenn auch nicht
aufgehoben, doch wahrscheinlicher Weise sehr verkleinert werden,
weil dieser Fehler im Laufe der Zeit sich seinem Werte und
Zeichen nach verschiedenartig verändert. Schliesslich heben wir
unter den verschiedenen zu treffenden Vorsichtsmassregeln noch eine
hervor, dass man nämlich die Beobachtung zu grosser Distanzen ver-
meiden muss, da bei grossen Winkeln die konstanten Instrumea-
talfehler beim Sextanten deutlicher zum Vorschein kommen.
Zur Eontrolle der Monddistanzen konnten in den sphärischen
Dreiecken zwischen Zenith, Pol und den Gestirnen der parallak-
tische Winkel oder der Winkel zwischen den Vertikalkreisen
(Differenz der Azimuthe) oder jener zwischen den Deklinations-
*) Caillet, Tratte* de Navigation. Paris 1S68. S. 243.
**) Sawitsch a. a. O.
Zar Bestimmung der geographischen Länge auf Reisen. 325
kreisen (Differenz der geraden Aufsteigungen) ermittelt werden.
Kombiniert man dann die Elemente auf verschiedenen Arten zu-
sammen, so giebt die Berechnung der Zenith oder Poldistanzen
oder auch jene der Breite ein Mittel zur Kontrolle an die Hand.
Freilich konnte man sich bei einzelnen Beobachtungen auch nicht
sehr darauf verlassen, weil die Beobachtungsfehler und die Fehler
der Tafeln stets ihre Geltung haben. Bei einer grosseren Serie
von Distanzen wäre es immerhin geraten, etwa die Breite mit der
Distanz zu berechnen, um wenigstens einen Anhaltspunkt zu ge-
winnen. —
Bei weitem vorteilhafter wurde sich aber die Beobachtung
korrespondierender Monddistanzen nach der von Dr. Paugger an-
gegebenen, aber unseres Wissens nur wenig bekannten Art, ge-
stalten*). Wir wollen bei derselben etwas länger verweilen, da,
wie gesagt, sich das bezugliche Elaborat des Dr. Paugger keiner
allzugrossen Verbreitung erfreut zu haben scheint.
Berücksichtigt man, dass zur Beobachtung von Monddistanzen
nur solche Sterne gewählt werden, die nahe an der Mondbahn
gelegen sind, so kann angenommen werden, dass die Änderungen
der Distanzen dem Zeitintervall proportional sind. Nun versteht
Dr. Paugger unter korrespondierenden Monddistanzen gleiche
Distanzen des Mondes von Sternen, welche ostlich und westlich
des letzteren gelegen sind. Da nun der Augenblick der Distanz-
gleichheit schwer zu erfassen wäre und weil überdies die Ortszeit
dieses Augenblickes nicht bekannt ist, fuhrt man die Beobachtung
dadurch aus, dass man vor und nach dem Momente der Distanz-
gleichheit einige Distanzen der bezuglichen Sterne vom Monde
nimmt. Zu jeder Messung ist selbstverständlich die Zeit eines
guten Chronometers zu notieren, dessen Stand gegen Ortszeit und
dessen Gang bekannt sind, wozu die Beobachtung korrespondieren-
der Sonnenhohen angeraten wäre. Hieraus kann die genaue Zeit
der scheinbaren Gleichheit gerechnet werden. Diese wird für
Refraktion und Parallaxe korrigiert, und wenn im Jahrbuch die
Zeit des ersten Meridians der Distanzgleichheit enthalten wäre,
hätte man ohne weiteres auch die Länge. Dass die Zeiten der
Distanzgleichheiten in keinem Jahrbuche und in keiner Epheme-
ride enthalten sind, kann hier nicht als Hindernis der Anwendung
dieser Methode angesehen werden, da es sich nicht um die so-
fortige Bestimmung der Länge für Zwecke der Navigation, sondern
um eine möglichst genaue Ermittelung der geograghischen Lage
eines oder mehrerer Punkte handelt.
*) Eine neue Methode der L an genbe Stimmung aus korrespondierenden
Monddistanzen von Dr. J. Paugger. Almanach der österr. Kriegsmarine für
das Jahr 1867.
826
Engen Gelcich:
Dr. Paugger entwickelt seine Methode wie folgt:
Der westlich vom Monde gelegene Stern sei Sv der östlich
gelegene S2, Die Distanzen des Mondes vom westlichen Stern
sn den Chronometerzeiten Tv T2, Ts, T4 seien Dv Z>B, Dv Dv
Die Distanzen des ostlichen Sternes zn den Zeiten tt% /2, /,, /4
seien d19 d2, d„ d4. Selbstverständlich sind sowohl die Chrono-
meterzeiten als die Distanzen gemittelte Grossen. Man wird dem-
nach mehrere Gruppen von Beobachtungen anstellen. Die Distanzen
sind von demselben Stande zu messen und von den schrägen Halb-
messern zu berichtigen.
Nun werden die Chronometerzeiten als Abscissen und die
Distanzen als Ordinaten auf ein rechtwinkliges Axensystem nach
einem beliebigen Maasstabe aufgetragen. Hat man Sterne ge-
wählt, welche nahe der
,Z£ Mondbahn liegen, so sind
die zweiten Differenzen der
Distanzänderung in drei
Stunden höchstens 10", in
dreiviertel oder einer Stunde
(länger durfte die Beobach-
te tung nicht dauern) kann
auch die Änderung der Pa-
FiS- L rallaxe und Refraktion der
Zeit proportional angenommen werden. Unter diesen Voraus*
Setzungen liegen die mit den Chronometerzeiten und mit den
Distanzen aufgetragenen Punkte auf zwei sich schneidenden geraden
Linien 8t 17,, S2 Uv (Man beachte, dass wegen der Eigenbe-
wegung des Mondes die Distanzen des westlichen Sternes immer
grosser, jene des ostlichen immer kleiner werden.) Die Ordinate
des Durchschnittspunktes ist dann die Äquidistanz, seine Absciste
die Chronometerzeit der Distanzgleichheit. Da die Instrumenten-
fehler konstant sind, verschieben sie die Geraden St Uj, St Ul
nur parallel zu sich selbst, der Durchschnittspunkt C rückt längst
der Ordinate CD auf und ab und die Zeit der Äquidistanz bleibt
demnach unverändert.
Zur Bestimmung der Zeit der Äquidistanz seien %x yx — Xi 9t
— %3 y 3 — #4^4 die Koordinaten der gemittelten Beobachtungs-
daten; man hat:
Gleichung der St Ut
yt — y-
Xi — Xt
(Xi — x).
„ S2 Ut . . . y,_y=^__Zl(Xt_x).
Xt— X*
Bestehen beide Gleichungen gleichzeitig, so sind %,y die Koordi-
Zur Bestimmung der geographischen Länge auf Reisen.
327
naten von C. Eliminiert man aas diesen beiden Gleichungen y,
so erhält man:
n (s — «*— v —v fo — x»)(y»— y*)— (yi — y»)(xa — &)
' Ut *; Xl X2(x,-X2)(ya-y4)-(yi-y2)öca-%4)"
Da hier nnr Differenzen von Zeiten und Distanzen vorkommen, so
ändert der schräge Halbmesser nur den Faktor (yt — ys) und
man kann füglich für yv y2, ya, y4 die am Instrumente abgelesenen
nod gemittelten Distanzen vom Mondrande setzen. Ist Qt der
schräge Halbmesser des westlichen, Q2 jener des ostlichen Sternes,
so ist (Qt + (J2) die an Vi — Vi) anzubringende Korrektion und
zwar positiv bei zunehmendem, negativ bei abnehmendem Monde.
Setzt man also:
2)
Xl u-u-u
y* — y* y^ — Vt^H
dann ist aus 1)
\U — *4
3) X = X, +
Xi — X2
K — L
N
Der aus 3) erhaltene Wert von % ist noch wegen der Refraktion
und Parallaxe zu berichtigen« Sieht man einstweilen von der
Refraktion ab und bezeichnet I (Fig. 2) die Projektion der Mond-
bahn auf der Himmelssphäre wie man sie vom Erdmittelpunkt,
II wie man sie vom Beobachtungsorte sehen wurde; ist III der
Äquidistanzkreis, Zdas
Zenith, S2 das ostliche,
St das westliche Ge-
stirn, mt der Mond in
der scheinbaren Äqui-
distanz, mim die Pa-
rallaxe, so sieht man
ohne weiteres , dass
der Mond bis zur Zeit
der wirklichen Äqui-
distanz noch die Strecke
mn zu durchlaufen hat
Ist v die Geschwindig-
Pi*' 2# keit des Mondes in
einer Stande, so wird er die Strecke mn in der Zeit Z durch-
laufen, welche aus der Proportion bestimmt werden kann:
t;:3600, = mn:Z
A_ _ mn-3600
4) Z =
328 Engen Gelcich:
Nun ist m mi = horiz. Parallaxe, cos ht = n cos A, = p. Am
Jmm1n folgt weiteres:
p sin »ro, m psiny
5) wn = : =—n —
sin a siD a
und daher
z= 8600p sin y
t; sin a '
wobei p und v in einerlei Maass z. B. in Bogenseknnden zn zählen
sind*). Diese Grosse nennt Paugger den Reduktionsfaktor und
bezeichnet ihn mit/*. Dann hat man kurzer:
7) Z *=fp sin y
Zur Berechnung von y berücksichtige man zunächst, dass
r = Pmx St — ZmlSi
ist. Pro, £>, kann aus J Pn St berechnet werden, wenn man
näherungsweise 81n = Sim1 setzt**1). Für ZmtSt hat man:
8)coa^ = l/8in:S8i°^^-^
2 ' sind sin 0,
9) 2 = i-(Z +*, + <*),
wobei 2T die scheinbare Zenithdistanz des Mondes, zt jene des
Gestirnes und d die Äquidistanz bedeuten***).
Um auch den Einfluss der Refraktion in Rechnung zu ziehen,
hat man aus den sphärischen Dreiecken zwischen dem Zenith, dem
Mond und den beiden Gestirnen:
cos dt = cos Z cos zt + sin Zsin zt cos At
cos d^ = cos Zcos z% + sin Z sin zz cos A%
und durch Differentiation:
3600
*) Man könnte v und a im Voraus berechnen und log — : — in den Jahr-
büchern aufnehmen. VBina
**) Könnte auch vorausberechnet werden.
***) Man könnte eventuell die Zenithdistanzen berechnen, wozu sich die
Gleichungen eignen:
. S i
8in 2" Vco8 ' C08 V
HS ~2 — j
Bin — (J — qr>)
. £ ,
8111 ~2~ V008 ^ C08 ^
sin 4" =s :
2 BUKT
wobei £ = Stundenwinkel , J = Deklination und qp = Breite bedeuten.
Selbstverständlich müsste dann wegen der Bildung von 8 die Länge n&herongs-
weise bekannt sein.
Zur Bestimmung der geographischen Länge auf Reisen. 329
10) ddt = — Szt cos <rt — dZco* /*t
d d2 = — 6 z2 cos <f2 — & Z cos p2;
0 sind die bezüglichen Winkel am Sterne, /* jene am Monde; dz
ist die Änderung der Zenithdistanz wegen Refraktion und öd die
dadurch bedingte Änderung der Distanz. Infolge der Refraktion
sind die Distanzen zur Zeit der Gleichheit dt -f- ddi nnd d2 -f- <^a>
und es ist:
rf, + drff =d2 + (»d2 = <*, + d d% + (d <*2 — <*<*,).
Macht man d d2 — 6 dt = 4 y, so hat man :
• dt + ddt + Jy = d2 + ddr
die Refraktion wird dadurch eliminiert, da 88 man yty2 um Jy
vermehrt oder ys y4 um diesen Betrag vermindert. J y ist aber
durch die Gleichung bestimmt:
12) Jy = 6zt cos <ft — dz% cos <S2 -f- $Z cos n*, — rfZ cos n*2.
Da in Gleichung 8) nur K wegen Jy leidet, so ist dem aus 3)
J y
berechneten Werte von % noch die Korrektion * beizufügen.
Zur Berechnung jener Grossen, deren Aufnahme sonst in den
Jahrbuchern wünschenswert wäre, welche aber bis dahin in den
vereinzelten Fällen von dem Beobachter berechnet werden mussten,
geht man wie folgt zu Werke. Es seien:
Die Zeiten des Die Diät von Die Dist von
Jahrb. einem westl. *. einem östl. «.
* A J B d
<+3h Ax J2 B d2
*+6h A2Jt B2ät
und ist ^ < 2?, At^> Bv dann fallt die Äquidistanz zwischen A
and At9 und B und Bv Die Zeit der Äquidistanz liegt dann
zwischen / und / -f- 3. D sei die wahre Äquidistanz. Ist h in
Sekunden ausgedruckt der Zeitabstand der wahren Distanzgleich-
heit von der in der Ephemeride gegebenen nächst vorangehenden
^. A
Distanz und setzt man r-j = n, so ist :
10 oOv
Ä-4 + .i + lfciU
13) / IN
l> = B + nd + nJ»^ld,
woran« folgt:
14)B==^Td+ — 2 T=rr-
Da die unbekannte n auch im rechten Teil der Gleichung vor-
380
Eugen Gelcich:
kommt, so müsste zuerst ein Näherungswert n1 = — - berechnet
zf — a
und sodann im rechten Teil von 14) eingeführt werden.
Zur Berechnung von a und ß ist die Kenntnis derselben
Distanz beider Sterne von einander im Augenblicke der Äqui-
distanz notig, wozu man sich der Gleichungen bedient:
sin
tg^=
J Q * _
9 ycos deklin. ostl. • cos deklin. westl. •
(deklin. ostl. • — deklin. westl. •)
sin
15) ~ 2
Sterndistanz sin~^- Vcos dekl. ostl. • cos dekl. westl. «
sin
sin 2
2 ist ein Hilfswinkel; d q. ist die Differenz der geraden Auf-
j£± Steigungen beider Sterne. Aas
dem rechtwinkligen Dreiecke
PStm hätte man schliesslich:
.^ . * sinj-S-S.
16) sin/?= . T a *
sin St m
Noch wäre die Neigung des
Äquidistanzkreises gegen die
Mondbahn (Aa) zu ermitteln.
Es seien 8f9 S2 Fig. 4 die wahren Positionen der Sterne.
M± M% seien die Lagen des Mondes zur Zeit / und f + 3h (nach
Fig. 3.
" Arten, J52
Fig. 4.
Tientiens Ephem. und beziehungsweise zur Zeit / und / + 1 h nach
dem Naut. Alm.). Die Deklination der Sterne 8t S2 werden wir
mit de, ihre Rectascension mit U bezeichnen. Man hat:
Zur Bestimmung der geographischen Lange auf Reisen. 331
17)
4-W-«U-£
tg daf , tg de*
18) tg<» = 4^odertga> = ^-T£
sin Ut sin C/8
Aas l/, oder Ut erhält man die Rectascension von
A = Rectase t + Ut oder Rectascenz + U2.
Setzt man in den Gleichungen 17) nnd 18) die bezüglichen Werte
für die Mondlagen Mx nnd M2 ein, so erhält man auch 0), und
die Rectascension des Knotens Av Nun schreitet man zur Berech-
nung von \p. Es ist S = AAX9 und:
. 8 i :
sin — y sin na sin wt
tgl*= -
19) tinT (•-•»!)
. 8 ,
sin YVsinwsin <at
sin -£- = : :
2 sin/»
and endlich
i 8i 82
COS 1// cos * *
20) sin a = = — — .
cos Aquidistanz
Um schliesslich die Geschwindigkeit des Mondes zu erhalten, be-
rechnet man aus Gl. 15) D, indem man die Deklination und die
geraden Aufsteigungen des Mondes für die Zeiten t und t -{- 3h,
beziehungsweise / und / -f" * h einsetzt. D giebt dann die Ge-
schwindigkeit in drei oder in einer Stunde an.
Das hier gegebene Verfahren ist nicht gerade kurz und rasch
auszuführen, doch werden die daraus gewonnenen Resultate immer
genauer als jene, welche man aus einfachen Monddistanzen er-
hält. —
382 Paul Lehmann:
XVII.
Das Küstengebiet Hinterpommerns.
Wanderungen und Stadien von F. W. Paul Lehmann,
Die Küste Hinterpommerns ist in ihren Kontoaren von einer
selbst für eine Flachküste seltenen Einförmigkeit. In Vorpommern
fand das Meer ein reicher gegliedertes Terrain and ist bei ge-
ringerer Wellenthätigkeit and der grosseren Widerstandskraft
einzelner Kaps mit der Herstellung einer wenig ondulierenden
Alluvialküste noch nicht fertig geworden, während die unruhigere
Nordsee, begünstigt durch eine Verschiebung der Strandlinie, nnd
— besonders nach Durch Waschung der Land Verbindung zwischen
Dover und Calais -7- aasgerüstet mit einer mächtigeren Flut-
welle nur die Trümmer ihrer ehemaligen Alluvialbauten übrig ge-
lassen hat.
Zwischen den Mündungen der Oder und dem Vorgebirge Rix-
hoft verläuft der Strand der Ostsee annähernd parallel jenem von
SW. gegen NO. gerichteten Höhenzuge, dessen breitbuckliger und
flachwelliger Rücken sich allmählich zu ihr abdacht Bis auf die
höchsten Kuppen besteht dieser im Osten 300 m überragende Land-
rücken aus diluvialen Gebilden, den Grundmorainen nordischer
Gletscher, die hier in wechselnder Mächtigkeit ihre Sand- und
Lehmwälle, untermischt mit teilweise kolossalen, mehr oder minder
deutlich gekritzten und angeschliffenen Blocken absetzten *). So gut
fundiert die Gletschertheorie heute erscheint, so falsch würde es
sein, die ganze Terrain bildung des hin terpo mm ersehen Landrückens
als die Anhäufung von Morainenmaterial zu betrachten. Die heute
vor uns liegenden Terrainverhältnisse sind durch vorglaciale mehr
oder weniger vorher bedingt worden. Das darf auf Grand der
vorliegenden, leider noch sehr fragmentarischen Beobachtungen mit
Bestimmtheit behauptet werden, wenn auch eine Besprechung der*
jenigen Hypothesen, welche mit den Bildungsepochen der Ostsee
in tertiären und vortertiären Epochen rechnen, ganz ausserhalb des
Rahmens dieser Darstellung fällt.
Tertiäre Gebilde sind nicht blos an den durch das Meer er-
schlossenen Profilen einzelner Küstenpartien und an tieferen Schich-
ten des Innern beobachtet, sondern dicht unter der Oberfläche von
Hügeln gefunden worden, die zu den markantesten und massgeben-
*) Besonders an den frisch aus dem Strande ausgespülten Blöcken findet
man viele mit ausgezeichneten Schliffen.
Das Küstengebiet Hinterpommerns. 333
den Gestaltungen in der Bodenplastik der Küstenregion gehören.
So findet sich im benachbarten Westpreussen auf der Schwarzaner
Kämpe, rechts des Weges von Rixhöft nach Hohensee das Tertiär
in einer Thongrnbe erschlossen, die in den durch eine frisch ab-
gestochene Wand erschlossenen Profilen Erscheinungen zeigte, welche
lebhaft an die von Berendt beschriebenen „geologischen Orgeln a
erinnerten. Der im Osten von Ragenwalde im Pigowberge (72 m)
kulminierende Höhenzug enthält am Südabhange bei Zitzow dicht
nnter der Diluvialdecke hellblaue Thone, in die sich im Sommer
1883 ein längs des Weges herabeilendes Regenwasser eine Reihe
von Kolken und Rinnen ausgewaschen hatte*). Von anstehender
Kreide findet sich im hinterpomm ersehen Küstengebiete nichts; sie
ist in einem Bohrloch bei Rügenwalde unter dem Diluvium und nach
Durchsinknng einer Grenzschicht zerstörter Tertiärbildungen sogar
erst in 134,7 m Tiefe erschlossen worden. Bekannt ist durch eine
schon recht stattlich angeschwollene Litteratur der Jura bei Fritzow
im Osten der Dievenowmündung und ein vereinzeltes Vorkommen
gleichaltriger Bildungen in den Umgebungen Kolbergs**).
Wer einen Blick auf die Resultate der geologischen Landes-
durchforschung in der Nähe Berlins geworfen hat und nur einige
der an benachbarten Orten vorgenommenen Bohrungen verglich,
wird zugeben, dass ein Versuch die Mächtigkeit der auf dem hinter-
pommerschen Landrücken ausgebreiteten Diluvialmassen schätzen
zu wollen, ein verfrühter wäre. Verfasser wenigstens fühlt dazu
nicht den Mut in sich; die Grundfläche des Diluviums dürfte kaum
geringere Abweichungen von einer ebenen oder, wenn man lieber
will, regelmässig gekrümmten Fläche zeigen als die ursprüngliche
durch Erosion und menschliche Thätigkeit noch nicht umgestaltete
Oberfläche.
Wie die Diluvialmassen sich über die Hohen des Landrückens
ausbreiten, so senken sie sich andererseits unter den Spiegel der
Ostsee, auf deren Boden man entweder die Reste des zerstörten
Diluviums in Sand und Steinen findet oder auch wohl noch in
einzelnen Bänken das Diluvium in seiner ursprünglichen Zu-
sammensetzung. An einzelnen Stellen scheint auch Tertiär von
den wühlenden Wellen bearbeitet zu werden. Ich schliesse das
nicht nur aus den nach heftigen Stürmen hier und da in Menge
*) Verf. war gegen seine Beobachtung anfänglich misstranisch, da ihm
an anderen Aufschlüssen auf dem mehrfach überschrittenen Höhenzuge nur
Diluvium vorgekommen war, fand aber nachträglich diese Stelle schon von
Berendt im .Jahrbuch d. geolog. Landesanstalt" 1880 S.282 als Tertiär erwähnt.
**) Vergl. u. a. Sadebeck, Die oberen Jurabildungen in Pommern in:
Z. d. d. Geolog. Gesellschaft. Bd. XVII S. 651 f. und Penck, Geschiebefor-
mation Korddeutschlands. Ebds. Bd. XXXI. 1879.
384 Paul Lehmann:
ausgeworfenen Bernsteinfanden, da dieselben sich ja vielleicht
schon an sekundärer Lagerstatte konnten angesammelt haben*),
sondern aus den ziegelartigen Schollen hellgrauer, höchst wahrschein-
lich tertiärer Thone, die ich z. B. im Osten Stolpmundes durch die
Brandungswellen auf den sandigen Strand gespult fand**). Wie
schon einmal betont ist, umkleidet das Diluvium den Landrucken
vollständig und bildet auch an den zum Teil beträchtlich erodierten
Thalrinnen die Gehänge. Diese Erosion der Bäche zeigt nach
Osten hin entsprechend dem Ansteigen des Terrains grossere Dirnen-
sionen und ist im Flussgebiet der Leba und dem ostlich davon ge-
legenen Gebiet Ursache sehr anziehender Landschaftsbilder geworden.
Die Umgebungen von Rheda, Boschpol und Lauenburg bieten manche
fesselnde Fernsicht. Auch die Breite der Thäler nimmt, wo sie
sich augenscheinlich als Erosionsteile dokumentieren, nach Osten
hin zu; das Regathal ist an manchen Stellen nur 250 — 400 m breit,
das der Persante von Mechentin bis Rosentin 400 — 600 m. Während
der Wipperfuche unterhalb Schlawe selten 500 m Breite hat, tritt
die Leba bei Boschpol in ein flussartig gewundenes Thal von
2 km Breite, das sich unterhalb Lauenburg auf 3 — 4 km erweitert
Wie schon der Lauf der Flusse mit seinen vielen Windnngen
dokumentiert, war die Abdachung eine sehr unregelmässige. Das-
selbe tritt in der Strandgegend hervor***).
*) Vergl. Meyns interessanten Aufsatz: Der Bernstein auf 2., 3«, u. s. w.
Lagerstätte in: Z. d. d. Geolog. Gesellschaft Bd. XXVIII S. 199.
**) Nach gut beglaubigten Nachrichten muss ich schlieasen, dass die
Baggerungen auf Adlersgrund sich zum Teil auf Tertiär erstreckt haben. In
Berghaus* Landbuch III. 1, S. 41 heisst es: Am Strände bei Kolberg werden
Kalkgeschiebe, welche die See auswirft, gesammelt, und zwar in so ansehn-
licher Menge, dass sie den Stoff geben zu vier Kalkbrennereien. Ist das
Wiesenkalk aus den zerstörten unterseeischen Torflagern oder Jura?
***) Die hypsometrischen Verhältnisse des in Rede stehenden Gebietes sind
noch auf keiner Karte in ausreichender Weise zur Darstellung gebracht Von
den Messtischblftttern(l: 25000) liegen leider erst 6 Sektionen vor, nim-
lich: Wittenberg, Dembeck, Ostrau und die drei sich südlich daran schliessen-
den. Die auf der Regierung in Köslin befindlichen Dünenkarten 1 : 25000
sind ohne Höhenangaben, ebenso wie die Sektionen von Preussens 8eeatlu
(herausgegeben vom Ministerium des Handels 1841) und die auf denselben
Aufnahmen beruhenden Sektionen der älteren Generalstabskarte d. i. «Karte
der östlichen Provinzen des preussischen Staates 1 : 100000. Die Gradmessung
erfolgte 1836, die Winkelbeobachtungen östlich vom Gollenberge bis 1838,
westlich bis 1841. — Ausfuhrliche Daten über die Höhenverhaltniase findet
man in den Publikationen der Königl. Preussischen Landestriangulation und
zwar in der Abteilung: Polar-Koordinaten u. s. w. Bd. 3 u. 5, sowie auf den
1882 erschienenen Übersichtsblättern der von dem Königl. Preuas. Bureau
der Landestriangulation bestimmten trigonometrischen Punkte 1:200000;
einzelne Hauptpunkte auch in den Bünden „ Geometrische Nivellemente*
Bd. 2 u. 3. Zu beachten ist bei Benutzung aller dieser Höhen, dass die-
jenigen für die östlichen Partien vom Nullpunkt des Pegels zu Neufahrwatser
Das Küstengebiet Hinterpommerns. 335
Das in seinen Abhängen ziemlich sandige Diluvium des Land-
rückens zeigt in der Nähe der Küste einen mehrfach unterbrochenen
Streifen seines besten Bodens, auf dem Weizen, Gerste und roter
Klee vorzüglich gedeihen und damit den Gegensatz gegen das die
Röste umsäumende Dunengebiet noch markanter machen. Selten
geht das Diluvium unmittelbar an die See, meistens ist es durch
einen Dunenstreifen von demselben getrennt, der seinerseits nicht
unmittelbar dem Diluvium aufliegt, sondern eine Niederung vom
Meere scheidet, die mit Seen, Sumpfen und Torf brachen ausgefüllt
ist. Aus diesen drei Elementen setzt sich also das Landschafts-
bild der Küste zusammen. Ich versuche nun nicht die einzelnen
Bilder zu generalisieren, sondern gehe sogleich über zu einer ein-
gehenden detaillierten Besprechung der im Gebiete der Küsten-
region auftretenden Erscheinungen von allgemein geographischem
Interesse.
Zwei schmale und sandige Landzungen engen die seenartig
erweiterte Dievenow derartig ein, dass nur eine seichte in ihren
Tiefen sehr veränderliche Verbindung mit der Ostsee übrig bleibt.
8ie war nach einem Berichte des Saxo im 12. Jahrhundert für
den Schiffsverkehr schon so wenig brauchbar wie im 17. nach
den Angaben des Eilh. Lubinus*). Heute dient sie nur dem
Küstenverkehr und würde auch für diesen bald unbrauchbar wer-
den, wenn nicht die Versandungen hin und wieder weggebaggert
wurden. Auffallend ist das westliche Vorrücken der 6,3 km langen
und 300 — 500 m breiten Nehrung, welche vor dem Fritzower
See liegt. Nach den Detailaufnahmen aus den Jahren 1851 und
1877 ist dieselbe um mindestens 320m vorgerückt — also durch-
gerechnet sind, diejenigen zwischen Dievenow nnd Bukow vom Normalnull-
ponkt NN. — Die Differenz zwischen NN. (festgesetzt am 27. September 1879,
▼ergl. Geogr. Jahrbuch VIII 8. 290 u. 291) nnd dem Mittelwasser der einzelnen
Ostseestationen ist so gering (für Swinemfinde — 23 mm, für Neufahrwasser
+11), dass sie für die meist nur in ganzen Metern gemachten Höhenangaben
garnicht in Betracht kommt; dagegen sind alle Höhenangaben über den
Nullpunkt von Neufahrwasser immer nm 3,5, genauer 3,513 m reduciert worden.
Für die Tiefenangaben kommen natürlich die betreffenden Sektionen der
Admiralitatskarten 1 : 150000, nämlich V nnd VI in erster Linie in Betracht,
während als Übersichtsblatt etwa die 1880 vom hydrographischen Amte heraus-
gegebene Karte: Die Ostsee, mittlerer Teil 1:600000, oder auch die etwas
altere Segelkarte 1 : 400000 dienen kann.
*) Saxo Grammat: Hist Dan. ed. P. E. Müller 1839 II, S. 856 f. und
das im Manuskript anf der Bibliothek der vaterl. Gesellsch. in Stettin vor-
handene, zum Teil sehr wertvolle Manuskript von Lubinus „ Geographische
Beschreibung des PoromerlandesM. Als Portus wird die Dievenowmündung in
Urkunden mehrfach erwähnt; wenn die Kamminer aber 1869 in ihrer Petition
an das Abgeordnetenhaus angaben, die Mündung habe einst 9 — 12 Fuss
Wasser gehabt, so hätten sie ein „zeitweilig" hinzusetzen müssen. Stellen-
weise finden sich hinter der Barre auch heute grössere Tiefen bis zu 5 m.
336 Paul Lehmann:
schnittlich 12 m im Jahre — so dass heute ihre Spitze aber das ehe-
malige westliche Ufer hinaus ragt, während Kolke von 5 m Tiefe
sich dort befinden, wo der Wollinerstrand um 250 m Einbusse er-
litten hat. Dieser Prozess dauert bis zur Stande fort und macht
stets neue Detailaufnahmen und ein immer erneutes Arrangement
der Schiffahrtszeichen zur Fixierung der Einsegelungslinie nötig*).
Bliebe die Natur sich selbst überlassen, so wurde wahrschein-
lich die Nehrung bald durchbrochen werden, denn sie verliert
Terrain an die Ostsee und wird bei eingehendem Strom auch auf
der Binnenseite auf zwei Stellen angegriffen ; die Sturmflut (Nov. 72)
hatte beim Schalhause zwischen Ost- und Berg-Dievenow die Neh-
rung in der That schon durchbrochen und die Westhälfte derselben
mit Ost-Dievenow in eine Insel verwandelt« Eine niedrige Insel,
welche auf der Generalstabskarte (1 : 100000) noch nicht verzeichnet
ist, liegt beim Ausgang des Fritzower Sees in den Strom; andere
scheinen in der Umgebung in der Bildung begriffen, denn von
Berg-Dievenow aus sieht man bei niedrigem Wasserstande fliehe
Sandschaare bis weit hinein in den See. Niedrige Dunen bilden
auf der Landzunge hinter der kunstlich gezogenen und bepflanzten
Vordune ein regelloses Gewirr 5 — 7m hoher Kuppen, das nach
Süden in eine flache den Fritzower See umrahmende Ebene über-
geht. Lichtgestellte oder ganz vereinzelte, breit gewachsene Kie-
fern erheben sich auf dem spärlich bewachsenen Terrain, auf dem
die hohen Schwarzpappeln von Berg- und Klein- Die venow markant
hervorragen. Auf dem Strande bezeichnen mehrere Reihen faust-
grosser Steine die verschiedenen Schäl ungslinien bei den Niveau-
Schwankungen des Meeres, während vereinzelte Torffladen sieh
als untrügliche Spuren von den Zerstörungen seiner vorrückenden
Wellen finden.
Der Torf hat sich auch bei der Fundamentierung der Häuser
in Berg-Dievenow in l!^m Tiefe als ein durchgehender Bestand-
teil im Unterbau der Nehrung gezeigt, die heute auf der Binnen-
seite, ganz im Gegensatz zu ihrem von Wollin vorspringenden
Pendant, kaum eine Spur phytogen er Bildung aufweist. Nur eine
kleine Bucht im Nordosten des Sees ist zugewachsen und ver-
bindet bei Klein-Dievenow die Wurzel der Nehrung in 1 km Länge
mit dem dahinter liegenden Diluvium.
Hier liegen die an drei Stellen erschlossenen Jaraschichten.
Da das Diluvium sie völlig umhüllt und von dem 500 m entfernten
*) Die Angaben beruhen auf Plänen, die mir auf dem hydrographischen
Amt gütigst zur Benutzung überlassen wurden. 1) Peüungsplan von der
Mündung der Dievenow. Vergleich zwischen den Uferlinien 1S51 u. 1STT.
1 : 5000 von Wittenhagen (Qeometer) und 2) Situation«- und Peilungiplan
von der Hündung der Dievenow. Juli 1883. 1 : 5000 von demselben.
Das Küstengebiet .Hinterpommerns. 337
Strande Flugsand herübergeweht ist, so kann man an Ornbenrändern
von 2 m Tiefe die Gebilde dreier geologischen Epochen erschlossen
sehen*). In einer Erstreckung von 2km bricht das mit Kiefern
und Birken bestandene Diluvium in durchschnittlich 6 — 8 m Hohe
steil zur See ab. Überhängende, dem Tode geweihte Bäume, ab-
gerutschte, durch Rasen zusammengehaltene Erdschollen, kleine
Schlipfe und Wasserrisse bringen einigen Wechsel in das gleich-
förmige Bild. Der Strand ist trotz eines ziemlich niedrigen Wasser-
standes nur 25 Schritte breit, so dass die Wellen jedes Hochwassers
unmittelbar gegen den Fuss der Lehm wände brausen und durch Aus-
hoblungen und Unterwaschungen den Uferabbruch beschleunigen**).
Schon 1km westlich des flachen Vorsprungs von Luchtenthin ver-
ändert sich der Charakter des Strandes; auf Karten wird er bis
gegen Pustiow hin, d. h. auf mehr als 8 km Länge gewöhnlich als
die „Sand-Schellen" bezeichnet. Thebesius erzählt uns von den
Verwüstungen, welche die von Westen nach Osten vorschreitenden
Sandverwehungen auf den Feldmarken der 1 — 1,5 km vom Strande
entfernten Ortschaften Luchtenthin, Baldebus und Poberow ange-
richtet haben***). Wer dem Strand entlang wandert und durch
den Namen „ Sandschellen tt verleitet eine Dünenküste erwartet,
findet sieh getäuscht. Das Diluvium, dem die Dunen aufliegen,
überragt an den meisten Stellen das Meeresniveau und kommt
häufig in frischem Abbruch unter der alluvialen Decke zum Vor-
schein. Je nachdem eine mit Erlen bestandene und durch eine
künstlich gezogene Vordüne abgeschlossene Niederung, oder eine
abbrechende Diluvialpartie, oder die linken Flügel der dem Dilu-
vium aufgelagerten Dünen bis an das Meer reichen, wechseln Hohe
und Charakter des Strandprofils. Stellenweise liegt der Dünen-
sand nur flach auf dem Diluvium. Wo die Flügel von Dünen
abbrechen, erreicht das Profil des Uferabbruches mehrmals 10 m
Höhe. Zwischen zwei abbrechenden Dünen zeigen dann oft die
dazwischenliegenden Mulden in schwarzen Bändern .den mehr-
*) An einer Stelle hatte ein etwa ^kbm grosser Diluvialblock eine
Depression in der Oberfläche des Juramergels hervorgerufen.
**) v. KlÖden, „Das Kiteste Naturdenkmal Pommerns** in Balt. Studien
Bd. 3 8. 1 — 28 schreibt 1835: „Bei meiner Anwesenheit trug die Wand, so
weit das Auge sehen konnte, dicht aneinander gereiht eine Menge gewölb-
artiger Höhlen, welche die See bei ihrem letzten stürmischen Ansteigen
ausgewählt hatte.11
***) Baltische Studien Bd. 3 S. 48 f. Während Poberow erst um die
Mitte des 18. Jahrhunderts die Hälfte seines „Leim-Ackers" verlor, soll nach
Schwarz das näher an der See gelegene Pustiow oder Pustichow schon im
12. Jahrhundert unter Sandverwehungen gelitten haben. Thebesius erwähnt,
dass an manchen Stellen hinter dem Sande der alte Lehmboden wieder zum
Vorschein gekommen sei.
Zaitaehr. d. GetelUoh. t Brdk. Bd. XIX. 22
338 Paul Lehmann:
maligen Wechsel von Vegetationsbildung und Übersandung. In-
teressant war besonders ein Schichtenprofil, wo sich der unterste
der dunklen Torfstreifen, nach beiden Seiten ganz allmählich ane-
keilend, der Vertiefung des nnterlagernden Diluviums anschmiegte,
während jeder der überlagernden sich bis cum fünften mehr and
mehr der völligen Horizontalen näherte. Oft sickert Wasser durch
die Lehmwände und breitet unten über dem sandigen Vorstrade
flache Deltaformen von feinem Thonschlamm aus; wo eine starke
Quelle an der Grenze von Alluvium und Diluvium vortrat, da hat
sie sich in den Lehm eine kleine Schlucht gegraben und den uber-
liegenden Sand zum Einstürzen und Nachrutschen gebracht Hier
und da, wo bei etwas breiterem Vorstrand die Wülsten der künst-
lich angelegten Vordunen die unteren Partieen der alten Ufer-
abbrüche ganz umkleidet haben, deuten noch einzelne ans dem
Wasser aufragende Blocke auf frühere Zerstörung des Diluviums,
und an anderen Partieen lässt der nur auf Lehmboden wachsende
Seedorn uns erraten, dass wir es nur mit Überwehungen zu thon
haben. Am besten bekunden die Zerstörungen einer grösseren
Flut durch die Fülle erschlossener Profile den Charakter eines sol-
chen Küstenstreifens. Hier müssen im Laufe der Jahrhunderte
beträchtliche Veränderungen vorgegangen sein, die auf dem Rücken
des Diluviums ausgebreiteten Sandmassen können nicht alle den
abbrechenden Diluvialrand erklettert haben und die Dünen, deren
linker Flügel heute mit dem Diluvium steil zum Meere abbricht,
müssen einst bedeutend weiter westlich, also auf einem heute vom
Meere bereits verschlungenen Terrain sich gebildet haben.
Etwa 1km vor Hoff werden die Ufer hoher; Lehmwände,
anfänglich noch hin und wieder mit schwacher Sanddecke, brechen
16 — 20m hoch zum Vorstrande ab. In Hoff steht hart am Steil-
ufer eine alte Kirche, der schon im vorigen Jahrhundert der —
allerdings unvermeidliche — Untergang prophezeit ward. Sarg-
stücke und Oebeine sieht man aus den Lehmwänden hervorragen,
und an ihrem Fasse liegen hinter einer Buhnenreihe, die snm
Schutze gegen die Brandungswellen eingerammt worden ist, Schädel
und Knochen aufgehäuft. Eine neue Kirche ist erbaut worden, in
der alten hatte 1883 der Küster Heu- und Strohvorräte zwischen den
Kirchenstühlen aufgehäuft, auf deren einem die Jahreszahl 1583
deutlich zu lesen war. Die Bewohner wussten schon im vorigen
Jahrhundert nicht blos von verlorenen Ländereien, sondern anch
von verschlungenen Bauernhöfen und selbst Stranddörfern n
erzählen. Wichtiger als diese, von der Phantasie meist aasge-
schmückten Nachrichten sind die positiven Angaben über den
Küstenverlust, welche von dem ehemaligen Pastor Dewits in Hoff
stammen. „Ich selbst44 — erzählt er 1821 — „kann aus he-
Das Küstengebiet Hinterpommerns. 339
stimmten Angaben nachweisen, dass hier seit dem Jahre 1750
schon eine Breite von 188 ' von dem hohen Ufer abgerissen ist.
Selbst von dem Kirchhofe sind seit 1783 schon 20' verschwunden.
bo dass die Kirche jetzt nur noch 40' von der steilen Uferwand
entfernt steht*). tf Im Jahre 1883 waren an einer Ecke der
Kirche von diesen 40' kaum noch 2' übrig, so dass also in
62 Jahren 88 ' verloren gegangen sind. Es wäre demnach in
den letzten 62 Jahren die durchschnittliche Einbusse fast 0,2 m,
wahrend sie sich in dem 71jährigen Zeitraum von 17-50 — 1821
auf jährlich 0,61 m stellen wurde. Der Unterschied konnte gegen
die älteren Angaben von Dewitz bedenklich machen, man muss
aber ausser dem kunstlichen Küstenschutz in Betracht ziehen, dass
die Abnahme nie eine ganz gleichmässige ist. Dewitz selbst
erzählt, dass er bei Hoff an gut gekennzeichneten Punkten während
der Jahre 1806 — 21 keine Veränderung bemerkte, wogegen in
derselben Zeit gerade beim benachbarten Horst grossere Ver-
änderungen vor sich gingen, die eine Passage am Vorstrande nur
bei völlig ruhiger See erlaubten. An anderen Orten wechseln
ähnliche Perioden der Ruhe und der Zerstörung ab. Wären die
Verluste früher nicht beträchtlicher gewesen als seit 1750 —
(Verlust 55 m) — , so wurden fast drei Jahrtausende an dieser
Stelle erst einen Strandstreifen von 1 km Breite wegrasiert haben.
Bis über den Leuchtturm von Horst hinaus, der auf 22 m
hohem Uferrande steht, bleibt die Küste durchschnittlich 15m
hoch; nur einmal bei Revahl senkt sie sich bis auf 8 m und in
der Mitte zwischen Hoff und Horst erhebt sie sich auf 20. Bald
in geschlossenen Wänden und steilen Lehnen, bald in cirkus-
förmigen Ausschartungen bis zu 60 Schritten Durchmesser fällt
das Diluvium zu dem schmalen Vorstrand ab. Bis Revahl fuhrt
ein Fusssteig hart am Rande zum Teil durch Dorngestrupp; jen-
seits dieses Ortes war der Pfad 1883 auf der Hohe durch Schlipfe
neuesten Datums mehrfach zerstört. Auf dem Boden der 6 — 8 m
über dem Meere liegenden Girken hatte sich entweder eine kleine
Wasserlache gebildet, oder es war das Erdreich wenigstens so
durchweicht, dass es sich stets als unpassierbar erwies. Gelber
und blauer Lehm wechselten, einmal sogar in ein und demselben
Cirkus; auf der Hohe des einen zeigte sich ein schmaler weisser
Streifen und ein dunkles Band schwarz -braunen Erdreichs.
Der nur 20 Schritte breite Vorstrand war meist mit einer dünnen
Sandlage versehen, und ein 45° geneigter Abhang, dessen gelbe
Flanken wie überzuckert erschienen, zeigte hoch hinauf leichte
*) Aus dem Pommer. Prov.-Bl. III, 459 abgedruckt in Boll: „Beiträge
zur Geognosie Mecklenburgs mit Berücksichtigung der Nachbarländer u
S. 172 f. Neu-Brandenburg 1865.
340 Paul Lehmann:
von West hinaufgeführte Sandanwehangen. Schlammgefärbte
Wellen verrieten einmal, dass die See anmittelbar den thonhaltigen
Untergrund angreife. Gegen Horst hin erhält der Uferrand das
Aussehen einer ganz vegetationslosen geschlossenen Wand. Buhnen-
reihen sind in je 80 Schritten Entfernung senkrecht cur Küste in
den Meeresboden getrieben , um die Gewalt des Küstenstromes
zu brechen; eine die Lehmwände umrahmende Bahnenreihe und
ein schräg anlaufendes cementiertes Mauerwerk decken den Fusa
der Hohe, auf welcher sich der Leuchtturm von Gross -Horst
erhebt. Bald hinter dem Leuchtturm endet das Diluvialufer and
senkt sich zu einem niedrigen Dünengebiet, das von Westen nach
Osten an Breite zunehmend den 2 km langen Horst- Eiersbergersee
von der Ostsee trennt und von seinem Abfluss, der Liebelose*),
in zwei ungleiche Flügel geteilt wird. Die dem See zugekehrte
Hälfte des Küstenstreifens ist eben und flach. In zwei Armen,
von denen der westliche fast zugewachsen ist, umschliesst die
dem See entfliessende Liebelose ein kleines dreieckiges Eiland und
windet sich von Erlen umsäumt in einem 15 m breiten schlammi-
gen Bette zum Strande. Wo sie die vorderen Dünen durchbricht,
hat sie den Sand und einige Torfschichten kräftig erodiert und
eilt mit beschleunigtem Laufe zum Vorstrande. Eine von Osten
vorgeschobene Barre hatte sie im Mai 1883 ziemlich weit nach
Westen gedrängt. Es ist diese Ablenkung die gewöhnliche und
die Versandung oft so stark, dass der Abfluss mit dem Spaten
wieder geöffnet werden muss. Bei Hochwasser, z. B. im November
1872 und im Dezember 1883, fliesst die Ostsee in den ihr mittleres
Niveau um etwa 1 m überragenden See und richtet an den Dünen
besonders in der Nähe der Mündung arge Verwüstungen an.
Der etwa 2qkm grosse See ist im Nordosten am tiefsten
und hat hier bis zu 2 m Wasser, während er in der Mitte nnd
gegen das Südufer hin nur wenig über 1 m Tiefe hat. Eine von
Westen nach Osten gehende Rinne von l!^m Tiefe läuft dem Nord-
rande des Sees parallel und wird von der Hauptdepression im
Nordosten durch eine Untiefe getrennt. Der Boden ist moorig, die
Ufer sind flach, mit Ausnahme einer Partie bei Eiersberg, wo das
Diluvium mit niedrigem Steilrande zu dem am flachen Strande
hinführenden Wege abbricht. Nach Südwesten hin steht der See
in Verbindung mit dem grossen Bruch, das sich in mannigfachen
Windungen bis nach Eammin erstreckt, während eine schmälere,
ostliche Verlängerung südlich von Eiersberg und Kirchhagen nach
Treptow und zu den Niederungen an der unteren Rega führt, die
*) Korrumpiert aus Niflose, einem Namen, der für den Horst -Eiers-
bergersee im 13. Jahrhundert erwähnt wird.
Das Küstengebiet Hinterpommerns. 34 1
ihrerseits wieder mit den Mooren bei Kolberg in Verbindung stehen.
Thebesias schloss aas diesen Umstanden, dass einst ein schiffbares
Gewisser von Kammin nach Kolberg gegangen sei, and andere
haben ihm dies nachgeschrieben*). Der Verfasser einer Arbeit
über da8 Kloster Beibog**) glaubt die Zeit dieser Umwandlung
sogar noch in das 14. Jahrhundert legen zu können und meint,
als die 1309 weit in das Land eingebrochenen Meeresfluten
zurücktraten, flössen auch die Gewässer ab, welche die meisten
der jetzigen Wiesen bei Treptow und weiterhin aberdeckten.
Wenn ein Anker im Torf gefanden wird, so kann er in den-
selben hineingesanken sein und beweist nicht, dass das betreffende
Moor zu einer Zeit, wo man eiserne Anker hatte, ein schiffbarer
Meeresarm war; selbst die hier und da bei Treptow gefundenen
Scbiffstheile (ob's nicht Boote gewesen sind? — von ihrer Grosse
wird nichts gesagt), konnten aus später wieder vertorften Gräben
stammen. Dass diese Niederungen allmählich — und lange vor
der Gründung Kammins und Kolbergs versumpft und vertorft sind,
ist gewiss; das meiste zu ihrer Trockenlegung hat der Mensch
gethan. So wurde z. B. der im SW. von Hoff gelegene Dresow-
sche See erst im Jahre 1777 durch einen Kanal in den Horst-
£iersbergersee geleitet. Es ist nicht unmöglich, ja nicht einmal
anwahrscheinlich, dass einst der ostlichste Arm der Oder von
Kammin bis an den Horst- Eiersbergersee reichte, die Niveau-
unterschiede sind anbedeutend und können durch den aufstauenden
Dänensand und das ungleiche Wachstum der Torfbildung ent-
standen sein. Der Teil des Braches zwischen Eiersberg and
Treptow — bei dem der Spiegel der Rega 4 m aber dem Meere
liegt — durfte aber weit eher als eine ehemalige westliche Ab-
lenkung der Rega gelten können. Hier kann erst eine gründ-
liche geologische Specialuntersuchung aus dem Bereich mehr oder
minder gewagter Kombinationen hinausfahren. Thebesias, der
immer herausfühlt, worauf es ankommt, bemerkt, er habe am
Rande anter dem Torfe Seesand (abergewehter Danensand?) ge-
fanden; ich beobachtete an einer Furt im SW. des Horst -Eiers-
bergersees Diluvium. Im Gegensatz zu denen, die einst eine
Odermundung bei Kolberg konstatieren zu können glaubten, hat
P. v. Gundling die Behauptung aufgestellt, dass die Rega ehemals,
ehe die Ostsee das Land aberschwemmt habe, bis nach der Insel
Rügen geflossen sei!***)
*) Z. B. Colpin: Über die Naturgeschichte von Pommern in: Gesterding,
Pomm ersehe* Museum, Theil I, 8. 46.
**).... r in Baltische Studien, Bd. II, S. 4 f.
***) Siehe bei Brüggemann, Beschreibung von Pommern. II. 1, 8. VIII.
Stettin 1784.
342 Faul Lehmann:
Von der Mündung der Liebelose bis zur Regamundnng (lS^km)
und von dort bis zum „Tiefe* des Kampsees (6^km) zieht sich ein
reines Danenterrain, das auf der Binnenseite fast durchaus an
phytogene Alluvialbildungen grenzt. Ganz im Westen, wo der
60 Hektar grosse Eirchhagenersee jungst in den Horst-Eienberger
abgelassen wurde, grenzt der Dunensand an niedriges Diluvium
und hat dasselbe in früheren Zeiten teilweise überdeckt. Die Breite
des Dünenterrains erreicht im Osten des ehemaligen Kirchhagener-
sees 1,75 km, nimmt aber nach Osten hin bestandig an Breite
ab. Diese Dunen waren bis in unser Jahrhundert hinein Wander-
dünen. Die ersten Nachrichten über ihre zerstörenden Wirkungen
stammen aus dem 16. Jahrhundert und sind übersichtlich von Boll
zusammengestellt*). Im 17. Jahrhundert musste den Eiersbergern
(1644 und 1654) die Pacht wegen des Yorschreitens der Über-
sandung ermässigt werden und der Heidehof bei Westdeep nahe
der Regamundnng um 1 km ins Binnenland zurückweichen. Wenn
wir zuerst 1558 von einem Vordringen der Wanderdünen hören,
so ist damit höchstens dargethan, dass sich ihre Zerstörungen seit
dieser Zeit an Kulturlandereien und wertvollen Waldungen be-
merkbar machten. Jedenfalls sind Boll und seine Gewährsmänner
im Irrtum, wenn sie behaupten, in den Jahren 1682 — 1690 bildeten
sich die Sandberge an der Rega und 1793 die Dünen zwischen
dem Treptower und Eolberger Deep. Diese Angaben bezeichnen
immer nur das akute Auftreten eines chronischen Übels, die
Dünen sind selbstverständlich weit alter. Im 18. Jahrhundert
besang sie Thebesius**) als weissschimmernde Hohen und das
sind sie grösstenteils geblieben, bis um die Mitte dieses Jahr-
hunderts ernstliche Anstalten zu ihrer Festlegung getroffen worden.
Die höchsten Gipfel erreichen in der jetzt mit kümmernden Kie-
fern bedeckten Kirchhagener Düne und in der aus einem noch
vielfach wunden Terrain aufragenden Yoigtshagener 35 m. Sieht
man sich vom Leuchtturm in Horst die Gegend an, so dominieren
diese Hohen in dem Landschaftsbilde, erst fern im Westen erheben
sich jenseit des niedrigen, zwischen dem grossen Bruch und dem
Meere ausgebreiteten Landstriches die dunkeln Waldhohen von
Wollin. Die höchsten Dünen erheben sich nahe dem Bande der
Reganiederung, zu deren flachen 1,5 — 2 m hohen Wiesen sie steil
hinabsinken, wellige Niederungen trennen sie von dem Strandet
*) Boll a. a. O. S. 170 u. 171. Boll citiert Rosenh&in: den Gewährs-
mann für v. d. Borne in seiner dankenswerten Arbeit „Zur Geognosie der
Provinz Pommern44 in: Z. d. d. Geol. Ges. Bd. IX, S. 473 f.
**) Dähnert, Pommersche Bibliothek II, S. 29. Thebes. in „Topograph*
Treptoae ad Regam carminica44 : litora cum niveis elata videbit arenis qu*>
mare caeruleum spumantibus evomit undis.
Das Küstengebiet Hinterpommerna. 848
längs dessen sich ein Donengebiet von 4 — 8 m Hohe hinzieht«
Ein alter See, der „ Seh wartzsee a genannt, soll hier einst zuge-
weht sein; ich traf, als ich von der Eirchhagener Dune, deren
niedrige Kiefern den weissen , kaum von spärlichem Moos and
abgefallenen Nadeln bedeckten Boden schützend umhüllen, nach
Norden auf einer Schneise zum Meere wandelte, nur einige kleine
Wasserlachen. Sie zwangen mich indessen immerhin zu Umwegen
dnreh den Wald, der in ihrer Umgebung durch einige Fichten
und das wuchernde Heidelbeerenkraut Erinnerungen an Gebirgs-
waldungen wachrief. Steil senken sich 8 m hohe Dunen zu der
an ihrem Fusse hinfliessenden Rega, die mir ihre Nähe schon
lange durch das über den Weststrand ausgebreitete, aus dem Fluss-
bette mitgeführte Kraut verkündet hatte. Eine mächtige Barre,
auf der sich im Winter die Eisschollen türmen, legt sich von
Osten vor die Mündang des Flusses und hemmt jeden Verkehr.
Auf der Ostseite liegt in der Nähe der höchsten 15 m hohen
Dünenkuppe ein schmuckes zur Aufnahme von Badegästen be-
stimmtes Gasthaus und dahinter auf flachem Terrain Ostdeep.
Die Fundamente der kleinen Häuschen gehen durch den flachen
Sand bis in die Torfun ter läge. Das Dünenterrain nach Osten
wird schmaler und niedriger, die Kuppe des kleinen Triangula-
tionspunktes Ostdeep II misst nur 5,2 m. Erst auf der schmalen
Nehrung vor dem Kampsee finden sich wieder einige Kuppen,
die bis gegen 10 m Hohe erreichen.
Das eben besprochene Küstengebiet ist im Laufe von 500
Jahren der Schauplatz mannigfacher Umgestaltungen gewesen.
Hier hat das alte Regamünde gelegen, das uns in manchen Über-
lieferungen schier als ein Hinterpommersches Yineta entgegentritt.
Sicher ist, dass noch im 14. Jahrhundert die untere Rega eine —
noch heute durch den Arm der sogenannten faulen Rega ange-
deutete — ostliche Richtung hatte und nahe der Westecke des
Kampsees, der auch als der „ Regesche Seea bezeichnet wird,
ins Meer floss. Hier lag Treptows Vorhafen Regamünde, an dem
jetzt versandeten Gebiet in der Nähe des Triangulationspunktes
Ostdeep II. Der Hafenort muss zum Teil wenigstens auf einem
Terrain gelegen haben, das noch heute nicht vom Meere begraben ist,
denn als im Frühling des Jahres 1855 heftige Brandungen den Strand
aufgewühlt hatten, da traten Überreste baulicher Anlagen hervor,
die sich deutlich erkennen und unterscheiden Hessen*). Am
Strande waren unter gewöhnlichen Verhältnissen schon in Thebesius
Zeiten keine Denkmäler mehr zu sehen, der uns berichtet, dass
vom Grande des Meeres „Grund- und Bruchsteine tf zur Erweite-
*) Bali Studien 18, S. 81.
844 Paul Lehmann:
rang der Kirche von Robe ausgehoben und verbraucht wurden*).
Wohl aber sind am Ende des 16. Jahrhunderts noch Banreste
vorhanden gewesen, die von den Kirchenvorstehern zu Robe inr
Auffuhrung einer Kirchhofmauer erbeten wurden, „da das Mauer-
werk daselbst zum Verderb stehe"**). Herzog Johann Friedrich
beschied die Bittsteller am 8. Juli 1597 abschlägig: „Da der Thorm
nahe am Strande belegen, dass die Schif-Lente ihre Abzeichen
daran nehmen, haben wir den Thurm abzubrechen und diese
Nachricht denen Schif-Leuten zu verschneiden billiges hinter-
denken * •••).
Hier also hat das alte Regamunde oder Treptower Deep
sicher einst gelegen und zwar auf einem Gebiet, das einesteils vom
Meere verschlungen, andernteils vom Sande überwellt ist Wann
und wie ist der zuerst 1287 urkundlich erwähnte Hafen Rhege-
mund zerstört? f) Die Schriftsteller suchen meist nach Katastrophen.
Eine Sturmflut im Anfang des 15. Jahrhunderts oder auch die
Verstopfung der Mundung durch die neidischen Kolberger sollen
die Ursache gewesen sein. Der Handelsneid hat längs der ganzen
Küste manche verdammenswerte That veranlasst und mag auch
hier im Spiele gewesen sein; der Hafen hat den Treptowern aber
sicher längst vorher viel zu schaffen gemacht und ihnen die Idee
von einer Verlegung desselben nahegelegt. Im Jahre 1322 er-
hielten die Treptower von Wartislaw IV. die — für uns höchst
interessante und lehrreiche — Vergünstigung, quod portum dictum
Reghe round possin t ponere ubicunque voluerint et meliorare proat
ipsis videbitur expedire.
Diese Verordnung beweist, dass Regamunde 1322 den An-
forderungen der Treptower nicht mehr entsprach und dass die
Bewohner jenes Ortes selbst — der immerhin eine Kirche gehabt
haben mag — schwerlich so zahlreich waren, dass ihre Stimme
bei einem für sie verhängnisvollen Schritte in das Gewicht fallen
konnte. 1457 waren die Treptower zu der Anlage eines neuen
Hafens geschritten, der bei dem heute noch vorhandenen Ostdeep
mit Durchstechung des Dünenterrains gegründet wurde. Viel-
leicht hoffte man durch kürzeren und schnelleren Abfluss der
Rega eine stets offene Strasse ins Meer zu erhalten; eine Hoff-
*) Balt. Studien 3, S. 44 u. 45.
**) Balt. Studien 2, S. 28.
***) Oft ist auch behauptet, die Glocken in Robe stammten aus Rett-
münde. Dass dies für die grösste sicher falsch ist, da sie 1645 uTTreptow
gegossen wurde, erzählt Heintze in seinem lesenswerten Aufsats in „Balt.
Studien" Bd. 18.
f) Als „portus mari8a kommt es schon vor 1242 in einem Kaufverträge
vor, vergl. Berghaus* Landbuch II, 6 S. 870.
Das Küstengebiet Hinterpommerns. 345
Dung, die sich natürlich bald sehr herabstimmen musste*). Man
wollte sicher recht fest und dauerhaft bauen und gewann das
Kloster Belbnk und auch das oft klagende und zurückgedrängte
Greifenberg zur Teilnahme mit Steinfuhren u. s. w.
Am 10. Dezember 1861, als die Ostsee sich bei einem mini-
malen Wasserstande um 500 Fuss vom Ufersaum zurückzog, wur-
den die Molen des alten Hafens sichtbar. Sie gehen nach Berg-
haus tief in die Ostsee und sind zwei Fuss weiter von einander
entfernt als die Molen des Kolberger Hafens.
„Die grossten Schiffe sind ein- und ausgegangen % sagt Berg-
hans, „ und das beweist wenigstens die Möglichkeit der Wiederher-
stellung eines Hafens. tf Sicher wurde es der Technik des 19. Jahr-
hunderts gelingen, hier bei dem notigen Kostenaufwande einen
Hafen zu schaffen, der die Leistungen der Vorzeit hinter sich
Hesse. Ob er sich lohnen wurde, ist eine andere Frage. Ange-
regt wnrde das Projekt 1855. Sehr problematisch sind „die gross-
ten Schiffe, die ein- und ausgingen". Jedenfalls war das Trep-
tower Deep im 16. Jahrhundert ein unbedeutender Ort und zählte
1560 nur 19 Wirte, 1587 deren 24. Wenn Kantzow erzählt, die
Treptower hätten auch „ein Fliess, die Rega geheissen, dadurch
sie Schiffahrt und Handlung zur sehewertz hoben"**), so hat das
freilich seine Richtigkeit, aber der Verkehr war immer precär
und unbedeutend. Dauernd scheinen Besserungen am Hafen notig
gewesen zu sein; 1661 verpflichteten sich die Oreifenberger zu
5 Ziegel-, Stein- und Holzfuhren fur's Jahr, und 1699 wurde dem
Major Timme die Ausräumung des Tiefes am Kampsee und am
Regastrome übertragen. 1712 gab es noch neun den Treptowern
gehörige Seeschiffe von 15 — 50 Lasten, um 1775 wurden die
Waaren schon von den auf der Rhede liegenden Schiffen auf
Booten ein- und ausgeführt. Heute würde der Zustand des
Tiefes das nicht mehr gestatten, aber Treptow hat dafür auch
bessere Verbindungen auf der Landseite und ist nicht mehr
allein auf seine ärmliche Flussader angewiesen. Die 20 — 30m
breite Rega hat 1 — dm Tiefe und ist über dieses Maximum
wohl nie hinausgegangen. Bei den Nachrichten über die Schiff-
barkeit der Strome in älteren Zeiten haben wir stets in Betracht
zu ziehen, dass man sich mit diesen einzigen Verkehrswegen,
so gnt es ging, einzurichten hatte, die bei dem durch zahl-
*) Die Bestimmung 1464, »den Hafen Regamünde nach Willkür zu
heuern und zu bauen1*, ist wohl nur als einfache Bestätigung des alten
Privilegiums anzusehen. Oder sollten schon damals neue Enttäuschungen
eingetreten sein?
**) Kantzow, Pomerania ed. Kosegarten. Greifswald 1816 und 1817.
Bd. H, S. 457.
346 Paul Lehmann:
reiche Waldungen mehr regulierten Wasserabfluss immerhin besser
brauchbar waren als heute.
Die Kolberger hatten einmal den Plan, einen Kanal nach dem
Kampsee zu stechen, um das Holz von der Rega leichter trans-
portieren zu können, und Bruggemann erzählt uns, dass von Labes
viel Holz nach dem Treptowschen Deep*) geflöast und daselbst
in Schiffe geladen werde. Wenn Wartislaw 1310 selbst die
Molstow schiffbar machen wollte, so bezieht sich dies nur auf
Kähne und Boote. Auch die Schiffe, die von Deep nach Treptow
gingen, waren nur Ruderboote, wie schon aus der Angabe hervor-
geht, dass der von ihnen zu erlegende Zoll, die „ Remenpennige4,
nach der Zahl der Ruder berechnet wurde.
Wir kommen sonach zu dem Schluss, dass die Verloste an
die Ostsee auf diesem Gebiete in 500 Jahren nicht bedeutend ge-
wesen sind und dass der Zustand der Regamundung bei gleichen
Bemühungen dem vergangener Jahrhunderte ebenfalls gleichen
wurde. Wenn die Fundamente der Molen im Wasser liegen, so
beweist das noch keine Senkung, sie sind ja gleich beim Ban
unter dem Wasserspiegel gewesen und wir hören nichts davon,
dass die Rucken der alten Molen jetzt unter dem Meeresspiegel
liegen. Wie das alte Rhegamund allmählich unterging, haben wir
aus verschiedenen Daten gesehen und müssen es auf sich beruhen
lassen, wie viel z. B. die grosse Sturmflut 1497 zu der Zerstö-
rung beitrug. Die meisten Bewohner hatten ja ohnehin nach An-
lage des neuen Hafens ihre Existensbedingungen verloren nnd
gewiss schon vorher eine andere Wohnstatte aufgesucht
Der Kampsee mit einem Längenmaximum von 4%, einem
Breitenmaximum von 28^km hat eine an die Form eines Kleeblattes
erinnernde Gestalt. Die Ufer sind durchweg flach und zum gros-
sen Teil sumpfig, so dass die Dunenerhebungen auf der Nehrung
die bedeutendsten Erhöhungen der Umgebung bilden. Die in
ihrem westlichen Teile l^km breite Nehrung ist teilweise mit
hohen Kiefern bedeckt, dann verschmälert sie sich (2km lang)
auf 100 — 200 m und endet mit einem mühsam festgelegten
Dunengebiet von 7 — 9 m Hohe vor dem Tief. Der Unter-
grund des Sees ist grösstenteils schlammig und moorig, die Ufer
verwachsen an den meisten Stellen mehr und mehr; nur in der
Mitte des Sees (ungefähr dort, wo auf der Generalstabskarte der
Name Kampsee steht) liegt etwa 400 m lang und 150 m breit,
1% — l%m unter dem Mittelwasser, ein mit Steinen bedecktes
Riff**). Während die sudliche Ausbuchtung in ihrer Maximaltiefe
*) Brüggemann a. a. O. II. 1 S. VIII.
**J Den Horst-Eiersbergersee und den Kampsee habe ich nicht selbst
befahren and abgepeilt. Die Nachrichten haben für mich Herr Lehrer Kratike
Das Küstengebiet Hinterpommerns. 347
kaum 2m erreicht, finden sich in der westlichen nordlich des
Ortes Kamp fast 2^ und in der östlichen 2^ — 2s^m. Im Sü-
den der schmalen Nehrung sind nur 1 — l^m Wasser und im
Tief selbst vereinzelt in Kolken hin und wieder 2 m. Im Osten
des Tiefs schiebt sich in Verlängerung der niedrigen gegen SW.
gerichteten Halbinsel ein flaches Sandschaar weit in den See hin-
ein gegen das Steinriff. Die eigentumliche Riffbildung im See
wiederholt sich mehrfach im Meere, wie ein Blick auf die Ad-
miralitätskarte lehren kann. Zu beiden Seiten des Kampsees
springt die 10 m Linie weit vor und noch ausserhalb derselben
erheben sich einige Untiefen. Auch der Strand deutet auf die
Zerstörung steinbaltiger Diluviallager hin. An einer Stelle schürf-
ten und arbeiteten die Wellen mit einem breiten Steinriff, das sie
gegen die Küste heranzuschieben bemuht waren und durchweg
fielen im Gegensatz zu der gegen Ost- Deep gelegenen Uferpartie
die zahlreich über den Strand ausgebreiteten Steine auf, die in
Xartoffelgrosse bis gegen die Vordane hin ausgebreitet waren. Der
50 und gegen den Kampsee 100 m breite Ausfluss wendet sich
aus dem See in starkem Bogen gegen Osten und tritt aus einem
300m breiten Thor zwischen den Dunen hinaus in die See, die
von Osten nach Westen vor demselben ein 180 m langes Riff auf-
gebaut hatte. Während dieses anscheinend nur aus Sand gebaut
war, lagen zu beiden Seiten des Tiefes faustgrosse Steine über
den Strand ausgebreitet. In Folge langer Trockenheit stand der
Spiegel des Sees am 17. Mai 1884 so niedrig, dass sich ein Tief
beim Mittelwasser der Ostsee (Stolpm finde z. B. genau 0,71 d. h.
Mittelwasser) eingehender Strom zeigte. Bei plötzlichem Ansteigen
des Meeres wird derselbe sehr heftig. Die Abbruche an dem rech-
ten convexen Ufer, die in den niedrigen Profilen mehrmals Sand
und Torf wechsellagernd zeigten, und die weit in den Kampsee hin-
ausgebaute Sandbank sind sein Werk. Während man am An-
fang des 18. Jahrhunderts das Tief nach dem Meere hin erwei-
tern und wo möglich zu Schiffahrtszwecken tauglich machen wollte,
tauchte 1 860 das Projekt auf, den Kampsee zum Nutzen der durch
den wechselnden Wasserstand häufig geschädigten Adjacenten gegen
das Meer völlig zu verschliessen. Bei Anlage einer gut kon-
struierten Schleuse, die das überschüssige Susswasser zum Meere
führte, durfte sich dieser Plan wohl als empfehlenswert bezeich-
nen lassen.
Im Osten des Tiefs zieht 5^ km längs des Strandes, der in
ganz flachem Bogen vorspringt, ein Dünengebiet, das einmal bis
in Horst und der Wirt des Strandhotels in Deep von den Fischern einge-
zogen und die Angaben auf den von mir eingehändigten Kartenskizzen ver-
zeichnet.
348 Paul Lehmann:
400 m Breite erreicht und auf der Binnenseite in den letzten
Decennien den Schmuck eines Kiefern- und Birkenwaldes erbalten
hat. Die Bildung einer Vordune ist für die ersten l^km kaom
möglich, denn der Strand ist an manchen Stellen völlig mit faußt-
grossen Steinen überdeckt. Zwischen ihnen zählte ich in einer
Linie 15 schwarze, wie hohle Backzähne geformte Stubben, die
teilweise 1 m Durchmesser hatten. Zwei der mächtigsten ragten
noch weiter ostwärts, wo die Steine bereits wieder gegen die Sand-
anwehung zurücktraten, aus dem Wasser hervor. In der Nähe der
Ecke, wo der Eolberger Turm sichtbar wurde, tritt einmal die
alte Dune bogenförmig zurück, und auf dem Vorstrande, der durch
eine prächtig entwickelte Vordune begrenzt wurde, zeigten sich einige
grosse Torffladen. Wie zerfallene Dächer und Giebel ragen die
letzten, hohen, vom Winde zerzausten Dunen empor, dann dehnt
sich, ein ödes, düsteres Bild, zur rechten jenseits der niedrigen
Düne das Eolberger Torfmoor aus. Trotz der Fangzäune gedeiht
die Dünenkultur nur schwach, an einigen Stellen lag die junge
neugezogene Düne, 2 m hoch, auf einem breiten Wall abgerundeter
Steine. Die Sturmfluten von 72 und 74, die diesem Küstenstrich
übel mitspielten und die Steine aufhäuften und verschoben, haben
hier in dem breiten Steinwall ein dauerndes Denkmal hinterlassen.
Infolge der letzten Dezemberflut wurde die Schleuse zerstört,
welche zur Entwässerung der Moorwasser unter der Düne hin-
durchführte. Als ich sie sah, stand der Meeresspiegel über einen
Fuss unter dem Ende des verschlossenen, etwa einen Quadratmeter
im Durchschnitt zeigenden Bohlenganges. Einzelne Stubben anf
dem Vorstrande deuteten auf die Landverluste; hier und da lag
auch ein grosser Torffladen , ja nach der Flut von 1874 sind —
nach Mitteilung des Herrn Geheimrat Hagen — am Vorstrande
alte Torfstiche zum Vorschein gekommen. Wie weit muss die
See die über faustgrossen Steine herangerollt haben über die zer-
störten unterseeischen Torflager hinweg! Weit energischer als
heute muss im vorigen Jahrhundert die See an den von seinen
Fluten bedeckten mit Baumstämmen gemischten Torfschichten ge-
arbeitet haben. Wenigstens darf man das nach den in Gester-
dings „Pommersches Magazin a publicierten Arbeiten Denso' s „Von
gegrabenen Seltenheiten" schliessen. Denso unterscheidet drei
Arten von Torf*), nämlich 1. den Plaggentorf oder Rahmtorf,
*) Gesterding, Pommersches Magazin 1774—75. Bd. III, 8.350t
Denso, Konrektor in Stargard, studierte und lehrte mit Eifer Naturwissen-
schaft und Vaterlandskunde. Dass wir in seinen Schriften manchem uns
wunderlich klingenden Passus begegnen, darf nicht Wunder nehmen und
zur Verkennung eines tüchtigen Mannes fuhren. Die Abschnitte über Dunen
ebds. S. 231, sowie die Erklärungen für die Sandbeimischungen in Humus und
Das Küstengebiet Hinterpommerns. 349
der viel Asche giebt und zur Fütterung der Festungswälle wie
aach zum Dachdecken benatzt wird, 2. den Kaltorf oder Graben-
torf, der 6 und mehr Schah tief gegraben wird und 3. den See-
torf. Dieser letztere, erzählt er, wird am Strande bei Eolberg
gewonnen und besteht aus ganzen Stücken halb verwesten Holzes,
wovon die Wellen ganze Stacke — bis za 10 Schuh Länge mit
Stämmen von 2 — 3 Schuh Durchmesser — losreissen. „Eine
Parthy wird am Strande selbst losgegraben, die andere spült das
Meer ab und treibt sie etliche Meilen weit seewärts, dem die
Schiffer nachfahren (?), es klein stechen und . . . eigentlich den
Seetorf nennen. Der Augenschein lässt mich sicher seh Hessen,
es sey ein Theil einer alten abgespülten Waldang . . . Doch was
ist klarer als diese Verwandtschaft zwischen dem Strandtorfholze
und den Steinkohlen?"
Es ist mir nicht bekannt, welche Entdeckungen über den
Untergrund man bei Erweiterung des Hafens und Anlage der
Molen gemacht hat*). Die Küstenlinie ist infolge der alten, oft
erneuerten und veränderten Hafendämme etwas vorgerückt und
zeigt zu beiden Seiten der Molenwurzeln zunehmende Versandung.
Auf der linken liegt die „Maikuhle", welche, zu Brüggemanns**)
Zeiten noch ein „Kienenwald", heute eine liebliche Oase mit dem
Blätterschmuck des gemischten Laubwaldes inmitten von Sand und
Torf bildet. Die Verhältnisse im Osten Kolbergs entsprechen
so ziemlich denen im Westen. Auf den unter dem Schutz der
Hafenbauten an Breite zunehmenden Sandstrand folgt eine niedrige
mit Lagern von Rollsteinen durchsetzte Dünenbildung als Grenze
zwischen Torfmoor und Meeresstrand.
Auch hier ist in den letzten Decennien Land verloren ge-
gangen; die alte Schanze Nr. 1 ist zum grössten Teil ein Raub
der Wellen geworden und bildet auf kurzer Strecke mit dem
Rest der aufgeschütteten Wälle ein steil abbrechendes Ufer. Geht
man von hier an der auf Rollsteinen flach gelagerten Düne weiter
ostwärts, so findet man gleich hinter dem aus dem Torfmoor
fahrenden (am 30. Juli 1883 an der Küste versandeten) Graben
das Diluvium unter dem Sande 1 — 2 Fuss im Abbrach. An ein-
zelnen Stellen waren teilweise bereits wieder weggespülte Strauch-
zäune hinter dem schmalen Vorstrande gezogen, um eine neue
Aufsandung zu fordern. In früheren Zeiten hatte der Sand das
Torf sind recht hübsch und lesbar, schwächer werden die in Bd. 4 und 5
folgenden Abhandinngen.
*) Bei Berghaus findet sich III, 1 S. 135 die Notiz: Bei Idee einer Ver-
tiefung der Persante auf unreinem Grunde und stellenweise sehr festem
Schlickboden berechnete man die Baggerungskosten u. s. w.
**) Brüggemann II, 2 S. 483.
350 Paul Lehmann:
Diluvium mehrfach erstiegen, war aber, wie dunklere mit Hamas
gefärbte Streifen bewiesen, in seiner Wanderung mehrfach von
rahigen Perioden der Vegetationsbildung unterbrochen worden.
Bis Henkenhagen, wo, ans zwei Armen zusammenfassend, ein
Bächlein von 6 m Breite sich durch ein niedriges, vor einem
kleinen Torfgrunde hinziehendes Dünenterrain windet, folgt ein
5 — 8 m über dem Meeresspiegel gelegenes Diluvialufer mit
schmalem Vorstrande. Vereinzelt zeigten sich frische Sandan-
wehungen am Fusse des Steilrandes, oft aber nötigten in der
westlichen Hälfte Unterhohlungen und Ausrutschungen zu einem
Verlassen des Vorstrandes. Alluvialbildungen, wie sie soeben
geschildert sind, zeigen sich stellenweise bis zu 8m Mächtigkeit
über dem Lehm. Nach der kleinen bereits erwähnten Lacke
erhebt sich das 10 — 12 m emporragende Ufer von Henkenhagen,
auf der Westecke mit einem Wäldchen von stattlichen Buchen ge-
schmückt, deren Vorposten auf der Wetterseite meist verdorrte
Äste zeigen. Oft ist der Strand hoch hinauf mit Sandanwehnngen
bedeckt, und selbst mitten im Dorfe, in dem freundliche Häuschen
und ärmliche Baracken zwischen Kastanien, Eschen, Dorn- and
Fliederbüschen zerstreut stehen , finden sich über der diluvialen
Grundlage hier und da Dunenbildungen. Die Häuser liegen dem
Strande zum Teil sehr nahe. Berghaus spricht bei Henkenhagen
wie dem später zu erwähnenden Sorenbohm von erheblichen Ver-
lusten an die See*). Sind ältere Flurkarten dieser Feldmarken
vorhanden — wie ich sie bei Jershoft benutzen konnte — w
durfte sich auch hier zur Gewinnung sicherer Angaben ein Ver-
gleich derselben mit dem heutigen Bilde lohnen. Man wird
wahrscheinlich dann die durch Tradition gewonnenen Angaben
stark reducieren. Von Henkenhagen folgt bis zur Mundung des
„Rothen Baches tt ein 2,2 km langes und bis 400 m breites Dünen-
terrain, das in der im Westen durch ein Windloch aufgerissenen
Lassehner Dune (21,2 m über NN) kulminiert. Der Vorstrand
bleibt schmal und zeigt vor der teilweise unterspalten Vordane
auffallend viel Grus in der Grosse von Linsenkörnern •*), bis sich
zu beiden Seiten des 18 m breiten Baches wieder grossere Steine
dem Sande beigemengt finden. Zur Rechten des Baches, dessen
*) Brüggemann, Beschreibung u. s. w. II, 2 8. 537—560 spricht tob
den Verlusten hei Bornhagen, Sorenbohm und Funkenhagen. Dem enteren
„thut die Ostsee durch die von Jahr zu Jahr zunehmende Versandung und
Wegreissung eines Teiles seiner Äcker vielen Schaden*. In Sorenbohn
haben die Einwohner „beinahe alle ihre Wiesen und besten Hütuag»*
durch zunehmende Versandung verloren. „Funkenhagen hatte ehemals eine
Kirche, welche die Ostsee weggerissen hat**
**) Die Seeleute nennen dieses auch auf dem Meeresgründe in dieser
Gegend bis vor den Bukowsee weit verbreitete Material „Sprenkeln*.
Das Küstengebiet Hinterpommerns. 351
gegen West vorspringende Barre, am für die weit überschwemmten
Wiesen einen schnelleren Wasserabfluse zu ermöglichen, ohne
grossen Erfolg durchstochen war (30. Juli 1883), breitet sich zu-
nächst ein ödes Sandfeld aus, mit vereinzelten, alten Weiden-
stumpfen, deren zerzauste, einseitig entwickelte Äste, wie die
Buchen bei Henkenhagen nnd zwei grosse Hornbäume bei Eiers-
berg, die Herrschaft der westlichen Winde bezeugen, dann folgt
bis zum niedrigen Diluvial uf er von Fankenhagen ein dem vorigen
in seiner Entwickelang ahnliches Danenterrain, in dem die Pleus-
hagener 12,5m Hohe erreicht*).
Das Ufer von Fankenhagen ist vor dem Leuchtturm nur
3m hoch and steigt mit seinen geringen Undulationen auch in
den höchsten Partieen nicht viel über 6 m empor. Bahnen, die
vor einigen Jahren in den Strand gerammt wurden, haben seit
drei Jahren vor dem Leuchtturm durch Bildung eines breiteren
sandigen Vorstrandes zur Anhagerung einer kleinen Dune geführt**),
wahrend weiter im Osten das Meer sich den in langer Reihe
längs seines Ufers erbauten Häuschen noch mehr und mehr nähert.
Die ganze Gegend ist flach, und die Umschau vom Leuchtturm
giebt ein recht monotones Bild. Das Bild bleibt bis Sorenbohm
hin im wesentlichen dasselbe***). Die kleinen Sandanwehungen
werden nach längeren Perioden der Ruhe und niedrigen Wasser-
standes immer wieder ein Raub der Stürme, selbst der auf das
Diluvium hinaufgewebte Sand ist vor einem erneuten Wirbel im
Spiel der Wellen noch nicht sicher und stürzt mit dem niedrigen
unterwaschenen Diluvium auf's neue ab. An einzelnen Stellen
reichte das bebaute Feld bis hart an den Steilrand, so dass die
Wurzelfasern des Getreides beim letzten Absturz biosgelegt waren.
Der Vorstrand wird nach einer Strecke bei Bodenhagen aufs
neue steinig, selbst da, wo eine kurze Düne eine Lücke im nied-
*) Auf den vom Kapitän Hoffmann im Auftrage der Admiralität aus*
geführten Küstenvermessungen findet sich etwas weiter östlich eine Höhen-
angabe von 18 m. Hoffmanns Segelanweisung fasst die Resultate für die
Nautik zusammen. Sie ist gedruckt als Beilage zu den Annalen der Hydro-
graphie 1877—78 und bildet die Hauptgrundlage des oft wörtlich mit ihr
übereinstimmenden Segelhandbuches.
**) Aus den beim Ministerium für öffentliche Arbeiten eingegangenen
Berichten über die Dezemberflut geht hervor, dass die Vordüne hier wie
an den meisten Stellen fast weggespült wurde.
***) Westlich von Sorenbohm liegt hart am Strande das Gehöft Born-
hagen. Westlich des Wohnhauses springt 7 Schritte ein Stall vor; von hier
bis in die Fluchtlinie zweier grossen Eschen zahlte ich 15 Schritte, und
weiter bis an die mit dem niedrigen Uferabbruch abschneidende Linie 11,
während der Vorstrand 25 Schritte breit war. Ich glaube ziemlich sieher
hier für den Schritt % m setzen zu können. Eine genaue Messung ist leider
bei einer zur Eile zwingenden Wanderung .verabsäumt.
352 Paul Lehmann:
rigen Di lu vi am aasfallt. Auf der Ostseite von Sorenbohm liegen
auf uberwelltem Dilavium höhere Danen mit auffallend steilen
Böschungen. Die Genesis dieser Wälle reicht wohl bis in die
Zeiten, wo man durch Zaun- und Weidenpflanzungen auf dem
Rucken der Dune der weiteren Versandung Einhalt zu thnn
suchte. Bei dem massigen Andrang neuer Sandmassen sind jetzt
diese Dunenwälle hier und besonders in dem benachbarten Bauer-
hufen mit schönen gemischten Laubholzbeständen geschmückt, so
dass sie den Badegästen willkommene Schattenplätze gewähren.
Auf der ganzen Strecke von dem 6 km östlich von Kolberger-
munde gelegenen Graben bis zum Ostende von Sorenbohm zeigte
sich mit Ausnahme einer 6 km langen Partie zu beiden Seiten
des Rothbaches ein niedriges, teilweise überwehtes Diluvium im
Abbruch (21^ km — 6 = 15^); von Sorenbohm an folgt bis
gegen Jershöft hin auf 52 km Länge eine niedrige Dunenkuste.
Sie springt in flachem Bogen zurück und dämmt an dem am
weitesten zurückgelegen en Teil mit schmalen Nehrungen die
beiden Eustenseen von Jamund und Bukow ab.
Bei Bauerhufen beginnt mit massenhafter Grus- oder
Sprenkelbildung am Vorstrande das 3 — 400 m breite Dunenterrain
vor einer flachen, stellenweise torfigen Niederung, die sich als
westliche Verlängerung des Jamundschen Sees vor Gross- nnd
Klein -Mollen 4^ km weit verfolgen läset. Kleine 5 — 6 m höbe
Kuppen wechseln mit längeren Zügen und breiten Sandverwehnngen
und senken sich kurz vor dem Begitfn des Jamundschen Sees,
höher entwickelt, mit steiler Böschung zu dem hinter ihnen ent-
lang führenden Wege.
Am Südwestende des 10 km langen Jamundschen Sees beginnt
eine 500 — 750 m breite Nehrung, die von einem Tief in zwei
nahezu gleiche Teile getrennt wird und durchaus ans AUavial-
bildungen zu bestehen scheint. Nahe dem Westende liegt das
Dorf Nest*), bei dem die höchste Düne bis zu 18 m ansteigt; am
Nordosten de entspricht ihm Läse und nicht fern des Tiefes liegt
auf der Nehrung das ärmliche Fischerdörfchen Deep. Armselige
Feldparzellen liegen zwischen den dünenartig eingeaandeten
Zäunen und unterbrechen mit den winzigen Flecken von Roggen-
*) Nach Brüggemann ist bei Gross-Möllen ein Fischerlager Titte vom
Meere zerstört; Berghaus III, 1 8.229 teilt mit, dass Nest 1552 durch eine
Sturmflut ganslich zerstört sei und dann an „der frischen See" — so wird der
Jamunder See auch im Volksmund genannt — aufs neue erbaut ward. «Tor
Alters — heisst es im Eösliner Urbarium 1712 — war der Strand bei >*«t
mit Weideland so reichlich gesegnet, dass nicht allein die Bewohner de»
Fischerlagers vor ihr Vieh, sondern auch die Bürger aus der Stadt tot die
jungen Kälber und Füllen sich derselben bedienten, so aber alles verging«*
nnd besandet"
Das Küstengebiet Hinterpommerns. 533
ftaat den triaten Anblick der spärlich bewachsenen Dunen. Diese»
läogs des Strandes 8 — 5 m hoch, erreichen auch in den höheren
Koppen (s. B. gleich westlich des Tiefs, wo sie von demselben
angegriffen werden), kaum 8 m. Auf der ostlichen Hälfte zeigen
sich nahe bei Läse einige kleine Erlenbruche, umgeben von einem
ganz flachen, mit einer Grasdecke und vereinzelten Wachholder-
sträuchen bekleideten Terrain. Am Vorstrande finden sich, wie
auf der westlich gelegenen Strecke, ziemlich viel Steine, die sich
ostlich von Deep auch in dem zerrissenen Dunengebiet zeigen und,
halbwegs zwischen Deep und Läse, mitten im Dunenterrain den
flachen Boden einer 200 m langen Mulde vollständig bedecken.
Das langgestreckte Muldenthal, eine Erosion des Windes, ist von
niedrigen Steilwänden umrahmt, aus denen als schwarzes Band
stellenweise die Vegetationsdecke einer alten versandeten Dune
hervorschaut. Eine flache Waldniederung trennt den Jamundersee
von dem Sudwestende des Bukower. Die Dunen werden etwas
hoher (einmal über 9 m) und liegen, wie die am Vorstrande auf-
ragenden Stümpfe beweisen, auf altem Waldterrain. Auf der
durch ein Tief in zwei ungleiche Hälften geteilten Nehrung liegt,
3 km vom 8W-Ende entfernt, nur das kleine Fischerdorfchen
Damkeort*). Die Nehrung ist bis dahin sehr schmal (oft nicht
200 m breit) und auf der Binnenseite durch kleine von Rohr um-
gebene Einbuchtungen , vielleicht den Resten alter Durchbruche,
so ausgezackt, dass ich einmal von der Dune (Hohe im Maximum
auf der Nehrung 7 — 8 m) sowohl in den See als in das Meer
werfen konnte.
In der verhältnismässig grossen Längenentwickelnng**) in
der Konfiguration ihrer flachen Ufer, wie in ihren Tiefen- und
Niveauverhältnissen , sind die beiden Seen einander sehr ähnlich.
Die beiden Vorsprunge von Puddemsdorf und Labus gliedern den
Jamundersee in drei Becken, von denen das mittlere das grösste
ist. In den Bukowersee treten die Halbinsel mit der Bukower
Forst und der stumpfe Steinhaken bei Alt-Steinort in ähnlicher
Weise vor. Beide Seen liegen fast im Niveau des Meeres und
zeigen in den Seegatten oft eingehende Strömung. Dass sie in
Bezug auf ein- und ausgehenden Strom völlig korrespondieren, ist
indessen unwahrscheinlich. Der Jamandsche See hat ein be-
trächtliches Entwässerungsgebiet, welches dem Bukower äusserst
*) Auf dem Wege von Damkeort nach Läse fand ich am Strande auf-
fallend viel Bernstein in Stücken bis znr Grösse einer Kartoffel. Die Stürme
des 27 — 28. Juli hatten ihn ans Land geworfen. Nach Thebesius ward 1576
bei Funkenhagen ein Stück von 11^ Pfund gefunden und im 18. Jahrhundert
ein noch grösseres bei Hof, aber aus „Tummheit und Wucherbegierde der
Bauern zerschlagen0.
Zeiftaeh*. d. GkseUMh. t Brdk. Bd. XIX. 23
354 Paul Lehmann:
spärlich zugewiesen ist. Die Gewässer von den Abhängen des
breit aufgewölbten G ollen eilen durch die an seinem SW.- und
NO.* Abhänge hinfiiessenden Bäche cum Jamundersee. Im Westen
des Gollen haben wir den aus dem Luptowersee kommenden
Kosliner Mühlgraben, der sich in teilweise lieblichen Uferpartieen
durch das freundliche Koslin windet und in das mittlere Becken
des Küstensees ergiesst, im Osten den durch Wiesenniederangen
eilenden Nestbach, der ostlich von Labus in die Wussekenei
Bucht mundet. Zwischen dem Nestbach im SW. und der rar
Wipper gehenden Grabow bleibt dem Bukowersee nur ein Ent-
wässerungsgebiet, das kaum seine eigene Fläche übertrifft.
Die durchschnittliche Tiefe der beiden Seen glaube ich, ab-
gesehen von dem mir in seiner Mächtigkeit unbekannten Schlamm
und Moder ihres Untergrundes, zu 2 — 3 m angeben zu können.
Vom Sudufer erstrecken sich, die schon auf der Karte angedeutete
Gliederung der Seen noch vervollständigend, diluviale Untiefen
von den vorspringenden Kaps noch weiter hinein in den moorigen
Seegrund. Der „ Steinhaken " im Bukowersee ist noch immer
durch seinen Namen charakterisiert, obwohl die in seiner Nähe
den Seeboden bedeckenden Blocke cum grossten Teil für Bau-
zwecke nutzbar gemacht sind. Im Jamundersee liegt auf dem
Schaar vor Labus ein mächtiger Block, der bei Mittelwasser her-
vorschaut, und 500 m nordostlich von Puddemsdorf ein cweitei,
der durch einen auf einer Stange befestigten Strohwisch mar-
kiert wird.
Der sandige, flache Vorstrand der Nehrungen ist fast durch-
gehend schmal und senkt sich dann plötzlich zu einer Tiefe von
2 m mit moorigem Untergrund. Ganz gleichmässig und allmählich
ist von da ab der Boden beider Seen gegen die tiefste den Neh-
rungen parallel laufende Partie geneigt. In keinem der beiden
Seen habe ich mehr als 8 m gepeilt, diese aber durchgehend im
Bukowersee zwischen Tief und Steinhaken und im Jamundersee
auf der Linie, welche die beiden Kaps vor der mittleren Bucht
verbindet, und in den ihr zunächst gelegenen Regionen*)«
Das Tief aus dem Jamundersee geht mit einer starken nach Osten
ausgebogenen Kurve durch die Nehrung und wendet sich dann,
kurz vor dem Austritt die Dunen anschneidend und unterspülend,
gegen Westen» Auf der Binnenseite liegen einige Inseln. Die
grosste umfasst 32 Morgen und bildet einen guten Weidegrund,
zu dem das Rindvieh hinüberwatet und schwimmt. Ginige Rohr*
*) Von Deep nach Wusseken hinüber, meinte einer der Fischer, sei
eine noch etwas tiefere Stelle, ich habe in dieser Bucht keine Peilungen vor-
genommen.
Das Küstengebiet Hinterpommerns. 355
inseln liegen in der Nabe und gewinnen alljährlich an Umfang,
da der mit eingehendem Strom herbeigeführte Sand sich hier setzt.
Kleine Veränderungen vollziehen sich alljährlich, kräftiger wirkt
dann eine Katastrophe, wie die vom letzten Dezember, bei der
das plötzlich ansteigende Meer mit stürmender Gewalt durch das
Tief in den See drang.
Die Kosliner fahren wahrscheinlich einst weiter östlich, wo
gegen Deep hin die sogenannte Bollwerksdune liegt, mit ihren
Sehnten aas dem Jamundschen See ins Meer. Das jetzige Tief
ms sich, nach Brügge mann, der See (?) — natürlich die Ostsee
— bei einem heftigen St arme am 26. November 1690, nachdem das
alte versandet war*). Ein alter Durchbrach liegt, auf der Binnen-
seite durch die Erlenbüsche und die hier breiter in den See vor-
tretende Nehrung angedeutet, etwa 1 km westlich von Läse.
Das laufende Tief des Bukowersees ist seit Anfang der vier-
ziger Jahre nach Westen gerückt, hat auf der linken Seite die Dünen
angegriffen und die Verbindung gegen den See hin etwas verkürzt.
Die Kanäle zwischen den alten Tiefinseln verwachsen allmählich,
und westlich neben ihnen ist durch den oft eingehenden Strom
eine breite Barre gebildet, die sich bald inselartig erheben wird
and vielleicht in einem Jahrzehnt statt der Schaaren von waten-
den Wasservögeln Vierfüsser -auf ihrem Rücken trägt.
Das Tief ist auf der alten Generalstabskarte als gegen die
See hin geschlossen gezeichnet; das ist, wenn überhaupt, nur für
kurze Zeit richtig gewesen. Die breit in den See hineingeführten
Sandschare zu beiden Seiten der Tiefinseln, die sich mit un-
regelmäßigen Eontouren plötzlich gegen den 2'^m unter dem
Wasser gelegenen Moorgrund absenken und auf einen bald hier,
bald dort ablagernden, eingehenden Strom deuten, sprechen für
eine lange, andauernde Öffnung des Tiefs. In den letzten Jahren
ist es, wie mir vom Herrn Regierungsrat Benoit in Eoslin mit-
geteilt wurde, immer offen gewesen. Eine zeitweilige Öffnung hat
1 km östlich des Tiefs gelegen und ist durch Packwerk gegen das
Meer geschlossen worden, so dass nach Versandung desselben nur
noch ein kleiner Dünenteich auf der Strandseite die Lokalität ver-
rät. Im 13. Jahrhundert scheint im NO. des Sees bei Neuwasser**)
ein Tief gewesen zu sein, und sicher sind bei den Sturmfluten im
*) Eingehender als bei Brfiggemann II, 1 8. L ist die Darstellung bei
Bergbaus III, 1 S. 179, doch macht sie den Eindruck einer blossen Aus-
schmückung der Brüggemannschen Erzählung.
**) Der Name Neuwasser, für den in Urkunden Nova recha oder Reka vor-
kommt, erklärt sich so am ungezwungensten. Vergl. Pommersches Urkunden-
buch her. von Klempin, Stettin 1868, S. 193 und Dreger, Cod. Pom. diplom«,
Berlin 1768, S. 533.
23*
356 Paul Lehmann:
Laufe der Jahrhunderte Durchbruche auf der schmalen Strecke im
SW. von Pamkeort nicht ausgeblieben. Bei einer Trockenlegung
des Bukowersees wurden an der Binnenseite der Nehrung die
Durchbruchsstellen durch die sandigen, gegen den Moorgrand halb-
inselartig vortretenden Ausläufer bezeichnet werden, die sich hier
und da auch auf der Karte in den Kontouren der Küstenlinie
markieren. Die meisten der kleinen Vorsprunge sind freilich durch
Sandverwehungen entstanden, denn obschon die schmalen Nehrungen
die eigentlichen Wanderdunen nicht kennen, sind durch die Sand-
umlagerungen und Verschattungen mehrere Triangulationsieichen
verloren gegangen*).
Von Neuwasser bis Rugenwaldermunde liegt vor den Aachen
Wiesenniederungen die teils durch das die Strandlinie im breiten
Thore öffnende Böbliner Tief, teils durch die zur Wipper fließende
Grabow entwässert werden, ein Dünenterrain von unbedeutender
Hohe (See-Bukow 11,1 über 0 in Neufahrwasser; 7,6 über NN)
aber nur zum Teil durch flache Überwehungen 500 m übersteigen-
den Breite.
Der Alluvialstrand im Osten des noch nicht ganz vollendeten
Rugenwalder Hafens ist sehr niedrig. Eine kleine Anlage mit
gut gedeihenden Kiefern und Erlen und einigen Birkenalleen be-
findet sich zunächst hinter der im Schutze der Hafenmolen gut ge-
deihenden Dune, dann folgt eine Wiesenniederung, welche, 1km
breit, das rechte Wipperufer von Rugenwalde ab begleitet Rohr-
stellen und Moos bewiesen mir trotz des im Anfang Juli trockenen
Zustandes von Heu und Untergrund, dass diese flachen Gründe sehr
viel von der Nässe zu leiden haben. Sieht man das rechte Ufer
der Niederung an, welches sich schliesslich mit 12 — 15 m steil ab-
brechendem Rande dem Meere bis auf 250 m nähert und betrachtet
man die zwischen dieser Ecke und der Dune noch vorhandenen
langgestreckten Lachen, so konnte man auf die Vermutung kommen,
dass einst die Wipper hierher in den Vittersee geflossen sei. D"
Unterwaschung des steil abbrechenden Ufers konnte übrigens auch
die Folge von Sturmfluten sein, die das ganze untere Wippertfaal
unter Wasser setzten**).
Der Vittersee hat eine länglich ovale Gestalt und bleibt bei
einer Länge von 5^ km und einer Breitenentwickelung von höch-
stens 2 km an Grösse beträchtlich hinter den eben besprochenen
Seen zurück. Die Bächlein von dem 60— -80 m hohen Ziteower
Höhenzuge, der die Binnenufer des Sees mit fruchtbaren Felden
*) Landestriangulation. Polarkoordinaten Bd. V S. 288.
**) Nach dem Rugenwalder Stadtbuche drangen 1497 die Flöten fc*
an diesen Ort vor. Ein poetischer Bericht über den Sturm ist ans d*°*
selben hei D&hnert und Boll abgedruckt.
Das Küstengebiet Hinterpommerns. 857
und schmucken Dörfern freundlich umrahmt, eilen ihm im Schatten
von Bachweiden durch kleine Wiesenthäler zu. Am Südwestende
zeigen sich wie im aussersten Nordosten Rohr und Sumpf, das
Diluvium im Osten senkt sich (auf 100m vom Rande erst Im
Wasser) sehr allmählich zur grossten Tiefenlinie, die auch hier
parallel zur Nehrung liegt und kaum dm Maximaltiefe über
moorigem Boden aufweist. Der Diluvialuntergrund nimmt jedoch
einen im Verhältnis zu den übrigen Seen grossen Raum ein; er
war mit soviel Steinen bedeckt, dass dieselben in Masse sowohl
über die Nehrung nach dem Rugenwalder Hafen geschafft wurden,
als auch nach der Binnenseite zu anderen Bauzwecken. Noch
immer ragen stattliche Blocke hier und da aus dem Wasser her-
vor, oder verraten durch die hoch über ihnen aufspritzenden
Schaumwellen ihre Anwesenheit.
Das Tief*), welches in der Mitte der Nehrung liegt, muss
meistens im Frühling geöffnet werden und zeigt gelegentlich Trieb-
sandbildungen von solcher Tiefe, dass einmal ein unvorsichtiger
Apotheker darin bis an den Hals versank. Die Nehrung enthält
ostlich des Tiefs mehrere diluviale Stucke, von den Fischern als
erster bis dritter Lehmberg bezeichnet. Das alte Fischerdorf
Vitte ist nicht, wie auf der Generalstabskarte steht, „versunken",
sondern hat einige seiner Hofstellen durch den Wellenschlag ver-
loren und weiter binnenwärts aufbauen müssen. Mir zeigte ein
Fischer den Platz auf dem Vorstrande, wo seines Grossvaters Haus
gestanden hatte, und bezeichnete mehrere Stätten, an denen man
die als Trinktonnen eingegrabenen Heringstonnen gefunden habe**).
Während sich zu beiden Seiten von Rugenwaldermunde ge-
legentlich Torfstücke auf dem Vorstrande finden***), fehlen die-
selben auf der Westhälfte der Nehrung des Vittersees. Auf der
Osthälfte wird — bei dem Vorhandensein von Diluvium in der
Nehrung — der Strand steiniger, bis er im Osten von Vitte all-
mählich in einen immer reineren Alluvialstrand übergeht, der sich
vor einem Dunengebiet mit sehr unregelmässigen aber nur nie-*
drigen Bildungen hinzieht. An einigen Stellen liegen die Dunen
stark in Abbruch, und einmal lag der ziemlich hohe, aber nur
14m breite Vorstrand in 2 m Hohe als Steilwand im Angriff der
*) Tor 100 Jahren hatte der See nach Brüggemann noch zwei Tiefe,
ron denen jedoch das eine schon stark versandet war. Das mag häufig allen
beiden passiert sein.
**) Westlich des Tieft wollte er einmal deutlich ein Fundament und
im See den Grundbau einer alten Kirche wahrgenommen haben.
***) Anfang April 1884 fand Oberlehrer Dr. Th. Becker (Schlawe) hier
viele grosse Torfstficke von 1 m Dicke und in der Brandungswelle einmal
ein mit Unterbrechungen weithin anstehendes Torflager.
358 Paul Lehmann:
Wellen. Zehn Minuten Weges ostlich dieser in der Mitte von
Jershoft nnd Vitte gelegenen Partie betrag trotz mittleren Wasser-
standes die Breite des Vorstrandes nnr dm, während Torffladen
nnd einige Stubben auf die früheren Landverluste hindeuteten.
Die Breite dieses Dünengebiets wächst stellenweise über ^km
und stosst an eine Bruchniederung, die sich zunächst als nord-
östliche Verlängerung des Vittersees verfolgen lässt und schliess-
lich als ganz flache Mnlde (mit stellenweise diluvialem Unter-
grund) zwischen der Jershofter Kämpe (20 — 22 m) und dem
kleinen Rücken von Rützenhagen (fast 30 m) hindnrchfuhrt zu den
am Westende des Vietziger Sees gelegenen Wiesengrunden.
Bei Jershoft, dem am weitesten aus der Küstenlinie heraus-
tretenden Kap, wird das Ufer auf fast 2 km hin steil. Lebm-
und Thonwände brechen 10 — 20 m hoch zu dem schmalen Vor-
strande ab, der dnrch rechtwinklig zur Küste gestellte Buhnen-
reihen gegen die aggressive Thätigkeit von Welle und Küstenstrom
notdürftig geschützt ist. Die Uferpartie zerfällt in zwei Teile,
von denen der eine südwest-nordostlich gerichtete sich als eine fest
geschlossene Wand vor dem Jershofter Kieferngehölz hinzieht,
während der andere mit mehr ostlicher Richtung durch eine Reihe
cirkusförmiger Einschnitte gegliedert ist. Bei der fünften Buhne, von
Westen an gerechnet, zeigt sich zuerst das abbrechende Diluvial-
ufer und mit ihm der Seedorn. West und Nordwest haben auf
den Rücken der ziemlich rasch ansteigenden Diluvialkämpe in
beträchtlichen Quantitäten Dünensand geführt und Zweige nnd
Äste die ersten, ihrem Zuge entgegenstehenden Bäume dadurch
getötet. Einige alte Kiefern haben im zähen Kampfe mit Wind,
Wetter und Sand höchst abenteuerliche Gestalten bekommen
und senden ihre legföbren artig ausgebreiteten Äste weithin nach
Süden und Osten über den sandigen Boden. Ein wenig weiter
wird die Unterscheidung der geologischen Horizonte schwer, d»
sich dem gelben oberen Diluviallehm mehrfach sehr stark Sand
beigemengt findet. So ist er z. B. bei Buhne 9 in 40 Schritt
Entfernung, wahrscheinlich zu Bauzwecken, fortgeführt nnd bildet
eine das Ufer um % seiner Hohe vermindernde Ansschartung.
Die untere Partie des Steilrandes besteht aus dunklem, geschiebe-
freiem Thon, der bei Buhne 10 hoch hinauf bis dicht unter den
oberen Rand geht und sich gegen Westen hin bis zu Buhne 3
allmählich senkt. Seine Farbe ist im feuchten Znstande sehr
dunkel und von dem graublau, braun und gelb des Ditaviallehms
leicht zu unterscheiden. Damit ist nun aber nicht gemeint, dass
die Grenzlinie sogleich in die Augen springt. Die von oben her-
abgeführten Thonteilchen und selbst kleine Steinchen bleiben,
bevor sie zum Strande hinabgelangen und hier die schönsten
Das Küstengebiet Hinterpommerns. 359
Master für Deltastudien aber dem Sande aufbauen, vielfach hängen
and aberziehen die Abhänge mit einem dichten Mantel. Ich habe
denselben öfter zolldick und einmal zu meinem Erstaunen sogar von
dreifacher Stärke gefunden. Nach drei Regentagen war der ganze
Vorstrand mit Thondeltas bis zu 2 und 8 Zoll Stärke bedeckt,
so hatte das Wasser an den Wänden genascht. Das Vorhanden-
sein tertiärer Schichten hat schon 1857 v. dem Borne*) kon-
statiert. „Offenbar tertiäre Schichten, glim m erreiche , geschiebe-
freie Sande von weisser, grauer lauchgrüner, grauer, Farbe und
charakteristische Braunkohlen-Formsande wechsellagern mit ähnlich
gefärbten Thonen und bilden Übergänge mit denselben. Wechsel-
lagernd damit findet sich geschiebeführender blauer Diluviallehm
und Diluvialsand. Die Schichtenstellung ist steil bis 80° durch-
gehend nach O. geneigt. " Die vor v. dem Borne freiliegenden
Profile sind naturlich in der Zeit von 1857 bis 1883 zerstört.
Mir ist es nicht möglich gewesen, irgendwo einen Komplex nach
0. fallender Schichten zu entdecken; Verhältnisse, die an die
oben angeführten im Schichtenwechsel erinnern, fand ich nicht
fern vom hohen Höft, als ich auf ausgehobenen Stufen an der
Wand emporstieg und die äussere Thondecke mit dem Spaten
wegräumte. Etwa 14 m über dem Strande trat aus der Wand
unter dem hohen Höft nasenartig eine Partie von dunkler Farbe
hervor, die sich ziemlich steil gegen Westen senkte und im han-
genden von Diluvialpartieen bedeckt schien. Oben angelangt stiess
ich, um an der schlüpfrigen, steilen Wand Halt zu gewinnen, den
Spaten tief ein und sah zu meinem Erstaunen weissen, feinen
Sand durchschimmern. Nun ward in grösserer Ausdehnung ein
Profil bloasgelegt, das über dem dunklen, geschiebefreien Thon
Streifen weissen und gelblichen, feinen Sandes zeigte. Der Sand
ward nach dem hangenden zu grandiger und ging, rötlich gefärbt,
in ein Band braunroten Thones über, auf welches — ebenfalls
schmal — ein grünlich gefärbtes folgte. Merkwürdig war mir in
dem etwa 2 Zoll starken braunroten Tkonstreifen ein Stein von
gleicher Dicke, der auf der unteren Seite deutlich geschliffen und
gekritzt war. Der ganze Schichtenkomplex fiel deutlich steil nach
West. Ich glaubte den westlichen Flügel zu dem von v. dem Borne
beobachteten Schichtenkomplex gefunden zu haben, sah mich aber
nach einem ostwärts geneigten an den blaugrauen Wänden ver-
geblich um und musste mich mit diesem negativen Resultat be-
gnügen. Ostwärts vom hohen Höft fand ich an den von
Rutschungen unterbrochenen Wänden immer nur blauen und
*) Z. d. deutach. Geolog. Geg. ES, S. 473 f. „Zur Geognosie der Pro-
rinz Pommern.1*
360 Paul Lehmann:
gelben Diluviallehm und sah in den hier besonders machtig ent-
wickelten Diluvialblocken des Meeresgrandes einen weiteren Be-
weis, dass hier vorwiegend diluviale Massen zerstört seien. Eine
zufällige Beobachtung führte mich zu dem Schluss, dass die Di-
luviallager — wenigstens an einigen Stellen — nicht weit unter
die dureh den Spiegel des Meeres bezeichnete Linie hinabreichen.
An den Köpfen der Lehmmassen, welche aus zwei grossen Cirken
langsam gegen das Meer vorrucken, fand ich auffallend hellgrüne
und dann auch fast schwarze, plastische Thonmassen ohne jede
Spur von Geschieben, aber durchsetzt von eigentümlichen Knollen
in Kartoffelgrosse. Die in dem hellgrünen Thon eingebackenen
zerfielen beim Lostrennen in der Hand in einzelne Stucke, die
aus dem dunklen blieben ganz und waren steinhart. Da diese
auffallend gefärbten Thone am 28. Juli noch nicht sichtbar ge-
wesen waren und erst am 81. durch das Vordringen der Massen
in den Bereich der stürmenden Wellen hervortraten, beobachtete
ich in den folgenden Tagen taglich die Erscheinungen am Strande.
Die taglichen Inspizierungen führten in der Osthälfte zu keinem
Resultat, wohl aber ganz im Westen, wo bei der kleinen Aus-
buchtung zwischen Buhne 7 und 8 einmal an dem in die Brandung
hinausgeschobenen Teil eine Partie des hellgrünen Thones —
aber ohne die beigemischten Knollen — sichtbar wurde. Gra-
bungen in der Strandfläche blieben ebenfalls ohne Erfolg; anter
einer dünnen Schicht von Sand oder einem blätterteigartigen
Komplex von Sandstreifen und den dünnen Schichten der oben
beschriebenen Thondeltas folgte fester blaugrauer Thon oder stein-
reiches Diluvium.
Seiner exponierten Lage wegen muss der Jershofter Strand
mehr als jeder andere Einbusse erlitten haben. Schon aus der
Oberflächengestaltung der Jershofter Kämpe mochte man schliessen,
dass sie einst beträchtlich weiter nach Nordwesten gereicht hat.
In ihrem westlichen Teile steigt das Terrain vom Binnenlande bis
gegen den steilabbrechenden Rand am Meere. Senkte sich dieser
einst in ähnlicher Weise wie das von Kiefern bestandene Terrain,
so ist hier im Laufe der Zeit J^km Land verloren gegangen.
Etwas weiter nach Osten vor Jershöft selbst ist das Meer noch
nicht ganz bis an die hinter der Jershofterstrasse liegende Wasser-
scheide vorgedrungen. Hier verkünden die weit ins Meer hinaas
den Boden bedeckenden Blocke den Verlust. An vielen Stellen
sind sie weggeführt oder stark vermindert, denn bis zu 20 Schiffe
haben zeitweilig vor Jershöft gelegen und Steine für den Hafen-
bau von Rügenwaldermünde geholt. Die Bewohner des freund-
lichen Dörfchens wissen von den Verlusten viel zu erzählen, von
der Verlegung der Dorfstrasse und der längs des hohen Ufers
Das Küstengebiet Hinterpommerns. 861
verschwundenen Viehtrift. Ja auch die Kunde von einem Ver-
aach, den F1188 der Wände durch einen doppelten Flechtzaun mit
zwischenlagerndem Packwerk aus Stein und Erde zu schützen, ist
mir auf diese Weise zugekommen. Im ostlichen Teile soll vor
dem hohen Ufer einst noch ein Stuckchen Dune und Erlenbruch
gelegen haben, das alles sei aber verschwunden, als bei einem
grossen Sturm „die Ecke* eingestürzt sei. Diese auf * Erzäh-
lungen älterer Leute" beruhenden Angaben wurden einigermassen
zusammenstimmen mit der von Boll aufbewahrten Angabe, im
Jahre 1800 seien in Jershoft 3 Morgen Landes in die See ge-
stürzt. Ein wenigstens annähernd so grosser Landverlust ist durch
die Bildung des grossen Cirkus veranlasst worden, der sich der
Strasse bei dem oberen Gasthäuschen in Jershoft jetzt bis auf 17 m
genähert hat und mit einigen Seitenausbuchtungen schon 1841 auf
einer Flurkarte verzeichnet ist. Vor ihm muss die am weitesten
vorspringende Ecke gelegen haben und durch ihre Zerstörung ist
naturlich auch das weiter ostlich gelegene Terrain stärker ange-
griffen worden.
Der Zustand des Jahres 1841 liegt deutlich vor unseren Augen
auf einer Karte, die im Jahre 1841 durch den Regierungs- Feld-
messer Laeuen angefertigt ward im Maasstabe 1 : 4000 (40 Rhein-
ländische Ruthen = 1 Decimalzoll). Auf den ersten Blick er-
kennt man, dass eine Reihe von Hofstellen „gerückt" sind. Vor
1841 lagen noch fast alle Häuser zwischen dem Hauptwege und
dem 100m von ihm entfernten Uferabbruch; das Schulzengehöft
war indessen schon unterwaschen und sudlich der Dorfstrasse an-
gelegt, und vor dem grossen Cirkus waren alte Hofstätten ver-
schlangen. Heute sind mehrere Bewohner auf die rechte Seite der
Dorfstrasse gezogen und haben eine Entschädigung von 150 Mark
von der Regierung dafür bekommen. Auffallend war die Bornirt-
heit eines Mannes, der sein noch nicht bedrohtes Gehöft um einige
40 Schritte weiter rückte. Verschiedene Messungen ergaben im
östlichen Teile von Jershoft eine Abnahme von 17 — 21m seit
dem Jahre 1841. So mass ich auf dem Wege, der vom Gehöft
des Schulz Zuehlke (ich wähle naturlich die Bezeichnungen der
Karte Laeuens um für spätere Zeiten einen Vergleich zu ermög-
lichen) zu der vom Meere verschlungenen Hofstelle des alten
Scholzenhofes führte, 83 m und weiter nach Westen vor dem „Boldt
senior8 bezeichneten Grundstuck 79 (der Hauptweg beide Male
nicht mitrgerechnet!) gegen 100 m im Jahre 1841. Gewaltigere
Veränderungen waren weiter nach Westen vorgegangen. Hier
hatte bis in den Juli 1884 der grosse Cirkus, der vermutlich
1800 entstand, seine Gestalt völlig gewahrt. Ein üppiger Bestand
von Seedorn umkleidete seine Lehnen und durch dieselben führte
862 Paul Lehmann:
ein Badesteig zum Strande. Rechts und links von ihm waren
aber neue Cirken entstanden. Der eine, 60 m breit, greift bereits
in die Gärten der ersten an das Kieferngehölz grenzenden Häus-
chen, der andere, 160 m ostlich vom grossen See dorn -Cirkus ge-
legen, greift zweiarmig in das Land ein und hatte sich der Dorf-
strasse auf einer Stelle bereits bis auf 51m genähert, so dass an
dieser Stelle seit dem Jahre 1841 (durch einen Vergleich mit
Laeuens Karte, die 96m ergiebt) 45m Land verloren gegangen
sind. Als ich am 8. Juli 1888 Jershoft zum ersten Male besachte,
konnte ich bei Mittelwasser überall längs des Vorstrandes passieren.
Nur bei dem ersten am oberen Ende von Jershoft gelegenen Cir-
kus, dessen Untergrund sich als unpassierbar erwies, reichten die
ausgerutschten Massen als ein mit Seedorn und Gestrüpp bestan-
denes Kap bis dicht an die Brandung. Ein noch völlig von Thon
umkleideter Stein ward hier im Laufe von acht Wochen völlig
heransgewaschen und lag schliesslich fast 1 m vor der dem be-
ständigen Anpralle der brandenden Wogen leidlich widerstehenden
Wand, als die Massen aufs neue in Bewegung kamen, so dass
ich das Rutschen und Knirschen, auf dem Kap sitzend, hören
konnte und Zeuge war, wie die vorspringenden Teile abstürzten.
Schiesslich fand ich an einem Morgen die B adehatte, deren ich mich
einige Tage hindurch bedient hatte, vollständig zur Seite gedruckt
Zeigte dieser Cirkus mit kahlen, frisch abgebrochenen Wän-
den und den mit in seinen Grund hinabgeführten Weidenbänmen
schon am 8. Juli Spuren frischer Zerstörung, so gewährte der öst-
lich davon gelegene grosse Seedorn-Cirkus das Bild vollständiger
Ruhe und Festigkeit. Er behielt dasselbe, als ich gegen Ende
Juli nach Jershoft zurückgekehrt war, auch während mehrerer
Regentage ganz unverändert an seinen durchweg mit Seedorn
oder Rasen umkleideten Abhängen, dennoch mussten schon am 27.
die Massen in Bewegung geraten sein, denn vor seiner Ausladung
zeigten sich auf dem Vorstrande im Sande eigentümliche Druck-
erscheinungen. Kleine Risse und Sprünge, in die ich fasslang
einen Halm stecken konnte, liefen strahlenförmig über den san-
digen Vorstrand, und zwischen ihnen waren die oberen, erst durch-
feuchteten, dann in der Sonne zusammengebackenen Sandschichten
sichtlich zusammengeschoben. Trotz der von überschlagenden Wel-
len bewirkten Verwischung zeigten sich diese Phänomene immer
aufs neue, und nach dreitägiger Abwesenheit fand ich am 31. den
Kopf der vorquellenden Erdmassen dem Strand soweit genähert,
dass ein 2 m von ihnen entfernter Block völlig von ihnen begraben
war und die Wellen gegen die zerrissenen und gespaltenen Lehm-
massen schlugen. Die losgetrennten Thonstücke kugelten sie über
den Strand, der nach Westen hin einmal 30 Schritte weit von
Das Küstengebiet HinterpommernB. 3(53
ihnen bedeckt war, in der Art, dass die gegen den Flügel bin gele-
genen Stücke allmählich von Kopf- zur Kartoffelgrosse hinabsanken.
Die Bewegung dauerte, wie die Drnckerscheinnngen am Vorstrande
bewiesen, während meiner Anwesenheit bis zum 11. August un-
ausgesetzt fort. Das Aussehen des ganzen 60 m breiten Girkus
mit seinen 15 bis 16 m hohen Randern veränderte sich in trostloser
Weise. Überall Ratschungen und Abbruche! Am Morgen des
zweiten August war im Hintergrunde die Rasenbank in die Tiefe
gerutscht mit einer Erdscholle von 20 m Länge und 5 m Breite.
Im mittleren Teile hatte sich der mit Rasen bedeckte Boden in
drei parallele Bänke geklüftet, von denen die mittlere am tiefsten
gesunken war, während die vordere noch am 11. August als eine
nach zwei Seiten steilabfallende Bank aus dem Boden hervorragte.
An ein Betreten einzelner Stellen des Grundes war erst nach
einer Reihe trockener Tage zu denken. Die Oberfläche der zum
Meere gleitenden Massen erinnerte an die bekannten Gletscher-
phänomene. Der Cirkus verengt sich gegen die See hin und
aus einem 25 m breiten Thore tritt 4 bis 6 m hoch die Zunge des
„Lehmgletschers". An Stelle der Querspalten zeigten sich nun die
zum Teil radienartig auseinandergehenden Längsspalten. 10 bis
15 m springt die Ausladung auf dem Vorstrande vor bis zu dem
von hochgehenden Wellen bespulten Kopf. In der Mitte sickerte
und floss ein trüb gefärbtes Bächlein, in dessen Umgebung, wie
die von Lehm umhüllten Halme und Sträuche in einigen — wie
in breiigem Teich mit dem Messer geschnittenen — Streifen be-
wiesen, die Bewegung am schnellsten gewesen war. Der Bade-
steig war unpassierbar und an einer Stelle des Ostrandes, wo
eine kleine Randkluft die bewegten Massen vom festen Ufer schied,
um volle 12 Schritte vom 2. bis 11. August verschoben. Lang-
sam naschten die Wellen an dem Kopfe des Lehmgletschers und
so allmählich gingen die Veränderungen vor sich, dass mir ein
verzweifelter Bauer wohl zurufen durfte, „man weiss nicht, wo's
bleibt !a Von einem Freunde (Oberlehrer Th. Becker) horte ich,
dass im April 1884 das Bild des Cirkus gegen das frühere schon be-
wachsene Amphitheater sich ganz unkenntlich zeige und sein Rand
sich der Strasse auf 17 m genähert habe, während sich vom April
bis zum Juli 1884 keine sichtlichen Veränderungen mehr voll-
zogen. Auffallend war mir, und interessant als Parallele zu oft
ventilierten Oletscherphänomenen, dass trotz der Druckerschei-
nungen am Strande, ein Steinblock hier von den vorrückenden
Lehmmassen nicht mit fortgeschoben, sondern umhüllt wurde,
während die hellen Thone sichtlich durch den Druck der über sie
hingleitenden Massen aus dem Cirkus vorwärts gequetscht waren
in den Bereich der Wellen.
864 Paul Lehmann:
Von einer genauen Besprechung der an anderen Stellen vor-
gekommenen Veränderungen sehe ich ah. In dem grossen Doppel-
Cirkus, der sich erst seit 1840 gebildet hatte, waren die Verän-
derungen unbeträchtlich. Bei seinem Ausgang zum Vorstrande
war eine 4 m cum Vorstrande abbrechende Schneide stehen ge-
blieben, welche dm lang nach beiden Seiten steil abfiel und oben
am Kopfe ein Stuckchen Rasen trug. Wie gross die Zerstörungen
der Sturmflut gewesen sind, konnte nur ein erneuter Besuch
mit speziellen Messungen lehren, da alle Berichte mir nur sagen
und sagen können, dass sie von sehr erheblicher Art gewesen seien.
An der Ostecke der teilweise überwehten Diluvialkämpe be-
ginnt ein Dünengebiet, das sich, anfangs schmal und niedrig,
immer mächtiger entwickelt und bei einer Maximalbreite von l'^km
Dünenkuppen und Wälle, die 80 und sogar 40m übersteigen, auf-
weist. Bis Stolpmünde, 21km lang, setzt dieses Danenterrain
auf dem rechten Ufer zunächst fort, bis es mit massenhafter
Transgression auf das diluviale Land vor den Abbruchen des
Schonwalder Strandes in ein mit Diluvial-Abbrüchen und Dünen-
bildungen mannigfach wechselndes Ufer übergeht
Durch Wiesen nieder ungen fliesst die Olawnitz aus dem
Vietzigersee zum Meere in einem künstlich angelegten Bette,
welches östlich des ehemaligen, noch hier und da kenntlichen
alten liegt. Die Erscheinungen an der Mündung des Baches, der
in dem, durch seine Serpentinen im Dünenthor blosgelegten Pro-
file Sand und Torf zeigt, wechseln beständig. Bald schiebt der
Küsten ström die Barre nach Westen, bald lagert er sie nach Ostes
um, bald geht das trübe Bachwasser dicht längs des Vorstrandes,
bald lässt es sich bei schwächerer Strömung als leicht gekrümmter
Bogen weit hinaus ins Meer verfolgen. In einem, zuweilen auch
in zwei Armen geht das Wasser über den Vorstrand, dann mnss
die Barre gelegentlich auch wieder geöffnet werden, weil die See
die Mündung nahezu verstopft hat. Der Vietzigersee liegt gut
l^m über dem mittleren Meeresniveau, so dass der Bach bei
niedrigem Wasserstande mit einer Geschwindigkeit von 70 bis
90 Schritten in der Minute zum Vorstrand eilt und auf seinem
Boden nur die bei Sturmfluten hereingeführten Steine liegen lässt.
An andern Tagen umhüllt er sie langsam wieder mit dem hinaus-
geführten Sande und erhobt — was man von Minute zu Minute
beobachten kann — durch kleine gegen die Mündung hin vor«
rückende Miniatur-Barren das vorher erodierte Strombett. Durch
die Wiesenniederungen geht der Bach langsam, ich habe bei
80 Schritt Geschwindigkeit im Dünenthor weiter oberhalb nur
8 gefunden, (am 9. Juli) indessen, nach den Regentagen, auch
kurz nach dem Verlassen des Sees (am 8. August) noch 24.
Das Küstengebiet Hinterpommerns. 355
Zwischen Jershöft und der Bachmündung ist die Dune sehr
niedrig; die 1881 auf der 700 m langen Strecke angelegten
Straucbzäune waren nur spärlich eingesendet und sind, wie ich
höre, durch die Dezemberflut 1883. grösstenteils zerstört worden.
Die Dune liegt gegen den Vorstrand hin auf weiter Strecke im
Abbruch und zeigt auf demselben ausgedehnte mit Stümpfen be-
setzte Torflager. Im Osten der Glawnitz sind die Dünen etwas
hoher, doch bleibt ihre Entwickelung zunächst noch schwach und
die teilweis bewaldete sandige Niederung hinter ihr ist flach wie
eine Tenne. Sie sieht wirklich aus, wie reingefegt, und augen-
scheinlich ist alles hier vom Küstenstrom reichlicher zugeführte
Material erst im Osten des den Vietzigersee abdämmenden Land-
striches vom Westwinde zu den gewaltigen, hellschimmernden
Dunenkuppen zusammengehäuft. Ein Teil dieser flachen Sand-
niederung liegt auf Torf, der im Osten der Glawnitz noch 3 m
tief unter dem Sande wegen seiner vorzüglichen Qualität hervor-
geholt und in 3 m Mächtigkeit gewonnen wird, so dass seine
Grundfläche beträchtlich unter den Meeresspiegel hinabreicht.
Übrigens finden sich in dem nach Osten an Breite zunehmenden
Alluvialgebiet vor dem Vietzigersee auch vereinzelte diluviale
Partien. Ein kleiner 8 m hoher Hügel mit einzelnen Seedorn -
büschen liegt 600 m ostlich der Glawnitz hart am Vorstrande und
zeigt 5 — 10cm tief unter dem Seesand gelben Lehm; ebenso liegt
Vietziger Strand auf einer überwehten Diluvialkämpe. Im Terrain
der hohen Dünen fand ich nirgends diluviale Spuren und ver-
mute, dass die auf den Dechenschen Karten mit der Farbe des
Tertiär bezeichnete Ecke vor Goershagen in Folge einer Ver-
wechslang mit der Lage von Jershöft aufgetragen worden ist.
Auf dem Vorstrande finden sich von der Glawnitz ab, wie bei
Kolberg und am Jamundsee, in breitem Bande die faustgrossen
Steine; vor dem Lehmberge gesellen sich ihnen zwei grosse, an
manchen Tagen vom Sande bedeckte Blocke zu, die natürlich aus
dem zerstörten Material des einst ausgedehnteren Hügels stammen,
dann zeigt sich der Strand mit feinem Sande bedeckt, der die
Strauchzäune hier verhältnismässig schnell umhüllte*) und augen-
scheinlich junge gut gedeihende Vordünen gebildet hatte. Erst
hinter den Dünen fand ich im flachen Bogen gegen das Binnen-
land vorspringend die Fortsetzung des in der Nähe des Lehm-
berges von dem Sande völlig bedeckten Steinwalles wieder.
Der Vietzigersee unterscheidet sich nicht blos durch sein den
Meeresspiegel beträchtlich überragendes Niveau und die breitere
*) An einigen Stellen war die zweite Reihe in 15 Tagen um 25 cm
Bssndet, die erste am 8 cm.
eingessndet,
366 Paul Lehmann:
(1 — l^km) Nehrung von den bisher besprochenen Seen, sondern
auch durch seine äussere Gestalt und seine Niveau- und Tiefen-
verhältnisse. Von W. nach O. 5 km lang und im Maximum
3^ km breit, wird dieser See durch die beiden vorspringenden
Halbinseln von Vietzig und Vietzigerstrand , sowie ein zwischen
ihnen auftauchendes Eiland und einen diese Punkte miteinander
verbindenden unterseeischen diluvialen Rucken in zwei sich nach
Norden resp. Nordwesten hin trompetenartig erweiternde Buchten
getrennt. Einige kolossale Blocke lagern auf dem winzigen Eiland
zwischen kleinen Weiden- und Brombeerbüschen und bilden die
Kulmination des 1 m tief unter den Seespiegel hinabtauchenden
Diluvialrückens. Vom Leuchtturm in Jershoft aus hatte ich das
Inselchen für eine mit Vietzke oder Vietzig verwachsene Halb-
insel gehalten, so völlig war das dazwischenliegende Gebiet mit
Binsen und teilweise auch mit Rohr bewachsen. Zahlreiche
Sondierungen überzeugten mich indessen, dass Scirpus nuariHmus
noch aus einem meterhoch mit Wasser bedeckten Grunde auf-
schlägt. Steinblocke lagern auf dem unterseeischen Grennrall
nordlich, und südlich der Insel und ganz nahe ihrem Vorstrande
fuhren wir plötzlich mit solcher Gewalt auf, dass meine Fischer,
die sich — übrigens nicht ohne Grund — ihrer genauen Kenntnis
von der Bodenplastik des Sees rühmten, sich einen Moment mit
entsetzten Gesichtern ansahen. Nach Ansicht der Fischer ist
dieser Rücken ein alter versunkener Damm, auf dem einst das
Vieh von Vietzig nach Vietzigerstrand zur Weide hinüberwanderte.
Diese Verbindung konnte übrigens, wenn die beabsichtigte Tiefer-
legung des Vietzigersees vor sich geht, in Zukunft hergestellt
werden und dürfte bei einer Vertiefung der Glawnitz um 1 m
effektuiert sein. In die Südspitzen beider Buchten münden kleine
Bäche. Durch die westliche zieht sich, wie eine unterseeische
Verlängerung des Klosterbachthaies, die sogenannte „Ronn" (Rinne),
in der ich die Maximaltiefe ostlich von Neuenhagen (etwa in der
Kreuzung Leuchtturm — Vietzig und Lanziger Thurm — Vietziger-
strand) bei sehr niedrigem Wasserstande mit 4,5 m peilte. Der
Untergrund in der Rinne ist Moder, zu dem sich der flache
sandige Vorstrand im Norden von 1 auf 2 und 2^m so schnell
absenkt, wie der oft nicht einmal metertiefe Diluvialrucken.
Vor der Krolowbucht im Osten von Vietzig peilte ich mehr*
mals 2,5 m bei festem Grunde. Nach Aussage der Fischer fahrt
durch denselben etwa in der Mitte einer die Bucht abschneidenden
Linie eine etwas tiefere Rinne, welche nur die Breite einer
Kahnlänge hat. Mir gelang es nicht dieselbe aufzufinden. Gegen
die Mitte des ostlichen Beckens nahm die Tiefe über moorigem
Grund beständig zu, bis ich etwa in der Mitte derselben (genas
Das Küstengebiet Hinterpommerns. 367
im Osten der Insel) eine Maximaltiefe von 5,3 m fand. Als ich
meine 24 Fuss lange Kiefer fest in den Grand bohrte, sank sie
beinahe noch 2 m tiefer, so dass sie fast verschwanden war und
erst mit einiger Anstrengung wieder hervorgebracht werden konnte.
Weiter nach Norden nahm die Tiefe allmählich ab bis an den
schnell ansteigenden Vorstrand der Nehrung, auf der sich eine
Gruppe von grossen Wanderdunen erhebt.
Die höchste dieser Dunen steigt vollständig kahl vom Westen
her mit einigen Undulationen allmählich zu der halbmondförmig
geschweiften Kulmination an, von der sich der bogenförmige Ab-
hang nach Osten unter einem Winkel von 30 Grad 45 m hinab-
senkt, so dass die Kuppe etwa 30 m über der Basis und 33 m
über dem Meeresspiegel liegen durfte*). Im Nordwesten liegt
eine Doppeldune, deren Wanderbahn sich weit durch das niedrige
Kapsenterrain verfolgen lässt, während sich an die höchste Dune
nach einer feuchten Niederung bald die Vorläufer einer im Sud-
westen ihr nachruckenden Dünenpartie schliessen. Eine hell-
schimmernde flache Sandwelle liegt im Sudosten nicht fern vom
Krolowstrand. Am 11. Juli konnte ich alle Dunenthäler passieren
und fand nur stellenweise den Sand feucht, am 9. August waren
viele derselben — auch in dem westlich gelegenen Kupsenterrain
— flach überschwemmt. Zu meinem Erstaunen wateten an einer
Stelle die Schafe durch das flache Wasser im Westen einer Wander-
dune ohne einzusinken. Dass Triebsandbildungen vorkommen, horte
ich von meinem Fischer, dem vor Jahren eine Kuh plötzlich bis
unter den Hals einbrach und dadurch der ganzen Herde einen
solchen Schrecken einjagte, dass sie mit lautem Gebrüll ausein-
anderstob. Die niedrigen mit Seegräsern bestandenen Kupsen,
die sich 3 — 4 m hoch aus dem vorliegenden Terrain erheben, werden
stellenweise wieder von Sandverwehungen begraben und unablässig
vom Winde umgestaltet durch Ausschweifung ihrer Flanken und
Aufwühlung von Lochern in der Westseite der Kuppen, die dann
für Modelle von abgestumpften Vulkankegeln mit Kraterbildung
gelten konnten.
Ein alterer Mann in Vietzigerstrand wollte sich noch darauf
besinnen können, dass die Wanderdünen beim Dorfe gelegen
hätten I Da die Karten aus dem Anfang der vierziger Jahre sie
bereits in erheblicher Entfernung zeigen und nahezu das heutige
Bild wiedergeben, muss seine Angabe auf Selbsttäuschung be-
ruhen oder die Düne zwischen 1830 und 1840 einen wahren
*) Auf der Generalstabskarte (Sektion Lanzig) ist die Düne mit einem
geradlinig verlaufenden Steilhang nach NO. gezeichnet. Das wäre eine an
der Küste Hinterpommerns ganz exceptionelle Erscheinung gewesen.
368 Paul Lehmann:
Dauerlauf gemacht haben. Einst, heisst es im Volksmund, hatten
die Dunen bei Jerghöft gelegen, und daran ist soviel wahr, dass
ein grosser Teil dieses Dunensandes aus dem Jershofter Ufer
ausgewaschen und vor Vietziger Strand durch den Küstenstrom
abgesetzt wurde. Gehort die flache Vietziger Hütung mit lur
Bahn dieser Wanderdünen, so müssen dieselben, seit 1840 bei
8 m jährlicher Wanderung, 850 — 400 Jahre im Marsche gewesen
sein, um an ihren heutigen Platz zu gelangen. Die 8 m habe
ich nach Analogie mit weiter ostlich gemachten Berechnungen
gewählt und finde sie leidlich übereinstimmend mit .der Angabe
eines Fischers, welcher meinte, seit seiner Knabenzeit — in zehn
Jahren — wären die Dünen 150 Schritte weitergerückt. Von
der grossten Düne habe ich mir in Abständen von 10 su 10 m
Merkzeichen angebracht, zweifle aber, ob sie den Hirtenbuben,
die die hungrigen Schafe auf die magere Weide fuhren, entgehen
werden. Oberlehrer Becker fand einige auf, konnte aber danach
in zehn Monaten kein merkliches Vorrücken konstatieren.
Die Vordünen und das dem Staate längs des Strandes ge-
hörige Gebiet stachen gegen diese Wüsteneien hier wie auf der
ganzen folgenden Strecke vorteilhaft ab und zeigten eine starke
Sandanhägerung bei prächtigem Gedeihen der Seegräser. Früher
müssen Sturmfluten, wie die in den Niederungen zwischen den
Kupsen ausgebreiteten Steinlager beweisen, mehrfach weit über
den Strand vorgedrungen sein.
Während das Dünenterrain bis zur Mündung der Patene mit
spärlichen Ausnahmen vom Walde entblosst ist, bedecken Kiefern
und Birken einen grossen Teil der von Torfstichen unterbrochenen
Niederungen, welche sich breit hinter ihnen ausdehnt. Als ich auf
einem Feldwege 2 km weit von Krolowstrand nach Osten gegangen
war und nun versuchte, durch den Kiefernwald nach Norden zur
Düne zurückzukehren, musste ich von dem Versuch abstehen, da
der Boden mit Wasser durchtränkt war und überdies der zwischen
den schwach gedeihenden Kiefern üppig wuchernde knieholxartige
Porst (Ledum palustre) das Fortkommen erschwerte. Einen Kilo-
meter weiter nach Osten fand ich einen Pfad, der mich in das
öde Dünengebiet zurückführte, das zwischen 15 m hohen Kuppen
breite Sandverwehungen und auch Sandwälle zeigte. In einzelnen
Niederungen stehen Weiden und Kieferngruppen, kümmerlich
fristen auf den Sandflächen einige Birken ihr Dasein*). Etwas
besser wird das Bild längs des breiten Vorstrandes, da hier —
*) Eine Birke war längs des Stammes mit grossen Knollen von Sand-
stein bedeckt, die durch vorquellenden Saft verbunden waren. Vor dem
Korden fand ich zwei etwa 0,5 m hohe Stumpfe von einer 2 — 3 cm 8aad-
steinkruste völlig umhüllt
Das Küstengebiet Hinterpommerns. 869
wahrscheinlich zwischen 1840— 1850 — Aufforstungen gemacht sind.
Bei der Pate nemun dang, welche die Gewässer einiger kleiner Seen
mit dem Meere verbindet, werden die Danen niedriger and die
Torfstacke am Strande mehren sich. Im Dezember 1883 ist hier
ein Durchbrach von 90 m Breite erfolgt, der indessen in dem
dahinter liegenden Waldlande wenig Schaden angerichtet bat.
Wiesenniedernngen umgeben heute, auch dort, wo die Generalstabs-
karte das Dünnowsche Brach verzeichnet, die kleinen Seen,
welche im grossten Teil ihrer Fläche Rohrplänen gleichen. Mit
steilem Abhang erhebt sich 1 km nordlich des Muddelsees za
40,6 m Hohe die Maddeldäne, von der man einen guten Über-
blick aber die Gegend geniesst. Noch im Anfange dieses Jahr-
hunderts eine bedrohliche Wanderdane, ist sie jetzt, wie das ganze
sich zwischen ihr and dem Meere aasbreitende Danenterrain, be-
waldet and trägt auf der höchsten Kuppe zwischen einzelnen
buschigen Kiefern von 2 — 3 m Hohe ein Triangulationszeichen.
Gras and Strandhafer bedecken zwischen den zu ihrem Kamme
aufweichenden Vorposten des Waldes die Abhänge; einzelne wunde
Stellen sind mit Sträuchern bedeckt. Die Muddeldüne ist der
rechte Flügelmann einer langen von SW. nach NO. gegen' den
Strand hin verlaufenden Danenreihe, die fast ganz bewachsen ist.
Während weiter nach Westen nirgends ein Vor rucken des Sandes
aas dem einmal occupierten Danengebiet in die Niederung za kon-
statieren war, ruckten die Lindower Danen mit hellschimmerndem
Steilabhang durch den spärlichen Wald gegen den Weg, der im
Norden des alten abgelassenen Schwarzsees nach Stolpmünde fahrt.
Die Danen za beiden Seiten von Stolpmünde sind hoch and
präsentieren sich mit ihren zerrissenen Gipfeln — z. B. von dem
Kopfe der Molen ans betrachtet — als ein stattliches Danenge-
birge, aas dem einzelne Gipfel im Westen und Osten aber 20,
ja bis über 30 m Höbe erreichen*). Wie im Westen der Wipper
der Schwarzsee verschwanden ist, so ist 4 km ostlich ein See
trocken gelegt, der sich nach Brüggemann erst im vorigen Jahr-
hundert bildete, als eine grosse Düne den Abfluss des Grasbruches
zum Meere versperrte. Jetzt geht mit östlicher Ablenkung über
den Vorstrand ein trabgefärbter Bach zum Meere, den man mit
vorsichtiger Vermeidung von Triebsandstellen ohne Schwierigkeit
überspringen kann**).
*) Lindowdüne 21,5, Stolpmünde I 32,5.
**) Zum ersten Male trat hier die weiter nach Osten regelmässige Öst-
liche Ablenkung der Mündungen ein. Sie ist bei dem vorherrschenden West
die natürliche. Woher aber kommt im Westen die westliche Ablenkung,
Ich fand im Segelhandbuch für Stolpmünde den ost- westlich gerichteten
Kügtenatrom bei Winden von N. über NO. bis SSO. als den gewöhnlichen;
ZeiUchx. d. GeMUtch. f. Erdk. Bd. XIX. 24
370 Paul Lehmann:
Der 4^ km lange Strand «wischen Stolpmunde und diesem
Bache bot manche sehr interessante Erscheinungen. Etwa auf
700 m ostlich der Wipper macht sich bis über das Damenbad
hinaus der Schutz der Molen durch die wachsende Breite des
Vorstrandes bemerkbar. Dann folgt, über 2 km lang, bis zu einer
stumpf vorspringenden Ecke eine Partie, gegen die das Meer so
energisch vordringt, dass sich überall alte Dunen unterspult feigen.
Mehrfach sind Profile blossgelegt, in denen dunklere Streifen, hier
und da mit Baumstammen untermischt, zwei- und dreimal mit
Sandstreifen abwechseln. Auf dem Vorstrande senkt sich eine
26 Schritt breite Torfschicht unter die Wellen, welche «wischen
den dünnen Baumstümpfen unaufhörlich spülten und naschten.
Als einen Beweis, dass das Meer nicht fern der Brandung einen
tertiären Untergrund angreifen müsse, sah ich die an einer Stelle
in betrachtlicher Zahl ausgeworfenen Stücke eines blangrinen
feinen Thones an. Was das Meer auf dieser Strecke nimmt,
scheint es jenseits der stumpfen Ecke wieder zu geben, denn bis
zur Bachmündung war hier der Vorstrand breit, die Vordüne
kraftig entwickelt und die Sandzufuhr von der See reichlich. Eine
4 m breite Sandbank war in einer Lange von 410 Schritten schon
soweit gegen den Vorstrand herangeschoben, dass nur noch eine
flache Lagune von 3 m Breite auszufüllen blieb.
Bald jenseits des Baches beginnt ein vielfach von Dünen-
bildungen bedecktes und stellenweise auch vom Meere abgegrenztes
Diluvialufer, das sich zunächst an einer 8 m hohen von Dünensand
bedeckten Diluvialwand offenbart. An manchen Stellen liegen die
mit abgebrochenen Dünen wulst- und buckelartig auf dem plaiean-
artig herantretenden Diluvialrande, dann wieder bedeckt ein wirres
Dünengebiet dasselbe vollständig. Über 8 m hohem Diluviom war
einmal in dem ebenso machtigen Dünensand eine wannenartige
„ Windkehle tt ausgerissen, an deren steil nach innen abbrechenden
Längsseiten 1 m über dem Boden dunkele von Humus gefärbte
Schichten hervortraten, während im darüber liegenden Sande ver-
rottete Baumstämme sichtbar wurden, aus deren einem ich den
inneren Teil meterlang hervorziehen konnte, so dass der Stamm
für die Häfen von Rügenwalde und Kolberg bedingt schon Wind ans NW.
bis N. gewöhnlich westlich gerichtete Strömung. Doch ist — sieht man die
einzelnen Daten durch — das Problem damit noch nicht gelöst Nach den
Detailangaben für 1882 und 1883 stellt sich das Verhältnis des von West
oder von Ost kommenden Stromes im ersteren etwa wie 8:5, im letzteren
wie 8 : 6. Immerhin würde hiernach für die westliche Hälfte eine vorherr-
schende östliche Ablenkung der Barren das natürliche sein. Bei Bngenwalde
ist infolge der Küstenrichtung bei NW. oft keine Richtung des Küstenstrooes
zu finden. Vielleicht ist die Oderbucht von Einfluss, da in ihr erst bei >T.
bis NO. wieder der kräftigste Seegang eintritt.
Das Küstengebiet Hinterpommerns. 37 1
das Aussehen einer verwitterten Brunnenröhre behielt. Bis 800 m
ins Innere des Diluvialplateaus hinein fand ich bei dem Kreuz-
wege von Weitenhagen, Altstrand und Neustrand die letzte, augen-
scheinlich noch im Vorrücken begriffene Dune innerhalb des
Waldes. Schmaler wird der Vorstrand , hoher (bis 30 m) das
steil abbrechende Ufer, welches in den Korden die schönste
Küstenpartie ganz Hinterpommerns bildet. Cirken sind ausge-
ratscht, Rinnsale eingeschnitten; an manchen Stellen lagen noch
die Schollen mit grünenden Weiden, Johannisbeersträuchern und
den mit einigen Wurzeln haftenden, von der Brandung hin und
her gepeitschten Seedornbusche n auf dem Vorstrande. Kahle
Wände, durch dunkle, blaue Thone und einzelne weisse Sand*
streifen oder durch gelben und grauen Lehm mit Blocken unschwer
als tertiäre resp. diluviale charakterisiert, wechseln mit prächtig
bestandenen, an denen sich blühende Hollunderbüsche und üppig
rankender Hopfen unter das Grün der auf grauen Säulenschäften
aufragenden Buchen mischen. Zu einem Verständnis der vielfach
zerstörten Schichtenprofile konnte ich bei einer einmaligen Wande-
rung nicht gelangen und verweise auf die gerade bei diesem
Küstenabschnitt speziell verweilende Arbeit v. dem Borne's. Ein
brauner Streifen, der gegen Osten geneigt ist und der, nach
Westen mit zunehmender Hohe allmählich auskeilend, auf dem ihn
überlagernden Sande noch Buchen trägt, leitet hinab zu dem
Dunengebiet, welches vor einer flachen Wiesenniederung hinziehend
den Gardeschen See im Westen absperrt. 3 km weit zieht die
niedrige, 3 — 6 m hohe Dune bis zu dem kleinen, hart am Strande
gelegenen Lehmberg, der 10,2 m über dem Mittelwasser der Ost-
see den Triangulationspunkt Rowe I trägt Das Material dieser
kleinen Lehminsel im Sandmeer, der sich weiter binnenwärts bei
der alten Kirche von Rowe noch eine zweite kleinere zugesellt,
wird nicht bloss vom Meere weggeführt, sondern auch von den
Bewohnern Rowes (dem ehemaligen Wohnsitz des Vaters des
grossen Tork) zum Bau ihrer Häuser verwendet.
Rowe liegt an dem Ausflusse des fischreichen*) Gardeschen
Sees, der eine nahezu viereckige Gestalt hat (6 km lang, 4 — 4,5 km
breit) and im Osten die Lupow aufnimmt, welche, nachdem sie
das freundliche Schmolsin am Fusse des Revekol durchflössen hat,
nach Westen umbiegt und in den See hinein ein nicht unbeträcht-
liches Deltaland von über 1 qkm gebaut hat. Der Ausfluss ist
*) Für die Fischerei an der unteren Lupow zwischen See und Meer
werden allein 3000 Mark Pacht entrichtet. Dieselbe zahlt ein langjähriger
Pächter — allerdings mit bitteren Klagen über „verfluchte Steigerung" —
doch natürlich nur, weil ihm die Rechnungen früherer Jahre beweisen, dass
er sie durch den Verkauf der Aale und Neunaugen aufbringen kann.
24»
872 Paul Lehmann:
15 — 20 ai breit und von sehr wechselnder Tiefe; neben Aus-
kolkungen von 5 m finden sich flache, kaum vom Wasser bedeckte
Aufsandungen. Dicht vor der Mundung wird das westliche,
siemlich unglücklich durch Flechtzäune geschützte Ufer durch eine
vorspringende Kurve des Baches erodiert, dann wendet sich der-
selbe über den Vorstrand gegen Osten» Die Fischer behaupteten,
es kamen Jahre vor, in denen die untere Lupow nie eingehenden
Strom habe ; dass derselbe in den 0,7 m aber dem Mittelwasser
gelegenen See zuweilen mit kräftiger Sandzufuhr eindringt, be-
weisen die beim Ausfluss aus dem See von der zeitweiligen rück-
läufigen Bewegung aufgebauten Deltainseln. Bei hohem Wasser,
mit dem Seespiegel fast gleichliegend, überragten sie denselben bei
meiner Anwesenheit um fast einen Fuss. Neben der grosseren,
auf den Karten allein verzeichneten Insel befand sich eine kleinere
und, westlich von dieser, noch ein kleiner Binsen kam p. Dicht
bei der Ausfahrt zeigte der See bereits 2 m Wasser aber Moder-
grund, in den man die Stange mit Leichtigkeit einen Fuss tief
eindruckte. Gegen das Westufer hin war der See flach nnd
einige kleine Binsenkampen, zum Teil durch losgerissene Eis-
schollen abgesetzt, ragten aus dem Wasser*). Die kleine Insel
war von Binsen umgeben und trug in der Mitte zwischen dichtem
Rohr einige grosse Steinblocke, die Reste von dem zum Bau der
neuen Rower Kirche fortgeführten Lager. Ringsum herrschte bis
auf 1 m Tiefe der Steingrund vor, der dann bei einer nordöst-
lichen Fahrt plötzlich zu Tiefen von 2 m mit Moderboden herab-
sank. Die grossten Tiefen des Sees liegen in der von NW. nach
SO. gehenden Diagonale (Rowe-Garde oder Lupowmündung) und
wachsen in derselben von 2 m bis zu 3 m im Norden von Rotten.
Die Nordostecke des Sees ist die flachste und hat weit hinein
sandigen Untergrund mit 1 und l%m Wasser. Untiefen liegen
übrigens dicht an den tiefsten Stellen, im Nordosten der Insel
wühlte der 2 Fuss tiefgehende Kahn einmal im Kielwasser den
Schlamm auf, und in der Richtung von der tiefsten Stelle auf
Rotten zu fuhr er sogar einmal auf. Die Ufer werden im W. und
SW. von Wiesen gebildet; von dem Diluvialstrande bei Garde aus
senkt sich ein mit Steinen bedeckter Boden unter den Seespiegel.
*) Vielleicht waren es ähnliche Erscheinungen, die den E. Labin ver-
anlassten, in dem Gardeechen See eine Keine von Eilanden %a seichnen.
Diese Rohr- und Binseninseln wechseln mit den Eisgangen oft von Jahr «
Jahr ihren Platz, treten neu auf nnd werden an anderen ßtellen völlig »er-
stört. Die vom Westwinde gegen den Ostrand des Sees gedrängten Bis-
schollen pressen auch hier das Ufer, nnd wahrscheinlich ist hierdurch dfc
Ablenkung der Lupow gegen Süden hin bedingt und die Gestalt der Deltt-
kontouren beeinflusst
Das Küstengebiet Hinterpommerns. 373
Dass in dem nach Osten an Breite wachsenden Dunenterrain,
welches den Gardeschen See im Norden begrenxt, diluviale 8tucke
verborgen liegen, glaube ich nach der Beschaffenheit der von mir
naher untersuchten Teile nicht, mochte aber die Rowebank als
Rest unterspulter oder «erwählter Diluvial massen ansehen*). Die
Breite der Nehrung beträgt bei Rowe kaum einen km, der Vor-
strand rechts neben dem Ausfluss ist sehr breit und hat viele im
Abbruch liegende Dunen. Die Sturmflut vom November 1872 hat
hier viel wegrasiert und am Vorstrande auch die Spuren alter
Torfstiche «um Vorschein gebracht. Die Strandbilder auf der
folgenden Strecke habe ich nicht beobachtet, da die interessanten
Dunenphänomene im Osten der Nehrung mich von demselben
ablenkten. Bier liegen in einem Dunengebiet von 12 — 18m
hohen Kuppen (Rowe II und Garde II) staffelformig , wie grosse
Scheibenstande, die Bahnen mehrerer Wanderdunen nebeneinander.
Die kleinste liegt 8 — 400m breit im Süden, dann folgen die
kleine and die grosse Latsche. Letztere endet, fast 1km breit,
an der grossen Wanderdune, welche, 30m mächtig, an der Zu-
schuttung des kleinen Dolgensees arbeitet. Nach einem von Boll
citierten Reisebericht sollte dieser See schon im Anfang der
40er Jahre zugeschüttet sein; in der That betrug seine Länge
damals nach der Generalstabskarte noch 900 m und heute durfte
dieselbe, obwohl im Westen der Sand und im Osten die Ver-
torfung vorgeschritten sind, noch auf 400 — 500 m «u schatten
sein**). Im Norden und Süden des Sees scheint die Dune etwas
schneller vorgeruckt zu sein, als gegen diesen selbst Die mehr-
fach berichtete Erscheinung, dass Dunen in Wäldern und Seen
langsamer vorrucken, als auf ebenem Terrain, beruht offenbar auf
verschiedenen Ursachen. Dass der Dunenkamm, wenn die be-
grabenen Waldbäume aus ihm herausragen und ihm so gewisser-
massen eine Strauchdeckung gewähren, vom Winde nicht so wie
ein völlig exponierter vorgeschoben wird, ist begreiflich ; was aber
soll dem Kamme vor einem Seebecken einen grosseren Halt
geben? Die Verminderung der Höhe durch das Hinabsinken ins
Wasser ist offenbar nur ein leicht wiegendes Moment, die grossere
Bündigkeit, welche der das Wasser der Dune aufsaugende Sand
an der ganzen dem Angriffe des Windes vom Fuss bis zum Ab-
hang hinauf exponierten Seite erhält, scheint mir die Hauptursaohe
dieses Phänomens.
Eigentümlich ist der Anblick, den die verschiedenen Vege-
tationszonen der Lotschen gewähren. Am Westfuss der hohen
*) Siehe Segelhandbuch der Ostsee, II. Teil, S. 95.
**) Der Fischermeister in Schmolsin meinte, es sei in 40 Jahren mehr als
die Hälfte des Sees verloren gegangen.
374 Paul Lehmann:
Danen folgt erst eine Region feuchten Sandes, ans der unter
der Dune selbst dnnkle Baumstämme und weiter gegen West hin
einzelne Halme von Seegräsern hervorragen. An diese schlieast
sich ein mit niedrigen, kleinblättrigen Weiden bestandenes Terrain,
denen sich erst winzig nnd vereinzelt, dann in grosserer Menge
Kiefern beigesellen, welche, mit Birken untermischt, die west-
lichen, ältesten Partieen der Lotschenbahnen einnehmen. Ich
machte den Versuch ans diesen Erscheinungen annähernd eine
Vorstellung von der Marschgeschwindigkeit dieser Deinen zu ge-
winnen. In 62 Schritten Entfernung von der Dünenboschung
traf ich die ersten winzigen Weiden und zwischen ihnen nach
weiteren 53 Schritten, also 115 Schritte vom Fuss der Dune, eine
kleine 7jährige Kiefer. Eine 15jährige Kiefer fand ich weiterhin,
225 Schritte vom Fuss der Dune entfernt. Es hatte die Dune
also mindestens 8 Jahre gebraucht, um 115, und 16 Jahre, am
225 Schritte vorzurücken. Es ergab sich daraus im günstigsten
Falle ein jährliches Vorrücken um 14 — 15 Schritte oder 9 m.
Da nun die Länge der grossen Lotsche 1840*) 2200 m betrug,
so muss die Düne, um diese Strecke zurückzulegen, bei annähernd
gleicher Geschwindigkeit 244 Jahre, also seit 1596 gewandert
sein. Dabei ist, trotz der Einsetzung der grosstmoglichen Ziffer
für die Geschwindigkeit, die Zeit der ersten Dünenbildung nicht
mitgerechnet und der Umstand unberücksichtigt geblieben, dass
das Westende der Lotschenbahn nicht blos von neuen Stranddünen
oecupiert ist, sondern vielleicht seinen Anfang in Gegenden nahm,
die heute schon vom Meere weggespült sind. Jedenfalls wird
man mir, denke ich, zugestehen müssen, dass der Ursprung dieser
Wanderdünen mindestens bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht
Nicht fern vom kleinen Dolgensee liegt 2^ km lang, in der
Westhälfte 400 m, in der ostlichen bis 800 m breit, hinter machtigen
Dünen der grosse Dolgensee. Offenbar hat sich die Gestalt dieses
Sees vielleicht erst im Laufe der letzten Jahrhunderte betrachtlich
verändert. Seine Umrisse waren einst die eines länglichen Ovals.
Eine mächtige Wanderdüne, deren westlicher Flügel heute als
helle Kuppe über dem das Nordufer mit dunklem Bande um-
rahmenden Waldstreifen emporragt, hat den See von der nord-
westlichen Seite aus vielleicht zum vierten Teile zugeschüttet und
bildet mit den versunkenen Sandmassen die in den See vor-
springende Halbinsel. Eine zweite Dünenwelle mit 38 m Hohe
ist, als ein 1200m langer Kamm, der ersten gefolgt und rückt
mit ihrem rechten Flügel gegen die flache Halbinsel vor. Der
*) Gemessen auf der Generalstabskarte von der Däne vor dem „G" des
Namens „Gross-Lötsche" bis an den Ost fuss der Düne.
Das Küstengebiet Hinterpommerns. 375
See ist für seine Grosse tief und erreicht, obwohl sein Niveau
so niedrig ist, dass sich vom Lebasee ans der Stau der Ostsee
bis in ihn hinein fahlbar macht, im ostlichen Teile dicht vor der,
Aufschüttung 3 m. Dieselbe Tiefe findet sich auch in der schma-
leren Westhälfte gegen die Danen and das Meer hin, während
die ganze Südhälfte sich flach zu V£ and 1 m erhebt. Der
Untergrand ist, abgesehen von den frischen Sandeinschüttungen
im Gross- and dem, im Maximum fast 2 m tiefen, Klein« Dolgensee
mit Moder bedeckt*).
Auf fast 56 m hoher Dane erhebt sich der Leuchtturm von
Scholpin. Mühsam ist die Festlegung dieser höchsten Wander-
düne des ganzen Pommerlandes gewesen. Die obere Fläche nm
den Fuss des Leuchtturmes ist zum Schatze gegen Windansrisse
mit Ziegelsteinen bedeckt worden. Ein Bohlengang führt von
dem am Rande von Dünen and Wiesenniederang gelegenen Wärter-
häuschen auf die Hohe, umgeben von einigen Reihen kleiner
Weidenstechlinge and kümmerlicher Kiefern. Gegen SO. fällt
die hohe Düne mit halbmondförmiger Ausschweifung steil ab in
eine Wald-, Wiesen- und Sumpfniederung, die steh im Westen
des Lebasees bis gegen den über Scholpin aufragenden, 115m
hohen Revekol ausdehnt. In zwei weissschimmernden Bahnen ist
weit hinein in die Niederung von den noch nicht befestigten
Teilen der Leuchtturmdüne der Sand geweht, die dadurch auf
ihrem Racken za beiden Seiten des mühsam und spärlich be-
pflanzten höchsten Teiles Verluste erlitten hat. Der Absturz einer
ihr nachgerückten und teilweise mit ihr verbundenen Düne ist
gegen Westen hin wund, wo ihr rechter Flügel die vor ihr lagernde
Leuehtturmdüne noch nicht erreicht hat, so dass eine Einbuchtung
von der Niederung aus in das Dünengebiet führt**).
Von der Hohe des Leuchtturms (75 m) übersieht man das
ganze Dünengebiet der sogenannten kleinen Wollsäcke. Jenseits
der kleinen Dolgen schimmert hell weiss der Kopf der ihn be-
drohenden Wanderdüne vor; mit sehr spärlicher Grasnarbe bedeckt
erheben sich die über 30 m hohen Dünenzüge , welche vor dem
Gross- Dolgensee liegen, aus dem Waldmantel, der seit vierzig
Jahren die Niederungen zwischen ihren Kämmen und dem sich
*) Die Tiefenangaben von beiden Seen verdanke ich dem Herrn Fisch-
meister in Schmolsin , der mir dieselben, als ich mich beim Gross-Dolgensee
ungläubig oeigte, mit grosser Lebhaftigkeit an seinem viele Winter hindurch
gehandhabten Aalspeer vordemonstrierte und mir gestattete, an demselben
mit meinen ihm ungeläufigen Metern und Centimetern Mass zu nehmen.
**) Die Darstellung auf der Generalstabskarte passt somit noch völlig
für die Jetztzeit, nur der westliche Fuss der Leuchtturmdüne ist gegen die
Einbachtang hin etwas zu stark schraffiert
376 Paul Lehmann:
längs des Seestrandes hinsiehenden Kupsenterrain bedeckt. Nach
Osten hin folgt der Blick der öden Nehrung vor dem Lebasee.
JDas Weiss der 20 and 30 m hohen Wanderdünen, die wellenartig
eine der andern folgen, aberwiegt; nar die höchste Kappe, welche
in der Ferne als Kulminationspunkt der Nehrung anfragt (37 m),
erhält .durch einzelne Büsche von Ammophila arenaria ein ab-
weichendes Aussehen. Längs des Lebasees, der von einem Binsen-
kranze umfasst ist, zieht zwischen Wasser und Dunensand ein
mehrfach unterbrochener schmaler Waldstreifen hin. Im Dünen-
gebiet und nach dem Meere zu ist dieses an Öde in Deutschland
unübertroffene Gebiet ganz unbewohnt, auf der dem Lebasee en-
gekehrten Seite liegen einige Fischerkathen. Bei einer Länge
von 19 km beträgt die Breite der Nehrung bei dem Fischerhäas-
chen „Jtambe" 1 km und stellenweise, wo sich das Sampfland aof
der Binnenseite etwas erweitert oder eine Dune mit dem rechten
Flügel in den See gewandert ist, noch etwas mehr, auf den
letzten 8 km aber bedeutend weniger.
Die Dunenphänomene gehören zu den interessantesten des
ganzen Küstengebiets. Zuweilen erhält das Landschaftsbild in
seiner Öde einen grossartigen Zug. Der mir früher so hyper-
bolisch klingende Vergleich des Dunenschnees mit dem der Firn-
felder drängte sich mir mehrmals, wenn ich nichts als den blauen
Himmel und die weissen windgefegten Dunenabhänge sah, unwill-
kürlich auf. Wie mit einem weichen Flaum erscheinen die blen-
dend weissen Abhänge ubersponnen wegen der in der Sonne
funkelnden Sandkornchen, die unablässig über sie hinfliegen; jede
Schätzung von Distanzen hört auf.
Bei den Bulenbergen, die sich der vor der Westecke des
Sees gelegenen Bruchniederung nähern, erfolgte im Jahre 1874
ein beträchtlicher Erdrutsch auf der Binnenseite der Dune. Er
hat mit Erdbebenerscheinungen, wie man vermutete, nichts zu thnn,
sondern erklärt sich einfach dadurch, dass die schwankende Unterlage
dem Drucke der anrückenden Sandmassen nachgab. In den
dreissiger Jahren hatte sich, wie mir Herr Amtsvorsteher Gädtke
in Leba mitgeteilt hat, in den Eulenbergen einmal ein Spalt in
der hohen Dune geöffnet, der so tief war, dass der damalige Be-
sitzer von Schmolsin mit zusammengebundenen Bohnenstangen den
Grund nicht erreichen konnte. Naturlich ist von diesem momen-
tanen, ebenfalls aus dem Nachgeben des Untergrundes zu er-
klärenden Auseinanderklaffen der Dünenmasse nichts mehr zu sehen.
Zuweilen erinnern die Bahnen der Wanderdunen an die
„ Lotschen tt; meist sind die nachfolgenden Wellen zu schnell nach-
geruckt , so dass die Staffel- und coulissenformig hintereinander
gereihten, alle von SW. nach NO. gerichteten Dunenkämme einen
Das Küstengebiet Hinterpommerns. 377
geschlossenen in der Firstlinie undnlierenden Zog bilden, dessen
Sättel die Verbindung zweier Sandwellen andeuten. Die Wander-
danen haben in den letzten fünfzig Jahren noch an Terrain ge-
wonnen nnd sind völlig kahl. Eine ans der weissen Fläche her-
vorragende armdicke Birke wurzelte wohl auf einer älteren, ein-
gesandeten Eupse und hatte so trotz der fortwährenden Sandan-
wehung ihre Existenz gewahrt. Fast gespenstisch ragen aus den
flachen, etwa 500 Schritt breiten, westlichen Böschungen der
"Wanderdünen hier und da die Spuren einer alten versandeten
Dune. Unter der schwarzen Decke zeigt sich der Sand meist
von dem durchsickernden Wasser bräunlich gefärbt und fest zu-
sammengebacken. Hier und da stand auf dem dunklen Boden
ein schwarzer Stubben , an manchen Stellen war die schwarze
Decke bereits grösstenteils zerstört und, von dem Winde durch
Rillen nnd Kolke gefurcht, nur der bräunlich gefärbte Sand als feste
Bank stehen geblieben.
Wo die Nehrung ihre Maximalbreite erreicht, liegt dicht am
Rande eine über 20 m hohe Dunenpartie mit wildzerrissenen Kuppen
im Abbrach, so dass sie wie ein Kap erscheint. Auf der Hohe waren
grosse Espen eingesandet, 12 von ihnen waren bereits abgestorben
und schauten nur noch mit ihren Kronen hervor, drei andere, durch
ihre Vordermänner vor dem heftigen Sandanflug geschützt, waren
trotz der hohen Versandung noch grün. Als ich dem E^amm der
Wanderdune ein Stuckchen gegen SO. hin folgte, stand ich plötz-
lich zwischen den Kronen absterbender Bäume und blickte hinab
in einen Wald 8 — 12m hoher Kiefern, Espen und Erlen, gegen
die das Verderben heranruckte. Nach einer Rekognoszierung des
Strandes wandte ich mich binnen warte in das Terrain der Wander-
dünen, welche auf der Karte mit „Am Maddewins" und „Bei Alt-
Lonske a bezeichnet sind. 500 Schritte stieg ich dem Westabhang der
ersten Wanderdune gerade hinan, vorüber an einigen alten Stämmen
und Resten der alten Walddune, die wie verwitterte Schichtenkopfe
spitz aus dem Sandfelde hervorschauten. Durch ein halbmond-
förmig gebogenes Dunenthal, von dessen Grunde aus sich dem
Auge nichts als weisser Sand und blauer Himmel zeigten, ging ich
empor cur letzten kahlen Kuppe, dicht vor dem Platz Rumke I.
Bei einer Umschau präsentierten sich mir die Dunenkämme, welche
ich vom Leuchtturm aus zum ersten Male überblickt hatte, in um-
gekehrter Ordnung mit total veränderter Physiognomie. Statt der
flachen, westlichen Böschungen zeigten sie sich hier, unterbrochen
von den in einigen Niederungen ausgebreiteten Waldparzellen, mit
den steilen, gegen Ost und Sudost gerichteten Abhängen. Da dieselben
bereits im Schatten lagen, markierten sie sich gegen den weissen
Kamm noch besser. Übrigens beginnen die 30 — 35 Orad geneigten
378 Paul Lehmann:
Partien nie unmittelbar unter dem Kamm; der breite, flache Rucken
senkt sich anfangs ganz allmählich, und erst dann rieselt der Sand,
dem Stoss des Windes entzogen und nur dem Gesetz der Schwere
folgend, langsam herab. Ich zahlte 9 solcher Steilabhänge und wandte
mich dann über jene Niederung hinweg, welche hinter Rumke I noch
die Lage des Kanals andeutete, durch den der Lebasee im vorigen
Jahrhundert eine schiffbare Verbindung mit dem Meere erhalten
sollte, zu der letzten in der Reihe der Wanderdunen. Obwohl
an Hohe hinter ihren westlicheren Schwestern zurückbleibend, stellt
sie sich noch als eine Sandwelle von 750 Schritt Länge dar. 156
Schritte von ihrem Westfusse waren die ersten kleinen Weiden,
und von diesem breiten Streifen waren die letzten 70 Schritte gaos
kahler von Feuchtigkeit gebundener Sand. Auch hier kamen Reste
einer alten Düne zum Vorschein, und es ragten an einer Stelle
aus dem Kamm die Kronen unlängst begrabener Bäume.
Während hier und da Kiefern und Espen aus dem Binsen-
grunde vor der Düne schon mit erstorbenen Ästen emporstarrten,
war eine begrabene Espe, deren obere Zweige noch die verdorr-
ten Blätter trug, augenscheinlich erst im letzten Jahre abgestorben
und ein Paar tief eingesandete Kiefern sogar noch grün. Bei
der einen, die durch drei bereits getötete Vordermänner gegen
den Sandanflug geschützt war, schien mir die Erscheinung erklär-
lich, bei der zweiten blieb sie mir unverständlich. Schon bei der
Versandung in der Nähe des Dünenkaps war es mir aufgefallen,
dass frei vor der Düne aufragende Birken bereits kahl und tot
dastanden, während mehr als halbbegrabene noch grüne Blätter
hatten. Vielleicht litten an allen Stellen die früher erstorbenen
Bäume von der Feuchtigkeit des nie ganz gleichmässig geebneten
Untergrundes, denn in der Lebensfähigkeit der Bäume liegt die
Ursache schwerlich, da sich bei drei verschiedenen Baumarten
dasselbe Phänomen ganz gleichmässig wiederholte. Dasa im all-
gemeinen die Kiefer von dem Sandanfluge am meisten leidet, ist
öfter konstatiert und schien mir im grossen und ganzen durch die
Einzel beobachtungen auf der Leba-Nehrung bestätigt.
Die Breite des Vorstrandes wechselte von 40 bis zu 120
Schritten. Mehrfach zeigte er sich mit Rollsteinen bedeckt, die
übrigens nicht blos am Strande, sondern auch in den lang von
West nach Ost in das Dünengebiet eingreifenden Windbahnen und
auf dem alten Boden einer Wanderdüne zwischen Heide and
kleinen Weiden zum Vorschein kamen. Auf der Grenze vom
Schmolsiner und Lebaer Revier wurzelten im Vorstrande alte
Stubben, in grosser Anzahl und von bedeutendem Umfange zeig-
ten sie sich vor dem Westende der niedrigen Dünen, die das
Pletkabruch vom Meere abschliessen. Hier zählte ich dicht bei
Das Küstengebiet Hinterpommerns. 379
einander 28 and dann vereinzelt in der Fortsetzung meiner Wan-
derang gegen Osten noch einige 40*). Während am Strande Torf-
stucke erschienen, war der niedrige Boden des Pletkabrnches
vielfach so fest, dass die Kühe aber den teilweise mit Wasser
bedeckten Boden wanderten* Vielleicht ist es eine mit Sandver-
wehangen bedeckte Torfhiederang; noch hinter ihr liegen bis
18 m hohe Danenkappen.
Das Danengebiet setzt sich im Osten der Lebamandang fort
und zieht als 700 — 800 m breite Nehrung zunächst vor dem Sarbs-
kersee hin mit Sandkuppen, die in den Punkten Leba I, II und
Illf. 18, 11 und 13,1m über NN. liegen. Bei Leba III treten
bereits wieder höhere Wanderdunen auf, von denen die eine mit
dem rechten Flügel bereits in den See hineingewandert ist und
in ihn einen flachen „Haken" vorschiebt, dessen Spitze sich nach
der Ansicht der Fischer in zehn Jahren um 50 — 60 Fuss ver-
längert hat. Auf 1,50 m senkte sich die Böschung des unter
dem Seespiegel liegenden, frisch hineingewehten Sandes von 10 cm
Tiefe auf Im, also um 90cm, mithin mit einer Böschung**)
von 31°, während sich bei 1,5 m Tiefe bereits der augenscheinlich
von der Dune emporgepresste Modergrund zeigte.
Die Dunenbildungen wachsen gegen Osten und erreichen vor
dem Sassiner Moor eine Breitenentwickelung von 2 km. Durch
dieses Moor fliesst zum Sarbskersee der Chaustbach, der einst aus
dem jetzt trocken gelegten Bebrowsee den Überschuss an Wasser
mit nach Westen führte. Vom grossen Dolgensee bis in die Ge-
gend des früheren Bebrowsees gehören alle Niederungen hinter
der Dune zum Flussgebiet des Lebasees und stehen allein durch
das Tief desselben mit dem Meere in Verbindung. Der Lebasee ist
bei weitem das grosste der hinterpommerschen Küstengewässer und
nimmt ausser den von Westen und Osten zugeführten Gewässern
des Danengebietes vornehmlich den durch ein auffallend breites Thal
von Lauenburg kommenden Lebafluss auf. Allmählich senken sich,
von steil geboschten Hohen eingefasst, die Torfniederungen gegen
den Spiegel des grossen Küstensees, der im Maximum I6^km
*) Dass man viele Eichen unter den Stubben findet, darf nicht Wunder
nehmen, noch im vorigen Jahrhundert waren auf der Nehrung Eichen- und
Buchenbestände. Z. d. d. geolog. Gesellsch. Bd. 9, S. 476: v. d. Borne nach
dem Berichte des Schmolsiner Strandvogtes. — Vorherrschend sind immer
Kiefern gewesen vergl. z. B. für Nehrung des Lebasees, Pommersches Archiv
1786, S 219. — Die Fichten, die dort erwähnt sind, sind nämlich Kiefern;
wären Fichten gemeint, so würden wir „Tannen** lesen, und für „Tannen"
vielleicht „englische Tannen1*. Übrigens variieren diese Bezeichnungen im
Provinzialismus Norddeutschlands mehrfach.
**) Nennen wir den Böschungswinkel «, so ist tg. a = 90: 150 = 0,6;
lg. tg. a = 0,778 mithin a = 30° 50'.
| 880 Paul Lehmamn:
i ■
lang und bis 8 km breit ist Da mir von einigen Fischern schier
unglaubliche, weit über die Depressionen der grossen Haffe hin-
ausgehende Angaben aber die Tiefenverhältnisse dieses Knsten-
sees gemacht wurden, so unternahm ich eine längere Fahrt kreos
und quer über den See, bei der ich alle mir nach der Konfigu-
ration der Ufer besonders wichtig erscheinenden und alle ton den
Fischern als die tiefsten und flachsten Stellen bezeichneten Punkte
r besuchte. Der See gleicht nahezu einem rechtwinkligen Dreieck,
dessen Hypothenuse an der Nehrung liegt. In die nach 3udosten
zu gelegene Kathete springen zwei nach NW. gerichtete Halb-
inseln weit vor, so dass die Seefläche in ein grosses und zwei
kleinere Becken gegliedert wird. Die Tiefenverbältnisse find
sehr ungleich. Dicht hinter der Dune fällt der Boden gewöhn-
lich auf 2 m schnell ab und senkt sich dann, mit Moder bedeckt,
ziemlich gleich massig von 2^ bis auf 8 m Tiefe, die sich fast in
der ganzen Längenachse des Sees finden, etwa dort, wo die Ge-
neralstabskarte den Namen „Lebasee" verzeichnet hat Die bei-
den ostlichen Ausbuchtungen sind bedeutend flacher, in der ersten
findet sich wenig Moderbildung und oft steiniger Boden, in der
i mittleren erhebt sich zwischen den beiden Halbinseln eine flache
Bank, die an einer Stelle sogar das Mittelwasser des Sees ein
wenig überragt. Vor der nach Sudwest gelegenen Kathete ist der
schlammige Seeboden flach und an vielen Stellen dicht überwuchert
von der sogenannten Wasserpest, die hier wie im Sarbskersee
seit einigen Jahren üppig gedeiht. Eine auffallend tiefe Rinne
zieht vor der Spitze der beiden Halbinseln hin und geht mit einer
I Umbiegung nach Süden noch über die westliche hinaas. Tor der
westlichen Halbinsel ergaben mehrere Messungen 5, 6 und sogar
6^m Wasser.
Der Sarbskersee, der den sogenannten Mühlgraben in die
untere Leba sendet, füllt wie der Gross- Dolgen eine Mulde hinter
den Dunen aus und gleicht ihm, obwohl er ihn an Länge und
Breite übertrifft (7,8km lang und 1,2 — 1,5km breit), in seinen
Tiefen Verhältnissen. Sein Boden ist meist mit Moder bedeckt,
doch fand ich, abgesehen von den eingewehten Sandscharen, in
weiter Ausdehnung vor dem Ausflusse des Mühlgrabens und nahe
dem von Rohrplänen und Erlen umgebenen Sudufer unweit des
Pustke-Grabens auch Sanduntergrund.
Im mittleren Drittel wuchs in der Längenachse des Sees die Hefe
des Wassers von 2^ auf 3^m und die des durchsunkenen Moder-
grundes von *{ auf ^m. Im Osten bildete der Chaustbaeh zwischen
zwei in stumpfem Winkel auseinandergehenden Armen, von denen
der eine fast ausgetrocknet war, ein kleines, schmales Deltaland.
Da der Bach durch eine schwach geneigte Torfniederang langsam
Dm Küstengebiet Hinterpommerns.
381
dahin fliesst, nahm mich diese Bildung Wunder. Vielleicht stammt
sie ans der Zeit, wo der Sarbskersee durch Wegränmung eines
Mohlen weh res etwas gesenkt ward, wahrend man den Bebrowsee
durch Vertiefung des Chaustbaches entwässerte. Die flache Gestalt
des Deltas erklärt sich aus dem gegen das Ostufer mit häufigem
Wellenschlage und hin und wieder auch Eisschollen andringenden
Westwind. Einer besonderen Besprechung sind die Erscheinun-
gen an der unteren Leba wert, die ein grosses Gebiet entwässert
und bei der tiefen Lage des Lebasees, seiner flachen, oft über-
schwemmten Wiesenufer und dem niedrigen Niveau seiner Tribu-
taire*) oft so kräftig eingehenden Strom hat, dass die Ufer stark
angegriffen werden und der Seesand weit hinein in den See ge-
führt wird").
Die Tiefe der unteren Leba wechselt zwischen flachen Sauden
und 5m tiefen Stellen, der Ausgang gegen das Meer hin ist
durch eine breite Barre oft selbst für Fischerboote gesperrt. Be-
sonders kräftig wird das rechte Ufer, welches mehrfach Profile
yon Sand- und Torfschichten zeigt, erodiert; eine Sturmnacht, wie
die vom Dezember 1888, kann hier Verluste von 10 — 13 m
Breite hervorrufen. Dieser mit verheerender Gewalt vom Meere
in den See dringende Strom ist neben den vom Westen anrücken-
Lebamündung 1 : 7200.
den Dunen die Hauptursache von dem oftmaligen Wechsel des
Flnssbettes gewesen. Auf dem ganzen Westufer der unteren Leba
findet man in bogenförmigen Sumpfen und tiefen Teichen die Reste
*) Bis in den Gross -Dolgen und Sarbskersee macht sich der Stau
des Lebasees fühlbar. Bei meiner Anwesenheit floss der Mühlgraben mit
23 Schritt in der Minute, wÄhrend die Bewegung im Abfluss des Dolgen-
eees kaum merklich war.
**) Eine kleine Tiefinsel ist auf diese Weise in 40 Jahren von 15 auf
30 Morgen angewachsen.
382 Paul Lehmann:
des froheren Flusslaufes. Die Strommündung hat das Bestreben,
sich nach Osten hin zu verlegen, wie das besonders veranschau-
licht wird durch drei Pläne, welche die Verhältnisse der Jahre
1826, 1856 und 1883 wiedergeben*). Die von SW. nach NO.
vorspringende Ecke ist mit geringer nordlicher Ablenkung von
1826 — 1855 um 180m nach Osten geruckt, so dass ihre Spitze 1855
bereits auf dem ehemaligen rechten Ufer lag. Von 1855 — 1883
ist ein auffallendes Zurückweichen der Mündung zu konstatieren.
Das linke Ufer ist 100 m zurückgetreten, das Strombett ist weiter
nach Osten hin geruckt und liegt mit seinem linken Ufer durch*
schnittlich 80 m ostlich von dem rechten Ufer des Jahres 1826.
In der Verlängerung gegen das Binnenland haben sich die Ser-
pentinen natürlich nicht so beträchtlich geändert. Der Verlost, der
sich besonders auf die Partien an der Mündung concentriert, and
nach Westen und Osten hin an der Küste schnell abnimmt, be-
läuft sich im ganzen auf fast 8 Hektaren, wovon 0,86 auf das linke
Ufer fallen. Es ist dabei übrigens zu beachten, dass dieser Ver-
lust nicht einfach an das Meer abgegeben ist, sondern dass im
grossen und ganzen nur eine Umlagerung binnen warte stattge-
funden hat, da ja, wie erwähnt, die Tiefinsel in 30 Jahren um
fast 4 Hektaren (15 Morgen) gewachsen ist.
Obwohl Leba in alten Urkunden häufiger erwähnt wird, er-
fahren wir aus diesen Nachrichten **) über die physischen Verhält-
nisse dieses Terrains nichts bestimmtes. Auch die Ausbeute ans
den Scriptores rerum Prussicarum ist gering. Nach einem Bericht
über die Preussenfahrt des Grafen Heinrich Derby (nachher Hein-
rich IL von 1399— 1413)***) ist ein Teil des gräflichen Gefolge«
mit zwei Schiffen de navi usque Lebe gesandt. Der Herausgeber
bemerkt dazu in einer Anmerkung: Leba, wo ein Teil des gräf-
lichen Gefolges landete, und Rixhöft (d. i. das im Text erwähnte
Koosheine) wurde* n im 14. und 15. Jahrhundert öfter als Landungs-
plätze auch von grosseren Schiffen, meistens allerdings unfreiwillig
benutzt. Gerade die Erwähnung von Rixhöft, vor dem die Schiffe
höchstens vor Anker gegangen sein können, beweist, dass man an
diese Nachricht nicht übertriebene Vorstellungen von der ehemaligen
Hafenstadt Leba knüpfen darf.
Thatsache ist, dass Leba heute an einem andern Platze steht,
als am Ende des 14. Jahrhunderts. Der Ort hat damals am linken
*) Diese Pläne wurden mir vom Herrn Regierungsrat Benoit in Kö>
lin zur Einsicht vorgelegt.
**) Der Cod. Pom. von Kosegarten und Hasselbach geht bis 1253, der
von Dreger bis 1269. Bei Kosegarten S. 947 wird im Jahre 1251 (nach
Klempin 1252) der „lacus magnus Lebsco* genannt/
***) Scriptores rerum Prussicarum II, S. 789.
Das Küstengebiet Hinterpommerns. 333
Ufer der heutigen Mundung gelegen, wo noch heute, unfern des
Meeres, inmitten niedriger Dunen und blühender Weidenroslein die
Reste einer alten Backsteinmauer von der Lebaer Kirche stehen.
Nach einer von Brüggemann*) aufbewahrten Notiz wäre der
Untergang des alten Leba in das Jahr 1572 zu setzen. Er meldet:
„Es ist aber dieses Lebemunde nach einer davon in dem hiesigen
Stadtbuche, bey der Gelegenheit, als das hiesige Schustergewerk
am 2. März 1642 bat, ihre Privilegien in das Stadtbuch eintragen
zu lassen, aufgezeichneten Nachricht, damals vor 70 Jahren und
folglich etwa um das Jahr 1572 gänzlich vom Sande und Wasser
zerstört worden, so dass jetzt nur noch einige Überbleibsel von
der gemauerten Kirche zu sehen sind." Nach der gemeinen Sage,
fährt Brüggemann vorsichtig fort, hätte die Stadt einst hinter einem
grossen Walde, eine Meile von der Ostsee gelegen. Dass von
den Häusern im Falle eines Abbruches nichts übrig blieb, ist kein
Wunder, noch am Ende des vorigen Jahrhunderts hatte Leba erst
sechs mit Ziegeln gedeckte Häuser. Von der alten Kirche wurde
nach dem Kirchen visitationsrecess von 1596, wo sie baufällig ge-
nannt wird, das Material zum Bau der neuen Kirche auf dem rechten
Leba-Ufer verwendet.
Von einer Katastrophe meldet das alte Stadtbuch von Leba
nichts — es ist nicht mehr in Leba vorhanden, sondern in Stettin
— wohl aber geht aus einer Notiz desselben hervor, dass den
Lebaern die Furcht vor Wassergefahr lange vor 1572 nahe gerückt
war. In derWillkühr, die sich die Stadt Lebern ün de gesetzet**), heisst
es unter Nr. 31 : Ein jeder, der da höret die Sturmglocke schlagen,
Es sey in Wasser- oder Feuers Nühten, der soll Einer den Andren
zu HülfTe kommen, es sey bey Tage oder bey Nacht. * So wird
Leba beim Andringen von Wasser und Sand wohl allmählich ab-
gebrochen und gerückt sein, wie das auch mit dem benachbarten
Dorfe Rumbke geschehen ist***). Im Jahre 1857 erhielt Leba mit
dem labischen Recht auch die Erlaubnis „allerlei Kaufmannschaft
zu treiben". Man darf aber danach nicht das Bild einer grossen
Handelsstadt konstruieren, so wenig, als man aus den statistischen
Angaben für den Seeverkehr in deutschen Häfen glauben darf,
Leba habe ün Jahre 1878 einen Seehafen besessen, da neun ange-
kommene und abgegangene Schiffe notiert sind. Auch Osseken
würde man dann heute als Hafen nennen können, während doch
*) Siehe Brüggemann II. 2, 8. 1045 f.
**) Im Original steht „da man zehlete Eintausendt und Sieben und
Siebentzig"* Augenscheinlich fehlt für die Hunderte die Zahl 4, oder
vielleicht auch 3.
***) Pommersches Archiv 1786, Teil 2, 8. 217 f. „Versandungen längs der
Pommerachen Küste" v. W.
384 Paul Lehmann:
die Produkte der Glasfabrik bei ruhigem Wetter auf gani flachen
Plätten hinaas zum Schiffe geführt werden.
Die Hafenverhältnisse Lebas sind jetzt erbärmlich, das waren
sie aber wenigstens im vorigen Jahrhundert in ganz gleicher Weise.
1776 grub man, um in Leba den precären Schiffahrtsverkebr cq
heben und um die — notabene das Meeresniveau wenig über-
ragenden — Bruche trocken zu legen, an dem bereits weiter
oben erwähnten Orte quer durch die Nehrung den sogenannten
Brenkenhofkanal. Die an ihn geknüpften Hoffnungen scheiterten
kläglich, und über die Unternehmer kam der alte Fritz mit einem
Donnerwetter. Eine Hochflut riss die Ufer des Kanals auf beiden
Seiten weg und über das versandete Tief bei Leba rückte eine
— jetzt verschwundene, teilweise in die Wiesen und teilweise durch
den Strom hin weggeführte — Düne gegen die Stadt vor. Man
schloss den mit so kühnen Erwartungen eröffneten Durchstich and
stellte den alten Abfluss, so gut es ging, wieder her*). Jetzt ist
für Leba im Westen des heutigen Tiefs die Anlage eines Hafens
beschlossen, dessen Bau — nach den Verhandlungen im Abgeord-
netenhause zu schliessen — in diesem Jahre schon in Angriff
genommen wird. Hoffen wir, dass es unserer Technik gelingt,
ohne übergrosse Kosten den Wünschen und Erwartungen der
Lebaer gerecht zu werden. Mir will es scheinen, als müsste die
Anlage eines sicheren Hafenbassins hier schwieriger sein, als in
Rügen waldermünde und Stolpmünde.
Der Kulminationspunkt jenes Dünengebiets, welches sich von
der Lebamündung bis zur Piassnitz, 34 km lang und bis zu 1,8 km
breit, erstreckt, liegt auf der fast 43m hohen Düne, welche die
22,5 m hohe Stilobake trägt. Die Bakendüne und neben ihr die
noch heute im Wandern begriffene Gensdarm endüne sind die
Hauptrepräsentanten der sogenannten „Grossen Wollsäcke tt. Der
Name ist den hellen Kuppen der Wanderdünen nicht unpassend
von den Schiffern beigelegt. Während er bereits auf Seekarten
aus dem vorigen Jahrhundert zu finden ist, wird er im Monde
der Landbewohner so gut wie gar nicht gebraucht**). Dass die
kleinen Wollsäcke mit der Scholpiner Leuchtturmdüne die grossen
Wollsäcke an Hohe und Mächtigkeit übertreffen, mag beiläufig
*) Über diese Vorgänge findet der Leser einen ausführlichen Bericht
von Boll a. a. O. ; Sep. -Abdruck aus d. „Archiv des Vereins rar Freunde der
Naturgeschichte in Mecklenburg4* Jahrgang XIX, S. 151 f., der zum Teil auf
einem Aufsatz in Hakens Pomm. Prov.-Bl. Bd. II, 8. 166 f. beruht. Aach
Globus VII, S. 284 und VIII, S. 155 behandelt Boll dieses Thema.
**) So schreibt z. B. Wolff., Ing.-Geogr. des grossen Generalstabes, in
einem, übrigens ziemlich massigen Bericht „Charakteristik der Oberflächen-
geatalt Hinterpommerns tt (Bali. Studien VI S. 128): die Schiffer sollen diese
Dünen ihrer Gestalt wegen die grossen Wollsäcke nennen.
J
Das Küstengebiet Hinterpommerns. 385
erwähnt werden. Das Bild der Bakendüne und ihres Vorterrains
ist von dem, welches das Jahr 1840 bot, etwas verschieden, die
fünf kleinen Danenteiche sind verschwunden nnd wohl in den Jah-
ren zugeschüttet, welche der mühsamen, leidlich gedeihenden Be-
pflansang der Bakendane voraufgingen. Ganz angebändigt folgt
die Gensdarmendüne noch heute ihrer Wanderlast nach Osten. In
der Nahe ihres westlichen Abhanges war in dem feuchten Grande
seit zwei Jahren zur Verwunderung des Dünen wärters ein kleiner
meterhoher Cylinder gelblich gefärbten Sandes stehen geblieben.
Die Entfernung von diesem bis zum Fuss der Düne konnte ich
nur abschätzen, da mein Schirm beim ersten Stoss in den Sand
bis über den Griff hinabsank. Habe ich die Entfernung annähernd
richtig auf 20m geschätzt, so müsste die Düne in den beiden
letzten Jahren etwa je 10 m weitergerückt sein.
Bei der Wanderang gegen den Strand hin durchschritt ich ein
ödes Dünenthal im Nordwesten der Gensdarmendüne. Zwischen
einzelnen, schwarzen Stubben floss mit bräunlich gefärbtem Wasser
und vernehmlichem Rauschen ein Bächlein, das plötzlich durch ein
kleines Katabothron im Sande verschwand. Wie vor der Stilobake
auf einer Strecke von 2 km die Dünen noch heute gegen die vom
Cbaustbache darchflossene Niederung vordringen, so occupieren
sie auch weiter nach Osten hin noch Terrain. Hell schimmert
die 32m hohe Lübtowerdüne aus einem Dünencomplex vor, von
dem erzählt wird*), dass er in früheren Zeiten den heute 9m über
dem Meeresspiegel liegenden Lübtowersee so beträchtlich landein-
wärts gedrängt habe, dass Einwohner des gleichnamigen Ortes
ihre Wohnplätze verlegen mussten. Von den vier grosseren and
vier kleineren Dünenteichen , welche die Generalstabskarte hinter
den Dünen bei der Ossekener Ablage am Rande des „Fichtmoors*
verzeiebnet, oder statt derselben finden sich auf dem neuen Mess-
tischblatte (Sektion Wittenberg) nur noch zwei. Ein Vergleich der
Entfernungen, welche einzelne Wanderdünen von dem Meridian
35° 30' auf der älteren Generalstabskarte und den neuen Mess-
tischblättern zeigen, führt zu einer guten Erkenntnis des von
ihnen innerhalb 40 Jahren zurückgelegten Weges. Bei der Lüb-
towerdüne erhält man für den Westrand 375 m, für den Ostrand
400 m nnd für den ihr zur Rechten gelegenen Absturz gegen das
Schnittbrueh 300 m. Wir erlangen damit für die 40 Jahre (1837
bis 1877) eine jährliche Geschwindigkeit von 9,3 resp. 10 und 7,5 m,
26 8
also durchschnittlich —~- = 8,9 m**). Ein annähernd gleiches
3
*)
**) Vergl. hiermit Berendt: Geologie des kurischen Haffs, S. 211 f.
Zeteehr. d. GcmUmIi. f. Brdk. Bd. XIX. 25
386 Paul Lehmann:
Resultat ergeben auch die vergleichenden Messungen für den
„ weissen Berg" im Osten Wittenbergs, nämlich 850 m in 40 Jahren,
das sind durchschnittlich 8,75 m. Der Lubtowersee hat seine Lage
in dieser Zeit, wie ein Vergleich der Karten beweist, nicht ver-
ändert, dagegen mass der Meeresstrand auf dieser Strecke bedeu-
tende Einbnsse erlitten haben. Ich erhalte für die Abnahme des
Strandes vor dem Lubtowersee fast 100 m und vor der Ossekener
Ablage sogar 140m, während sich weiter nach Osten vor Karwen-
bruch nur ein Verlust von 40 m ergiebt und näher nach Rixhöft
hin sogar noch weniger. Mir schienen die Ziffern so gross, da»
ich trotz der bedeutenden Bilder der Zerstörung, welche mir der
Vorstrand zeigte, der z. B. vor der Ossekener Ablage ganz schmal
war und die, durch keine Düne geschützten, auf niedrigem Sand-
boden, 2 m über dem Meeresspiegel stehenden Kiefern entwurzelte
und trotz der Berichte des Wärters der Stilobake, dass der Strand
weiter nach Osten hin stark angegriffen werde, mehrmals and
auf verschiedene Weise meine Messungen anstellte. Die Lage
des Lubtowersees und der Ossekener Ablage stimmt von anderen
Fixpunkten aus gemessen auf beiden Karten, nur das am Vorstrand
gelegene Terrain bedingt die Differenz. Immerhin ist zu bedenken,
dass es sich hier nirgends um trigonometrisch festgelegte Punkte
handelt, wie z. B. beim weissen Berg, und dass auf der älteren
Generalstabskarte schon lmm= 100 m ist. Am Vorstrande waren
vor den zerrissenen Dunenkuppen des Jatzkowergebiets mehrmals
in den durch Unterspülung der Brandungswelle erschlossenen Pro-
filen die dunklen Decken alter Dunen, hier und da mit hervor-
ragenden Stubben, sichtbar. Jenseits des sich im Triebsand ver-
lierenden Lubtowerbaches waren 10 — 15 m hohe Dunen wie mit
dem Messer abgeschnitten, und vor der Ossekener Ablage fehlte,
wie gesagt, die Düne ganz. Erst weiterhin gegen Wittenberg
ward wieder eine gute Anhägerung der Vordune bemerkbar, hin-
ter einem breiten, sandigen Vorstrand, der sich 7 km weit bis ra
Pommerns Grenze, an der Piassnitz, vor dem im weissen Berge
kulminierenden Dunengebiet hinzieht, das noch in mehreren, spär-
lich benarbten, wildzerrissenen Kuppen 20m überragt. Hinter
diesen Dunen liegt das grosse und tiefe Wierzchudner Moor,
welches sich ins Binnenland, 8,5 — 5km breit, bis an das Nord-
ufer des langgestreckten Zarnowitzersees ausdehnt und nach Osten
hinter den Dünen im Odargauer Bruch und dem, seit dem Ende
des 16. Jahrhunderts von einer holländischen Kolonie kultivierten
Karvenbruch fortsetzt.
Der Zarnowitzersee gehört zwar politisch nicht mehr tu
Hinterpommern und zeigt auch in physischer Beziehung einen von
demjenigen der Küstenlagunen und Haffe sehr unterschiedenen
Das Küstengebiet Hinterpommerns. 337
Charakter, ist aber in vieler Beziehung so interessant und für manche
sich an die Geschichte dieser Koste knüpfenden Fragen so wichtig,
d&ss die Darstellung bei ihm noch etwas länger verweilen mnss.
Wenn man von Westen her über die 50 — 70 m hohen, frucht-
baren Diluvialrucken kommt und dann steil durch den Buchenwald
nach Nadoll hinabsteigt, so ist man überrascht von dem schonen
Landschaftsbild, welches der 7,6 km lange und 1,3 — 2,5 km breite
See mit seinen waldgesch muckten Ufern dem Auge darbietet. Im
Norden schimmern jenseits des grossen Moores, wie die Gipfel eines
fernen Gebirges, die Kuppen einzelner Dünen, im Westen und
Osten erheben sich die steilen Waldlehnen über dem schmalen
Ufer, an dem, in Bäumen versteckt, einige kleine Dorfer liegen.
Der Schlossberg im Osten senkt seine Buchenlehne von 95 m Höhe
unmittelbar zu dem das Meer nur um 1,5 m überragenden See-
spiegel. Im Süden mündet aus einem, von ähnlichen Hohen um-
rahmten Wiesenthaie die Piassnitz. Der Vorstrand des Sees ist
schmal und seine Tiefe beträchtlich. Ich mass auf der Fahrt von
Nadoll auf das im SO. gelegene Kartoschin, 500 Meter vom
Strande, nach einer sich allmählich auf 5 m absenkenden Tiefe schon
15 m und im SW. der Bucht, nachdem ich in dem Schnittpunkte
Nadoll-Kartoschin, Schlossberg Rauschendorf 13 m Tiefe konstatiert
hatte, bis dicht nach Rauschendorf Jieran noch 12 und lim. In
der Mitte der Sehne, welche die flach gegen den Schlossberg vor-
springende Bucht bildet, ergaben die Messungen 18 m und etwas
weiter nach Norden 14 m Tiefe, während sich auf der ganzen Fahrt
vom Schlossberg herüber nach der im Nordwesten des Sees gelegenen
Mündung des Bychower Baches anfangs 15 und dann durchgehend
15,3 m Tiefe ergaben. Wie ich mich der Linie Reckendorf-Lüb-
kau näherte, stieg der Boden auf 14 und 13,5, dann aber plötzlich
auf 5,5 m. Die nach Norden auslaufende Bucht nordlich dieser
Linie (etwa Ziegelei bei Reckendorf und Zarnowitzer Kirchturm)
kt flach im Verhältnis zu dem langen südlichen Teil und hat
vielfach sandigen, meist indessen moorigen Boden. Die den See
abdämmenden Alluvialbildungen reichen wohl bis hierher und zeigen
damit eine Breitenentwickelung von 6 km. Ein Taucher aus Leba,
der die Leichen der bei einer Kirchenfahrt von Nadoll nach Lübkau
Verunglückten aus dem See holen sollte, hat — wie mir von den
Fischern gesagt wurde — die Tiefe des Sees grosser angegeben *)
*) Bei Nachfragen erhielt man von den Fischern die Angaben in Klaftern.
Diese Klaftern sind noch nicht einmal so lang, wie der Fischer spannt, so
dos8 kleine Leute stets sehr übertriebene Angaben machen. Der eine meiner
Fischer wollte durchaus behaupten, der See habe an einer Stelle 11 Klafter
Tiefe, das stimmte — als ich ihn seine Klafter an meiner Schnur vordemon-
strieren Hess — mit meinen 15 m sehr gut.
25*
388 Paul Lehmann:
als sie meine Messungen ergaben, und erklärt, er versänke auf
dem Boden vollständig im Moder, während der 4 kg schwere Stein,
den ich an einer Schnur hinabliess, so wie er bei 15,3 m den Grand
markierte, trotz kurzen Anziehens und Nachlasse ns der Schnur nie
tiefer sank.
Der Verfasser des aus dem Po mm ersehen Archiv citierten
Aufsatzes versichert, der Spiegel des Zarnowitzer Sees habe sich
im Laufe der Zeit erhöht. Das mag infolge grosserer Versandung
der Fall gewesen sein, denn eine von Westen vorruckende Barre hat
die Mundung zeitweilig um 6 — 700 m nach Osten geschoben*). Heute
fliesst die Piassnitz durch das Moor 5 — 700 m ostlich des allen
vielfach gewundenen Laufes und geht, nach Durchstechung der
Dune, obwohl immer noch mit der Neigung über den Vorstrand
rechts auszuweichen, direkt ins Meer. Die Fischer versicherten,
dass sich der Stau der Ostsee zuweilen noch in rucklaufendem
Strom äussere und die kleinen Inselchen am Ausfluss der Piass-
nitz — obwohl meist phytogener Natur — konnten dies bestätigen.
Hier nahe dem Ausflusse finden sich im Susswasser des Sees aueh
Flundern, die Fischer erklärten, sie seien kleiner und etwas ver-
schieden von denen in der Ostsee, konnten mir aber den Unter-
schied begreiflicherweise nicht erklären und auch nicht am Objekt
vordemonstrieren, da die Flundern fehlten.
Die Dunen vor dem Odargauer Bruch bleiben an Höhe nnd
Breitenentwickelung hinter den Wittenbergern zurück. Über die
Verluste dieses Küstenstriches durch See und Sand sollen sich auf
dem Krockowschen Schlosse noch gute Nachrichten finden. Am
Westende des Earvenbruches erreicht eine Dune noch 18 m, dann
wird sie vor den sorgfältig kultivierten Niederungen, durch die sich
in zwei langen Reihen die niedersächsischen Häuser Karvenbruchs
ziehen, schmal und niedrig. An der Reihe, die auf der Binnen-
seite liegt, zeigen sich Spuren einer alten Dune. Bis hierher drangen
1821 — nach Krause — einmal die Wasser einer Sturmflut**).
Jedenfalls bedarf die schwache Dune vor Karvenbruch ernstlicher
Schutzmassregeln zur Sicherung des dahinterliegenden Landes.
Noch fast 6 km setzt die Dune von der Karvenbrucher Schleuse
nach Osten fort, bis sie, bis zu 16 m hoch, an das mit dem 33 m
hohen Habichtsberge beginnende Steilufer von Rixhöft stösst. Vor
*) Vergl. die Generalstabskarte nnd die Skizzen in dem vortrefflichen
Buche von Krause: Der Dünenban auf den Ostseeküaten Westpreossene.
Berlin, Karl Reimarus Verlag (Gropius) 1850.
**) In Karvenbruch erzählte man mir auch von einer im Meere liegen-
den Stadt! — Thatsache ist, dass sich am Boden des Meeres bei ruhigem
Wetter, viele Baumstubben gezeigt haben. Preuss. Prov.-Bl. 1837, Bd. XVIII,
S. 368.
Das Küstengebiet Hinterpommerns. 339
dem Habichtsberge wendet sich die Czernau um ein ödes, wind-
terzaustes and hier und da an das Kupsenterrain erinnerndes Ge-
biet nach Westen, durchfliesst die hinter den Dunen gelegenen,
allmählich verwachsenden Ostrauerseen und wendet sich dann durch
die Dunen nach Norden*).
3 km setzt das Steilufer bis zum Eap von Rixhoft fort. Die
Wände, wie der Blick über die Oberfläche der Kämpe, zeigen
die Macht des NW. Kurz vor Rixhoft schneidet, in zwei Arme
schwalbenschwanzartig gegabelt, ein Barranco bis nahe zum Meeres-
spiegel herab in das 80 m hohe Plateau, zeigte aber keine auf-
fallenden Veränderungen gegen das auf der Generalstabskarte ge-
gebene Bild. Mächtig schäumte die Brandung über die dicht ge-
drängten Blocke, welche den Boden des Meeres vor Rixhoft mit
breitem Walle umgürten**), als ich durch das kleine im NO. ge-
deihende Buchenwäldchen zum Leuchtturm emporstieg, an dem
meine Küsten Wanderung über ein 268 km längs des Strandes hin-
ziehendes Gebiet ihr Ende erreicht hatte.
Der 263 km lange Küstensaum von der Dievenowmundung
bi8 Rixhoft besteht auf 212 km Länge aus einer reinen Dünen-
küste, die auch in ihrem unter dem Meeresniveau gelegenen Grund-
bau aus Alluvialbildungen aufgebaut ist. Nur 14 km (Hof-Horst,
Jershöft, die Korden und Rixhoft) haben 15 — 80 m höbe, steil
abbrechende Wände und 85 km (die Sandschellen, vom Fritzower
Kalkbruch bis gegen Hoff; die niedrigen, meist diluvialen Ufer vom
Torfgraben im Osten Kolbergs bis Sorenbohm und eine 8% km
lange Strecke westlich der Korden) ergaben niedrige, überwehte
und wieder abgebrochene Diluvialränder im Wechsel mit sporadischer
Dünen um säum ung. Der Vorstrand ist auf der ganzen Strecke mit
Sand bedeckt, untermischt mit einzelnen Blocken und zahllosen
kleineren Steinen, die sich von Haselnussgrosse bis zu der eines
Kinderkopfes bald in breiten Gerollbändern, bald spärlich verstreut
am Dfer finden. Die Breite des Vorstrandes, der je nach dem
Wasserstand, Wellenschlag und nach der Besonnung an den vor-
a abgehenden Tagen eine feste, schone Bahn bildet oder zu einem
ermüdenden Kneten und Stampfen notigt, wechselt unaufhörlich
und schwankt selbst bei mittlerem Wasserstand schon zwischen
10 und 100 m***). Im allgemeinen kann man sagen, der Vorstrand
*) Um den einen der Seen herrscht Streit zwischen den Karvenbrüchern
und den Ostrauern. Das Gericht hat entschieden, die Karvenbrücher schneiden
Rohr, die Ostrauer daa Qraa. Nach einigen Jahrzehnten dürfte die Peripherie
der K ohrfläche wohl bedeutend verkleinert erscheinen!
**) Unter den Steinen machte einer den Eindruck eines versteinerten
Baumstammes.
***) Manche Stellen habe ich in der Detailbeschreibnng besonders hervor-
gehoben. Es kommen ausnahmsweise selbst Stellen mit 120 m (westlich der
390 Paul Lehmann:
ist vor den Diluvialpartien und den aus der Uferlinie vortretenden
stampfen Ecken schmal und in den zurücktretenden flach ge-
schwungenen Bogen breit, wachst aber im grossen und ganien |
von Westen gegen Osten hin. '
Noch gl ei chm aasiger, wie sich das Land gegen das Innere
hebt, senkt sich der Meeresboden unter dem Seespiegel. Die Ab-
dachung erfolgt anfangs verhältnismässig schnell. Die Strandlinie
und Tiefenlinie von 10 m liegen einander bedeutend näher, ala
die letztere mit derjenigen von 20 m, welche in der Oderbucht
überhaupt noch nicht zu finden ist und erst ostlich von Kolberg j
und Funkenhagen einen annähernden Parallelismus mit der 5—
7 km entfernten Küste zeigt. Die 10 m Linie hält sich in einem |
durchschnittlichen Abstand von 1 — 1,2 km, doch ist sie z. B. ost-
lich von Kolberg bis fast auf 3 km, am Serbskersee auf 1,8
hinausgerückt und dagegen bei Rixhöft bis auf 0,9 km genähert.
Daneben zeigen sich vereinzelte Abnormitäten wie vor dem Camp-
see und der Nordostecke des Vietziger Sees. So wenig wie näm-
lich das Meer es bis jetzt vermocht hat, alle Höfte zu zerstören
und den ganzen Küstensaum in eine Dünenküste zu verwandeln,
wurde es mit der Einebnung und Zerstörung aller Diluvialerhöhungen
auf seinem Untergrunde fertig. Wie die Diluvialkämpen im wind-
bewegten Dünengebiet erheben sich einzelne steinbedeckte Dilu-
vialriffe in dem von der Brandung unablässig hin- und hergewirbel-
ten Sande des Meeresbodens. Wir haben also in der Nähe des
Strandes zwei Arten von Untiefen zu unterscheiden, die unregel-
mässigen, vereinzelten Diluvialbänke (z. B. vor dem Kampsee und
bei Rowe), die das Meer noch nicht völlig zerstörte und die längs I
des Ufersaumes von seinen Wellen aufgebauten Sandriffe, nach
denen die Fischer die nächsten Entfernungen von der Küste zu
bezeichnen pflegen. Diese Riffe , die sich als 1 m hohe Wulste
über dem flachen Meeresgrund erheben, finden sich gewöhnlich in ;
der Dreizahl und bestehen meist ans reinem Sand, selten aus
Sprenkeln oder kleinerem Geröll. Die Riffe sind übrigens weder
überall noch jederzeit in der Dreizahl vorhanden und ebensowenig
in ganz regelmässigen Parallelzügen geordnet Dem häufigsten
Wechsel ist natürlich die Form des dem Strande zanächstliegeo-
den Riffs unterworfen, was man am besten an der Verschiebung
der kleinen Sandwulste über steinigem Untergrund konstatieren
kann. Die Riffe nähern sich bei einem senkrecht gegen den Küsten-
strich gerichteten Winde dadurch, dass sie nach Art der Dünen
Piassnitz) und mit 135 m vor Wittenberg gegen Oseeken hin vor. Vergl
Journal für Sande, Landgrenzen, Tonnen 1877. H. 3556 im Hydrograph.
Amt. Übrigens ergeben sich ans dem Vergleich des Journals mit meinen
Reiflebeobachtnngen oft kleine Veränderungen wahrend der lotsten Jahre.
Das Küstengebiet Hinterpommerafl.
891
vorrücken. Flach steigen sie von der Seeseite an, dann senkt
sich — wenigstens beim ersten Riff — der breite Racken unter
einem Winkel von 30° plötzlich hinab. Es geschieht wohl, dass
ein solches Riff mit dem einen oder dem andern Flügel völlig gegen
den Vorstrand geschoben wird. Springt der Wind um, fegt ein
heftiger Küstenstrom längs der Küste, so verwandelt er die Kon-
figuration des Untergrandes und ebnet vielleicht das Riff an ganzen
Küstenstrecken völlig aas. Da meine Leser vielleicht an der
Exaktheit meiner, überdies nur über das vorderste Riff angestellten
Beobachtung zweifeln, wenn ich versichere, dass ich einmal ostlich
der Olawnitz ein Riff binnen 24 Standen am einen Schritt vor-
gerückt fand and dass innerhalb vier Tagen zwei Diluvialblocke
im Sande vor dem benachbarten kleinen Lehm berge zweimal völlig
bedeckt, zweimal wieder blos gespült waren, so gebe ich einen Über-
blick über die Umlagerang der Sandmassen, welche sich aas Pei-
lungen des Seegrandes etwa 400 m westlich der Lebamündung
ergiebt. Hier mass Herr Amtsvorsteher Oädtke am 16. März and
am 15. April 1883 in Abständen von 5 zu 5 m die Tiefen bis za
Entfernungen von 355 resp. 690 m von der Küste and erhielt
folgende, mir gütigst zar Verfügung gestellte Resultate.
AhrtAode in
Meiern:
16. März 0,15
15. April 0,23
10
0,35
0,38
0,45
0,43
0,60
0,44
0,70
0,44
30
0,80
0,50
0,80
0,60
40
0,65
0,65
0,45
0,87
50
0,60
1,06
0,70
1,17
60
0,80
1,35
1,00
1,54
70
1,05
1,19
1,25
1,00
16. März
15. April
80
1,25
0,89
0,95
1,04
90
0,95
1,25
0,95
1,40
100
1,15
1,57
1,48
1,70
110
1,65
1,85
1,97
2,05
120
2,15
2,37
,25
2,71
130
2,48
2,90
2,50
2,91
140
2,55
2,91
2,55
2,91
150
2,49
2,70
16. März
15. April
2,57
160
2,65
1,84
2,70
1,70
170
2,15
1,79
1,65
1,
180
1,75
2,10
1,97
2,84
190
2,30
,66
2,55
2,91
200
2,60
3,35
2,90
3,85
210
2,94
3,96
2,90
3,96
220
2,90
3,96
2,85
3,96
16. März
15. April
230
2,90
3,76
2,89
3^3
240
2,97
3,00
2,97
2,70
250
3,05
2,62
3,05
2,58
260
3,05
2,60
3,05
2,65
270
3,05
2,75
3,15
2,85
280
3,15
2,85
3,26
3,00
290
3,26
3,05
3,43
3,10
300
3,50
3,25
16. März
15. April
3,61
3,35
310
3,61
3,45
3,72
3,50
3,72
3,60
3,85
3,65
330
3,85
3,75
3,95
3,80
340
4,05
3,85
4,15
3,r
908,
350
4,15
,90
4,15
8,90
Die Ziffern bedürfen kaum einer Erläuterung; am 16. März
liegt das dritte Riff auf 165 m Entfernung und am 15. April, sicher
nicht aus denselben Sandmassen aufgebaut, auf 255 m. Die Tiefe
von 4,05 zeigt sich am 16. März bei 350 m Abstand erreicht, vier
Wochen später erst bei 395 m. Von hier ab bis zu 690 m Ent-
fernung zeigt sich am 15* April eine gleichmässige Senkung des
Meeresbodens bis za 6,50 m, ob dieselbe am 16. schon vom dritten
392 Paul Lehmann:
Riff aus auch über 355 m hinaus eine konstante war nnd nicht in
weiterer Entfernung ein viertes Riff in der Bildung begriffen, nrass
leider dahingestellt bleiben«
Denselben Eindruck eines unablässigen Wechsels erhält man,
wenn man die in der Nähe der Häfen von Jahr zu Jahr aufge-
nommenen Peilungspläne vergleicht, und zugleich ersieht man aus
ihnen, dass die Riffe stellenweise mit einander verwachsen und in
einander übergehen. Der Peilungsplan von Stolpm finde (Juni 1882)
zeigt innerhalb der 5 m Linie bis 4000 m von der Westmole ent-
fernt drei Becken von über 5 m Tiefen zwischen Stellen, die sich
ziemlich schnell von 5 auf 4 und 3 m erheben, und innerhalb der
3 m Linie analoge Erscheinungen. Die Generalstabskarte, Sek-
tion Treptow, führt auf der Strecke von Hoff bis Horst „die drei
Riffe oder Sandbänke" an; Berghaus (Landbuch IL 6, 8. 951)
sieht in ihnen das Resultat der Auswaschungen an dieser Küsten-
Strecke. — Wenn Heintze erzählt*), das dritte Riff sei ein Stein-
riff und die Schiffer 'hätten es meilenweit erforscht, so ist er über
die Gestalt des Riffes und den Forschungseifer der Fischer wahr-
scheinlich getäuscht worden. Auf den Blättern, welche die Re-
sultate der 1877 zur Ausführung gebrachten Küstenvermessungen
des Kapitäns Hoffmann zur Anschauung bringen, habe ich keinen
den Heintze'schen Notizen entsprechenden Zustand vermerkt ge-
funden. Steinlager kommen hier und da vor, werden aber bei den
Tiefen des dritten Riffs schwerlich als m eilen weite Parallelwälle
zum Ufer gefunden, sondern von den dem zurückweichenden
Strande nachrückenden Sandwellen allmählich begraben.
Allgemeine und grossere Veränderungen der Plastik des
Meeresbodens habe ich durch einen Vergleich der Hoffmann'schen
Aufnahmen mit den 40 Jahre älteren, im Preussischen 8eeatlu
niedergelegten nicht finden können. Ein völlig -exakter Vergleich
wird übrigens schon durch die Abrundung in Metern für die
neue und in Fuss und Faden für die ältere Aufnahme erschwert
Dennoch — sollte man meinen — müsste eine Erhöhung des
flach überspülten Strandes vor sich gegangen sein, da ja doch
die Küste in der entsprechenden Zeit noch immer Einbusse an
ihren Ufern erlitten hat! Wo ist der aus Lehm nnd Dünen
herausgewaschene Sand geblieben? Mass nicht die Sandmasse
der Strandriffe wenigstens grosser geworden sein? Es ist mög-
lich, dass sich einzelne Sandaufhäufungen am Meeresboden finden,
im allgemeinen zerwühlt und modelt die See den neu oceopierten
Untergrund stets nach alter Weise, so dass heute vielfach dort
ein Riff zu finden ist, wo vor 40 Jahren der Vorstrand war.
*) Baltische Studien XVIII, S. 108.
Das Küstengebiet Hinterpommerns. 593
Hat die Welle ihren Raub sortiert, so kommt ein Teil desselben,
die feineren Materialien, erst im tiefen, wenig bewegten Meere
schliesslich snr Ablagerung; mit dem Sande spielt der Kästenstrom,
and dieser mass bei der vorherrschenden westöstlichen Richtung
notwendigerweise ein unwiderbringlich verlorenes Quantum über
ßixhöft hinaus in die Tiefen der Danziger Bucht fuhren, während
ein sweites, nachdem es einmal auf dem Vorstrande ein Raub
des Windes geworden ist, zur Vergrosserung der Dunen ver-
braucht wird.
Dieser Prozess muss, als das Meer seine Angriffe gegen
seine Diluvialküste begann, weit erheblicher gewesen sein, beson-
ders an den am meisten exponiert liegenden Partieen. Das ganze
Material der Riffe, Nehrungen und Dünen, stammt ja bis auf ver-
schwindend kleine Teile aus zerstörtem Diluvium. Der Grund-
bau der Nehrungen bildete sich im Schutze der die Strömung
hemmenden Uferpartieen vor den von den Küstenseen und den
jetzigen Mooren eingenommenen Depressionen in der Weise, wie
die Sandbänke zwischen den vorspringenden Bahnenköpfen in
einem Strom*) und wuchs dann bei niedrigen Wasserständen all-
mählich unter dem Einfluss einer spärlichen Strandflora und des
zwischen ihren Halmen aufbauenden Windes. Wenn nicht alle
Nehrungen, wie die vor dem Jamund- und Bukowersee, flach ge-
schwungene Bogen zeigen, so kommt dies daher, weil sie zum Teil
noch heute ältere Partieen um seh Hessen, oder sich ursprünglich an
derartige Erhöhungen (gleichviel ob Inseln oder Bänke) anschlös-
sen. Die Steine auf vielen Stellen des Vorstrandes sprechen ja
zur Genüge für zerstörtes Diluvium. Dieser Umbildungs- und
Umlagerungsprozess muss nach Osten hin an Intensität
zunehmen, denn der vorherrschende Wind weht hier über
grossere Meeresflächen und die Brandungswelle ist stär-
ker. Betrachten wir das Küstengebiet, so ergiebt sich, dass nfcht
nur der Vorstrand des Meeres hier breiter wird, sondern dass
auch die Nehrungen kompakter sind und die Dimen-
sionen der Dünen wachsen. Mit den grossen und kleinen
Wollsäcken können nur ganz vereinzelte Dünengebiete weiter im
Westen allenfalls in Konkurrenz treten, die Sandkuppen im Westen
der Regamündung und die Oorshagener. Für beide Komplexe
erklärt sich die Masse des Sandes aus dem reichlichen
*) Die Oder oberhalb Breslaus bietet bei niedrigem Wasserstand eine
wahre Musterkarte für alle Stadien dieser Barren- und 8char-Bildung. Den
Einfluss der Schwankungen des Seespiegels, die Bildung der Schare habe
ich eingehender besprochen in meiner Arbeit: „Pommerns Küste von der
Dievenow bis cum Darss". Breslau 1878, anch gedruckt als Programm:
„Studien snr Ostsee". Breslau, Friedrichsgymnasium 1878.
894 Paul Lehmann:
Material, das die Zerstörungen der westlich von ihnen
gelegenen, hohen Diluvialufer bei Hoff-Horst and bei
Je r sh oft lieferten. Bei beiden zeigt sich noch heute — und
zwar erst ostlich der Liebelose resp. der Glawnitz — ein starkes
Wachstum des Vorstrandes und eine auffallende Sandanhägerung,
ganz ähnlich wie auf der kurischen Nehrung erst jenseits Sarkau
die hohen Dunen beginnen. Eine solche über Rixhöft hinaus-
gewachsene Nehrungs- und Dunenbildung ist auch Heia, dessen
Sandmassen zum guten Teil pommerschen Ursprungs sind. Die
schmale Halbinsel schob sich in eine weite und tiefe Bucht hin-
aus und erlitt bei dem allmählichen Zurückweichen von Rixhöft
auf dem Vorstrande*) so oft Einbusse, dass sich, ohne das Ein-
greifen der zum Schutze der Danziger Bucht angewandten Technik,
wahrscheinlich der südostliche Teil bereits als Sandinsel abge-
trennt hätte.
Absichtlich ist bis jetzt die Frage über eine eventuelle He-
bung oder Senkung**) der hinterpommerscben Küste vermieden
worden. Auf die Frage „senkt sich die Küste ?* oder anders
ausgedruckt »steigt der Seespiegel an der Küste?" kann ich nach
allen Wanderungen und Untersuchungen, selbst auf die Gefahr
hin, eiu Anathema über dieselben heraufzubeschwören, nur ant-
worten mit einem „ich weiss es nicht". Paschen hat für die Küste
Mecklenburgs aus Pegelbeobachtungen eine Hebung deduzieren
wollen***), Geinitz noch jüngst mit geologischen Beweisgründen
eine Senkung f). Quandt argumentiert, die hinterpommersche Küste
habe in fünf Jahrhunderten höchstens eine halbe Meile (wo?) ver-
loren und daran könne man keine Schlussfolgerungen knüpfen ff),
Ackermann tff) dagegen will eine Senkung konstatieren, da die
Verluste, welche z. B. die Stolper Bank beweise, zu gross seien,
als dass Brandung und Wellenschlag sie hätten bewirken konneu.
Da wir nicht wissen, ob und wie weit die Stolper Bank den
Seespiegel überragte und für Verluste von Brandung und Wellen-
schlag in unbestimmten Zeiten gar keinen Maasstab haben, so ist
mit einer derartigen Argumentation natürlich nichts gewonnen.
Der Geheimrat Hagen senior kam zu dem Schlüsse, ans den
*) Auf Hennebergs „Grosse Landtafel von Preussen" von 1576 (auf
photolithographischem Wege reproduzirt Königsberg 1863) werden an der
Wurzel der sicher unrichtig gezeichneten Nehrung noch höhere Dünen und
dazwischen Wald verzeichnet.
**) oder in der Form von Suess, „Verhandlungen der Wiener geolog.
Reichsanstalt 1880, S. 171": negative und positive Niveauschwanknng.
***) In den Beitragen zur Statistik Mecklenburgs III, S. 233 und VI, S. 1.
f) Z. d. deutsch, geolog. Gesellsch. Bd. XXXV, S. 301 f..
ftj Balt. Studien Bd. IV, S. 1.
ttt) Beitrage zur physischen Geogr. der Ostsee. Hamburg 1883, S. S8&
Das Küstengebiet Hinterpommerns. 395
Pegelbeobachtangen lasse sich bis jetzt weder ein Steigen noch
ein Fallen des Ostseespiegels beweisen nnd Seibt*) bat in einer
vortrefflichen Arbeit nachgewiesen, dass die vermeintlichen Ergeb-
nisse am Swinemünder Pegel auf Beobachtet ngsfehlern beruhen
and dass sich für die letzten 50 Jahre absolut keine Verände-
rung im Mittelwasser der Ostsee ergebe. Unter allen meinen
Beobachtungen ist keine, die mich notigte, das Resultat der Stu-
dien Seibts für Hinterpommern abzulehnen.
Alle die Baumstubben, die ich am Vorstrande gefunden habe,
beweisen nicht, dass die Küste sich augenblicklich noch senke
oder das Meer steige. Die Stubben stehen auf Torfgrund, über
den eine Dune hinwegging. Wie Bohrungen bei Stettin ergeben
haben, ist durch den alten Eisenbahndamm von Stettin nach Star-
gard eine Torfschicht von 4,3 auf 1,6 m komprimiert worden und
an der Brücken Strasse durch 6,1 m Sandaufschüttung eine andere
Torf läge von 5 m Mächtigkeit auf 2,3 m**). Nun denke man sich
eine 10 — 20 m hohe Dune gegen die bewachsenen Torfbrüche
hinter ihren Rücken vorschreitend und vergegenwärtige sich die
bei den Eulenbergen erwähnten Erdrutsche. Ein Baumschlag, der
auf einem 3 — 4m tiefen Torfgrunde, in einem das Meeresniveau
wenig überragenden Terrain wächst, kann, wenn Düne und Meer
vorrücken, nach Jahrzehnten nicht blos auf dem Vorstrande, son-
dern auch 1 — 2 m unter dem Meeresspiegel wieder zum Vorschein
kommen. Viele Stubben zeigen deutlich die Spuren der Axt;
sie und besonders die am Vorstrande gefundenen alten Torfstiche
würden sogar eine Senkung in den letzten Jahrhunderten beweisen.
Einen Beweis für eine bis in die Gegenwart reichende Senkung
kann es genau genommen nicht geben.
Dass die Deltaerscheinungen an der Pommerschen Küste
fehlen, beweist noch keine Senkung. Gewiss muss ein Zurück-
weichen des Meeres das Wachstum eines Deltas beschleunigen
und ein Steigen kann dasselbe unter Umständen ganz verdecken,
das Endresultat richtet sich aber nach der Grösse der einander
paralysierenden Wirkungen, und es wäre nicht ausgeschlossen,
dass ein mit reichlicher Zufuhr bedachtes Delta trotz einer Sen-
kung wüchse. In den Gardeschen See hat die Lupow ein Delta
gebaut and am Vorstrande finden sich die alten Torfstiche, da hätten
wir auf 4 — 5 km Entfernung Hebung und Senkung nebeneinander.
Die Lupow kann in dem ruhigen Gardeschen See ein Delta bauen,
den von den Eüstenflüssen mitgeführten Sand nimmt der Küsten-
*) „Das Mittelwasser der Ostsee bei Swinemünde" Public, des Königl.
Preuss. Geodät. Instituts 1881.
**) Ich verdanke die Angaben dem Obermaschinenmeister H. Trnhlsen.
396 Paul Lehmann:
Strom *), der nach Bansch bis in Im Geschwindigkeit in der Minute
erreichen kann, mit sich fort oder der Mensch baggert ihn fort and
fahrt ihn hinaas in das Meer. Nach einer gütigen Mitteilung des
Herrn Bütow in Stolpmunde sind dort im Sand-Ablagerungs-Bassin
jährlich mehr als 20 000 kbm Sand durch Baggerung gefordert wor-
den**). Wenn mir eine gegenwärtige Senkung der hinterpommer-.
sehen Rüste als unbeweisbar und wenig wahrscheinlich gilt, so
leugne ich darum noch nicht eine vielleicht bis in die letzten Jahr-
hunderte ausgedehnte Senkungsperiode. Sie wurde wenigstens eine
Reihe von Erscheinungen an unserer Küste ungezwungen erklären.
In äusserst klarer und lichtvoller Darstellung hat v. Richt-
hofen***) die sogenannten Hebungs- und Senkungsfragen beleuchtet
und als die notwendigen Folgen einer Kostensenkung Abrasion und
Transgression hingestellt. Beide Erscheinungen haben wir an der
Küste Hinterpommerns, also, — wird mancher scbliessen — sinkt
sie. Ich glaube, das wäre nicht ganz strenge geschlossen. Wir haben
Abrasion und Transgression noch heute längs des ganzen Küsten-
gebiets und zwar, wie wir sehen, im Osten stärker als im Westen
infolge der Wirkung von Brandung und Küstenstrom. Wenn wir
diese Erscheinungen — wenn auch im kleinen! — überhaupt als
möglich ohne eine Senkung erkennen, so dürfen wir sie nicht
scblecht-hin als Senkungsbeweis anführen ! Verstärkt wird die Be-
weiskraft, für eine Senkung nach meiner Ansicht, durch die Trans-
gression jener faustgrossen Rollsteine. Wie entstanden jene, zum
Teil noch hinter heutigen Dünen liegenden Bänder? Aus dem Dilu-
vium ausgewaschen sind sie an der jetzigen Stelle sicher nicht, denn
sie liegen ja über tiefem Alluvialsande und selbst über Torf. Durch
die Küstenströmung können sie nicht ausgebreitet sein, denn die fuhrt
nur Sand und allenfalls Sprenkeln. Eis transportiert mit seinen
mächtigen Schollen hin und wieder einmal selbst grossere Blocke,
aber das Eis musste doch dieses Steinmaterial schon in flachem
Wasser oder am Vorstrande gefunden haben f). — Die gleiche
Grösse der einzelnen Steine ist auffallend ! Schon diese deutet auf
eine in grosser Ausdehnung in gleicher Weise wirkende Kraft
Diese Kraft ist die der Brandungswelle, welche auf dem ersten Riff
und am Vorstrande bis an die Stelle, wo die Woge bricht, noch ge-
legentlich ein derartiges Material fortbewegt. Wo diese Dämme
*) Studien ans dem Gebiete der Ostsee. Berlin 1872.
**) 1880/81 = 21790, 1881/82 — 22275 und 1882/88 — 21060.
***) v. Richthofen, China Bd. II, S. 769 f.
f) Bulletin de la Socidte* imp. des nat. de Moscou 1852 III, 227 und
Prenss. Prov.-Bl. Bd. X, S. 211. An der Weidenbnrger Ecke im Kuriscben
Haff ward ein Stein von 4 m Länge und 2 m Breite 350— 400 m gegen dat
Ufer gerückt.
Das Küstengebiet Hinterpommerns. 397
liegen, da brachen sich einst die Wellen einer Sturmflut, wie das
s. B. für die Strecke im Westen Kolbergs 1872 und 74 deutlich
genug war. Da nun dieses Steinmaterial nicht aus grosser Tiefe
herangeführt sein kann — man denke an die bei 4 — 5 m auf-
hörende Riffbildung! — und schwerlich alles Material auf der Abra-
sionsflache vom Strande bis zu etwa 3 und 4 m zu finden war,
da es ferner nicht blos an solchen Stellen zu finden ist,. die wie
beim Kampsee viele Diluvialriffe im Meere zeigen, sondern auch
hinter breitem, sandigem Vorstrand (vor dem Vietzigersee) und selbst
über den eingesandeten Torflagern, so ist es viel wahrscheinlicher
anzunehmen, dass sie im Laufe der Zeit der wachsenden Abrasions-
fläche durch jeweilige Sturmfluten vorwärts bewegt wurden und so
selbst über Torf und Sand wegschritten. Lange hat man die Tiefe
der unteren Stromstrecken als Senkungsbeweis angeführt und Fenck
bat jungst noch auf die Erscheinungen hingewiesen, die der Unter-
lauf eines Flusses zeigen muss, bei dem das Meer im Steigen be-
griffen ist — oder die Küste sinkt. Der Strom wird sein früher
erodiertes Gebiet naturlich erhöhen, da ihm das Gefall und die
Kraft fehlt, den von oben mitgeführten Detritus wie früher weiter
hinauszuschaffen. Aber auch hier heisst es vorsichtig schliessen,
wie beim Delta und der Transgression ! Ohne die Annahme
früherer gewaltigerer Strome und ohne Senkungserscheinung läset
es sich erklären, dass ein Fluss in seiner alten Erosionsfurche
junge Sande und Moore aufweist. Die Erosionsfurche ist ein Pro-
dukt tausendjähriger Arbeit des serpentinierenden Flusses und sie
würde sich ohne die Stromregulierungen noch heute an vielen
unserer Flüsse erweitern. Vielleicht niemals, vielleicht einmal bei
gewaltigem Hochwasser nahm der Fluss die alte Erosionsfurche ein,
in der er neue Aufsandangen veranlassen und bei Verstopfungen
and plötzlichen Ausbrüchen auch tiefe Kolke aufreissen kann.
Niemals konnten indessen die hinterpommerschen
Küstenflüsse den Boden der Küstenseen erodieren.
Manche der- Untiefen in diesen machen entschieden den Eindruck,
als bildeten sie eine unterseeische Verlängerung der Strom-
rinne und diese konnte nur zu einer Zeit entstanden sein, wo
die Hauptfläche des Sees noch nicht vom Wasser bedeckt war.
Einen Beweis konnten allerdings hier erst weit detailliertere Mes-
sungen, als die meinigen und vor allen Dingen die nicht leicht
auszuführenden geologischen Untersuchungen über die unter den
Moderdecken liegenden Schichten erbringen. Dass die Rinnen
nicht ganz bis an die Nehrungen gehen, ist aber leicht erklärlich.
Wir fanden hier meistens ein plötzliches Abfallen des Vorstrandes
zum Moderboden und auf diesem eine ganz allmähliche Senkung
von 1,5 bis gegen 2,5 und 3 m.
398 Paul Lehmann:
Die Abdachung ist durch die am Rande beginnende Ver-
moderung und noch mehr durch die in der Nähe der Nehrung
grossere Znfnhr feinen Sandstaubes bedingt. Findet sich einmal
weiter im See mitten im Moder etwas gröberer Sand, so ist dieser
wahrscheinlich auf glattem Eise von der Dune weitergeweht und
beim Aufthauen zu Boden gesunken. Das Absinken des Vor*
Strandes- geschieht anter dem Böschungswinkel, der sich noch heute
an der Binnen Seite der Barren und an den in die Seen vorrucken-
den Haken bildet. Eine Verbreiterung des flachen Vorstrandes
kann (Vieteigersee , Gardescher nnd Zarnowitzer) noch zum Teil
nachträglich durch einen grosseren Anstau des Sees geschehen
sein *).
Untersuchungen über die Existenzbedingungen der Pflanzen,
welche heute bis zu 4 m Tiefe das Material der den Seespiegel
wenig überragenden Torfmoore bilden, konnten die aus der Trans-
gression, den Erscheinungen in Flössen und Seen hergeleiteten
Wahrscheinlichkeitsbeweise noch erhöhen. Ich habe danach ge-
trachtet, zu konstatieren, dass eingetorfte Bäume in einem unter
dem Meeresspiegel liegenden Boden wurzeln, bin aber —
hinter den Dünen! — zu keinen unzweifelhaften Resultaten
gelangt und habe bei allen Nachfragen über Stubben, die in den
Seen wurzelten, verneinende Antworten erhalten**).
Die Frage, ob die höchst wahrscheinliche frühere Niveao-
erscheinung durch eine Senkung des Landes oder durch ein
Ansteigen des Meeresspiegels erfolgt sei, soll hier nicht berührt
werden. Für die Erklärung Penck's würde besonders die von
allen Haffen abweichende Tiefe auf dem merkwürdig gleichmässigen
Untergrunde des tiefen Zarnowitzer Sees als schwer erklärliches
Problem zu beachten sein.
Schumann und Berendt haben bekanntlich noch ältere Schwan-
kungen konstatiert. Ist der Beweis aus dem Auftreten des Heide-
sandes unnmstosslich, so hat die po mm ersehe Küste dieselbe vor-
aufgehende Bewegung erlitten wie die preussische.- Berendt fand
an der Windcnburger Ecke die Schicht kaffeebraunen Sandes in
etwa 50' Hohe, ich habe sie ostlich Revahl, bei Jersboft nnd, nach
Ost einfallend, in den Korden in etwa gleicher Hohe beobachtet
*) Von den Jerehöfter Wiesen hörte ich, sie wurden in den letzten
Jahren häufiger überstaut. Hatte ich einmal vorübergehend an Senkungser-
Bcheinungen gedacht, so ward ich von der Ansicht bekehrt durch die Notiseo
zur Vermessung von Laeuens Karte. Nach diesen musste schon 1840 dem
Schulmeister ein Platz zum Heutrocknen bestimmt werden, wenn seine Wiesen
mit überschwemmt seien.
**) Ein alter Fischer in Damkeort sagte mir, im* Bukowersee läge eine
Eiche, die wohl hineingetrieben sei. Am See fand ich noch K&hne, alte
Einbäumer aus colossalen Eichen.
Das Küstengebiet Hinterpommerns. 399
Die Veränderungen, welche der Mensch im Laufe der letz-
ten Jahrhunderte in diesem Küstengebiete vorgenommen hat, ha-
ben den Charakter des Landschaftsbildes erheblicher verändert, als
die gleichseitigen Abspulnngen des Meeres. Strand, Dünengebiet
und Torfniedernngen bekunden überall den energischen Eingriff
der Menschenhand. Weit hinaus in die See ragen die steinernen
Hafenmolen von Kolbergermunde , Rugenwaldermunde und Stolp-
munde*), die trotz schwerer Opfer unverdrossen weiter gebaut
sind und noch im letzten Sturm den Angriffen der tosenden See
mit erfreulichem Erfolg Widerstand geleistet haben. Nur ein alter
Riss am Kopfe der Stolpmunder Mole hat sich wieder auseinander
gethan nnd am Rugenwaldermunder ist ein Stuck älterer Mole so-
wie ein Teil der längs des rechten Ufers gehenden Flügelmauer
infolge von Hinterspülung zerstört worden. Die Häfen können
naturgemäss trotz aller Anstrengungen den Anforderungen des
transoceanischen Dampferverkehrs nicht entsprechen; immerhin
sind sie besser, als Hinterpommern sie je besessen hat Dass
ihre Bedeutung für das Hinterland einst in den Hansatagen**) eine
verhältnismässig grossere gewesen ist, dass sie hinter Danzig
und vor allem hinter Stettin nicht in dem heutigen Maasse zurück-
traten, ist gewiss. Die übertriebenen Vorstellungen, welche man
sich gelegentlich vom alten Handel der Slavenzeit und des fol-
genden Mittelalters gemacht hat, weist schon Seil in seinem noch
immer lesenswerten Buche zurück***). Seit wir sichere Daten
über den Verkehr in den Häfen haben, können wir sogar eine
Zunahme desselben konstatieren. In zu willkürlicher und kühner
Weise geschieht das im Staatsanzeiger vom 19. Dezember 1868, wo
behauptet wird, Kolbergermünde's Verkehr habe sich in 51 Jahren
um 200 Prozent vermehrt, denn 1817 seien nur 161 Schiffe mit
5949 Lasten ein- und ausgegangen, im Jahre 1868 aber 904 mit
25 327 Lasten. Beide Jahre bieten Extreme. Immerhin zeigt
sich, wenn wir Reihen wie die von 1844 — 1862 und nach 1874
folgende vergleichen, ein kontinuierlich wachsender Verkehr. 1877
z. B. gingen 763 Schiffe ein und aus, 1878 808. Will man
etwa glauben, dass das alte Kolberg mit Salz, Holz, Getreide,
Obst und Honig jemals einen grosseren Schiffsverkehr ge-
habt hat?
*) Alle Angaben über Dimension nnd Tiefe der Hafen findet man im
Segelhandbuch für die Ostsee. II. Teil. 1. Heft. Berlin 1881.
**) Wo die wackeren Kolberger 2. B. den Cagerkrieg gegen England
fortsetzten and Riga Hälfe brachten gegen Bedrückung. Siehe Biemann,
Geschichte von Kolberg. 1878.
***) 8ell, Versuch einer Geschichte des Pommerschen Handels. Stettin
1796 nnd 1797.
400 Paul Lehmann:
Ich habe bei Dievenow und Regamünde in der Detailbeschrei-
bung die älteren Verhältnisse eingehender beleuchtet and muss
hier wegen Mangels an Raum darauf verzichten, die Geschichte
und Entwickeln ng der einzelnen Häfen näher zu beleuchten0).
Es wiederholt sich überall dasselbe Verhältnis. Immer neue
Anstrengungen sind nötig, um die Verbindung nach der See offen
zu halten ; an einzelnen Stellen erlahmte der Eifer, besonders als
die Konkurrenz der Landverbindung und das Obergewicht der
grosseren Häfen stärker ins Gewicht trat.
Längs des ganzen Vorstrandes markiert sich, besonders bei
Umschau von einem höheren Ufer oder Leuchtturm, die mit den
gelben Halmen von Ammophila arenaria bestandene Vordäne als
ein langer Wulst vor dem dahinter liegenden Terrain von Kopsen
oder höheren Dünen wällen. Koch 1789 schreibt Denso, er habe
gelesen, dass die Holländer ihre Dünen mit Sandhafer bepflanzten
und besäeten, und fragt, ob so etwas daheim nicht auch möglich
sein sollte. In Pommern beginnen die Anfänge des Dünenbanes
erst 1817. Anfänglich ward der Kösliner Regierungs- Bezirk
neben den weniger gefährdeten Küstengebieten Stralsunds und Stet-
tins zurückgesetzt, erst von 1845 ab ist ihm die grössere Summe
zugewiesen. Am Ende der sechziger Jahre waren immerhin am
Strande von 52 700 Ruthen noch 35 500 einer Verbesserung oder
neuen Anhägerung einer Vordüne dringend bedürftig**) und selbst
einzelne dem Staate gehörige Dünengebiete wild. Heute be-
gegnet man überall den teilweise recht erfreulichen Versuchen
zur Besserung. Wenn man die Zerstörungen einer Hochflut an
der Vordüne sieht und die mühevolle Arbeit der Dunenkultnr
kennt, so könnte man versucht sein, zu glauben, die Anlage sei
zwecklos, das ist sie aber sicher nicht. Was würden Stürme and
Fluten ohne den durch die Vordünen und den gleichmässig ab-
gedachten Vorstrand ausgeglichenen Küstenverlauf durch Einbrüche
und Abspülungen für Verheerungen angerichtet haben***).
Infolge der Vorgänge auf der frischen Nehrung im Anfange
des 18. Jahrhunderts hat sich die Meinung weit verbreitet, das
*) Seeverkehr in deutschen Hafenpl&tzen in „Statistik des deut-
schen Reiches" für 1873, Bd. XIII, 8. 80; 1874, XVIII, 8. II, 1;
1875 XXI, S. II, 2 u. s. w. Angaben bei Berghaus, Brfiggemann, Hoyer;
Staatsanzeiger 1869, Nr. 78.
**) Meitzen, der Boden des Preussischen Staates Bd. II, 8. 373 £
***) Über die Kultur der Dünen ist in erster Linie als vorzügliches
Buch eu empfehlen: Krauses Dünenbau; Berghaus hat im Landbuch III, 6
S. 11 05 f. einen Anhang publiziert: „Dünengebiet längs der Ostsee'* mit
spezieller Berücksichtigung der Technik des Dünenbaues und ist sp&ter im:
Ausland 1880, Nr. 35, S. 693 noch einmal darauf zurückgekommen. Man
vermisst besonders im Gegensatz zu Krause gar zu oft Klarheit und Pricisioo.
Das Küstengebiet Hinterpommerns. 401
Alter der Wanderdünen an den Ostseeküsten sei ein sehr junges
und datiere in Pommern seit den Waldverwüstongen des 3 Oj äh-
rigen Krieges. Wir wissen bereits, dass das Alter vieler Wander-
dünen weit über den 30jährigen Krieg zurückgreift. Aach glaube
man nicht, dass etwa erst Ton dieser Zeit her die Wald Ver-
wüstungen datieren. Manche Dünengründe Hinterpommerns dürften
zn den ruhigsten Gegenden Deutschlands in dieser Trauerperiode
unserer Geschichte gehört haben. In der Nähe der Hafenplätze
und grosserer Orte ist der Walddiebstahl und Raubbau wohl so
alt als der Verkehr. Im Jahre 1492 erliess „Hertoch Bugslaff
tho Stettin" eine „Holt- Ordninge", in der über den uralten Raub-
bau geklagt wird. „Da wile in Vortieden de Holtdewery sehr
in Schwange west dat ein jglicher haff wat he gewolt, so
scholl dat Unwesend fernerhin ganz und gar affgestellet syn, aff-
sun der liehen schulen unse Wald-Greven so an denen Watern, wo
schepet ward wohnen, flietige Achtinge hebben dat wen Missbruck
unde Avepfohringe sehnt. tt Wenn die Verordnungen von „Hertoch
Bngslaff* etwas nützten, so thaten sie es jedenfalls nicht lange;
Lubin erzählt vom Anfang des 17. Jahrhunderts „es sei des Aus-
rottens und Vertilgen s der Holtzer kein Ende" und Brüggemann
zählt aus den Jahren 1674 — 1777 allein sechs Holz-, Forst- und
Jagdordnungen auf.
Gewiss ist in manches Seetief und gegen den Unterlauf manches
. Flusses der Sand infolge von Entwaldungen in einer den Verkehr
störenden und hemmenden Weise vorgerückt, dennoch ist es ver-
kehrt, wenn man etwa von dieser Zeit an eine neue, schlechtere
Periode für die hinterpomm ersehen Häfen datieren will, vor denen
das die Ufer angreifende Meer — gleichviel ob sie bewaldet waren
oder nicht — von jeher das Bestreben der Barrenbildung gehabt
hat. „So lange der Strand noch mit Holz bewachsen war, sagt
Berghaus in Bezug auf das alte Tief des Jamundschen Sees, be-
hielt, weil dieses die Stürme aus Westen abhielt, das Tief ge-
nügendes Fahrwasser, da es nicht versanden konnte (?)• Als aber
die Dune nach und nach abgeholzt wurde, machte die Ostsee so-
wohl als der Jamensche See Einbrüche ins Land und versandete
das Tief*).14
Wo die Zufuhr des vom Vorstrande angewehten Sandes die
Vegetation überholte, mussten sich von jeher Wanderdünen bilden.
*) Die Verbindung ist durchaus unlogisch und bedarf nach dem oben
Gesagten keiner Widerlegung. Holzungen auf der Nehrung werden noch
1446 erwähnt. Heute hat die Nehrung nur niedrige Dünen und die eigent-
liche Wanderdune fehlt hier wie vor dem Buko wachen See. Indessen gingen
hier noch immer einige Triangulationszeichen verloren. Vergl. Landes-
triangulation. Polar-Koordinaten Bd. V, 8. 288.
Zeitaefcr. d. GeMltah. t Brdk. Bd. XIX. 26
402 Paul Lehmann:
Die alte schwarze Dane auf der Halbinsel Heia liegt in beträcht-
licher Entfernung vom Strande, war also einst Wanderdune, and
die wechselnden dunklen and hellen Streifen in manchen Profilen
beweisen einen Wechsel in diesen Prozessen, die schwerlich in
den zwischen Küste und unwegsamen Sümpfen gelegenen Strichen
immer der Mensch mit Entwaldung und Heerdenbetrieb herbeige-
führt hat. Beide Vorgänge können ein Dünengebiet ruinieren and
eine Festlegung desselben unmöglich machen, und beide haben un-
endlich viel geschadet, sind aber keineswegs immer unerlässliche
Vorbedingungen für das Auftreten von Wanderdünen.
Die grössten und segensreichsten Veränderungen hat der
menschliche Fleiss im Niederungsgebiet hinter den Dünen hervor-
gerufen. Es ist eine langdauernde Arbeit gewesen, durch die diese
Sümpfe und Bruch waldun gen, die Zufluchtsstätten wilder Tiere9),
in Kulturländereien verwandelt wurden. Noch seit 100 Jahren
sind Kanäle gegraben, Seen entwässert, Torfbrüche trocken gelegt
and Sümpfe in Wiesen verwandelt. Schon im 14. Jahrhundert
wurden in den unteren Reganiederungen Kulturen ausgeführt; am
Ende des 16. Jahrhunderts zog man Holländer ins Land (Balt.
Studien II, S. 68). Zu derselben Zeit scheint man mit der Torf-
nutzung bei zunehmenden Holzpreisen begonnen zu haben. In
Koslin wurde nach dem Stadtbuch 1594 der erste Torf gestochen;
Lubin war die Erscheinung so fremd, dass er berichtet: „die armen
Leute in den Städten und die Bauern behelfen sich zu gutem Teil
mit ausgegrabener und an der Sonne gedörrter Erde, so sie Torf
nennen. tf
Fassen wir alles, was die Natur dem Menschen auf diesem
Küstenstriche bietet, ins Auge, so müssen wir sagen, sie ist mit
ihren Gaben sehr kärglich und hat ihren Anwohnern die Existenz
in keiner Weise leicht gemacht. Mühsam entwickelte sich der
Handel an der gefährlichen Flachküste, an manchen Stellen ist
er erlahmt. Der Landbau ist nicht viel günstiger gestellt Auf
dem schweren Lehmboden der Küstenstriche beginnt die Bestellung
spät und wird dann bei einbrechender Trockenheit sehr schwer.
Bei der Ungunst der klimatischen Verhältnisse drängt sich die Ar-
beit auf sehr kurze Zeit zusammen. Die Niederungen leiden be-
sonders unter den nassen Sommern, oft muss das Heu aus den
Wiesen getragen werden; 1883 faulten die Kartoffeln.
*) Ein Wiesent wurde nach Lubin noch 1364 erlegt 1492 werden
noch Bär und Luchs und Wolf in der Jagdordnung erwähnt Vergl. hier*
über auch Schmidt, „Naturgeschichtiiches" in: Balt. Studien XXIV, 8. 65—154.
Als Kuriosität sei erwähnt, dass nach Balthasar Schiele „Dissertatio historieo-
oratoria de Pommerania Witebergae 1620" das Land in Rügen keine Wölfe
und Ratzen leidet
Das Küstengebiet Hinterpommerns. 408
Dio Fischerei ist in den Küstenseen oft recht lohnend, auf
dem Meere wird sie durch die vorherrschend auflandigen Winde
oft tagelang nnterbochen. Bei günstigem Wetter sieht man in
der Frühe die Fläche stellenweise von Fischerbooten belebt und
trifft am Vormittage die reihenweise zu vieren und fünfen hinter-
einander geordneten Fischer mit dem Heransschleppen der Netze
beschäftigt; an windigen Tagen kann man meilenweit am Gestade
wandern , ohne einem Menschen zu begegnen. Es kommt vor,
dass die Fischer 14 Tage nicht hinausfahren können, um ihre
Lacbsangeln hereinzuholen und dass sie schliesslich an den Angeln
nnr die vom Seehund übrig gelassenen Lachskopfe mitbringen*).
Deep am Jamundsee hatte noch im vorigen Jahre Trauer. Die
vom ausbrechenden Sturme überraschten Schiffer scheiterten dicht
an der Küste auf dem Riff und fanden ihren Tod in den Wellen.
Bei Funkenhagen — in 18 km Entfernung — wurden einige der
Leichen vom Küstenstrom gegen das Land getrieben.
Ip der Entwickelung begriffen sind längs des ganzen Strandes
kleine Badeorte, während noch zu Anfang unseres Jahrhunderts
Kolberg allein dastand. Ich fand — spärlicher nach Osten hin —
an 14 Orten Badegäste. Rügenwalde, Stolpmünde und Treptower
Deep haben schon grossere Etablissements. In manchen Orten
findet sich alljährlich nahezu dieselbe Gesellschaft zusammen, hier
and da fehlt noch ein Gasthaus. Die Fischer quartieren sich in
den Stall, in die Zimmer rücken mit ihren Möbeln die aus den
kleinen Städten und von den Gütern des Hinterlandes kommenden
Badegäste. Man sieht grosse Erntewagen wie zum Umzüge beladen.
Quer über den Leiterbäumen steht das Sopha, und hoch oben auf
demselben thront das Elternpaar, während zwischen den schmücken-
den Birkenreisern frische Kindergesichter hervorschauen. Das
Bad an der hinterpommerschen Küste ist überall gut, und der
Wellenschlag besonders im Osten so beständig und kräftig, dass
man die Bezeichnung der „wellenlosen Ostsee tf in diesen Partieen
als ungerechtfertigt ablehnen muss. Möge der frische West und
Nordwest, der unsere Fischer so oft schädigt, in den die Wellen
suchenden Badegästen ihnen eine mit den Jahren wachsende Ein-
nahmequelle zuführen.
Das beste, was man früher von der hinterpommerschen Küste
sagen konnte, war, dass sie für Deutschland die bestgeschützte
*) Der Seehund ist längs der ganzen hinterpommerschen Küste eine
Plage der Fischer. Für Dievenow wird in den „Ergebnissen der Beobach-
tungsstationen an den deutschen Küsten*4, Berlin 1878, S. 168, der Schade er-
wähnt. Man erhielt hier im März 71 Lachse und 26 Köpfe. — Einen Über-
blick über die Fi schere! Verhältnisse gewahrt die „ Ichthyologische Karte*4 von
Max v. d. Borne, 25 Blatt
26*
404 Paul Lehmann: Das Küstengebiet Hinterpommerns.
Grenze bilde, kein Kriegsschiff kann ihr nahen*). Hoffentlich
zieht aus den kleinen Küstenplätzen im Laufe der Zeit eine immer
wachsende Schar, die das Seeleben liebgewonnen, hinaus zu Deutsch-
lands wachsender Marine, die, in fröhlicher Entwickelang weiter
gedeihend, die Zeit herbeiführen wird, wo wir nicht mehr angst-
lich den alten Vorzug der Küste Hinterpommerns zu betonen
brauchen , sondern imstande sind , kühn den Stoss durch Gegen-
stoss zu parieren.
*) Der Zarnowitzer See bildet mit seiner schnell abfeilenden bedeuten-
den Tiefe ein Bassin, in dem eine ganze Flotte von Kriegsschiffen -Raum
fände. Für einen sieher en Eingang wäre aber ein Durchstich nebst einem
Molenbau bis zur 10 m Grenze nötig. Die 10 m Linie und die Tiefen des
Sees sind fast eine Meile voneinander entfernt.
/
\
Verlag von Dietrich Reimer in Berlin.
Die
Westafrikanische Küste
von Acora bis zum Ogowe
(Meerbusen von Guinea).
Mafsstab i : 3,000,000.
Mit Carton:
Umgegend des Camerun-Gebirges
in West- Afrika.
Mafsstab 1 : 1,000,000.
Redaction von R. Kiepert.
Preis 1 Mark.
Uebersiehtskarte von Afrika.
(Aus H. Kiepert's Handatlas No. 33.)
Nach den neuesten Forschungen und Reise-Ergebnissen berichtigt und ergänzt. 1884.
Malsstab 1 : 20,000,000. Preis 1 M. 20 Pf.
Uebersiehtskarte der Nilländer.
(Aus H. Kiepert's Handatlas No. 34).
Malsstab 1 : 5,000,000.
Mit Carton: Bas Nil-Delta, Malsstab 1 : 1,500,000.
Preis 1 M. 20 Pf.
Für die Redaktion Yerant wortlich : Professor Dr. W. Kon er in Berlin.
Druck tod W. Pormetter in Berlin.
MUS. COMI
No. 114.
ZEITSCHRIFT
DER
GESELLSCHAFT FÜR ERDKUNDE
ZU BERLIN.
I
i ALS FORTSETZUNG DER ZEITSCHRIFT FÜR ALLGEMEINE ERDKUNDE
I
I
! IM AUFTRAGE DER GESELLSCHAFT
I
HERAUSGEGEBEN
I
/ VON
Professor Dr. W. KONER,
' GEH. RKGIERUNGSRATH.
REDACTION DER KARTEN VON HEINRICH UND RICHARD KIEPERT.
NEUNZEHNTER BAND. SECHSTES HER.
BERLIN,
VERLAG VON DIETRICH REIMER.
t 1884.
it Gratisbeilage: Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkur
1884. No. 8. 9.10.
Inhalt.
XVIII. Die Landesaufnahme in Rassland 1883- Nach dem offici eilen
Bericht im „Bassischen Invaliden" von Hauptmann a. D.
Schellwitz 405
XIX. Seen-Tabelle. Von G. A. von Klöden 416
Litteratur.
Übersicht der vom November 1883 biß dahin 1884 auf dem Gebiete
der Geographie erschienenen Werke, Aufsätze, Karten und Pläne.
Von W. Koner 424
Der zwanzigste Band der Zeitschrift der Gesellschaft
für Erdkunde erseheint 1885 in zweimonatlichen Heften, mit Bei-
gabe von Karten und mit der Beilage: „Verhandlungen der Gesell-
schaft für Erdkunde, 10 Nrn." Der Preis des Bandes von 6 Heften
nebst Beilage ist 16 Mark. Die „Verhandinngen" sind auch
allein zum Preise von 6 Mark, einzelne Hummern der letzteren
je nach Umfang zu erhöhten Preisen zu beziehen.
Die Bande I— IV (1866—1869) sind zum Preise von 8 Mark,
der V— VIII. Band (1870—1873) zum Preise von 10 Mark und der
IX— XIX. Band (1874—1884) zum Preise von 13 Mark pro Band,
complet geheftet, ebenso die Verhandlungen der Gesellschaft ftr
Erdkunde, 1874—1884, complet geheftet, zum Preise von 4 Mark
pro Band zu haben.
Preis-Ermässigung.
Die Bände I— VI und neue Folge I— XIX der Zeitschrift für
allgemeine Erdkunde (1853—1865) sind
zusammengenommen zum Preise von 3 Mark pro Band und
einzeln zum Preise von 4 Mark pro Band
durch jede Buchhandlung zu beziehen.
Berlin, im März 1885.
S. W. Anhaltatrasse No. 12.
Die Verlagshandlung von
Dietrich Reimer
(Reimer & Hoefer.)
XVIII.
Die Landesaufnahme in Russland 1883.
(Nach dem offlciellen Bericht im „Russischen Invaliden" pro 1884,
Nr. 86, 87 und 92.)
Von Hauptmann a. D. Schellwitz.
Am 15. April v. J. fand in St. Petersburg die Allerhöchste
Besichtigung der daselbst ausgestellten astronomischen, geodätischen,
topographischen und kartographischen Arbeiten, welche im Jahre
1883 in Bussland ausgeführt worden sind, statt. Der Hauptsache
nach hatte sich die geodätische Thätigkeit der Beamten des Kriegs-
Topographen -Corps in diesem Zeiträume auf den Westen des
europäischen Russlands concentriert und auf die Territorien der be-
sonderen Militär- Bezirke Kaukasiens, Turkestans, von Omsk und
von Ost-Sibirien.
I. Eriegstopographische Abteilung des Haupt-
stabes.
1. Von den Feldarbeiten im europäischen Russland verdienen
vorzüglich Erwähnung die topographischen Aufnahmen: a) in
Finnland, im Gouvernement Abo- Björneburg, z wischen dem Bota-
nischen Meerbusen, Nyetad und dem Pjachja-Jarwi-See; b) in den
Gouvernements Warschau, Siedlez und Lomsha und im Kreise
Bielsk des Gouvernements Grodno ; c) in demjenigen Teile Bessa-
rabiens, welcher durch den Berliner Frieden an Russland zurück-
gegeben worden ist, zwischen dem Pruth und der alten Reichsgrenze
sowie der Donau im Süden.
Diese Aufnahmen, welche zur Vervollständigung der jetzigen
topographischen Karte von Russland im Maasstab 1 : 126000 not-
wendig waren, geschahen im Maasstabe 1 : 21000, vermittelst der
Klippregel. Die Original-Messtischblätter (Feld-Brouillons) wurden
Seitwfar. d. GtMUMh. f. Erik. Bd. XIX. 27
406 Schellwitz:
so ausgezeichnet, dass sie zur Vervielfältigung durch Heliographie
geeignet sind. Obgleich man beabsichtigt, den Maasstab der topo-
graphischen Karte von 1 : 126 000 auf 1 : 84000 zu vergrössern, so
würde doch die direkte Herstellung einer solchen Karte ans den
Original-Messtischblättern von 1:21000 ein undeutliches Resultat
ergeben, und deshalb sind neben den Original-Messtisch blättern bei
den Aufnahmen selbst noch Original- Handzeichnungen im Maass-
stabe von 1 : 68000 für die künftige topographische Karte im
Maasstabe von 1 : 84 000 angefertigt worden , welche dann mit
Hilfe der photographischen Anstalt der kriegstopographischen Ab-
teilung des Hauptstabes hergestellt wird.
2. Die geometrischen Nivellements des Jahres 1883 haben
folgende Resultate ergeben: a) Es ist die Gleichheit der Meeres-
hohen in der Ostsee und im Schwarzen Meere festgestellt
worden ; b) es ist eine Verbindung zwischen den Russischen Nivelle-
ments und denen O esterreich s durch das Nivellement zwischen den
Stationen Oraniza und Szczakow der Warschau- Wiener Bahn her-
gestellt worden und c) es ist bei der Station Radsiwilow der Stol-
bunowo- (Rowno-) Lemberger Bahn ein steinernes und seiner Höbe
nach bestimmtes Nivellements-Zeichen aufgestellt worden, an welches
in nächster Zeit die österreichischen Nivellements sich ebenfalls
anschliessen werden.
8. Die Triangulationen des Jahres 1888 haben sieh an
diejenigen des vorangegangenen Jahres angeschlossen, sodass gegen-
wärtig in den westlichen Theilen Polens, nordlich und südlich von
Warschau, 586 Höhenpunkte bestimmt und 704 Werst mit den Ni-
vellier-Theodoliten durchschritten worden sind. Für jedes Messtisch-
blatt der topographischen Aufnahmen im nächsten Jahre (1884) sind
hiernach je 4 bis 5 vollkommen zuverlässig nach Länge, Breite
und Hohe festgelegte Punkte gewonnen worden.
4. Der XXXIX. Teil der „Sapiski der kriegstopogrs-
phischen Abteilung des Hauptstabes* (50 Blätter fol.),
welcher bei Gelegenheit der Ausstellung Seiner Majestät dem Kaiser
vorgelegt wurde, enthält ausser den Berichten über die Aufnahmen
unter anderen die folgenden Aufsätze: „Ueber Zeitbestimmungen
im Meridian durch ein transportables Passage-Instrument* von
dem Hauptmann im Generalstab Gedeonow. — »Die astrono-
mischen Arbeiten, welche im Jahre 1882 im Altai ausgeführt worden
sind, zur Zeit der Abgrenzung China' 8 vom ostlichen Sibirien5
von dem Geodäten, Obersten Miroschnitschenko. — «Die astro-
nomischen Ortsbestimmungen in der nordöstlichen Mongolei in den
Jahren 1876 und 77" von dem Lieutenant des Topographen-Corps
Rafailow. — „Die Triangulation des Gouvernements Beasarabiefl"
von dem Obersten im Generalstab Lebedew. — »Die RekognoKi-
Die Landesaufnahme in Rusaland 1883. 407
rung des Weges von Kungrad nach dem Meerbusen Mertwyi-
Kultuk" von dem Obersten im Generalstab Alexandrow (cf. Band
XVIII dieser Zeitschrift S. 373). Diese Sapiski nähern sich sowohl
der äusseren Ausstattung, als dem Inhalt nach in den letzten Jahren
merklich den entsprechenden Master- Publikationen Europa' s und
Amerika's.
5. Ausser den Sapiski wurde Sr. Majestät eine Monographie
des Oberstlieutenant vom Generalstab Rylke: „Versuch einer
Aufzählung der Heizmaterialien im europäischen Russ-
land incl. Kaukasien" vorgelegt Der Oberstlieutenant Rylke
war nämlich von der Haupt- Ingenieur- Verwaltung in eine Kom-
mission berufen worden, welche eine neue Verordnung für die
Versorgung der Truppen mit Heizmaterial ausarbeiten sollte und
es war ihm dabei besonders die Aufgabe gestellt, das betreffende
Material mit den klimatischen Verhältnissen möglichst in Über-
einstimmung zu bringen. Zu diesem Zweck hält Rylke die Ein-
teilung Russlands in 9 Zonen an Stelle der bisherigen 3 für
notwendig. Die Monographie ist in Nr. 2 des Russischen In-
genieur-Journals pro 1884 abgedruckt.
6. Die kartographische Anstalt der kriegstopographischen
Abteilung des Hauptstabes hatte wie üblich in erster Linie den
„Atlas der Reisen Sr. Majestät des Kaisers im Jahre 1883" aus-«
gestellt. Nächstdem sind hervorzuheben:
Von den Kupferstich- Arbeiten :
a) Die topographische Karte im Maasstabe 1 : 126000
(die 3 Werst haltige topographische Karte, d. i. 3 Werst auf
1 engl. Zoll). Während diese Karte in den früheren Jahren' die
erste Stelle unter den kartographischen Arbeiten einnahm, beschäftigt
sie gegenwärtig die Kupferstecher nur noch soweit es die laufen-
den Korrekturen erfordern, und wenn auch unter den ausgestellten
Blättern sich einzelne befunden haben mit neu angefangenen Gra-
vierungen von Teilen des Auslandes, längs der Russischen Grenze,
so ist doch diese neue Arbeit schon wieder eingestellt worden und
es sind daher zur eigentlichen Vermehrung der Karte nur noch
einige Blätter im Gouvernement Nowgorod zu zählen, nach deren
Beendigung eine weitere Ausdehnung derselben nicht beabsich-
tigt ist.
Diese Einschränkung der Arbeiten für die topographische Karte
1 : 126 000 rechtfertigt sich zum Teil durch das Auftreten neuer
Publikationen topographischen Charakters in grosserem Maass-
stabe, welche die alte Karte, soweit die Neu -Aufnahmen in den
westlichen Grenzgebieten ausgedehnt werden, ersetzen sollen. Zu
diesen Publikationen gehören die Probeblätter einer im Maasstab
1 : 84 OOO hergestellten Karte, welche das kleine Relief der west-
27*
408 Schellwite:
liehen Gegenden besser wiedergeben, als die alte Karte; sie sollen
in zwei Farben gedruckt werden, damit die Terrainzeiehnung sich
von den schwarzen Kontaren der Örtlichkeiten besser unterscheidet.
Die Frage, welcher Manier der Terrainzeichnung — durch Berg-
striche oder durch Horizontalen — der Vorzug zu geben sei,
war lange Zeite eine offene. Die ausgestellten Musterblätter, welche
dasselbe Relief einmal auf die eine und das andere Mal auf die
andere Weise dargestellt zeigten, gaben einen anschaulichen Begriff
von den Vorzügen resp. Nachteilen beider Darstellungsarten und
sie haben dem militär- wissenschaftlichen Komite zur Begründung
seiner jungst gefällten Entscheidung zu Gunsten der Horizontalen
gedient. Ein zweiter Versuch im Maasstabe 1:42000 stellte
sich als nichts anderes dar als eine verkleinerte Reproduktion der
eigentlichen Original - Messtischblätter im Maasstabe 1:21000,
welche bei der Aufnahme der westlichen Grenzgebiete ohne Far-
ben ausgezeichnet worden waren, um sie für die Heliographie
geeigneter zu machen.
b) Die topographische Karte im Maasstabe 1 : 420000
(die 10 Werst haltige topographische Karte), redigiert von dem
General-Major Strielbizki. Die Arbeiten für diese Karte, sowohl
die Zeichnungs- als die Gravier- Arbeiten, welche an Ausdehnung die
»aller anderen Veröffentlichungen der kriegstopographischen Ab-
teilung bei Weitem übertreffen, bezogen sich ebenfalls vorzüglich
auf die westlichen Grenzgebiete, wo im vergangenen Jahre 6 neue,
die ostliche Hälfte der Balkan-Halbinsel umfassende Blätter hinzu-
gekommen sind. Die ferneren Arbeiten concentrierten sich zum
Teil auf die kaukasischen Blätter, zum Teil waren sie auf zahl-
reiche Blätter im Innern des Reiches verteilt, um dieselben nach
den neuesten Nachrichten zu verbessern. Sehr wesentlich sind
ferner die von der Redaktion der Karte vorbereiteten Zeichnung»-
arbeiten, welche das Material für eine künftige, radikale Umar-
beitung aller nordlichen und eines Teils der ostlichen Blätter
sammeln. Als Grundlage hierzu dienen die vermittelst der Photo-
graphie gewöhnlich in den Maasstab 1:210000 verkleinerten
Aufnahmen des Ministeriums der Reichsdomänen in den Gouverne-
ments Archangelsk, Olonez, Perm und anderen ostlichen Gouver-
nements.
c) Die Kriegs- Wege-Karten des europäischen Rosslands
im Maasstabe 1:1050000 und des asiatischen Russlands im
Maasstabe 1: 1680000; sie erfordern alljährlich Verbesserangen
und die erstere fährt übrigens fort, sich durch einige neue Blätter
im Westen und Süden zu ergänzen.
d) Die Karte des Orenburg'schen Landes im Maasstabe
1:2100000 und die Karte von Inner-Asien im Maasstabe
Die Landesaufnahme in Russland 1883. 409
1:4200000 waren gleichfalls mit Berichtigungen beschäftigt and
eine neue Karte von Persien im Maasstabe 1 : 840000 ist in
Arbeit.
Von den lithographischen Arbeiten:
e) Die chromolithographierte Special karte des europäi-
schen Rnsslands im Maasstabe 1:420000, von welcher im
Jahre 1883 einige kaukasische Blätter neu erschienen und einige
vergriffene Blätter neu gedruckt worden sind.
f) Die strategische Karte von Mittel- Europa im Maass-
stabe 1 : 1 168 000; sie hat £u den vier früher erschienenen Blättern
drei neue erhalten.
g) Die Karte der Quartier-Verteilung der Truppen
im europäischen Russland in 4 Blättern im Masstabe 1 : 2 520000,
welche schon vor einigen Jahren in den Kupferplatten vorgelegt
worden war, ist nunmehr in zweifarbigem Buntdruck erschienen.
h) Der Plan von Moskau in 4 Blättern, welcher bis zum
Jahre 1883 direkt von den Kupferplatten in 4 Farben gedruckt
worden war (Chromometallographie) ist zur Zeit der Krönung,
nach grundlicher Berichtigung, von einer Übertragung auf Stein
zur Ausgabe gelangt und man kann nicht umhin, anzuerkennen,
dass der Plan dadurch an Schönheit gewonnen hat.
i) Die Karte des asiatischen Busslands und der
angrenzenden Länder in 8 Blättern im Maasstabe 1 : 4200000,
redigiert von Oberst Bolschew, gehört zu den bedeutendsten chromo-
lithographierten Arbeiten. Sie ist ein erster Versuch, die ganzen
russischen Besitzungen im Zusammenhang, in einem etwas grosseren
Maasstabe darzustellen und die Masse des zu verarbeitenden Mate-
rials wurde durch Hineinziehung des grossten Teils von China,
Tibet, Pendshab, Beludshistan und Persien noch bedeutend ver-
grossert. Die erste Gravierung dieser Karte ist auf Kupfer aus-
geführt worden. Bei der Umwandlung in eine chromolithographierte
Karte wurden zu den auf den Stein übertragenen Konturen die
Berge hinzugefugt, welche von dem Stabs- Kapitän des Topogra-
phen-Corps Andronikow auf englisches Umdruck-Papier (von Wur-
zeln) getuscht waren. Die Meere und Seen sind blau.
k) Die Karte des Sud-Ussuri-Gebiets, 1 Blatt im
Maasstabe 1:620000, kann als eine Zusammenstellung sämt-
licher aber dieses Land gegenwärtig vorhandenen Nachrichten resp.
Messungen btrachtet werden.
1) Die Karte der Mongolei, 1 Blatt im Maasstabe
1 : 3 360000, von dem Oberstlieutenant des Generalstabes Piewzow
ist im Auftrage der ostsibirischen Abteilung der Kaiserlich
russischen geographischen Gesellschaft als Beilage zu dessen
Bericht ausgeführt worden, welchen er über seine Reise von der
410 Schellwitz:
ostsibirischen Grenze nach Kuku-Chota und Kaigan (g) nnd von
da zurück über Arga in den Jahren 1878 und 1879 unternommen
hatte.
m) Eine Kollektion kleinerer Karten aus dem Trans-
kaspischen Gebiet, unter welchen sich die Beilagen zu den
Karlin' sehen Reisen auf dem Kaspi-See in den Jahren 1832 und
1836 befinden. Sie sind besonders wegen der augenblicklich im
Vordergrund stehenden Frage über die Wege nach Chiwa vom
Mertwyi-Kultuk über den Ust-Urt interessant und sie geben auch,
im Vergleich mit den neueren Karten, eine gute Übersicht über
die Veränderungen der Tiefen und der Küsten des Kaspischen
Meeres in den letzten 50 Jahren.
n) Die Karte von Bulgarien im Maasstab 1:210000,
welche bei der historischen Kommission zusammengestellt wird.
Von derselben sind nunmehr chromolithographiert 55 Blatt fertig,
welche den ganzen Rayon der russischen Aufnahmen in den Jahren
von 1877 — 79 umfassen. Als Grundlage hierzu haben die durch
Heliographie verkleinerten, weissgem achten Original -Aufnahmen
gedient.
o) Die Abdrücke der finnischen Original-Aufnahmen
im Maasstabe von 1 : 42 000, welche in eine farbige Ausgabe gleich-
falls durch vorhergegangene Heliographie -Arbeiten umgewandelt
worden sind.
p) Verschiedene Beilagen zu Berichten, Zeichnungen nnd
Skizzen von Montierungs- und Ausrüstungsstücken der Troppen,
Projekte von Kasernen u. s. w.
7. Die photographische Anstalt (Pavillon) der kriegs-
topographischen Abteilung des Hauptstabes lieferte im Jahre 1883:
a) Verschiedene Photographien: Umgebungskarten im
Maasstabe 1:42 000 (von Bobruisk , von Bielostok , von Soroki,
von Bielzy u. a.). — Einige neue Blätter von der Karte des
Grenzstreifens von Tschernogora im Maasstabe 1:50000
für das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten. — Eine
Karte von einem Teil des Gouvernements Perm im Maasa-
stabe 1 : 126000 für das Ministerium der Reich 8- Domänen und *-
einige Seiten aus einem alten Psalmbuch vom Jahre 1397.
b) Von Heliographie-Arbeiten : Abdrucke der Aufnahmen von
Finnland (s. oben). — Abdrücke von den Aufnahmen der Umge-
bung von Warschau im Maasstab 1 : 16800. ■ — Kopien der
Original-Messtischblätter aus den westlichen Grem-
gebieten im Maasstab 1 : 42000. — Kopien der Musterblatter
der neuen topographischen Karte im Maasstabe 1:84000.
— Blätter von der Karte Bulgariens im Maasstabe 1 : 126<l0*1
Die Landesaufnahme in Bussland 1883. 411
und 1:210000. — Plane von Galatz und Nikopoli. — Kon-
turenblätter der Karte der nordöstlichen Mongolei. — Karten für
die feld-kriegstopographischen Depots und vieles Andere.
IL Die Kaukasische Abteilung.
1. Durch die telegraphische Bestimmung der Langenunter-
schiede zwischen Tiflis und Schemacha, sowie zwischen Tiflis und
Baku sind im Jahre 1883 wiederum bedeutende Teile Transkau-
kasiens in den Verband der trigonometrischen Ortsbestimmungen
im europäischen Russland gebracht worden, nachdem im vorher-
gegangenen Jahre Tiflis an Rostow am Don angeschlossen worden
war. Die Breiten von Tiflis, Schemacha und Baku sind durch
Messungen bestimmt worden. Ferner wurde die Intensität der
Erdschwere in Transkaukasien durch Beobachtungen von Reversions-
Pendelu in Schemacha und Baku ermittelt und endlich wurden in
Schemacha die magnetische Deklination und Inklination, sowie die
horizontale Intensität des Erdmagnetismus festgestellt. — Von den
Punkten erster Klasse aus ist das trigonometrische Netz in den
Bezirken Gunib, Awarskoi und Andi der Provinz Daghestan und
in den Bezirken Chastaw-Jurt, Weden und Argunskoi des Ter'schen
Gebietes gelegt worden. In Transkaspien diente die bei Bami
(oder Bama) gemessene Basis als Grundlage für die Triangulationen
des Jahres 1883, welche sich bis zur persischen Grenze hin aus-
dehnten.
2. Topographische Aufnahmen fanden statt:
a) Im mittleren Teil des Hauptkammes des Kaukasus im
Maasstabe von 1 : 42000. b) In der Provinz Daghestan in dem-
selben Maasstabe. In diesen hoher als die Alpen liegenden Re-
gionen, wo im Juni und Juli beständige Nebel oder andauernde
Regen herrschen, wo im August Schnee fällt, der in den ganz
hoch gelegenen Teilen bis zum Winter liegen bleibt und wo die
Winde nicht selten zu Orkanen werden — sind wahrlich die aller-
angeapanntesten Kräfte notig, um die Arbeit zu fördern. Die
Umgegend von Temir-Chan-Schura ist im Maasstabe 1:21000
aufgenommen worden, c) Im Ter'schen Gebiet haben die Auf-
nahmen am Ssunsha, sudlich von Grosnaja, ebenfalls im Maasstabe
1:21 000 stattgefunden. Die Gegend ist hier zwar eben, mit Aus-
nahme der nicht sehr bedeutenden Erhebungen bei Bielik (398 m)
und bei Dsheli (434 m), aber durch Gestrüpp in den Aushauen
der Wälder, durch dichtes Haselgesträuch und durch Felder, welche mit
Kukurus bestanden oder von grossen Abzugsgräben und Wasser-
rissen durchschnitten sind, wurde der Fortgang der Arbeit sehr verzögert,
d) Im Kreise Kuba des Gouvernements Baku wurden ungefähr
210 □ Werst im Maasstabe von 1 : 16800 nach ortlichem Bedürf-
412 . Schellwitz:
nis aufgenommen, e) In Transkaspien wurden die Aufnahmen im
Maasstabe von 1 : 84 000 in der Umgegend von As-chabad, auf dem
Baume zwischen Kisyl-Arwat, Bami und dem Oberlauf des Shumbar
fortgesetzt, ebenso längs der Eisenbahn Aidin bis Kisyl-Arwat
8. Unter den kartographischen Arbeiten der kaukasichen
Abteilung haben die im Jahre 1883 herausgekommenen Blätter
der „ Karte des Kaukasus und der angrenzenden Teile der Türkei
und Persiens im Maasstabe 1 : 210000tt besonders die Aufmerk-
samkeit auf sich gezogen und ebenso die in demselben Maasstab
gezeichneten Bläter von dem Bezirk Achal Teke, von Atteka und
den angrenzenden Teilen Persiens.
III. Abteilung für Turkestan.
1. Astronomische Ortsbestimmungen fanden statt in
Chodshent (die Länge wurde telegraphisch zwischen dort und Tasch-
kent ermittelt) ; ferner wurden die geographischen Koordinaten der
Station Uralsk (zwischen Taschkent und Chodshent) und von zwölf
Punkten auf dem Pamir festgestellt (cf. unten).
2. Von topographischen Aufnahmen wurden folgende
ausgeführt: a) Die Aufnahme des kultivierten Teils der Provinz
Fergana wurde fortgesetzt in den Kreisen Margelan, Andidshan,
Namangan und Tschust. Besonders schwer war die Arbeit im
Kreise Andidshan wegen einer Überschwemmung des Ssyr-Darja,
welche die Wege und Brücken zerstört hatte, b) Gestutzt auf
die trigonometrischen Punkte, welche 1876 und 77 bestimmt wor-
den waren, wurde eine Rekognoscierung des gebirgigen Teils von
Fergana in den Flussgebieten des Ssoch, des Isfara und des Lja-
lak im Maasstabe 1 : 84000 zu Papier gebracht, im Ganzen ein
Gebiet von 7000 □ Werst, wobei sämtliche Wege durch Instru-
mente vermessen, die felsigen Abhänge des turkestanschen
Bergrückens dagegen, welche durch Gebirgsbäche und tiefe
Schluchten zerrissen sind, nach dem Augenmaass auf dem Plane
eingetragen wurden. Die Rekognoscenten haben alle Hinderniase,
welche die Natur darbot, siegreich überwunden und reiches Material
für die Geographie dieses Landes gesammelt, indem sie den oro~
graphischen und hydrographischen Bildungen bis ins Detail nach-
forschten und z. B. 23 bisher noch unbekannte Gletscher in ihrem
Plane verzeichneten, in welchen die Bäche und Flusschen, die den
Ssoch bilden, ihren Ursprung haben. Dieser Fluss bewässert \
des Chanate von Kokan. Unter den Gletschern ist besonders
bemerkenswert der von Schema chow, welcher 12 Werst und der
von Ak-Terek, welcher 89 Werst lang ist und dessen südlicher
Teil den schon bekannten Gletscher von Sarawschan bildet, c)
In der Provinz Ssyr-Darja wurde die Verbesserung der Auf-
Die Landesaufnahme in Russland 1883. 413
nahmen des Kreises Kuramin und der Stadt Taschkent fortgesetzt;
ferner wurden Nivellierungen auf dem Flusse Boss-ssa, von Njas-
bek bis Taschkent, sowie Nivellierungen und Vermessungen zur
Bewässerung der Steppen zwischen dejn Ssyr-Darja und dem Amu-
darja und zur Anlegung einer Wasserleitung nach Petro - Alexan-
drowsk ausgeführt und endlich wurde eine Rekognoscierung der
Wege zwischen Tschinas und Dshisak vorgenommen, um für
Trappenbewegungen einen bequemeren Weg, als die jetzige Post-
strasse ihn darbietet, ausfindig zu machen.
3. Besondere Expeditionen zu militär- geographischen
Zwecken wurden nach dem Pamir und nach Buchara unternommen.
a) Die Expedition nach dem Pamir, welche die dürftigen
wissenschaftlichen Kenntnisse über dieses geographisch und mili-
tärisch so wichtige „Dach der Welt" bereichern sollte, wurde von
dem Hauptmann im Generalstab Putjata geführt. Diesem war die
Ausführung der astronomischen Beobachtungen übertragen und
mit ihm gingen ausserdem der Topograph Bendersky, der Berg-
Ingenieur und Geologe Iwanow, 12 Kosaken und einige Leute
aus der dortigen Gegend als Diener. Die mangelnde Kunde über
das Land und die Schwierigkeit der Kommunikationen hatte die
Expedition der Möglichkeit beraubt, den Plan für ihre Thätigkeit
im Voraus festzustellen. Es wurde jedoch für die Richtung des
Marsches der Gesichtspunkt festgehalten, dass die astronomischen
Arbeiten womöglich an einige Punkte angeknüpft werden mochten,
welche in früheren Jahren von englischen Reisenden bestimmt
worden waren, wie z. B. Tasch- Kurgan und Jul-Masar. Am
8. Juli 1883 verliess die Expedition Osch in Fergana und am
19. November war der Hauptmann Putjata wieder in Samarkand. Die
hauptsachlichsten Resultate der Expedition sind folgende: Es wurden
12 Punkte astronomisch und gegen 400 Höhenpunkte barometrisch
bestimmt, — es wurden 47 000 □ Werst auf dem Pamir und gegen
3000 D Werst von den Besitzungen Buchara's rekognosciert, wodurch
der Zwischenraum zwischen den früheren russischen und den
englischen Forschungsreisen ausgefüllt worden ist — es sind geo-
logische Forschungen gemacht und ein Herbarium der Flora des
Pamir ist gesammelt worden — und es sind endlich Marschrouten-
Beschreibungen und eine geographische Skizze des Pamir, sowie
eine statistische Skizze von dem ostlichen Teil des Ghanats Buchara
verfasst worden.
b) Die Expedition in das Gebiet von Buchara wurde von
dem Hauptmann im Generalstab Archipow ausgeführt. Derselbe
ging aus von Samarkand, zog über Tschiraktschi nach Karschi,
besichtigte die reiche dortige Oase und erkundete zwei Wege nach
Kelif (Kilif) am Amu-Darja, einen Steppenweg und einen Gebirgs-
414 Schellwit«:
weg. Von hier ging er am Amu-Darja Dach Tschardshui und über
Kara-Kul nach Buchara. Nachdem er ferner den am rechten Ufer
des Sarawschan liegenden Teil von Buchara rekognosciert hatte,
wendete er sich über Gysch-Duwan und Eermine nach Katty-Kurgan.
Die Expedition dauerte zwei Monate ; es wurden 300 □ Werst durch-
forscht und ausserdem verschiedene Kundschaften über die Wege nach
Merw eingezogen.
4. Von den kartographischen Arbeiten der Abteilung
für Turkestan sind die folgenden anzuführen: a) die Fortsetzung
der Zeichnung und des Drucks der Karte von Turkestan im Maass-
stab 1:420000. b) Eine für Manöver bestimmte Karte der Um-
gegend von Taschkent im Maasstab 1:42 000 ist in der Zeichnung
beendet worden, c) Ebenso 9 Blätter der Karte des Gebietes
von Fergana im Maasstab 1 : 84000 und d) eine Karte der Wege
aus dem Innern Russlands nach dem Bezirk Turkestan wird redi-
giert und ist in der Zeichnung begriffen.
5. Das astronomische und meteorologische Observatorium in
Taschkent hat im Jahre 1883 a) die Beobachtungen der kleinen
Planeten durch den Refraktor fortgesetzt und ihre Kulminations-
hohen vermittelst des Meridiankreises festgestellt, b) Es hat die
Verdeckungen der Sterne durch den Mond unausgesetzt beobachtet
und Zeitbestimmungen gemacht, c) Es hat die astronomischen
Arbeiten der früheren Jahre zusammengestellt, wobei es schon bis zu
denen der Pamir-Expedition gelangt ist. d) Es sind regelmassige
absolute magnetische Bestimmungen gemacht worden (dreimal
monatlich) und Beobachtungen zur Ausführung der meteorologischen
Arbeiten sowohl auf dem Observatorium, als auf den meteoro-
logischen Stationen und e) die Artikel für den ersten Band der
„Sapiski des Observatoriums a , welcher im Jahre 1884 heraus-
gegeben werden soll, sind vorbereitet. Von diesen ist ein Artikel
von Herrn Schwarz über den Erdmagnetismus in Turkestan schon
vollständig druckfertig.
IV. Abteilung Omsk.
1. Zum Zweck der Vorbereitung von Fundamentalpunkten
für die Aufnahmen im Jahre 1884 wurde eine Chronometer-
Expedition in den Rayon zwischen Omsk, Petropawlowsk, der
Station Koktschetaw und dem Punkte Tjuretschilik unternommen.
Auf diesem etwa 60 000 D Werst umfassenden Gebiet wurde die
geographische Lage von 11 Punkten bestimmt und bei einigen
dieser Punkte wurden auch die Azimuthe der Richtungen nach ge-
wissen im Terrain sich darbietenden Gegenstanden gemessen.
2. Die schwache Ausbreitung der Kultur in der Kirgisischen
Steppe, welche in der Seltenheit landwirtschaftlicher Ansiedelangen
Die Landesaufnahme in Russland 1883. 415
ihren Ausdruck findet, war die Veranlassung, dass die Aufnahmen
daselbst nicht im Maasstab 1:84000, sondern im Maasstab
1 : 210000 erfolgten. Im Ganzen sind 40460 D Werst auf dem
linken Ufer des Irtysch, zwischen Omsk und dem Dorf Bobrowski
vermessen worden; das Relief ist durch Horizontalen ausgedruckt,
welche nach 1600 Höhenpunkten gelegt sind. Ferner wurde ein
Plan der Stadt Omsk im Maasstab 1 : 21000 aufgenommen.
3. Ausserdem fanden noch die folgenden Marschr outen -
Aufnahmen statt: a) 19 000 D Werst in der Gegend zwischen
dem Austritt des Eaba aus den Bergen, der Vereinigung des Eara
mit dem Ku-Irzissow und dem OrtTumande im Maasstab 1 : 210000.
Diese Aufnahme wurde dem bevollmächtigten Kommissar, welcher
die endgültige Abgrenzung der russischen Besitzungen von China
ausgeführt hatte, zur Verfügung gestellt, b) Von dem 560 Werst
langen Wege aus der Station Ssemyarsk bis zu dem Hafen Ber-
tys(kaja) am Balchasch-See im Maasstabe 1:84000, behufs Er-
kundung eines kürzeren Weges zwischen den Städten Omsk und
Wiernoje. c) Eine Aufnahme der Stadt Ssemipalatinsk mit Um-
gebung im Maasstabe 1 : 42 000, des Detachements Katon-karagai
und 'der Staniza-altaiskaja im Maasstabe 1:1210000 (21000?);
ferner der Routen von dem Grenzpiket Tschin dagatua bis zum
Grenzpfahl Ulan-Dawan, von Katon-karagai bis zum Marka-kul-
See, von diesem bis zu dem Ort Tschingistai über den Berg Bur-
chat, sowie endlich eine instrumentelle Aufnahme der Ufer des
Marka-kul-Sees bei der Mündung des Tschumjok(a).
4. Von den Zeichnenarbeiten der Abteilung Omsk waren
Blätter von der Karte des Gebiets von Ssemirietscbensk im Maasstabe
1 : 420000 und Blätter von der Karte des Militärbezirks von
Omsk im Maasstabe 1:1680000 ausgestellt.
V. Die ostsibirische Abteilung.
1. Astronomische Arbeiten fanden statt in den Kreisen
Werchne-Udinsk und Bargusinsk im südwestlichen Teile der
Provinz Transbaikalien. Dieser Rayon ist nur in seinem süd-
westlichen Teile von nomadisierenden fremden Horden ein wenig
bewohnt (Inorodzen); im Übrigen ist er ein dichtes, teils sumpfiges,
teils gebirgiges Waldgebiet (Taiga), von Bergbächen und kleinen
Flüssen durchschnitten, wohin nur die Jagd oder die Gier nach
Gold herumstreifende Tungusen und Abenteurer hinzieht, welche
schnellen Profit suchen. Das Ziel der dortigen Arbeiten war die
Gewinnung von Fundamentalpunkten zur Orientierung für Marsch-
rouienaufnahmen, welche in diesem wenig erforschten und wenig
bewohnten Teile von Transbaikalien zu kartographischen Zwecken
unternommen werden sollen.
416
y. Klöden:
2. DSe Triangulation in Transbaikalien wurden im Jahre
1883 in den Kreisen Nertschinsk und Tschita, längs des Unda-
Flusses bis zum Dorf Sbidki und längs des Urulgi bis cur Stadt
Nertschinsk fortgesetzt. Das gelegte Netz umfasst das von sess-
hafter Bevölkerung eingenommene Land, der Zwischenraum ist
von unbewohnbarem, waldigem Bergland (Taiga) erfüllt.
8. Mar sehr outen auf nahmen sind in den Kreisen Bar-
gusin sk und Warchne-Udinsk, längs des Tuldon, der in den Jera-
winskoje-See mündet, sowie an den Nebenflüssen des Witim und des
Bargusin gemacht worden, auf einem Gebiet von im Ganzen etwa
2500 D Werst. Ausserdem wurden Pläne der Städte Tschita und
Irkutsk mit ihren Umgebungen im Maasstabe 1:21000 angefertigt,
4. Im Ussuri-Lande fanden Aufnahmen auf dem Terri-
torium statt, welches an China grenzt, behufs Feststellung der
Reichsgrenze und im westlichen Teile des Landes in Folge von
administrativen Bedürfnissen, da die Kolonisation dieser Gegenden
durch russische Ansiedler von Jahr zu Jahr zunimmt. Im Spe-
ciellen wurden aufgenommen der westliche Teil der Halbinsel
Possjet und das Thal des Tjumen-Ula bei dem Grenzort Ssawe-
lowki. Die Triangulation für die Aufnahmen am ostlichen Ufer
des Amur' sehen Meerbusens und von dem Wege von Wladiwostok
über Nikolskoje nach dem Ort Anutschino (früher Werchne-Roma-
nowo) ist vorbereitet. Der Bericht über diese Arbeiten ist nicht
eingegangen, die Mitteilungen über die Thätigkeit der ostsibirischen
Abteilung im Ussuri- Gebiete sind daher auf anderweitige zu ver-
schiedenen Zeiten erhaltene Nachrichten basiert.
XIX.
Seen -Tabelle.
Von G. A. v. Klöden.
Areal
g. Q.-M. Q.-Km. Hektar.
Höhe
Per. F. Meter.
Tiefe bis
P»r. F. Met«
Aber- oder Wolfgang-See
b. Ischl, Salzkammergut
Achen-See im Isar-Quell-
jrebiet
Ägöri- oder Egeri-See,
Kanton Zug, Schweiz.
Ala-Kul, Asien, Dsunga-
rei
Albaner- oder Castello-
See bei Born
0,244
13,43
0,124
6,83
0,17
9,36
36,32
2000,1
0,26
14,41
1343
683
936
1441
1638
2864
2238
723
903
532
930,0
727,0
235
347,9
403
113
131
Seen-Tabelle.
417
Areal
Höhe
Tiefe bis
*. Q-M.
Q-Km.
Hektar.
Par. F.
Meter.
Par. P.
Meter.
Alt-Anweer-See i.Traun-
Qnellgebiet
0,04
2,14
214
1109
685
167
53
Ammer -See in Ober-
Bayern .........
0,86
0,509
47,35
28,03
4735
2803
1182
1411
384
458
264
86
Annecy-8ee in Savoyen
—
AraJ-See in Turan . . .
1227,5
67590
—
45
14,6
77-209
25-68
Athabaaka-See in Canada
NW.-Territorium . . . .
233,0
12840
—
550
179
—
—
Atter- oder Kammer-See
im Salzkammergute . .
0,853
46,97
4697
1432
465
526
171
Anllagas- oder Pansa-See
in Boliyia
50,6
2786
—
11353
3688
—
—
Awe-Loch in Schottland
0,74
40,4
4045
—
—
• —
—
Baikal-Meer in Sibirien
634,4
34932
—
1114
362
3842
1240
Balaton- oder Platten-See
in Ungarn
11,5
635,12
—
429
139
12-36
3,9-11,7
Baichajch-See, Kirgisen-
Steppe
374,4
20615
— -
732
238
49-126
16-41
Bangweolo- oder Bembo-
See, Süd-Afrika ....
386,0
21300
—
3389
1124
—
—
Bären -See in Canada,
NW.-Territorium . . . .
375,0
20649
—
40
13
80
26
itembo-See s. Bangweolo.
Bieler-See, Kanton Bern
0,72
43,2
2643
1335
434
237
77
JjeJosero, Bassland . . .
20,43
1124,8
—
—
—
31
10
Joden- See, Schweiz. . .
9,79
538,5
—
1225
398
202
65,6
tolsener-See, Italien . .
2,08
114,5
11450
934
303
—
—
tourget-See in Savoyen
0,81
44,5
4450
733
238
300
100
Iracciano-See in Italien
0,975
53,7
5370
512
166
200-900
65-290
tienzer-See,CantonBern
0,48
26,4
2640
1739
565
646
210
yg-See oderWnigOsero,
Rossland ......*.
15,64
861,2
elano-See in Italien. .
2,906
159,8
15980
1890
640
—
22
namplain-8ee in New-
lork
12,7
699,3
—
83
27
49-370
16-120
hankai-See, Mandschu-
rei
79,57
65,0
4384,3
3579
— ■
151
6000
49
1950
23,1
40
7,5
hapala-See in Mejico .
13
kiem-8ee i.Ober-Bayern
1,62
89,2
8920
1549
503,2
250
80
bacnito-See siehe Titi-
aca-See
151,3
8331
—
11723
3808
672
218
»macchio-Lagune , Ba-
ien , . . .
7,9
2,79
433,3
153,6
15360
585
190
1280,6
mio-See, Lombardei .
416
»rrib-See in Irland . .
3,34
183,8
18390
13
4,2
—
—
srg-8ee in Irland . . .
2,29
126,0
12610
103
33,4
—
—
itroit-See in Nord-
amerika
915,8
16,6
«issan-See, Dsnngarei
33,24
1830,0
—
1262
410
24,6
8
immer-See inHannover
0,35
18,4
—
133
43
—
—**
irae-See in Irland . .
3,0
165,6
—
133
43
—
—
418
v. Klöden:
Areal
g. Q.-M. Q-Km. Hektar.
Höhe
Par. F. Meter.
Tiefe bu
Per. P. Mrter.
Egeri-See s. Ägeri-See.
Elton- See, Astrachan . .
Enara-See, Lappland . .
Erie-See, Canada . . . .
Eyre-See, 8üd- Australien
Felka-See im Tatra-Ge-
birge
Fisch -See, Grosser, im
Tatra-Gebirge
Fucino-See s. Celano-See.
Gairdner-See in Süd-
Australien
Garda-See i. d.Lombardei
Genesareth-See in Pa-
lästina
Genfer-See, Schweiz . .
Geserich-See in West-
Preussen
Goplo-See in Posen. . .
Gosau-See, hinterer, im
Traungebiet
Gosau-See, vorderer, im
Traungebiet
Göktache-See, Türkisch-
Armenien
Gregory-See s. Eyre-See.
Grundl-See im Traun-
gebiet
Halden-See, Quellgebiet
des Lech
Hallstädter See imTraun-
becken
Hallwyler - See , Kanton
Aargau
Hamun-See in Persien .
Hjelmar-See in Schweden
Horn-See in Schweden .
Hule-See in Palästina .
Hung-tse-hu in China .
Huron-See in Canada .
Idro-See, Lombardei . .
Ilmen-See in Bussland .
Imandra-See in Lapp-
land
Iseo-See in d. Lombardei
Issyk-Kul in Turkestan
Itasca-See, Mississippi-
Quelle
Jalpusch-See i. d. Moldau
Jamdo - Jömt - Tso siehe
Palte-See.
2,92
25,8
467,2
191,2
140,0
6,65
3,1
10,7
0,48
0,44
24,88
0,16
0,19
53
9,5
4,31
0,25
5,3
1162,3
0,27
16,71
15,5
1,12
93,02
4,17
161
1421,4
25727,6
10528
0,043
0,033
7710
366,1
170,7
573,2
26,43
24,5
0,015
0,78
1370
3,689
0,73
8,81
10,46
2918,3
522,2
237,3
13,76
291,8
63998
13,7
918,5
851,9
62,0
5122
229,6
4,33
3,32
2643
2450
1,5
78
368
73
881
1046
1376
1370
6200
24
380
537,8
202
5132
4322
346
197
—588
1154
3063
3559
2795
5948
2182
3445
1530
1391
1200
71
791
252
7,8
123
174,7
65,5
1667
1404
112,4
64
-191
375
99,5
1156
908
1932
709
1119
497
452
390
23
257
82
28
77-191
15,5
152,4
902
1079
951
126
212
1539
198
1423
66
868
9,1
25-6i
5,03
433
293
350,5
309
41
(9
500
M3
125
464
i\
2S2
5553
881
102
588
1972
1575
179,6
286
191
1615
512
710-950
62
918
23a»
2ö
Seen-Tabelle.
419
Areal
Höhe
Tiefe bis
g.Q-M.
Q.-KtD.
Hektar.
Par. P.
Meter.
Par. P.
Meter.
Jänina-See in Albanien
1,1
60,6
6060
1600
520
Kammer-See s. Atter-See.
Kao-Jang-hu in China .
3,3
181,7
Kaspisches Meer ....
7980,3
439418,5
■ —
-78,81
—25,6
2770
900
Kochel-See im Isargebiet
0,17
9,36
9360
1862
605
228
74
fopais-See in Griechen-
land
3,9
0,12
213,7
6,5
6500
100
1856
32,5
603
9
664
—
Königg-See, Ober-Bayern
215
Kosso-Gol, Mongolei . .
174
9581
—
5741
1670
—
—
Kroten-See, Salzkammer-
. .
ont .....
—
1,87
187
1764
573
140
45,5
6U' • ••••••••••
Kubinakischer See in
ßnssland
7,15
394
—
431
140
—
—
Kbn-khn-Noor, Mongolei
93
5121
—
9851
3200
—
—
Laacher-See, Rhein-Pro-
vinz
329,25
3,96
17129
396
847
208,4
275
67,7
210
732
68
Udoga-See in Russland
238
Lago maggiore in d. Lom-
bardei
3,82
15,0
210,3
825,94
~~ "
606
43
197,0
14
2629
854
jlanquihue-See in Chile
—
liomond-Loch in Schott-
land
1,28
40
70,5
2202,5
7050
100
1910
32
620
720
1,8-6,2
234
iOp-See inOat-Turkestan
0,6-2,0
jöwentin-See in Ost-
Preossen
0,56
30,83
3083
360,8
117,2
—
—
ingano - See , Kanton
Teaain
1,01
0,62
55,61
34,14
5561
8414
834
35,5
271
11,5
858
279
[adüe-See in Pommern
—
[anagna-See in Mittel-
Amerika
55
3028,5
—
146,3
48,1
—
—
taoasarowar-Seen,Tibet
11
605,7
—
13544
4416
—
—
[anitoba-See in Canada
75
4120
—
705
229
—
—
faracaibo-See in Vene-
cuela ..........
305
1,47
16794
80,94
8094
360
117
18,5
34-111
6
aner-See, Oat-Preussen
11-36
Uar-See in Schweden
30,6
1685
—
1,16
0,38
158
51
erom-8ee s. Hnle-See.
ichigan - See , Verein.
ttaaten von Amerika .
1075,0
59230
—
555,3
176,6
930
302
fflatadter-See, Drau-
[tal
0,4
7,13
22,02
392,6
2202
1785
410
580
128,6
853
564-1440
277
ioaen-See in Norwegen
177-452
ond-See, Salzkammer-
nt
0,26
14,32
1432
1475
479
209,3
68
>osehead-See, Verein.
t, Maine
14?
770
—
960
312
—
—
>rat-See, Kanton Waadt
0,49
27,1
—
1339
436
360-162
117-53
iritz-8ee, Mecklenburg
2,52
138,7
—
209
68
—
—
irten-See s. M orat-See.
mrtan-Nzige' in Afrika
83,6
4603
—
1976
642
— ■ ■
—
agh-See in Irland . .
7,19
396
—
45
14,6
40
13
420
v. Klöden:
Areal
Höhe
Tiefe bis
g. Q-M.
Q.-Km. | Hektar.
Par. F.
| Meter.
Pftr.F.
Meter.
Nemi-See bei Rom . . .
_
2,01
201
1006
327
Ness-See in Schottland .
0,91
50,1
5000
—
—
750
244
Neuchateller-See in der
Schweiz
4,17
229,6
—
1339
435
444
144
Neusiedler-See in Ungarn
6,5
357,9
—
345
112
9,2
3
Ngami-See in Süd- Afrika
14
770,9
—
2628
857
—
Nicaragua -See, Mittel-
Amerika. • •
172
9471
__»
100,3
32,6
307
100
Nipigon - See , Ontario,
Canada
10,8
595
^_
881
597
286,5
195
^
_
Nipissing-See , Canada .
—
Njassa-See in Süd- Afrika
640
35270
—
1419
461
600
195
Ochrida-See in Albanien
4,9
269,8
—
1900
617
—
—
Öden-See, Tranngebiet .
0,28
15,42
1542
2406
782
—
—
Odenburger-See s. Neu-
siedler-See.
Offen- See, Salzkammer-
orut
_
0,59
59,7
200,4
222
651
111
36
6**" •
Onega-See in Bussland.
177
9751*6
72
554-693
180-225
Ontario-See in Canada .
3448,8
18988
—
234,6
76,2
556
180,7
Orta-See, in der Lom-
bardei
0,287
15,8
1580
1145
372
—
—
Ossiacher- See,Drau-Thal
0,5
27,53
2753
1487
483
141,6
46
Palte-See in Tibet . . .
24
1321,5
—
12663
4113
—
—
Pampa - Aullagas- oder
Pansa-See s. Aullagas.
Patzen-See s. Kroten-See.
Pangkong-See in Klein-
Tibet
28,6
1575,7
___
13100
227
4225
74
—
_
Pftij&nne-See in Finland
—
Peipus-See in Russland
50,89
2802
—
90
29,2
43
14
Pielis-See in Finland. .
19,88
1074,9
—
286
92
—
—
Plan-See im Lechgebiet
—
3,96
396
4041
988
—
—
Platten-See in Ungarn .
11,6
690
—
130
42,2
12-35
3J-U"
Plauer-See, Mecklenburg
7,03
387
—
209
67
—
—
Plön-See in Holstein . .
0,58
31,93
3193
—
—
—
—
Pskowscher See, Russ-
land
12,91
711
__
90
29,2
_ .. m
— .
Ratzeburger-See in Mek-
klenburg
0,36
19,82
1982
100
32,5
,^_
—
Renthier - See , Canada,
NW.-Territorium . . . .
180
9910
—
—
—
—
—
Sabatino-See siehe Brac-
ciano-See.
Saima-See in Finland .
31,96
1759,6
—
240
78
—
—
Salz-See, Grosser, Verein.
Staaten
85,2
4691
—
3958
1282,5
3,08
1
Sari-Kul in Pamir . . .
—
—
—
14640
4755
—
Sarner- See, Kant. Unter-
walde
0,135
7,98
798
1461
475
_
—
Schirwa-See, Süd- Afrika
42,5
2340
—
1688
550
—
—
Seen-Tabelle.
421
f. Q-M.
Areal
Q-Km.
Hektar.
Höhe
P«. P. Meter.
Tiefe bis
Per. F. Meter.
Schwarzer See, Tatra-
Gebirge
Schweriner See, Mecklen-
burg
Segosero in Rnasland. •
tempacher-See, Kanton
Luzern . .
Jewanga-8ee 8. Göktsche
See.
Mjan-See in Schweden
Iklaven- See , Canada,
NW. Territorium . . . .
Ikutari-See in Albanien
Ipirding-See^Bt-Prenaa.
«eliger-See in Bassland
Itamberger-See in Ober-
Bayern
teinhuder-Meer in Han-
nover . . .
tor-Avon in Schweden
tor-8jön in Schweden .
pperior-See in Canada
*ätoj-More s. Baikal-
Meer.
warigua-See in Vene-
raela
»na- See in Abessinien
uganjika-See in Afrika
iy-8ee in Schottland .
*gern-8ee,Ober-Bayern
»nagamang-See in Ca-
iada
roiskamang-See in Ca-
ada .
»gri-Noor in Tibet .
Bcnco-See in Mejico .
uü-hu in China ....
beriaa-See s. Genesareth.
Ücaca-See in Pern . .
dtea Meer in Palastina
posero in Rusaland .
rneä-8ee in Schweden
rrens-See inAnstralien
isimenischer See in
alien
inn-See, 8al£kammer-
it
ui-8ee, Mittel- Afrika .
ihani - See , Kirgisen-
*PP«
sholamoo-See in Tibet
Zeitaehr. d. GaMllach. f. Brdk. Bd. XIX.
1,2
22,63
0,26
6,51
334
6,8
1,79
3,94
0,88
0,61
4,31
10,17
533,6
12,45
54,1
571,1
0,48
0,17
12,5
4,0
3,55
6,07
151,3
16,6
19,34
9,6
112
2,45
0,437
618?
61,19
66,07
1246
14,32
358,2
18391
374,42
98,3
216,8
48,45
33,59
237
560
84444
685
2980
31450
26,43
93,60
688
220
195,5
334
8331
914
1065
525,6
6167
135
24,06
34029
3319
19
1482
2643
9360
2406
3648
122
1185
40
277
1561
513
507
252
166
373
776
1782
132
791
923
597,2
5978
2460
574
14247
7703
12050
—1206,75
121
579
43
257
300
185,7
1942
800
733
186,5
4628
2502
3914
—392
24-62,7
362-756
868
700
206-615
2000
300-480
1227
3731
222
794
1300
779
1212
72
258
422
253
24
588
15
90
7,8-20,4
118-246
282
213
67-200
650
100-260
230
398,6
7,8
191
4,9
15950 5181
28
422
v. Elöden:
Areal
Höhe
Tiefe bis
g.Q-M.
Q-Km.
Hektar.
Par.F.
Meter.
Pk.P.
Meter.
Tso-Maphan siehe Mana-
sarowar-See.
Tuz-Tschöllu in Klein-
Asien
24,7
1360
—
2617
850
—
—
Ukerewe-See in Afrika.
1513,0
83310
—
4000
1300
—
—
Urumia-See, Persisch Ar-
menien
69,8
3843
—
4802
1560
46
15
Utah-See, Verein. Staaten
9,5
523
—
4224
1372,4
—
—
Varese-See, Lombardei .
0,285
15,70
1570
797
259
—
—
Victoria-See s. Ukerewe.
Vierwaldstätter See in
der Schweiz
2,03
111,78
—
1348
438
477
155
Walchen -See in Ober-
Bayern
0,27
14,87
1487
2435
791
603
196
Wälder-See in Canada .
—
—
—
1042
317,6
—
—
Walen- oder Wallen-
stätter See
0,422
23,23
2323
1308
425
480
1K
Wftn-See, Türkisch Ar-
menien
66,5?
3662
—
4802
1560
—
•"
Weissen-See in Kärnten,
Pusterthal
0,067
3,7
370
2758
896
301,7
9S
Weissen-See bei Füssen
—
0,92
92
2440
793
—
—
Wener-See in Schweden
113,3
6222
—
132
44
274
89
Wetter-See in Schweden
35,7
1965
—
268
86
415
13?
Windermere in England
0,3
16,52
1652
108
35
226
73
Winnebago-See in Wis-
consin . • . • •
10?
550
•—
748
243
—
Winnipeg-See, Britisch
Nord- Amerika
751,5
41390
—
665
216
—
—
Winnipesosis-See, Brit
Nord-Amerika
86
4720
—
723
235
—
—
Wirzjarw in Livland . .
5,02
276,4
—
108
35
—
—
Wocheiner -See bei der
Savequelle
—
—
83,4
1610
523
223
69
Wolfgang- See s. Aber-
See.
Wolleston- od. la Hache-
See, Brit. Nord- Amerika
132
7250
—
—
—
—
—
Wörther-See bei Klagen-
furt
0,813
44,76
—
1365
416
214
6*3
Wurm -See siehe Starn-
berger-See.
Yellowstone-See, Verein.
Staaten
5,97
328,3
—
6964
2264
277
90
Zeller- od. Jungfern-See,
Salzkammergut
—
3,30
330
1537
500
108
35
Zeller-See im Pinzgan .
—
4,70
470
2398
732
239,5
TS
Zirknitzer See in Krain
—
21
2100
1760
572
6-24
1JS-TJ
Zuger-See in der Schweiz
0,72
39,64
3964
1284
417
1200
SSO
Züricher-See i. d. Schweiz
1,59
87,55
8755
1258
409
440
143
Seen-Tabelle.
423
Strelbitsky giebt in Beinern Werke Superficie de l'Europe S. 209 nnd
'13. 214 da«
Lreal d. Adriat Meeres an zn 135.231,1 qkm = 2455,7 g. Q.-M., inclusive der *
Inseln zu
3.355,7
: 60,95, also ohne Inseln 131.875,4 km
= 2394,99 g. Q.-M.
= 44.919,00 g. Q.-M., inclusive der
= 1846,55, also ohne Inseln
2.37 1.677,4 km=43.072,47 g.Q.-M.
— 47.374,7 g. Q.-M.,
= 1007,5 g. Q.-M., also ohne Inseln
2.503.652,8 qkm = 45.466,9 g.Q.-M.
Strelbitskys Schlussresultat 2.506.908,5 qkm = 45.528,41 g.Q.-M.
mnss also auf einem Irrthum beruhen.
LrealiMittelländ. Meeres eu 2.473.367,8
Inseln zu 101.690,4
lso d. gesamte A real betr. 2. 608.698,8
die Inseln 105.046,1
Er mUst die Küsten zu:
Europa:
panische 1737,7 km = 234,29 g
.M.
<v
•aniösische 868,7 „ =117,10
»
alienische 2374,7 * =320,02
n
Adria 1410,3 „ =190,06
n
rterreichiscbe 2004,5 „ =270,13
w
ontenegr. 48,5 „ = 6,47
i»
irkische 2679,7 „ =361,14
n
iechi$che 2969,9 „ =400,23
n
»glische 14,3 n = 1,93
n
Ich finde (ohne die
Inseln)
766,6 km = 103,6 g.M.
Südküste von
Klein- Asien.
1480,7km = 200,0g. M.
Südküste von
Klein- Asien.
950,9 km = 1 28,5 g.«M.
syrische Küste.
>14108,3km=1906,6
Asien:
Afrika:
ypten
p. a. Tunis 2753,4
ferien 1 179,0
rocco 283,8
3 198,2 km =432,1 g.M.
(40 g. M. mehr als Str.)
2967,2 „ =391 ,97 g.M.
752,2
= 101,35
=370,97
= 148,86
= 128,50
2967,2km =391,97
4968,4 B =759,68
Summa 3058 g. M., 22.043,9 km.
(Begründete Verbesserungen werden erbeten.)
28*
Übersicht der vom November 1883 bis dahin 1884 auf
dem Gebiete der Geographie erschienenen Werke, Auf-
satze, Karten und Pläne.
Von W. Eoner.
Allgemeines. Geschichte, Wörterbücher der Geographie.
Methodologie des geographischen Unterrichts.
Biographieen. Miscellen.
d'Abbadie (A.), L'orthograpbie des noms geographiques, — Oompte-rendu de
la Soc. de Geogr. de Paris. 1884. p. 342.
Aberdare (Lord), The annual address on the progress of geography. —
Proceed. of the Roy. geogr. Soc. 1884. p. 365.
Agenda 1884 avec ^phemerides geographiqaes. Bruxelles (Instit. nat. de
geographie) 1884. XXII, 365 S. oblong fol.
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— Bullet, de la Soc. roy. Beige de giogr. VIII. 1884. p. 145. 2S&
Berghaus (A.)} Dr. Heinrich Berghaas. — Ausland. 1884. N. 11.
Bern ardin, Plan d'ane lecon de geographie commerciale. — BuüeU de la
Soc roy. de geogr. oVAnvers. IX. 1884. p. 59.
Blumentritt (F.), Der geographisch-kommerzielle Kongreas an Madrid. —
Ausland. 1884. N. 4.
Böttcher (C), Vorschläge zur Methodik des geographischen Unterrichte mit
Beispielen aus der Schulpraxis. Programm d. Bealgymn. auf der Borg
in Königsberg i. Pr. 1884
de Bouthillier, Le 7me congres national de geographie a Toulouse. —
VExphratUm. XVIII. 1884. p. 305. 345.
Brunialti (A.), Bivista di geografia commerciale. — EEsvhratore. VIII.
1884. p. 1.
— , L'associazione geodesica internationale e la geografia economic*. — Ebda.
VIII. 1884. p. 33.
Compte-rendu des däleguäs de la Soci^te" de geographie commerciale de
Bordeaux au Congres des Sociätäs francaises de geographie. — JBuHL de
la Soc. de geogr. commerc. de Bordeaux. 1884. p. 1.
Cr am er, Ueber die Bedeutung Emil v. 8ydow's für die Entwickeluxtg der
wissenschaftlichen Erdkunde. — Verhdlg. d. 3. deutschen Gecgrw*pk***agcM
zu Frankfurt. 1883. p. 93.
Deni cke (H.), Einige Bemerkungen zur Methode des geographischen TJater-
richts. — Z. f. d. Gymnasial- Weten. 1884. p. 269.
Dietrich, Die geographischen Anschauungen einiger Chronisten des XL
und XII. Jahrh. Progr. d. Kaiserin-Augusta-Gymn. zu Ch&rlotfcenburg.
Berlin. 1884. 4. vgl. Z. /. wies. Geogr. V. Hft. 2. 1S84.
Geschichte, Methodologie etc. der Geographie. 425
Dronke, Die geographische Ausstellung in Frankfurt a./M. — Z. f. SchtU-
Geogr. V. 1884. p. 39.
Ebner (H.), Nochmals die zeichnende Methode im geographischen Unterrichte.
— Z. f. Schtd-Geogr. V. 1884. p. 328.
Egli (J. J.), Ein Beitrag zur Geschichte der geographischen Namenlehre. —
Z. /. wissenschafd. Geogr. IV. 1883. p. 53.
— , Das geographische Cabinet. Die geographische Sammlung der Canton-
schnle Zürich. — Z. f. SchuUGeogr. V. 1884. p. 33.
Faidherbe (A.)f L'enseignement de la gäographie. — Bullet, de la Soc. de
geogr. de Lille. III. 1884. p. 130.
Fanre (Ch.), Vie et travaux d* Arnold Guyot. — Le Gldbe. Memoires. 4ffie 8e>.
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Fay (Ch. E.), Our geographica! nomenclature. — Appalachia. III. Juni 1882.
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Finger, Heimatskunde, eine Vorbereitung zur Erdkunde. — Verhdlg. d.
3. Deutschen Geographentages zu Frankfurt. 1883. p. 123.
Früh (U.)i Ein Beitrag zur Entwicklung der Methode des geographischen
Unterrichts an Volksschulen. — 3fiUl. d. ostschweiz. geogr. commerc. Ges.
in St. Gauen. 3. Hft. 1883. p. 19.
Geilfus (G.)} Das Leben des Geographen Dr. Jakob Melchior Ziegler. Ein
Denkmal der Freundschaft. Winterthur (Westfehling) 1884. 8. (M. 5.)
Geographentag es, Verhandlungen des dritten deutschen, zu Frankfurt a./M.
am 29—31. März 1883. Berlin (D. Reimer) 1883. 8. (M. 5.)
Geographentages, Verhandlungen des vierten deutschen, zu München
am 17. — 19. April 1884. M. einer Karte von Albr. Penck. Berlin
(D. Reimer) 1884. 8. (M. 5.) vgl. Ausland. 1884. N. 7. 17.
Geographie, die beschreibende Methode beim Unterricht in der. — Z. f.
SchulGeogr. V. 1884. p. 257.
Geographie-Unterricht, zum, an Österreichischen Bürgerschulen. —
Ebda. V. 1884. p. 161.
Geographie, zur Stellung der, auf höheren Schulen. — Ebds. V. 1884.
p. 163.
Glrardin, Etüde sur l'enseignement glographique en Angleterre. — Bullet.
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Gopfert, Der geographische Stoff der beiden ersten Schuljahre. — Jahrb. ct.
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April 1884. — Mitthl. d. Wiener geogr. Ges. XXVII. 1884. p. 219. 260.
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XIX. 1884. p. 235.
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— Eist. u. phil. Aufsätze E. Öurtius gewidmet. 1884. p. 353.
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Hummel (A.), Sprüche zur Landeskunde von Deutschland, Oesterreich und
der Schweiz. — Z. f. SchulGeogr. V. 1884. p. 365.
Jaqoet (G.), Maximilian, Prinz von Wied. — Aus allen Wdttheüen. XV.
1884. p 182.
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1884. p. 300.
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(M. 2,80.) Heidelberg (Winter) 1884. 4.
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Kozenn (B.), Geographischer Schul-Atlas für Gymnasien, Real- und Handels-
schulen. 29. Aufl. Neu bearb. von V. v. Haardt, rev. von F. Umlauft
52 Karten. Wien (Hölzel) 1884. fol. (M. 7,20.)
Kunz (M.), Repetitions- Atlas über alle Theile der Erde in Relief-Prägung.
1.— 8. BI. Kassel (Kleimenhagen) 1884. 4. (a 15 Pf.)
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24 col. Karten in Kpfrsi Gotha (Perthes) 1884. 4. (M. 2.)
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Cosmographic Atlas of political, historical, classical, physical, and sciptnral
geography and astronomy. With indices and descriptive letterpresa.
London (W. & A. K. Johnston) 1884. fol. (21 s.)
Karlen von Europa. 5g 5
Populär Atlas of the World: a series of 46 new and authentic maps, with
a eomplete Consulting index, London (Christ. Knowledge Soc.) 1884.
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Sawlna; Atlas of modern geography. Consisting of 84 maps, roll eoloured.
London (Collins) 1884. 4. (1 s.)
Sil penny Atlas of modern geography. Consisting of 16 maps, füll eoloured«
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A Physical Atlas for Beginners, containing 12 maps. London (Christ. Know-
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auf Leinw. in Mappe M. 30; m. Stäben M. 22; Politische Ausgabe su
gleichen Preisen.)
Berghaus-Göncsy, Wandkarte von Europa. 1 : 4,000,000. 9 Sectionen.
3. Aufl. Chromolith. Gotha (Perthes) 1884. foL (M. 7.)
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Franz (J.), Eisenbahn- und Dampfschiffroutenkarte von Europa. 1 : 3,000,000.
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auf Leinw. in Mappe M. 13.)
Handtke (F.), Schul- Wandkarte von Europa 1:4,000,000 in 9 B1L 13. Aufl.
Chromolith. Glogau (Flemming) 1884. fol. (M. 3; auf Leinw. in Mappe
M. 7.)
Keil (W.), Orohydrographische Wandkarte von Europa. 1:4,000,000.
9 Bll. in Farbendr. Kassel (Fischer) 1884. fol. (M. 8; auf Leinw.
in Mappe M. 11.)
Kiepert (R.), Schul-Wand-Atlas der Länder Europa's. 1:1,000,000. Lief. 7.
Stumme physikal. Karte der Balkan-Halbinsel. 10. Polit. Wandkarte
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Schade (Tb.), Scbul-Wandkarte von Europa 1 : 3,600,000 in 12 Bll. 3. Aufl.
Chromolith. Glogau (Flemming) 1884. fol. (M. 5; auf Leinw. in Mappe
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auf Leinw. in Carton 4,80.)
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1 : 1,500,000. 2 Bll. Chromolith. Köln (Waroit* & Co.) 1884. fol.
(M. 3; auf Leinw. in Carton. M.4,50.)
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Dusseldorf. 12. u. 13. Aufl.* 4. Reg^Bes. Aachen. 4. Aufl. 25. Reg.-
Bez. Breslau. 26. Reg.-Bez. Liegnitz. 27. Reg.-Bez. Oppeln. 29. Reg.-
Bez. Potsdam. 80. Reg.-Bez. Frankfurt a./0. 49. Rheinpfalz. 2. Aufl.
Metz (Lang) 1885. 4. (a 50 Pf.)
Bamberg (K.), Schulwandkarte von Deutschland für Mittel- und Ober-
klassen in 20 Bll. 1 : 700,000. 8. Aufl. Chromolith. Politische Ausg.
Berlin (Chun) 1884. fol. (M. 16; auf Leinw. in Mappe M. 22; m. Stäben
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Handtke (F.), Post-, Reise- und Eisenbahnkarte von Deutschland, der
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Glogau (Flemming) 1884. fol. (M. 6; auf Leinw. m. Rollstaben 7,500
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Glogau (Flemming) 1884. fol. (60 Pf., m. Ortsverzeichnis* 75 Pf.)
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Berlin (Berlin, lithogr. Institut), fol. (M. 6 ; auf Leinw. m. St&ben oder
in Mappe M. 12.)
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32. Wilhelmshaven. 33. Hamburg. 34. Schwerin. 43. Groningen.
44. Bremen. 45. Lüneburg. 46. Wittenberge. 56. Zwolle. 57. Minden.
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M. 8,60; mit Ortschafts Verzeichnis* M. 5,10,. auf Leinw. M. 9; m. Stäben
M. 11,50.)
— , Dass. Mit östlichen Anschlussblattern, enthaltend das ostpreussische
Eisenbahnnetz. 20. Aufl. 1884'. 6 Bll. Lith. und col. Ebds. fol.
(Mit Ortsweiser M. 8; auf Leinw. in Mappe M. 15; m. Stäben M. 18.)
Ravenstein (L.), Atlas des Deutschen Reichs. Leipzig (Bibl. Instit)
1884. fol. (M. 5.)
Schulz (R. A.), Distanz- and Eisenbahn-Karte von Mittel- Europa. Neue
Aufl. Chromolith. Wien (Artaria & Co.) 1883. fol. (90 Pf.)
Wals eck (G.), Neueste Eisenbahn-Karte von Deutschland und den an-
grenzenden Ländern, mit numerirter Band-Vorrichtung zur schnellen
Auffindung der Stationen. 24. Jahrg. 1884. 4 Bll. Lith. u. col.
Köln* (Du Mont-Schauberg). fol. (M. 7.)
Winkler (E.), Eisenbahn-Routen-Karten von Mittel-Europa. Ausg. 1884.
4 Bll. Chromolith. Dresden (Türk). (foL M. 2,50.)
Neue Übersichtskarte von Central-Europa, respect. der österr.-ungarischen
Monarchie. Hrsg. v. K. K. militär-geograf. Institut 1 : 750,000. Chromo-
lith. A. 2. Mainz. Nürnberg. Strassburg. Ulm. A. 3* Innsbruck. Trient.
Basel. Zürich. A. 4. Mailand. Genua. Bologna. Florenz. B. 2. Eger.
Budweis. Lins. München. Regensburg. B. 3. Laibach. Villach. Kufstein.
Belluno. Wien. Qraz. Budapest B. 4. Pols, Zara. Comacchio. E. Wilna.
Minsk. Grodno. Slonim. (Wien Lechner) 1S84. gr. Fol.
Übersichts-Karte der Eisenbahnen Deutschlands, bearb. im Reichs-Eisen-
bahn-Amt. 1 : 1,000,000. 4 Bll. Ausg. 1884. Chromolith. Berlin
(Mittler & Sohn), fol. (M. 5.)
Garnison-Karten der deutschen Armee. 3. Aufl. Chromolith. Leipzig (Ruhl)
1884. fol. (80 Pf.)
538 Specialkarten von Deutschland.
Specialkarten von Deutschland.
Preussen. Mecklenburg. Die Hansestädte. Oldenburg.
Messtischbl&tter des preussischen 8taates. 1 : 25,000. Aufnahme ans dem
J. 1882. 857. Sieden-Bolletin. 1052. Strasburg i. d. Ukermark. 2953.
Mörschelwit*. 2954. Koberwitz. 2957. Peisterwitz. 3016. Jordaus-
mühl. 3019. Brieg. 3020. Stoberan. 3077. Nimptsch. 3079. Marienaa.
3081. Löwen. 3191. Camenz. 3250. Friedland in Oberschleaien. 3251.
Schelitz. 3301. Neustadt in Oberschlesien. 3302. Deutsch -Rasselwitz.
3344. Arnoldsdorf. 3345. Kunzendorf. 3588. Lauterburg. 3608. Hoch-
felden. 3611. 8tattmatten. 3619. Gambsheim. 3628. Erstein. 3637.
Gerstheim. Berlin (Schropp) 1884. (a M. 1.)
Ha b eni c ht (H.), Heimatskarten' zum Elementar- Atlas. N. 2. BL 1. SchleB-
wig; 3. Unter-Elbe und Weser; 4. Ostfriesland; 6. Hannover; 8. Hildes-
heim; 9. Oldenburg; 26. Münsterland; 29. Düsseldorf; 38. Braunschweig;
39. Anhalt; 40. Magdeburg; 48. Lothringen. Chromolith. Gotha
(Perthes) 1884. foL (a 20 Pf.) — Dass. erweiterte Blätter. N. 2. Hol-
stein; 10. Mecklenburg; 33. Bezirk Kassel; 49. Elsass. Ebds. (a30Pi)
Handtke (F.), Schul -Wandkarte vom preuasischen Staat in 8 B1L
13. Aufl. Chromolith. Glogau (Flemming) 1884. fol. (M. 3; auf Leinw.
in Mappe M. 7.)
Koch (W.), Karte der Directions- und Betriebs-Amts-Bezirke der KgL
preuasischen Eisenbahn-Directionen. 1883—84. Mit Nach-
trag vom März— Juli 1884. Chromolith. Berlin (Barthol & Co.) 18S4.
fol. (M. 1,50.)
Karte über die Vertheilung der höheren Lehranstalten in Preussen in 1881
Her. vom Kgl. preuss. Ministerium der geistlichen etc. Angelegenheiten.
1:1,200,000. 2 Bll. Chromolith. Berlin (Schropp) 1884. fol. (M.5.)
Handtke (F.), Sohulwandkarte der Provinz Westpreussen in 6 Bll
1 : 250,000. Lith. u. col. Glogau (Flemming) 1884. fol. (M. 3,50;
auf Leinw. in Mappe M. 7,20.)
Hilscher (A.), Wandkarte des Kreises Wongrowitz. 1 : 50,000. 6 Bll
Chromolith. Ostrowo (Priebatsch) 1884. fol. (M. 9; auf Leinw. mit
Stäben 12}50.)
Hagen (L.), Die Seehäfen in den Provinzen Preussen und Pommern. 1. Der
Hafen zu Pill au und der Hafen zu Neufahrwasser. Berlin
(Ernst & Korn) 1883. fol.
Cötes de Prasse, de Gross Horst a Stolpmünde. Paris, Depot de la
Marine. 1884. (N. 3961.)
— , de Jershoft a Rixhbft. — Ebds. (N. 3964.)
Worpitzky (F.), Plan und Wegweiser des Ostseebades Herin gsdor£
Chromolith. Stettin (Dannenberg) 1884. fol. (M. 1.)
Liebenow (W.), Karte der Provinz Brandenburg. 1:300,000. 2 B1L
Lith. Hannover (Oppermann) 1883. fol. (M. 5; coL M. 6; in Carton M. 7;
auf Leinw. M. 9; m. Stäben M. 11.)
S i n e c k , Situations-Plan von Berlin mit dem Weichbilde und Charlotten-
burg. 1:10,000. 4 Bll. Lith. Berlin (D. Beimer) 1884. fol. (M.5;
Ausg. m. Bebauungsplan M. 6.)
Straube (J.), Post-Plan von Berlin. Chromolith. Berlin (Geogr. Institut)
1884. gr. Fol. (M. 1.)
Gaebler (E.), Karte von Berlin und Umgegend. 1:125,000. Chromolith.
Berlin (Engelhardt, in Comm.) 1884. fol. (40 Pf.)
Specialkartell von Deutschland. 539
Karte der Umgegend von Brandenburg. 1:55,000. Könlgl. preuss.
Landesaufnahme. 1880. Herausg. 1884. 6. BiL Lith. u. col. Berlin
(8chropp) 1884. fol. (a M. 1,50.)
Hilscher (A.), Wandkarte des Kreises Soldin. 1:40,000. 6 B1L Lands-
berg a. W. (Schaeffer & Co.) 1884. gr. fol. (M. 9.)
Specialkarte des Wasserlaufe von Prieros (wendische Spree-Dahme) nach
dem Scbarmützel-8ee. 1 : 40,000. Chromolith. Berlin (Hahne)
1884. fol. (M. 1.)
Spreelauf. Special-Karte der Ober spree. 1:40,000* Chromolitb. Mit
beschreib. Text 8. Ebds. 1884. fol. (M. 2.)
Liebenow (W.), Karte der Provinz Schlesien. 1 : 800,000. 2 Bll. Lith,
Hannover (Oppermann) 1888. fol. (M. 6; col. M. 7; in Carton M. 8; auf
Leinw. H. 12; m. Stäben M. 15.)
Lehmann (C), Verkehrskarte der Provinz Schlesien. 1: 600,000. 4. Aufl.
Chromolith. Berlin (Berliner Lith. Inst) 1884. fol. (M. 2.)
Special-Karte des Kiesengebirges. 2 Bll. Photolith. 1:75,000. Red.
u. hrsg. von der Section Riesengebirge des Gebirgs- Vereines fär Böhmen.
Prag (Dominions) 1884. fol. (M. 5,60.)
Reise-Karte durch die mährisch-schlesischen Sudeten. 1 : 200,000.
Neue Ausg. Chromolith. Freiwaldau (Blazek) 1884. fol. (M.2.)
Schulze (H.), Touristen-Karte des Eulen-Gebirges (nordwestliche Hälfte.)
Chromolith. Reichenbach i. Schi. (Hoefer) 1884. fol. (M. 1.)
Specialkarte der oberschlesischen Bergreviere, unter Angabe der
verliehenen Bergwerke. Kartirt von dem K. Oberbergamt in Breslau.
1 : 10,000. Sect. 9g. Friedrich-Erdmanns-Höhe. 9b. Krassow. 10»». Pod-
lesie. 15*. Belk. 15«. Ober-Lazisk. 15f. Gardawitz. 16*>. Golcow.
16« Leschszin. 16f. Przegendza. Lith. Berlin (Schropp) 1883. foL
(äM. 1,50.)
v. Natzmer (H.), Special-Karte der Umgegend von Liegnitz. 1:25,000,
12 Bll. Lith. Liegnitz (Kaulfuss) 1884. fol. (M. 3,50.)
Beyer (Th.), Plan der Stadt Liegnitz. Chromolith. Liegnitz (Kaulfuss).
1884. fol. (M. 1,20.)
Karte der Kreise Strehlen und Nimptsch. 1:150,000. Lith. u. col,
8trehlen (Gemeinhardt) 1884. fol. (M. 1.)
Braun (O.), Neuester Plan von Breslau. 1:7150. Ausg. 1884. Lith.
Breslau (Kern) 1884. fol. (M. 1,20.)
Hilscher (A.), Karte des Kreises Neisse. Für den Schul- und Privat*
gebrauch. I : 40,000. 6 B). Chromolith. Neisse (Graveur) 1883.
foL (M. 8.)
Karte des Kreises Oels nach der von A. Hilscher entworfenen Schul- Wand?
Karte reducirt Lith. u. col. Oels (Grüneberger & Co.) 1884. fol.
(50 Pf.; m. Amtsbezirksgrenzen 60 Pf.)
Plan der Stadt Oels nach der Aufnahme der Stadtvermessung (1882/83).
Lith. Ebds. fol. (M. 1 ; col. M. 1,50.)
Specialkarte der südlichen Lausitz. III. Herrnhut- Görlitz. Neusalza
(Oeser) 1884. fol. (M. 1.)
Plan und neuester Führer von Magdeburg, nebst den Vorstädten Süden-
bürg, Neustadt und Bukau. 1 : 10,000. Chromolith. Magdeburg
(Rathke) 1884. fol. (M. 1.)
Dittrich u. Stendel, Plan der Stadt Magdeburg. 8 Sectionen, Chro-
molith. Magdeburg (Creutz) 1884. fol. (M. 30.)
Loest (R), Neuester Grundriss von .Halle a./S. bis an die Weichbildgrenzen
vervollständigt Kleine Ausg. Chromolith. Halle (Kaemmerer ■& Co.)
1884. fol. (75 Pf.)
540 Specialkar tea von Deutschland.
Karte vom Deistergebirge mit dem an grenzenden Sfintel. 1 : 80,060.
3. Ausg. Chromolitb. Hannover (Klindworth) 1884. qu. gr. 4.
(60 Pf.)
Hunsinger, Entfernungskarte des Beg. Bes. Minden in 9 Sectionen.
1:80,000. Lith. Minden (Hufeland) 1884. fol. (ä M. 1,25; col.
a 1,75.)
Liebenow (W.), Karte der Rhein-Provinz und der Provinz Westfalen.
1:240,000. 4. Aufl. 6 Bll. 1. Münster; 2. Cöln; 8. Trier; 4. Minden;
5. Wetzlar; 6. Frankfurt Berlin (Berlin. Lith. Instit.) 1884. fol.
(a M. 1,50; cpl. auf Leinw. m. Stäben M. 15.)
Algermissen (J* L.), Übersichtskarte der Provinzen Rheinland and
Westfalen, nebst den angrenzenden Landestheilen bis Kassel, Bruchsal,
Metz etc. reichend. 2 Aufl. 2 Bll. Chromolith. Köln (Wandte) 1883.
foL (M. 2,50; auf Leinw. M. 4.)
— , Wandkarte der Rheinprovinz für den Schulgebrauch. 3. Aufl.
1 : 200,000. 6 Bll. Chromolith. Metz (Lang) 1883. fol. (M. 7,50;
auf Leinw. m. Rollst M. 14.)
Deinhard & Co., Karte der Haupt- Weinlagen an Rhein, Mosel, Nahe,
Ahr und in der Bayerischen Pfalz. 1 : 480,000. Chromolith. Koblenz
(Groos) 1884. fol. (80 Pf.) — Dass. Englische Ausg. (80 Pf.)
Winckel (L.) u. J. Schoop, Karte der Entfernungen von Ort zu Ort im
Reg.-Bezirk Köln. 1:100,000. Chromolith. Köln (Boisseräe) 1884.
' gr. fol. (M. 7,50.)
Algermissen (J. L.), Topographische Specialkarte der Umgegend von Köln.
1:50,000. 8. Aufl. Chromolith. Köln (Warnitz & Co.) 1884. foL
(AI. 3.)
Beyer (C), Entfernungs-Karte des Reg. -Bez. Coblenz, linksrheinischer
Theil. 1 : 100,000. 4 Bll. Chromolith. Coblenz (Groos) 1884. fol.
(M. 4.)
Karte der Umgegend von Bad Kreuznach. 1:50,000. Lith. Berlin
(Maurer-Greiner) 1884. 4. (50 Pf.)
Stadt-Plan von Bad Kreuznach. 1:10,000. Chromolith. Ebds. 1884. 4.
(50 Pf.)
Repetitions - Handkarte von Hessen-Nassau in Relief- Papierprigung.
Kassel (Kleimenhagen) 1884. 4. (15 Pf.) "
Specialkarte der Umgegend von Kassel. 1 : 110,000. Chromolith. Glogau
(Flemming) 1884. fol. (40 Pf.)
Karte der Umgegend von Marburg. Her. von der kartogr. Abtheilung der
Kgl. preuss. Landesaufnahme 1884. 1:100,000. Kpfrstu. col. Berlin
(Schropp) 1884. fol. (M. 1,50.)
Waldkarte von Isenburg bis Einsiedel im Anschluß« an die Karte des
Frankfurter Stadtwaldes. 1 : 33,333. Chromolitb. Frankfurt a.U
(Jaeger) 1884. fol. (M. 1.)
Plan von Wiesbaden. 1:11,000 Chromolith. Wiesbaden (Limbarth)
1884. 4. (50 Pf.)
Schott (G.), Promenaden -Karte von Wiesbaden. 1:25,000. (2. Aufl.)
Chromolitb. Wiesbaden (Feller & Gecks) 1884.' qu. gr. 4. (M. 1,20.)
Ravenstein (L.), Topographische Karte vom östlichen Taunus „Main-
Taunus".' 1 : 50,000. Chromolith. Frankfurt a./M. (Ravensteins geogr.
Anst) 1884. (auf Leinw. in Carton M. 6.)
— , Topographische Karte der Umgegend von Feldberg. 1:50,000.
Chromolith. Ebds. 4-. (60 Pf.)
— , von Homburg. 1:50,000. Chromolith. Ebds. fol. (M. 2.)
— , von Königstein und Soden. 1:50,000. Chromolith. Ebds.
fol. (M. 1,20.)
Königreich Sachsen. Thüringen. Grossherzogthum Hessen. 54 1
Fährer und Plan von Braunscbweig. 4. Aufl. Brannschweig (Meyer)
1884. Chromolith. fol. (75 Pf.)
Karte der Provinz Hannover mit den angrenzenden Gebieten Nordwest-
Deutschland. Nach Prof. Guthe's Angaben. Neue Ausg. Chromolith.
Hannover (Klindworth) 1884. fol. (SO Pf.)
Gier (H.), Plan der Kgl. Residenzstadt Hannover. 4 BD. Chromolith.
Hannover (Lindemann, in Comm.) 1884. fol. (M. 5.)
Karte der Stadt-Hannoverschen Forst „die Eilenriede". 1:10,000.
Chromolith. Hannover (Klindworth) 1884. qu. gr. fol. (M. 1,50.)
8 tolle's neueste Touristen-Karte, Orts- und Promenaden-Plan von Harz-
burg und Umgegend. 1:80,000. Chromolith. Harzburg (Stolle) 1884.
fol. (M. 1.)
Liebenow (W.\ Specialkarte des Grossherzth. Mecklenburg-Schwerin
und 8trelitz, sowie der freien Städte Hamburg und Lübeck nebst den
angrenzenden Landestheilen. 1 : 300,000. Lith. Hannover (Oppermann)
1884. fol. (M. 4,50; col. M. 5.)
— , — von Schleswig-Holstein und den angrenzenden Landestheilen.
1:300,000. Lith. Ebds. fol. (M. 3,50; polit col. M. 4; hist. col. M.5;
m. Terrain M. 4,50.)
Neue Specialkarte über das östliche Holstein. 1:80,000. Chromolith.
Kiel (Lipsius & Tischer) 1884. fol. (M. 1,80.)
Müller, Plan von Bremen und Umgegend in 4 Sectionen. Sect. I. u.
II. Nord-West 1 : 25,000. Chromolith. Bremen (v. Halem) 1884.
fol. (pr. cpl. 4 Sect. M. 5.)
Beneke (W.), Plan der vier Städte Hamburg, Altona, Ottensen und
Wandsbeck in der Ausdehnung von Hörn bis Neumühlen und von
den Eibinseln bis Winterhude. 1 : 10,000. Lith. Hamburg (Meissner)
1884. fol. (M. 6; auf Leinw. in Mappe M. 9.)
— , Plan von Hamburg und Altona. 1:10,000. Chromolith. Ebds.
1884. fol. (M. 1,50.)
Amtlicher Plan von Hamburg. 1: 1000. Her. von der Baudeputation.
Sect. Sieldeich, Heiligengeistfeld, Reiherstieg, Schulterblatt, Billhomer
Röhrendamm, Entenwärder, 8ternschanze , Belle Alliance, Alsterufer,
Allgemeines Krankenhaus, Peute, Billstrasse. Kpfrst. Ebds. 1884.
fol. (a M. 9.)
— von Hamburg und Umgebung. 1 : 4000. Her. von der Baudeputation.
Sect Rothenburgsort. Ebds. 1884. fol. (M. 3.)
Königreich Sachsen. Thüringen. Grossherzogtbum Hessen.
Topographische Karte des Königr. Sachsen. 1:25,000. Hrsg. durch das
K. Finanzministerium. Bearb. im topogr. Bureau des K. Generalstabes.
Kpfrst u. Chromolith. N. 5. Thammenhain. 6. Oganitz. 48. Meissen.
64. Tanneberg. 65. Wilsdruff. 82. Kreische. 99. Lichtenberg.
100. Dipoldiswalde. 101. Glashütte. 119. Altenberg. 120. Fürsten-
walde. Leipzig (Engelmann) 1884. (a M. 1,50; m. getuschten
Böschungen a M. 2.)
Bamberg (K.), Wandkarte des Königr. Sachsen in 9 Bll. 1:175,000.
5. Aufl. Chromolith. Berlin (Chun) 1884. fol. (M. 9; auf Leinw. in
Mappe M. 12,50 )
v. Bomsdorff (Th.), Karte des Königr. Sachsen. 1:260,000. 4 Bll.
7. Abdr. Mit Angabe der Gerichtsgrenzen. Chromolith. Leipzig
(Hinrichs, Verl.-Cto.) 1884. fol. (M. 4; auf Leinw. in Leinw.-Decke 6.)
Friede mann (H.), Schulwandkarte des Königr. Sachsen. 4 BN. 2. Aufl.
Chromolith. Dresden (Huhle) 1884. fol. (M. 6; auf Leinw. M. 11.)
542 Königreich Sachsen. Thüringen. Grossherzogthum Heuen.
Gaebler (£.), Schulkarte vom Königr. Sachsen, nebst Plan und Ueber-
sichtskarte der Umgegend der Stadt Leipzig. Leipzig-Neustadt (Gaebler)
1884. fol. (40 Pf.)
Mittel bach (R), Orts- und Entfernungskarte vom Königr. 8achsen~
1 : 150,000. Lith. u. col. Mit 1 Erginzungsbogen Text. SecL 2. Dres-
den. Sect. 5. Chemnitz. 6. Pirna u. Ölsnitz. Leipzig (Hinrichs, VerU-
Cto.) 1884. fol. (M.3,20.)
Lange (A.), Special- und Verkehrskarte vom Königr. Sachsen und den
angrenzenden Ländern, eingetheilt nach den Post-Tax-Quadraten, mit
Ortsyerzeichniss. 1 : 115,000. 12 Bll. Ghromolith. Dresden (Jaenicke)
1884. (M. 15; auf Leinw. m. Stäben M. 22.)
Elbstrom-Panorama von Aussig bis Meissen. Chromolith. Pirna (Scholts)
1884. fol. (M. 1,20.)
Neuester Plan von Dresden. 1: 10,000. Bearb. vom Stadtvermeseiuigs-
amte. Ausg. 1884. Lith. Dresden (Meinhold & S.) 1884. gr. FoL
(M.1)
Keil (W.), Elementar- Atlas für die Kreishauptmannschaft Dresden. Berlin
(Hofmann) 1884. 4. (90 Pf.)
— , Elementar -Atlas für die Kreishauptmannschaft Leipzig. 26 chro-
molith Karten. Berlin (Hofmann) 1884. 4. (90 Pf.)
Hetzel (G.) u. W. Rentsch, Plan von Leipzig. 1 : 7000. Ausg. 1884.
Kpfrst. Leipzig (Hinrichs, VerL-Cto.) 1884. fol. (80 Pf.)
Neuester Plan von Leipzig mit Karte von Umgegend und einem Plan von
Leipzig im J. 1813. Neue Ausg. Lith. Leipzig (Ehrlich) 1884. Fol.
(80 Pf.)
Busch 's Plan von Leipzig (in Vogelschaumanier). Chromolith. Leipzig
(Fleischer).
Rosenmüller, Topographische Karte der Umgegend von Leipzig in 1 BL
1 : 25,000. Chromolith. Leipzig (Giesecke & Devrient) 1884. fol.
(M. 8,60.)
Plan der Fabrik- und Handelsstadt Chemnitz. 1884. 1:10,000. Chromo-
lith. Chemnitz (Bülz) 1884. fol. (M. 1,40.)
Müller (A.), Plan der Stadt Döbeln. 1:6000. Chromolith. Döbeln
(8chmidt) 1884. fol. (M. 1,60.)
Special-Karte des Elsterthales von Plauen bis Elsterberg. 1:50,000.
Chromolith. Plauen (Neupert) 1884. fol. (M. 1.)
Plan von Elster. 1:5000. Chromolith. Ebds. 1884. foL (60 Pf .)
Plan der Kreisstadt Plauen. 1:6000. Ebds. 1884. fol.
Liebenow (W.), Karte der Provinz 8achsen, Grosshenogth. Sachsen-
Weimar, Herzogth. Sachsen-Coburg-Gotha, Meiningen, Alten-
burg, Herzogth. Anhalt, FÜrstenth. Schwarzburg und Reusa.
1:300,000. 2 Bll. Lith. Hannover (Oppermann) 1883. fol. (M. 6; col.
M. 8; in Carton M. 9; auf Leinw. M. 12 ; m. St&ben M. 14.)
Karte der Umgegend von Gera und Plan der Stadt Gera. 4. Aufl. Lith.
Gera (Beisewits) 1884. fol. (60 Pf.)
Plan der Residenzstadt Gotha. Neueste Aufl. Chromolith. Gotha (Windaus)
1884. fol. (80 Pf.)
Fils (A. W.), Höhenschichten-Karte vom Kreise Schleusingen. 1:80,000.
Lith. 8uhl (Kaufmann) 1884. fol. (M. 1,25.)
Karten von Bayern. Württemberg. Baden. EUass-Lothringen.
Positions-Karte vom Königr. Bayern. Bearb. im topogr. Bureau des KgL
Bayer. Generalstabes. 1 : 25,000. N. 524: Zöschingen; 525: WitUaliageB ;
558: Gundelfingen; 554: Dillingen, West; 555: Dillingen, Ost; 556: Wer-
Karten von Bayern. Württemberg. Baden. Elsass-Lothringen. 543
tingen; 583: Güniburg; 584: Bargau; 585: Altenmünster; 586: Weiden;
612: Ichenbanaen; 613: Jettingen; 614: Zusmarshausen ; 615: Hor-
gau; 640: Neuburg a. K. ; 641: Tannbansen; 643: Gessertshausen; 665:
Illertiasen; 666: Buch; 667: Krumbacb; 670: 8chwabmünchen; 689:
lllerreicher; 692: Pfaffenbauser; 693: Tnschenhausen ; 696: Scheuring;
712: Fellheim; 713: Sontheim; 714: Mindelheim; 715: Mattries; 716:
Bnchlos. Photolith. München (Lit-arÜst Anstalt) 1883. fol. (a M. 1,5.)
Mayer (W.), Neueste Eisenbabnkarte von Bayern. 1 : 1,000,000. Lith. n.
col. Augsburg (Kransfelder) 1884. - fol. (M. 1,20.)
Oblenscblager (F.), Prähistorische Karte von Bayern. 3. Lief. Schwein-
furt. Würzburg. 8choeusee. München (Lit-artist. Anstalt) 1884. fol.
m. Text 4. (M. 5.)
Neuester Plan von München mit leichtester Orientirungs - Eintheilung.
2. Aufl. Chromolith. München (Palm) 1884. fol. (M. 1.)
8 aller (L.), Karte von München* s Umgebung topographisch, historisch
und archaeologisch dargestellt 1 : 75,000. Chromolith. München
(Fritsch) 1884. fol. (M. 1,50.)
Pfeiffer (G.), Karte von Mittelfranken. Lith. u. col. Fürth (Kühl)
1884. 4. (10 Pf.)
Panorama der Berchtesgadener Alpen. Aufgenommen von Q. v. Besold.
ausgeführt von L. 8 ai ler. Lith. München (Fritsch) 1884. fol. (60 Pf.)
Welsbacher (C.), Specialkarte des Spessart. I : 100,000. 4. Aufl.
Chromolith. Frankfurt a. M. (Jaeger) 1884. fol. (M. 1,50.)
Neuester Plan von Fürth. Lith. Fürth (Kühl) 1884. fol. (M. 1.)
Menth (C. A.), Neueste und billigste Specialkarte der bayerischen Rhein-
pfalz. 2. Aufl. Chromolith. Kaiserslautern (Gotthold) 1883. fol.
(M. 1,50.)
Hensler (G.), Schulkarte von Württemberg, Baden und Hohen-
% oller n. 9. Aufl. Chromolith. Heilbronn (Scheurlen) 1884. fol.
(35 Pf.)
Kleine Karte von Württemberg, Baden und HohenaoUern. 1 : 815,000.
Neue Aufl. 1884. Lith. u. col. Freiburg i. Br. (Herder) 1884. fol.
(40 Pf.)
W a e 1 d e , Touristenkarte vom württembergischen Murgthalgebiet
1:50,000. Chromolith. Freudenstadt (Schlaets) 1884. fol. (M. 1.)
Handkarte des Oberamts Urach. 1: 80,000. Chromolith. Stuttgart (Linde-
mann) 1884. fol. (50 Pf.)
Heid, Plan von Reutlingen mit einer kursen Beschreibung der Sehens-
würdigkeiten der Stadt und ihrer Umgebung. Beutlingen (Kodier)
1884. 8. (60 Pf.)
Bundsicht vom Hohenstaufen. Litb. Göppingen (Herwig) 1884. fol.
(M. 2.)
Schott (G.), Karte des mittleren Schwarawaldes. 1. Nördlicher Thl.
1:75,000. Strasburg (v. Wilmowski) 1884. fol. (M. 1.)
Touristenkarte des unteren Schwarswaldes, Ena-, Nagold-, Murgthal.
1 : 100,000. Chromolith. Pforzheim (Riecker) 1884. fol. (M. 2,50.)!
Bofinger, Die schwäbische Alb. Ein Wegweiser von HohenaoUern bis
zum Reissenstein. 1 : 100,000. Chromolith. Reutlingen (Kocher) 1884.
fol. (M. 1,50.)
Woerl (J. E.), Karte der Landschaft Freiburg im Breisgau 6 Stunden
im Umkreis. 1 : 100,000 Lith. Freiburg i. Br. (Herder) 1884. fol.
(M. 2,50)
Fritschi (J. N.), Topographische Karte der Umgebungen von Baden-
Baden. 1:37,500. 4. Abdr. Chromolith. Stuttgart (Schweiserbart)
1884. fol. (M. 3.)
544 Karten von Österreich-Ungarn.
Habenicht (H.\ Generalkarten der Staaten und Provinzen des Deutschen
Reiches. N. 17. Elsass-Lothringen. 1: 500,000. Chromolith.
Gotha (Perthes) 1884. gr. fol. (M. 1.)
Kirchner (M.), Das ReichsTand Elsass-Lothringen nach seiner terri-
torialen Gestaltung von 1648 bis 1789. 1 : 150,000. 4 Bll. Chromo-
lith. Strassburg (Trübner) 1883. föl. (M. 8.)
Plan der Stadt Strassburg nebst Erweiterung. Mit einem Überoickts-
kärtchen der Umgebung. 5. Aufl. Chromolith. Strassburg (Trfibner)
1884. fol. (M. 1.)
Karten von Österreich-Ungarn.
Specialkarte der österreichisch-ungarischen Monarchie. 1:75,000.
Zone 3, Kol. XI: Böhmisch Leipa. 4, Kol. VIII: Kaada. 5, Kol. VII I.-
Karlsbad, IX. Podersam. 6, VIII: Teplitz, IX: Kralowitz, X: Be-
raun, XI: Königsaal. 7, IX: Pilsen, X: Pribram, XI: Selcan. 8, IX:
Nepomuk, X: Pisek, XI: Tabor. 9, VIII: Eisenstein, IX: 8chutten-
hofen, X: Protiwin. 10, IX: Kuschwarda, X. Krömau. 15, XVI:
KapuvAr. 16, XIV: Hartberg, XVI: Sarvar. 18, XIV: Gleichenberg.
20, XIII: Pragerhof, XV: Warasdin. 21, XIII: Rohitsch, XIV: Zlatar,
XV: Kreuz, XVI: St. Georgen. 22, XII: Rudolftwerth, XIII: Gurk-
feld, XVI: Belovar, XVII: Bares. 23, XII: Gottsehee, XIII: Jaska,
XIV: Lekenik, XV: Kloster Ivanic, XVI: Darnvar, XVIII: Orahorica,
XIX: Esseg. 24, IX: Cittanuova, X: Pinguente, XI: Fiume, XIV:
Petrinja, XV: Sisek, XVI: Pakrac, XIX: Djafcovo. 25, IX: Parenzo,
X: Pisino, XII: Brinje. 26, IX: Fasana, X: Pola. 27, X: Unie.
Heliogr. in Kupfer, col. Wien (Milifc-Geogr. Inst. R. Lechner) 1882/83.
(a fl. 0,50.)
Trampler (R.), Atlas der österreichisch-ungarischen Monarchie.
(Mittel-Europa, Europa und Planigloben.) Für Volksschulen. Wien
(K. K. Hof- u. Staatsdr.) 1883. qn. Fol. (M. 1,40.)
Ghavanne (J.), Physikalisch -statistisoher Hand-Atlas von Österreich-
Ungarn. 4. Lief. Wien (Hölzel) 1883. fol. (M. 7.)
Dolezal-Berghaus-Gönczy, Wandkarte der österreichisch-angari-
schen Monarchie. 1:864,000. 9 Sectionen. 2. Aufl. Chromolith.
Gotha (Perthes) 1884. qu.gr. fol. <M. 7; aufLeinw. in Mappe M. 12.)
(ungarisch.)
HölseTs Eisenbahnkarte von Österreich-Ungarn. Ausg. 1884. Chromo-
lith. Wien (Hölzel). fol. (M. 2.)
Beer (J.), Eisenbahnkarte der österreichisch-ungarischen Monar-
chie. 1:1,228,000. 2 Bll. Chromolith. Wien (Hartleben) 1884. fol.
(M. 5,40); auf Leinw. in Carton M. 10; m. Rollstäben M. 11.)
Post- und Eisenbahnkarte der österreichisch-ungarischen Monarchie,
Her. vom Post-Cours-Bureau des K. K. Handelsministeriums. Neubearb.
von W. Krauss, v. J. Broditzky und W. Eisner. 1:576,000.
16 Bll. Lith. u. col. Wien (v. Wald heim) 1884. qu. gr. fol. (M. 12.)
Neueste Reisekarte der österreichisch - ungarischen Monarchie.
Ausg. 1884. Chromolith. Wien (Perles) 1884. fol. (M. 1,20.)
Ravenstein's Karte der steierischen Alpen und der Karawanken.
Chromolith. Frankfurt a. M. (Ravenstein) 1884. fol. (M. 5; auf Leinw.
in Leinw.-Carton M. 6.)
— Karte der Österreichischen Alpen und des Wiener Waldes.
Chromolith. Ebds. 18S4. (M. 5; auf Leinw. in Leinw.-Cart. M. 6.)
Zikmund (V.), Karte der Zuckerfabriken und Raffinerien Öet erreich -Un-
garns. 1:600,000. Chromolith. Prag (Andre') 1883. foL (H. 10.)
Karten von Österreich- Ungarn. $45
Zechner (F.), Übersichtskarte der in Österreich verliehenen Bergbau«.
1 : 1,000,000. 4 Bll. Chrom olith. Wien (Hölzel) 1884. fol. (in Mappe
M. 14; auf Leinw. in Mappe M. 18).
Hofstätter (L.), Gerichts- und Gendarmeriekarte. BI. 1. 2. 1 : 600,000.
Chromolith. Wien (Artaria & Co.) 1884. fol. (a M. 1,50.)
-, Militär -Territorial -Karte. 2 Bll. Das 10. Armee -Corps. 1:600,000.
Chromolith. Ebda. 1884. fol. (M. 1,50.)
Erben(J.), Atlas der 89K.K.BezirkshauptmannschaftenBöh mens. 1 : 100,000.
7. Hft. Jungbunzlau, Turnati, Semil. Chromolith. Tabor (Jansky) 1884.
fol. (M. 2.)
Wagn er (J. £.), Neueste Eisenbahn- und Strassenkarte von Böhmen. 4. Ausg.
Chromolith. Prag (Kytka) 1884. fol. (M. 1,20.)
Hurtig (A.), Situationsplan der Kgl.vHauptstadt Prag, sowie von Smichow,
Karolinenthal, Kgl, Weinberge, Zizkow und Näsle. 1 : 4000. 9 Bll. Ebda.
fol. (M. 8. ; auf Leinw. in Mappe M. 13,40.)
Rehatschek (K.), Plan der Stadt Aussig. 1:8600. Chromolith. Aussig
(Grobmann) 1884. qu. Fol. (40 Pf.)
Umgebungskarte von Komotau. Herausgeg. vom K. K. militär-geogr.
Institut in Wien. 1:75,000. Lith. Wien (Lechner) 1884. fol.
(M. .1,60.)
Umgebungskarte von Mähr iscli-Schönb erg. Herausgeg. vom K. K. militär-
geogr. Institut 1:75,000. Lith. Ebds. 1884. fol. (M. 1,60.)
Special- Karte su den Corps-Manövern an der unteren March 1884. Chromo-
lith. Ebds. 1884.. fol. (M. 2,40.)
v. Haradauer (C), Kartographie auf der historischen Ausstellung der Stadt
Wien 1883 aus Anläse der 2. Säcularfeier der Befreiung von den Türken;
mit ausführlichen Biographien der beiden Kartographen Daniel Suttinger
und Leander Anguiscola. — Miuhl. d. Wiener geogr. Ges. XXVII. 1884.
p. 89.
Neuester Plan der K. K. Reichs -Haupt- und Residenzstadt Wien und der
Vororte mit. Angabe der Häusernumerirung und vollständigem Strassen-
verzeichniss. 13. Aufl. 1884- Chromolith. Wien (Teufen) 1884. fol.
(60 Pf.; cart. M. 1.)
Plan von Wien und der nächsten Umgebung. 7. Aufl. Chromolith. Wien
(Braumüller) 1884. qu. Fol. (M. 1.)
Plan von Wien mit den Hausnummern. 1884. Chromolith. Wien (Hölzel)
1884. fol. (M. 2.)
Michels (Ch.), Spezielle Gebirge-, Post- und Eisenbahn -Reise- Karte der
Alpen. Tirol mit den angrenzenden Theilen von Bayern, Salzburg, Steier-
mark, Kärnthen, Krain etc. 1:600,000. 6. Aufl. Kupferst. u. ool.
München (Finsterlin) 1884. fol. (M. 2,50,)
Petters (H.), Karte von Tirol und den angrenzenden Ländern. 1 : 850,000.
Chromolith. Berlin (Schropp) 1884. fol. (M. 3.)
Panorama von Meran, gez. von F. Plant 2. Aufl. Photogr. Imitation. Meran
(Plant) 1884. : fol. . (M. 3,60.)
Umgebungskarte von Bozen. Herausg. vom K. K. militär.- geogr. Institut
in Wien. 1:75,000. Lith. Wien (Lechner) 1884. fol. (M. 1,60.)
Kinkelin (A.), Distanzen-Karte für die Umgebung von Lindau undBregenz.
Lith. Lindau (Stettner) 1884. fol. (60 Pf.)
£arte der Arlbergbahn und RJieinthalbahn. Lith. Zürich (Orell, Füssli
& Co.) 1884. fol. (M. 2,50.)
Meorer (J.) u. G. Freytag, Special-Karte der Ortler-Alpen. 1 : 50,000.
Chromolith. Wien (Hartleben) 1884. fol. (M. 1,80.)
Pogliaghi (P.), Carta topogr. del gruppo Ortier-Cevedale. 1:40*000,
Milano (Sacchi) 1884.
546 Karten der Schweiz und von Frankreich.
Karte von Kirnten. 1 : 800,000. Chromolith. Wien (Hartleben) 1884. fbL
(90 Pf.)
Neuester Plan von Gras nnd nächster Umgebung. Chromolith. Gras (Leykam)
1884. fol. (M. 2.)
Nnova pianta stradale diTrieste. 1884. Chromolith. Triest (Dase). fol
(M. 1,60.)
Karten der Schweia. (Alpen.)
Tschudy (A.), Seh weiser karte tob 1588. Beprodnction in Photolith.
10 BU. Zürich (Hofer & Bürger) 1883. foL (M. 9.)
Steinhäuser (A.), Wandkarte der Alpen. 1:500,000. Ausg. 1884. 9 BU.
Lith. n. ool. Wien (Artoria & Co.) 1884. fol. (M. 15.)
Leeder (E.), Wandkarte der Alpen. 1:750,000. 6 BU. Chromolith.
Essen (BSdeker) 1888. fol. (M. 10; anf Leinw. in Mappe M. 17; mit
Stfben M. 20.)
Petong (B), Übersichtskarte des Alpengebietes. 10 BU. Chromolith.
1 : 506,000. Elberfeld (Fassbender) 1884. fol. (M. 6.)
Topographischer Atlas der 8chweis, unter Direction von Siegfried ver-
öffentlicht. 1 : 25,000. 24. u. 25. Lief. Bern (Dalp) 1884. qu. gr. Fol.
(M. 12,80.)
Leusinger (R.), Relief-Karte der Schwei«. 1:530,000. Chromolith.
Zürich (Wurster & Co.) 1884. Im p. -Fol. (M. 8.)
Keller (H.), 2. Reisekarte der Schwele. 1:440,000. Kupferst. u. col. Ausg.
1884. Zürich (Keller), fol. (M. 4,80.)
Statistischer Atlas der 8 ch weis in kartographischer Darstellung anf Grund-
lage von J. Randegger's Karte der Schweiz. 1 : 600,000. 1. Thl. 1. Liet
Zürich (Wurster & Co.) 1884. fol. (M. 10.)
Alpen, aus den. Ansichten aus der Alpen weit nach Aquarell- und Oelge-
mftlden von F. Alt u. A. 2. Aufl. 7. Lief. Wien (Hölael) 1884. fol.
(M. 8; einsehe BU. auf Carton M. 3; ohne Carton M. 2,80.)
Waltenberger (A.), Karte vom Bodensee. Lith. Lindau (Stettner) 1884.
4. (80 Pf.)
— , Gebirgspanorama vom Hafen in Lindau und vom Pfänder aus gesehen.
Lith. Ebds. 1884. fol. (50 Pf.)
Quartier- und Strassen -Plan der Stadt Bern. 1 : 6250. 2. Aufl. Chromo-
lith. Bern (Huber & Co.) 1884. Fol. (M. 1,50.)
Ziegler (J. M.), Karte des Kantons Zürich. 1 : 125,000. Neue Aufl. 1884.
Kupferst u. col. Zürich (Wurster & Co.) 1884. fol. (M. 8.)
Imfeid (X.), Vue panoramique prise dn sommet des rochers de Nave.
Lausanne (Benda) 1883. (fr. 7.)
Karten von Frankreich.
Bonnefont (L.), Carte mnrale de 1a France. 1:1,200,000. Paris
(Basin) 1884.
Barbier (J. V.), France. 1 : 500,000. Nancy (Soc. de geogr.) 1884.
St. Martin (Vivien de): Carte de France. 1:1,250,000 contenant: le
relief du sol, les voies de communication, les chemins de fer, les routei
et canaux, les divisions administratives. 4 BU. Paris (Hachette) 1884.
(fr. 15.)
Levasseur (E.), Carte murale scolaire de la France. 1:600,000. Paris
(Delagrave) 1884. (fr. 13,50.)
Vasques-Lalo (A.), Petit atlas progressif du departement dn Nord, avee
texte provisoire et questionnaire. Lille (Gnillot) 1884.
Karten von Belgien and den Niederlanden. 547
Com u (F.), Carte viticole et yinicole de la Champagne. Epernay (Bonne-
dame) 1884.
Plan de l'embouchure de la Seine. Paris, Depot de la Marine 1884.
(N. 3968.)
Beckerich (A.), Carte de la Meuse. Bar-le-Duc (Lemoine) 1884. (fr. 8;
auf Leinw. fr. 12.)
Cöte de France: Embouchure de la Loire. Partie nord. (N. 8942) Partie
snd (N.8943). Paris, Depot de la Marine. 1884.
Cours de la Loire de Paimboenf a Nantes. 2 Bll. Ebds. 1883. (N. 3939.
3940.) (afr. 2.)
Cours de la Loire, de Hie Massereau k Nantes. 1» fenille. (N. 3939.)
— Dass. de Paimboenf a Plle Massereau. 2« fenille. (N. 8940.) —
Dass. 3« fenille. de Saint-Nazaire a Paimboenf. (N.3941.) Ebds. 1884.
Rades du Lazaret et de Pauillac, Qironde. Ebds. 1884. (N. 3963.)
Baie de Marseille. Ebds. 1884. (N. 8967.)
Karten von Belgien nnd den Niederlanden.
Pe'rigot (C.)& L. Pire*, Atlas llementaire de la Belgique a 1'oBage de
tontes les ecoles beiges, d'apres les mlthodes les plns nouYelles. 24 8.
m. 12 Karten. Paris (Delagrave) 1884. 4.
Carte de la Belgique. 9 Bll. Brnzelles (Callewaert) 1883. (fr. 30.)
Petit, Carte de la partie mendionale de la mer du Nord des odtes de la
Flandre et de l'Escaut. 1:300,000 und 1: 150,000. Bruxelles (Instit.
National) 1884.
Waterstaatskaart Tan Nederland, uitgeg. op last van s. Ezc. den Minister
van Waterstaat, Handel enNijverheid. Bl. Aalten. 1.— 8. Bl. Steenwijk.
N. 4. Bl. Qroenlo. 3. 4. Bl. Rotterdam I. 's Gravenhage (Qebr. van
Cleef) 1883. (a fr. 1,50.)
Revierkaarten. Bl. 13. Lek. Yianen. 1:10,000. Bl. 14. Lek. Bl. 16.
Lek (Lekkerkerk). Bl. 16. Lek (Schoonhoven). Bl. 31. Boven-Maas
(Driel). Bl. 32. Hoven-Maas (Hedel.) Ebds. 1383/84. (a f. 1.)
Kuyper (J.)9 Atlas van Nederland, yolgens de nieuwe spelregels. 12
kaarten. Haarlem (Tjeenk Willink) 1882. (f. 1,65.)
Witkamp (P. H.), Nederland. Hoog binnensrands l,o0 en breed 1,56 M.
in 6 Bll. met 3 cartons. Arabern (Voltelen) 1882. (f. 8.)
Zeegat van den Hoek van Holland. Hydrographische kaart. 1:7500,
naar de opname in October 1883 door Ihr. T. E. Brauw en J. W. A.
F. v. Maren B. v. d. Berg. Uitgeg. door het Ministerie van Marine,
afdeeling Hydrographie, 's Gravenhage (Gebr. Tan Cleef) 1883. (f. 1.)
Schouwenbank. Met de buitengronden en zeegaten van Walcheren tot
den Hoek van Holland. Hydrographische kaart. Uitgeg. door het Mi-
nisterie van Marine. Ebds. 1884. (f. 2.)
Beschrijving van de Zeegaten van Goeree en Maas. Uitgeg. door
het Ministerie van Marine, afdeeling Hydrographie. Ebds. 1883.
(f 0,25.)
Wandelkaart van Amersfoort en omstreken. 1:30,000. Amersfoort
(Blankenberg & Z. en Berends) 1884. (f. 0,90.)
Nieuwe plattegrond van Utrecht, met volledige nauwkeurig saamengestelde
lijsten van Straten, pleinen etc. Utrecht (Dieb!) 1884. (f. 0,75.)
Kaart van de Provincie Overijssel, met aandniding van de vergchillende
waterschappen , dijksdistricten en polders 1184. Z wolle (Tijl) 1884.
(f. 1,50.) ■
Masset (G. J), Sohoolkaart van Limburg. 1:75,000. 6 Bll. Maastricht
(Rosenkranz 1883. (f. 7.)
548 Karten von Grossbritannien und de« nördl. und östi. Europa**.
Karten von Grossbritannien.
(Die Zusammenstellung der 1-, 6- und 25- incb County und Parish Msps,
sowie der Town Plans findet sich in jedem Hefte der Proceedings of the
Roy. Geogr. Society.)
Philip 's Cyclist's map of the Country and about London. London (Philip)
1884. (1 s.)
Pocket guido and diamond map of London. London (Wilson). 24.
(1 s.)
England west coast: Milford hären. London (Hydrogr. Office.) 1884.
(N. 2393.) (2 s. 6d.)
— , River Thames: Sea reach. Ebds. 1884. (N. 1185.) (2 s. 6 d.)
— , west coast: Lynmouth. Porlock. Minnehead. Watchet Ebds.
1884. (N. 1181.) (ls. 6d.)
Sc o tland , east coast: Montrose harbour. Ebds. 1884. (N. 1444.) (ls.)
— , — : Stonehaven bay. Ebds. 1884. (N. 1443.) (1 s.)
— , — : Peterhead. Ebds. 1884. (N. 1438.) (1 s. 6 d.)
-, — : Fraserburgh. Ebds. 1884. (N. 1439.) ls. 6d.)
Ireland, east coast: Approaches to Wexford harbour. Ebds. 1884.
(N.1772.) (2 s. 6d.)
_, — : Wicklow to Skerries Islands with Dublin bay. Ebds. 1884.
(N.1468.) (2 s. 6d.)
— , — : Skerries islands to lough Carlinford, with Dundalk bay. Ebds.
(N. 44.) 1884. (2 s. 6 d.)
— , — : Wicklow roadstead and harbour. Ebds. (N. 52.) 1884. (6 d.)
Fraser's Road and Railway Map of Ireland. Specially suitable for
Tourists and Bicyclists. Dublin (Gill) 1883. (1 s.)
Karten des nordlichen und ostlichen Earopa's.
Mer du Nord. Partie mendionale. Paris (DepOt de la Marine) 1881.
(N. 3928.)
Dan mark. Generalstabens Atlasblade. 1:40,000. Bl. Fjellerup, Framleo,
Frijsenborg, Hoed, Torning, Tvilum. Kopenhagen (Tryde) 1884.
(a Kr. 1,65.)
Roth (M.), Karte öfver Norden. 8 Bl. Stockholm (Norstedt) 1884.
(Kr. 10.)
Michow (H.), Die Kitesten Karten von Russland. Ein Beitrag sur histori-
schen Geographie. Hamburg (Friederichsen & Co.) 1884. 8. (M. 4.)
vgl; MiUhl. der geogr. Qes. in Hamburg. 1882/83. p. 102.
Ziegler (J. M.), Karte des russischen Reiches in Europa. 1 : 4,475,000.
Ausg. 1884. 2 Bli. Kpfrst u. col. Leipzig (Hinrichs, VerL-Cto.) 1884.
fol (M. 2.\
Die Eisenbahnen des europäischen Russland mit Theilen der angrensen-
den Lander und Kleinasiens. Chromolith. Ausg. 1884. Wien (Ar-
taria * Co.). fol. (M. 1,50.)
Seekarten der kaiserl. deutschen Admiralität, her. vom hydrographischen
Amte. N. 79. Die Ostsee. Der finnische Meerbusen. 1:600,000.
Kpfrst. Berlin (D. Reimer) 1884. fol. (M. 1,50.)
Tillo(A.), Höhenkarte des europäischen Russland. 6BU. 1:2,520,000.
St. Petersburg (Minist, d. Kommunikationsstrassen) 1884. (rassisch.)
Frey tag (G. J.), General- und Strassenkarte von Westrussland und den
angrenzenden Ländern bis Wien und Budapest 1:1,500,000, Chromo-
lith. Wien (Artaria & Co.) 1883. fol. (M. 2,60.)
Karten der südlichen LXnder Europa'». 549
Freytag (G. J.), Karte von Westrassland. Hydrographische Ausg.
Chromolith. Wien (Artaria & Co.) 1883. fol. (80 Pf.; orohydrograph.
Ansg. M. 1,60.)
Black Sea: Dniester estnary. London (Hydrogr. Office) 1884. (N. 2208.)
(1 s. 6 d.)
Karten der sudlichen Lander Enropa's.
Wallon (E.), Carte des Pyrlnees, oomprenant les denz versants da massif
central, depnis Navarre jnaqn'a la vallle d'Anre. 1 : 150,000. Mon-
Unhan 1884.
Spain, east coast. Ports Conte and Algher o. PortAlghero. Port Torres.
London (Hydrogr. Office) 1884. (N. 1128.) (1 s.)
-, sonth coast: Cartagena harbonr. Ebds. 1884. (N. 1194.) (1 s. 6 d.)
— , east coast: Salon road; Ampolla road and port Fangar; Torrevieja
road, Estacio and Grosa island roads. Ebds. 1884. (N. 1458.) (1 s.)
Cdte est d'Espagne: Port de Vinaros. Paris (Depot de la Marine) 1884.
(N. 4008.)
Spain, east coast: Collera anchorage; Benicasim road; Colnmbretes Is-
lands; Port Denia. Washington (Hydrogr. Office) 1884. (N. 148.)
p. 0,20.)
-, Port of Tarragona. London (Hydrogr. Office) 1884. (N. 844.) (1 s. 6 d.)
MerMäditerranäe: Cdte 8E d'Espagne. Port de Carthagene. Paris (Depot
de la Marine) 1884. (N. 4032.)
Port de Malaga. C6te snd d'Espagne. Ebds. 1883. (N. 3982.) (fr. 1.)
Espaffa: Piano de la concha y pnerto de San Sebastien. Madrid
(Direccion de hidrogr.). 1884. (N. 19 A.)
Piano del cabo de Palos y de las islas Hormigas. Ebds. 1884.
/jt g|87 \
Carta de las Islas Baleares. Ebds. 1884. (N. 69*.)
Mayr(E.), Schalwandkarte von Italien. 1 : 1,000,000. 4 B1I. Chromolith.
Miltenberg (Halbig) 1884. fol. (M. 10.)
Carta d'Italia. BL 27: Monte Bianco 1:50,000; Bl. 112, I. NW: Palaja,
NE: Castelnovo, SW: Peccioli, 8E: Montajone; IV, NW.: Colle
Salvetti, NE; Pontedera, SE: Lari. Firenze (InstU. topogr. milit.)
1883.
Wnhrer (L.), L'Italie. 1 : 600,000. 2 BU. Paris (Andrivean-Goujon) 1884.
Campiglio (P.), Carta delle circonscrizioni militari del Begno d'Italia.
6 BU. 1 : 1,100,000. Roma 1883.
Kastenkarte des Adriatischen Meeres. Her. vom hydrograph. Amt der
K. K. Kriegsmarine, Seekarten - Depot Pola. N. 1. Golf von Triest
2. Umago und Parenzo. 3. Orsera nnd Rovigno. 4. Pola. 5. Golf
Ton Medolino. Kpfrst Triest (Schimpff) 1884. fol. (a M. 1,20.)
Hafenpläne des Adriatischen Meeres. 1. Hafen von Triest und Bai von
Mnggia. 2. Hftfen von Pirano, Umago, Quieto nnd Orsera, Ebds.
Kpfrst. 1884. fol. (a M. 1,20.)
Mer Adriatiqne: Partie nord. Paris (D4p6t de la Marine) 1883. (N. 3975.)
Specialkarte der Gegend von Venedig bis Chioggia. 1:86,400. Chromo-
lith. Glogan (Flemming) 1884. fol. (50 Pf.)
Cdte est d'Italie: De Barletta a Brindisi. Paris (Dtfptt de la Marine) 1884.
(N. 4005.)
Mer Adriatiqne. Cdt est d'Italie, d'Ortona a Barletta. Ebds. 1884.
(N. 4004.)
Carta de la costa occidental de l'Italia desde Civita Vecchia ä Policastro.
Madrid, (Direccion de hidrogr.) 1884. (N. 825.)
ZeitMhr. d. Gcselboh. I Brdk. Bd. XIZ. 3$
550 Karten von Asien.
Fustinoni, Gran carta topogr. della provincia di Como. 6 Bll. 1 : 64,800.
Zürich (Keller) 1884. (M. 10.)
Cherubini (Gl.), Carta in rilievo dei Laghi Lombardi e della ferrovia
del Gottardo. Torino (Favale) 1884. (1. 55.)
Pianta della provincia delP Umbria nella proporzione di 1 a 28,000, con tutte
le vie di communiasione etc. Foligni 1884. (L 2,50.)
Galli (P.) e A. Capparelli, Carta topogr. dell* iaola d'Ischia. Firenze
Oitogr. Benelli) 1883. (1. 0,75.)
Sohr (K.), Generalkarte der Balkanhalbinsel. Grosse Ausg. 1 : 1,700,000.
Chromolith. Glogau (Flemming) 1884. Imp.-Fol. (M. 1,80.)
Plan von 8erajevo. Reduction der Katastral- Aufnahme aus dem J. 1882.
1 : 3125. 15 chromolith. BU. Wien (Lechner) 1884. fol. (M. 30.)
Karten von Attika. Herausgeg. von £. Curtius und J. A. Kauper t
3. Heft 5 Karten. 1:25,000. Berlin (D. Reimer) 1884. fol. (M. 12.)
Steffen, Zwei Karten von Mykenai. Chromolith. Berlin (D. Reimer) 1884.
fol. m. Text. Nebst einem Anhang über die Kontoporeia und das
my kenisch -korinthische Bergland von H. Lolling. . 4. (M. 12.)
Greece, east coast: Salamis strait and Giorgio Channel. London (Hydrogr.
Office) 1884. (N. 894.) (6 d.)
Mer Mäditerranee : Abords et entree des Dardanelles. Paris (Depot de
la Marine) 1884. (N. 3978.)
— , Detroit des Dardanelles, de la pointe Kephez a la mer de Mannan.
Golfe de Saros. Ebds. 1884. N. 3989.
Karten von Asien.
Carta del Ocäano Indico, hoja IV (Australia). Madrid (Direccion de
hidrogr.) 1884. (N.457*.)
Kiepert (H.), Politische Schul- Wandkarte von Asien. 1: 8,000,000. 9 Bll.
2. Aufl. Chromolith. BerUn (D. Reimer) 1884. fol. (M. 12.)
Bamberg (K.), Wandkarte von Asien in 16 Bll. Physikalische Ausg. m.
polit. Colorit 1 : 6,700,000. 5. Aufl. Chromolith. Berlin (Chun) 1884.
fol. (M. 15; auf Leinw. in Mappe M. 20.)
Kiepert (H.), Nouvelle carte generale des provinces asiatiques de Fempire
ottoman (sans l'Arabie). 6 feuilles. 1 : 1,500,000. Avec un aperfa
general de la division administrative. Chromolith. Berlin (D. Reimer)
1884. fol. (M. 10.)
Bamberg (K.), Schulwandkarte von Palästina im biblischen . Zeitalter. Mit
Begleitwort von G. Coordes. 1 : 250,000. 9 Bll. Chromolith. Berlin
(Chun) 1884. (M. 10; auf Leinw. in Mappe M. 15.)
Le Camus, Carte de la Palestine aux temps de Jesus Christ d'apres
les travauz topographiques les plus re*cents. Paris (Poussielgae) 1884.
Schade (Th.), Schul - Wandkarte von Palästina in 6 Bll. Chromolith.
Glogau (Flemming) 1884. foL (M. 6; m. rohen Holzrollen M. 11,50.)
India, west coast: Agoada to St. George Islands, including Marmngao
and Goa roadstead. London (Hydrogr. Office) 1884. (N. 492.) (ls.6d.}
India, west coast: Karachi harbour. Ebds. 1884. (N. 40.) (2 a. 6 d.)
North -west Pacific: Kamchatka to Kodiak island, including Bering
strait. Ebds. 1884. (N. 2460.) (2 s.)
China, Hong-Kong: Hong-Kong road. Ebds. 1884. (N. 1459.) (1 s. 6d.)
Korea: Approaches to Seoul, with Sir James Hall group and Tatoag
river. Ebds. 1884. (N. 1258.) (8 s. 6 d.)
Japan: Naka Koshiki and Tatsu Maru. Aburatsu harbour. Ebds.
1884. (N.626.) (1 s.)
Karten von Asien. 551
Japan: Harbours and anchorages on the north west coast of Nipon. Miyadsu
harbor and Port Ine. Washington (Hydrogr. Office) 1884. (N. 267.)
-: Anchorages in Bingo Nada and Suwo Nada, Seto Uehi or Inland sea;
Tomo roads and harbor in the Bingo Nada; Hirne Sima roads in the
Suwo Nada. Ebds. IS 34. (N.648*.)
Sado island and adjacent coast of Nipon. (plans, Sakata harbour. Ogi
bay. Niegata roadstead. Kamo harbour.) London (Hydrogr. Office)
1884. (N. 536.) (1 s. 6 d.)
Carta del golfd de Tokio 6 Jedo. Madrid (Direccion de hidrogr.) 1884
(N. 820.)
Map of China, Tonquin, and Cochin China. With Statistical notes.
London (W. & A. K. Johnston) 1884. (1 s.)
Golfe du Tonkin: Baie de Ha-Long. Paris (Depot de la Marine) 1884.
(N.4027.)
-: Baie d'Hone Goy. Ebds. 1884. (N. 4011.)
— : Passe du Volta, de l'entree profonde au monillage de la baie d'Halong.
Ebds. 1884. (N.4012.)
-: Port Bayard. Ebds. 1884. N. 4013.)
— : Baie de Lan Ha et entree sud de la baie de Ha-Long. Ebds. 1884.
(N. 4020.)
-: Archipel des Fai-Tsi-Long. Chenaux inteneurs entre Ha-Long et Ke-
bao. Ebds. 1884. (N. 4022.)
— : Grande baie de Fai-Tsi-Long. Chenaux inteneurs entre Tile del'Aigle
et la baie de Ha-Long. Ebds. 1884. (N.4023.)
— - Grande baie de Fai-Tsi-Long. Chenaux interieurs entre Keboa et Tile
de PAigle. Ebds. 1884. (N. 4026.)
— : Chenaux et mouillages entre les baies de Holang, Home Gaye et Fai-
Tsi-Long. Ebds. 1884. (N. 4010.)
Mer de Chine: Golfe du Tonkin. Baie du Parseval. Ebds. 1884.
(N. 4024.)
Carta del «strecho de Sonda. Madrid (Direccion de hidrogr.) 1884.
(N.473*.)
Dornsei ffen (8.), Atlas van Nederlandsch Oost- en West-Indie. 3« druk.
1« afl. Amsterdam (Seijffardt) 1884. (ä f. 0,85.)
Hydrographische kaart van Straat Soenda en Z. W. gedeelte der Java-
Zee, samengesteld door en onder directie van A. R. Blommendal.
1 : 300,000. 's Gravenhage (Gebr. van Cleef) 1884. (f. 1,50.)
Borneo, north coast: Kudat harbour. London (Hydrogr. Office) 1884.
(N. 946.) (1 s.)
— : Piano del puerto de Sandakan. Madrid (Direccion de hidrogr.) 1884.
(N.47a.)
Eastern Archipelago: Gaspar strait. London (Hydrogr. Office) 1884.
(N. 2137.) (2 s. 6 d.)
Kaart van het gedeelte Java en Sumatra, geteisterd door de vulkanische
mtbarating in 1883. 1 : 500,000. Tezamengesteld volgens de laatste
gegeveng door den Directeur der Topograph. Inrichting C. A. Eckstein.
Uitgeg. ten voordelen der Noodlijdenden. 's Gravenhage (Gebr. van
Cleef) 1883. (f. 1 )
Kaart van Straat Sunda met't eiland Krakatau, Java tot Batavia, de Lam-
pongsche Districten op Sumatra, met al de plaatsen, omliggende eilanden,
kuppen enz. Amsterdam (Stemler) 1883. (f. 0,20.)
Kuyper (J.), Krakatau en omstreken, volgens de nieuwe hydrographische
opneming na de verwoesting van 28. Augustus 1883. Leeuwarden
(Suringar) 1883. (f. 0,25.)
36*
552 Karten von Afrika.
Sumatra, west coast: Panjak Islands and adjacent coast of Sumatra. Ta-
panuli bay and Pulo Mansalar. London (Hydrogr. Office) 1884. (N.855.)
(la.)
Grand Archipel d'Asie: Detroit de Gaspar. Paris (Depot de la Marine)
1884. (N.4025.)
Karten von Afrika.
Kiepert (H.), Politische Übersichtskarte von Afrika. 1 : 20,000,000. Neue
Ausg. Chromolith. Berlin (D. Eeimer) 1884. fol. (M. 1,20.)
Andree (B.) u. A. Sc o bei, Karte von Afrika. 1:10,000,000. 4 B1L
5. Aufl. Chromolith. Bielefeld (Velhagen & Klasing) 1884. fol. (M. 20.)
Handtke (F.), General-Karte von Afrika. Neueste Aufl. Chromolith.
Glogau (Flemming) 1884. Imp.-Fol. (M. 1.)
Bamberg (K.), Wandkarte von Afrika. 1:5,300,000. 12 Bll. 6. Aufl.
Physikal. Ausg. mit polit. Col. und Carton: Gross-Namaqua-Land und
Lüderite-Besiteung. Chromolith. Berlin (Chun) 1884. fol. (M. 12.)
Letts' map of the Soudan, including the Nile, Red Sea, west coast of
Arabia, and Abysainia. London (Lette) 1884. (1 s.)
Carta hoja IL III. IV. del mar Rojo, Madrid (Direccion de hidrogr.) 18S4.
(N. 552 A. 553 A. 554 A.)
Red Sea: Sawakin harbour. London (Hydrogr. Office) 1884. (N. 901.)
(1 s. 6 d.)
— : Mersa Durar to Trinkitat, showing the approacbes to Sowakin. Ebda
1884. (N. 81.) (2 b. 6 d.)
— : Mocha road. 1 : 25,000. Washington (Hydrogr. Office) 1884. (D. 0,80)
Carta desde Jebel Teir hasta la isla de Per im. Madrid (Direccion de
hidrogr) 1884. (N. 823.)
Africa: east coast: River Zambesi to Mosambique harbour. Piani
River. Antonio entrance. London (Hydrogr. Office) 1884. (N. 1810.)
(2..)
Karte der westafrikanischen Küste von Accra bis zum Ogowe (Meer-
busen von Guinea). 1 : 3,000,000. Mit Carton: Umgegend des Camernn-
Gebirges in West- Afrika. 1 : 1,000,000. Chromolith. Berlin (D. Reimer)
1884. fol. (M. 1.)
Friederichsen (L.), Karte West-Aequatorial-Afrika's zur Veranschaulichnng
des deutschen Colonialbesitzes. Chromolith. Hamburg (Friederichsen)
. 1884. fol. (M. 1,20.)
Golf de Guinäe: Ri viere de Bonny et du nouveau Calebas. Paris (Depot
de la Marine) 1884. (N. 3991.)
— : Ause du Petit Beriby ou Alt Beriby. Ebds. 1884. (N. 4006.)
Merenlky (A.), Original map of South Africa containing all South African
colonies and native territories. 1 : 2,500,000. 4 Bll. Chromolith
Berlin (Schropp) 1884. fol. (M. 12.)
Prosser (W.), General plans of Gold and other Farms, situated in the
District of Leydenburg, Transvaal Republic. Cape Town 1888.
Merensky (A.), Karte von Angra Pequena. Lith. u. col« Berlin (Schropp)
1884. fol. (60 Pf.)
Müller (H.) u. C. Riemer, Karte von Angra Pequena und 8üd- Afrika
1 : 8,000,000. Chromolith. Weimar (Geogr. Instit.) 1884. foL (80 PI)
Rosler (W.), Carte de Madagascar d'apres les travaux de M. A. Qrandidier.
1 : 5,000,000. Chromolith. Bale (Georg) 1884. fol. (60 Pf.)
Grandidier (A.), Carte de Madagascar, dressee en 1872. Revue en 1884.
1:6,000,000. Paris.
Carte de Tue de Reunion. 1 : 300,000. Paris (Chaix) 1884.
Karten von Amerika. 553
Karten von Amerika.
Kohl's Sammlung von Karten zur ältesten Geographie von Amerika im
Departement of State su Washington. — Audand. 1884. N. 28.
Bamberg (K.), Wandkarte von Nord-Amerika. 1:5,300,000. 12 BU.
Polit. Ausg. 6. Aufl. Chromolith. Berlin (Chan) 1884. fol. (M. 12;
auf Leinw. in Mappe M. 16,50.)
— , Wandkarte von Süd -Amerika. 1:5,300,000. 12 BU. Polit Ausg.
8. Aufl. Ebds. (M. 12; auf Leinw. in Mappe M. 16,50.)
North Ameriea, east coast: Hudson bay and streit London (Hydrogr.
Office) 1884. (N. 863.) (3 s.)
-, — : Penobscot bays. Ebds. 1884. (N. 620.) (2 s.)
United States, east coast: Salem harbour, Marblehead and Beverley har-
bours. Ebds. 1884. (N. 2427.) (1 s. 6 d.)
Bell (R.), Map showing proposed route of the Manitoba and Hudson'*
Bay Bailway. Winipeg 1884.
Carta que comprende desde la sonda de Santa Elena haste el puerto de
Charles ton. Madrid (Direccion de hidrogr.) 1884. (N. 827.)
New Brunswick: Harbor of St John. Washington (Hydrogr. Office)
1884. (N. 149.)
Newfoundland, west coast: Codroy road to Cow Head harbour. London
(Hydrogr. Office) 1884. (N. 283.) (2 s. 6 d.)
— , — : Cow head harbour to Ste. Genevieve bay, with the Canadian and
Labrador coasts between Great Mecattina Island and Amour Point Ebds.
1884. N. 284. (2 s. 6 d.)
— , soutb coast: Harbours and ancborages on the north coast of Fortune
lay. Ebds. 1884. N. 637. (1 s. 6 d.)
— , west coast: Bay of Island. Washington (Hydrogr. Office) 1884. (N. 597 >.)
— : La Poile Bay. Ebds. 1884. (N. 661 b.)
-: Pistolet bay. Ebds. 1884. (N. 151.)
Partie Sud de Belle-Ile. Cote Est de Terre-Neuve. Paris (Depot de la
Marine) 1884. (N. 3903)
Carte de la coste O. de la Amdrica del N. desde el estrecho de Juan
de Fuca hast las islas de la Reina Carlote con la isla Vancouver.
Madrid (Direccion de hidrogr.) 1884. (N. 99».)
Mexico: West coast firom Cbamela bay to Maldonado. Washington (Hy-
drogr. Office) 1884. (N. 933.)
West Indies: Grand and Lesser Cayman«. Ebds. 1884. (N. 43.)
— : Jururu. North coast of Cuba. Ebds. 1884. (N. 158.)
— : Porto de Vita or Bita. North coast of Cuba. Ebds. 1884. (N. 159.)
— : Nipe. North coast of Cuba. Ebds. 1884. (N. 160.)
— : Cabonica and Livisa. North coast of Cuba. Ebds. 1884. (N. 161.)
— : Western shere of the Carribean See, firom 8errana Bank to Chinchorro
Bank. Ebds. 1884. (N, 394.)
South America, Chile: Port of Valdivia and approaches; Port Correal.
Ebds. 1884. (N. 38.) (D. 0,20.)
— , east coast: Montevideo bay. London (Hydrogr. Office) 1884. (N. 2001.)
(1 s. 6 d.)
— , - : Port Belgrano. Ebds. 1884. (N. 1331.) (2 s.)
Patagonia, west coast: Tom bay anchorage. Washington (Hydrograph.
Office) 1884. (N. 10.) (D. 0,30.)
8nd Pacific: Canauz de Patagonie. Canal Ouest Paris (Depot de
la Marine) 1884. (N. 3998.)
— : Canaux lateraux de Patagonie. Ile Wager. Port Ballenas. Ebds.
(N. 4003.)
554 Karten von Australien und Ooeanien.
South America: S taten island. Washington (Hydrogr. Office) 1884
(N. 12.) (D. 0,30.)
— , Magellan strait: Port Tamar; Tuesday bay; Port Churrnca; Sketch
of Trnxillo bay; Port Mercy. Ebds. 1884. (N. 269.) .(D. 0,80.)
— , southwest coast; Indian reach. PortRiofrio; Crossover island to Gorgos
reef. Ebds. 1884. (N. 570.) (D. 0,30.)
Magellan Strait 8. Sheet II. From the First Narrows to Sandy Point
Ebds. 1884. (N. 444.)
South America, Magellan strait: Harbours and anchorages: Sylvia
cove; Sylvia Channel; Baker cove; Rocky Inlet: March basin; Cripples
Channel; Field anchorage; Havergal bay. London (Hydrogr. Office)
1884. (N. 805.) (2 s.)
Sud-Am4rique: Port et passes d'Oushouä'ia. Canal du Beagle (Csp
Hörn) Paris; Depot de la Marine. 1884. (N. 4021.)
Archipel du cap Hörn: lies Wollaston. Mouillages des iles Otter et de la
Romanche. Ebds. 1884. (N. 4029.)
— : Port Maxwel et croquis de la baie Saint-Joachim. Ebds. (N. 4035.)
Karten von Australien und Oceanien.
New South Wales. Map skowing territorial divisions. 8ydney 1883.
(i «.)
Australia, nord-west coast: Hüll point to cape Bertholet, includiog King
sound and the Buccaneer archipelago. London (Hydrogr. Office) 1884.
(N. 1052.) (1 s.)
Australia, west coast: Roebuk bay. Ebds» 1884. (N. 858.) (1 s. 6 d.)
Australia, east coast: Port Molle and Molle Channel; Kenedy sound.
Ebds. 1884. (N. 498.) (1 s. 6 d.)
New Ze Aland, Middle island: George, Bligh, and Milford sounds. Ebds.
1884. (N. 615.) (2 s.)
Central Paeific Ocean: Islands between 150° and 170° west longifode.
Reirson, Palmyra, Christmas, Enderbury, Maiden, Vostok, Flint, Caro-
line, Humphrey, Penrhyn, Starbuck. Ebds. 1884. (N. 979.) (1 s. 6 d.)
Nouvelle Cale*donie: lies Pott et Art. Paris (Depdt de la Marine) 1884.
(N. 4002.)
Sud Pacifique: Tahiti. Cdte sud de la presqu'ile de Taiarapu, de la
riviere Varii a la pointe Arupa. Paris (Depdt de la Marine) 1884.
(N. 3990.)
Salomon islands: Anchorages in the vicinity of Bougainville strait;
Haythorn sound; Blanche harbour; Choiseul bay. London, Hydrogr.
Office. 1884. (N. 656.) (1 s. 6 d.)
Anchorages in the Salomon islands, South Pacific Ocean. Ebds. 1884.
(N. 97.) (1 s. 6 d.)
Nouvelles Hybrides: Cöte est de Malicolo. Croquis du port Stanley.
Paris (Däpdt de la Marine) 1884. (N. 4000.)
— , Croquis des boies de L4k4 et des Requins (fle Espiritu Santo). Ebds.
1884. (N. 3983.)
Druckfehl er- Berichtigung.
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S. 347, Zeile 25: im Tief statt ein Tief.
S. 348, letzte Zeile: Rasentorf statt Rahmtorf.
S. 362, Zeile 15: 3 Wochen statt 8 Wochen.
S. 391, 6. Zeile von unten: 175m statt 165m.
S. 396, erste Zeile: Baensch — in der Secnnde statt Bansch in der Minute.
S. 402, erste Zeile: Leba statt Heia.
Druck rou W. Pormatter in Berlic.
Tof.l.
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Btf.2.
Administrativ^ Einfiusilung
ir OrtßbevaLkmuxi
der
ILICHEN PROVINZEN
des
EN KÖNIGREICHES
^N und östl. EPIROS)
rf* vom 3t Marx (liApril) 1883 .
'■uanuncngestc'Qt
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ORIGINALKABTE
WTEBEtf TANA- GEBIETES.
fch. eigenen. afttrouoTTÜAchm und geodfitUdtat Mtfifungen
gezeichnet um.
CLEMENS und GUSTAV DENHABDT.
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Maasstab V 500,000.
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Erklärungen,:
A JfrmeckspwnhU anderXuste.
X astronomisch, bestimmt» Zeit, Breite, Läng*.
* • Eixtrksgrenz&i-
d bewohnte, . imbewohnAe Ort».
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SOMAL-STÄMM* GALLA- STÄMME ^vanGallnbavohnitK
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Soeben erscheint:
DIE SANDWICH-INSELN...
oder
Das Insel reich von Hawaii
von
Graf Beinhold Anrep-Elmpt.
In gr. Lex.-8. eleg. br. M. 8.—«
Verlag der KgL Hofbuchhandlung Wilh. Friedrich in Leipzig.
3m Verlage bon @ftuarb ^petnrtd) SBtapet in ftöltt erfdjeint
neu*r, mit einer Einleitung bcö 33erfafferö »erme^rter
eferunggauögabe: ,
Das rpdtaU
xtnb feine gntttncftel'ung.
Darlegung ier neueren fcrgcbnifle Nr kostnologtfdjen ior^ung
<E ^- Cfyeobor ZHolbenfyauer,
3u4alt*s1tebetfidf)t*
©ad 9tUf 2. ©aö ©onnenfyftem , 3. S>ie Erbe, 4. <Die «Sonne, 5. ©er 5Ronb,
. 3>ie JManeten, 7. gcuerfugcln, Meteorite, ©ternfcfynuppen, äometen, 8. S)er Einheit*-
ebanfe im €onnenfefiem, 9. «Der 6t off unb #bic Ärajt, 10. Sattutiß unb Umlauf,
1. 2)ie «Drehung, 12. SJerbityung unb SUngbllbung, 13. 5>ie Entfaltung unferer
Hanetentoelt, 14. 2)er „fritifc&e 5>unft" in ber SBelttörperentuntfefung , 15. 2)er @e-
;aUung8-|)roje& beä SMonbeö, 16. 5>ie ffonftituiruna ber Erbe, 17. 2)er Erbmilfanie-
tuö ber Woraeit, 18. £)er (Spnnemrottauidmua, Id. 2>ie Eifljcit ber (Erbe, 20. 2>er Erb-
ulfaniömu« ber 3e$tgeit, 21. 2)er Urfprung ber SWeteoritenföwSjme, 22. $erfpecti»en.
£)a« gange SBerl erfc^eint in 18 Lieferungen Don 3 unb 4 Sogen
p. 8°. ä Lieferung 80 $f. üBonattidfr n>erben 2 Lieferungen ausgegeben;
rtif SBunfcty fanrv ba« SBerf auäf fofort ©ollftanbifl bejogen »erben —
6rofc$irt in 2«änben $rei* 14 3». 40 $f. — in Engl. Seinen ge*
bunben $rei$ 3ß: 16,— . '— ^*
©ei ber augerorbenttt^en Änerfennung, ö>et($e ba$ Ijerbor*
ra^enbe Sdudf *Bei ber Äritif tote beim naturn>iffenf$aftli$ gebil*
beten $uBtifum gefunben l)at, glaubt bie 93ertag$l)anb!img mit biejer
neuen 2lu$gabe eine literarif$e $flic$t ju erfüllen. -
3f& (14. 12. 1882.)- 3)a* Unt$rntljmen«1ft; «tnö üon benen, n>efd)e
bem beutfdjjen tarnen Etyre ma<$cn.\ Stofaffer unb Serjeger tyaben fidj $ier toer-
bunben, eine Äoämologie ju fdjaffep,' bie balb auf ben ^ifdjett aller ©ebilbeten als
etroad Unent&e^rlicM ft$ Eingang »erf Raffen foflte. 2)er überauö fdjwierige Stoff tft
$ier »on einem Söijfenben, in ftreng »IfftnfcDaftiidjer SDJetfcobe, fo flar unb anjieljenb
bemäntelt, t>a§ tat ©tubium jebeä ein je (neu Kapitel? anregenb wirft unb fief; in^altlict;
tief einprägt.
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. unb anberer neuerer gorfd^er bargeftetlt.
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9Hit 12 „Satibfdjaften in Sonbr. u. ja&lretyen in ben Xejt getauften jnoi^ir.
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»• ' 3n anrraetibety oolF*rlifntiHd>er 5He«fe »nt uon fad&Funbffler &anb gef&rTOen .
biefe* SßerF,. reelle* fto} ald bitfifle ©olf*au*fl«&e an aüe $?ifien«bur1Uge .ttwubft iro> 2t -.
ntt (fcrunblage fcafl $auptn>erf ber grübet @ö}lagtritn?elt unb anberer neuerer Jjerftfrer t:<
roeitgeftenbe ftenntitifffc üfcer b<rt 3au&erla*b -verbreiten Reifen. Ol foü ^ugieid) au& ta
3ua,enb einen reiben £äa* getyegetrer getture Itcfern mtb ift tejlimnit, in allen ©olf *= wnf
3ue«nb-»ibli0theFen dingang .$fc frnbrn.' < ' .J. '
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flerfter'ffl* »ertogefraulHmig in Jreitmtg (flttften).
Iffufttierfe £i6[iofliefi der fänden nnf DöCüecünntfr.
(Suu Sammlung iUußricrter £d)rificn )ur Santo» mtb gföftetfrflfct , 5ir fid>
bnrd) jeitcjcmaRcii unb artiefltnen jtafyalt, ^tmtinorrflaribU^e 9arftetlun<|, kifHft-
terifdje $d)6nl)fit unb pKtfAe ^rütf|rif brr SUuJtrattön, fourie öurdj rltgantr
£uößattung auöjeidnirn follen. *
*5tlö ueuefte 33eftanbtyeile.;[tnb erfreuen unb bun$ alle 93uc9§anMun.v i
SU besiegen: " *' .V. '•■ ..4 4 " r , s .
mit ber/£fyeorie'*frcr ^tffeajfrjifie »erme^rte 9luff$ge. 3)iit 122 öcls»
fdpritten, 15'£otfft(femt «/ einer Äarte tftn (Scudtor. gt. 8°. (XX ü
• S50 ©.) 9». 8. 3n DriglhcrfHSlnbanb 9». 10. • 0 • x ' .
flimlttföKe, Dt; fflk ®ie ©ubätttänbcT
.. jmeb. 8cm gegenwartige« ©tattbe ber $cnntni& 9Jfct.59 $o(3fcfcmttcn
^iTSSubilbern, gujei gicfytbrutfen unb einer ÄatteT fr. 8°. (XII n.
811 ©.)* W. 7. Sn Driginaleütbanb. SR: 9. ■♦•
©ft betben 9SHitjjKeber ber geogrpp&ijdjen ©efeflfer/aft ur^Bfen: i>rc»
feffor Dr. $PauIiti$te ujtb Dr. ö.\$arbegger , (aben foeben eiiic (S.rpebiun:
'in bie ®<rfla- unb tSomaliJaribet angetreten»
lanfer, Dr: ?M< %^ß»-eüift unb |eftt
9Mit 85 in l»en Xett gebtHtft'eK ^e^&bnittcu , 15 ^oßbitber«, einer
Äarte unb* einem, ^itelbilb („5)ie ^ratnibeV wm ®ije^Ä, auö ben be-
rühmten ;9Hlfcilfcttn* toon «. aSemerynn garbenbruef. gr. S°. (Xll
u. 237 ©.) 3K.-5'. 3n €>i-igirtÄftSinb«nb «Ä. 7.
$ie (Einlumbe flnb in mfi|)tt,«pr*üiuV'öbfr brauner Jnrbc )\x btjitljfn.
Fflr die Redaction verantwortlich: W. Koner in Berlin. "*•
Druck von W. Pormetter in Berlin C, Neue GrQnatrasse 30. f
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